Iran-Proteste: „Anfangs emotional – jetzt politisch“

Interview der Liga für die Fünfte Internationale mit Ali Rezaei, einem Iranischen Sozialisten, Infomail 1205, 18. November 2022

LFI: Wir möchten unser Mitgefühl ausdrücken. Wir wissen, dass viele Menschen, und fast alle Sozialist:innen, im Iran einen geliebten Menschen verloren haben oder um einen solchen fürchten. Wie fühlst Du Dich, wenn Du jetzt Tausende von Menschen siehst, die sich auf den Straßen des Irans wehren?

AR: Das iranische Volk kämpft gegen einen barbarischen Klerus, dessen Brutalität die Jugend, die Frauen, die Arbeiter:innen, die Armen, die Liberalen, die Progressiven, die Sozialist:innen und alle, die einen anderen Standpunkt vertreten, mit Blut getränkt hat. In jeder Stadt, ja in jeder Familie, gibt es Beispiele von Menschen, die nicht nur Unterdrückung und Gewalt, sondern auch den Tod erlebt haben. Der Klerus hat das Leben zu einer Qual gemacht.

Dies ist keine gewöhnliche Bewegung, sondern der Hass gegen den Klerus ist explodiert. Die Ermordung von Jina Mahsa Amini hat eine Revolution ausgelöst, in der Frauen eine zentrale Position eingenommen haben und Student:innen ebenfalls sehr wichtig sind. Sie haben in den Bewegungen der Vergangenheit immer eine entscheidende Rolle gespielt. Die iranische Gesellschaft hat die Herrschaft des Klerus abgelehnt.

Die Ermordung von Mahsa hat die Angst zerschlagen. Ursprünglich war es emotional, aber jetzt ist es politisch, eine Bedrohung für das Regime, das die Massen seit vier Jahrzehnten unterdrückt hat. Die Bewegung hat das einfache Volk geeint. Es scheint, dass das Ende dieses repressiven Regimes möglich ist. Das treibt den Kampf voran und hat Kurd:innen, Belutsch:innen, Araber:innen sowie die Arbeiter:innen und Armen mit einbezogen.

Die Revolte, die sich an Universitäten und Schulen ausgebreitet hat, ist ermutigend. Früher waren es Aktivist:innen, die hofften, dass diese dunkle Nacht ein Ende haben würde. Jetzt wird diese Stimmung von der gesamten Gesellschaft geteilt, die sich weigert, dieses Scharia-System zu akzeptieren. Unterdrückung und Tyrannei werden nicht länger geduldet, die Menschen kämpfen dagegen und für die Freiheit.

LFI: Mahsa ist ein Symbol für die Brutalität der Sittenpolizei und die Unterdrückung des kurdischen Volkes. Jetzt ist sie auch zu einem Band geworden, das den Widerstand wieder zusammengeführt hat. Wie hat sich der Tod von Mahsa auf Dich ausgewirkt?

AR: Ihr richtiger Name ist nicht Mahsa Amini. Im Iran darf man keine kurdischen Namen verwenden. Ihr richtiger Name ist Jina. Das zeigt, wie stark die nationale Unterdrückung im Iran ist. Die Art und Weise, wie Demonstrant:innen nach der Vergewaltigung eines belutschischen Mädchens getötet wurden, zeigt das wahre Gesicht dieser islamistischen Regierung. Ob unter dem Schah oder dem Klerus, in den Gebieten der unterdrückten Nationen kamen immer extreme Formen der Unterdrückung vor, Rückständigkeit und Armut. Aber es gab auch Widerstand, manchmal bewaffnet. Türk:innen, Kurd:innen, Araber:innen und Belutsch:innen sind in dieser Bewegung vereint, und die Slogans gegen die nationale Unterdrückung und das herrschende Regime vereinen die Bewegung.

Für die iranischen Staatsbürger:innen ist das Regime des Klerus seit Jahrzehnten eine Falle. Im Rahmen dieser Bewegung gegen die Ermordung von Mahsa droht vielen jungen Frauen und Student:innen die Inhaftierung. Viele wurden sogar bereits brutal ermordet. Tod der Diktatur! Sie ist eine Blutsaugerin! Die Fundamente dieses Systems stehen in dem Blut, das diese berüchtigte religiöse Diktatur vergossen hat. Wir alle sind Jina. Die Solidarität mit dieser Revolution gibt uns Hoffnung. Ich appelliere an die Frauen und Arbeiter:innen in aller Welt, diesen Kampf gegen die Unterdrückung, die die schlimmste Dekadenz des kapitalistischen Systems und des Imperialismus hervorgebracht hat, weiterhin zu unterstützen.

LFI: Wir hören Berichte über eine neue Generation junger iranischer Frauen, die sich weder dem Staat noch seiner Ideologie beugen.

AR: Die Haltung des klerikalen Regimes war für Frauen schon vor diesem Mord unerträglich geworden. Die Geschichte der Frauenbewegungen im Iran ist bewundernswert. Es gab bereits ein Gefühl der Macht, aber der Tod von Mahsa verwandelte dies in eine Revolution.

Die Frauen akzeptieren den Hidschab und andere Einschränkungen nicht. Jugendliche und Student:innen, die eine wichtige Rolle spielen, sind für die Mullahs schwer zu kontrollieren. Hass und Wut wachsen. Einer der Hauptgründe dafür ist neben den Einschränkungen und der Unterdrückung die Wirtschaftskrise. Der jungen Generation wurde die Hoffnung genommen, und ihre einzige Möglichkeit ist der Kampf.

Die Situation ist jetzt ganz anders. Eine große Mehrheit der Bevölkerung will die Mullahs loswerden. Frauen spielen eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung, aber jetzt schließen sich alle Schichten der Bewegung an. Selbst religiöse Menschen hassen diese Regierung jetzt, was bedeutet, dass die Wurzeln des klerikalen Regimes hohl geworden sind und seine Basis sehr schwach ist.

LFI: Kannst du uns etwas über die Mentalität dieser neuen Generation erzählen, von der wir alle hoffen, dass sie der Garant für zukünftige Freiheit sein wird?

AR: Junge Menschen machen mehr als 60 Prozent der iranischen Gesellschaft aus. Sie tragen nicht die Last vergangener Niederlagen und stehen in Kontakt mit der modernen Welt, auch wenn es viele Probleme gibt und die Situation sehr kompliziert ist. Inflation und Arbeitslosigkeit haben jedoch alle Schichten der Gesellschaft erfasst. Auch die Mittelschicht ist davon stark betroffen, und deshalb umfasst die Bewegung verschiedene Schichten.

Andererseits ist die Popularität der Mullahs auf einen Tiefpunkt gesunken, und es wird immer schwieriger, diese Jugendlichen zu kontrollieren. Sie sind wütend über die Demütigung, der sie, insbesondere die Frauen, ausgesetzt sind. Die Gesellschaft liegt bereits so sehr im Würgegriff, aber es werden noch mehr Einschränkungen auferlegt, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Frauen werden nicht nur gedemütigt, sie werden gewaltsam verhaftet und verschwinden, und auch die Familienmitglieder werden gedemütigt. Das ganze System basiert auf Angst und Unterdrückung, und die Jugend akzeptiert es nicht mehr.

LFI: Wie reagieren die Sittenpolizei und das Regime auf diese junge Generation? Kannst Du uns etwas über die Praktiken der Sittenpolizei und das Leid, das sie verursacht, erzählen?

AR: Der iranische Staat und seine Institutionen waren früher in der Lage, jeden Widerstand mit Gewalt zu unterdrücken. Seit 2009 wurden verschiedene Bewegungen durch die brutale Repression, das Verschwinden-Lassen, die Verhaftungen und die Massaker der Welayat-e-Faqih-Bande (Statthalterschaft des Rechtsgelehrten), der mörderischen sogenannten Wächter:innen der Revolution und anderer niedergeschlagen. Die Unterdrückung der Kurd:innen und Belutsch:innen ist besonders extrem.

Schon vor Covid trug die anhaltende Wirtschaftskrise zu einem starken Anstieg von Armut, Inflation und Arbeitslosigkeit bei. Gegenwärtig leben mehr als 40 Prozent der iranischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

Die Ermordung von Jina Mahsa Amini löste den allgemeinen Widerstand aus, aber die Ursachen für diese Revolution waren bereits vorhanden. Die Brutalität des Staates hat nicht abgenommen, aber jetzt ist es nicht mehr der Kampf einer einzelnen Schicht. Auch religiöse Menschen wollen ihn loswerden. Die Mehrheit wird dieses System nicht akzeptieren und will einen Ausweg. Die Tapferkeit der Frauen und Studentinnen ist eine Ohrfeige für das Regime. Trotz der Tatsache, dass Massaker, Verhaftungen und das Verschwinden-Lassen von Personen an der Tagesordnung sind, hält dies die Moral der Bewegung aufrecht. Obwohl die vorherige Generation Angst um ihre Kinder hat, gibt ihr Mut auch den Eltern Hoffnung.

LFI: Wir hören von neuen Netzwerken unter radikalen Student:innen und innerhalb der Gewerkschaftsbewegung. Wie effektiv sind sie und welche Rolle haben sie vor Ort gespielt?

AR: Die Protestbewegung brach spontan aus, aber es existiert eine Koordination, die nicht nur durch Internetaufrufe kommuniziert wird. Es besteht auch eine lokale Koordination. Die Menschen sprechen über die aktuelle Situation bei den Protesten und diskutieren auch die Strategie für Aktionen. Student:innen  an den Universitäten unterhalten Netzwerke, die die Autorität der Mullahs ablehnen. Es gibt Organisationen der Arbeiter:innenklasse, die Proteste und Streiks organisieren. Alle diese Organisationen spielen eine wichtige Rolle, aber das Fehlen einer Führung, die einen landesweiten Wandel erzwingen kann, ist jetzt noch deutlicher zu spüren. Die Ermordung von Jina Mahsa Amini hat den Iran geeint, aber es gibt Widersprüche, und wir brauchen eine Strategie, die die Mullahs zurückdrängen und die Revolution weiter voranbringen kann.

LFI: Was bedeutet die Wirtschaftskrise? Wie stehen die Aussichten für die Linke?

AR: Die Wirtschaftskrise hat im Iran Verwüstungen angerichtet, die Preise für die Grundbedürfnisse sind um mehr als 60 Prozent gestiegen. Die Mittelschicht ist ruiniert und die Bedingungen für die Arbeiter:innen sind schrecklich. Berichte über die Korruption der Mullahs stehen auf der Tagesordnung. Fabriken werden geschlossen, in der Ersatzteilproduktion sind 100.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Die Menschen im Iran haben auch die Nase voll von der Interventionspolitik des Mullah-Regimes in anderen Ländern, die ihr Leben immer weiter von der Welt isoliert. Sie alle beteiligen sich an der Revolution „Frau. Leben. Und Freiheit“. Alle sehen die Lösung der Wirtschaftskrise im Tod der Diktatur. Die Situation ist sehr schwierig, es gibt keine besonders starke Strömung. Begrenzt kommt sogar Unterstützung von Liberalen und Anhänger:innen des ehemaligen Schahs, aber es ist auch Raum geschaffen für sozialistische Ideen. In wirtschaftlicher Hinsicht haben die Sozialist:innen eine Perspektive für das Ende des Mullah-Regimes, die Freiheiten und ein Ende der wirtschaftlichen Unterdrückung bringt.

LFI: Hat die Bewegung auch die industriellen Zentren des Irans erreicht? Schließlich müssen die Inflation und die allgemeine Krise viele Menschen und Familien aus der Arbeiter:innenklasse an den Rand treiben. Welche Forderungen beziehen sich konkret auf die Klassenfrage?

AR: Der Kampf entwickelt sich in der Arbeiter:innenklasse, und sie nimmt an den Protesten teil, aber viele ihrer Anführer:innen wurden verhaftet. Die Arbeiter:innenklasse beteiligt sich in verschiedenen Städten daran, insbesondere die Lehrer:innen sind in dieser Hinsicht sehr aktiv. In Teheran sind die Busfahrer:innen mobilisiert, und die Tankwagenfahrer:innen haben am 19. Oktober in Solidarität mit dem Protest gestreikt. Die Arbeiter:innen der Röhrenwerke, des Stahlkomplexes Neyriz Ghadir, der Mehrschar-Raffinerie, der petrochemischen Gesellschaft und der Raffinerie in Abadan, der petrochemischen Gesellschaft auf der Insel Hengham, der petrochemischen Gesellschaft in Buschehr und des Gaskondensatfeldes in Südparas streiken und protestieren in Solidarität mit den Demonstrant:innen. Die Verhaftung der Anführer:innen hat jedoch zu Schwierigkeiten geführt.

Trotz der Einschränkungen im Internet nehmen die Proteste nicht ab. Die Menschen sind immer noch über verschiedene alternative Quellen miteinander verbunden. Ja, es gibt Schwierigkeiten, aber aufgrund der Widersprüche des Imperialismus eröffnen sich auch Chancen, und viele junge Menschen erstellen Links, die Videos und andere Botschaften verbreiten. Die Regierung greift jedoch immer wieder an. Verschiedene Gewerkschaften haben zum Streik aufgerufen und es kam zu erfolgreichen Arbeitsniederlegungen, aber das generelle Problem dieser Revolution ist immer noch das einer kollektiven Führung. Ein Generalstreik ist wichtig, aber er muss bis zum Ende des Mullah-Regimes andauern. Dies erfordert die Bildung von Fabrik- und Betriebsräten sowie Verteidigungskomitees. Ohne sie ist die staatliche Repression unvermeidlich, und es ist nicht möglich, es mit ihr aufzunehmen.

LFI: Ist es richtig zu sagen, dass alle, die sich an dem derzeitigen Kampf beteiligen, den Sturz des Regimes wollen?

AR: Die Bewegung will mehr als nur Reformen, sie will das Ende des Mullah-Regimes. Es ist ein starker Geist, der die Menschen aktiv hält. Trotz aller Unterdrückung sind die Menschen nicht bereit, sich mit weniger zufriedenzugeben als mit dem Sturz der Regierung. Die Unterdrückung ist jedoch sehr hart. Und die Demonstrant:innen müssen vor den Mörder:innengarden und anderen reaktionären Kräften geschützt werden. Die Demonstrant:innen widersetzen sich diesen Kräften, aber das muss organisiert werden.

Alle wollen das Ende dieser Regierung, aber das Fehlen einer nationalen Führung bedeutet, dass es keine klare Strategie gibt, und das ist eine gefährliche Situation. Wenn die Regierung stürzt, werden die Reformist:innen versuchen, sich als Alternative zu präsentieren, auch wenn sie im Moment wenig Unterstützung genießen. Dann gibt es auch noch die Pahlavi-Anhänger:innen des alten Schah-Regimes. In einer solchen Situation kann es auch zu einer gewissen Unterstützung durch die Bevölkerung kommen, aber das ist nicht die Alternative, für die die Menschen kämpfen. Unserer Meinung nach ist die Forderung nach einer verfassunggebenden Versammlung wichtig, die die Arbeiter:innen durch die Bildung von Räten demokratisch vereinen kann, und Wahlen unter deren Kontrolle sind unerlässlich. Das sozialistische Programm ist die einzige Lösung, die der Barbarei der Mullahs ein Ende setzen und auch eine breitere Demokratie bringen kann. Es wendet sich gegen das kapitalistische System und den Imperialismus, was bedeutet, dass die Ressourcen des Irans genutzt werden können, um das Leben des Volkes zu verbessern, anstatt den Interessen der herrschenden Klasse untergeordnet zu werden.

LFI: Was sind die führenden politischen Kräfte in der Oppositionsbewegung? Welche Klasse führt die Bewegung an? Welche Rolle spielt die Arbeiter:innenklasse als politische Kraft?

AR: Dies begann als eine „spontane“ Bewegung. Schon vor der Ermordung von Jina Mahsa Amini waren alle Zutaten vorhanden, aus denen diese Bewegung entstanden ist. Sie umfasst Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten, und verschiedene Vereinigungen unterstützen sie. Sie ist auch in den kurdischen und belutschischen Gebieten zu finden und zieht die verwüstete Mittelschicht an. Das Einzige, was sie eint, ist die Opposition gegen die Regierung.

Der Einfluss der Jugend in dieser Bewegung ist sehr groß und vor allem die Studentinnen sind sehr aktiv, trotz aller Unterdrückung, Gewalt und Mordes. Die Liberalen hoffen auf Demokratie. Sie wollen sich wieder mit der Welt verbinden, stehen der Regionalpolitik des Staates kritisch gegenüber und wollen ein freies Leben führen. Ein Leben in Ketten ist für sie nicht akzeptabel. Die reformistische Führung ist nicht dominant, aber viele derjenigen, die Hoffnungen in den Reformismus setzen, sind aktiv.

Es gibt Platz für die Linke und sie ist auch aktiv. Die Gewerkschaften beteiligen sich an den Protesten. Zwar wird gestreikt, doch müssen diese Maßnahmen zu einem landesweiten Streik und dem Sturz der Regierung ausgebaut werden. Es muss eine sozialistische Alternativbewegung geben, denn dieses System hält keine Lösung für die Menschen im Iran parat. Die Möglichkeit der Vorherrschaft der Konterrevolution ist unter diesen Umständen nicht völlig auszuschließen.

LFI: Wie können die Frauen der Arbeiter:innenklasse und die Arbeiter:innenklasse als Ganzes nicht nur in den Vordergrund der Straßenkämpfe treten, sondern die Führung im Kampf für die Nachfolge des Regimes übernehmen? Wie können sie die Vorkämpfer:innen für eine sozialistische Republik werden? Gibt es Kräfte, die versuchen, die beginnende demokratische Revolution dauerhaft zu machen?

AR: Trotz aller Repression und Gewalt sind die Mullahs immer noch nicht in der Lage, die Revolution zu kontrollieren. Aber es ist wichtig, daran zu erinnern, dass diese Situation nicht ewig andauern kann. Jetzt ist ein unbefristeter Generalstreik notwendig, der deutlich macht, dass die wirkliche Macht in der Gesellschaft bei der Arbeiter:innenklasse liegt und sie das System stoppen kann. Die Linke hat wenig politischen Einfluss auf die Bewegung, aber es gibt viele Möglichkeiten für sie in dieser Revolution. Wenn sie nur der bestehenden Bewegung hinterherlaufen würde, könnte das Ergebnis ins Leere laufen, denn selbst wenn das Regime der Mullahs stürzt, könnte die Macht an jene Kräfte (reformistische, prowestliche, Pahlavi) übergehen, die nichts für die Arbeiter:innen und die Armen des Irans tun werden und auch nicht die vollen Freiheiten für die Frauen und die Demokratie bringen würden.

Wir brauchen eine klare sozialistische Alternative, die eine verfassunggebende Versammlung fordert und eine Arbeiter:innenregierung anstrebt, deren Programm das Recht der unterdrückten Völker auf Selbstbestimmung anerkennt. Nur das kann diese Bewegung zum Erfolg führen. Es braucht eine revolutionäre Kraft im Iran, die für die Strategie der Permanenten Revolution kämpft und glaubt, dass das Ende des Mullah-Regimes und der Kampf für demokratische Freiheiten im Iran mit der Befreiung vom Imperialismus und dem Ende des Kapitalismus verbunden ist. Eine solche Kraft befindet sich in einem frühen Stadium, aber sie hat die Möglichkeit, ihr Programm zu präsentieren.

LFI: Was wären die ersten Dinge, die Sozialist:innen umsetzen würden, wenn sie nach dem Sturz des Mullah-Regimes das Sagen hätten?

AR: Die Abschaffung des Hidschabs und aller anderen Gesetze gegen Frauen, vollständige demokratische Freiheiten, das Recht auf Selbstbestimmung für unterdrückte Nationen, die vollständige Trennung des Staates von der Religion und die vollständige Beendigung der Hilfe für religiöse Institutionen, die Beendigung der regionalen Intervention und die Einführung einer Planwirtschaft, so dass das Ziel der Wirtschaft nicht darin besteht, Profite für die Bürokratie und die kapitalistische Klasse zu erwirtschaften, sondern alle Ressourcen für die Verbesserung des Lebens der Arbeiter:innen und armen Menschen zu verwenden. Dies ist im bestehenden Staat unmöglich, daher ist die Abschaffung des bestehenden Staates und die Errichtung eines Arbeiter:innenstaates, der von Arbeiter:innenräten kontrolliert wird, notwendig.




زن، زندگی، آزادی  مرگ بر دیکتاتوری

زن، زندگی، آزادی
 مرگ بر دیکتاتوری

 ما در غم درگذشت جینا مهسا امینی سوگوار هستیم.  مهسا، زن جوان کردی بود که در بازداشت گشت ارشاد ایران جان باخت. اما او اولین نفر نبود، بسیاری از زنان قبل از او در سکوت کشته شدند.  اما این بار فرق می‌کند. خانواده مهسا صدایشان را بلند کردند و درباره مرگ او حرف زدند. ما حالا اسمش را می‌دانیم و اسم او را صدا می‌زنیم.  در این میان ایرانیان زیادی اعم از پیر و جوان به این صدا پیوسته‌اند‌

  یک ماه است که ایران شاهد اعتراضات ضد حکومتی است. مردم ایران حالا به معذرت‌خواهی دولت قانع نیستند. مردم ایران با شعار زن، زندگی، آزادی و مرگ بر آخوندها خواهان سقوط دیکتاتوری اصول‌گرا هستند مردم از تبریز تا زاهدان و در پایتخت و حتا در شهرهایی که قبلا سنگر روحانیت سیاسی و گارد ارتجاعی رژیم ایران تصور می‌شدند حالا خواهان سقوط رژیم هستند

  غم شما غم ماست.  مهسا و صدها انسانی که رژیم ایران در جریان سرکوب اعتراضات مردمی تاکنون به قتل رسانده است، مانند خواهران و برادران ما هستند ما اندوه و خشم شما را می‌فهمیم چون می‌دانیم سوگ برای خواهران پاکستانی‌مان که به خاطر مسائلی چون ناموس، مذهب، قدرت و سود طبقه حاکم مردسالار کشته شده‌اند، یعنی چه   ما می‌دانیم که تنها راه رفتن در خیابان‌ها چه احساس ترسناکی دارد. ما می‌فهمیم اجتناب از گرفتن دست کسی که دوستش داریم در مکان‌های عمومی به خاطر عواقب مجازات، یعنی چه بسیاری از کارگران و کارمندان زن پاکستانی قربانی سوء استفاده، آزار و اذیت و استثمار روسای خود می‌شوند ‌ما به خوبی می‌دانیم که این چنگال پدرسالاری سرمایه‌داری است که ما را خفه می‌کند

  قیام الهام‌بخش شما قیام ماست. بسیاری از دختران پاکستانی و پسران پاکستانی مطمئنا از شجاعت دختران ایرانی که با جرئت موهای خود را در مقابل انظار عمومی کوتاه می‌کنند، الهام خواهند گرفت چون می‌دانند محرومیت از تصمیم‌گیری چه حسی دارد دلیل این که سیستم مردسالاری و نیروهای افراطی آن می‌خواهد به زور حجاب بر سر ما کند به دلیل تقوا و حیا نیست بلکه آنان می‌خواهند بر ذهن و بدن زنان کنترل داشته باشند. در نهایت این زن است که تصمیم می‌گیرد روسری داشته باشد یا خیر. عاملیت دادن به زنان برای انتخاب پوشش نی تنها از باور نمی‌کاهد بلکه به انتخاب آگاهانه زن معنای واقعی می‌بخشد
 
  ما سعی خواهیم کرد مسیری را که شما در آن پیشگام بوده‌اید دنبال کنیم و باهم بتوانیم برای انجام آن همکاری کنیم

از زمان بسیار دوری، رقابت بین دولت‌مردان ما و فرقه گرایی و ناسیونالیسم باعث شد بین زنان، جوانان، طبقه کارگر استثمار شده و دهقانان فقیر کشورهای ما شکاف ایجاد شود

 حالا برای به دست آوردن آزادی و حفظ آن ما می‌توانیم با هم متحد شده و از تجربیات جنبش‌های زنان و از مبارزات خود برای ایجاد اتحادیه‌های کارگری و تلاش‌هایمان برای تشکیل حلقه‌های دانشجویی انقلابی درس بگیریم

اگر پیشنهاد همکاری ما را می‌پذیرید و فکر می‌کنید راه‌هایی وجود دارد تا ما از مبارزات شما حمایت کنیم به ما اطلاع بدهید. ما تمام تلاش خود را برای انجام این همکاری به کار خواهیم گرفت

Revolutionary Socialist Movement – Pakistan






Iran im Zentrum von Krise und Pandemie

Robert Teller, Neue Internationale 245, April 2020

Schon lange vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie war der Iran ein Brennpunkt im Kampf um die politische Hegemonie im Nahen Osten – und steckt zudem inmitten einer Krise, die wiederholt Hunderttausende in den offenen Kampf gegen das Regime getrieben hat. Ausgerechnet hier schlägt die Pandemie am heftigsten zu.

Laut offiziellen Angaben des Regimes wurden bis zum 31. März 44.600 Infizierte im Land nachgewiesen, von denen 2.900 verstorben sind. Eine kanadische wissenschaftliche Untersuchung hingegen schätzte auf Grundlage verfügbarer Daten bereits einen Monat früher, am 25. Februar, die Zahl der Infizierten auf etwa 18.000 (mit großer Unsicherheit). Verschiedene Berichte aus lokalen Krankenhäusern legen nahe, dass in den schwer betroffenen Regionen die tägliche Zahl an Verstorbenen die offiziell gemeldeten Zahlen um ein Mehrfaches übersteigt. Auf Satellitenbildern wurden Massengräber nachgewiesen. Die bürgerliche Oppositionsbewegung der Volksmudschahedin (Modschahedin-e Chalgh) gibt auf Grundlage von Berichten ihres Netzwerkes bis zum 31. März 14.700 Verstorbene an. Es ist keine Spekulation, zu vermuten, dass Iran gemessen an den wirklichen Todesopfern bislang das am schwersten von der Pandemie getroffene Land weltweit ist.

Erste Reaktionen

Bereits im Februar hatte der Ausbruch im Iran bedrohliche Ausmaße angenommen. Doch anstatt Schutzmaßnahmen zu ergreifen, leugnete das Regime den Ausbruch. Ein Lockdown zu diesem Zeitpunkt hätte die Feiern zum Jahrestag der Iranischen Revolution, die eine wichtige Machtdemonstration des Regimes darstellen, gefährdet. Selbst bis zur Parlamentswahl am 21. Februar ergriff das Regime keine Maßnahmen, die Ausbreitung zu kontrollieren. Präsident Rohani bezeichnete die Epidemie als Lüge der USA, die mit dem Ziel verbreitet wird, die iranische Wirtschaft zu schädigen und die IranerInnen von der Stimmabgabe abzuhalten. Ein Sprecher des Parlaments verkündete, dass alle, die „Gerüchte“ über die Epidemie verbreiten, mit ein bis drei Jahren Haft und Peitschenhieben zu bestrafen sind.

Tatsächlich lag die Wahlbeteiligung landesweit bei 42 % – fast 20 % weniger als bei der letzten Wahl – und war damit die geringste Wahlbeteiligung seit der Iranischen Revolution. In Teheran wurde sogar mit nur 26 % der geringste Wert aller Provinzen erreicht. Doch für diejenigen, die sich der Stimme enthielten, war ganz überwiegend nicht die grassierende Coronavirusepidemie ausschlaggebend, sondern der politische Charakter der Wahl, die im Wesentlichen eine Stimmenentscheidung zwischen den Rechten und den Ultrarechten des Mullah-Regimes zuließ. Fast alle Oppositionskräfte hatten zum Wahlboykott aufgerufen.

Sinnbildhaft für die Unfähigkeit des Regimes, auf die Epidemie zu reagieren, stand der stellvertretende Gesundheitsminister Iraj Harirchi, der hustend, fiebernd und mit Schweißperlen im Gesicht vor der Presse verkündete, dass Berichte über einen großen Krankheitsausbruch in der Stadt Ghom Lügen seien. Am darauffolgenden Tag wird bei ihm selbst die Virusinfektion nachgewiesen. Weitere RegierungsvertreterInnen und 23 Parlamentsabgeordnete hatten sich bis Anfang März nachweislich infiziert.

Erst Anfang März reagierte das Regime, indem es Schulen und Universitäten schloss. Seither richtet es regelmäßig Appelle an die Bevölkerung, Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, und verurteilt in schärfer werdendem Tonfall das „unverantwortliche Verhalten“ der Massen, die sich den Appellen widersetzen würden. Doch selbst zum persischen Neujahrsfest am 20. März, wenn Millionen IranerInnen gewöhnlich zu ihren Familien reisen, war der öffentliche Verkehr weiter in Betrieb, Industriebetriebe liefen weiter, Märkte und Geschäfte waren weiterhin geöffnet. Erst in der letzten Märzwoche wurden Fernverkehrsverbindungen eingestellt. Einen umfassenden Stopp nicht notwendiger Produktions- und Dienstleistungsbetriebe gibt es bis heute nicht. Zehntausende Gefangene wurden in Anbetracht der Epidemie aus den Gefängnissen entlassen. Politische Häftlinge wurden jedoch bislang trotz gegenteiliger Versprechungen nicht auf freien Fuß gesetzt. Auch die 7.000 Gefangenen der Novemberproteste sitzen bis heute in den Knästen ein und sind damit in akuter gesundheitlicher Gefahr. In Gefängnissen in Saqqez und Schiraz brachen in Anbetracht der Gefahr in den vergangenen Tagen Aufstände aus.

Wirtschaftliche Krise

Der (halb-)staatliche Sektor, insbesondere die Ölförderung samt nachgelagerter petrochemischer Industrie, die Fahrzeugproduktion, die pharmazeutische Industrie und andere sind durch die erneuten US-Sanktionen seit 2018 massiv beschädigt. 2019 schrumpfte die iranische Wirtschaft laut IWF um 9,5 %. Die Ölexporte, die den größten Teil des Staatshaushalts ausmachten, brachen um fast 90 % ein. Angesichts des jüngsten Einbruchs des Ölpreises beantragte des iranische Regime Anfang März einen Kredit von 5 Mrd. US-Dollar beim IWF.

Konsumgüter verteuerten sich 2019 um 31 % (IWF). Die wegbrechenden Staatseinnahmen zwangen das Regime zu sozialen Angriffen wie der Abschaffung von Subventionen. Die Novemberproteste 2019, die Hunderttausende trotz blutiger Repression auf die Straße trieben, waren ein Ausdruck der Radikalität und der Wut, die diese neoliberalen Maßnahmen eines korrupten, theokratischen Regimes hervorrufen‚ aber auch der Verzweiflung des Regimes, das mit blutiger Gewalt reagierte und viele hundert DemonstrantInnen tötete.

Der Grund für die Unfähigkeit, auf die Epidemie angemessen zu reagieren, ist klar: Das iranische Regime steht sowohl ökonomisch als auch politisch mit dem Rücken zur Wand. Präsident Rohani erklärte treffend: „Gesundheit ist für uns ein Prinzip, aber Produktion und die Sicherheit der Gesellschaft ist für uns auch ein Prinzip.“ (29.03.)

Regionalmachtambitionen

Milliarden versickern in den militärischen Interventionen im Irak, in Syrien und im Jemen und in den korrupten Geschäften der iranischen Revolutionsgarden. Das offizielle Verteidigungsbudget liegt bei 16 % des Staatshaushaltes. Nicht berücksichtigt dabei sind weitere Milliarden, die die Revolutionsgarden aus dem Staatshaushalt und aus ihrem Wirtschaftsimperium abzweigen und etwa zur Finanzierung regimetreuer Milizen im Irak verwenden.

Diese Interventionen sind für das Regime einerseits eine politische Lebensversicherung im Angesicht einer drohenden US-Intervention. Sie dienen aber ebenso sehr der Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen eines wichtigen Teils der iranischen Bourgeoisie, der mittels der Revolutionsgarden im Irak wichtige Absatzmärkte für eigene Produkte erschlossen hat und hofft, einen Zugang zum irakischen Ölsektor zu erhalten und beim Wiederaufbau Syriens zum Zuge zu kommen. Ein Lockdown würde nicht nur die Profite der vom internationalen Kapitalmarkt weitgehend abgeschnittenen Bourgeoisie bedrohen, sondern auch die Regionalmachtansprüche des iranischen Regimes.

Widerstand

Vor allem aber ist klar, dass ein umfassender Lockdown, sofern er nicht mit einem massiven staatlichen Nothilfeprogramm verbunden wird, die Lohnabhängigen, die Millionen KleinbürgerInnen, Arbeitslosen und Prekarisierten von heute auf morgen ihrer Lebensbedingungen berauben wird. Die soziale Sprengkraft einer solchen Situation wäre enorm und sie würde den spontanen Widerstand breiter Teile der Bevölkerung herausfordern. Wie bereits im November und nach dem Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine Anfang Januar würde eine solche Bewegung sich nicht auf ökonomische Ziele beschränken. Sie würde unmittelbar politischen Charakter annehmen und – wie bereits im November – die reaktionären Militärinterventionen und den korrupten Charakter des iranischen Regimes als Hauptgrund für die Krise anprangern. Die Bewegung könnte sich zudem auf die Massenproteste im Irak beziehen, die ihre Stimme gegen das sektiererische politische System erheben, das vom iranischen Regime dort maßgeblich geformt wurde. Das heißt, das Regime kann zu den drastischen Maßnahmen, die zur Eindämmung der Epidemie nötig wären, nicht greifen, ohne soziale Verwerfungen zu erzeugen, die nicht mehr zu beherrschen wären.

Die Reaktion des iranischen Regimes auf die Pandemie mag im Vergleich zur Politik der westlichen Industrienationen als unverantwortlich erscheinen. Doch die zugrunde liegende Methode ist die gleiche, die alle bürgerlichen Regierungen verfolgen: Die Folgen der Pandemie sollen die Massen schultern. Hierzulande sind in den vom Lockdown betroffenen Branchen Millionen von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit bedroht, die wirtschaftlichen Kosten der Krise werden auf die Massen abgewälzt. Das iranische Regime dagegen lässt die Pandemiewelle ungebremst übers Land hinweg rollen – nach dem Motto: Wer krank ist, wehrt sich nicht.

Die Pandemie verdeutlicht nicht nur den reaktionären Charakter des iranischen Regimes, das im eigenen Machtinteresse bereitwillig hunderttausende Opfer in Kauf nimmt. Sie verdeutlicht auch, dass der Handlungsspielraum des Regimes dabei gegen null geht. Die einzige realistische Möglichkeit, die sich anbahnende Katastrophe abzuwenden, besteht darin, dem Regime und den mit ihm verbundenen Revolutionsgarden die Kontrolle über die Betriebe zu entreißen und unter Kontrolle der Beschäftigten ein Notprogramm zur Bewältigung der Pandemie umzusetzen. Alle nicht notwendigen Betriebe und Einrichtungen müssen sofort stillgelegt werden, bei Fortzahlung der Löhne – zugleich müssen die Reichtümer der KapitalistInnen, insbesondere im Wirtschaftsimperium der Revolutionsgarden, konfisziert werden, um die Produktion lebenswichtiger Konsumgüter für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Arbeitslose und alle, deren Einkommen auf Grund der Pandemie weggebrochen ist, müssen kostenlosen Zugang zu Grundbedarfsgütern erhalten. Das Gesundheitssystem, die pharmazeutische Industrie und die medizinischen Einrichtungen des Militärs, der Revolutionsgarden und der religiösen Organisationen müssen unter Kontrolle der ArbeiterInnen gestellt und mit einem Sofortprogramm aus konfisziertem Vermögen aufgerüstet werden, um die Behandlungskapazitäten zu steigern.

In dieser Situation müssen die politisch bewusstesten und entschlossensten KämpferInnen und mit der ArbeiterInnenklasse verbundene Intellektuelle den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei mit dem Kampf gegen Pandemie und Krise verbinden. Eine solche Partei muss sich auf ein Programm von Übergangsforderungen stützen. Sie muss die revolutionäre Perspektive gegen das Mullah-Regime als Teil des Kampfes für eine sozialistische Umwälzung im gesamten Nahen und Mittleren Osten begreifen, eines Kampfes, der sich sowohl gegen die reaktionären Regime aller Art wie die imperialistische Herrschaft über die Region richtet.




Irak: As-Sadr bereitet blutige Konterrevolution vor

Jeremy Dewar, Infomail 1095, 17. März 2020

Die
revolutionäre demokratische Protestbewegung des Irak, die am 1. Oktober 2019
begann, steht vor ihrer bisher größten Bewährungsprobe, da der
Interimspremierminister Mohammed Allawi ankündigen lässt, dass seine Regierung
den Aufstand beenden will.

SchülerInnen und
StudentInnen haben die Bewegung mit einer Welle von Streiks, die zur
Annullierung des gesamten akademischen Jahres zu führen drohte, sowie mit
Besetzungen von Plätzen angeführt, einschließlich des symbolischen Tahrir-Platzes
(„Befreiungsplatz“) in Bagdad. Aber die Bewegung ist in den neun südlichen und
zentralen Provinzen mit schiitischer Mehrheit sowie in anderen Zentren des
Aktivismus in Basra und Nasariya weit verbreitet.

Die Repression
war brutal und blutig. Über 550 DemonstrantInnen (und 13 Sicherheitskräfte)
wurden von Armee und Polizei getötet, unterstützt von Mitgliedern der
schiitischen al-Haschd asch-Scha‘bi-Milizen, der iranisch beeinflussten
Volksmobilisierungseinheiten (PMU). Schätzungsweise 25.000 wurden verletzt.

In jüngerer Zeit
haben die „blauen Hüte“, Mitglieder der Saraya al-Salam-Miliz
(Friedenskompanien, Mahdi-Armee) des schiitischen Klerikers Muqtada as-Sadr,
die die Protestierenden vor den von Iran unterstützten Milizen schützten, bis
sie die Seite wechselten, ebenfalls Protestierende getötet. Insbesondere
wendeten sie sich nach dem gescheiterten Millionen-Menschen-Marsch von as-Sadr
gegen sie, als die DemonstrantInnen ein Restaurant auf dem Tahrir-Platz
eroberten, in dem sich der Radiosender der Bewegung befand.

Psychologie der
Protestierenden

Die Psychologie
der Protestierenden muss im Zusammenhang damit verstanden werden, dass die
Hälfte der 40 Millionen EinwohnerInnen des Irak unter 21 Jahre alt ist. Das
heißt, sie kennen nur die sektiererische Regierung des Irak nach der
US-Invasion. Sie sind ebenso wütend auf den Iran wie auf den US-Imperialismus,
weil sie die Infrastruktur des Landes zerstören, das politische System
korrumpiert und öffentliche Dienstleistungen und Arbeitsplätze vergeudet haben.

Aus diesem Grund
gibt es auch eine starke Voreingenommenheit gegenüber politischen Parteien, da
diese alle in die Korruption verwickelt sind, die ein unvermeidliches
Nebenprodukt des politischen Systems der Machtteilung ist. Dabei teilen sich
sunnitische, schiitische und kurdische Parteiblöcke im Parlament die Beute und
belohnen ihre AnhängerInnen mit Posten und Geld.

Ein
Protestierender erklärte dazu: „Wenn wir einen Führer hätten, dann wäre diese
Bewegung schon vor langer Zeit zu Ende gewesen. Es ist leicht für eine/n
FührerIn, von den Kräften, gegen die er/sie kämpft, kompromittiert oder
kooptiert zu werden“.

Eine andere
Person stellte ihre Ziele so dar: „Heute bedrohen die DemonstrantInnen das
Finanzimperium der Parteien. Das Volk will eine Volksregierung, und das bedroht
die [Parteien] …, da sie dann nicht in der Lage sein werden, [es] zu
berauben“.

Ein weiteres
wichtiges Merkmal der Bewegung ist die herausragende Beteiligung von Frauen. Am
14. Februar, als Antwort auf as-Sadrs Tweet, dass die Protestierenden getrennt
werden sollten, widersetzte sich ein Frauenmarsch ihm mit den Sprechchören:
„Stoppt die Diskriminierung von Frauen, stoppt die Geschlechtertrennung!“

Eine ältere
Anhängerin erklärte die Tiefe des Wandels und sagte, dass diese jüngeren Frauen
„all diese Stammesnormen, die religiöse Fatwa [Rechtsauslegung], die Hegemonie
der männlichen Mentalität gegen sie gebrochen haben. Dies ist eine neue Ära, in
der wir leben“.

Aus all diesen
Gründen, neben der wachsenden Krise und Armut, mit der die neue Generation
konfrontiert ist, bleiben die Protestierenden entschlossen, für ihre
Forderungen zu kämpfen: für Arbeitsplätze und öffentliche Dienstleistungen,
gegen die Korruption der Regierung, für den Rückzug aller ausländischen Mächte
aus dem Irak und für demokratische, freie Wahlen und ein Ende der
sektiererischen Aufteilung der Posten.

Der Aufstieg von
as-Sadr

Der Einfluss von
Muqtada as-Sadr nimmt seit über 15 Jahren stetig zu. Er wurde als Anführer der
Mahdi-Armee bekannt, die es mit den US-amerikanischen und britischen
Invasionstruppen zunächst in Basra und ab 2004 auch weiter entfernt aufnahm.
Nachdem er zunächst versucht hatte, sich mit den sunnitischen GegnerInnen der
US-InvasorInnen zusammenzuschließen, wandte er seine Kräfte in einem
sektiererischen Konflikt, der auf allen Seiten Gräueltaten sah, gegen die
SunnitInnen.

Er befehligt
eine große Zahl irakischer SchiitInnen, zunächst wegen seines verehrten Vaters,
des Großajatollahs Muhammad Sadiq as-Sadr, dessen Widerstand gegen Saddam
Hussein 1999 zu seiner Ermordung führte, aber zunehmend auch wegen seines
eigenen politischen und militärischen Gewichts. Er ist jedoch nicht der
mächtigste Kleriker im Irak.

Großajatollah
Ali as-Sistani, der nur selten politisch interveniert und dann meist auf der
Seite der Protestbewegung steht, ist sein Vorgesetzter. Muqtada studiert jedoch
in Ghom, im Iran, um selbst Ajatollah zu werden. Tatsächlich verlässt er den
Iran in diesen Tagen nur selten; zuletzt wurde er Ende Oktober in Nadschaf
gesehen. Als er von den DemonstrantInnen feindselig empfangen und als Teil des
korrupten Establishments wahrgenommen wurde, kehrte er schnell nach Ghom
zurück.

Ab 2011 nahm er
sowohl über seinen parlamentarischen Block als auch über seiner Bewegung ergebene
Minister an der Regierung teil. Gleichzeitig unterstützte er (seit 2011 spontan
ausgebrochene) Proteste gegen dieselbe Regierung, in der er so etwas wie ein
Königsmacher geworden ist. Im Jahr 2014, als Sistani die IrakerInnen aufrief,
gegen ISIS (heute: Islamischer Staat) zu den Waffen zu greifen, wurde die
Mahdi-Armee als „blaue Hüte“ wiedergeboren.

Die derzeitige
Bewegung hat as-Sadr jedoch Probleme bereitet. Die Jugendlichen haben den
Schutz seiner Saraya al-Salam-Miliz vor der Unterdrückung durch die Regierung
und die vom Iran unterstützten Kräfte unter der Führung von General Qasem
Soleimani, dem Chef der Quds-Truppe des Korps der Islamischen Revolutionsgarden
des Iran, akzeptiert, aber sie haben seine politischen Interventionen und seine
„Charta der Reformrevolution“ nicht begrüßt.

Sadrs Versuch,
die Bewegung durch einen „Millionen-Menschen-Marsch“ im Januar zu
hegemonisieren, wurde weithin als Fehlschlag angesehen. So erklärten
Protestierende: „Dieser Marsch ist anders als das, was die Straße will. Er
unterstützt das gegenwärtige politische System im Land, er ist nicht gegen es“.

Jüngste
Ereignisse, wie der Marsch der Frauen, der as-Sadrs Versuchen, die
Geschlechtertrennung in der Bewegung einzuführen, trotzte, haben bestätigt, dass
sein einst mächtiger Einfluss auf der Straße schwindet. Sogar einer seiner
Kleriker, gefangen zwischen den DemonstrantInnen und den blauen Hüten, rief
aus: „Ich werde den Turban aus Liebe zum Irak und zur Stadt Nasiriya und zu den
RevolutionärInnen abnehmen, und ich bin bei den IrakerInnen“.

Ablehnung des
Ausverkaufs

Die politische
Ermordung von Soleimani und des PMU-Führers Abu Mahdi Al-Muhandis am 3. Januar
auf dem Flughafen von Bagdad hat die politische Landschaft dramatisch
verändert. Sadr ist nicht zuletzt ein gerissener Opportunist und hat dabei die
Gunst des Augenblicks erkannt. Er hatte seine Unterstützung dafür, dass der
Iran eine offensichtliche Rolle in der irakischen Innenpolitik spielt, längst
aufgegeben und bezeichnet sich nun als irakischer Nationalist.

Nun, da der Iran
einen schweren Schlag für seine Ambitionen im Land erlitten und selbst mehrere
Führer durch den Angriff verloren hatte, waren die PMU zu Kompromissen bereit.
Nach dem Rücktritt des provisorischen Premierministers Abd al-Mahdi Ende
Oktober 2019 war der Weg frei für das Wiederauftauchen von Mohammed Allawi,
einem ehemaligen Minister im Kabinett der Regierung von Nuri al-Maliki von 2006
bis 2010.

Zunächst einmal
bot Sadr Anfang Januar eine „vereinigte Widerstandsfront“ mit den vom Iran
unterstützten Milizen an und bildete sie, natürlich unter seiner Führung. Dann
unterstützte er Allawi, der am 1. Februar als Interimspremier die Macht
übernahm.

Gleichzeitig
leitete er geheime Gespräche mit Allawis Vertretern und den Führern der
PMU-Milizen ein; ein Abkommen, das um den 1. Februar in Ghom ausgehandelt
wurde. Es scheint, dass keine iranischen Regierungsvertreter anwesend waren.
Die Nachricht über seinen Inhalt verbreitete sich schnell, nicht zuletzt wegen
der großmäuligen Milizenführer.

Allawi selbst
kündigte am 14. Februar die bevorstehende Bildung einer neuen Regierung an, die
seiner Meinung nach „unabhängig“ und mit „kompetenten und unparteiischen
Leuten, ohne die Intervention irgendeiner politischen Partei“ besetzt sein
würde.

Er hat auch
Arbeitsplätze, ein Ende der Korruption und Neuwahlen versprochen sowie, die
Mörder der DemonstrantInnen vor Gericht zu bringen und alle ausländischen
Streitkräfte vom irakischen Territorium zu entfernen, um die Protestierenden zu
beschwichtigen oder zumindest zu spalten.

Wenn dies das
Zuckerbrot ist, dann liegt die Peitsche buchstäblich in den Händen der blauen
Hüte, die sich „vom Bock zum Gärtner verwandelt“ haben, indem sie sich gegen
ihre ehemaligen Verbündeten wandten und die DemonstrantInnen angriffen, um die
zu vertreiben, die as-Sadr als „Eindringlinge“ und „AnstifterInnen“ bezeichnet.

Die Abmachung
zwischen as-Sadr und Allawi ist ein riesiger Betrug. Ein vom Iran unterstützter
politischer Führer sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Middle East Eye:
„[Allawi] ist schwächer als Abd al-Mahdi, und sie wählten ihn gerade deshalb,
weil er schwach ist. Es ist ihm nicht erlaubt, echte Korruptionsakten zu
öffnen, und seine Regierung ist nicht befugt, strategische Entscheidungen zu
treffen, einschließlich der Entfernung ausländischer Truppen aus dem Irak.“

Darüber hinaus
will die Regierung Allawi offenbar die Integration der PMU-Milizen in die
irakische Armee vorantreiben – ein Schritt, der zu Recht die Protestierenden,
die durch ihre Hand Folter, Vergewaltigung und Schlimmeres erlitten haben,
empören wird.

Die
DemonstrantInnen müssen die Bewegung, die kürzlich in ihrem schiitischen
Kernland nachgelassen hat, rasch wieder aufbauen und die Proteste in Mossul,
Falludscha und Ramadi, die sich im vergangenen Herbst erhoben haben, wieder
aufnehmen. Sie sollten auch versuchen, die Gewerkschaften zu einer aktiveren
Unterstützung zu zwingen. Die LehrerInnen haben an der Seite ihrer Schülerinnen
und Schüler einen längeren Streik durchgeführt, aber auch die ÖlarbeiterInnen
müssen zu einem Arbeitskampf bewegt werden.

Jede Spaltung
entlang religiös-sektiererischer Linien wird aufgegriffen, nicht nur vom Iran,
sondern auch von den USA, deren militärische FührerInnen über eine Teilung des
Landes und die Einnahme der Provinz al-Anbar unter ihre Obhut diskutieren.

Es müssen echte
Aktionskomitees aus VertreterInnen der gesamten ArbeiterInnenklasse und der
Jugend gebildet werden, möglicherweise aus den Versammlungen der besetzten
Plätze heraus, und sie müssen national vereint werden.

Trotz des
gerechtfertigten Hasses auf „Führer“ und „politische Parteien“ kann nur eine
vereinte Bewegung, die ihre eigenen AnführerInnen wählt, die reaktionäre
Koalition, mit der sie derzeit konfrontiert ist, besiegen. Aber innerhalb einer
solchen Bewegung muss eine revolutionäre Partei gebildet werden, die in der
Lage ist, die unmittelbaren wirtschaftlichen und demokratischen Forderungen zu
einem Programm zusammenzuschweißen, das auf einen Übergang zum Sozialismus
hinweist.

Es ist
unwahrscheinlich, dass as-Sadr und Allawi in naher Zukunft in der Lage sein
werden, „die Demonstrationen zu beenden“, wie sie gedroht haben. Dennoch
funktioniert die Repression letztendlich, es sei denn, sie wird durch einen
organisierten und entsprechend bewaffneten Widerstand desorientiert,
demoralisiert und besiegt. Das ist die Aufgabe des Tages.




Hände weg vom Iran! Stoppt die US-Attacken!

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1083, 6. Januar 2020

Die Ermordung
des iranischen Generalmajors Qasem Soleimani in Bagdad auf Befehl von
US-Präsident Donald Trump hat ein gefährliches neues Kapitel für den Nahen und
Mittleren Osten aufgeschlagen. Als Chef der Quds-Einheiten, einer
Unterabteilung der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC, Pasdaran), und
strategischer Architekt von Irans ständig wachsendem Netzwerk internationaler
Milizen, Verbündeter und Anlagen war Soleimani nicht nur eine mächtige Figur im
iranischen Regime, sondern auch ein Königsmacher in weiten Teilen des Nahen und
Mittleren Ostens. Mit dieser dreisten Verletzung des internationalen Rechts hat
Trump die gesamte Region, wenn nicht sogar die Welt, an den Rand eines Krieges
gebracht.

Soleimanis
Ermordung war eine ernsthafte Eskalation einer laufenden Konfrontation zwischen
den US-amerikanischen und iranischen Streitkräften. Anfang dieser Woche
beschuldigten die USA Soleimani, einen Einbruchsversuch irakischer Milizen in
die US-Botschaft und den Militärstützpunkt in Bagdad inszeniert zu haben. Der
Angriff auf die Botschaft wurde zwei Tage zuvor durch US-Luftangriffe auf die
vom Iran unterstützte Kata’ib-Hisbollah (Hisbollah-Brigaden) provoziert, bei
denen nach Angaben irakischer Sicherheits- und Milizquellen 25 Kämpfer getötet
und 55 weitere verwundet wurden. Diese Luftangriffe waren wiederum eine
Reaktion auf die Tötung eines amerikanischen Militärbeauftragten durch
Kata’ib-Hisbollah-Raketen.

RegierungsvertreterInnen
und AußenpolitikexpertInnen auf der ganzen Welt sind sich einig in ihrer
Analyse des veränderten Charakters des Angriffs, wobei der ehemalige Chef des
britischen Auslandsgeheimdienstes Sir John Sawers die Tötung Soleimanis als
„Kriegshandlung“ bezeichnet hat. US-Außenminister Mike Pompeo versuchte zu
behaupten, das Attentat sei eine Präventivmaßnahme zum Schutz des unmittelbar
gefährdeten US-Personals gewesen, aber US-Präsident Trumps Aussage auf Twitter
vor dem Angriff war unverblümter: „Der Iran wird für verlorene Leben oder
Schäden in unseren Einrichtungen voll verantwortlich gemacht. Sie werden einen
sehr GROSSEN PREIS bezahlen! Dies ist keine Warnung, es ist eine Drohung.
Frohes neues Jahr!“

Eine gefährliche
Krise

Während nur
wenige BeobachterInnen mit diesem speziellen Angriff gerechnet zu haben
scheinen, eskalieren die Spannungen zwischen den USA und dem Iran seit Jahren,
die sich häufig durch Stellvertreterkonflikte in den Nachbarländern,
einschließlich Irak und Syrien, abspielen. Als drittgrößter Ölexporteur der
OPEC und strategischer politisch-ökonomischer Rivale des von den USA
unterstützten Saudi-Arabien und ihres regionalen Gendarmen Israel hat der Iran
einen blutigen Kampf geführt, um die schwächelnde US-Hegemonie auszunutzen und
sich als expandierende Regionalmacht zu behaupten. Seit über einem Jahrzehnt
hat der Iran seinen Einfluss durch den Aufbau loyaler schiitischer Milizen
ausgebaut, die Assads mörderisches Regime unterstützt und ihre Macht im Irak
konsolidiert haben.

Trump hat
seinerseits deutlich gemacht, dass er den iranischen Einfluss durch eine
aggressivere Außenpolitik zügeln will. Schon bald nach seinem Amtsantritt
kündigte er den von seinem Vorgänger ausgehandelten amerikanisch-iranischen
Nuklearvertrag, der die gegen das iranische Regime verhängten Strafsanktionen
mit dem Versprechen, sein Atomprogramm abzuschaffen, gemildert hatte. Trump
ersetzte den Deal durch noch härtere Sanktionen, forderte andere Länder auf,
dem Beispiel zu folgen, und unterstützte Saudi-Arabien energisch in seinem
Stellvertreterkrieg mit dem Iran im Jemen. Auf die schraubstockartigen
Verschärfung der US-Sanktionen reagierte der Iran schließlich mit Angriffen auf
den internationalen Schiffsverkehr in der Straße von Hormus,
Flugkörperangriffen auf saudische Ölanlagen und schließlich den
Raketenangriffen auf US-Militärstützpunkte, die die Ereignisse auslösten und zu
der aktuellen Krise führten.

Die Behauptung
von Trump und seinen BeamtInnen, dass der Drohnenangriff, der Soleimani tötete,
ein gerechtfertigter Präventivschlag war, ist eine völlig unhaltbare
Entschuldigung für die Provokation. Der Iran hat die Aktion zu Recht als „einen
Akt des internationalen Terrorismus“ verurteilt, und sein oberster Führer
Ajatollah Ali Khamenei (Chamene’i) hat geschworen, in gleicher Weise zu
reagieren. Die meisten ExpertInnen sind sich einig, dass der Iran nicht mit
einem direkten Angriff auf US-Militärstützpunkte oder -schiffe zurückschlagen
wird, sondern sich eher für eine „kalibrierte“ Reaktion wie weitere Angriffe
auf saudische Öleinrichtungen, Blockaden in der Straße von Hormus oder Angriffe
auf Schlüsselanlagen von US-Verbündeten wie Katar oder den Vereinigten
Arabischen Emiraten entscheiden wird. Angesichts der wahrscheinlichen Folgen
ist es nicht im unmittelbaren Interesse des Iran, einen offenen Krieg mit den
USA auszulösen.

Es besteht
jedoch die reale Gefahr, dass die Reaktionen beider Seiten außer Kontrolle
geraten werden. Der Iran steht unter erheblichem Druck, energisch zu reagieren.
Seine angeschlagene Wirtschaft hat eine wachsende inländische Protestbewegung
angeheizt, die ein Ende des korrupten und repressiven Regimes fordert. Auch
Trump muss sich für die Präsidentschaftswahlen Ende diesen Jahres in Stellung
bringen, da die Wolke der Amtsenthebungsanklage über seiner Regierung hängt.
Aggressive US-Verbündete, von Israel bis Saudi-Arabien, ganz zu schweigen von
Trumps eigenem juckenden Abzugsfinger, können den Konflikt auf unvorhersehbare
Weise beeinflussen. Die Weltwirtschaft befindet sich bereits am Rande einer
Rezession. Ihr stagnierender Kern nach 2008 wurde durch Trumps Handelskriege
weiter geschwächt und eine Ölkrise könnte sie über den Rand drängen und eine
globale Wirtschaftskrise auslösen, die den innenpolitischen Druck noch weiter
erhöhen würde. Die Logik der Eskalation hat den Konflikt bisher beherrscht, und
die Spannungen, die ihn im In- und Ausland antreiben, werden dafür sorgen, dass
dies so bleibt. Wie schon 1914 könnten scheinbar geringfügige Aktionen
schließlich die Machtbalance zerstören und einen verheerenden globalen Konflikt
entfachen.

Imperialismus
und Sektierertum

Soleimani war
eine Hauptzielscheibe des US-Imperialismus. Er war der Stratege der Demütigung
Israels im Libanonkrieg 2006 und hat die iranischen Interventionen in Syrien
und im Irak, die den iranischen Einfluss auf Kosten der USA erweitert haben,
angezettelt. Aber kein/e AntiimperialistIn sollte um Soleimani weinen, der das
Blut von Tausenden an seinen Händen hatte. Er spielte eine wesentliche Rolle
bei der Stabilisierung des blutbefleckten Assad-Regimes und stellte Mittel für
das unerbittliche Massaker an pro-demokratischen Bewegungen im Irak und im
Iran, bei dem Hunderttausende getötet wurden, zur Verfügung.

Bei allem Lob
von Trump für die Demokratiebewegung im Iran hat seine Provokation dem
iranischen Regime den perfekten Vorwand gegeben, sie zu unterdrücken und
Massenproteste gegen die USA zu mobilisieren, um seine wackeligen Grundlagen zu
stützen. Die Quds-Truppen von Soleimani sind zweifellos eine reaktionäre Kraft,
ebenso wie die irakischen schiitischen Milizen, und das reaktionäre iranische
Regime versucht, sich als die dominierende Macht im Mittleren Osten zu
etablieren, aber es bleibt ein halbkolonialer Staat, der von einer Kette
regionaler Verbündeter des US-Imperialismus umzingelt ist. Die Hauptangreiferin
in diesem ungleichen Kampf sind die USA, unterstützt von ihren israelischen,
saudischen und anderen reaktionären Verbündeten.

Es war die
US-Besatzung des Irak, die einen beispiellosen Anstieg der sektiererischen
Gewalt anheizte und das korrupte sektiererische Regierungssystem dort
etablierte. Dieses war das Ziel der inspirierenden, Konfessionen übergreifenden
Demokratiebewegung, die in den letzten Wochen auf die Straße ging. Die
Provokation von Trump wird sich negativ auf diese Bewegung auswirken, indem sie
die sektiererischen Spannungen verschärft, das Versinken in einen neuen
Bürgerkrieg möglich macht und die Spannungen mit Israel, das selbst an der
Bombardierung iranischer Militärziele im Iran und in Syrien beteiligt ist, verstärkt.
Die USA haben immer noch über 5.000 SoldatInnen im Irak und haben jetzt über
3.000 weitere entsandt. Donald Trump hat nicht nur deutlich gemacht, dass die
USA sich jeder Entscheidung der irakischen Marionettenregierung widersetzen
würden, die Stationierung der US-Basen im Land zu beenden, sondern hat dem Irak
auch mit drastischen Sanktionen gedroht, sollte es Versuche geben, die
Entfernung seiner US-„UnterstützerInnen“ zu erzwingen.

Wie das Blutbad
in Syrien zeigt, hat die US-Intervention nichts mit Demokratie oder der
Überwindung des Sektierertums in der Region zu tun, ihr einziges Ziel ist die „Stabilität“
ihrer Vorherrschaft, sind also die immensen Profite, die sie dem Nahen und
Mittleren Osten entzieht, und ist geopolitische Macht, die daraus erwächst.
Nachdem sie Terrain an Russland, den Iran und ihre Verbündeten in Syrien
verloren hat, ist sie entschlossen, ihre Macht im Nahen und Mittleren Osten
wieder zu behaupten, indem sie einen „Regimewechsel“ im Iran durch Sanktionen,
Attentate und Drohungen, 52 oder mehr „Ziele“ im Land zu bombardieren,
erzwingt. Zu dieser Strategie gehört auch, den seit Jahrzehnten von ihrer
„Befreierin“ verwüsteten Irak im Grunde genommen zu einem kolonialen Satus
herabzudrücken. Diese regionale Strategie ist selbst Teil des Versuchs
Washingtons, dem wachsenden militärischen und geostrategischen Einfluss der
russischen und chinesischen ImperialistInnen entgegenzuwirken. Während alle
„Großmächte“ einen direkten Zusammenstoß vermeiden wollen, könnten die Angriffe
und die offene Kriegsdrohung gegen den Iran in eine globale Konfrontation
umschlagen.

In dieser
Situation präsentieren sich die europäischen Mächte Deutschland, Frankreich,
Großbritannien und die EU als Kräfte der „Mäßigung“. In einer gemeinsamen
Erklärung vom 5. Januar riefen Merkel, Macron und Johnson alle Seiten zur
„äußersten Zurückhaltung“ auf. „Es ist jetzt entscheidend zu deeskalieren“,
warnten sie. Während dies die USA enttäuschte, sind europäische oder UN-Aufrufe
zur „Zurückhaltung“ auf beiden Seiten nur eine heuchlerische Farce.

Die ArbeiterInnenklasse
und die Antikriegsbewegungen sollten keine Hoffnung oder Vertrauen auf diese
„weicheren“ ImperialistInnen setzen, auch nicht auf China oder Russland, noch
sollten sie die Augen vor dem reaktionären Charakter des iranischen Regimes und
seiner Rolle in Syrien oder im Irak verschließen. Sie müssen jegliche Hoffnung
auf US-demokratische PolitikerInnen wie Elizabeth Warren aufgeben, die sagte,
dass sie „noch“ nicht davon überzeugt sei, dass bewaffnete Angriffe angebracht
seien. Solche „KritikerInnen“ können nur allzu leicht zu den KriegshetzerInnen
von morgen werden.

Es waren die
Antikriegs-Demonstrationen in den USA am Wochenende und die massenhafte
Empörung in der halbkolonialen Welt, die den Weg nach vorne zeigten: Millionen
gegen die US-Aggression zu sammeln, für die Aufhebung der Sanktionen und den
Rückzug aller imperialistischen Truppen und Stützpunkte aus dem Irak und der
gesamten Region jetzt!

Wir rufen alle
Organisationen der ArbeiterInnenklasse, die linken, sozialdemokratischen und Labour-Parteien,
die Gewerkschaften, die linken und antiimperialistischen Organisationen auf,
sich zu vereinen und zu mobilisieren, um die US-Aggression und die Attacken
jetzt zu stoppen!

Wir fordern:

  •  Kein Krieg mit dem Iran!
  • US-, britische Truppen und NATO-Verbände raus aus dem Nahen und Mittleren Osten! Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran!
  • Nieder mit der religiös-sektiererischen irakischen Regierung!
  • Sieg für die irakische Revolution!
  • Vorwärts zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens!



Solidarität mit dem Massenaufstand im Iran

Martin Suchanek, Infomail 1078, 22. November 2019

Seit Tagen
werden das Internet und die elektronische Kommunikation im Iran effektiv
blockiert. Bereits am Wochenende, als sich Massenproteste, Demonstrationen und
Aufstände nach dem dramatischen Anstieg der Benzinpreise um mindestens 50 %
über das ganze Land ausbreiteten, wurden Mobiltelefone, Mail-Verkehr und
Nachrichtendienste immer wieder unterbrochen. Seit Dienstag, den 19. November,
ist das Land von unabhängigen oder offeneren Formen der Kommunikation effektiv
abgeschottet. Auch wenn die Maßnahme als „temporär“ angekündigt wurde und
ursprünglich auf 24 Stunden beschränkt sein sollte, wurden die
Kommunikationsverbindungen im Land und die „unkontrollierte“ Berichterstattung
nach außen weitgehend gestoppt.

Für den 22.
November wurde eine teilweise Öffnung des Netzes angekündigt. Die
ultrareaktionären RevolutionswächterInnen proklamierten gar ihren Sieg über die
Massenbewegung. Ob es der reaktionären Regierung wirklich gelungen ist, diese
niederzuschlagen, bleibt abzuwarten – die Ursachen für das Aufbrechen der
Unruhen, die bis zu einer Aufstandsbewegung anwuchsen, werden jedenfalls nicht
verschwinden.

Abriegelung

Der Grund für
die Abriegelung des Landes von der internationalen Öffentlichkeit war klar und einfach.
Das iranische Regime hat alle seine repressiven Kräfte versammelt, um eine
Massenbewegung niederzuschlagen, die Demonstrationen, Proteste gegen die Kräfte
des Regimes, seine Sicherheitskräfte, Marionetten, Symbole und Gebäude umfasst.
Im Gegensatz zur Bewegung von 2009 und den Massenprotesten von 2017/18, wo die
städtische Mittelschicht, StudentInnen, die Intelligenz zentral waren, obwohl
besonders jene von 2017/18 auch rasch die ArbeiterInnenklasse ergriffen,
standen und stehen im aktuellen Kampf die am meisten ausgebeuteten Sektoren der
Lohnabhängigen und das enorm vergrößerte Subproletariat im Mittelpunkt der
Mobilisierungen und Aktivitäten.

Innerhalb
weniger Tage, manchmal nur weniger Stunden, hatte sich die Bewegung über das
ganze Land ausgebreitet. Am Wochenende waren nicht nur Schulen und
Universitäten geschlossen, sondern auch Geschäfte und Fabriken.

Bereits in den
Wochen vor dem Massenaufstand konnte man eine Zunahme von Protesten und Streiks
beobachten, wie z. B. bei ZuckerrohrarbeiterInnen in Haft Tappeh (Haft
Tepe), die eine lange Tradition von ArbeiterInnenkämpfen haben, oder in den
Stahlwerken in Ahvaz (Ahwas). Themen wie die monatelange Nichtzahlung von
Löhnen lösten auch immer wieder Arbeitskämpfe aus.

Am Wochenende
des 16./17. November nahmen die Proteste vielerorts die Form eines spontanen
Aufstands an, eines Ausbruchs der Verzweiflung, des Zorns und der Wut der
Unterdrückten und Verarmten. Tankstellen, Rathäuser, manchmal auch Polizeiämter
und Gebäude der „Revolutionsgarden“, der halbfaschistischen Milizen des
Regimes, wurden gestürmt und niedergebrannt. In Schiras, einer Stadt im
südlichen Iran, schienen die DemonstrantInnen für einige Zeit die Kontrolle
übernommen zu haben.

Angesichts der
verzweifelten wirtschaftlichen Situation der Massen, des Niedergangs der
iranischen Wirtschaft kommt der Ausbruch wie eine Todeswarnung für das Regime.

Reaktion des
Regimes

Aber es kämpft
um jeden Preis um sein eigenes Überleben. Die Regierung ließ schon bald keinen
Zweifel, dass sie mit allen Mitteln gegen die Bewegung vorzugehen gedenkt und
diese, falls notwendig, im Blut ertränken will. Laut Amnesty International
wurden bis zum 19. November bereits 106 Menschen bei Zusammenstößen mit der
Polizei oder den bewaffneten Milizen des Regimes (Revolutionsgarden und ihre
Unterabteilung, die Basidsch-Milizen; Basidsch-e Mostaz’afin: dt. =
Mobilisierte der Unterdrückten) getötet. Mitglieder der Protestbewegung
berichteten sogar von Zahlen bis zu 200, bevor die Kommunikation weitgehend
abgeschottet wurde.

Die Bedrohung
durch eine Massenbewegung, die das Regime stürzen könnte, hat vorerst die
„HardlinerInnen“ und den „gemäßigen“ Flügel des islamistischen Regimes vereint.
Alle verurteilen den Aufstand als „Vandalismus“ oder vom Imperialismus
gesponserten „Terrorismus“. Einige der FührerInnen der DemonstrantInnen, die
verhaftet und sogar mit der Todesstrafe bedroht wurden, wurden im Fernsehen
gezeigt, wo sie „gestehen“, dass sie im Namen der USA, Israels oder
Saudi-Arabiens handelten. Solche „Geständnisse“ sind so vertrauenswürdig wie
die jedes Schauprozesses.

Seit Dienstag
behaupten Rohani und andere VertreterInnen des Regimes sowie die staatlich
kontrollierten Medien, dass sich die Situation „normalisiert“ habe. Dies klang
und klingt eher nach einer selbstgefälligen Nachrichtenpolitik, wenn man
bedenkt, dass die Nachrichtensperre aufrechterhalten blieb, dass jede
„unkontrollierte“ Verbindung zur Außenwelt blockiert wurde. Aber es war und ist
auch klar, dass das Regime alle Ressourcen mobilisiert, über die es verfügt –
sein Monopol auf die Medien, den repressiven Apparat, die Gerichte, die
Polizei, die Paramilitärs, die Institutionen der Islamischen Republik, die wie
die Moscheen auch mit Teilen der Gesellschaft verbunden sind und die
reaktionären Schichten zu Manifestationen für das Regime mobilisieren können.
Angesichts der sehr realen Bedrohungen durch den US-Imperialismus, die
Wirtschaftssanktionen und das westliche Ziel, einen „Regimewechsel“
durchzusetzen, gelingt es den Mullahs und ihren AnhängerInnen weiter, ihre
Politik bei Teilen der Bevölkerung fälschlich als „Antiimperialismus“ zu verkaufen.
Folgerichtig versuchen sie, die Massenbewegung als von ausländischen,
US-imperialistischen, zionistischen und saudischen Kräften geführt und geleitet
darzustellen.

Es liegt auf der
Hand, dass diese ebenso wie die „weicheren“ europäischen ImperialistInnen und
reaktionäre Kräfte des Exils und der internen „Opposition“, die von MonarchistInnen
über Liberale bis hin zu den von den USA gesponserten ehemaligen Linken der Volksmudschahedin
(Modschahedin-e Chalgh-e Iran) reichen, die Situation auszunutzen versuchen.
Außenminister Pompeo und andere VertreterInnen der US-amerikanischen Regierung
werden nicht müde, ihre „Solidarität“ mit dem iranischen Volk zu verkünden und sprechen
seit Jahr und Tag offen vom „regime change“.

Wirtschaftliche
und soziale Ursachen für die Bewegung

Es ist jedoch
einfach eine Lüge, dass die gegenwärtige Bewegung, die Massenaufstände, die wir
erlebt haben, von den USA oder anderen imperialistischen oder regionalen
Mächten initiiert, orchestriert oder geführt werden. Sie stellen vielmehr den
Ausbruch der Wut, Verzweiflung und Verelendung der verarmten Massen gegen ein
diktatorisches, klerikales kapitalistisches Regime dar.

Die Bewegung
wurde selbst durch Maßnahmen des Regimes ausgelöst, durch die Aufhebung der
Subventionen für Benzin. Am 14. November kündigte die Regierung diese Maßnahme
an, die innerhalb weniger Stunden auch umgesetzt wurde. Die Menschen hatten
daher keine Zeit, sich auf die Rationierung des Benzins und die Erhöhung der
Preise vorzubereiten. Diese steigen um 50 % für die ersten 60 Liter, die
man kauft, für jeden weiteren Liter werden sie gar um 300 % angehoben!

Während die
Benzinpreise im Iran zwar extrem niedrig sind (etwa 7,5 Eurocent/Liter bis
letzten Freitag), waren sie eines der letzten Mittel, mit dem das Regime und
der iranische Kapitalismus die Masse der Bevölkerung, der ArbeiterInnenklasse
und der Armen wirtschaftlich einigermaßen integrierten. Genau dieser Teil der
Bevölkerung wird am stärksten vom Preisanstieg und der wahrscheinlichen Zunahme
der Inflation betroffen sein, die laut IWF bereits im Oktober 2019 35,7 %
erreicht hatte. Noch pessimistischer ist die Einschätzung des Statistischen
Zentrums für den Iran (SCI), das eine Gesamtinflationsrate von 47,2 %
kalkuliert. Bezüglich der Erhöhung der Preise für Lebensmittel und Treibstoff
errechnete es für das letzte Jahr einen durchschnittlichen Anstieg von 63,5 %,
für Immobilienpreise einen von 82 % (Zahlen der Deutschen Welle, Iranische
Wirtschaft sinkt unter Gewicht von Sanktionen,
https://www.dw.com/en/irans-economy-plummets-under-weight-of-sanctions/a-50950471).

Der Grund für
den Preisanstieg liegt auf der Hand. Die Krise der iranischen Wirtschaft wurde
seit Mitte 2018 durch die US-Wirtschaftssanktionen und das Embargo, dem die
europäischen Verbündeten der USA folgten, extrem verschärft. Seither schrumpfte
die Wirtschaft nach Schätzungen der Weltbank um rund 8,7 %. Der IWF
rechnet sogar mit 9,5 %. Die Ölexporte sanken um 80 % und die
Staatsschulden stiegen. Preissubventionen, eindeutig ein Mittel zur
Verhinderung sozialer Unruhen und zur Einbeziehung der Masse der Bevölkerung,
sind ein Obolus, den das iranische Regime nicht mehr zahlen will und den es
sich möglicherweise auch nicht mehr leisten kann. Dabei wurden die Subventionen
für Benzin und andere Güter (und die damit verbundenen
Umverteilungsmechanismen) bereits in den letzten zehn Jahren reduziert –
teilweise als Folge der Forderungen des IWF nach einer „Umstrukturierung“ der
Wirtschaft.

Die Situation
wurde durch die Embargos, Handelsboykotte und Sanktionen verschärft. Hinzu
kommt, dass das fixe Kapital, Maschinen und Infrastruktur des Landes,
überaltert ist und kaum noch ersetzt wird. Wir haben es also mit einer
chronischen Wirtschaftskrise zu tun.

Lage der
ArbeiterInnenklasse

Es sind vor
allem die ArbeiterInnenklasse, die Armen, die Landbevölkerung und die national
unterdrückten Teile der Gesellschaft, die den Preis dafür zahlen müssen.
Bereits in den letzten Perioden war der iranische Kapitalismus von einer
dramatischen Verarmung großer Teile der Lohnabhängigen geprägt.

Man vergisst
oft, dass der Iran nicht nur eine theokratische Diktatur ist, sondern auch ein
kapitalistisches Land, das in den letzten Jahrzehnten eine starke Deregulierung
des Arbeitsmarktes und der Arbeitsgesetze durchgesetzt hat, Reformen, die
eindeutig der KapitalistenInnenklasse zugutekamen, aber auch wichtigen Teilen
der Mittelschicht, der Kleinbourgeoisie und des Staatsapparates.

Nach Angaben des
SCI lag die offizielle Arbeitslosigkeit im September bei 10,5 %. Dies
verdeckt jedoch die tatsächliche Höhe von Arbeitslosigkeit und
Unterbeschäftigung, da nach einer kürzlich erfolgten Neudefinition der
Beschäftigung jeder Mensch, der für eine Stunde pro Woche unter Vertrag steht,
als beschäftigt gilt!

Dennoch bleibt
die Jugendarbeitslosigkeit selbst nach offiziellen Angaben bei 26 %. Wenn
man bedenkt, dass die Hälfte der 80 Millionen Einwohner des Iran unter 25 Jahre
alt ist, zeigt sich, dass das derzeitige System für die Jugend keine Zukunft
bietet.

Darüber hinaus
hat die Regierung in den letzten 15 Jahren UnternehmerInnen ermöglicht,
ArbeiterInnen nach einer dreimonatigen Probezeit ohne Bezahlung zu entlassen,
eine Praxis, die bei Neueinstellungen und jungen Menschen weit verbreitet ist.
Insgesamt haben schätzungsweise rund 93 % der Beschäftigten in Industrie
und Handel nur befristete Verträge. Kurz gesagt, die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse
ist verarmt und umfasst ein riesiges Subproletariat.

Noch stärker
betroffen sind die Lohnabhängigen in den ländlichen Regionen oder aus national
unterdrückten Bevölkerungsgruppen. Kein Wunder, dass der Aufstand der letzten
Tage in Regionen wie Chuzestan,
Kermānschāh und Fars, alles
„unterentwickelte“ Regionen mit großen arabischen und kurdischen Minderheiten,
besonders ausgeprägt war.

Was nun?

Angesichts der
wirksamen Abschottung des Landes ist es schwierig, die weitere Entwicklung der
Bewegung zu beurteilen.

Der schnelle
Ausbruch und die Ausbreitung spiegeln das enorme Maß an Wut und Verzweiflung,
Entfremdung der ArbeiterInnenklasse, der Bauern-/Bäuerinnenschaft und sogar
großer Teile der „Mittelschicht“ vom Regime wider.

Angesichts des
diktatorischen Charakters der islamistischen Herrschaft, ihrer Durchdringung
aller Bereiche des sozialen, wirtschaftlichen und privaten Lebens wird leicht
verständlich, dass diese von Elend und sozialer Entvölkerung getriebene
Bewegung schnell einen politischen Charakter angenommen hat.

Dies belegen
viele Berichte, in denen DemonstrantInnen den Sturz des Regimes forderten, das
Elend mit der islamischen und kapitalistischen Diktatur verknüpften, aber auch
die Richtung der gewalttätigen Aktionen. Die Massen plünderten keine kleinen
Geschäfte oder „randalierten“ nicht blind. Ihre Aktionen richteten sich gegen
Tankstellen, Banken oder Gebäude des Regimes und der Repressionskräfte. Mit
anderen Worten, sie richteten sich gegen die herrschende Klasse und ihre
Institutionen.

Die rasante Ausbreitung
– obwohl die elektronische Kommunikation zunächst sicherlich erleichtert wurde
– spiegelt natürlich auch eine weit verbreitete, spontane Wut wider, die  durch steigende Preise nur entfacht
werden musste. Es spiegelt möglicherweise auch einige, wenn auch schwache
Formen der Verbindung zwischen Teilen der StudentInnen wider, aber auch von
GewerkschafterInnen, die unter illegalen oder halblegalen Bedingungen arbeiten.
Niemand sollte übersehen, dass gerade kämpferische ArbeiterInnen brutal unterdrückt
und verfolgt sind. Allein im Raum Teheran saßen schon vor den Massenprotesten
über 700 KämpferInnen der ArbeiterInnenklasse im Knast.

Verbindungen
zwischen den Städten und AktivistInnen sind jedoch eindeutig sehr schwach und
es fehlt ihnen eine politische und strategische Ausrichtung. Dies spielt in die
Hände des Regimes, da es über einen zentralisierten Apparat, nationale Medien,
die Kontrolle über die Wirtschaft verfügt – Mittel, die es gezielt zur
Zerstörung der Bewegung und jeder organisierten proletarischen Opposition
einsetzt. Darüber hinaus ist die Bewegung, obwohl sie eindeutig über starke
Wurzeln bei den Armen und der ArbeiterInnenklasse verfügt und in der Lage war,
den staatlichen Kräften in einigen Regionen zu widerstehen, nicht in der Lage
gewesen, sich mit einfachen Soldaten zu verbinden, um sie an ihre Seite zu
bringen und so den Repressionsapparat von innen zu schwächen.

Daher stellt das
Fehlen einer landesweiten Organisation und Ausrichtung einen enormen Nachteil,
ja eine grundlegende Schwäche dar angesichts der bewaffneten Macht des Regimes
und der unmittelbaren Gefahr, die Bewegung im Blut zu ertränken. Deshalb müssen
sich die ArbeiterInnenbewegung und die internationale Linke jetzt mit den
ArbeiterInnen und Jugendlichen des Iran solidarisieren!

Sie müssen die
Lüge zurückweisen, dass diese HandlangerInnen der westlichen imperialistischen
Mächte, Israels oder Saudi-Arabiens seien.

Gleichzeitig
müssen sie auch vor diesen falschen, heuchlerischen „FreundInnen“ des
iranischen Volkes warnen. Sie müssen ihre Heuchelei, ihre eigene Unterdrückung,
z. B. von Frauen in
Saudi-Arabien, des Volkes im Jemen, der PalästinenserInnen oder die Plünderung
der gesamten Welt durch die US-amerikanischen und europäischen Mächte
aufdecken. Sie müssen darauf hinweisen, dass die US-Sanktionen gegen den Iran
auch eine Ursache für das Elend der Bevölkerung sind, dass der Westen die
Bevölkerung für seine Zwecke aushungern lässt. Sie müssen darauf hinweisen,
dass die westlichen bürgerlichen PolitikerInnen zwar die Unterdrückung der
Bewegung ablehnen, aber über das wirtschaftliche und soziale Elend schweigen.
Kein Wunder, denn der IWF rechtfertigte tatsächlich den Anstieg der
Benzinpreise, um die Schulden des Iran zu decken und das Land
„umzustrukturieren“.

Und natürlich
muss man auch vor den liberalen, monarchistischen oder proimperialistischen,
fälschlich zur Linken gerechneten Formationen der „Opposition“ warnen und diese
bekämpfen.

Politische
Ausrichtung

Die iranische
ArbeiterInnenklasse wird jedoch nur dann in der Lage sein, das Regime zu
besiegen und gleichzeitig zu vermeiden, in die Hände dieser falschen „FreundInnen“
zu fallen, wenn sie sich als politische Kraft versteht, wenn sie die politische
Führung übernimmt.

Dies erfordert
einerseits in zugespitzten Krisen die Schaffung von Massenorganisation für den
Kampf – nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch von Aktionsräten, von
Milizen zur Selbstverteidigung und von Soldatenräten, um diese auf die Seite
der ArbeiterInnen und Jugend zu ziehen. Die Geschichte hat gezeigt, dass das
Regime nicht reformierbar ist, dass es eine Revolution braucht, um es zu
stürzen. Aber es muss eine Revolution sein, die nicht nur die herrschende
politische und staatliche Form verändert. Es muss eine Revolution sein, die
nicht nur eine klerikale Diktatur stürzt, sondern auch die
KapitalistenInnenklasse und die GroßgrundbesitzerInnen enteignet, die den
islamistischen Staatsapparat zerschlägt, ihn durch eine ArbeiterInnen- und
Bauern-/Bäuerinnenregierung ersetzt und die Wirtschaft auf der Grundlage eines
demokratischen Plans neu organisiert, der die Bedürfnisse der Vielen, nicht der
Wenigen befriedigen soll.

Wie die
Auswirkungen der imperialistischen Sanktionen gezeigt haben, wäre selbst ein
solches Regime der ArbeiterInnenklasse nicht in der Lage, die Dinge in nur
einem Land zu ändern. Die iranische Revolution müsste mit den Massenbewegungen
im Irak, im Libanon, mit den palästinensischen und kurdischen Befreiungskämpfen
verbunden, also über die gesamte Region ausgeweitet werden zum Kampf um eine
Sozialistische Föderation des Nahen und Mittleren Ostens.

Es droht, dass
die Kräfte der Konterrevolution, dass der iranische Staat den Aufstand
zerschlagen werden, bevor sich die ArbeiterInnenklasse politisch so weit
entwickelt, dass sie ihren Kampf mit diesen Aufgaben verbindet. Wir müssen
unser Möglichstes tun, um die Zerschlagung der Bewegung zu verhindern. Aber
selbst wenn es dem Regime gelingen sollte, diese mit brutaler Gewalt
niederzuringen, so wird es nicht in der Lage sein, die wirtschaftliche und
soziale Grundlage für eine dauerhafte Stabilität zu schaffen. Weitere Ausbrüche
wären wahrscheinlich, ja würden unvermeidlich folgen.

Die Bewegungen
und Aufstände der letzten 10 Jahre verweisen aber auch auf ein
Schlüsselproblem, das alle Bewegungen des Nahen und Mittleren Ostens, ja
weltweit betrifft – die Führungskrise der ArbeiterInnenklasse, das Fehlen eines
klaren revolutionären Programms und einer Strategie, um die demokratischen,
sozialen und wirtschaftlichen Forderungen mit dem Kampf um die Macht verbindet.

Keine spontane
Bewegung, keine reine Gewerkschaftsbewegung kann die dafür notwendige Führung
schaffen. Die politisch bewusstesten und entschlossensten KämpferInnen und mit
der ArbeiterInnenklasse verbundene Intellektuelle müssen den Aufbau einer
revolutionären, kommunistischen Partei in Angriff nehmen. Eine solche Partei
muss auf einem Programm von Übergangsforderungen beruhen. Sie muss in der Lage
sein, unter Bedingungen extremer Unterdrückung, unter Illegalität zu handeln
und in Massenbewegungen zu wirken, die aufgrund der tiefen Krise rasch
ausbrechen und schnell einen revolutionären Charakter annehmen können. Die
Gründung einer solchen Partei, die Klärung ihres Programms und die Verbindung
des Kampfes mit dem Aufbau einer neuen revolutionären Fünften Internationale ist
eine unverzichtbare Aufgabe – im Iran und darüber hinaus.




Saudi-Arabien und Iran – Konterrevolutionäre Rivalen

Robert Teller, Neue Internationale 240, September 2019

Beide Staaten
stehen seit 1979 in offener Feindschaft zueinander. Saudi-Arabien ist enger
Verbündeter der USA, das iranische Regime entstand aus einer Revolution gegen
eine pro-amerikanische Diktatur und legitimiert sich seit jeher über seinen
vorgeblichen Anti-Imperialismus.

Beide
beanspruchen eine Führungsrolle innerhalb der islamischen Welt. Dass sich das
saudische Königshaus und das iranische Regime dabei auf einander
entgegengesetzte islamische Interpretationen berufen, taugt nicht als Erklärung
für ihre Feindschaft. Der Konflikt ist vielmehr eine Folge von geopolitischen
Allianzen und ihres politischen Charakters.

Für die aktuelle
Konfliktsituation sind mehrere Aspekte von Bedeutung: Die Rivalität
imperialistischer Mächte, die im Nahen und Mittleren Osten ausgetragen wird,
und die Rolle Saudi-Arabiens und Irans als „Energie-Supermächte“ und
Konkurrenten am Weltmarkt. Besondere Bedeutung für den Konflikt haben der
US-Einmarsch im Irak und die Auswirkungen der Arabischen Revolutionen 2011.

Geschichte
Saudi-Arabiens

Der heutige
saudische Staat entstand 1932 in Folge etwa zweihundert Jahre andauernder
Versuche der Saud-Dynastie, die Arabische Halbinsel zu unterwerfen. Zur Zeit
des Osmanischen Reiches waren diese Versuche alle zum Scheitern verurteilt.
1945 vereinbarten Präsident Roosevelt und König Abd al-Aziz Ibn Saud eine
Partnerschaft, die im Grunde bis heute Bestand hat. Saudi-Arabien sollte zum
verlässlichen Partner, Energielieferanten und politischen Gegengewicht zum
sowjetischen Einfluss im arabischen Raum werden. Das saudische Königshaus
erkaufte sich mit dem Ölexport in die USA die Garantie, jederzeit militärischen
Schutz zu erhalten. Saudi-Arabien hat die größten nachgewiesenen Ölressourcen
weltweit, ist weltgrößter Ölexporteur und unter den ÖlproduzentInnen das
Schwergewicht mit dem größten Einfluss auf die Ölpreise. Während die USA
Saudi-Arabien als größter Ölproduzent überholt haben, hat aufgrund der
geologischen Verhältnisse die saudische Förderung nach wie vor die geringsten
Produktionskosten. Das saudische Königshaus verfügt über die Macht, durch
Steigerung der Fördermenge den Ölpreis unter den Betrag zu drücken, der für
schwieriger zu erschließende Lagerstätten noch profitabel ist.

Das saudische
Königshaus kann im arabischen Raum auf die längste Kontinuität politischer
Herrschaft zurückblicken. Hätte es auf der arabischen Halbinsel kein Erdöl
gegeben, so wäre dem saudischen Staat wohl das gleiche Schicksal beschieden
gewesen wie zahllosen anderen arabischen Staaten, deren schwache Bourgeoisien
bis heute unfähig sind, ihr Land zu einen und zu regieren, und daher lange Zeit
zwischen Staatsstreichen und imperialistischen Interventionen nicht zur Ruhe
kamen. Doch die besonderen Bedingungen einer Rentenökonomie ermöglichten es dem
saudischen Herrscherhaus, sich einen Staat nach seinem Bilde zu schaffen: eine
korrupte Despotie, deren primärer Zweck darin besteht, Petrodollars in die
Taschen einiger hundert Prinzen zu schaufeln.

Die scheinbar
nie versiegende Geldquelle des Ölexports erlaubte es dem Königshaus auch, seine
Herrschaft in einer von atypischen Klassenverhältnissen geprägten Gesellschaft
zu festigen. Der Staat stützt sich auf eine privilegierte Schicht saudischer
ArbeiterInnen und Verwaltungsangestellten. Die ArbeiterInnenklasse in
Saudi-Arabien besteht zum größten Teil aus MigrantInnen, die für begrenzte Zeit
und in ihrer Mehrheit in vollkommener Rechtlosigkeit im privaten Sektor
überausgebeutet werden.

Dennoch steht
Saudi-Arabien vor einer Reihe grundsätzlicher Probleme. Das ist zum einen die
im Verhältnis zum Reichtum des Herrscherhauses wirtschaftliche Rückständigkeit.
Weder hat sich eine vom Königshaus unterscheidbare nationale Bourgeoisie
herausgebildet noch eine indigene ArbeiterInnenklasse. Das Land ist stark vom
Import von Waren und Arbeitskraft abhängig.

Zum anderen
kostet der staatliche Sektor mit seinem hohen Lohnniveau viel Geld. Die
vergangenen Jahre waren aufgrund des hohen Staatsdefizits bereits von sozialen
Einschnitten und vom Schrumpfen der privilegierten, aristokratischen Schicht
gekennzeichnet, auf die sich der saudische Staat stützt. Es sollte auch nicht
vergessen werden, dass trotz weitreichender staatlicher Wohlfahrtsprogramme der
Anteil der saudischen StaatsbürgerInnen, die in Armut leben, bei etwa 20 %
liegt.

Und drittens ist
der saudische Staat hochgradig abhängig von der politischen Partnerschaft mit
westlichen Regierungen. Diese Partnerschaft hat auch für diese einen
politischen Preis: den Vorwurf der Unterstützung des mörderischen Kriegs im
Jemen und der Rückendeckung für die extrem repressive Politik des Königshauses.

Geschichte Irans

Das iranische
Mullah-Regime geht zurück auf die Iranische Revolution im Jahr 1979, die den
heutigen Nahen und Mittleren Osten maßgeblich geformt hat. Der Sturz des
Schah-Regimes war der Sieg einer gewaltigen Streikbewegung. Sie beendete die
Ära unmittelbarer Kontrolle durch die USA und die ehemalige Besatzungsmacht
Großbritannien. Doch die Früchte der Revolution gingen aufgrund des Fehlens
einer revolutionären Führung und der Volksfrontpolitik der Tudeh-Partei an die
Bewegung des erzreaktionären Ajatollah Chomeini verloren. Ein anderer Teil der
iranischen Linken wandte sich dem Guerillakampf zu, anstatt den massenhaften
Kampf der ArbeiterInnen anzuführen. Manifest wurde die drohende Niederlage der
Iranischen Revolution mit dem von den USA unterstützten irakischen Angriff
1980. Es folgte 1982 die Zerschlagung der gesamten politischen Opposition durch
das Mullah-Regime.

Dieses setzte
seither auf eine pan-islamische Politik, um seinen Einfluss im arabischen Raum
auszubauen. Dabei ist nicht nur der Aufstieg der Hisbollah im Libanon zu
nennen. Das iranische Regime hegte auch lange Zeit gute Beziehungen zur
sunnitischen Muslimbruderschaft in Ägypten.

Iran und der
US-Einmarsch 2003 im Irak

Die US-Invasion
im Irak 2003 führte zwar innerhalb kurzer Zeit zum Zusammenbruch des
Saddam-Regimes, doch schaffte es das US-Militär nicht, das entstandene
Machtvakuum zu füllen.

Die Invasion,
die die direkte Kontrolle der USA über den Irak herstellen sollte, führte
stattdessen zur Verankerung schiitischer, dem iranischen Regime ergebener
Kräfte. Im Angesicht des Erstarkens sunnitisch-fundamentalistischer Kräfte –
mit Unterstützung ehemaliger BaathistInnen – in der Erhebung gegen die
US-Besatzung sah sich das US-Militär auf einmal Seite an Seite mit den vom Iran
unterstützten Milizen, die das Ziel der US-Invasion, ein stabiles
pro-westliches Regime zu etablieren, hätten durchkreuzen können.

Im Kriegstrommeln
der US-Rechten gegen den Iran zeigt sich auch heute ein tiefer Widerspruch
innerhalb des US-Imperialismus: Trump möchte das Militär aus Syrien und
Afghanistan zurückziehen, ohne aber dem Iran das Feld zu überlassen. Eine
US-Invasion im Iran würde sehr wahrscheinlich den ganzen Nahen und Mittleren
Osten ins Chaos stürzen. Daher gibt es auch innerhalb der US-Rechten Stimmen,
die einen Krieg ablehnen, gerade weil der Iran als Ordnungsmacht nicht zu
ersetzen ist. Hier liegt auch der Interessenskonflikt mit Israel und
Saudi-Arabien, die Irans Regionalmachtambitionen nicht anerkennen.

Saudi-Arabien,
Iran und die Arabische Revolution

Die relative
politische Stabilität des saudischen Regimes bedeutete in den Jahren ab 2011,
dass das wirtschaftlich und politisch mächtigste Land der arabischen Welt ein
Hort der dortigen Konterrevolution wurde. Dass aber auch Saudi-Arabien vor
einer revolutionären Erhebung nicht immun sein würde, zeigte die Erhebung in
Bahrain, die im März 2011 durch eine saudische Militärintervention
niedergeschlagen wurde, um ein Übergreifen zu verhindern.

Die Arabischen
Revolutionen trafen nicht zufällig vor allem die schwächeren Regime
unvorbereitet. In Ägypten, dem Land mit der größten ArbeiterInnenklasse im
arabischen Raum, konnte Sisis Putschregime 2013 nur durch die Ermutigung und
Unterstützung des saudischen Königshauses den endgültigen Sieg über die
Revolution erringen, den in dessen Folge drohenden Staatsbankrott abwenden und
den Militärstaat wieder aufrichten. In Syrien war das saudische Regime einer
der Hauptsponsoren der mächtigen islamistischen Rebellenkoalitionen Dschaisch
al-Islam (Armee des Islams) und Ahrar al-Scham (Islamische Bewegung der freien
Männer der Levante) und trägt maßgebliche Verantwortung für die Niederlage der
revolutionären Erhebung von 2011. Das saudische Königshaus konnte als Rückgrat
der arabischen Konterrevolution seinen Einfluss in der Region ausbauen. Das
kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies mit gewaltigen Kosten erkauft
wurde. Der Krieg im Jemen, unter dem Vorwand begonnen, iranischen Einfluss zu
bekämpfen, ist für Saudi-Arabien militärisch gescheitert und hat wohl bislang
weit über 100 Mrd. US-Dollar gekostet.

Das iranische
Regime hat sich seinerseits 2011 von Beginn an darauf festgelegt, das Assad-Regime
zu verteidigen – unter anderem, weil es die syrische Revolution als Fortsetzung
der Massenproteste im Iran 2009/2010 sah. Die Unterstützung mit Waffen,
Technologie, militärischen BeraterInnen und Finanzhilfen hat das syrische
Regime vor dem Sturz gerettet. Seit etwa 2013 ist iranisches Militär in Syrien
im Einsatz. Zur gleichen Zeit baute das iranische Regime eine Art
„Fremdenlegion“ in Syrien auf, deren Mitgliederzahl die der ausländischen
sunnitischen DschihadistInnen deutlich übersteigen dürfte. Die Entscheidung der
US-Regierung von 2015, auf die kurdischen YPG-Kräfte zu setzen, ist auch der
Lektion des Irak-Kriegs geschuldet, d. h. der Versuch, ein Gegengewicht zum
iranischen Einfluss zu schaffen.

Letztendlich hat
also das Scheitern der Arabischen Revolutionen auch dem iranischen Regime
geholfen, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Sinnbildhaft für die
Hoffnungslosigkeit der US-Interventionspolitik ist wohl der Einmarsch von
Daesch (Islamischer Staat; IS) im Nordirak im Juni 2014, dem zunächst weder die
irakische Zentralregierung noch die kurdische Autonomieregierung etwas
entgegenzusetzen vermochten. Schnell wurde unter US-Führung eine Militärallianz
zusammengezimmert, die das Schlimmste abwenden sollte. Das Rückgrat der
Bodentruppen waren abermals schiitisch-fundamentalistische Kräfte.

Im Iran wie auch
in Saudi-Arabien herrscht nicht Gottes Wille, sondern das Kapital. Die globale
Krisensituation macht Massenerhebungen nicht nur möglich, sondern sehr
wahrscheinlich, wie die Proteste der vergangenen Jahre im Iran gezeigt haben.
Nicht erst die massive Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage aufgrund der neuen
US-Sanktionen hat zu einer Welle von Streiks geführt, die sich meist gegen die
Entwertung der Löhne durch die auf 50 % gestiegene Inflation richten. Die
Repression des Regimes hat nur dazu beigetragen, den Streiks eine zusätzliche
politische Komponente zu geben, wie etwa Streiks in Solidarität mit den
ArbeiterInnen der Zuckerfabrik Haft Tappeh Ende 2018 gezeigt haben. Die
iranische ArbeiterInnenklasse kämpft, und in dieser Situation ist es notwendig,
eine neue revolutionäre Organisation aufzubauen, die die Lehren des Scheiterns
der Iranischen Revolution zieht und ein Programm für den Sturz des Regimes
durch die ArbeiterInnenklasse entwickelt.




Neuer Golfkrieg? – Schluss mit der US-Blockade gegen den Iran!

Dave Stockton, Infomail 1059, 22. Juni 2019

Am
13. Juni wurden zwei Tanker, der japanische Kokuka Courageous unter
panamesischer Flagge und der norwegische Front Altair unter der der
Marshallinseln, von Explosionen heimgesucht, als sie durch den Golf
von Oman, nahe der iranischen Küste, fuhren. Der Vorfall folgte auf
Angriffe auf zwei saudische Tanker, ein emiratisches Schiff und einen
norwegischen Tanker im Mai.

Die
Vereinigten Staaten von Amerika haben ein körniges Schwarzweiß-Video
herausgegeben, das nachts aus einem US-Hubschrauber aufgenommen
wurde, sowie einige Farbfotos. Sie scheinen schwarz gekleidete
Figuren auf einem Boot zu zeigen, das neben dem japanischen Schiff
fährt und ein Objekt von seiner Seite entfernt, das eine Mine sein
könnte. Auf dieser „Grundlage“ haben Trump und der saudische
Kronprinz dem Iran mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht, und die USA
haben weitere 1.000 SoldatInnen in die Golfregion geschickt.

Nach
dem Abschuss einer US-Drohne hatte Trump am 21. Juni einen
Militärschlag gegen den Iran genehmigt, der in letzter Minute
abgeblasen wurde – gegen den Willen der Hardliner im US-Kabinett
wie Außenminister Mike Pompeo und Sicherheitsberater John Bolton.

Auch
wenn sich alle Seiten immer wieder beeilen zu erklären, sie wollten
keinen Krieg und dass dies unkalkulierbare Folgen für die fragile
Weltwirtschaft hätte, ganz zu schweigen von den Beziehungen zwischen
den „Großmächten“, so steigt die Kriegsgefahr offenkundig. Der
US-Imperialismus spielt mit dem Feuer. Allein durch die 30 Seemeilen
breite Straße von Hormus werden rund 35 Prozent des weltweiten
Rohöls und 20 Prozent des globalen Ölhandels transportiert. Hinzu
kommt, dass die Länder am Golf noch immer über 50 Prozent der
nachgewiesenen Ölreserven der Welt verfügen.

Noch
im Jahr 2010 war der Iran der zweitgrößte Exporteur der OPEC
(Vereinigung der Erdöl produzierenden Länder). Aber die einseitige
Aufkündigung des internationalen Atomabkommens durch die USA und die
Verhängung eines Embargos unter Trump haben die wirtschaftliche Lage
im Iran massiv verschärft. Und Weiteres droht. Ende April kündigte
das Weiße Haus an, dass die Ausnahmen für den Handel mit dem Iran,
die China, Indien, Japan, Südkorea und der Türkei „gewährt“
wurden, im Mai auslaufen würden, wonach sie selbst zum weiteren Ziel
der US-Sanktionen werden würden, sollten sie das Iran-Geschäft
weiter betreiben.

Infolgedessen
haben Tausende iranischer ArbeiterInnen im privaten und öffentlichen
Sektor gegen Verspätungen und Nichtzahlung von Löhnen und eine
ungezügelte Inflation, die ihre Löhne abwertet, gestreikt. Das
iranische klerikale Regime antwortete, indem es Hunderte von
LehrerInnen, Bus- und Lkw-FahrerInnen sowie FabrikarbeiterInnen
verhaftete. ArbeiteraktivistInnen wurden zu Gefängnisstrafen
verurteilt, auch wegen der Organisation friedlicher Proteste.
Offensichtlich hat die amerikanische Blockade intern eine
destabilisierende Wirkung, und es ist kein Wunder, dass der Iran
gedroht hat, die Meerenge von Hormus zu schließen, wenn dies so
weitergeht.

Um
diese Bedrohung abzuwehren, haben die USA kürzlich eine Kampfgruppe
für Flugzeugträger, eine B-52-Bomberstreitmacht,
Phineas-Angriffsschiffe, Patriot-Raketenbatterien und zusätzliche
Bodentruppen in die Region entsandt. Es besteht kein Zweifel daran,
dass ein Angriff auf den Iran eine reale Möglichkeit ist. Obwohl die
US-Militärautoritäten offenbar vor solchen Aktionen gewarnt haben,
stand ein Angriff unmittelbar bevor.

Wer
war es?

Also
war der Iran für den Angriff verantwortlich? Und: Wenn es so wäre,
würde das eine militärische Aktion der USA (und wahrscheinlich von
Großbritannien) gegen den Iran rechtfertigen?

Fast
unmittelbar, nachdem die Nachrichten von Explosionen auf den Tankern
im Golf öffentlich wurden, erklärte Trump gegenüber Fox TV: „Der
Iran hat es getan“. „Sie wissen, dass sie es getan haben, sie
haben das Boot gesehen“, verlautete Trump. „Ich schätze, eine
der Minen ist nicht explodiert und die ist wahrscheinlich im
Wesentlichen dem Iran zuzuschreiben.“ „Man hat das Boot nachts
gesehen, von dem aus erfolgreich versucht worden war, die Mine
abzubauen, und das war deutlich erkennbar“, fügte er hinzu.

Trotz
des Videos – und wer kann heute noch glauben, dass ein Videoclip
nicht lügen kann – gibt es widersprüchliche Beschreibungen des
Angriffs. Einer der japanischen Eigner sagte, dass das Schiff von
zwei „fliegenden Objekten“ getroffen wurde, nicht von Haftminen.

Wenn
es einen „Angriff“ gibt, der zum Ausbruch eines Krieges führen
könnte, ist es ratsam zu fragen, wer eigentlich von einem solchen
Angriff profitiert?

Es
ist sicherlich schwer, sich den Iran als Begünstigten vorzustellen.
Man sollte nicht vergessen, dass die USA in der Vergangenheit
aufgrund falscher Behauptungen über Angriffe auf ihre Marineschiffe
Kriege geführt haben. Der Spanisch-Amerikanische Krieg wurde durch
die angebliche Versenkung des Schlachtschiffs USS Maine im Hafen von
Havanna ausgelöst, während die US-Eskalation des Vietnamkriegs
durch den ebenso gefälschten Vorfall am Golf von Tonkin ausgelöst
wurde. „Wir wurden angegriffen“ ist somit eine altehrwürdige
Methode, um die Unterstützung der Bevölkerung für einen Krieg um
Plünderung und Herrschaft zu gewinnen.

In
diesem Fall müssten sich die USA jedoch nicht die eigenen Hände
schmutzig machen. Es gibt andere regionale Mächte, enge
US-Verbündete, die die USA stets aufgefordert haben, den Iran
militärisch zu bestrafen. Sowohl Saudi-Arabien mit seinem
„dynamischen“ Kronprinzen Mohammed bin Salman als auch die
abhängigen Herrscher aus den Emiraten haben viele Gründe dafür.

Der
Kronprinz, teuer bewaffnet von den USA und Großbritannien, ist im
Jemen in einen barbarischen, wenn auch nicht gewinnbaren
„Bürgerkrieg“ verwickelt und fördert derzeit eine bösartige
Konterrevolution gegen den demokratischen Aufstand des sudanesischen
Volkes. Er hat die Spannungen mit dem Iran unerbittlich angeheizt, um
die USA zu ermutigen, mehr und mehr Marine- und Luftstreitkräfte in
die Region zu entsenden.

Dann
ist da noch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der
häufig Attacken auf die iranischen Atomanlagen gefordert und sogar
damit gedroht hat. Nicht zuletzt sind nichtstaatliche AkteurInnen
durchaus dazu in der Lage, wie beim al-Qaida-Anschlag auf das
amerikanische Kriegsschiff USS Cole im Jahr 2000.

Alle
diese sind durchaus in der Lage, Angriffe unter falscher Flagge
durchzuführen.

Ein
weiterer Grund zur Skepsis ist, dass sich der iranische Präsident
Rohani und der Oberste Religionsführer Chamene‘i in den Tagen kurz
vor den jüngsten Anschlägen mit dem japanischen Premierminister
Shinzo Abe im Iran trafen, um die wachsenden Spannungen des Landes
mit den USA abzubauen. Japan unterhält recht gute Beziehungen zu dem
Land, von dem es einen beträchtlichen Teil seines Öls bezieht.
Warum sollte der Iran versuchen, die Mission von Abe zu sabotieren?

Abgesehen
von Trump selbst wurde die Kampagne sofort von Außenminister Pompeo
aufgenommen, gefolgt von dem nationalen Sicherheitsberater Bolton,
einem berüchtigten neokonservativen Scharfmacher. Beide haben
wiederholt einen Regimewechsel im Iran gefordert. Vor einigen Jahren
rief Pompeo zu Luftschlägen auf, um die iranischen Atomanlagen zu
beseitigen.

Er
behauptete nun, dass die Angriffe Teil „40 Jahre unprovozierter
Aggression gegen freiheitsliebende Nationen“ seien. Der Iran wäre
„aufpeitscht, weil das Regime will, dass unsere erfolgreiche
Höchstdruckkampagne aufgehoben wird“ und fügte hinzu, dass „keine
Wirtschaftssanktionen die Islamische Republik berechtigen,
unschuldige ZivilistInnen anzugreifen, die globalen Ölmärkte zu
stören und Atomerpressungen durchzuführen“.

Mit
anderen Worten, die USA können die Wirtschaft eines anderen Landes
zerstören und ruinieren, indem sie einfach ihre Kontrolle über den
Handel und die Finanzen der Welt nutzen und sogar unwillige
europäische Verbündete zwingen, sie zu unterstützen, aber die
Opfer dürfen nicht mit Waffengewalt dagegen vorgehen. Wenn sie es
tun, wird Washington ein Höllenfeuer auf sie niederprasseln lassen.

Tatsächlich
beschreibt der Ausdruck „40 Jahre unprovozierte Aggression“ den
Charakter der Politik der USA und ihrer Verbündeten treffend, die
seit der Erniedrigung von Präsident Carter durch die Revolution von
1979 gegen Washingtons Handlanger, den autokratischen Schah,
betrieben wurde. Die USA ermutigten daraufhin den irakischen Saddam
Hussein, den Iran anzugreifen und einen Krieg zu beginnen, der bis
1988 andauerte und in beiden Ländern Ruin und große Verluste an
Menschenleben verursachte. In diesem Jahr feuerte der US-Kampfkreuzer
Vincennes am Persischen Golf Raketen ab, die ein iranisches
Passagierflugzeug zum Absturz brachten, 290 Passagiere und
Besatzungsmitglieder töteten.

Eine
ebenso zynische Erfindung stellt Trumps Aussage dar, dass „die
Iraner den Irak übernehmen“. Die Wahrheit ist, dass die USA unter
dem republikanischen Präsidenten George W. Bush und seinem
demokratischen Nachfolger geholfen haben, eine vom Iran getragene,
von SchiitInnen dominierte Regierung im Irak zu installieren und zu
unterstützen, um den Aufstand sunnitischer Kräfte, ehemaliger
Saddam‘scher Armeeelemente und dann die ISIS-Bewegung (Islamischer
Staat im Irak) zu zerschlagen. Die USA hätten sich im Irak viel
schwerer halten können, wenn sie nicht auf dürftig verdeckte
iranische Unterstützung zurückgegriffen hätten.

Reaktionen

Der
Auftritt von Großbritanniens kleinem Schildknappen für den
amerikanischen Goliath, Außenminister Jeremy Hunt, lief wie folgt
ab: Noch bevor er das Video sah, beeilte sich der britische
Außenminister, Trumps und Pompeos Behauptungen volle Unterstützung
zu geben:

„Wir
haben keinen Grund, der amerikanischen Einschätzung nicht zu
glauben, und unser Instinkt ist es, ihr zu glauben, denn sie sind
unser engster Verbündeter.“

Für
Hunt und seine KollegInnen wäre alles andere unpatriotisch, wenn
nicht sogar regelrecht verräterisch. Als Jeremy Corbyn es wagte,
seine Antwort zu kritisieren und sagte: „Ohne glaubwürdige Beweise
für die Tankerangriffe wird die Rhetorik der Regierung die Bedrohung
durch Krieg nur noch verstärken“, schoss Hunt sofort zurück,
„….. warum kann er nie britische Verbündete, den britischen
Geheimdienst oder britische Interessen unterstützen?“

Trotz
all diesen Getöses ist es jedoch schwer vorstellbar, dass das
Unterhaus die britische Beteiligung an einem Angriff auf den Iran
unterstützt, ebenso wenig wie es David Camerons Versuch, sich an der
Bombardierung Syriens zu beteiligen, unterstützt hat. Der britische
Beistand wird wahrscheinlich verbal bleiben, während das Land
weiterhin Waffen an die Saudis verkauft.

Unterdessen
hat die Europäische Union eine Linie eingeschlagen, die der von
Corbyn relativ ähnlich ist. Die außenpolitische Vertreterin
Federica Mogherini forderte die Länder auf, keine voreiligen
Schlüsse zu ziehen: „Die maximale Zurückhaltung und Weisheit
sollte angewendet werden“, sagte sie. Bundesaußenminister Heiko
Maas erklärte, sein Land habe sich noch nicht entschieden, wer
hinter den angeblichen Angriffen am Golf steckt.

Er
fügte hinzu, dass die Erkenntnisse des US-amerikanischen und
britischen Geheimdienstes mit Material anderer Verbündeter
verglichen werden müsse, und stellte fest, dass die bisher
vorgelegten Beweise „von einer Seite kommen“. Offensichtlich sind
die EuropäerInnen zutiefst unzufrieden mit der Iran-Politik von
Trump. Tatsächlich haben sie versucht, das Atomabkommen am Leben zu
erhalten, indem sie Wege gefunden haben, dem US-Ölembargo zu
entkommen, das den Interessen ihrer großen Ölkonzerne widerspricht.

Obwohl
sie von der Trump-Administration und dem saudischen Kronprinzen
unabhängige „Beweise“ fordern, wollen sie umgekehrt aber auch
keine weitere Konfrontation mit den USA riskieren, wie sich schon
angesichts des praktisches Befolgens des US-Embargos durch große
Teile der EU zeigte. Erst recht können sie sich zu keiner klaren
Ablehnung eines US-Angriffs durchringen. Bestenfalls sind von den
europäischen Regierungen und der EU „diplomatische“ Winkelzüge,
Schweigen und das Hoffen auf eine imaginäre „Weltgemeinschaft“
zu erwarten

Ein
echter Widerstand gegen die US-Pläne, die Embargos, Drohungen und
sogar „begrenzte“ Luftschläge auf iranische Militäranlagen wird
ausbleiben. Dieser müsste nämlich die Form von Massenaktionen auf
den Straßen annehmen. Diplomatische Erklärungen, die von den
Regierungsämtern in Berlin, Paris oder Brüssel versandt werden,
haben keine Wirkung.

Hände
weg vom Iran!

Letztendlich
ist es nicht das entscheidende Thema, ob der Iran für die jüngsten
Anschläge verantwortlich war. Die Verschärfung des US-Würgegriffs
wie seine 50-jährige Blockade Kubas und seine jüngste, die auf
einen Regimewechsel in Venezuela abzielt, würde völlig
nachvollziehbar machen, dass ein Opfer zu militärischen Maßnahmen
gegen die USA oder seine Verbündeten ergreift. Was solcherart
gerechtfertigt wäre, ist freilich längst nicht zweckmäßig.

Einen
militärischen Angriff von der immer noch einzigen militärischen
Supermacht der Welt zu provozieren, wäre, um es vorsichtig
auszudrücken, ein Risiko. Auch wenn die irakische Besatzung wie der
Vietnamkrieg zu einem wirtschaftlichen und militärischen Debakel für
die USA geführt haben, verdeutlicht die Zerstörung dieser Länder
und das Abschlachten von deren Bevölkerung, dass ein solches Risiko
nicht eingegangen werden sollte.

Natürlich
ist es möglich, dass das repressive Regime der iranischen
Ajatollahs, dessen Popularität durch die Sanktionen und ihre
arbeiterInnenfeindliche Unterdrückung weiter geschwächt wurde,
beschließt, dass das Risiko eines „schrecklichen Endes“ einem
„endlosen Terror“ vorzuziehen wäre. Der Konflikt mit den USA
könnte den Patriotismus der Bevölkerung noch einmal anheizen und
deren Unmut auf den Feind lenken. Der Iran hat nur wenige wirkliche
Verbündete jenseits des syrischen Diktators Baschar al-Assad, der
dem Iran sein Überleben verdankt, und der libanesischen Hisbollah.
Weder sie noch Russland noch China würden wahrscheinlich über die
formelle Verurteilung der US-Aktionen hinausgehen.

Dennoch
würde jeder Krieg am Golf zu einer Ölkrise führen und die
Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen, deren erste Anzeichen
bereits erkennbar sind. Am Ende würde es Russland und Chinas Allianz
zementieren und Peking davon überzeugen, dass die US-Aggression, die
sich heute auf die Kontrolle der Straße von Hormus konzentriert,
morgen die Straße von Malakka betreffen könnte. Das ist ein
lebenswichtiges Interesse für Peking, denn 80 Prozent seiner
Energieversorgung und ein großer Teil seines produzierten Exports
laufen über diese Meerenge. Auch wollen die USA ihre maritime
Vormachtstellung behaupten.

Es
wird immer deutlicher, dass „Amerika wieder groß machen“
bedeutet, die anderen imperialistischen Länder und die unabhängiger
eingestellten regionalen Mächte kleiner und schwächer zu machen.
Die verlogene Win-Win-Rhetorik der Obama-Ära ist dem
Win-Lose-Twittersturm eines Trump gewichen. Die US-Vorherrschaft soll
zur Zeit vor allem durch die US-Kontrolle der
Wirtschaftsinstitutionen, der Kapital- und Rohstoffmärkte und der
globalisierten Wirtschaft gesichert werden. Aber bei Bedarf kann die
US-Regierung rasch auf rohe Gewalt zurückgreifen.

Auch
wenn die Warnungen Russlands und Chinas an die Vereinigten Staaten,
nicht militärisch gegen den Iran vorzugehen, wahrscheinlich zu
keinerlei Aktionen ihrerseits führen werden, haben wir wieder einmal
einen internationalen Vorfall, der die vitalen Interessen der nuklear
bewaffneten imperialistischen Mächte bedroht. Dies bestätigt, was
die Liga für die Fünfte Internationale seit einiger Zeit sagt: Wir
befinden uns in einer Zeit erneuter interimperialistischer Konflikte,
die regionale Kriege, Interventionen und letztlich einen Weltkrieg
heraufbeschwören, der die Menschheit zerstören könnte.

Heute
geht es in erster Linie darum, die ArbeiterInnenbewegung der USA und
ihrer Verbündeten zu mobilisieren, um jeden Angriff auf den Iran zu
stoppen, alle Waffenlieferungen an Saudi-Arabien einzustellen, Trumps
Deal of the Century zur Lösung des Nahostkonflikts, den er den
PalästinenserInnen aufzwingen will, zu bekämpfen und die belagerte
sudanesische Revolution zu unterstützen.

Die
Verurteilungen von Trumps Kriegstreiberei durch Persönlichkeiten wie
Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders sind alle gut und schön, aber ihr
Fokus auf „wer es wirklich war“ legt die gefährliche
Schlussfolgerung nahe, dass ein Angriff doch gerechtfertigt wäre,
wenn sich der Iran als Verursacher erweisen sollte. Ihre ständigen
Forderungen nach einem Eingreifen der UNO sind ebenfalls und
bestenfalls nutzlos. Die UNO ist eine Räuberhöhle für die großen
imperialistischen Mächte, während die anderen Staaten dort sind, um
ein paar Krümel zu sammeln und die Illusion zu erwecken, dass es
sich um ein Weltparlament handelt.

Wir
müssen uns den Aktionen der USA, Großbritanniens und ihrer
Verbündeten im Golf widersetzen, aber ohne die Illusion zu
verbreiten, dass der Feind meines Feindes mein Freund wäre, in
diesem Fall, dass entweder das iranische Regime oder seine
imperialistischen Unterstützer, Russland und China, unsere
strategischen Verbündeten sein könnten. Während wir uns gegen die
Aggression der USA gegen den Iran wehren, sei es in wirtschaftlicher
oder militärischer Hinsicht, müssen wir die ArbeiterInnen des
Landes und die säkular orientierte demokratische Jugend
unterstützen, die ihr Land von seinen frauenfeindlichen, homophoben
und diktatorischen Herrschern befreien will. Letztendlich kann nur
der revolutionäre Kampf der ArbeiterInnen und Jugendlichen, wie er
im Sudan stattfindet, alle imperialistischen Kriege, den
wirtschaftlichen Zusammenbruch und auch die Klimakatastrophe
verhindern.




Solidarität mit der Bewegung im Iran! Nein zur imperialistischen Einmischung!

Martin Suchanek, Infomail 980, 8. Januar 2018

„Brot, Arbeit, Freiheit!“ Seit 28. Dezember 2017 sammelt sich im Iran eine neue Bewegung aus Lohnabhängigen, der Armut, der Jugend, verarmter Schichten des KleinbürgerInnentums gegen die Diktatur der Mullahs. Ausgehend von Maschhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, gingen in mehr und mehr Städten des Landes immer wieder Tausende auf die Straßen – und das trotz blutiger Repression, über 1000 Verhafteter und bislang 21 Toter.

Auch wenn es dem Regime gelingen sollte, diese entstehende Bewegung mit Gewalt, Einschüchterung und inszenierter Stimmungsmache zum Schweigen zu bringen und in den Untergrund zu zwingen – so hat sie schon jetzt die Diktatur der Islamisten erschüttert. Deren Herrschaft, mag sie auch noch so totalitär eingerichtet sein und die gesamte Gesellschaft durchdringen, kann erschüttert, ja gestürzt werden. Widerstand ist nicht zwecklos!

Anders als 2009 fordern die Massen bisher vor allem Maßnahmen gegen die ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen. Selbst nach offiziellen Zahlen beträgt die Arbeitslosigkeit 11,3 Prozent. Die realen Zahlen liegen weit höher. Rund die Hälfte der Jugend ist erwerbslos oder unterbeschäftigt. Löhne und Renten werden oft nicht oder nur nach Monaten gezahlt. Zugleich treiben Inflation, die Streichung von Subventionen und Korruption die Lebenshaltungskosten immer mehr in die Höhe.

Der iranische Kapitalismus und das despotische Regime der Mullahs sind offenkundig keine Erfolgsstory für jene, die in den Fabriken, auf den Ölfeldern, in den Büros schuften. Selbst großen Teilen des KleinbürgerInnentums droht der Absturz. Während das iranische Bruttoinlandsprodukt nach einer Phase der Stagnation im Jahr 2016 um 12,52 Prozent und 2017 um 3,46 Prozent wuchs, bietet die Marktwirtschaft den Massen nur Überausbeutung, Entrechtung und sinkende Einkommen.

Der wirkliche Herrscher ist auch im „Gottesstaat“ das Kapital. Bezahlt macht sich Gottes Segen nur für jene, die die kapitalistische Ausbeutung und die Interessen einer Regionalmacht diktatorisch gegen die ArbeiterInnenklasse, gegen die unterdrückten Nationen, gegen die Frauen und jede demokratische Opposition absichern. Während die Bevölkerung verarmt und erniedrigt wird, bereichern sich die GroßunternehmerInnen, die religiöse Elite und deren Apparat.

Wut und Verzweiflung sind die Triebkräfte, die Hunderte, Tausende tagelang auf die Straße gebracht haben – trotz brutaler Repression, Verhaftungen und zahlreiche Toter.

Die andere Triebkraft ist die Desillusionierung über alle Flügel des klerikalen Regimes – seien es die konservativen Hardliner oder die Reformer um Präsident Rohani. Berichten zufolge sollen die ersten Proteste von Konservativen initiiert worden sein und zu Beginn versuchten beide Flügel, demagogisch die Bewegung für sich zu instrumentalisieren. Wie sie aber auch ausgelöst worden sein mag – sie ist innerhalb kurzer Zeit so weit angewachsen, dass sie für die gesamte herrschende Schicht und alle Fraktionen des Regimes zu einer Gefahr geworden ist.

Politische Kräfte

Die internationale Bedeutung der Bewegung ist schwerlich zu unterschätzen in einer Region, die von tiefen inneren Gegensätzen geprägt ist. Der Iran ringt mit anderen erz-reaktionären Staaten wie Israel, Saudi-Arabien und der Türkei um Einfluss. Die gesamte Region steht im Zentrum des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den USA, Russland und anderen imperialistischen Mächten. Zweifellos versuchen Trump, Netanjahu und die saudische Monarchie, die Bewegung für ihre Zwecke zu nutzen, um den Einfluss des Iran im arabischen Raum zurückzudrängen und im günstigsten Fall einen Regimewechsel dort zu erzwingen. Umgekehrt verteidigt Russland seinen Alliierten, während China, Frankreich, Deutschland und die EU zur „Mäßigung aller Seiten“ aufrufen.

Zweifellos besteht die Gefahr, dass die Bewegung oder Teile von ihr – wie jede spontane Massenbewegung – für die reaktionären Zwecke westlicher Mächte oder rivalisierender Regionalmächte missbraucht werden kann oder sie unter die politische Führung und Kontrolle reaktionärer Kräfte (z. B. von Monarchisten oder der Volksmodschahedin) gerät.

Diese Gefahr ist jedoch kein Grund, der Bewegung die Solidarität zu verweigern, passiv abzuwarten, ob die Massen auch die richtige Führung und Orientierung hervorbringen oder gar wie einige StalinistInnen und sog. „Anti-ImperialistInnen“ das Regime zu verteidigen und deren inszenierte Mobilisierungen hochzujubeln. Im Gegenteil: Alle InternationalistInnen, Anti-KapitalistInnen, GewerkschafterInnen, ArbeiterInnen auf der Welt müssen sie gegen die Repression verteidigen, ihre sozialen Forderungen und den Kampf gegen das Regime unterstützen.

Die Proteste im Iran sind nämlich keine „Verschwörung“, keine „organisierte“ Bewegung – und der beste Weg sicherzustellen, dass sie zu einer genuin revolutionären Kraft gegen die islamistische Diktatur und gegen den Kapitalismus wird, besteht darin, die ArbeiterInnen und die iranische internationalistische Linke zu unterstützen.

In der Bewegung selbst findet unwillkürlich auch ein Kampf um deren politische Ausrichtung statt. Gegensätzliche Klassenkräfte kämpfen um deren Führung und Hegemonie – und dieser Kampf muss bewusst geführt werden. Sein Ausgang wird von entscheidender Bedeutung für die weitere Perspektive der Bewegung und die ArbeiterInnenklasse sein.

Aktuell stehen die Proteste an einem Scheideweg. Sie haben das Regime geschockt und dessen innere Gegensätze offen zutage treten lassen. Geschlagen ist es aber noch lange nicht. Vielmehr stellt sich die Frage: Wie kann ein Regime gebrochen werden, das selbst über massive Repressionskräfte verfügt und mit reaktionären bis hin zu faschistoiden Organisationen die Gesellschaft penetriert?

Eng damit verbunden sind die Fragen nach Selbstschutz und Verteidigung der Demonstrationen gegen die Polizei und klerikal-faschistische Milizen des iranischen Staates und des Brechens der Kontrolle des Regimes über die Armee. Rohanis Versprechen, das Demonstrations- und Versammlungsrecht zu respektieren, haben sich schon jetzt als leere Worte entpuppt, als „reformerische“ Begleitmusik zur Unterdrückung und Diffamierung der Bewegung.

Die Frage, wie sich die Bewegung ausweiten, tiefe Wurzeln in den Betrieben, den Stadtteilen, in den Zentren wie auf dem Land, unter den persischen wie unter den national unterdrückten Massen schlagen kann, wirft unwillkürlich die ihrer politischen Zielsetzung und Perspektive auf. Unter der islamistischen Diktatur, die keinen legalen Spielraum für die ArbeiterInnenklasse, unterdrückte Nationen wie die KurdInnen, AraberInnen erlaubt, stellt der Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut, Preissteigerungen unmittelbar die politische Frage demokratischer Rechte auf die Tagesordnung. Auch wenn die Bewegung als soziale, ökonomische begonnen hat, so stößt sie automatisch auf die Frage des Kampfes gegen das gesamte Regime, steht vor der Frage des politischen Ziels.

Die Frage der politischen Perspektive offenbart zugleich die Grenzen einer spontanen Bewegung. Auch wenn die Massen bisher den Versuchen der Reaktion und des Imperialismus widerstanden, sie zu instrumentalisieren, so findet ein Kampf über die Orientierung der Bewegung statt.

Nicht nur Trump und Netanjahu drücken ihre zweifelhafte „Unterstützung“ aus. Im Exil und im Land kämpfen natürlich auch reaktionäre, bürgerliche und pro-imperialistische Kräfte – Monarchisten, liberale „RefomerInnen“ oder pseudo-linke wie die Volksmodschahedin – um die Führung über die Bewegung.

Ein Einfallstor für diese Richtung kann die Kritik am Regime darstellen, zu viel Geld für „ausländische“ Kräfte zu verschwenden. So richtig sie in Bezug auf die reaktionäre Politik in Syrien und im Irak ist – so ist der Ruf nach einer anderen Außenpolitik keinesfalls darauf beschränkt. So wird auch die Unterstützung des palästinensischen Befreiungskampfes von einer sozial-chauvinistischen, rassistischen und pro-imperialistischen Perspektive aus, also reaktionär, kritisiert. Diesen Tendenzen muss offensiv entgegengetreten werden, wie auch eine klare Abgrenzung zu reaktionären Gruppierungen in der Opposition wie in der Solidaritätsbewegung unabdingbar ist.

ArbeiterInnenklasse

Umso wichtiger ist die Frage, wie die zahlenmäßig schwachen sozialistischen, progressiven Teile der Bewegung zu ihrer Führung werden können. So klein sie auch sein mögen, so zeigt der Einfluss linker Gruppierungen unter den StudentInnen in Teheran ebenso wie Statements unabhängiger Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisation, dass es eine solche Linke gibt, die die ArbeiterInnenklasse zur führenden Kraft machen will, deren Forderungen in den Mittelpunkt stellt und zugleich jede reaktionäre Lösung und jeden pro-westlichen Regimewechsel ablehnt. Zahlreiche Demonstrationen haben sich mit Streiks von ArbeiterInnen solidarisiert, die ihrerseits für höhere Löhne und bessere Bedingungen kämpfen. So sind z. B. die Beschäftigten von Haft Tapeh, der größten Zuckerfabrik des Landes, am 7. Januar in den Streik getreten. In diesem Sektor kam es schon im Laufe des Jahres 2017 immer wieder zu Arbeitsniederlegungen, um die Auszahlung von Löhnen zu erzwingen. Der „Verband Freier Iranischer Gewerkschaften, die Strom- und Metall Gewerkschaft Kermanschah, die Gewerkschaft der Maler/ Provinz Alborz sowie der Verein der ArbeiterInnenrechte“ treten für einen landesweiten Streik ein und fordern:

„Alle politischen Gefangenen müssen befreit werden. Die AusbeuterInnen und diejenigen, die uns unterdrücken, egal in welcher Machtposition sie sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Das geraubte Kapital der Bevölkerung muss ihnen zurückgegeben werden. Der Mindestlohn von ArbeiterInnen, im staatlichen und privaten Sektor, muss sich verfünffachen. Die Machthaber dürfen keine horrenden Gehälter mehr bekommen. Komplette Gewerkschafts- und Vereinsfreiheit, komplette Meinungs- und Pressefreiheit und Parteifreiheit müssen sofort umgesetzt werden.“

All das zeigt: Wir haben es nicht nur mit Demonstrationen hunderter oder tausender Menschen zu tun. Die gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen, die gelernt haben, unter den Bedingungen der Illegalität oder Halblegalität zu kämpfen, könnten die Bewegung auf eine neue, höhere Stufe heben, die einen Generalstreik gegen das Regime zu einer wirklichen Möglichkeit macht.

Die ArbeiterInnenklasse im Iran kann dabei an eine revolutionären Tradition anknüpfen, die Schoas (Räte), die in der Revolution gegen den Schah entstanden und damals ArbeiterInnenkontrolle (oder auch Selbstverwaltung der Betriebe) durchsetzten. Solche Organe können heute zur Organisierung der Kämpfe in den Betrieben wie auch der Massen in den Stadtteilen dienen und zu den Organen eines Generalstreiks werden.

Um der Bewegung eine politische Zielsetzung zu geben, braucht sie ein Aktionsprogramm, das die aktuellen Forderungen nach Mindestlöhnen, Beendigung der Korruption, vollen demokratischen Rechten, Enteignung der großen Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle mit dem Kampf für die Macht, die Errichtung einer ArbeiterInnenregierung verbindet. Die Räte, die als Organe zur Koordinierung, Verbreiterung und Führung eines Generalstreiks entstehen, könnten zu denen der ArbeiterInnenmacht werden, zum Instrument des Sturzes der islamistischen Diktatur, zum Zerbrechen ihres Repressions- und Unterdrückungsapparats. Eine solche Macht würde sich nicht auf den Staatsapparat der Mullahs stützen, sondern diesen zerbrechen und durch die Herrschaft der ArbeiterInnenklasse ersetzen, die sich neben den Räten auf Selbstverteidigungsmilizen der Bevölkerung und auf Soldatenräte gründen müsste.

Diese Entwicklung wird jedoch nur möglich, wenn die iranische Linke und Gewerkschaftsbewegung rasch in der Lage sind, eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei zu schaffen, die über ein solches Programm verfügt und die unter den Bedingungen der Repression arbeiten und zugleich in die breite Masse hineinwirken kann.