Runter mit der CDU vom CSD!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1228, 20. Juli 2023

Klar, der Christopher Street Day ist schon seit Jahren eine einzige Kommerzveranstaltung. Einmal im Jahr packen Konzerne und Politiker:innen die Regenbogenfahne aus und spendieren einen Truck, von dem lauthals Musik tönt, während man die restlichen 364 Tage dann recht wenig im Betrieb von queerer Akzeptanz spürt. Beschwerdestellen, eigenständige Schulung zur Sensibilisierung der Mitarbeiter:innen und Auflösung des Gender Pay Gaps gibt’s nicht oder sind eine Seltenheit. Und das enttarnt dann meistens auch den Charakter der Beteiligung: Es ist eine Imagefrage, denn aktuell gehört es noch zum guten Ton, sich solidarisch zu zeigen. Queerness ist cool, ist in und größtenteils akzeptiert. Und solange man nicht ernsthaft was dafür machen muss und auch noch Geld daran verdienen kann, ist man eben gerne dabei.

Ein Schritt vorwärts?

Ja, es ist natürlich ein Schritt vorwärts, dass der CSD so groß ist, auch wenn’s eine riesige Party ist. Aber während einige die Party genießen und danach die Pridefahne wieder einrollen, wenn sie nach Hause gehen, klappt das nicht für alle. Dies wird vor allem sichtbar außerhalb der Großstädte. Beispielsweise in Bautzen, wo dieses Jahr die erste Pride stattgefunden hat – unter aktiven Drohungen durch Faschist:innen, während sich kurz vorher der Lesben- und Schwulenverband in Freiburg und die IG CSD in Stuttgart von Symbolen der Antifaschisten Aktion distanzierten. Darüber hinaus klappt es auch nicht für jene, die Angst haben müssen, wenn sie im eigenen Kiez Hand in Hand spazieren gehen wollen. Es klappt nicht für die, die immer „witzige“ Kommentare auf der Arbeit oder im eigenen Heterofreundeskreis hören. Es klappt nicht für alle, die sich überlegen müssen, ob es wirklich sicher ist oder sie die Blicke ertragen können beim Rausgehen, wenn sie sich schminken und ein Kleid anziehen. Und schon gar nicht klappt es für die, die der Hetze voll ausgeliefert sind.

Deswegen hilft eine Pride nicht viel, die solche Themen mittlerweile wenig zur Sprache bringt, während zeitgleich Firmen, die in Ländern, wo LGBTIA+ umgebracht werden, stummen Wortes produzieren, um ihre Profite zu sichern. Da helfen auch nicht die aktuellen Ermittlungen gegen Teile des Berliner CSD-Vorstands unter anderem aufgrund von Veruntreuung sowie Einbehaltung von Bargeldeinnahmen vom CSD 2022.

Vielmehr macht das nur deutlich, dass die Diskriminierung von LGBTIA+ zwar alle Queers trifft, aber halt nicht alle gleich. Neben der Tatsache, dass trans Menschen es in der Gesellschaft wesentlich schwerer haben, ist es auch eine Klassenfrage. Das ist keine Nebensache. Wer sich keine Gedanken machen muss, wie man sich in öffentlichen Verkehrsmitteln (nicht) verhalten oder (nicht) kleiden sollte, weil mensch doch auch einfach mit dem eigenen Auto umherfahren kann, dem sind halt andere Dinge wichtiger. Wer homosexuell, aber reich ist, der ist bereit, zugunsten der eigenen ökonomischen Lage „Kompromisse“ einzugehen. Oder anders gesagt: Der wählt halt CDU, weil das politische Programm die eigene Lage besser absichert, unabhängig davon, was das für die eigene Sexualität bedeutet. Deutlicher als an der Person von Alice Weidel, die nix Besseres zu tun hat, als als Lesbe ständig gegen das „Gender-Gaga“ zu reden, weil’s in die eigene Agenda passt, kann man es selten machen.

Ja, es ist nichts Schlimmes daran, wenn die Pride Spaß macht. Aber man sollte halt nicht vergessen, dass sie vor allem politisch ist. Oder sein sollte. Nicht nur, weil die erste Pride ein Riot gewesen ist, sondern aufgrund der aktuellen politischen Lage.

Kein Schritt zurück!

Eine der ersten Amtshandlungen der CDU im Berliner Senat ist es gewesen, das Gendern in den Berliner Behörden rückgängig zu machen. Rückschrittlich, bringt niemandem/r irgendetwas, aber man hat halt einen populistischen Wahlkampf gemacht und will zeigen, dass man auch liefert. Das Behördenchaos in Berlin gibt’s natürlich weiterhin, nur halt ohne :*_.  Hilft auch super bei der Wohnungskrise – oder nicht?

Das Ganze ist kein Ausrutscher von Kai Wegner, sondern fester Bestandteil der Politik der CDU, bedenkt man beispielsweise den Tweet von Frontmann Friedrich Merz. Dieser will dem Satz „Und rechts von uns ist nur die Wand!“ wieder neue Bedeutung geben und so hat er es geschafft, pünktlich zum Pridemonth einen Tweet in die Welt hinauszuposten, der vieles war: eine bewusste Provokation, ein „Mal beim AfD-Milieu“-Abgreifen und dazu noch strunzdumm. Das erste, was einem/r durch den Kopf geschossen ist, war: Nehmt dem alten, verwirrten Mann das Handy weg und lasst dessen Hirngespinste mal besser medizinisch abchecken. Doch leider ist das kein verwirrter Einzelfall, sondern die neue Masche der CDU unter Friedrich Merz. Denn auf den Tweet folgte nun die Ausweitung des Verbots von Gendern in sächsischen Schulen auf Kooperationspartner:innen und die Hetze der CSU in München gegen einen Vorleseabend der Münchner Stadtbibliothek, bei dem eine Dragqueen sowie ein Dragking geladen wurden.

Doch was bedeutet das für die Praxis? Angelehnt an die aktuelle Debatte in den USA um trans Rechte, versuchen nun auch hier Konservative queeres Leben und Selbstbestimmung weiter anzugreifen. Die CDU hetzt gegen Queers und die Berliner SPD trägt diese Koalitionspartnerin mit. Ganz einfach. Statt diese Kräfte ihre Regenbogenfahne am CSD auspacken und Wegener auch noch bei der Eröffnung reden zu lassen, sollten diese nicht die Möglichkeit bekommen, ihre Doppelmoral zur Schau zu stellen! Die Hetze von CDU und CSU zu dulden und sie dann in den eigenen Reihen mitlaufen zu lassen, ist wie, dem Wolf schon freiwillig den Schafspelz zu geben. Wir sind in einer gesellschaftlichen Situation, in der die Akzeptanz ziemlich schnell drohen kann zu kippen – und es sind neben der AfD diese Kräfte, die ihr Bestes dafür tun, queeres Leben aus der Öffentlichkeit zu drängen, zu verurteilen und auch einen Anstieg von Gewalt gegen LGBTIA+ damit begünstigen. Ansonsten bedeutet das, in der Realität Politik gegen trans Menschen, gegen alle Non-Binaries und Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlecht einordnen lassen wollen, mitzutragen und zu unterstützen. Die Pride gibt’s dann nur noch für Cis-Männer und -Frauen, Jens Spahn und Alice Weidel Hand in Hand, die geben bestimmt viel Geld und einen aus.

Statt so zu tun, als ob es was Gutes ist, dass sich augenscheinlich alle mit der Prideflag schmücken können, muss klar gemacht werden, dass Parteien, die aktiv gegen Queers hetzen, nichts auf der Pride zu suchen haben. Gleiches gilt für Institutionen und Firmen, die das aktiv mittragen oder finanzieren. Deswegen ist die Initiative des Hamburger CSD zu begrüßen, der die CDU aktiv ausgeladen hatte, nachdem deren lokale Parteigliederung der Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ 3.000 Unterschriften übergab, bei der Anfang des Jahres die Initiatorin Homosexuelle pauschal zur Gefahr für die menschliche Evolution erklärte (queer.de berichtete).

  • Lasst uns deswegen gemeinsam ein lautstarkes Zeichen gegen die CDU setzen!



Schmalspurreform Abstammungsrecht

Jürgen Roth, Neue Internationale 272, April 2023

Die Bundesregierung will noch in diesem Jahr das Abstammungsrecht ändern und queere mit heterosexueller Elternschaft gleichstellen.

Aktuelle Rechtslage

Das Abstammungsrecht ist Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), nimmt eine Zuordnung von Kindern zu Eltern vor und verpflichtet jene zur Fürsorge. Es sieht 2 Elternteile vor: Mutter und Vater. Handelt es sich beim ersten, gebärenden Elternteil um einen Transmann, der Vornamen und Personenstand nach dem Transsexuellengesetz (TSG) hat korrigieren lassen, oder eine Person ohne Eintrag bzw. mit „divers“, wird diese in die Geburtsurkunde als „Mutter“ mit altem Vornamen eingetragen. Diese Person existiert nicht mehr, das Kind kennt sie nicht und es gibt auch keinen Pass für sie. Dies führt für die Betroffenen zum Zwangsouting und sorgt so für weitere Folgeprobleme.

Für den 2. Elternteil besteht das Problem, wenn die Mutter mit einer Frau oder einer Person mit dem Eintrag „divers“ oder ohne Eintrag im Personenstandsregister verheiratet ist. Diese Person wird erst gar nicht in die Geburtsurkunde eingetragen. Das Kind hat nur ein Elternteil und nur dieses ist zu Sorge und Unterhalt verpflichtet. Die Mutter gilt rechtlich als Alleinerziehende. Der 2. Elternteil kann nur über ein langwieriges und kompliziertes Adoptionsverfahren, die sogenannte Stiefkindadoption, anerkannt werden. In diesem Beantragungsverfahren müssen allerdings neben gesundheitlichen auch finanzielle und private Fragen beantwortet werden.  Die Vaterschaftsanerkennung beim Standesamt gilt nur für Männer. Bei heterosexuellen Paaren wird der Vater zum Geburtszeitpunkt Elternteil entweder durch die Ehe mit der Mutter oder über eine Anerkennung. Seine biologische Vaterschaft ist dabei unbedeutend.

Der Fall Teichert-Ackermann

Nach langjährigem Zusammenleben entschied sich das lesbische Paar Gesa Teichert-Ackermann und Verena Ackermann für ein Kind. Es handelte sich um eine Risikoschwangerschaft, bei der Gesa eine Embryonenspende erhielt. Das Paar lebte während der Geburt in ständiger Angst, denn das Abstammungsrecht lässt nicht zu, dass Verena als 2. Mutter anerkannt wird. Falls Gesa also etwas zugestoßen wäre, wäre unklar geblieben, was aus ihrer Tochter Paula wird. Um die Anerkennung Verenas als 2. Mutter kämpft das Paar mit Unterstützung durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), einem Verein, welcher sich für die Umsetzung von Grund- und Menschenrechten einsetzt, vor Gericht. Im März 2021 fiel die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle, das derzeitige Abstammungsrecht sei verfassungswidrig und müsse reformiert werden. Derzeit liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung einer Grundgesetzänderung.

Samenspenden mit zweierlei Maß

Ein beträchtlicher Teil der Kinder aus sog. Regenbogenfamilien stammt aus privaten Samenspenden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will das Abstammungsrecht dahingehend ändern, dass zukünftig lesbische oder andere queere Ehepaare, die Samenspenden in Anspruch nehmen, beide Elternteilrechte automatisch erhalten. Nach aktuellem Recht müssen sie dafür das aufwändige Adoptionsverfahren durchlaufen, weil nur ein „Vater“ als nicht gebärender Elternteil vorgesehen ist, während bei heterosexuellen „Vätern“ die biologische Verwandtschaft keine Rolle für die Anerkennung spielt (siehe oben). Diese Ungleichbehandlung soll durch die Reform aufgehoben werden, die automatisch die Eintragung des Personenstandes vorsieht. Das soll aber nur für registrierte, „offizielle“ Samenspenden gelten. Hier verzichtet der Spender auf seine Vaterschaftsrechte und kann das nachträglich auch nicht korrigieren, während bei privaten Spenden die 2. Elternstelle pauschal freigelassen wird. Für einen vermutlich verschwindend geringen Fall der Fälle soll der Samenspender das Recht erhalten, als 2. Elternteil nachzurücken, indem er seine Vaterschaft gerichtlich feststellen lässt. Dies bedeutet für das Kind allerdings eine schlechtere Absicherung.

Hier wird gleich doppelt zweierlei Maß angelegt: Erstens wird der Samenspender nur in queeren Konstellationen privilegiert, denn bei heterosexuellen Paaren ist ja kein genetischer Vaterschaftsnachweis erforderlich, um als Partner die Rechte als 2. Elternteil eingeräumt zu bekommen. Zweitens ist eine offizielle Spende über Samenbanken bzw. Kinderwunschzentren recht teuer, so dass queere Elternschaft zum finanziellen Privileg gerät.

Zu Recht fordern deshalb die Gesellschaft für Freiheitsrechte und queere Paare, dass auch private Spermienspenden ins Samenspendenregister eingetragen werden können, um so eine rechtliche Absicherung des Kindes schon vor der Geburt zu gewährleisten. Dafür kämpfen die Ackermanns. Man muss den Kindern kein 2. Elternteil versagen und kann privaten Samenspendern

trotzdem eine rechtliche Möglichkeit einräumen, im Leben des Kindes eine Rolle zu spielen, z. B. als Patenonkel.

Schmalspurgleichstellung

Auch wenn die vom Justizministerium geplanten Gesetzesänderungen eine Verbesserung gegenüber dem aktuellen Zustand darstellen, so sehr bleiben sie von echter Gleichstellung entfernt. Insbesondere Transpersonen sind weiter stark benachteiligt. Das Standesamt in Berlin-Kreuzberg verweigerte z. B. einer Transfrau den Eintrag als 2. Elternteil. Sie hatte ihren Personenstand inkl. Vornamen nicht nach dem TSG, sondern über das Personenstandsänderungsgesetz vor der Geburt ändern lassen. Selbst das TSG hätte sie nur als Vater in diese Rolle schlüpfen lassen. Aber nun kann sie keine Elternzeit beantragen und bekommt deshalb keine Lohnfortzahlung während ihrer Arbeitspause nach Geburt des Kindes. Sie lebt mit der Kindesmutter, einer nichtbinären Person, und einem Cismann in einer Beziehung, die die drei als queeres Co-Parenting beschreiben. Laut Geburtsurkunde gilt die Gebärende als alleinerziehend mit allen Nachteilen für Kind und alle 3 Elternteile. Mehr als einen vagen Reformplan, dem zufolge sog. Verantwortungsgemeinschaften die Elternschaft von mehr als 2 Personen ermöglichen, gibt es bisher nicht.

Elternschaft: demokratische Forderungen und Klassenforderungen

Es liegt im ureigensten Interesse der Arbeiter:innenklasse, auf allen Gebieten der Unterdrückung und Diskriminierung als Vorreiterin für umfassendste bürgerlich-demokratische Rechte zu agieren. Dies aus 2 Gründen: Zum einen erleichtert es die Einsicht für breite Volksmassen in den Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, wenn persönliche Privilegien abgeschafft werden – hier für heterosexuelle Cispaare. Diese, also damit rechtliche Ungleichbehandlungen, waren Merkmal vorbürgerlicher Klassengesellschaften. Zum anderen schafft es bessere Voraussetzungen für ihre eigene Einheit im Klassenkampf – ohne Unterschiede für Geschlechter, sexuelle Orientierungen, Religionen, Hautfarben oder Nationalitäten.

Diese Gleichheit vor dem Gesetz stellt allerdings fürs Bürgertum das Ende der Fahnenstange dar, fürs Proletariat aber erst den Beginn seiner Klassenemanzipation. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, z. B. auf Abtreibung, kann nur den Ausgangspunkt bilden. Die Arbeiter:innenklasse muss hier für Kostenfreiheit eintreten, während das die Bürgerlichen nicht schert.

Darüber hinaus muss sie nicht nur für sozial gerechte Lösungen innerhalb des Kapitalismus eintreten (bezahlbare Abtreibung), sondern für eine sozialistische Lösung der Frage sozialer Reproduktion, zu der auch Kindeswohl und Elternschaft gehören. Die allgemeine Antwort lautet: Sozialisierung der gesamten Reproduktionssphäre.

Im Unterschied zu den Reformvorhaben, die sich nur auf die bürgerliche Ehe und das Zweielternmodell beschränken und somit die Reproduktion weiterhin als private unangetastet lassen, liegt es im historischen Interesse des Proletariats, als herrschende Klasse mit der Beschränkung von menschlicher Nähe und Intimität auf die Herrschaft der Blutsbande und monogamer Liebe aufzuräumen.

Deshalb: Scheidungsrecht für Kinder von ihren Eltern! Anerkennung von Verantwortungsgemeinschaften ohne Rücksicht auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und ohne Beschränkung der Elternzahl! Für Erleichterung von Adoptionen durch einfache Registrierung auf Wunsch von Eltern und Kindern! Für eine allumfassende gesetzliche Sozialversicherung, die für Kindes- und Erziehendenunterhalt aufkommt!

Diese Forderungen können den Weg für eine zukünftige Gesellschaft ebnen, die sich als Ganzes für Kinder und Eltern verantwortlich fühlt.




Spanien – Vorreiter im Abtreibungs- und Sexualstrafrecht?

Leonie Schmidt, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Die seit 2020 amtierende neoreformistische Regierung im spanischen Staat, bestehend aus sozialdemokratischer PSOE und linkspopulistischer Podemos, hat in diesem Jahr einige Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die verschiedenste Bereiche der geschlechtsspezifischen Unterdrückung betreffen und künftig für mehr reproduktive Rechte und härtere Strafen bei geschlechtsspezifischer Gewalt führen sollen.

Spanien scheint von außen oft eher konservativ und wird auch zuweilen als Macho-Land abgetan, zumal die katholische Kirche gesellschaftlich auch noch sehr präsent ist. In Sachen Antisexismus gibt es jedoch schon seit einiger Zeit ein Umdenken in den Parlamenten. Doch die fortschrittlichen Gesetze kommen nicht von irgendwo her, sie wurden erkämpft.

Was ändert sich?

Besonders auffällig ist das gelockerte Abtreibungsgesetz: So dürfen Schwangere schon ab 16 Jahren ohne elterliches Einverständnis abtreiben, Abtreibungen sind bis zur 14. Woche legal und die 3-tägige Bedenkzeit soll ebenso abgeschafft werden. Außerdem müssen öffentliche Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung über fachkundiges Personal verfügen, welches einen Abort durchführen kann.

Ferner wurde das Sexualstrafrecht verschärft, und zwar gilt nun „Nur Ja heißt Ja“, was eine fortschrittlichere Regelung ist als „Nein heißt Nein“, da nun auch Täter für eine Vergewaltigung verurteilt werden können, deren Betroffene sich nicht wehren oder äußern konnten, sei es aus Schockstarre und Angst oder Bewusstlosigkeit. Dies fiel vorher lediglich unter den Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Konkret heißt es nun im neuen Gesetzesentwurf: Alle Handlungen, die „die sexuelle Freiheit einer anderen Person verletzen“, gelten als Vergewaltigung und können für die Täter bis zu 15 Jahre Gefängnis bedeuten. Konservative kritisieren, dass es nun keine Unterscheidung mehr zwischen Übergriffen und Vergewaltigungen gebe und sehen die Unschuldsvermutung in Gefahr. Auch Catcalling wird nun strafbar insofern, als jegliche Annäherungen in Form eines Flirts von allen Beteiligten gewollt werden müssen und andernfalls als Straftatbestand gelten.

Neben diesen Verschärfungen wurde der sogenannte Periodenurlaub von bis zu 3 Tagen monatlich nun eingeführt. Wenngleich das eine gute Idee ist, ist der Name doch etwas missverständlich, denn in Spanien war es bisher erst möglich, ab 4 Tagen Krankheit eine Lohnfortzahlung vom Unternehmen zu erhalten. Daher wurde hier nur eine Lücke geschlossen. Spanien hat somit als erstes europäisches Land den Periodenurlaub eingeführt. Bisher existieren derartige Regelungen vor allem im asiatischem Raum, bspw. in Taiwan, Südkorea und China. Außerdem soll es nun endlich Verordnungen zur Prostitution in Spanien geben. Diese ist nämlich weder verboten noch legal, was vielen ein Dorn im Auge ist.

Wie kam es dazu?

Wie konnte es nun zu solchen fortschrittlichen Zugeständnissen kommen, während weltweit ein extremes Rollback gegen Frauen und LGBTIA-Personen im vollen Gange ist, insbesondere Abtreibungsrechte reihenweise verschärft werden – siehe Polen und die USA. Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich. Einerseits, wie bereits eingangs erwähnt, wurden die Gesetzesänderungen maßgeblich durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Diese ist ziemlich stark, zu den 8.-März-Protesten gehen landesweit Millionen Menschen auf die Straße. Alleine in Barcelona waren es 2021 über 100.000 Personen.

Die Größe der Bewegung ist insbesondere historisch bedingt, denn während in den späten 1960er und 1970er Jahren in den westlichen Industrieländern der Kampf um Gleichberechtigung und sexuelle Befreiung erstarkte, war in Spanien noch das halbfaschistische Regime Francos an der Macht, in welchem Frauen zu Kinder, Küche, Kirche verbannt waren. Erst 1978 wurde ein Gesetzantrag zur Gleichstellung von Mann und Frau erwirkt, das Recht auf Scheidung gibt es erst seit 1981. Das kollektive Trauma dieser Zeit besteht fort und sorgt auch heute noch für größeres und kämpferischeres Bewusstsein. Bereits in den späten 1990er Jahren konnte ein Gesetz durch Massenproteste ins Rollen gebracht werden.

Diese formierten sich 1997 nach einem Femizid an einer Frau, Ana Orantes, deren Mann sie ermordete, weil sie in einem Fernsehinterview über die 40 Jahre häuslichen Missbrauchs durch ihn an ihr und den gemeinsamen Kindern sprach. Sie hatte sich zuvor sogar an die Polizei gewandt, 15 Anzeigen gestellt. Doch diese wollte ihr nicht helfen, da es keine entsprechenden Gesetze gab, die Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützten. Als die Scheidung nach über 10 Jahren endlich durchkam, musste sie dennoch weiter mit ihm zusammen wohnen.

Die damals konservative Regierung unter der Partido Popular, einer rechtskonservativen Volkspartei, sprach von einem Einzelfall, was nicht unbeantwortet blieb. Unter dem Motto „ Wir sind alle Ana“ gingen damals Tausende auf die Straßen. Im Anschluss wurde 2004 ein erstes Gesetz auf die Beine gestellt, welches weitreichend gegen häusliche Gewalt ankämpfen sollte. Alleine schon die Benennung der geschlechtsspezifischen Gewalt stellte einen großen Schritt nach vorn dar. Außerdem wurden Spezialgerichte für die Verfolgung der Straftaten eingerichtet und Männer, die Frauen Gewalt antun, werden nun durch das Gesetz stärker bestraft als Frauen, die Männern etwas antun, oder Männer, die anderen Männern etwas antun. Seit 2007 wird auch jegliche geschlechtsspezifische Gewalttat statistisch erfasst, was in Deutschland bspw. erst seit 2015 der Fall ist.

Das „Ja heißt Ja“-Gesetz kam vor einem ähnlichen Hintergrund zustande: Nach einer Gruppenvergewaltigung an einer 18-Jährigen durch 5 Männer (welche ihr Opfer zusätzlich filmten) wurden die Täter nur wegen sexueller Belästigung verurteilt, da sie das Opfer nicht schlugen oder bedrohten, und sie sich nicht wehrte. Sie bekamen somit nur 9 Jahre Haft. Jedoch mobilisierten auch 2016 erneut die spanischen Feminist:innen gegen dieses milde Urteil und erzwangen somit dessen Revision. Die Täter wurden nun doch wegen Vergewaltigung verurteilt und sitzen eine 15-jährige Haftstrafe ab. Das neue Gesetz soll auch zukünftig ähnliche Gerichtsurteile ermöglichen und wurde somit de facto durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Außerdem wirkte sich positiv aus, dass auch die Gewerkschaften mit der feministischen Bewegung wahrhaft vernetzt sind und es sich bei vielen 8M-Protesten wirklich um Frauenstreiks handelte, welche mit Streikposten einhergingen und nicht wie bspw. in Deutschland einen rein symbolischen Charakter trugen.

Einige Politikerinnen und Ministerinnen der Regierung PSOE/Podemos entstammen ebenfalls einer Tradition feministischer Proteste und haben sich auch deswegen für diese Belange eingesetzt. Generell ist die reformistische Regierung natürlich auch ein Grund für die Durchsetzung. In Krisenzeiten gibt es zwar klassischer Weise Rollbacks gegen Frauen und LGBTIA-Personen, aber irgendwas muss die linke Koalition trotzdem der mobilisierten Wähler:innenschaft anbieten. Dass es im Rahmen von Krieg, Krise, Umweltkatastrophe und Pandemie nur wenig Spielraum gibt, ist klar. Denn ansonsten ist die Regierung eher weniger linksorientiert, als es eventuell scheinen mag. Die Politik, die gefahren wird, ist durchaus arbeiter:innenfeindlich. So werden bspw. Streiks im Auftrag der Regierung durch Polizei und Militär brutal niedergeschlagen. Insbesondere während der Pandemie zeigten die Politiker:innen ihr wahres Gesicht. So sperrten sie die Arbeiter:innen in ihren Stadtvierteln ein, diese durften sie nur verlassen, wenn sie zur Arbeit fuhren.

Kritik an der Gesetzesänderung

Kritik gab es einige, sowohl aus feministischen Kreisen als auch von rechts. Die Feminist:innen in Spanien sind stark beeinflusst von Andrea Dworkin, welche als Radikalfeministin insbesondere eine abolitionistische Position gegenüber der Prostitution einnahm. Sie sahen sich und das Anliegen eines Sexkaufverbots in den neuen Entwürfen nicht gehört, denn das nordische Modell wurde anfangs nicht eingeplant. Prostitution wurde 1995 in Spanien entkriminalisiert, Zuhälterei ist allerdings strafbar. Anfang Juni wurde jedoch ein Entwurf ins Rollen gebracht, der einem Sexkaufverbot gleichkommt: Das vorgeschlagene Gesetz soll diejenigen bestrafen, die Prostituierte finanziell ausbeuten, für ihre Dienste bezahlen oder wissentlich Räumlichkeiten für die Ausübung der Prostitution zur Verfügung stellen. Wenngleich die PSOE in Spanien sich für dieses, vom „nordischen Modell“ inspirierte Gesetz ausspricht, so ist es alles andere als sicher für die betroffenen Sexarbeiter:innen, denn so werden sie in noch unsicherere Arbeitsverhältnisse gedrängt (ausführlicher Artikel zur Frage siehe Neue Internationale 257, Juli/August 2021). Beibehaltung der Entkriminalisierung, die Möglichkeit für sichere und kostenlose Umschulungen zum Ausstieg sowie gewerkschaftliche Organisation der Sexarbeiter:innen wären aus einer marxistischen Perspektive die deutlich sinnvolleren Mittel gewesen.

Interessant ist auch, dass diese Frage zu einer Spaltung innerhalb der Koalition geführt hat. Die PSOE arbeitet nun bzgl. des Gesetzesentwurfs mit der rechtspopulistischen PP (Partido Popular) zusammen, während sich Podemos dagegen stellt, da er zu moralisierend wäre. Für die feministische Partei Spaniens ist der Vorschlag von PSOE und PP aber dennoch zu unkonkret, sie fordert umfassendere Maßnahmen. Außerdem gab es Proteste mit bis zu 7.000 Frauen, die sich für ein abolitionistisches Gesetz aussprachen.

Auch wenn der Gesetzentwurf ansonsten einen wichtigen Schritt darstellt, so bleibt Sexismus eine strukturelle Unterdrückung im Kapitalismus, welche sich nicht einfach durch Gesetze wegreformieren lassen kann und so auch in Spanien unter der linken Regierung bestehen bleibt: Reproduktionsarbeit wird auch hier weiterhin vornehmlich von Frauen ausgeführt.

Zugleich gibt es natürlich auch Kritik von rechts und aus konservativen Kreisen. Die rechtsradikale VOX, drittstärkste Partei im Parlament, möchte das Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt aus dem Jahr 2004 schon länger abschaffen. Sie ist außerdem gegen die Legalisierung von Abtreibung. Gegen die Veränderung des Abtreibungsgesetzes gingen auch 100.000 Konservative auf die Straße, unter anderem angestachelt durch die Aufhebung von Wade vs. Roe in den USA.

Wie weiter?

Auch wenn in Spanien wichtige gesetzliche Verbesserungen errungen werden konnten, so ist der Kampf längst nicht vorbei. Einerseits findet auch innerhalb der Bewegung ein Kampf zwischen fortschrittlichen und reaktionären Richtungen (siehe die Frage der Prostitution) statt. Die PSOE, aber auch wichtige Strömungen des Feminismus schrecken dabei auch vor einer Zusammenarbeit mit den Konservativen nicht zurück. Andererseits macht die extreme und konservative Rechte gegen alle fortschrittlichen Verbesserungen weiter mobil, wie die Massendemonstrationen der VOX verdeutlichen.

Die enge Verbindung zwischen den feministischen Streiks und der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innenklasse war jedoch nicht nur entscheidend dafür, warum wichtige Verbesserungen überhaupt durchgesetzt werden konnten. Sie ist auch der einzige Weg zur Verteidigung und Ausweitung dieser Errungenschaften und zur Schaffung einer proletarischen Frauenbewegung – nicht nur in Spanien, sondern international.




Situation von trans Personen an Schulen

Theo Morello & Ella Mertens (REVOLUTION, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10

Die Schule ist ein Ort, an dem wir uns alle täglich aufhalten müssen. Für manche trans Personen ist das jedoch Tag für Tag eine Qual. Stell dir vor, du stehst vor den beiden Schultoiletten und blickst von der einen zur anderen! Auf welche sollst du gehen? Was, wenn irgendwer kommt und Fragen stellt, warum du jetzt genau diese Toilette benutzt? Ist es nicht einfacher zu warten, bis du zu Hause bist? Tausende Gedanken, dabei geht’s nur darum, wo mensch auf Toilette geht. Doch das ist nicht alles: Sportunterricht, Klassenfahrten, der Biounterricht, selbst in Musik – überall kommt die starre Einteilung in Mädchen und Jungen vor. Überall wirst du daran erinnert, dass du anders bist als die anderen. Hinzu kommen veraltetes Lehrmaterial und eben Mitschüler_Innen und Lehrpersonal. Klar gibt es viele, die einen unterstützen, sobald man sich geoutet hat. Es gibt Lehrer_Innen, die die Namen nicht verwechseln und Mitschüler_Innen, die das tun. Aber es gibt eben auch die anderen, die Witze über einen machen, mobben und einem/r nicht glauben wollen.

Ein paar Zahlen

Generell sind trans Personen häufiger von Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt und Ausgrenzung betroffen. Im Alter sind z. B. bi- und homosexuelle Menschen häufiger von Armut bedroht als Heterosexuelle. So liegt bei Männern im Alter von 60 bis 90 Jahren die Armutsquote bei Bi -und Homosexuellen um sechs Prozentpunkte höher als bei heterosexuellen Männern (12 Prozent zu 6 Prozent). Als „Armutsgrenze“ gilt dabei 60 Prozent des Nettoeinkommens. Bei Frauen in dieser Altersgruppe ist ebenfalls ein Gefälle zu verzeichnen. Frauen, die sich als homo- oder bisexuell identifizieren, haben mit rund 1750 Euro durchschnittlich 10 Prozent weniger Einkommen zur Verfügung als Frauen mit heterosexueller Orientierung (rund 1950 Euro).

Die Zahlen stammen aus dem Deutschen Alterssurvey und sind nun in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zur sozialen Lage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und intergeschlechtlichen Menschen in Deutschland veröffentlicht worden. (https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/gruene-kritisieren-tatenlosigkeit-des-bundes-altersarmut-unter-queeren-menschen-deutlich-groesser/27089984.html)

Und in der Schule? Positiv ist es, dass für die Änderung des Namens im Klassenbuch oder in Schulausweisen keine rechtlich verbindliche Vornamensänderung erforderlich ist. Die Berliner Senatsverwaltung empfiehlt sogar, dass man trans Personen mit dem selbstgewählten Namen ansprechen sowie die gewünschten Personalpronomen verwenden sollte. Und sonst? 2014 beteiligten sich über 5.000 Jugendliche an einer Umfrage des Deutschen Jugendinstitutes, die sich an LGBTIA+-Jugendliche zwischen 14 und 27 Jahren richtete. Knapp die Hälfte der befragten jungen Trans gab an, an Bildungs- und Arbeitsorten beschimpft, beleidigt oder lächerlich gemacht worden zu sein. Etwa 10 % wurden körperlich angegriffen oder verprügelt. Die Befragten gaben ferner an, dass nur etwa die Hälfte der Lehrer_Innen offen gezeigt habe, dass Schimpfwörter nicht geduldet werden. Die Befragten erzählten weiter, dass etwa die Hälfte der Lehrkräfte gelacht hat, als Witze über LGBTIA+ gemacht wurden, oder sich direkt über Jugendliche, die sich nicht „typisch weiblich/männlich“ verhielten, lustig machte. (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2015/DJI_Broschuere_ComingOut.pdf)

Was dagegen tun?

Uns aufs Leben vorzubereiten – im Kapitalismus. Deswegen werden in der Schulstruktur und im Schulalltag auch Rassismus und Sexismus mehr oder weniger bewusst reproduziert. Das macht den Kampf gegen Transphobie an der Schule nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Konfrontiert man Lehrer_Innen oder Mitschüler_Innen mit ihren Äußerungen, wird man selten ernst genommen. Außerdem ist es mehr als anstrengend, jeden Tag mit Menschen zu verbringen, die die eigene Identität in Frage stellen. Je mehr Ablehnung man erlebt, umso mehr stellt man auch sich selbst in Frage. Deswegen ist’s leichter, sich der Diskriminierung zu stellen, wenn man nicht alleine ist. Eine gute Möglichkeit dazu bietet die Gründung eines Schulkomitees. Im Gegensatz zur institutionellen Schüler_Innenvertretung können dort alle mitmachen, die möchten. Zudem sind wir in diesem Rahmen nicht vom autoritären Schulgesetz abhängig und können uns deswegen politisch positionieren. Im Rahmen eines solchen Komitees ist es dann auch leichter, Aktionen zu starten: zum Beispiel Plakataktionen, wo Kommentare, die man in der Schule abbekommen hat, nochmal aufgeschrieben oder Informationen über trans Identitäten sowie Unterdrückung aufgezeigt werden. Auch ist es sinnvoll, Veranstaltungen zu organisieren, bei denen man gemeinsam mit Mitschüler_Innen über aktuelle Themen diskutieren kann. Beispielsweise über die Wurzeln des Christopher Street Day oder LGBTIA+-Diskriminierung in anderen Ländern, da diese im Unterricht oftmals zu kurz kommen oder erst gar nicht thematisiert werden. Ebenso kann man in so einem Rahmen auch für konkrete Verbesserungen wie geschlechtsneutrale Toiletten und Umkleiden, eine Antidiskriminierungsmeldestelle oder die Mitbestimmung über die Rahmenlehrpläne eintreten. Gibt’s Stress oder geht es darum, sich gegen diskriminierende Lehrer_Innen oder Schulstrukturen zu wehren, ist es auch besser, gemeinsam aktiv zu sein: Ob offene Briefe an Schüler_Innenvertretung oder Öffentlichkeit, gemeinsame Protestkundgebungen oder gar Vollversammlungen zu dem Thema – zusammen organisiert’s sich leichter.

Das Problem an der Wurzel packen

Trotzdem muss uns klar sein, dass Transphobie keine Frage der Bildung ist. Man kann sie nicht wegerziehen. Es gibt nämlich auch Teile der Gesellschaft, die aktiv von dieser Spaltung profitieren. Um Transphobie also in die Geschichtsbücher zu verbannen, müssen wir sie an der Wurzel packen: dem Kapitalismus. Der Ursprung der Diskriminierung von LGBTIA+ liegt nämlich in der geschlechtlichen Arbeitsteilung der bürgerlichen Familie. Diese Familienkonstellation besteht aus einem Mann, der arbeiten geht und die Familie ernährt, und eben aus einer Frau, die den Haushalt schmeißt und die Kinder erzieht. Bestenfalls kann diese dann Teilzeit arbeiten und etwas dazu verdienen. Klar, das erscheint jetzt erstmal nur als Klischee, es wird jedoch durch konservative Politiker_Innen, religiöse Institutionen, Medien oder Werbung tagtäglich reproduziert.

Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die überwältigende Reproduktionsarbeit der Arbeiter_Innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich“ scheint, dass Männer In Fabrik oder Büro arbeiten und Frauen die Hausarbeit verrichten.

Also warten wir auf das Ende der Diskriminierung?

Natürlich nicht. Wir müssen im Hier und Jetzt für konkrete Verbesserungen kämpfen und diese mit dem Kampf gegen das ausbeuterische System verbinden. In den letzten Jahren konnten schon einige Errungenschaften erkämpft werden, auch ist die gesellschaftliche Akzeptanz von trans und inter Personen in den letzten Jahren leicht gestiegen. Allerdings ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu genießen. Zum einen sind noch längst nicht alle Rechte erstritten worden, zum anderen ist auch ein Rollback in Bezug auf Geschlechterrollen zu beobachten. Der politische Rechtsruck, der international verbreitet ist und in Deutschland seinen Ausdruck im Erstarken der AfD findet, stellt eine große Gefahr für die Errungenschaften der LGBTIA+-Bewegung dar. Wir wollen gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle Menschen ungeachtet ihres biologischen oder gesellschaftlichen Geschlechts gleichberechtigt und gefahrenfrei leben können.

Daher fordern wir:

  • Kampf der Diskriminierung an Schule, Uni und im Betrieb! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen trans Personen und LGBTIA+: Für breite Aufklärungskampagnen und Selbstverteidigungskomitees der Unterdrückten in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter_Innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!
  • Das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft (auf Rechtsdokumenten, bei Zugang zu Gesundheitsversorgung und Versicherungsleistungen usw.)!
  • Recht auf Nutzung der sanitären Einrichtungen, die dem angegebenen Geschlecht der Trans Persone entsprechen, sowie der Einrichtung von geschlechtsneutralen sanitären Einrichtungen und Umkleiden!
  • Kostenlose gesundheitliche Beratung und operative, geschlechtsangleichende Behandlung, wenn dies von der betroffenen Person gewünscht wird, auch für Jugendliche! Für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper!



Ungarn: Erneuter Vorstoß gegen LGBTIQ-Personen

Heidi Specht, Neue Internationale 257, Juli/August 2021

Gesetze, die massive Verschlechterungen für LGBTIQ-Personen bedeuten, sind unter der Regierung Viktor Orbáns keine Seltenheit. Mitte Juni ging ein neues Gesetz durch das ungarische Parlament. Ursprünglich drehte sich der Entwurf ausschließlich um sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige und enthielt bereits Maßnahmen wie die Erstellung eines Pädophilenregisters. Kurzfristig gab es jedoch Abänderungen von Fidesz-Abgeordneten, nach denen sich dieses Gesetz klar in die Reihe der LGBTIQ-feindlichen Maßnahmen einordnen lässt.

Das neueste Gesetz

Kurz gesagt geht es darum, LGBTIQ-Personen und ihre Existenz weiter aus dem öffentlichen Raum und dem Bewusstsein zu verdrängen. Nicht nur wird jede aktive Aufklärung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren über Homosexualität, Transsexualität und Geschlechtsanpassung, zum Beispiel im Rahmen von Unterricht oder Vorträgen an Schulen, verboten. Unter-18-Jährige sollen darüber hinaus auch keinen Zugang mehr zu Inhalten erlangen, die diese als Teil der gesellschaftlichen Normalität darstellen. Das beinhaltet Bücher und Filme, kann aber noch wesentlich umfassender ausgelegt werden. Ist das Tragen einer Regenbogenfahne in Gegenwart Minderjähriger noch legal? Brauchen Bibliotheken zukünftig riesige Abteilungen, die Minderjährigen unzugänglich sind? Darf Harry Potter nur noch ab 18 gezeigt werden? Dürfen homosexuelle Paare ihre Kinder noch gemeinsam von der Schule abholen? Diese und andere Fragen werden derzeit heiß diskutiert – das Gesetz birgt massives Potential, die Unterdrückung weiter zu verschärfen.

Allgemein betrachtet bedeutet das, dass eine Generation herangezogen werden soll, in der Queerness nichts Normales ist, in der das hart erkämpfte und immer noch unzureichende Bewusstsein wieder aktiv zurückgebildet wird.

Konkret bedeutet es vor allem für LGBTIQ-Kinder und -Jugendliche eine massive Gefährdung. Ihnen wird die Aufklärung über Geschlechtsidentitäten und sexuelle Vorlieben, die über die „klassische Familie“ hinausgehen, verwehrt. Ihnen wird suggeriert, dass ihre Identität etwas Abnormales und Verbotenes sei. All das passiert in einer Lebensphase, die selbst für viele Cis-Heteromenschen keine einfache ist. Konkret bedeutet es die aktive Gefährdung der geistigen Gesundheit bis hin zu der des Lebens von Kindern und Jugendlichen.

Bisherige Gesetze

Dieses Gesetz reiht sich ein in stetige Angriffe seit inzwischen fast 10 Jahren:

  • 2012 wurde die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau festgelegt.
  • 2013 wurde der Begriff Familie im Grundgesetz neu definiert: „Grundlage der Familienbeziehung ist die Ehe sowie die Eltern-Kind-Beziehung.“
  • 2018 wurde das Studium Gender-Studies verboten.
  • 2020 wurde zuerst die juristische Geschlechtsänderung verboten, indem in allen amtlichen Dokumenten der Begriff „Geschlecht“ durch den Begriff „Geburtsgeschlecht“ ersetzt wurde. Später im selben Jahr wurden Homosexuelle vom Recht auf Adoption ausgeschlossen.

Internationaler Aufschrei

Das neue Gesetz ist ein heißes Thema in der EU – auch das nicht zum ersten Mal. Unterschiedliche Fraktionen und Länder ergreifen Position für oder gegen das Gesetz. Unter den BefürworterInnen ist das Argument stark, die EU habe sich nicht in die innerstaatlichen Gesetze Ungarns einzumischen. Der Hauptfokus der Kritik im In- und Ausland bezieht sich auf die Vermischung von Homosexualität mit Kindesmissbrauch, die durch das neue Gesetz vorgenommen wird. Doch vor Sanktionen scheut man sich immer noch. Bisher belässt man es bei kritischen Worten oder symbolischen Aktionen. Die österreichischen Grünen ließen es sich nicht nehmen, eine Protestaktion an der Grenze zu organisieren – jene Grünen, die in der Regierung mit der ÖVP nicht nur anfangs die EU-Resolution gegen das Gesetz nicht mitunterzeichneten, sondern auch im eigenen Land Regelungen wie das Blutspendeverbot für homosexuelle und bisexuelle Männer mittragen.

Friede, Freude, Regenbogen im Kapitalismus

Nicht nur die österreichischen Grünen üben sich in Scheinheiligkeit. Genau wie Frauenunterdrückung liegt auch die von queeren Menschen im ureigensten Interesse des Kapitalismus. Die bürgerliche Kleinfamilie dient der Reproduktion der menschlichen Gesellschaft im kleinen Rahmen und der Arbeitskraft – und diese wird gefährdet durch jene Menschen, die sich nicht so einfach darin eingliedern lassen. Während in manchen Ländern Zugeständnisse erkämpft wurden, ist die Unterdrückung in anderen Teilen der Welt noch sehr viel ausgeprägter. Doch die Ereignisse in Ungarn führen uns schmerzhaft vor Augen, dass uns jeder erkämpfte Erfolg wieder genommen werden kann. Konservative Kräfte werden immer gegen jene kämpfen, die ihrer Moral nicht entsprechen und das System gefährden. Echte sexuelle Freiheit kann es in dieser Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebaut ist, niemals geben. Die Regenbogenfahne bringt erst dann echte Befreiung, wenn sie während der Revolution getragen wird, die dieses System endgültig zu Fall bringt.




„Neutrale“ UEFA verbietet Regenbogenfarben

Susanne Kühn, Infomail 1153, 22. Juni 2021

Doppelmoral und Doppelbödigkeit dürfen in der Welt des Profifußballs offenbar nicht fehlen. Den jüngsten Akt in diesem Kapitel schrieb die Union der Europäischen Fußballverbände (UEFA) jüngst im Rahmen der EM.

Beim Spiel zwischen Deutschland und Ungarn darf die Münchner Allianz-Arena nicht in den Regenbogenfarben beleuchtet werden. Wörtlich heißt es: „Angesichts des politischen Kontextes dieses speziellen Antrags – eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen nationalen Parlaments abzielt – muss die UEFA diesen Antrag ablehnen.“

Schließlich, so der Verband weiter, sei man „politisch und religiös neutral“. Die Herren – Frauen sind in den Entscheidungsgremien der UEFA praktisch nicht vertreten – halten das vielleicht sogar für eine Art Entschuldigung. Jedoch, die „Überparteilichkeit“ der UEFA erweist sich als Unterstützung für die rechte Orbán-Regierung. Selbst symbolische Kritik an der extrem homophoben Gesetzgebung des ungarischen Parlaments und der Regierung wird auf ihr Geheiß unterbunden.

Das reaktionäre Gesetz

Dabei hat es das am 15. Juni gebilligte Gesetz gegen sog. Homosexuellenpropaganda in sich. Filme, Bücher sowie andere Medien und Darstellungen dürfen Minderjährigen grundsätzlich nicht mehr zugänglich gemacht werden. Dies umfasst nicht nur  Darstellungen in öffentlichen und privaten Medien, sondern im Grunde auch in Bibliotheken. Darüber hinaus wird Aufklärung im Schulunterricht tendenziell illegalisiert. Vorträge zu den Themen Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen dürfen in Zukunft nur noch von Organisationen gehalten werden, die von der Regierung ausgewählt werden.

Das Werbeverbot gegen Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen ist im Gesetz außerdem so weit gefasst, dass theoretisch selbst das Tragen der Regenbogenfahne als „Werbung“ interpretiert und bestraft werden kann. Schließlich werden bewusst Strafverschärfungen für Pädophilie, Kinderschutz und ein Verbot der Propagierung von Homosexualität bei Minderjährigen vermengt, um so dem Ganzen den Anstrich eines vorgeblichen Kinder- und Jugendschutzes zu verleihen.

Schöne Fußballwelt?

Die Einheit der schönen heilen Fußballwelt geht den geschäftstüchtigen Bossen des europäischen Profi(t)fußballs offenkundig über alles. Da passt selbst eine Geste der Stadt München nicht ins Bild. Da wird schon eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben, wie sie der Torwart Neuer trägt, zu einer umstrittenen Sache und Anlass für Ermittlungen.

Die Entscheidung der UEFA wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf den Profisport im Allgemeinen und den Fußball im Besonderen. Schließlich sind Homophobie, Rassismus oder Sexismus leider keine Besonderheit, sondern gehören zum Sport- und Stadionalltag. Ein Coming Out stellt bis heute für viele homosexuelle SportlerInnen, ob Profis oder AmateurInnen, einen angstbesetzten Schritt oder gar einen Spießrutenlauf dar – und zwar nicht nur in Ungarn.

Dass sich viele Spieler des EM-Teams, Spielerinnen des Frauen-Nationalteams, Profis anderer Länder oder KommentatorInnen gegen Homophobie (und auch gegen Rassismus und Sexismus) positionieren wollen, bedeutet zweifellos einen Fortschritt gegenüber den gar nicht allzu lange zurückliegenden Zeiten, als das Thema Homosexualität im Sport vollkommen tabuisiert und unter den Teppich gekehrt wurde.

Da der Fußball wie jede große Sportart vor allem ein gigantisches Milliardengeschäft mit astronomischen Werbeeinnahmen ist, sind auch viele KritikerInnen der UEFA-Entscheidung nicht frei von Doppelmoral, zumal wenn sie aus der Sportwelt, Vereinsvorständen oder gar dem Sponsoring kommen.

So schön ein Beleuchten deutscher Stadien in den Regenbogenfarben auch sein mag, allzu weit über Symbolik hinaus soll der Protest gegen rechte Politik, Homo- und Transphobie, Sexismus und Rassismus nun auch nicht gehen. Schließlich folgt auf die EM die WM 2022 – in Katar. Dort sitzen nicht nur reaktionäre, despotische Machthaber, dort werden nicht nur Frauen, Schwule, Lesben, Transpersonen brutal unterdrückt. In dem Land sitzen auch einige der wichtigsten SponsorInnen und EigentümerInnen des europäischen Vereinsfußballs. Vor allem aber, die WM will sich auch kaum eine/r der Orbán-KritikerInnen entgehen lassen. 2022 will keiner von den verantwortlichen Fußballbossen, keine TV-Anstalt, aber auch keiner der Profis fehlen. Von einer Absage der WM, von einem Boykott mag niemand etwas wissen, auch wenn alle Stadien durch moderne Sklavenarbeit erbaut wurden.

Fans und Vereinsmitglieder

Wenn wir Homophobie, Sexismus Rassismus, Überausbeutung beim Stadienbau und andere Erscheinungen des modernen Profisports wirklich bekämpfen wollen, so dürfen wir uns dabei nicht auf jene verlassen, die gegen Homophobie und andere reaktionäre Verhaltensweisen nur solange einschreiten, als es ihre Geschäftsinteressen nicht schädigt. D. h. wir müssen jene gegen Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und Ausbeutung beim Bau von Sportanlagen organisieren, die keine Geschäfts- und Gewinnabsicht mit dem Sport verfolgen – die Millionen lohnabhängiger Fans und Vereinsmitglieder. Natürlich finden sich auch bei diesen oft reaktionäre Ideen, gegen die linke und fortschrittliche Fans organisiert, aufklärend und offensiv angehen müssen. Aber im Unterschied zu Vereinsbossen und anderen, die beim Milliardengeschäft Profifußball mit absahnen, hat diese Masse kein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung einer Profitmacherei, die untrennbar mit Ausbeutung, Unterdrückung und Doppelmoral verbunden ist.




Wir werden nie wieder schweigen! Solidarität mit Pakistans Frauenbewegung!

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1142, 17. März 2021

Gewalt gegen Frauen und Fälle von Vergewaltigungen in Pakistan hatten sich in den letzten sechs Monaten des Jahres 2020 verdoppelt. Fälle von Kindesmissbrauch hatten sich gar verdreifacht. Dabei müssen wir bedenken, dass das pakistanische System notorisch dafür bekannt ist, sich durch extrem hohe Dunkelziffern auszuzeichnen. Opfer zögern oft, Anzeigen zu erstatten, da sie weiteren Missbrauch durch Polizei, RichterInnen und die Öffentlichkeit fürchten. Darüber hinaus muss in vielen solcher Fälle mit Rache oder Ehrenmorden seitens der eigenen Verwandtschaft gerechnet werden, da wie in Deutschland die meisten Missbrauchsfälle in der Familie stattfinden.

Unter diesen Umständen gingen im vierten Jahr Tausende von Frauen in den urbanen Zentren Pakistans auf die Straße, um beim so genannten Aurat March (Frauenmarsch) ihre Stimme zu erheben. Die Liga für die Fünfte Internationale sieht sich als Teil dieser Bewegung und verteidigt sie bedingungslos gegen jeden Angriff von rechts.

In der Tat war der diesjährige Frauentag eine Demonstration der Stärke und des Stolzes.  Unsere Genossinnen und Genossen, ob männlich, weiblich oder nicht-binär, nahmen überall dort teil, wo Märsche stattfanden. Der Protest war eine Bestätigung dafür, dass der Aurat March „gekommen ist, um zu bleiben“. Trotz der anhaltenden Pandemie hatten sich Tausende versammelt, um demokratische, soziale und individuelle Rechte zu fordern. Diese Forderungen beschränkten sich nicht nur auf die Frauenbewegung. Sie berührten auch die Kämpfe unterdrückter nationaler, religiöser und sexueller Minderheiten.

Selbstbestimmung!

Seit dem letzten Jahr hatten die DemonstrantInnen begonnen, den Slogan mera jism, meri marzi (Mein Körper, meine Entscheidung) zu popularisieren, einen Slogan, den wir aus tiefster Überzeugung unterstützen. Denn wir glauben, dass es die Entscheidung jeder Frau ist, ja die Entscheidung jeder einzelnen Person, einer körperlichen oder geistigen Interaktion zuzustimmen oder sie abzulehnen. Jeder Mensch muss das Recht haben, informierte Entscheidungen in Bezug auf seinen eigenen Körper und seine Handlungen zu treffen, solange sie nicht die Freiheit eines anderen einschränken. Durch die Hervorhebung dieses einfachen Konzepts der Selbstbestimmung ist der Slogan bestens geeignet, um gegen Missbrauch, Belästigung und Vergewaltigung zu kämpfen.

Denn einfach nur ein Ende des Missbrauchs zu fordern, ist zwar völlig richtig, aber eine eingeschränkte Forderung. In diesem Szenario steht immer noch die Beschneidung der Möglichkeiten des/r Missbrauchenden, in die Freiheit einer anderen Person einzugreifen, im Mittelpunkt. Der/die Missbrauchende, meist ein „Er“, bleibt das primäre Subjekt. Mera jism, meri marzi hingegen bringt klar zum Ausdruck, dass Frauen, ja alle, die mit Missbrauch konfrontiert sind wie Kinder, sexuelle Minderheiten und die Unterdrückten im Allgemeinen Subjekte in ihrem eigenen Recht sind. Nur eine Gesellschaft, die dies akzeptiert, wird Frauen als die gleichberechtigten Menschen behandeln, die sie sind. Nur eine Gesellschaft, die sich dieses Verständnis zu eigen macht, kann eine der Voraussetzungen für die Verwirklichung des vollen Potenzials der Menschheit erfüllen. Mera jism, meri marzi ist also eine zentrale demokratische Forderung. Denjenigen, die diese erheben, die Unterstützung oder den Schutz zu verweigern, stellt daher auch den demokratischen Charakter jeder Partei oder staatlichen Institution in Frage, die sich dazu entschließen sollte.

Dies ist der wahre Kontext, in dem sich der diesjährige Backlash gegen den Aurat-Marsch entfaltet hat. Pakistans rechte Mullahs, was auch immer sie behaupten, stehen Frauen keine vollen Menschenrechte zu. In ihrem Gefolge entfalteten rechte JournalistInnen und PolitikerInnen eine schändliche Hetzkampagne. Sie haben gezeigt, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte stehen und obendrein ideologisch bankrott sind.

Reaktionäre Angriffe

Anders als in den Vorjahren unterzogen sie sich in vielen Fällen nicht einmal der Mühe, reaktionäre Positionen gegen die wirklichen Argumente und Forderungen des Marsches zu formulieren. Sie starteten eine Kampagne, die in erster Linie auf Fake News und der Erstellung falscher Inhalte mit Hilfe von Deep-Fake-Technologie basierte.

Erstens: Sie behaupteten, die DemonstrantInnen hätten in Islamabad die französische Flagge getragen. Tatsächlich bezogen sie sich dabei auf die der Women Democratic Front, der Hauptorganisatorin des Aurat-Marschs in der Hauptstadt. Die Farben der Organisation sind rot, weiß und lila und stehen für Sozialismus, Frieden und Feminismus. Die Intention der Rechten war es, die Bewegung so als eine ausländische Verschwörung darzustellen.

Die Wahrheit ist jedoch, dass patriarchale Unterdrückung ein einheimisches Problem ist. Gleichzeitig ist es aber natürlich eines, das sich nicht nur auf Pakistan beschränkt. Frauenunterdrückung ist ein globales Problem und Teil des patriarchalischen Kapitalismus. Deshalb kämpfen und protestieren Frauen auf der ganzen Welt schon seit mehr als einem Jahrhundert gemeinsam gegen ihn. Das Datum des internationale Frauentags, der 8. März, geht einerseits auf einen Streik der von New Yorker Textilarbeiterinnen im Jahr 1857 zurück. Andererseits erhielt dieses Datum wegen der Februarrevolution internationale Bedeutung, nachdem russische Frauen im Jahr 1917 eine Revolution gegen Imperialismus, Ausbeutung und Krieg begonnen hatten. In den folgenden Jahren wurde der Frauentag, der bereits 1911 zum ersten Mal international begangen wurde, immer am 8. März gefeiert.

Die demokratischen Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten sind also keine westliche Verschwörung, wie es die Rechten in Pakistan darstellen. Sie sind hart erkämpfte Zugeständnisse, die den Händen der gleichen Art von mächtigen Männern und den herrschenden Klassen im Westen  entrissen wurden, die auch in Pakistan Frauen unterdrücken. Unsere Bewegung sollte nicht defensiv mit dieser Tradition des Internationalismus umgehen. Stattdessen müssen wir sowohl uns selbst als auch die pakistanische ArbeiterInnenklasse und Frauenbewegung über unsere stolzen Traditionen aufklären.

Wenn die Rechten jedoch die „ausländische“ Karte spielen, nutzen sie auf demagogische Weise  reale Gefühle des Leidens unter vergangener und gegenwärtiger imperialistischer Herrschaft aus. Dennoch wird ihre Heuchelei sofort offensichtlich, wenn wir das Schweigen dieser selbsternannten „AntiimperialistInnen“ zu Fragen des tatsächlichen Imperialismus betrachten. Diese FundamentalistInnen erhielten ihre Waffen in den 1980er Jahren von den US-Geheimdiensten, beziehen ihre Gelder von saudischen Aristokraten, schweigen zu der heutigen tatsächlichen wirtschaftlichen Vorherrschaft des chinesischen und US-amerikanischen Kapitalismus in Pakistan und verteidigen gleichzeitig lauthals Gesetze wie Abschnitt 377, die von den britischen KolonialherrInnen auf den Subkontinent gebracht wurden (Red.: Abschnitt 377 ist das so genannte „Sodomie-Gesetz“). Für sie bedeutet „Antiimperialismus“, demokratische Rechte vorzuenthalten und Frauen in Fesseln zu legen.

Die Wahrheit ist also, dass die imperialistische Herrschaft durch kein rechtsnationalistisches Konzept überwunden werden kann. Dessen Politik ist immer dazu verdammt, im besten Falle antiimperialistisch in Worten zu sein, während seine tatsächliche Politik in Abhängigkeit von dem einen oder anderen imperialistischen Lager verbleibt. Der Imperialismus kann nur durch einen internationalistischen Kampf der Unterdrückten weltweit überwunden werden. In diesem Kampf spielt die pakistanische Rechte eine zerstörerische Rolle und faktisch dem Imperialismus in die Hände.

Zweitens behaupteten die Mullahs, dass die Ausstellung eines roten Tuchs mit der Aufschrift „Ich war neun, er war fünfzig. Ich wurde zum Schweigen gebracht, seine Stimme ist heute noch in der Moschee zu hören“ ein Akt der Blasphemie sei. Dies, so sagen sie, sei eine Anspielung auf den Propheten (Friede sei mit ihm) und seine (dritte) Frau Aisha. Dies ist jedoch eine Lüge. Das genannte Tuch bezog sich auf einen Qari (Red.: Schriftgelehrter), der ein junges Mädchen belästigt hatte, das zum letztjährigen Aurat March kam. Es war Teil einer Protestaktion in Lahore, bei der Opfer von Missbrauch, Belästigung und Vergewaltigung gebeten worden waren, Hemden aufzuhängen oder auf roten Schals über ihre Erfahrungen zu schreiben.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass eine große Zahl von Mullahs in Pakistan ihre Machtposition ausnutzt, um Kinder psychisch, physisch und sexuell zu missbrauchen. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von den überwiegend männlichen Geistlichen in anderen Ländern oder anderer Konfessionen. Dies ist keine Frage des Glaubens. Es ist eine Frage von mächtigen Männern, die das Vertrauen, das eine abhängige Gemeinschaft in sie setzt, ausnutzen und verletzen. Wenn jemand eine Sünde begangen hat, dann sind es diese Männer, die ihre eigenen Verbrechen gegen die Gemeinschaften, die sie zu vertreten vorgeben, zu vertuschen suchen, indem sie falsche Informationen herstellen oder verbreiten.

Drittens war ein Video des Marsches in Karatschi mit Bearbeitungsprogrammen gefälscht worden. Wo DemonstrantInnen in Wirklichkeit „Mullahs müssen auch zuhören“ riefen, hieß es nun „Allah muss auch zuhören“. Dies ist ein weiterer Versuch, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Schuldigen abzulenken. Was der Aurat March fordert, ist, dass auch Mullahs zur Verantwortung gezogen werden müssen. Sie sind Menschen wie der Rest von uns und dürfen keine besonderen Privilegien genießen. Dass sie es wagen, sich der Rechenschaftspflicht zu entziehen, indem sie ihren Namen mit dem Allahs, subhanahu wa ta-ala, gleichsetzen, ist beschämend, geschmacklos und respektlos gegenüber den muslimischen Gemeinschaften, die sie zu vertreten vorgeben.

Doch wo Worte nichts mehr nützen, kommt Gewalt ins Spiel. Und das ist es, was diese Rechten im Sinn haben. Das ist der Grund für die Todesdrohungen der pakistanischen Taliban gegen die OrganisatorInnen des Aurat March. Unfähig, die tägliche Gewalt in ihren Häusern weiter zu verbergen, die durch die Enthüllungen, Slogans und Forderungen des Marsches offengelegt wird, drohen sie nun damit, die Gewalt auf die Straße zu bringen. Dass dies die Wahrheit ist, zeigte ein Angriff auf Mitglieder der Progressive Youth Alliance durch den fundamentalistischen Studentenflügel Islami Jamiat-e-Talaba, nur weil erstere einen Stand gegen sexuelle Übergriffe auf einem Campus in Karatschi organisiert hatten.

Perspektiven und Aufgaben

Hier müssen wir für einen Moment innehalten. Womit drohen sie uns eigentlich? Sie drohen uns, damit wir die Gewalt wieder im Geheimen ertragen. Das bedeutet aber unweigerlich, dass diese weitergeht. Das ist keine Option für uns! Wir werden nie wieder zum Schweigen gebracht werden.

Damit eröffnet sich aber ein wichtiges Szenario. Es zeigt, dass sich diese Kräfte einerseits ernsthaft bedroht fühlen. Und in der Tat, auch wenn der Aurat March heute kein sozialistisches Programm vertritt, hat es die Bewegung erfolgreich geschafft, ein wachsendes kollektives Bewusstsein von Frauen für patriarchale Unterdrückung quer durch alle Klassen zu schaffen. Dies ist eine echte Errungenschaft, die niemand leugnen kann.

Dennoch ist die Bewegung eindeutig nicht auf eine direkte Konfrontation mit rechten Kräften vorbereitet. Der ideologische Einfluss, den der Aurat March hat, ist groß, aber er muss genährt werden. Währenddessen sind die realen organisatorischen Kräfte keinesfalls vergleichbar mit jenen der Rechten. Wir dürfen zwar keine Position aufgeben, müssen aber sozusagen die Schützengräben sichern.

Praktisch bedeutet das, sich auf die Umwandlung der wachsenden Sympathien von Frauen aus der ArbeiterInnenklasse und den unterdrückten Klassen in echte Unterstützung, Beteiligung und schließlich Führung der Frauenbewegung zu konzentrieren. Das wird natürlich bedeuten, die aufgebauten Verbindungen zu den Gemeinden und Organisationen der ArbeiterInnenklasse zu vertiefen. Aber mehr als das, es wird auch bedeuten, die Probleme, Forderungen und Strategien der arbeitenden Frauen in den Vordergrund zu stellen. Aktuelle Bewegungen wie die der Gesundheitsarbeiterinnen im Punjab sind es, mit denen wir uns auseinandersetzen und letztlich verbinden müssen.

Einige haben kritisiert, dass der Aurat March nur eine eintägige Veranstaltung ist. Und ja, das ist ein Problem. Aber wir müssen diese Frage pro-aktiv begreifen. Als SozialistInnen glauben wir nicht, dass uns Kritik allein weiterbringen wird. Stattdessen rufen wir alle, die eine Bewegung arbeitender Frauen aufbauen wollen, dazu auf, unsere Kräfte, Erfahrungen und bereits bestehenden Versuche zu bündeln. Denn die einzige Kraft, auf die wir letztlich vertrauen können, ist die unsere.

Aufgrund unserer eigenen heutigen Schwäche ist es verständlich, dass Führungspersönlichkeiten und Personen des Aurat March, die zur Zielscheibe von Todesdrohungen durch die pakistanischen Taliban geworden sind, den Staat um Schutz gebeten haben. Wir erkennen an, dass sie jedes Recht haben, um rechtlichen und persönlichen Schutz zu bitten. Ebenso denken wir, dass Eröffnung von Verleumdungsklagen gegen TäterInnen, die Fake News verbreiten, um Lynchmorde zu provozieren, eine berechtigte Taktik sein kann. Nicht primär deswegen, weil so in der Zukunft derartige gestoppt werden können. Vielmehr deswegen, weil ein solcher Prozess genutzt werden kann, um der gesamten Nation medienwirksam alle Fakten darzulegen, inklusive der größten Wahrheit, dass die rechten Mullahs Lügner sind.

Wir müssen jedoch davor warnen, dass der pakistanische Staat selbst für Frauen der oberen Mittelschicht bestenfalls ein wankelmütiger Freund ist. In der Tat ist er für die breite Masse der Frauen überhaupt kein Freund. Auch wenn sich viele dessen bewusst sind, ist es wichtig, dies vollständig zu verstehen, es wirklich zu verinnerlichen, damit unsere Bewegung die richtigen Prioritäten setzen kann. Und manchmal ist das Einzige, was uns die Kraft gibt, das Richtige zu tun, uns einer beängstigenden Situation bewusst und mit aller Klarheit zu stellen.

Ungeachtet dessen ist Moral von großer Wichtigkeit. Oft entscheidet sie über den Ausgang einer Auseinandersetzung. Gemeinschaft und Solidarität zu erleben, ist das, was so vielen unserer Kämpfe Leben einhaucht. Aus diesem Grund appellieren wir an die Frauen- und ArbeiterInnenbewegung der ganzen Welt, sich mit unserer Bewegung zu solidarisieren. Wir bitten Euch, Diskussionen über unseren Kampf zu führen, Artikel über unsere Kämpfe zu veröffentlichen, Proteste zu organisieren und Botschaften der Solidarität zu senden.

Die größte Stärke unserer Bewegungen war es immer, gemeinsam zu kämpfen, in Solidarität voneinander zu lernen in unseren gemeinsamen Kämpfen gegen Unterdrückung, Kapitalismus und Imperialismus. Wir werden nicht zulassen, dass die pakistanische Rechte uns unserer größten Stärke beraubt. Wir werden nie wieder schweigen!




Die Unterdrückung von Transpersonen

Internationales Exekutive Komitee (IEK) der Liga für die Fünfte Internationale, April 2019, Infomail 1112, 28. Juli 2020

Vorbemerkung zur deutschen Übersetzung

Im Folgenden veröffentlich wir eine Resolution unserer internationalen Strömung zum Kampf gegen die Unterdrückung von Transpersonen Wie viele andere stehen auch wir vor dem Problem, die Begriffe „sex“ und „gender“ angemessen in die deutsche Sprache zu übersetzen. Während sich im Englischen in den letzten Jahrzehnten der Begriff „sex“ für das biologische Geschlecht einer Person etabliert hat, bezieht sich „gender“ auf das soziale Geschlecht, auf die gesellschaftlich geprägte Geschlechterrolle. Wenn von Geschlechtsidentität gesprochen wird, wird in der Regel auch der Begriff „gender“ verwendet. Wir versuchen, in der Übersetzung diesen Unterschied deutlich zu machen. Wenn wir von Geschlechterrolle oder Geschlechtsidentität sprechen, so bezieht sich das auf das englische „gender“.

Definition unserer Begrifflichkeiten

In dieser Resolution werden wir den Begriff Trans in Bezug auf Transpersonen verwenden, d. h. diejenigen, die erklären, dass ihr subjektives Bewusstsein über ihre Geschlechterrolle oder ihre Geschlechtsidentität im Widerspruch zu ihrem biologischen Geschlecht steht. Entsprechend möchten Transpersonen hinsichtlich ihrer subjektiven Geschlechtsidentität bezeichnet werden, d. h. als Frauen oder Männer, als „genderqueer“, „nichtbinär“, „genderfluid“, „agender“ oder durch andere in den jeweiligen Sprachen verwendete Begriffe.

Das Wort „Trans“ wurde erstmals 1971 verwendet. Zumindest im Englischen hat es den Begriff „transsexuell“ weitgehend ersetzt, der in den 1940er Jahren aufkam und in vielen Bereichen als Bezeichnung für diejenigen verstanden wurde, die medizinische Eingriffe vorgenommen hatten oder vornehmen wollten, um die äußeren Erscheinungsformen ihres Geschlechts denen des anderen Geschlechts anzugleichen.

Die Haltung von KommunistInnen, der ArbeiterInnenbewegung und in der Tat aller konsequent demokratischen oder sozial fortschrittlichen Menschen sollte darin bestehen, den Wünschen von Transpersonen in Bezug darauf, wie sie im gesellschaftlichen Leben und als StaatsbürgerInnen betrachtet werden wollen, zu entsprechen. In dieser Hinsicht ist unsere Einstellung die gleiche wie gegenüber der Verteidigung der Rechte von Frauen, homosexuellen und bisexuellen Menschen auf Gleichheit und Respekt.

Sexuelles oder soziales Verhalten, Kleidung usw. dürfen nicht einem Schein-„Recht“ anderer untergeordnet werden, die sich auf Grund von Vorurteilen, religiöser oder sonstiger Art, dadurch beleidigt fühlen könnten. Es sollte weder rechtlichen noch individuellen Bestrafungen unterliegen und schon gar nicht Misshandlungen ausgesetzt sein. Wir sprechen uns auch dagegen aus, es als eine psychische Störung einzustufen. Der Wunsch von Transpersonen, mit den Namen, der Bezeichnung und den Pronomen ihrer Wahl angesprochen zu werden, sollte als selbstverständlich respektiert werden. Die bewusste Weigerung, dies zu tun, sollte als unterdrückendes Verhalten (Transphobie) angesehen und in der ArbeiterInnenbewegung keinesfalls toleriert werden.

MarxistInnen sind jedoch ebenso wenig verpflichtet, die Behauptungen der Transtheorie, der Queertheorie usw. wie auch die verschiedenen Theorien, die als Feminismus oder Theorien der Schwulen- und Lesbenbewegungen bekannt sind, kritik- und vorbehaltlos zu akzeptieren. Subjektive Erfahrungen von Unterdrückung und Ausbeutung verdienen die respektvolle Aufmerksamkeit, sie bringen an sich noch keine korrekte Theorie oder ein Programm für Befreiung hervor. Die Einteilung in bipolare Geschlechter wird weder durch die Existenz intersexueller Menschen (d. h. Menschen mit biologischen Merkmalen beider Geschlechter) oder erst recht nicht durch Behauptungen einiger TranstheoretikerInnen über die Existenz weiblicher Gehirne in männlichen Körpern oder umgekehrt widerlegt. Selbstverständlich darf dies jedoch im Umkehrschluss in keinem Fall zur Verweigerung gleicher Rechte führen.

Als historisch-dialektische MaterialistInnen erkennen MarxistInnen die objektive Existenz bipolarer Geschlechter als Teil unserer Spezies an, die (wie bei den meisten anderen Spezies) für die Reproduktion notwendig ist. Welch zukünftige Möglichkeit (oder Wünschbarkeit) der medizinischen Wissenschaft auch immer uns womöglich in die Lage versetzen werden, diese biologische Determination zu überwinden, sie existiert heute und ihre „Überwindung“ stellt weder für die Überwindung der Klassengesellschaft noch für die damit einhergehenden sozialen Unterdrückungen eine Bedingung dar.

Unsere Spezies zeichnet sich jedoch auch durch soziale und kollektive Organisation und Bewusstsein sowie durch individuelles Bewusstsein aus, auf welches und durch welches die biologischen Faktoren wirken. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in verschiedenen Formen der Vorklassen- und dann der Klassengesellschaft mit ihrer Produktionsweise haben gesellschaftliche Ideologien geschaffen, die Formen des kollektiven Selbstbewusstseins rechtfertigen und fördern. Diese werden durch die ideologischen Konstrukte von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ verkörpert. Man kann diese als „Rollen“ oder „Identitäten“ bezeichnen, solange anerkannt wird, dass sie weder ein spontaner Ausdruck des inneren Wesens eines Individuums noch eine unvermittelte Darstellung der Biologie sind, sondern von der patriarchalen Rechtfertigung der Frauenunterdrückung überlagert werden.

Weder die biologische Definition von Geschlecht noch die weit verbreitete Dominanz sozialer Rollen sollten verdinglicht und aus ihrer interagierenden, widersprüchlichen und verschmelzenden Entwicklung über historische Epochen hinweg herausgelöst werden. Unter dieser Voraussetzung können wir das Wort Gender (soziales Geschlecht) verwenden, um die von der Gesellschaft erwartete und von Kindheit an verinnerlichte soziale Rolle der bipolaren Geschlechter zu beschreiben. Bis in die letzten Jahrzehnte war es in der englischen Sprache lediglich ein Synonym (oft ein Euphemismus) für Geschlecht (engl. „sex“), das in diesem Sinne oft in offiziellen Dokumenten auftaucht.

Zu beobachten ist, dass sich eine Reihe von Menschen subjektiv nicht mit dem Gender (sozialem Geschlecht) identifiziert, das mit ihrem biologischen Geschlecht kongruent ist. Wie viele dies tun bzw. welchen Anteil der Bevölkerung sie ausmachen, wurde lange durch Unterdrückung und Repression verdeckt. Viele von ihnen empfinden das, was medizinisch als „Geschlechtsidentitätsstörung“ bezeichnet wird, darunter auch die sog. „Körperdysphorie“ (Unbehagen mit dem eigenen Körper). Dies wurde (und wird immer noch) weithin als medizinische Erkrankung (oder psychische Störung) angesehen und als solche behandelt, oft auch ohne die Zustimmung der jeweiligen betroffenen Person. In diesem Punkt finden sich Parallelen zur Haltung gegenüber Homosexualität. Und auch wenn Transpersonen (wie auch Schwule und Lesben) im Einzelfall unter medizinischen/psychologischen Erkrankungen leiden können und dies auch tun, dürfen diese nicht von der tiefen sozialen Stigmatisierung und Intoleranz losgelöst betrachtet werden, mit der Transpersonen in der Familie, der Schule, am Arbeitsplatz und im sozialen Leben im Allgemeinen konfrontiert sind.

Transunterdrückung

In den letzten Jahren sind Diskriminierung, Stigmatisierung und Gewalt, die sich gegen Transpersonen richten, in der Öffentlichkeit viel stärker wahrgenommen worden, da Transpersonen sich gegen ihre Unterdrückung zur Wehr setzen. In einer Reihe von Ländern sind Gesetze verabschiedet oder reformiert worden, die Rechte von Transpersonen anerkennen und Diskriminierung abbauen. Dies gilt für einige, wenn auch nur wenige, westliche imperialistische Länder wie Dänemark, das 2014 die Selbstdefinition legalisiert hat. In den meisten europäischen Staaten, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien, ist jedoch für eine Änderung der rechtlichen Eintragung ein medizinischer „Beweis” – zum Beispiel über das Vorliegen einer Geschlechtsidentitätsstörung – erforderlich. Auch in einigen Halbkolonien wie Argentinien, Indien, Pakistan und Nepal wurden rechtliche Liberalisierungsmaßnahmen verabschiedet, was jedoch keineswegs bedeutet, dass die reale und ernste soziale Unterdrückung von Transpersonen überwunden ist.

Ungeachtet der rechtlichen Reformen haben in den meisten Ländern die Ungleichheit und Diskriminierung bei der Arbeit und in Bezug auf BürgerInnenrechte, die Stigmatisierung durch die Medien, soziale Ächtung, Missbrauch und Hassverbrechen keineswegs abgenommen. Der Rechtsruck in der Weltpolitik und der Aufstieg der radikalen Rechten bedrohen vielmehr die begrenzten Rechte, die Transpersonen erkämpft haben (ebenso wie sie die Errungenschaften von Frauen, Lesben und Schwulen oder die Erfolge der sexuellen Befreiung bedrohen). Alle diese Gruppen sind häufiger Ziel von Gewalt und Übergriffen als Heterosexuelle, mit extrem hohen Dunkelziffern und sogar gezielten Tötungen (vor allem in Brasilien, Mexiko und den USA).

Wie praktisch alle Formen der sozialen Unterdrückung betrifft auch die Transunterdrückung Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten in ungleicher Weise. Rechtsreformen und Gleichstellungsforderungen gehen Hand in Hand mit der fortwährenden Ausgrenzung im öffentlichen Leben, am Arbeitsplatz, bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle oder in der Familie (bis hin zum Abbruch aller familiären Bindungen und der Vertreibung aus dem Elternhaus). Die bipolaren Geschlechterstereotypen, die ein reaktionäres Frauenbild fördern, stigmatisieren auch Transpersonen, transsexuelle, intersexuelle und homosexuelle Menschen als „unnatürlich”, „abweichend“, „Pädophile“, „Vergewaltiger“ usw. Darüber hinaus hat der Aufstieg einer sozial reaktionären populistischen Rechten, die oft mit religiösem Fundamentalismus verbündet ist, die Hetze gegen Transsexuelle in vielen Gesellschaften verstärkt.

Bis vor wenigen Jahrzehnten wurde Transgenderismus/Transsexualität nicht als Ausdruck der eigenen Geschlechts- bzw. Gender-Identität, sondern als pathologische medizinische und psychologische Abweichung begriffen. Die Tatsache, dass in einigen Kulturen oder historischen Perioden, wenn auch in kulturell begrenzten Kontexten, Transpersonen gesellschaftlich akzeptiert waren, ändert nichts an der Tatsache, dass systematische Diskriminierung heute in allen Ländern existiert. In einer Gesellschaft, in der alle Formen der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentitäten, die von der Heterosexualität abweichen, systematisch unterdrückt werden, ist es unvermeidlich, dass Menschen, die von dieser Norm abweichen, als „abnormal“ erscheinen. In Wirklichkeit ist die Kategorisierung von Transgenderismus als Krankheit selbst eine Form von Diskriminierung, Stigmatisierung und Transphobie.

Die bürgerlichen Gesetzesreformen der letzten Jahrzehnte haben in einigen Ländern zu einer Verbesserung der Situation von Transpersonen geführt und mehr Menschen ermutigt, sich zu äußern, Geschlechtsumwandlungen und Anerkennung ihrer Identität anzustreben bzw. durchzuführen. Dennoch ist die systematische Diskriminierung erhalten geblieben und ihre Wurzeln können im Kapitalismus nicht beseitigt werden. Es muss auch angemerkt werden, dass in Ländern wie dem Iran das „Problem“ der Homosexualität oder besser gesagt ein Problem, welches durch religiöse Gesetze verursacht wird, die die Todesstrafe dafür vorsehen, durch die Anerkennung von Transgenderismus und die Vorschrift chirurgischer und anderer Verfahren zur „Wiederherstellung“ des „wahren“ Geschlechts eines Homosexuellen in perverser Weise „gemildert“ wurde. SozialistInnen verurteilen diese unmenschliche Politik. Sie enthüllt lediglich, dass die Befreiung von Frauen, Transpersonen und Homosexuellen untrennbar miteinander verbunden ist.

Wurzeln der Unterdrückung

Die Unterdrückung von Transpersonen beruht ebenso auf der sexuellen und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Gesellschaft wie auf der Existenz der bürgerlichen Familie und der ihr inhärenten Frauenunterdrückung. Während der Entstehung und Entwicklung der Klassengesellschaft entstand eine Arbeitsteilung, die sich auf die Kindererziehung, die Hausarbeit (Kochen, Putzen) und die Sicherstellung der patrilinearen Eigentumsübertragung bezog. Damit einher ging der Ausschluss der Frauen vom politischen Leben.

Auch wenn sich die Formen dieser Unterdrückung bei Ablösung einer sozialen Formation durch eine andere ständig verändern, zieht sich die Frauenunterdrückung im Gegensatz zu anderen Formen sozialer Unterdrückung, wie z. B. der nationalen, durch alle Klassengesellschaften. Die jeweilige Familienstruktur bildet auch einen Reproduktionsmechanismus und Transmissionsriemen für die vorherrschenden Geschlechterrollen, Stereotypen, sozialen Normen und Zwänge.

Im Kapitalismus bildet die bürgerliche Familie eine zentrale Institution für die Vermittlung und Reproduktion der reaktionären, heteronormativen Geschlechterrollen, Geschlechtsidentitäten und heterosexuellen Orientierung auf der Grundlage der sexuellen bzw. geschlechtlichen Arbeitsteilung. Diese werden durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Moralvorstellungen, Rechtsauffassungen und Werte weiter gestärkt. Neben der Familie werden sie über religiöse Institutionen, Medien und Bildungseinrichtungen vermittelt und durchdringen auch die vorherrschenden Konzepte der Medizin, Biologie und Sozialwissenschaften.

Die Trennung und das Entgegenstellen der Produktions- und Reproduktionssphären ist typisch für den Kapitalismus. Sie manifestiert und reproduziert sich in der Institution der bürgerlichen Familie – trotz all ihrer unterschiedlichen Formen und trotz der Tendenzen des Kapitalismus, sie zu untergraben. Ein wesentlicher Faktor für die ideologische Verklärung und Rechtfertigung der Familie ist, dass sie als eine natürliche, über der Geschichte stehende Institution erscheint, als Ausdruck der „menschlichen Natur“. Obwohl Geschlechterrollen, sexuelle Praktiken und Geschlechtsidentitäten gesellschaftlich determiniert sind und sich im Laufe der historischen Entwicklung ständig verändern, erscheinen die herrschenden Normen immer als „natürlich“, während andere als „unnatürlich“, pathologisch oder sogar destruktiv geächtet werden.

Die Tatsache, dass die Unterdrückung von Transpersonen zu einem politischen Thema geworden ist, ist selbst das Ergebnis sozialer Kämpfe, insbesondere der Frauenbewegung, des Kampfes für die Befreiung von Schwulen und Lesben und für sexuelle Befreiung. All diese Kämpfe stellten traditionelle, scheinbar natürliche Geschlechterrollen und heteronormative Sexualität in Frage. Auf der anderen Seite haben diese Bewegungen aber auch Ideologien hervorgebracht, die ihrerseits falsche, weil einseitige Darstellungen des Verhältnisses zwischen biologischem Geschlecht, gesellschaftlich aufgezwungenen Rollen und dem Bewusstsein der Geschlechtsidentität enthalten, die heute die Ideologien der feministischen Bewegung und der radikalen TransaktivistInnen prägen. Wie alle einseitigen, idealistischen und/oder mechanischen Sichtweisen führen auch diese zu falschen politischen Schlussfolgerungen einschließlich falscher Taktiken oder Forderungen, die für den Befreiungskampf kontraproduktiv sind.

Grob und einfach ausgedrückt gibt es zwei „Pole“ in der Diskussion. Der eine, zu dem wichtige Teile und IdeologInnen der feministischen Bewegung gehören, betrachtet Geschlecht als etwas biologisch Gegebenes und Gender als unterdrückende, gesellschaftlich aufgezwungene Geschlechterrollen oder Stereotypen und damit als nicht „real“. Daher erscheint die Existenz von Transpersonen radikalen FeministInnen als eine Stärkung und sogar eine Art Verherrlichung repressiver Geschlechterrollen. Ein Gegensatz zwischen dem biologischen Geschlecht und der Geschlechtsidentität, d. h. dem Bewusstsein, dass die eigene Geschlechtsidentität im Widerspruch zum biologischen Geschlecht steht, kann dann nur als „Abweichung“, „Perversion“ oder „Krankheit“ oder als männlicher Angriff auf die hart erkämpften Rechte der Frau erscheinen. Es gibt jedoch auch einen Trend im radikalen Feminismus, der Geschlechterrollen als biologisch begründet betrachtet und Weiblichkeit für die mit ihr verbundenen positiven Eigenschaften wie Friedfertigkeit und Kooperation preist, denen männliche Eigenschaften wie Aggressivität und Konkurrenzdenken gegenübergestellt werden.

Die vorherrschenden Strömungen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Frauenbewegung verkörpern eine Tendenz zur klassischen Identitätspolitik und zur rigiden Herleitung von Geschlechterstereotypen aus biologischen Merkmalen. Ein repressives Verhältnis zwischen den Geschlechtern, das sich durch alle Gesellschaften gleichermaßen (nicht zwischen den Klassen) zieht, erscheint ihnen als das wesentliche Merkmal und Verhältnis aller bisherigen Geschichte (manchmal eklektisch mit Antikapitalismus oder Antirassismus verbunden, z. B. in der Triple Oppression Theory). Die Ideologisierung bestimmter Merkmale von Frauen hat immer die Tendenz, diese als überhistorische, natürliche Merkmale darzustellen (eine Tendenz, die sogar AutorInnen in der kommunistischen Bewegung wie Alexandra Kollontai beeinflusst hat).

Die Queer Theory, auf die sich viele radikale Trans-AktivistInnen und neuere feministische Strömungen stützen, hat zu Recht (z. B. Judith Butler in „Das Unbehagen der Geschlechter“) auf die Schwächen der Identitätspolitik hingewiesen und insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass das Verständnis von „Frau“ oft genug auf der Realität weißer, akademisch gebildeter Frauen der Mittelschicht basiert. Daher rührt die Unterstützung für die Queer Theory in wesentlichen Teilen der antirassistischen und schwarzen Frauenbewegung. Aber die Queer Theory und viele der Trans-AktivistInnen, die ihren Aktivismus darauf gründen, stellen der traditionellen feministischen Bewegung eine nicht minder einseitige Theorie entgegen.

Die Queer Theory erklärt das biologische Geschlecht als solches zu einer Konstruktion. Für Butler zum Beispiel ist es das Kant’sche „Ding an sich“, das wir letztlich nicht erkennen können. Sexismus und Heteronormativität erscheinen nicht als ideologischer Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Unterdrückung, die auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruht, sondern sie werden zur Ursache der Unterdrückung erklärt. Die „heteronormative Matrix“, das „binäre“ Bild der Geschlechter, produziert tatsächlich „die Geschlechter“, so wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Ergebnis des Geschlechterdiskurses erscheint und nicht umgekehrt. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird somit nicht mehr als Ursache und Reproduktionsmechanismus der Frauenunterdrückung angesehen.

Gleichzeitig und auch in Bezug auf die damit verbundene Praxis macht diese idealistische Sichtweise auch die Wurzel der Frauenunterdrückung (geschlechtsspezifische Arbeitsteilung) zu einer zweitrangigen Frage. Der eigentliche Kampf darf sich nicht gegen die materiellen Wurzeln der Frauenunterdrückung richten, sondern gegen den herrschenden Diskurs über biologisches und soziales Geschlecht. Der spezifische Aspekt der Frauenunterdrückung und letztlich auch der Unterdrückung von Lesben und Schwulen verschwindet in der Queer Theory. Verschiedene Formen der Unterdrückung, auch wenn sie alle an die Institution Familie gebunden sind, verschwinden in einem scheinbar allumfassenden „Geschlechterverhältnis“. Frauenunterdrückung, die Unterdrückung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Intersexuellen und Transpersonen werden zusammengeworfen und unter diesem Begriff ideologisiert. Dies ist ein unfreiwilliger Schlag nicht nur gegen den Feminismus, sondern auch gegen die Frauenbewegung und letztlich gegen die konkreten Forderungen der Transpersonen selbst.

Biologisches Geschlecht, Identität, Geschlechterrollen

Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir uns eingehend mit der Beziehung zwischen biologischem Geschlecht, Identität und sozialen Geschlechterrollen befassen.

Als MaterialistInnen erkennen wir die biologische bipolare Sexualität als eine Tatsache an. Nur diejenigen, die die Fortpflanzung der Menschheit zu einer für sie unbedeutenden Frage erklären, können davon abstrahieren oder sie ignorieren.

Die bipolare Sexualität ist älter als die Menschheit selbst und allen Säugetieren und vielen anderen Tier- und Pflanzenklassen eigen. Sie stellt in der menschlichen Spezies eine historisch relativ konstante Größe dar, hat aber im Laufe ihrer kulturgeschichtlichen Entwicklung eine erstaunliche Variabilität in ihrem Ausdruck erfahren. Dies zeigt ein komplexes Zusammenspiel zwischen einer biologisch begründeten physikalischen Basis, einer ontogenetisch bedingten psychischen Strukturierung und einer sozialen Rollenerwartung, also den historisch spezifischen, vorherrschenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die geschlechtliche und sexuelle Identität eines Menschen ist also das Ergebnis eines Komplexes von biologischen Funktionen, sexuellen Neigungen, sozialen Anforderungen und Erwartungen sowie des eigenen Unter- und Unbewussten. Dies impliziert also, dass biologisches Geschlecht und geschlechtliche Identität einander widersprechen können, wie dies bei Transpersonen der Fall ist.

Sogar zwischen den „Polen“ Mann und Frau als Ausdruck des männlichen/weiblichen biologischen Binärsystems gibt es eine Reihe von Zwischen-, Kombinations-, Übergangsstadien oder Merkmalen, deren Definition weder biologisch noch medizinisch eindeutig ist. Sie stellen kein einheitliches drittes Geschlecht dar, sondern vielmehr eine Reihe von Übergangsstufen. Auch pränatal erfolgt die Definition einer männlichen oder weiblichen Konstitution nicht auf einfache und allgemein klare Weise, sondern ist eine mehr oder weniger gelungene Annäherung an die eine oder andere Entwicklungsmöglichkeit. Bleibt diese Annäherung unentschieden, wird die Identität als intersexuell bezeichnet.

Ob die Identität von Transpersonen biologisch verwurzelt ist oder nicht bzw. in welchem Ausmaß, ist nicht entscheidend für ein Programm gegen ihre Unterdrückung. Da menschliche Sexualität (bzw. ihre Verwirklichung) immer mit herrschenden Geschlechternormen und -kategorisierungen, rechtlichen, sozialen und psychologischen Phänomenen verbunden ist, ist ihre Entstehung auch immer historisch und sozial bedingt. Das biologische Geschlecht existiert immer im Verhältnis zu den Geschlechterrollen oder -normen, die in einer bestimmten gesellschaftlichen Formation dominieren, sowie zu den vorherrschenden Geschlechtsidentitäten. Menschen können eine dem biologischen Geschlecht entgegengesetzte (davon abweichende) Geschlechtsidentität haben, da sie selbst soziale Wesen sind, deren sexuelle Identität und Sexualität notwendigerweise immer sozial kommuniziert wird und die sich in einem Bewusstsein von der eigenen Sexualität – einer sexuellen Identität – ausdrücken muss.

Als die Menschheit ein historisches Entwicklungsstadium erreichte, in dem die Produktionsmittel und angehäuften Ressourcen nicht mehr in gleichem Maße an die nächste Generation als Kollektiv weitergegeben wurden, war es notwendig, das Sexualleben in einer dieser Ungleichheit angemessenen Form einzuschränken (z. B. erzwungene Monogamie für die Frau). Dieses patriarchale System, das verschiedene Produktionsweisen durchlaufen hat, macht es erforderlich, dass auf die daraus resultierenden soziokulturellen Aspekte von Sexualität als Geschlechterrollen oder Stereotypen Bezug genommen wird. Transsexualität (wie Homosexualität) gehen über diese vorherrschenden Geschlechterrollen hinaus, insbesondere über ihren „natürlichen“ Status, was auch bedeutet, dass Transpersonen in der Regel gezwungen sind, sich ihrem „wahren“ Geschlecht entsprechend zu verhalten und zu fühlen.

Alles in allem bedeutet dies, dass in der Klassengesellschaft im Allgemeinen und im Kapitalismus im Besonderen das biologische Geschlecht, die Sexualität und die Geschlechterrollen das Produkt dieser Festlegungen mit einer Vielzahl von Entwicklungsvarianten und Ausdrucksmöglichkeiten sind. Das lässt sich weder auf die Biologie reduzieren noch als einfach psychologisch strukturiert noch als einfacher Ausdruck eines sozialen Konstrukts noch lediglich auf der Grundlage einer Präferenz für eine bestimmte PartnerInnenschaft begreifen.

Entscheidend ist, dass die Fragen des biologischen Geschlechts, der Geschlechterrollen und der Geschlechtsidentität solche von Verhältnissen sind. In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Unterdrückung nicht nur von Frauen, sondern auch von Lesben und Schwulen sowie von Transpersonen aufgrund einer repressiven Familienstruktur und reaktionären Geschlechterrollen notwendig.

Programm

Unser Programm gegen die Unterdrückung von Transpersonen umfasst eine Reihe demokratischer und sozialer Forderungen. Viele davon ähneln dem Kampf gegen andere Formen der geschlechtsspezifischen oder sexuellen Unterdrückung.

Transpersonen erleben verschiedene Grade emotionaler Unterdrückung innerhalb der Familie sowie soziale Ausgrenzung und Mobbing in der Schule, wenn sie Geschlechter- und Geschlechternormen durchbrechen: Sie sind oft auch medizinischen Versuchen ausgesetzt, um „geheilt“ zu werden. Eine hohe Zahl von Transpersonen im Jugendalter reagiert darauf mit Ausreißen, Drogenkonsum oder ist selbstmordgefährdet.

SozialistInnen erkennen an, dass in der kapitalistischen Gesellschaft (und in der Tat auch in der postkapitalistischen Gesellschaft, bis Klassen und Frauenunterdrückung deutlich absterben) die Unterdrückung einer Transsexualität und von Geschlechteridentitäten weiter andauern wird ebenso wie die Notwendigkeit, diese zu bekämpfen. Wir verteidigen das Recht erwachsener (postpubertärer) Individuen, eine Therapie oder Operation zur „Neuzuweisung“ zu beantragen. Ebenso verteidigen wir das Recht von Kindern, die ihre Geschlechteridentität in Frage stellen, auf Beratung und Schutz vor Mobbing oder jeglicher Form von Diskriminierung.

Wenn progressive Schulen versuchen, positiv auf TransschülerInnen zu reagieren, werden sie oft von Kirchen, ängstlichen Eltern, konservativen PolitikerInnen und radikalen FeministInnen beschuldigt, Transgenderismus zu „lehren“ oder zu „fördern“, indem sie Kinder ermutigen, ihr Geschlecht zu wechseln, sich einer Hormontherapie oder einer chirurgischen „Neuzuweisung“ zu unterziehen usw. Wir befürworten eine wissenschaftlich fundierte Sexualerziehung, die biologische und soziale Einflussfaktoren erklärt und lediglich Verständnis, Widerstand gegen Unterdrückung und die Freiheit junger Menschen, sich sexuell nach ihren Wünschen zu entwickeln, „befürwortet“ (natürlich unter der eindeutigen Bedingung, dass dies niemand anderem schadet, wie es z. B. bei „Kindesmissbrauch“, Pädophilie und anderen genuinen sexuellen Perversionen der Fall wäre).

Deshalb fordern wir

  • Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen Transpersonen und Homosexuelle, Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben
  • Das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft (auf Rechtsdokumenten, bei Zugang zu Gesundheitsversorgung und Versicherungsleistungen usw.)
  • Wir treten für das Recht von Transpersonen auf Selbstbestimmung über ihre Körper ein einschließlich des Rechts auf Maßnahmen zur „Geschlechtsumwandlung“ und auf kostenlose medizinische Beratung. Dies soll durch das öffentliche Gesundheitswesen oder durch gesetzliche Krankenkassen finanziert werden. Die Beratung soll von ÄrztInnen, PsychologInnen und BeraterInnen durchgeführt werden, die das Vertrauen der Transperson selbst und der Unterdrückten genießen. Wir lehnen Geschlechtsumwandlungen ab, die gegen den Willen der Betroffenen vorgenommen werden.
  • Recht auf Adoption von Kindern, Anerkennung als Eltern oder PartnerInnen
  • Recht auf Nutzung der sanitären Einrichtungen, die dem angegebenen Geschlecht der Transperson entsprechen. Sichere Räume für Frauen sollten das Recht haben, missbrauchende oder bedrohliche Frauen individuell auszuschließen. Außerdem müssen diese Räume unter Kontrolle der Frauen stehen, die sie benutzen und leiten, einschließlich Transfrauen.
  • Rechtlicher Schutz von Transpersonen, die sich in Dokumenten als „unbestimmt“ oder drittes Geschlecht bezeichnen wollen. Transpersonen sollten als legitime Formen der Geschlechtsidentität anerkannt und nicht als Kranke stigmatisiert werden.

In der ArbeiterInnenklasse und unter den Unterdrückten setzen wir uns für eine öffentliche Kampagne gegen Transphobie (wie auch gegen Homophobie) ein. Transpersonen sollten ein Caucus-Recht (getrennte Treffen) in der ArbeiterInnenbewegung, den Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien haben. Ob dies gemeinsam mit anderen, z. B. Schwulen und Lesben oder auch mit Frauen, durchgeführt wird, sollte gemeinsam und mit dem Einverständnis von Frauen, Lesben und Schwulen etc. entschieden werden.

Wir erkennen an, dass unter denjenigen, die gegen Transinklusion in Frauenräumen argumentieren, transexklusionäre und offen transphobe Individuen und Organisationen dominieren. Als SozialistInnen sollten wir uns jedoch bemühen, zwischen den radikal transphoben Elementen in dieser Debatte und denjenigen zu unterscheiden, denen es an Verständnis mangelt oder die ohne böse Absicht Bedenken äußern. Unser Ziel sollte nicht sein, alle der letzteren Gruppe als Transphobe zu brandmarken, sondern alternative Sichtweisen und Aufklärung anzubieten, um sie für uns zu gewinnen.

Im Falle von Quoten für den öffentlichen Dienst oder für Frauen in politischen Parteien und Gewerkschaften treten wir dafür ein, dass Transfrauen als Frauen betrachtet werden. In jedem konkreten Konfliktfall sollten die Gewerkschafts- und ArbeiterInnenkomitees, die hauptsächlich aus Frauen und Transpersonen zusammengesetzt sein sollen, entscheiden.

Wir lehnen die Vorstellungen einiger FeministInnen ab, dass alle Transfrauen „in Wirklichkeit“ Männer sind. Dadurch wird eine Frage der sozialen Unterdrückung letztlich zu einer scheinbar rein biologischen (die selbst nicht so klar ist). Vor allem aber wird dabei die Tatsache ignoriert, dass Transfrauen, auch wenn sie oft als Männer sozialisiert wurden, heute als Frauen leben, einschließlich der Erfahrung mit deren Unterdrückung.

Wir erkennen an, dass die Rechte oder Forderungen von sozial unterdrückten Menschen aufeinanderprallen können. Dieser Konflikt kann nicht durch das Verbot unterschiedlicher Ansichten „reguliert“ werden, was ihn nur noch verschärfen könnte. Wir lehnen jede physische Bedrohung ab und erkennen daher das Recht auf Selbstverteidigung gegen solche Bedrohungen an. Unser Interesse besteht vielmehr darin, den Konflikt in einer vernünftigen Auseinandersetzung zu lösen, d. h. unter voller Achtung der jeweiligen Befreiungsinteressen und Unterdrückungserfahrungen.

Leider sind Konflikte zwischen den sozial Unterdrückten, das Aufeinanderprallen wechselseitiger Forderungen und Ansprüche in der bürgerlichen Gesellschaft keine Seltenheit, sie treten immer wieder auf. Die ArbeiterInnenklasse hat ein fundamentales Interesse daran, diese so demokratisch und transparent wie möglich zu regeln und die legitimen Anliegen aller Seiten so weit wie möglich zu berücksichtigen. Eine solche Regelung sollte prinzipiell nicht dem bürgerlichen Staat überlassen werden. Deshalb plädieren wir für die Einrichtung der oben genannten Komitees im Falle von Quotenkonflikten usw. Auch in der ArbeiterInnenbewegung lehnen wir jedes Recht des bürgerlichen Staates, in Wahlen, Statuten, Finanzen usw. unserer Klassenorganisationen einzugreifen, kategorisch ab.

Selbst die besten „Konfliktlösungsmechanismen“ werden die negativen Auswirkungen möglicher Konflikte nur begrenzen, sie können den Ausbruch von Konflikten nicht verhindern. In der bürgerlichen Gesellschaft werden Menschen als KonkurrentInnen gegeneinander ausgespielt. Dies birgt immer die Gefahr, dass sich z. B. bei der Konkurrenz um Arbeitsplätze auch verschiedene unterdrückte Gruppen als KonkurrentInnen gegenüberstehen. Die Lösung kann hier nicht nur in einem demokratischen Konfliktlösungsprozess liegen, sondern muss auch den Kampf für soziale Forderungen beinhalten, z. B. für ein Programm sozial nützlicher Arbeiten und für eine Arbeitszeitverkürzung. Konkurrenz kann nur durch einen sozialen und politischen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung überwunden werden, durch die Schaffung einer ArbeiterInnenbewegung, die alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung bekämpft.

Nur eine Gesellschaftsordnung, die die Ausbeutung eines Menschen durch einen anderen, die historische Unterdrückung der Frau und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, auf der sie beruht, bewusst überwindet, kann den Boden entziehen, auf dem reaktionäre Geschlechterrollen, die bürgerliche Familie und eine repressive Sexualmoral wachsen. Nur die Errichtung der Herrschaft der ArbeiterInnenklasse kann den Übergang zu einer solchen Gesellschaft und damit auch zu einer Ordnung frei von jeglicher sozialer Unterdrückung ermöglichen. Nur in einer solchen Gesellschaft werden sich die menschliche Sexualität und Geschlechtsidentität (wie die menschliche Individualität in all ihren Facetten) frei entfalten.




Britannien: Widerstand gegen die Angriffe der Konservativen auf die Rechte von Trans-Personen!

Erklärung der Antikapitalistischen Plattform in Momentum, 16.6.2020, Infomail 1108, 23. Juni 2020

Jüngsten Berichten zufolge stehen die Tories kurz davor, versprochene Reformen des Gesetzes über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit (Gender Recognition Act, GRA) zu streichen, die es den Menschen ermöglicht hätten, ihr Geschlecht selbst zu identifizieren, obwohl 70 % der Befragten in einer breit angelegten öffentlichen Konsultation ihre Unterstützung für die Änderung zum Ausdruck gebracht hatten.

Kalkulierter Angriff

Das durchgesickerte Papier deutet auch darauf hin, dass die Regierung plant, „Schutzmaßnahmen“ einzuführen, die Transfrauen den Zugang zu Frauenhäusern und die Nutzung öffentlicher Frauentoiletten verbieten würden. Auch wenn die Einzelheiten nicht klar sind, könnte dies eine erhebliche Rücknahme bestehender Rechte im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes bedeuten, das öffentliche Stellen dazu verpflichtet, den gleichberechtigten Zugang zu Dienstleistungen und Einrichtungen für Transsexuelle zu gewährleisten. Sollten diese Vorschläge umgesetzt werden, würden sie nicht nur ein Versäumnis darstellen, die Rechte von Trans-Personen zu verbessern, sondern auch einen kalkulierten Angriff, der den Kampf um ihre Rechte um mehr als ein Jahrzehnt zurückwerfen würde.

Beschämenderweise hat der Vorsitzende der Labour Party, Keir Starmer, trotz seines Versprechens Anfang des Jahres, „eine Kampagne zur Reform des Gesetzes über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit zu führen, um einen Selbsterklärungsprozess einzuführen“, signalisiert, dass er „vermeiden will, in die Debatte hineingezogen zu werden“. Er will sich zurückhalten, wenn die Regierung die Bigotterie gegen eine der am stärksten unterdrückten Gruppen im Land schürt und ihr Elend weiter verschärft. Dies ist nur ein weiteres Beispiel für den Verrat des Labour-Vorsitzenden an fortschrittlichen Anliegen im Rahmen eines umfassenden Rechtsrucks im Namen der „Wählbarkeit“, wie sie von der Boulevardpresse definiert wird. Wir sind solidarisch mit allen Trans-Personen und rufen die Labour-Führung auf, diese Kurswechsel zurückzunehmen.

Die vorgeschlagenen Reformen des GRA zielen darauf ab, die bürokratischen Barrieren zu beseitigen, mit denen Menschen konfrontiert sind, um ein Gender Recognition Certificate (GRC) (Zertifikat der Anerkennung von Geschlechtszugehörigkeit) zu erhalten. Gegenwärtig ist es nur nach einem zermürbenden zweijährigen Prozess zur Überzeugung eines gesichtslosen medizinischen Gremiums möglich, sein Geschlecht legal zu ändern. Durch diesen Prozess wird die Trans-Identität auf einen medizinischen Fall reduziert, was die Diagnose einer „emotionalen Störung der Geschlechtsidentität“ erfordert, bevor ein solches GR-Zertifikat erteilt wird. In einem bizarren Szenario eines unentrinnbaren Dilemmas werden Trans-Personen auch gezwungen, zwei Jahre lang als ihr „erworbenes Geschlecht“ zu leben, bevor sie ihr Zertifikat erhalten, wodurch sie gezwungen werden, sich stereotypem Verhalten und stereotyper Kleidung anzupassen, um zu „beweisen“, dass sie als das Geschlecht leben, für das sie sich entschieden haben.

Für viele Trans-Personen ist dies eine demütigende und traumatische Erfahrung, die viele davon abhält, sich überhaupt zu bewerben, was das Problem noch verschärft und ihr Leiden verstärkt. Eine Reform des GRA zwecks Ermöglichung der Selbstbestimmung würde es gestatten, die rechtliche Anerkennung ihres Geschlechtsstatus durch einen viel einfacheren Prozess und ohne die Notwendigkeit einer Diagnose von emotionaler Gestörtheit in Bezug auf ihr Geschlecht zu erreichen.

Wir unterstützen die Rechte der Trans-Personen, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung der eigenen Geschlechtsidentität, ohne Wenn und Aber. Sie leiden in unserer Gesellschaft unter systemischem Ausschluss von Wohnung und Arbeit, der Androhung sexueller Gewalt und physischer Aggression im Haushalt und auf der Straße, was oft zu Morden führt.

  • Laut dem Stonewall-Bericht von 2017 war jede vierte Trans-Personen einmal obdachlos.
  • 2 von 5 Trans-Menschen (41 %) wurden aufgrund ihrer Geschlechtsidentität Opfer von Hassverbrechen.
  • Jede(r) achte TransarbeiterIn wurde im vergangenen Jahr von einem/r KollegIn oder KundIn körperlich angegriffen.
  • Fast die Hälfte der jungen Trans-Personen hat versucht, Selbstmord zu begehen.

Während die Tory-Regierung mit rechte Anliegen aufgreift, volkstümelnden Nationalismus predigt und eine Rückkehr zu „Glaube, Fahne und Familie“ als Teil ihrer Kampagne fördert, um die Unterstützung für einen harten Brexit zu sichern, nehmen Hassverbrechen gegen LGBTIA+-Menschen zu.

Trans-Personen haben auch unverhältnismäßig stark unter den Auswirkungen der Sparmaßnahmen der Tories gelitten, wobei Aufgaben für Personal und Einrichtungen für LGBTIA+-Menschen häufig zu den ersten gehören, die gestrichen werden.

Was die Frauenhäuser betrifft, so haben umfangreiche Untersuchungen solcher Dienste in England und Wales ergeben, dass sie bereits seit einiger Zeit Trans-Frauen unterstützen. Viele dieser Dienste sind bereits trans-inklusiv und haben erklärt, dass die Reform des GRA nichts daran ändern würde, wie sie ihre Dienste anbieten. Auch das droht nun gestoppt zu werden.

Was die sog. „cis-Betrüger“ betrifft, die die Vorteile der Selbstidentifikation nutzen könnten, um Zugang zu Frauenräumen zu erhalten, so sind diese Fälle verschwindend selten. Grundsätzlich lehnen wir das Heranziehen einzelner Missbrauchsfälle als Rechtfertigung für eine allgemeine Beschneidung von sozialen und demokratischen Rechten ab. Darüber hinaus hat eine in den USA durchgeführte Studie gezeigt, dass der Zugang von Trans-Personen zu Räumen ihrer Wahl nicht zu mehr Übergriffen oder Voyeurismus-Verbrechen führt.

Die aktuelle Gesetzeslage besagt bereits, dass Trans-Personen Zugang zu reservierten Räumen erhalten können, die ihrem Geschlecht entsprechen, und nicht diskriminiert werden sollten. Dies ist durch das Gleichstellungsgesetz von 2010 geschützt, und Selbstidentifizierung würde daran nichts ändern. Der Versuch, Zugang zu Umkleideräumen und Toiletten zu erhalten, um Frauen auszuspionieren oder zu überfallen, ist bereits illegal, und Frauenhäuser verfügen bereits über Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollverfahren, um ihre Klientinnen vor Gewalt zu schützen. Jede/r, der/die eine Bedrohung für Frauen darstellt, unabhängig von der geschlechtlichen Identität, muss ausgeschlossen werden.

Die gesamte ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung muss sich organisieren, um den Angriff der Tories auf bestehende, unzulängliche Rechte abzuwehren und für die Ausweitung der Trans-Rechte auf die Selbstidentifikation zu kämpfen. Es gibt nicht nur keinen Konflikt zwischen Transrechten und Frauenrechten, sondern sie sind auch Teil desselben Kampfes gegen Geschlechter- und sexuelle Unterdrückung, die die kapitalistische Gesellschaft strukturieren. Trans-Frauen sollten in der ArbeiterInnenbewegung willkommen geheißen werden, mit Zugang zu Frauenausschüssen, Auswahllisten und reservierten (quotierten) Plätzen. Wir fordern auch zusätzliche Mittel, um die Ungleichheit beim Zugang zu NHS-Dienstleistungen, Beratung und Wohnraum für Transsexuelle zu verringern.

Der Aufstieg der populistischen Rechten erinnert uns daran, dass trotz der erzielten Fortschritte Reformen immer wieder rückgängig gemacht werden können, solange das Gesellschaftssystem, in dem die Geschlechterunterdrückung verwurzelt ist, erhalten bleibt. Konservative Regierungen auf der ganzen Welt, wie die von Viktor Orbán in Ungarn, haben gezeigt, dass Transphobie und Frauenfeindlichkeit untrennbar miteinander verbunden sind und oft mit umfassenderen Angriffen auf die demokratischen, Arbeits- und Menschenrechte einhergehen. Für SozialistInnen ist die Verteidigung sozial unterdrückter Gruppen wesentlich für den Kampf zum Sturz des gesamten ungerechten, ausbeuterischen Sozialsystems, das sich auf eine repressive Sexualmoral stützt, um sich selbst zu erhalten.




Stoppt die Angriffe auf LGBTIA+-Personen in Polen und Ungarn!

Sani Meier, REVOLUTION, Infomail 1108, 21. Juni 2020

Im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus lässt sich beobachten, dass in manchen Ländern die aktuellen Dynamiken genutzt werden, um Gesetze zu beschließen, die zuvor durch starke Proteste abgewendet wurden. Die überall stattfindenden momentanen Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechtes sind dafür eine optimale Grundlage, da sie Massenproteste weitestgehend behindern. Besonders deutlich wird dies an den jüngsten Entwicklungen in Ungarn & Polen, wo besonders die Rechte von LGBTIA-Personen und Frauen massiv eingeschränkt werden.

Ungarn: Verweigerung der Geschlechtsanpassung in offiziellen Dokumenten

In Ungarn hat so der Staatspräsident János Adler unter anderem jenes umstrittene Gesetz unterzeichnet, welches trans- und intergeschlechtlichen Menschen die rechtliche Anerkennung verweigert. Damit ist die Änderung des Personenstandsgesetzes in Kraft, welche Teil eines Gesetzespakets rund um die Coronakrise war. Dieses Gesetz bedeutet, dass in allen Dokumenten nur noch das Geschlecht eingetragen wird, das bei der Geburt festgelegt wurde. Trans- und Interpersonen können es später nicht mehr in ihr gelebtes Geschlecht ändern lassen, was zu ständiger Diskriminierung im Alltag führen wird. Grundlage dieses Gesetzes ist die reaktionäre Annahme, dass lediglich 2 biologische Geschlechter existieren, die über die Chromosomen bestimmt werden können und leugnet, dass es auch eine Geschlechtsidentität gibt, die unabhängig vom biologischen Geschlecht sein und sich im Laufe des Lebens auch ändern kann. Trotz internationaler Proteste dagegen wurde das Gesetz letzte Woche mit den Stimmen der rechtskonservativen Mehrheit beschlossen. Nun muss noch vom Verfassungsgerichtshof entschieden werden, ob es gegen die gesetzliche Garantie der Menschenwürde verstoßen würde. Dieser Beschluss war zwar bisher gültig, konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass schon seit Längerem Anträge auf Geschlechtsanpassungen von Trans-Personen ignoriert wurden, da man bereits auf eine entsprechende Gesetzesänderung gewartet hat.

Dieser massive Angriff auf die Rechte von Trans- und Interpersonen reiht sich ein in weitere Angriffe der regierenden Fidesz-Partei auf ArbeiterInnen- und Minderheitenrechte. Ministerpräsident Viktor Orban propagiert seit Langem öffentlich ein ultra-konservatives Familienbild und sorgte bereits dafür, dass alle Studiengänge zum Thema „Gender-Theorien“ an ungarischen Universitäten verboten wurden. Auch aus popkulturellen Events wie dem „Eurovision Songcontest“ zog sich Ungarn zurück, da eine solche Veranstaltung „zu schwul“ sei und die Gesundheit der Nation vergiften würde.

Polen: Verbot von Abtreibungen & öffentlicher Sexualaufklärung

Auch in Polen haben Gesetzesentwürfe zum vollständigen Verbot von Abtreibungen und zum Verbot von öffentlichem Sexualkundeunterricht die erste parlamentarische Hürde genommen. Beide Gesetze wurden als Bürgerinitiativen von ultrakonservativen Organisationen eingebracht. Schon seit 1993 hat das Land nach einer Kampagne der katholischen Kirche eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas: Abtreibung ist offiziell nur bei Schädigung des Fötus, bei Gefahr für die Frau und nach Inzest oder Vergewaltigung erlaubt. Offiziell registrieren die Behörden jährlich gut 1000 Abtreibungen. Die echte Zahl liegt Frauenrechtlerinnen zufolge bei mindestens 150.000. Zehntausende Polinnen treiben im Untergrund oder mit Abtreibungspillen zu Hause ab oder fahren zur Abtreibung etwa nach Deutschland oder Tschechien. Ersteres birgt ein hohes gesundheitliches Risiko für die Frauen (laut Ärzte ohne Grenzen sterben jedes Jahr rund 22.800 Frauen an den Folgen unsachgemäßer Schwangerschaftsabbrüche), während die Reise in ein anderes Land eine zusätzliche finanzielle Belastung mit sich bringt. Nun sollen diese auch noch vollständig verboten werden. Dass dies nicht zu insgesamt weniger Abtreibungen führen wird, sondern lediglich zu mehr illegalen Eingriffen, ist absehbar. Der von der regierenden PiS-Partei gestellte Präsident Andrzej Duda erklärte, er werde ein komplettes Abtreibungsverbot unverzüglich unterschreiben.

Ein weiteres Gesetz ermöglicht bis zu 3 Jahren Haft für jegliche öffentliche Sexualerziehung. Begründet wird dies durch eine angebliche „sexuelle Verführung und Demoralisierung“ und „große Unsicherheit der Gesundheit“ der polnischen Jugend durch Sexualkunde, Verhütung und Aufklärung über Masturbation, Homosexualität, Antidiskriminierung oder Toleranz. Sexualerziehung sei zudem eine „Spielwiese für Schwule, Lesben und Pädophile“. Die Gleichsetzung von Homosexualität mit Pädophilie ist ebenso absurd und reaktionär wie die These, offene Sexualaufklärung würde zu gesundheitlichen Risiken führen.

Doch auch diese Entwicklungen in Polen sind leider nicht überraschend, wenn man sich die gesellschaftlichen Dynamiken anschaut: Hier sind gewaltsame Angriffe auf Pride-Demos durch Rechtsextreme keine Seltenheit und mittlerweile hat sich rund ein Drittel Polens zu sogenannten „LGBTIA-freien Zonen“ erklärt. In diesen Gebieten können Personen, die nicht in die ultra-konservativen Vorstellungen von Geschlecht und Familie passen, ihre Identität nicht frei ausleben und sind ständiger verbaler und physischer Gewalt  ausgesetzt. Betroffene berichten von täglichen homophoben Angriffen bei gleichzeitiger Ignoranz und fehlendem Schutz durch die Behörden, welche in solchen Angriffen kein Problem sehen würden.

Symptome des internationalen Rechtsrucks

Dass diese traurigen Entwicklungen in Polen und Ungarn gerade jetzt passieren, ist kein Zufall. Sie haben sich im Zuge des internationalen Rechtsrucks angebahnt und sind nun im Schutz der Corona-bedingten Grundrechtseinschränkungen in vollem Gange. In Polen ist seit 2015 die rechtskonservative Prawo i Sprawiedliwość (kurz: PiS, dt: Recht und Gerechtigkeit) an der Regierung und verabschiedet reaktionäre Gesetze, während gleichzeitig eine starke faschistische Szene regelmäßig durch Angriffe auf Linke auffällt. Auch in Ungarn ist mit Victor Orban ein Rechtspopulist an der Macht, welcher durch die faschistische Partei Jobbik (dt. Bewegung für ein besseres Ungarn) gestützt wird. Doch auch abseits dieser beiden Länder lässt sich im Großteil der Welt ein Rechtsruck beobachten: Sei es Trump in den USA, die FPÖ in Österreich, der Rassemblement National in Frankreich, Bolsonaro in Brasilien oder die AfD in Deutschland. Dieser internationale Rechtsruck wurde vor allem durch die letzte weltweite Finanzkrise 2007/08 ausgelöst, welche zu großen Teilen auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse abgewälzt wurde, welche sich auch heute noch in einer Führungskrise befindet, da keine größere Organisation existiert, die ihre Gesamtinteressen vertritt und eine klare Perspektive bietet. Dies führte vor allem dazu, dass sich die bestehenden Parteien immer mehr nach rechts bewegten und neue rechte Kräfte erstarken konnten.

Woher kommt die Unterdrückung?

Wie bereits erwähnt, fußt die Unterdrückung von LGBTIA+-Personen darauf, dass sie vom traditionellen heteronormativen Familienbild abweichen. Dass dieses Familienkonzept besonders durch den Staat geschützt wird, ist kein Zufall, sondern hat vor allem ökonomische Gründe. Die bürgerliche Kernfamilie sorgt nämlich vor allem dafür, dass Arbeitskraft im Privaten wieder reproduziert wird: Das beinhaltet all das, was benötigt wird, damit Arbeiter_Innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können, also z. B. Essen, Schlafen, Waschen etc. All diese Dinge finden unbezahlt innerhalb des privaten Haushalts der Familie statt und werden vor allem durch Frauen geleistet, die diesen durch sogenannte Reproduktionsarbeit am Laufen halten. Sie kochen, putzen, waschen Wäsche, leisten emotionale Arbeit und sorgen durch die Kindererziehung dafür, dass auch diese später Lohnarbeit leisten. Und das alles ohne dafür bezahlt zu werden. Der Staat profitiert also von diesem Familienkonstrukt, da dieses die unentlohnte Reproduktion von Arbeitskraft sicherstellt. Staatliche Institutionen versuchen deshalb die klassische Familie zu schützen, aufrechtzuerhalten und zu promoten, während sie andere Familienentwürfe zu marginalisieren versuchen. Natürlich wurden in vielen Ländern bereits riesige Fortschritte hinsichtlich der Anerkennung von der bürgerlichen Norm abweichenden Lebens- und Geschlechtsvorstellungen erkämpft. Die Situationen in Ungarn und Polen zeigen uns jedoch, dass diese schnell wieder zurückgenommen werden können, solange die sozio-ökonomische Grundlagen für LGBTIA-Unterdrückung nicht angegriffen werden.

Es wird also klar, dass durch die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Familie nicht nur LGBTIA-Personen ausgegrenzt und diskriminiert werden, sondern auch vor allem Frauen ausgebeutet und unterdrückt werden. Ihre Repression basiert auf der gleichen Grundlage: Dem Kapitalismus, welcher die bürgerliche Familie benötigt, um Arbeit möglichst effektiv auszubeuten. Deshalb muss der Kampf um die Befreiung von LGBTIA-Personen zwangsläufig mit den Kämpfen von Frauen und der Arbeiter_Innenklasse gegen den Kapitalismus geführt werden!

Wir fordern deshalb:

  • Die Abschaffung aller Gesetze die LGTBIA- Personen diskriminieren und verfolgen!
  • Das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung! Kein kapitalistischer Staat darf zum Schiedsrichter über unsere Geschlechtsidentität werden!
  • Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbrüche und Geschlechtsangleichung, sowie freien Zugang zu Informationen & freiwilliger Beratung!
  • Selbstverteidigungskomitees zum Schutz vor organisierten homo- und transphoben FaschistInnen!