Vom Hoffen auf den heißen Herbst: Ey Linkspartei, was machst du?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 269, November 2022

In England gingen Hunderttausende auf die Straße, in Frankreich werden Betriebe bestreikt und Besetzungen diskutiert. Und auch in Deutschland wurde im Sommer noch von der Linkspartei ein heißer Herbst angekündigt. Groß sollte er werden, kämpferisch. Der größte Aktionstag brachte bundesweit gerade 24.000 Menschen auf die Straße. Dahinter reihen sich wenige lokale Demonstrationen mit Tausenden in Berlin und Leipzig und zahlreiche kleine Aktionen von mehreren hundert Menschen ein. In der Realität ist der heiße Herbst bisher leider nicht mehr als ein lauwarmes Lüftchen. Die Gründe dafür sind zahlreich, doch einer sticht heraus: der Scherbenhaufen mit dem Namen Linkspartei. Was sind die Probleme? Und was müsste getan werden? Ein Debattenbeitrag für alle, die ernsthaft gegen die Inflation kämpfen wollen.

Lage

Potenzial, auf die Straße zu gehen, wird genügend geliefert. Meistens direkt in unsere Briefkästen in Form von Gasabschlägen von mehreren Hundert Euro oder in Form von Kassenbons, die einem nach dem Einkauf in die Hand gedrückt werden.

Zeitgleich versucht natürlich auch die Bundesregierung, die Kosten abzufangen. Auch wenn die Entlastungspakete weit hinter dem zurückbleiben, was die Lohnabhängigen – und vor allem die Armen – brauchen, können sie einen Teil des Unmuts abfangen. (Genauso wie die 20 Grad im Oktober helfen, die Heizung erstmal runterzustellen, Klimawandel sei Dank.)

Doch vergessen wir nicht. Diese Zugeständnisse der Regierenden sind selbst eine Reaktion auf die Wut und Empörung von Millionen. Unmöglich machen sie Proteste sicher nicht. Denn die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt, wenn sich bei vielen auch Frustration und Hoffnungslosigkeit breitzumachen beginnen.

Kämpfen lohnt sich nicht?

Anders als in Frankreich kann man in Deutschland nicht auf eine Tradition von einigermaßen erfolgreichen Abwehrkämpfen blicken. Vielmehr wurden Niederlagen eingesackt, ob nun vor Jahren bei den Protesten gegen die Hartzgesetze, ob von der antirassistischen Bewegung. Von kämpferischen Streiks will man gar nicht erst reden. Kämpfe wie jene der Krankenhausbewegung in Berlin und Nordrhein-Westfalen stellen die Ausnahme dar. Es herrschen sozialpartnerschaftliche Regulierung, ritualisierte Tarifrunden vor – im Extremfall der nationale Schulterschluss oder die Konzertierte Aktion zwischen Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Regierung.

Die Erfahrung, die allgemein hängenblieb, lautet: Politischer Streik geht nicht. Doch gerade in einer Krise ist es nicht unmöglich, diese bürgerlichen Ideologien aus den Köpfen der Bevölkerung zu fegen. Doch dazu bräuchte es eine Organisation, die sich den Interessen der Beschäftigten verschreibt, in Opposition zur Regierung, eine Organisation, die den Kampf gegen die Preissteigerungen mit dem gegen Krieg, Umweltkatastrophe, Rassismus und Imperialismus verbindet. Eine Organisation, die Druck auf Gewerkschaften ausübt, die aktiv vorantreibt.

Dabei verspricht die Linkspartei auf Parteitagen und in Sonntagsreden eine Politik im Interesse der Mehrheit, verkündet einen heißen Herbst und manche schreiben gar eine „verbindende Klassenpolitik“ auf ihre Fahnen. Zu sehen ist davon nichts. Bevor wir jedoch zu den öffentlich einsehbaren Machtspielchen der Partei kommen, wollen wir einen Blick auf die inhaltliche Antwort der Linkspartei auf die aktuelle Situation werfen.

Forderungen

Gesammelt auf einer Themenseite (https://www.die-linke.de/themen/preissteigerungen/) findet man die Forderungen der Linkspartei. So heißt es: Die Gaskrise verschärft sich und die Bundesregierung agiert hilflos. Die Linkspartei fordert dagegen folgende Sofortmaßnahmen:

a) Ein drittes Entlastungspaket, einen „sozialen Klimabonus“ von 125 Euro im Monat für jeden Haushalt. Weitere 50 Euro sollen für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen ausgezahlt werden. Ebenso fordert sie eine sofortige Erhöhung der Sozialleistungen um 200 Euro pro Monat und eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets bis zum Jahresende.

b) Einen sofortigen Gaspreisdeckel sowie ein Verbot von Strom- und Gassperren, verbunden mit einem bezahlbares Grundkontingent für Strom und Gas für alle.

c) Eine Übergewinnsteuer und den Ausbau von erneuerbaren Energien.

Viel könnte man an dieser Stelle ergänzen, wir wollen es aber bei den wesentlichen Punkten belassen. Zum einen stellt sich einem/r die Frage, warum das 9-Euro-Ticket nur bis zum Jahresende verlängert werden soll. Die geforderten Summen stellen sicher ein Verbesserung gegenüber den Einmalzahlungen der Regierung da, aber letztlich bleiben sie auch hinter dem, was notwendig ist: einer Erhöhung der Renten und Arbeitslosengelder auf 1.600 Euro pro Monat mit automatischer Inflationsanpassung.

Zum anderen ist gerade der Punkt mit der Übergewinnsteuer sehr verklausuliert. Die Forderung an sich ist richtig, im Absatz des Forderungskatalogs findet man jedoch auch Aussagen wie „Es ist richtig, Unternehmen zu retten, um einen Kollaps der Versorgung zu verhindern. Der Bund sollte dauerhaft Eigentümer bleiben, um Bürger entlasten zu können.“

Die Verstaatlichung von Unternehmen ist sicher ein Schritt zur Verhinderung von Entlassungen. Doch DIE LINKE drückt sich hier nicht nur darum herum, dass sie ohne Entschädigung erfolgen soll. Es fragt sich auch, warum eigentlich Profiteur:innen von der Krise, die selbst die Preise nach oben treiben, nicht enteignet werden sollen, zumal wenn es nicht nur darum geht, die Versorgung zu sichern, sondern auch, die Energieversorgung ökologisch umzurüsten.

Schließlich wird die Frage, wer die Produktion in solchen verstaatlichten Unternehmen kontrollieren soll – das Management oder die Beschäftigten – erst gar nicht aufgeworfen. Im Grunde geht das Sofortprogramm der Linkspartei nicht über das hinaus, was auch die Bundesregierung tut. Sie will nur, dass das „dauerhaft“ bleibt.

Vor allem aber muss man in einem Land, in dem die Kampferfahrung gering ist, aufzeigen, wie man die eigenen Forderungen umsetzen will. Als Gruppe Arbeiter:innenmacht unterstützen wir beispielsweise Forderungen wie die nach einem Gaspreisdeckel, glauben aber, dass diese nur unter direkter Kontrolle von Beschäftigten sinnvoll ist. Praktisch bedeutet es, ein Gremium aus deren Vertreter:innen zu wählen, das rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar ist. Doch wie kann so eine scheinbare Utopie zur Wirklichkeit werden? Wie können die Forderungen nicht nur hübsch auf Flyer gedruckt, sondern in der Praxis umgesetzt werden?

Eine Antwort auf diese Frage findet man nicht auf der Homepage. Auch nicht im FAQ, welches sonst recht gut kurz und knapp Sachen erklärt.

Über Terminankündigungen hinaus finden wir auch nichts, wie eine Bewegung aufgebaut werden kann oder soll, und schon gar nichts, wie diese in die Betriebe zu tragen ist.

Würde die Linkspartei (bzw. jede ihrer Strömungen) ihren eigenen Anspruch, ihre eigenen Versprechen ernst nehmen, müsste/n sie aktiv daran arbeiten, ein breites Aktionsbündnis, eine Einheitsfront aller Akteur:innen der Arbeiter:innenbewegung aufzubauen. Sie müsste/n dazu vor allem die Gewerkschaften zum gemeinsamen Kampf und Bruch mit Sozialpartner:innenschaft und Konzertierter Aktion auffordern.

Doch DIE LINKE schafft es nicht einmal, konkrete Forderungen für die Tarifabschlüsse mit in die Kampagne aufzunehmen. Nicht nur Sozialleistungen, sondern auch Löhne müssen an die Inflation angepasst werden und die kommende Metallrunde sowie die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst sind kein Nebenschauplatz des Kampfes gegen Preissteigerungen, sondern müssen vielmehr als konkrete Möglichkeit begriffen werden, diesen mit betrieblichen Aktionen zu bestzen. Dass dies nicht thematisiert wird, ist kein Zufall.

Strategische Schwäche

Wie oben bereits erwähnt, unterminiert und fesselt die Sozialpartner:innenschaft der Gewerkschaftsbürokratie die Kampfkraft der Arbeitenden. Der Schulterschluss mit dem Kapital bringt mit sich, dass man aus Sorge um den lokalen Standort zu beschwichtigen versucht. In der Praxis bedeutet das oft genug, dass Arbeitsplätze vernichtet und die Beschäftigten mit Sozialplänen abgespeist werden oder Tarifabschlüsse hinter der aktuellen Inflationsrate zurückbleiben.

Aber warum muss sich eine linke Partei dazu verhalten? Die sogenannte soziale Frage, die nach Verbesserung des Lebensstandards ist nicht nur Kerninteresse von Linken, weil man ein reiner Gutmensch ist. Die 5 Millionen Mitglieder des DGB bilden die stärkste Kraft, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Denn Streik ist eines der effektivsten Mittel, um Druck auf Unternehmen sowie Regierung aufzubauen. Wer also Einfluss in den Gewerkschaften ausübt, kann Kämpfe ganz anders führen. Oder anders herum: Wenn es nicht gelingt, die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für den Kampf gegen Preissteigerungen und die Rezession auf der Straße und in politischen Massenstreiks zu mobilisieren, werden wir die Angriffe von Kapital und Regierung nicht stoppen können.

Doch es stellt seit Jahren eine strategische Schwäche der Linkspartei dar, sich in diesem Bereich nicht als klare Opposition zur SPD und zur Gewerkschaftsbürokratie aufgestellt zu haben. Nicht dass die Linkspartei komplett ohne Einfluss wäre, das zeigen Figuren wie Bernd Riexinger. Aber DIE LINKE will keine antibürokratische Opposition, sondern den Apparat ideologisch nach links verschieben. Diese Politik führt aber dazu, dass ihre gewerkschaftlich Aktiven und vor allem die Funktionär:innen letztlich als Anhängsel der sozialdemokratischen dominierten Bürokratie agieren, ob sie das nun wollen oder nicht.

Dies ist nichts Neues, sondern ein Merkmal reformistischer Parteien – ebenso wenig die Auftrennung zwischen politischen und ökonomischen Kämpfen. Die Linkspartei agiert demzufolge im Parlament und vielleicht auch auf der Straße. In den Betrieben und in den Gewerkschaften überlässt sie aber den ökonomischen Kampf bzw. dessen Verhinderung der Bürokratie (und der SPD). Doch genau dieses Prinzip wird in Krisenzeiten sichtbar aufgebrochen, denn  Inflation oder drohende Rezession zeigen, dass es keine unabhängigen Sphären sind, die voneinander existieren.

Statt also die Gewerkschaftsführungen offen aufzufordern, sich an den Mobilisierungen zu beteiligen, beispielsweise durch offene Briefe und eine Kampagne in den Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörpern, schweigt man. Statt offen eine Positionierung in den Tarifkämpfen einzunehmen und die Beschäftigten in diesen Kämpfen zu unterstützen, ordnet man sich der Gewerkschaftsbürokratie unter und wird damit indirekt Unterstützerin der Sozialpartner:innenschaft.

Verquere Debatte

Das ist nicht die gleiche Debatte, die im Vorfeld zum Parteitag geführt wurde. Denn auch wenn die populäre Linke und Wagenknecht schnell dabei sind, das Bild vom Arbeiter im Blaumann herauszuholen und die Ausrichtung auf diesen zu fordern, so schweigen sie bei der Frage der Gewerkschaften, der Rolle der Bürokratie und dem Kampf, den man gegen diese führen muss. Ähnliches gilt jedoch auch für das Lager der Bewegungslinken, das Organizing als Antwort sieht, das aber der offenen Konfrontation mit der Bürokratie ausweicht. Von den Regierungssozialist:innen will man an der Stelle lieber nicht reden, denn sie haben gar kein wirkliches Interesse, auch nur partiell Druck aufzubauen – das schadet letztendlich nur den Chancen, in eine Regierung zu gelangen.

Hätte man jedoch eine klare Strategie in dem Bereich, wäre die Verbindung von ökonomischen Kämpfen mit jenen Bewegungen wie der gegen Umweltschäden kein großes Rätsel mehr. Denn im Endeffekt müssen diese beiden aktiv miteinander verbunden werden, um erfolgreich Errungenschaften für die gesamte Klasse zu erkämpfen wie beispielsweise ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket oder einen kostenlosen ÖPNV. Stattdessen verliert man sich im internen Richtungsstreit, der aktuell eine neue Ebene des Elends erreicht.

Flügelstreit statt Klassenkampf

Leipzig, 05. September 2022. Sören Pellmann, einer der drei Gründe, warum die Linksfraktion überhaupt im Bundestag sitzt, organisiert einen ersten Protest. Rund 5.000 Menschen versammeln sich auf dem Augustusplatz und beteiligen sich an der Demonstration der Linkspartei. 5 Wochen später wird die Linkspartei wieder einen Protest organisieren – diesmal als Bündnis unter der Führung von Juliane Nagel. Sie ist eine Vertreterin des Lagers der Regierungssozialistinnen und erklärt, dass weder Sahra Wagenknecht noch Sören Pellmann auf dieser Kundgebung sprechen dürfen. Kurzum: Man ist zwar in einer Partei, aber setzt alles daran, nicht gemeinsam zu arbeiten.

Ein Einzelfall, könnte man meinen. Aber nein, auch in Berlin im Bündnis „Heizung, Brot, Frieden“ gibt es ähnliche Querelen. Hieran ist unter anderen Aufstehen beteiligt. Nachdem am Anfang auch Gesichter der Bewegungslinken und marx21 anwesend waren, hätte man meinen können, dass es ein positives Beispiel sein könnte. Trotz Differenzen ist man in einem Bündnis, mobilisiert gemeinsam, während man inhaltlich streitet und versucht, die Partei insgesamt zum Handeln zu zwingen. Hätte, hätte, Fahrradkette! Dieses Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht für alle Basismitglieder, die versuchen, aktiv gegen die Preissteigerungen zu kämpfen.

Feindbild Populismus

Dass es Teile der Partei gibt, die den Linkspopulismus von Sahra Wagenknecht ablehnen, ist gut. Doch erstens ist Kritik an ihr keineswegs immer eine fortschrittliche. Im Gegenteil, der jüngste Sturm der Empörung entbrannte, gerade weil Wagenknecht auch einmal etwas Richtiges gesagt hatte, nämlich dass Deutschland und seine Verbündeten einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führen.

Der rechte Parteiflügel will es sich offenkundig mit der Regierung nicht verscherzen. Fast noch mehr scheint er von einem wahrhaften Abgrenzungswahn gegenüber Sahra Wagenknecht und Aufstehen, also dem linkspopulistischen, an Mélenchons Partei La France Insoumise orientierten Flügel, der Partei besessen zu sein.

Der Aufstehen-Flügel hingegen will eine linkspopulistische Massenmobilisierung, die auch Gewerkschaften und radikale Linke umfassen soll. Gegenüber einer realen Orientierung auf die Arbeiter:innenklasse, der Frage von Streiks und betrieblichen Kämpfen verhält er sich ignorant. Stattdessen wird das „Volk“ aufgerufen, eine Allianz bis hin zu den krisengeschüttelten Unternehmen angestrebt und der russische Imperialismus real verharmlost. Aber er beteiligt sich mit sehr viel Elan an den Aktionen, ja prägt diese in etlichen Städten. Dass Aufstehen versucht, den Mobilisierungen seinen politischen Stempel aufzudrücken, für seine Zwecke zu nutzen, um sich stärken zu wollen, kann ihm niemand ernsthaft vorwerfen. Das will schließlich jede politische Kraft, die in solchen Mobilisierungen aktiv ist.

Die Mehrheit der Linkspartei agiert demgegenüber einfach sektiererisch. Vom Standpunkt der Regierungssozialist:innen ergibt das durchaus Sinn. Ihnen sind Regierungsposten und Verbindungen und gutes Einvernehmen mit SPD, Grünen und Gewerkschaftsbürokratie allemal wichtiger als eine Bewegung, die diese in Schwierigkeiten bringen könnte. Die sog. Bewegungslinke – und in ihrem Schlepptau Strömungen wie marx21 – macht sich zunehmend zur politischen Gehilfin der Lederers, Nagels und Ramelows.

Hoffen auf Veränderung?

Die Spaltung der Linkspartei ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Die verschiedenen Flügel rüsten faktisch zum entscheidenden Kampf und warten vor allem auf eine günstige Gelegenheit. Dabei ist die Krise selbst nur Ausdruck der strategischen Perspektivlosigkeit einer kleinen reformistischen Partei. Zwischen Bewegungsspielerei und Regierungsbeteiligung lässt sich eine schlüssige Strategie schlecht ausarbeiten. Es ist also kein Wunder, dass die Partei ideologisch zwischen verschiedenen Spielarten von Populismus, Reformismus und Identitätspolitik hin und hergerissen wird. Der Krieg um die Ukraine hat die Flügel weiter polarisiert, treibt die einen mehr ins Putinlager, die anderen Richtung Regierung und westlichem Imperialismus.

Kein Wunder, dass immer mehr Aktivist:innen sich abwenden. Zweifellos stellt der kommende Untergang für die sozialistischen Kräfte in der Partei eine zentrale Frage dar. Es ist eigentlich höchste Zeit, offen dem Reformismus den Kampf anzusagen und einen revolutionären Bruch mit der Partei vorzubereiten, also die eigenen Kräfte als Alternative zu bestehenden reformistischen und populistischen Strömungen zu sammeln.

Eine solche Intervention in den Flügelstreik müssten sie zugleich mit dem Kampf für eine Einheitsfront aller Kräfte der Arbeiter:innenbewegung – also auch aller Teile der Linkspartei – verbinden. Das Fatale am inneren Flügelstreit ist ja nicht, dass sich dieser zuspitzt, sondern er vor allem von den Regierungssozialist:innen und der Bewegungslinken mit einer bewussten Sabotage gemeinsamer Aktionen gegen Inflation und Krise verbunden wird. Unglücklicherweise finden sich diese mit ihrem Sektierertum in der „radikalen Linken“ in guter Gesellschaft.

Es mangelt nicht an verschiedenen Bündnissen mit teilweise fast identischen Forderungskatalogen, die – anders als der „solidarische Herbst“ von Gewerkschaften, NGOs und Sozialverbänden – Kapital und Regierung als politischen Gegner:innen verorten und, zumindest verbal, die Notwendigkeit einer Massenmobilisierung proklamieren.

Doch wer diese wirklich will, muss auch danach trachten, aktionsfähige Bündnisstrukturen aufzubauen, Kräfte wie „Heizung, Brot, Frieden“, „Genug ist Genug“, „Nicht auf unserem Rücken“ oder „Umverteilen“ auf lokaler und bundesweiter Ebene zu einem Bündnis zusammenzuschließen. Ein erster Schritt dazu wäre es in jedem Fall, gemeinsame Demonstrationen und Aktionen zu organisieren.

Schon heute ist klar: Wie es ist, kann und darf es nicht bleiben. Wir wissen auch, dass wir im Kampf gegen Inflation, Rezession und Kosten des Krieges einen langen Atem brauchen werden. Umso dringender ist es freilich, die linken Bündnisse auf einer demokratischen und klassenkämpferischen Basis zusammenzuführen und dazu möglichst rasch lokale und bundesweite Aktionskonferenzen zu organisieren.




Soziale Proteste müssen internationalistisch sein!

Gemeinsame Stellungnahme zu dem Angriff auf palästinensische Genoss:innen, Infomail 1202, 22. Oktober 2022

Was ist passiert?

Am 15.10.22 organisierte das Bündnis „Jetzt reicht’s!“ eine Demonstration gegen die Teuerungen. Gemeinsam als Internationale Jugend, Solidaritätsnetzwerk, ZORA, Revolution, GAM und der palästinensischen Gruppe Handala organisierten wir hierfür einen klassenkämpferischen Block. Dem Aufruf folgten einige Palästinenser:innen, die die Krisenpolitik in Deutschland mit Antikriegspositionen, internationaler Solidarität und dem eigenen Kampf gegen die Unterdrückung durch den Staat Israel verbanden. Auf einem Pappschild wurde das Ende der Besatzung palästinensischer Gebiete gefordert und die Landkarte in den Farben Palästinas gezeigt.

Daraufhin wurde der klassenkämpferische Block umzingelt, bedrängt und mit der Parole: „Kannibalismus gehört zu unsern Riten – esst mehr Antisemiten!“ beschallt, was mit palästinasolidarischen Parolen beantwortet wurde. Aufgrund der zunehmend aggressiver werdenden Stimmung, stellte sich der Block schützend um „Handala“ auf. Anschließend erschienen auch mehrere Polizist:innen, wohl von den Ordner:innen gerufen.  Nach kurzer Zeit und einigen Diskussionen schnitt Handala die Landkarte aus der Pappe heraus und hielt das angepasste Schild nach oben, inzwischen konform mit dem „Demokonsens“. Juliane Nagel (Die Linke) reichte das allerdings nicht aus. „Verpisst euch!“, „Ich hol die Polizei!“, „Ihr nutzt meine Strukturen aus!“ waren nur einige der von ihr getroffenen Aussagen. Unsere Kommunikationspersonen verhielten sich jederzeit deeskalierend und gingen nicht weiter auf die Aussagen ein.

Dabei blieb es jedoch nicht. Juliane Nagel drang in den Block ein, schubste Genoss:innen zur Seite und entriss dem palästinensischen Genossen gewaltsam die Pappe, mit dem Ziel diese zu zerstören. Teilnehmer:innen des Blocks wurde außerdem aggressiv und aus nächster Nähe eine Handykamera vors Gesicht gehalten. Auf die Bitte, das zu unterlassen, argumentierte einer der filmenden Personen, Marco Dos Santos, lediglich mit der „Pressefreiheit“, die dieses Verhalten rechtfertigen würde. Letztlich konnten wir durchsetzen, alle gemeinsam, auch mit unseren palästinensischen Freund:innen, einen sichtbaren und lautstarken Block auf der Demo zu bilden und gemeinsam gegen Krieg und Krise zu kämpfen.

Das Argument mit dem Demokonsens

Auf der Demonstration gab es den Demokonsens, dass keine Nationalfahnen gezeigt werden dürfen. Palästina ist jedoch, genauso wie Rojava, kein Staat, was einen qualitativen Unterschied bedeutet. Es ist ein Unterschied, ob man die Fahne kapitalistischer Unterdrückerstaaten zeigt oder die Fahnen von nationalen Freiheitsbewegungen wie in Rojava oder Palästina. Außerdem ist es nicht verhältnismäßig, einen Demokonsens wegen einer kleinen Pappe mit solchen aggressiven Maßnahmen durchzusetzen. Trotzdem wurden die palästinensischen Farben von unseren Genoss:innen zur Deeskalation aus der Pappe herausgeschnitten. Und siehe da: es wurde weiter aggressiv und gewaltsam gegen uns vorgegangen. Der Demokonsens war also nur ein vorgeschobenes Argument. Es ging ganz offensichtlich um etwas anderes: Migrantische, israelkritische Stimmen sollten zum Schweigen gebracht und sozialer Protest von internationalen Kämpfen künstlich getrennt werden.

„Das Thema hat hier nichts zu suchen!“

Wer internationale Kämpfe, Antikriegskämpfe, antirassistische Kämpfe und antikoloniale Kämpfe von sozialen Protesten „im eigenen Land“ trennt, hat es offensichtlich nicht geschafft, die Wirtschaftskrise in einen globalen Kontext zu setzen. Krise und Krieg hängen unweigerlich miteinander zusammen und gehören zum kleinen Einmaleins einer linken Analyse, die über die eigenen Staatsgrenzen hinaus reicht. Das ist genau das, was uns von reaktionären Kräften unterscheidet, die mit ihrem Nationalismus die Arbeiter:innenbewegung spalten möchten.

„Internationalismus“ bedeutet das Kontextualisieren und Verbinden von verschiedenen globalen Kämpfen der Ausgebeuteten und Unterdrückten!

Gerade linke Gruppen sind es doch, die Mantra mäßig fordern, die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu verbinden und vor allem auch marginalisierte Gruppen miteinzubeziehen! Die Geschehnisse von Samstag beweisen allerdings: Manche Organisationen und Personen haben wohl keinerlei Interesse an bestimmten internationalistischen und migrantischen Perspektiven in ihrem Aktivismus. Der palästinensische Befreiungskampf wird kategorisch ausgeschlossen und zusätzlich als „Antisemitismus“ diffamiert. Dadurch werden zum einen migrantische Stimmen unterdrückt und zum anderen die Bewegung gespalten und geschwächt. Das nützt alleine der Rechten und dem Kapital!

Anstatt sich also darüber zu freuen, dass Palästinenser:innen Teil der Bewegung gegen die Krise in Deutschland sein möchten, wird unterstellt, dass das Thema „Palästina/Israel“ keinen Bezug zu dem Motto der Demonstration gehabt hätte. Dabei sind es gerade die Länder des globalen Südens, die durch die Ausbeutung und Unterdrückung durch imperialistische Staaten, wie z.B. Deutschland, von der aktuellen Krise in viel schlimmerem Ausmaß getroffen werden. Sie haben jedes Recht dagegen aufzubegehren, auch und gerade in Deutschland. Die Gruppe „Handala“ hat auf ihrer Instagramseite eine genauere Ausführung dazu, was ihr Kampf mit den sozialen Protesten auch in Deutschland zu tun hat.

Der Kampf der Palästinenser:innen und die fehlende Solidarität deutscher Linker

Dass deutsche Linke von palästinensischen Symboliken bis hin zur äussersten Aggressivität getriggert werden, ist ein bekanntes Muster und überrascht uns nicht. Dennoch müssen wir die Heuchelei offenlegen, die die Ereignisse von vergangenem Samstag zeigen. Die Heuchelei einer deutschen Linken, die am laufenden Band die internationale Solidarität mit Befreiungskämpfen verrät und diffamiert, wenn sie nicht in die eigenen Vorstellungen passen. Denn die internationalen Kämpfe im Iran, in Rojava und in Palästina hängen zusammen und lassen sich nicht von den sozialen Kämpfen in Deutschland isolieren. Während erstere Kämpfe von diesen Gruppen ohne Vorbehalt unterstützt werden, ignorieren sie bewusst die Besetzung und Unterdrückung Palästinas.

Wir stehen zum palästinensischen Befreiungskampf!

Für uns internationalistische und antikapitalistische Gruppen in Leipzig ist dieser Angriff auf unsere palästinensischen Freund:innen nicht akzeptabel!  Wir werden auch in Zukunft solidarisch mit der palästinensischen Befreiungsbewegung bleiben und dafür sorgen, dass deren Kampf in Leipzig weiterhin präsent ist und mit dem Kampf gegen die Krise des Kapitalismus verbunden wird.  Alle Kräfte, die den ernsthaften Anspruch haben internationalistische Politik zu praktizieren, rufen wir dazu auf, sich mit den angegriffenen Menschen zu solidarisieren und Stellung zu dem Vorfall zu beziehen!

Die gemeinsame Stellungnahme wurde unterzeichnet von: Internationale Jugend, Gruppe Arbeiter:innenmacht, REVOLUTION, Zora, SDAJ, DKP, MLPD, Gruppe Handale




Die KPÖ nach 1990: Geschichte und Programm

Heidi Specht und Mo Sedlak, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt (Österreich), ursprünglich erschienen in Flammende 1, Infomail 1195, 15. August 2022

Ob die Kommunistische Partei Österreichs denn tatsächlich kommunistisch ist, war die letzten 30 Jahre auch für die Partei selbst eine schwierige Frage. Nach dem Zusammenbruch von Sowjetunion und DDR ging ihr neben Finanzierung und Infrastruktur auch der ideologische Bezugspunkt verloren.

Die Suche der KPÖ nach einer Neuorientierung können wir anhand ihrer Praxis und ihres Programms verstehen. Eine ehrliche Kritik am Verhältnis der alten und neuen KPÖ zum Kommunismus kann helfen, zu einem erfolgreichen, revolutionären und kommunistischen Widerstand gegen den Kapitalismus zu gelangen.

Gründung und erste Schritte der KPÖ

Die KPÖ war bei ihrer Gründung im November 1918 weltweit eine der ersten kommunistischen Parteien. Ihre Gründung fällt nicht nur international in eine entscheidende Phase, auch für das österreichische Proletariat war 1918 ein bedeutsames Jahr. Nachdem die sozialdemokratische Führung die massenhaften, revolutionären Jännerstreiks erfolgreich abgewürgt hatte, nutzte sie auch im November 1918 ihren Einfluss, um eine Revolution in Österreich zu verhindern. Die Gründung der KPÖ in jener Situation, als das Proletariat in Österreich die entscheidende Kraft war, stellte den einzig richtigen Schritt dar. Nach ersten Anlaufschwierigkeiten konnte sie 1919 massiv Mitglieder gewinnen. „Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten“ war dabei ihre zentrale Losung. Als einzige Kraft arbeitete sie auf den Sturz der bürgerlichen Gesellschaft hin. Mit revolutionären Losungen schaffte es die KPÖ auch, sozialdemokratische Arbeiter:innen für Kampagnen wie jene zur Unterstützung der ungarischen Räterepublik zu gewinnen. Und der jungen Partei gelang es damals – nicht ohne den einen oder anderen Fehler –, revolutionäre Forderungen, Aktionen und eine Ausrichtung auf fortschrittliche Arbeiter:innen zu solider revolutionärer Politik zu kombinieren. Doch die zunehmende Bürokratisierung der Sowjetunion und im weiteren Verlauf der Komintern zeigten auch Wirkung bei der KPÖ. Bereits 1923 beginnt der politische Niedergang der anfangs vielversprechenden revolutionären Kraft.

Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion

Was die stalinistischen Regierungen des so genannten „Ostblocks“ veranstaltet haben, war natürlich kein Kommunismus: Einparteienherrschaft einer sich selbst nachbesetzenden Bürokratie, weder Arbeiter:innendemokratie noch Kontrolle darüber, was produziert wird, Auslöschen der innerparteilichen Opposition, umfassende Polizeirepression und Militärinterventionen in Staaten, die der eigenen Einflusszone zugerechnet wurden – das ist viel, aber sicher kein Sozialismus oder Kommunismus. Und auch den kommunistischen Parteien im kapitalistischen Ausland wurde eine Rolle als linke – aber bestenfalls in Sonntagsreden staatsgefährdende – Teilnehmer:innen am demokratischen Wettbewerb „vorgeschlagen“. Eine Weltrevolution wurde nämlich schon unter Stalin abgelehnt.

Dennoch boten die stalinistischen Staaten ein greifbares Gegenkonzept zum Nachkriegskapitalismus und konnten dem westlichen Imperialismus etwas entgegensetzen: Industrialisierung und „Wettrennen im Weltraum“, aber auch atomare Aufrüstung und Militärinterventionen in Ungarn und der Tschechoslowakei. „Bruderparteien“ wie die KPÖ konnten ihre Führungsaktivist:innen an Parteihochschulen ausbilden lassen und danach mit den Gewinnen als de facto Handelsvertretung im Osten als Hauptamtliche anstellen. Damit gab es zumindest einen Begriff von „Kommunismus“, auf den und dessen Unterstützung sich die KPÖ beziehen konnte.

Das war nicht in jeder Situation ein Vorteil: Zum Beispiel kostete die öffentliche Unterstützung des sowjetischen Einmarschs gegen den Prager Frühling die KPÖ einige Mitglieder und Parteiintellektuelle. Sie blieb in der gesamten Geschichte der Zweiten Republik eine Kleinpartei, konnte sich aber (sicher mithilfe des sowjetischen und ostdeutschen Außenhandels) einen großen Parteiapparat und kulturelle Institutionen leisten.

Scheideweg: Linksreformismus oder Linksreformismus?

Damit war es 1990 vorbei. Seitdem hat sich in der KPÖ einiges getan, etwa die Umstellung auf eine „Aktivist:innenpartei aus Freiwilligen“ und der fliegende Wechsel des Bezugspunkts von KPdSU und SED auf „die sozialen Bewegungen“. Neben einer unübersichtlichen Landschaft aus neuen linken Experimenten (von „Munizipalismus“ bis zu Lesekreisen, die „die Linke“ dekonstruieren wollen), gibt es in Europa zwei grobe Vorbilder für traditionell kommunistische Parteien ohne großen Moskaubezug.

Der Eurokommunismus versucht durch Teilnahme am bürgerlich-demokratischen Prozess (bis hin zur Regierungsbeteiligung) und Verankerung in der traditionellen Arbeiter:innenbewegung einen reformistischen Weg zum Kommunismus oder zumindest einen zu einem von der kommunistischen Partei mitgestalteten Kapitalismus. Beispiele bilden vor allem die Orientierung der kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich sowie nach ihrer Gründung die Mehrheit der deutschen Linkspartei[i].

Auf der anderen Seite gibt es die oft vermischten Spielfelder der Transformationstheorie und des Linkspopulismus, die beide eher aus den Universitäten und der intellektuellen Opposition gegen die Moskautreue kommen. Beide versprechen sich, verkürzt gesagt, aus der Eroberung von ideologischen, kulturellen oder, im Linkspopulismus, „diskursiven“ Hochburgen das stückweise Aufbauen einer Alternative zum Kapitalismus, aus der heraus dieser auch überwunden werden kann. Das ist ein Reformismus im ursprünglichen Sinne, der Weg der kleinen Schritte zum Kommunismus[ii].

Die KPÖ seit 1990

Der Zusammenbruch der Sowjetunion brachte einen Wendepunkt für die Welt – und insbesondere für alle Parteien, die wie die KPÖ eine enge Bindung an die Sowjetbürokratie aufwiesen: Es mischten sich Ratlosigkeit und sehr unterschiedliche Vorstellungen über die nächsten Schritte. Vorschläge von der Auflösung in einer breiten linken Formation bis hin zur Rückbesinnung auf den orthodox-stalinistischen „Marxismus-Leninismus“ wurden ernsthaft diskutiert.

Auch finanziell musste sich die KPÖ umstellen: Einen großen Teil ihrer Finanzen hatte sie direkter Unterstützung der und Einbindung in die Außenwirtschaft von Sowjetunion und DDR verdankt. Beispielsweise gab es Firmen im KPÖ-Besitz, die exklusive Geschäfte mit der UdSSR und der DDR abwickelten. So gehörte beispielsweise ein Großteil der Turmöl-Tankstellen bis 1989 über zwielichtige Strohpersonen der KPÖ. Sie deckten teilweise bis zu 80 % des österreichischen Heizölmarktes für Haushalte ab. Als diese Einnahmen wegfielen, musste sich die KPÖ stark umstellen – sie konnte sich beispielsweise bei weitem nicht mehr so viele Angestellte leisten, die hauptberuflich Parteiarbeit leisteten. 2004 verlor die KPÖ durch ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs weiteres Eigentum, das der DDR zugesprochen und zugunsten der Rechtsnachfolgerin Bundesrepublik Deutschland enteignet wurde.

Die vergangenen 30 Jahre der KPÖ sind geprägt von parteiinternen Konflikten, bürokratischen Manövern und immer weniger gemeinsamem Parteiprofil. Als 1990 Walter Silbermayr und Susanne Sohn den Parteivorsitz übernahmen, verlor die KPÖ ein Drittel ihrer Mitgliedschaft, das nicht mit den Vorschlägen zwischen Selbstauflösung bzw. Umwandlung in eine pluralistische Linke einverstanden war. Bereits 1991 endete das Projekt der beiden Vorsitzenden: Sie traten aufgrund mangelnder Unterstützung zurück. Der nächste Parteitag wählte dann Sprecher:innen statt Vorsitzenden und leitete die Dezentralisierung der KPÖ ein. In den kommenden Jahren wurden immer wieder (letzten Endes erfolglose) Versuche getätigt, die KPÖ wieder auf einen funktionierenden Kurs zu bringen.

1994 erhielten die parteiinternen Differenzen bereits einen klaren Ausdruck – es gab offene Konflikte zwischen der Parteiführung und oppositionellen Strömungen wie jenen der neuen Volksstimme oder der Internetplattform „kominform“. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei warfen sich gegenseitig unter anderem Revisionismus und stalinistische Tendenzen vor. Diese Konflikte eskalierten 2001/02 und verzögerten zum Beispiel die damals geplante Programmdebatte.

Ein Wendepunkt für die KPÖ war der Beitritt zur Europäischen Linkspartei im Jahr 2004. Bis dahin hatte sich die KPÖ für einen EU-Austritt starkgemacht. Mit der Position der Europäischen Linkspartei, die eine ökosoziale Reformierung der EU anstrebte, war diese Forderung nicht mehr vereinbar. Der EU-Austritt – bis dahin eine zentrale Forderung der KPÖ – wurde ab sofort nur noch als eine Option betrachtet. Die gleichzeitige Beteiligung an den globalisierungskritischen „Europäischen Sozialforen“ stand im Spannungsverhältnis zu Reformversuchen der imperialistischen EU, wie die KPÖ in ihrer „Politischen Plattform“ 2004 auch bemerkte. Mittlerweile ist dieses Spannungsverhältnis mit dem Niedergang der Sozialforen weitgehend aufgehoben.

Im selben Jahr gründete sich mit der „Kommunistischen Initiative“ eine Plattform der stalinistischen Kräfte innerhalb der KPÖ, die der Parteiführung Verrat am Marxismus vorwarf.

2004 gipfelten die Konflikte in bürokratischen Manövern wie Parteiausschlüssen und innerparteilichen Klagedrohungen (vor bürgerlichen Gerichten) rund um den 33. Parteitag. Die Flügel trugen Konflikte auf organisatorischer statt politischer Ebene aus. Walter Baier gab nach 12 Jahren als Parteivorsitzender auf und trat Anfang 2006 zurück. Die Kommunistische Initiative spaltete sich aufgrund der undemokratischen Vorgehensweise von der KPÖ ab. 2013 konstituierte sie sich als Partei der Arbeit. Der parlamentarisch erfolgreichste Landesverband – die KPÖ Steiermark – weigerte sich, die Beschlüsse des Parteitags anzuerkennen, blieb aber innerhalb der KPÖ und ist seitdem autonom von der Bundespartei.

Diese Spaltung führt auch bis heute zu Auswirkungen auf die Jugend- und Student:innenorganisationen. Der Kommunistische StudentInnenverband (KSV) und die Kommunistische Jugend Österreich (KJÖ) gingen (abseits der Steiermark) mit der Kommunistischen Initiative beziehungsweise der PdA. Erst 2021 wurde das Naheverhältnis aufgekündigt. Die 2017 ausgeschlossenen Jungen Grünen schlossen sich als Junge Linke in einem besonderen Naheverhältnis zur KPÖ an.

Die KPÖ findet weiterhin keine klare gemeinsame Ausrichtung und pflegt stattdessen den Pluralismus nach innen und außen. Als Taktik zum Aufbau oder zum Aufgehen in einer breiteren Linken begibt sie sich vor allem in Wahlbündnisse mit auffällig uneinheitlicher Zusammensetzung. Ein Beispiel ist der Antritt zur EU-Wahl 2004 mit der Plattform LINKE Liste, deren Spitzenkandidat Leo Gabriel sich gegen den Sozialismus aussprach. Einen gemeinsamen Antritt mit mehr Ausdauer bildete die Plattform KPÖ PLUS gemeinsam mit den Jungen Grünen zur Nationalratswahl 2017. Diese Öffnung gegenüber jüngeren linken Kräften begründete das Bündnis der heutigen Jungen Linken mit der KPÖ. Unter demselben Namen traten KPÖ und Umfeld 2019 zur EU-Wahl an und schafften im selben Jahr sogar den Einzug in den Salzburger Gemeinderat. Auch wenn die Öffnung, die die KPÖ mit KPÖ PLUS gegangen ist, einen positiven Schritt in Richtung Handlungsfähigkeit darstellen, so haben sie doch nichts an den grundlegenden politischen Schwächen und der reformistischen Politik der KPÖ selbst geändert.

Gemeinsam mit LINKS konnte die KPÖ 2021 bei der Wiener Gemeinderatswahl  das beste Wahlergebnis (2,06 %) seit fast 50 Jahren erzielen. Die Wahlen in Graz 2021 (28,84 %) und Salzburg 2019 (3,7 %) waren für sie sogar noch beachtlichere Erfolgserlebnisse. In Graz wurde sie stärkste Kraft und stellt mit Elke Kahr die Bürgermeisterin. Zwar war die KPÖ Graz schon davor außergewöhnlich stark, was unter anderem mit einer enormen Schwäche der SPÖ und andererseits einem klaren Fokus auf Kommunalpolitik zusammenhängt. Der Sieg über den ÖVP-Bürgermeister Nagl ist dennoch beispiellos.

Doch auch wenn die Politik der KPÖ-geführten Stadtregierung durchaus fortschrittliche Züge trägt, befindet sie sich in keiner Weise auf Konfrontationskurs mit dem Kapital und dem herrschenden System.

Von der einst revolutionären KPÖ ist nicht mehr viel geblieben. Sie wurde zu einer reformistischen Partei mit traditionalistischen Anhängseln wie der Alfred Klahr Gesellschaft (AKG) oder einzelnen Grundorganisationen. Die letzte bescheidene Verbindung zur Arbeiter:innenklasse behält sie über ihre Gewerkschaftsfraktion, den Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB).

Programm der KPÖ: Schrittweise vom Bewegungssozialismus zum Linksreformismus

Das letzte gültige Programm der KPÖ wurde 1994 beschlossen[iii]. Der Titel „Grundzüge einer Neuorientierung“ bezieht sich auf den Zusammenbruch der Sowjetunion. Der hatte, wie erwähnt, die davor eher „moskautreue“ Partei vor große Herausforderungen gestellt, während gleichzeitig die Antiglobalisierungsbewegung der 1990er Jahre von allen Linken eine Umorientierung erforderte.

Dazu kommen noch das Forderungsprogramm von 2007 „KPÖ in Aktion, Partei in Bewegung“[iv] und die programmatischen Leitanträge der Parteitage 2004 („Politische Plattform der KPÖ“)[v], 2011 („Für eine solidarische Gesellschaft“)[vi] und 2017 („Wie Weiter“)[vii]. Die „Politische Plattform“ von 2004 ist zwar kein Programm, schließt aber einige Diskussionen ab, die in den „Grundzügen einer Neuorientierung“ aufgeworfen wurden. Sie definiert als Aufgabe der KPÖ, die radikale Gesellschaftskritik der Antiglobalisierungsbewegung in Reformen des Kapitalismus zu verwandeln. Die beiden Dokumente zur „solidarischen Gesellschaft“ legen daneben die neue Zielsetzung der KPÖ fest, in der die „sozialistische Ausgestaltung“ nur noch eine von vielen wünschenswerten Möglichkeiten ist.

„Grundzüge einer Erneuerung“

Die „Grundzüge einer Neuorientierung“ (1994) wurden vor fast 30 Jahren beschlossen. Das Programm versucht, die doppelte Herausforderung des sowjetischen Zusammenbruchs und der beginnenden Antiglobalisierungsbewegung zu beantworten. Das war auch die Zeit des „Aufspragelns“ der KPÖ zwischen Stalinismus, Eurokommunismus und Transformationsreformismus.

Wie bereits angemerkt, verließen die traditionell stalinistischen (in eigenen Worten „marxistisch-leninistischen“) Teile  als Kommunistische Initiative 2004 die KPÖ und gründeten später die Partei der Arbeit, die sich 2021 noch einmal spaltete. Die Auseinandersetzung zwischen Eurokommunismus und Transformationstheorie fand innerhalb der KPÖ statt.

Grob gesagt versucht der Eurokommunismus eine Mischung aus Kommunismus und westlicher Demokratie in Abgrenzung von den stalinistischen Staaten, also parlamentarischen Reformismus auf Basis der bestehenden KP-Strukturen. Der transformationstheoretische Reformismus sieht hingegen neben parlamentarischer Arbeit (beziehungsweise allgemeiner der Arbeit im bürgerlichen Staat) vor allem Bewegungen, Selbstorganisierung und soziale Zusammenhänge als Ausgangspunkt, mit schrittweisen Verbesserungen, effektiven Brüchen und Machtverschiebungen den Kapitalismus zu überwinden.

Die notwendige radikale Umorientierung nach dem Wegfall von politischem Bezugspunkt und finanzieller Absicherung 1990 spiegelt sich auch im Programm wider. Der Anspruch, als revolutionäre Partei im Klassenkampf voranzugehen, wird eigentlich aufgegeben: „Die ‚Kommunistische Weltbewegung‘, die sie zum Hauptkriterium des ‚Proletarischen Internationalismus‘ machte, wird in der alten Form nicht wieder erstehen. Schon heute ist erkennbar: Der neue Internationalismus wird durch eine Vielfalt von Strömungen (Kommunisten, linke Sozialisten, fortschrittliche Christen u. a.) […] gekennzeichnet sein.“ (KPÖ 1994).

Das Programm positioniert sich tatsächlich antikapitalistisch, aber eigentlich nicht kommunistisch. Aus der notwendigen „Neuerfindung“ der kommunistischen Parteien wird ein positiver Bezug auf die sozialen Bewegungen abgeleitet. Die KPÖ stellt der „Krise der gesamten bisherigen Produktions-, Regulierungs- und Lebensweise des Kapitalismus“ einen linksreformistischen Antikapitalismus entgegen.

Bei Luxemburg soll das kommunistische Programm eine Kampfanleitung für die Arbeiter:innenklasse sein, vom Hier und Jetzt mit jedem Schritt zum Sozialismus[viii]. Gerade dieser Bezugspunkt fehlt dem Programm der KPÖ aber. Sie bekennt sich zur kommunistischen Gesellschaft als langfristigem Projekt, lehnt aber ab, sie zum konkreten Ziel zu machen: „Weil ein solcher Prozess ständige Weiterentwicklung bedeutet, sind vorgefertigte ‚Sozialismusmodelle‘ verfehlt“ (KPÖ 1994).

Die neue Gesellschaft, die sie im Bündnis schaffen will, soll zwar soziale Gleichberechtigung, Menschen- und Bürger:innenrechte verwirklichen. Die soziale Umwälzung, die in einem kommunistischen Programm die Aufhebung der Klassenwidersprüche wäre, wird aber auf die Schaffung einer Gesellschaft reduziert, die „soziale Sicherheit für alle als Voraussetzung für freie und gleichberechtigte Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess verwirklicht, [..] gesellschaftliche Eigentumsverhältnisse [schätzt], […] [und] in der Demokratie den Alltag erfaßt und auf den Arbeitsprozeß ausgedehnt wird “ (KPÖ 1994).

„Politische Plattform der KPÖ“ (2004)

Die „Politische Plattform der KPÖ“ von 2004 spielt eigentlich eine ähnliche Rolle wie das Programm von 1994 „Grundzüge einer Neuorientierung“. Sie bettet die Aufgaben der KPÖ noch mehr in die globalisierungskritische Bewegung, aber auch in das Bekenntnis zur EU ein, das mit Beitritt zur und dem Aufbau der Europäischen Linkspartei abgelegt wurde. In der „Politischen Plattform“ bezeichnet sich die KPÖ als antikapitalistische Partei und verbindet das mit einem Schwerpunkt auf den antipatriarchalen Kampf. Daraus schließt das Programm: „Wichtigste Aufgabe der KPÖ ist es, zu einer breiten und vielfältigen antikapitalistischen und antipatriarchalen Bewegung beizutragen“.

Die Plattform beginnt mit einer Analyse des „normalen Kapitalismus“ und seiner neoliberalen Besonderheiten. Der Bezug auf den Nachkriegskapitalismus romantisiert diesen Normalzustand, bezieht sich auf Lohnwachstum und Sozialstaat. Kritisiert werden nur Ausformungen wie die patriarchale Aufteilung von produktiver und reproduktiver Arbeit. Die Grundlagen des Kapitalismus in dieser (und jeder anderen) Zeit waren aber auch die Unterdrückung des Arbeiter:innenwiderstands, die rassistische Überausbeutung von Arbeitsmigrant:innen, koloniale und neokoloniale Schreckensherrschaft, Kriegstreiberei bis zur atomaren Aufrüstung und Umweltzerstörung.

Nach einer Beschreibung von normalem, neoliberalem und neoimperialistischem Kapitalismus (vor allem unter dem Eindruck des „Kriegs gegen den Terror“) macht die KPÖ den Übergang vom Sein zum Tun am „Widerspruch unserer Epoche“ fest: Der Neoliberalismus als „passive“, innerkapitalistische Revolution von oben und die Globalisierung führten zu einer Entwicklung der Produktivkräfte, die sich in der „revolutionär[n] Dialektik […] „Eine andere Welt ist möglich!“ […] ausdrückt. Sie sieht ihre Rolle vor allem in der Gegenbewegung – der „Bewegung der Bewegungen“ – analysiert aber auch, dass deren Forderungen nur im Bündnis mit Arbeiter:innenklasse und Gewerkschaften durchgesetzt werden können.

„Der grundlegende Klassenwiderspruch im Kapitalismus zwischen Kapital und Arbeit führt auch dazu, dass die neuen Produktivkräfte in der heutigen Zeit einerseits ein ungeheures Vernichtungs- und Gefahrenpotential, andererseits aber auch Möglichkeiten für die Gestaltung einer neuen, höheren Stufe der menschlichen Zivilisation in sich bergen. Diese revolutionäre Dialektik der Epoche ist es, die in der Losung der globalisierungskritischen Bewegung – ‚Eine andere Welt ist möglich!‘ ausgedrückt wird.” (KPÖ 2004)

Trotz Bekenntnis zu Kommunismus und Marx sowie harten Worten gegen Kapitalismus und sozialdemokratischen Reformismus ist die „Politische Plattform“ der KPÖ ein linksreformistisches Programm. Dabei unterscheidet es sich vom sozialdemokratischen Reformismus, der durch Reformen den Kapitalismus erträglicher machen möchte. Der Linksreformismus der KPÖ ist die Ansage, durch Pluralität, einem breiten Verständnis von Partei sowie Sozialismus („Sozialistisch ist jene Gesellschaft, in der die Bewegung zur Überwindung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln eine hegemoniale Rolle spielt“) und kleinen Verbesserungen die Überwindung des Kapitalismus möglich zu machen:

„Die politische Funktion von KommunistInnen ist es daher, in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld die Notwendigkeit von (gesellschaftspolitischen) Veränderungen bewusst zu machen: • Bedürfnisorientiertes Wirtschaften auf der Basis des gesellschaftlichen Besitzes der Produktionsmittel anstelle der mörderischen Jagd nach Profiten • Tatsächliche Gleichberechtigung anstelle der patriarchalen und rassistischen Segmentierung der Gesellschaft • Sozialismus anstelle der Herrschaft des Kapitals • Hinterfragen der persönlichen Lebensgewohnheiten • Besinnen auf die „Qualität“ des Lebens“ (KPÖ 2004).

Die solidarische Gesellschaft (2011)

Unabhängig vom Weg zur freiwilligen Aktivist:innenpartei nach 1990 veränderte die KPÖ sowohl ihre programmatischen Grundlagen als auch ihre Praxis. Der Fokus auf die Einbettung in Bewegungen vor Ort und auf europäischer Ebene (vor allem die Europäische Linkspartei und das transform-Netzwerk) spiegelte sich auch in einer stetigen Neudefinition ihrer gesellschaftlichen Ziele wider. Ganz grob gesagt wurde das Vorbild des stalinistischen bürokratischen „Arbeiter:innenstaats“ ersetzt durch eine „solidarische Gesellschaft“, die zwar im Widerspruch zum Kapitalismus steht, diesen aber nicht notwendigerweise ersetzen muss. Das ist eine humanistische Utopie, weil sie die ökonomische Diktatur des Kapitals mit der politischen Gestaltung durch die Unterdrückten vereinbaren möchte. Sie ist auch der Übergang vom Transformationsreformismus, der den Kapitalismus durch viele kleine Schritte in die richtige Richtung überwinden will, zum Mitverwaltungsreformismus, der durch Teilhabe und Bewegungen von unten einen lebenswerten Kapitalismus für möglich hält.

Die „Solidarische Gesellschaft“ von 2011 ist kapitalismuskritisch, aber nicht antikapitalistisch. Sie ist nicht bedingungslos auf die Überwindung des Kapitalismus ausgerichtet und begründet deshalb auch nicht die Alternativlosigkeit des kapitalistischen Untergangs. Statt Luxemburgs „Sozialismus oder Barbarei“ wird, ähnlich wie von Bernstein, die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus an die von ihm selbst zugespitzten Widersprüche angenommen.

Gleichzeitig ist das Programm natürlich nicht kapitalismusunkritisch. Es betont, dass das Konkurrenzprinzip im Kapitalismus alternativlos ist und sich als Verwertungslogik in allen Lebensbereichen niederschlägt. Der Fokus der Kritik liegt auf dem „Kreislauf aus ökonomischer Profit- und hegemonialer Hegemonieproduktion“ (KPÖ 2011). Die Handlungsanweisung, die aus dieser Kritik entsteht, ist der Aufbau der solidarischen Gesellschaft als „Strategie des Lebens und Überlebens im System und dessen gleichzeitiger Überwindung“ (KPÖ 2011). Die Analyse ist im Grunde transformationstheoretisch. Sie geht von verknüpften und schrittweisen Kämpfen aus, die im Kapitalismus solidarische Lebensentwürfe ermöglichen und so an dessen Grundfesten rütteln. Sie stützt sich auf sechs Aufgaben (gewerkschaftliche Praxis, Widerstand gegen Sozialabbau, demokratische Teilhabe, Pluralismus/Diversität in der Bewegung, Antirassismus und Vergesellschaftung der Lebensgrundlagen). Dafür wird Luxemburgs Begriff der revolutionären Realpolitik verwendet, was für eine neogramscianisch-transformationstheoretische Position typisch ist. Gleichzeitig wird der Antireformismus vor allem von Luxemburg, aber auch von Gramsci unterschlagen. Das Programm stellt elf Forderungen auf, mit denen sich die KPÖ in die Bewegung für die solidarische Gesellschaft einbringen möchte, von sozialer Existenzsicherung und Umverteilung des Reichtums bis zu ökologischer Transformation und Antimilitarismus.

Diese Forderungen sind radikal reformistisch und entsprechen dem Minimalprogramm der frühen Sozialdemokrat:innen und der Stalinist:innen. Aber sogar das sozialistische Maximalprogramm wird nicht einfach auf Sonntagsreden beschränkt, sondern gleich auf eine von mehreren möglichen Ausgestaltungen der solidarischen Gesellschaft reduziert. Das ist eine Willensbekundung, keine sozialistische Methode. Sie bietet weder die von Luxemburg eingeforderten Schritte für das Proletariat, vom Hier und Jetzt bis zum Sozialismus, noch eine Begründung für eine grundlegende Ablehnung des Kapitalismus. Folgerichtig auch kein Wort über das revolutionäre Subjekt, das diesen überwinden kann und muss.

Die KPÖ ist pluralistisch in ihrem Linksreformismus

Der neue Bundessprecher:innenrat, den die KPÖ 2021 gewählt hat, ist ein weiterer Versuch, eine Identität als Partei zu finden beziehungsweise diese zu erneuern. Die Widersprüche in den programmatischen Dokumenten, zum Beispiel der zwischen EU-Reformierung und Antiglobalisierungsbewegung, werden auch angesprochen.

Vor 1990 hat sich die KPÖ als linker Teil des österreichischen Staatsprojekts verstanden. Das war vor allem eine außenpolitische Rolle im Auftrag der bürokratischen Herrschaft von DDR und Sowjetunion, die in Österreich einen neutralen und ungefährlichen Kapitalismus haben wollten, aber keine Revolution und auf gar keinen Fall eine tatsächlich sozialistische Entwicklung. Diese Rolle wurde der KPÖ vom österreichischen Kapital und seinen sozialdemokratischen Verbündeten aber auch nicht zugestanden.

Programm und Praxis der KPÖ schwanken heute, je nach Bundesland, zwischen Mitgestaltung der Lokalpolitik und dem Versuch, radikalreformistische Bewegungen loszutreten. Der Pluralismus, auf den sich die KPÖ beruft, ist nicht stolz. Er bringt nicht verschiedene kämpfende Aktivist:innengruppen aus unterschiedlichen Richtungen zusammen, sondern repräsentiert viele bisher erfolglose Versuche, sich aus der gegenwärtigen Schwäche der Linken zu befreien. Das spiegelt sich auch in den Programmen wider. Wie die frühsozialdemokratischen und stalinistischen Programme spalten sie tagesaktuelle Minimalforderungen und langfristige „Maximalforderungen“ auf, wobei das Minimalprogramm die Einheit der Partei sicherstellen soll und das Maximalprogramm immer weiter zurückgedrängt wird. Aber selbst das Maximalprogramm ist so vage, dass zwischen „solidarischer Gesellschaft“ und Sozialismus alles denkbar ist.

Eine revolutionäre Partei muss Debatten offen führen und verschiedene Meinungen aufeinandertreffen lassen. Aber sie muss diese Debatten auch in ein gemeinsames Verständnis und eine kollektive Praxis überführen, die den Kapitalismus überwindet. Dazu gehört auch die Einsicht, dass ein schrittweises Verbessern bis zur klassenlosen Gesellschaft eine utopische Illusion ist. Sie scheitert in dem Moment, wo sie eine kritische Masse erreicht hat, am bewaffneten und gut organisierten Widerstand der herrschenden Klasse. Eine revolutionäre Partei braucht ein Übergangsprogramm, das die brennendsten Probleme der Unterdrückten aufgreift und mit Zielen versieht, um die es sich zu kämpfen lohnt. Weil die kapitalistische Produktionsweise im Zentrum der meisten brennenden Probleme (zum Beispiel Armut, Hunger, Krieg und Umweltzerstörung) steht und die Forderungen den Aufbau proletarischer Gegenmacht in den Mittelpunkt stellen, führen diese Antworten über den Kapitalismus hinaus. Sie verwandeln den Kampf gegen Verschlechterungen in einen gegen deren Ursache.

Und jetzt?

Die Aufgaben der KPÖ in den letzten 30 Jahren waren unglaublich schwierig. Dass die ideologische und finanzielle Grundlage ihrer Arbeit weggebrochen war, während gleichzeitig ein neues und unübersichtliches Kapitel im weltweiten Klassenkampf begonnen hatte, ist kein Zufall: Der Zusammenbruch der Sowjetunion, ein imperialistisches Rennen um die Aufteilung der dadurch frei gewordenen Märkte und Einflusszonen (Globalisierung) und der entstehende breite Widerstand waren eng miteinander verwoben. Aber für die KPÖ kam zu den Herausforderungen für alle Linken auch noch die interne Neuordnung hinzu. Die herrschende Bürokratie in der „kommunistischen“ Weltbewegung hatte sich selbst diskreditiert. Das wäre eine Chance für die KPÖ-Basis gewesen, zu einer Klassenkampfpartei zu werden, in manchen Aspekten zurückzukehren zu ihren revolutionären Wurzeln der Ersten Republik, in anderen Aspekten nach vorne zu gehen zu einer revolutionären Politik des 21. Jahrhunderts. Das ist ihr nicht gelungen.

In den vergangenen Jahren hat die KPÖ es allerdings geschafft, ihre Mitgliedschaft zu öffnen und zu verjüngen. Das zeigt sich auch am neuen Bundessprecher:innenrat, dessen Mitglieder zum Teil aus der neu gewonnenen Jungen Linken kommen. Die aktiveren und erfolgreichen Wahlkämpfe in Wien, Salzburg und Graz, aber auch Kampagnen zu Preiserhöhungen und leistbarem Wohnen zeigen, dass sich die KPÖ zumindest in einzelnen Feldern auf eine gemeinsame und öffentlichkeitswirksame Aktivität einigen kann.

Sowohl die Wahlprogramme als auch die radikalen, aber radikal reformistischen Forderungen der Kampagnen zeigen aber, aus welcher politischen Einigung die neue Handlungsfähigkeit stammt. Die KPÖ hat sich in den letzten 30 Jahren von einer stalinistischen zu einer plural-linksreformistischen Partei gewandelt. Auch die Veränderung der programmatischen Dokumente geht in dieselbe Richtung (weg vom Kommunismus, hin zur „solidarischen Gesellschaft“, weg vom Antikapitalismus hin zum „Beitragen zu den sozialen Bewegungen“). Das kann sich durchaus noch ändern, wenn die Grenzen der reformistischen Politik in der Praxis offensichtlich werden (solange sie sich auf Forderungen und Öffentlichkeitsarbeit beschränken, sind sie oft nicht so spürbar).

Eine handlungsfähige linksreformistische Kraft ist besser als keine. Aber um die sich zuspitzenden kapitalistischen Widersprüche – von Klimakatastrophe bis zur Weltkriegsgefahr – auflösen zu können, braucht es eine revolutionäre Perspektive. Die KPÖ hat eine solche im Moment nicht und es wird ihr angesichts ihrer programmatischen Orientierung auch keine in den Schoß fallen.

Endnoten

[i] Martin Suchanek, 2015, „Krise, Klasse, Umgruppierung. Strategie und Taktik in der aktuellen Periode.“ Revolutionärer Marxismus 47, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm47/umgruppierung.htm

[ii] Eine ernsthafte Besprechung der Transformationstheorie kann man zum Beispiel bei Markus Lehner, 2017, „Modell Oktoberrevolution. Aktualität und Diskussion der bolschewistischen Revolutionskonzeption.“ Revolutionärer Marxismus, 49, nachlesen. http://www.arbeitermacht.de/rm/rm49/modelloktoberrevolution.htm

[iii] KPÖ, 1994, „Grundzüge einer Erneuerung“. https://alte.kpoe.at/home/positionen/programmatik-kpoe/beschluesse-und-grundlagen/1994/grundzuege-einer-neuorientierung.html

[iv] KPÖ, 2007, „KPÖ in Aktion. Partei in Bewegung.“ https://alte.kpoe.at/home/positionen/programmatik-kpoe/34-parteitag/2007/beschluss-forderungsprogramm-kpoe-in-aktion-partei-in-bewegung.html

[v] KPÖ, 2004, „Politische Plattform der KPÖ“. https://alte.kpoe.at/home/positionen/programmatik-kpoe/beschluesse-und-grundlagen/2004/politische-plattform-der-kpoe.html

[vi] KPÖ, 2011, „Für eine solidarische Gesellschaft“. https://alte.kpoe.at/home/positionen/programmatik-kpoe/35-parteitag/35-pt-beschluesse/2011/leitantrag-fuer-eine-solidarische-gesellschaft.html

[vii] KPÖ, 2017, „Wie Weiter“. https://alte.kpoe.at/partei/positionen/2017/quot-wie-weiter-quot-leitantrag-des-37-parteitags.html

[viii] „Ist unser Programm einmal die Formulierung der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus, dann muß es offenbar auch alle Übergangsphasen dieser Entwicklung formulieren, in sich in den Grundzügen enthalten, also auch das entsprechende Verhalten im Sinne der Annäherung zum Sozialismus in jedem Moment dem Proletariat anweisen können. Daraus folgt, daß es überhaupt für das Proletariat keinen Augenblick geben kann, in dem es gezwungen wäre, sein Programm im Stiche zu lassen, oder wo es von diesem Programm könnte im Stiche gelassen werden.“ Rosa Luxemburg, 1899. „Sozialreform oder Revolution“, Abschnitt 3 „Die Eroberung der politischen Macht“




Nach NRW-Wahl: Zeitenwende für die Ampel?

Leo Drais, Infomail 1188, 18. Mai 2022

Vielleicht läuft die Geschichte doch ein bisschen in Kreisen. Zum Beispiel in der politischen Beziehung zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Bund. 2017 verlor Hannelore Kraft für die SPD die Landtagswahlen – es wurde als Vorbote für Merkels vierte Wiederwahl betrachtet und so kam es. Oder nehmen wir 2021. Eine Flutkatastrophe erschüttert NRW. Armin Laschet, Spitzenkandidat der CDU für die Bundestagswahl und davor Ministerpräsident in Düsseldorf, fand die Flut anscheinend lustig. Danach verging ihm das Lachen dann schnell. Im September verlor er gegen Olaf Scholz. Die vor sich hinsiechende SPD konnte dank der Union das Krankenhaus kriselnder Parteien verlassen.

Landtagswahl

Jetzt aber hat sie in Nordrhein-Westfalen eine saftige Niederlage kassiert, im Kontext einer Wahlbeteiligung von gerade mal 55 %. Die CDU holte 35,7 % – exakt 9 % mehr als die SPD. AfD und FDP schafften gerade so den Einzug ins Parlament. Die eigentlichen Gewinner:innen sind die Grünen, die mit 18,2 % über zehn Prozent dazugewinnen konnten.

Sie betonten gleich, dass ohne sie nichts gehen würde, und wahrscheinlich haben sie damit Recht.

Denn da weder CDU noch SPD aufeinander Bock haben (rechnerisch zumindest eine mögliche Große Landeskoalition), bleibt beiden nur, die Grünen zu umgarnen. Die SPD wäre dabei sogar noch auf die FDP angewiesen, also auf eine regionale Wiederauflage der Ampel, was kaum passieren wird.

Ziemlich sicher wird der bisherige Ministerpräsident Hendrik Wüst also eine CDU/Grünen- Regierung anführen. Vieles spricht dafür. Zum Beispiel dass die Union weiß, dass sie mit den Grünen im Grunde fast alles machen kann, solange hier und da mal ein Windrad aufgestellt wird. Ihre gesamte Umweltpolitik ist keine und gerät daher nicht mit dem Kapital in Konflikt. In allen anderen Belangen sind sich Union und Grüne sowieso sehr nah. Die einen vielleicht etwas konservativ-miefig, die anderen  eben grün und hip. Vielleicht gäbe es zusammen keine Cannabislegalisierung oder formal-rechtliche Fortschritte für non-binäre Menschen.

Aber das sind Bundesangelegenheiten. Wenn es um das Wesentliche geht – Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innenklasse, Durchsetzen von Polizeigesetzen, dem Kapital den Weg ebnen – ziehen Grüne und Union an einem Strang. Ihre größte Differenz besteht wohl darin, wie viel Staatsintervention zur Neuformierung des deutschen Kapitals nötig ist. Doch die breite Unterstützung für den Green Deal in der EU zeigt, dass sich, jedenfalls für die nächste Zukunft, eine gemeinsame Linie finden lässt. Natürlich könnte man auch mit der FDP gut. Die hat in NRW jedoch ebenfalls ordentlich verloren und warum sollten sich Union und Grüne Verhandlungen mit ihr antun, wenn es auch ohne sie geht?

Ampelzeichen?

Die Rückkehr der Krise in die Reihen der SPD kommt nicht überraschend. Bei der Wahl im Saarland konnte sie noch von der CDU-Krise profitieren, zumal der dortige Unions-Kandidat sehr unpopulär war. In Schleswig-Holstein ging‘s dafür krachend bergab – 11,3 Prozent Verlust und bei der Union ein fast genauso großer Gewinn.

Was bedeutet die SPD-Krise für die Bundesregierung? Euphorie für die Ampel gab es sowieso nie, und nicht erst seit dem Krieg wird Scholz von den Ereignissen getrieben. Mit dem Krieg und der Inflation haben sich die ökonomischen Bedingungen für eine Koalition zwischen einer bürgerlichen Arbeiter:innenpartei – also einer Partei, die die kapitalistischen Verhältnisse verteidigt, sich aber auf  die organisierte Arbeiter:innenbewegung, vor allem die Gewerkschaften, stützt –, und zwei offen bürgerlichen Parteien nochmal ordentlich prekärer gestaltet. Einerseits erleichtert die SPD an der Regierung der herrschenden Klasse die Ruhigstellung der Lohnabhängigen durch die Einbindung der Gewerkschaftsapparate und Betriebsräte der Großunternehmen, die beide eine soziale Hauptstütze der Regierung bilden. Andererseits werfen Krisenperioden für das Kapital unwillkürlich die Frage auf, ob es sich die Kosten des Korporatismus weiter leisten kann und will. Und hier kommt die Union ins Spiel – nicht nur am Rhein, sondern auch an der Spree.

Mit Friedrich Merz als neoliberalem Hardliner scheint die Union den Führer gefunden zu haben, der für sie in die Zeit passt. Mit ihm versucht sie, die Ampel vor sich her und einen Keil in sie zu treiben. Mit Erfolg. Im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, sprich dem Ukraine-Krieg, stehen Baerbock und Lindner Merz näher als Scholz, dem immer wieder Zögerlichkeit vorgeworfen wird, als es zum Beispiel um schwere Waffen für Kiew ging.

Die Grünen und die Union sind demgegenüber die bürgerlichen Parteien, die am ehesten die Gesamtinteressen des deutschen Imperialismus vertreten. Sie haben die Bedeutung des von Scholz als Zeitenwende beschriebenen Periodenwechsels fürs deutsche Kapital begriffen, dem schon die bestehenden, unzureichenden sozialen Abfederungen der Inflation, sei es durch Neuverschuldung oder irgendwelche lächerlichen (Mindest-)Lohnerhöhungen demnächst schon zu viel sein könnten. Immerhin geht es darum, nicht im Kampf zwischen den Großmächten USA, China und Russland aufgerieben zu werden.

Ausblick

Natürlich ist es zu früh, der Ampel ein vorzeitiges Ende in Aussicht zu stellen. Denkbar ist jedoch allemal, dass Scholz das Schicksal Schmidts widerfährt: der Verlust seiner Koalitionspartnerinnen an die Union: Jamaika im Bundestag.

Schwieriger wird es für die Sozialdemokratie jedoch sicher. Sie ist einerseits in den DGB-Gewerkschaften und in der Arbeiter:innenaristokratie verwurzelt. So wählten lt. einer Erhebung des DGB (https://www.dgb.de/themen/++co++c653c982-d51c-11ec-96a8-001a4a160123) in NRW (noch) 36 % der gewerkschaftliche Organisierten SPD – deutlich mehr als 26,7 % der Gesamtbevölkerung.

Auch wenn sich die Gewerkschaftsführungen hier noch so Mühe geben, die Arbeiter:innenklasse mit warmen Worten abzuspeisen, kann das nicht ewig funktionieren. Bei Inflationsraten von über 7 Prozent kann der Druck durchaus so groß werden, dass Unmut und Arbeitskämpfe ausbrechen, denen die Gewerkschaftsbürokratie nachgeben muss. Bleiben selbst Ansätze von ernsthaften Kämpfen der DGB-Gewerkschaften aus, werden noch mehr Mitglieder mit den Füßen abstimmen – und austreten.

Bezüglich der SPD und ihrer Regierung wird beides die Fieberkurve steigen lassen. Ein schwächer und kleiner werdender DGB legt schleichend, aber stetig auch die verbliebene soziale Basis der SPD trocken. Gewerkschaften wiederum, die einem steigenden Druck aus der Arbeiter:innenklasse nachgeben und in eine verschärfte Konfrontation mit dem Kapital treten, bedeuten auch einen stärkeren Druck, den das Kapital und damit Grüne, FDP und Union auf die SPD ausüben werden.

Insgesamt eine Lage, die die SPD schneller ins Krankenbett zurückbefördern kann, als sie rausgekommen ist. Auf einen tapsig-trotteligen Laschet darf Scholz in der Persona Merz zumindest nicht hoffen. Und wir werden sehen, ob NRW wieder zum politischen Orakel für die Bundespolitik gestaltet wird.

Agonie der LINKEN

Wenn dem so ist, läuten für die andere bürgerliche Arbeiter:innenpartei demnächst die Totenglocken. Auch für DIE LINKE läuft die Zeit in NRW ein bisschen im Kreis. Seit sie existiert, dümpelt sie mal über, mal unter der 5 %-Hürde.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie zuvor. DIE LINKE sitzt nicht im Landesparlament von NRW. In Prozenten ausgerückt hat sie die Hälfte der Wähler:innen verloren. Trotzdem ist das Ergebnis keines den letzten NRW-Wahlen vergleichbares. Es ist Teil der Überlebenskrise der Partei, die längst zu einer sich selbst verstärkenden geworden ist. Ihrem ganzen Wesen nach ist die Partei eine, die bürgerlich-reformistische Realpolitik betreibt. Dass sie in Wahlkämpfen um Nuancen sozialer daherkommt als die SPD, nutzt vielleicht als „Wir hatten gute Inhalte“-Entschuldigung nach der Wahl, aber mehr auch nicht. Weil DIE LINKE keine Kampfpartei, sondern genauso eine Grinsebacken auf Wahlplakate druckende Angeberin leerer Versprechen ist, braucht sie niemand, schon gar nicht die Arbeiter:innenklasse. Die entscheidet sich im Zweifel taktisch lieber für die SPD als Anti-Laschet-Abstimmung wie bei der Bundestagswahl, wählt eine offen bürgerliche Partei wie die Grünen oder die Union oder bleibt der Wahl gleich ganz fern.

Im Juni will die Partei wieder mal die Weichen stellen. Mehr als Formelkompromisse und das Beschwören einer nicht existenten Geschlossenheit wird wohl kaum dabei herauskommen. Der nächste Sündenbock-Parteivorsitz darf seinen Kopf schon mal aufs Schafott der nächsten Wahlpleiten und Skandale legen.

Revolutionär:innen in der LINKEN sollten ernsthaft ihre Hoffnung daraufhin abwägen, ob die Partei irgendwann mal in eine Richtung verändert werden kann, die auch nur im Ansatz die Adjektive „klassenkämpferisch“ oder gar „sozialistisch“ verdient hätte. Wir denken, dass das nicht passieren wird. Die Partei ist wurmstichig bis ins Mark, zerfressen vom Karrierismus und ausgeblutet vom Grabenkampf. Die Linken in der Linkspartei, die für eine Politik des Klassenkampfes eintreten, sollten das sinkende Schiff bald, aber organisiert verlassen. Es gilt, diejenigen zu sammeln, die ernsthaft nach einer Kampfpartei und revolutionären Antworten suchen. Ja, es gilt, so eine Partei schnell aufzubauen. Sie wird nötig sein, um den kläglichen Linksparteirest sowie die SPD unter Druck zu setzen und die Arbeiter:innenklasse selbst zur ersten Kraft im Kampf gegen Krieg und Inflation zu bewaffnen.

Während sich ein riesiger Apparat an das wie auch immer schlecht weitergehende Leben der LINKEN klammern wird, haben Revolutionär:innen das nicht nötig. Ihr Überleben sollte gleichbedeutend mit dem der Arbeiter:innenklasse sein.

Die LINKE liegt in ihrer Agonie – und Sterbende sollen auch mal sterben dürfen. Damit die Zeit nicht ewig im Kreis läuft und Krisen auch mal wirklich enden.




Vor den Wahlen in NRW: Die unendliche Agonie

Stefan Katzer, Neue Internationale 264, Mai 2022

Die Linkspartei liegt auf dem Sterbebett, und keine:r weiß, ob sie da irgendwann nochmal rauskommt.  Die Bilanz der letzten Monate sieht auf jeden Fall – diplomatisch gesagt – bescheiden aus. Bei der Bundestagswahl konnte sie nur durch drei Direktmandate noch ins Parlament einziehen. Im Zuge der Senatsbildung in Berlin ließ sie den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wie eine heiße Kartoffel fallen und schmiegte sich gewohnt opportunistisch an die SPD und Grünen an. Bei der Saarlandwahl gab es dann einen 10 % – Absturz, nachdem sich der Landesverband selbst für Verhältnisse der LINKEN grandios in Zwistigkeiten und Animositäten zerlegt hat. Oskar Lafontaine trat aus und riss beim Rausgehen noch Wände ein.

Krieg, Corona und Krise haben auch für die Partei die Überlebenskrise eingeläutet. Orientierunslos treibt sie dahin. Prinzipienlos versuchte sich ihre Führung, vor der Bundestagswahl an Grüne und SPD anzubiedern, warf das Parteiprogramm über Bord – und verlor. Beim Tauziehen zwischen dem unbedingten Willen zum Mitregieren des rechten Flügels der Regierungssozialist:innen und der Verwirrung der Bewegungslinken zu quasi allen politischen Fragen ist das Seil zum Äußersten gespannt. Reißt es, liegen alle im Morast (hier gibt es dann doch noch Einigkeit – wobei just der Streit entbrennt, warum man jetzt im Schlamm liegt). Und als wäre das nicht genug, passt zwischen Wagenknecht’scher Querdenker:innensympatie und der Schockstarre derer, deren Weltbild mit Putins Krieg zersplitterte, dann auch noch ein parteiinterner #metoo – Skandal, der jahrelange schlechtmöglichste Aufarbeitung, nämlich Vertuschung offenbart. Parteivorsitzende Hennig-Wellsow trat zurück, auch um so Wissler und die Bewegungslinke unter Druck zu setzen.

Dementsprechend ist bei anstehenden Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein kein Befreiungsschlag zu erwarten – im Gegenteil. Direkt vor den Wahlen ist der Verwesungsgeruch beißend geworden. Immerhin werden die nächsten Niederlagen öffentlich kaum auffallen, denn in Düsseldorf und Kiel kann die LINKE gar nicht aus dem Landtag fliegen – weil sie nicht drin sitzt.

Getrennt marschieren – vereint verlieren?

Nach dem Saarland-Debakel analysierten die Bundesvorsitzenden der LINKEN, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow (da war sie noch im Amt), dass zerstrittene Parteien nun mal nicht gewählt würden. Deshalb sei es jetzt notwendig, solidarisch miteinander umzugehen, Konflikte produktiv auszutragen und nach außen geschlossen aufzutreten. Es gelte das, wofür die Partei stehe, in den Vordergrund zu rücken und gemeinsam für soziale Gerechtigkeit, faire Bildungschancen, gegen Aufrüstung etc. einzustehen.

Aber Geschlossenheit lässt sich nicht herbeireden. DIE LINKE besteht derzeit de facto aus drei Flügeln, die unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wohin sie sich entwickeln sollte und wie sie dort hinkommen kann. Während ein Teil offen für Regierungsbeteiligungen und alle dazu notwendigen Kompromisse (Fortbestehen der NATO, Auslandseinsätze der Bundeswehr etc.) eintritt, gibt es andere, die dies – zumindest im Moment – ablehnen. Vertritt der linkspopulistische Flügel um Wagenknecht sozialchauvinistische Positionen und fordert eine Abkehr von angeblich kleinbürgerlicher „Minderheitenpolitik“, stehen andere (zumindest auf dem Papier) für offene Grenzen und internationale Solidarität. Während ein Teil auf die „Arbeit“ im Parlament und die Gewinnung von Mandaten fokussiert, strebt die sog. „Bewegungslinke“  eine stärkere Orientierung auf soziale Bewegungen an. Letztere ist in NRW verhältnismäßig stark. Die Wahl wird auf die Bewegungslinke stärkere Auswirkungen haben als z. B. jene im Saarland, die Niederlage wäre zu einem guten Teil ihre, auch wenn die Zwistigkeiten und Skandale aus der Gesamtpartei ebenfalls einen starken Einfluss ausüben. Der einst relativ bekannte antikapitalistische Flügel um die AKL scheint derweil schon fast verstorben.

Abgestandener Reformismus

Bei allen Differenzen vertritt DIE LINKE insgesamt ein reformistisches Programm. Dieses beinhaltet zwar offiziell auch die Überwindung des Kapitalismus als Zielvorstellung, real fokussiert sich die Partei aber auf einen „Ausgleich“ der sozialen Interessen innerhalb der besthenden Gesellschaft. Ein solches Programm zerbricht aber an der sich krisenhaft zuspitzenden Realität der kapitalistischen Klassengesellschaft, welche immer weniger Spielraum für einen „sozialen Ausgleich“ lässt. Real ist sie (auf kommunaler und Landesebene) bereits seit langem eingebunden in die Mitverwaltung des Kapitalismus. Vor der Bundestagswahl hat die Führung der Partei zudem deutlich gemacht, dass sie dazu bereit ist, auf wesentliche Teile ihres Programms zu verzichten, um endlich ein „progressives Bündnis“ mit Grünen und SPD auch auf Bundesebene realisieren zu können (was die aber gar nicht wollen).

Der Sozialismus, den man angeblich irgendwann einmal erkämpfen möchte, bleibt als Fernziel mit der realen Politik der Partei unvermittelt.

Während Klima- und Biodiversitätskrise eskalieren, Inflationsraten von über 5 % die Löhne auffressen, der sich zuspitzende Kampf um die Neuaufteilung der Welt die Menschheit mit einem globalen Krieg bedroht, tut der größte Teil der LINKEN so, als gäbe es ein Zurück zum Sozialstaat der 1980er Jahre und zur „Friedenspolitik“ Willy Brandts. Der LINKEN dies vorzuwerfen, läuft aber letztlich darauf hinaus, sie zu bezichtigen, dass sie eben DIE LINKE ist: eine reformistische Partei ohne revolutionären Anspruch!

Hinzu kommt, dass die bürgerliche Realpolitik der Linkspartei in den Landesregierungen und ihre Anpassung an SPD und Grüne selbst die Frage aufwerfen, wozu sie überhaupt gebraucht wird. Tritt sie nur als etwas linkere Variante der Sozialdemokratie in Erscheinung tritt, liegt es nahe, dass reformistische Wähler:innen gleich das sozialdemokratische Original wählen, statt ihre Stimme für eine etwas linkere, parlamentarisch jedoch aussichtslose Kopie zu verschwenden. So geschehen im Saarland, aber auch bei der Bundestagswahl.

Revolutionär:innen und DIE LINKE

Die Aufgabe und der Anspruch von Revolutionär:innen bestehen nun nicht darin, einer reformistischen Partei Tipps zu geben, wie sie bei bürgerlichen Parlamentswahlen erfolgreich sein kann (was aufgrund der geschilderten Widersprüchlichkeit des Reformismus ohnehin schwer zu bewältigen ist). Vielmehr geht es darum, zu verdeutlichen, dass eine Politik auf der Grundlage eines Programms notwendig ist, das der tatsächlichen Lage angemessen ist und die Überwindung des Kapitalismus nicht als abstraktes Fernziel begreift, sondern im Rahmen eines Systems von Übergangsforderungen Kämpfe um konkrete Verbesserungen mit diesem Ziel verbindet.

Diejenigen Kräfte innerhalb der Linkspartei (aber auch der SPD), denen es darum geht, die Kämpfe der Lohnabhängigen und Unterdrückten wirklich voranzubringen und sie selbst als Subjekt der Veränderung zu begreifen, rufen wir dazu auf, gemeinsam mit allen anderen Organisationen der Arbeiter:innenklasse ihre Reorganisation voranzutreiben, um zur zentralen, eigenständigen Kraft im Kampf gegen Krise, Kapital und Klimakatastrophe zu werden.

Dies ist die zentrale Aufgabe einer linken, revolutionären Kraft – nicht die Gewinnung von Sitzen in bürgerlichen Parlamenten für eine reformistische Partei, die sich vor allem auf passive Wähler:innen stützt und davon träumt, durch treue Mitwirkung an der Elendsverwaltung des Kapitalismus einige Krümel für „die kleinen Leute“ abstauben zu können – und nebenbei den eigenen Posten zu retten.

Der Niedergang der Linkspartei verdeutlicht die Dringlichkeit einer Debatte um Ziele und Mittel unseres Kampfes. Letztlich geht es um die Frage, wie wir die unterschiedlichen Auseinandersetzungen und sozialen Bewegungen miteinander verbinden und ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Perspektive entwickeln können. Hierfür braucht es einen konkreten Startpunkt, diese Diskussion und einen gemeinsamen Kampfplan zur Gegenwehr zu organisieren. Wir schlagen deshalb vor, eine Aktionskonferenz zu organisieren, auf welcher diese Fragen übergreifend von möglichst allen Organisationen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten diskutiert werden können. Eine solche Konferenz sollte sich darauf konzentrieren, konkrete Forderungen und Kampfmittel festzulegen, um den Angriffen von Rot-Grün-Gelb und des Kapitals gemeinsam entgegenzutreten und mit dem Kampf gegen den deutschen Imperialismus und die Kriegsgefahr zu verbinden.




Sozialistische Positionen gegen bürokratische Angriffe verteidigen!

Solidaritätserklärung linker, sozialistischer und gewerkschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen mit Solid Berlin, Infomail 1185, 26. April 2022

Der Berliner LINKE-Vorstand plant, die Finanzierung der Jugendorganisation Solid Berlin zu streichen. Solidaritätserklärung linker, sozialistischer und gewerkschaftlicher Gruppen und Einzelpersonen mit Solid Berlin.

Seit Längerem schon kritisiert die Linksjugend Solid Berlin, der Jugendverband der Berliner Linkspartei, den Regierungskurs der Mutterpartei. Am Sonntag, den 10. April, bekräftigte die Landesvollversammlung von Solid Berlin die Gegnerschaft zur Regierungsbeteiligung und forderte den Austritt der LINKEn aus dem Berliner Senat. Ebenso positionierte sich der Verband gegen Krieg und Aufrüstung ohne Unterordnung unter Russland oder unter die NATO, sowie für die entschädigungslose Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. Mit diesen Positionen wirbt die Linksjugend Solid Berlin für eine sozialistische Oppositionspolitik im Gegensatz zum Regierungskurs der Parteispitze in Berlin und bundesweit.

Kritik an der Parteispitze zu üben, ist gerade das grundsätzliche Recht des Jugendverbandes und seine Existenzberechtigung. Laut Zeitungsberichten unter anderem des Tagesspiegel vom 14. April sowie des neuen deutschland vom 19. April plant die Berliner LINKE-Landesvorsitzende Katina Schubert jedoch, die Finanzierung des Jugendverbandes zu streichen, weil sie mit den inhaltlichen Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin nicht einverstanden ist. Mit dieser bürokratischen Methode will die Spitze der Landespartei die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Landesvollversammlung von Solid Berlin vom 10. April verhindern, die die Positionen der Linkspartei in Berlin und bundesweit kritisieren.

Insbesondere kritisiert Schubert die beschlossene Positionierung “zur Situation in Israel und Palästina”, die unter anderem ein bedingungsloses Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen, die Benennung Israels als Apartheidsstaat sowie die Unterstützung einer binationalen sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas beinhaltet. Wie der Neuköllner LINKE-Bezirksverband schreibt, bewegen sich diese Positionen “im Rahmen des Parteiprogramms der LINKEN”.

Unter dem Vorwand des Antisemitismus, befeuert von einer Hetzkampagne des Springer-Blattes DIE WELT, sollen jedoch nicht nur diese Positionen unsagbar gemacht, sondern die gesamte kritische Haltung von Solid Berlin zum Regierungskurs der Mutterpartei mundtot gemacht werden. Dabei schreckten sie auch nicht davor zurück, einen Genossen als jüdische Stimme mundtot zu machen und ihn in der Springerpresse als antisemitisch zu diffamieren . Zum Jahresanfang fielen Teile des Bundessprecher:innenrats durch Hasstiraden gegen Palästinenser:innen auf. Unter anderem bezeichnete ein Mitglied des höchsten Solidgremiums Palästina als ein “Phantasialand”. Der Vorfall bleibt bis dato von der Partei unkommentiert und offensichtlich „im Rahmen des linken Parteiprogramms“.

Wir Unterzeichner:innen erklären uns solidarisch mit Solid Berlin, auch wenn wir hinsichtlich der Positionen des Verbands unterschiedlicher Meinung sein können. Wir lehnen entschieden die bürokratische Methode der Meinungsunterdrückung gegenüber dem Jugendverband ab, die eine antidemokratische Zwangsdisziplinierung darstellen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Positionen der Linksjugend Solid Berlin verhindern sollen. In diesem Sinne schließen wir uns den Äußerungen von Ulas Tekin sowie von Ferat Koçak im nd an, die sich klar gegen diese Methode ausgesprochen haben. Wir machen uns auch den Beschluss der LINKE-Basisorganisation Wedding vom 14. April zu eigen: Solid Berlin hat als “eigenständiger Verband, der auch das Recht über einen eigenständigen Willensbildungsprozess hat”, das Recht, die Positionen der LINKEn in Berlin und bundesweit zu kritisieren und eigene Positionen zu vertreten. “Wenn Katina Schubert und andere andere im geschäftsführenden Landesvorstand andere Meinungen vertreten, dann sollte dieser Dissens über Argumente und nicht über Repressionen geklärt werden. Wir fordern daher, dass die Autonomie der Linksjugend [’solid] Berlin vollständig erhalten bleibt und die Parteispitze Ihre Pläne zur Einschränkung der Verfügungsgewalt über die eigenen Mittel beendet.“

Erstunterzeichner:innen

Gruppen:

Migrantifa Berlin

Jewish Bund

Palästina Spricht Bewegung (Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus)

Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost

Jüdisch-israelischer Dissens

„Bundestag 3 für Palästina“ BT3P

RIO / Klasse gegen Klasse

Gruppe Artbeiter:innenmacht

Revolution

Ko-Kreis LINKE BO Wedding

LINKE Kreisverband Siegen-Wittgenstein

AKL Bünde

linksjugend [`solid] ROSA

linksjugend [`solid] Neuglienicke

linksjugend [`solid] Moabit / Tiergarten

linksjugend [`solid] Stuttgart

linksjugend [`solid] Heidelberg

linksjugend [`solid] Rems-Murr

linksjugend [`solid] Ortenau

linksjugend [`solid] Pforzheim

LAK Klassenkampf Niedersachsen/Bremen

linksjugend [`solid] Links der Weser

linksjugend [`solid] Salzgitter

linksjugend [`solid] Wolfenbüttel

linksjugend [`solid] Braunschweig

Jugendkommune Sara Dorşîn

Berlin for India

Wedding United

Berlin Migrant Strikers

India Justice project

Einzelpersonen:

Ferat Ali Kocak, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin

Bettina Gutperl, Ko-Kreis BO Wedding und Bundesvorstand DIE LINKE

Ulas Tekin, Mitglied im Landesvorstand von die LINKE Berlin

Leonard Diederich, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte und Sprecher BO Moabit

Franziska Lindner, Mitglied im Bezirksvorstand die LINKE Mitte

Marius Weichler, Vorsitzender des LinksTreff Wedding e.V.

Thierry Kruber Ko-Kreis BO Wedding

Niklas Schrader, Ko-Kreis BO Wedding

Fabian Nehring, Ko-Kreis BO Wedding

Ava Matheis, Delegierte für den Bezirk Mitte des 8. Landesparteitags die LINKE Berlin

Sungsoo Park, Mitglied in der BO Rixdorf

Robin Bitter, Kreisvorstand LINKE Düsseldorf

Michael Sappir, Mitglied bei SDS Leipzig

Yuval Gal cohen, Aktivstin bei Jüdisch-israelischer Dissens

Shira Bitan, Aktivistin bei Jüdisch-israelischer Dissens

Yossi Bartal, Die LINKE Neukölln

Judith Bernstein, BT3P

Amir Ali, BT3P

Christoph Glanz, BT3P

Yasemin Cetinkaya, Schauspielerin

Soulmade Dam, Produzent

Unterschreibt den Brief sehr gerne mit eurer Gruppe, Linksjugend- oder DIE LINKE Gliederung oder einfach als Einzelperson. Schreibt dafür eine kurze Mail an nord-berlin@solid-berlin.org.




#LinkeMeToo: Aus den Fehlern lernen!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1185, 18. April 2022

Der SPIEGEL-Artikel „Entweder wir brechen das jetzt, oder die Partei bricht“ und unzählige Tweets unter dem Hashtag #LinkeMeToo sorgen für Aufregung. Es wird von Missbrauchsvorfällen berichtet innerhalb des hessischen Landesverbandes der Linkspartei sowie der Linksjugend. Unter den zehn Betroffenen, mit denen der SPIEGEL gesprochen hat, ist auch eine Person, die zum Zeitpunkt der Vorfälle 2017/18 minderjährig war. Besonders sticht dies heraus, da mehrere Betroffene sagen, dass führende Mitglieder von den Vorfällen gewusst, aber nichts getan hätten – darunter auch Janine Wissler, aktuelle Bundesvorsitzende der Linkspartei. Ein paar Worte zur beginnenden Debatte.

Sexualisierte Gewalt in linken Strukturen

Zuerst muss klar gesagt werden: Lasst uns bitte nicht schockiert tun! Sexismus und sexualisierte Gewalt sind niemals „das Problem der anderen“. Sie sind Alltag in der gesamten Gesellschaft. Politik und linke Strukturen bilden keine Ausnahme. Sie sind keine Inseln der Freiheit, wo alle unbefangen miteinander leben können.
Das ist auch logisch. Wir alle sind von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt, verinnerlichen dementsprechend Rollenbilder sowie Stereotype, die nicht einfach so verschwinden. Gerade in großen Organisationen sind unterschiedliche Wissens- und Bewusstseinsstände normal, auch, weil neue und neu politisierte Menschen hinzukommen. Entsetzt zu sein, dass „so etwas überhaupt jemals passieren konnte“, ist Teil des Problems. Es geht davon aus, dass es sichere Räume geben könne, aus denen ein für alle Mal rückständige Ideen und Verhalten verbannt sein könnten. Das gibt es leider nicht. Gleichzeitig sorgt diese Annahme auch dafür, dass gewaltausübende Personen (Täter:innen) es leichter haben, sich aus der Anklage zu ziehen. Denn wenn es so unglaublich, so unfassbar ist, dass Gewalt stattgefunden hat, ist es auch leichter, Betroffenen nicht zu glauben, zu zweifeln und keine Schritte zur Klärung einzuleiten.

Lasst uns deswegen sagen: Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Probleme der Gesellschaft und deswegen ist die Linke nicht frei davon. Das senkt die Hemmschwelle für Betroffene, sich zu erkennen zu geben, und bricht mit der Schweigekultur. Die Frage ist nicht, ob es die Übergriffe überhaupt gibt, sondern welche Strukturen aufgebaut werden, um dagegen anzugehen.

Stellungnahmen und Konsequenzen

Der hessische Landesvorstand hat am 15. April eine kurze Stellungnahme herausgegeben. In dieser wird davon gesprochen, dass dieser Ende November 2021 Kenntnis erlangte und begonnen hat, auf allen Ebenen das Geschehene aufzuarbeiten. Perspektivisch sollen Vertrauenspersonen eingesetzt sowie ein Workshop zur Sexismussensibilisierung organisiert werden. Im Statement der Bundespartei, ebenso vom 15. April, wird klar gemacht: „Patriarchale Machtstrukturen finden sich überall in der Gesellschaft. DIE LINKE ist davon nicht ausgenommen.“ Ebenso wird festgehalten, dass der Parteivorstand im Oktober 2021 die Vertrauensgruppe innerhalb des Parteivorstandes gegründet hat, um Menschen, die innerhalb der LINKEN Erfahrungen mit Sexismus, Übergriffen oder Diskriminierung machen, beratend zur Seite zu stehen. Im SPIEGEL wird dies zwar erwähnt, näher beleuchtet wird die Arbeitsweise und Zusammensetzung dieses Gremiums aber nicht. In den Fokus gestellt wird dafür ein Handout zu den „Vorwürfen sexualisierter Gewalt“ – geschrieben von einem mutmaßlichen Täter.

Es ist gut, dass es die Schritte gegeben hat. Der Kritikpunkt, der intern aufgearbeitet werden muss, lautet: Warum braucht es für die Einrichtung solcher Dinge erst den öffentlichen Druck von Betroffenen? Welche Annahmen hat es gegeben, dass diese nicht schon früher eingeleitet wurden?

Als Antwort auf die Artikel hat auch der Jugendverband einen offenen Brief verfasst, den bisher 500 Mitglieder unterschrieben haben. In diesem werden u. a. gefordert:

  • Transparente und lückenlose Aufklärung aller Vorfälle.
  • Verpflichtende Awarenessstrukturen, deren Mitglieder nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Partei stehen oder Abgeordnete sind.
  • Verpflichtende Seminare zum Thema Awareness und Feminismus für Funktionär:innen und Angestellte.
  • Finanzielle Unterstützung durch DIE LINKE für alle Betroffenen, wenn sie juristische oder auch psychologische Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Eine Vertrauensperson für Mitarbeitende von Partei, Mandatsträger:innen und Fraktionen, die von Sexismus, verbalen Übergriffen und sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Dies sind unterstützenswerte Forderungen. Die Aufarbeitung scheint begonnen zu haben und die Forderung nach Strukturen, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Funktionen stehen, ist enorm wichtig. Auf weitere Punkte, die sinnvoll sein könnten, gehen wir im späteren Teil des Artikels ein. Zuerst wollen wir uns jedoch mit einer anderen Frage beschäftigen:

Rücktritt als Lösung?

Ebenso wird in dem offenen Brief auch der Rücktritt aller beteiligten Personen gefordert – ob sie nun selber Täter:in sind oder die Taten anderer gedeckt haben. Dazu soll an der Stelle gesagt werden: Ein Wechsel von Personen bedeutet nicht immer, dass der Umgang sich verbessert und nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Vielmehr kommt es auf Einsicht an. Damit ist nicht gemeint, dass alle, die jetzt aufschreien, aus dem Schneider sind. Das heißt: Jene, die beiseite treten, die offen Fehler eingestehen, jene, die den Raum für Aufklärung freimachen, sollten bedacht werden – denn es ist ein Zeichen, mit den Strukturen brechen zu wollen. So hat Janine Wissler selbst eine Stellungnahme verfasst, in der sie zu den aufgeworfenen Fragen des SPIEGEL Stellung bezieht und klarmacht, dass sie nicht wusste, dass es sich für die Betroffene um eine Grenzüberschreitung gehandelt hat. Ob diese ausreichend ist oder nicht, sollte eine Kommission entscheiden – nicht nur bei ihr, sondern allen, die involviert waren. Besagte Kommission sollte aus FLINTA-Mitgliedern bestehen, die unabhängig vom Parteiapparat sind und die verschiedenen politischen Strömungen der Partei repräsentieren. Auch kann so verhindert werden, dass solche Fälle für politische Machtkämpfe um Posten benutzt werden können.
Aber Achtung: Das Problem bei Awarenessstrukturen und Meldestellen liegt immer darin, dass diese nur so effektiv sind wie das Bewusstsein der Leute dort selber. Denn ein Problem, warum Diskriminierungen totgeschwiegen werden und man auf soviel Widerstand bei der Aufklärung stößt, sind die unklaren Konsequenzen. Wer Angst hat, für jeden Fehler abgestraft zu werden, wird das Beste versuchen, diese Fehler unter den Teppich zu kehren, insbesondere wenn Einkommen und Karriere davon abhängig sind. Das ist an der Stelle kein Appell für einen Freifahrtschein für Täter:innen und jene, die sie schützen. Es ist ein Appell dafür, künftig mit den Konzepten von Transformative Justice zu arbeiten, wo es Sinn macht.

Der Kampf für Verbesserung ist ein gesamtgesellschaftlicher

Viele Dinge müssen geschehen. Die Diskussion in DIE LINKE und [‚solid| könnte so einen Beitrag leisten im Kampf gegen Sexismus und Gewalt in der Linken und in der Arbeiter:innenbewegung. Aber wie? Gesamtgesellschaftlich brauchen wir einen anderen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Zuerst braucht es eine politische Kampagne, die konkrete Verbesserungen erkämpft. Forderungen, die dringend notwendig sind:

1. Flächendeckende Meldestellen für sexuelle Gewalt!

Für flächendeckende Anlaufstellen zur Meldung von sexueller Gewalt, die ebenso, wenn gewünscht, kostenlose psychologische Beratung anbieten. Dies muss damit verbunden werden, dass es breite Aufklärungskampagnen bezüglich Gewalt an Frauen an Schulen, Universitäten und in Betrieben gibt.

2. Finanzielle Unterstützung für Betroffene!

Im Falle eines konkreten gerichtlichen Prozesses braucht es besondere Unterstützung für die Betroffenen. Dabei reden wir nicht nur von psychologischer, sondern kostenloser Rechtsberatung und Übernahme der Prozesskosten, unabhängig von dessen Ausgang. Darüber hinaus bedarf es längerfristige Hilfeangebote für Betroffene von sexueller Gewalt, finanziert durch den Staat. Solche Verfahren sind keine Kleinigkeit. Deswegen bedarf es des Rechts auf mehr bezahlte Freistellung, zusätzliche Urlaubstage sowie eine Mindestsicherung, angepasst an die Inflation! Dies ist notwendig, um die ökonomische Grundsicherung für Betroffene zu gewährleisten, ihnen überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich so einem aufreibenden Prozess zu stellen.

3. Öffentliche Untersuchungen und Verfahren unter Kontrolle der Betroffenen und der Arbeiter:innenbewegung!

Die ersten beiden Forderungen wären im Hier und Jetzt einfach umzusetzen. Die dritte ist nicht so einfach, aber die substantiellste. Solange der bürgerliche Polizei- und Justizapparat die Untersuchungen und Rechtsprechung beherrscht, werden Verbesserungen immer wieder an diesen Strukturen scheitern oder bestenfalls auf halbem Wege steckenbleiben. Es braucht daher vom Staatsapparat unabhängige Untersuchungskommissionen sowie von den Betroffenen gewählte Richter:innen. Diese sollten mehrheitlich aus Frauen und geschlechtlich Unterdrückten zusammengesetzt sein.

Ebenso sollten sie für den Umgang mit Betroffenen von Gewalt sensibilisiert und geschult worden sein. So kann man gewährleisten, dass Entscheidungen hinterfragt werden und nicht abhängig von der männlichen Sozialisierung der Richtenden und Untersuchenden sind. Im Zuge dessen könnte auch das Sexualstrafrecht überarbeitet werden und festhalten, dass das Konsensprinzip „Nur Ja heißt Ja“ eine sinnvolle Grundlage wäre. Warum? Dies liegt dem Ansatz zu Grunde, dass Polizei und Staat zum einen kein materielles Interesse an der Verfolgung solcher Vorwürfe hegen. Zum anderen sind diese Formen wesentlich fortschrittlicher, als wenn jede/r für sich alleine bestimmt, was richtig ist und nicht. Ausführlicher leiten wir das in diesem Artikel her: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/kampf-gegen-sexuelle-gewalt-abseits-des-staates-gegen-oder-mit-ihm/

Und in linken Strukturen?

Der Kampf für so eine Kampagne ist essentiell. Denn linke Strukturen sind aus sich heraus nicht nur meist zu schwach, dauerhafte und professionelle Hilfe für Betroffene zu gewährleisten – was es diesen wiederum erschwert, wieder in politischen Zusammenhängen aktiv zu werden. Sie können und sollen auch keinen Ersatz die Herstellung allgemeiner gesellschaftlicher Rechte im Kampf gegen Unterdrückung bilden. Doch das heißt nicht, dass man bis dahin nichts tun kann. Präventionsarbeit durch beispielsweise regelmäßige Debatten über sexuellen Konsens sind ein Beispiel – unabhängig davon, ob es Übergriffe gegeben hat oder nicht. Dabei braucht es das Verständnis, insbesondere für männlich Sozialisierte, dass ein Ausbleiben eines Ja keine Zustimmung ist. Nur Ja heißt Ja und aktives Nachfragen ist nicht nur nett, sondern notwendig. Zudem braucht es eine Sensibilisierung für den Umgang mit Machtverhältnissen wie Alter, Herkunft oder auch Stellung in der eigenen Gruppe. Für weiblich sozialisierte Menschen macht es Sinn, sich dessen bewusst(er) zu werden und zu lernen, wie die eigenen Bedürfnisse artikuliert werden können. Darüber hinaus braucht es eigene Treffen – Caucusse – für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen, die sich über Missstände innerhalb von linken Strukturen austauschen und Veränderungen einfordern.

DIE LINKE hat sicher Mist gebaut. Aber sie hat die Chance, ja die Pflicht, ihre Politik zu ändern. Sie verfügt über die Ressourcen, eine Kampagne zu starten, wie sie hier umrissen ist. Das würde nicht nur den Betroffenen am ehesten gerecht werden. Es kann auch dafür sorgen, dass DIE LINKE mal wieder irgendeinen ernstzunehmenden Kampf führt, was zur Zeit sicher keine/r behaupten kann.




Linksjugend [‘solid] Berlin: Liebknecht oder Lederer

Gastbeitrag von Dan Kedem (Mitglied der Linksjugend [‘solid] Berlin) und Tim Jonat, ursprünglich erschienen auf Klasse gegen Klasse, Infomail 1184, 12. April 2022

Am Sonntag tagte die 31. Landesvollversammlung der linksjugend [‘solid] Berlin. Eine rechte Wende im Verband wurde zwar abgewandt, aber jetzt gilt es den Linkskurs jenseits von Beschlüssen umzusetzen.

Nach einem letzten Mobilisierungsversuch der Parteibürokratie vor Tagungsbeginn startete die 31. Landesvollversammlung der linksjugend [‘solid] Berlin mit unklaren Mehrheitsverhältnissen. Unter anderem wurden Nachwuchskarrierist:innen aus den sogenannten Jugend-Basisorganisationen (Einheiten der Parteibürokratie) mit dem Ziel mobilisiert, rechte Mehrheiten zu sichern und einen reformistischen, an die Parteibürokratie angepassten Kurs innerhalb des Jugendverbandes wiederherzustellen. Die Parteibürokratie hat sich mehrmals über den Kurs des Jugendverbands unzufrieden gezeigt und hat den Wunsch auch öffentlich geäußert (neben zahlreichen Distanzierungen), den Jugendverband wieder auf Kurs bringen zu wollen. Paul Schlüter zum Beispiel, seinerseits Mitglied des Parteivorstands der LINKE Berlin, war als „aktives“ Mitglied bei der Mitgliederversammlung dabei. Formell ist seine Mitgliedschaft durch Zahlung des Mitgliedsbeitrags zwar aktiv, gesehen hat man ihn auf solid Veranstaltungen aber noch nie. Spekulieren kann man nur, ob er von Klaus Lederer persönlich mobilisiert wurde.

Zur Einleitung der Tagung startete diese mit Grußworten der Abgeordneten Katalin Gennburg und Ferat Ali Kocak, welche beide für eine starke Linke und eine „widerständige“ Jugendorganisation appellierten. Gennburg forderte allerdings auch, dass Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE) unbedingt in die Expert:innenkommission des Senats gehen sollten, nachdem dieser die Forderungen der Initiative von ⅔ der Sitze in der Kommission ignorierte und alles dafür tat, den Volksentscheid zu zermürben. Sie hat den Eindruck gemacht, der Parteijugend einreden zu wollen, dass wirklich an eine Umsetzung mit SPD und Grünen gearbeitet wird, und biederte sich insoweit an die Parteiführung an, dass sie das Gesagte von Katina Schubert am vergangenen Wochenende zu einem möglichen Austritt aus der Koalition, falls DWE nicht umgesetzt wird, wiederholte. Zum Krieg in der Ukraine hatte sie im Gegensatz zu den anderen Grußworten gar nichts zu sagen, obwohl sie alleine fast so lang gesprochen hat wie die anderen beiden zusammen.

Schlussendlich folgte ein Grußwort der Jugendorganisation REVOLUTION, die die starke Zusammenarbeit mit der Solid gegen Rassismus, die Immobilienwirtschaft und für einen starken Antimilitarismus begrüßten. Es folgten starke Appelle an den Jugendverband, welcher sich von seinem reformistischen Kurs abwenden und endlich revolutionäre Positionen vertreten müsse. Dafür sei es auch notwendig, sich der Mutterpartei zu stellen, denn DIE LINKE steht dem revolutionären Anspruch des linken Solid-Flügels diametral entgegen und praktiziert eine bürgerliche Politik, die der Sozialdemokratie identisch ist. Die Solid müsse einen Trennstrich zwischen der eigenen und der bürgerlichen Politik machen und einsehen, dass selbst Reformen immer von Arbeiter:innenkämpfen und eben nicht von Parlamenten ausgingen. Wir hoffen, dass REVOLUTION bereit ist, den Kampf gegen die verräterische Politik der LINKEn mit der Solid aufzunehmen und sie dabei zu unterstützen.

Nach diesem starken Schlusswort ging es in die allgemeine Tagesordnung über.

Wie üblich wurde mit einer rechten Mehrheit im Landesverband das Stimmrecht und dieses Mal auch das Wahlrecht für Sympathisant:innen (passive Mitglieder sowie nicht-Mitglieder des Verbandes) beschlossen, nachdem durch administrative Vorgänge einige Anmeldungen schief gingen und nicht genau klar war, wer aktives Mitglied und wer Sympathisant:in ist. Aufgrund dessen war es noch undurchsichtiger, wie die einzelnen politischen Lager verteilt waren.

Nach einer beschlossenen Generalüberholung der Satzung wurde von Seiten des rechten Flügels des Landessprecher:innenrats versucht, ein weiteres bürokratisches Mittel innerhalb des Landesverbandes durchzusetzen: ein sogenannter Basisgruppenrat, der einzelnen Delegierten weitreichende Befugnisse geben und die rechte Mehrheit unter den Basisgruppen gegen die nach links orientierte Mehrheit im Landesvorstand ausspielen sollte. Dieser Antrag wurde abgelehnt – ein weiterer guter Schritt für das linke Lager im Landesverband, denn so kann bisher zumindest garantiert werden, dass die rechte Mehrheit im Landesverband keine Beschlüsse eines linken Landesvorstands aufheben kann.

Die eigentlich wichtigen Punkte dieser Landesvollversammlung waren allerdings die Nachwahl der freigewordenen Stellen im Landesvorstand der Solid sowie die inhaltliche Antragsphase.

Linke Anträge für Enteignung, gegen Krieg und Aufrüstung

Begonnen wurde mit einem Antrag, der einen Kernteil einer jeden revolutionären Übergangsprogrammatik ausmacht: nämlich die Ablehnung von Entschädigungszahlungen und die Expropriation (Enteignung) der Expropriateur:innen. Im Antrag wird folgendes festgehalten:

  • Ablehnung der Entschädigung
  • Stellung des nationalisierten Eigentums unter Arbeiter:innenkontrolle
  • Verbindung der Frage der Enteignung mit der Frage nach der politischen Macht
  • Ablehnung des bürgerlichen Formalismus, das heißt: der Kampf um die Vergesellschaftung kann sich nicht auf Instrumente einer bürgerlichen Verfassung berufen und deren Umsetzung durch eine bürgerliche Regierung

Zur Überraschung des linken Lagers wurde dieser Antrag, nach starkem Einwand von Rechten, welche sich auf das Grundgesetz beriefen und für eine Entschädigung plädierten, mit einer ⅔-Mehrheit angenommen.

Der nächste Antrag aus dem linken Flügel, welcher den Rausschmiss von Agent:innen des Kapitals aus der Partei DIE LINKE forderte, wurde mit 45 Prozent Ja- zu 45 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Dieser forderte auch den Aufbau einer Partei nach den folgenden Organisationsprinzipien:

  • Funktionär:innen und Mandatsträger:innen für die Partei DIE LINKE verdienen nur einen Arbeiter:innenlohn und sind verpflichtet, den Rest ihres Gehalts an Streikkassen und andere vom Staat unabhängigen Organisationen der Klasse weiterzugeben
  • Die jederzeitige Abwählbarkeit aller Funktionsträger:innen und Mandatsträger:innen
  • Rechenschaftspflichtigkeit gegenüber den unteren Ebenen der Partei
  • Maximale Amtszeitbegrenzung auf zwei Legislaturen

An dieser Abstimmung wurde ersichtlich, dass die Lager auf der Versammlung ungefähr gleichmäßig verteilt waren. Wären allerdings ein Paul Schlüter aus dem Landesvorstand oder Nachwuchskarrierist:innen aus den Jugend-BOs nicht geschickt worden, hätte der eigentliche Jugendverband – zumindest auf Landesebene – sehr wohl ein Interesse an einer antibürokratischen Arbeiter:innenpartei. Die Mutterpartei ist sich jedoch für nichts zu schade und versucht zu sabotieren, wo es nur geht.

Wofür die Stimmen des rechten Lagers nicht genügten, war der nächste Antrag, welcher den sofortigen Austritt der LINKEn Berlin aus der Regierung fordert. Die Bedingungen, welche an eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung geknüpft waren, sind nicht umsetzbar und werden tagtäglich von der Linksfraktion verraten. Deshalb war für die Mehrheit des Jugendverbandes klar, dass die Partei aus der Regierung heraus muss. Ein weiterer Erfolg für das revolutionäre Lager.

Die Forderungen waren:

  •  Sofortige Umsetzung von Deutsche Wohnen und co. enteignen
  •  Sofortiger Abschiebestopp in der rassistischen Migrationspolitik
  •  Sofortiger Abbruch des Autobahnausbaus der A100
  •  Sofortiger Stopp der Ausschreibungen für die S-Bahn-Privatisierung
  •  Einführung des kostenlosen ÖPNVs in Berlin

Zum Anfang der Versammlung wurde klar, dass im Landessprecher:innenrat die Priorisierung der Anträge kontrovers diskutiert wurde. Dies wurde spätestens deutlich, als mehrere mehr oder weniger unkontroverse Anträge zu Verbandsinterna wie dem öffentlichen Auftreten, eine Logoänderung und die Streichung des Sonderzeichen im Namen aneinandergereiht wurden. Nach einer erfolgreichen Änderung der Geschäftsordnung wurde der Antrag zur Neupositionierung des Berliner Landesverbandes zur Situation in Israel und Palästina vorgezogen. Die Debatte schien zunächst sehr heikel zu werden, schließlich umfasste dieser Antrag mehrere Forderungen, die vom Bundesverband und Partei als inakzeptabel angesehen werden und Positionen, die in der Vergangenheit zu Ausschlussforderungen führten. Folgende Forderungen waren im Antrag enthalten:

  • Unterstützung einer sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas
  •  Anerkennung Israels als Apartheidstaat
  •  Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen
  •  Benennung des Zionismus als reaktionäre und nationalistische Ideologie
  •  Teilnahme des Berliner Landesverbandes an Nakba-Woche

Widerstand kam wieder von der Linken Aktion Lichtenberg, welche den Antragstellenden „Inkompetenz“ unterstellte, da der Zionismus als nationalistische Ideologie gewertet wurde. Das israelische Apartheidregime wurde ebenfalls in der Debatte verneint. Ebenso kam Gegenwind von einer Bundessprecherin, welche darauf hinwies, dass dieser Antrag laut Bundesverbandsbeschluss als antisemitisch einzustufen sei. Die Spaltungslinie zum Bundesverband wurde an diesem Antrag besonders deutlich. Die traditionellen Argumentationsmuster der proimperialistischen Bundesführung, welche sich zur Rechtfertigung ihrer Positionen auf die sogenannte Kollektivschuldthese beruft, zogen bei der Berliner Basis jedoch am Ende gar nicht. Mit großer Überraschung wurde der Antrag nämlich mit absoluter Mehrheit angenommen. Ein großer Erfolg für den revolutionären Flügel von Solid Berlin, da sie nach heftigstem Widerstand innerhalb eines Solid-Verbands eine Mehrheit hinter ihrer Position zur Situation in Israel und Palästina versammeln konnten. Diese Position wird in Deutschland nur von einer handvoll Organisationen vertreten, entspricht jedoch der anerkannten Mehrheitspositionierung von sozialistischen Gruppen weltweit.

Der letzte zu behandelnde Antrag des Tages sollte ebenfalls einer aus dem linken Lager, gegen Krieg und Aufrüstung, sein. Nach einer relativ unkontroversen Debatte – nur die kernrechte Fraktion hatte wieder einmal etwas dagegen – wurde auch dieser Antrag mit absoluter Mehrheit angenommen. Somit positioniert sich die Solid Berlin klar gegen Putins Angriffskrieg, stellt sich aber auch klar gegen Sanktionen und Waffenlieferungen. Ebenso wird die Zerschlagung der NATO und die Umstellung der Rüstungs- auf zivile Produktion gefordert. Der Antrag richtete sich vor allem an die Linkspartei, die sich immer mehr dem deutschen Kriegstaumel anschließt. Am Wochenende waren vor allem Genoss:innen aus Nord-Berlin sowie der Basisgruppe „ROSA“ aus Steglitz-Zehlendorf bei der Antikriegsdemo in Berlin zahlenmäßig gut vertreten, was auf ein breites Mobilisierungspotential für diesen Beschluss schließen lässt. Vor allem hier wird es darauf ankommen, den Druck auf den Landesvorstand aufrechtzuerhalten, beziehungsweise notfalls auch durch öffentliche Kritik größere Mobilisierung durch den gesamten Landesverband zu erwirken.

Weitere Anträge, welche vom linken Flügel kamen – wie zum Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie, zur Nichtanerkennung des Bundessprecher:innenrats, zur Abschaffung der Polizei oder zum Rauswurf der Gewerkschaft der Polizei aus dem deutschen Gewerkschaftsbund -, wurden gar nicht erst behandelt, da diese durch reformistische Kräfte im Landessprecher:innenrat nach ganz hinten geschoben wurden. Dies stellt ein weiteres beliebtes Mittel von rechten Strömungen dar, um unbeliebte Themen gar nicht erst behandeln zu müssen.

Nachwahlen zum Landessprecher:innenrat

Bei den Wahlen wurde es nicht minder spannend, doch mit relativ deutlichen Mehrheiten wurden drei neue Genoss:innen in den Landessprecher:innenrat gewählt. Die Bilanz: Eine rechte Wende wurde zwar abgewendet, jedoch behält der Landesvorstand insgesamt einen linksreformistischen Charakter, obwohl zwei dem revolutionären Flügel nahestehende Genoss:innen gewählt wurden. Ein relativer Erfolg war es, dass Nachwuchsbürokrat:innen der Basisgruppe „Linke Aktion Lichtenberg“ (LiA) verhindert wurden, die unter anderem Sanktionen gegen Russland befürworten und die Position vertreten, es sei egal, wenn an diesen die Zivilbevölkerung leidet. Diese Basisgruppe, die im Übrigen eine der größten Fraktionen zur Landesvollversammlung stellte, vertritt ebenfalls die Positionen, dass es in der Ukraine und vor allem in der ukrainischen Armee keine Faschist:innen gäbe und dass die Linksjugend Berlin sich zum Grundgesetz bekennen solle.

Die Wahlergebnisse lassen vorerst darauf schließen, dass in der restlichen Legislaturperiode des Landessprecher:innenrats kein großer Rechtsdrift ansteht, sodass getroffene Beschlüsse, wie das Kooperationsverbot mit bürgerlichen Parteijugenden oder eine Kampagne gegen das Tesla-Werk, mit der Forderung, das dieses entschädigungslos enteignet und unter Arbeiter:innenkontrolle gestellt gehört, in Teilen des Gremiums Gehör finden. An dieser Stelle soll der Appell an alle linken Mitglieder des Rats gehen, dass wir darauf zählen, die Beschlüsse ernst zu nehmen und den Kampf um diese in die Partei, den Bundesverband und den Landessprecher:innenrat selber hineinzutragen und diese Übergangsforderungen auch öffentlich zu vertreten. Die revolutionären Genoss:innen sollten sich im Klaren darüber sein, dass der LSp:R als bürokratisches Gremium ein Bremsklotz ist, sodass ein gewisser Anpassungsdruck besteht, sich in die bürokratischen Strukturen des Verbandes sowie der Partei hinein zu integrieren. Der Anspruch revolutionärer Genoss:innen innerhalb der linksjugend [‘solid] Berlin ist es, dafür zu kämpfen, in der Perspektive eine leninistische Organisation aufzubauen. Dies schaffen wir nur mit Klarheit des Programms, welches zusammen in Opposition mit revolutionär-sozialistischen Verbündeten umgesetzt werden soll. Die Bildung einer solchen Fraktion innerhalb des Verbandes sowie der Partei sollte oberste Priorität haben und die linken Mitglieder des LSp:Rs dürfen sich dabei nicht vom reformistischen Alltag der Partei zermürben lassen. Im Zweifelsfall kann dies auch nur mit dem Bruch der reformistischen Parteiführung geschehen.

Wie weiter?

Doch was genau bedeutet das alles für die Solid Berlin und für die Linksjugend im Allgemeinen?

Zunächst wurde neben den Genoss:innen aus Nord-Berlin eine Basis für Grundzüge eines revolutionären Programms gefunden. Diese Basis stützt sich eben nicht nur auf eine Basisgruppe, sondern auf die Unterstützung durch andere Genoss:innen des Landesverbandes, die den zum rechten Bundesverband entgegengesetzten Kurs befürworten und sich vom offenen Kampf nicht abschrecken lassen. Das ist erstmal begrüßenswert, doch jetzt kommt es darauf an, als revolutionäre Minderheit diese programmatische Grundlage in eine Oppositionsplattform umzuwandeln, damit der neugewählte, mehrheitlich linksreformistische Landessprecher:innen bei der Umsetzung eben dieser Beschlüsse zu Genüge unter Druck gesetzt wird.

Revolutionär:innen bei der Linksjugend müssen alles dafür tun, dass diese Übergangsforderungen, welche von der Basis beschlossen und legitimiert worden sind, nach außen in der Öffentlichkeit vertreten werden. Der revolutionäre Flügel mag zahlenmäßig eine Minderheit darstellen, jedoch wurde sein Programm mehrheitlich von anderen Genoss:innen befürwortet. Es gilt jetzt, diese Basis für ein anderes Organisationsprinzip zu gewinnen und einen unversöhnlichen Kampf gegen Bundesverband und Partei aufzunehmen, welcher nicht davor zurückschreckt, sich auf die eigene Legitimation zu berufen. Ebenso darf sich dieser Kampf nicht hinter bürokratisch-administrativen Formalien verstecken, Konflikte in der Öffentlichkeit nicht austragen zu wollen. Die Partei ist nach wie vor auf den Jugendverband als Karriereschmiede angewiesen und hat ohne diesen zwar noch die Jugend-BOs, allerdings sind diese für linke Kräfte noch unattraktiver als die Solid an sich. Zu einem gewissen Grad toleriert sogar eine rechte Führung, wie die der Berliner Linkspartei, linke Beschlüsse des eigenen Jugendverbandes, da diese radikale Kräfte in gewohnte und eng gesetzte Bahnen lenkt und mit dem Verweis auf die formelle Unabhängigkeit zur Partei als linke „Spinnereien“ einer Handvoll Jugendlichen abgetan werden können. Die Partei behält sich auch immer vor, dem Jugendverband den Geldhahn zuzudrehen, falls durch bürgerliche Medien ein unerträgliches Ausmaß an Druck erwirkt wird.

Die revolutionäre Minderheit darf sich nicht mit einer formell linken Beschlusslage zufrieden geben. Es muss jeden Tag in der Partei, im Verband und in der Öffentlichkeit um dieses Programm gekämpft und dieses schonungslos nach Außen vertreten werden. Zentristischen Kräften in anderen Verbänden muss gezeigt werden, dass es weder um Posten oder Mehrheiten im Bundesverband geht, sondern um eine alternative Plattform bzw. Opposition, die die bürokratischen Strukturen der Linksjugend und rechte Hegemonie tagein tagaus demaskiert.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Klasse gegen Klasse (https://www.klassegegenklasse.org/) veröffentlicht.




Ukrainekrieg: Pazifismus zusehends hilflos

Jürgen Roth, Neue Internationale 263, April 2023

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine dauerte erst wenige Tage an, da löste sich die Schockstarre. Der größte Friedensprotest seit dem Irakkrieg 2003 führte europaweit mehrere Millionen Teilnehmende auf die Straßen, darunter mehr als eine halbe Million allein am 27. Februar in Berlin. Fast zeitgleich kündigte Kanzler Scholz nur wenige hundert Meter entfernt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte an. Wahrlich eine Zeitenwende, die auch an Friedensbewegung und DIE LINKE nicht spurlos vorübergehen wird!

Alle Redner:innen befürworteten Sanktionen seitens der Bundesregierung. Eine Sprecherin aus der Ukraine forderte, ganz im Einklang mit der Linie ihrer Regierung, Waffen. Viel interessanter war, was in allen Reden nicht einmal benannt wurde. Es fiel kein Wort über die just zuvor beschlossene massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Osterweiterung der NATO und ihre Manöver an der belarussischen und ukrainischen Grenze. Auch die jüngere ukrainische Geschichte seit den Euromaidanprotesten war keine Erwähnung wert. Den Ruf nach Sanktionen schluckte die Mehrzahl der Friedensbewegten also bereits. Damit meinte sie, sich weiterhin offensichtlich genug vom Militarismus abgrenzen zu können, schließlich stand das der Forderung nach Waffen (und deutscher Kriegsbeteiligung) und somit ihrem pazifistischen Image förderlich entgegen – einstweilen!

Dilemma des Pazifismus

Wir sehen also, dass der Pazifismus in letzter Konsequenz gegen sein eigenes Mantra verstoßen muss, sobald der erste Schuss fällt. Pazifist:innen teilen alles Bürgerliche – außer Kriegsgewalt. Diese erscheint ihnen nicht als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, als aus den Widersprüchen der Klassengesellschaft erwachsen, sondern als unerklärlicher Betriebsunfall der Geschichte, Sieg des Bösen über das Gute im Menschen.

Bricht der Krieg entgegen allen pazifistischen Formeln doch aus, so bleibt entweder das letztlich abstrakte Beschwören des Friedens – oder man schließt sich notgedrungen jener Seite an, die das „Gute“ zu verkörpern scheint, in unserem Fall der Bundesregierung und der NATO. Damit begibt sich der Pazifismus auf die Rutschbahn nach rechts – zum Chauvinismus und entwaffnet sich trotz aller Friedensbekundungen vor dem Kriegstreiben der „eigenen“ Regierung.

Die reformistischen Parteien (SPD, Linkspartei) und viele zentristische Organisationen der Arbeiter:innenbewegung teilen entweder Chauvinismus oder Pazifismus bzw. schwanken zwischen diesen, weshalb wir auch von Sozialchauvinismus bzw. -pazifismus sprechen. Geht ersterer spätestens mit Kriegsausbruch offen ins Regierungslager über, appelliert letzterer an den Willen zum Friedensschluss – mitten im Krieg! Der Status quo ante soll also wieder hergestellt werden, das Pulverfass der imperialistischen Widersprüche unversehrt voll bleiben – nur ohne Lunte! Eine unabhängige Klassenpolitik, die auf die Niederlage der „eigenen“ Regierung keine Rücksicht nimmt, lehnt der Sozialpazifismus ab. Der Logik „töten oder getötet werden“ kann er sich nicht entziehen. Er gerät damit zu einer „alternativen“ Form der Vaterlandsverteidigung, die große Teile bald auf die Abgleitfläche zur echten rutschen lässt.

Allerdings müssen wir zwischen dem ehrlichen, berechtigten Pazifismus Lohnabhängiger aus Angst vor Krieg und in Solidarität mit den ukrainischen Massen und dem heuchlerischen der Kirchenfürst:innen, Politiker:innen und Journalist:innen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil wir unter ihnen unsere Verbündeten im Kampf gegen die Kriegsgräuel suchen müssen, nicht in Parlamenten, Amtsstuben und Militär. Dazu ist jedoch ein politischer, geduldiger Kampf gegen die grundlegenden Fehler und Schwächen dieser Ideologie unerlässlich.

Anders als die (Sozial-)Pazifist:innen unterscheiden wir zwischen fortschrittlichen und reaktionären Kriegen. So ist der Bürger:innenkrieg zur Erringung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse ebenso zu unterstützen wie der Kampf einer unterdrückten Nation um Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf Abtrennung von Gebieten, wenn deren Bevölkerungsmehrheit das will. Im imperialistischen Krieg treten wir dagegen für den revolutionären Defaitismus ein, den Klassenkampf ohne Rücksicht auf die Niederlage der „eigenen“ Regierungen.

Aber sollten die Arbeiter:innen nicht einen reaktionären Krieg verhindern? Ja, unbedingt! Aber mit eigenen Mitteln des Klassenkampfes, nicht mit zahnlosen Appellen an die Regierungen!

Katalysator Kriegsfrage

In Zeiten verschärften Konflikts um die Neuaufteilung der Welt geraten auch die halbkolonialen Länder wie die Ukraine zusehends ins Gravitationsfeld der einen oder anderen imperialistischen Machtkonstellation. Das gilt leider auch für den (Sozial-)Pazifismus. Kann der Ausbruch eines Kriegs nicht verhindert werden, ist das Friedenslatein schnell am Ende. Jetzt ist der Klassenkampf noch unmöglicher als zuvor geworden, scheint es. Sind nicht die jungen Arbeiter:innen an der Front? Gebietet nicht der Krieg die Einstellung aller unabhängigen Klassenaktivität? Denn diese könnte doch die Niederlage der „eigenen“ Regierung heraufbeschwören? Und wäre das nicht gleichbedeutend, einseitig das Werk der Kriegsgegner:innen zu verrichten?

Da Imperialismus die Konzentration des Kapitals und herrschende Politik konzentriertester Ausdruck gesamtkapitalistischer nationaler Interessen bedeuten, spitzt der Krieg alle Widersprüche zu. Das ist der Hintergrund, warum Pazifist:innen ins (sozial-)chauvinistische Lager überlaufen müssen, wenn sie nicht die Niederlage der „eigenen“ Regierung in Kauf nehmen wollen.

DIE LINKE: haltloser Pazifismus

Das Milieu, aus dem sich Friedens- wie manch andere humanitäre Bewegung (Seebrücke, NGOs) vorrangig rekrutieren einschließlich der Linkspartei, wird ein politisches Erdbeben erleben.

So diskutierte die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am ersten Märzwochenende und deren Co-Vorsitzender Carsten Schatz forderte: „Sofortiger Rückzug der russischen Truppen!“ Die richtige Forderung wird freilich zur Anpassung an die Bundesregierung, wenn jede Kritik an der NATO-Politik ausbleibt. Kultursenator Lederer bezichtigt Putin des „offensiven Bruchs mit der europäischen Friedensordnung“, für die Deutschland und die EU Verantwortung zu übernehmen hätten.

Ohne Namen zu nennen, geht er ans vermeintliche Eingemachte der Partei: antimilitaristische Haltung, Position zur NATO, zu Russland: „Lasst es einfach weg!“ Pankows Bezirksbürgermeister Benn sieht ein „Selbsterschrecken“ in den eigenen Reihen, ein tiefes „Selbstbefragen einer ganzen Reihe von Positionen“ am Horizont aufziehen. Sozialsenatorin Kipping legt nach: „Keine Verharmlosung von Putin mehr. Putin ist nun mal Feind der Linken.“

Für die Ex-Parteivorsitzende steht der Hauptfeind exklusiv im anderen Land. Mögen ihr beim alljährlichen Gedenkritual an die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs die Nelken in der Hand verdorren! Tobias Schulze bemerkt scheinheilig: „Was für die Rüstung geht, geht offenbar für die städtische und soziale Infrastruktur nicht, nämlich die Schuldenbremse auszusetzen.“ Gäbe es also die Schuldenbremse nicht, so drängt sich auf, wäre die Aufrüstung für DIE LINKE zustimmungsfähig. Welch‘ prinzipienfester Antimilitarismus!

Die Abgrenzung von wirklichen oder vermeintlichen „Putinversteher:innen“ erfüllt beim rechten Flügel der Linkspartei längst nicht mehr allein die Funktion einer Kritik an der Verharmlosung des russischen Imperialismus – vielmehr sollen so alle Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die an einer angeblichen starren NATO-Ablehnung festhalten wollen. Es ist damit zu rechnen, dass der starke „Reformer“-Flügel um die sog. Regierungssozialist:innen, welcher sich offen prowestlich und hinter vorgehaltener Hand pro-NATO aufstellt, zum Angriff auf die in die Jahre gekommenen traditionslinken, sozialpazifistischen Grundsätze blasen wird, denen er sich bislang unterordnen musste. Die Ukrainekrise bringt nun neue Bewegung in den Transformationsprozess der Linkspartei nach rechts, während der linke Flügel noch weiter in die Defensive gerät. Es rächt sich heute, dass über Jahre Pazifismus, humanitäre Friedensphrasen und das Beschwören von Völkerrecht und UNO als Ultima Ratio der internationalen Ordnung als „Antimilitarismus“ verklärt wurden. In Wirklichkeit wurde nur das Fehlen einer antiimperialistischen und internationalistischen Politik schöngeredet, was heute dem rechten Flügel der Partei in die Hände spielt.

Interventionistische Linke (IL)

Doch nicht nur die reformistische Linke gerät in schweres Fahrwasser. Auch die größte Organisation der „radikalen Linken“, die IL, gerät ins Studeln.

In ihrem Aufruf vom März 2022 verurteilt sie den russischen Angriff. Gleichzeitig lehnt sie eine Parteinahme im Konflikt ab: „Wir lehnen die falschen Alternativen ab, weil die behauptete Alternativlosigkeit jeden Raum für Widersprüche und Kritik verschließt. [ … ] Wir entziehen uns der Identifikation mit staatlicher Macht. Stattdessen sind wir mit jenen parteilich, die unter dem Krieg leiden und sich ihm widersetzen [ … ], wenn sie fliehen, desertieren, zivilen Ungehorsam leisten oder kämpfen.“

Leider „entzieht“ sich die IL auch einer klaren revolutionären Antwort, wie der Krieg gestoppt werden kann. Sie spricht sich für die Unterstützung der „Menschen vor Ort“ aus? Doch worin soll diese bestehen? Welche Politik sollen die Arbeiter:innenklasse und Linke in Russland oder in der Ukraine vertreten? Über diese Fragen schweigt sich die IL aus und verbleibt letztlich bei einer sicherlich löblichen, politisch aber unzureichenden humanitären Unterstützung von Opfern des Krieges.

Darüber hinaus wendet sie sich gegen kapitalistische Geopolitik und westliche Doppelmoral, bezeichnet den Krieg „als vorläufige[n] negative[n] Höhepunkt von weltweit immer schärfer werdenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konflikten.“ Sie tritt zu Recht gegen die Aufrüstung der Bundeswehr ein, für Solidarität mit Geflüchteten aller Hautfarben und Herkunft aus der Ukraine, Kriegsdienstverweiger:innen, Friedensaktivist:innen, Frauen und LGBTIQ, Genoss:innen der sozialen, linken, sozialistischen und anarchistischen Bewegungen aus beiden kriegführenden Ländern.

Richtig ist auch ihre Aufforderung, aktiv zu werden, eine Bewegung gegen Militarismus und Krieg aufzubauen, die lebendig, links und internationalistisch agieren soll. Doch für die Grundlage eines solchen Antikriegsbündnisses macht sie keinen Vorschlag. Stattdessen prophezeit sie (fälschlich): „Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung finden in der Klimagerechtigkeitsbewegung einen neuen, starken Gegner. [ … ] Bringen wir zusammen, was zusammengehört: die Kämpfe gegen alle Grenzen, gegen Imperien und Kriege, gegen Klimakrise, Patriarchat und Kapitalismus.“ Mit dämlichen Parolen wie „Heizung runter für den Frieden!“, „Pullover statt Erdgas!“, am 24. März zu sichten, dürfte das Zusammenbringen arg schwierig ausfallen.

So wenig selbst blau-gelbe Pullover eine Antwort auf drohende Energiearmut liefern, so großzügig sieht die IL über die Untauglichkeit einer Bewegung im Sog des Vaterlandsverteidigungstaumels für ein Antikriegsbündnis hinweg. Die IL spielt ein Chamäleon, das hinter „Bewegungen“ unkritisch hinterher trabt, statt ihnen eine antikapitalistische Perspektive anzubieten. Die Farbe Rot verblasst gerade, wenn’s drauf ankommt!

Dahinter steckt nicht nur ein mehr oder weniger hoffnungsfroher „Optimismus“ – es wird auch das Fehlen jeder Klassenpolitik deutlich. Die Frage, wie die Lohnabhängigen, wie Gewerkschafter:innen, die reformistisch dominierte Arbeiter:innenbewegung für eine Antikriegsbewegung gewonnen werden können, stellt sich die IL erst gar nicht. Den Spitzenbürokrat:innen im DGB, bei der Linkspartei und erst recht in der SPD wird’s recht sein. Uns nicht.




Linkspartei und Ukraine: Der Sturm der Ereignisse weht durch die Reihen

Wilhelm Schulz, Infomail 1179, 4. März 2022

Es gibt Jahre, in denen passiert nichts und Wochen, in denen alles passiert. Die Bundesregierung kündigt angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eine Zeitenwende an und bereitet einen neuen Militarismus vor. Die bürgerliche Presse schreit nach Aufrüstung und sogar atomarer Bewaffnung Deutschlands. Während nur wenige hundert Meter vom Ort des Beschlusses, dem Bundestag, entfernt bis zu 500.000 Menschen in Solidarität mit den Ukrainer:innen auf die Straße gehen und ihren spontanen Willen nach Frieden äußern, jedoch ohne eine Alternative zum militaristischen Säbelrasseln zu formulieren, verabschiedet die Bundesregierung in Eintracht mit der Union ein 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr. Auch das gehört zur Eskalation eines Krieges, der droht, zum weltweiten Flächenbrand zu geraten.

Die Stimmung dieser Tage ist eine widersprüchliche. Menschen haben Angst, sehnen sich nach Frieden – und unterstützen die Aufrüstung zum Krieg. Der neue Militarismus wird als alternativlos bezeichnet. Das in dieser Frage recht einheitlich agierende Bürger:innentum stellt angesichts des Krieges in der Ukraine alle anderen Differenzen zurück.

In der Bevölkerung sind die Zustimmungsraten für diesen Kurswechsel hoch. Laut Infratest-dimap-Umfrage zum ARD-Deutschlandtrend vom 3. März 2022 stimmen 65 % der Befragten der 100 Milliarden-Sofortaufrüstung der Bundeswehr zu. 27 % lehnen dies ab. Linke schwimmen dieser Tage wieder vermehrt gegen den Strom oder lassen sich von der Strömung mitreißen und geraten ins freudige Kriegstaumeln.

Doch während uns solche Pakete der bürgerlichen Regierung weniger verwundern sollten, so stellt doch zumindest die Entwicklung der Linkspartei und der in den letzten Tagen erwachsene Streit um eine Positionsfindung in der Kriegsfrage eine neue Qualität im innerparteilichen Konflikt dar.

Beschluss im Bundestag

Am Sonntag, dem 27. Februar, fand im Bundestag eine außerordentliche Plenardebatte zum Krieg in der Ukraine statt. Zur Debatte wurde ein „Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zur Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage“ vorgelegt. Dem Antrag nach begrüßt der Bundestag folgende Punkte:

(1) eine aktivere Rolle der Bundesregierung in diesem Konflikt im Verbund mit EU, NATO und G7;

(2) Sanktionen gegen Russland;

(3) Finanzpolitische Restriktionen;

(4) Entsendung 350 weiterer Bundeswehrsoldat:innen nach Litauen;

(5) Entsendung von Militärexpert:innen;

(6) Suspendierung Russlands aus dem Europarat.

Ergänzt wurde dies durch den Eilantrag für Aufstockung des Rüstungshaushalts um 100 Milliarden Euro. Über diesen haben wir an anderer Stelle bereits geschrieben (https://arbeiterinnenmacht.de/2022/02/27/aufruestungskanzler-olaf-demokratisch-imperialistische-militarisierung-schreitet-voran/). Hier soll es demgegenüber um die Auseinandersetzung der Linkspartei gehen.

Den Antrag lehnte ihre Bundestagsfraktion ab und reichte eine eigene, kurze Erklärung ein. In dieser lehnt sie Waffenlieferungen, Sanktionen gegen die allgemeine Bevölkerung und Aufrüstung ab und benennt Putin als Aggressor, klammert die Frage des Verhaltens der NATO jedoch völlig aus. Sanktionen gegen Oligarch:innen und Kriegsprofiteur:innen fordert die Linkspartei – Sanktionen, die wir ebenfalls als wirtschaftliches Kriegsmittel verstehen, welches notfalls gewaltsam durchgesetzt werden oder eben wirkungslos bleiben muss. Sanktionen sind demnach eben weder deeskalierend noch treffen sie die Herrschenden so krass wie die Arbeitenden und Armen, an die ihre Kosten weitergegeben werden.

Auseinandersetzung in der LINKEN

Berichten der Zeitung junge Welt zufolge war der Weg zu diesem passiven Eilantrag der LINKEN steinig. Demnach hatte eine Mehrheit der Fraktion vor Beginn der Sondersitzung noch geplant, sich gegenüber dem Antrag des Kanzlers zu enthalten. Erst kurzfristig hatte man sich auf eine Ablehnung einigen können und das aufgrund der spontanen Ankündigung des Bundeskanzlers, 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Bundeswehr stecken zu wollen. Zuvor soll der rechte Flügel der Partei (die Regierungssozialist:innen) für eine weitere Eskalation die Kriegstrommeln gerührt haben. Die Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow soll in der fraktionsinternen Debatte Putin als Faschisten bezeichnet und Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt haben. Gysi plädierte ursprünglich sogar für eine Unterstützung des Regierungs-/Unionsantrags. Angeblich sei der Versuch aber nur von drei Abgeordneten unterstützt worden. Ähnlich erging es Hennig-Wellsow. Dieser Logik folgend, aber an anderer Stelle forderte der linke thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow am 3. März die Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, auch wenn er dann zügig zurückruderte.

Antimilitarist:innen in der Linkspartei stellten sich gegen diese Linie, ohne sie direkt zu adressieren. So wurde am vergangenen Sonntag eine „Erklärung zur Abstimmung über den Ukraine-Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP am 27.02.2022“ von Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Sören Pellmann, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Klaus Ernst und Christian Leye veröffentlicht.

Das Schreiben beginnt mit einer unmissverständlichen Verurteilung des russischen Großangriffs, spricht sich jedoch gegen die Erklärung von Regierungsparteien und Union aus, da diese keine Beendigung des Konfliktes zum Ergebnis habe. Deutlich richtet sie sich gegen Waffenlieferungen, die Entsendung deutscher Truppen und Sanktionen. Die Initiator:innen diagnostizieren eine Zeitenwende hin zu massiver Aufrüstung und atomarer Abschreckung der NATO. Ihre Alternative bleibt jedoch ein pazifistisches Rufen zur Wiederaufnahme diplomatischer Maßnahmen: „Nur die Beachtung des Völkerrechts durch alle und die Wiederaufnahme der Diplomatie können zum Frieden führen.“

Das Schreiben von Wagenknecht und Co. ist dementsprechend eine Reaktion auf diesen Linienkampf, der einen Bruch mit dem Programm der Linkspartei durch die Regierungssozialist:innen darstellt, ähnlich dem Sofortprogramm zur Bundestagswahl letztes Jahr. Schon damals wurde die Forderung des NATO-Austritts Deutschlands fallen gelassen. Nun äußerte sich Gregor Gysi entrüstet über das Statement von Wagenknecht und Co. Er meinte, dass die Argumentation der Kritiker:innen der Ukraine faktisch das Selbstverteidigungsrecht abspreche. Gysi räumt zwar ein, dass die Ablehnung der Aufrüstung prinzipiell richtig sei, stellt sich aber gegen ein generelles Verbot von Waffenlieferungen in die Ukraine. Wagenknecht entgegnete darauf, dass die Linke sich immer gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und Aufrüstung ausgesprochen habe und das so bleiben solle.

Natürlich müssen Linke in der Linkspartei trotz des massiven Gegenwinds auch in den eigenen Reihen eine konsequente Antikriegsposition einnehmen, jedoch zeigt sich an dieser Stelle auch die Hilflosigkeit rein pazifistischer Politik, die im Moment des Versagens der Gespräche zum ungewollten Flankenschutz der Aufrüstung gerät. Nur die internationalistischen Aktionen der Arbeiter:innenklasse, die durch Streiks den drohenden imperialistischen Krieg stoppen, können ihn unserer Meinung nach aufhalten, ohne blindlings für den Sieg des eigenen Imperialismus – in diesem Krieg stellvertretend durch die Ukraine – einzutreten, wie es faktisch der rechte Flügel der Partei tut und mehrheitsfähig zu machen versucht.

Welche Position zum Krieg?

Das Kriegsgeschrei lässt somit auch weite Teile der Arbeiter:innenbewegung ins Lager der Vaterlandsverteidigung übergehen. Sie werden zu Freund:innen der westlichen „Aufklärung“ gegen den übrigen primitiven Despotismus in der Welt, mit der schon so viele Kriege in der Vergangenheit ideologisch legitimiert wurden.

Das Ganze hat nicht erst mit der Invasion Putins in die Ukraine begonnen. Als die Berliner Linksjugend [‘solid] vor einigen Wochen Losungen wie „Nein zum Krieg“ und „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ verabschiedete, da rügte das die Berliner LINKE. Das Argument sei ihrer Meinung nach aktuell nicht vermittelbar. Natürlich muss die Vermittlung politischer Ideen auf das vorherrschende Bewusstsein eingehen. Aber: dem Letzteren einfach nur blind, taub und stumpf hinterherzulaufen, bedeutet faktisch eine Kapitulation vor dem herrschenden Bewusstsein, gerade zu Beginn eines Kriegs stets das der Herrschenden – und somit vor der neuen Aufrüstungsstrategie des deutschen Imperialismus, dem der Krieg Russlands ein gefundenes ideologisches Fressen bietet.

Aber was spricht denn nun gegen die Unterstützung der Linkspartei für die Erklärung der Bundesregierung und der Union? Einerseits treten wir ein für eine unabhängige Klassenposition. Die Lohnabhängigen und Unterdrückten leiden unter den unterschiedlichsten Sanktions- und Kriegsmaßnahmen. Sie treffen die Preissteigerungen, sie werden in die Kriege einbezogen und schlussendlich finanzieren sie über die tagtägliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dieses so schnell lockergemachte Rüstungsprogramm, während andererseits eine Milliarde Euro Pflegebonus Ergebnis monatelanger Auseinandersetzungen ist.

Die Perspektive des Regierungsprogramms stellt kein Maßnahmenpaket zur Beendigung eines möglichen Krieges dar, sondern eines, um diesen militärisch zu gewinnen. Hierin offenbart sich der imperialistische Charakter der BRD. Die Maßnahmen hätten ja auch die sofortige  Öffnung europäischer Grenzen für alle Flüchtenden und die Schuldenstreichung der Ukraine umfassen können. Dass dem nicht so ist, beweist auch, dass die Ukraine bitteschön in europäischer (deutscher) Abhängigkeit bleiben soll. Und darum geht es eben: Dieser Krieg, in den Deutschland direkter einzutreten droht, ist aktuell maskiert als humanitäre Notsituation. Dahinter aber steht der Kampf um die Neuaufteilung der Welt: Wem gehört die Ukraine?

Deswegen gilt: Eine Linkspartei, die so einem Kriegsprogramm zur angeblichen Verteidigung von Werten zustimmt, betrachtet den Krieg als etwas dem Kapitalismus Wesensfremdes und ordnet sich dem Burgfrieden unter. Was wir als innerimperialistische Konkurrenz in der verschärften Krise verstehen, wird hier zum reinen Konflikt der Ideen verballhornt, als ein Konflikt von Aufklärung und Demokratie gegen Despotismus. Doch was folgte aus den Militärbesatzungen im Namen der ‚Aufklärung‘? Erinnert sich noch jemand an die Besatzung Afghanistans, die die Taliban schlussendlich stabilisierte? Davon, dass diese vorher von den USA mit aufgebaut wurden, ganz zu schweigen.

Die Linken in der Linkspartei dürfen diesen Anpassungen keinen Millimeter nachgeben und in diesem Punkt verteidigen wir die (bei allen Schwächen) verhältnismäßig richtige Reaktion von Wagenknecht und anderen Vertreter:innen der Linkspartei, trotz all ihrer Begrenztheit. Die Linke muss sich der Aufgabe stellen, aus der Bewegung in Solidarität mit der Ukraine eine gegen den Krieg zu formen, die klarmacht, dass wir diesem ihm die Mittel des Klassenkampfes entgegenstellen. Internationale Solidaritätsaktionen sind ein wichtiger Anfang, aber die Blockade von Waffenauslieferungen durch die organisierte Arbeiter:innenbewegung oder die Verhinderung der militärischen Kriegsinfrastruktur durch Streiks, das sind die Maßnahmen, die den Krieg beenden können und für die wir eintreten müssen.