Frauenbefreiung international, aber wie? Verónica Gagos Versuch

Jürgen Roth / Martin Suchanek (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Die Frauen*streiks rücken das Potential des Feminismus, genauer eines popularen, volkstümlichen Feminismus’ ins Zentrum politischer Debatten und Diskussionen. Mit dem 2019 erschienenen Buch „La potencia feminista – O el deseo de cambiarlo todo“ untersucht die argentische feministische Sozialwissenschafterin und Aktivistin Verónica Cago die Ursachen und das Potential der großen Kämpfe, die seit 2016 in mehrfacher Hinsicht den Beginn einer neuen Welle der Frauenbewegung markieren.

Den Ausgangspunkt diese Bewegung bildeten die in Argentinien bereits ab 2016 beginnenden Frauenstreiks sowie die US-amerikanische Bewegung gegen die drohende Machtübernahme Trumps. Auf ihrem vorläufigen Höhepunkt 2019 umfasste sie mehrere Millionen Streikende, vor allem in Lateinamerika, aber auch in Spanien und anderen Ländern. In ihnen kommt nicht nur ein neuer Aufschwung der Bewegung zum Ausdruck, sondern gerade im globalen Süden auch eine radikal neue Opposition von unten gegen den Neoliberalismus.

In ihrem Buch, das 2020 unter dem Titel „Feminist International – How to change everything“ (Verso, GB-London/USA-Brooklyn, NY) und 2021 auf Deutsch mit dem Titel „Für eine feministische Internationale. Wie wir alles verändern“ (Unrast-Verlag) erschien, will sie aber keineswegs nur die Bewegung und ihre Aktivitäten nachzeichnen.

In dem Buch und vor allem in den abschließenden „8 Thesen zur feministischen Revolution“ versucht sie, die Ursachen für die Entstehung und Bedeutung dieser Bewegung theoretisch zu fassen und zu begründen, worin deren zukunftsweisender Charakter besteht. In der folgenden Besprechung der Arbeit folgen wir dem Aufbau des Textes, beziehen uns aber immer wieder auf die 8 Thesen, die auch eine Art Zusammenfassung ihrer Untersuchung darstellen. Die Zitate beziehen sich in der Regel auf die englischsprachige Ausgabe.

Ausgangspunkt

Das für Gago Entscheidende an den Frauen*streiks der letzten Jahre besteht darin, dass sie ein neues politisches Potential zum Ausdruck bringen: die potentia (Macht, Handlungsvermögen) der Frauen aus dem Proletariat und den unteren Klassen. „Das Konzept der feministischen potentia spiegelt diese Art von Bewegung wider, indem es eine alternative Theorie der Macht anstrebt. Feministische potentia bedeutet, die Unbestimmtheit dessen, was man tun kann, was wir tun können, zu rechtfertigen.“ (Seite 2, Englische Ausgabe, eigene Übersetzung)

Damit, so Gago, wolle sie keineswegs einem naiven Verständnis von Macht das Wort reden, das von Institutionen und Strukturen der Herrschaft absieht. Die potentia steht für sie vielmehr für die Konfrontation mit diesen Strukturen, für eine Art Gegenmacht:

„In diesem Sinne handelt es sich um ein Verständnis von potentia als Entwicklung einer Gegenmacht. Letztlich geht es um die Bejahung einer anderen Art von Macht: die der gemeinsamen Erfindung gegen die Enteignung, des kollektiven Engagements gegen die Privatisierung und die Ausweitung dessen, was wir im Hier und Jetzt für möglich halten.“ (Ebenda)

Der von Hardt/Negri entnommene Begriffe der potentia stellt ein Schlüsselkonzept des gesamten Buches dar. Doch die von Negri übernommene Interpretation ist selbst überaus fragwürdig. In dem Buch „Die wilde Anomalie, Spinozas Entwurf einer freien Gesellschaft“ behauptet er, die Begriffe potentia und potestas würden bei Spinoza einen „absoluten Antagonismus“ darstellen. Ersterer stünde für das kreative Vermögen der Vielen, deren kollektives und schöpferisches Vermögen, deren dynamische Gestaltungsmacht, zweiterer für die Unterdrückung der Vielheit, von Freiheit, Kreativität. In dieser Lesart steht die potestas für die Herrschaft des unterdrückerischen Staates, für Ausbeutung, Unterdrückung, Kolonialismus oder für das Empire. Die potentia steht für Macht und Begehren der Menge, der Multitude.

Spinoza verwendet die Begriffe in der von Negri behaupteten starren Gegenüberstellung nicht, vielmehr begreift er potentia und potestas als dialektisches Verhältnis. Dabei stellt die potentia durchaus das vorrangige, treibende Moment dar. So soll bei ihm die vernünftige potentia potestas werden. Die potestas des Staats begreift er als durchaus notwendig (z. B. zum Schutz gegen reaktionäre religiöse Intoleranz). Sie muss allerdings seiner Vorstellung nach demokratisch kontrolliert werden.

Es geht uns an dieser Stelle jedoch nicht um eine richtige oder falsche Interpretation Spinozas, sondern vielmehr darum, dass Gago die falsche, undialektische Gegenüberstellung von potentia und potestas von Negri unkritisch übernimmt.

So knüpft sie am Begriff der Multitude, der Menge an, die bei Hardt/Negri schon den Kern und die Produktionsweise einer zukünftigen Gesellschaft darstellt. Die Frauen*streiks sind für Gago deshalb von so großer Bedeutung, weil sie das Hervortreten, die Selbstformierung eines neues Subjekts und einer neuen Form der Vergesellschaftung von unten darstellen. Hier trete einen neues, umfassendes proletarisches Klassensubjekt hervor, das nicht mehr auf die (marxistischen) Eingrenzungen auf die industrielle (zumeist weiße) Lohnarbeit beschränkt wäre. Hier würden vielmehr transversale Verknüpfungen gebildet, die alle popularen und proletarischen Schichten und Subjektivitäten umfassen würden. Dass Gago dabei die Begriffe popular und proletarisch fast durchgängig synonym verwendet, ist kein Zufall, denn bei ihrem Klassenbegriff verschwimmen die Grenzen zwischen der Lohnarbeit und anderen nicht-ausbeutenden Klassen, insbesondere zu den unteren Schichten des Kleinbürger:innentums und zur Bauern-/Bäuerinnenschaft.

Ähnlich wie Hardt/Negri lehnt auch Gago die Dialektik ab. Die umfassende Klasse bedarf keiner zusammenfassenden strategischen Zielsetzung, keines wissenschaftlichen Programms, das ihre heterogenen Teile politisch auf ein gemeinsames Ziel orientiert. Die Klasse muss nicht erst von einer an sich zu einer für sich werden. Sie muss eigentlich nur ihre Diversität miteinander verknüpfen und anreichern. Dies erklärt auch, warum für Gago die neue Qualität in den Frauen*streiks hervortrete. Das revolutionäre, gesellschaftsverändernde Subjekt existiert in diesen nämlich bereits. Indem die verschiedenen Unterdrückten ihre eigenen Bedürfnisse entdecken, artikulieren, verbinden, schaffen und erweitern sie auch ihr Bedürfnis zur Revolution, zur Neueinrichtung der Gesellschaft. Letztere versteht sie aber nicht als politischen Kampf um die Macht, um den Sturz einer Klasse durch einen andere, sondern als stetig vor sich gehenden Transformationsprozess, der die Gegenüberstellung von Reform und Revolution hinter sich lasse.

Neue Qualität der Streikwaffe?

Doch nun zu den einzelnen Aspekten ihrer Argumentationskette. Der feministische Streik ginge mit der Erweiterung des Klassenbegriffs einher. Die Frauen*streiks würden den engen Horizont der gewerkschaftlichen, reformistischen, aber auch marxistisch dominierten Arbeiter:innenbewegung, die nur auf die weißen, männlichen Industriearbeiter geblickt habe, sprengen.

Dies geschehe schon dadurch, dass er mehr als den „normalen“ Streikkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital umfasse. Indem er Haus-, Reproduktions- und migrantische Arbeit einbeziehe, mache er diese ebenso sichtbar wie die „territoriale“ Dimension des Kampfs um Land der indigenen Bevölkerung. Zweifellos liegt eine Stärke darin, breitere Schichten in den Kampf einzubeziehen, als dies die Gewerkschaftsbürokratie üblicherweise tut, und auch nicht weiter darauf zu warten, bis diese grünes Licht für die Aktion gibt.

Zu den Stärken zählt sie auch, dass der Frauen*streik ebenfalls jene Unterstützer:innen umfasse, die sich trotz der „Unmöglichkeit zu streiken“ solidarisieren.

Spätestens hier wird die Sache jedoch problematisch. Es ist natürlich sehr positiv, dass auch Menschen, die aufgrund von Repression oder ihrer sozialen Stellung nicht am Streik teilnehmen können, die Aktionen befürworten oder das sogar sichtbar machen. Doch wir machen uns nur selbst etwas vor, wenn wir auch Menschen, die die Arbeit aufgrund von Repression, geringerem Organisationsgrad oder mangelnder Solidarität unter Kolleg:innen (noch) nicht niederlegen können, als Streikende mitrechnen. Der Klassengegner wird sich davon leider nicht beeindrucken lassen.

Ebenso ist es problematisch, den Unterschied zwischen streikenden Lohnarbeiter:innen und anderen „Streikenden“ als nebensächlich zu betrachten. Grundsätzlich ist es natürlich sehr gut, wenn sich auch Genoss:innenschaften, kleine Selbstständige, Studierende, Schüler:innen und Erwerbslose dem Streik anschließen. Anders als Lohnarbeiter:innen setzt ihr „Streik“ jedoch das Kapital oder den Staat als Arbeit„geber“ nicht ökonomisch unter Druck.

Natürlich zeigt es zwar eine Stärke der Frauen*streiks als politischer und gesellschaftlicher Massenbewegung, dass sich ihr Millionen anschlossen, die zur Zeit ihre Arbeitskraft nicht gegen Lohn verkaufen (können). Aber für die reale Durchsetzungsfähigkeit ist es letztlich von entscheidender Bedeutung, ob es gelingt, vor allem die große Masse der lohnarbeitenden Frauen in den Streik zu ziehen wie auch ihre männlichen Kollegen (ansonsten fungieren letztere eigentlich, ob sie wollen oder nicht, objektiv als Streikbrecher). Das ist vor allem entscheidend, wenn der Frauen*streik über einen befristeten, eintägigen Demonstrationsstreik hinausgehen und zu einem unbefristeten werden soll.

Dazu ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass auch die Gewerkschaften in den Kampf gezogen werden und die Bürokratie durch klare Forderungen und eine Basisbewegung von unten unter Druck gesetzt wird. Dazu wäre bei den Frauen*streiks ein gemeinsames, möglichst internationales Aktionsprogramm für Schlüsselforderungen notwendig gewesen. Nur so können die weiblichen (wie männlichen) Beschäftigten im prekären Sektor auch wirklich grundlegende Forderungen durchsetzen, weil sie gerade aufgrund ihrer prekären Stellung auf die Solidarität und den gemeinsam Kampf der gesamten Arbeiter:innenbewegung angewiesen sind.

Ein solches Programm wird leider im gesamten Buch von Gago nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert. Hier zeigt sich die Achillesferse ihrer Strategie, die jedoch aus dem Verständnis der Subjektkonstituierung der Autorin durchaus logisch folgt.

Arbeiter:innenklasse oder populare Klasse?

Für sie umfasst die feminisierte Arbeit die von Frauen, Lesben, Transgender und Travestis, aber auch die Arbeit von Menschen unterschiedlicher Klassen, die umstandslos zu einem erweiterten Begriff einer Klasse vereint werden.

So beläuft sich beispielsweise der informelle Sektor, die Schattenwirtschaft, in Argentinien auf rund 40 % aller Arbeitenden. Dieser Anteil ist aufgrund der Krise um die Jahrtausendwende in diesem Land selbst für lateinamerikanische Verhältnisse sehr hoch. Unabhängig davon ist es sicher sehr wichtig, Forderungen für diesen Sektor aufzustellen. Doch dieser Sektor, den Verónica Gago auch als „populare Ökonomie“ bezeichnet, besteht keineswegs nur aus Lohnarbeiter:innen.

In einer deutschsprachigen Veröffentlichung der 8 Thesen zur Feministischen Revolution definieren die Herausgeber:innen, was darunter verstanden wird: „Die «populare Ökonomie» umfasst Arbeitsformen, die traditionell als informell definiert werden, sowie Subsistenzarbeit und außerhalb des traditionellen Lohnsystems erfundene Arbeitsformen; sie bezieht sich auf ein heterogenes Proletariat, das mit unterschiedlichen Mitteln für seinen Lebensunterhalt sorgt, etwa durch Müll- und Flaschensammeln oder durch gemeinnützige Arbeit in Suppenküchen. Das Konzept einer «popularen Ökonomie» will diese Arbeitsformen politisieren sowie einer Marginalisierung und Abwertung durch Begriffe wie «informelle Wirtschaft» oder «soziale Ausgrenzung» begegnen.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 6)

Hier wird aus der Not eine Tugend gemacht. Menschen, vor allem Frauen, die aufgrund der kapitalistischen Krise dauerhaft ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen können, die sich durch Müll- und Flaschensammeln durchbringen müssen, unterliegen objektiv einem Verelendungs- und Entproletarisierungsprozess. Um diesen zu stoppen, ist es notwendig, dafür zu kämpfen, dass diese Menschen wieder ins Lohnarbeitsverhältnis zu existenzsichernden Löhnen integriert werden. Diesen Prozess als „populare Ökonomie“ zu charakterisieren, bedeutet nicht nur, ihn schönzureden. Es bedeutet auch, die Augen vor den objektiven Deklassierungsprozessen des Kapitalismus zu verschließen und damit auch davor, dass diese Tendenzen die Arbeiter:innenklasse schwächen, weil größere Teile aus ihr herausfallen – entweder in Richtung prekäre kleinbürgerliche Existenz oder, im allerschlimmsten Fall, in Richtung Lumpenproletariat. Noch deutlicher wird bei der Einbeziehung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in die Arbeiter:innenklasse.

Die „erweiterte Klasse“ entpuppt sich hier als Zusammenwürfeln von Proletariat und Kleinbürger:innentum. Mit dieser Ausweitung des Begriffs wird auch die zentrale Rolle der kapitalistischen Ausbeutung, also der Aneignung des Mehrwerts durch das Kapital, für die Bestimmung der Arbeiter:innenklasse relativiert. Anstelle der Ausbeutung durch das Kapital tritt bei diesem „erweiterten Klassenbegriff“ „die spezifische Abwertung von gemeinnütziger, nachbarschaftlicher, migrantischer und reproduktiver Arbeit. Wir haben verstanden, wie im Alltag ihre Unterordnung im Verhältnis zu allen Formen von Arbeit steht.“ (Ebenda, S. 7)

Nun wird niemand bestreiten, dass diese Arten von Arbeit oft „unterbewertet“ werden. Doch in Wirklichkeit ist die „Ausweitung“ des Ausbeutungsbegriffs einfach nur unscharf und undifferenziert. Migrantische und auch reproduktive Arbeit sind oft Formen der ausgebeuteten Lohnarbeit. Die nachbarschaftliche Tätigkeit mag nicht geschätzt werden – sie stellt ein anderes Verhältnis dar. Mit der Vermischung von Ausbeutung und „Unterordnung“ werden vor allem jedoch die Klassenverhältnisse, in denen sie stattfinden, unklar. So ist sicher auch die Arbeit von armen Bauern und Bäuerinnen oder von unteren Schichten des Kleinbürger:innentums „unterbewertet“. Viele mögen ärmer sein als manche Lohnabhängige. Dennoch gehören sie verschiedenen Klassen an. Während die Arbeiter:innenklasse über kein Privateigentum an Produktionsmitteln verfügt und gezwungen ist, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, sind die Bauern/Bäuerinnen kleine Eigentümer:innen und Warenproduzent:innen. Sie nehmen daher eine widersprüchliche gesellschaftliche Stellung ein. Bei Gago hingegen sind sie umstandslos Teil des Proletariats und sogar „antikapitalistisch“.

Neue Kritik der politischen Ökonomie

Im Buch theoretisiert sie dies weiter. Zwischen feministischen Ökonomietheorien und volkstümlicher Schattenwirtschaft ohne kriminellen Sektor wie Drogenhandel habe es „Intersektionen“ gegeben. Es handle sich bei Letzterer um eine antineoliberale, kollektiv organisierte Überwindung individuellen Lebens in Gestalt von Kooperativen, autonomen Lebensstilen und -entwürfen. Dabei sei Neoliberalismus nicht auf den Gegensatz Staat – Markt reduzierbar.

Für Gago ist die feministische ökonomische Perspektive schon deshalb antikapitalistisch, weil Wertextraktion aus Körperterritorien erfolge. Hier folgt sie dem feministisch-operaistischen Ansatz von Mariarosa Dalla Costa, der ihrer Forderung nach Lohn für Hausarbeit zugrunde lag. Sie weitet ihn sogar aus über die Hausarbeit in der Sphäre der Lohnarbeiter:innenfamilie hinaus, auf praktisch alle Frauen, die irgendwie körperlich arbeiten und nicht zur herrschenden Klasse gehören.

Was in „Feministische Internationale“ als Ausweitung des Klassenbegriffs versprochen wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als die Auflösung des marxistischen Klassenbegriffs. Im Grunde wird der Klassen- durch einen Volksbegriff ersetzt, der stark an die Vorstellungen der antimarxistischen russischen Volkstümler:innen Ende des 19. Jahrhunderts erinnert, die in der Bauern-/Bäuerinnenschaft eine konsequent revolutionäre Klasse erblickten.

Die „Volksökonomie von unten“ produziert zwar in Teilen Mehrwert in Gestalt prekärer Lohnarbeit. Der Rest lebt aber von staatlich vermittelten Transfereinkünften, die wesentlich vom indirekten (Sozial-)Lohn gespeist werden. Der informelle Sektor ist noch abhängiger als Lohnarbeit und sollte (Verteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und öffentliche Arbeiten zu Tariflöhnen unter Arbeiter:innenkontrolle) vollständig in die offizielle Lohnarbeit integriert statt konserviert werden!

Antikapitalistisches Wirtschaften kann unter Herrschaft des Kapitals nur Nischen bekleiden und ihn nicht graduell sukzessive ersetzen. Angesichts des Weltmarkts der Agrokonzerne wäre die Revitalisierung der ursprünglichen Ackerbaugemeinde noch reaktionärer und utopischer als die sozialdemokratischen und populistischen Genossenschaftsillusionen. Die Landfrage kann genossenschaftlich nur in Kooperation mit sozialistischer Planwirtschaft auf höchstem technischen und vergesellschafteten Niveau gelöst werden, nicht durch eine Idealisierung der Subsistenzwirtschaft. Wirklicher Antikapitalismus ist mit dem ökonomischen Romantizismus der russischen Sozialrevolutionär:innen oder großer Teile der lateinamerikanischen populistischen Bewegungen inkompatibel. Gagos Nähe dazu ist als radikale Linkspopulist:in kein Zufall.

Es ist daher auch kein Zufall, dass sich ihr „Antikapitalismus“ im Wesentlichen auf einen Anti-Neoliberalismus, Anti-Extraktivismus und die Betonung des Kampfes gegen die massenhafte Verschuldung von Communities und Armen konzentriert. All dies sind wichtige Themen und Aufgaben, um die sich auch eine proletarische Frauenbewegung organisieren muss. Doch das reicht nicht, um zu bestimmen, worin eigentlich das Ziel des Kampfes bestehen soll. Hier stellt Gago vor allem fast, was sie nicht will: weder kapitalistischen Markt noch Planwirtschaft. Diese wenig originelle Zurückweisung des Sozialismus hat freilich weitreichende Konsequenzen für das Programm zur Frauenbefreiung. Die Überwindung der Trennung von Produktion und Reproduktion ist ohne Sozialisierung der Hausarbeit letztlich nicht möglich. Diese erfordert aber ihrerseits die Enteignung der herrschenden Klasse und die bewusste Reorganisation von Produktion und Reproduktion auf Basis einer Planwirtschaft.

Reform und Revolution

Gago meint hingegen, ohne solche grundlegenden revolutionären Veränderungen auskommen zu können. Für sie überwindet die argentinische Bewegung eine Beschränkung auf Themen, Quoten und Sektoren. Sie praktiziere eine Intersektion von Geschlecht, Klasse und rassistisch Unterdrückten.

Der Ort dieser Verbindung unterschiedlicher Sektoren sind Frauenvolksversammlungen (Asambleas), Netzwerke, die sich gleichzeitig auf Institutionen bezögen, indem sie Forderungen stellten.

Somit würden sie verkörpern, was Rosa Luxemburg revolutionäre Realpolitik genannt hatte: Handeln in der Gegenwart und gleichzeitige Existenz als Möglichkeit, Potenzial. Dieses könne zum Bruch mit dem System führen, sei also eine Rohform der Methode des Systemübergangs. Der Wunsch nach Revolution („Wir wollen alles verändern!“) stamme aus der Realität des vor sich gehenden Wandels. Die Zeit der Revolution sei jetzt angebrochen. Transversalität als neue Organisationsform entwickle die Kapazität, den Feminismus an jeder Ecke in Szene zu setzen, ohne sich in eine Logik umschriebener Forderungen einzwängen zu lassen. In These 5 fasst Gago dies folgendermaßen zusammen:

„Die feministische Bewegung besetzt die Straßen, trifft sich zu Versammlungen, schmiedet territoriale Allianzen und erstellt Diagnosen der politischen Konjunktur. Sie erzeugt eine Gegenmacht, die sich Rechte erkämpft und gleichzeitig einen radikalen Horizont beibehält. Damit demontiert sie den Gegensatz zwischen Reform und Revolution.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 16)

Die Asambleas bilden die Gegenmacht in dem Sinne, dass sie – wie bei Negris Multitude – der Ort sind, an dem sich die Frauen und Unterdrückten zum Subjekt konstituieren, ihre potentia entdecken, einander mitteilen, vermitteln. Die Aufgabe der Asambleas besteht daher auch nicht darin, ein gemeinsames Kampfprogramm zu diskutieren, zu verabschieden und gemeinsame Aktionen zu vereinbaren. Im Gegenteil, diese Form der demokratischen und politischen Zusammenfassung der Kämpfenden unter einem Ziel ist Gago suspekt. Die Verbindung würde vielmehr durch die Diversität und Transversalität der Akteur:innen geschaffen.

Hier wird deutlich, dass sich ihr Begriff von Gegenmacht grundlegend von der revolutionär-marxistischen Vorstellung unterscheidet. Gegenmachtorgane sind grundsätzlich Kampforgane gegen die bestehende Staatsmacht und Klassenherrschaft. Sie können daher auch nur in bestimmen krisenhaften Klassenkampfsituationen entstehen, müssen entweder auf gesellschaftlicher Ebene verallgemeinert werden oder sie sind letztlich dem Untergang – sei es durch Repression oder Integration – geweiht. Werden sie jedoch verallgemeinert, sei es auf betrieblicher und/oder örtlicher Ebene, entwickelt sich eine Situation der Doppelmacht, die entweder revolutionär oder konterrevolutionär gelöst werden muss, also indem die Kampforgane der Gegenmacht zu Machtorganen einer neuen, sozialistischen Gesellschaft oder von den Machtorganen der herrschenden Kapitalist:innenklasse zerschlagen werden.

Nicht so bei Gago. Den „Gegensatz zwischen Reform und Revolution“ „demontiert“ sie, indem sie die Revolution als stetiges Voranschreiten der (feministischen) Gegenmacht konzipiert. Diese bezieht immer neue Schichten und Teile des Proletariats ein, immer neue Sektoren der „popularen Ökonomie“. Die Asambleas oder andere Organe der Gegenmacht erheben dabei natürlich auch Reformforderungen an den bestehenden Staat, organisieren Debatten, erweitern ihren Diskurs, ihr Handlungs- und Vorstellungsvermögen und vor allem auch schon die zukünftige Gesellschaft selbst, indem sie für die Ausweitung der „popularen Ökonomie“ kämpfen. Zu Kampforganen um die politische Macht müssen die Asambleas, muss die so verstandene „Gegenmacht“ erst gar nicht geraten, da die Transformation und Revolution bereits im Gange ist.  Für sie bedeutet soziale Revolution schließlich nicht den Übergang der Staatsmacht in die Hände einer anderen Klasse, sondern ein Höchstmaß an Bewegung und Ausdehnung der Alternativökonomie.

Dieses Konzept ist historisch nicht neu. Es ähnelt vielmehr recht offenkundig dem Revisionismus eines Bernsteins und dem sozialdemokratischen Reformismus, der Abkehr vom Ziel der Machteroberung. Revolutionäre Realpolitik beinhaltet für Gago keine Übergangsstrategie, die Teilkämpfe um Verbesserungen mit Übergangslosungen und der Machtfrage verknüpft, sondern ihr gerät unter der Hand die aktuelle Bewegung zu einer, die beides, Reform und Revolution, „aushält“. Da sie den Kampf für Reformen nicht als untergeordnetes Moment des revolutionären Kampfs akzeptieren kann und will, bleibt von der „Revolution“ letztlich nur die ideologische Verkleisterung einer Spielart der reformistischen Transformationsstrategie übrig, wie sie heute im linken Reformismus und auch bei Strömungen des Linkspopulismus vertreten wird.

Feministische Internationale

Nachdem auch auf nationaler Ebene kein Programm, keine revolutionären Strategie nötig seien, ja als schädlich betrachtet werden, vertritt Gago auch eine Internationale, die ohne diese auskommt.

„Die aktuelle feministische Bewegung bringt einen neuen Internationalismus hervor. Dabei geht es nicht darum, den verschiedenen Kämpfen eine abstrakte Struktur aufzuerlegen, sie zu homogenisieren und dadurch auf eine «höhere» Ebene zu heben. Ganz im Gegenteil: Sie wird an jedem einzelnen Ort als spürbare Kraft wahrgenommen, die ausgehend von Körpern und individuellen Lebensverläufen transnationale Dynamiken auslösen kann. Somit ist die feministische Bewegung eine global organisierte, destabilisierende, im Globalen Süden verankerte und von dort aus wirkende Kraft.“ (Ebenda, S. 19)

Für unsere argentinische, postoperaistische Feministin bildet die Bewegung eine koordinierte Kraft globaler Destabilisierung, webt Netzwerke antiautoritärer Insubordination und Selbstermächtigung ausgehend von Lateinamerika. Sie sei trans- und plurinational (Letzteres bezieht sich auf die indigenen Ethnien, Nationalitäten), überkomme somit Internationalismus wie Nationalstaat, weil sie überall existiere. Ihr Transnationalismus verkörpere die Inversion eines Internationalismus’ von oben.

Der Streik sei zum globalen Schlüsselwort geraten: „Wenn wir streiken, macht die Welt Halt!“

In Anbetracht der Friedhofsruhe innerhalb der klassischen Arbeiter:innenbewegung kann die Bedeutung der Frauen*streiks gar nicht genug betont werden. Haben sie aber „die Welt“ wirklich destabilisiert? Und reicht das aus oder braucht es vielmehr zusätzlich Vorstellungen, wie eine neue Ordnung errichtet werden soll und organisiertes Eintreten dafür? Bei Gago werden Aufbau, Strategie und Programm ganz bewusst der Spontaneität und Unmittelbarkeit überlassen.

„Dieser Ansatz unterscheidet sich stark davon, kollektive Organisationsformen moralisch vorauszusetzen oder theoretisch zu fordern. Der Feminismus in den Stadtvierteln, im Bett oder zu Hause ist nicht weniger internationalistisch als der Feminismus auf den Straßen oder den regionalen Treffen. Genau darin liegt sein starker raumpolitischer Aspekt: In seinem Ansatz, Feminismus nicht in getrennten Sphären zu denken, sondern Transnationalismus aktiv zu praktizieren, in ihm Wurzeln zu schlagen und Territorien gleichzeitig für unerwartete, unzählige und weltweite Zusammenhänge zu öffnen.“ (Ebenda, S. 21)

Mit diesen Zeilen endet die Darlegung der neuen, entstehenden Feministischen Internationale. Sie soll also offensichtlich unterschiedliche Teile und Konzepte ohne Debatte um Strategie, Taktik und Programm lose verbinden. Das Problem der Vermittlung von aktuellem Bewusstsein der Klasse und revolutionärer Strategie, die Frage, um welche Forderungen, um welche kollektiven Organisationsformen, um welche Kampagnen und verbindlichen Aktionen sich eine neue proletarische Frauenbewegung konstituieren soll, taucht in der Schrift erst gar nicht auf. Es scheint vielmehr durch die spontane Entwicklung gelöst. Man müsse einfach „Sphären“ gemeinsam denken, Transnationalismus praktizieren, dann erledigt sich die Frage, um welche Kampfziele und Forderungen sich alles drehen soll, von alleine. Die ökonomistische Vorstellung, dass Klassenbewusstsein spontan aus dem gewerkschaftlichen Kampf entstehe, wird hier auf die Sphäre des Kampfes gegen die Unterdrückung von Frauen und LGBTIAQ-Personen übertragen, wenn auch philosophisch durch den Rekurs auf die potentia der Menge, durch das politische und ökonomische Handlungsvermögen der (proletarischen) Frauen.

Eine solche Strategie wird unvermeidlich an ihre Grenzen stoßen. Schon jetzt erweist sie sich nach zwei Jahren Pandemie und Krise als unfähig, eine Antwort auf die Stagnation oder sogar den Rückgang der Frauen*streiks in vielen Ländern zu geben. Natürlich wäre es kindisch, einfach ein lineares Wachstum der Bewegung zu erwarten. Zeitweilige Rückschläge und Schwankungen sind unvermeidlich, selbst bei einer revolutionären Führung der Bewegung.

Doch schon allein diese Entwicklungen sind eigentlich ein Argument für verbindliche, internationale Strukturen einer Bewegung und für die Diskussion und Erarbeitung gemeinsamer Forderungen und Aktionen.

Aber – ähnlich wie die Sozialistische Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg – muss sich auch eine neue, internationale Frauenbewegung, wenn sie ihr Potential realisieren will, grundsätzlich den großen strategischen Fragen widmen. Nur so wird sie in der Lage sein, den Kämpfenden, den verschiedenen Bewegungen und Kräften angesichts der aktuellen kapitalistischen Krise und angesichts des schärfer werdenden Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten Orientierung zu geben. Das betrifft auch den Kampf gegen die geschlechtliche Unterdrückung und seine untrennbare Verbindung zur sozialistischen Revolution. Gagos Buch „Feministische Internationale“ kommt zweifellos das Verdienst zu, die Frage der Internationale aufgeworfen zu haben. Eine revolutionäre Antwort darauf präsentiert sie jedoch nicht.




Hexenjagd: Silvia Federici auf der Suche nach Antworten

Jaqueline Katharina Singh, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Federicis Buch „Caliban und die Hexe“ ist nicht nur in sieben Sprachen übersetzt worden. Ihre Analyse der Hexenverfolgung und ihrer Bedeutung zum Verständnis von Frauenunterdrückung und Kapitalismus wurden vom linken Feminismus diskutiert und aufgegriffen. Viele Autor:innen stützen sich mittlerweile auf die darin entwickelten Ideen, machen sie zur Grundlage eigener Theorien und Konzepte.

Silvia Federici selber ist ehemalige Hochschullehrerin, politische Philosophin und Aktivistin. Zusammen mit Mariarosa Dalla Costa, Selma James und anderen gründete sie 1972 das International Feminist Collective, welches die internationale „Lohn für Hausarbeit“-Kampagne startete. Über Jahre veröffentlichte Federici zahlreiche Bücher und Essays zu marxistischer und feministischer Theorie, Globalisierungskritik und zum Konzept der „Commons“. Mit ihrem 2004 erschienenen Hauptwerk „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“ (Mandelbaum-Verlag, Wien/Berlin 2021, 9. Auflage) wollen wir uns im Folgenden beschäftigen und einige ihrer zentralen Ideen diskutieren.

Grundgedanken von „Caliban und die Hexe“

Auch für Federici selbst bilden die in „Caliban und die Hexe“ entwickelten Auffassungen die Grundlage einer politisch-strategisch Orientierung, die davon ausgeht, dass die eigentliche Quelle des Reichtums und damit seiner Vermehrung in der kapitalistischen Gesellschaft nicht oder allenfalls nur zum Teil in der Aneignung fremder Arbeit im kapitalistischen Verwertungsprozess besteht. „In diesem Sinn zeigt Caliban und die Hexe, dass der Körper für Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft das gewesen ist, was die Fabrik für männliche Lohnarbeiter gewesen ist: der Hauptschauplatz ihrer Ausbeutung und ihres Widerstandes.“ (Caliban und die Hexe, a. a. O., S. 23.)

Die ursprüngliche Akkumulation, als deren integralen Bestandteil Federici die Hexenverfolgung und den Mord an Hunderttausenden begreift, steht daher nicht einfach am Beginn der Durchsetzung des Kapitalismus als Gesellschaftsformation. Sie betrachtet sie vielmehr als „universellen Vorgang“, der „in jeder Phase kapitalistischer Entwicklung“ (S. 24) ein ergänzendes, wenn nicht grundlegendes Moment des Gesamtprozesses bildet. Kolonialismus, Imperialismus, Globalisierung und die private Hausarbeit stellten für sie grundlegende Formen dieser Permanenz der ursprünglichen Akkumulation dar.

In ihrer Einleitung fasst Federici ihre Thesen prägnant zusammen: „Die politische Lektion, die wir Caliban und die Hexe entnehmen können, lautet in der Tat, dass der Kapitalismus als sozio-ökonomisches System zwingend auf Rassismus und Sexismus angewiesen ist. Denn der Kapitalismus muss die Widersprüche, die seinen gesellschaftlichen Verhältnissen innewohnen, rechtfertigen und mystifizieren: Seinem Freiheitsversprechen steht die Realität weitverbreiteten Zwangs, seinem Wohlstandsversprechen die ebenso weitverbreiteten Elends gegenüber.“ (S. 25) Zentral ist dabei ihre These, dass die Hexenverbrennung eine maßgebliche Rolle bei der ursprünglichen Akkumulation gespielt hat. Dabei greift sie Marx’ Begriff auf, übt jedoch zugleich Kritik und leistet eine eigene (Fehl-)Interpretation. Für Federici war die Hexenverfolgung ebenso konstitutiv für die Entstehung des Kapitalismus wie die „Entdeckung“ der Kolonien und Sklaverei sowie Einhegung und Vertreiben der Bauern/Bäuerinnen von ihrem Land. Dies konnte ihrer Auffassung zufolge von Marx nicht gesehen werden, da dieser „die ursprüngliche Akkumulation vom Standpunkt des entlohnten männlichen Proletariats und der Entwicklung der Warenproduktion“ (S. 17) untersucht habe. Federici fokussiert hingegen auf die Stellung der Frau und ihre Veränderung, die die ursprüngliche Akkumulation bei der Produktion der Ware Arbeitskraft bewirkte. Daraus resultiert für sie unter anderem auch eine andere Bewertung der weltgeschichtlichen Rolle des Kapitalismus. Sie lehnt den Grundgedanken des Marxismus, dass die Durchsetzung dieser Produktionsweise erst die Bedingungen für eine sozialistische Gesellschaft (gesellschaftliche Produktion, Herausbildung des Proletariats als universeller Klasse) schafft und insofern eine notwendige Voraussetzung für diese darstellt, kategorisch ab (S. 18). Für Federici wäre im Grund auch aus der Krise des Feudalismus ein Übergang zu einer gemeinwirtschaftlichen, nicht-unterdrückerischen Wirtschaftsweise und Gesellschaftsformation möglich gewesen.

Ein anderer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit Körpern. Ihr Ziel ist es, mithilfe der Analyse des Übergangs zum Kapitalismus und der ursprünglichen Akkumulation über die bisher existierenden Analysen der „Körperpolitik“ seitens Foucaults und diverser Feminist:innen hinauszugehen. „Caliban und die Hexe“ soll zeigen, dass der Körper für Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft das gewesen ist, was für Männer die Fabrik gewesen ist: Hauptschauplatz der Ausbeutung und des Widerstandes. Diese These ist darin begründet, dass der weibliche Körper von Staat und Männern angeeignet wurde, als Mittel zur Akkumulation und Reproduktion von Arbeit (S. 23).

Wie wir sehen werden, zieht diese eine Reihe theoretischer wie politischer Konsequenzen nach sich, was das Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise, ihrer Rolle in der Geschichte, des revolutionären Subjekts und der Alternative zum Kapitalismus betrifft. Für Federici stellt nicht die Enteignung des Kapitals und die bewusste Vergesellschaftung von Produktions- und Reproduktionsarbeit im Rahmen einer globalen, demokratischen Planwirtschaft die notwendige Form der Überwindung des Kapitalismus dar, sondern eine Rückkehr zu, wenn auch an moderne Produktivkräfte angepassten, gemeinwirtschaftlichen Formen der Commons (oder der Allmende). Diese Schlussfolgerungen werden in „Caliban und die Hexe“ nur knapp angedeutet und in anderen Schriften und Interviews umfänglich dargestellt. Auch diese einer ausführlichen Kritik zu unterziehen, würde jedoch den Rahmen des Artikels sprengen. Es sei einer zukünftigen Arbeit vorbehalten. „Caliban und die Hexe“ bildet aber so etwas wie einen theoretischen Unterbau für diese universellen politischen Schlussfolgerungen. Daher konzentrieren wir uns auf eine Kritik ihres Buches.

Die ursprüngliche Akkumulation bei Marx

Bevor wir Federicis Argumente genauer betrachten und verstehen können, lohnt es sich, mit Marx’ Verständnis der ursprünglichen Akkumulation anzufangen. Im Kapitel 24 des ersten Bandes von „Das Kapital“ (Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation) geht Marx darauf näher ein. Unter diesem Begriff versteht er die historischen Prozesse, die der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise vorausgehen, zur Herausbildung einer Klasse von Kapitaleigentümer:innen, die die wesentlichen Produktionsmittel monopolisieren, und einer Klasse doppelt freier Landarbeiter:innen führen. Der Kapitalismus ist nun mal nicht vom Himmel gefallen: „In einer längst verfloßnen Zeit gab es“, so Marx sarkastisch, „auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der anderen faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen [ … ] So kam es, daß die ersten Reichtum akkumulierten und die letztren schließlich nichts zu verkaufen hatten als ihre eigne Haut“ (MEW 23, Berlin/Ost 1971, S. 741). Die Entstehungs- und Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus als vorherrschender Produktionsweise ist vielmehr ein längerer Prozess vom 14. bis ins 19. Jahrhundert, bei dem in unterschiedlichen Regionen aufgrund ihrer jeweiligen Gegebenheiten auch unterschiedliche Produktionsweisen herrschten und teilweise gleichzeitig existierten. Schließlich geht es im Kapitalismus darum, Kapital durch Kombination mit Lohnarbeit zu vermehren. Der dabei gewonnene Mehrwert wird dem Gesamtkapital hinzufügt, damit es sich weiter vermehrt, auf einer nach oben offenen Akkumulationsskala. Damit nun aber ein solches selbsttragendes Kapitalwachstum beginnen kann, muss zunächst einmal einsatzfähiges Kapital vorhanden sein, das selber nicht durch seinen Einsatz im indistriellen Produktionsprozess entstanden sein kann. Und es muss eine Klasse von Lohnarbeiter:innen vorhanden sein, die keine Alternative hat zum Verkauf ihrer Arbeitskraft, um ihre Existenz zu fristen. Marx untersucht diesen Prozess in erster Linie für England, da sich dort die kapitalistische Produktionsweise zuerst und am durchgängigsten entfaltet hat. Die ursprüngliche Akkumulation umfasst v. a. die Momente, „worin große Menschenmassen plötzlich und gewaltsam von ihren Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den Arbeitsmarkt geschleuderte werden“ (a. a. O., S. 744). Dazu gehören:

a) Die gewaltsame Aneignung des Grund und Bodens

Um überhaupt ausreichend Arbeitskräfte für das Kapital zu haben, musste die Bauern-/Bäuerinnenschaft von ihrem Grund und Boden gewaltsam vertrieben werden, was nicht nur die Vertreibung der selbstständigen Produzent:innen bedeutete, sondern auch die Enteignung des Gemeindelandes, der Allmende, um so der Bevölkerung jede Grundlage für Subsistenzwirtschaft zu entziehen.

b) Blutgesetzgebung und Absenkung des Arbeitslohns

Durch die Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoßweise, gewaltsame Expropriation von Grund und Boden entstanden massenhaft Bettler:innen, Räuber:innen, Vagabund:innen, zum Teil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang der Umstände, da diese nicht von den aufkommenden Manufakturen absorbiert werden konnten. Um dem entgegenzuwirken, wurde Ende des 15. und während des ganzen 16. Jahrhunderts in Westeuropa die Blutgesetzgebung erlassen. Die Strafen reichten von Auspeitschung, Brandmarkung bis zur Hinrichtung, die erfolgen konnte, wenn jemand ein drittes Mal beim Vagabundieren gefasst wurde. Allein unter Heinrich VIII. sollen 72.000 Vagabund:innen hingerichtet worden sein. Der entscheidende Punkt dieser Maßnahmen bestand darin, sämtliche Formen alternativer Einkommen zu kriminalisieren und damit die Besitzlosen faktisch zur Lohnarbeit zu zwingen, oft sogar in Form direkter Zwangsarbeit (Arbeitshäuser) und zu extrem geringen Löhnen, was umgekehrt die Profite der entstehenden Manufakturbesitzer:innen massiv steigerte.

c) Die Herausbildung der Kapitalist:innenklasse und kapitalistischen Pächter:innen

Die Enteignung des Landes und die Durchsetzung des Zwangs zur Lohnarbeit bildet die Grundlage für die Entstehung des/r industriellen Kapitalist:in und des/r kapitalistischen Pächter:in (Agrarkapitalist:innen). Das Handelskapital hatte sich historisch früher entwickelt. Damit die kapitalistische Produktionsweise jedoch zur vorherrschenden werden konnte, musste es die Schranken feudaler Bindung an Grund und Boden sowie Zunftwesen plus das Eigentum kleiner Landbesitzer:innen zerstören. Der Kolonialismus, die Plünderung der Amerikas, Sklav:innenhandel, Ausweitung der Staatsschuld sowie die Entstehung eines internationalen Kreditsystems schafften dabei mächtige Hebel zur Akkumulation des industriellen Kapitals, weil so viel gewaltigere Kapitalmassen (und damit Produktionsmittel und Arbeitskraft) mobilisiert werden konnten, als dies ohne diese Katalysatoren möglich gewesen wäre.

d) Kommodifizierung und Herstellung des innern Markts für das industrielle Kapital

Schon die Krise des Feudalismus und erst recht die Vertreibung der Landbevölkerung führen zu einer zunehmenden Kommodifizierung der Reproduktion. Ein wichtiges Beispiel stellt dabei der Übergang von der Natural- zur Geldrente im Feudalsystem dar. Noch viel umfassender ist dieser Prozess natürlich bei der Expropriation der kleinen Bauern/Bäuerinnen. Sie müssen nun ihre Lebensmittel und ihren Wohnraum als Waren kaufen. Das zwingt sie nicht nur zur Lohnarbeit, sondern es erzeugt zugleich auch den inneren Markt für das Kapital, indem ganze Produktionszweige (Produktion von Konsumgütern, Einzelhandel) ausgedehnt werden.

Aus all dem ergibt sich die historische Bedeutung der ursprünglichen Akkumulation als Geburtshelferin des Kapitalismus. Die Gewalttätigkeit und Brutalität des Prozesses beruht gerade darauf, dass die Produktionsweise sich erst als vorherrschendes gesellschaftliches Verhältnis durchsetzt. Sie ist wesentlich eine Durchsetzungsgeschichte des Wertgesetzes. Hat sie sich einmal als solche etabliert, finden zwar im Weltmaßstab weiter ähnliche Prozesse statt – doch vor einem grundlegend anderen Hintergrund, nämlich einer längst etablierten Herrschaft des großen Kapitals. Die Gewalt, mit der die Besitzlosen noch zur Lohnarbeit gezwungen werden mussten, ist weitgehend der stummen Macht der Verhältnisse gewichen.

Die Unterschiede zwischen Marx und Federici

Da wir nun ein grobes Verständnis der ursprünglichen Akkumulation bei Marx erlangt haben, können wir nun auf Federicis Thesen eingehen. Wichtig zu verstehen ist, dass ihre Interpretation der Geschichte keine reine, positive Ergänzung der ursprünglichen Akkumulation darstellt. Vielmehr widerspricht sie in fundamentalen Punkten Marx’ Ansichten, die sich vor allem in ihren Vorschlägen im Kampf gegen den Kapitalismus zeigen – und somit auch gegen die Frauenunterdrückung. Dazu aber später mehr.

Sie hat zwar Recht, dass im 24. Kapitel des ersten Bandes bezüglich der ursprünglichen Akkumulation selten explizit auf die Rolle der Frau eingegangen wird. Schon für den gesamten Band von „Das Kapital“ trifft das nicht wirklich zu. Marx und Engels entwickeln zwar nirgendwo eine ausführliche werttheoretische Untersuchung der Reproduktionsarbeit im Kapitalismus. Aber schon die Darlegungen im 24. Kapitel machen deutlich, dass sich die Arbeitsteilung und die Stellung der Frauen grundlegend ändern, weil die Arbeiter:innenfamilie auf die Lohnarbeit angewiesen ist, um überhaupt existieren zu können. Dass die Reproduktion im Haushalt zu einem untergeordneten Moment wird, das von der kapitalistischen Akkumulation und Mehrwertproduktion bestimmt wird, hat nichts mit „Wertschätzung“ zu tun, sondern entspricht einem Ausbeutungssystem, da auf der Aneignung von Mehrarbeit durch das Kapital beruht.

Gleichzeitig offenbart Federici mit ihrem bereits oben zitierten Standpunkt, dass „die ursprüngliche Akkumulation vom Standpunkt des männlichen Proletariats und der Entwicklung der Warenproduktion“ aus betrachtet wird, ihr eigenes Fehlverständnis von Marx. Wie deutlich geworden ist, führt die ursprüngliche Akkumulation die Entstehung einer Produktionsweise mit sich und wird aus Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen hergeleitet, nicht aus den Standpunkten oder Sichtweisen der männlichen oder weiblichen Arbeiter:innen. Dies ist jedoch nicht der wichtigste Punkt.

Zentraler ist vielmehr, dass die ursprüngliche Akkumulation und damit auch die Entstehung des Kapitalismus selbst für Federici nicht aus der Krise der Feudalgesellschaft und der Entstehung einer neuen Produktionsweise verstanden werden, sondern vor allem als Antwort auf die sich erhebenden Bauern und Bäuerinnen, die für ihre Befreiung kämpften.

a) Der Kapitalismus stellt gegenüber vorherigen Produktionsweisen keinen Fortschritt dar

Federici vertritt letztlich einen anderen Kapitalismusbegriff als Marx. Für letzteren steht die Vermehrung von Kapital durch die Aneignung von Mehrwert im Zentrum. Dieser kann nur im industriellen Produktionsprozess geschaffen werden (Aneignung durch Plünderung ist ein untergeordneter Prozess). Für Federici hingegen sind die Formen des Kapitals relativ, daher kann die neue Produktionsweise bei ihr schon mit der Dominanz des Handelskapitals die Oberhand gewinnen. Die Schaffung einer universellen Produktionsweise, die die Kleinteiligkeit vorhergehender Formationen überwindet und den Weltmarkt überhaupt erst schafft, stellt für Marx und Engels einen historischen Fortschritt dar – trotz des von ihnen geschilderten, notwendigerweise extrem brutalen und gewalttätigen Prozesses der Herausbildung der Arbeiter:innenklasse und der kolonialen Ausbeutung.

Der Kern des geschichtlichen Fortschritts besteht für Marx nämlich nicht in der Schaffung einer kapitalistischen Ökonomie und der bürgerlichen Gesellschaft als solcher, sondern darin, dass dies eine notwendige Voraussetzung für eine zukünftige universelle Entwicklung der Menschen bildet. Die Frage der Expansion des Kapitalverhältnisses und des Weltmarkts inkludiert daher auch in einem anderen Sinn ein grundlegend historisches Moment. Sobald es sich gemäß seiner eigenen technischen Grundlage – der großen Industrie – durchgesetzt hat und der Weltmarkt etabliert ist, hört die Bourgeoisie auf, eine fortschrittliche Klasse zu sein. Die Welt ist unter die großen Kapitale und Mächte aufgeteilt, die ihrerseits auch den Eintritt und die Form der Weltmarktintegration der sog. Dritten Welt bestimmen.

Federici hingegen widerspricht dem klar und stellt die These auf, dass die Entwicklung des Kapitalismus verhindert hätte werden können. Die bürgerliche Revolution war kein, wenn auch widersprüchlicher geschichtlicher Fortschritt, sondern wesentlich eine Konterrevolution. So schreibt sie „Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus dem antifeudalen Kampf hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte: Möglichkeiten, die uns, wenn sie verwirklicht worden wären, jene ungeheure Vernichtung menschlichen Lebens und der natürlichen Umwelt erspart hätten, die den Vormarsch kapitalistischer Verhältnisse auf der ganzen Welt gekennzeichnet hat. Das muss auf jeden Fall betont werden, denn der Glaube, der Kapitalismus habe sich aus dem Feudalismus ‚entwickelt’ und stelle eine höhere Form gesellschaftlichen Lebens da, hält sich noch immer.“ (S. 30)

Dies geht mit einer starken Romantisierung des Mittelalters einher. „Die ‚Allmende’ stellt sich als Vorschein einer Welt dar, in der Güter geteilt werden und gesellschaftliche Beziehungen von der Solidarität zehren, nicht von dem Wunsch nach selbstsüchtiger Erweiterung.“ (S. 33) Zwar gibt sie im Nachsatz zu: „Die Gemeinschaft der mittelalterlichen Leibeigenen 4 hinter diese Ziele zurück und sollte nicht als Beispiel des Kommunalismus idealisiert werden.“ (ebda.) Allerdings fehlt die entscheidende Kritik daran. Die Subsistenzwirtschaft mag zwar auf den ersten Blick – insbesondere verglichen mit der kapitalistischen Produktionsweise – etwas Friedliches, gar Fortschrittliches repräsentieren. Global betrachtet ist dies allerdings nicht der Fall. Zum einen bindet die Subsistenzwirtschaft enorm viel Zeit, die – je nach Gesellschaftsformation – anderweitig genutzt werden könnte. Ist man jedoch tagein, tagaus damit beschäftigt, sich bzw. die eigene Kommune selber zu versorgen, wird ein Hauptteil der Arbeitszeit darauf verwendet.

Des Weiteren bietet sie keine Möglichkeit, auf Schwankungen im Bedarf schnell zu reagieren. Der Kapitalismus hingegen war die erste Produktionsweise, in der die technische Basis der Produktion ständig umgewälzt wird. Er geht mit einer welthistorischen Steigerung der Produktivkräfte einher, auf deren Grundlage erstmals die Möglichkeit für die volle Entfaltung aller Individuen materiell überhaupt möglich wird.

Solange jedoch nicht so viel produziert werden kann, dass nicht nur für alle genug vorhanden ist, sondern auch noch ein Überschuss von Produkten zur Vermehrung des gesellschaftlichen Investitionsfonds und zur weiteren Ausbildung der Produktivkräfte bleibt, muss es immer eine herrschende, über die Produktivkräfte der Gesellschaft verfügende und eine arme, unterdrückte Klasse geben.

Kurzum: Die Entwicklung hin zum Kapitalismus war mit unfassbar viel Gewalt verbunden, die bis heute anhält. Wenn wir jedoch davon sprechen, welche Gesellschaftsformation, international betrachtet, eine Versorgung der gesamten Bevölkerung ermöglicht, so schafft er die Basis dafür – ist jedoch unfähig, diese umzusetzen. Große Monopole produzieren im Überfluss auf anarchische Weise vorbei an den Bedürfnissen der Menschheit, ohne Rücksicht auf die Umwelt – allerdings nur, solange sie im Interesse der Kapitalist:innen produzieren. Unter zuerst Kontrolle und dann Enteignung durch die Arbeiter:innenklasse, frei von der Konkurrenz der Profite, sind diese Monopole zentralisierte Produktionsinstrumente, die dazu eingesetzt werden können, zeitsparend und effektiv Massen an Menschen zu versorgen. Sie legen somit auch die Grundlage dafür, dass die Arbeitszeit, die notwendig bleibt, um das eigene Leben zu erhalten, gesamtgesellschaftlich gesenkt und international nach den Bedürfnissen der Menschheit produziert wird.

b) Klassenbegriff

Neben der Romantisierung des Mittelalters ist auffällig, dass Federici keinen wirklichen marxistischen Klassenbegriff vertritt. Bauern und Bäuerinnen sind für sie Proletariat, den Feudalherren unterscheidet nicht viel vom Kapitalisten. Die Kapitalist:innen stellen für sie im Grunde keine neue gesellschaftliche Klasse dar, sondern nur die Geistlichen, Adeligen und städtischen Kaufleute und Patrizier:innen, die sich neuer Techniken der Herrschaft bedienen, weil sie mit den tradierten Formen der Ausbeutung die Bauern/Bäuerinnen nicht mehr niederhalten können.

Es scheint eher so, dass es für sie in populistischer Art Einteilung in Ausbeuter:innen und Unterdrückte gibt, die überhistorisch existieren und sich auch nicht groß unterscheiden. So formen letztlich die Kapitalist:innen keine wirklich neue Klasse und die bürgerliche Revolution sowie die Veränderung der Produktionsweise bilden keinen wirklichen Fortschritt. Das ist jedoch ein fataler Fehler. Widmen wir uns zuerst der Frage, warum es wichtig ist, genauere Unterteilungen zwischen den Formen der Unterdrückung anzustellen, oder anders gesagt, Bauern/Bäuerinnen und Lohnarbeiter:innen nicht das Gleiche sind.

Kurz könnte man wie Engels in „Grundsätze des Kommunismus“ (http://www.mlwerke.de/me/me04/me04_361.htm) sagen, dass die arbeitenden Klassen auf verschiedenen Entwicklungsstufen der Gesellschaft in unterschiedlichen Verhältnissen gelebt und verschiedene Stellungen zu den besitzenden und herrschenden Klassen eingenommen haben. So gab es beispielsweise in der Antike Sklav:innen sowie deren Besitzer. Deren Verhältnis war davon gekennzeichnet, dass der/die Sklav:in das Eigentum des Besitzers ist. So elendig dieses Schicksal ist, bringt es jedoch auch einige Unterschiede zum Proletariat mit sich. Der/die Sklav:in gilt für eine Sache, nicht als Mitglied der Gesellschaft. Dadurch, dass er/sie „Sache“ des Besitzers ist, ist seine Existenz gesichert.

Der/die Proletarier:in hingegen tritt als „freies“ Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft auf und muss seine/ihre Arbeitskraft eigenständig verkaufen, wenn er/sie überleben möchte. Seine/Ihre Existenz ist also im direkten Vergleich ungesicherter. Ähnliches gilt für die Leibeigenen, die im Mittelalter arbeitende Klasse, gegenüber dem grundbesitzenden Adel. Leibeigene erhielten Inventar und ein Stück Boden gegen Abgabe eines Teils des Ertrages oder Leistung von Fronarbeit oder beides. Der/Die Proletarier:in arbeitet mit Produktionsinstrumenten eines/r anderen für dessen/deren Rechnung gegen Empfang eines Teils des Ertrages (Lohn). Der/Die Leibeigene gibt ab, dem/r Proletarier:in wird abgegeben. Erstere/r führt eine gesicherte Existenz, letztere/r nicht. Der/Die Leibeigene steht außerhalb der Konkurrenz, der/die Proletarier:in in ihr.

Zentral ist jedoch die Frage nach der Aufhebung der Konkurrenz untereinander. Sklav:innen und Leibeigene waren größtenteils frei davon. Ihr Weg, um ihrer Ausbeutung ein Ende zu bereiten, bestand darin, beispielsweise in die Städte zu fliehen und dort Handwerker:in zu werden oder statt Arbeit und Produkten Geld an den Gutsherrn zu entrichten und freie/r Pächter:in zu werden. Alternativ hätten Hörige/Leibeigene auch den Feudalherrn verjagen und selbst Eigentümer:in werden können. Auf die oder andere Weise treten sie somit in die besitzende Klasse und in die Konkurrenz ein. Das Proletariat hingegen befreit sich, indem es die Konkurrenz, das Privateigentum und alle Klassenunterschiede aufhebt. Das ist keine belanglose Kleinigkeit, sondern zeigt auf, dass die vorangegangenen arbeitenden Klassen über die Möglichkeit zum Aus- und Aufstieg verfügten – aber nicht über Interesse und materielle Grundlage, das System der Ausbeutung insgesamt abzuschaffen.

c) Der Kapitalismus wäre aufzuhalten gewesen

So legt der Kapitalismus als Gesellschaftsform ironischer Weise die Grundlage zur Befreiung der (lohn)arbeitenden Klasse und aller anderen Werktätigen selbst – etwas, das vorher nicht möglich gewesen ist. Das sind nur ein paar Gründe, warum Federicis These, dass der Kapitalismus eigentlich für eine Weiterentwicklung nicht notwendig sei, fehlerhaft ist. Deutlicher wird es aber erneut, wenn wir ihre Ansicht überprüfen, dass diese Entwicklung gar hätte verändert werden können.

Für sie war die Feudalwirtschaft zwar zum Untergang verurteilt, aber es hätte sich ebenso gut keine kapitalistische Gesellschaft aus ihr „entwickeln“ müssen. So schreibt sie: „Die Entwicklung des Kapitalismus war nicht die einzige mögliche Reaktion auf die Krise der Feudalmacht. In ganz Europa hatten riesige kommunistische Sozialbewegungen das Versprechen in einer neuen, egalitären, auf sozialer Gleichheit und Kooperation beruhen Gesellschaft geboten.“ (S. 80) Sie bezieht sich dabei unter anderem auf den deutschen Bauernkrieg.

Der Widerstand der Bauern/Bäuerinnen scheiterte ihrer Auffassung nach am Bündnis zwischen Bürger:innentum und Adel. Engels hingegen führt in seinem Werk „Der deutsche Bauernkrieg“ (MEW 7, Berlin/Ost 1964, S. 327 – 413) aus, dass dies nicht der einzige Grund war. Die lokale Zersplitterung erschwerte jede gemeinsame Übereinkunft. Auch die unterschiedliche Stärke der Ausbeutung aufgrund der unterschiedlichen Vorgehensweise der Herren verkomplizierte dauerhafte, gemeinsame Aktionen. Eine weitere Schwäche war die Entwöhnung vom Gebrauch der Waffen in vielen Gegenden. Vor allem waren, laut Engels, die Bauern/Bäuerinnen allein nicht imstande, eine Revolution zu machen, solange ihnen die organisierte Macht der Fürsten, des Adels und der Städte verbünde und geschlossen entgegenstand. Nur durch eine Allianz mit anderen Ständen konnten sie eine Siegchance bekommen. Aber wie sollten sie sich mit anderen Ständen verbinden, da sie von allen gleichmäßig ausgebeutet wurden?

Federici hingegen beschäftigt sich nicht wirklich im Detail mit dem deutschen Bauernkrieg. Vielmehr wirft sie unterschiedliche Proteste zusammen und führt Verallgemeinerungen an wie „Wann immer die Bauern rebellierten, standen ihnen die Handwerkerinnen und Tagelöhner zur Seite, und die wachsende Masse der städtischen Armen ebenso.“ (Seite 56) Es mag stimmen, dass die passiert ist – jedoch bildet es nicht die ganze Realität ab. Ebenso stimmt es, dass immer wieder fortschrittliche Fraktionen in den Bauern-/Bäuerinnenkriegen existierten, die Freiheit und gleiche Behandlung für alle Menschen forderten.

Engels bezieht sich beispielsweise positiv auf Thomas Münzer. An ihm zeigt sich aber gerade das Dilemma eines der fortschrittlichsten und hervorragenden Anführer des Aufstandes, der selbst aus dem entstehenden Bürger:innentum stammte und sich auf den radikaleren Flügel des städtischen Kleinbürger:innentums, die plebejischen Schichten und die Bauern-/Bäuerinnenschaft stützte. Wie Engels zeigt, enthielt das Programm von Münzer Elemente, die nicht nur den unmittelbaren Interessen seiner Basis entsprechen, sondern viele darüber hinausgehende radikale, egalitäre Zielsetzungen.

Sein Problem bestand jedoch gerade darin, dass er seiner Zeit voraus war, die Vision einer Gesellschaft predigte, deren materielle Bedingungen noch nicht existierten. Nach der kurzzeitigen Machtergreifung in Süddeutschland (Mühlhausen) stieß er selbst an die Grenzen der Unreife der gesellschaftlichen Verhältnisse: „Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert.“ (Engels, a. a. O., S. 400; http://www.mlwerke.de/me/me07/me07_400.htm)

Münzer musste zu unhaltbaren Kompromissen und Zugeständnissen Zuflucht nehmen. Seine Herrschaft war notwendig von kurzer Dauer, weil seine Basis selbst, wenn auch auf widersprüchliche Weise, dem Privateigentum verhaftet war und es allenfalls erste Ansätze einer proletarischen Klasse gab. Engels zeigt darüber hinaus, dass die Bauern-/Bäuerinnenschaft zwar enorme Kampfkraft und Mut entfalten kann, jedoch aufgrund ihrer widersprüchlichen gesellschaftlichen Stellung nicht nur Allianzen mit anderen Klassen braucht, sondern der politischen Führung durch eine der Hauptklassen der Gesellschaft bedarf.

Es ist daher historisch und theoretisch falsch, die Geschichte so darzustellen, dass alle Aufständischen eine einheitliche Position bezogen und die Bauern-/Bäuerinnenschaft selbst eine konsistente, revolutionäre Ideologie und Führung hervorgebracht hätte. Im Gegenteil, wie Engels und andere Marxist:innen gerade anhand einer Analyse der verschiedenen Klassen in den Bauernkriegen zeigen, war sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Klassenlage dazu nicht fähig.

Engels bekräftigt dies noch einmal im Vorwort zum Bauernkrieg, wo er erstens zeigt, dass „die“ Bauern-/Bäuerinnenschaft überhaupt keine einheitliche Klasse bildet. Ihre oberen Schichten zählt er zur ländlichen Bourgeoisie. Die ökonomische Unabhängigkeit ist für die unteren Schichten zwar schon im späten 19. Jahrhundert eine Fiktion. Umso hartnäckiger hängen sie an ihrem Kleineigentum an Produktionsmitteln. Diese Stellung macht sie zwar zu möglichen Bundesgenoss:innen der Arbeiter:innenklasse, aber zugleich auch unfähig, selbstständig eine konsequent antikapitalistische Position zu entwickeln. (Vorbemerkung [zum Zweiten Abdruck (1870) „Der deutsche Bauernkrieg“]; in: MEW 16, Berlin/Ost 1962, S. 399; http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_393.htm)

Eine solche materialistische Charakterisierung und damit ihres Verständnisses von Arbeiter:innenklasse findet sich bei Federici nicht, ja kann sich nicht finden. Für sie gehören Bauern/Bäuerinnen, Lohnarbeiter:innen und die Masse der Frauen nämlich alle einer Klasse an.

Die Rolle der Hexenverbrennungen

Dies gilt auch für eine ihrer Hauptthesen, dass die Hexenverbrennung eine zentrale Rolle im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation gespielt hat. Sie gilt ihr dabei als ein Mittel zur Disziplinierung des weiblichen Körpers und wäre in Europa im Interesse des Staates zu dem Zweck durchsetzt worden, um die Geburtenrate zu steigern, die Lohnkosten zu senken und die Rolle der Frau als Mutter zu verfestigen.

Historisch betrachtet ist diese Konstruktion, wie unter anderem der Historiker und Marxist Fabian Lehr in seinem YouTube-Video bezüglich Caliban und die Hexe zeigt, überaus fragwürdig. Wir wollen dabei auf einige Punkte verweisen. Er führt zuerst aus, dass es erstmal Probleme in der zeitlichen Darstellung gibt. Federici erklärt den Drang zur Steigerung der Geburtenraten damit, dass es im 16. und 17. Jahrhundert einen bedenklichen Bevölkerungsrückgang gegeben hätte. Die Hexenverfolgungen beginnen jedoch im 15. Jahrhundert und erreichen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhebliche Ausmaße. In dieser Zeit hat es jedoch im Großteil Europas eher das Problem eines zu großen Bevölkerungswachstums gegeben mit der Folge einer starken Zunahme an Land- und Besitzlosen.

Diese mussten umherziehen, wirkten aber im frühneuzeitlichen Europa destabilisierend. So beginnen dann ab dem späten 15. Jahrhundert massive Einschüchterungen und disziplinarische Maßnahmen, um das Problem einzudämmen. Dies führt sie zwar an, erkennt aber nicht, dass dies ihrer These widerspricht, da zu Beginn der Hexenverfolgung gar kein Interesse der europäischen Staaten an der Erhöhung der Geburtenrate bestand. Vielmehr wurde versucht, die kaum zu unterhaltenden Unterschichten in die neuen Kolonien auszulagern.

Darüber hinaus führt er an, dass die Hexenverbrennungen gar nicht flächendeckend innerhalb Europas und eher in zeitlich verschiedenen Episoden stattfanden. So sollen oftmals innerhalb einer Region nur einige Monate bis wenige Jahre große Hexenverfolgungen stattgefunden haben mit längeren Pausen, bis eine neue Prozesswelle startete. Somit waren sie nirgends eine dauerhafte, gleichmäßig intensive Erscheinung, sondern traten eher in wiederholten Schüben auf – mit einer Opferzahl von einigen Zehntausenden und nicht mit mehr, wie Federici andeutet. Größere Hexenverfolgungen gab es nur in einigen Regionen. Spielten sie eine so zentrale Rolle, müsste es also größere ökonomische, soziale sowie demographische Unterschiede zwischen Regionen mit und ohne Hexenprozesse gegeben haben. Dies spart Federici aus, obwohl es, wie Lehr festhält, die naheliegendste und empirische Prüfung auf ihre Theorie wäre. Die Hexenverbrennungen somit als zentralen, für die ursprüngliche Akkumulation absolut notwendigen Schritt zu betrachten, macht nur wenig Sinn, während die oben bereits aufgeführten Merkmale wie die Einhegung von Land flächendeckend auftraten.

Auch Federicis Konstruktion, die Hexenverfolgung vor allem als Ausdruck des Kampfes gegen die aufständische Bauern-/Bäuerinnenschaft und gegen aufbegehrende plebejische Schichten zu betrachten, ist fragwürdig. Es ist daher auch kein Zufall, dass sie Vorkommnisse herunterspielt, wo die Hexenverfolgung – durchaus ähnlich wie Judenpogrome – Ausdruck irrationaler, reaktionärer, von unteren Schichten des Klerus, des Adels oder auch des Kleinbürger:innentums geschürter öffentlicher Exzesse waren. Eine Analyse dieser irrationalistischen, reaktionären Entwicklungen fehlt bei ihr weitgehend.

Trotzdem wollen wir Federicis These bezüglich der Disziplinierung des weiblichen Körpers damit noch nicht völlig verwerfen, sondern im Folgenden näher betrachten.

Die Disziplinierung des weiblichen Körpers

Diese sei zentral für die Entwicklung der ursprünglichen Akkumulation gewesen. Wie wir bereits festgehalten haben, hat die Hexenverbrennung damit jedoch wenig zu tun. Das ist aber nicht der einzige Mechanismus, auf den Federici sich stützt. Festzuhalten ist vor allem, dass für sie der weibliche Körper selber zum Produktionsmittel wird. Damit greift sie, wie sie in ihrem Vorwort schreibt, auch die Idee von Mariarosa Dalla Costa sowie Selma James auf. „Gegen die marxistische Orthodoxie, die die ‚Unterdrückung’ der Frauen und ihre Unterordnung unter die Männer als Residuum feudaler Verhältnisse erklärte, vertraten Dalla Costa und James die Position, die Ausbeutung der Frauen habe im Prozess kapitalistischer Akkumulation insofern eine zentrale Rolle gespielt, als Frauen die Produzentinnen und Reproduzentinnen der grundlegenden kapitalistischen Ware gewesen sind: der Arbeitskraft.“ (S. 8)

Dass die spezifische Form, die die Frauenunterdrückung im Kapitalismus annimmt, bloß ein Rückstand feudaler Verhältnisse sei, ist ein theoretischer Pappkamerad, der „der marxistischen Orthodoxie“ in die Schuhe geschoben wird. Sowohl Engels’ Arbeiten (beispielsweise „Der Ursprung der Familie … “), vor allem aber die Anknüpfungspunkte, die Marx im Kapital für eine werttheoretische Analyse der Reproduktionsarbeit liefert, belegen das Gegenteil. Sie zeigen deutlich auf, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung und der Ursprung der Frauenunterdrückung deutlich früher beginnen  – mit Anfang der Entstehung der ersten Klassengesellschaften. In etlichen Teilen mag eine umfassende, zusammenhängende Darstellung ausstehen. Andererseits haben beispielsweise Autorinnen wie Lise Vogel wertvolle Arbeit zu einer solchen geliefert. Sie kommen allerdings zu grundlegend anderen Schlussfolgerungen als Federici (siehe: Aventina Holzer, Social Reproduction Theory: moderner Marxismus oder feministische Sackgasse? In: REVOLUTIONÄRER MARXISMUS 53, Berlin 2020, S. 295 – 308).

Körper als Produktionsmittel?

Wesentlich ist jedoch, dass für Federici vor allem der weibliche Körper ein Produktionsmittel geworden sei. Um dies zu zeigen, knüpft sie an verschiedenen Autor:innen an, die darauf verwiesen, dass die bürgerliche Gesellschaft eine vollkommen neue Art von Individuum hervorbringt. Max Weber zufolge bilde die Neugestaltung des Körpers den Kern der kapitalistischen Ethik, weil der Kapitalismus den Erwerb zum Selbstzweck mache, anstatt ihn als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung zu behandeln. Daraus folgt, dass die protestantische, kapitalistische Ethik, die Entsagung des spontanen Lebensgenusses zur moralischen Handlungsmaxime werden muss.

Federici verweist hier auch zu Recht darauf, dass mit der kapitalistischen Produktionsweise die Selbstentfremdung der Lohnabhängigen auf die Spitze getrieben wird: „So wird der Arbeitsprozess zum Terrain der Selbstentfremdung. ( … ) Auch das bewirkt eine gewisse Loslösung vom eigenen Körper, der verdinglicht und auf einen Gegenstand reduziert wird, mit dem sich die Person nicht mehr unmittelbar identifiziert.“ (S. 170)

Diese Selbstentfremdung kennzeichnet den kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozess und wird im Fabriksystem systematisch angewandt, wie Marx im „Kapital“ zeigt. Die Arbeitenden werden Anhängsel des Maschinensystems, dem Kapital nicht nur formell, sondern reell subsumiert.

Diese sich verändernde Produktionsweise brachte auch eine andere Organisation der Reproduktion mit sich, auf die wir weiter unten noch näher eingehen werden. Natürlich erfolgte auch dies wie die Durchsetzung des Kapitalismus selbst alles andere als gewaltfrei. So weit ist Federici sicher zuzustimmen.

Schließlich prägt der entfremdete Arbeitsprozess nicht nur den betrieblichen Alltag, sondern auch die Verhältnisse außerhalb desselben sowie die Denkweisen und Ideologien der Gesellschaftsmitglieder. Der zugerichtete, zerstückelte, auf einige Handgriffe oder Prozesse reduzierte, dem Verwertungsprozess untergeordnete erscheint als der „natürliche Mensch“. Auch die Körperideale von Frauen werden darauf reduziert. Allerdings ist der Körper im kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozess selbst kein Produktionsmittel, sondern Träger des menschlichen Arbeitsvermögens. Als solcher ist er für den Produktionsprozesse unerlässlich, schafft er Mehrwert fürs Kapital.

Damit diese Prozesse verstetigt werden können, muss dieser Körper, muss das menschliche Arbeitsvermögen beständig außerhalb der Produktionssphäre reproduziert werden. Dies geschieht im proletarischen Haushalt, welche Form dieser auch immer annehmen mag (Familie, alleinstehend … ). In diesem muss darüber hinaus nicht nur die eigene Arbeitskraft, sondern auch die nächste Generation der Klasse aufgezogen und reproduziert werden.

Der Wert der Arbeitskraft umfasst daher die Reproduktionskosten der gesamten Klasse – wobei die einzelnen Kapitale diese ständig versuchen, unter ihren Wert zu drücken.

Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb der Arbeiter:innenklasse, die im Grunde von vorhergehenden Gesellschaften übernommen wurde, führt dazu, dass im „klassischen“ Familienmodell der Mann als Hauptverdiener, die Frau als Hausfrau gilt (auch wenn selbst dieses Modell historisch gesehen der herrschenden Klasse abgerungen werden musste).

Entscheidend für uns ist aber Folgendes. Auch in der privaten Haus- und bei der Care-Arbeit fungiert der weibliche Körper in der Regel nicht als Arbeitsmittel. Auch dort ist er vor allem Träger des Arbeitsvermögens. D. h. die arbeitende Person kocht, putzt, betreut Kinder oder Alte. Sie verändert wie jede Arbeit einen Gegenstand. Die einzige wichtige Ausnahme stellt hier die Geburt von Kindern dar. Hier ist der weibliche Körper als solcher selbst für die Reproduktion der Gattung unerlässlich.

Zweifellos bildet dieser reale Unterschied der Geschlechter eine wichtige Grundlage für die Ideologisierung, Rechtfertigung und Reproduktion einer reaktionären, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und ebensolcher Geschlechterrollen. Dass die Arbeit der Frau im Haushalt als gleichsam natürliche „Körpertätigkeit“ erscheint, ist jedoch selbst eine Ideologisierung, der Federici aufsitzt. Ein entscheidender Fehler ihrer gesamten Analyse besteht darin, dass sie im Grunde jegliche Tätigkeit im Haus als analoge Form zur Geburt betrachtet.

Dies geht in Caliban und die Hexe auch mit einer Romantisierung vorindustrieller, vorkapitalistischer Familienformen einher. Deutlich wird dies, wenn sie über die  Allmende schreibt: „Darüber hinaus war die Arbeit auf den Höfen der Leibeigenen an der Subsistenz ausgerichtet, so dass die geschlechtliche Arbeitsteilung dort weniger ausgeprägt und weniger diskriminierend war als auf den kapitalistischen Höfen“ (S. 34), und folgt mit: „Wenn wir darüber hinaus auch zur Kenntnis nehmen, dass kollektive Beziehungen in der mittelalterlichen Gesellschaft gegenüber Familienbeziehungen vorrangig waren und dass die von den weiblichen Leibeigenen übernommenen Aufgaben (Waschen, Spinnen, Ernten, das Hüten der Tiere auf der Allmende) gemeinsam mit anderen Frauen erledigt wurden, dann erkennen wir, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung weit davon entfernt war, die Frauen zu isolieren. Sie war ihnen vielmehr eine Quelle von Macht und Schutz. Die geschlechtliche Arbeitsteilung war Grundlage einer ausgeprägten weiblichen Gesellschaft und Solidarität, die es den Frauen erlaubte, sich gegen die Männer zu behaupten, obwohl die Kirche die Unterordnung der Frauen predigte und das Kirchenrecht es dem Mann erlaubte, seine Frau zu schlagen.“ (S. 35)

Das Problem besteht in der Bewertung der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Es wird ein einfacher Gegensatz konstruiert, der isoliert betrachtet sinnvoll erscheinen mag, aber weder mit den historischen Tatsachen übereinstimmt noch etwas über den Gesamtverlauf der Geschichte aussagt. Gleichzeitig wird die geschlechtliche Arbeitsteilung in ihrer Bedeutung für die weibliche Unterdrückung eigentlich relativiert. Der Ausschluss der Frauen aus Teilen der Produktion ist in keiner Epoche der Menschheitsgeschichte als etwas Positives zu bewerten, als „Quelle von Macht und Schutz“. Denn es ist eben jene Arbeitsteilung, die Frauen an der Selbstständigkeit hindert.

Sie prägt viel mehr den Kern der Frauenunterdrückung als die bloße Fähigkeit, Kinder zu gebären. Vielmehr scheint es in ihrer Erzählung so, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung erst im Rahmen der ursprünglichen Akkumulation zum wirklich großen Problem für Frauen wurde und vorher eigentlich eine recht positive Lage existierte, da es keine klare Trennung zwischen Produktion und Reproduktion gab.

Mit Beginn des Kapitalismus und der Entstehung des Proletariats hörte der Haushalt auf, die grundlegende Produktionseinheit zu sein. Statt in der Familie selber zu produzieren, musste die eigene Arbeitskraft an Kapitalist:Innen für einen bestimmten Zeitraum vermietet werden. Die Einbeziehung der Frauen in die Lohnarbeit stellt zwar einen wichtigen Fortschritt dar, aber einen, der im Rahmen des Kapitalismus immer mit einer doppelten Last – Ausbeutung in der Lohnarbeit und ihrer unentgeltlichen Plackerei im Haushalt – einhergeht. Daher stellt auch die Vergesellschaftung der Hausarbeit eine zentrale Forderung im Kampf gegen ihre Unterdrückung dar, der untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Federici hingegen vertritt eine andere Perspektive. Statt Vergesellschaftung geht es um eine Rückkehr zu einer längst überholten Form, der Allmende. Dem entspricht, dass die Frauenunterdrückung letztlich nicht als mit der Klassenherrschaft verwobene Form begriffen wird, sondern eigentlich als neben der kapitalistischen Lohnarbeit existierendes Ausbeutungsverhältnis.

Federici vertritt bei allen Verdiensten wie der Hervorhebung der  vergangenen Kämpfe von Frauen, sowie der Zurichtungen und Zumutungen von ihnen und Unterdrückten objektiv eine reaktionäre Vorstellung von der Lösung dieser Probleme. Sie hängt der Utopie an, dass Häretiker:innen, Kleineigentümer:innen an den Produktionsmitteln, Bauern-/Bäuerinnengemeinden eine befreite Gesellschaft und fortschrittliche Alternative zum Kapitalismus nicht nur in der Vergangenheit hätten schaffen können, sondern die Rückkehr zu einer „modernisierten“ Variante der Allmende, die Commons, die Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme und Überwindung der Klassen- wie Frauenunterdrückung leisten könne. Dies ist eine Utopie. Auch wenn Federici immer wieder den Frauenkampf als Klassenkampf und die Frauen als Proletarierinnen darstellt, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei ihr die Arbeiter:innen in einer Allianz mit den kleinbürgerlichen Klassen untergehen, das historisch Spezifische des proletarischen Befreiungskampfes letztlich verlorengeht. Ihre historische Analyse stellt daher letztlich keine Erweiterung oder Korrektur, sondern eine kleinbürgerlich-populistische Abkehr vom Marxismus dar.




EMMA auf die Müllhalde der Geschichte: Solidarität mit trans Frauen!

Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1176, 24. Januar 2022

Auf dem Ticket der Grünen sind Nyke Slawik aus Nordrhein-Westfalen und Tessa Ganserer aus Bayern in den neuen Bundestag eingezogen. Somit sind das erste Mal in seiner Geschichte zwei (bekannte) trans Frauen Abgeordnete des deutschen Bundestages. Für viele aus der queeren Community war das ein Grund zur Freude und insgesamt sollte es kein Grund zur Aufregung sein, sollte man meinen. Gäbe es da nicht die bürgerlichen Feministinnen der EMMA.

Hetze gegen trans Frauen

In ihrem Artikel „Ganserer: Die Quotenfrau“ vom 19. Januar macht die EMMA mehr als deutlich, was sie davon hält. Ihrer Ansicht nach ist die Abgeordnete Tessa Ganserer ein Mann, der sich als Frau fühlt. Im Privaten wäre das vielleicht noch möglich, aber so die EMMA:

„Eine politische Dimension bekam diese private Angelegenheit, als Ganserer, zuvor acht Jahre für die Grünen im bayrischen Landtag, im Herbst 2021 für den Bundestag kandidierte: und zwar auf einem Frauenquotenplatz der grünen Liste. Statt einer Frau sitzt also jetzt ein Mensch auf diesem Platz, der körperlich und rechtlich ein Mann ist, sich jedoch als Frau ‚fühlt.’“

Von mehr Zitaten sehen wir an dieser Stelle ab. Es wird allerdings klar ersichtlich, dass für EMMA eine Frau nur Frau sein kann, wenn sie die entsprechenden Organe dazu hat. Zwischendurch wird auch noch Werbung für das neue Buch von Alice Schwarzer gemacht, welches im März rauskommt und sich ganz zufälligerweise mit „Transsexualität“ beschäftigt. Man könnte meinen, dass so eine Öffentlichkeitskampagne gestartet wurde, damit das Buch auch bloß Beachtung bekommt. Danach wird  die Initiative „Geschlecht zählt“ (https://geschlecht-zaehlt.de/) vorgestellt. Diese hat 14 Initiatorinnen, deren Namen und politische Zughörigkeit nach Recherche nicht herauszufinden waren, und laut EMMA zahlreiche UnterstützerInnen. Die Initiatorinnen haben  im November 2021 beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestages Widerspruch gegen die offizielle Anerkennung von Ganserers Mandat eingelegt. Ihr Problem ist, dass die Grünen „innerhalb ihrer Partei einem Mann erlauben, als ‚Frau’ geführt zu werden“. (https://geschlecht-zaehlt.de/wahl-2021-frauen-erheben-einspruch/) Und das, obwohl nach deutschem Recht eine Selbstdefinition des Geschlechts nicht möglich ist. „Bei der Aufstellung von Kandidatinnen und Kandidaten für eine Bundestagswahl widersprechen diese Regel und deren Folgen jedoch dem Demokratieprinzip und dies verstößt gegen die Wahlgrundsätze laut Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz.“ (Ebenda) Kurzum: Die Grünen machen das Selbstbestimmungsgesetz zum Fakt, obwohl doch das alte, erzreaktionäre Transsexuellengesetz (noch) gilt. Letzteres basiert übrigens auf einer medizinisch-diagnostischen Vorstellung von Transsexualität als psychischer Erkrankung.

Am liebsten würde man sagen, dass Alice Schwarzer und die EMMA ihr Verständnis von Geschlecht aus der Steinzeit herüber gerettet haben. Leider stimmt das nicht. Je nachdem, welche Periode der Steinzeit wir betrachten, wurde das sogar dort fortschrittlicher gehandhabt. Aber was steckt hinter der eindimensionalen Auffassung, dass alleinig Geschlechtsorgane bestimmen, was Geschlecht ist? Bevor wir dazu kommen, wollen wir jedoch zuerst einmal klären, aus welchen Faktoren sich Geschlecht zusammensetzt.

Geschlecht ist mehr als die Summe von Körperteilen

Tradierte Geschlechterrollen und geschlechtliche Binarität sind selbst gesellschaftliche, historische Produkte. Es ist keineswegs „natürlich“, dass Frauen oder Männer dieses oder jenes tun oder wir nur in diesen zwei Kategorien denken. Geschlecht ist vielmehr eine multifaktorielle Kategorie, die weder rein biologisch, psychisch oder allein Ausdruck eines sozialen Konstrukts ist, sondern vielmehr ein Verhältnis aus biologischem Geschlecht (sex), Geschlechterrollen (gender) und der eigenen Identität (Geschlechtsidentität) zum Ausdruck bringt, geprägt und bestimmt von der jeweiligen Produktionsweise und Gesellschaftsformation.

Schon allein biologisch gesehen ist die geschlechtliche Binarität ein unzureichendes Konzept. Natürlich gibt es ein männliches und ein weibliches Geschlecht, doch finden wir zwischen diesen Polen, diesen „Reinformen“ viele Variationen, so dass es angemessener ist, von einer Bipolarität zu sprechen.

Das ist übrigens nicht die neuste historische Entdeckung. Bereits in den 1920er Jahren wurde von dem Biologen Richard Benedikt Goldschmidt das Thema angeschnitten. In den 1980er und 1990er Jahren forschten und veröffentlichen die beiden Naturwissenschafterinnen Anne Fausto-Sterling und Evelyn Fox wichtige Arbeiten zu dem Thema, darunter den Artikel „Die fünf Geschlechter: Warum männlich und weiblich nicht genug sind“ (1993 in der Zeitschrift Science publiziert). Gleichzeitig ist es aber auch wichtig herauszuarbeiten, dass es sich dabei um Facetten zwischen den zwei Polen von XX- und XY-Chromosomen handelt. Ein drittes Geschlecht wie etwa ein Z-Chromosom gibt es nicht.

Geschlechterrollen (gender) sind die Stereotype, in die man uns reinzupressen versucht. Wer kennt’s nicht? Männer sollen stark sein und arbeiten. Frauen sind emotional, schwach und können sich sooo gut kümmern. Diese Rollenbilder haben sich im Laufe der Geschichte verändert. Sie sind weder spontaner Ausdruck des inneren Wesens eines Individuums noch eine unvermittelte Darstellung der Biologie, sondern werden von der patriarchalen Rechtfertigung der Frauenunterdrückung geprägt. Im Kapitalismus haben sie bestimmte Grundlagen: die geschlechtliche Arbeitsteilung und die bürgerliche Familie. Sexismus und Transphobie dienen dazu, diese Verhältnisse zu rechtfertigen. Dass Hausarbeit vor allem „privat“ verrichtet wird, erscheint so als quasi natürlich, verbilligt die Ware Arbeitskraft, zwängt Frauen in die doppelte Ausbeutung und Unterdrückung im Reproduktionsbereich und vertieft zugleich die Spaltung unter den Lohnabhängigen.

Die geschlechtliche Arbeitsteilung und die bürgerliche Familie bilden nicht nur die Grundlage der Frauenunterdrückung, sondern auch von anderen Formen geschlechtlicher Unterdrückung wie beispielsweise jener von Schwulen und Lesben, sondern auch der Unterdrückung von Transpersonen.

Ein Kennzeichen dieser Form der Unterdrückung besteht darin, dass negiert wird, dass die Geschlechtsidentität einer Person und ihr biologisches Geschlecht nicht übereinstimmen müssen. Du kannst geboren werden und dein biologisches Geschlecht passt mit der Geschlechterrolle zusammen, die damit einhergeht. Du kannst aber auch teilweise oder komplett im Widerspruch dazu stehen oder diesen entwickeln. Welches ihre „richtige“ Geschlechtsidentität ist müssen die Menschen ganz wie ihre sexuelle Orientierung selbst bestimmen können. Die Unterdrückung von Transpersonen kennzeichnet aber gerade, dass ihnen dieses Selbstbestimmungsrecht über ihre eigene (Geschlechts-)Identität verwehrt wird. Das noch bestehende Transsexuellengesetz basiert auf dieser Verweigerung und ist daher transphob und reaktionär – ganz wie die Kampagne, die die EMMA und „Geschlecht zählt“ führen.

EMMAs Feminismus

So wie die bürgerliche Geschichtsschreibung auch gerne versucht zu vermitteln, dass Nationen, Volk und Vaterland immer existiert haben, wird durch die reine Fixierung auf Geschlechtsorgane das Geschlecht als eine rein biologische Kategorie naturalisiert, als eine unveränderliche Essenz festgeschrieben, die schon immer so gewesen wäre und bleiben müsste. Klar, durch die reine Existenz von Körpern wird es Kategorisierungen geben – aber sie sind nicht unveränderlich und werden wie bereits geschrieben von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen mit geprägt.

Dass die EMMA sich eines starren biologischen Bildes bedient, ist kein Zufall. Vielmehr ist sie sogar darauf angewiesen. Eine materialistische Erklärung, woher Frauenunterdrückung eigentlich kommt, ist sie uns nämlich bis heute schuldig geblieben. Von deren Verbindung mit der Klassengesellschaft will sie erst gar nichts wissen. Statt dem nachzugehen und einen Ausweg zu bieten, werden unkritisch Ursula von der Leyens Brief über Sexismus im Beruf veröffentlicht, schön die antimuslimische Organisation Femen unterstützt, Islamophobie, wo es möglich ist, und Zweifel an der Existenz von Transmenschen geschürt. Oder in anderen Worten: Die Wurzel von Frauenunterdrückung und LGBTIAQ-Diskriminerung anzugreifen, spielt für die EMMA keine Rolle. Vielmehr geht es ihr darum, im kapitalistischen System mehr mitsprechen zu dürfen. Ein paar Quoten mehr hier, ein paar feministische Projekte da. Die EMMA ist das Sinnbild der verstaubten, weißen, bürgerlichen Frauenpolitik, die sich am biologischen Geschlecht festkrallt, weil sie gar nicht das Interesse hat, die Verhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen.

So sind Frauen halt Frauen, weil sie einen Uterus haben, mit dem sie Kinder gebären können, und werden unterdrückt, weil es eben so ist. trans Personen hingegen greifen dieses biologistische, essentialistische Bild an und erscheinen ihr als männliche Attacke auf die hart erkämpften Rechte der Frau.

Welche Lösung?

Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass der Queerfeminismus richtig liegt. Ja, die reaktionären Geschlechterrollen gehören (genau wie die EMMA) auf den Müllhaufen der Geschichte. Das Problem ist jedoch, dass das nicht so einfach geht, nur weil man es erkannt hat. Performative Akte, parodistische Übersteigerungen und Karikatur bestehender Normen können zwar reaktionäre Denk- und Handlungsmuster kenntlich machen, streifen das Problem aber letztlich nur an der Oberfläche.

Die Queer Theory erklärt das biologische Geschlecht als solches zu einer Konstruktion. Sexismus und Heteronormativität erscheinen nicht als ideologischer Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Unterdrückung, die auf einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beruht, sondern Einstellung und Haltung werden zur Ursache der Unterdrückung erklärt. Die „heteronormative Matrix“, das „binäre“ Bild der Geschlechter, produzierte der Ideologie des Dekonstruktivismus zufolge tatsächlich erst „die Geschlechter“, so wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Ergebnis des Geschlechterdiskurses erscheint und nicht umgekehrt. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird somit nicht als Ursache und Reproduktionsmechanismus der Frauenunterdrückung angesehen. Folgerichtig wird im Hier und Jetzt versucht, die vorhandene Kategorisierung abzuschaffen, statt die Verhältnisse zu bekämpfen und zu überwinden, deren Ausdruck sie sind. Dies ist letztlich eine Sisyphusarbeit, gerade so als würde man sich einbilden, kapitalistische Ausbeutung oder Unterdrückung dadurch abzuschaffen, dass die AusbeuterInnen über die Ausgebeuteten nicht mehr schlecht sprechen. Gerade hier wird deutlich, wie sehr der abstrakte Appell an „Respekt“ nicht nur ins Leere geht, sondern eigentlich in eine verkehrte Richtung. Schließlich besteht unser Hauptproblem nicht darin, dass die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen zu wenig Respekt zeigen, sondern dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihren FeindInnen viel zu viel Achtung entgegenbringen.

RevolutionärInnen sollten dafür kämpfen, dass trans Frauen wie alle anderen Frauen behandelt werden – unabhängig davon, ob sie Operationen in Anspruch genommen haben oder Hormone nehmen.

Deswegen kämpfen wir für die Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen trans Personen, den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben. Wir stehen für das Recht auf Selbstidentifizierung der Geschlechtsidentität, soweit es den Staat betrifft, und auch beispielsweise auf kostenlose medizinische Beratung sowie, wenn gewünscht, Geschlechtsangleichung.

Gleichzeitig muss festgehalten werden: Im Kapitalismus kann zwar eine formale, rechtliche Gleichstellung erkämpft werden – wobei nicht zuletzt die hartnäckige Verteidigung des Transsexuellengesetzes zeigt, wie schwer selbst das ist. Aber eine Überwindung der gesellschaftlichen Wurzeln der Unterdrückung von Transpersonen erfordert letztlich die Überwindung des Kapitalismus selbst. Der Kapitalismus bringt die starre binäre Einteilung in Mann und Frau auf Basis biologischer Merkmale immer wieder hervor, um die geschlechtliche Arbeitsteilung zu rechtfertigen und aufrechtzuerhalten. Das muss klar benannt werden, um gegen die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private und für die Vergesellschaftung der Hausarbeit zu kämpfen. Gerade weil sie schon durch ihre bloße Existenz die heteronormativen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten – und somit indirekt auch die ihnen zu Grunde liegende Arbeitsteilung in Frage stellen – erfahren Transmenschen, insbesondere -frauen im Schnitt mehr Gewalt, Arbeitslosigkeit und schlechtere Arbeitsbedingungen als die Masse der Frauen und Ausgebeuteten. Das heißt: Wir kämpfen für die Gleichbehandlung von trans- und cis Frauen. Gleichzeitig macht es Sinn, Unterschiede wo sie vorhanden sind, zu benennen.

Anstatt Unterdrückte gegeneinander auszuspielen und zu spalten, sollte man die Kämpfe miteinander verbinden. Wenn Menschen meinen, dass sich trans Menschen zum Spaß zu ihrer unterdrückten Identität bekennen, gesellschaftliche Stigmatisierung, Diskriminierung oder gar Gewalt aussetzen, um so eine „feministische Bewegung“ zu unterwandern, dann will man am liebsten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Stattdessen gilt es, den gemeinsamen Kampf auszuweiten und demokratische Forderungen mit sozialen zu verbinden, z. B. für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten und für eine Arbeitszeitverkürzung. Konkurrenz kann nur durch einen sozialen und politischen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung überwunden werden, durch die Schaffung einer ArbeiterInnenbewegung, die alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung bekämpft.




Check your privileges – aber reicht das aus?

Leonie Schmidt, Revolution Deutschland, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

„Check your privileges“/ „Check mal deine Privilegien“: ein Satz, den du bestimmt schon mal irgendwo gehört hast. Gerade im Zuge der BLM- und Antira-Proteste der letzten Jahre kam er vermehrt auf und fordert Menschen, die nicht oder weniger unterdrückt werden, dazu auf, sich ihrer Stellung in der Gesellschaft bewusst zu werden. Dafür gibt es extra Checklisten im Internet oder in Büchern. Zu den Unterdrückungsformen, die hier erforscht und verglichen werden, gehören bspw. Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus (bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten und ist behindertenfeindlich) und auch Klassismus (Abwertung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse, insbesondere Vorurteilen gegenüber Armen, aber ungleich dem Klassenwiderspruch). Viele der Fragen auf den Checklisten beziehen sich auf strukturelle Probleme, die die Unterdrückten alltäglich erleben. Manche beziehen sich natürlich auch auf die Jobsuche und andere wichtige Bereiche wie zum Beispiel das Familienleben.

Erstmals entwickelt wurde der Begriff des „male privilege“ (männliches Privileg) von Feminist_Innen in den 1970er Jahren, wo besonders die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Vordergrund stand. Später wurde die Untersuchung aber auch intersektionaler, denn die Feministin Peggy McIntosh begann auch das „white privilege“ mit zu untersuchen. So beschrieb sie diese Privilegien als etwas, was bspw. Männer nicht direkt erkennen, da sie ihre gesellschaftliche Stellung als etwas Persönliches und Individuelles wahrnehmen. Aufgrund ihres eigenen Schicksals erkennen sie gar nicht, dass sie gewisse Privilegien gegenüber anderen Personen genießen oder aber aufgrund des bereits lange andauernden patriarchalen Systems daran gewöhnt sind, weswegen die Vorteile und Rechte als normal angesehen werden. Des Weiteren war ihr auch wichtig, dass nicht alle Männer aktiv und bewusst zur Unterdrückung beitragen, aber alle davon profitieren würden.

Das klingt ja eigentlich ganz plausibel, oder?

Sie mögen ein hilfreiches Werkzeug darstellen, um sich des Ausmaßes von Unterdrückung bewusst zu werden, jedoch zählen diese Checklisten lediglich Symptome auf und helfen uns nicht wirklich, die strukturellen Unterdrückungsmechanismen zu verstehen, und vor allem nicht, wie wir sie letztlich bekämpfen können, denn dazu gibt es keine klaren Aussagen in der „Privilege Theory“ (Privilegientheorie). Wenngleich gerade in Bezug auf „male privilege“ von einem patriarchalen System ausgegangen wird, so wird dieses doch nicht näher in einen Kontext gesetzt und schon gar nicht in den, dass es mit dem Kapitalismus und der Klassengesellschaft zusammenhängt.

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die „Privilege Theory“ wurde ähnlich wie die heute vorherrschenden Formen der Identitätspolitik im Rahmen des Postmarxismus groß und verbreitete sich, nachdem der Marxismus als gescheitert erklärt wurde. Dementsprechend ist sie auch nicht darauf ausgelegt, Unterdrückung im gesellschaftlich-strukturellen Sinne zu erläutern, sondern fokussiert sich stattdessen lieber auf die individuelle Person. Und wenngleich tatsächlich Personen, die kaum oder gar nicht unterdrückt werden, bevorzugt werden in unserer Gesellschaft, müssen wir uns doch fragen, wer am Ende WIRKLICH profitiert.

Und das ist in der Klassengesellschaft nun mal die herrschende Klasse, im Kapitalismus die Bourgeoisie. Einerseits profitieren sie von der Spaltung der Gesellschaft, insbesondere der Arbeiter_Innenklasse, welche durch Unterdrückungsmechanismen verstärkt wird und mit dafür sorgt, dass die Unterdrückten nicht ihre gemeinsame Unterdrückung durch die Ausbeutung der Arbeitskraft erkennen. Andererseits dient die Unterdrückung besonders von Frauen und Queerpersonen der weiteren Aufrechterhaltung des Idealbilds der bürgerlichen Familie. Diese ist im Kapitalismus unter anderem dafür da, dass die Ware Arbeitskraft (also die Arbeiter_Innen) so günstig wie möglich (re)produziert werden. Das mag abstrakt klingen, aber in diesen Bereich fallen vor allem Erziehung, Haus- und Carearbeit, welche im klassischen Rollenbild den Frauen aufgetragen werden. Das lohnt sich für die Kapitalist_Innen insofern, dass sie so wenig wie möglich dafür bezahlen müssen, also einen höheren Profit erwirtschaften können.

Es ist zwar dem Kapital an sich egal, welches Geschlecht die Hausarbeit letztendlich übernimmt. Aber im Kapitalismus wird das nach wie vor den Frauen aufgetragen, nachdem eine schon vorgefundene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung fortgeschrieben wird. Faktisch kümmern sich auch heutzutage mehr Frauen um die Hausarbeit. So verrichten im EU-Durchschnitt 79 % der Frauen täglich Hausarbeit, aber nur 34 % der Männer. In vielen halbkolonialen Ländern fällt das noch deutlicher aus – allerdings im Gegensatz zum klassischen Bild der bürgerlichen Familie meist zusätzlich zu der klassischen Lohnarbeit, so entsteht eine doppelte Ausbeutung. Außerdem existiert weiterhin der Gender Pay Gap (geschlechtsspezifischer Lohnunterschied; Frauen verdienen im Durchschnitt 20 % weniger als Männer). Dadurch, dass Männer mehr Lohn erhalten, manifestiert sich auch ihre Macht und das passiert auch in der Arbeiter_Innenklasse. Dadurch helfen die Privilegien auch die Klassengesellschaft zu stützen, denn viele wollen sie nicht einfach aufgeben.

Bewusstsein und Kampf

Aber letztlich ist das nicht nur eine Frage des individuellen Bewusstseins. Was z. B. den Gender Pay Gap betrifft, so lässt sich das auf individueller Ebene auch nicht so leicht bewerkstelligen. Würde sich z. B. eine proletarische Familie dafür entscheiden, dass die Frau mit geringerem Stundenlohn Vollzeit arbeitet und der Mann mit höherem teilzeitbeschäftigt ist, so müssten sie und ihre Kinder unter den bestehenden Verhältnissen signifikante Einkommenseinbußen hinnehmen. Gerade für ärmere ArbeiterInnenfamilien ist das unmöglich, da sie ohnedies schon an der Untergrenze der Reproduktionskosten leben. Um diese Unterdrückung und doppelte Ausbeutung aufzuheben, brauchen wir also kollektive Lösungen, die erkämpft werden müssen wie gleiche Löhne für gleiche Arbeit und  die Vergesellschaftung der Hausarbeit, so dass sie aus dem privaten Rahmen geholt und gesellschaftlich organisiert wird. Solange die Hausarbeit noch nicht vergesellschaftet ist, treten wir auch für die gleichmäßige Verteilung der Hausarbeit auf alle Geschlechter im privaten Bereich ein.

Auch Rassismus ist hilfreich für die herrschende Klasse, denn so kann das imperialistische System weiter aufrechterhalten werden. Er liefert auch eine „Rechtfertigung“, warum bspw. migrantische Menschen in Jobs im Niedriglohnsektor arbeiten müssen. Um Rassismus, Sexismus usw. also gänzlich abzuschaffen, müssen wir ihnen die materielle Voraussetzung nehmen: nämlich die Klassengesellschaft. Erst im Sozialismus wird es möglich sein, effektiv diese Mechanismen abzuschaffen, allerdings sind sie keine „Nebenfrage“, sondern integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Im Hier und Jetzt müssen diese Kämpfe miteinander verbunden werden.

Wenngleich Klassismus auch eingebaut ist in der „Privilege Theory“, so wird der Klassenkampf dadurch längst doch nicht zum Dreh- und Angelpunkt der sozialen und politischen Auseinandersetzungen. Die Ungleichheit der Klassen wird nur als ein gleichgeordnetes Unterdrückungsverhältnis angesehen. Des weiteren ist Klassismus in dieser Theorie auch nicht als letztlich nur revolutionär aufhebbarer Klassenwiderspruch verstanden worden, sondern bedeutet lediglich, dass (zumeist) die unteren Schichten mit negativen Vorurteilen und Nachteilen im Bildungssektor und auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben. Platt gesagt, soll man, nur weil man aus einer niedrigen Schicht kommt, nicht respektlos behandelt oder für unfähig erklärt werden, intellektuelle Kopfarbeit auszuführen. Das berücksichtigt allerdings keinesfalls die Klassenunterdrückung im Kapitalismus, in welcher die Bourgeoisie das Proletariat ausbeutet. Somit ist dieser Ansatz unzureichend und präsentiert als Lösung bloß, netter zu den unteren Schichten zu sein, weniger Vorurteile zu haben, aber nicht die Klassengesellschaft an sich abzuschaffen.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass es, um effektiv seine Privilegien zu „checken“, schon einen gewissen Grad an Bewusstsein braucht, denn man muss ja erkennen, dass es diese Formen von Unterdrückung gibt. Außerdem ist die Einsicht, dass es Privilegien gibt, noch lange keine Garantin dafür, dass Personen ihre auch ablegen wollen. Manche wollen sie im Gegenteil eher verstärken (bspw. Konservative, die Abtreibungen verbieten wollen). Grundsätzlich geht es natürlich beim Begreifen von Ungleichheit und Unterdrückung innerhalb der eigenen Klasse immer auch um Bewusstsein und Bewusstwerdung. Aber diese sind nicht losgelöst von den materiellen Bedingungen. Das gesellschaftliche Sein bestimmt unser Bewusstsein und nicht andersherum. Demnach kann diese gedankliche, kritische Auseinandersetzung nicht alleine zu einer Lösung führen. Des Weiteren verläuft die Bewusstseinsentwicklung nicht linear und stellt auch nicht bloß ein persönliches, sondern vor allem auch ein gesellschaftliches Phänomen dar. Das Massenbewusstsein kann Sprünge machen – und zwar aufgrund gemeinsamer Kämpfe und Erfahrungen. Umgekehrt kann es auch wieder zurückfallen, bspw. durch einen Rechtsruck. Außerdem kann man bspw. in einer Reflektionsrunde viel sagen, solange man nicht auch so handelt, hat das nur wenig Gewicht und dient im schlimmsten Fall lediglich der Selbstbeweihräucherung.

Was tun?

Wir müssen den Chauvinismus und Sexismus in der Klasse bekämpfen, um die Spaltung zu überwinden und die gemeinsame Kampfkraft zu entfalten. Deshalb treten wir bspw. für das Caucusrecht von Unterdrückten in den Organisationen der Arbeiter_Innenklasse ein. Das bedeutet, dass sie das Recht haben, in einem gesonderten Raum, allein unter ihresgleichen, über ihre Unterdrückung zu sprechen, Probleme in der eigenen Organisation kollektiv aufzugreifen und Empfehlungen an das Kollektiv auszusprechen, wie diese überwunden werden können oder welche gemeinsamen Forderungen und Aktionen im Kampf vorangetrieben werden sollen.

Wir treten für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung ein. In bestimmten Situation kann die Bildung einer kommunistischen Frauenorganisationen sinnvoll sein, sowohl, um den Chauvinismus in der Arbeiter_Innenklasse zu bekämpfen, die Arbeit unter proletarischen Frauen zu systematisieren und so Frauen, die noch nicht der revolutionären Partei (oder ihrer Vorform) beitreten wollen, auf der Basis eines revolutionären Aktionsprogramms gegen Frauenunterdrückung in einer möglichst engen Kampfgemeinschaft näher an diese heranzuführen. Des Weiteren müssen wir auch in den Organisationen dafür kämpfen, dass sich nicht nur die Unterdrückten mit ihrer eigenen Unterdrückung theoretisch auseinandersetzen, sondern auch alle anderen.

Alles in allem dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass wir, wenn wir uns alle nur selber genug reflektieren, die Unterdrückungsmechanismen abschaffen können. Auch die Vereinzelung der Unterdrückungsformen und Unterdrückten sind nicht hilfreich, denn wenn wir wirklich die Klassengesellschaft abschaffen wollen, ist es nötig, dass wir ein revolutionäres Programm mit gemeinsamen Forderungen aufstellen und zusammen für eine sozialistische Zukunft kämpfen, die wir nicht durch Reform des kapitalistischen Systems, sondern nur durch einen revolutionären Umsturz auf Basis einer breiten Massenbewegung unter kommunistischer Führung erreichen!




Social Reproduction Theory: moderner Marxismus oder feministische Sackgasse?

Aventina Holzer, Revolutionärer Marxismus 53, November 2020

Frauenstreiks, Proteste gegen Gewalt an Frauen und Aktionen für gleiche Bezahlung finden überall auf der Welt statt. Es ist kein Geheimnis, dass die Gründe für diese Proteste weiterhin existieren und sich teilweise verschärfen, und es ist essenziell, dass sich Gruppierungen mit diesen Themen beschäftigen und Bewegungen aufzubauen versuchen. Die Analysen, woher diese Probleme kommen, unterscheiden sich aber stark. Radikal-feministische Zugänge, die oft von einem losgelösten Patriarchat sprechen (ähnlich wie Vorstellungen im bürgerlichen Feminismus, obwohl dort viele nicht mal soweit gehen würden), haben in der Analyse zum Beispiel wenig mit sozialistisch-feministischen oder marxistischen Zugängen zu tun. Es ist wichtig, den Ursprung der Frauenunterdrückung zu analysieren, um ableiten zu können, welche Forderungen und Kämpfe nötig sind, um die jetzige Situation von sexistisch unterdrückten Menschen zu verbessern, aber andererseits auch dieses System als Ganzes zu überwinden. Denn es gilt: Kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

Social Reproduction Theory (Theorie sozialer Reproduktion; SRT) erhebt den Anspruch, die Unterdrückung der Frau auf einer materialistischen Ebene zu erklären. Es handelt sich um keine eigene Strömung, sondern eher eine theoretische und auch oft akademische Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion im Kapitalismus und, wie diese von „orthodoxer“ marxistischer Theorie abweicht oder sie weiterentwickelt. Sie versucht dabei auch, den Ursprung der Frauenunterdrückung in der Klassengesellschaft aufzudecken, der laut vielen TheoretikerInnen, die sich mit Social Reproduction Theory beschäftigen, auch von außerhalb dieser Sphäre herkommt und mit der Fähigkeit zu gebären zusammenhängt bzw. Frauen historisch in eine untergeordnete Rolle drängt.

Die Entwicklung der SRT hängt stark mit der des sozialistischen Feminismus zusammen, der in den 1970er Jahren als Antwort auf den Radikalfeminismus entstand. Beide Strömungen teilen die Kritik, dass die ArbeiterInnenbewegung zu diesem Zeitpunkt männlich dominiert ist und wenig Platz für „feministische“ bzw. Frauenkämpfe ließe. Auch wird oft (nicht immer, wie wir später sehen werden) die Auffassung vertreten, dass der Marxismus alleine Frauenunterdrückung nicht ausreichend erklären könne – viele RadikalfeministInnen würden ihn sogar ganz ablehnen. Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es aber natürlich politische Abgrenzungen und unterschiedliche Vorgehensweisen. So sehen RadikalfeministInnen das Hauptproblem im Patriarchat und die Unterdrücker in den Männern, während der sozialistische Feminismus sich immer auch auf Klassengesellschaft und -unterdrückung bezieht und eine Art Hybrid zwischen Marxismus und Feminismus darstellt.

Auch wenn beide Zugänge sehr problematische Züge aufweisen, gibt es einen Grund, warum sie phasenweise einen starken Anhang genießen. Genauso wie Teile von Identitätspolitik und Queertheorie greifen sie auch reales Versagen der Führung der ArbeiterInnenbewegung, unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben und ihre Kämpfe als gerechtfertigt zu sehen. Es ist klar, dass die Sozialdemokratie und der Stalinismus keinen guten Eindruck hinterlassen haben, wenn es um die Fragestellungen geht, wie man unterdrückte Personen, in diesem Fall Frauen, gewinnen und sie in die Organisationen einbeziehen kann.

Trotz berechtigter Kritik war der Versuch der sozialistischen FeministInnen, eine marxistische Synthese mit feministischen Positionen zu finden, nicht erfolgreich. Oft wurde neben der ökonomischen Unterdrückung noch ein davon losgetrenntes, tiefer liegendes oder in jedem Fall parallel zum Klassenwiderspruch existierendes soziales Verhältnis als eigentliche Ursache der Frauenunterdrückung verortet. Oft wird das unter dem abstrakten Begriff Patriarchat zusammengefasst und im schlimmsten Fall suggeriert, man könne dieses überwinden, ohne die ökonomische Ebene zu verändern und den Klassengegensatz zu überwinden. Patriarchale Strukturen gibt es auf jeden Fall, sie sind allerdings untrennbar mit dem jeweiligen System der Klassenausbeutung verwoben und ihre jeweiligen Ausformungen werden letztlich von der Struktur der Klassengesellschaft bestimmt, nicht umgekehrt. Beides baut aufeinander auf.

Wird das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung nicht korrekt bestimmt, kann das im schlimmsten Fall die Kämpfe der Unterdrückten spalten (Wie sollen Männer gegen eine systematische Unterdrückungsform kämpfen, zu der sie per Definition keinen Zugang haben oder in der sie ohne Unterschied ihrer Klassenposition sogar die Unterdrücker sind?). Sonst ist es aber auch eine Argumentation, die sehr schnell in Widersprüchen endet (Warum gibt es diese spezielle Ebene nur bei Frauenunterdrückung? Heißt das, andere Unterdrückungsformen haben auch andere Ursachen? Wie wird das dann argumentiert und was ist die materielle Basis dafür?). Schließlich ist der Behauptung eines neben dem kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis parallel existierenden grundlegenden Unterdrückungs- oder Ausbeutungsverhältnisses in der realen Gesellschaft eine Tendenz zur Bildung klassenübergreifender Bündnisse aller Frauen immanent. Jede feministische Strömung – auch der sozialistische Feminismus – muss daher notwendigerweise den grundlegenden Charakter des Lohnarbeit/Kapitalverhältnisses relativieren.

Auch wenn der sozialistische Feminismus keinen qualitativen Bruch mit dem Radikalfeminismus vollzogen hat, war und ist seine Praxis in Bezug auf Frauenkämpfe etwas, worauf sich MarxistInnen beziehen und aus ihren Erfolgen, aber auch ihren Fehlschlägen lernen müssen. Ähnlich verhält es sich mit der SRT, die als Produkt der sozialistisch feministischen Bewegung entstanden ist. Lise Vogel, eine ihrer BegründerInnen, beschreibt diesen Prozess in ihrem 1983 erschienenen Buch „Marxism and the Oppression of Women – Toward a Unitary Theory“1 so:

„Dieses Projekt begann vor mehr als 10 Jahren. Wie bei vielen anderen Frauen in den späten 1960er Jahren fiel mein Engagement für die aufkommende Frauenbewegung mit meiner Entdeckung der marxistischen Theorie zusammen. Zunächst dachten viel von uns, man brauche die marxistische Theorie einfach nur zu erweitern, um sie für unsere Anliegen als Frauenbewegung nutzbar zu machen. Schnell merkten wir jedoch, dass dieser Zugang viel zu mechanisch war und vieles unbeantwortet ließ. Die marxistische Theorie, die wir vorfanden, und auch das sozialistische Vermächtnis an Werken zur Unterdrückung der Frauen bedurfte einer grundlegenden Umgestaltung. Einige wandten sich aufgrund dieser Erkenntnis vollständig vom Marxismus ab. Andere blieben bei dem Versuch, von der sozialistischen Theorie Gebrauch zu machen. Sie verfolgten nun das Ziel, die Unzulänglichkeiten der sozialistischen Tradition durch eine ,sozialistisch-feministische Synthese’ zu überwinden. Obwohl ich mit diesem Ansatz sympathisierte, verfolgte ich weiterhin das ursprüngliche Vorhaben, die marxistische Theorie zu erweitern. Dafür war es jedoch notwendig zu untersuchen, was marxistische Theorie überhaupt ist. Überdies machte mir eine gründliche Lektüre der wichtigsten Texte des 19. Jahrhunderts zur sogenannten ,Frauenfrage’ klar, dass die theoretische Tradition äußerst widersprüchlich ist. … Dennoch bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass nicht sozialistisch-feministische Synthesen, sondern eine[r] Wiederbelebung der marxistischen Theorie in den bevorstehenden Kämpfen für eine Befreiung der Frauen als theoretische Orientierung am besten dient.“2

Vogel versucht also, in ihrer Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion den Marxismus weiterzuentwickeln und ihn nicht, wie viele andere, aufzugeben. Das ist auch der Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema.

Bevor wir uns allerdings weiter Lise Vogel widmen können, müssen wir einige Begriffe klären, da sie teilweise sehr unterschiedlich verwendet werden.

Soziale Reproduktion beschreibt in der marxistischen Terminologie zwei essenzielle Abläufe im Kapitalismus. Einerseits die Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Menschen brauchen bestimmte Dinge (Schlaf, Essen etc.), um „sich selbst“ bzw. in diesem Fall eher ihre „Fähigkeit zu arbeiten“ reproduzieren zu können. Hierzu zählt natürlich auch die intergenerationale Reproduktion, also Kinder zu bekommen, die im weiteren Verlauf, ihre Arbeitskraft anbieten können. Andererseits beschreibt soziale Reproduktion auch die des Systems als Ganzem, also die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft (unter anderem auch durch Ideologie). Die zwei Bedeutungen sind logischerweise nicht voneinander trennbar. Schließlich kann sich ein System, das auf Ausbeutung der Arbeitskraft basiert, auch nur selbst reproduzieren, wenn diese im Laufe der Zeit erneuert und seine Legitimität immer von Neuem bestärkt wird. In der SRT liegt aber der Hauptfokus auf der ersteren.

Gesellschaftlich notwendige Arbeit ist also gleichzeitig unter den zwei vorangehenden Bedeutungen zu sehen. Im Grunde ergibt sich der Unterschied im Rahmen des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital daraus, dass die soziale Reproduktion zum einen vom Standpunkt des/der individuellen LohnarbeiterIn aus betrachtet wird, zum anderen vom Standpunkt der Gesamtklasse.

Notwendige Arbeit muss im kapitalistischen Produktionsprozess geleistet werden, um sich selbst zu reproduzieren (also der Teil des Arbeitstags, für den tatsächlich Lohn gezahlt wird). Alles was darüber hinausgeht, ist Mehrarbeit. Dies betrifft die Verhältnisse in der kapitalistisch vergesellschafteten Produktion. Nur in dieser Sphäre werden sowohl der (Tausch-)Wert der Arbeitskraft wie der Mehrwert, den sich das Kapital aneignet, erzeugt. Die Arbeit des/r Lohnabhängigen bei sich zuhause (Haus-, Erziehungs- und Sorgearbeit) ist ebenso notwendig wie nützlich, fügt der Arbeitskraft allerdings „nur“ Gebrauchswerte hinzu.

Im Folgenden wird für Reproduktionsarbeit auch häufig der Begriff Hausarbeit verwendet werden. Darunter fallen die unterschiedlichsten „Aufgaben“, die der Reproduktion der Ware Arbeitskraft dienen, wie Putzen, Kochen, aber auch Kindererziehung oder Sorgearbeit. Der Grund für die Zusammenfassung unter den Begriff Hausarbeit liegt darin, dass die besondere Stellung von Reproduktionsarbeit sehr stark damit zusammenhängt, dass sie einen Prozess darstellt außerhalb des unmittelbaren kapitalistischen Verwertungskreislaufs (in diesem Fall im häuslichen Rahmen). Reproduktionsarbeit, die kommerzialisiert, also in letzteren integriert wird, unterliegt ähnlichen bis gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die in der kapitalistischen Produktion. Die Auseinandersetzung mit dem Thema sozialer Reproduktion versucht, den Ist-Zustand und das Entstehen von Frauenunterdrückung zu erklären. Deshalb wird der Fokus auf der Beschreibung der häuslichen Sphäre, biologischen Charakteristika der Frauenunterdrückung und Frauenkämpfen speziell liegen.

Die Arbeit von Lise Vogel umfasst zwei bedeutende Stärken, die ihren Ansatz positiv vom sozialistischen Feminismus oder jedenfalls von dessen Mainstream abheben. Erstens erkennt sie die zentrale Bedeutung der gegensätzlichen Stellung von Frauen aus der herrschenden und beherrschten Klasse an. Auch wenn es für die klassenübergreifende Solidarität eine „gewisse Basis“ in den Erscheinungsformen der Unterdrückung gibt (Gewalt gegen Frauen, rechtliche Diskriminierung, sexistische Ideologie), so gibt es einen fundamentalen Unterschied, der aus ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Klassen folgt: „Nur Frauen der untergeordneten Klasse beteiligen sich an der Aufrechterhaltung und Erneuerung der unersetzlichen Kraft, die die Klassengesellschaft am Laufen hält – der ausbeutbaren Arbeitskraft.“3 Die Frage der Reproduktionsarbeit bildet daher wesentlich eine für die proletarischen Frauen. Die Frauen aus den Mittelschichten und dem KleinbürgerInnentum nehmen eine Zwischenstellung ein. Für die Frauen aus der herrschenden Klasse existiert das Problem faktisch nicht, sie lassen auch in der Sphäre der Reproduktion andere (zumeist Frauen) für sich arbeiten.

Zweitens geht sie zurecht davon aus, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Kapitalakkumulation die Reproduktionsarbeit bestimmt. Deren Form, Zusammensetzung und innere Struktur „sind de facto direkt von der Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation betroffen.“4 Damit kann sie erklären, warum unter bestimmten Bedingungen Frauen zurück an den Herd gedrängt, unter anderen wiederum deren Lohnarbeit im Gegenteil massiv ausgeweitet wird, warum also damit zusammenhängend die Hausarbeit auch im Kapitalismus partiell vergesellschaftet wird und warum also andererseits diese Prozesse unter veränderten Akkumulationsbedingungen tendenziell rückläufig sind.

Lise Vogel

In ihrem Buch versucht Lise Vogel, einen Grundstein für eine marxistische Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion zu legen. Bezeichnend ist, dass sie eine gängige Argumentation vom sozialistischen Feminismus dezidiert nicht mitträgt. Den Vorwurf, dass Marx geschlechtsblind sei und seine Kategorien deshalb nicht für die Erklärung von Frauenunterdrückung herbeigezogen werden können, lehnt sie ab. Sie versucht stattdessen, einerseits zusammenzutragen, welche Auseinandersetzung mit Frauenunterdrückung es in der marxistischen Theorie gab, andererseits daraus eine einheitliche marxistische Analyse abzuleiten.

Diese Herangehensweise verfolgen zwar nicht alle TheoretikerInnen der SRT gemeinsam, aber die Notwendigkeit, bei der Untersuchung der ökonomischen Umstände anzufangen, die ökonomische Basis zu durchleuchten, um Frauenunterdrückung wirklich zu verstehen, ist eine der größten Stärken dieses Ansatzes. Es wird versucht, die Produktionsverhältnisse als menschliche zu verstehen und dementsprechend auch Frauenunterdrückung auf diese Ebene zu heben und nicht eine „externe“ ökonomische, durch die Unterdrückung innerhalb der Klassengesellschaft verursachte, neben einer gesonderten, eigentlich („intrinsisch“) über der jeweiligen ausbeuterischen Produktionsweise stehende zu argumentieren.

Für Lise Vogel präsentieren sich die Schlussfolgerungen ungefähr so: Menschen haben die Fähigkeit, mehr Gebrauchswert zu produzieren, als sie für ihre Erhaltung brauchen – jedenfalls ab einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung. In einer Klassengesellschaft wird diese Fähigkeit zugunsten der herrschenden Klasse genutzt. Sie eignet sich das daraus resultierende Überschussprodukt, Surplus, an, das im Kapitalismus die Gestalt des Mehrwerts annimmt. Es braucht eine ausgebeutete Klasse, die ständig zur Verfügung steht, um ein System, das auf diesem Kreislauf aufbaut, zu erhalten. Diese muss sich aber natürlich erneuern (ArbeiterInnen leben nicht für immer), durch neue Arbeitskräfte ersetzt werden. Hier wird der Unterschied zwischen Mann und Frau ausschlaggebend. Frauen, die während sie schwanger sind, eine eingeschränkte Fähigkeit zum Arbeiten haben, schaffen einen Widerspruch für die herrschende Klasse. Einerseits möchte diese ihre Mehrwertaneignung maximieren, andererseits braucht sie auch diese Art Reproduktion, um langfristig ihre Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten. Über die Klassenkämpfe, die diese Widersprüche aufzulösen versuchen, entstanden im Lauf der Geschichte viele unterschiedliche Formen der Reproduktionssphäre.

Lise Vogel analysiert einige historische Gemeinsamkeiten, die fast jede Klassengesellschaft teilt. Fast immer hängt es mit der Verantwortung des Mannes zusammen, für den materiellen Erhalt der Familie zu sorgen, und Frauen kommt die Aufgabe zu, einen größeren Teil der notwendigen Reproduktionsarbeit zu leisten. Diese Aufteilung resultiert in einer institutionalisierten Form von männlicher Dominanz über Frauen.

Sie weist auch darauf hin, dass der Ort der sozialen Reproduktion auch stark mit den gesellschaftlichen Bedingungen selbst unterm Kapitalismus schwankt. In einer Kriegssituation war es historisch gesehen öfter wichtig, Frauen in den Produktionsprozess zu ziehen und die Familie als Ort der familiären Reproduktion hintanzustellen, was sich aber je nach Situation auch wieder ändern kann. So ist die Familie sehr häufig Fixpunkt von sozialer Reproduktion, da damit auch eine starke ideologische Festigung (also Reproduktion des Gesellschaftssystems) einhergeht.

Die Familie als speziellen Ort der Hausarbeit leitet Lise Vogel aus ihrem Verständnis von notwendiger Arbeit her. Notwendige Arbeit ist, wie bereits erklärt, die Arbeit, die zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft – im Kapitalismus – notwendig ist. Soweit, so gut. Die auf einer gesellschaftlichen Ebene notwendige, damit wertschaffende Arbeit, die ja Teile der Reproduktion umfasst, setzt sie aber auch in dieselbe Kategorie wie die individuell notwendige Arbeit im häuslichen Produktionsprozess. Der große Unterschied ist aber, dass für den einen Teil der notwendigen Arbeit ein Lohn gezahlt wird und für den anderen nicht. Diese Situation (Zahlen von Lohn und Separieren von Lohn- und Hausarbeit) läuft nun laut ihr auf das Wirken in speziellen Orten der Reproduktion und Hausarbeit abseits der eigentlichen Produktionssphäre hinaus – hier meistens der Familie.

Es handelt sich nicht um ein unabsichtliches Vermischen von individuellen Komponenten mit gesellschaftlichen, sondern um ein Verständnis, welches die sozialen Konsequenzen aus der notwendigen Trennung der Reproduktion von Lohnarbeit zwischen Produktions- und Heimsphäre aufzuzeigen versucht. Das sind die Ansätze von dem, was unter Social Reproduction Theory zu verstehen ist.

Lise Vogel speziell ist es ein großes Anliegen, mit ihren Ideen einen Anstoß für eine einheitliche Theorie der sozialen Reproduktion zu liefern. Sie versucht, diese Theorie, die Produktion und Reproduktion auf einer Ebene analysiert, gegen die „Zwei-System-Theorie“ durchzusetzen, die laut ihr von vielen sozialistischen FeministInnen vertreten wird. „Zwei-System-Theorie“ kann verstanden werden als Zugang, der vorher beschrieben wurde und sich durch eine gesonderte Ebene der Frauenunterdrückung auszeichnet, die losgelöst von der ökonomischen existiert.

Diese zwei Kernelemente machen die SRT auch für MarxistInnen so spannend. Auch wenn wir den Vorwurf nicht teilen würden, dass Marx „geschlechtsblind“ gewesen wäre, ist es kein Geheimnis, dass sich die marxistische Beschäftigung mit dem Thema soziale Reproduktion in Grenzen hält. Hier liegt es an uns, die Theorie weiterzuentwickeln und ein einheitliches Verständnis von Reproduktion und Produktion zu schaffen. Das geht aber auch nur mit den Methoden und Werkzeugen, die wir durch den Marxismus gelernt haben. Die Ausgangsanalyse von der ökonomischen Basis abhängig zu machen, ist also unerlässlich und nur darüber können wir die unterschiedlichen Facetten und Ausdrücke von Unterdrückung erkennen.

Es gibt allerdings auch genug Beiträge zur Social Reproduction Theory die die Fragestellung etwas anders beantworten, als Lise Vogel es tut.

Ein gutes Beispiel für die Fehlschlüsse einer Analyse der Social Reproduction Theory ist die Debatte rund um Bezahlung für Hausarbeit.

Mariarosa Dalla Costa/Selma James

Wenn Arbeitskraft die einzige Ware ist, die auch außerhalb der Produktionssphäre produziert wird, wirft das laut TheoretikerInnen der Social Reproduction Theory mehr Fragen auf, als beantwortet werden. Sie setzen den Punkt, dass es ja keine klare Grenze gibt zwischen der Sphäre der Produktion und Reproduktion, in der Arbeitskraft regeneriert, reproduziert wird, da dies ja auch nicht ausschließlich in der familiären Sphäre passiert.

Maria Rosa Dalla Costa und Selma James spitzen diese Fragestellung in ihrem gemeinsamen Werk „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“5 zu. Dies ist auf jeden Fall ein früher Beitrag zur SRT, wenn auch nicht so fundiert argumentiert wie bei Lise Vogel und in theoretischer Hinsicht dieser in vielen Bereichen direkt entgegengesetzt. Sie beschäftigen sich darin vor allem mit der Produktivität von Hausarbeit und der Rolle der Frau als Hausfrau („Alle Frauen sind Hausfrauen“). Was heißt das? Schafft Hausarbeit Wert bzw. Mehrwert?

Sie sagen: ja! Frauen reproduzieren die Ware Arbeitskraft, sind also an einer Steigerung des Mehrwerts beteiligt. Laut ihnen sind Produktion und Dienstleistungen zuhause Teile der produktiven Konsumtion des Kapitals. Frauen sind demnach ein eigenes revolutionäres Subjekt, schließlich sind ja auch alle Frauen Hausfrauen. Die Verschleierung der Hausarbeit als nichtproduktive Arbeit ist eines der Hauptprobleme für die Überwindung des Kapitalismus und die politische Organisierung dagegen ist notwendig. Dafür stellen sie die Forderung nach einer Bezahlung (Lohn) für Hausarbeit auf. Das soll Frauen in den ökonomischen Kampf ziehen und hierbei seien ja durch den produktiven Charakter der Hausarbeit auch dieselben Kampfmethoden möglich wie bei Kämpfen im Betrieb. Ganz im Sinne von: Die Welt steht still, wenn keine häusliche Reproduktionsarbeit mehr geleistet wird und ohne diesen politischen Kampf steht sie eben nicht still.

Wir widersprechen dieser Analyse. Hausarbeit schafft weder Mehrwert noch Tauschwert der Ware Arbeitskraft und verfügt dementsprechend nicht über dieselben Kampfmethoden und Taktiken, um das System in die Knie zu zwingen. Hierbei ist die Frage von privater Konsumtion essenziell. Marx schreibt:

„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“6

Die Frage, ob und wie Mehrwert geschaffen wird, entscheidet sich also einzig und allein im unmittelbaren kapitalistischen Produktionsprozess. Da die Reproduktion in der häuslichen Sphäre außerhalb dessen steht, braucht man eine besondere Analyse, um diese zu verstehen. Wie bereits erwähnt, besteht der Versuch der SRT darin, die Analyse von Produktion und Reproduktion auf dieselbe Ebene zu holen. Dalla Costa und James tun dies, indem sie beide einfach gleichsetzen. Das ist eine heftige Verkürzung der Problematik und spiegelt in keiner Form die Realität wider.

Oft wird die Bezeichnung „produktive“ bzw. mehrwertschaffende Arbeit in einem moralischen Kontext verwendet. Das ist aber natürlich nicht richtig. Wie kann es sonst sein, dass die exakt selbe Arbeit in privaten Krankenhäusern zum Beispiel Mehrwert schafft, die Carearbeit zuhause allerdings nicht? Es ist klar, dass die Arbeit in beiden Fällen Gebrauchswerte erzeugt. Ihr Unterschied liegt aber nicht in der bezahlten bzw. unbezahlten Form, sondern im unterschiedlichen Verhältnis zum Kapital. Arbeit für eine/n KapitalistIn z. B. als HaushälterIn ist zwar bezahlt, aber vermehrt nicht sein/ihr Kapital, sondern dient ihren/seinen persönlichen Genüssen und wird nicht aus Bestandteilen des fungierenden Kapitals alimentiert, sondern aus der davon abgezwackten Revenue. Sie ist wie die unbezahlte der Hausfrau Dalla Costas’/James’ kein Moment des Kapitalkreislaufs. Beide sind auch nicht unproduktiv im Marx’schen Sinn, denn diese schafft zwar ebenfalls keinen Mehrwert, dient aber im Kapitalkreislauf dem Formenwechsel Geld – Ware – Geld und speist sich in Form des Profits aus dem Mehrwert (kommerzielle Handels- und Geldgeschäfte). Sie sind nichtproduktiv statt unproduktiv, stehen außerhalb der kapitalistischen Produktionsweise im engeren Sinn.

Ein Streik bei der Hausarbeit schadet zuallererst den ArbeiterInnen selbst und erst viel später dem System. Ein Streik in der Produktionssphäre hält die Mehrwertproduktion dagegen sofort an und trifft unmittelbar, sofort die KapitalistInnen. Die Unterschiede liegen auf der Hand.

Die Debatte über Lohn für Hausarbeit wird auch positiv von reaktionärer Seite aufgegriffen. Ein Problem, das auch von Dalla Costa/James anerkannt wird, ist, dass eine Entlohnung der Hausarbeit Frauen weiter von der Lohnarbeit in den Unternehmen isolieren könnte und auch mehr ökonomische Anreize zum Rückzug daraus bieten würde (da Frauen dort meist schlechter bezahlt werden als Männer), Vollzeitlohnarbeit zu leisten, während Männer „arbeiten“ gehen. Frauen aus dem gemeinsamen ökonomischen Kampf herauszuhalten und weiter an die häusliche Sphäre zu ketten, ist etwas, was sich mit konservativen Zielen einfach kombinieren lässt.

Die Aussage „alle Frauen sind Hausfrauen“ hat eine gewisse Berechtigung in dem Sinne, dass allen diese Aufgabe im Kontext von „Geschlechterrollen zugeschrieben“ wird – in Wirklichkeit wird diese Arbeitsteilung durch das Wertgesetz beständig produziert und drückt sich in geschlechtlich unterschiedlichen Löhnen und Erwerbsbiographien aus. Damit soll die Doppel- bzw. Mehrfachbelastung von (haus-)arbeitenden) Frauen im Kapitalismus angesprochen werden. Andererseits suggeriert sie ein gemeinsames revolutionäres Subjekt, das auch über Klassengrenzen hinausgeht. Diese Doppelbelastung gilt aber nur für lohnabhängige Hausfrauen. Eine Kapitalistin unterliegt keiner solchen, wenn sie sich Leute aus dem Proletariat anstellt, um diese Arbeiten für sich verrichten zu lassen. Zeitgleich verneint diese Betonung auf Hausfrauen den Fakt (was auch sicher an den Unterschieden in der Zeitperiode liegt, in der das Buch geschrieben wurde), wie viele Frauen in Arbeitskämpfe involviert sind und als Hauptort ihrer Organisierung den Arbeitsplatz und eben nicht die häusliche Sphäre sehen. Die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit könnte für viele von diesen auch eine (aus ökonomischer Perspektive heraus argumentierte) Rückkehr in die häusliche Sphäre bedeuten, wo sie viel schlechter zu erreichen und langfristiger und schwerer zu organisieren sind. Außerdem handelte es sich bei einer solchen Bezahlung nicht um Lohn im Marx’schen Sinn, sondern um eine Transferleistung, die wie alles im Kapitalismus vorwiegend aus dem Lohnfonds aufgebracht werden muss (wie Sozialversicherungs-, Rentenleistungen und Steuern). Von daher ist die Losung doppelt falsch.

Demgegenüber stehen Forderungen nach Vergesellschaftung der Hausarbeit, also darauf hinzuarbeiten, dass nicht Einzelpersonen, Familien und vor allem Frauen zuständig für „häusliche, individuelle“ Subsistenz- und Reproduktionsarbeit sind, sondern Strukturen zu schaffen und zu fördern, die eine Aufteilung auf mehrere Hände und Köpfe ermöglichen. Gemeinsame Waschküchen, Gemeinschaftsräume, in denen es Kochmöglichkeiten gibt, Ablösung und Unterstützung bei der Kinder- und Angehörigenbetreuung mit dem langfristigen Ziel unterschiedsloser gesamtgesellschaftlicher, sozialisierter „Eltern- und Verwandtschaft“, sind dabei konkrete Ansatzpunkte.

Aber nur weil der Lohn für Hausarbeit keine sinnvolle Forderung ist, heißt das nicht, dass es nicht auch spezielle Methoden braucht, um Frauen (speziell, die in der individuellen Reproduktionssphäre gebundenen) in den politischen und ökonomischen Kampf hineinzuziehen. Hierbei kommen wir zu den aktuellsten Ausprägungen der SRT, zu den TheoretikerInnen der Frauenstreikdebatte.

Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser

Die prominenteste Protestform der internationalen Frauenbewegungen sind Frauenstreiks. Sie haben häufig unterschiedliche Ziele und setzen sich aus verschiedensten politischen Strömungen zusammen. Ihr Zweck ist es aber immer, auf bestimmte Missstände bezüglich der Gleichbehandlung von Frauen aufmerksam zu machen. In Lateinamerika ist die Bewegung vor allem auf den Stopp von Femiziden (Morden an Frauen „nur“ wegen ihres Geschlechtes) und Machismo („toxische Männlichkeit“) ausgelegt. In vielen europäischen Ländern sind die Proteste auf ungleiche Bezahlung von weiblicher Arbeit zugespitzt.

Die Autorinnen von „Feminismus für die 99 % – Ein Manifest“7 versuchen, eine antikapitalistische Perspektive in diese Frauenstreiks hineinzutragen, die eine Brücke zwischen Arbeitskämpfen und Identitätspolitik schaffen soll.

Dabei fokussieren sie sich auch stark auf soziale Reproduktionstheorie in ihrer Erklärung, warum es die unterschiedlichsten Unterdrückungsformen gibt, und versuchen, innerhalb ihrer Thesen einen Vorschlag für die Bewegung aufzustellen. Durch den manifestartigen Charakter wird auch hier wesentlich weniger in die Tiefe gegangen und viele der aufgestellten Theorien der AutorInnen werden nicht ausreichend erklärt.

Sie argumentieren, dass es zu einer neuen feministischen Welle kommt, die auch eine neue Art des Streikens einführt. Das kann unter anderem Entzug von Sex, Lohnarbeit und Lächeln inkludieren. Sie stellen also in ihrer Argumentation den Streik von LohnarbeiterInnen auf eine Ebene mit dem Frauenstreik, der sowohl lohnabhängige als auch nichtlohnabhängige Frauen umfasst. Sie meinen, durch diese Gleichsetzung wird die Diskrepanz aufgezeigt, wieviel Arbeit eigentlich zur Reproduktion momentan geleistet und wieviel davon eben nicht entlohnt wird. Für sie ist das der erste wichtige Schritt, um eine Brücke zwischen Klassen- und Identitätspolitik zu schlagen.

Dieser Zugang steht sehr stark in der Argumentationslinie von Dalla Costa/James, auch wenn die TheoretikerInnen von „Feminismus für die 99 %“ andere Forderungen aufstellen. Sie versuchen, die neue Kampfform des Frauenstreiks in einen Kontext mit den heftigsten Problemen des Kapitalismus zu bringen und dadurch eine Gesellschaftsanalyse aufzustellen.

Dafür entwickeln sie elf Kernthesen. Die wichtigsten (zusammengefasst) sind, 1) dass wir eine gesamtgesellschaftliche Krise durchleben, 2) Geschlechterunterdrückung in ihren Wurzeln durch die Unterordnung von sozialer Reproduktion unter (un)produktive Arbeit fürs Kapital verursacht wird, 3) der liberale Feminismus bankrott ist und es einen antikapitalistischen und 4) internationalen Zusammenschluss braucht. In ihrem Buch stellen sie auch viele der Thesen in einen Gegensatz zur bisher existierenden feministischen, aber auch zur ArbeiterInnenbewegung, die für sie vor allem eine männliche darstellt.

Der erste Punkt der gesamtgesellschaftlichen Krise versucht, Kapitalismus nicht nur als Wirtschafts-, sondern als Gesellschaftssystem zu enttarnen. Der Neoliberalismus spielt hierbei eine Rolle, genauso aber die unterschiedlichen Auswirkungen der Krise unter anderem bezüglich Reproduktionssphäre, aber auch Klima. Dass der Kapitalismus nicht nur eine rein ökonomische Kategorie ist, ist auch in der marxistischen Theorie eine wichtige Erkenntnis, allerdings ist die ökonomische Basis eine der relevantesten Triebfedern. Die zugrundeliegenden ökonomischen Mechanismen des Gesellschaftssystems führen zu vielen unterschiedlichen Problemen wie Umweltzerstörung oder Sexismus.

Die These, dass Geschlechterunterdrückung aus einer systematischen Unterordnung von sozialer Reproduktion unter (kapitalistische) Produktion resultiert, wird nicht genau erklärt. Die starke Aufspaltung in eine Produktions- und Reproduktionssphäre geht laut den AutoInnen mit deren ungleicher Bewertung einher (speziell durch den Akt der Nichtbezahlung letzterer). Diese spezielle Situation habe sich im Kapitalismus soweit verschärft, dass es eigentlich notwendig sei, den Klassenbegriff neu zu definieren und Klassenkampf immer mit Kampf um soziale Reproduktion zu verknüpfen. Eine (Moralische? Ökonomische? Die AutorInnen erklären das nicht wirklich) Gleichbewertung von Reproduktionsarbeit würde gleiche Beteiligung an den politischen Kämpfen und die Verbindung der Bewegungen ermöglichen. Was ist Klasse dann aber für sie? Sie sagen zwar, sie beziehen sich nicht auf einen „altmodischen“ Klassenbegriff, tun aber auch so, als wären Frauenbewegung und Klassenkampf zwei unterschiedliche tätige Subjekte – wobei in Wirklichkeit keines ohne das andere existieren kann. Hierbei betonen sie auch, dass der neue Feminismus ein klar intersektionalistischer sein muss, haben aber keine Vorschläge bzw. Programmatik anzubieten. „Gewiss, unser Manifest bietet keinen präzisen Entwurf einer Alternative, da diese nur aus den Kämpfen um ihre Verwirklichung hervorgehen kann.”8

Ihre Abwendung vom liberalen Feminismus hin zu einem antikapitalistischen ist ein enormer Fortschritt. Allerdings muss kritisch bilanziert werden, dass hierbei aufgrund der schwammigen Analyse nicht ausgeschlossen ist, dass es sich dabei um mehr als ein Lippenbekenntnis handelt. Das Manifest für die neue Welle der Frauenbewegung spricht nicht über eine nachkapitalistische Gesellschaft und lehnt „veraltete“ marxistische Ideen zu dem Thema ab. Es bleibt also unklar, was eigentlich die Perspektive ist und wie man dorthin kommen soll (abgesehen von Frauenstreiks). Dabei ist es natürlich essenziell, dass sie eine internationalistische Sichtweise einzunehmen versuchen, aber ohne Vorschläge, wie Internationalismus umzusetzen ist bzw. welche Strukturen es dafür braucht, bleiben diese Ideen ohne praktische Handlungsanweisung – sind also nicht umsetzbar.

Was für einen Feminismus vertreten die AutorInnen also genau? Eine Mischung aus sozialistischem Feminismus, moderneren queertheoretischen Ideen und Intersektionalitätsansatz mit ein bisschen – subjektivem – Antikapitalismus und SRT! Das Buch ist trotzdem ein interessanter Beitrag zu letzterer, da der Fokus auf Frauenstreiks, die momentan elementarste Kampfform in der Sphäre der Reproduktion, wichtig ist und bei vielen anderen vergessen wird.

Frauenstreiks sind ein fortschrittliches Element des Klassenkampfes. Werktätige Frauen, die versuchen, auch ihre nichtwerktätigen Geschlechtsgenossinnen in den Klassenkampf hineinziehen über ihre Forderungen und konkreten Handlungen, sind eine Bereicherung für den Klassenkampf. Obwohl natürlich gemeinsame Streiks von Lohnarbeitern und Lohnarbeiterinnen mehr Wirkung ausüben, kann der politische Kampf nicht mit rein ökonomischen Zielen gewonnen werden. Frauen in der häuslichen Sphäre können durch diese Protestform erreicht und die bestimmte frauenspezifische Unterdrückung insbesondere der Hausfrauen in proletarischen Familien kann thematisiert werden. Allerdings ist der Frauenstreik kein Selbstzweck, wie häufig argumentiert wird: Entzug von Zuneigung und emotionaler Arbeit kann sicherlich als Kampfform in ungleichen Beziehungen oder zum Selbstschutz dienen, ist aber in den seltensten Fällen eine gesellschaftspolitische.

Wer ist Subjekt der Frauenbefreiung?

Die Arbeiten von Lise Vogel und erst recht das Manifest „Feminismus für die 99 %“ enthalten jedoch beide eine zentrale Schwäche, wenn es darum geht, das Subjekt der Frauenbefreiung sowie der Verbindung dieses Kampfes mit dem gegen den Kapitalismus zu bestimmen. Korrekterweise stellt Vogel fest, dass die Frauenunterdrückung auf ihrer „besonderen Stellung … innerhalb der kapitalistischen gesellschaftlichen Reproduktion“9 fußt. Wie wir gesehen haben, weist sie auch jede Theorie zurück, die die Reproduktionssphäre als eine gesonderte, nicht von der Kapitalakkumulation bestimmte, begreift. Sie kommt an dieser Stelle der marxistischen Auffassung sehr nahe, die daraus herleitet, dass die arbeitenden Frauen eine Vorreiterinnenrolle im Kampf gegen Frauenunterdrückung spielen müssen, dass die Bildung einer proletarischen Frauenbewegung ein notwendiges Mittel im Befreiungskampf darstellt, sowohl um die Klassenunabhängigkeit der arbeitenden Frauen von allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften herzustellen wie auch um gegen Sexismus, Chauvinismus und männliche Privilegien innerhalb der ArbeiterInnenklasse vorzugehen.

Dies schließt Bündnisse mit Frauen anderer Klassen keineswegs aus. Insbesondere mit den Bäuerinnen und den radikalen, progressiven Frauen der Mittelschichten und aus dem KleinbürgerInnentum wird eine proletarische Frauenbewegung gemeinsame Kämpfe um demokratische und soziale Rechte führen müssen, was auch Aktionsbündnisse mit bürgerlichen Frauen (z. B. um gleiche politische Rechte, um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch) einschließt. Eine solche Taktik unterscheidet sich aber grundlegend von der Vorstellung einer klassenübergreifenden Frauenbewegung.

Die Analyse der Reproduktionsarbeit von Lise Vogel legt, auf den ersten Blick, eine solche Schlussfolgerung nahe. Sie zieht diese jedoch noch nicht. Vielmehr erfahren wir: „Der Mangel an Gleichheit ist die Grundlage der Frauenbewegungen, die Frauen aus unterschiedlichen Klassen und Schichten zusammenbringen.“10

Für sie existieren zwei Quellen der Frauenunterdrückung im Kapitalismus, nämlich eine auf ökonomischer Ebene, eine andere auf politischer. Mangelnde Gleichheit gilt ihr, im Gegensatz zu anderen Klassengesellschaften (!), als „ein Merkmal der Frauenunterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft.“11

Entscheidend für eine marxistische Analyse wäre hier jedoch zu bestimmen, wie sich die ökonomische und gesellschaftliche Basis der Frauenunterdrückung zur Ungleichheit verhält. Es bedarf eigentlich keiner großen Kunst zu erkennen, dass die politische, rechtliche Ungleichheit, die Diskriminierung, reaktionären Geschlechterrollen usw. den Überbau einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung darstellen und eine wirkliche Befreiung der Frau nur möglich ist, wenn der Kampf über den um gleiche bürgerlich-demokratische Rechte hinausgeht.

Vogel betrachtet die Kettung der Frau an die private Hausarbeit und die Ungleichheit in der politischen Sphäre als gleiche Strukturen oder gesellschaftliche Subsysteme, die die Frauenunterdrückung hervorbringen. Der Einfluss der falschen, strukturalistischen Lesart des Marxismus, von Althusser und Poulantzas ist hier unverkennbar, eine grundlegende methodische Schwäche ihres Buches, die sie mit den frühen Schriften der TheoretikerInnen des Linkspopulismus teilt.12 Sie wie die gesamte SRT fallen hier weit hinter die politischen Errungenschaften marxistischer TheoretikerInnen und der sozialistischen Frauenbewegung, einer Zetkin, Luxemburg oder Kollontai zurück, die alle auf einer Trennung von proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung beharrten. Vogel lässt uns hingegen mit einer klassenübergreifenden Bewegung zurück, die wie durch ein Wunder über den Kapitalismus hinausgehen soll.

„Diese Bewegungen (die Frauenbewegungen; Anm. d. Red.) unterscheiden sich durch ihre explizite oder implizite Interpretation von Gleichheit. Einige betrachten die Gleichheit zwischen Frauen und Männern als ein im Grunde zufriedenstellendes Ziel. Solche Bewegungen darf man zu Recht bürgerliche Frauenbewegungen nennen. Doch die Widersprüche des Spätkapitalismus werden wahrscheinlich auch diesen Frauenbewegungen zumindest zu einer gewissen Einsicht in den Unterschied zwischen bürgerlicher Gleichheit und tatsächlicher gesellschaftlicher Gleichheit verhelfen. Dies könnte für die Entwicklung einer Frauenbewegung, die sich zum Sozialismus hin orientiert, förderlich sein.“13

Warum die bürgerlichen Frauen im Spätkapitalismus den proletarischen näherstehen und zu kritischeren Positionen gedrängt werden sollen als die bürgerlichen Frauenbewegungen in vorgehenden Perioden, bleibt eine reine Wunschvorstellung, die im Buch nicht weiter begründet wird. Vogel unterstellt, dass die bürgerlichen Frauen ihr Klasseninteresse einfach hinter sich lassen könnten. Die Frauen der herrschenden Klasse werden ihre Privilegien, ihre herrschende Stellung, die auf der Ausbeutung der proletarischen Frauen (und Männer) gründet, niemals aufgrund einer „Einsicht“ aufgeben. Allenfalls werden einzelne mit den Männern und Frauen ihrer Klasse brechen.

Damit eine sozialistische Frauenbewegung entstehen kann, braucht es den Bruch mit allen Illusionen in bürgerliche und kleinbürgerliche Kräfte. Nur so können die Arbeiterinnen, die proletarischen Frauen eine eigene, führende Rolle im Kampf spielen. Während Vogel in ihrer Analyse der Reproduktion wichtige Schritte zu deren Verständnis liefert und die Notwendigkeit einer proletarischen Frauenbewegung eigentlich nahelegt, bricht sie mit dieser Analyse aufgrund ihres strukturalistischen Verständnisses von Kapitalismus. Politisch führt ihre Verteidigung klassenübergreifender Frauenbewegungen in keine sozialistische Richtung, sondern zur Unterordnung unter den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feminismus. In der Subjektfrage treten die Schwächen der SRT nicht nur bei Vogel, sondern erst recht im „Feminismus der 99 %“14 deutlich zutage. Wenn die neue Frauenbewegung zu einer wirklich sozialistischen, internationalistischen und revolutionären Kraft werden soll, muss sie diese Schwächen hinter sich lassen.

Fazit und Ausblick

Ein Großteil unseres Textes beschäftigt sich mit fehlerhaften Schlussfolgerungen der SRT aus dem einfachen Grund, dass klar herausgefiltert werden muss, auf welchem Fundament man weiterbauen kann. Die Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion muss eine kontinuierliche sein. Es ist notwendig, mit theoretisch falschen Schlussfolgerungen so früh wie möglich zu brechen.

Es ist in der Tat so, dass SRT der Einstiegspunkt für die fortschrittlichsten feministischen Kräfte darstellt. Auch wenn „Feminismus für die 99 %“ sicher keine marxistische Perspektive aufzeigt, ist die Intention, eine antikapitalistische Losung in die Frauenstreikbewegung hineinzutragen, etwas, worauf wir aufbauen müssen und können.

Die Abgleitflächen sind auch wichtig zu beachten. Bei oberflächlicher Auseinandersetzung liegt die Schlussfolgerung sicher nahe, eine eigene Ebene der Frauenunterdrückung heraufzubeschwören, die eines gesonderten Kampfes von Frauen bedarf und nicht mit der historisch-dialektischen Methode des Marxismus erklärt werden zu können scheint. Auch ist, wie anfangs erwähnt, der Zugang, über feministischen Sozialismus den Marxismus weiterentwickeln zu wollen, unzureichend und endet in der gleichen methodischen Weggabelung. Dafür ist jedoch v. a. die Entstellung der klassischen marxistischen Lehren durch Sozialdemokratie, Stalinismus und etliche zentristische Strömungen verantwortlich, die sie im wahrsten Sinne des Wortes wie einen toten Hund behandelt und vollständig verdreht haben.

Das Verstehen von sozialer Reproduktion ist klarer Weise theoretische Voraussetzung für die Überwindung der Unterdrückung der Frau. Die kritische Auseinandersetzung mit Autorinnen wie Lise Vogel und deren Analyse stellt dabei einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar, diesen Bereich besser auszuleuchten, zu verstehen und weiterzuentwickeln, aber die Frage der Befreiung der Frau lässt sich nicht allein darüber beantworten.

Kapitalistische Tendenzen, die Einbeziehung der Frau in die Lohnarbeit, der spezielle Charakter der Doppel- oder Mehrfachbelastung, sexistische Unterdrückung von Inter-, Trans- und nichtbinären Personen sind alles Erscheinungen, die Antworten brauchen, die über das reine Verstehen von sozialer Reproduktion hinausgehen. Wie Vogel auch argumentiert, gibt es einen Widerspruch zwischen der Steigerung des Mehrwerts, der Ausdehnung der Lohnarbeit u. a. durch Einbezug von Frauen in die Produktion und der Zeit, die in notwendige Reproduktionsarbeit gesteckt werden muss. Die Lösung davon ist natürlich (meistens) kein bewusster, sondern ein ideologisch verschleierter Prozess im Kapitalismus, der viele zusätzliche Probleme schafft. Nicht alle Frauen sind in derselben Form in Reproduktionsarbeit involviert. Es ist also vor allem eine Untersuchung notwendig, die die ökonomischen Ursprünge der Frauenunterdrückung in der Geschichte aufdecken soll und unser Verständnis von der kapitalistischen Wirtschaft und der aller vorhergehenden Gesellschaftsformationen stärkt.

Endnoten

1 Pluto Press, London u. a. 1983

2 Vogel, Lise: a. a. O., ; S. ix; auf Deutsch: Marxismus und Frauenunterdrückung – Auf dem Weg zu einer umfassenden Theorie, Unrast-Verlag, Münster/Westf. Oktober 2019, 1. Auflage, S. 23. Hiernach auch im Folgenden zitiert

3 Ebenda, S. 214

4 Ebenda, S. 220 (Fußnote 3)

5 Dalla Costa, Mariarosa; James, Selma, Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Merve Verlag, Internationale Marxistische Diskussion 36, Berlin/West 1973

6 Marx, Karl: Das Kapital Bd.1, 21. Kapitel, MEW 23, Dietz Verlag, Berlin/Ost 1971, S. 596f.

7 Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy, Feminismus für die 99 % – Ein Manifest, Matthes & Seitz, Berlin 2019

8 Ebenda, S. 102

9 Vogel, Lise, a. a. O., S. 238

10 Ebenda, S. 241

11 Ebenda, S. 239

12 Vergleiche dazu unsere Kritik an Laclau/Mouffe: Suchanek, Martin, Sackgasse Linkspopulismus. Eine Kritik der Theorien von Laclau und Mouffe, in: Revolutionärer Marxismus 50, Verlag Global Red, Berlin 2018, S. 172 – 235

13 Vogel, Lise, a. a. O., S. 241

14 Siehe dazu: March, Urte (Red Flag Britain), Feminism for the 99 %, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, Berlin 2020




Social Reproduction Theory – Fehler und Ansätze zur Reproduktionsarbeit

Aventina Holzer, Infomail 1104, 19. Mai 2020

„Social Reproduction Theory“ ist ein Zugang, der sich vornimmt, (meist) auf einer marxistischen Basis die Reproduktionssphäre besser zu analysieren, als es die sozialistische Bewegung bis jetzt geschafft hat. Der Anspruch ist richtig und wichtig. Für ein Verständnis von den ökonomischen Ursachen der Frauenunterdrückung und damit auch für die Strategie zu ihrer Überwindung braucht es eine bessere Analyse der sogenannten Reproduktionssphäre. Auch wenn viele der daraus resultierenden Ideen zu falschen Schlussfolgerungen und Konzepten führen, ist es wichtig, die geleistete Vorarbeit näher zu beleuchten, um eine Perspektive für eine echte marxistische Weiterentwicklung aufzuzeigen.

Geschichte

TheoretikerInnen der „Social Reproduction Theory“ (SRT) beschäftigen sich schon seit den 1970er Jahren mit dem Verhältnis von Reproduktionssphäre und Frauenunterdrückung. Zwar nicht gleichzusetzen mit dem sozialistischen Feminismus – schließlich sind nicht wenige der TheoretikerInnen der SRT in autonomen oder rein akademischen Strukturen zu verorten –, so steht die SRT doch in einem Naheverhältnis zu ihm.

Der sozialistische Feminismus selbst entstand als Antwort auf den Radikalfeminismus und dessen Ablehnung eines gemeinsamen Kampfs mit den männlichen Arbeitern für Frauenbefreiung. Allerdings griff er auch viele der Kritikpunkte des Radikalfeminismus auf. Die ArbeiterInnenbewegung wäre männlich dominiert und Aktivistinnen würden, aufgrund von vorherrschendem Sexismus, nicht gut in die Arbeit eingebunden werden. Für viele war die Antwort darauf eine teilweise separate Organisierung. Auch hielten viele die Kritik aufrecht, dass Marx‘ politische Ökonomie „geschlechtsblind“ sei und den speziellen Charakter der Hausarbeit bzw. Reproduktionssphäre nicht bedachte.

Dies führt teilweise zu einer Abwendung von Marx‘ Theorien und Methoden. Stattdessen wird die Analyse vorgelegt, dass es sich bei der Reproduktionssphäre eigentlich um eine autonome, von der Produktionssphäre unabhängige Ebene handelt. Das legt die Schlussfolgerung nahe, dass auch die Dynamik der Frauenunterdrückung, die aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Bindung der Frau an die Reproduktionssphäre entspringt, eine unabhängige ist und dementsprechend nicht mit denselben Mitteln bekämpft werden kann wie Klassenunterdrückung. Das kann zu einem Verständnis führen, das potenziell die Bewegung spaltet und versucht, einen Kampf gegen den Mann der eigenen Klasse anstelle der wirklichen UnterdrückerInnen anzuzetteln.

Aber auch wenn der sozialistische Feminismus keine Alternative bietet, sind die Fragen, die von dieser Strömung aufgeworfen wurden bzw. werden, und auch die Gründe für ihre Entstehung sehr wichtige Ansatzpunkte für eine antisexistische ArbeiterInnenbewegung.

Es ist dringend notwendig, das in Grundzügen entwickelte Verständnis von Frauenunterdrückung weiterzudenken und nicht in rein ökonomistische Antworten abzudriften wie in Teilen der trotzkistischen Tradition.

Was ist Social Reproduction Theory?

„Dieses Projekt begann vor mehr als 10 Jahren. Wie bei vielen anderen Frauen in den späten 1960ern Jahren fiel mein Engagement für die aufkommende Frauenbewegung mit meiner Entdeckung der marxistischen Theorie zusammen. Zunächst dachten viele von uns, man brauche die marxistische Theorie einfach nur zu erweitern, um sie für unsere Anliegen als Frauenbewegung nutzbar zu machen. Schnell merkten wir jedoch, dass dieser Ansatz viel zu mechanisch war und vieles unbeantwortet ließ. Die marxistische Theorie, die wir vorfanden, und auch das sozialistische Vermächtnis an Werken zur Unterdrückung von Frauen bedurften einer grundlegenden Umgestaltung. Einige wandten sich aufgrund dieser Erkenntnis vollständig vom Marxismus ab. Andere blieben bei dem Versuch, von der marxistischen Theorie Gebrauch zu machen. Sie verfolgten nun das Ziel, die Unzulänglichkeiten der sozialistischen Tradition durch eine ‚sozialistisch-feministische’ Synthese zu überwinden. Obwohl ich mit diesem Ansatz sympathisierte, verfolgte ich weiterhin das ursprüngliche Vorhaben, die marxistische Theorie zu erweitern. Dafür war es jedoch notwendig, zu untersuchen, was marxistische Theorie überhaupt ist. Überdies machte mir eine gründliche Lektüre der wichtigsten Texte des 19. Jahrhunderts zur ‚Frauenfrage’ klar, dass die theoretische Tradition äußerst widersprüchlich ist. … Dennoch bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass nicht sozialistisch-feministische Synthesen, sondern eine Wiederbelebung der marxistischen Theorie in den bevorstehenden  Kämpfen für die Befreiung der Frauen als theoretische Orientierung am besten dient.“ (Lise Vogel, Marxismus und Frauenunterdrückung, 2019, Unrast Verlag Münster)

So versucht Lise Vogel – eine der wichtigsten und marxistischsten TheoretikerInnen der SRT –, die Entwicklung der Theorie zu erklären.

Social Reproduction Theory ist keine eigene Strömung, sondern eher eine theoretische und auch oft akademische Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion im Kapitalismus und, ob deren korrektes Verständnis von „orthodoxer“ marxistischer Theorie abweicht oder sie weiterentwickelt. Sie versucht dabei auch, den Ursprung der Frauenunterdrückung in der Klassengesellschaft aufzudecken, der laut vielen TheoretikerInnen, die sich mit Social Reproduction Theory beschäftigen, aus dieser Sphäre stammt und Frauen aufgrund der Fähigkeit zu gebären auch in diese Rolle historisch gedrängt hat.

Reproduktion im Marxschen Sinne kann mehrere Sachen bedeuten: auf der einen Seite (in der ArbeiterInnenfamilie) die Reproduktion der Ware Arbeitskraft (für den nächsten Tag oder die nächste Generation), andererseits meint Reproduktion auch die beständige Erneuerung der kapitalistischen Gesellschaftsformation (Kreislauf der Kapitalverwertung etc.). Die TheoretikerInnen der SRT beziehen sich vor allem auf die erstere Bedeutung, obwohl natürlich beide Varianten stark verknüpft sind.

Eine Stärke gegenüber anderen feministischen Analysen ist natürlich, dass der Ausgangspunkt ganz klar die ökonomische Analyse ist und auch die Unterdrückung daraus abgeleitet wird. Es wird versucht, Produktionsverhältnisse als menschliche Verhältnisse zu verstehen und dementsprechend gibt es auch keine eigene ökonomische Ebene abseits davon verschiedenen der Unterdrückung innerhalb der Klassengesellschaft. Die speziellen Ausprägungen der Frauenunterdrückung (z. B. von mehrfach Unterdrückten wie Migrantinnen etc.) können im Kontext von mangelnden demokratischen Rechten und deren Auswirkung auf die Gesellschaft und umgekehrt weiterverstanden werden, argumentieren die TheoretikerInnen der SRT.

Sie wollen in der theoretischen Analyse von einer dualen Betrachtungsweise („dual systems approach“), welche die Sphären der Reproduktion und Produktion auf unterschiedliche Ebenen stellt und daraus auch einen separaten Kampf für Frauenbefreiung heraufbeschwört, wegkommen. Stattdessen wird versucht, mit den Methoden, die in Marx‘ politischer Ökonomie begründet liegen, ein einheitliches Verständnis von Produktions- und Reproduktionssphäre zu finden bzw. es weiterzuentwickeln. Schließlich wirft es viele Fragen auf, wenn die Ware Arbeitskraft die einzige ist, die weitgehend außerhalb der Sphäre der Mehrwertproduktion hergestellt wird. Die SRT stellt sich diese Frage zu Recht, auch wenn sie selbst auch problematische Antworten entwickelt.

Lohn für Hausarbeit und Frauenstreiks

Die Fragestellung selbst ist auch nicht neu und wurde schon vor der SRT im feministischen Diskurs aufgeworfen. Mariarosa Dalla Costa warf zum Beispiel 1972 die Frage auf, ob die  Hausarbeit eine Form produktiver Arbeit wäre auf. Produktivität ist natürlich im Marx’schen Sinne zu verstehen als Mehrwert schaffende Arbeit für das Kapital und nicht im Sinne einer moralischen Bewertung (obwohl die Begriffe häufig vermischt werden – gerade in dieser Debatte). Daher stellt die private Hausarbeit ganz eindeutig keine Form produktiver Arbeit dar.

Dalla Costa argumentiert jedoch, dass Frauen durch ihre Reproduktionsarbeit der Ware Arbeitskraft Wert hinzufügen und damit den Mehrwert vergrößern würden. Das heißt, für Dalla Costa schafft private Reproduktionsarbeit genauso Mehrwert, wie es die in der kapitalistischen Produktion tut. Die Konsumtion zuhause ist Teil der produktiven Konsumtion. Frauen bilden somit ein eigenes revolutionäres Subjekt, Hausarbeit würde nur als nicht produktive Arbeit verschleiert und es ist notwendig, sich dagegen zu organisieren. Dafür stellt sie die Forderung nach einer Bezahlung der Hausarbeit auf (Lohn für Hausarbeit). Diese soll Frauen in den ökonomischen Kampf ziehen und es seien ja durch den produktiven Charakter der Hausarbeit auch dieselben Kampfmethoden möglich. Die Welt stehe still, wenn keine häusliche Reproduktionsarbeit mehr geleistet wird, und ohne diesen politischen Kampf könne es keine revolutionäre Perspektive geben.

Es macht keinen Sinn zu versuchen, Hausarbeit mit Produktion gleichzusetzen. Es führt auch zu problematischen Schlussfolgerungen. Die Reproduktion steht aufgrund von historischen Bedingungen außerhalb der kapitalistischen Produktionssphäre und es findet hier individuelle Konsumtion statt, keine produktive (die laut Marx das Verwerten von Produktionsmitteln ist, um den Produkten einen höheren Wert hinzuzufügen und zeitgleich auch die Konsumtion der Ware Arbeitskraft durch den/die KapitalistIn).

Dass Hausarbeit keinen Mehrwert schafft, heißt nicht, dass sie nicht unerlässlich für das Bestehen der Gesellschaft ist. Aber es braucht eben andere Kampfmethoden. Wenn Hausarbeit bestreikt wird, schadet es zuallererst den ArbeiterInnen selbst und nicht primär dem Kapital. Es wird ein Kampf gegen die Männer der eigenen Klasse aufgemacht und nicht gegen die KapitalistInnen. Das sind eben auch Probleme, die Reproduktionsstreiks der privaten Hausarbeit mit sich bringen.

Allerdings ist es wichtig, die politischen Möglichkeiten dieser Form der Proteste anzuerkennen. Auch wenn ein Bestreiken der Hausarbeit nicht denselben ökonomischen Effekt hat wie ein Streik der ArbeiterInnen, so sind doch auch sehr, sehr viele Frauen berufstätig – es ist eine gute Möglichkeit, um auf Fragen der Doppelbelastung hinzuweisen, die Einbeziehung von Frauen in den politischen Kampf voranzutreiben und das Erreichen von Leuten, die sonst an die häusliche Sphäre gebunden sind, zu ermöglichen.

Es ist aber keine Voraussetzung, Lohn für Hausarbeit zu fordern, um an solchen Demonstrationen und Aktionen teilzunehmen. Diese Forderung hat vielmehr den Charakter, Frauen noch eher an die häusliche Sphäre zu fesseln und ihnen damit die Möglichkeit zu erschweren, an politischen Kämpfen teilzunehmen – kein Wunder, dass diese Forderung auch von reaktionären Kräften aufgeworfen wird. Wir stellen dem die Forderung nach einer Vergesellschaftung der Hausarbeit entgegen.

Ausblick

SRT hat also viele Ansätze und auch viele Sackgassen. Es ist aber notwendig, sich mit diesem Zugang auseinanderzusetzen, da innerhalb dieser Debatte bis jetzt die intensivsten und auch am engsten an Marx orientierten Untersuchungen geleistet wurden. TheoretikerInnen wie Nancy Fraser, Tithi Bhattacharya und viele mehr werden auch jetzt wieder stark diskutiert. Den besten Ansatz bietet aber vermutlich Lise Vogels Werk „Marxismus und Frauenunterdrückung“ (UNRAST-Verlag, Münster 2019) und auch mit den Problemen, die dieses Buch hat, ist es ein wichtiger Beitrag zur gesamten Debatte und ein ernsthafter Versuch, von einer dualen Betrachtungsweise wegzukommen. Wir werden uns in Zukunft genauer mit ihren Theorien beschäftigen und versuchen, die historisch-materialistische Erklärung von Frauenunterdrückung zu erweitern und daraus ein Programm abzuleiten, um Sexismus – und damit auch Kapitalismus – endgültig ein Ende zu machen!




Frauenkampftag – alle zusammen, alle vereint!

Balthasar Luchs, Infomail 1094, 10. März 2020

Zum
Frauenkampftag am 08. März in Hamburg versammelten sich, begleitet von
Trommel-, Musik- und Redebeiträgen, bis zu 1.500 Menschen an der
Auftaktkundgebung an den Landungsbrücken. Die Menge war spektrenübergreifend,
international und mit allen Altersgruppen vertreten – und das Wichtigste: der
Großteil bestand aus Frauen. Sowohl Parolen wie Transparente und Reden
befassten sich mit der nach wie vor existierenden Diskriminierung von Frauen in
Deutschland, Europa und weltweit. Das Augenmerk richtete sich auf die fehlende
Gleichstellung in Beruf und Familie, die Benachteiligung, die man aufgrund von
Geschlecht oder Sexualität erfährt und in allen Bereichen des Lebens antrifft,
aber auch auf Gewalt sowie die, besonders weltweit betrachtet, rechtliche
Hilflosigkeit, welche Betroffene erfahren. Die Route wurde wieder bewusst über
die Reeperbahn gewählt, da speziell hier Frauen von Anfeindungen und
Herabwürdigung betroffen sind, sei es als BesucherInnen oder Menschen, die im
Bereich der Sexarbeit tätig sind – oft ohne Rechte und mit massiver seelischer
sowie körperlicher Ausbeutung konfrontiert. Prostitution ist ein Geschäft, mit
dem sich viel Geld verdienen lässt, aber wie generell im Kapitalismus, nur für
die, welche es kontrollieren.

Die Demo wurde
explizit als sog. FLINT-Demo ausgewiesen. Dies steht für Frauen, Lesben,
Intersexuelle, nicht-binäre und trans-gender Personen. Der Tag ist seit Beginn
des 20. Jahrhunderts Kampftag für die Rechte von Frauen. So ist es auch ihre
Entscheidung, wie die Demo gestaltet wird, ohne die Einflussnahme und
vorherrschende Präsenz von Männern. Es wird dadurch ein Freiraum geschaffen,
welcher in dieser Form in der Gesellschaft nicht zu finden ist und von
Diskriminierung betroffenen Menschen die Sicherheit geben soll, welche ihnen
oft genommen wird. Die Außenwirkung sprach für sich und die Lautstärke der
Masse war nicht zu überhören.

Speziell Männer,
die diesen Kampf unterstützen wollen, sind von der Teilnahme jedoch
ausgeschlossen. Es wurde gebeten, die Entscheidung der OrganisatorInnen zu
respektieren und nicht an der Demo teilzunehmen, stattdessen vom Rande zu
unterstützen. Diese Forderung ist in allen Belangen nachvollziehbar, daher
haben wir uns mit unserem Transpi mit der Aufschrift „Frauen kämpfen
international, gegen Krise, Krieg und Kapital“ an den Treppen über der
Kundgebung positioniert. Unsere GenossInnen beteiligten sich an der
Demonstration.

Wir glauben aber
auch, dass die Teilnehmerinnenzahl durch diesen Entschluss deutlich kleiner
ausgefallen ist, als sie es beispielweise letztes Jahr war. Dort hat die Praxis,
zwei Demonstrationen durchzuführen, eine FLINT- und eine gemischte
Demonstration, zu deutlich größerem Anklang geführt, als es dieses Jahr der
Fall war. Auch für Männer sollte die Möglichkeit bestehen, gegen die
Unterdrückung aufgrund von Geschlecht und Sexualität auf die Straße zu gehen.
Dies beinhaltet auch alle Menschen, die außerhalb der FLINT-Demonstration
teilnehmen möchten.

Dieser Tag hat
somit eines deutlich offenbart: Die restlichen politischen Gruppen Hamburgs
haben versäumt, eine zweite Demonstration zu organisieren, welche für alle
TeilnehmerInnen offen gewesen wäre. Für 2021 sollte dies erklärtes Ziel für
einen erfolgreichen 8. März sein. Nach außen wäre klar gewesen, dass jeder
erwünscht ist. In Absprache miteinander hätten die Routen wieder abgestimmt
werden können, was größere Teile der Stadt erreicht hätte. Wir würden in diesem
Zusammenhang auch eine Zusammenführung der Demonstration befürworten, was in
symbolischer Weise die Zusammengehörigkeit dieses Kampfes verdeutlicht – „one
struggle, one fight“, wir können ihn nur gemeinsam gewinnen. Dieses Gefühl
spiegelte sich 2019 im Moment der Zusammenführung wider. Mehrere kämpferische
Züge vereinten sich zu einer großen Demonstration, die Wirkung davon war in
allen Belangen beeindruckend!




Feminismus in Pakistan

Minerwa Tahir, Democratic Women’s Front Lahore, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten Jahren ist der Aurat-Marsch zu einem der sichtbarsten Ausdrücke der Frauenbewegung in Pakistan geworden. „Aurat“ bedeutet Frau in der Urdusprache. Seit 2018 ist in den großen Städten Pakistans das Phänomen des Aurat-Marsches zu beobachten – Frauen, geschlechtsspezifische Minderheiten, Männer und Kinder gehen auf die Straße und marschieren am Internationalen Tag der arbeitenden Frauen am 8. März.

Wer beteiligt sich?

In zwei großen städtischen Zentren – Karatschi und Lahore – wurde der Aurat-Marsch von einem Bündnis hauptsächlich radikal-feministischer und liberal-feministischer Kräfte organisiert, darunter führende Persönlichkeiten von NGOs, die sich bereit erklärten, die Fahnen ihrer NGOs hinter sich zu lassen und sich unter dem einen Banner des Aurat-Marsches zu vereinen. Eine Organisatorin aus Karatschi sagte: „Bei den Themen, mit denen Frauen heute konfrontiert sind, geht es um Gleichberechtigung im öffentlichen Raum, das Recht auf Arbeit, Sicherheit am Arbeitsplatz und vor allem um die Unterstützung durch eine Infrastruktur, während die vorherige Generation für politische Rechte kämpfte“ (Chughtai, 2019). In anderen Teilen wie Hyderabad und Islamabad organisierte die Demokratische Frauenfront (1), eine sozialistisch-feministische Organisation, die arbeitende Frauen aus städtischen und ländlichen Gebieten organisiert, den Aurat-Azadi-Marsch (2).

Einige der Forderungen dieses Marsches waren ein Ende der Gewalt gegen Frauen; eine Gesetzgebung, die die Rechte von Frauen und Transgender-Personen schützt; ein Mindestlohn und andere rechtliche Schutzmaßnahmen für den informellen Sektor; ein Ende der Privatisierung von und größere Investitionen in Gesundheit und Bildung, insbesondere für Frauen; Frauenwohnheime und Kindertagesstätten für die Kinder von arbeitenden Frauen; der Bau von Wohnungen für Leute mit niedrigen Einkommen und ein Ende der Kampagne gegen informelle Siedlungen; ein Ende der militärischen Operationen; die Rückkehr der vermissten Personen und eine politische Lösung des Belutschistan-Problems (Today, 2019). Auch ArbeiterInnenorganisationen und -verbände wie die Vereinigung weiblicher Arbeitskräfte im Gesundheitswesen (Chughtai, 2019) und die pakistanische Gewerkschaftsschutzkampagne  (Today, 2019) unterstützten den Marsch und nahmen daran teil. Mit Ausnahme von Hyderabad war der Klassencharakter der Frauenmärsche in den großen städtischen Zentren Pakistans weitgehend mittelständisch. Während ein Teil der Gründe für das Fehlen von Führung der ArbeiterInnenklasse in der Frauenbewegung mit dem Versagen der Linken und dem Aufstieg der Rechten sowie alternativen antimarxistischen Diskursen zu tun hat, liegt ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass so viele Frauen aus der Mittelschicht sich für die Teilnahme an diesen Märschen entschieden haben, darin, dass der Status der Frauenrechte in Pakistan selbst für Frauen aus Nicht-ArbeiterInnenklassen-Hintergrund erbärmlich ist.

Lage der Frauen

Vergewaltigung, Ehrenmorde, Säureangriffe, Zwangsheiraten, erzwungene Bekehrungen nicht-muslimischer Mädchen zum Islam, Kinderehen, sexueller Missbrauch und Belästigung sowie allgemeine geschlechtsspezifische Diskriminierung sind in der Gesellschaft weit verbreitet (HRW, 2019). Inzwischen gibt es weder nationale Gesetze, die geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Einstellung noch die geschlechtsspezifische Lohnunterschiede verbieten (Kirton-Darling, 2018). In ähnlicher Weise sind auch die Arbeitsgesetze in Pakistan diskriminierend gegenüber Frauen (Tribune, 2014). Im Allgemeinen hegt die Gesellschaft eine diskriminierende Einstellung gegenüber Frauen. Der jüngste Fall, in dem die nationale Universität für Wissenschaft und Technologie die Vergewaltigung einer Studentin leugnete, ist ein Zeugnis für diese Haltung (Dawn.com, 2019).

Sexualität

Ein wichtiges Thema, um das sich der Aurat-Marsch dreht, sind Fragen der Sexualität. „Mein Körper, meine Wahl“ war ein beliebter Slogan. Während man davon ausgehen kann, dass diese Frage in einigen demokratischen Ländern schon lange Teil des öffentlichen Diskurses ist, war und ist sie in Pakistan ein Tabuthema. Wie die gesellschaftliche Haltung sie geprägt hat, bleibt Sexualität eine Angelegenheit, die sich auf die privaten Grenzen des Schlafzimmers beschränkt und über die man, vor allem eine Frau, nicht spricht. Qandeel Baloch (Geburtsname: Fouzia Azeem), ein Star in den Sozialen Medien, die sexy Videos von sich selbst für den öffentlichen Konsum veröffentlichte, wurde schließlich von ihrem Bruder im Namen der „Ehre“ getötet. Wie Zoya Rehman schreibt, „markiert der Aurat-Marsch einen wichtigen Moment in der Entwicklung des feministischen Widerstands im Land, in dem jetzt für eine neue Art von feministischer Praxis gekämpft wird, die in Fragen der sexuellen Autonomie und Handlungsfähigkeit ,das Schweigen bricht’ (John und Nair, 1998)“ (Rehman, 2019). Sexualität, ein Thema, über das aufgrund seines „privaten“ Charakters nie in der Öffentlichkeit gesprochen wurde, wurde durch den Marsch – vor allem im Jahr 2019 – aus der Enge des häuslichen und privaten Lebens herausgebracht und für die Öffentlichkeit offengelegt. Folglich startete der rechte Flügel Angriffe gegen die OrganisatorInnen und TeilnehmerInnen in den Massen- und sozialen Medien. Es wurden Todes- und Vergewaltigungsdrohungen ausgesprochen (Reuters, 2019). Unterdessen griffen reaktionäre Schichten innerhalb der pakistanischen Linken zu einem ähnlichen Ansatz, wobei die Belutschistan-Sektion der Awami-ArbeiterInnenpartei (AWP) den Aurat-Marsch ablehnte (Jafri, 2019). In ähnlicher Weise tauchte die Politik der Reaktion innerhalb der feministischen Bewegung in Form der bekannten feministischen Dichterin Kishwar Naheed auf, die die radikalen Botschaften bezüglich der Sexualität kritisierte, die auf den Plakaten des Aurat-Marsches standen. Sie sagte, dass „Feministinnen ihre Kultur und Traditionen im Auge behalten sollten, um nicht wie ,Dschihadis’ auf Abwege zu geraten“ (Images, 2019).

Sadia Khatri kritisierte Frauen, die sich gegen die radikalen Plakate aussprachen, und schrieb, dass diese Art von Vorwürfen „verwirrender, ja sogar verletzend ist, wenn sie von anderen Frauen kommt“ (Khatri, 2019). Ich kann das Gefühl zwar nachempfinden, aber der Vorwurf überrascht mich wirklich nicht. Es ist schließlich die Politik der Menschen, nicht ihr Geschlecht oder andere Identitäten, die ihre Einstellung zu einem gesellschaftlichen Phänomen bestimmt. Auch der Gegenmarsch zum Aurat-Marsch wurde von rechten Frauen angeführt, nicht von Männern.

Die Sexualität während des Frauenmarsches aus der privatisierten Sphäre des Hauses herauszuholen, stellte eine radikale Errungenschaft der Frauenbewegung in Pakistan dar. Die Belutschistan-Sektion der Awami Workers Party lehnte den Aurat-Marsch mit der Begründung ab, dass die auf dem Marsch erhobenen Parolen nichts mit den Frauen der ArbeiterInnenklasse oder ihrem Kampf zu tun hätten. Diese Aussage spiegelt nicht nur eine Abtrennung von der Frauenbewegung wider, sondern zeigt auch, wie isoliert die Sektion der AWP in Belutschistan von den Kämpfen der Arbeiterfrauen in Pakistan ist. Wenn man mit berufstätigen Frauen in der Realität interagiert, erzählen sie uns davon, dass „nicht jede aus Freude und Entscheidung die vollverschleiernde Burka trägt“.

Natürlich kann es vorkommen, dass Schichten der Klasse, die aufgrund der zusätzlichen Belastung durch die reproduktive Arbeit atomisiert bleiben, der Interaktion und Organisation mit ihrer Klasse beraubt werden und somit den Vorstellungen der Reaktion zum Opfer fallen. Aber mit der sich zunehmend vertiefenden Wirtschaftskrise in Pakistan, insbesondere nach dem IWF-Deal, können es sich Frauen, die mit Männern aus der Arbeiterklasse verheiratet sind, nicht mehr leisten, nur reproduktive Arbeit zu leisten. Sie werden aus dem Haus gedrängt, um Arbeit zu finden, um die ArbeiterInnenfamilie zu ernähren. Während dies schon seit langem der Fall ist, da die Wirtschaft des halbkolonialen Landes weitgehend instabil geblieben ist, haben die Klauseln des IWF zu schlechteren Bedingungen für die arbeitenden Armen geführt (Arshad, 2019). Selbst wenn es sich bei diesen Jobs um niedere Tätigkeiten handelt, wie z. B. die Arbeit als Haushaltshilfe in Haushalten der Mittelschicht, bieten sie diesen Frauen eine gewisse Möglichkeit, sowohl mit ihrer eigenen Klasse als auch mit dem/r KlassenfeindIn zu interagieren. Es überrascht daher nicht, dass eine Hausangestellte, die eine halbverschleiernde Niqab trägt, bei einem Treffen mit anderen berufstätigen Frauen sagte, dass „nicht jede die Burka aus Freude und Entscheidung trägt“.

Diejenigen pakistanischen Linken, die Sexualität und andere Aurat-Marsch-Themen immer noch nicht als wichtige Themen für das Leben arbeitender Frauen sehen, sollten sich einige grundlegende Fragen stellen. Wenn die arbeitende Frau die Freiheit, Zeit und Geld hätte, sich wie Frauen der Mittelschicht zu kleiden, würde sie das nicht tun? Wenn sie die Freiheit, die Zeit und das Geld hätte, würde sie sich nicht romantischen/sexuellen Affären hingeben wollen, wie es Frauen aus privilegierten Schichten in diesem Land tun? Wenn es für sie keine Frage mehr wäre, jeden Tag etwas „Khana“ [Essen] für ihre Familie zu bekommen, wie es für Frauen aus der Mittelschicht der Fall ist, würde sie sich dann nicht auch wünschen, dass ihr männlicher Partner gleichberechtigt an der Zubereitung dieser Mahlzeiten teilnimmt? Diese Fragen machen deutlich, wie arbeitende Frauen durch die wirtschaftlichen Bedingungen gezwungen sind, bestimmte Themen als Hauptanliegen zu behandeln. Dies spiegelt jedoch keineswegs wider, dass arbeitende Frauen nicht an Fragen der sexuellen Befreiung interessiert sind.

Was für eine Bewegung brauchen wir?

Unterdessen ist eine andere Idee, die in bestimmten radikalen Schichten der Frauenbewegung in Pakistan vorherrscht, dass wir eine klassenübergreifende feministische Bewegung brauchen. Die Befürworterinnen dieser Ansicht argumentieren, dass dies ein „inklusiver“ Ansatz sei, da er es Frauen aus allen Klassen ermöglicht, sich zusammenzufinden, um gegen einen gemeinsamen Feind, nämlich das Patriarchat, zu kämpfen und die Gleichberechtigung zu erlangen. Nehmen wir eine der Forderungen, die von radikalen Feministinnen erhoben wurden. „Gleichheit beim Zugang zu öffentlichen Räumen“.

Nehmen wir an, dass diese Forderung nun gewonnen ist. Die Frau aus der ArbeiterInnenklasse wird die formale Gleichheit beim Zugang zu öffentlichen Räumen haben, aber genau wie ihr männlicher Kollege aus der ArbeiterInnenklasse hat sie diese Freiheit als jemand, der immer noch 12 Stunden am Tag arbeitet, dessen Kinder unterernährt sind und denen es an guter Bildung mangelt, der der Zugang zu guter Gesundheitsversorgung verwehrt wird und deren Familie an neun von zehn Tagen immer noch hungrig schläft. In der Praxis bedeutet dies eine Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse und der Organisation der unabhängigen Klassenpolitik, die eine wesentliche Schwäche der feministischen, antirassistischen und ökologischen Bewegungen in der ganzen Welt darstellt.

Außerdem, was bedeutet eine „klassenübergreifende Bewegung“ überhaupt? Dass sie die Interessen aller Klassen vertritt? Würde sie dann auch ein „klassenübergreifendes Programm“ haben? Ob so etwas jemals praktisch durchführbar ist oder nicht, sicher ist, dass eine klassenübergreifende Bewegung kein Programm für die ArbeiterInnenklasse haben wird. Und das liegt daran, dass die Interessen der ArbeiterInnenklasse mit denen anderer Klassen unvereinbar sind. Die ArbeiterInnenklasse verfügt über kein Privateigentum an den Produktionsmitteln. Unabhängig davon, ob diese Klasse sich dessen schon subjektiv bewusst ist oder nicht, liegt ihr objektives Interesse in der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und seiner Ersetzung durch gesellschaftliches Eigentum. Dieses Interesse steht offensichtlich im Widerspruch zu dem der Klassen, deren Quelle von Reichtum und sozialem Status das Privateigentum bildet. Wie Clara Zetkin prägnant zusammenfasst:

„Es gibt eine Frauenfrage für die Frauen des Proletariats, der Bourgeoisie, der Intelligenz und der oberen Zehntausend. Sie nimmt je nach der Klassensituation jeder dieser Schichten eine andere Form an“ (Zetkin, 1896).

Wie beeinflusst dies die Bewegung?

Wie beeinflusst dies die Bewegungen dann? In der bürgerlichen Gesellschaft ist jede klassenübergreifende Bewegung verpflichtet, die Interessen der ArbeiterInnenklasse (die mit der strategischen Aufhebung der unterdrückenden Arbeitsteilung im Hinblick auf die produktive und reproduktive Arbeit verbunden ist) den begrenzten Zielen der bürgerlichen Feministinnen unterzuordnen. Das bestmögliche Ergebnis einer klassenübergreifenden Bewegung ist, dass die begrenzten Forderungen nach formaler Gleichheit zwischen Männern und Frauen erfüllt werden. Berufstätige Frauen werden formell gleichberechtigt sein wie ihre bürgerlich-feministischen Kolleginnen, aber sie werden es als Frauen sein, die immer noch 12 Stunden am Tag arbeiten und keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Sozialleistungen haben. Sie werden formellen Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens haben ebenso wie ihre männlichen Partner aus der ArbeiterInnenklasse, die ebenfalls kein Geld oder keine Zeit haben, um diese Bereiche faktisch zu betreten. Diese arbeitenden Frauen werden im Namen einer klassenübergreifenden Bewegung für die individuellen Rechte und Freiheiten der bürgerlichen Feministinnen kämpfen. Um noch einmal Zetkin zu zitieren: „Wir dürfen uns nicht von sozialistischen Tendenzen in der bürgerlichen Frauenbewegung täuschen lassen, die nur so lange anhalten, wie sich die bürgerlichen Frauen unterdrückt fühlen“ (Zetkin, 1896).

Was braucht es?

Dieser Ansatz „klassenübergreifender“ Bewegungen versäumt es, die Wurzel der geschlechtsspezifischen Unterdrückung zu untersuchen. In der heutigen Klassengesellschaft verortet der revolutionäre Marxismus die Ursprünge der geschlechtsspezifischen Unterdrückung in der öffentlich-privaten Kluft, in der der Mann in der öffentlichen „produktiven“ Sphäre arbeitet, während die Frau für die „reproduktive“ Arbeit verantwortlich ist. Diese Kluft ist notwendig, damit der Kapitalismus sich selbst erhalten kann, weshalb unsere Bewegungen antikapitalistischer Natur sein müssen. Um effektiv zu sein, müssen sie auch die Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse überwinden. Und diese Krise kann solange nicht überwunden werden, bis und wenn die ArbeiterInnenklasse der radikalen Kleinbourgeoisie die Throne streitig macht, an denen sie seit Ewigkeiten festhält.

In einer Zeit, in der Identitätspolitik, Postmoderne und alle Arten von Ideologien, die nicht zum Sturz des kapitalistischen Systems führen, auf der ganzen Welt vorherrschen, gibt es einen Hoffnungsschimmer in bestimmten Schichten der pakistanischen Frauenbewegung. Die Demokratische Frauenfront (DFF), eine unabhängige Organisation, die arbeitende Frauen in städtischen und ländlichen Gebieten Pakistans organisiert, hat einige revolutionäre Forderungen, deren wichtigste die Forderung nach einer Vergesellschaftung der reproduktiven Arbeit ist. Während die derzeitige Führung in den meisten Sektionen aus der mittleren/unteren Mittelschicht stammt, bemüht sich die Organisation darum, arbeitende Frauen in die Führung zu bringen. In Lahore, wo ich die Vorsitzende bin, wurde vor kurzem eine Sektion der DFF gegründet, die hart daran arbeitet, ihre Wurzeln in den ArbeiterInnenvierteln zu stärken, um die Entstehung eines weiblichen Kaders aus diesen Gebieten vorzubereiten.

Wir arbeiten in den Vierteln der Hausangestellten und HeimarbeiterInnen und versuchen, sie zu organisieren. Diese Frauen erzählten uns, wie sich die steigende Inflation auf ihr Leben auswirkt und sie darum kämpfen, ihre Familien zu ernähren. Eine wichtige revolutionäre Forderung in diesem Szenario könnte die Einrichtung von Preiskomitees unter der Leitung von Frauen sein. Es besteht Hoffnung und Potenzial für die Entstehung einer weiblichen Führung der ArbeiterInnenklasse, wenn sich die DFF konsequent einer solchen Aufgabe widmet. Sie ist besonders entscheidend in einer Zeit, in der Kämpfe in verschiedenen frauenzentrierten Sektoren wie dem Gesundheits- und Bildungswesen auftauchen. Lahore, eines der städtischen Zentren Pakistans, birgt das Potenzial der Entstehung einer ArbeiterInnenbewegung. Ebenso birgt es das Potenzial für kleinbürgerlichen Radikalismus, gewerkschaftlichen Opportunismus und Reformismus sowie Zentrismus. Wenn es der DFF ernst damit ist, eine Führung der arbeitenden Frauen in der größeren ArbeiterInnenbewegung zu installieren, wird sie sich darauf vorbereiten müssen, solche Übel zusammen mit dem Kampf gegen den/die KlassenfeindIn und das Patriarchat zu bekämpfen.

Endnoten

(1) Die Demokratische Frauenfront (DFF) wurde ursprünglich von der Awami-ArbeiterInnenpartei (AWP) als ihre „Frauenfront“ gegründet. Die AWP ist bei Weitem die mitgliederstärkste linke Partei in Pakistan. Die DFF ist jetzt eine unabhängige Organisation. Die AWP spielt weder eine Rolle noch übt sie Einfluss auf Entscheidungen oder Strukturen der DFF aus. Natürlich sind Doppelmitglieder vertreten, die sowohl in DFF wie AWP organisiert sind. Die Autorin ist ein solches.

(2) Azadi heißt auf Urdu Freiheit.




Politisch streiken – aber wie?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zwei Jahren haben millionenstarke
Frauenstreiks ein großes Potential für den Kampf um Frauenbefreiung aufgezeigt.
Die Arbeitsniederlegungen im produktiven und reproduktiven Bereich richten den
politischen Fokus auf die Ungleichheit der geschlechtlichen Arbeitsteilung,
welche die materiellen Grundlage für sexistische Ungerechtigkeit und
Unterdrückung darstellt. Gleichzeitig kann der ökonomische Stillstand, der bei
einem Streik angerichtet wird, den nötigen Druck erzeugen, damit die
frauenpolitischen Forderungen auch ernst genommen und letztlich durchgesetzt
werden. Doch die internationale Frauenbewegung hat diese proletarische
Strategie noch nicht bewusst angenommen und verallgemeinert. Dazu braucht es
nicht nur positive Bezugspunkte wie die Mobilisierungen in Spanien oder der
Schweiz, sondern Organisation, Know-how und einen Kampf gegen andere, falsche
Strategien.

Bündnispolitik

Ein Streik ist im Normalfall kein spontanes Ereignis. Obwohl
der Unmut über Missstände schon hoch sein mag, braucht es Strukturen, die ihn
organisieren. Jene Kräfte, die bereit sind, einen Frauenstreik zu organisieren,
müssen gesammelt werden. In der Regel sind das schon bestehende Organisationen
der radikalen Linken oder der Frauenbewegung, aber auch eine Hand voll Einzelpersonen
kann ein Komitee für die Organisierung des Streiks gründen und den Stein ins
Rollen bringen. Kanäle wie soziale Medien müssen genutzt werden, um die
Organisation auf eine kräftigere Grundlage zu stellen. Für die Mobilisierung
braucht es klare und radikale Forderungen wie etwa eine Arbeitszeitverkürzung,
die demokratisch bestimmt werden sollten und für die die beteiligten Kräfte
frei nach innen und außen werben können. Dabei muss auch sehr gut abgewogen
werden, welche in den Vordergrund gestellt und wie sie formuliert werden
können, damit sie die bestmögliche Wirkung auf das politische Bewusstsein der
Zielgruppen haben werden.

Basisorganisierung

Zentral ist es lohnabhängige, aber auch erwerbslose Frauen und
Männer für den Streik zu gewinnen. Dazu eignet sich der Aufbau von
Aktionskomitees auf regionaler sowie betrieblicher Ebene bzw. in der
Ausbildungsstätte. In diesen Komitees organisieren sich Aktivist*innen, um
gemeinsame Aktivitäten für die Mobilisierung zu planen. Darüber hinaus sollten
eigene Forderungen diskutiert und in die Bewegung getragen werden. Sie müssen als
politische im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse formuliert werden,
die also nicht auf einzelne Branchen beschränkt bleiben. Als Ausgangspunkt zum
politischen Ziel der Aufhebung der geschlechtlichen gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
der Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit kann z. B. die nach einer gesetzlichen
Mindeststellenbesetzung in der Pflege dienen, wie in Deutschland aufgestellt. Die
überregionale Vernetzung mittels wähl- und abwählbarer Delegierter ermöglicht
den Aufbau von demokratischer Kontrolle über die Bewegung selbst und in
weiterer Folge von Gegenmacht gegenüber den bürokratischen staatlichen
Institutionen, über welche die herrschende Klasse ihre Interessen sichert. Das
ist auch kein Widerspruch zu einer Bündnispolitik von politischen
Organisationen. Aktionskomitees können solche Bündnisse ergänzen oder im besten
Fall der Ausdruck einer demokratisch organisierten Bewegung sein.

Rolle der Gewerkschaften

Ein wesentlicher Erfolg von bisherigen Frauenstreiks war die
Unterstützung durch Gewerkschaften in der Schweiz und in Spanien. Wenn diese
Organisationen, die oft einen großen Anteil der lohnabhängigen Bevölkerung
organisieren, für kämpferische Massenaktionen gewonnen werden können und die
Mobilisierungen dafür ernst nehmen, dann hat das eine sehr große Wirkung. Viele
Gewerkschaften haben auch frauenpolitische Abteilungen, die natürlich eine
Anlaufstelle für die Mobilisierung sein können und wo sich womöglich auch
schneller Unterstützer*innen finden lassen. Das Problem ist aber, dass die
großen, reformistischen Gewerkschaften von einer konservativen Bürokratie
geführt werden, die radikale Aktionen und die Einbeziehung der Massen mehr
fürchten als fördern. Dies gilt für alle Gewerkschaften, die nicht von einer
revolutionären Arbeiter*innenpartei geführt werden. Die reformistischen
Parteien, die oft über großen Einfluss in den Gewerkschaften verfügen, haben
längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System gemacht und verteidigen es
letzten Endes gegen einen Ansturm durch die Lohnabhängigen. Dies gilt auch für
reine Gewerkschaftspolitik, die sich nicht den Sturz des Kapitalismus auf die
Fahnen geschrieben hat. Wir können uns also weder auf sie verlassen noch auf
den Erfolg vehementer Aufforderungen hoffen, sondern müssen mit
Basisorganisationen ein Gegengewicht zur abgehobenen Stellvertretungspolitik
schaffen. Diesen Zweck können die schon angesprochenen Aktionskomitees zum Teil
erfüllen, sie müssen sich dafür aber bewusst auch auf die Gewerkschaften
ausrichten. Letztlich muss eine antibürokratische Gewerkschaftsopposition aber
eigenständige Strukturen aufbauen, denn der Kampf gegen die reformistische
Bürokratie ist allgemeiner als der für eine bestimmte politische Mobilisierung.

Proletarische Strategie

Wenn alle für einen starken Frauenstreik eintreten und eine
proletarische Frauenbewegung aufbauen wollen würden, dann müssten wir die Frage
nach der Umsetzung eines Streiks gar nicht so genau diskutieren. Aber so ist es
leider nicht. Gerade auch im Feminismus gibt es bürgerliche und
kleinbürgerliche Kräfte, die ganz andere Strategien als Sozialist*innen
verfolgen und die die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse
für die politischen Anliegen der Frauen sogar ablehnen. Oft beschränken sich
diese Kräfte auf Forderungen wie Quoten in politischen Ämtern oder in
Unternehmen, den ideologischen Kampf gegen Alltagssexismus oder eine
gendergerechte Sprache, die dann von sozialliberalen Parteien umgesetzt werden
sollen. Eine solche Politik hemmt natürlich die eigenständige Aktion der
Ausgebeuteten und Unterdrückten und muss daher natürlich auch bekämpft werden. So
wurde z. B. in den verschiedenen feministischen Bündnissen für den
letztjährigen Frauenstreik in Deutschland zwar eine Liste unterstützenswerter
Forderungen aufgestellt, aber über die Frage, wie ein Streik der gesamten
Klasse gegen die Paragraphen zustande kommen kann, der auch den Namen verdient,
kaum diskutiert. Debatten um Einbezug der Gewerkschaften und der Männer waren also
von untergeordneter Bedeutung.

Es geht also nicht nur um einzelne Forderungen, sondern um
eine zusammenhängende proletarische Strategie, die ihren klarsten Ausdruck in
einem kommunistischen Übergangsprogramm findet. Darin stellt sich der Kampf für
Frauenbefreiung und gegen Sexismus als integraler Teil des allgemeinen
Klassenkampfs der gesamten Arbeiter*innenklasse dar, unabhängig von Geschlecht,
Identität oder Herkunft. Deswegen halten wir es zum Beispiel auch für einen
Fehler, wenn von feministischen Organisationen bei frauenpolitischen Aktionen
der Ausschluss von Männern gefordert wird. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung
und die ganze sexistische Ideologie geht unsere männlichen Genossen genau so
etwas an. Aber unsere Genossinnen sollten ganz klar im Vordergrund eines
Frauenstreiks stehen.




Feminismus für die 99 Prozent – eine Kritik

Urte March, Red Flag, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, Nr. 8, März 2020

Frauenbewegungen auf der ganzen Welt sind auf dem Vormarsch.
Seit 2017 haben Frauenstreiks Millionen auf die Straße gebracht, um eine
gleichberechtigte Gesellschaft zu fordern und die geschlechtsspezifischen
Auswirkungen des Neoliberalismus und der Austerität aufzuzeigen.

Während konservative und populistische Regime von Indien bis
zu den Vereinigten Staaten hart erkämpfte soziale und reproduktive Freiheiten
als Teil eines globalen Wandels hin zu konservativem Nationalismus attackieren,
greifen feministische Bewegungen zunehmend nach systemischen Erklärungen für
die Unterdrückung von Frauen.

Dies ist die historische Konjunktur, für die der „Feminismus für die 99 % – Ein Manifest“ (1) geschrieben worden ist. Cinzia Arruza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser, drei in den USA ansässige Akademikerinnen, die in der Frauenstreikbewegung einflussreich und als feministische Theoretikerinnen sehr etabliert sind, stellen sich die Aufgabe, „eine neue, antikapitalistische Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit“ zu „entwickeln – eine, die über die aktuelle Krise hinaus – und in eine neue Gesellschaft führt“. (S. 12)

Antikapitalismus und Internationalismus

„Feminismus für die 99 %“ wurde in über 20 Sprachen veröffentlicht und international weit verbreitet, so dass es sich lohnt, die Bedeutung der Popularität der Broschüre zu bewerten, bevor man die im Manifest dargelegten Perspektiven hinterfragt.

Die Autorinnen beginnen damit, dass sie den liberalen oder „korporativen“ Feminismus – beschrieben als den Wunsch nach einem besseren Gleichgewicht der Geschlechter innerhalb der ausbeuterischen Strukturen der Gesellschaft – als völlig unzureichend für die Lösung der drängenden sozialen Probleme der heutigen Welt abtun. Auf den ersten Seiten nennen sie den Kapitalismus, jenes „System, das den Chef hervorbringt, nationale Grenzen produziert und die Drohnen herstellt, die diese Grenzen überwachen“, als den Feind, der besiegt werden muss, um die Befreiung der Frauen zu erreichen. (S. 10 f.)

Die Autorinnen beschreiben die Unterdrückung der Frauen als wesentlich für das Funktionieren des Kapitalismus und betonen, dass die Befreiung der Frauen ein Kampf zwischen widerstreitenden Kräften in der Gesellschaft ist und nicht das langsame Wachstum der Chancengleichheit. Die Broschüre kehrt häufig zu der Idee der „Transformation des zugrunde liegenden Gesellschaftssystems“ zurück, das die Unterdrückung der Geschlechter diktiert. In der Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein globales System ist, bekräftigen sie die zentrale Bedeutung der Frauenstreiks für einen neuen globalen Widerstand und erkennen die Notwendigkeit internationalen Handelns an, indem sie erklären, dass der Feminismus für die 99 Prozent „entschieden internationalistisch ist“. (S. 27)

Hier gibt es viel, dem man zustimmen kann. Die rhetorische
Betonung von Antikapitalismus und Internationalismus in der Broschüre, wie vage
oder falsch sie auch immer definiert sein mag, zeigt ein wachsendes Bewusstsein
in der Frauenbewegung für die Beziehung zwischen kapitalistischen sozialen
Verhältnissen und Frauenunterdrückung auf. Gleichzeitig enthüllen die Mängel in
der Herangehensweise der Autorinnen den anhaltenden Einfluss der
Identitätspolitik und des postmodernen Akademismus auf die Frauenstreikbewegung.

Für den Erfolg einer weltweiten antikapitalistischen
Bewegung wird es nicht ausreichen, die destruktiven und unterdrückerischen
Tendenzen des Kapitalismus anzuerkennen – es muss die richtige Strategie für
seinen Sturz und seine Ersetzung durch ein neues System vorangetrieben werden.

Soziale Reproduktion

Im Nachwort der Broschüre identifizieren sich die Autorinnen als soziale Reproduktionstheoretikerinnen, und der Inhalt, den sie dieser Identifikation geben, definiert ihre Methode und ihre Schlussfolgerungen. Wie andere TheoretikerInnen der sozialen Reproduktion argumentieren sie, dass die marxistische Tradition fehlerhaft ist, weil ihre Erklärung der Rolle der gebärenden, erziehenden und anderen unbezahlten sozialen Arbeit im Gesamtzyklus der Produktion unvollständig ist. Die zentrale Aussage ihrer besonderen Variante der Theorie der sozialen Reproduktion ist, dass „die kapitalistische Gesellschaft aus zwei untrennbar miteinander verwobenen und doch sich wechselseitig ausschließenden Imperativen besteht“ – der Notwendigkeit, Profit zu schaffen (Produktion), und der Notwendigkeit, dass die Menschen sich selbst erhalten müssen (soziale Reproduktion), und dass diese Spaltung auf eine tief sitzende „Spannung im Herzen der kapitalistischen Gesellschaft“ hinweist. (S. 87, 91)

Die praktische Bedeutung dieses Ansatzes wird in erster Linie durch den Kontrast zum „traditionellen“ marxistischen Denken gefördert, dem die Autorinnen vorwerfen, den Kapitalismus als „lediglich ein Wirtschaftssystem“ vorzustellen und nicht anzuerkennen, dass der Kapitalismus „eine institutionalisierte Gesellschaftsordnung“ ist, „zu der auch jene scheinbar ,außerwirtschaftlichen‘ Verhältnisse und Praktiken gehören, von denen die offizielle Ökonomie getragen wird“. (S. 82) Diese Aussage für sich genommen ist einfach eine eigennützige Vulgarisierung des Marxismus, der in der Tat immer erkannt hat, dass die Produktionsverhältnisse den Überbau der Ideologie, den Staat und eine Vielzahl anderer sozialer Institutionen, darunter die Familie, hervorbringen. Ebenso würde keinE MarxistIn der Aussage widersprechen, dass es „die entlohnte Arbeit des Plusmachens [ … ] ohne die (überwiegend) nicht entlohnte Arbeit des Menschenmachens nicht geben“ könnte. (S. 89 f.)

Die Autorinnen argumentieren ferner, dass MarxistInnen die Produktionssphäre fälschlicherweise als dominant über die Reproduktionssphäre betrachten und die „traditionelle ArbeiterInnenbewegung“ dazu bringen, den wirtschaftlichen Kampf um bessere Löhne gegenüber sozialen Kämpfen zu privilegieren, auf Kosten der Interessen der Frauen. Hier gibt es eine echte Meinungsverschiedenheit. Für MarxistInnen, wie Engels erklärt, geht „die materialistische Anschauung der Geschichte [ … ] von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist“. (2)

In diesem Sinne ist es die Sphäre der Produktion, die die
Sphäre der Reproduktion beherrscht und formt. MarxistInnen sehen die Gewinnung
von Profit und die Akkumulation von Kapital als treibende Kraft und
bestimmendes Merkmal des kapitalistischen Systems. Es war die Entwicklung der
Klassengesellschaft, die zur Entstehung der Familie als einer für die
herrschende Klasse wesentlichen Institution führte. Der Übergang zum
Kapitalismus konsolidierte die Kernfamilie als die effizienteste Art und Weise
der Verwaltung der sozialen Reproduktion.

Dies bedeutet nicht, dass die Familie nicht ein Ort der
Unterdrückung ist oder soziale und politische Forderungen zweitrangig sind. Der
revolutionäre Marxismus versucht, den Kampf der ArbeiterInnenklasse nicht nur
für bessere Arbeitsbedingungen, sondern für die Abschaffung des gesamten
sozialen Systems, das die ArbeiterInnen unterdrückt und ausbeutet, anzuführen.
Der politische Kampf über jede Manifestation der aus dem kapitalistischen
System resultierenden Ungerechtigkeiten, einschließlich der sozialen
Unterdrückung der Frauen und der Aneignung ihrer unbezahlten Arbeit durch das
Kapital, ist wesentlich für die Bildung von Klassenbewusstsein und den
Zusammenhalt einer sozialistischen Bewegung.

In der Tat geht es in Lenins Schlüsselwerk „Was tun?“ fast ausschließlich darum, dieses Argument vorzubringen: „Daher ist es begreiflich, dass die Sozialdemokraten sich nicht nur nicht auf den ökonomischen Kampf beschränken können [ … ] Es ist notwendig, jede konkrete Erscheinung dieser Unterdrückung auszunutzen [ … ] auf den verschiedensten Lebens- und Tätigkeitsgebieten, dem beruflichen, dem allgemein-bürgerlichen, dem persönlichen, dem der Familie, dem religiösen, dem wissenschaftlichen usw.“ (3)

Wo die Autorinnen „altmodische Verständnisse“ des
Kapitalismus kritisieren, denen gemäß sie sich die ArbeiterInnenklasse
„ausschließlich aus denen zusammensetze, die für Löhne in Fabriken oder
Bergwerken arbeiten“, antworten sie nicht auf die marxistische Tradition,
sondern auf die stalinistischen und reformistischen Entstellungen des
Marxismus. Die Tendenz zum Ökonomismus ist nicht ein Merkmal revolutionärer,
sondern einer im Wesentlichen bürgerlichen Politik, die sich darauf beschränkt,
bessere Bedingungen für die ArbeiterInnen innerhalb der Grenzen des
Kapitalismus zu suchen.

Die wirtschaftlichen Auseinandersetzungen durch den Kampf um
die soziale Reproduktion zu ersetzen, ohne eine revolutionäre Strategie
voranzutreiben, das kann diesen Fehler nicht überwinden, sondern verlagert ihn
lediglich auf ein anderes Terrain von Teilreformen.

Kapitalismus und Krise

Die Ablehnung des „Feminismus für die 99 %“ dessen, was das Manifest als den ökonomischen Determinismus der marxistischen Tradition bezeichnet, führt dazu, dass es den Begriff der kapitalistischen Krise neu theoretisiert und lässt die Autorinnen einer sinnvollen Definition des Kapitalismus beraubt bleiben. Sie behaupten, dass die allgemeine Krise historisch gesehen bedeutende Möglichkeiten für eine gesellschaftliche Transformation geboten hat und dass die Existenz von Krisenbedingungen den Imperativ für FeministInnen und Radikale schafft, darauf zu reagieren und den Prozess zu „lenken“. Die Autorinnen stellen ihr Manifest als Strategie zur „Lösung“ der allgemeinen Krise vor, die wir heute durchleben.

Obwohl die Autorinnen sagen, dass sie auf eine „Krise des Kapitalismus“ reagieren, bestehen sie darauf, dass sie „diese Begriffe nicht im üblichen Sinn“ (S. 82) verstehen, und zeigen mit dem Finger auf die marxistische Konzeption der inneren Widersprüche des Kapitals. Stattdessen erkennen sie „als Feministinnen“ an, dass der Kapitalismus auch „weitere, außerökonomische Widersprüche und Krisentendenzen“ (S. 83) beherbergt, was bedeutet, dass die kapitalistische Krise „nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine ökologische, politische und auf die gesellschaftliche Reproduktion bezogene“ ist. (S. 84) Für sie besteht die Wurzel all dieser Krisen im Bestreben des Kapitals, freie Ressourcen aus verschiedenen Quellen (Frauen, Umwelt, ärmere Länder) zu extrahieren und sie in den Prozess der Akkumulation einzubringen, der auf lange Sicht nicht nachhaltig ist und Krisen in jeder dieser parallelen sozialen Sphären verursacht.

MarxistInnen würden zustimmen, dass die Tendenz zur Krise in
die Natur des kapitalistischen Systems selbst eingebettet ist und die
Überausbeutung „freier“ Arbeit und Ressourcen ein Merkmal des Kapitalismus ist.
Aber die Marx’sche Theorie hat eine viel spezifischere Definition von Krise. Sie
behauptet, dass die Quelle der Krise der innere Widerspruch des Kapitals selbst
ist, definiert durch die Ausbeutung der lebendigen Arbeit. In ihrer ständigen
Suche nach Mehrwert werden die KapitalistInnen dazu getrieben, die
Arbeitsproduktivität zu erhöhen, indem sie das Niveau der in der Produktion
eingesetzten Technologie erhöhen.

Dabei sinkt der Anteil des Kapitals, der in die
Arbeitskosten fließt, im Vergleich zu dem, der in Maschinen und Rohstoffe eingeht.
Da es aber nur  ArbeiterInnen aus
Fleisch und Blut sind, die einen Mehrwert schaffen, bedeutet dies im Laufe der
Zeit einen Rückgang der Rentabilität des Kapitals – die Profitrate sinkt tendenziell.
Wenn die Profitrate sinkt, kann das Kapital kein ausreichendes
Rentabilitätsniveau aufrechterhalten, und eine Krise bricht aus. Die Symptome dieser
Wirtschaftskrise – Kapitalabzug, Zins- und Preiserhöhungen – sind das Ergebnis
des verzweifelten Versuchs des Kapitals, seine Rentabilität aufrechtzuerhalten,
was für die ArbeiterInnen verheerende Auswirkungen in Form von Arbeitslosigkeit
und sinkenden Lebensstandards mit sich bringt und in soziale und politische
Unruhen übergreift.

Für MarxistInnen ist das, was der „Feminismus für die 99 %“ als „Krise der sozialen Reproduktion“ beschreibt – wenn „eine Gesellschaft der gesellschaftlichen Reproduktion die öffentliche Unterstützung“ entzieht und „zugleich diejenigen, die das Gros der Reproduktionsarbeit leisten, für anstrengende, aber niedrig bezahlte Arbeit, die zudem noch mit langen Arbeitstagen einhergeht“ (S. 93 f.), rekrutiert – ein untrennbarer Teil der Krise des Kapitals. Das Kapital versucht, sinkende Gewinnraten auszugleichen, indem es den Mehrwert auf Kosten der ArbeiterInnen zurückgewinnt, sowohl die tatsächlichen Löhne als auch den Soziallohn kürzt (einschließlich kostenloser oder subventionierter Kinderbetreuung, staatlicher Bereitstellung von Sozialleistungen usw.). Dies hat den beschriebenen Effekt, dass die Belastung durch unbezahlte soziale Reproduktionsarbeit zunimmt und überwiegend auf Frauen entfällt. Daher sind die Kämpfe gegen die Schließung öffentlicher Dienste, für die Sozialisierung der Kinderbetreuung usw. kein gesonderter feministischer Imperativ, sondern Teil des Klassenkampfes insgesamt.

Im „Feminismus für die 99 %“ hingegen liegt die Notwendigkeit eines antikapitalistischen Ansatzes nicht in einer Antwort auf die Gesetze des Kapitalismus begründet, sondern in einer allgemeinen sozialen Krise, die sich aus einer Vielzahl von Krisen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zusammensetzt und sich zu einer „gesamtgesellschaftlichen Krise“ (S. 27) summiert. Obwohl sie argumentieren, dass FeministInnen in jeder dieser Arenen kämpfen müssen und es für alle diese Kämpfe wesentlich ist, sich miteinander zu verbinden, sehen sie jede dieser Auseinandersetzungen in einer eigenen und separaten Sphäre stattfinden. Als Feministinnen sind sie am meisten damit beschäftigt, in der Krise der sozialen Reproduktion eine Führungsrolle zu übernehmen und die Führung von Kämpfen in parallelen Bereichen wie Antirassismus oder Umweltschutz anderen zu überlassen.

Aber wenn jeder Kampf in einer separaten Sphäre stattfinden
kann, um eine bestimmte Krise zu lösen, dann ist jeder soziale Kampf
gleichermaßen wichtig für die „Überwindung“ des Kapitalismus, und der Erfolg
der „sozialen Transformation“ erfordert nur eine bessere Koordination zwischen
den verschiedenen Bewegungen, nicht aber eine bewusste Strategie zur
Entmachtung der herrschenden Klasse. Die Frage, was die Bewegungen wirklich tun
müssen, um zu einer „nichtkapitalistischen Gesellschaft“ zu gelangen, wird
weiter dadurch verdunkelt, dass die Broschüre den Kapitalismus nie wirklich
definiert. Obwohl die Arbeitswerttheorie zusammengefasst wird, erscheint der
Kapitalismus im gesamten Buch vor allem unter dem Deckmantel seiner Symptome,
einer Ansammlung schrecklicher sozialer Folgen, gegen die verschiedene
Bewegungen sich aufzustellen ermutigt werden.

Wo in der Broschüre vom Kapitalismus als System gesprochen
wird, tritt er als eines in Erscheinung, das aus miteinander verbundenen,
konstitutiven Teilen besteht, und nicht als eines, das als ein einziges nach
den Gesetzen der kapitalistischen politischen Ökonomie funktioniert. Wenn sie
ihre Erklärung dafür, warum sich der Kapitalismus in einer so tiefen Krise
befindet, ausarbeiten, beziehen sie sich manchmal auf den Neoliberalismus, das
Finanzkapital oder den Imperialismus. Aber diese Begriffe werden nicht klar
definiert oder mit politischem Inhalt versehen – Neoliberalismus wird nur als
eine „besonders räuberische Form des Kapitalismus“ (S. 27) und Imperialismus
als wirtschaftlich ausbeuterische Beziehungen zwischen Ländern definiert, die
durch Rassismus bedingt sind.

Dies zeigt, dass – trotz der ständigen Betonung ihrer „antikapitalistischen“ Ausrichtung – der Ausgangspunkt der Autorinnen eine Ablehnung des historischen Materialismus und der Kapitalkritik von Marx ist. Da diese Konzepte am Ende den revolutionären Charakter und die Aufgaben des Subjekts in Gestalt der ArbeiterInnenklasse innerhalb des Kapitalismus umreißen, folgt daraus natürlich, dass die Autorinnen die ArbeiterInnenklasse als geschichtliche Trägerin des gesellschaftlichen Wandels ablehnen. Keine Passage fasst dies besser zusammen, als die, wo die Autorinnen, nachdem sie anerkannt haben, dass ihr Manifest auf den Schultern von Marx und Engels steht, ihre Anerkennung sofort einschränken: „Da wir uns heute einer gespalteneren und heterogeneren politischen Landschaft gegenüber sehen, ist es für uns nicht so einfach, uns eine weltweit geeinte revolutionäre Kraft vorzustellen.“ (S. 78)

Populismus

Nachdem er so die Zentralität der Klasse im Kampf gegen den Kapitalismus beseitigt hat, ersetzt „Feminismus für die 99 %“ diese durch „einen Universalismus, der seine Form und seinen Inhalt aus der Vielzahl der Kämpfe von unten erhält“. Konkret wird dies durch eine aggregierte Masse von sozialen Bewegungen verkörpert, die die „99 %“ repräsentieren. Die Autorinnen skizzieren die Konturen ihrer Allianz, indem sie sagen „Wir lehnen nicht nur den reaktionären Populismus ab, sondern auch den fortschrittlichen Neoliberalismus. Tatsächlich beabsichtigen wir unsere Bewegung genau dadurch aufzubauen, dass wir das Bündnis mit diesen beiden aufkündigen“. (S. 72) Die Schreiberinnen berufen sich auf einen progressiven oder „antikapitalistischen“ Populismus, die politische Ideologie der Mittelschichten.

Ihr erklärtes Ziel ist es, die Frauenstreiks zu verstärken und Sympathie und Unterstützung zwischen der Frauenbewegung und anderen sozialen Kämpfen aufzubauen, um „sich jeder Bewegung anzuschließen, die für die 99 % kämpft“. Da die Autorinnen ihre antikapitalistische Strategie als ein Bündnis von sozialen Bewegungen definiert haben, die in verschiedenen Bereichen kämpfen, steht es ihnen frei, die Tugenden der verschiedenen Bewegungen nacheinander zu preisen, wobei sie der Frage ausweichen, wie sich die Bewegungen zueinander verhalten sollen, und sich stattdessen auf die Aufgaben von FeministInnen im Kampf um die soziale Reproduktion konzentrieren.

In der gesamten Broschüre gibt es eine Spannung zwischen dem Wunsch der Schreiberinnen, FeministInnen als FührerInnen dieser antikapitalistischen Allianz zu positionieren, und ihrer Neigung zu einem diffusen Horizontalismus. Manchmal wird die Frage „Werden dann Feministinnen an vorderster Front beteiligt sein?“ (S. 31) als entscheidend für den Erfolg ihres antikapitalistischen Aufstandes gestellt. Doch im gesamten Buch bleibt die Frage unbeantwortet, wer die kollektiven Aufgaben ihres so genannten „antikapitalistischen Aufstands“ festlegen oder leiten wird, und es gibt keine Diskussion über die Organisationsformen, die notwendig sind, um ein Bündnis so unterschiedlicher Bewegungen aufrechtzuerhalten. Das Zusammentreffen der Vielzahl von Bewegungen wird als eine spontane Annäherung von Subjekten vorgestellt: „Nur durch bewusste Bemühungen, Solidarität aufzubauen, durch den Kampf in und durch unsere Vielfalt, können wir die kombinierte Kraft erreichen, die wir brauchen, um die Gesellschaft zu transformieren“.

Obwohl wir  mit „Feminismus für die 99 %“ darin übereinstimmen, dass es wichtig ist, Solidarität zwischen den verschiedenen Bewegungen aufzubauen, ist unser Endziel nicht nur, die Vielfalt zu feiern und voneinander zu lernen, sondern unsere Unterschiede zu überwinden und die große Vielfalt spontaner und themenspezifischer Bewegungen zu einer einzigen, facettenreichen Bewegung zu vereinen, die sich ihres gemeinsamen Ziels bewusst wird. Das Ziel muss der Sturz des Kapitalismus sein, der notwendig sein wird, um eine dauerhafte Befreiung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu erreichen, einschließlich derer, die auf der Grundlage von Geschlecht, Gender und Sexualität unterdrückt werden. Es ist gerade die politische Führung, die durch die Zusammenführung der verschiedenen Elemente unter einem gemeinsamen Programm die politischen Ziele der verschiedenen Bewegungen erhöhen und sie auf den Sozialismus ausrichten kann.

Hier ist die Frage der Handlungsfähigkeit von größter
Bedeutung. Welche Gruppe kann sich vereinen und eine globale
antikapitalistische Bewegung anführen? Die Antwort, die der Marxismus gibt, ist
die ArbeiterInnenklasse – sowohl Frauen als auch Männer, die aus allen
Nationalitäten und Rassen stammen. Ihr revolutionäres Potenzial ergibt sich aus
ihrer Rolle in der Produktion, durch die die Klasse die kollektiven Fähigkeiten
und das Ethos erwirbt, um sich gegen ihre AusbeuterInnen zu vereinigen. Der
familiäre Rahmen spaltet und atomisiert, anstatt die Klasse zu vereinen, wenn er
vom Arbeitsplatz und der Gemeinschaft der ArbeiterInnenklasse getrennt ist.

Aber die Notwendigkeit unbezahlter und bezahlter Arbeit für
die KapitalistInnen gibt den ArbeiterInnen und ihren Familien – als Klasse und
nicht nur als Belegschaft – die Macht, sich zu wehren. Die ArbeiterInnenklasse
hat gezeigt, dass sie wie keine andere Klasse ihre eigenen Organisationen
aufbauen kann, und sie ist die einzige soziale Gruppierung, die eine
sozialistische Revolution erfolgreich geführt hat. Kein heterogenes „Volk“,
keine „Bewegung von Bewegungen“, die von Klassenunterschieden und Antagonismen
zerrissen ist, kann diese ersetzen und die Agentur eines wirklich
antikapitalistischen Projekts sein.

Indem sie die ArbeiterInnenklasse als universelles Subjekt
innerhalb des Klassenkampfes ablehnen, weisen die Autorinnen das Ziel des
Sozialismus zurück, d. h. die Übernahme der Staatsmacht durch die
ArbeiterInnenklasse und die demokratische Planung der Wirtschaft. Da sie sowohl
den bürgerlichen Feminismus als auch den Marxismus ablehnen, ist ihre Ideologie
letztlich eine solche des kleinbürgerlichen Feminismus, der Klasse nur als eine
von vielen Identitäten mit überlappenden und konkurrierenden Interessen sieht
und daher unfähig ist, eine Einheit im Kampf zu schmieden. Ihr Machtanspruch
kann nur ein allgemeiner „antisystemischer“ Linkspopulismus sein, in dem den 99 %
– d. h. allen Bevölkerungsklassen, die durch die sozialen Bewegungen
vertreten werden mit Ausnahme der MilliardärInnen – die zentrale Rolle
zugeschrieben wird, aber notwendigerweise ohne ein gemeinsames Ziel, geschweige
denn eine Strategie zur Erreichung dessen. Und genau hier, in der Frage der
Taktik und Strategie, zeigt sich die eklatanteste Schwäche des Buches.

Frauenstreiks

„Feminismus für die 99 %“ stellt die Frauenstreiks als eine wesentliche Taktik für den Aufbau einer „neuen, nichtkapitalistischen Gesellschaftsform“ dar und argumentiert, dass sie die Vorstellung der Menschen von Streiks auf der ganzen Welt neu beleben können. In Übereinstimmung mit der eklektischen Methode der Autorinnen bleibt im Buch unklar, ob die Frauenstreiks als eine Protestbewegung aufgebaut werden sollten, um den halbautonomen Kampf für Reformen im Bereich der sozialen Reproduktion voranzutreiben, oder ob sie ein bewusster Versuch sind, den Kapitalismus zu schwächen.

Für MarxistInnen hat ein Streik eine spezifische Funktion
als direkte Konfrontation zwischen ArbeiterInnen und Kapital. Durch den Streik
berauben die ArbeiterInnen die Bosse ihrer Profite und versuchen durch die
Androhung weiterer Störungen einige Zugeständnisse seitens der KapitalistInnen
zu erreichen. Wenn ein Streik zu einer Massenstreikbewegung verallgemeinert
wird, stellt sich die Frage, wer in der Gesellschaft die Macht. Unter den
richtigen Bedingungen und unter der richtigen Führung kann sie der Auslöser für
einen revolutionären Aufstand sein. Streiks am Arbeitsplatz haben diese
störende Wirkung, weil der Rückzug der produktiven Arbeit die Produktion von
Mehrwert behindert, der das Wesen des Kapitalkreislaufs ausmacht. Unbezahlte
Arbeit im Haushalt bringt per Definition keinen Profit, daher ist ihre
Niederlegung kein direkter Schlag gegen das Kapital.

„Feminismus für die 99 %“ scheint diese Prämisse zu akzeptieren, wenn es sagt, dass die Rolle der Frauenstreiks darin besteht, „die unverzichtbare Rolle“ sichtbar zu machen, „die geschlechtsspezifische, unbezahlte Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften spielt“ (S. 17). In Wirklichkeit werden die Frauenstreiks als eine Protestbewegung dargestellt und nicht als ein bewusster Versuch, Kapazitäten zur Störung der kapitalistischen Wirtschaft aufzubauen. Aber da „Feminismus für die 99 %“ keine Vorstellung von den Gesetzen und Grenzen des Kapitals hat, sondern nur „ehrgeizige Projekte der sozialen Transformation“, behauptet es, dass ein solcher Protest immer noch ein transformativer Akt sein kann, „vor allem durch eine Erweiterung der Vorstellung dessen, was überhaupt als Arbeit zählt“. (ebd.)

Obwohl der Marxismus beschuldigt wird, eine künstliche Aufteilung der Bewegung in den wirtschaftlichen und sozialen Kampf als getrennte Sphären aufrechtzuerhalten, begeht „Feminismus für die 99 %“ in Wirklichkeit den gleichen Fehler in umgekehrter Richtung, indem es versucht, den sozialen reproduktiven Kämpfen Vorrang einzuräumen. Die Autorinnen übertreiben zwar die Fähigkeit des Entzugs von sozialer reproduktiver Arbeit, den Kapitalismus zu stören, untergraben aber gleichzeitig das tatsächliche politische Potenzial der Frauenstreiks, indem sie ihre Funktion künstlich auf die einer Protestbewegung zur Hebung des feministischen Bewusstseins beschränken. Selbst die grundlegendsten politischen Forderungen, die auf eine Verbesserung der materiellen Position der Frauen in der Gesellschaft abzielen wie allgemeine kostenlose Kinderbetreuung und gleiche Bezahlung, fehlen auffallend außer in ihrer negativen Form, als Beispiele für Dinge, die der Gesellschaft derzeit fehlen.

Tatsächlich kann die Nutzung der Rolle der Frauen in der
kapitalistischen Wirtschaft als Lohnarbeiterinnen
zur Organisation von Frauenstreiks die Grundlage einer Strategie zur Ausweitung
der Bewegung sein, die eine größere Zahl von ArbeiterInnen – einschließlich
Männern – in die Streiks hineinzieht. Einige der erfolgreichsten Frauenstreiks
haben in Ländern stattgefunden, in denen sie von großen Gewerkschaften
unterstützt wurden wie in Spanien und der Schweiz. Die Frauen hörten nicht nur
mit der Hausarbeit auf, sondern verließen ihre Arbeit auf der Grundlage
sozialer und wirtschaftlicher Forderungen: gleiche Bezahlung, soziale
Absicherung der Kinderbetreuung, Beendigung der Schikanen am Arbeitsplatz und
der häuslichen Gewalt.

Die Verbindung von sozialen und wirtschaftlichen Forderungen
verleiht der Bewegung einen politischen Charakter und stellt Frauen an die
Spitze eines Kampfes, der die Frage aufwirft, welches Sozialsystem all diese
Forderungen gleichzeitig erfüllen und die Errungenschaften dauerhaft machen
könnte. Wenn sich die Streiks am Arbeitsplatz ausbreiten, wird die
Unterstützung von arbeitslosen Frauen, die zu Hause arbeiten, die Umwandlung
der Bewegung in einen allgemeinen politischen Konflikt beschleunigen.

Wenn eine solche Bewegung erfolgreich wäre, würde sie
zweifellos auf den Widerstand des bürgerlichen Staates stoßen. Dieser Punkt
wäre ein entscheidender. Die Bewegung müsste sich entweder auf die
Machtübernahme oder auf eine Niederlage vorbereiten. Auch über das Wesen des
Staates schweigt „Feminismus für die 99 %“. Das Beste, was man daraus
schließen kann, ist, dass der Staat irgendwie obsolet wird, wenn verschiedene
soziale Bewegungen eine bestimmte Schwelle des Radikalismus und der
Zusammenarbeit überschreiten.

Schlussfolgerungen

„Feminismus für die 99 %“ beginnt mit der Behauptung: „Die Organisatorinnen des huelga feminista [Frauenstreiks] bestehen darauf, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen“ (S. 10). Doch trotz ihrer Rhetorik ist der Antikapitalismus der Autorinnen eher ein utopischer Anspruch als eine revolutionäre Strategie.

Wie soll der Kapitalismus beendet werden? Kein Streik –
weder ein Streik, der die Produktion stoppt, noch einer, der in erster Linie
eine Massendemonstration ist – kann dies allein erreichen.
Massendemonstrationen von Frauen als Hausfrauen wie auch als Lohnarbeiterinnen
sind als Beweis unserer potenziellen Macht von unschätzbarem Wert. Aber wenn
diese wirklich auf der Beendigung des Kapitalismus „bestehen“ sollen, müssen
sie sich zunächst in politische Streiks verwandeln, die bewusst eine Regierung
und den Staat zur Kapitulation zwingen wollen und dann in einen Aufstand, eine
Revolution.

Wenn der Streik wirklich ein wesentliches Element der
Vorbereitung und ein potenzieller Katalysator für eine antikapitalistische
Revolution ist – und tatsächlich ist er das –, dann muss die
ArbeiterInnenklasse die zentrale oder führende Kraft darin sein. Sicherlich
wird sie Verbündete aus anderen unterdrückten und ausgebeuteten Klassen
brauchen, aber die ArbeiterInnenklasse muss die hegemoniale Klasse sein, weil
der Kapitalismus historisch gesehen nicht ohne sie auskommt, während die
ArbeiterInnenklasse auf den Kapitalismus verzichten kann.

Nur die ArbeiterInnenklasse kann die Massenproduktion und -verteilung und damit auch die Reproduktion sozialisieren, die Frauen von der Hausarbeit im individuellen Familienhaushalt befreien und die jahrhundertealte Unterdrückung der Frauen beenden. Seit den Tagen von Marx und Engels haben die RevolutionärInnen erkannt, dass diese Ziele untrennbar miteinander verbunden sind: „Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche“. (4)

Demzufolge müssen die revolutionären Ziele von Anfang an
anerkannt und hervorgehoben werden und dürfen nicht hinter verwirrender
populistischer Rhetorik oder in der Rede von Bündnissen unterdrückter Schichten
oder „Identitäten“ versteckt werden, von denen jede über ihre eigenen, nicht
miteinander verbundenen Ideologien, Tagesordnungen und bereits bestehende
Führungen und Organisationen verfügt. Für antikapitalistische Frauen muss der
Ausgangspunkt die proletarische Frauenbewegung sein, an der Frauen sowohl als
Produktionsarbeiterinnen wie auch als Dienstleisterinnen im Haushalt
teilnehmen. Als die Hauptorganisatorinnen im Bereich des Konsums, der
Kinderbetreuung und der Bildung spüren Frauen die Auswirkungen der
kapitalistischen Krise am unmittelbarsten. Es ist kein Zufall, dass sich in
jedem großen Klassenkampf, der die engen Grenzen eines Tarifstreits
überschreitet, Frauen organisiert haben.

Der Zweck der proletarischen, im Gegensatz zu einer
kleinbürgerlichen Frauenbewegung, liegt darin, Frauen in den Kampf für den
Sturz des Kapitalismus zu ziehen, basierend auf einer Strategie für die
revolutionäre Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse. Ihre Aufgabe ist es,
politische Forderungen zur Beseitigung der materiellen Basis der
Frauenunterdrückung zu formulieren, die in jedem gesellschaftlichen Kampf auftauchen,
der nach dem Prinzip handelt: kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine
Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

Endnoten

(1) Cinzia
Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser, Feminismus für die 99 %:
Ein Manifest, Matthes & Seitz, Berlin 2019; alle Zitate nach der
deutschsprachigen Ausgabe.

(2) Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von
der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, Berlin/O. 1974, S. 210

(3) Lenin, W. I.: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung,
LW 5, Berlin/O. 1955, S. 413

(4) Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats, MEW 21, Berlin/O. 1975, S. 77