Metallindustrie: eine Tarifrunde von Bedeutung

Mattis Molde, Neue Internationale 267, September 2022

Wer für die Krisen zahlt, wird auch in Tarifrunden entschieden. Die Bundesregierung hat ihre Ausgaben für die Pandemie, für die Bekämpfung der aufkommenden wirtschaftlichen Krise, für Aufrüstung und Militärhilfe noch nicht finanziert. Kommen Steuererhöhungen oder Sozialabbau? Die Konzerne legen die Folgen der Sanktions- und Boykottpolitik gegen Russland auf die Bevölkerung um und versuchen, dabei noch Zusatzprofite einzusacken.Damit haben sie die Inflation auf in Deutschland lange nicht mehr gesehene Höhen getrieben. Die Realeinkommen der arbeitenden Bevölkerung hat das drastisch reduziert.

In der Bevölkerung machen sich Unmut und Protest breit. In manchen Branchen reagieren die Gewerkschaften mit Lohnforderungen und Tarifabschlüssen, die deutlich über den gewohnten Zahlen liegen, selbst wenn sie noch weit hinter den Erfordernissen zurückbleiben.

Jahrelange Durststrecke für den Standort Deutschland – magere Forderung heute

Jetzt steht die Tarifrunde Metall- und Elektroindustrie an, also einer der größten Branchen, mit einem hohen Entgeltniveau und Kampfpotential, das aber seit Jahren nicht mehr wirksam eingesetzt wird.

So gab es seit viereinhalb Jahren keine Erhöhung der Monatseinkommen mehr („tabellenwirksame Erhöhung“). Es wurden lediglich neue Sonderzahlungen vereinbart. Große Teile davon waren in den vergangenen Jahren nicht ausbezahlt worden, weil Ausstiegsklauseln den Unternehmen Verschiebung und Nichtauszahlung ermöglichen oder betriebliche Verzichtsvereinbarungen getroffen worden wurden.

Zugleich wurden über zwanzigtausend Arbeitsplätze vernichtet. Zahlreiche Betriebe werden geschlossen oder verlagert. In keinem Fall war die Gewerkschaftsführung willens, dagegen zu Kampfmaßnahmen aufzurufen. Es blieb bei Protesten, bei „sozialer“, sprich finanzieller Abfederung des Arbeitsplatzverlustes und peinlichen Appellen an das soziale Gewissen der Manager:innen. Die Mitgliederzahlen der IG Metall gehen nach unten. Die Führung will das so. Sie fühlt sich dem Standort Deutschland und seiner Exportindustrie verpflichtet. Sie hat es geschafft, den Glauben an die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Kapital so zu verankern, dass dann, wenn dieses sie aufkündigt, ein Umschalten auf effektiven Widerstand schwierig wird. Die Führung will ihn sowieso nicht, die Belegschaften wissen oft nicht mehr, wie das geht. Wenn sie doch den Kampf riskieren wollen, gar streiken, werden sie von der Funktionär:innenriege in den Konzernen und der Gesamtorganisation isoliert und dürfen sich alleine abstrampeln. So wird dann auch allen bewiesen, dass eben nicht geht, was nicht gehen soll. Damit kommt die Bürokrat:innenkaste in der IG Metall durch, solange es den Kolleg:innen, die kämpfen wollen, nicht klar ist, dass sie auch die Bürokratie bekämpfen müssen.

Im Vorlauf dieser Tarifrunde hat die Spitze alle bürokratischen Tricks genutzt, um die Forderungen auf 8 % zu begrenzen. Aber der Druck von unten wurde sichtbar. Hat die Bürokratie den Spielraum, dem Druck etwas nachzugeben, ein halbgares Ergebnis zu erzielen, das dann mit Schönrechnen der Masse der Mitglieder verkauft werden kann? Was will die Kapitalseite?

Nullrunde im Zeichen der Krise?

In einem Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“ hat der Vorsitzende des „Arbeitgeberverbands Gesamtmetall“, Stefan Wolf, für die Metall- und Elektroindustrie eine Nullrunde gefordert. Die „Gasmangellage“ falle zeitlich genau in die Tarifrunde. „Dann wird es nicht möglich sein, die Firmen der Metall- und Elektroindustrie mit Lohnerhöhungen weiter zu belasten.“ Die hohe Inflation müssten die Mitarbeiter:innen ohne Lohnerhöhung kompensieren. Außerdem müsse man eine weitere Steigung durch eine Lohn-Preis-Spirale verhindern. „Die Forderung fällt völlig aus der Zeit und zeugt von einer gewissen Weltfremdheit“, sagte er. Das Lohnniveau in der Metall- und Elektroindustrie sei schon extrem hoch. „Das kann halt nicht immer noch weiter wachsen – schon gar nicht in dieser Lage“, so Wolf.

Dass die Kapitalseite vor jeder anstehenden Lohnrunde aufheult, jammert und zu Verzicht aufruft, ist nicht neu. Das gehört zu ihrem Geschäft und zum Tarifritual. Es erlaubt der IG Metall-Führungsriege, jeden Abschluss als Durchbruch gegen die Blockade der Unternehmen zu feiern.

Aber angesichts der Notwendigkeit, die Arbeiter:innenklasse für Krisen und Krieg zahlen zu lassen, können wir davon ausgehen, dass die mächtigste Fraktion der Herrschenden, das Exportkapital, das vor allem in der Autoindustrie und dem Maschinenbau angelegt ist, nichts zu verschenken hat. Der Krieg in der Ukraine ist eben nicht das Resultat eines durchgeknallten Diktators, sondern Ausdruck der wachsenden Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten und Blöcken. Das deutsche Kapital hat da jetzt schon verloren: Es musste sein Bemühen, sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine super Geschäfte zu tätigen, teilweise aufgeben und sich der Konfliktstrategie Washingtons unterwerfen.

Für Metaller:innen müssen Wolfs Worte aber in den Ohren klingeln. Angesichts von ca. 8 Prozent Inflation und 4 ½ Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhung bedeuten seine Forderungen eine gewaltige Absenkung des Lebensstandards. Das „extrem hohe Lohnniveau“, wie es dieser bezeichnet, wird seit Jahren angefressen.

Was tun?

Ob die Bürokratie in dieser Lage mit ihren üblichen Manövern durchkommt? Ob es reicht, eine lange Laufzeit anzubieten, in der die Kapitalist:innen über die Inflation „ihr“ Geld wieder reinholen? Ob es möglich wird, mit Getöse und Dampf Ablassen, vielleicht einschließlich Tagesstreiks, die kampfbereiten Teile der Gewerkschaft zu erschöpfen?

Das hängt vor allem von Aktivist:innen an der Basis ab! Es reicht nicht, auf den offiziellen Veranstaltungen mit Pfeifen zu trillern. Positionen müssen formuliert werden: Was wir wollen und wie wir es erreichen können. Wir brauchen eine Vernetzung der Aktiven an der Basis, sonst erzählen die Sekretär:innen auch weiterhin, dass leider überall sonst alle mit dem Kurs der Gewerkschaftsbonzen einverstanden wären. Auf den Konferenzen muss wieder freie Debatte durchgesetzt und diese vor allem in den Betrieben unter den Belegschaften offen geführt werden. Die Entscheidungen dürfen nicht länger hinter den Kulissen fallen.

Völlig zu Recht schreibt die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften:

„Wir als VKG hatten uns im Frühjahr für eine Festgeldforderung zwischen 350 und 400 Euro eingesetzt. Die Tarifkommission und der IG Metall-Vorstand beschlossen acht Prozent Lohnerhöhung, auch wenn es einzelne wesentlich höhere Forderungen aus Betrieben gab. Angesichts weiter steigender Preise, der gerade beschlossenen Gasumlage und völlig unzureichender Entlastungsmaßnahmen bleibt diese Forderung unter dem, was nötig wäre. Landet man im Ergebnis unter der Forderung, bedeutet das sicher Reallohnverlust, aber selbst mit den acht Prozent ist eine Reallohnsteigerung nicht gegeben. Daher sollte in der IG Metall darüber diskutiert werden, diese Forderung entsprechend der aktuellen Situation nochmal zu erhöhen. Da wir nicht wissen, wie sich die Inflation entwickelt, müssen nach unserer Ansicht die Gewerkschaften den Kampf für eine automatische Anpassung der Entgelte an die Preissteigerungen (gleitende Lohnskala) aufnehmen.

Außerdem wird deutlich: eine harte Tarifauseinandersetzung kündigt sich an. Es muss diesmal ums Ganze gehen. Das bedeutet, dass Warnstreiks diesmal nicht ausreichen werden. Überall müssen jetzt schon Diskussionen laufen, um sich nach gescheiterten Verhandlungen auf eine Urabstimmung und Vollstreik in der gesamten Metall- und Elektroindustrie vorzubereiten. Zudem ist es nötig, dass die DGB-Gewerkschaften Tarifrunden synchronisieren und zusätzlich DGB-weite Demonstrationen gegen das Abladen der Krise auf die arbeitende Bevölkerung organisieren. Die Metalltarifrunde muss als Teil eines heißen Herbstes kämpferisch geführt werden und die Vorbereitungen dafür müssen jetzt stattfinden.“




Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften aufbauen!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinto der Gruppe ArbeiterInnenmacht, September 2020

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) wurde im Januar in Frankfurt auf einer Konferenz von über 150 KollegInnen gegründet. Ziel ist es, über Branchen und regionale Grenzen hinweg Kämpfe zu unterstützen und zögerliches Vorgehen und Blockaden seitens der Gewerkschaftsführungen zu bekämpfen.

Die Krise hat sich seither verschärft und zugleich sind die Führungen noch näher an Unternehmen und Regierungen herangerückt. Eine Vernetzung aller, die verstehen, dass dieser Kurs neue und verheerende Niederlagen bringen wird, ist noch wichtiger!

Im Antikrisenprogramm der VKG heißt es: „Die Angriffe auf Kolleg*innen häufen sich, aber zunächst sind es vereinzelte Angriffe – auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Einkommen. Damit die Kolleg*innen sehen, dass sie nicht allein sind, ist es auch schon jetzt nötig, gemeinsame Mobilisierungen zu organisieren. Dafür bieten die anstehenden Tarifrunden eine wichtige Chance. Sie dürfen nicht als wiederkehrendes Ritual verstanden werden – angesichts der historischen Krise, sollten sie genutzt werden, um eine gesellschaftspolitische Bewegung zu entfachen, die deutlich macht: die Gewerkschaften werden nicht hinnehmen, dass die Masse der arbeitenden Bevölkerung für die Lasten der Krise zur Kasse gebeten wird und ihr Lebensstandard gesenkt wird, während das obere Prozent weiter Milliarden scheffelt. Eine bundesweite Demonstration oder ein bundesweiter Protest- und Aktionstag der DGB-Gewerkschaften und sozialer Bewegungen und Organisationen sollte schon jetzt im Herbst geplant werden. Das gemeinsame Motto sollte lauten: Wir zahlen nicht für diese Krise.

Vernetzung in Gewerkschaften

Es stimmt, dass das nicht von alleine passieren wird. Doch auch, wenn es nach einer schwierigen Aufgabe klingt, ist doch eines klar: wenn ein solcher Kurswechsel nicht passiert, wenn keine konsequente Gegenwehr gegen die drohenden Angriffe organisiert wird, dann sind die Aussichten für die Masse der Beschäftigten mehr als düster.

Deshalb müssen alle, die heute von den Angriffen der Unternehmen betroffen sind, beginnen, sich mit ihren Kolleg*innen zusammenzutun und zu wehren. Wir müssen gemeinsam eine Wende in den Gewerkschaften einfordern. Alle, die unsere Ansicht teilen, können mit uns gemeinsam aktiv werden – in den Gewerkschaften und in konkreten betrieblichen Auseinandersetzungen!“

https://www.vernetzung.org/antikrisenprogramm-der-vkg/




Erster Mai – Kein höheres Wesen wird uns erlösen

Rede von Wilhelm Schulz, Gruppe ArbeiterInnenmacht, auf der Kundgebung der VKG in Berlin am 1. Mai, Infomail 1102, 2. Mai 2020

Vielen Dank dafür, dass ihr trotz Corona-Gefahr und trotz drakonischer Einschränkung des Demonstrationsrechts gekommen seid.

Anders als uns die Regierung und die bürgerlichen Medien, anders als uns aber auch die Gewerkschaftsspitzen weismachen wollen, gibt an diesem Ersten Mai genug Grund, um auf die Straße zu gehen.

Weltweit erleben wir eine Pandemie, die mittlerweile über 200.000 Menschen das Leben gekostet hat. Zugleich erleben wir den Ausbruch der größten Wirtschaftskrise seit fast einem Jahrhundert, seit dem Schwarzen Freitag 1929.

Systemrelevant ist im Kapitalismus nur die Profitmacherei. Der Markt selbst regelt nichts. Seine Krisenbewältigung heißt Arbeitslosigkeit für die einen, Überausbeutung für die anderen. Sie verschärft die Konkurrenz, Nationalismus, Abschottung und den Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Betroffen sind dabei die ArbeiterInnen und unterdrückten Massen auf der ganzen Welt, besondern aber jene in den Ländern des globalen Südens. Dort droht die Pandemie zu einer Hungerkatastrophe für Milliarden zu werden. Besonders betroffen sind auch Frauen, die verstärkter Doppelbelastung sowie häuslicher patriarchaler Gewalt ausgesetzt sind. Betroffen sind die Geflüchteten, die in Lagern eingepfercht oder an der EU-Grenze verfolgt oder gar ermordet werden.

Im Kampf gegen Krise und Pandemie dürften wir nicht auf Regierung, Kapital oder die imaginäre Sozialpartnerschaft vertrauen. Kein höheres Wesen wird uns erlösen. Das können nur wir – wir Lohnabhängigen – selbst tun. Und dazu müssen wir uns organisieren, formieren um klare Forderungen, die nicht an den Profitinteressen und am Privateigentum haltmachen.

  • Ausreichende, kostenlose Gesundheitsvorsorge für alle!
  • Wohnraum für alle, Aussetzung der Miete für die arbeitende Bevölkerung!
  • Keine Wiederöffnung der Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Schulen ohne Schutz- und Hygieneplan unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Kampf gegen alle Entlassungen! 100 % Lohnfortzahlung für alle, die in Kurzarbeit stehen!
  • Keine Milliarden-Geschenke für die Konzerne – massive Besteuerung von Vermögen und Gewinnen! Entschädigungslose Enteignung des Großkapitals unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Abschaffung von Lagersystemen und rassistischen Asylgesetzen: offene Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle!

So können wir den Kampf gegen Pandemie und Krise mit dem zur Verteidigung des Demonstrations- und Streikrechts verbinden. Alle, die beim nationalen Schulterschluss von Kapital und Kabinett nicht mitmachen wollen, stehen jetzt vor der Aufgabe, eine neue Antikrisenbewegung aufzubauen.

Die Krise bietet nicht nur die Chance, diesen Kampf gegen das kapitalistische  System zu verbinden – sie erfordert dies auch. Es gibt eine Lösung – die sozialistische Revolution!

One solution – REVOLUTION!




Corona-Krise: Millionen in Kurzarbeit

Mattis Molde, Infomail 1100, 21. April 2020

„Rettungspakete schnüren“ ist eine beliebte Phrase der Corona-Berichterstattung geworden. Man hat den Eindruck, dass jetzt alle gerettet werden: große Firmen und KleinunternehmerInnen, Scheinselbstständige und auch die Beschäftigten. Wer wird da wie gerettet und wer bezahlt das genau? Hat das was mit Corona zu tun oder mit Klassenkampf?

Wer zahlt die Kurzarbeit?

Das KurzarbeiterInnengeld stammt nicht aus Steuern – im Unterschied zu den Milliarden, die jetzt direkt an Unternehmen aller Art fließen –, sondern aus der Arbeitslosenversicherung. Es wurde von allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen eingezahlt. Die Corona-Kurzarbeitswelle wird definitiv ein Riesenloch in diese Kasse reißen.

Schon Ende März haben fast eine halbe Million Firmen Anträge auf Kurzarbeit gestellt – viel mehr als bei der großen Krise 2009, als auf deren Höhepunkt 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit standen.

Die aktuelle Entwicklung stellt diese Zahlen längst in den Schatten. Laut Agentur für Arbeit hat mittlerweile jedes dritte dazu berechtigte Unternehmen Antrag auf Kurzarbeit gestellt. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge dürfte die Zahl der KurzarbeiterInnen mittlerweile mehr als 4 Millionen betragen (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135753.coronakrise-schon-vier-millionen-beschaeftigte-in-kurzarbeit.html).

Später könnte es zwar einen Ausgleich aus Steuermitteln geben, den gab es bisher auch schon öfters. Es gab aber auch das Umgekehrte, nämlich dass Gelder aus der Arbeitslosenversicherung an den Bundeshaushalt gingen. Aber es gibt bisher keine Aussagen, wie das Loch finanziert werden soll. Da können Beitragserhöhungen für die Beschäftigten kommen oder Kürzungen von Leistungen. Die Beschäftigten finanzieren ihre Kurzarbeit in jedem Falle überwiegend selbst.

Formal zahlen auch die Unternehmen. Der gleiche Betrag, der den Beschäftigten auf der Lohnabrechnung abgezogen wird, wird auch vom Unternehmen noch einmal überwiesen. Aber in der Gewinn- und Verlustrechnung der KapitalistInnen steht immer beides unter „Lohnkosten“ – das Brutto, von dem die Sozialversicherung gezahlt wird, und die sogenannten Arbeit„geber“Innenbeiträge. Eine reine Verschleierung also, mit der immer begründet werden kann, wenn Beiträge der Arbeitenden wieder den UnternehmerInnen zugeschanzt werden sollen, was zum Beispiel auch als „Lohnkostenzuschuss“ bei Langzeitarbeitslosen geschieht.

Wer bekommt das Geld?

Das KurzarbeiterInnengeld wird nicht direkt von der Bundesagentur ausbezahlt, sondern an die Unternehmen, die es wiederum an die Beschäftigten weitergeben. Was der Bundestag jetzt wirklich anderes beschlossen hat, ist, dass die Unternehmen nicht nur das KurzarbeiterInnengeld erstattet bekommen, sondern auch noch die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung, die sie nach der bisherigen Rechtslage weiter zahlen mussten. Diese zusätzlichen Kosten werden jetzt also auch aus dem Topf der Gelder genommen, die die Beschäftigten bezahlt haben. Also ein weiterer Transfer in Richtung Kapital.

Die Kurzarbeitenden bekommen für den Zeitanteil, den sie kurzarbeiten, 60 bzw. 67 % vom Netto.

Das ist ein rechnerisches Netto, das mit Standardabzügen bei den Sozialabgaben und Steuern operiert. Den höheren Betrag gibt es dann, wenn ein Kind auf der Steuerkarte steht. Bei 100 % Kurzarbeit bedeuten 60 % vom Netto, dass das für viele weniger als Hartz IV ist.

Hinzu kommt, dass in der aktuellen Krise – anders als 2009 – Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen besonders stark von Kurzarbeit betroffen sind und diese zumeist in Betrieben arbeiten, die dieses Geld auch nicht „aufstocken“ (wie es z. B. in der Metall- und Elektroindustrie oft tariflich vereinbart ist).

Entgegen der Behauptung, dass das KurzarbeiterInnengeld „steuerfrei“ sei, müssen davon Steuern gezahlt werden. Der Trick: Der Betrag selbst wird nicht versteuert, aber er führt zu einem höheren Steuersatz: Also paar Prozent mehr Steuern auf das restliche Jahreseinkommen. Das wird „Progressionsvorbehalt“ genannt.

100 % Kurzarbeit bringen also einen heftigen Verlust an Einkommen – anders, als wenn z. B. in einer Konjunkturkrise jemand 20 oder 40 % KurzarbeiterInnengeld erhält und für den Rest weiter den vollen Lohn.

Andere Formen der Kurzarbeit

Neben der staatlich regulierten Kurzarbeit gibt es auch tariflich oder betrieblich geregelte Formen. Auch zu Beginn der Corona-Krise waren viele Beschäftigte offiziell ja gar nicht in Kurzarbeit, sondern mussten Stunden aus Zeitkonten („Plus-Stunden“, „Gut-Stunden“, manchmal auch „Überstunden“ genannt, was zu Verwechslung mit Mehrarbeit führen kann, die ausbezahlt wird) abbauen oder sogar ins Minus gehen. Das bedeutete dann, dass sie keinen Lohnverlust erlitten, sondern erzwungene Freizeit nehmen mussten. Auch Urlaubsnahme auf Druck der Firma gab es.

Tarifliche Formen der Kurzarbeit gibt es unter anderem in der Metall- und Elektroindustrie. Einmal als Ergänzung, falls die Dauer der staatlich regulierten Kurzarbeit abgelaufen ist. Dabei wird vor allem das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld umgewidmet. Zum Zweiten gibt es seit drei Jahren das „Tarifliche Zusatzgeld“ (T-ZUG), eine dritte Einmalzahlung im Juli, die unter bestimmten Bedingungen (Kinderbetreuung, Pflege, Schicht) in Freizeit umgewandelt werden kann. Dieses T-ZUG, das manche als Neueinstieg in die Arbeitszeitverkürzung gepriesen haben, hat sich schnell als zusätzliches Kurzarbeitsinstrument erwiesen. Betriebsräte vereinbaren dies oft als Zwangsregelung für alle. Im Normalfall bedeutet das 8 weitere Tage Arbeitsausfall, zu 75 % von den Beschäftigten bezahlt.

Es gibt zusätzliche tarifliche und betriebliche Regelungen, nach denen das KurzarbeiterInnengeld von der Firma aufgestockt wird. Da werden oft andere Entgeltbestandteile wie Urlaubs- oder „Weihnachts“geld mit verrechnet. In jedem Fall muss diese Aufstockung voll versteuert werden. Sie findet also als „brutto“ statt. Wenn mit diesem Brutto auf 100 % des üblichen Netto aufgestockt wird, kommt daher am Ende trotzdem weniger als 100 % des üblichen Netto raus.

Dabei darf man aber all diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die aus solchen Regelungen ganz herausfallen. Das sind heute geschätzt 30 bis 40 % der Beschäftigten:

  • LeiharbeiterInnen, die nach wie vor einfach von den Entleihfirmen „abgemeldet“ und von den Verleihfirmen entlassen werden.
  • Leute im Niedriglohnbereich, die zwar auch Sozialbeiträge bezahlen, deren KurzarbeiterInnengeld, wenn sie es kriegen, aber meist weit unter Hartz IV liegen würde.
  • Scheinselbstständige und Solo-UnternehmerInnen, die niemand ausbeuten und durch so gut wie nichts gesichert sind.
  • Der ganze graue und schwarze Arbeitsmarkt: Es wird viel über die armen Bauern/Bäuerinnen geredet, die keine SaisonarbeiterInnen holen dürfen. Wer redet von den SaisonarbeiterInnen, deren Einkommen entfällt, die davon das ganze Jahr leben müssen? Oder den illegalen Pflegekräften in Familien, von denen 90 % „illegale“ EU-AusländerInnen sind? In diesem Bereich arbeiten geschätzt 3–4 Millionen Menschen.

Auch wenn in vielen dieser Arbeitsverhältnisse (Leiharbeit, Niedriglohn, Saisonarbeit) auch Beiträge in die Sozialversicherung bezahlt werden, fallen die meisten Betroffenen durch alle Rettungsringe durch, außer vielleicht in Einzelfällen die Selbstständigen.

Wem nützt die Kurzarbeit?

Natürlich den Unternehmen. Die können durch Kurzarbeit und die flexiblen Arbeitszeitmodelle ihre Personaldecke ganz wunderbar an die Auftragslage anpassen. Kündigungsschutz und lange Kündigungsfristen verhindern zwar, dass es in Deutschland so wie in den USA läuft, dass die Leute einfach von jetzt auf nun entlassen werden, aber durch die Kurzarbeitregelung zahlen sie es zum ganz großen Teil selbst.

Die Rettungspakete helfen also sehr eindeutig vor allem der „Wirtschaft“ oder genauer dem Kapital.

Corona und Konjunkturkrise

Während die Beschäftigten in Krankenhäusern und im Lebensmittelhandel überlastet sind, hat in anderen Sektoren die Krise schon früher zugeschlagen. Die Autoindustrie, das Paradepferd des deutschen Exports, befindet sich schon seit einem Jahr in einer Krise, die sich stetig verschärft.

Die IG Metall geht davon aus, dass in den nächsten Jahren 50.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen und weitere 180.000 durch Digitalisierung und E-Mobilität gefährdet sind.

Andere Quellen sagen, dass schon im Jahr 2019 über 50.000 Arbeitsplätze gestrichen worden sind. Die Nationale Plattform Mobilität (NPM), ein großes BeraterInnengremium der Bundesregierung, rechnet vor, dass 410.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten, rund die Hälfte der Branche.

Was in den einzelnen Betrieben geplant wird, bestätigt solche Befürchtungen: Das Problem ist nicht nur, dass für E-Autos weniger Arbeitskräfte gebraucht werden als für solche mit Verbrennungsmotoren, sondern dass die Unternehmen neue Produktion nicht in Deutschland ansiedeln und zusätzlich die Verbrennungstechnologie ins Ausland verlagern. Schuld ist ihre verschärfte Konkurrenz, die sich in einem globalen Preiskampf manifestiert. Zusätzlich und gerade deshalb werden natürlich die neuesten Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt, weil sie einen kurzfristigen Kostenvorsprung versprechen.

Für alle vom Kapital und seiner Konkurrenz verursachten Probleme – verfehlte Produkte, Klimakatastrophe, Handelskriege und digitale Modernisierung – sollen also die Beschäftigten zahlen.

Das alles galt bereits, bevor Corona zur Pandemie geriet. Seitdem hat sich die Lage für die Beschäftigten verschärft.

Kurzarbeit und Gewerkschaft

Der Vorsitzende der IGM, Hofmann, lobt in der April- Ausgabe der „metall-zeitung“ den „Schutzschirm für die Beschäftigten und die Betriebe“, den die IGM gefordert, sowie die Aufstockung auf das KurzarbeiterInnengeld, die sie vereinbart hat. Dass hierbei auf die von den Beschäftigten bezahlte Arbeitslosenversicherung zurückgegriffen wird, ist für ihn kein Thema. Auch nicht, dass die Beschäftigten auf eine Tariferhöhung verzichten müssen dadurch, dass der Vorstand die Tarifrunde abgesagt hat. Laut Hofmann ist sie übrigens nicht „ausgefallen, sondern sie wird im Dezember nachgeholt“. Also wie: zwei Tarifrunden in einem Dezember?

Vor Corona hatte die IGM-Spitze das Problem der bedrohten Arbeitsplätze immerhin noch wahrgenommen und Proteste organisiert. In der Tarifrunde sollte das zum Thema gemacht werden – wenn auch mit untauglichen Vorschlägen verbunden: Der Vorstand wollte Zukunftsvereinbarungen mit den einzelnen Unternehmen abschließen, was im Gegenzug sicher mit viel Verzicht bezahlt worden wäre. Wir dagegen wären für gemeinsamen Widerstand und Streiks gewesen – gegen Schließungen und für Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohnausgleich: Also fordern statt betteln, gemeinsam statt „Jede Bude für sich“, kämpfen statt verzichten!

Jetzt hat die IGM-Führung sogar noch auf ihr Bettelprogramm verzichtet. Das Problem der bedrohten Arbeitsplätze kommt nicht mehr vor. Sie hat nichts in der Hand, die Unternehmen aber haben freie Bahn!

Also keine Diskussion, ob die Unternehmen eigentlich kurzarbeiten, weil sie die Gesundheit schützen oder weil die Krise, die sich seit Herbst abzeichnet, jetzt voll angekommen ist. Also keine Kritik an der Kurzarbeitregelung, keine Hinweise seitens der Führung auf die Gefahren für die Arbeitsplätze.

Die Praxis in den Betrieben

Wenn eine Firma z. B. 20 % Kosten sparen will, also Leute abbauen und Werke oder Abteilungen dichtmachen, wie geht sie jetzt vor?

Sie beantragt in dem Werk, das sie dichtmachen will, 100 % Kurzarbeit, verlagert die Arbeit, und macht das Werk gar nicht erst wieder auf. Bei den Angestellten und FacharbeiterInnen, bei denen sie einen Teilabbau will, wird sie einen Teil der Leute arbeiten lassen und die „low performer“, wie Manager sie nennen, so lange wie möglich in 100 % Kurzarbeit lassen. Richtig mürbe machen, richtig die Belegschaft spalten. „Alle gemeinsam durch die Krise“? Von wegen!

Sie wollen die Beschäftigten zahlen lassen und ihre Taktik ist dabei immer zu spalten. Das haben sie vorher getan, das tun sie jetzt wieder. Das geht auch international: Es gibt schon jetzt Konzerne, die haben in Europa dicht – aber produzieren in China und Japan, Brasilien oder Mexiko.

Da können Betriebsräte übrigens etwas tun: Kurzarbeit findet nur statt, wenn die Betriebsräte mitmachen. Es gibt Betriebsräte, die fordern verbindliche Vereinbarungen und überwachen, wer wie viel Kurzarbeit macht und wer wann raus genommen wird, wenn wieder Arbeit anliegt. Betriebsräte können auch die Gesundheitsbedingungen, zum Beispiel Abstandsregeln, kontrollieren. Die wenigsten Betriebsräte fordern das bzw. setzen es auch durch.

Aber in manchen Unternehmen gibt es Auseinandersetzungen um die Arbeitssicherheit, z. B. um die Abstände der Sitzplätze in Callcentern, die gerade boomen.

Anderswo lassen sich Beschäftigte nicht ins Home-Office schicken, weil sie wissen, dass es schwer wird, das zurückzudrehen. Genauso wie die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, die jetzt z. B. Bayern durchgesetzt hat und die die UnternehmerInnen schon lange fordern. Bisher im Namen einer modernen Arbeitswelt, jetzt im Namen des Notstandes.

Kurzarbeit und Klassenkampf

Kurzarbeit, haben wir gesehen, ist eine Regelung, die komplett von Sozialpartnerschaft geprägt ist. Es wird so getan, als sei sie genauso im Interesse der AusbeuterInnen wie der Ausgebeuteten. Teil eines „Schutzschirms für die Betriebe und die Beschäftigten“, wie Hofmann sagt.

Es wird geradezu verschleiert, wer eigentlich zahlt, und wem sie eigentlich nützt, wird nicht diskutiert. Für Betriebsräte und Gewerkschaften ist es ein Regelungsinstrument, für die Unternehmen die Fortsetzung der Ausbeutung mit anderen Mitteln.

Natürlich soll damit – wie mit allen partnerschaftlichen Regelungen – Widerstand verhindert werden. Lieber Kurzarbeit statt Entlassung. Lieber Abfindung als gar nichts. Natürlich wird damit viel Eigeninitiative erstickt. „Mal schauen, was die wieder für uns geregelt haben“, sagte im Fernsehen ein VW-ler vorm Tor. Maximal schimpft man drüber, tut aber nichts.

Kurzarbeit ist ein Beispiel, wie scheinbar im Interesse der Arbeitenden vorgegangen wird und tatsächliche Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse durch die Sozialpartnerschaft und die Einbindung in den bürgerlichen Staat deformiert werden, ihren Sinn verlieren und sich gegen die Klasse richten.

Lange Kündigungsfristen, Kündigungsschutz und Arbeitslosenversicherung sind wirkliche Errungenschaften, die in vielen Kämpfen zum Teil mit Streiks durchgesetzt wurden. Sie verhindern, dass die UnternehmerInnen die Krisen und Schwankungen ihres anarchischen Systems ungebremst auf die ArbeiterInnenklasse abwälzen können, die ihrerseits auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.

Aber die ArbeiterInnenklasse hat keine Kontrolle über diese Versicherung und damit über ihre Beitragsgelder. Die Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung wurde vom Staat unter Bismarck eingeführt, als die deutsche Bourgeoisie sich einer ständig wachsenden ArbeiterInnenbewegung gegenüber sah, die Arbeitslosenversicherung 1927 kurz vor Ausbruch der Großen Depression. Die Sozialversicherung sollte gewissermaßen das Zuckerbrot für das Proletariat im Kampf gegen die Sozialdemokratie darstellen, die integrative Ergänzung zu den Sozialgesetzen. Auch wenn Bismarck mit den SozialistInnengesetzen scheiterte, so verweist die Geschichte der Sozialversicherung darauf, dass mit solchen Reformen immer auch eine Integration der unterdrückten Klasse verbunden ist.

Das drückte sich übrigens auch in der Politik von SPD und Gewerkschaften aus, die schon früh aufhörten, um die alleinige Kontrolle über diese Gelder zu kämpfen. Unter dem Vorwand der oben erwähnten, angeblich „paritätischen“ Finanzierung wurde den KapitalistInnen, gegen deren Willkür sich ja eigentlich die Versicherung richtet, eine gleichberechtigte Mitsprache gewährt und das ganze unter staatliche Oberaufsicht gestellt. Mit den Hartz-Reformen im Rahmen der Agenda 2010 wurde die Kontrolle der Gewerkschaften dann praktisch ganz beendet – ohne wesentlichen Widerstand dieser. Also entscheidet der bürgerliche Staat allein über die Verwendung der Gelder der ArbeiterInnenklasse und diese haben letztlich den Charakter einer Sondersteuer angenommen.

Die Gewerkschaften und Betriebsräte benutzen in ihrem immer engeren Schulterschluss mit den Unternehmen die Kurzarbeit als gemeinsames Steuerungsinstrument, so wie sie das trotz aller Sonntagsreden auch bei der Leiharbeit tun. Die Kurzarbeit kam in der letzten Krise vor allem den besserverdienenden Schichten der ArbeiterInnenschaft zugute, insbesondere in der Autoindustrie. Gerade da, wo wie Kollaboration der Gewerkschaften mit dem Kapital am engsten ist, floss das meiste Geld.

Was wir wollen

Es wichtig zu verstehen, was hier abläuft: wie die ArbeiterInnenklasse betrogen wird und das nicht nur bei der Sozialversicherung; wie Betriebsräte und Gewerkschaften dabei mitmachen – oftmals mit dem kurzsichtigen, beschränkten Blick darauf, was „realistisch“ erscheint und was mit möglichst wenig Kampf gegen das Kapital „erreicht“ werden kann. Wie dadurch gerade die gewerkschaftlich besser organisierten und meist auch besser bezahlten Teile der Klasse teilweise befriedigt werden, meist auf Kosten von anderen Teilen. Wie erstere durch dieses „Uns geht es ja doch noch ein bisschen besser“ geradezu erzogen werden, ihre Privilegien zu verteidigen und unsolidarisch zu handeln. Was letztlich zu diesem bekannten Bild der ArbeiterInnenklasse in Deutschland als passiv und unsolidarisch führt.

Mit diesem Verständnis ist es möglich, eine Strategie zu entwickeln, die die Errungenschaften der Klasse von dem Kleister der SozialpartnerInnenschaft befreit, zum Beispiel die Kurzarbeit nicht hinnimmt, sondern einerseits für die alleinige Kontrolle über die Arbeitslosenversicherung durch die Gewerkschaften eintritt und anderseits für eine Umverteilung der Arbeit auf alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich, was Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit im Kern bekämpft.

Damit ist klar, dass die Gewerkschaften, von der Fuchtel der Bürokratie befreit werden müssen: von ihrer Anbindung an den bürgerlichen Staat und der Unterwerfung unter die Interessen der KapitalistInnen, in jedem einzelnen Unternehmen und in ihrer Gesamtheit; von einer Politik, die die Klasse nicht vereinigt, sondern in Einzelinteressen aufspaltet und dabei sich vor allem auf  die bessergestellten Teile und ihre Privilegien stützt. MarxistInnen nennen diese Teile die „ArbeiterInnenaristokratie“.

Dafür ist ein systematischer Kampf nötig, der in den Gewerkschaften geführt werden muss, der sich aber nicht nur darauf beschränken darf und hochpolitisch ist. Er muss auch in die Parteien getragen werden, die sich auf die Gewerkschaften und ihren Apparat stützen, also SPD und DIE LINKE, sowie auch an alle Bewegungen, die sich auf irgendeine Weise mit den Problemen befassen, die aus dem Kapitalismus kommen: die MieterInnenproteste und vor allem die Umweltbewegungen.

Das Thema Kurzarbeit und der Umgang damit sind aktuelle Beispiele, wie die sozialpartnerschaftliche Anpassung der reformistischen Gewerkschaftsführungen schon jetzt den Weg bereitet, dass wir wieder für die Krise des Kapitals zahlen sollen und das mehrfach. Eine Kopie der IG-Metall-Strategie von 2009/10, mit Kurzarbeit, mehr Niedriglohnbereichen und Abwrackprämien das deutsche Exportkapital auf Kosten der ausländischen Konkurrenz zu stärken und so Arbeitsplätze zu sichern, wird angesichts der Autokrise und von Handelskrieg noch viel weniger funktionieren. Vor allem auch, weil seitens der KapitalistInnen überhaupt keine Bereitschaft sichtbar ist, sich auf solches einzulassen. Sie haben anderes vor. Trotzdem hat die IG Metall als stärkste Gewerkschaft Corona zum Anlass genommen, vor den seit vielen Monaten geplanten und begonnen Angriffen seitens des Kapitals erbärmlich zu kapitulieren.

Die sklavische Unterordnung der Gewerkschaftsführungen unter das Kapital, dass sie um Almosen betteln, statt die Kraft der organisierten Mitglieder zu nutzen, um die ganze Klasse zu mobilisieren, kann nur durch zwei Dinge gebrochen werden: einerseits durch ein klares politisches Verständnis, dass es nötig ist, den Kapitalismus zu stürzen, weil dieses System die Welt in den Untergang führt. Zweitens dadurch, dass dieses System in seinem Weg in die Barbarei immer mehr Leute vor die Wahl stellt, zu kämpfen oder schweigend unterzugehen.

So wird die beginnende Krise Hunderttausende vor diese Wahl stellen und es ist dann entscheidend, dass es eine Kraft in der Gewerkschaftsbewegung gibt, die Forderungen und Vorschläge machen kann, die sich gegen die Quelle des Problems, die Ausbeutung der Arbeitenden zur Vermehrung des Profits, richten. Wir brauchen eine klassenkämpferische Basisbewegung und mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften hat sich ein hoffnungsvoller Ansatz dafür gebildet. Eine klassenkämpferische Basisbewegung ist der Schlüssel dafür, dass die ArbeiterInnenklasse wieder zur Akteurin wird und aufhört, Objekt der Ausbeutung durch das Kapital und der politischen Bevormundung durch die Bürokratie zu sein.




Heraus zum 1. Mai? Heraus zum 1. Mai!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), Infomail 1100, 16. April 2020

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften unterstützt Initiativen von Kolleg*innen, am 1. Mai 2020 ihren Protest auf die Straße zu tragen.

Unter Beachtung der entsprechenden Schutzmaßnahmen muss es möglich sein, die Versammlungsfreiheit zu wahren. Notwendige Maßnahmen zum Infektionsschutz dürfen nicht mit einer weitgehenden und unzulässigen Aufhebung des Rechts auf politische Betätigung im öffentlichen Raum einhergehen. Selbst wenn es nötig ist, große Versammlungen zu meiden, dürfen Absage der Proteste wie die Kundgebungen zum 1. Mai nicht von oben herab entschieden werden, sondern es bedarf der Diskussion und Entscheidung der Kolleg*innen, ob und in welcher Form Veranstaltungen durchgeführt werden.

Vor unseren Augen entfaltet sich die größte Krise der Nachkriegszeit. Eine Krise, die durch den Ausbruch des Corona-Virus und die Gegenmaßnahmen verstärkt, aber nicht verursacht wird. Die wahren Ursachen liegen in einem System, das auf Konkurrenz und Profitstreben, statt auf den Bedürfnissen der Menschen beruht. Bereits jetzt ist klar, dass wie schon vor zehn Jahres die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abgewälzt werden, die sie nicht verursacht haben.

Diejenigen, die von diesem System profitieren, die Besitzenden, reagieren bereits mit historischen Angriffen auf die lange und hart erkämpften Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung. Die Sonntagsarbeit ist bereits befristet eingeführt und der Handelsverband Deutschland fordert, das Verbot gänzlich aufzuheben, mindestens bis Ende des Jahres. Durch eine Verordnung der Bundesregierung kann der Arbeitstag in vielen Bereichen auf bis zu 12 Stunden am Tag und über 60 Wochenstunden ausgeweitet werden, während die Ruhezeit gleichzeitig von 11 auf 9 Stunden verkürzt wird. Dagegen wurde unter anderem eine Petition gestartet: https://www.change.org/p/bundesregierung-nein-zum-12-stunden-tag-und-zur-60-stunden-woche. Die Personaluntergrenzen im Krankenhaus wurden bereits vor Wochen aufgehoben. Trotz einer Kontakteinschränkung im Privaten, müssen Millionen Kolleg*innen unter Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens jeden Tag zur Arbeit fahren. In der Waffen- und Autoindustrie laufen die Fabriken weiter, bzw. wieder an. Der Druck aus der Wirtschaft wächst, ungeachtet der Risiken einer neuen Ausbreitung des Corona-Virus, den Betrieb wieder aufzunehmen, da ihnen die Gewinne davon zu schwimmen drohen. Während hunderte von Milliarden an Rettungspaketen für Firmen bereitgestellt werden, während Millionen in die Erwerbslosigkeit und Kurzarbeit geschickt werden, sollen wir die Füße stillhalten. Doch man kann von uns nicht verlangen, ruhig zu bleiben, während Kolleg*innen vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie von 60 (oder 67) Prozent ihres Lohns lieber die Miete bezahlen, oder ihrer Familie Essen kaufen. Deshalb ist es nötig, am 1. Mai – unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes und gebotenen Abstandes – auf die Straße zu gehen. Es sollten sich vor Ort demokratische Vorbereitungskomitees bilden, die unter Hinzuziehung der Kolleg*innen aus dem medizinischen Bereich ein Konzept für die Durchführung der Veranstaltungen mit einem entsprechenden Ordner*innendienst erarbeiten.

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften wird sich vor Ort nach Möglichkeit an der Organisation und Durchführung der Proteste beteiligen.

Wir wollen uns mit folgenden inhaltlichen Punkten aus unserem Programm gegen die Corona-Pandemie beteiligen:

  • Sofortige Rücknahme aller gesetzlichen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Aufhebung der Einschränkung demokratischer Rechte
  • Anstatt Sonderurlaub oder Kurzarbeitergeld: Freistellung bei voller Lohnfortzahlung für den gesamten Zeitraum
  • Für Beschäftigte, die aufgrund ihrer Tätigkeit besonders viel Kontakt mit Menschen haben: Bereitstellung aller erforderlichen Schutzmaßnahmen wie Desinfektionsmittel, Schutzkleidung besonders in den medizinischen Einrichtungen.
  • Als Lehre aus dieser Virus-Krise: breite Kampagne aller DGB-Gewerkschaften – unter Einbeziehung von Streikmaßnahmen – für Milliardeninvestitionen ins Gesundheitssystem, ein Ende des Fallpauschalensystems, medizinische Einrichtungen müssen die tatsächlichen Kosten medizinisch sinnvoller Maßnahmen erstattet bekommen.
  • Überführung aller einschlägigen Einrichtungen in die Öffentliche Hand (z. B. Rekommunalisierung der Krankenhäuser) unter Kontrolle der dort Beschäftigten und der Öffentlichkeit.
  • Bis zur Umsetzung dessen dürfen Krankenhäuser keine Profite ausschütten. Alle von den Krankenkassen überwiesenen Gelder müssen für das Wohl der Patientinnen und Patienten eingesetzt werden.
  • Gesetzliche Personalbemessung nach Bedarf! Massive Aufwertung der Krankenpflege-Berufe. Als ersten Schritt sollen alle Pflegeberufe um 500 Euro pro Monat aufgewertet werden. Bessere Bezahlung von Pflegekräften ist der wichtigste Baustein, um den Pflegenotstand zu beenden!
  • Arbeitsplätze verteidigen: Verstaatlichung von Betrieben, die entlassen wollen, unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung, um die Produktion gesellschaftlich sinnvoll planen zu können.

Das gesamte Programm für Sofortmaßnahmen der VKG findet ihr unter:

Corona-Gefahr: Sofortmaßnahmen im Interesse der abhängig Beschäftigten! Gewerkschaften müssen handeln!




Tarifabschluss IG Metall NRW: Weniger als ein Linsengericht

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), Infomail 1096, 23. März 2020

Die Vernetzung für
kämpferische Gewerkschaften verurteilt den Tarifabschluss vom 20.3.2020 der IG
Metall in NRW auf das Schärfste. Er bringt für die Kolleg*innen weder eine
Entgelterhöhung noch mehr Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Dieser mickrige
Abschluss wurde unter völliger Umgehung der Mitgliedschaft durchgezockt. Dies
war allerdings schon im ganzen Konzept für die diesjährige Tarifrunde angelegt,
das der IGM-Vorstand noch vor Ausbruch der Corona-Krise im Januar beschloss.

Anfang Februar
hatten wir im Betriebsflyer der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften das
vom IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann verkündete Moratorium für die Tarifrunde
der IGM 2020 verurteilt und festgestellt:

„Stattdessen
bietet er, ohne die Mitglieder zu fragen, in einem Moratorium einen
Zukunftspakt der Illusionen an: Ein „Friedensangebot“ – vor Ende der
Friedens-pflicht soll es zu einem Abschluss kommen! Ohne eine konkrete Zahl für
die Lohnerhöhung sollen die Verhandlungen beginnen! Dies ist eine offene
Einladung an das Kapital, in Hinterzimmern auf Kosten der Kolleg/innen eine
Nullnummer auszubaldowern!“

Genau dies ist
jetzt eingetreten. Die IG Metall hat in Nordrhein-Westfalen einen Abschluss mit
den Metallkapitalisten vereinbart. In der Meldung zum Abschluss heißt es am 20.
März:

„Das erzielte
Tarifergebnis in Nordrhein-Westfalen beinhaltet folgende Punkte: 

  • Regelungen zur Kurzarbeit, die die Nettoentgelte der Beschäftigten auf dem Niveau von etwa 80 Prozent absichern können. Dies geschieht durch eine Abschmelzung der Sonderzahlungen und einen Arbeitgeberzuschuss von 350 Euro je Vollzeitbeschäftigten.
  • Bei Schließungen von Kitas und Schulen können Eltern mit Kindern bis zu zwölf Jahren acht freie Tage für die Kinderbetreuung nehmen anstatt des tariflichen Zusatzgeldes. 
  • Zusätzlich erhalten Beschäftigte im Jahr 2020 für die Betreuung von Kindern – soweit zwingend erforderlich – mindestens fünf freie Tagen ohne Anrechnung auf den Urlaub, das Entgelt wird weitergezahlt.
  • Die Tarifverträge treten unverzüglich in Kraft und können zum 31.12.2020 gekündigt werden. Der Vorstand der IG Metall hat zwischenzeitlich das Verhandlungsergebnis gebilligt und unter Berücksichtigung der regionalen Bedingungen die bundesweite Übernahme empfohlen.“

Wie ist dieses
Ergebnis einzuschätzen und wie sind unsere Positionen dazu?

  • Der Abschluss sieht keine Erhöhung der Löhne vor. Das heißt, dass es nicht einmal einen Ausgleich für den Kaufkraftverlust gibt. Von IG Metall-Seite ist immer betont worden, dass auch ohne eine konkrete Lohnforderung zu benennen, dieses Ziel umgesetzt würde. Wir verurteilen diese Nullrunde – oder korrekter – diese Minusrunde auf das Schärfste. Auch in Zeiten einer Pandemie brauchen die Kolleg*innen dringend einen Ausgleich, denn auch die Mieten, Lebensmittel, medizinische und sanitäre Produkte u.a. steigen, z.T. verstärkt durch die Pandemie und müssen bezahlt werden. Insbesondere für die Kolleg*innen in den unteren Entgeltgruppen führt dies zu Problemen bei der Finanzierung ihres Lebensunterhaltes. Zu recht kamen aus vielen Betrieben Lohnforderungen in Höhe von 5 Prozent und Sockelbeträge zwischen 200 und 300 Euro.
  • Die Regelung zur Kurzarbeit mit der Absicherung von bis zu (Meldung der IG Metall am 23.3.) 80 Prozent der Nettoentgelte (kann also auch darunter liegen – ggfs. bis zu zehn Prozent) fällt noch unter das Niveau bestehender IGM-Tarifverträge. So gilt z.B. in Baden-Württemberg eine Absicherung des Nettoentgelts bis zu 93,5 %, bezahlt über eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch den Arbeitgeber. Wenigstens dies hätte durchgesetzt werden müssen. Besser wäre allerdings eine 100 prozentige Lohnfortzahlung für alle, die von der Arbeit freigestellt werden. Denn auch das Kurzarbeitergeld bezahlen die abhängig Beschäftigten über Steuern und Sozialabgaben selbst. . Außerdem zahlen die Beschäftigten auch noch einen Teil des höheren Niveaus selbst über die Kürzung der Sonderzahlungen – ein doppelter Betrug. Dazu wird in der Laufzeit des Tarifvertrages die Sonderzahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezwölftelt und dem monatlichen Einkommen hinzugerechnet. Die Kapitalseite zahlt lediglich 350 Euro pro Beschäftigten in einen Solidartopf zur Verminderung sozialer Härten – das ist ein kleiner Klacks. Zugleich werden die Unternehmen von den Sozialbeiträgen durch die gesetzliche Änderung der Kurzarbeit befreit, dh sie bekommen dadurch selbst im Falle der Entgeltgruppe 1 mehr Geld aus dem Staatshaushalt als die 350€.
  • Die vereinbarten 8 freien Tage für Eltern statt des tariflichen Zusatzentgeltes wurde bereits in der letzten Tarifrunde vereinbart. Hier wird mit dem Tarifabschluss lediglich der Kreis der Anspruchsberechtigten etwas erweitert (statt für Kinder bis 8 Jahre – zukünftig bis 12 Jahre). Dies ist sinnvoll nach den Schulschließungen wegen der Corona-Pandemie, aber vollkommen unzureichend. Außerdem wird dies fast komplett selbst bezahlt (6 Tage), da dafür das tarifliche Zusatzentgelt, das die einzige Lohnerhöhung in 2019 war, entfällt.
  • Als einziges Plus verbleiben – allerdings nur für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen und dies auch noch mit der Einschränkung „soweit zwingend erforderlich“ 5 zusätzliche bezahlte freie Tage.

Wir sagen: So
ein Abschluss geht gar nicht. Er zeigt, wenn eine Gewerkschaft schon beim
Einstieg in eine Tarifrunde keine konkreten Forderungen nennt und die
Kolleg*innen nicht mobilisiert, sie beim Verzicht landet. Die
Metallkapitalisten haben dies für sich auszunutzen gewusst. Sie loben den Abschluss
als „verantwortungsvoll“.

Die Tatsache,
dass offensichtlich die TK nicht getagt hat und es keinen Hinweis darauf gibt,
dass angesichts des Versammlugnsverbotes eine andere Form der Zustimmung gewählt
wurde, ist noch ein Schritt weiter in der Aufhebung der innergewerkschaftlichen
Demokratie als das „Überfahren“ der Mitgliedschaft durch das „Moratorium“ war,
das hinter dem Rücken der Mitglieder vorbereitet worden war.

Das Moratorium
war mit der Bedrohung von tausenden Arbeitsplätzen begründet worden. Jetzt hat
der Vorstand den Unternehmen freie Hand gegeben mit Hilfe der Kurzarbeit
zehntausende Arbeitsplätze kostengünstig stillzulegen. Wir müssen damit
rechnen, dass viele davon nicht mehr in Betrieb genommen werden. Umso mehr
rufen wir die Belegschaften zu Wachsamkeit auf und zu selbstständigen
Initiativen, wenn die Unternehmer die Corona-Krise zur Arbeitsplatzzerstörung
ausnutzen!

Von dem, was man
angesichts der Corona-Krise von einer Gewerkschaft eigentlich erwarten müsste,
ist bei diesem Tarifabschluss nun wirklich gar nichts zu merken. Im Vordergrund
steht hier die Sicherstellung der weiteren ungehinderten Kapitalverwertung, was
vor allem dadurch erreicht wurde, dass mit der Verlängerung der Friedenspflicht
bis 29. Januar 2021 dafür gesorgt wurde, dass es zu keiner
Produktionsunterbrechung durch Warnstreiks oder gar durch einen
Erzwingungsstreik kommt.

Der Abschluss
ist ein Schlag ins Gesicht für alle Kolleg*innen. Die Metall-Konzerne haben im
letzten Jahr trotz sinkender Nachfrage hohe Gewinne ausgewiesen und sogar der
Krisen-Konzern VW hat seinem Management im Schnitt 200.000 Euro Bonus pro Kopf
für 2019 ausgezahlt, während die Mehrheit der Beschäftigten jetzt Verzicht üben
soll. Die Kolleg*innen sollten dieses Ergebnis ablehnen und sich darauf
vorbereiten, nach den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Ausbreitung nicht
einfach wieder an die Arbeit zu gehen, sondern sich zurückzuholen, was ihnen
genommen wurde, während sie sich nicht wehren konnten. Das zeigt noch einmal
mehr, wie notwendig die Vernetzung an der Basis und eine kämpferische Politik
der Gewerkschaften, wie sie die VKG vorschlägt, ist.

Wir verweisen
auf unsere Erklärung „Corona-Gefahr: Sofortmaßnahmen im Interesse der abhängig
Beschäftigten! Gewerkschaften müssen handeln!“. Dort haben wir unsere
Positionen und Forderungen zum Umgang mit der Pandemie zusammengefasst: https://www.vernetzung.org/corona-gefahr-sofortmassnahmen-im-interesse-der-abhaengig-beschaeftigten-gewerkschaften-muessen-handeln/

Wer sich den
Text als Flugblatt ausdrucken und im Betrieb verteilen möchte, kann es sich
hier herunterladen: https://www.vernetzung.org/wp-content/uploads/2020/03/TV-IG-Metall-NRW.pdf




Metall- und Elektroindustrie: Standortsicherung statt Tarifkampf??

Frederik Haber, Infomail 1094, 10. März 2020

Der IG Metall-Vorstand hatte die Gewerkschaft überfahren. Am 24. Januar schlug er ohne Diskussion in der Organisation dem Arbeitgeberverband vor, auf eine Forderung zur Tariferhöhung zu verzichten und statt dessen „Verhandlungen über ein Zukunftspaket“ zu führen. Ziel sei es, „dass die Arbeitgeber gemeinsam mit der IG Metall die Zukunft der Beschäftigten sichern, indem sie auf Personalabbau, Ausgliederungen, Standortschließungen und Verlagerungen verzichten und sich stattdessen in Zukunftstarifverträgen verpflichten, durch Investitionen und Qualifizierung Beschäftigung, Standorte und Zukunftsperspektiven zu sichern und entwickeln.“ Das ganze nennt er „Moratorium“.

Dem Unternehmerverband wurde eine Frist bis zu 3. Februar
gestellt und bis dahin hatte dieser zugestimmt. Seitdem ist ein Monat
vergangen. Sicher ist, dass sich die UnternehmerInnen nicht an ein „Moratorium“
halten, also an einen gegenseitigen Verzicht darauf, Fakten zu schaffen. Airbus
und Daimler haben schon angekündigt, weitere tausende Arbeitsplätze zu
vernichten. Die Planungen gehen auf jeden Fall weiter und die Unternehmerpresse
schreibt schon ausführlich, wie schädlich Beschäftigungsgarantien seien.

Die Tarifkommissionen der IG Metall in den verschiedenen
Regionen haben dem Plan der Führung am 20. Februar zugestimmt. Das war zu
erwarten und zwar aus mehreren Gründen:

  • Mit dem Angebot des Vorstandes und der Zustimmung der Gegenseite waren Fakten geschaffen.
  • Es waren keine vier Wochen Zeit dafür, um über das Vorhaben des Vorstandes zu diskutieren. Es wurden zwar formal „Funktionärskonferenzen“ oder Mitgliederversammlungen anberaumt. Aber um zu verstehen, was dieses bisher unbekannte Vorgehen bedeutet, war das für viele nicht ausreichend Zeit.
  • In den Tarifkommissionen sitzen viele Hauptamtliche und die Mitglieder der Tarifkommissionen werden ohne Diskussion gewählt, vom jeweiligen Ortsvorstand vorgeschlagen und von den Delegierten nur abgesegnet. Demokratie verkommt so zur bürokratischen Formalität.
  • Die Diskussionskultur in der IG Metall ist in den letzten Jahren völlig auf den Hund gekommen. Debatten werden kaum noch geführt und sind bei vielen Konferenzen auch nicht wirklich vorgesehen. Das Interesse an der Basis für die Debatten ist in dem Maß zurückgegangen wie die Macht des Apparates weiter gewachsen ist, gerade bei der Aufstellung von Tarifforderungen wird das deutlich.
  • Die Arbeitsplätze sind tatsächlich bedroht durch insbesondere in der Automobilindustrie. Die Entpolitisierung durch den Apparat führt so auch dazu, dass seine Strategie vielen KollegInnen alternativlos erscheint.

Der Angriff des Kapitals

Die IG Metall geht davon aus, dass in den nächsten Jahren 50.000
Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen und weitere 180.000 durch
Digitalisierung und e-Mobilität gefährdet sind.

Andere Quellen sagen, dass schon im Jahr 2019 über 50.000
Arbeitsplätze gestrichen worden sind. Die Nationale Plattform Mobilität (NPM),
ein großes BeraterInnengremium der Bundesregierung, rechnet vor, dass 410.000
Arbeitsplätze wegfallen könnten, rund die Hälfte der Branche.

Was in den einzelnen Betrieben geplant wird, bestätigt
solche Befürchtungen: Das Problem ist nicht nur, dass für e-Autos weniger
Arbeitskräfte gebraucht werden als für Verbrenner, sondern dass die Unternehmen
neue Produktion nicht in Deutschland ansiedeln und zusätzlich die
Verbrenner-Technologie ins Ausland verlagern. Schuld ist ihr verschärfte
Konkurrenz, die sich in einem globalen Preiskampf manifestiert. Zusätzlich und
gerade deshalb werden natürlich die neuesten Rationalisierungsmöglichkeiten
genutzt, weil sie einen kurzfristigen Kostenvorsprung versprechen.

Für alle vom Kapital und seiner Konkurrenz verursachten
Probleme – verfehlte Produkte, Klimakatastrophe, Handelskriege und digitale
Modernisierung – sollen also die Beschäftigten zahlen.

Gemeinsam mit den UnternehmerInnen?

Es ist also durchaus richtig in dieser Tarifrunde das
Problem der Arbeitsplätze auf- und anzugreifen. Es ist richtig nicht das
übliche Ritual durchzuziehen, das die IG Metall eine „normale Tarifbewegung“
nennt.

Der Zielsetzung der IG Metallführung „dass die Arbeitgeber
gemeinsam mit der IG Metall die Zukunft der Beschäftigten sichern“ sollen, ist
aber schon im Ansatz falsch. Das Kapital, sein auf Ausbeutung und
Profitmacherei basierendes System ist das Problem! Die Unternehmer fällen die
Entscheidungen, die die Jobs kosten! Genauso, wie sie die Entscheidungen
getroffen haben, die Umwelt zu versauen, Mengen von Kohlendioxid in die Luft zu
blasen und beim Abgasmessen zu betrügen.

Übrigens ist der Ausweg aus der Auto-Krise, auf den heute
das Kapital setzt, nicht nur eine Katastrophe für die Beschäftigten, sondern
auch für die Umwelt. Das E-Auto ist weder vom Energieverbrauch noch von den
Schadstoffen her eine Lösung, egal, wo diese Autos gebaut werden. Nötig sind
effektive Verkehrssysteme, die insbesondere in den Städten, wo heute die
Mehrheit der Menschheit lebt, platzsparend und Ressourcen schonend sind, also
öffentliche Verkehrssysteme mit intelligenten technischen und organisatorischen
Anschlüssen und Verbindungen in das Umland. Es liegt auf der Hand, dass wir als
MetallerInnen andere und bessere Verbündete haben als die „ArbeitgeberInnen“,
die uns gerade die Hälfte der Arbeitsplätze nehmen wollen.

Hilflosigkeit

Wie kläglich die Politik des Vorstandes ist, geht auch aus
einer Folie mit dem Titel „Beschäftigung und Einkommen sichern“ hervor, also
einer bildlichen Darstellung „aller Möglichkeiten der Beschäftigungssicherung“,
wie dem IG Metall-Vorsitzenden Hofmann vorschwebt. Dort wird „Stopp aller
Formen von Mehrarbeit“, „Abbau von Arbeitszeitkonten“, „Reduzierung verlängerte
Vollzeit“ gefordert – das können Betriebsräte auch ohne Tarifrunde verlangen
und im ersten Fall auch sehr einfach durchsetzen. „Insourcing“, ein weiterer
Vorschlag, schafft keine Arbeitsplätze, sondern verlagert sie nur, oder
genauer: vernichtet sie anderswo. „Gesetzliche Kurzarbeit mit Aufzahlung, tarifliche
Kurzarbeit und Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung“ – das gibt es alles
schon, da könnte auch noch ne Kleinigkeit tariflich verbessert werden ebenso
wie bei „Qualifizierungszeiten ausweiten“. Aber im Grunde wird hier das gleiche
Vorgehen vorgeschlagen wie bei jeder Beschäftigungssicherung der letzten 15
Jahre. Alle diese „Möglichkeiten“ werden überwiegend von den Beschäftigten
bezahlt. Das sind keine Antworten auf den Generalangriff der Unternehmen.

Was fehlt ist die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und
Personalausgleich. Die Arbeit muss auf alle umverteilt werden und die
Unternehmen müssen zahlen. Dazu muss die lange überfällige Angleichung in Osten
kommen. Das sind Tarifforderungen, die wirklich etwas verändern! Aber sie
erfordern den radikalen Bruch mit der Politik des Vorstandes, der immer Hand in
Hand mit den Konzernspitzen der Autoindustrie marschiert ist.

Aufgaben der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)

Immer wieder haben Linke und kämpferische KollegInnen in der
IG Metall die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung eingebracht. Manche haben
geglaubt, dass die letzte Tarifauseinandersetzung ein Schritt in diese Richtung
war, obwohl auch das tarifliche Zusatzgeld (T-Zug) individuell ist und zu
Lohnverlust führt. Aber die Arbeitszeitverkürzung, die wir meinen und die sehr
nötig ist, geht nicht in gemeinsamen Verhandlungen mit den Unternehmen während
der Friedenspflicht. Der Vorstand zieht sie jedoch einen härteren Arbeitskampf nicht
einmal für den Fall des Scheiterns der Gespräche in Betracht, wenn es heißt:
„Sollte es bis dahin keine Ergebnisse geben, soll es eine normale Tarifbewegung
geben.“ Damit meint er mit Sicherheit nicht die Offensive für eine radikale
Arbeitszeitverkürzung.

Auf klassenkämpferische GewerkschafterInnen und die VKG dürfen
nicht so tun, als ob das, was objektiv nötig ist, in einer „normalen
Tarifrunde“ und mit der Strategie dieser Führung möglich wäre. Es geht nur im
Bruch mit der Sozialpartnerschaft, mit dem Anbiedern ans Kapital, mit der
widerlichen Haltung dieses Vorstandes, der aber auch wirklich alles mitgemacht
hat und mitmacht, was das Kapital will: Von der EU-Abgasregelung, dem
Abgasmessungs-Betrug, keine Nachrüstung durch die Firmen, bei Leiharbeit,
Outsourcing, Angriff auf das Streikrecht, Waffenexport, Auto-Kartellbildung und
Korruption von Betriebsratsspitzen.

Wir sollten auch keinen Zweifel daran lassen, dass kleine
Proteste diesen Kurs nicht ändern können. Ja, manche Belegschaften diskutieren
trotzdem Tarifforderungen. Manche halten den „Nachhaltigkeitsbonus“, der den IG
Metall-Mitgliedern im Unterschied zu nicht organisierten KollegInnen
versprochen wird für falsch oder auch, dass er an „umweltbewußtes Verhalten“
gekoppelt werden soll. Falls er überhaupt kommt, ist das eine klassische
Ablenkungsdiskussion.

Deshalb sollten wir als Alternative zur Kapitulation des
Vorstandes vor dem Kapital ein zusammenhängendes Gegenprogramm präsentieren:

  • Kampf mit allem was dazu gehört: Warnstreiks und Streiks, die in der Tarifrunde unzweifelhaft legal wären, hin zum branchenweiten Vollstreik. Gewählte, der Basis verantwortliche Aktions- und Streikkomitees sollen über die Aktionen entscheiden, koordiniert werden und die Kampfleitung stellen.
  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Kontrolle der Umsetzung in den einzelnen Abteilungen und Betrieben durch die Betroffenen, die Vertrauensleute und die Betriebsräte.
  • Umstellung der Produktion auf umweltgerechte Produkte und Fertigungsmethoden unter Kontrolle der Beschäftigten in Abstimmung mit Umwelt-AktivistInnen und ExpertInnen, die das Vertrauen der Lohnabhängigen genießen.
  • Betrieben, die geschlossen werden sollen oder mit Personalabbau drohen, sollen entschädigungslos enteignet und unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Nötige und gesellschaftlich sinnvolle Umstellung der Produktion soll durch die Besteuerung der Unternehmensgewinne und großen Vermögen finanziert werden. Dazu sollen auch alle Subventionen an die Unternehmer gestrichen werden.
  • Schulterschluss mit der Umweltbewegung, nicht mit dem Auto-Kapital

Die VKG hat sich richtigerweise entschieden, die Politik des
IG Metall Vorstandes zu kritisieren und dazu ein Flugblatt veröffentlich.
Leider greift dies in wichtigen Punkten zu kurz.

In der Diskussion zur Metall Tarifrunde kam das Argument,
dass das die Forderungen nach Kontrolle des Kampfes durch die Belegschaften,
nach gewählten Streik- und Aktionskomitees und entschädigungsloser Enteignung zu
politisch wären und über gewerkschaftliche Forderungen hinaus gingen. Ja, das
tun sie. Aber der Vorstand handelt auch nicht „gewerkschaftlich“. Er stellt
seine Treue zum führenden deutschen Exportkapital, zur Regierung und zum
Kapitalismus dermaßen über die Interessen der Beschäftigten, dass er sogar die
Vernichtung der Hälfte der Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Kauf nimmt –
ohne Gegenwehr. Vor allem aber erfordern die kommende wirtschaftliche Krise und
die grundlegenden Umwälzung der gesamten Industrie politische, gesamtgesellschaftliche
und nicht bloß rein gewerkschaftliche – also tarifpolitische – Antworten.

Zweitens kam das Argument, dass es keine wirkliche
Basisbewegung gebe, die heute schon z. B. für Belegschaftsversammlungen kämpfen
würde, die über Kampfmaßnahmen entscheiden und dazu Aktionskomitees wählen
würde. Es stimmt, dass es diese derzeit nicht gibt. Der Apparat in der IG
Metall wird auch alles dafür tun, dass dies nicht passiert.

All das sind jedoch im Grunde keine Argumente dafür, auf
solche Forderungen zu verzichten. Im Gegenteil, unsere Aufgabe besteht gerade
darin den Kolleginnen und Kollegen zu zeigen, das es eine Alternative zur
Kapitulation des Vorstandes gibt. Solche Vorschläge können, wenn es doch zu
Protesten gegen die Hoffnungslosigkeit der sozialpartnerschaftlichen
Unterwerfung kommt, auch rasch handlungsrelevant werden. Dazu müssen wir aber
schon jetzt damit anfangen, sie unter den KollegInnen zu verbreiten, zu
erklären, zur Diskussion zu stellen.

Diese Tarifrunde zeigt jetzt schon, dass die Gründung der
VKG überfällig war. Er zeigt aber auch, dass sie selbst noch weit entfernt ist,
die politischen Herausforderungen der aktuellen Situation offensiv anzugehen.
Genau das brauchen wir aber. Wir brauchen ein organisierte Opposition in der
Metall und Auto-Industrie, die z. B. in der Lage ist, gegen so ein
„Moratoriums“-Vorschlag zu argumentieren, Beschlüsse in Vertrauenskörpern
durchzusetzen und Alternativen zu formulieren. Wir müssen in die Lage kommen,
den Belegschaften, die kämpfen wollen, und die wird es geben, mit Rat und Tat
zu helfen. Eine klassenkämpferische Basisbewegung kann nur Wirklichkeit werden,
wenn wir helfen, sie zu entwickeln.




Strategiekonferenz kämpferischer Gewerkschafter/Innen: Ein Schritt nach vorne!

Frederik Haber, Neue Internationale 244, Februar 2020

Am Freitag, den
24. Januar, hatte sich der IG Metall-Vorsitzende eine Stufe tiefer auf die Knie
geworfen. Er hatte dem Kapital angeboten, ohne Lohnforderung in Tarifverhandlungen
zu gehen und noch in der Friedenspflicht ein Abkommen zu schließen, das die
Arbeit„geber“Innen, die derzeit vor allem Arbeitsplätze nehmen, zu nichts
verpflichtet, als betrieblich darüber zu reden.

Einen Tag
später, am 25. Januar, fand eine Konferenz linker GewerkschafterInnen statt,
denen die Verzichtspolitik der Gewerkschaftsapparate schon lange zu viel
geworden ist und die sich nicht nur darüber austauschen wollten, was schlecht
läuft, wo Chancen nicht genutzt oder aktiv von der Führung verbaut werden,
sondern die auch vereinbaren wollten, gemeinsam dagegen vorzugehen. Angesichts
des Kapitulationskurses der IG Metall-Führung, die im Grunde auch von allen
anderen Gewerkschaftsführungen vollzogen wird, ist es höchste Zeit dafür.

Austausch reicht
nicht

Diese Konferenz
benötigte einen langen Anlauf. Frühere Konferenzen der Initiative für die
Vernetzung der Gewerkschaftslinken, die an die 400 AktivistInnen versammeln
konnten, liegen Jahre zurück. Sie waren immer vom Konflikt zwischen der Apparat-Linken
und linken Kräften geprägt, die sich nicht mit der Verbesserung des
kapitalistischen Systems zufriedengeben wollten.

Den Knackpunkt
bildete immer wieder die Frage, ob es zu verbindlichen Vereinbarungen,
gemeinsamen Forderungen oder Aktionen kommen sollte. Die Apparat-Linken
bekämpften sie stets auf das heftigste und setzten sich fast immer durch: wenn
nicht mit Mehrheiten, dann mit Erpressungen, nicht mehr mitzumachen. Ähnlich
wie auch auf den Konferenzen der sozialen Bewegungen oder der Sozial-Foren
konnte das nur ansatzweise und dann durchbrochen werden, wenn es
Massenbewegungen und Druck gab, der es erschwerte, solche Beschlussfassungen zu
verhindern. Indem jedoch letztlich alles auf bloßen Meinungsaustausch reduziert
wurde, gelang es, diesen Foren jegliche Dynamik zu nehmen und damit auch jede
Anziehungskraft. Ähnlich erging es den Ansätzen einer oppositionellen
Formierung in den Gewerkschaften. Die Bewegungen waren tot – die Apparate
blieben.

Mit der Gründung
der Linkspartei griffen dort organisierte GewerkschafterInnen die Idee der
Konferenzen unter dem Motto „Erneuerung durch Streik“ wieder auf. Erneuerung
brauchen die Gewerkschaften in Deutschland unbestritten und Streik, also Kampf,
Klassenkampf nicht minder. Aber auch diese Konferenzen beschränkten sich auf
Austausch. Zuletzt, vor einem Jahr in Braunschweig, durften DGB-HonoratiorInnen
ihre reformistische Selbstbeweihräucherung derart peinlich verkünden, dass
selbst dem Initiator dieser Konferenzen, Riexinger, der Kragen platzte. Aber
der Rahmen wurde eingehalten: Weder über Initiativen gegen die Apparatpolitik
noch über die Krise der Gewerkschaften sollte tunlichst geredet werden. Und
wieder wurde nichts vereinbart.

Die
sozialdemokratische Politik der Gewerkschaften, die Unterwerfung unter die
Interessen der deutschen Bourgeoisie, ja deren aktive Durchsetzung wird
verbunden mit Zugeständnissen an relativ privilegierte Schichten der
ArbeiterInnenklasse und natürlich mit Zucker für die Gewerkschaftsbürokratie.
Diese reformistische Politik wird von der Linkspartei und ihren FunktionärInnen
in den Gewerkschaften mitgetragen – und zwar nicht nur aufgrund ihrer
Unterordnung unter den sozialdemokratisch dominierten Apparat, sondern auch
weil die gewerkschaftspolitische Ausrichtung der Linkspartei selbst über einen
kämpferischeren Reformismus nicht hinausgeht. Auch wenn einzelne
FunktionärInnen unter der Hand Kritik üben, bleibt die Gesamtstrategie
unangetastet.

Raus aus der
Sackgasse

Die Frankfurter
Strategie-Konferenz hat einen ersten Schritt geschafft, aus dieser Kontrolle
des Gewerkschaftsapparats auszubrechen. Ohne Unterstützung durch den Apparat
organisiert, gelang es, 150 kämpferische GewerkschafterInnen, darunter auch
einen höheren Anteil junger Menschen als bei früheren Konferenzen, zu mobilisieren.
Die Diskussion zeigte das Bemühen der meisten AktivistInnen und fast aller
vertretenen Organisationen, aus dieser Konferenz eine arbeitsfähige Struktur
aufzubauen. Anwesend waren AktivistInnen und Betriebsgruppen aus
Krankenhäusern, Metallbetrieben, Verkehr und Bildung von Amazon bis Daimler
sowie Initiativen von prekär Beschäftigten und gegen Leiharbeit. Außerdem
beteiligten sich GenossInnen vom linken Flügel von Fridays for Future.

Aktiv an der
Organisation dieser Konferenz waren neben der Gruppe ArbeiterInnenmacht SOL,
SAV sowie einzelne Mitglieder aus ISO und der DKP beteiligt. Auch DIDF
beteiligte sich stark, ferner waren GenossInnen von Arbeit Zukunft, der OKG,
von Express, Trotz Alledem, der FAU, von RIO und KO vertreten.

In den
verschiedenen Arbeitsgruppen wurde überwiegend problem- und nicht
konfliktorientiert diskutiert – mitunter auch mit der problematischen Tendenz,
reale Unterschiede nicht anzusprechen oder zu diskutieren. Ganz offensichtlich
haben viele verstanden, dass die Krise der Gewerkschaften nicht durch einzelne
Initiativen, in einzelnen Betrieben oder Branchen überwunden werden kann, dass
trotz aller Buntscheckigkeit der Arbeitswelt die Krise der Gewerkschaften eine
solche ihrer Führung ist.

So wurde eine
gemeinsame Erklärung verabschiedet auf Grundlage einer Vorlage, die aber von
Beginn an mit in der Diskussion stand und vom Abschlussplenum noch soweit
verändert wurde, dass sie eine erneute stilistische Überarbeitung braucht, die
hier noch nicht eingearbeitet ist. Nach der Ansage: „Kämpferische
Gewerkschaften: nötiger denn je!“ und „Strategiewechsel statt Weiterführung des
sozialpartnerschaftlichen Kurses für den ,Standort Deutschland‘!“ wird die
Situation festgehalten:

„Die Gewerkschaften haben keine konsequente Gegenwehr organisiert. Die Politik unserer Gewerkschaftsführungen besteht in Sozialpartnerschaft und Co-Management. Das Akzeptieren von Vereinbarungen, in denen Belegschaften Verzicht übten, um Unternehmen konkurrenzfähig zu halten, rächt sich gerade jetzt, wo viele Unternehmen trotz dieser Vereinbarungen weitere Kürzungs- und Stellenabbaupläne verkünden und umsetzen.

Es hat eine Reihe von Kämpfen gegeben, die beispielhaft und mutig waren. Diese richteten sich gegen den Personalmangel in Krankenhäusern, gegen Tarifflucht, gegen Niedriglöhne und gegen Unternehmensführungen, die sich weigern, Tarifverträge zu verhandeln. Auch in den traditionell besser organisierten Bereichen wie großen Metallbetrieben oder im öffentlichen Dienst zeigte sich in Warnstreiks eine gute Mobilisierungsfähigkeit und Kampfkraft. Die Gewerkschaftsführungen haben diese Kampfkraft nicht genutzt.“

Nachdem einzelne Beispiele von Kämpfen und Konflikten aufgezeigt werden, wird festgestellt: „Das alles ist kein Zufall, ordnen sich doch die Gewerkschaftsführungen systematisch den kapitalistischen ‚Sachzwängen‘ und den Standortinteressen der deutschen Exportindustrie unter und verkaufen dies gegenüber den Kolleg*innen als unausweichliche ‚wirtschaftliche Gegebenheiten‘.“

Die politische
Dimension dieser Unterwerfung wird so beschrieben:

„Die BRD ist ein prominenter Standort für Rüstungsproduktion und als militärisch-logistische Drehscheibe der wichtigste Standort für NATO-Kriegspläne in Europa.

Die DGB-Gewerkschaften verraten durch ihre Politik die Interessen der ArbeiterInnenklasse und verhöhnen ihre Mitgliedschaft und schwächen die Kampfkraft des Proletariats.

Die Gewerkschaften akzeptieren und fördern die beschleunigte Ausplünderung der Empfangsländer deutscher Exporte und der Lieferländer für Rohstoffe.“

Anders als bei
vielen früheren Konferenzen zog die in Frankfurt/Main daraus auch einen
praktischen Schluss:

„Wir … halten es für erforderlich, dass wir uns systematisch vernetzen und besser organisieren im Kampf für einen Strategiewechsel in den Gewerkschaften, der mit der Politik der Sozialpartnerschaft und der Unterordnung unter die Profitinteressen der Unternehmer und der Akzeptanz der Profitlogik Schluss macht.“

So beschloss sie
auch eine Reihe von Forderungen und Aufgaben, um die herum eine
klassenkämpferische Opposition formiert werden soll, die wir hier nur
auszugsweise wiedergeben können:

  • Statt Co-Management und Ausrichtung auf Sozialpartnerschaft: Mobilisierung und Ausnutzen der gewerkschaftlichen Kampfkraft mit Pilotwirkung für andere
  • Zusammenführen von Kämpfen, Organisierung von Solidaritätskampagnen für schwächere Bereiche
  • Statt Verhandlungen hinter verschlossenen Türen: volle Transparenz und Kontrolle durch die Belegschaften, unter anderem durch Streikdelegiertenkonferenzen und Streikversammlungen vor Ort und bundesweit
  • Kürzere Laufzeiten der Tarifverträge (ca.1 Jahr )
  • Kampagne und Kampf für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse, Mindestlohn von 13 Euro, sofortige Kündigung der Leiharbeitstarifverträge, weil sie das Grundprinzip „Gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen“ unterlaufen
  • Abschaffung von Hartz IV und für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1300,- Euro
  • Kampf für bessere Personalausstattung überall da, wo eklatanter Personalmangel herrscht – angefangen bei Krankenhäusern, Schulen, Feuerwehren, Sozialwesen bis zu den Industriebetrieben
  • Mobilisierung und Kampf für ein massives öffentliches Investitionsprogramm, finanziert durch Besteuerung von Rekordvermögen und -gewinnen
  • Keine weiteren Privatisierungen, für Rekommunalisierung
  • Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze – Umstellung der Produktion auf ökologisch und gesellschaftlich sinnvolle Produkte
  • Überführung von Betrieben in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Belegschaften und die arbeitende Bevölkerung anstatt Schließung, Verlagerung und Entlassung
  • Entschiedener Kampf gegen Spaltung von Kolleg*innen entlang nationaler, religiöser oder ethnischer Linien und gegen rechte Hetze
  • Aufbau internationaler Verbindungen und Solidarität gegen die vorherrschende Standortlogik.
  • Unbeschränktes Streikrecht auf die Agenda setzen – bis zum politischen Streik.

Die Erklärung
endet schließlich mit dem Aufruf zur Unterstützung der Initiative:

„Wir sind überzeugt, dass es uns gelingen kann, eine Alternative zu Co-Management und Verzicht in den Gewerkschaften zu stärken. Die Vernetzung ist offen für alle, die sich für einen kämpferischen Kurs einsetzen wollen. Viele von uns sind auch der Meinung, dass die Gewerkschaften bereit sein müssen, sich mit den Bossen und dem Kapital anzulegen und über die Grenzen des kapitalistischen Systems hinauszugehen, um in Zeiten der aufkommenden Krise die Interessen der abhängig Beschäftigten konsequent verteidigen zu können.“

Gemeinsame
Vorhaben

Zudem wurde eine
Liste von gemeinsamen Vorhaben erstellt, die ebenfalls aus den Arbeitsgruppen
und Branchentreffen noch einige Ergänzungen erhielt. Zum Beispiel den
ambitionierten Beschluss, zur Metall-Tarifrunde schnell ein Positionspapier und
zweitens ein Massenflugblatt zu entwickeln und breit zu vertreiben. Zu den
beschlossen Vorhaben gehören weiter unter anderem:

1.) Wir greifen
sichtbar mit Flugblättern und Transparenten am 8. März und am 1. Mai ein. Wir
schlagen hierfür kämpferische Parolen und Forderungen vor wie:

  • Nein zum Co-Management – für kämpferische Gewerkschaften;
  • Kampf gegen Entlassungen und Lohnverzicht;
  • für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich;
  • für Konversion und Umstellung der Produktion auf Grundlage von Gemeineigentum an den Produktionsmitteln.

2) Eingreifen in
die Debatte um die Forderungsaufstellung in der Tarifrunde öffentlicher Dienst
(Bund und Kommunen) bis August 2020. Anstatt Wahlfreiheit „Zeit oder Geld“
schlagen wir vor, die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn-
und Personalausgleich (als 1. Schritt) aufzustellen. Dafür sammeln wir
Unterstützung.

3) Eingreifen in
die Tarifrunde um einen Tarifvertrag Nahverkehr (TV-N). Organisierung von
Solidaritätsarbeit dafür:

Wir treten in
der Tarifrunde TV-N dafür ein, dass die Frage der Arbeitszeitverkürzung bei
vollem Lohn- und Personalausgleich diskutiert und diese Forderung in die
Tarifforderungen aufgenommen wird. Darüber hinaus treten wir dafür ein, dass in
dieser Tarifauseinandersetzung auch eine Kampagne und eine politische
Initiative diskutiert werden muss, dass in den Ausbau des öffentlichen
Nahverkehrs massiv öffentlich investiert werden muss und dieser kostenlos zur Verfügung
steht, finanziert aus der Erhöhung der Kapitalsteuern und Wiedereinführung der
Vermögenssteuer. Dies ist ein Beitrag, um die Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung
zusammenzubringen.

4)
TV-Leiharbeit: Herausgabe von zentralem Material, Musteranträgen. Ziel: beim
nächsten Vertragsauslaufen zu verhindern, dass ein neuer TV geschlossen wird.

Die „Vernetzung
für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG), die sich auch einen permanenten
Koordinationskreis wählte, in dem auch GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht
vertreten sind, muss in der Praxis zeigen, ob und wie sie diese Vorhaben
bewältigt.

Auch wenn die
Konferenz mit 150 TeilnehmerInnen einen ersten, wichtigen Erfolg darstellte,
bedeutet sie letztlich nur einen Anfang. Neben der harten Knochenarbeit des Aufbaus,
der Bildung lokaler und regionaler, branchenübergreifender Strukturen, müssen
auch wichtige strategische, programmatische und taktische Fragen weiter
diskutiert und geklärt werden.

Knackpunkte

Der desolate
Zustand der Linken in Deutschland, auch und gerade der Gewerkschaftslinken, hat
schließlich politische Ursachen. So haben z. B. Unterschiede in der
Einschätzung, was Reformismus eigentlich bedeutet, ihre Entsprechung auch in
unterschiedlichen Taktiken.

So blieb die
Frage, was die Linkspartei darstellt und welche Rolle sie in den Gewerkschaften
spielt, bei der Konferenz weitgehend ausgeklammert. Dabei wird das mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu Konflikten führen, angesichts der gestärkten Rolle der
Partei im Gewerkschaftsapparat wie auch der Anpassung zahlreicher Linker an
diese. Insbesondere in der ISO bestehen dazu weder ein gemeinsames Verständnis
noch eine gemeinsame Taktik. Umgekehrt können ein Wachstum und eine
Konsolidierung der VKG auch Druck auf andere Kräfte ausüben, die sich
weitgehend der Linkspartei (z. B. marx21) oder dem linken Gewerkschaftsapparat
(z. B. DKP) unterordnen.

Was dieser
Gewerkschaftsapparat verkörpert, ist ebenfalls in der Linken weitgehend
ungeklärt. Es handelt sich eben nicht nur um eine Bürokratie im technischen
Sinn, sondern um einen politischen Apparat, der letztlich die Klasseninteressen
der Bourgeoisie in den Reihen der ArbeiterInnenklasse vertritt und in diese
vermittelt – und das nur tun kann, wenn er bestimmte Schichten der Klasse an
sich bindet und sich auf diese stützen kann. Ohne ArbeiterInnenaristokratie
kann die ArbeiterInnenbürokratie nur schwerlich überleben.

Auf der
Konferenz zeigten sich diese Differenzen beispielsweise am Ende der Diskussion
über die Abschlusserklärung, als VertreterInnen der ISO und SAV die
Notwendigkeit einer solchen gänzlich in Frage stellten. Aber nur mit einer
offensiven Verbreitung unserer Positionen werden wir andere gewinnen können.
Umgekehrt lassen sich die Apparate durch weichgespülte Formulierungen nicht
täuschen. Diese Differenzen können nicht per Ultimatum und schon gar nicht per
ewige Vertagung „erledigt“, sie müssen politisch geklärt werden.

Die – auch in
Deutschland – heraufziehende Krise und die offenkundige Unfähigkeit der
Gewerkschaften, darauf angemessen zu reagieren, haben bei der Konferenz
unterschiedliche Kräfte der Linken und kämpferische GewerkschafterInnen
zusammengeführt.

An den
grundsätzlichen Fragen des Klassenkampfes muss ernsthaft gearbeitet werden. Es
geht darum, ob „Vernetzung“ bedeutet, lediglich die Kräfte zu bündeln und
Absprachen zu treffen, oder ob eine klassenkämpferische Basisbewegung aufgebaut
wird, die als Alternative zur Bürokratie in den Kämpfen sichtbar wird. Ihr
Ziel, die Gewerkschaften von dem sie beherrschenden bürgerlichen Apparat zu
befreien, wird sie nur erreichen können, wenn sie in den Klassenkampf
einzugreifen, die kämpferischsten Kolleginnen und Kollegen zu organisieren und
politisch zu formieren vermag.




Solidarität mit dem Kampf der französischen Kolleg*innen gegen die Rentenreform

Solidaritätserklärung der Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften, 26. Januar 2020, Infomail 1086, 31. Januar 2020

Die französische
Regierung unter ihrem „Sonnenkönig“-Modernisierer Macron will eine erzreaktionäre
Rentenreform durchsetzen. Sie beruht auf zwei Säulen: Zum einen soll ‒ nach deutschem
Vorbild ‒ ein Punktesystem eingeführt werden, zum anderen soll das
Renteneintrittsalter angehoben werden. Bei früherem Renteneintritt drohen dann
(ebenfalls nach deutschem Vorbild) empfindliche Abschläge.

In den Medien ‒
gerade auch in Deutschland ‒ wird die Reform als notwendige Vereinheitlichung
und als Abbau von Privilegien verkauft. In Wirklichkeit geht es aber darum,
dass die Renten für alle sinken werden, ganz besonders für diejenigen, die
aufgrund starker beruflicher Belastung (etwa wegen des Schichtdiensts in den
Verkehrsbetrieben) ein paar Jahre früher in Rente gehen können.

Nun hat die
Regierung unter dem Eindruck der wochenlangen Kundgebungen und Streiks ein
kleines Zugeständnis gemacht und will damit die Bewegung und die Gewerkschaften
spalten. In Wirklichkeit ist aber das Verschieben der Anhebung des
Renteneintrittsalters nur eine Nebensache, denn der Kern der Reform liegt in
der Einführung des Punktesystems. Allein damit werden die Renten im Schnitt um
25 Prozent sinken.1
Und der spätere Renteneintritt bleibt ja weiter das Ziel der Herrschenden und
kann schneller kommen als manche denken.

Der Systemwechsel
reiht sich ein in eine lange Reihe von Abbaumaßnahmen sozialer
Errungenschaften. Geht dieser Kampf verloren, wird dies sowohl in Frankreich
als auch in anderen Ländern die Herrschenden zu neuen Angriffen ermuntern. So
werden auch bei uns die Bestrebungen für eine Verlängerung der
Lebensarbeitszeit neuen Auftrieb bekommen. Letztlich geht es um nichts weniger
als um die weitere Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme und im selben
Aufwasch um die Zerschlagung gewerkschaftlicher Gegenmacht.

Trotz gewaltiger
Medienkampagnen gegen die Streikenden und trotz der Unannehmlichkeiten, die sie
mit den Streiks auch vielen Menschen der einfachen Bevölkerung bereiten, haben
die Kolleg*innen in Frankreich in dieser wichtigen Angelegenheit eine
beeindruckende Kampfkraft an den Tag gelegt. Sie streiken seit Wochen unter großen
Opfern und ohne Streikgeld! Die Organisierung der Solidarität ist an vielen
Stellen mustergültig.

Nicht nur weil
das Anliegen der Kolleg*innen in Frankreich auch für uns von großer politischer
Bedeutung ist, erklären wir unsere uneingeschränkte Verbundenheit mit ihrem
Kampf. Wir wenden uns gegen die Kriminalisierung der Streikenden und gegen die
brutale Gewalt der französischen Polizei. Wir betrachten es als die
vordringlichste Pflicht internationaler Solidarität, den französischen
Kolleg*innen unsere volle Sympathie und unsere besten Wünsche zu übermitteln.
Unsere Möglichkeiten, der materiellen Unterstützung sind zu bescheiden, als
dass wir sie euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, als nennenswert wirksame Maßnahme
anbieten können. Dort, wo wir an verschiedenen Spendensammlungen teilnehmen können,
werden wir das tun.

Gleichzeitig aber wenden wir uns hiermit an die Vorstände unserer Gewerkschaften und des DGB und fordern vor allem eine politische, aber auch materielle Solidarität ein. Für den extrem wichtigen den Kampf der Kolleg*innen in Frankreich ist es von enormer Bedeutung, wie sich die deutschen Gewerkschaften, die ja im Kern mit den gleichen Fragen konfrontiert sind, in diesem Konflikt verhalten. Wir richten dieses Schreiben also sowohl an die französischen Kolleg*innen als auch an den DGB-Bundesvorstand und die Vorstände seiner Einzelgewerkschaften.

Der Aufruf Solidarität mit dem Kampf der französischen Kolleg*innen gegen die Rentenreform findet sich auf der Webseite der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften.

Dort findet ihr auch eine Übersetzung ins Französische: Solidarité avec la lutte des collègues français(es) contre la réforme des retraites




Antibürokratisch, organisiert, antikapitalistisch – Basisbewegung für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik!

Vorschläge für ein Aktionsprogramm

Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur „Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften“, Infomail 1085, 22. Januar 2020

Die nächste große Krise
der Weltwirtschaft steht vor der Tür. Die Vorboten der Krise zeichnen sich
schon jetzt weltweit ab, insbesondere in den Ländern der sog. „Dritten Welt“,
den von den kapitalistischen Zentren wirtschaftlich und politisch beherrschten
Halb-Kolonien.

Aber auch in der EU und
in Deutschland kippt die Entwicklung Richtung Rezession. Besonders betroffen
werden diesmal auch die Auto- und Zulieferindustrie sein, das Flaggschiff der
deutschen Industrie und des Exports. Zehntausende Stellen wurden schon
gestrichen, die Arbeitsplätze nicht wieder besetzt und Tausende sollen in den
nächsten Monaten noch entlassen werden. Unvermeidlich werden die verschiedenen
Krisenherde sich gegenseitig verstärken. Verschärfte Konkurrenz und mehr oder
weniger offen geführte Handelskriege schränken den Spielraum für eine konzertierte
„Anti-Krisenpolitik“ der wirtschaftlichen Großmächte und Blöcke massiv ein, ja
verunmöglichen sie tendenziell. Der deutsche Imperialismus möchte in diesem
Kampf um die Neuaufteilung der Welt bestehen – daher sollen die Lohnabhängigen
hier wie weltweit die Kosten tragen, sei es durch verschärfte Ausbeutung oder
durch weitere Kürzungen.

„Wirtschaft“ und die
„Politik“, also Regierung und Kapital, erweisen sich als in dieser Situation
als unfähig auch nur eine der dringenden gesellschaftlichen Fragen im Interesse
der Massen zu lösen: Pflegenotstand und medizinische Unterversorgung; wachsende
Armut, insbesondere bei Alten und Kindern, und an vorderster Stelle die
drohende Klimakatastrophe und die anderen Umweltprobleme. Eisern halten sie
trotz wachsender Proteste daran fest, die Unternehmen zu schonen und die
arbeitende Bevölkerung und Jugend zahlen zu lassen. Zu kosmetischen Zwecken
verabschiedet die Regierung „Pakete“ und die Unternehmen stellen die
Produkt-Werbung auf grün.

Krise der Gewerkschaften

In allen diesen Fragen
könnten die Gewerkschaften eine wichtige Rolle als Sammelpunkte des
Widerstandes spielen, ja sie müssten es. Niemand kann den KapitalistInnen
besser entgegentreten als die Beschäftigten, die dort arbeiten, wo die
Unternehmen Umweltgift auf schädliche Weise produzieren, wo sie die
Entscheidungen im Interesse ihres Profits gegen die arbeitenden Menschen
fällen: für Entlassungen, Arbeitszeitverlängerung, Lohneinsparungen oder
Kürzungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Die Gewerkschaften
könnten, ja müssten in dieser Situation die ArbeiterInnenklasse nicht nur gegen
die Willkür der Unternehmen, sondern auch über den einzelnen Betrieb hinaus
branchenweit mobilisieren. Sie müssten in dieser kommenden Krise den Angriffen
des Kapitals in allen Bereichen eine gemeinsame, organisierte politische
Gegenwehr entgegensetzen, indem sie das wirksamste Kampfmittel einsetzen, das
die arbeitenden Menschen in diesem System haben: den Streik, also die
Weigerung, das Kapital weiter zu vermehren. Über Proteste hinaus können damit
andere Entscheidungen durchgesetzt werden, wenn der Streik nicht bloß als
„letztes Mittel“ betrachtet würde, das tunlichst nur beschränkt und rein
tariflich einzusetzen sei, sondern als politisches Kampfmittel in Form des Massenstreiks
bis hin zum Generalstreik.

Ver.di und IG Metall
haben ihre Gewerkschaftstage abgehalten und dabei so getan, als ginge sie die
Krise nichts an: wo sie herkommt, welche Gefahren es gibt, wie verhindert
werden kann, dass wieder die ArbeiterInnenklasse mit Arbeitsplätzen,
Reallohnverlust und weiterer Prekarisierung bezahlt – keine Themen.
Digitalisierung ist zwar ein Problem, das die Gewerkschaftsführungen benennen,
sie fordern aber lediglich eine sozialverträgliche Umstellung und tun so, als
ob diese „partnerschaftlich“ möglich wäre. Auch wenn es auf dem
ver.di-Gewerkschaftstag im Gegensatz zu dem der IG Metall zu mehren Fragen wie
der kollektiven Arbeitszeitverkürzung, des Mindestlohns, des politischen
Streiks, der Leiharbeit zu heftigen Diskussionen und Kampfabstimmungen kam,
ändert das an dieser Tatsache nichts.

Diese „Partnerschaft“,
die in den Betrieben, aber auch in Tarifrunden und in allen gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen praktiziert wird, wird nur vordergründig und mit dem
beschränkten Blick auf einzelne Betriebe ausreichen, die Interessen zumindest
eines Teil der (Stamm)-Belegschaften zu sichern. Sie wird angesichts des
Generalangriffs des Kapitals völlig wertlos und hat noch nie erlaubt, eine
wirkliche Wende durchzusetzen. Denn sie geht immer damit einher, dem Kapital zu
erlauben, seine Profitinteressen auf Kosten der Konkurrenz, anderer
Unternehmens- oder Belegschaftsteile, der prekär Beschäftigten und/oder der
Umwelt durchzusetzen.

Die (Irre-)Führung der
Gewerkschaften fällt aber nicht vom Himmel. Sie hat ihre Ursache in der
politischen Unterordnung unter die Anforderungen der KapitalistInnen und ihrer
Regierung, ja der Fesselung an das kapitalistische System mitsamt seinen
Krisen. In den letzten Jahrzehnten führte das zu mehreren politisch
verheerenden Resultaten:

1. Die Gewerkschaften
organisieren einen immer kleiner werdenden Teil der Lohnabhängigen. Sie
konzentrieren sich immer mehr auf Organisierte in der Großindustrie oder in
schon organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes und des
Dienstleistungssektors.

2. Trotz wichtiger
einzelner Gegenbeispiele wie z. B. im Gesundheitssektor blieben größere
Abwehrkämpfe aus. Die Vorherrschaft der Bürokratie, die Dominanz des Apparates
und der Betriebsräte der Großbetriebe nahmen eher zu.

3. Ein monströses System
der Klassenzusammenarbeit und die Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ bestimmen
die Politik der Gewerkschaften und jene der meisten Betriebsräte. Die
DGB-Gewerkschaften stellen eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und
agieren dementsprechend auf allen Politikfeldern.

Die Bürokratie hofft, die
nächste kapitalistische Krise durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital,
noch mehr „Partnerschaft“ bei der Sicherung der Interessen des deutschen
Exports und des Großkapitals insgesamt zu überstehen. Kein Wunder, dass immer
größere Teile der ArbeiterInnenklasse von diesen „Interessenvertretungen“
entfremdet, ganze Sektoren wenig oder gar nicht organisiert sind.

Die klassenkämpferischen
und linken Kräfte in den Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren schwächer,
nicht stärker. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Erstens die Niederlagen durch
Hartz- und Agenda-Gesetze sowie die sozialpartnerschaftliche Politik in der
Rezession, die die Bürokratie (v. a. in IG Metall und IG BCE) stärkten.
Zweitens die Übernahme und Zähmung von Ansätzen einer größeren
Gewerkschaftslinken durch die Linkspartei. Drittens die weitgehende Ausblendung
des politischen und ökonomischen Gesamtzusammenhangs aus der Aktivität der
gewerkschaftlichen und betrieblichen Oppositionsansätze.

Gerade die aktuelle
Krisenperiode erfordert aber eine politische, nicht bloß eine gewerkschaftliche
Strategie, wenn wir eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine echte
Opposition gegen die Bürokratie bundesweit aufbauen wollen.

Angesichts der
fundamentalen Krise der Gewerkschaften kann es nicht nur darum gehen,
Forderungen zu einzelnen Missständen zu bündeln, sondern wir brauchen eine
zusammenhängende Strategie, Konzeption und letztlich ein Aktionsprogramm mit
dem Ziel, eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine organisierte Opposition
nicht nur gegen rechte BürokratInnen, sondern das gesamte System der Bürokratie
aufzubauen, um breite Teile der ArbeiterInnenklasse gegen die Angriffe des
Kapitals zu vereinen.

Aktionsprogramm

Ein solches Programm muss
die zentralen Angriffe und Antworten im Interesse der ArbeiterInnenklasse zum
Ausgangspunkt nehmen. Es darf sich aber nicht auf reine Lohnfragen und
betriebliche Probleme beschränken, sondern muss versuchen, gewerkschaftliche und
betriebliche Forderungen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen
und mit allen wichtigen Fragen des Klassenkampfes zu verbinden. Nur so kann der
gewerkschaftliche Kampf zu einem Kampf gegen das Kapital werden.

Angesichts der
Entlassungen und Streichung zehntausender Arbeitsplätze ist es unabdingbar, für
eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung für alle zu kämpfen. Es geht dabei nicht
darum, die Arbeitszeit an die Auftragsschwankungen der Unternehmen oder
individuelle Bedürfnisse anzupassen (so berechtigt letztere auch sein können),
wie zuletzt in den Tarifen von IG Metall oder EVG vereinbart. Es geht um eine
kollektive Waffe gegen die Strategie des Kapitals, einen Teil der arbeitenden
Bevölkerung mit immer mehr Arbeit zu überlasten und andere aufs Abstellgleis zu
schieben und insgesamt die Löhne zu senken.

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Für die 30-Stunden-Woche in Ost und West bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Die Arbeitszeitverkürzung darf nicht zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit führen, deshalb muss sie sofort mit Neueinstellungen verbunden werden. Die Entscheidung darüber muss bei den Beschäftigten, den Vertrauensleuten und Betriebs-/Personalräten liegen.
  • Kampf zur Verkürzung der Arbeitszeit muss europaweit koordiniert werden! In der EU sind die Arbeitslosenzahlen noch immer auf einem Höchststand. In internationalen Konzernen muss dieser Kampf von Beginn an übergreifend geführt werden!

Als Antwort auf konkrete
Schließungspläne reicht es nicht, auf eine verkürzte Arbeitszeit zu warten. Die
Antwort auf alle Angriffe auf die Arbeitsplätze muss sein:

  • Streiks und Besetzungen!
  • Dazu sind Aktionskomitees nötig, die auf Vollversammlungen gewählt werden. Mitglieder der Aktionskomitees müssen jederzeit abwählbar sein, wenn sie nicht nach dem Willen der Mehrheit handeln.

Gegenüber den Firmen, die
mit Stilllegung und Entlassungen drohen, fordern wir:

  • Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Firmen unter der Kontrolle der Belegschaften und gewerkschaftlichen Vertrauensleute!
  • Umstellung/Konversion der Produktion vor allem da, wo umwelt- oder gesundheitsschädliche Produkte hergestellt oder solche Verfahren angewendet werden – kontrolliert von den Beschäftigten, Gewerkschaften und Ausschüssen aller lohnabhängigen KonsumentInnen!

Die Arbeit muss auf alle
verteilt werden und niemand, vor allem die Beschäftigten im Niedriglohnsektor,
darf deswegen an Einkommen verlieren. Im Gegenteil, dort müssen sie sofort
nachhaltig erhöht und gesellschaftliche Einrichtungen ausgebaut werden, die der
Masse zugutekommen!

  • Spürbare Erhöhung der Einkommen – nach den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen, nicht nach dem „Spielraum der Wirtschaft“, d. h. des Kapitals!
  • Festgeldzuwachs für alle, um Einkommensverluste wettzumachen! Angleichung der  Löhne und der Arbeitszeit im Osten auf Westniveau!
  • Gegen Billigjobs und Lohndrückerei! Für einen steuerfreien Mindeststundenlohn von 12 Euro netto (ca. 1.600 Euro/Monat)!
  • Verbindung der Tarifkämpfe mit den Kämpfen gegen Entlassungen!
  • Nein zur Rente mit 67 oder noch späterem Einrittsalter! Einführung der Rente ab 60 für alle bei vollen Bezügen!
  • Für eine Altersteilzeit, die die in Rente gehenden KollegInnen tatsächlich durch BerufseinsteigerInnen ersetzt – unter Kontrolle der Beschäftigten und finanziert aus den Unternehmensgewinnen!
  • Für Arbeitslose, Studierende, RentnerInnen, SchülerInnen ab 16, chronisch Kranke, Schwerstbehinderte kämpfen wir für ein monatliches Mindesteinkommen von 1.100 Euro plus Warmmiete!
  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Wohnungsbaus, im Gesundheits- und Bildungswesen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Finanziert durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und massive Erhöhung der Kapitalsteuern!

Um der Erniedrigung durch
die Arbeitslosenverwaltung und den Drohungen des sozialen Absturzes zu
begegnen, sofort:

  • Abschaffung von Hartz IV! Für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1100,- Euro plus Warmmiete und Mindestrenten in dieser Höhe!
  • Keine Zwangsjobs, keine Leih- und Zeitarbeit! Als Schritt in diese Richtung: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Bedingungen und Rechte für LeiharbeiterInnen wie für die Stammbelegschaften! Unbefristete Übernahme der LeiharbeiterInnen in tariflich gesicherte Arbeitsverhältnisse! Nein zu allen Formen des Kombilohns, von Bürgergeld inkl. seiner „linken“ Spielart, des bedingungslosen Grundeinkommens!

Um gegen die Angriffe von
Seiten des Kapitals gewinnen zu können, müssen die Kämpfe politisch geführt
werden! Die Trennung von gewerkschaftlichem und politischem Kampf muss
überwunden werden!

Schulterschluss mit der
Umweltbewegung!

Die Proteste gegen die
Klimazerstörung und andere Schädigungen der Umwelt haben deutlich vorgeführt,
wie peinlich Betriebsräte, die zuständigen Gewerkschaften und auch die Mehrheit
der Belegschaften jede Umweltsünde abdecken. Sie haben der Erpressung mit
Arbeitsplatzverlust nichts entgegengesetzt, weil die Führungen der
Gewerkschaften sich immer dem Diktat des Kapitals und seinen Bedürfnissen
untergeordnet haben. Je anti-kapitalistischer die Gewerkschaften und die
Umweltbewegung vorgehen, desto mehr können sie kooperieren!

  • Bezahlung des ökologischen Umbaus durch die Besteuerung der Reichen und die Enteignung der gesamten Energiewirtschaft unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse!
  • Umweltschädliche Produktion stoppen, den schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau durchsetzen und die Beschäftigten ohne Einkommensverlust umschulen! Wirtschaftliche Entwicklungsprogramme für die betroffenen Regionen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften!
  • Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung offenlegen und betrieblich und gesellschaftlich durch die lohnabhängigen Beschäftigten und KonsumentInnen kontrollieren!
  • Eine Konversion durchsetzen, die nicht auf Kosten der Arbeitsplätze geht, sondern die Beschäftigten einbezieht! Denn sie verfügen über das Know-how, wie zukünftige umweltfreundliche Arbeitsplätze aussehen können.
  • Die großen Konzerne unter Kontrolle der Beschäftigten enteignen, um einen demokratischen Plan zum ökologischen Umbau der Produktion und der Infrastruktur durchzusetzen!

Faschismus, Rassismus, Nationalismus bekämpfen!

In den Zeiten der
weltweiten Krise des Kapitalismus gehen auch Teile der ArbeiterInnenklasse nach
rechts und suchen ihr Heil in der Sicherung ihrer Arbeitsplätze und sozialen
Standards gegen andere. Forderungen nach Abschottung und verschärften
Grenzkontrollen, Rassismus und Nationalismus nehmen zu. Die Logik der
Standortsicherungen und die ganze Ideologie des „Standortes Deutschland“, also
die Sicherung der wirtschaftlichen Dominanz auf Kosten anderer fördert
Einstellungen, die Wasser auf die Mühlen von AfD oder sogar faschistischen
Organisationen sind. Sie wollen die Gewerkschaften im Grunde zerschlagen und
haben das auch schon getan – nicht nur in Deutschland, aber da am radikalsten.
Dagegen hilft keine Anpassung sondern die klare Alternative:

  • Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen, Aufnahme der Geflüchteten in die Gewerkschaften!
  • Offene Grenzen, keine Abschiebungen! Recht auf Arbeit für alle Geflüchteten und MigrantInnen – bezahlt zu tariflichen Löhnen!
  • Nazis und Rechten entgegentreten! Keine Propagandafreiheit für FaschistInnen, aktiver Kampf gegen rassistische und rechte Gruppierungen in den Betrieben! Aufbau einer ArbeiterInneneinheitsfront, betrieblicher und gewerkschaftlicher Selbstverteidigungsstrukturen!
  • Kampf allen Einschränkungen demokratischer Rechte, der Militarisierung, wirtschaftlichen und politischen Sanktionen sowie der Aufrüstung in Deutschland und der EU! Politische Streiks und Aktionen gegen Militärinterventionen (wie z. B. gegen den Iran)!
  • Internationale Koordinierung der gewerkschaftlichen, sozialen und politischen Kämpfe – für eine europaweite Aktionskonferenz gegen die Krise zur Diskussion und Koordinierung des gemeinsamen Abwehrkampfes!

Durch eine solche
Offensive können die Gewerkschaften für die Masse der Beschäftigten ein
effektives Kampforgan zur Verteidigung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen
werden, die in den letzten Jahren das Vertrauen verloren hatten oder die – wie
große Teile der jüngeren Generationen und der prekär Beschäftigten – noch nie
positive Erfahrungen mit kollektiver Gegenwehr und Organisation machen konnten.
Mit der Anbiederung an Kapital und Regierung, mit der Unterstützung von
Leiharbeit und Niedriglöhnen und der Ignoranz gegenüber der Basis und gegenüber
neuen und unorganisierten Betrieben haben die Gewerkschaftsführungen die
Mitgliederzahlen der DGB-Gewerkschaften auf einen historischen Tiefstand
gefahren.

  • Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks!
  • Organisierung der Unorganisierten! Dies erfordert, einen zentralen Fokus auf die Gewinnung von prekär Beschäftigten zu richten, verbunden mit Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung und zum gesetzlichen Mindestlohn! Das trifft insbesondere auch auf die Branchen zu, in denen überwiegend Frauen arbeiten, die generell schlechter bezahlt werden!

Andere Methoden, andere Ziele

Solche Forderungen müssen
von aktiven und oppositionellen GewerkschafterInnen in Betriebsgruppen,
Vertrauensleutekörpern oder auf Delegiertenkonferenzen eingebracht werden, um
die Bürokratie unter Druck zu setzen und kämpferische Kräfte zu gruppieren.

Um die Allmacht der
Apparate zu brechen, braucht es auch einen systematischen Kampf. Dieser muss
mit der Demokratisierung der Gewerkschaften beginnen. Wir müssen uns vor allem
dafür einsetzen, dass die Mitglieder, ja die Belegschaften allgemein über
Forderungen und Kampfmethoden entscheiden. Nur wenn sie ins Spiel kommen,
können Kräfteverhältnisse so geändert werden, dass andere Entscheidungen
möglich werden. Eine Handvoll Leute mit Resolutionen erreicht das nicht.

Verbunden werden muss das
mit dem Kampf gegen die Einschränkung der politischen Tätigkeit in den
Gewerkschaften selbst. Das gegenwärtige System der „Einheitsgewerkschaft“ kommt
einem politischen Maulkorb für jede oppositionelle, nicht-sozialdemokratische Strömung
gleich. Wir treten daher für das Recht auf Bildung politischer Fraktionen in
den Gewerkschaften und Betrieben ein.

Basisbewegung

Das erfordert, dass
programmatische Diskussionen, wie sie eine zukünftige Gewerkschaftslinke
braucht, helfen müssen, die bestehenden Differenzen demokratisch zu bearbeiten
und zugleich neuen AktivistInnen einen Zugriff auf diese zu erlauben. Also die
besten Traditionen der gewerkschaftlichen Bildung wieder aufzugreifen bei
gleichzeitiger Erarbeitung eines Aktionsprogramms für eine klassenkämpferische
Basisbewegung, eine organisierte anti-bürokratische Opposition.

Am Aufbau einer
Opposition können auch FunktionärInnen und Hauptamtliche teilnehmen. Das Ziel
kann und darf jedoch nicht darin bestehen, im Rahmen der bestehenden
bürokratischen Struktur einfach nur mehr Posten zu gewinnen oder Linke besser
zu vernetzen – es geht darum, das existierende bürokratische System zu
zerbrechen und durch ein arbeiterInnendemokratisches zu ersetzen. Alle
FunktionsträgerInnen auf gewerkschaftlicher und betrieblicher Ebene müssen
ihrer Basis rechenschaftspflichtig, von ihr gewählt und abwählbar sein. Kein/e
FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt
verdienen.

Heute haben Hauptamtliche
noch weniger Spielraum als früher und vielen, die als Linke einen solchen Job
haben, fehlt das politische Rüstzeug, um dem Druck des Reformismus und der
Sozialpartnerschaft standzuhalten. Das heißt nicht, dass die Krise der
Gewerkschaften nicht Risse im Apparat produzieren kann, die eine unabhängig
strukturierte Opposition auszunutzen vermag.

Vor allem aber darf sich
eine oppositionelle, klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaften
nicht von „linken“ Teilen des Apparates abhängig machen oder zu deren
ZuträgerInnen verkommen.

Politische Ausrichtung

Der systematische Kampf
gegen die Bürokratie und ihren Würgegriff, in dem sie die Gewerkschaftsbewegung
festhält, muss also im Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung münden,
die für eine andere Führung und eine andere Struktur der Gewerkschaften kämpft.

Auch wenn sie eine
Bewegung zur Erneuerung der Gewerkschaften darstellt, ist dieser Kampf
letztlich ein politischer: Er muss nicht nur für kämpferische Methoden
eintreten, sondern auch für ein wirkliches Verständnis des kapitalistischen
Systems und seiner Krise, seines Staates und seiner Herrschaftsmechanismen bei
den Kolleginnen und Kollegen.

Eine Wende der
Gewerkschaften muss mit einer Wende der Linken einhergehen: Die Gewerkschaften
müssen sich freimachen von der Fessel an die SPD. Die Linkspartei darf sich
nicht länger diesem Diktat unterordnen. Die linken Kräfte müssen auch mit der
Illusion brechen, dass die Linkspartei insgesamt eine substantielle politische
Alternative darstelle. Auch sie zielt nicht auf die Abschaffung des
Kapitalismus, sondern auf dessen Reform, dessen angeblich „gerechtere“
Ausgestaltung.

Die Politik des
Reformismus hat sich als Illusion erwiesen. Alle wichtigen Verbesserungen und
Reformen können in der gegenwärtigen Situation nur mit den Mitteln des
Klassenkampfes durchgesetzt werden. Reformen und Teilerfolge können die
Angriffe vielleicht stoppen und zurückwerfen – sie werden aber kein „neues“
Modell mit sich bringen, sondern rasch zu noch härteren Angriffen der
herrschenden Klasse führen. Die Kämpfe in Griechenland, in Frankreich oder in
Chile, die Putschbewegungen in Bolivien oder Brasilien verdeutlichen das. Die
kommenden Auseinandersetzungen – seien es drohenden Massenentlassungen,
Rassismus, Militarismus oder Umweltkatastrophe, verdeutlichen, dass es um die
Systemfrage geht.

Wir brauchen daher eine Opposition, eine
klassenkämpferische Basisbewegung, die nicht nur die Symptome bekämpft, sondern
auch das Problem an der Wurzel packt, die den Kapitalismus nicht zähmen,
sondern ihn überwin