Nahost: US-Präsident Bidens Besuch bei zwei Paria-Staaten

Dave Stockton, Infomail 1193, 21. Juli 2022

US-Präsident Joe Biden hat seine viertägige Reise in den Nahen Osten mit wenig vorzuweisen außer einem weiter beschmutzten Ruf als Verfechter der Menschenrechte.

Die beiden von ihm besuchten Staaten, Israel und Saudi-Arabien, sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die fortgesetzte Hegemonie der USA über die Region, eine Vorherrschaft, die durch die Ereignisse des letzten Jahrzehnts zwar erschüttert, aber nicht gestürzt wurde. Die Störfaktoren waren nicht nur die Nachbeben des Arabischen Frühlings in Libyen, Sudan und Syrien und die Feindseligkeit von Staaten wie Iran, sondern auch der Trotz von US-Verbündeten wie der Türkei und Saudi-Arabien.

Saudi-Arabien

Der schwindende Einfluss Amerikas wurde in seinem zweiten Zielland, Saudi-Arabien, unter seinem streitbaren Kronprinzen Mohammed bin Salman deutlich sichtbar. Er hat die unabhängige Rolle des Königreichs in der Region gestärkt und führt im Jemen einen blutigen Krieg gegen die Huthis, die vom Iran unterstützt werden. Intern hat er zwar kosmetische Reformen durchgeführt, wie z. B. die Zulassung von Frauen zum Autofahren, aber seine Gegner:innen eingesperrt, darunter auch genau jene Frauenaktivistin, die sich für diese Reformen eingesetzt hat.

Besonders rachsüchtig war er gegenüber Journalist:innen, die ihn kritisierten. Der für Amerika ungeheuerlichste Fall war der von Jamal Khashoggi, einem Kolumnisten der Washington Post und amerikanisch-saudischen Staatsbürger mit Wohnsitz in Virginia. Als scharfer Kritiker des Kronprinzen wurde er in das Konsulat des Königreichs in Istanbul gelockt, brutal ermordet und sein zerstückelter Körper entsorgt.

Während seiner Präsidentschaftskampagne 2020 versprach Biden, das repressive Königreich in einen weltweiten „Paria“ zu verwandeln, falls Khashoggis Mörder:innen nicht vor Gericht gestellt würden. Das ist aussichtslos. Vor einem Jahr kamen die US-Geheimdienste zu dem Schluss, dass es bin Salman selbst war, der die Operation „zur Entführung oder Tötung“ des Journalisten genehmigt hatte.

Jetzt hat sich Biden von einem strengen Kritiker im Wahlkampf, der um liberale Wähler:innen wirbt, die sich um die Menschenrechte sorgen, in einen hartgesottenen „Realisten“ für internationale Beziehungen verwandelt. Obwohl er behauptet, er habe bin Salman bezüglich seiner Verantwortung für die Ermordung des Journalisten angesprochen, hat er mit ihm öffentlich seine Freundschaft bekundet. Dies unterstreicht, dass seine wahren Prioritäten darin bestanden, das Ansehen Amerikas im Nahen Osten zu stärken und die Saudis zu drängen, die Ölproduktion zu erhöhen, um die Weltwirtschaft vor den eskalierenden Treibstoffpreisen zu retten. Es scheint, dass seine Ergebnisse in beiden Punkten vernachlässigbar waren.

Israel

Ein weiterer Beweis dafür, dass für diesen Präsidenten Machtpolitik jedes Mal über Ethik geht, ist seine Reaktion auf den Tod einer anderen Journalistin, Shireen Abu Akleh, deren Mörder:innen Biden nicht beim Namen nennt, weil sie Israelis sind. Die bekannte Al-Jazeera-Journalistin, eine Palästinenserin und US-Bürgerin, wurde von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen, während sie über Razzien im Flüchtlingslager Dschenin berichtete, bei denen mehrere Demonstrant:innen getötet wurden. Biden weigerte sich, ihre Familie auf seiner Reise zu treffen, lud sie jedoch nach Washington ein und vermied es so, sich mit seinen israelischen Gastgeber:innen anzulegen.

Der Grund für das Schweigen des US-Präsidenten wurde in dem Moment deutlich, als er auf dem Ben-Gurion-Flughafen landete und vom israelischen Interimspremierminister Jair Lapid begrüßt wurde. Biden rief aus: „Man muss kein Jude sein, um Zionist zu sein. Die Verbindung zwischen dem israelischen und dem amerikanischen Volk ist tief verwurzelt“. Lapid ließ sich nicht lumpen und lobte ihn als „großen Zionisten“. „Ihre Beziehung zu Israel war immer persönlich“, sagte er und nannte den Präsidenten „einen der besten Freunde, die Israel je hatte“. Beide Männer haben in diesem Punkt Recht.

Die jüngste Frucht von Bidens Zionismus bildete eine „Jerusalemer Erklärung“, die er und der israelische vorläufige Premierminister unterzeichneten. Damit wird die mit dem Ex-Präsidenten Obama unterschriebene 38-Milliarden-Dollar-Vereinbarung über die „Verteidigung“ Israels erweitert. Die palästinensische Frage wurde im Haupttext der Erklärung nicht erwähnt, sondern nur in einem Kodizill (Zusatzverfügung), in dem „die langjährige und konsequente Unterstützung der USA für eine Zwei-Staaten-Lösung“ bekräftigt wird, die, wie ein hochrangiger US-Beamter betonte, nicht von Israel unterzeichnet wurde.

In der Erklärung heißt es auch, dass sich beide Seiten verpflichten, dem Iran niemals zu erlauben, eine Atomwaffe zu erhalten. Lapid nutzte die Gelegenheit, um anschließend zu betonen, dass Israel nicht beipflichte, dass dies mit diplomatischen Mitteln erreicht werden könne. Mit anderen Worten: Er bekräftigte das „Recht“ Israels, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Die beiden Staatsoberhäupter werden ihre Unterstützung für das „Abraham-Abkommen“ der Ära Trump zum Ausdruck bringen, das 2020 zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain unterzeichnet wurde.

Obwohl Biden kurz mit Mahmud Abbas, dem Leiter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), zusammentraf, zeigen seine Prioritäten, dass die Verfolgung der auf unbestimmte Zeit verschobenen „Zweistaatenlösung“ weit unten auf der Liste steht und weit hinter der Stärkung der Beziehungen zu ihren Unterdrücker:innen. Unter Trump wurden die US-Beiträge, die einen großen Teil des PNA-Budgets ausmachen, gekürzt, um Mahmud Abbas unter Druck zu setzen, sich dem „ultimativen Deal“ anzuschließen, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ausgehandelt hatte. Biden hat diese Zahlungen wiederaufgenommen, um sicherzustellen, dass die PNA ihr feindlich gesonnene Organisationen wie den Islamischen Dschihad unter Kontrolle halten kann.

Ein Teil von Trumps Vermächtnis, das Biden immer noch verfolgt, besteht darin, weitere arabische Staaten dazu zu bewegen, Israel anzuerkennen und jegliche aktive Unterstützung für die palästinensische Sache einzustellen. Trumps Pläne sahen die Schaffung einer israelfreundlichen Achse in der Region vor, zu der auch die saudische, jordanische und emiratische Monarchie gehören. Hinzu kommt die ägyptische Militärdiktatur, die von einer enormen gemeinsamen Rente aus den USA und Saudi-Arabien lebt und Tausende von politischen Gefangenen in ihren Gefängnissen hält, die gefoltert und misshandelt werden, ohne dass Washington sich beschwert.

In der Zwischenzeit ist Israel entschlossen, die Palästinenser:innen durch wiederholte Terroranschläge der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in einem Zustand der apartheidähnlichen Trennung und wirtschaftlichen Verelendung zu halten. Sieben Millionen der insgesamt 14 Millionen Palästinenser:innen leben als Exilant:innen in den umliegenden Staaten der Region. Die Zahl derjenigen, die noch innerhalb der Grenzen von Palästina von 1948 leben, entspricht in etwa der der jüdischen Bürger:innen Israels.

Die Tatsache, dass die Palästinenser:innen in den von Israel kontrollierten Gebieten über weitaus weniger politische Rechte und wirtschaftlichen Wohlstand verfügen, ihnen aber das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass Israel ein rassistischer Siedler:innenstaat ist, der versucht, die Palästinenser:innen als Nation auszulöschen. Dieses Projekt kann nur durch mörderische Gewalt aufrechterhalten werden, wie die Äußerungen von Israels letztem Ministerpräsidenten Naftali Bennett zeigen, der als liberaler als Netanjahu gilt, aber 2013 sagen konnte: „Ich habe in meinem Leben viele Araber:innen getötet – und damit habe ich kein Problem“.

Der Widerstand von Dschenin

Eine wichtige Quelle des anhaltenden Widerstands befindet sich in Dschenin im Westjordanland, wo Shireen Abu Akleh ermordet wurde. In den letzten Monaten hat Israel eine Welle von Razzien im gesamten Westjordanland durchgeführt und damit Zusammenstöße mit militanten Palästinenser:innen ausgelöst, bei denen mindestens 25 Menschen getötet wurden.

Die westlichen Unterstützer:innen Israels, die den Umschwung ihrer eigenen öffentlichen Meinung gegen Israel spüren, insbesondere nach dem Blitzkrieg gegen Gaza und dem Abbruch jeglicher vorgetäuschter Verhandlungen über die chimärische Zweistaatenlösung, haben eine Lügenkampagne gestartet, in der behauptet wird, dass diejenigen, die Palästina unterstützen, Antisemit:innen seien. Dies zeigte sich in der erbitterten Kampagne gegen den lebenslangen antirassistischen Labour-Führer Jeremy Corbyn, dem Verbot der BDS-Bewegung in verschiedenen Ländern und dem Verbot propalästinensischer Demonstrationen durch die deutsche Regierung.

Doch wie das Schicksal der Apartheid in Südafrika gezeigt hat, wird ein reaktionäres rassistisches Projekt nicht ewig Bestand haben. Eines Tages wird Palästina frei sein, als ein säkularer und sozialistischer Staat für Palästinenser:innen und israelische Juden und Jüdinnen, die in Frieden und Gleichheit leben wollen.




Palästinakomitee Stuttgart gewinnt vor dem Verwaltungsgericht: Unterstützung von BDS legal, Kontokündigung unwirksam

Paul Neumann, Infomail 1187, 5. Mai 2022

Einem besonders aufmerksamen Journalisten der „Jerusalem Post“ ist 2018 aufgefallen, dass israelfeindliche Organisationen, die die BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) gegen Israel unterstützen, wie das Palästinakomitee Stuttgart (Pako), auf der von der örtlichen Kommune, hier der Landeshauptstadt Stuttgart (LHS) betriebenen Website ihre Veranstaltungen kundtun dürfen. Die Stadt betreibe damit indirekt Werbung für die BDS-Kampagne. Das fand der Redakteur aus Jerusalem unerträglich und mobilisierte seine israelfreundlichen Unterstützer:innen wie die DIG (Deutsch-Israelische-Gesellschaft e. V.) und die Stuttgarter AfD, um bei den lokalen Oberen Protest einzulegen mit dem Ziel, das PaKo von dieser Website zu entfernen. Die christdemokratischen Stadtoberen zuckten sogleich zusammen. Schließlich wollten sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen, „antisemitisch“ zu sein, und strichen das Pako Stuttgart kurzerhand von der Website als unterstützungswürdige Organisation.

Folgen und Klage

Das hatte weitreichende Folgen für die Arbeit des Stuttgarter Pako. Räume für Veranstaltungen wurden kaum noch zur Verfügung gestellt (Ausnahme AWO Stuttgart) und die Bankkonten des Pako bei der BW-Bank wurde ebenfalls gekündigt. Zudem wurde es unter dem Druck der Israelfreund:innen massiv verleumdet und in die antisemitische Ecke gedrückt.

Nachdem das Pako vergeblich eine Begründung und einen rechtsmittelfähigen Bescheid von der Stadt eingefordert hatte, klagte es nach fast zwei Jahren des Wartens gegen die Stadt wegen Untätigkeit in der Sache. Nach Eingang der Klage bemüßigte sich die Stadt schließlich, einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu senden, in dem die Streichung von der Website mit der Unterstützung der BDS-Bewegung durch das Pako begründet wurde.

Die LHS berief sich auf ihre „Antidiskriminierungserklärung“ von 2019. Danach lehne die Stadt jede Form von „Menschenfeindlichkeit, Diskriminierung, Antisemitismus, Ausgrenzung und Rassismus“ ab. Außerdem bezog sie sich auf eine Resolution des Deutschen Bundestags von 2019. Darin werden alle Kommunen aufgefordert, keine Räume und Ressourcen an Gruppen zu vergeben, die die BDS-Kampagne unterstützen. Die Israelboykottkampagne sei antisemitisch, weil sie teilweise das Existenzrecht Israels infrage stelle.

Verhandlung

Am 21.04.2022 fand nun vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart die Verhandlung in der Sache statt (Az.: 7 K 3169/21). Die einbestellte bewaffnete Justizsicherungsgruppe, die vom Gericht in der Erwartung massiverer Proteste im Gerichtsgebäude angefordert war, wurde in Anbetracht von ca. 20 Zuschauer:innen älteren Semesters im Saal von der Vorsitzenden Richterin gleich zu Beginn der Verhandlung wieder entlassen.

Ein beisitzender Richter erläuterte trocken die Rechtslage: Die Klage des Pako ist zulässig. Der Weg über das Widerspruchsverfahren gegen den verspätet erlassenen Bescheid braucht der Kläger nicht zu gehen, da er die rechtlich angemessene Frist überschritten hat.

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme in die E-Mail-Liste der LHS. Diese ist eine „öffentliche Einrichtung“. Nach einem neueren Urteil des BGH darf keine „Inhaltsprüfung“ als Vorbedingung zur Aufnahme in eine „öffentliche Einrichtung“. stattfinden. Es gilt hier die Meinungsfreiheit des Grundgesetz. Ausgenommen von der Meinungsfreiheit sind lediglich durch Gesetz festgelegte Inhalte wie z. B. die Leugnung des Holocaust.

Den von der LHS angeführten Begründungen mangelt es an einer Rechtsgrundlage. Die Beschlüsse des Landtags Baden-Württemberg wie des Bundestages zu der BDS-Kampagne sind lediglich Meinungsäußerungen. „Dabei ist es nach der Auffassung der Kammer irrelevant, ob die BDS-Kampagne, die der Kläger unterstütze, antiisraelisch oder antisemitisch sei. Denn die Meinungsfreiheit, auf die sich der Kläger berufen könne, schütze auch antiisraelische und antisemitische Auffassungen. Ein Gesetz, das es der Beklagten erlauben würde, die Aufnahme der Kontaktdaten des Klägers auf ihre Webseite abzulehnen, weil der Kläger die BDS-Kampagne unterstütze, gebe es nicht. Ein derartiges Gesetz wäre wegen eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit voraussichtlich zudem verfassungswidrig.“ (Presseerklärung VG Stgt. v. 22.04.22)

Doch das kann sich schnell ändern. „Die Grenze für einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wäre erst dann erreicht, wenn die betreffenden Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-Richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen würden. Dies sei insbesondere dann anzunehmen, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren würden.“ (ebd.)

Wer also nicht nur eine folgenlose „Meinung“ in seinem Hirn ventiliert, sondern diese politisch umsetzen, also die „ geistige Sphäre“ des „Für-Richtig-Haltens“ verlassen will, etwa indem er/sie den Boykott organisiert, läuft schnell Gefahr, sich den Vorwurf einzuhandeln, das heilige „Rechtsgut“ Privateigentum zu verletzen. „Gefährdungslagen“ und andere Störungen des „öffentlichen Friedens“ sind bei Bedarf und Interesse leicht anzunehmen. Aber noch sieht das Gericht „diese hohe Schwelle für eine Ermächtigung zu Eingriffen in das Grundrecht der Meinungsfreiheit (…) durch die Unterstützung des Klägers für die BDS-Kampagne ersichtlich nicht erreicht.“ (ebd.)

Der Rechtsstaat kennt seine Pappenheimer:innen und erhebt vorsorglich den Zeigefinger. Aber mehr war vorerst auch nicht zu erwarten. Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zu.

Kündigungen der Konten

In der zweiten Angelegenheit, der Kündigung der Konten durch die BW-Bank, wurde am 26.04.2022 vor dem Landgericht Stuttgart im Eilverfahren (AZ.: 46 O 237/22 ) entschieden, dass die Kontokündigung gegen das Palästinakomitee Stuttgart unwirksam ist. Die BW-Bank sei eine Einrichtung des öffentlichen Rechts und solle die Grundversorgung der Bevölkerung in der Geldversorgung sicherstellen. Ein befürchteter Reputationsschaden sei kein sachlicher Kündigungsgrund.

Aussichten

Insgesamt ist mit den (vorläufigen) Urteilen die Arbeitsfähigkeit des Pako (vorerst) wieder hergestellt. Dem aggressiven Vorgehen der zionistischen Israelfreund:innen dürfte es in Zukunft deutschlandweit schwerer fallen, die BDS-Kampagne juristisch zu bekämpfen. Der juristische Teilerfolg vor den Gerichten darf zugleich nicht überschätzt werden.

Seit Jahren versuchen Parlamente, Behörden und Sicherheitskräfte, die demokratischen Rechte nicht nur der BDS-Kampagne, sondern jeder Form von Palästinasolidarität zu bescheiden. Die Unterstützung des israelischen Staates und seiner Funktion als Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten gehört schließlich zur Staatsräson, die auf allen seinen Ebenen und auch von Banken wie der BWB umgesetzt wird, selbst wenn die Rechtsgrundlage dafür (noch) fehlt.

Wie das Verbot aller Demonstrationen in Solidarität mit Palästina in Berlin vor dem Ersten Mai gezeigt hat, müssen wir mit weiteren Anschlägen auf die Versammlungsfreiheit rechnen.

So richtig und wichtig es ist, gegen solche auch juristisch vorzugehen, so sollten wir keine Illusionen darin hegen, dass diese Spielräume nicht weiter eingeschränkt werden können. Dagegen helfen letztlich nur die Unterstützung der Palästinasolidarität und der politische Kampf gegen die Unterdrückung und deren Unterstützung durch den deutschen Imperialismus.




Jerusalemer Deklaration zu Antisemitismus

Interview mit Isabel Frey, Infomail 1148, 5. Mai 2021

Isabel Frey ist eine jiddische Sängerin und Aktivistin bei LINKS aus Wien. Spezialisiert auf jiddische Revolutions- und Widerstandslieder möchte sie die Tradition des linken jüdischen Aktivismus wiederbeleben und mit modernen politischen Themen verbinden. Das Interview führte die Redaktion des Arbeiter*innenstandpunkt, unserer österreichischen Schwesterorganisation.

Redaktion: Vor kurzem ist eine neue Antisemitismus-Definition erschienen. Die Jerusalemer Deklaration wurde von mehr als 200 Wissenschafter*innen der Antisemitismus- und Holocaustforschung, jüdischen Israel- und Nahost-Studien unterzeichnet. Kannst du kurz umreißen, worum es dabei geht?

Isabel: Die JDA ist eine Reaktion auf die vielfach umstrittene Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (Internationale Allianz zum Gedenken an den Holocaust; IHRA). Diese Definition wurde die letzten Jahre vielfach instrumentalisiert, um jegliche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und Palästina-Solidarität zu delegitimieren und kriminalisieren. Deshalb lehnen auch weite Teile der jüdischen Linken, sowohl in Israel als auch in der Diaspora, die IHRA-Definition ab. Die JDA ist eine Antwort auf diese zunehmende Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus von rechts. Sie arbeitet explizit heraus, wann Kritik an der Lage in Israel-Palästina antisemitisch ist und wann nicht. Zum Beispiel sagt sie explizit, dass Antizionismus und Antisemitismus nicht dasselbe sind und auch der Aufruf zu Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) nicht per se antisemitisch ist. Das ist ein wichtiger Schritt sowohl im Kampf gegen Antisemitismus als auch zur Dekriminalisierung von Palästina-Solidarität.

Redaktion: Schon seit längerem gibt es die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus. Wie unterscheidet sie sich von der Jerusalemer Deklaration?

Isabel: Die JDA ist weniger eine Alternative, sondern mehr eine Ergänzung oder eine Verbesserung der IHRA-Definition. Sie baut auf der IHRA-Definition auf, da sie auch versucht, das Phänomen des „israelbezogenen Antisemitismus“ zu definieren. Das ist insofern wichtig, weil neue Formen von Antisemitismus tatsächlich manchmal Israel in antisemitische Hetze miteinbeziehen. Allerdings ist es genauso wichtig, zu unterscheiden, wo und wann Kritik an Israel antisemitisch ist und wo nicht. Das Problem an der IHRA-Definition ist, dass sie viel zu vage ist und sich daher leicht instrumentalisieren lässt. Die JDA ist viel präziser und weist auch darauf hin, dass der Kontext einer Aussage zentral ist. Wenn zum Beispiel Herbert Kickl bei einer Demo von Coronaleugner*innen über israelische „Gesundheitsapartheid“ spricht, dann tut er das nicht aus Solidarität mit Palästinenser*innen, die nicht geimpft werden, sondern weil er auf antisemitische Verschwörungsmythen, die bei diesem Publikum sehr beliebt sind, anspielt. Wenn allerdings Palästinenser*innen oder Linke, die solidarisch mit ihnen sind, die israelische Impfpolitik kritisieren, ist das nicht antisemitisch motiviert. Genau bei solchen Unterscheidungen hilft die JDA.

Redaktion: Siehst du Schwächen in der Jerusalemer Deklaration und, wenn ja, welche?

Isabel: Da die JDA auf der IHRA-Definition aufbaut, reproduziert sie einige ihrer Schwächen. Eine davon ist, dass Antisemitismus nicht als ein historisch spezifisches und kulturell verankertes Phänomen verstanden wird, das sich aus der christlich-westlichen Gesellschaft gebildet hat und heute nach wie vor hauptsächlich ein rechtes Phänomen ist. Die JDA schafft es nicht zu benennen, dass die Gefahr nach wie vor von rechts ausgeht und nicht in erster Linie durch einen vermeintlich „linken“ oder „muslimischen Antisemitismus“, wie es Rechte oft sagen.

Eine andere Schwäche, ist dass durch eine separate Antisemitismusdefinition dieser künstlich von Rassismus getrennt wird. Die JDA deutet zwar an, dass Antisemitismus eng mit anderen Formen von Unterdrückung, wie Rassismus und Sexismus, zusammenhängt, erklärt aber nicht diesen Zusammenhang. Dabei wäre es für eine breite antirassistische Koalition heute so wichtig, eine Analyse zu haben, die diese zwei Phänomene zusammen denkt bzw. Antisemitismus als eine spezifische Form von Rassismus versteht. In der eigentlichen Definition der JDA wird das Wort Rassismus aber nicht einmal verwendet. Das erscheint mir absurd – was ist Antisemitismus, wenn nicht zumindest auch ein Rassismus? Es heißt ja nicht ohne Sinn Nürnberger Rassengesetze?

Redaktion: Nahezu ausschließlich in der deutschsprachigen Linken wird das Thema Israel und Antizionismus sehr kontrovers diskutiert. Was, denkst du, wäre wichtig, in der Diskussion zu berücksichtigen?

Isabel: Das Wichtigste für die deutschsprachige Linke wäre, endlich diese Diskussion offen und ohne Angst anzugehen. Das Thema ist teilweise so kontrovers, dass es gar nicht mehr diskutiert, sondern jegliche Diskussion unterbunden wird. Erstmal muss das repressive Klima des Schweigens gebrochen werden, um überhaupt eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema zu haben. Dann wäre das Wichtigste zu verstehen, dass Antizionismus nicht gleich Antisemitismus ist. Es gibt durchaus legitime Gründe, insbesondere für Palästinenser*innen und deren Unterstützer*innen, antizionistisch zu sein – das heißt, Israel als einen jüdischen Ethnostaat in einer binationalen Region abzulehnen. Wie die Zukunft in diesem schwierigen Konflikt ausschauen kann, ist eine wichtige Frage, die aber vom Kampf gegen Antisemitismus weitgehend getrennt werden muss.

Redaktion: Im letzten Jahr haben wir im Zuge der coronaskeptischen Bewegung einen deutlichen Anstieg von Antisemitismus erleben müssen. Woher kommt das und was, denkst du, wäre wichtig, dagegen zu tun?

Isabel: Historisch waren Epidemien in Europa, genauso wie Wirtschaftskrisen, mit einem Anstieg von Antisemitismus verbunden. Das ist also nichts Außergewöhnliches. Allerdings ist der Antisemitismus, der heute unter den Coronaleugner*innen wächst, ein besonders gefährlicher: Er verbindet uralte Formen von christlichem Judenhass, NS-Verherrlichung und Holocaustleugnung, die „Großer Austausch“-Thesen der neuen Rechten und neue antisemitische Verschwörungsmythen über die Coronapandemie als jüdische Weltverschwörungen. Antisemitismus ist hier ein zentrales Bindeglied, das diese verschiedenen Ideologien zusammenhält und noch dazu ein starkes Mobilisierungspotential hat. Durch den Pseudo-Antikapitalismus der antisemitischen Verschwörungsmythen wird auch das revolutionäre Potenzial der Menschen, die von der Krise betroffen sind, auf den Sündenbock der vermeintlich allmächtigen Jüd*innen gerichtet. Das ist nicht nur antisemitisch, sondern auch hinderlich für klassenkämpferische Bewegungen. Der Kampf gegen Antisemitismus ist daher auch ein zentraler Baustein eines Kampfes gegen Rassismus, Sexismus und Kapitalismus und muss daher Teil einer breiten antirassistischen, antifaschistischen und revolutionären Gegenbewegung sein.




Israels Annexionspolitik: Für die sozialistische Einstaatenlösung!

Robert Teller, Neue Internationale 248, Juli/August 2020

Israels neue Netanjahu-Gantz-Regierung, bestehend aus den zwei großen rechten Parteien Likud und „Blau-Weiß“, hatte angekündigt, zum 1. Juli formell die Annexion des Jordantals und der Siedlungen in der Westbank zu vollziehen. Die Annexion besetzter Territorien verletzt elementare Grundsätze des internationalen Rechts ebenso wie die Oslo-Vereinbarungen von 1993. Die Voraussetzung für diesen Schritt sind einerseits die „Erlaubnis“ des US-Imperialismus, die mit Trumps „Deal of the Century“ erteilt wurde, und andererseits die Einigung zwischen Likud und der Partei „Blau-Weiß“, eine Einheitsregierung zu bilden.

Die Annexion des Jordantals und der Siedlungen war das zentrale Wahlversprechen, mit dem Netanjahu angetreten war. Die ein Jahr lang andauernde Pattsituation zwischen Likud und „Blau-Weiß“ wurde nun in Anbetracht der COVID-19-Pandemie durch eine reaktionäre Einheitsregierung beider Kontrahenten aufgelöst. Diese soll nun vollenden, was bislang nur durch den Hauptstreitpunkt zwischen beiden Parteien – die zahlreichen gegen Netanjahu anhängigen Korruptionsverfahren – verzögert worden war. Bis zum 1. Juli war nicht klar, ob die Annexion tatsächlich formell erklärt wird, ob sie auf einen Teil der Gebiete aus Trumps „Deal“ begrenzt oder verschoben wird.

Gespaltene Verbündete

Dass der Schritt der formellen Annexion angesichts von weitreichenden Protesten nun vorerst nicht getan wurde, ist einerseits ein gängiges Muster in der israelischen Politik, die ihre Aggressionen nach der Salami-Taktik umsetzt, um das Entfachen spontaner Massenproteste zu vermeiden. Andererseits ist es eine Gefälligkeit Israels gegenüber denjenigen internationalen Verbündeten, die allergrößte Schwierigkeiten haben, ihre Beziehungen zu Israel in Anbetracht des geplanten Raubzuges als legitime Sache darzustellen. Doch die Geschichte beweist einerseits, dass kein verbaler Protest Israel jemals dazu gebracht hat, von der Durchsetzung seiner strategischen Ziele gegenüber den PalästinenserInnen Abstand zu nehmen. Andererseits offenbart sie, dass die westlichen Verbündeten kein Problem an sich mit der Ungerechtigkeit haben, die in der geplanten Annexion liegt, sondern vielmehr mit der öffentlichen Blamage, die diese offensichtliche Verhöhnung des Völkerrechts mit sich bringt.

Außenminister Heiko Maas etwa brachte bei seinem Besuch in Jerusalem seine „ernsthaften und ehrlichen Sorgen, als ein ganz besonderer Freund Israels, über die Konsequenzen eines solchen Schritts zum Ausdruck“ (1). Die Konsequenzen wären nämlich, das Ziel der Zweistaatenlösung, seit 30 Jahren offizielle Position der westlichen Regierungen, als Hirngespinst dastehen zu lassen. Wo kein Grund und Boden mehr übrig ist, da wird es keinen palästinensischen Staat geben. Und da die „Zweistaatenlösung“ durchaus wirksam sowohl bei der Demobilisierung des palästinensischen Widerstands als auch bei der Reinwaschung des Staates Israel als „demokratischer Verbündeter“ im westlichen Diskurs war, ist Sorge verständlich. Es wäre nicht mehr zu leugnen, dass ein Staat, der Territorien annektiert, ohne der dort lebenden Bevölkerung staatsbürgerliche Rechte zu verleihen – oder aber die palästinensische Bevölkerung in isolierten und abgehängten Brachflächen separiert – das Verbrechen der Apartheid begeht.

Während die US-Regierung ihre volle Unterstützung für die Annexion erklärt hat, sind die europäischen Regierungen gespalten. Einige befürworten die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens, das Teil als des Oslo-Prozesses abgeschlossen wurde. Einige osteuropäische Länder (u. a. Österreich und Ungarn) lehnen eine solche Maßnahme ab. Folglich kommt eine wirksame, einstimmige Entscheidung der EU-Mitglieder zu dieser Frage nicht zustande.

Kompromissloser Zionismus

Klar ist, dass der Staat Israel faktisch längst die alleinige Souveränität in der gesamten Westbank ausübt. Der Schritt, die Souveränität auch de jure zu erklären, ist also zunächst symbolisch, weil der Inhalt dieser Erklärung längst Realität ist. Aber diese symbolische Aneignung ist auch geeignet, in den Augen des palästinensischen Volkes die Trugbilder, die in den 30 Jahren des Oslo-Prozesses die Debatten beherrscht haben, zu beseitigen, die Zweistaatenlösung als Täuschung zu entlarven und zur Einsicht zurückzukommen, dass die kolonialistische Politik Israels keinen Raum für Kompromisse lässt.

Der israelischen Regierung ist bewusst, dass die eigentliche Gefahr für ihre Pläne weder in der Haltung ihrer internationalen Verbündeten noch der korrupten Autonomiebehörde liegt, sondern im Widerstand der PalästinenserInnen, die eine Annexion niemals akzeptieren werden. Die Regierung und ihre zionistischen UnterstützerInnen weltweit fürchten sich vor einer neuen Intifada, und die BLM-Bewegung weltweit erinnert sie daran, dass staatlicher Rassismus einen unbändigen Zorn verursacht, der sich auch in Palästina erneut Bahn brechen könnte.

Die geplante Annexion könnte das Ende der sorgfältig aufgebauten Arbeitsteilung zwischen Israel und der Autonomiebehörde einleiten. VertreterInnen der Behörde haben angekündigt, aus Protest u. a. ihre „Sicherheitszusammenarbeit“ (d. h. Koordination mit israelischen Sicherheitskräften, Auslieferung von Gefangenen etc.) auszusetzen und regelmäßige Zahlungen an eigene Beschäftigte und BeamtInnen in der Westbank und im Gazastreifen einzustellen. Diese „Drohungen“ – die im Übrigen schon öfters ausgesprochen, aber kaum verwirklicht wurden – beweisen einerseits, dass die Behörde keinerlei Souveränität besitzt, nicht mehr als einen ausführenden Arm der Besatzungsmacht darstellt und ihre Möglichkeiten darauf beschränkt sind, diese Funktion einzustellen – wie Hussein al-Sheikh, Fatah-Mitglied und in der Autonomiebehörde für die Zusammenarbeit mit Israel verantwortlich, ankündigt: „Ich werde mich jeden Tag aus meiner Verantwortung zurückziehen“ (2).

Die Ankündigungen weisen dennoch auf den wichtigen Punkt hin, dass mit der offiziellen Übernahme der Souveränität durch Israel der eigentlichen Funktion der Autonomiebehörde, die palästinensische Bewegung im Zaum zu halten, die Grundlage entzogen wird. Dies könnte einen Neuanfang innerhalb der Bewegung ermöglichen, einer neuen Generation von AktivistInnen den Weg eröffnen, den Betrug, den Fatah, Hamas und andere führende Kräfte der palästinensischen Bewegung organisiert haben, zu beenden und die Bewegung vom falschen Dogma der Zweistaatenlösung zu befreien.

Bankrott der Autonomiebehörde

Der Bankrott der Autonomiebehörde ist das notwendige Resultat der politischen Orientierung auf die Zweistaatenlösung durch die führenden PLO-Fraktionen. Diese Politik hat entscheidend zur Niederlage der zweiten Intifada beigetragen und die palästinensische Bewegung seitdem in einer passiven Agonie zurückgelassen. Eine neue palästinensische Massenbewegung muss der Mitverwaltung der Besatzung eine Absage erteilen und versuchen, alle PalästinenserInnen – ob in den 1948er-Gebieten, in der Westbank, im Gazastreifen oder in den Nachbarländern lebend – einzubeziehen und sie für das Ziel gewinnen, einen einzigen Staat in ganz Palästina zu erkämpfen. Dieser Staat muss allen BewohnerInnen – ob Juden/Jüdinnen, PalästinenserInnen oder anderen Nationalitäten – die gleichen Rechte gewähren, sowie den Flüchtlingen das Recht auf Rückkehr. Die palästinensische Bourgeoisie ist politisch völlig diskreditiert und wird in diesem Kampf nicht die entscheidende Rolle spielen. Es ist die Aufgabe von RevolutionärInnen, die Jugend, die ArbeiterInnen und Armen für das Ziel der Einstaatenlösung einzunehmen und innerhalb der Bewegung für die Position zu kämpfen, dass ein solcher Staat nur als sozialistischer Hand in Hand mit den Massenbewegungen anderer Länder, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens erreicht werden kann. Hierfür ist ein Aktionsprogramm notwendig, das den Kampf für unmittelbare Ziele, gegen die tagtäglichen Schikanen der Besatzung, verbindet mit dem für einen sozialistischen, multi-nationalen Staat Palästina.

InternationalistInnen weltweit müssen in den ArbeiterInnenbewegungen ihrer Länder dafür eintreten, dass diese die Annexionspolitik verurteilen, jede Unterstützung für den Staat Israel beenden, und der palästinensischen Bewegung die Unterstützung zukommen lassen, die nötig und möglich ist.

Endnoten

(1) https://www.timesofisrael.com/in-israel-german-fm-calls-annexation-illegal-but-doesnt-threaten-sanctions/

(2) https://www.nytimes.com/2020/06/08/world/middleeast/palestinian-authority-annexation-israel.html




Nahost: Nieder mit dem Trump-Plan zur Zerstörung Palästinas

Marcel Rajecky, Infomail 1094, 11. März 2020

Der Rahmen für
die nächste Phase der zionistischen Machtübernahme in Palästina und der
Enteignung des palästinenischen Volkes wurde der Welt von US-Präsident Donald
Trump als  ein weiterer „Deal des
Jahrhunderts“ verkündet. Sein zynischer Name: „Peace to Prosperity“ (Frieden
für Wohlstand).

Die Vereinigten
Staaten und die anderen BefürworterInnen des Plans stellen ihn als eine Lösung
dar, als Tausch von Land gegen Finanzspritzen. Die palästinensische Führung soll
der Annexion von 30 Prozent der besetzten palästinensischen Gebiete im
Westjordanland zustimmen und Gegenzug ein internationales Investitionspaket von
insgesamt 50 Milliarden US-Dollar erhalten.

Großbritanniens
neuer Premierminister und Trump-Bewunderer, Boris Johnson, hat es als einen
positiven Schritt nach vorn und Außenminister Dominic Raab als einen
„ernsthaften Vorschlag“ begrüßt, der einer „echten und fairen Prüfung“ würdig
ist. In scharfem Gegensatz dazu sagte der scheidende Labour-Führer Jeremy
Corbyn: „Er wird palästinensisches Gebiet annektieren, die illegale israelische
Kolonisierung zementieren, palästinensische BürgerInnen Israels transferieren
und dem palästinensischen Volk seine Grundrechte verweigern.“

In Wirklichkeit beerdigt
der Plan jede Aussicht auf einen palästinensischen Staat innerhalb seiner noch
international anerkannten Grenzen. Stattdessen läuft er auf eine weitere
israelische Landnahme hinaus und stärkt die US-imperialistische Herrschaft über
die angrenzenden Staaten der Region. Er würde auch ein neues politisches
Gebilde mit politischen Funktionen schaffen, die kaum einflussreicher sind als
die eines Gemeinderates, der auf verlogene Weise als palästinensischer „Staat“ verkauft
wird.

Der so genannte
„Deal“, an dessen Verhandlungen kein/e einzige/r VertreterIn des
palästinensischen Volkes teilnehmen durfte, folgte der Anerkennung Jerusalems
als „ungeteilte Hauptstadt Israels“ durch die Vereinigten Staaten. Er folgte
Trumps Versprechen, die Siedlungen innerhalb der Westjordanlandgrenze von 1967
anzuerkennen und der Beendigung der Beiträge seines Landes an die
Flüchtlingsorganisation UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für
Palästina-Flüchtlinge). Er rühmte sich sogar vor den zoinistischen SprecherInnen
in den USA: „Ich habe die massiven Geldbeträge gestoppt, die wir den
PalästinenserInnen zahlen“, und fügte hinzu, dass er ihnen sagte: „Wir zahlen
erst, wenn sie ein Geschäft eingehen“. Tatsächlich fielen die US-Beiträge von
360 Millionen US-Dollar auf 60 Millionen US-Dollar im Jahr 2018 und auf null
für 2019. Schulen, Krankenhäuser, Arbeitslosenhilfe, alle sind betroffen.

Alle diese
Aktionen machten deutlich, dass Trump fünfzig Jahre lang Resolutionen der
Vereinten Nationen, die von ehemaligen US-Präsidenten akzeptiert wurden, für
null und nichtig erklärte. Kurz gesagt, der „Deal des Jahrhunderts“, so der
israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, ist ein Ultimatum: Akzeptieren
Sie es einfach, oder wir werden Sie verhungern lassen und zur Unterwerfung
zwingen. Kein Wunder, dass sogar der Präsident der Palästinensischen
Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, der gefügigste Anführer, dem Israel je
gegenüberstand, sagen musste: „Nein, nein und nochmals nein! Jerusalem steht
nicht zum Verkauf. All unsere Rechte stehen nicht zum Verkauf oder
Tauschhandel.“ In der Zwischenzeit brachen Demonstrationen in Hebron, Ramallah,
Bethlehem und Rafah aus, und andere Städte wurden von Tränengas und Kugeln der
israelischen Streitkräfte heimgesucht. In Gaza wurde die Leiche einer/s von den
israelischen Streitkräften erschossenen PalästinenserIn provokativ von einem
Bulldozer weggeschleppt.

Land

Das auffälligste
Element des Vorschlags betrifft die territorialen Veränderungen, durch die
Israel endlich Gebiete annektieren wird, an denen es ein strategisches
Interesse hat. Die Karte des falsch benannten palästinensischen Staates wäre
ein Archipel aus Landblöcken, die durch israelisches Territorium geteilt und
eingefasst werden, die rechtliche Anerkennung eines Prozesses, der seit über
einem halben Jahrhundert andauert.

Im ersten
Schritt wird das gesamte Jordantal an Israel abgetreten, wodurch die Herrschaft
über das Wasser des Jordans, von dem ein Großteil der palästinensischen
Landwirtschaft abhängt, sowie die Kontrolle über die gesamte Grenze zu
Jordanien konsolidiert wird. Die wichtigste Überlegung der israelischen
herrschenden Klasse ist jedoch die Einkreisung des Westjordanlandes und die
Einrichtung eines östlichen Korridors. Dies ist ein zentrales Anliegen der
israelischen „Sicherheitsinteressen“ und wird von jeder Fraktion der
herrschenden Klasse in Israel, die sich jetzt in ihrem dritten Wahlkampf
innerhalb von 12 Monaten befindet, befürwortet, einschließlich so genannter
„liberaler“ ZionistInnen wie der Weiß- Blau-Allianz von Benny Gantz. Dass ein
solcher Schritt die weitere Vertreibung von weiteren Hunderttausenden
PalästinenserInnen aus ihren Häusern mit sich bringen würde, scheint kaum der
Rede wert.

Darüber hinaus
würde Israel Gebiete erwerben, um den Landstreifen zwischen dem Westjordanland
und dem Mittelmeer, in dem die Mehrheit der israelischen Bevölkerung lebt, zu
erweitern. Die Gebiete an den westlichen Grenzen des Westjordanlandes, in denen
sich die größten illegalen Siedlungen Israels befinden, sollen ebenfalls
annektiert werden. In vielen Fällen werden Siedlungen, die strategisch am Rande
großer palästinensischer Städte wie Hebron errichtet wurden, eingegliedert,
wodurch die BewohnerInnen in diesen Städten eingekreist und die
Bewegungsfreiheit und das tägliche Leben der PalästinenserInnen eingeschränkt
werden.

Am wichtigsten
ist wahrscheinlich, dass der Plan die israelische Annexion von fast ganz
Jerusalem vorschlägt, dem kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Zentrum
des historischen Palästina, das von den israelischen Truppen im Krieg von 1967
eingenommen wurde. Trumps Deal benennt „Ost-Jerusalem“ unehrlich als Hauptstadt
einer zukünftigen palästinensischen Gebietskörperschaft, die angeblich die
langjährige palästinensische Forderung erfüllt, schlägt aber als Standort die
Stadt Kafr ’Aqab vor, eine Stadt mit 10.000 EinwohnerInnen, etwa 12 Kilometer
von der al-Aqsa-Moschee in der Altstadt Jerusalems entfernt.

Der Plan lässt
die Möglichkeit der Übertragung von Gebietsteilen im Staat Israel an die
palästinensische Gemeinschaft offen, aber nur einige davon sind in der
vorgeschlagenen Karte enthalten und unterliegen strengen Bedingungen. So werden
dünn besiedelte Gebiete in der Wüste an-Naqb (Negev, Negeb) an Palästina gehen,
aber nur zur Nutzung als Industriezone, die für ausländisches Kapital offen
ist, deren Zugang von Israel kontrolliert wird, das auch die Straße verwaltet,
die das Gebiet mit dem Gazastreifen verbindet.

Der Plan schlägt
auch vor, dass die palästinensischen Städte und Gemeinden, die sich derzeit im
Staat Israel befinden, in die palästinensische Verwaltungseinheit eingegliedert
werden könnten, obwohl diese auf der vorgeschlagenen Karte nicht eingezeichnet
sind. Ein solcher Schritt wäre weniger eine Konsolidierung der Gebiete mit
palästinensischer Mehrheit als vielmehr die Entfernung der palästinensischen
israelischen BürgerInnen, wodurch ihnen das Wahlrecht bei den israelischen
Wahlen und ihr Reiserecht entzogen würden, während gleichzeitig die ethnische
Homogenität des „jüdischen Staates“ gefestigt würde.

Es muss
festgestellt werden, dass selbst wenn eine zukünftige palästinensische
Territorialeinheit alle diese Gebiete erhalten würde, dies bei weitem keine
gerechte Entschädigung für die israelischen Annexionen wäre. Im besten Fall
würde das vorgeschlagene palästinensische Gebilde 70 Prozent seines derzeitigen
Territoriums oder 16 Prozent des historischen Palästina verwalten. Im Gegenzug
für kaum besiedeltes Land würde es für seine Landwirtschaft lebenswichtiges
Land verlieren, Land, das die nördliche und südliche Hälfte des
Westjordanlandes verbindet, das südlich von Dschenin gegabelt wäre.

Diese
Forderungen nach der Annexion Ost-Jerusalems, des Jordantals und der illegalen
Siedlungen haben alle ihren Ursprung in den extremen Randbereichen der
israelischen Politik. Sie wurden nun von allen großen Parteien übernommen, die
mit Unterstützung der Trump-Administration die nächste israelische Regierung
führen würden.

Palästinensischer
Staat

Neben der
Neuordnung der palästinensischen Gebiete bis hin zur funktionalen
Unregierbarkeit fordert der Vorschlag, dass die PalästinenserInnen extreme
Einschränkungen der politischen Unabhängigkeit ihrer zukünftigen
Gebietskörperschaft akzeptieren und ihnen die grundlegendsten Funktionen eines
souveränen Staates vorenthalten werden.

Erstens wird
Israel ein Veto gegen den Beitritt Palästinas zu einer internationalen
Organisation einlegen. Zwar wird in dem Vorschlag nichts davon genannt, doch
könnte dies vor allem die Vereinten Nationen einschließen, in denen Palästina
noch immer kein Vollmitglied ist. Diese Forderung wirft auch Fragen über die
weitere Mitgliedschaft Palästinas in anderen Organisationen auf. Beispielsweise
könnte seine Zugehörigkeit zu Interpol oder zur Arabischen Liga diesem Veto
unterliegen mit der Begründung, dass es sich bei dem künftigen Kleinstaat um
ein „neuartiges“ politisches Gebilde handelt.

Der
palästinensischen Verwaltungseinheit wird es verboten, jegliche Art von
militärischen Befugnissen zu entwickeln, die über die eine leicht bewaffnete
Polizei hinausgehen. Selbst die defensivste militärische Infrastruktur,
Flugabwehr, Panzerabwehrwaffen und sogar Maschinengewehre sind ausdrücklich
verboten. Das Abkommen schließt auch die Schaffung eines palästinensischen
Geheimdienstes aus. Auch die militärische Zusammenarbeit mit anderen Staaten
soll einem israelischen Veto unterliegen, falls dieses feststellen sollte, dass
etwaige militärische Vereinbarungen eine Bedrohung für seine „Sicherheit“
darstellen.

Das Abkommen
verlangt auch, dass alle Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof
gegen den israelischen Staat eingestellt werden, damit die während der
Besatzung begangenen Verbrechen ungestraft bleiben und zukünftige Verbrechen
straffrei durchgeführt werden können. Dass eine solche Forderung in das
Abkommen aufgenommen wurde, ist ein Beweis für die Dringlichkeit, mit der
Israel die im Dezember vom Internationalen Strafgerichtshof angekündigte
Untersuchung seiner Kriegsverbrechen verhindern will.

In der Tat geht
das Abkommen weiter als die Forderung nach palästinensischer Zusammenarbeit
gegen diese internationale Untersuchung, indem es die Bedingung stellt, dass
Israelis auch nicht nach dem palästinensischen Rechtssystem vor Gericht
gestellt werden können. Dies ist ein Schritt, der der SiedlerInnen-Bevölkerung,
die im palästinensischen Rumpfstaat verbleiben wird, einen Freibrief ausstellt,
deren politischere Elemente Gewalt gegen die PalästinenserInnen verübt haben.
Sie schüchtern die palästinensische Bevölkerung routinemäßig durch die
Zerstörung von Farmen und Häusern unter dem Schutz der Besatzungstruppen ein,
und der Deal wird dies und die Immunität der TäterInnen weiterhin ermöglichen.

Das Abkommen
greift sogar noch weiter in groteske Details künftiger palästinensischer Regierungsführung
ein und stellt Forderungen an die Innenpolitik des künftigen Gebietes. Es
fordert das Ende der Sozialhilfezahlungen an die Familien der von den
BesatzerInnen getöteten Personen, die es als „TerroristInnen“ verleumdet.
Darüber hinaus stellt das Abkommen umfassende Forderungen, das Bildungssystem
des künftigen Staates von jeglichem Material zu säubern, das den Staat Israel
kritisiert.

Neben diesen
Forderungen gibt es eine Reihe von „Sicherheitserwägungen“, die das legale
Recht Israels auf die Kontrolle der palästinensischen Grenzen, des Luftraums
und der Fischerei festlegen. Israel behält sich auch das Recht vor, eine
Militäraktion gegen palästinensisches Gebiet einzuleiten, wenn es den Verdacht
hegt, dass die Führung Teile des Abkommens verletzt. Selbst wenn kein solcher
Verdacht besteht, erlaubt der Vorschlag „minimale Streifzüge“ auf
palästinensisches Gebiet im Namen der Sicherheit.

Ausländisches
Kapital

Das Abkommen ist
nicht nur ein Angriff auf die nationalen Bestrebungen der PalästinenserInnen,
sondern auch ein Schritt zur Verwirklichung der wichtigsten langfristigen Ziele
des Imperialismus in der Region: der Normalisierung der Beziehungen zwischen
seinen arabischen Klientelstaaten und Israel und des vollen, ungehinderten
Zugangs zu den Märkten in den besetzten palästinensischen Gebieten.

Das Abkommen
verspricht ein Investitionspaket von 50 Milliarden US-Dollar, das sich
hauptsächlich auf die Infrastruktur konzentriert. Vorgeschlagen wird, dass die
Investitionen von regionalen Staaten wie Libanon, Jordanien und Ägypten
getätigt werden, wobei ein Großteil der Mittel von den Golfstaaten, den USA und
Europa bereitgestellt wird.

Die
Infrastrukturvorschläge skizzieren den Prozess, durch den alle
palästinensischen Industrien wie Transport, Strom und Wasser für privates
Kapital gesichert und die Gewinne ins Ausland zurückgeführt werden sollen.

Nur sehr wenige
dieser Investitions-„Möglichkeiten“ werden dem palästinensischen Volk greifbare
Vorteile bringen. Das lächerlichste der Infrastrukturprojekte, ein Tunnel, der
das Westjordanland mit dem Gazastreifen verbindet und mit 45 Kilometern
ungefähr so lang wie der Ärmelkanaltunnel wäre, könnte nach israelischem
Ermessen geschlossen werden.

Anstatt den
Lebensstandard der PalästinenserInnen zu erhöhen, zielen viele der
Investitionen darauf ab, die Aneignung von Reichtum aus dem Gebiet zu
erleichtern. Ein beträchtlicher Teil der 57 Milliarden Euro wird zum Beispiel
für die Modernisierung von Häfen innerhalb Israels vorgeschlagen, die laut Plan
von ausländischen InvestorInnen für den Export von Produkten aus Palästina an
internationale KäuferInnen benutzt werden sollen.

Das
Investitionsprogramm hat auch ein deutlich ausplünderndes Element, das die
ersten Schritte in Richtung auf den Besitz von Stein und Marmor des Landes und
die begrenzte Ölversorgung durch ausländisches Kapital vorsieht. Am wichtigsten
wird jedoch die Kontrolle über die der Küste vorgelagerten Erdgasfelder des
Gazastreifens sein, die die palästinensischen Behörden vor zwei Jahren von Shell
erworben haben, vor allem als Folge der Schwierigkeiten, in einem Gebiet zu
operieren, das wiederholt von Israel bombardiert wurde.

Darüber hinaus
ist ein Großteil der Investitionen auf den Tourismus ausgerichtet, eine
Industrie, in der ein „Boom“ schwer vorstellbar ist, solange die Gebiete
weiterhin den willkürlichen militärischen Übergriffen der israelischen Truppen
ausgesetzt sind.

Der Zweck der
Vereinbarung

Die Forderungen,
die der Vorschlag an die palästinensische Führung stellt, sind so ungeheuerlich,
dass es wahrscheinlich ist, dass seine BefürworterInnen von den
PalästinenserInnen erwarten oder sogar wollen, dass sie ihn ablehnen.
Tatsächlich wurden kein/e VertreterInnen der palästinensischen Behörden und nur
wenige PalästinenserInnen überhaupt zu dem Deal konsultiert.

Trumps
Schwiegersohn und angeblicher Verhandlungsführer des Abkommens, Jared Kushner,
machte sehr deutlich, was er unter „Verhandlung“ versteht:

„Sie müssen
aufhören, auf Mythen zu warten, die nie kommen werden, und auf Märchen, die nie
kommen werden. Die Palästinensische Autonomiebehörde würde lieber hingehen und
sich beschweren, als an den Tisch zu kommen und zu verhandeln, was, offen
gesagt, zeigt, dass sie nicht bereit ist, einen Staat zu haben“.

Mit „verhandeln“
ist „bedingungslos kapitulieren“ gemeint, und „Abkommen“ bedeutet „ein Diktat
akzeptieren“. Das Angebot eines Bestechungsgeldes dafür, das zu einem
erheblichen Teil von den umliegenden arabischen Staaten gezahlt würde, ist nur
wegen seiner dreisten Unverschämtheit bemerkenswert.

Der verlogene Charakter
des Abkommens bedeutet jedoch nicht, dass Israel und die USA nicht versuchen
werden, es zu verwirklichen. Schließlich handelt es sich bei den Vorschlägen um
eine Reihe von seit langem bestehenden Ambitionen des israelischen Staates und
seiner Verbündeten, insbesondere in Bezug auf Annexionen, Abrüstung und
Rückführung. In der Tat stellt fast jeder wichtige Vorschlag in dem Abkommen
eine Politik dar, für die die israelische herrschende Klasse seit Jahren
Lobbyarbeit betreibt.

Darüber hinaus
ist es wahrscheinlich, dass viele dieser Vorschläge unabhängig vom Widerstand
der palästinensischen Führung umgesetzt werden. In einem solchen Fall wird
Israel den Deal als diplomatische Tarnung benutzen können, indem es auf seine
Ablehnung durch alle Fraktionen der palästinensischen Führung als Beweis für
ihre „Nicht-Zusammenarbeit“ hinweist. Während Israel seine nun fast
unvermeidlichen Annexionen und die damit einhergehenden fortgesetzten
ethnischen Säuberungen durchführt, wird es zynisch darauf hinweisen, dass der
Deal für die PalästinenserInnen die verpasste „Gelegenheit“ für das darstellt,
was die israelische Regierung unredlich als nachhaltige Lösung auftischt.

Zukunft des
Zionismus

Was das Theater
um den Deal enthüllt, ist nicht nur, dass Israel die „Zwei-Staaten-Lösung“
völlig verachtet, sondern dass es endlich einen US-Präsidenten hat, der bereit
ist, die Maske fallen zu lassen und den Plänen Israels sein Siegel der
Zustimmung zu geben. Es wäre ein lebensunfähiger, abhängiger Kleinstaat, dessen
eigentliche Funktion darin bestünde, viele Millionen PalästinenserInnen
einzusperren, aber ihren KerkermeisterInnen eine neue Legitimität innerhalb der
„internationalen Gemeinschaft“ als „vernünftiger“ Staat zu verleihen, der
verhandelt und den PalästinenserInnen „Zugeständnisse“ macht.

Dass Israel sich
weigert, auch nur in Betracht zu ziehen, was den PalästinenserInnen nach
geltendem Völkerrecht zusteht – jeder Zentimeter des Westjordanlandes und des
Gazastreifens, die Rückkehr der vertriebenen palästinensischen Flüchtlinge und
der Rückzug jedes/r israelischen SoldatIn aus der Besetzung ihres Territoriums
–, ist nicht das Ergebnis der besonderen Strategie seiner gegenwärtigen
Regierung, sondern vielmehr der Ideologie der gesamten Bewegung: Zionismus. Ein
Land, das 1948–1949 700.000 Menschen ethnisch gesäubert und nacheinander
insgesamt sieben Millionen Flüchtlinge vertrieben und ausgegrenzt hat, drückt
nicht seine eigene demokratische Selbstbestimmung aus, sondern verweigert einem
anderen Volk die seine und errichtet dabei einen übermächtigen rassistischen Staat.

Während
RechtfertigerInnen für die israelische Staatsgewalt immer noch auf die
Möglichkeit eines palästinensischen Staates an der Seite Israels hinweisen,
untergräbt letzteres diese Möglichkeit immer wieder, indem es das Gebiet eines
solchen Staates durch den illegalen Bau von Siedlungen zerstückelt. Der
rechtliche Rahmen für die israelischen Annexionen besteht seit 1993, als die
Osloer Abkommen unterzeichnet wurden und Israel eine bedeutende Kontrolle über
das Gebiet erhielt, das ihm nun in Trumps Deal in vollem Umfang zugesagt wurde.

Ob der
„Jahrhundertdeal“ mit oder ohne die erzwungene Zustimmung der palästinensischen
Führung voranschreitet, das palästinensische Volk wird ihm Widerstand
entgegensetzen. In diesem Widerstand verdient es die stärkste und
unermüdlichste internationale Solidarität. Im Kampf gegen den Deal müssen wir
gleichzeitig ein Ende der Besatzung palästinensischen Landes, das Recht auf
Rückkehr aller Flüchtlinge und volle Bürgerrechte für die PalästinenserInnen
innerhalb des Staates Israel fordern.

Jetzt, da das
zionistische Regime sowie Trump und Johnson das Projekt eines Apartheidstaates
unterstützt haben, ist es besonders wichtig, dass wir die Forderung nach einem
einzigen Staat „Palästina unterstützen, dessen BürgerInnen, Israelis wie
PalästinenserInnen, gleiche politische Rechte haben sollen. Als SozialistInnen
glauben wir, dass ein solcher Staat die Bedürfnisse aller seiner BürgerInnen am
besten lösen und widersprüchliche nationale Ansprüche befriedigen kann, indem
er auf der Grundlage einer demokratischen Planwirtschaft das gesellschaftliche
Eigentum an Land, Fabriken, Dienstleistungen usw. durchsetzt.

Kurz gesagt, wir
müssen daran arbeiten, die ArbeiterInnen und die Jugend beider Nationen und
Sprachen zu unterstützen, damit sie die Macht in ihre eigenen Hände nehmen und
ein sozialistisches Palästina als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten
des Nahen Ostens aufbauen.




Einschränkung offener Diskussion: Antideutsche und Hausverbote

Tobi Hansen, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar 2020

In ihrer Hetze gegen InternationalistInnen, AntizionistInnen
und AntiimperialistInnen greifen antideutsche Gruppierungen nicht nur zu Lüge
und Diffamierung – sie versuchen auch gezielt, linke Veranstaltungen zu
verhindern. Davon sind palästinensische und antizionistische AktivistInnen,
BDS, ja sogar die Friedensbewegung regelmäßig betroffen.

Hetze

Ähnlich erging es unserer Veranstaltungsreihe,
„Antisemitismus – eine marxistische Analyse“, in der wir unsere theoretische
Arbeit vorstellen. Bislang konnten wir diese in Berlin, Stuttgart, Dresden und
Wien erfolgreich durchführen. An dieser Stelle schon mal vielen Dank an alle,
die trotz massiven Drucks auf ihre Räumlichkeiten nicht eingeknickt sind,
sondern die Durchführung der Veranstaltungen erlaubt haben. Vielen Dank an
dieser Stelle auch an die beteiligten GastrednerInnen vom Palästinakomitee
Stuttgart und BDS Berlin. Vor allem die AusrichterInnen mit ihren
Räumlichkeiten wurden nach der Ankündigung von der antideutschen Szene unter
Druck gesetzt. Das führte zu Absagen in Berlin (Mehringhof) und Stuttgart (Büro
der SJD – Die Falken) sowie zu einer Protestkundgebung einiger Verwirrter in
Dresden gegenüber dem ausrichtenden kurdischen Verein.

In unserer Veranstaltung legten wir einerseits eine Analyse
der Wurzeln des Antisemitismus, seiner Funktion im Kapitalismus und der Mittel,
ihn zu bekämpfen, dar. Andererseits gingen wir auf die Diskurs-Verschiebung der
letzten Jahrzehnte und deren politischen Zweck ein. So heißt es in der
Veranstaltungsankündigung:

„Gleichzeitig hat sich der Zionismus durch die aktuelle
Entwicklung der israelischen Politik in einen immer reaktionäreren
Nationalismus gewandelt, der starke Momente des Rassismus in sich aufgenommen
hat – und im Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung weiter radikalisiert.
Damit wird der berechtigte Kampf gegen den Antisemitismus verwirrt durch einen
Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs, der gegen alle verwendet wird, die sich
nicht bedingungslos hinter die Apartheid-Politik der israelischen Regierung
stellen.“

Die Kündigung von Räumlichkeiten stellt nur einen Ausdruck
von Diffamierung und Hetze gegen alle dar, die sich der prozionistischen und
imperialistischen Diskursverschiebung entgegenstellen.

Die sog. Antideutschen sind selbst im weitesten Sinn keine
„Linken“. Ihr ganzer Existenzzweck besteht in der Verteidigung des westlichen
Imperialismus und der postkolonialen Unterdrückung. Dazu schreckten einige
ihrer ideologischen Köpfe und Magazine (Wertmüller, Bahamas) vor dem Hofieren
der nationalistischen Rechten und Zusammenarbeit mit ihr nicht zurück. Sie
stellen eine „radikale“, reaktionäre kleinbürgerliche Strömung dar, die
deutlichst gegen jede Klassenpolitik kämpft und den Imperialismus verteidigt.

In den „deutschen“ Besonderheiten dieser Strömung werden
Masse und Klasse als reaktionäre Grundformen begriffen. Jegliche
„Personifizierung“ wird als „Verkürzung“ der Kapitalismuskritik dargestellt,
die letztlich antisemitisch sei. Diese „post-intellektuelle“ Verhunzung von
Marx und Engels ist nicht links, sondern durch und durch reaktionäre
bürgerliche Ideologie.

Mit dieser Antisemitismus-Definition versuchen deren
ParteigängerInnen seit Jahren, sich auch als treue HandlangerInnen des deutschen
und US-amerikanischen Imperialismus innerhalb der ArbeiterInnenbewegung
einzunisten. Israel stellt als Besatzungs- und Militärmacht auch aktuell einen
wichtigen Stützpunkt des imperialistischen Systems dar. Jegliche Solidarität
mit dem palästinensischen Widerstand, jegliche Diskussion über das reale
Apartheid-Regime in der Westbank, der „Ghettoisierung“ von Gaza wird zum
„Antisemitismus“ verkehrt. Zugleich wird der reale, wachsende Antisemitismus
verharmlost. Die Antideutschen zeigen sich einig mit der Bundesregierung, dem
Verfassungsschutz, den DGB-Gewerkschaften, größeren Teilen der Linkspartei,
aber auch der AfD. Denunziert werden alle palästinensischen, arabischen,
internationalistischen und antiimperialistischen Gruppierungen. Das reicht
schon mal für Haus- und Auftrittsverbote, Androhungen von physischer Gewalt,
Zuhilfenahme der Polizei, Störungen von Veranstaltungen, Zusammenarbeit mit
offen bürgerlichen und reaktionären Kräften – das ganze Repertoire von
„zivilgesellschaftlicher“ und staatlicher Sabotage.

Zensur

Gefährlich wird es, wenn sich dieses Spektrum als Zensor
dazu erheben möchte, Veranstaltungen zu verbieten.

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht musste diese Erfahrung schon
mehrmals machen.

So beim diesjährigen „Klimacamp“ im August 2019 (siehe: http://arbeiterinnenmacht.de/2019/08/11/klimacamp-leipzig-antiimperialismus-unerwuenscht) oder anlässlich unserer aktuellen Veranstaltungsreihe. So galt der Mehringhof in Berlin lange Zeit als ziemlich „offen“ für alle Spektren, auch wenn dies die Antideutschen einschloss (siehe: http://arbeiterinnenmacht.de/2019/11/03/diskutieren-geht-nicht-veranstaltungsreihe-zum-antisemitismus-wird-bekaempft-rede-und-versammlungsrecht-verteidigen/).

Nachdem uns die Hausversammlung des Mehringhofs die Räume
für die Berliner Veranstaltung gekündigt hatte, forderten wir eine Begründung
der Entscheidung und das Recht ein, 
bei der nächsten Versammlung zumindest vorsprechen zu können. Selbst
dieses demokratische Ansinnen betrachteten die selbsternannten
SzenewächterInnen offenbar als Zumutung. Hinkünftig sollen die Räumlichkeiten
an ArbeiterInnenmacht überhaupt nicht mehr vermietet werden – natürlich ohne
Begründung. Wir fordern die Organisationen, die Mitglieder der Hausversammlung
sind, auf, uns Rederecht zu geben, diese Willkür zu beenden und den Beschluss
zu revidieren. Mit dem Verbot verhält sich der Mehringhof nicht nur als
verlängerter Arm der Antideutschen, sondern als Erfüllungsgehilfe der
deutschen, imperialistischen Nahostpolitik.

In jedem Fall werden wir uns diesem reaktionären Druck nicht
beugen – und wollen und werden uns dabei verstärkt mit anderen
internationalistischen Gruppierungen koordinieren.

Wir planen die Fortsetzung der Veranstaltung in Hamburg,
München, Frankfurt/Main und Kassel. Wir rufen alle antiimperialistischen Linken
dazu auf, in dieser Frage solidarisch zusammenzustehen. Dabei geht es eben
nicht allein um die Darstellung unserer Positionen und  Schlussfolgerungen, es geht auch um den
Kampf gegen Zensur und Einschüchterung sowie für demokratische Rechte.




Geschenk an Netanjahu

Robert Teller, Infomail 1078, 25. November 2019

Die US-Regierung hat erklärt, die israelischen Siedlungen in
der Westbank nicht mehr als Verletzung internationalen Rechts anzusehen. Keine
andere Regierung weltweit außer der israelischen hat jemals die Siedlungen als
rechtmäßig anerkannt.

Mit einer Begründung hielt sich die US-Administration nicht
lange auf: „Wir erkennen die Realität in dem Gebiet an“, so Außenminister
Pompeo – und schon wird Unrecht zu Recht.

Dabei erklärt selbst die 4. Genfer Konvention den Transfer
der eigenen Bevölkerung einer Besatzungsmacht in besetztes Gebiet als illegal.
Eine Vielzahl an Rechtsgutachten ebenso wie UNO-Resolutionen bestätigen das
Offensichtliche, dass dieser Tatbestand in der Westbank erfüllt ist – zuletzt
die Resolution 2336 von 2016. Der Schritt kann also nicht als eine „neue
Rechtsauffassung“ verstanden werden, sondern als die offene Anerkennung und
Akzeptanz der Tatsache, dass internationales Recht, wenn es im Widerspruch zu
den strategischen Zielen des Staates Israel steht, für diesen keine Bedeutung
hat. Die Anerkennung der Siedlungen durch die US-Regierung folgt auf die
Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und der Annexion der Golanhöhen, die
allesamt Verletzungen internationalen Rechts darstellen.

Die Entscheidung ist ein weiteres Wahlkampfgeschenk an den schwer
angeschlagenen Premierminister Netanjahu, der sich voraussichtlich zum dritten
Mal in Folge Neuwahlen stellen muss.

Die Siedlungen sind seit der Eroberung der Westbank im
Sechstagekrieg 1967 zentraler Bestandteil des Besatzungssystems und der andauernden
ethnischen Säuberung Palästinas, d. h. der Vertreibung und
Marginalisierung der PalästinenserInnen. Die militärisch bewachten Siedlungen
sollen den Souveränitätsanspruch des israelischen Staates in den besetzten
Gebieten untermauern.

Die israelische Rechte beabsichtigt, mittelfristig das
Jordantal und die Siedlungen zu annektieren, was nichts anderes als die
Legalisierung des Status quo wäre. Sie denkt nicht daran, auch nur einen Teil
der Westbank einem zukünftigen palästinensischen Staat zu überlassen, denn jede
noch so beschränkte Form palästinensischer Selbstbestimmung wäre eine
permanente Gefahr angesichts der Millionen Vertriebenen, die sich mit ihrem
Schicksal nie abgefunden haben und ihr Recht auf Rückkehr fordern. Die von der
offiziellen palästinensischen Vertretung ebenso wie von der restlichen
„Staatengemeinschaft“ gepriesene „Zweistaatenlösung“ ist also tot.

Die zahme „Kritik“, die u. a. die deutsche
Bundesregierung formuliert, richtet sich nicht gegen die Ungerechtigkeit der
aggressiven Politik Israels und der USA gegenüber den PalästinenserInnen,
sondern dagegen, dass diese den eigenen Standpunkt als verlogene Utopie
entlarvt. Die Abwendung vom „Friedensprozess“ ist zwar eine Absage an den
bisherigen „internationalen Konsens“, dass eine Lösung in Verhandlungen mit der
Autonomiebehörde gefunden werden müsse. Dass bislang keine andere Regierung den
USA bei der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt gefolgt ist, zeigt auch, dass
diese Politik riskant ist. Sie ist aber folgerichtig und keineswegs eine
Kehrtwende, sondern die logische Fortsetzung der Politik der vergangenen 25
Jahre. Israel will in der Westbank kein zweites Gaza, sondern einen Raum für
die Expansion des SiedlerInnenstaates schaffen. Mittlerweile ist,
„Friedensprozess“ hin oder her, die Gesamtzahl der SiedlerInnen in der West
Bank auf über 600.000 angewachsen. Dann braucht es langfristig auch keine
palästinensische Mitverwaltung der Besatzung.

Die eigentliche Gefahr für den israelischen Staat liegt aber
gerade darin, dass er die PLO-Fraktionen, die durch ihr Festhalten an der
Illusion der Zweistaatenlösung seit 25 Jahren den Widerstand gegen die
Besatzung lähmen, politisch diskreditiert und blamiert. Sie liegt darin, dass
die Kollaboration der reaktionären arabischen Regime mit Israel und die
„Friedenspolitik“ des deutschen und europäischen Imperialismus ihre
Scheinlegitimation verlieren.

Die sog. Zweistaatenlösung entpuppt sich mit jedem Schritt
als diplomatische Fiktion. RevolutionärInnen sollten dies zum Anlass nehmen, in
Palästina und in der weltweiten Solidaritätsbewegung für die einzig mögliche
fortschrittliche Lösung einzutreten: einen einzigen, sozialistischen Staat
Palästina, der allen BewohnerInnen, allen Nationalitäten unabhängig von
Religion und Herkunft die gleichen Rechte garantiert, einschließlich des
Rückkehrrechts für die Flüchtlinge.




Parlamentswahlen in Israel: Oslo-Abkommen abgewählt

Robert Teller, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Die israelischen
Knessetwahlen am 17. September sollten Benjamin Netanjahu mit der Mehrheit
ausstatten, die er bräuchte, um Premierminister zu bleiben. Sie haben aber die
Liste Kachol Lavan (Blau Weiß) des ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz
knapp zur stärksten Kraft gemacht.

Kachol Lavan
erhielt 25,95 % der Stimmen bzw. 33 Sitze in der Knesset, dem israelischen
Parlament. Netanjahus Likud (Zusammenschluss) kam auf 25,10 % (32 Sitze). Selbst
mithilfe verbündeter Parteien verfügt keines der beiden Lager über eine
Abgeordnetenmehrheit.

Gantz,
Befehlshaber der Gaza-Kriege 2012 und 2014, will mit der Person Netanjahu
abrechnen und ist zu einer Koalition mit Likud nur unter der Bedingung bereit,
dass Netanjahu nicht der Regierung angehört. Dieser wurde zwar erneut mit der
Regierungsbildung beauftragt, aber dies ist nutzlos, solange keine Koalition
unter seiner Führung möglich ist.

Wie bei der
vorigen Wahl im April wird ihr Zustandekommen wohl unter anderem an Avigdor
Liebermans Bedingung scheitern, die Befreiung ultraorthodoxer Juden und
Jüdinnen von der Wehrpflicht abzuschaffen. Solange keine Partei ihre
Wahlversprechen bezüglich einer Regierungsbeteiligung revidiert, sind
wiederholte Neuwahlen wahrscheinlich. Mit den Mehrheitsverhältnissen in der
Knesset ist auch Netanjahus Ziel, durch eine Gesetzesänderung Immunität vor
Strafverfolgung zu erhalten, gescheitert.

Keine Illusionen
in Gantz

Die Fehde
zwischen Netanjahu und Gantz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Programme des Likud und der angeblichen Mitte-Links-Parteienliste Kachol Lavan
weitgehend deckungsgleich sind – auch hinsichtlich der israelischen Kontrolle
des Jordantals, des Status Ostjerusalems, der Besatzung der Westbank und der
Ablehnung des Rückkehrrechts. Zusammen vereinigen sie 51 % der Stimmen auf
sich. Weitere 19 % der Stimmen entfallen auf Parteien der religiösen
Ultrarechten, 7 % auf die säkulare, völkische Partei Jisr’ael Beitenu (Unser
Zuhause Israel) von Avigdor Lieberman. Die ehemals mächtige Awoda
(Arbeitspartei) ist mit 5 % für ihre Liste nahe an der Bedeutungslosigkeit. 4 %
erhielt die von der Meretz-Partei (Energie) angeführte Liste. Die Vereinigte
Liste arabischer Parteien bildet mit 11 % der Stimmen immerhin die
drittstärkste Fraktion in der Knesset. 10 ihrer 13 Abgeordneten haben
allerdings ihre Unterstützung für eine Regierung unter Führung von Gantz
erklärt, um einen Premier Netanjahu zu verhindern.

Die
Wahlergebnisse zeigen, wie sehr sich die politischen Verhältnisse nach rechts
verschoben haben. Mehr als drei Viertel der Stimmen entfallen auf rechte bis
rechtsextreme Parteien. Auch wenn der Likud seine führende Rolle in einer
Regierung verlieren sollte, prägen Kernelemente seines Programms die gesamte
politische Landschaft im Staat Israel.

Scheitern der
Zweistaatenlösung

Mit der
Ankündigung, das Jordantal zu annektieren, beerdigt Netanjahu in offenem Bruch
geltender Verträge und internationalen Rechts die sogenannte Zweistaatenlösung.
Natürlich wird den PalästinenserInnen, die 85 % der Bevölkerung des seit 1967
besetzten Jordantals ausmachen, schon längst das Selbstbestimmungsrecht auch
auf diesem Gebiet verwehrt. Das von Netanjahu beanspruchte Territorium besteht
weitestgehend aus C-Gebieten, die nach den Osloer Verträgen unter alleiniger
israelischer Kontrolle stehen. 85 % der Fläche darf von PalästinenserInnen
nicht betreten oder genutzt werden. 46 % des Jordantals ist als militärisches
Sperrgebiet deklariert. Hierunter fallen auch die israelischen Siedlungen.
Faktisch steht es längst unter israelischer Souveränität. Die Annexion wäre der
logische Abschluss der Besatzungspolitik seit 1967 – und ginge zugleich mit
einer weiteren Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung einher.

Die
Zweistaatenlösung diente 25 Jahre lang dem Zweck, das Besatzungsregime in der
Westbank als lediglich vorübergehenden Zustand zu legitimieren. Die Frage, wie
ein demokratischer Staat der Hälfte seiner Bevölkerung demokratische Rechte
verweigern kann, wurde mit Verweis auf den zukünftigen palästinensischen Staat
beantwortet, die Rechtlosigkeit der PalästinenserInnen mit den Umständen der
Besatzung gerechtfertigt. Mit der Annexion der besetzten Gebiete würde der
rassistische Charakter der Staatsverfassung Israels, die einem Teil seiner
Bevölkerung aufgrund seiner ethnischen Herkunft staatsbürgerliche Rechte
verweigert, noch deutlicher geraten und auf ein größeres Territorium und dessen
Bevölkerung ausgeweitet werden. Das Scheitern der Zweistaatenlösung und die
Annexion von Teilen der Westbank wird jeden Zweifel ausräumen, dass der
„demokratische Staat“ in Wirklichkeit ein rassistischer Apartheidstaat ist.

Annexion und
Expansion

Hinzu kommt,
dass eine erfolgreiche Annexion des Jordantals mit großer Wahrscheinlichkeit
nur einen Zwischenschritt zu Einverleibung der gesamten Westbank darstellen
würde. Schon heute trommelt der rechtsextreme Avigdor Lieberman für diese
„Lösung“, deren logisches Ende die Vertreibung und ein (schleichender)
Völkermord wären.

Die sogenannte
Zweistaatenlösung ist damit endgültig ins Reich der Träume verbannt. Mit der
Annexion des Jordantals wäre nicht nur jede Hoffnung auf einen
gleichberechtigten palästinensischen Staat neben Israel der Lächerlichkeit
preisgegeben. Vielmehr wäre auch die zentrale Institution des „Oslo-Systems“,
die Autonomiebehörde, hinfällig, die seit 25 Jahren für die Mitverwaltung der
Westbank als verlängerter Arm der Besatzung zuständig war. Die „Palestinian
Authority“, die aus dem Oslo-Prozess als Insolvenzverwalterin der geläuterten
PLO entstanden ist, hätte ihren Zweck erfüllt. Ihr bliebe noch als letzte
Amtshandlung, den Löffel abzugeben.

Die aggressive
Politik droht unter jeder Regierungskoalition. Sie würde mit einer weiteren
Abriegelung und Aushungerung der Bevölkerung in Gaza einhergehen, das
ökonomisch weniger lukrativ für eine direkte Annexion erscheint, ebenfalls mit
weiterer Aggression gegenüber dem Libanon und Iran – zumal für jedes dieser
reaktionären Vorhaben mit der Unterstützung durch die USA und stillschweigendem
Einvernehmen Saudi-Arabiens gerechnet werden kann.

Insofern ist die
zionistische Rechte in Israel im Begriff, die Karten in Palästina neu zu
mischen. Als erstes wird dabei die Illusion des demokratischen Staates Israel
über den Jordan gehen. Womöglich mit dieser auch die sorgfältig errichteten
Trennlinien zwischen 1948er-PalästinenserInnen einerseits und den BewohnerInnen
Gazas, Ostjerusalems und der Westbank andererseits. Die Pläne der zionistischen
Rechten werden zweifellos auf den erbitterten Widerstand der PalästinenserInnen
stoßen.

Perspektive

Die führenden
palästinensischen Vertretungen und die Fatah-geführte Regierung, die bis heute
an der Illusion der Zweistaatenlösung festhalten, werden zu diesem Widerstand
kaum mehr als nutzlose Appelle an die „Weltgemeinschaft“ und den israelischen
Staat, den „Friedensprozess“ fortzuführen, beitragen (Fatah: Eroberung, Sieg).
Fatah-Premierminister Mohammad Schtajjeh droht schon mal, alle Vereinbarungen
mit Israel, denen dieses sich ohnehin nie verpflichtet gefühlt hat, auszusetzen.

Die einzige
Alternative zum rassistischen Status quo, der zionistischen Einstaatenlösung,
ist ein multinationaler, sozialistischer ArbeiterInnenstaat in ganz Palästina.
Dieser kann nur durch den Sturz der israelischen Bourgeoisie mit Methoden des
Klassenkampfes, durch PalästinenserInnen und fortschrittliche ArbeiterInnen und
Unterdrückte in Israel erreicht werden. Die entschlossene, internationale
Solidarität mit dem Widerstand der PalästinenserInnen stellt ein entscheidendes
Element dar. Sie ist Aufgabe und Verpflichtung aller linken, fortschrittlichen
und demokratischen Kräfte auf der Welt.




Bundestagsbeschluss: Staatsräson kontra BDS

Robert Teller, Neue Internationale 238, Juni 2019

Die Resolution,
die der Bundestag am 17. Mai mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen
beschlossen hat, trägt den Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten –
Antisemitismus bekämpfen“. Substanziell Neues enthält sie nicht, denn ihre
Kernaussage – die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus – ist
bereits seit geraumer Zeit ein reaktionärer Grundkonsens dieser
Parteienkoalition. Eigentliches Ziel der Resolution ist es auch nicht, einen
Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus zu leisten, der angesichts des
gesellschaftlichen Rechtsrucks und des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien
europaweit auf dem Vormarsch ist.

Bundestagsresolution

So heißt es im
Beschluss : „Wer Menschen wegen ihrer jüdischen Identität diffamiert, ihre
Freizügigkeit einschränken will oder das Existenzrecht des jüdischen und
demokratischen Staates Israel oder dessen Recht auf Landesverteidigung infrage
stellt, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.“

Hier werden
kurzerhand grundverschiedene Dinge in einen Topf geworfen, um den Brückenschlag
vom antifaschistischen hin zum bellizistischen Grundkonsens zu bewerkstelligen.
Wer gegen antijüdischen Rassismus kämpft, muss nicht die israelische
„Landesverteidigung“ – selbst ein Euphemismus angesichts der vorsätzlichen
Ermordung von 183 palästinensischen DemonstrantInnen durch israelische
ScharfschützInnen am Sperrzaun um Gaza seit März 2018 – befürworten. Und auch
umgekehrt beweisen die AfD ebenso wie Viktor Orbán und viele andere
RassistInnen, dass die Unterstützung des Staates Israel keinesfalls profunde
antisemitische Überzeugungen ausschließt.

Dass derartige
Überzeugungen nicht nur ein Problem des Denkens, sondern eine physische
Bedrohung für JüdInnen sind, zeigen offizielle Zahlen, die 2018 einen Anstieg
antisemitischer Gewaltakte um 74 % in Frankreich bzw. um 60 % Prozent in
Deutschland gegenüber dem Vorjahr ausweisen. Und selbst das BKA – unverdächtig,
die Gefahr von rechts zu übertreiben – gibt an, dass diese Gewaltakte zu 90
%von rechtsextremen Einheimischen verübt werden.

BDS-Kampagne

BDS geht auf
einen Aufruf 171 palästinensischer Organisationen aus dem Jahr 2005 zurück.
Seine Ziele sind der Abriss der vom Internationalen Gerichtshof 2004 als
illegal beurteilten Sperrmauer in der West Bank, die Beendigung der Besetzung
arabischen Landes, die völlige rechtliche Gleichstellung von PalästinenserInnen
in Israel und das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge, das in der
UNO-Resolution 194 gefordert wird. Die Ziele von BDS gehen letztlich nicht
einmal über die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen und
bürgerlich-demokratischer Grundsätze hinaus. Ungeachtet der Frage, ob der
Aufruf an KonsumentInnen, israelische Waren nicht zu kaufen, für deren Durchsetzung
das wirksamste Mittel ist – antisemitisch ist er gewiss nicht.

Die BDS-Kampagne
prangert lediglich in besonders öffentlich wirksamer Weise die systematische
Diskriminierung von PalästinenserInnen durch den israelischen Staat an und
versucht, durch Anwendung des Boykotts das Bewusstsein für diese
Ungerechtigkeiten zu vergrößern und zugleich den Staat Israel unter Druck zu
setzen. Dies als antisemitisch zu brandmarken, basiert auf der falschen
Gleichsetzung des Staates Israel mit der jüdischen Nation – eine Gleichsetzung,
der selbst eine nationalistische bis völkische Vorstellung nationaler Einheit
zugrunde liegt.

Die Diffamierung
dieser Bewegung, deren Ziele vom gesamten palästinensischen politischen
Spektrum unterstützt werden, leistet auch dem rassistischen Generalverdacht
Vorschub, PalästinenserInnen oder AraberInnen besäßen per se antisemitische
Tendenzen – wie auch der im Rahmen der Asylrechtsverschärfungen diskutierte
Vorschlag, von muslimischen EinwandererInnen ein Bekenntnis zu Israel zu verlangen.

Ein offener
Brief, der von 66 jüdischen und israelischen AkademikerInnen unterzeichnet
wurde, charakterisiert die Resolution durchaus zutreffend:

„Ein
Bundestagsbeschluss, der die palästinensische BDS-Bewegung mit Antisemitismus
gleichsetzt, ist ein Angriff auf und eine Stigmatisierung von
PalästinenserInnen in Deutschland und unterdrückt ihre freie Meinungsäußerung
und ihre Sorgen. Dies könnte sie und andere Gruppen in der deutschen
Gesellschaft auch vom Kampf gegen Antisemitismus entfernen, anstatt sie dafür
zu gewinnen. Die Gleichsetzung von BDS mit Antisemitismus wird von der
rechtesten Regierung in der israelischen Geschichte betrieben. Dies ist Teil
der ständigen Bestrebungen, jeglichen Diskurs über die Rechte der
PalästinenserInnen und jegliche internationale Solidarität mit ihnen zu
delegitimieren, die unter Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden.“

Kritik unter
Generalverdacht

„Berechtigte
Kritik“ an der israelischen Regierung muss laut den BefürworterInnen der
Bundestagsresolution „natürlich“ erlaubt sein, Aktionen selbst symbolischer
Art, die sich gegen den Staat Israel richten, müssen es jedoch nicht. Das
bedeutet: Kritik ist nur insofern erlaubt, als sie den Vorstellungen der
deutschen imperialistischen Außenpolitik passt. Praktische internationale
Solidarität mit den PalästinenserInnen gilt nicht nur als unerwünscht, sie wird
diffamiert und kriminalisiert. Denn eine internationale Solidaritätskampagne,
die sich gegen die systematische und institutionalisierte Diskriminierung von
PalästinenserInnen durch die Regierung Israels wendet und sich zum Ziel setzt,
diese Diskriminierung zu beenden, kommt letztlich nicht umhin, Mittel
anzuwenden, die den Staat Israel unter Druck setzen, diesem ökonomisch oder
politisch schaden und seine unterdrückerischen Aktionen delegitimieren.

Das Problem bei
der Bandmarkung von BDS als antisemitisch ist nicht nur, dass fortschrittliche
Kräfte zu Unrecht als RassistInnen abgestempelt werden. Der Begriff
„Antisemitismus“ wird hierbei auch seines Inhalts beraubt. Wenn im Namen der
deutschen Staatsräson jede BDS-UnterstützerIn oder jede Menschenrechts-NGO erst
einmal auf ihren heimlichen Antisemitismus durchleuchtet werden muss, dann
lässt das die wahren AntisemitInnen ebenso unbeeindruckt wie die Hexenverfolgung
Unwetter, Missernten und Pestepidemien. Die Gleichsetzung von Antizionismus mit
Antisemitismus dient nicht nur der Einschränkung demokratischer Rechte, sondern
auch als Entschuldigung des bürgerlichen Lagers und der reformistischen
Parteien dafür, den RechtspopulistInnen nichts entgegenzusetzen und sie durch
Anpassung ihrer eigenen Politik auch noch zu stärken.

Und die
Linkspartei?

Neben dem
fraktionsübergreifenden Antrag stand aber noch einer der LINKEN zur Abstimmung.
Die Partei verweigerte dem Regierungsantrag zwar die Zustimmung. Zugleich legte
sie jedoch einen eigenen vor, nachdem Petra Pau damit gedroht hatte,
andernfalls mit der Regierung zu stimmen. Wer nun denkt, dass die LINKE dem
Regierungsantrag eine linke Kritik entgegensetzt, liegt falsch. Auch dieser
Antrag charakterisiert BDS als generell antisemitismusverdächtig. Der
wesentliche Unterschied zum Regierungsantrag ist, dass die LINKE dem Text ein
Bekenntnis zur längst begrabenen Zweistaatenlösung hinzufügt:

„Für uns steht
fest, dass eine friedliche Lösung auf Basis der bisherigen UN-Resolutionen
sowie der zwischen beiden Parteien geschlossenen Abkommen nur mit zwei
unabhängigen, lebensfähigen, demokratischen und miteinander kooperierenden
Staaten umsetzbar ist.“

Dies ist zwar
offiziell auch die Position der Bundesregierung. Dass dieses Thema im
Regierungsentwurf mit keinem Wort erwähnt wird, mag aber auch daran liegen,
dass nur die LINKE noch „ernsthaft“ an der Illusion von der Zweistaatenlösung
festhält. In Wirklichkeit ist sie nur eine diplomatische und „völkerrechtliche“
Fassade, hinter der die zionistische Version der Einstaatenlösung Stück für
Stück Realität wird. Auf einem zerstückelten, von Trennmauern und Checkpoints
durchzogenen Flickenteppich von palästinensischen Inseln ohne Grundwasser,
Hauptstadt, Währung, Finanz- und Grenzkontrolle, Hafen oder Flughafen wird kein
„lebensfähiger Staat“ entstehen – höchstens eine Karikatur dessen, die das
heutige System rassistischer Segregation zementiert. Auch heute übt letztlich
Israel in den besetzten Gebieten die Staatsgewalt aus. Die sogenannte
„Palästinensische Autonomiebehörde“ stellt einen verlängerten Arm der Besatzung
dar, die Hamas-„Regierung“ hat etwa soviel „Eigenständigkeit“ wie eine
Gefangenenvertretung in einem Freiluftgefängnis.

Entscheidend ist
aber auch, was die LINKE in ihrem Entwurf nicht schreibt: Zweck der Resolution
ist nicht der Kampf gegen Antisemitismus, sondern die Beschneidung von
demokratischen Grundrechten. Indem die Resolution explizit BDS in die Nähe zu
NS-Parolen rückt, soll nicht nur die öffentliche Ächtung und Ausgrenzung von
BDS legitimiert werden, was beispielsweise in München in Form eines
Stadtratsbeschlusses realisiert wurde, der es BDS-UnterstützerInnen untersagt,
öffentliche Räumlichkeiten zu mieten. Es soll hiermit auch jede öffentliche
Positionierung für die Rechte der PalästinenserInnen delegitimiert werden. Die
AfD denkt im Grunde nur diesen Ansatz konsequent zu Ende, indem sie gleich das
Verbot von „BDS“, das als einheitliche Organisation gar nicht existiert,
fordert. Dies könnte im nächsten Schritt zu Vereinsverboten führen, wie sie
bereits vielfach gegen die kurdische Solidaritätsbewegung, türkische auch
palästinensische Linke in Deutschland eingesetzt wurden. Schon heute beschränkt
sich die Diffamierung nicht auf BDS, sondern trifft auch viele andere Linke –
einschließlich von Initiativen wie der „Jüdischen Stimme für einen gerechten
Frieden im Nahen Osten“.

Hände weg von
BDS!

Und solche
Maßnahmen werden sich nicht auf BDS-Gruppen beschränken, sondern auch gegen die
gesamte internationalistische und anti-imperialistische Linke eingesetzt
werden.

Folglich müsste
auch die gesamte Linke den Kampf gegen derartige Angriffe führen, die wir als
Ausdruck der allgemeinen Rechtsentwicklung in Deutschland und weltweit sehen
sollten. Vor allem aber müssen sie auch als Schritt zur ideologischen
Vorbereitung weiterer reaktionärer imperialistischer und zionistischer
Aggression im Nahen Osten begriffen werden – sei es die Annexion der
Golan-Höhen, ein drohender Angriff gegen den Iran, Bombardements von
pro-iranischen Stellungen im Irak und vor allem die fortgesetzte Vertreibung
der PalästinenserInnen. Jede Kritik an solcher Kriegstreiberei, Intervention,
Mord und Vertreibung soll im Voraus mundtot gemacht werden.

Die ArbeiterInnenbewegung
und die Linke müssen in diesem Kampf einen unabhängigen Standpunkt einnehmen
und ihn mit dem Kampf gegen RassistInnen gleich welcher Art verbinden. DIE
LINKE dagegen reiht sich ein in eine bürgerliche „Einheitsfront”, die uns die
Unterstützung des militaristischen, rassistischen Staates Israel als
„Entschuldigung“ für den Holocaust verkauft. InternationalistInnen sollten für
die einzige Lösung kämpfen, die die Grundlage für jeglichen Rassismus
beseitigen kann: einen multinationalen, sozialistischen Staat in ganz
Palästina, der allen dort lebenden Bevölkerungsgruppen die gleichen Rechte
gewährt.

Alle
internationalistischen, proletarischen, ja alle demokratischen Kräfte müssen
offen gegen den Bundestagsbeschluss auftreten: Hände weg von BDS! Hände weg von
der Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk und dessen Widerstand!




Nach dem Wahlsieg Netanjahus: Nächste Stufe der Eskalation

Andy York, Neue Internationale 237, Mai 2019

Nach den Wahlen am 9. April kann der
rechtsgerichtete israelische Ministerpräsident Benjamin „Bibi“ Netanjahu für
eine fünfte Amtszeit planen. Sein Wahlkampf rückte die israelische Politik noch
weiter nach rechts – vor allem mit der Drohung, die israelischen Siedlungen im
Westjordanland zu annektieren und so das von der Palästinensischen
Autonomiebehörde formell kontrollierte Gebiet weiter zu reduzieren. Schon zuvor
hatte US-Präsident Trump die Einverleibung der Golanhöhen anerkannt.

Wie im Jahr 2015 nutzten AktivistInnen
der Likud-Partei die sozialen Medien, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, indem
sie rassistische Paranoia über israelische arabische WählerInnen schürten. Eine
PR-Firma, die mit Likud zusammenarbeitet, platzierte sogar 1.200 Kameras in
Wahllokalen, um palästinensische WählerInnen einzuschüchtern, vorgeblich um
einen „arabischen Wahlbetrug“ zu verhindern. Der Sieg Netanjahus, der
mittlerweile der längste amtierende israelische Premierminister aller Zeiten
ist, signalisiert die Konsolidierung der israelischen Politik im
rechtsnationalistischen, ultrarassistischen Sinn und weitere administrative und
militärische Angriffe auf das palästinensische Volk und seine nationalen Rechte.

Dass Netanjahu es nur knapp geschafft
hat, die Opposition, die neu gegründete „Blau-und-Weiß“-Allianz
(Zusammenschluss der Parteien „Widerstandskraft für Israel“ von Benny Gantz und
„Es gibt eine Zukunft“ von Yair Lapid), zu schlagen, mag naiven BeobachterInnen
etwas Hoffnung geben – aber dies ist eine trügerische. Das Wahlergebnis wurde
zunächst als Unentschieden gewertet, mit je 35 Sitzen für Likud und „Blau und
Weiß“, aber Netanjahu erzielte 15.000 zusätzliche Stimmen (weniger als ein
Prozent der Wähler) und einen weiteren 36. Sitz. Zusätzlich verfügt der rechte
Block mit dem Likud im Zentrum über insgesamt 66 in der 120 Abgeordnete
umfassenden Knesset, eine komfortable Mehrheit. Fügt man „Blau und Weiß“ hinzu,
so ist Israels Parlament damit überwiegend rechts-nationalistisch
zusammengesetzt.

Während Netanjahu vorgab, dass die Wahl
vorgezogen werden müsse (sie war ursprünglich im November 2019 fällig), weil
seine Regierung wegen der Frage des Militärdienstes für Ultraorthodoxe in eine
Sackgasse geraten war, bildete den eigentlichen Grund für die Vorziehung eine
drohende Anklage der israelischen Staatsanwaltschaft in drei Fällen von
strafbarer Korruption. Vor der Wahl hatte er dies als „Hexenjagd“ verurteilt
und behauptet, er würde nicht als Premierminister zurücktreten, selbst wenn die
Anklage gegen ihn erhoben würde. Die israelischen WählerInnen, denen die
Wahlabstimmung als Referendum über Netanjahu präsentiert wurde, haben „König
Bibi“ verteidigt.

Neue Normalität

Die verschiedenen Aspekte dieser Wahl
zeigen, wie sehr sich die rechtsgerichtete, gewaltsam chauvinistische
politische Ausrichtung der israelischen Politik in den letzten zehn Jahren zur
„Normalität“ entwickelt hat.

Die einst mächtige Arbeitspartei
(haAwoda: „Die Arbeit“), Bollwerk des israelischen Staates im zwanzigsten
Jahrhundert, erlebte ein Schrumpfen ihres Wähleranteils auf ein Allzeittief von
sechs Mandaten (von 120 Sitzen). Sie verlor gegenüber 2015 14,24 Prozent der
Stimmen und liegt nun bei 4,43 Prozent. BeobachterInnen stellten ihre Zukunft
als Partei in Frage. Zu Recht – ihr neuer Führer Avraham „Avi“ Gabbay, ein
ehemaliger Telekom-Chef und von Mai 2015 bis Mai 2016 Umweltminister in der
letzten Netanjahu-Regierung, versuchte es mit offenen Appellen an den
israelischen Chauvinismus und behauptete, dass „die Linke vergessen hat, was es
heißt, jüdisch zu sein“. Er versprach, den Großteil der israelischen Siedlungen
im Westjordanland in jedem Friedensabkommen und einem israelischen Referendum
über den künftigen Status des palästinensischen Ostjerusalems im Bestand zu
sichern. Avraham Daniel „Avi“ Nissenkorn, bis März 2019 Generalsekretär der
israelischen Gewerkschaftsföderation Histadrut, ging – einmalig in der
israelischen Geschichte – von Bord der Arbeitspartei, um sich „Blau und Weiß“ anzuschließen.
Einschließlich der linksliberalen Parteien Meretz („Stärke“) und der
zusammengebrochenen Hatnuah („Die Bewegung“) , der Blockpartnerinnen von
haAwoda im Jahr 2015, fiel Israels sogenannte „zionistische Linke“ von 31 auf
zehn Sitze.

Die gemeinsame Liste der israelischen
Kommunistischen Partei und des arabisch-israelischen Ta’al („Arabische Bewegung
für Erneuerung“) gewann sechs Sitze und zog damit mit der Arbeitspartei gleich.
Insgesamt verloren die arabischen Parteien jedoch drei Sitze, da sich ihre
WählerInnen fernhielten und deren Wahlbeteiligung auf 49 % sank. In einigen
Fällen mag dies daran gelegen haben, dass junge AktivistInnen aufgrund des
neuen Nationalstaatsgesetzes für einen Boykott kämpften. Aber auch die PR-Firma
Kaizler Inbar, die wie gesagt Kameras in Wahllokalen einsetzte, prahlte: „Dank
unserer Beobachter in jedem Wahllokal konnten wir die Wahlbeteiligung der
AraberInnen auf unter 50 Prozent senken, die niedrigste der letzten Jahre!“
Dank ihrer „tiefen und engen Partnerschaft mit den besten Menschen im Likud
haben wir eine Operation ins Leben gerufen, die entscheidend zu einer der
wichtigsten Errungenschaften des rechten Blocks beigetragen hat“.

Trotz eines Last-Minute-Wahlkampfes der
arabischen Parteien in den Moscheen ist das Gefühl der Sinnlosigkeit zweifellos
unbestritten. Jegliche Zusammenarbeit mit palästinensischen Parteien wird in
der gegenwärtigen Mainstream-Politik in Israel sowieso als „Hochverrat“
gebrandmarkt. Etwa ein Fünftel der israelischen Bevölkerung wird so systematisch
aus der „einzigen Demokratie“ der Region ausgegrenzt. Die linksliberale Zeitung
„Haaretz” warnte angesichts des Auftritts der Rechtsparteien sogar davor, dass
dies die letzte Wahl gewesen sein könnte, an der nicht-jüdische Parteien
überhaupt teilnehmen konnten.

Und es ist daher wichtig, sich vor
Augen zu halten, was „Mitte-Rechts“ im politischen Spektrum des zionistischen
Staates bedeutet, der eine offen annektionistische Politik betreibt. Die
„Mitte-Rechts“-Partei „Blau und Weiß“ wurde von der neuen Partei „Israelische
Widerstandskraft” angeführt, die vom ehemaligen Stabschef der Armee (IDF) Benny
Gantz im Dezember 2018 gegründet wurde. Sie wird prominent vertreten durch drei
ehemalige Stabschefs und Minister aus früheren Netanjahu-Regierungen, darunter
den ehemaligen Verteidigungsminister Mosche „Bogie“ Jaalon an der Spitze der
Telem-Partei („National-Staatsmännische Bewegung“) . Laut BBC wetteiferten die
„Blau und Weiß“-FührerInnen untereinander, wer für die meisten Tötungen
palästinensischer Militanter verantwortlich gewesen sei. Sie betonten Gantz‘
Rolle bei der Invasion 2014 in Gaza inklusive der Bombardierungen, bei denen
2.251 PalästinenserInnen, zumeist ZivilistInnen, getötet und Schäden im Wert
des dreifachen BIP von Gaza hinterlassen wurden. Gantz versprach in seiner
Kampagne, „die Siedlungsblöcke und die Golanhöhen zu stärken, aus denen wir uns
nie zurückziehen werden“ und ein vereintes Jerusalem als Hauptstadt Israels zu
erhalten (nachdem Trump es 2017 als solche anerkannt hatte).

Netanjahus 2018 verabschiedetes neues
Grundgesetz legt fest – was eigentlich immer schon Realität in Israel war -,
dass es allein der Staat seiner jüdischen Bevölkerung ist. Dies macht seinen
Charakter als Apartheid-Staat immer deutlicher – was bei Teilen der israelischen
Gesellschaft auch zu einem gewissen Unbehagen geführt hat. Dem kam Gantz mit
dem Versprechen von „Nachbesserungen“ dieses Gesetzes nach, während er
gleichzeitig die Siedlerbewegung legitimiert und das Arabische als Amtssprache
fallen lässt.

Viele der zionistischen Liberalen
Israelis analysieren, dass Gantz‘ Hinterhertrotten hinter Netanjahu bedeutete,
dass die Menschen sich entschieden haben, für das Original zu stimmen.
Grundsätzlich hatten die vermeintlichen Alternativen – Gantz oder Arbeitspartei
– bereits viele der Positionen, die Netanjahu mit Trumps Unterstützung auf
Kosten der PalästinenserInnen eingenommen hat, übernommen. Die Ankündigung,
dass „Blau und Weiß“ in der Knesset vereint bleiben werde, um (in Gantz‘
Worten) „Netanjahus Leben zur Hölle zu machen“, stellt allenfalls eine verbale
Drohgebärde einer schwachen, patriotischen und korrupten Opposition dar, die
tatsächlich nur „demokratische“ Begleitmusik zur nationalistischen Kakophonie
hervorbringen wird.

Dazu kommt, dass sich die Rechtskoalition
von Netanjahu durch Verschiebungen im ultra-nationalistischen Bereich auf noch
extremere Rechtsparteien stützen wird müssen. Die „Union der Rechtsparteien“,
nunmehr eine wichtige Koalitionspartnerin, umfasst auch die „Vereinigte
Nationalpartei“ des Bezalel Joel Smotrich, der Frieden in Palästina nur für
möglich hält, wenn es alle Nicht-Juden/-Jüdinnen „verlassen“ haben. Mit solchen
Regierungsbestandteilen ist eine weitere Eskalation der Unterdrückung,
Entrechtung und Vertreibung von PalästinenserInnen vorprogrammiert. Eine
nächste Regierung Netanjahu und auch die zionistische „Opposition“ wollen keine
„Verhandlungslösung“, sondern Kapitulation seitens der PalästinenserInnen.

 Totengräber der Zweistaatenlösung

Während von den Regierungen und der
„Demokratie“ des imperialistischen Europa weiter die Zweistaatenlösung
beschworen wird, hat sie sich in den letzten Jahren als politische Fiktion
entpuppt, die durch die Politik des Zionismus selbst als solche entlarvt wird.
Das zeigte sich auch im Wahlkampf. Zwei Wochen vor dem Urnengang behauptete die
israelische Zeitung „Haaretz“, dass nur noch drei wahlwerbende Parteien sie
offen unterstützten, die in Umfragen noch 34 % der Israelis repräsentierten,
während bereits 42 % die Annexion der Siedlungen oder des gesamten (!)
Westjordanlandes befürworteten.

Israel begann den Prozess der
Besiedlung nach dem Krieg von 1967, in dem Ost-Jerusalem, das Westjordanland
und der Gazastreifen erobert wurden, eine Politik der Kolonisierung, die eine
zukünftige Annexion bedeutete. Der Prozess, die Besatzung dauerhaft zu machen,
ist der logische Endpunkt des zionistischen Projekts und war von Anfang an im
Gang. Der Alltag von Besatzung und Militärrecht, der schleichenden Vertreibung
durch SiedlerInnen und der Gesetze zu deren Legalisierung oder Diskriminierung
der PalästinenserInnen läuft weitgehend ohne Protest der „Weltöffentlichkeit“
ab, bleibt für die „Menschen im Westen“ eine verdrängte Realität. Netanjahu
strebt den nächsten Schritt an, indem er die Siedlungen annektiert und
weiterhin das gesamte Gebiet des Westjordanlandes „kontrolliert“: „Drei Dinge
habe ich ihnen gesagt: Erstens, ich vertreibe keinen Juden aus dem
Westjordanland, keine Gemeinschaft. Es wird keine Siedler oder Siedlungen
geben, die entfernt werden. Der zweite Punkt ist, dass wir Jerusalem nicht
teilen werden. Der dritte Punkt ist, dass wir weiterhin das gesamte Gebiet
westlich des Jordans kontrollieren werden.“

Er gratulierte Trump zu seinem Schritt,
der Israels Annexion von Golan anerkennt, und legte Begründungen vor, die
ebenso leicht auf das Westjordanland angewendet werden können: „Israel gewann
die Golanhöhen in einem gerechten Krieg der Selbstverteidigung und die Wurzeln
des jüdischen Volkes im Golan reichen Tausende von Jahren zurück.“

US-Außenminister Michael Richard „Mike“
Pompeo sagte, er habe keine Bedenken gegen Netanjahus Pläne und deutete an,
dass der bevorstehende Friedensplan, der von der Trump-Administration unter
Chefberater Jared Kushner entwickelt werde, von der Zweistaatenlösung Abschied
nehmen würde: „Ich denke, dass die Vision, die wir darlegen werden, eine
signifikante Veränderung gegenüber dem verwendeten Modell darstellen wird.“

Die Zweistaatenlösung, die unter den
gegebenen Kräfteverhältnissen, der „Aufteilung“ des Landes und der vielen
ungelösten Probleme (palästinensische Flüchtlinge, Jerusalemfrage,
Zerstückelung der arabischen Gebiete und Durchsetzung mit Siedlungen,…) nur
eine reaktionäre Scheinlösung sein konnte, wurde unter Netanjahus langer
Herrschaft immer tiefer begraben. Die Realität der Einstaatenlösung – der
israelische Staat – existiert bereits. Der Kampf muss darin bestehen, die
Herrschaft der israelischen, zionistischen herrschenden Klasse zu zerbrechen
und zu stürzen, das Recht der PalästinenserInnen auf Rückkehr und
Selbstbestimmung zu erkämpfen und einen einheitlichen säkularen,
multi-ethnischen Staat zu errichten. Dies wird nur möglich sein, wenn der
reaktionäre Nationalismus, Zionismus und Imperialismus, die heute in der Region
dominieren, durch internationalistischen Sozialismus überwunden werden.