AfD bekämpfen – aber wie?

Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024

Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.

Bürgerlich-demokratische Heuchelei

Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.

Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Verbieten oder bekämpfen?

Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.

Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.

Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.

Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“

Von Böcken und Gärtnern: der bürgerliche Staat als antifaschistisches Bollwerk?

Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.

Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.

Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.

Über Ursachen und Strategien

Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.

Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.

Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.

Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.

Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.

Staat, Rechte, Klassenkampf

Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.

Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.

Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.

In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?

Arbeiter:inneneinheitsfront statt „Einheit der Demokrat:innen“

Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.

So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt  eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Irland: Widerstand gegen die extreme Rechte

Bernie McAdam, Infomail 1243, 23. Januar 2024

Die jüngsten Ausschreitungen in Dublin haben ein neues Licht auf die Aktivitäten der aufstrebenden irischen Rechtsextremen geworfen. Nach einer Messerstecherei vor einer Dubliner Schule entwickelte sich ein rechtsextremer Protest gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, der durch rassistische Äußerungen in rechtsextremen Netzwerken in den sozialen Medien inszeniert wurde, zu einem Gefecht mit der irischen Polizei (Garda Siochána; Gardai). Es folgten Plünderungen und Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich eines Angriffs auf einen Busfahrer mit Migrationshintergrund, wobei viele Angehörige ethnischer Minderheiten im Stadtzentrum um ihre Sicherheit fürchteten.

Die Wahrheit über die Messerstecherei war so weit von den rassistischen Gerüchten entfernt wie nur möglich. Nicht ein algerischer Einwanderer war der Messerstecher, sondern ein Ire, der an einer psychischen Krankheit leidet. Tatsächlich kam Caio Benicio, ein brasilianischer Deliveroo-Fahrer, dem angegriffenen jungen Mädchen zu Hilfe und schlug den Angreifer mit seinem Motorradhelm zurück.

Diese Ausschreitungen finden vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf Flüchtlingslager und Schikanen gegen Bibliotheksmitarbeiter:innen im vergangenen Jahr statt. Mehrere flüchtlingsfeindliche Proteste haben sich vor Asylbewerber:innenheimen abgespielt, oft mit lokaler Unterstützung und Hassreden von bekannten rechtsextremen Aktivist:innen. Behelfsmäßige Lager wurden in Ashtown und zuletzt in der Sandwith Street in Dublin angegriffen, wo Zelte niedergebrannt wurden.

Parallel dazu wurden gewählte Vertreter:innen von Sinn Fein und People before Profit (PbP), die sich im Dail (Parlament) für die Rechte von Migrant:innen eingesetzt haben, angegriffen. In Leitrim wurde ein Brandanschlag auf das Haus von Martin Kenny, Abgeordneter von Sinn Fein, verübt, und Paul Murphy, Abgeordneter von PbP, wurde von rechtsextremen Schläger:innen körperlich angegriffen und sein Haus mit Posten umzingelt. Auch gegen Mick Barry, Deputierter der PbP-Solidarität, wurde ein Anschlag auf sein Büro verübt.

Bibliotheken wurden von rechtsextremen Schläger:innen versperrt und gestürmt, wobei auch Bibliotheksmitarbeiter:innen schikaniert wurden. All dies, um die Bereitstellung von LGBTIA+-Lesematerial, Drag-Events und „pornografischen“ Büchern zu verhindern. Die Mahnwache in der Stadtbibliothek von Cork im Juli wurde von Ireland First organisiert, der jüngsten rechtsextremen Partei in Irland. Die Irish Freedom Party und die National Party sind die beiden anderen großen Gruppen im rechtsextremen Spektrum.

Angriffe auf Migrant:innen

In Irland sind erst in jüngster Zeit rechtsextreme Gruppierungen entstanden, die zwar noch klein sind, aber eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen entwickeln. Der Aufstieg des Rechtspopulismus auf internationaler Ebene, insbesondere die Wahl von Trump, hat der irischen extremen Rechten zunächst Auftrieb gegeben. Die Alarmglocken begannen zu läuten, als der rechte Präsidentschaftskandidat Peter Casey, der behauptete, dass die nichtsesshafte Gruppe der Traveller (Fahrende) „im Grunde genommen Menschen sind, die in fremdem Land campieren“, 2018 den zweiten Platz belegte. Der Rassismus gegen Traveller bildete in der Vergangenheit einen Schwerpunkt der Diskriminierung in Irland.

In den letzten 20 Jahren gab es in Irland zahlreiche Kämpfe und Massenkampagnen, die darauf abzielten, die Regierungspolitik und reaktionäre Sozialgesetze zurückzudrängen. Dies reichte von Bewegungen gegen Müllgebühren, Haushalts- und Grundsteuerabgaben bis hin zu den erfolgreichen Massenmobilisierungen gegen Wassergebühren. Hinzu kamen die siegreichen Ergebnisse der Volksabstimmungen, die die Gleichstellung der Ehe und die Aufhebung des achten Zusatzartikels, was die Abtreibungsrechte verbesserte, sicherstellten.

Eine Gegenreaktion gegen diese Bewegungen war immer zu erwarten. Insbesondere die katholische Kirche war von den Ergebnissen des Referendums erschüttert. Kein Wunder, dass die aufkommende extreme Rechte sich gerne mit unzufriedenen Menschen verband, die einen traditionellen katholischen Standpunkt vertraten, der in der Ablehnung von LGBTIA+-Rechten und der Feindseligkeit gegenüber dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung verwurzelt war.

Das Hauptziel der Rechtsextremist:innen waren jedoch immer Migrant:innen und Flüchtlinge. Obwohl ihre Stimmen gering waren, fühlten sich die Rechtsextremen selbstbewusst genug, um in den letzten fünf Jahren bei einer Reihe von Wahlen anzutreten, als die Proteste gegen Flüchtlinge zunahmen. Sie begannen, aus einwanderungsfeindlichen Vorurteilen Kapital zu schlagen.

Es folgte die COVID-Krise, bei der faschistische Aktivist:innen auf Verschwörungstheorien und Proteste gegen Lockdowns und Impfen setzten. Aber es war die Aufnahme von 70.000 ukrainischen Flüchtlingen durch die irische Regierung im Jahr 2022, die die extreme Rechte auf den Plan rief.

Die irische Regierung beschloss, so viele ukrainische Flüchtlinge wie möglich in Hotels, leerstehenden Gebäuden usw. unterzubringen, aber alle anderen Flüchtlinge mussten sich selbst versorgen. Dies führte zu Obdachlosenlagern und etwa 500 Flüchtlingen, die auf der Straße leben. Das hat diese Lager zu leichten Zielen für die Faschist:innen gemacht. Nicht nur Obdachlosenlager, sondern auch Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, bildeten die Angriffspunkte.

Die Krise wurde noch verschärft, als die Regierung im März ankündigte, dass Hotelverträge zur Unterbringung von Flüchtlingen gekündigt würden, da sich die Hotelbetreiber:innen der Touristensaison näherten. In einem Land, in dem bereits 250.000 Wohnungen fehlen und ein Mangel an erschwinglichen Miet- und Kaufobjekten herrscht, fanden rechtsextreme Demagog:innen leider auch in einigen Arbeiter:innengemeinden Gehör. Die Vernachlässigung der Wohnungskrise durch die irische Regierung und ihre diskriminierende Politik haben diesem Anstieg des Rassismus Vorschub geleistet.

Wie man die extreme Rechte stoppen kann

In Irland kam es in letzter Zeit zu Massenbewegungen und einem fortschrittlichen sozialen Wandel, was jedoch kaum auf das Eingreifen von Gewerkschaften zurückzuführen ist. Die irische Arbeiter:innenklasse ist durch Angriffe auf ihren Lebensstandard in Bedrängnis geraten.

Jahrelange Sparmaßnahmen, die Auswirkungen von Covid, ein marodes Gesundheitswesen und eine chronische Wohnungskrise haben die Arbeiter:innenklasse schwer getroffen. Aber die Gewerkschaftsführung hat diesen Zustand nicht in Frage gestellt. Sie macht sich sogar mitschuldig an den Angriffen der Regierung, indem sie ihre Mitglieder durch die Unterzeichnung von Sozialpartnerschaftsabkommen zügelt.

Wenn die organisierte Arbeiter:innenklasse über ihre Gewerkschaften weiterhin untätig bleibt, können wir mit einer stärkeren Bedrohung von rechts rechnen. Die Selbstgefälligkeit der Bürokrat:innen in Bezug auf die Vertretung ihrer Arbeiter:innen wird durch ihre katzbuckelnde Nutzlosigkeit angesichts der rassistischen Angriffe auf Wanderarbeiter:innen ergänzt.

Der Irische Gewerkschaftskongress (ICTU) organisierte als Reaktion auf die Ausschreitungen eine kleine Mittagskundgebung, bei der ICTU-Generalsekretär Owen Reidy von „unserer wunderbaren Polizei“ sprach. Dies ist eine völlig unangemessene Reaktion, die die Realität auf den Kopf stellt. Genauso wenig wie die Behauptung von Mary Lou McDonald von Sinn Fein, dass die Regierung und der Kommissar es versäumt hätten, die Gardai richtig auszustatten. Die Gardai, die eine sehr weiche und ineffektive Haltung gegenüber dem randalierenden Mob eingenommen hat, wird weder Migrant:innen noch irgendeine andere Gruppe von Arbeiter:innen im Kampf verteidigen!

Es hat wichtige Mobilisierungen gegen die Rechte gegeben, von der Linken, die geholfen hat, das Camp in der Sandwith Street zu verteidigen, bis zu den Zehntausenden, die letztes Jahr bei der „Irland für alle“-Demonstration gegen den zunehmenden Rassismus mitmarschiert sind. Die jüngste Zunahme der „For All“-Kampagnen könnte durchaus als Katalysator für eine koordinierte antirassistische und antifaschistische Einheitsfront wirken.

Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Einheitsfront von linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse, die Flüchtlinge angemessen verteidigen und faschistische Angriffe zerschlagen kann. Eine ermutigte extreme Rechte wird nicht vor Flüchtlingen Halt machen, wie wir bereits bei der Einschüchterung linker Abgeordneter gesehen haben. Das Wachstum des Faschismus wird von seiner Fähigkeit abhängen, die Straßen zu kontrollieren, als eine effektive Straßenkampftruppe. Mit faschistischem Terror kann man nicht argumentieren, aber man kann ihn physisch stoppen. Organisierte Selbstverteidigung ist eine Notwendigkeit und muss ernsthaft aufgebaut werden.

Zugleich müssen reale Problem wie die Wohnungskrise angegangen werden. Zu lange hat die Regierung die Interessen des multinationalen Großkapitals, der Immobilienentwickler:innen und der abwesenden Vermieter :innen geschützt. Wir müssen Sofortmaßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen fordern, indem wir leerstehende Gewerbe- und Unternehmensimmobilien nutzen.

Wir brauchen ein massives Sofortprogramm für gesellschaftlich nützliche öffentliche Arbeiten, um Vollbeschäftigung zu schaffen und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu entwickeln. Die Arbeiter:innenklasse sollte an der Ausarbeitung einer Anhörung zu den sozialen Bedürfnissen beteiligt werden, die sich mit Fragen wie dem chronischen Wohnungsmangel, dem heruntergekommenen Wohnungsbestand und dem Aufbau eines öffentlich finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes mit gleichberechtigtem Zugang befasst.

Diese öffentlichen Arbeiten sollten Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Ein massives Wohnungsbauprogramm würde einen Teil dieses Plans bilden und, wie der Rest des Programms, durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden. Ein solcher Schritt würde den Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eröffnen, in der für den Bedarf und nicht für die kapitalistische Gier produziert würde!

Der Faschismus ist ein Produkt des kapitalistischen Zerfalls. Bürgerliche „demokratische“ Regierungen fördern das Wachstum des Faschismus durch ihre Unfähigkeit, die Probleme des krisengeschüttelten Kapitalismus zu lösen. In ähnlicher Weise kann das Fehlen einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus das Wachstum der extremen Rechten nur fördern. Eine solche revolutionäre Alternative, die sich auf ein Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse stützt, muss jetzt aufgebaut werden, damit sie Faschismus und Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann!




Gegen Rassismus und die Rechte: Wie die AfD stoppen?

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Ob in Hamburg, Berlin oder Potsdam, ob in Köln, Frankfurt/Main oder München: Hunderttausende gehen in den letzten Wochen gegen Rechtsruck und AfD auf die Straße. Am Wochenende vom 19. – 21. Januar waren es bundesweit weit mehr als eine Million, davon allein in Berlin und München 300.000 bzw. 200.000. Mitglieder, Anhänger:innen und Wähler:innen eines breiten, klassenübergreifenden demokratischen Spektrums protestieren dort, um ihre Wut, ihre Betroffenheit und ihre Angst vor dem Rechtsruck deutlich zu machen.

Unmittelbarer Auslöser dieser Massenbewegung waren die jüngst von der Rechercheplattform CORRECTIV enthüllten Pläne zur „Remigration“, also zur Vertreibung von Millionen Menschen. Bei einen „privaten“ Geheimtreffen präsentierten der Faschist und bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner, Vertreter:innen der AfD, der Werteunion und anderer Rechter und Rechtsextremer ihren „Masterplan“, um „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Asylbewerber:innen, Menschen mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ sollten von einer zukünftigen Rechtsregierung allesamt deportiert werden. Gemeinsam sollte die nationale und völkische Rechte dazu ideologische, „diskursive“ und natürlich auch handfeste Vorbereitung leisten, um schon jetzt Migrant:innen des Leben möglichst unerträglich zu machen.

Völkisch-rassistische Ziele

Verwundern sollten diese völkisch-faschistischen Ziele, die phantastischen, aber zugleich durchaus ernstzunehmenden und bedrohliche Pläne nicht. Der Zulauf zur AfD in den Umfragen, wiewohl durch die Regierungspolitik und die Krise genährt, geht seit Jahren mit ihrer Radikalisierung selbst einher. Der Thüringer Landesvorsitzende und Rechtsaußen, Höcke, avancierte zum realen Taktgeber der Partei, deren „gemäßigter“ Flügel wurde in den letzten Jahren marginalisiert. Aber in den letzten Wochen trag es Millionen überdeutlich zu Bewusstsein, dass die AfD keine „normale“ rechte Partei ist, sondern dass ihr extremer Rassismus die gezielte Deportation von Millionen anvisiert.

Massenhaftes Entsetzen verursachten die Enthüllungen von CORRECTIV wegen der offenkundigen, sich jedem halbwegs vernünftigen Menschen aufdrängenden Parallele zum Nationalsozialismus, zur Wannseekonferenz und den Plänen zum industriellen Massenmord am jüdischen Volk. Pläne wie die Errichtung eines bis zu zwei Millionen Menschen umfassenden „Musterstaates“ für „Remigrierte“ in Afrika erinnern unwillkürlich an die nationalsozialistischen Pläne, vier Millionen Jüdinnen und Juden nach Madagaskar zu deportieren. Und dieser offene Bezug zum Faschismus verdeutlicht, wie weit nicht nur direkte Nazis, sondern auch immer größere Teile des bürgerlichen Lagers zu gehen bereit sind. Die Verharmlosungen des Treffens als rein „privaten“ Austausch durch AfD-Funktionär:innen und Mitglieder der Werteunion oder die Darstellung von Teilnehmer:innen des Treffens, dass man Sellner „so nicht verstanden“ hätte, sind reine Schutzbehauptungen – sonst nichts. Unglaubwürdig ist dabei nicht nur die AfD, sondern natürlich auch die CDU, die so tut, als wäre die Werteunion nicht aus ihr hervorgegangen.

Die Anwesenheit ihrer Vertreter:innen, die aus dem rechten Flügel der CDU/CSU stammen, beim „privaten“ Treffen verweisen ebenso wie der Aufstieg der Freien Wähler und die anvisierte Bildung neuer rechtskonservative Parteien zwischen AfD und CDU/CSU auf einen Umbruch in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, der keineswegs bloß als „Protest“, sondern als Abspaltung zur Neuformierung des bürgerlich-rechten Lagers begriffen werden muss.

Die Grenzen der Breite

In jedem Fall hat der Schock über die Enthüllungen eine riesige Demonstrationswelle ausgelöst. Und das ist gut so. Die Bewegung umfasst die radikale Linke, die reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE, Gewerkschaften, Fridays for Future, antirassistische Initiativen, Migrant:innenorganisationen, Die Grünen, die Kirchen, FDP und sogar Teile der Unionsparteien. Faktisch also fast alle außer der AfD und offenen Nazis und Rassist:innen.

Auf den Demonstrationen sprechen neben Vertreter:innen der „Zivilgesellschaft“ Redner:innen aller Parlamentsparteien, von Regierung, linker wie bürgerlicher Opposition, auch wenn zweifellos jene aus dem reformistischen und links-bürgerlichen Spektrum dominieren und wohl auch große Mehrheit der Teilnehmer:innen mobilisieren. Kaum jemand, die/der nicht die „Einheit der Demokrat:innen“ beschwört, der Ruf nach dem Verbot der AfD wird laut.

Doch was vielen als größte Stärke der Bewegung erscheint, ihr klassenübergreifender Charakter, die Einheit von Scholz und Merz, aller Parteien bis hin zur Linkspartei, stellt in Wirklichkeit auch ihre Schwäche dar.

Rechtsruck und Rassismus, deren extrem gefährlicher Ausdruck der Aufstieg der AfD zweifellos ist, scheint nur außerhalb der „demokratischen“ Mitte, der anständigen Vertreter:innen der bürgerlichen Verhältnisse zu existieren.

Dabei überbieten sich gerade die Vertreter:innen ebendieser „Mitte“ – von CDU/CSU, FPD, SPD, Grünen und neuerdings auch der BSW – mit unentwegten Forderungen nach „besserer“ Regulation der Migration. Auf ein rassistisches Gesetz folgt faktisch das nächste. Während die EU-Außengrenzen weiter dicht gemacht werden, patrouilliert die Bundespolizei an den deutschen Grenzen.

Während sich Faeser, Scholz, Baerbock und Lindner als Menschenfreund:innen inszenieren, beschließt die Ampel-Mehrheit am 18. Januar im Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, die jüngste einer Reihe rassistischer Gesetzesverschärfungen. Dies soll lt. Olaf Scholz ermöglichen, dass Asylbewerber:innen „im großen Stil“ abgeschoben werden. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei ausgeweitet werden. Außerdem sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind. Und schließlich sollen Widerspruch oder Klage gegen Abschiebungen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Union und AfD ging das nicht weit genug, aber ein weiterer Schritt Richtung Ausweisung aller „unnützen“ Migrant:innen ist das allemal.

Die fast zeitgleich beschlossene Erleichterung von Einbürgerungen kann das nicht nur nicht aufwiegen. Sie passt vielmehr ins Konzept der „kontrollierten“ Migration, wie sie auch das deutsche Kapital fordert.

Während die Regierung und andere „Demokrat:innen“ die völkische und nationalistische Hetze der AfD verurteilen, heizen sie selbst antimuslimischen und antiarabischen Rassismus an, kriminalisieren die Solidaritätsbewegung mit Palästina und wollen zukünftig Migrant:innen auf ihre „Verlässlichkeit“ hinsichtlich der deutschen Staatsräson überprüfen.

Alle diese rassistischen Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen stellen heute für Millionen Migrant:innen und Geflüchtete die unmittelbar größte Gefahr dar. Während die Regierung und die bürgerlichen Kräfte so tun, als würden sie den Nazis offensiv entgegentreten, schieben sie selbst „im großen Stil“ ab, versuchen, den Rechten und CDU/CSU den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich deren Forderungen zumindest teilweise zu eigen machen und umsetzen.

Gegen den Rassismus der Rechten – und von Staat und Regierung!

Wer konsequent gegen die völkischen, faschistischen und rechtspopulistischen Kräfte kämpfen und mobilisieren will, darf daher zum Rassismus der Regierung, zu den neuen Abschiebegesetzen, zum antimuslimischen Rassismus und zur Kriminalisierung von politisch oppositionellen Migrant:innen nicht schweigen. Antirassismus muss Kampf gegen diese staatlichen Maßnahmen inkludieren, ansonsten wird er selbst unglaubwürdig.

Zweitens müssen wir uns auch klar von der illusorischen Vorstellung abgrenzen, dass der Rechtsruck und die AfD durch ein Parteiverbot gestoppt werden würden. Damit würden weder der staatliche Rassismus noch Faschismus verschwinden. Vor allem aber verkennt diese Losung, dass das deutsche Kapital in einer zugespitzten Krise oder angesichts massiven Klassenwiderstandes auf AfD und weit rechtere Kräfte zurückzugreifen bereit ist. Schließlich kann die Forderung von bürgerlicher Seite auch leicht zur Begründung von Verboten linksradikaler „antidemokratischer“, außerhalb des „Verfassungskonsenses“ stehender Organisationen herangezogen werden, wie wir es schon heute bei solchen palästinensischer, kurdischer oder türkischer Organisationen sehen.

Um den Zulauf zur AfD zu stoppen, können und dürfen wir uns nicht auf den Staat verlassen und schon gar nicht dürfen wir uns an sie anpassen, wie das die BSW tut. Der Kampf gegen Rassismus und gegen Faschismus muss vielmehr als Teil des Klassenkampfs verstanden werden. Daher müssen wir in der Bewegung gegen die Rechten für die Herausbildung einer antirassistischen Einheitsfront der Gewerkschaften, der linken Parteien, der Migrant:innenorganisationen, der radikalen Linken kämpfen. Dazu müssen sich Linke, internationalistische und alle Organisationen der Arbeiter:innenbewegung an den Massenkundgebungen und Demonstrationen nicht nur beteilten, sondern auch offen und sichtbar für eine internationalistische und klassenkämpferischen Stoßrichtung eintreten.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Warum gehört Palästinasolidarität auf die Anti-AfD-Proteste?

Georg Ismael, Infomail 1242, 22. Januar 2024

Ganz einfach, weil die AfD ihre rassistische Hetze momentan im Besonderen mit antipalästinensischer Stoßrichtung vorantreibt!

Das wusstest du nicht? Dann einige Fakten dazu:

Bereits am 10.10.2023 brachte die AfD-Fraktion zwei Anträge in den Menschenrechtsausschuss ein. Einer forderte die Streichung aller Zuwendungen an das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Der zweite behauptete, dass palästinensische Jugendliche systematisch zu „Attentätern, Mördern und Selbstmordattentätern“ erzogen würden. Daher sei die Entwicklungshilfe für palästinensische Bildungseinrichtungen vollständig einzustellen. Mittlerweile sterben Menschen in Gaza an Hunger. Die Mehrzahl aller Schulen und Universitäten ist zerstört, unzählige Lehrer:innen, Professor:innen und Student:innen sind tot. Die AfD hält an diesen Positionen fest.

Gleichzeitig sagte AfD-Chefin Alice Weidel sehr früh, dass sie gegen jegliche Aufnahme von palästinensischen Geflüchteten ist. Heute ist Palästina der Kriegsschauplatz, auf dem die meisten Zivilist:innen sterben. Südafrika klagt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des Genozids an.

Im Berliner Abgeordnetenhaus brachte die AfD im Januar 2024 einen Antrag ein. Dieser fordert einen vollständigen und bundesweiten Stopp der Aufnahme palästinensischer Geflüchteter. In Berlin soll dies unmittelbar vom Senat umgesetzt werden, denn das palästinensische Volk sei laut AfD eines von Terrorist:innen.

Währenddessen unterstützt sie mittlerweile offen und aggressiv den Krieg gegen Gaza. Auch ist sie für die Verzehnfachung der  Waffenlieferungen an Israel eingetreten, die die Bundesregierung 2023 genehmigt hat.

Die AfD spielt eine ähnliche Rolle wie ihre rechten bis rechtsradikalen Freund:innen in den USA. Sie ist laut Umfragen die Partei im deutschen Bundestag mit den meisten Antisemit:innen unter ihren Mitgliedern und Wähler:innen. Gleichzeitig ist sie eine brennende Verfechterin des israelischen Staates und der zionistischen Apartheid.

Das ist eigentlich vollkommen „logisch“

Der israelische Staat verwirklicht mit seiner brutalen Unterdrückung und Vertreibung der Palästinenser:innen genau die rassistischen Gewaltphantasien, die der AfD auch in Deutschland insbesondere für nicht-europäische Menschen im Allgemeinen als auch für Araber:innen und Muslim:innen im Speziellen vorschweben.

Israel ist zunehmend ein Vorbild für die westliche rechtsradikale Szene. Sie feiert Israels „Ethnopluralismus“ und die „Remigration“ der Palästinenser:innen.

Ethnopluralismus ist ihr „modernes“ Wort für die „Zusammensetzung einer Gesellschaft nach rassischen und völkischen Merkmalen“. Remigration ist ihr „modernes“ Wort für Deportation und Vertreibung.

Gleichzeitig ist die AfD und sind ihre rechtsradikalen Anhänger:innen glücklich darüber, dass die meisten Jüdinnen und Juden fernab von ihnen leben. Die Aussage eines Rechtsradikalen bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Ich freue mich zu sehen, was dort unten passiert. Egal wer von einer Kugel getroffen wird: es trifft immer das richtige Ziel.“ So treffen sich antimuslimische, antiarabische und antisemitische Einstellungen deutscher Faschist:innen.

Wir haben also allen Grund, Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen die AfD zusammenzubringen! Die Wahrheit ist: Gerade Palästinenser:innen stehen aktuell im Zentrum der rassistischen Hetze sowohl von rechtsaußen als auch aus der „Mitte der Gesellschaft“.

Scholz forderte Abschiebungen von Palästinenser:innen, weil sie angeblich Antisemit:innen seien. Es gab bereits Fälle von Abschiebungen propalästinensischer Aktivist:innen. Gleichzeitig verzehnfachte die deutsche Regierung ihre Waffenlieferungen an Israel. Ganz nach dem Motto „Ich bin ja keine Rassistin. Meine Waffen töten nur ein unterdrücktes Volk.“

Die Regierung kriminalisiert und diffamiert Proteste für einen Waffenstillstand. Ein Beispiel: In Berlin wird unter Schwarz-Rot das Oyoun, ein migrantisch geprägtes, kosmopolitisches Kulturzentrum geschlossen. Der Grund: Die jüdische Stimme, die größte linke jüdische Organisation in Deutschland, spricht sich dort zu ihrem 20. Jubiläum gegen die Unterdrückung der Palästinenser:innen aus.

Die CDU will die Ausbürgerung von deutschen Staatsbürger:innen legalisieren. Das ist ein Gesetzesvorschlag, der aktuell im Parlament diskutiert wird, „Remigration“ light also, die von den Konservativen vorangetrieben wird.

Ampelregierung und CDU betreiben selbst rassistische Hetze und Politik. Gleichzeitig sitzen die noch gefährlicheren Rassist:innen und Antisemit:innen der AfD am rechten Rand des Parlaments. Sie klatschen und reiben sich die Hände, dass die Bundesparteien über den „Import von Antisemiten“ phantasieren, anstatt über die Antisemit:innen der AfD zu sprechen.

Wir kommen also zu dem Ergebnis: In Wirklichkeit müssten propalästinensische Stimmen auf Anti- AfD-Protesten nicht nur willkommen sein. Gerade Palästinenser:innen und linke antizionistische Juden/Jüdinnen müssten als Redner:innen auf den Bühnen der Proteste eingeladen werden.

Dass dies nicht so passiert, zeigt, wie verlogen der „Antirassismus“ der momentanen Organisator:innen ist. Grüne, SPD, die Linkspartei oder Gewerkschaftsführungen mögen aktuell an der Spitze der Proteste stehen. Aber das ist unsere Bewegung. Wir werden nicht schweigen.

Gegen jeden Rassismus, gegen jede Vertreibung – ob durch deutsche oder durch israelische Rassist:innen!




Halle: 4. Jahrestag des faschistischen und antisemitischen Terrorangriffs – Kein Vergeben, kein Vergessen!

Leonie Schmidt, ursprünglich veröffentlicht auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1233, 9. Oktober 2023

Antisemitismus, Mord, Rassismus

Am 9.10.2019 griff der bewaffnete Nazi B. erst eine Synagoge an, in welcher sich ca. 50 Personen befanden, wofür er sich den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur aussuchte. Da aber die Türen der Synagoge glücklicherweise gegen sein Eindringen standhielten, zog er weiter, um letztendlich zwei scheinbar wahllos ausgesuchte Personen auf offener Straße und in einem Dönerladen zu erschießen. Neben einigen Schusswaffen und scharfer Munition hatte der Nazi auch vier Kilo Sprengstoff in sein Auto geladen und zudem eine Kampfmontur aus einem Stahlhelm, einer schusssicheren Weste sowie einer Art „Uniform“. Letztendlich wurde er nach einer stundenlangen Verfolgungsjagd von der Polizei gestellt und verhaftet.

Motiv & Hintergründe

Ursprünglich wollte der Täter wohl ein linkes Zentrum angreifen, hatte sich jedoch anders entschieden und sich laut seinem eigenen wirren Manifest vom Attentäter in Christchurch (Neuseeland) inspirieren lassen, wenngleich dieser Moscheen angriff. Auch der Attentäter von Halle überlegte wohl zuerst, eine Moschee anzugreifen, da laut seinem faschistischen Weltbild Muslim:innen schlimmer als Linke seien. Entsprechend seiner Ideologie wählte er dann aber aus einem antisemitischen Motiv heraus eine Synagoge, da er den Islam nur als Symptom und nicht als Ursache seines eigenen Elends ansehen würde. Da die Person, die er auf offener Straße erschoss, eine Frau war, kann auch vermutet werden, dass ein Motiv hier Frauenhass und Antifeminismus gewesen sein könnte, da er in seinem Manifest auch den Feminismus zu seinem Feind erklärte. Das wurde jedoch nicht im Abschlussbericht der Bundesregierung zur Tat vermerkt, wenngleich Frauenhass ein gängiger Bestandteil rechtsradikaler Ideologien ist. Im Gerichtsverfahren erklärte der Täter, Jana L. habe ihn beleidigt und da er seine Tat auf Twitch livestreamte, rechtfertigte er den Mord damit, dass er nicht von seinen Zuschauer:innen ausgelacht werden wollte. Das Mordopfer Kevin S., welches er im Dönerladen erschoss, habe er aufgrund seiner Haarfarbe für einen Muslim gehalten, wie er vor Gericht darlegte. Des Weiteren sagte er im Gerichtsprozess aus, dass er nicht wollte, dass weiße Menschen sterben, er es insofern bedauere und breitete seine rechtsextreme Gesinnung für alle hörbar aus. Das alles untermauert nur das perfide Weltbild des Täters, welches die ideologische Basis für sein Verbrechen bildete. Es darf nicht unbeachtet gelassen werden, dass er definitiv versuchte, mehr Personen zu ermorden, was ihm aber glücklicherweise nicht gelang.

Radikalisierung bei der Bundeswehr und im Internet

Der Täter wurde im Grundwehrdienst 2010 – 2011 an der Waffe ausgebildet. Aussagen im Prozess zufolge habe er bereits da das Wort „Jude“ als Schimpfwort verwendet, was in der Truppe so üblich gewesen sei. Immer wieder verschwinden Waffen bei der Bundeswehr, werden rechte Netzwerke aufgedeckt. Dass es sich hier um keinen Einzelfall, sondern mindestens um staatlich geduldeten Rechtsextremismus handelt, muss uns klar sein.

Darüber hinaus radikalisierte sich B. in diversen Internetforen, wo er Hitlers „Mein Kampf“, antisemitische Propaganda und gewaltvolle Mordvideos des IS downloadete. Dort chattete er mit anderen Männern, die ähnlich wie er sozial isoliert waren und sein rechtsradikales Weltbild teilten. So konnten sie sich gegenseitig in ihrer menschenverachtenden Ideologie bestärken und bekamen Anerkennung von Gleichgesinnten, was sie immer weiter radikalisieren konnte. Auch hier ähnelt B. dem Attentäter von Christchurch. Dieser hatte sich ebenfalls in einschlägigen Internetforen herumgetrieben und mit anderen Rechtsradikalen connectet.

Das Versagen der Polizei

Wie immer hat sich die Polizei nicht mit Ruhm bekleckert. Dass es, wenn es um Rechtsradikalismus geht, immer wieder passiert, dass den staatlichen Behörden sehr grobe Fehler unterlaufen, kann wahrlich kein Zufall sein, wie wir schon seit dem NSU-Komplex und dem Attentat in Hanau ahnen können. In Halle war das erste Problem, dass die Polizei nicht die Sorge der jüdischen Community vor Angriffen ernst nahm. Diese hatte seit Jahren die Polizei um Schutz an jüdischen Feiertagen für die Synagogen gebeten, war jedoch in ihrer Sorge ignoriert worden. Wie spätestens am 9.10.19 zu sehen war, eine mehr als berechtigte Sorge. Auch vor dem Gerichtsprozess gegen B. kam es wieder vermehrt zu Angriffen und Einschüchterungsversuchen gegen die hallesche jüdische Gemeinde. Am Tag der Tat musste sich der Rabbiner, der die Polizei nach den Schüssen auf die Synagoge anrief, erst unnötigen, zeitverzögernden Fragen stellen, bevor er überhaupt zur Notrufzentrale durchgestellt wurde. Zusätzlich kritisiert wurde das Verhalten der Polizei gegenüber den Juden und Jüdinnen, die sich zum Tatzeitpunkt in der Synagoge aufgehalten hatten. Bei der Vernehmung waren die Beamt:innen empathie- und insbesondre ahnungslos hinsichtlich der jüdischen Religion, erklärten den Betroffenen nicht, was überhaupt passiert war, und hefteten den evakuierten Juden und Jüdinnen Zettel mit Nummern an, was einige von ihnen an die NS-Zeit erinnerte. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen, welche gerade so um Haaresbreite dem antisemitischen Mordanschlag des Täters entkommen konnten.

Des Weiteren unterliefen Fehler beim Sichern von Beweismitteln: So konnte die Polizei nicht alle Onlineaktivitäten in einem Bilderforum von B. vor der Löschung am 11.10.19 sichern, welche von einem Moderator beseitigt wurden. Das inkludiert auch die Interaktion mit anderen Teilnehmer:innen des Forums sowie Verweise auf sein Manifest und Waffenbauanleitungen. Die Löschung wirft außerdem die Frage auf, welche Verbindungen durch den Moderator vertuscht werden sollten. Immerhin ging die Polizei anfangs nicht von einem Einzeltäter aus. So durchsuchte sie am 14.10.19 eine Wohnung in Mönchengladbach, von welcher IP-Adresse aus B.s Manifest zeitnah zum Anschlag hochgeladen worden war. Die Bewohner bestritten jedoch, B. gekannt und etwas vom Anschlag gewusst zu haben. Auch das Überprüfen der Gaming-Kontakte als Bestandteil von B.s Ideologie und seiner Radikalisierung wurde von der Polizei unzureichend durchgeführt. B. hatte mehrere Steam-Accounts und spielte Egoshooter. Der Verfassungsschutz teilte mit, in seiner Kontaktliste wären weitere Ermittlungsansätze vorhanden, welche aber nicht weiterverfolgt wurden. Des Weiteren wurde für die Auswertung des Steam-Accounts eine Beamtin eingesetzt, die angab, wenig Ahnung von den Mechanismen der Plattform gehabt zu haben.

Die Gefahr ist nicht gebannt

Nach langwierigem Gerichtsprozess wurde B. im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Sicherheitsverwahrung verurteilt. Doch gelöst hat er sich von seiner Ideologie und Gewaltbereitschaft natürlich nicht. Das zeigen auch die Geschehnisse in seiner Haftzeit. So versuchte er mehrmals zu flüchten: einmal 2020, indem er einen Hofbesuch zum Überqueren einer Mauer nutzte, nachdem die JVA eigenmächtig seine Sicherheitsmaßnahme heruntergefahren hatte, und einmal, indem er im Dezember 2022 zwei JVA-Beamte mit einer selbstgebauten Waffe über Stunden als Geisel nahm. Danach wurde er in ein Gefängnis in Bayern verlegt, welches auf besonders schwerwiegende Straftäter spezialisiert ist.

Des Weiteren wurden in seiner Zelle Briefe von polizeibekannten Nazis sowie von einer 20-jährigen Kriminalkommissarin aus Dessau-Roßlau gefunden. Diese war aufgefallen, nachdem sie sich gegenüber einem Kollegen positiv auf B.s Taten und Weltanschauung bezog.

Wir können also sehen: Nur weil der Täter im Gefängnis ist, ist die Gefahr nicht gebannt. Er konnte weiterhin seine Kontakte zu anderen Rechtsradikalen aufrechterhalten und so in seiner Ideologie und Tat weiterhin bestärkt werden. Auch sind in Sachsen-Anhalt weiterhin Naziterrornetzwerke aktiv, so zum Beispiel das aus Großbritannien stammende Netzwerk „Blood and Honour“. Auch die Identitäre Bewegung (IB), deren österreichischer Anführer Martin Sellner mit dem Attentäter von Christchurch in Kontakt stand, hatte bis vor einigen Jahren noch ihr Hausprojekt in der Nähe des Steintor Campus in Halle, wo sie mit Propaganda gegenüber Studierenden, Einschüchterungen in der Mensa und einem Angriff auf Zivilpolizisten auffielen. Hier hatte auch der AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro, obwohl die AfD offiziell eine Unvereinbarkeitserklärung mit der IB hat.

Hier kommen wir auch zu des Pudels Kern: Die Tat von Halle darf nicht als einzelne gewertet werden, sie muss im Kontext von erneuter Zunahme von Naziterror in Deutschland verstanden werden, auch wenn nach wie vor nicht bekannt ist, welche Netzwerke den Täter bei seinem Vorhaben eventuell unterstützt haben könnten. Ob Halle, Hanau oder München: Diese Taten nehmen zu. Auch 4 Jahre später finden wir uns in einer Gesellschaft, welche noch weiter nach rechts gerückt ist, wie wir an den hohen Stimmenprozenten für die AfD sehen, aber auch an der Teilhabe der Grünen an rassistischer Geflüchtetenpolitik. Dementsprechend können wir auch kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat haben, in welchem rechtsextreme Strukturen zum Alltag gehören. Denn dieser bürgerliche Staat als ideeller Gesamtvertreter der Kapitalist:innenklasse gehört zum Produzenten des Rechtsrucks. Rechte Ideologien und Faschismus sind Produkte der kapitalistischen Produktionsweise und gewinnen häufig nach und während Krisen kräftig an Zulauf. Der Rechtsruck entstand im Zuge der Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und wurde ursprünglich von Mittelschichten, v. a. dem Kleinbürger:innentum, getragen, welche sich davor fürchten, in die Arbeiter:innenklasse abzusteigen, da sie in der Krise nicht mehr mit den Großkonzernen mithalten können. Aber auch die desillusionierte und ebenfalls von der Krise geschüttelte Arbeiter:innenklasse war empfänglich für rechte Propaganda. So war es den rechten Akteur:innen möglich, ein Feindbild zu schaffen, welches zu begründen versuchte, warum es der Arbeiter:innenklasse so schlecht geht, obwohl der reale Grund in der Krise selbst und dem Umgang damit lag: beispielsweise Kürzungen im Sozialbereich, Entlassungen, der Agenda 2010 inkl. Leih- und Zeitarbeit, Privatisierungen, der Schuldenbremse usw. Heute nimmt die kapitalistische Krise erneut an Fahrt auf und ist alles andere als gebannt. Daher ist klar: Wenn wir den Faschismus schlagen wollen, wenn sein Terror der Vergangenheit angehören soll, dann müssen wir auch den Kapitalismus zerschlagen! Dafür müssen wir linke Antworten auf die Krisen unserer Zeit finden und populär machen.

Widerstand und Selbstschutz

Was wir gegen den Rechtsruck im Allgemeinen und gegen faschistischen Terror im Besonderen brauchen, ist eine bundesweit gut vernetzte und lokal verankerte Bündnisstruktur aus allen linken und Organisationen der Arbeiter:innenklasse. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen muss eine solche Einheitsfront gemeinsam und massenhaft Widerstand auf allen Ebenen organisieren, auch durch militante Selbstverteidigungsstrukturen. Auf den Staat und seine Behörden, wie Polizei oder Verfassungsschutz, ist dabei kein Verlass. Im Gegenteil, diese sind selbst von faschistischen Netzwerken durchzogen.

  • Kampf dem Rassismus und Antisemitismus auf allen Ebenen!

  • Für massenhafte gemeinsame Aktionen der gesamten Linken und der Arbeiter:innenbewegung!

  • Kein Vertrauen in staatliche Behörden! Zerschlagt die faschistischen Netzwerke selbst und organisiert militante Selbstschutzstrukturen!



UK und Irland: Stoppt Rassismus und Bigotterie!

Dave Stockton, Infomail 1215, 1. März 2023

Rechtspopulistische und faschistische Gruppen starten im gesamten Vereinigten Königreich und in der Republik Irland eine breit angelegte Offensive, bei der sie Rassismus gegen Migrant:innen und Bigotterie gegen Transsexuelle als ihre Visitenkarte abgeben. Die Entscheidung der Regierungen, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen und gleichzeitig – zumindest im Falle Großbritanniens – diejenigen zu verteufeln, die den Ärmelkanal in wackeligen Booten überqueren, bietet einen fruchtbaren Boden für die Hassprediger:innen.

In Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Not in strukturschwachen Gebieten, die sowohl von den regierenden Torys als auch von der Labour-Partei lange Zeit vernachlässigt wurden, bringen die Regierungen diejenigen, die es hierher geschafft haben, in heruntergekommenen Hotels unter, oft in Badeorten, wo sie unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht sind, weit weg von Freund:innen oder Unterstützungsnetzen der eigenen Community.

Dort hetzen die rassistischen Gruppen die Einheimischen auf, diese vermeintlichen Zufluchtsorte für Demonstrationen und Schlimmeres anzusteuern, und finden ein Publikum, das zwar noch nicht groß ist, aber wächst und gefährlich ist. Die antirassistische Kampagne „Hope not Hate“ weist in ihrem Bericht 2023 darauf hin:

„Die Proteste und Aktionen gegen Migrant:innen vor deren Unterkünften und Hotels haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt. In der Zwischenzeit gab es eine Reihe von Aktionen zur Störung oder Absage von Buchveranstaltungen der Drag Queen Story Hour, die sich gegen Transrechte und die LGBTIA+-Community richteten.“

Die Tory-Boulevardblätter wie die Daily Mail mit ihrer Propaganda über eine Invasion von Bootsflüchtlingen oder Lehrer:innen, die versuchen, das Geschlecht „unserer“ Kinder zu ändern, haben den Boden bereitet, um diese Verbreitung reaktionärer Aktivitäten zu schüren. Daher rühren auch die Slogans auf diesen Demonstrationen, die Boote zu stoppen oder die „Pädos“ zu bekämpfen.

Die einwanderungsfeindliche Innenministerin Suella Braverman, die zunächst vorschlug, die Marine zu veranlassen, die Boote zurück in französische Gewässer zu „schieben“ und dann diejenigen, die die Überfahrt überleben, auf alten Kreuzfahrtschiffen festzuhalten, versucht immer noch, die Gerichte dazu zu bringen, die Menschen nach Ruanda abschieben zu lassen.

Warnung aus Merseyside

Das bedrohlichste Ereignis war der große Aufruhr am 11. Februar vor dem Suites Hotel in Knowsley, Merseyside, wo sich eine große Menschenmenge, darunter viele Einheimische, versammelte und rassistische Parolen rief. Die Aufregung wurde durch Behauptungen im Internet angeheizt, eine fünfzehnjährige Schülerin sei von einem Mann aus dem Hotel belästigt worden. Diese Behauptungen haben sich inzwischen als unbegründet erwiesen. Jemand aus dem Mob hatte eine Benzinbombe mitgebracht, offensichtlich in der Absicht, ein Pogrom zu veranstalten. Ein Polizeiauto geriet zur Zielscheibe.

Weitere Angriffe auf Hotels, in denen Migrant:innen untergebracht sind, fanden in Long Eaton (Derbyshire) bei Nottingham und Newquay in Cornwall statt. Hunderte nahmen an einer Demonstration in Skegness (Lincolnshire) teil. Rechtsextreme Gruppen wie Patriotic Alternative und Britain First haben in diesen Gebieten Flugblätter über „Luxushotels für Migrant:innen“ verteilt, während „unsere Leute“ obdachlos sind.

Das gemeinsame Muster ist die bewusste Entscheidung der Regierung für unwirtliche Orte für Menschen, die in ihren Heimatländern unter Kriegstraumata leiden, was durch lange Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Asylanträge noch verstärkt wird. Dies geht auf Theresa Mays Politik der „feindlichen Umgebung“ zurück, als sie Innenministerin war (2010 – 2016).

Auch in der irischen Republik finden seit November landesweit antimigrantische Mobilisierungen unter dem Motto „Irland ist voll“ statt. Im Jahr 2022 gab es 307 solcher Proteste, 2023 waren es bereits 64. Bei der letzten Demonstration in Dublin gingen mehr als 2.000 Demonstrant:innen auf die Straße, wobei der Schwerpunkt auf einem Gebäude lag, das zu einem Wohnheim für Migrant:innen umgebaut worden war und in dem sich Woche für Woche Hunderte von Menschen versammelten. Im Dezember weiteten sich die Demonstrationen auf andere Gebiete aus: die Vororte Dublins Drimnagh, Finglas und Ballymun sowie Fermoy (Cork).

Auch in Schottland kam es in der dritten Woche in Folge zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant:innen vor einem Hotel in Renfrewshire (bei Glasgow) wegen Plänen zur Unterbringung von Asylbewerber:innen. Mitglieder der Patriotic Alternative versammeln sich jeden Sonntag vor dem Muthu Glasgow River Hotel in Erskine (nahe Glasgow), um gegen die geplante Unterbringung von 200 Asylbewerber:innen zu protestieren.

Weitere Ziele der Rechten bilden die fortschrittlichen Vorschriften zur Geschlechtsanerkennung und transkulturelle Veranstaltungen. Transphobie war das Thema der jüngsten Veranstaltungen in London vor der Tate Modern-Kunstgalerie, und vor kurzem versuchten ein Dutzend Rechtsextremist:innen der Gruppe Turning Point, eine Drag Queen Storytelling-Veranstaltung im The Honor Oak Pub in Lewisham (London) zu verhindern, wurden aber von 200 Gegendemonstrant:innen empfangen.

Runter von unseren Straßen

Glücklicherweise haben sich in vielen dieser Fälle lokale Antirassist:innen, oft von der Organisation Stand Up to Racism, schnell mobilisiert und dazu beigetragen, mögliche gewalttätige Übergriffe zu verhindern. Obwohl die Polizei in Knowsley eingegriffen hat, können wir es nicht ihr überlassen, denn sie wird immer das „Recht auf friedlichen Protest“ der Faschist:innen verteidigen. Es ist klar, dass die neuen Antiprotestgesetze, die sich gegen diejenigen richten, die gegen die Umweltzerstörung durch den Kapitalismus protestieren, in erster Linie gegen Antirassist:innen und nicht gegen Faschist:innen eingesetzt werden.

Es ist die Pflicht der Arbeiter:innenbewegung, unsere Brüder und Schwestern zu verteidigen, die vor Umweltzerstörung, Armut, Verfolgung und Krieg fliehen. Wir müssen sagen: Öffnet die Grenzen für diejenigen, die vor Kriegen, Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Not Zuflucht suchen!

Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass Asylbewerber:innen eine angemessene Unterkunft in Städten zur Verfügung gestellt wird, in denen es Gemeinschaften aus ihren Herkunftsländern gibt und in denen Gewerkschaften, Labourstadträte und sozialistische Gruppen sie willkommen heißen und ihnen bei der Verfolgung ihrer Ansprüche mit Rechtsberatung helfen können. Wir müssen die Beschränkungen bekämpfen, die ihnen das Recht auf Arbeit oder den Nachzug ihrer Familienangehörigen verwehren.

Sozialist:innen müssen dem rechtsextremen Hass in all seinen Formen, einschließlich der Transphobie, unbeirrt entgegentreten. Wo immer möglich, müssen wir diese rassistischen und transphoben Mobs von unseren Straßen vertreiben und sicherstellen, dass alle naiven Einheimischen, die sich ihnen anschließen, eine unangenehme Erfahrung machen, und die Faschist:innen, die sie wütend machen, in die Flucht schlagen.

Workers Power wird sich für eine große Beteiligung an den Demonstrationen am 18. März in London einsetzen. Auch in Glasgow und Cardiff wird es im Rahmen des weltweiten Tages der antirassistischen Proteste Demonstrationen geben. Angesichts der bösartigen Antimigrationspolitik vieler EU-Staaten, insbesondere der neuen extrem rechten italienischen Regierung unter Giorgia Meloni, und der Tragödie des Schiffsunglücks in Italien, bei dem 63 Flüchtlinge, darunter auch Kinder, ums Leben kamen, ist ein internationales Vorgehen dringend erforderlich.




Brasilien: Der gescheiterte Putsch – eine Warnung an die Arbeiter:innenklasse

Martin Suchanek, Infomail 1209, 10. Januar 2023

Tausende Anhänger:innen des abgewählten rechten Expräsidenten Bolsonaro stürmten am 8. Januar Kongress, Senat und Präsidentenpalast in Brasilia. Über Stunden hielt der Mob die Gebäude besetzt. Die Forderung war so einfach wie klar: der Sturz der Regierung Lula/Alckmin und die Machtübernahme durch einen Putsch.

Reaktionärer Spuk

Der reaktionäre Spuk war allerdings nach eigenen Stunden vorbei, nachdem regierungstreue Kräfte der Bundes- und Militärpolizei die Gebäude räumten und über tausend Möchtegernputschist:innen festsetzten.

Der missratene Sturm hatte wohl nie Aussicht auf Erfolg. Von Beginn an war nicht klar, wer eigentlich die Macht übernehmen sollte. Weder Bolsonaro noch irgendein namhafter Militär wollte sich an die Spitze einer Aktion stellen, von deren Aussichtslosigkeit sie von Beginn an überzeugt waren.

Bolsonaro verurteilte sogar die Angriffe, die gegen die „Regeln der Demokratie“ verstoßen hätten – freilich nicht, ohne auch gleich die Lüge aufzutischen, dass unter seiner Präsidentschaft Lula und seine Anhänger:innen ähnlich vorgegangen wären. Die über Twitter verbreitete Distanzierung darf außerdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ziel des Expräsidenten, der sich nach der verlorenen Wahl ins „Exil“ nach Florida zurückgezogen hat, weiterhin der Sturz der Lula-Regierung bleibt. Täglich empfängt er dort weiter Unterstützer:innen, darunter Abgeordnete und Gouverneur:innen. Erst vor kurzem erhielt er auch Besuch vom ehemaligen Sicherheitschef Brasilias, der über Stunden die Putischist:innen gewähren ließ und gegen den jetzt ermittelt wird.

Seit der Wahlniederlage des Expräsidenten, die die Bolsonaristas ohnedies für einen „Fake“ halten, demonstrierten diese „friedlich“ vor Kasernen und forderten einen Putsch. Im November organisierten sie Autobahnblockaden, die von rechtsgerichteten Unternehmer:innen finanziert wurden. Wie beim gescheiterten Putsch kommen viele dieser Kapitalist:innen aus dem Agrarsektor. Ende Dezember, also wenige Tage vor der Vereidigung Lulas, wurde in Brasilia ein Bombenanschlag vereitelt, der Chaos verursachen und eine Intervention des Militärs provozieren sollte.

Der Sturm auf die Parlaments- und Präsidentengebäude stellt einen weiteren Höhepunkt dieser Mobilisierungen dar, aber sicher nicht das Ende dieser Umtriebe.

Staatsapparat

Noch deutlicher als andere Aktionen belegte der missratene Putsch jedoch auch die mehr oder weniger offene Sympathie mit den Bolsonaristas im Polizei- und Staatsapparat. Die lokalen Einsatzkräfte waren nicht „überrumpelt“ worden oder nur „inkompetent“, sondern ließen den Mob gewähren. Polizeikräfte hießen die anreisenden Rechten willkommen , machten Selfies mit den Demonstrant:innen und drehten Videos, in denen ihre Sympathie zum Ausdruck kommt. Kein Wunder also, dass der Mob Kongress, Senat und Präsidentschaftspalast mühelos stürmen und verwüsten konnte.

Und natürlich handelt es sich dabei auch nicht bloß um das „Versagen“ von unteren Rängen, sondern die Anhänger:innen des Expräsidenten finden sich an der Spitze des Polizeiapparates. Der Sicherheitschef von Brasilia, Anderson Torres, war unter Bolsonaro Justizminister. Dieser ignorierte, Medien zufolge, Forderungen aus dem Senat, zusätzliche Sicherheitskräfte zu schicken, nachdem dort die Pläne der in einer Telegramgruppe organisierten Demonstrant:innen bekanntgeworden waren.

Noch am 8. Januar wurde Torres entlassen und die öffentliche Sicherheit der Hauptstadt wurde per Dekret Lulas unter Bundesaufsicht gestellt. Darüber hinaus wurde auch der Gouverneur der Hauptstadtregion von einem Bundesgericht für 90 Tage seines Amts enthoben.

Auch wenn der Spuk beendet wurde: Unterschätzt werden darf die Gefahr, die von der Rechten ausgeht, keineswegs. Im Gegenteil. Dass nur einige Tausend Hardcorereaktionär:innen ausreichten, um in die Parlaments- und Regierungsgebäude einzudringen, zeigt, was droht, wenn sich die soziale Lage weiter verschlechtert, die Klassenkonfrontation verschärft und Lula und die PT mit einer prokapitalistischen Politik ihre eigenen Wähler:innen enttäuschen.

Zur Zeit setzen nicht nur die Arbeiter:innen, die städtische und ländliche Armut, die rassistisch Unterdrückten und Indigenen, die Frauen- und Umweltbewegung auf eine Regierung Lula, sondern auch wichtige Sektoren der brasilianischen Bourgeoisie, die Vizepräsident Alckmin in der PT-geführten Regierung repräsentiert. Das ist der eigentliche Grund, warum der Putschversuch nie Aussicht auf Erfolg hatte. Doch diese Allianz gegensätzlicher Klassenkräfte und Interessen stellt keine Garantie gegen weitere Putschversuche dar, sondern eine Gefahr für die Zukunft.

Angesichts der rechten Gefahr setzen Lula und die PT wie schon im Wahlkampf auf ein Bündnis mit der „demokratischen“ Bourgeoisie, die den Putsch gegen Dilma mitorganisierte, aus dem Bolsonaro hervorging. Lula und die PT setzen angesichts der rechten Gefahr und der Aktionen der Bolsonsaristas auf jenen Militär- und Polizeiapparat, dem der Expräsident entstammt und der Lula nur solange stützen wird, wie er die Interessen des brasilianischen Kapitals verteidigt und die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten ruhig zu halten vermag.

Dies gilt auch für die Spitzen des westlichen, demokratischen Imperialismus. US-Präsident Joe Biden, der deutsche Kanzler Olaf Scholz und EU-Ratspräsident Charles Michel stellten sich ebenso auf die Seite von Lula/Alckmin wie die Staatschefs von Mexiko, Obrador, und Argentinien, Fernández. Mit scharfen Worten verurteilten sie den „Angriff auf die Demokratie“. Dabei vergaßen sie freilich zu erwähnen, dass sie solche von ihren Verbündeten in Israel, Saudi-Arabien oder der Türkei wenig kümmern. Sie vergaßen vor allem zu erwähnen, dass sie Lula/Alckmin vorrangig nicht wegen „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ verteidigen, sondern weil sie sich von der neuen Regierung engere und friktionsfreiere Beziehungen zur USA und EU erhoffen als unter Bolsonaro.

Lehren

1. Die Anhänger:innen Bolsonaros werden sich formieren und radikalisieren. Auch wenn sie unmittelbar nicht über den Rückhalt verfügen, die Regierung zu stürzen, so werden sie weiter eine radikale, kleinbürgerlich-reaktionäre Bewegung aufbauen, die sich im Zuge der gesellschaftlichen Polarisierung zu einer faschistischen Massenbewegung entwickeln kann. Auch wenn sie sich demagogisch als Kraft gibt, die gegen das Establishment mobilisiert, so richtet sie sich vor allem gegen die Arbeiter:innenbewegung, deren Parteien und Gewerkschaften, die sie als „Elite“ und „Parasiten“ imaginiert. Auf dieser Grundlage steht sie als Reserve des Kapitals zu Verfügung, eine Funktion, die sie im Agrobusiness schon heute ausübt.

2. Auch wenn die Militärpolizei und die Spitzen von Armee und anderen staatlichen Institutionen zur Zeit die Regierung verteidigen, so stellt das nur eine Momentaufnahme dar. Dass Bolsonaro und seine Partei im Repressionsapparat und bei Militärs viel Unterstützung fanden und finden, ist kein Zufall. Schließlich agierten die Repressionskräfte seit Jahren – einschließlich der Regierungszeiten von Lula und Dilma – als brutale Vertreter:innen der herrschenden Klasse. Die indigenen Gemeinden und die Favelas wurden und werden regelmäßig von diesen angegriffen – bis hin zum Mord.

3. Alle Verbindungen von Polizei, Militärpolizei und Streitkräften mit dem Sturm auf das Parlament und den Präsidentenpalast müssen öffentlich gemacht und untersucht werden. Das darf aber nicht Militärgerichten, korrupten Berufsrichter:innen oder einem Parlament überlassen werden, in dem die Bolsonaristas die größte Fraktion stellen. Dazu müssen nicht nur alle Akten öffentlich gemacht, sondern auch Arbeiter:innentribunale eingerichtet werden, die die Verwicklung des Staats- und Repressionsapparates in die rechten Aktionen, aber auch in die Angriffe auf Indigene und Favelas sowie deren Zusammenarbeit untersuchen und aburteilen.

4. Indem Lula und die PT weiter auf den bestehenden Staatsapparat im Kampf gegen die rechte Gefahr setzen, machen sie sich selbst von diesem abhängig, zu deren Geisel für den Fall größerer Klassenkämpfe. Angesichts der Inflation, der ökonomischen Stagnation, des Terrorismus der Großgrundbesitzer:innen gegen Indigene und die Umwelt – um nur einige zu nennen – sind diese unvermeidlich, wenn die Unterdrückten nicht die ganze Last der Misere tragen sollen.

5. Gegen die rechten Umtriebe wie gegen die Polizeigewalt dürften wir uns nicht auf den Repressionsapparat verlassen. Es reicht nicht, den Apparat von kriminellen und putschistischen Beamt:innen zu säubern. Die Gewerkschaften, die MST, die MTST, die PT, die PSOL, PSTU, PCO und andere linke Organisationen müssen vielmehr selbst Selbstverteidigungseinheiten der Lohnabhängigen und unterdrückten Massen aufbauen, die ihre Stadtviertel schützen, gegen etwaige Putschist:innen, Paramilitärs und kriminelle Banden vorgehen. Von Lula und der PT müssen wir fordern, diese aktiv voranzutreiben und die reaktionären Einheiten zu entwaffnen. In den Streitkräften müssen demokratische Soldat:innenkomitess aufgebaut werden, die die Kommandogewalt der Offizier:innen brechen.

6. Bei seinem Amtsantritt versprach Lula eine ganze Reihe von Reformen, darunter die Beendigung der Rodung des Regenwaldes, die Stärkung der Rechte der indigenen Bevölkerung, die Rücknahme neoliberaler Konterreformen der Bolsonaro-Regierung bezüglich Renten, Arbeitszeit, Mindestlohn sowie gewerkschaftsfeindlicher Gesetze. Deren Bekämpfung wurde zu einem Hauptziel seiner Regierung erklärt. Doch diese Reformen werden angesichts einer massiv gestiegenen Staatsverschuldung, ökonomischer Stagnation und der Stärke der Rechten im Staatsapparat und Parlament und der Abhängigkeit von bürgerlichen Koalitionspartner:innen an der Regierung mit parlamentarischen Mitteln nicht durchsetzbar sein.

7. Ein solches Programm kann ebenso wie die Entwaffnung reaktionärer Kräfte nur umgesetzt werden, wenn es mit einer Massenmobilisierung der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verbunden wird. Die aktuelle Massenunterstützung gegen die Putschist:innen muss für eine solche Offensive zur sofortigen Umsetzung aller Reformversprechen von Lula und der PT sowie eines Sofortprogramms gegen Inflation, Armut, Krise genutzt werden.

8. Es kann nur verwirklicht werden, wenn wir die Privilegien der herrschenden Klasse, deren Privateigentum in Frage stellen. Es ist unmöglich ohne Streichung der Auslandschulden, ohne massive Besteuerung der Reichen, ohne entschädigungslose Enteignung des Agrobusiness, der großen Industriekonzerne und Finanzinstitutionen. Ohne die Bündelung der Ressourcen des Landes unter Arbeiter:innenkontrolle kann ein Notfallplan im Interesse der lohnabhängigen Massen, der Landlosen und Indigenen sowie der Umwelt nicht durchgesetzt werden.

9. So wie Polizei und Armee als Garanten des Privateigentums im Staatsapparat fungieren, so fungieren Alckmin und andere offen bürgerlichen Kräfte als Garanten des Privateigentums, der herrschenden Klasse und des Imperialismus in der Regierung. In einer Koalition mit Alckmin wird ein Notprogramm für die Massen ebenso wenig  umsetzbar sein wie die Bewaffnung von Selbstverteidigungseinheiten der Unterdrückten. Wir fordern daher von Lula und PT einen Bruch mit den bürgerlichen Minister:innen und die Bildung einer PT/PSOL/CUT-Regierung, die sich auf die Arbeiter:innenklasse stützt und ein Notprogramm durchsetzt. Eine solche Regierung muss mit allen Mitteln gegen jeden Putschversuch – sei es eines Bolsonaro und seine wild gewordenen Anhänger:innen, sei es gegen andere bürgerliche Kräfte verteidigt werden.

10. Lula und die PT-Führung (und wohl auch Teile der PSOL- und CUT-Führung) werden zweifellos einen Bruch mit Alckmin und dem bürgerlichen Staatsapparat mit allen Mitteln zu vermeiden versuchen – ganz wie sie schon im Wahlkampf auf eine Volksfront mit dem Kapital setzten. Es reicht jedoch nicht, diese Politik zu kritisieren und vor ihren fatalen Folgen zu warnen. Revolutionär:innen müssen auch Mittel und Taktiken propagieren, die es den Massen, die heute Lula und der PT folgen, die „ihren“ Präsidenten gegen den Putsch verteidigen, ermöglichen, sich von den Illusionen in Lula und seine Politik zu befreien. Dazu ist es nötig, Lula und die PT dazu zu zwingen, dazu aufzufordern, weiter zu gehen als sie wollen – also den Aufbau von Selbstverteidigungsorganen voranzutreiben und zu unterstützen und mit der Bourgeoisie zu brechen.

11. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass Lula und die PT-Führung diesen Schritt gehen, so erlauben solche Forderungen, einen gemeinsamen Kampf mit seinen Anhänger:innen gegen die Rechte und die Reaktion aufzunehmen, sie erlauben es, den Widerspruch zwischen der klassenversöhnlerischen Kompromisspolitik der bürokratischen Führungen von PT und CUT einerseits und den Klasseninteressen der Masse ihrer Anhänger:innen nutzbar zu machen. Einerseits, indem diese Führungen praktisch auf die Probe gestellt werden können, andererseits, indem die Klasse auf die zukünftigen Kämpfe vorbereitet und, wo möglich, der Aufbau von Kampforganen in Angriff genommen wird.

12. Um eine solche Politik praktisch werden zu lassen, muss eine systematische Einheitsfrontpolitik gegenüber PT und CUT mit dem Kampf für eine neuen, revolutionären Arbeiter:innenpartei verbunden werden.




Rechte Umsturzpläne: Ein Menetekel an der Wand

Martin Suchanek, Infomail 1206, 9. Dezember 2022

3.000 Polizeibeamte und Spezialkräfte mobilisierte die Bundesanwaltschaft am 7. Dezember beim größten Antiterroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

In einer koordinierten Aktion wurden 150 Objekte durchsucht, Materialen und ganze Waffenlager beschlagnahmt. Mindestens 50 Personen, die der „Patriotischen Union“ oder deren Umfeld zugerechnet werden, wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Gegen 25 wurde Haftbefehl erlassen. 19 sitzen seither in Untersuchungshaft, weitere dürften folgen.

Das erklärte Ziel der ominösen Gruppe von Verschwörer:innen aus dem Milieu der Reichsbürger:innen ist hinlänglich bekannt: der Sturz der Regierung und die Errichtung einer „Übergangsregierung“ zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1871.

An den mörderischen Absichten der „Patriotischen Union“ besteht kein Zweifel, auch wenn dem Netzwerk um Heinrich Prinz Reuß, der aus einer Thüringer Adelsfamilie stammt und als Heinrich XIII. nach gelungener Machtübernahme zum König von Deutschland ernannt hätte werden sollen, etwas unfreiwillig Clowneskes anhaftet.

Irrationalismus ist nicht harmlos

Dies darf jedoch kein Grund zur Entwarnung oder Verharmlosung sein. Betrachtet man die Äußerungen und Ideologie rechter Putschist:innen und Verschwörer:innen, enthalten diese immer jede Menge Obskurantismus, Wahnwitz, Entrückung und Irrationales. Darin bildet die Truppe um Heinrich XIII. keine Ausnahme. Ihr „Weltbild“, ihre Geisteshaltung erinnert an viele, die am 6. Januar 2021 das US-Capitol stürmten. Verschwörungstheorien wie jene von QAnon begeisterten schließlich auch etliche Mitglieder des „Schattenkabinetts“ des Möchtegernregenten.

Darin liegt nichts Zufälliges. Die gesamte Ideologie solcher Verschwörer:innen stellt eine wilde Mischung aus reaktionären, völkischen, antisemitischen Ideologien, Rückgriffen auf Mystik und Esoterik dar, kombiniert mit übersteigertem Wahn von der vorgeblichen Bedrohung und gleichzeitigen Überlegenheit der eigenen Nation und „Rasse“. Was sie so gefährlich macht, ist die Bereitschaft, für die reaktionäre Sache gewaltsam vorzugehen, weil „ihre“ Nation nur so der Herrschaft „dunkler“ Mächte entrissen werden könne.

Gerade die bekannteren, aus der angeblichen Elite der bürgerlichen Gesellschaft stammenden Führungsfiguren der „Patriotischen Union“ waren vom QAnon-Netzwerk nicht nur inspiriert. Sie waren nicht nur Anhänger:innen der Ideologie von sog. Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen, denen zufolge die Bundesrepublik eigentlich nicht existiere, sondern nur eine „Firma“ unter Kommando der Alliierten und/oder des „Weltjudentums“ darstelle.

Sie waren wie der Adelige Heinrich Reuß nicht bloß Gutsbesitzer und, wenn auch nur mäßig erfolgreicher, Immobilienmakler, sondern auch aktive geistige Brandstifter:innen. So verbreitet er seit Jahren das Märchen, der Erste Weltkrieg sei Resultat einer Verschwörung der Freimaurer:innen und Juden/Jüdinnen gewesen und die Monarchie bestehe daher noch.

Die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, selbst als Innenministerin vorgesehen, hetzt seit Jahren gegen Migrant:innen und Geflüchtete und radikalisierte sich weiter mit den sog. Querdenker:innen und reaktionären Impfgegner:innen.

Reuß und Malsack-Winkemann stehen exemplarisch für einen Teil der „Patriotischen Union“. Dieser stammt aus den sog. gebildeten Schichten Deutschlands, aus einer „Elite“, die den Bestand „ihres“ Staates so weit gefährdet sieht, dass sie sich gegen Regierung und staatliche Institutionen verschwört, den Putsch zur patriotischen „Notwehr“ stilisiert.

Den anderen großen Teil der Verschwörung bilden ehemalige Offizier:innen der Bundeswehr, insbesondere von Spezialeinheiten wie dem KSK, sowie einige alte NVA-Leute, also Menschen aus dem Offizierskorps des deutschen Imperialismus, dessen patriotische Tugenden von „liberalen“ Politiker:innen und „verweichlichten“ Vaterlandsverräter:innen zerstört würden.

Wie weit die Planungen zu einem bewaffneten Umsturz wirklich gediehen waren, ist zwar bislang unklar. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Vorbereitungen zur „Machtübernahme“ eindeutig über das Stadium allgemeiner Absichtserklärung und Wunschvorstellungen hinausgegangen waren. So hatte der Kreis einen leitenden „Rat“, ein „Schattenkabinett“ samt Regenten und zukünftigen Minister:innen sowie Verantwortliche für den Aufbau eigener bewaffneter Einheiten bestimmt. Auch wenn die Verschwörung zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf eine erfolgreiche Machtübernahme hatte, so enthielt sie offenbar Pläne zur Entführung des Gesundheitsministers Lauterbach sowie „Neutralisierung“, also Ermordung seines Personenschutzes. Mit der „Patriotischen Union“ bildete sich eine rechtsterroristische Verschwörung, die es in dieser Form seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr gegeben hat. Allein dies belegt einen massiven Radikalisierungsprozess, der weit über diese Gruppierung hinausgeht.

Bodensatz

Mögen sie als Einzelne noch so obskure Figuren darstellen, so stehen sie für die Entfremdung viel breiterer kleinbürgerlicher und bürgerlicher Schichten vom politischen System. Die ökonomischen, sozialen und politischen Krisen seit 2008 unterminieren deren gesellschaftliche Stellung. Diese Entwicklung wird jedoch subjektiv als Werk fremder Mächte gefasst – als Verschwörung, die zur „Umvolkung“ durch Migrant:innen, zur „Ausblutung“ Deutschlands durch Euro und EU, zur „Durchimpfung“ zwecks Sterilisierung der Weißen, zur Unterjochung des Landes durch die USA und eine „jüdische Weltverschwörung“ führt, in deren Dienst Genderwahn, Feminismus, Antirassismus, Kosmopolitismus usw. stünden.

Der reaktionäre Wahn inklusive einer großen Portion Antisemitismus hat in den letzten Jahren breitere Schichten der Bevölkerung erfasst – im Grunde seit Beginn des Rechtsrucks und der Ausbreitung des Rassismus gegen die Geflüchteten.

Der Aufstieg der AfD, die reaktionäre Bewegung der Querdenker:innen, der deutschen Spielart der Impfgegner:innen, haben den gesellschaftlichen Boden bereitet, auf dem Gruppierungen wie die „Patriotische Union“ und andere Formen des rechten, gewaltbereiten Terrorismus und militante Verschwörungstruppen entstehen.

Sie stützen sich auf verschiedene rechte Milieus und Bewegungen wie jene der Impfgegner:innen, die AfD oder, im extremsten Fall, direkten militanten Naziorganisationen. Die „Patriotische Union“ selbst stand in enger Verbindung mit den sog. Reichsbürger:innen, die während der Pandemie Zulauf erhielten und lt. Verfassungsschutz auf 21.000 angewachsen sein sollen.

Sie bewegen sich selbst zwischen Obskurantismus und Terrorismus. So erklären selbsternannte, rabiate Kämpen ihre Häuser und Gartenlauben zu „unabhängigen Staaten“ oder gar Fürstentümern. Ein Teil der Reichsbürger:innen möchte die Monarchie wiedererrichten, andere träumen von esoterisch-germanischen Landkommunen, die als Selbstversorgerinnen dahinvegetieren, andere wiederum sind Teil der Naziszene oder eng mit dieser verbunden.

Gemeinsam ist dieser Szene, dass sie sich weiter radikalisiert – sei es in immer extremeren Verschwörungstheorien, sei es in völkisch-esoterischen Ideologien oder direkt beim Faschismus.

Der Begriff Szene darf dabei nicht als isolierte, randständige Gruppe verstanden werden. Gerade während der Pandemie haben Irrationalismus und kleinbürgerliche Radikalisierung deutlich zugenommen und auch Teile der Arbeiter:innenklasse erfasst. Vor allem aber drücken sie sich bei den Mittelschichten und im Kleinbürger:innentum aus – und nicht zuletzt im „demokratischen“ Staatsapparat. Es ist kein Zufall, dass die AfD  überdurchschnittlich von Polizeibeamt:innen gewählt wird. Es ist kein Zufall, dass sich in der Bundeswehr trotz ihrer ständigen Beschwörung als demokratisch-humanitärer Truppe rechte Umtriebe mehren. Regelmäßig fliegen bei den bewaffneten Kräften rechte Chatgruppen auf. Doch diese Skandale stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Im Zuge der Krise, aber auch der realen Umstellung der Armee auf verstärkte, wenn auch humanitär verbrämte imperialistische Intervention tendieren Offizierscorps, Berufsoldat:innen wie auch Polizeikräfte überdurchschnittlich nach rechts. Der/Die Berufssoldat:in, der/die zur Verteidigung „unserer“ Werte, also „unserer“ Profite und geostrategischen Ziele an den NATO-Grenzen, in Mali oder am Horn von Afrika rekrutiert wird, muss zuerst „Patriot:in“ sein, bereit, für den deutschen Imperialismus notfalls zu sterben, vorzugsweise aber zu töten.

Heuchelei

Es gehört zur üblichen, üblen Heuchelei und Doppelmoral der bürgerlich-demokratischen Parteien, insbesondere der Grünen und der reformistischen SPD, dass sie nicht sehen wollen, dass die kapitalistische Krise und ihre kapitalkonforme Politik gerade jenen Nährboden schaffen, auf denen Rechtspopulismus, Verschwörungstruppen und letztlich auch der Faschismus gedeihen. Sie wollen nicht erkennen, dass nicht demokratische Heuchelei, sondern der imperialistische Kurs der BRD genau jene Leute im Sicherheitsapparat prägt und erzieht, die für rechte und extrem imperialistische Ideologie besonders empfänglich sind.

Die „Patriotische Union“ darf daher keineswegs als clowneske Truppe verharmlost werden. Sie ist vielmehr ein Menetekel an der Wand, ein Vorbote, eine Warnung vor dem, was noch zu kommen droht. Doch anders als in der biblischen Erzählung ist dieses Menetekel nicht übernatürlichen Ursprungs, sondern vielmehr Resultat menschlichen Handelns, genauer versäumten menschlichen Tuns.

Dass die rechten verschiedener Façon und der Irrationalismus in dieser Gesellschaft solche Wurzeln schlagen können, eine rechte Terrorgruppe zur Vorbotin einer viel gefährlicheren rechten Bewegung werden kann, ist auch auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung, genauer ihrer Führung in der Krise, während der Pandemie und angesichts des Krieges zurückzuführen.

Nicht die Beschwörung der bürgerlichen Demokratie – und erst recht nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft – werden uns im Kampf gegen die rechte Gefahr helfen. Notwendig ist vielmehr, dass die Linke, die Gewerkschaften, alle Parteien der Arbeiter:innenbewegung mit dieser Politik der Unterordnung unter das Kapital brechen und gemeinsam den Kampf gegen Krise, Umweltzerstörung und Krieg aufnehmen, um so den Rechten ihren gesellschaftlichen Nährboden zu entziehen.




Der Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus

Markus Lehner, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Die Polarisierung zwischen einem „autoritären“, konservativen und einem „demokratischen“ bürgerlichen Lager kennzeichnet die Situation in vielen imperialistischen wie auch halbkolonialen Ländern. Die aktuelle kapitalistische Krise selbst befördert diese Polarisierung und die Tendenz zum Populismus, zur Radikalisierung im bürgerlichen Lager, dem ein vorgeblich demokratisches gegenübersteht.

Letzteres versucht, sich als „fortschrittliche Alternative“ zu präsentieren, und reicht von der liberalen Bourgeoisie (einschließlich Teilen der Konservativen) über die Grünen bis hin zur Sozialdemokratie und Teilen der Linksparteien und des Linkspopulismus.

Scheinalternative

Politisch steht es für Elemente der staatlichen Intervention, des Korporatismus, der Einbeziehung von Unternehmer:innen und Gewerkschaften oder anderen Vertretungsorganen der Lohnarbeit in die Sozialpartner:innenschaft.

Ökologische und ökonomische Versprechen wie der Green (New) Deal, begrenzte Sozialreformen, formale demokratische Verbesserungen für Frauen oder rassisch Unterdrückte sollen die Masse der Lohnabhängigen und Unterdrückten bei der Stange halten, ohne jedoch die Akzeptanz des Finanzkapitals und eine Erneuerung des Kapitalstocks in den jeweiligen Ländern in Frage zu stellen. All dies wird mit einer demokratisch verbrämten imperialistischen Außenpolitik kombiniert.

Es ist kein Zufall, dass eine solche Politik vor allem in den reicheren imperialistischen Ländern mit einer relativ großen Arbeiter:innenaristokratie und umfangreichen lohnabhängigen Mittelschichten eine gewisse Grundlage finden kann. In den Halbkolonien, aber auch in den bonapartistischen imperialistischen Regimen, muss die „Demokratie“ durch nationalistische und chauvinistische Ideologie ersetzt werden. Die populistisch organisierte Massenunterstützung muss dort auf solche Ideologien zurückgreifen, wie z. B. den zunehmenden völkisch konnotierten Nationalismus in Russland oder den Hinduchauvinismus in Indien.

Die Polarisierung im bürgerlichen Lager ist jedoch auch das Ergebnis der inneren Krise der Bourgeoisie und der veränderten Lage der Mittelschichten und des Kleinbürgertums. Die Krise untergräbt nämlich ihre Stellung in der Gesellschaft und drückt ihre wirtschaftlich aktiven Teile an die Wand. Die Kombination aus internen Konflikten in der Bourgeoisie und der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse führt dazu, dass die Mittelschichten und das Kleinbürgertum, enttäuscht von den Hauptklassen der Gesellschaft, eine scheinbar unabhängige Kraft hervorbringen – sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, zusammen mit einer Reihe von Schwankungen zwischen den Polen.

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich rechtspopulistische, scheinbar gegen das Establishment gerichtete Parteien und Organisationen als Scheinalternative des „kleinen Mannes“, der „normalen“ Menschen.

Faschismus

Neben dem bedrohlichen Anstieg rechtspopulistischer, rassistischer und rechtsextremer Organisierung darf die faschistische Gefahr in ihren verschiedenen Gestalten nicht vergessen werden. Nachdem die Linke lange Zeit in allen möglichen politischen Tendenzen und Verschärfungen staatlicher Repression bereits den „Faschismus“ ante portas (vor den Toren zur Machtergreifung) sah, stand sie lange Zeit fassungslos dem wachsenden populären Massenanhang für Antimigrationsmobilisierungen, Protesten gegen liberale Gesetzgebungen in Gender- oder Antidiskriminierungsfragen, Klimaschutzregeln, Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gegenüber. Die Konfrontation mit diesen rechten Massenphänomenen war für die sogenannte „antifaschistische“ Linke viel schwieriger als das Stoppen kleiner Neonaziaufmärsche oder -aktionen der Vergangenheit. Dabei können sich gerade Faschist:innen im Windschatten dieser Bewegungen in viel wirksamerer Weise aufbauen als früher.

Der Faschismus ist nicht bloß eine bestimmte, besonders reaktionäre ideologische Strömung innerhalb bürgerlicher Politik. Er stellt vielmehr die äußerste Form des konterrevolutionären Bürgerkriegs gegen die Gefahr der sozialen Revolution in Zeiten zugespitzter sozialer Krisen dar. In den 1920er/-30er Jahren war er das letzte Mittel der Bourgeoisie, um durch Massenmobilisierung die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung zu zerschlagen. Normalerweise vertraut bürgerliche Politik auf die Integration der Massen durch politisch-demokratische Institutionen, die bürgerliche Öffentlichkeit („Zivilgesellschaft“) und repressive Mittel des Staatsapparates. Darüber hinaus sollen radikalere Klassenkämpfe und damit verbundene reformistische und gewerkschaftliche Organisationen auch durch Mittel des Bonapartismus im Zaum gehalten werden – und sei es, um „Schlimmeres zu verhindern“.

Doch ab einem gewissen Punkt der Zuspitzung des Klassenkampfs bedarf die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung radikalerer Mittel, die auf die Zerschlagung nicht nur der sich selbst organisierenden und revolutionären Bewegungen der Klasse und Unterdrückten, sondern der gesamten organisierten Arbeiter:innenbewegung zielen. Der Zweck der organisierten und militanten Massenbewegung des Faschismus besteht dabei darin, über die staatliche Repression hinaus eine politische Atomisierung der Arbeiter:innen und Unterdrückten herbeizuführen. Für die faschistische Herrschaft ist nicht einfach die Übernahme der Machtpositionen im bestehenden Staat entscheidend, sondern auch die Bewegung hin zur Machtübernahme, die die Unterklassen durchdringt und jeglichen Widerstand im Keim erstickt. Es ist daher für den Faschismus charakteristisch, dass er als Bewegung des rabiaten Kleinbürger:innentums samt demoralisiertem Anhang in anderen Klassen beginnt und diese gesellschaftliche Kraft zu einer Bewegung, einem Rammbock gegen die Arbeiter:innenbewegung – und oft zuerst gegen deren unterdrückteste Teile – zusammenschweißt.

Eine solche totalitäre Form des Kampfes um die Macht erfordert eine organisierte Massenbewegung, die sich auf verzweifelte, von Aggression und Irrationalismus getriebene Teile von Unterklassen stützt, die in der sozialen und ökonomischen Krise aus ihrer bisherigen „bürgerlichen“ Scheinwelt entwurzelt wurden. Traditionell waren dies Teile des Kleinbürger:Innentums und des Lumpenproletariats. Mit der sich seit einigen Jahrzehnten entwickelnden Krise der Arbeiter:innenklasse selbst, ihrer größer werdenden Differenzierung und Spaltung sind es auch vermehrt Schichten der von der Krise betroffenen Lohnabhängigen, die, vom Reformismus enttäuscht, sich den rechten Rattenfänger:innen anschließen. So z. B. die Teile der Arbeiter:innenaristokratie, die vom Abstieg durch Veränderungen des Produktionsprozesses ins Abseits geschoben wurden. Umgekehrt können der Faschismus – und als Vorstufe der Rechtspopulismus – eine Anziehungskraft für deklassierte, marginalisierte Teile der Lohnabhängigen, die aus tariflich gebundenen Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen sind und von den Gewerkschaften nicht organisiert werden, verkörpern. Für diese Schichten erscheinen reformistische Teile der Arbeiter:innenbewegung als die „Krisengewinner:innen“ in der Klasse, die sich mit den Mittelschichtsgrünen arrangieren, als besondere Verräter:innen ihrer Interessen und damit neben den Migrant:innen als primäre Ziele ihres gesellschaftlichen Hasses.

Diese Formen der Entwurzelung, des Aufbaus von Ersatzhassobjekten, des Weltbildes von Verschwörungen eines „volksfremden“ Establishments gegen die eigentlich gute „bürgerliche“ Gesellschaft führen zu extrem aggressiven Formen von Massenmobilisierungen, die sich letztlich auch in bewaffneten Organen, von „Bürgerwehren“ bis hin zu Milizen, bündeln lassen. Zumeist besteht auch eine Nähe zum Personal der bewaffneten Kräfte des „normalen“ bürgerlichen Staatsapparates, wo es einen überdurchschnittlichen Anteil an Sympathien für rechte politische Strömungen gibt. So baut sich mit der Zeit ein Netzwerk von Waffenarsenalen, rechtem Terror und schließlich bewaffneten Organisationen auf, das zum Kampf um die Macht bereit ist.

Diese Form kam vielen Linken gerade in den westlichen Demokratien lange als Relikt der Vergangenheit vor und über Jahrzehnte hinweg bestand in vielen Ländern auch nicht die gesellschaftliche Basis für eine faschistische Massenbewegung (auch wenn es durchaus bedeutsame Ausnahmen gibt).

Faschistische Frontorganisationen

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren faschistische Parteien in Europa und Nordamerika nach den Erfahrungen des Nazi- und italienischen Faschismus außerdem weitgehend diskreditiert. Die überlebenden faschistischen Kräfte hatten daher drei Optionen: erstens das Überleben als mehr oder weniger unauffälliges Netzwerk in bürgerlich-parlamentarischen Parteien; zweitens als kleine, sektenartige Randgruppen; drittens aber auch durch den Aufbau von faschistischen Frontorganisationen. Insbesondere in Italien wurde mit der MSI (Movimento Sociale Italiano) eine Organisation gebildet, die weiterhin einen faschistischen Kern und entsprechende Ideologien enthielt, aber darüber hinaus als „normale“ Partei im parlamentarischen Rahmen agierte. MSI und später in Frankreich der FN (Front National) des Jean-Marie Le Pens konnten beschränkte Massenwirksamkeit erreichen, ohne die eigentlichen faschistischen Formen des Kampfes einzusetzen. Ihre respektable bürgerliche Fassade, ihr gewöhnlicher Rechtspopulismus konnten trotzdem faschistische Kerne an sich binden, die diese Form der Frontorganisation als Mittel ihres langfristigen Aufbaus für den eigentlichen militanten Kampf sahen.

Faschistische Frontorganisationen tragen somit wesentlich widersprüchliche Tendenzen in sich. Zwischen reinem Verbreiten „faschistischer Ideologie“ (die letztlich immer einen Mischmasch verschiedener, schon vorgefundener extrem reaktionärer Ideen darstellt) und dem tatsächlichem Kampf des Faschismus um die Macht besteht ein weites Feld. Sofern solche Fronten dann tatsächlich Funktionen im bürgerlichen Staat übernehmen ohne die entsprechenden Formen der faschistischen Machtergreifung, transformieren sich Teile ihrer Führung schnell zu gewöhnlichen rechtspopulistischen oder rechtskonservativen Politiker:innen und die faschistischen Kräfte spalten sich ab. So geschehen in den 1990er Jahren in der ersten Regierung Berlusconi in Italien, als seine Partei zusammen mit der Lega Nord und der zur Alleanza Nazionale (AN) gewandelten MSI eine Koalition einging. Dies war natürlich keine „faschistische Machtübernahme“. Die Regierungsbeteiligung führte vielmehr zur „Verbürgerlichung“ eines Teils der MSI und der Abspaltung der „traditionellen Faschist:innen“, aus denen später die Fratelli d’Italia (FdI) entstand. Offenbar wiederholt sich gegenwärtig derselbe Prozess mit letzterer – auch wenn die faschistische Front diesmal sogar die stärkste Kraft in der Koalition ist. Der FN in Frankreich machte schon vor der möglichen Regierungsbeteiligung einen solchen Wandlungsprozess durch, in dem er sich in das Rassemblement National (RN) umbaute.

Während der Globalisierungsperiode entwickelte sich ein breites Spektrum von rechtspopulistischen, rechtsextremen bis hin zu faschistischen Organisationen, die an diese Vorgeschichte anknüpften. War nationale Abschottung zwar angesichts der faktischen Gewalt der kapitalistischen Globalisierung kein realistisches Politikprojekt, so wurden nationalistische Scheinantworten auf die sozialen Folgen der Globalisierung immer verbreiteter. Dies betraf nicht nur Phänomene wie verstärkte Standortverlagerungen oder Arbeitsmigration, sondern auch wachsenden Verlust nationaler Gesetzgebungskompetenz angesichts der übermächtigen Kapitalströme. Mit dem Aufkommen verstärkter Krisentendenzen am Ende der Globalisierungsperiode haben irrationale nationalistische Alternativen zur Globalisierung immer mehr an politischem Gewicht gewonnen. Dies ist nicht nur in der völligen Überhöhung von Fragen der Migration oder von „Genderwahn“ & Co. zu sehen, sondern in Europa insbesondere an Fragen der EU-Integration. Letzteres führt im EU-Raum zu verschiedenen Formen von Austrittsbewegungen, zu Bewegungen oder Kampagnen gegen bestimmte EU-Vorgaben, an denen sich rechte und faschistische Kräfte aufrichten können. Die Rechte benutzt teilweise berechtigte EU-Kritik zur Selbstinszenierung als Antiestablishmentkämpferin gegen „Globalismus“, „EU-Establishment“, den „woken Totalitarismus“ etc.

Die AfD

Der Aufstieg der AfD muss im Rahmen dieser allgemeinen Tendenz betrachtet werden, auch wenn sich ihre Entstehung und Entwicklung deutlich von jener faschistischer Frontparteien unterscheidet. Gegründet wurde sie weitgehend von EU-kritischen rechten U-Booten in den etablierten konservativen Parteien (CDU, CSU, FDP), insbesondere aus der Ablehnung des Euro heraus. Massenwirksam wurde die AfD jedoch vor allem durch extrem rassistische Mobilisierung rund um Migrationsfragen. Dadurch konnten sich auch rechtsextreme Kreise in der Führung der AfD immer mehr durchsetzen. Einer Wählerschaft von 10 – 20 % in Deutschland sind angesichts der Wirkung von kritischer Demagogie bezüglich EU- und Migrationspolitik die offensichtlich rechtsextremen Figuren in verschiedenen Führungspositionen der Partei immer unwichtiger. Inzwischen wird die Partei durch den rechtsextremen „Flügel“ unter dem neuen „Führer“ Bernd Höcke dominiert. Er weist tatsächlich viele Merkmale einer faschistischen Frontorganisation auf, auch wenn sein Verhältnis zu offenen Naziorganisationen wie den „Freien Sachsen“ durchaus auch konfliktbehaftet ist. Gerade wo sich der AfD und auch den vom „Flügel“ geführten Organisationen parlamentarische Möglichkeiten eröffnen (z. B. bei parlamentarischen Manövern mit CDU und FDP in Thüringen), ist auch letzterer dem Spannungsverhältnis von bürgerlichem Politikbetrieb und offenem Faschismus ausgesetzt. Das Konstrukt der AfD erlaubt den faschistischen Kernen jedoch, sich genügend fern von der Diskreditierung durch etablierte bürgerliche Politik zu halten, aber gleichzeitig genügend nahe am bestehenden Politikbetrieb zu bleiben, um neue Anhängerschaft und Geldmittel zu rekrutieren. So bauen sie sich auf, als reale politische Kraft, die im Fall der Fälle für den Kampf um die politische Macht im faschistischen Sinn bereit steht. Auch wenn die AfD insgesamt als rechtspopulistische Partei charakterisiert werden muss, die ihre Klientel vor allem als Wähler:innen organisiert und weiter auf eine Koalition mit Konservativen und anderen Rechten abzielt, so enthält sie auch einen stärker werdenden inneren Teil, der eine faschistische Frontorganisation darstellt.

Anderswo in Europa gibt es verschiedene Formen ähnlicher „Konstrukte“, in denen sich Faschist:innen auf ihre zukünftige Rolle vorbereiten. Die „Schwedendemokraten“ entstanden direkt aus einer offen faschistischen Organisation, die sich ähnlich MSI/AN/FdI im letzten Jahrzehnt in eine rechtspopulistische Partei mit extrem rassistischen Positionen umwandelte. Erhalten blieben jedoch jeweils faschistische Kerne, die entsprechende Frontorganisationen innerhalb der „gemäßigten“ etablierten Partei bilden und sich oft auch auf eine breitere Unterstützung innerhalb der Mitgliedschaft dieser Organisationen stützen können. Bei Diskreditierung durch Teilnahme an Koalitionsregierungen oder deren Duldung besitzen die faschistischen Kerne genügend Spielraum, um weiterhin als „Opposition“ zu agieren oder eventuell auch Neugründungen anzustoßen. Auch hier wird mit diesen Konstrukten eine reale faschistische Machtalternative zumindest vorbereitet.

Halbkolonien

In Halbkolonien ist der Aufbau faschistischer Organisationen als Kampfmittel zur entsprechenden Machteroberung weiterhin schwieriger, da die entsprechenden vom Abstieg betroffenen Mittelschichten, die von reformistischen Organisationen enttäuscht sich nach alter nationaler Größe zurücksehnen, nicht so ausgeprägt sind wie in den imperialistischen Zentren. Solche faschistischen Kräfte treten daher eher in ökonomisch entwickelteren Halbkolonien wie Brasilien auf. In der islamischen Welt erfüllen extrem islamistische Kräfte oft die Rolle der Atomisierung und Zerschlagung von progressiver Organisierung der Arbeiter:innen und Unterklassen. Dabei rekrutierte z. B. der Islamische Staat (Daesch) seine Militanten tatsächlich sehr stark unter deklassierten Jugendlichen aus imperialistischen Ländern. Der Aufstieg Bolsonaros in Brasilien ist verbunden mit der Bildung verschiedener reaktionärer Organisationen z. B. rund um evangelikale Kirchen, bewaffnete Milizen von Agrarunternehmer:innen, Teile von Vereinigungen Angehöriger von Polizei und Armee, reaktionäre Transportunternehmer:innen und ihre Beschäftigten, offen rechtsextreme Organisationen (z. B. Movimento Direita in Minas Gerais) etc. Diesem Amalgam von bewaffneten Gruppierungen fehlte jedoch bisher die vereinigende politische Organisierung. Die reaktionäre Clownerie des Bolsonaro genügte zwar, um Wahlkämpfe zu führen und eine Welle von rechtem Terror auszulösen, aber nicht für eine faschistische Form der Machtübernahme – daher als (vorläufig) ultimative Losung der Aufruf zum Militärputsch. Ob die neuen Parteien des Bolsonarismus, die PL und die Republikaner:innen, faschistische Frontorganisation werden, hängt davon ab, ob sich jenseits der politischen Figuren im üblichen Politikbetrieb von Kongress, Einzelstaaten und Lokalverwaltungen tatsächliche faschistische Kader mit stabilen Organisationsstrukturen herausbilden, die in diesen Parteien eine wesentliche Rolle spielen können. Gerade bei Ex-Militärs und im Umfeld der Agrarbosse haben sich in den Mobilisierungen nach der Niederlage Bolsonaros bereits entsprechende Personen profiliert.

Auch wenn sich faschistische Kräfte heute vor allem im Windschatten reaktionärer rechter Parteien aufbauen, werden die Opfer der extremen Rechten immer zahlreicher. Zunächst bedeutet die allgemeine Rechtsverschiebung eine repressivere Politik gegenüber Migrant:innen und Minderheiten aller Art ebenso wie ein brutaleres Vorgehen rechtslastiger „Sicherheitskräfte“. Durch die Unterstützung von rechten Medienkonzernen oder die Kampagnen in den „sozialen Medien“ wird ein Klima der Angst und Hetze gegen Linke, unliebsame Journalist:innen und Lokalpolitiker:innen, Wissenschaftler:innen, Migrant:innen, Minderheiten etc. erzeugt, das sich auch über Drohungen hinaus bewegt. Verstärkt tritt rechter Terror nicht nur in Einzeltaten, sondern auch in geplanten Aktionen zutage. Es verwundert nicht, dass in diesen Gewaltakten auch der Antisemitismus wieder eine Rolle spielt. Rechte Parteien und ihre Sympatisant:innen im Polizeiapparat verharmlosen diesen Gewaltanstieg bzw. kriminalisieren den Widerstand dagegen.

Reformistische Irrwege

Die Reaktion der reformistischen Organisationen bzw. von progressiven Mittelschichtparteien wie den Grünen besteht zumeist in der Forderung nach Schulterschluss der „Demokratie“ zur Verhinderung der Machtbeteiligung der Rechtsextremen. Im Windschatten vertreten auch Teile der extremen Linken neue Varianten der Volksfrontpolitik in Form von „demokratischen Allianzen“ (wie jüngst bei der Wahl in Brasilien). Das Problem des Verbündens mit offen bürgerlichen Parteien, die noch nicht zur Zusammenarbeit mit der extremen Rechten bereit sind, liegt darin, dass sie die reformistischen Organisationen und die Linke zu noch mehr Zugeständnissen an die bürgerliche Krisenpolitik zwingen und sowieso viele Forderungen der extremen Rechten z. B. in der Migrationspolitik mit aufgegriffen werden. Die extreme Rechte kann so die Enttäuschung über den Reformismus noch weiter vorantreiben und sich als die „wahre Opposition“ des „kleinen Mannes“ gegenüber dem vereinigten Establishment der „Volksfeind:innen“ präsentieren. Wie schon in den 1930er Jahren geschehen, gerät die Volksfront so zur Wegbereiterin des Aufstiegs des Faschismus.

Gewisse Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit und auch der Linken vertreten die Ansicht, dass sich die extremen Rechten am besten durch tatsächliche Regierungsbeteiligung entlarven ließen, in der sie demonstrieren müssten, dass sie für den Großteil ihrer ärmeren Wähler:innen nicht nur nichts bewirken würden, sondern sogar weitere Verschlechterungen betreiben. Dies verkennt den irrationalen Kern der Basis der extremen Rechten, die durch solche Tatsachen nur davon überzeugt werden, dass der „tiefe Staat“ und die Machthaber:innen „hinter den Kulissen“ die eigenen Führer:innen an der Durchsetzung ihrer Politik hindern würden. Auch dies führt letztlich nur zur weiteren Radikalisierung und Bildung neuer, noch rechterer Organisationen. So wurde die österreichische FPÖ bei ihren Regierungsbeteiligungen jedes Mal in fürchterlicher Weise entlarvt – um dann kurze Zeit später in neuem, weiter rechts stehendem Gewand in alter Stärke wiederaufzuerstehen. Auch das Debakel der „Dänischen Volkspartei“, die während ihrer Regierungstolerierung von 20 % auf heute unter 3 % abstürzte, brachte nur die noch rechtere Partei der „Dänendemokraten“ hervor, die von ihr die Führungsrolle übernahm.

Das dänische Beispiel zeigt auch ein weiteres ungeeignetes Modell: Hier übernahm die größte reformistische Partei, die Sozialdemokratie, wesentliche Teile des rassistischen Migrationsprogramms der Rechten, um es mit klassischer Sozialpolitik für die „eigenen“ Unterschichten zu verbinden. Dieses Modell einer rechtsnationalen Sozialdemokratie wurde tatsächlich für einige sozialdemokratische Parteien nicht nur in Skandinavien zu ihrem modernen Weg ernannt. Auch wenn es teilweise in Wahlen erfolgreich war, verhindert es nicht, dass sich dadurch der rechte Irrationalismus weiter bestärkt fühlt und letztlich doch wieder das „Original“ gewählt wird – insbesondere wenn die so nach rechts gewendete Sozialdemokratie dann doch wieder klassische bürgerliche Krisenpolitik betreibt. Ähnlich verfehlt ist die Strategie, links von der Sozialdemokratie linkspopulistische Organisationen aufzubauen, die ebenso eine offene Flanke gegenüber Rassismus und sozialchauvinistischer Migrationspolitik aufweisen. Auch wenn Mélenchon in Frankreich oder Wagenknecht in Deutschland zeitweise in der Lage sind, Wähler:innen von den Rechten in ihre Richtung zu lenken, so bestärken sie ihrerseits die gesellschaftlichen Spaltungen in den Unterschichten, die gerade zum Aufstieg der Rechten führen.

Kampf

Mit dem Faschismus gibt es letztlich keine „diskursive“ politische Auseinandersetzung. Faschistische Kader müssen je nach Kräfteverhältnis in direkter Aktion an ihrer politischen Aktivität gehindert werden. Ihnen darf keine öffentliche Plattform gestattet werden. Dies betrifft auch Faschist:innen am Arbeitsplatz oder in Gewerkschaften, wo wir für ihren Ausschluss eintreten. Auch ihr Antritt bei Wahlen muss mit gebotenen Mitteln ver- oder behindert werden. Dabei vertrauen wir nicht auf den bürgerlichen Staat oder seine Organe (da etwaige Verbote sowieso vor allem gegen Linke eingesetzt werden), sondern auf die Einheitsfront von Arbeiter:Innenorganisationen und Vereinigungen anderer gesellschaftlich Unterdrückter.

Bei den rechtspopulistischen Organisationen wie der AfD oder auch der breiteren Wähler:innenschaft von Frontorganisationen ist ein differenzierteres Vorgehen notwendig, da ihre Anhängerschaft nur zu einem gewissen Teil aus Faschist:innen besteht. Entscheidend ist aber auch hier die Einheitsfront, insbesondere die Forderung an die führenden reformistischen Organisationen,  mit der bürgerlichen Krisenpolitik (die mit den „demokratischen Allianzen“ noch verstärkt wird) zu brechen und sich in einen gemeinsamen Kampf gegen kapitalistische Angriffe und rechte Hetze einzureihen. Den Rechten darf der Krisenprotest nicht überlassen werden aus lauter Angst vor „Querfronten“. Dabei muss in solchen Einheitsfrontaktionen auf den Ausschluss rechter Kräfte und die Verteidigung der Aktionen gegen Unterwanderung durch Rechte gedrängt werden. Aktionen der rechten Frontorganisationen, in denen faschistische Kader eine wichtige Rolle spielen, z. B. Mobilisierungen gegen Geflüchtete müssen ähnlich wie direkt faschistische Aktionen konfrontiert werden. Politische Veranstaltungen der klassischen Art wie z. B. Wahlkundgebungen oder Diskussionsveranstaltungen können je nach Kräfteverhältnis rein propagandistisch angegriffen oder gestört werden. Dabei steht das Aufzeigen der politischen Alternative und die Schwäche der Rechten bei den entscheidenden Fragen gerade gegenüber unentschlossenen, verunsicherten Personen aus den sozial bedrängten Unterschichten im Vordergrund.

Die wichtigste Waffe gegen den Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus ist jedenfalls das konsequente Vorantreiben einer internationalistischen antikapitalistischen Alternative und das Aufzeigen des revolutionären Weges dahin. Nur dies kann die Scheinalternativen der nationalen Abschottung, des Vorantreibens gesellschaftlicher Spaltungen und des Aufbaus von Ersatzfeind:innen für den/die eigentliche/n Klassenfeind:in als Irrwege entlarven. Die Einheitsfront bildet ein zentrales Instrument zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltungen, wie sie von den Rechten benutzt werden. In der Einheitsfront erleben die Arbeiter:innen und Unterdrückten die Solidarität über Grenzen der nationalen Herkunft, Geschlechteridentitäten, Verdienst- und Bildungsunterschiede, kulturellen und schichtspezifischen Verschiedenheiten hinaus.

Sie ist aber vor allem auch ein wichtiges Instrument, um die weiterhin bestehende Mobilisierungsfähigkeit reformistischer Organisationen und der Gewerkschaften zu nutzen und ihre Führung vor den Massen dem Test der Praxis zu unterziehen. Trotzki wies 1932 in „Was nun?“ darauf hin, dass die Lage der Arbeiter:innenbewegung angesichts von Niederlagen, Krise und Aufstieg der Nazis aussichtslos zu sein schien, dass aber gerade die aus der Situation der Defensive entstehenden Kämpfe eine Perspektive der Offensive eröffnen würden: „Man darf nicht vergessen, dass die Einheitsfrontpolitik im Allgemeinen in der Defensive viel wirksamer als in der Offensive ist. Konservativere oder zurückgebliebenere Schichten des Proletariats lassen sich leichter in den Kampf ziehen, um das zu verteidigen, was sie bereits besitzen, als um Neues zu erobern.“

Bei einem klaren strategischen Plan der revolutionären Partei für den erfolgreichen Aufbau der Einheitsfront besteht die weitergehende Perspektive: „Der Widerstand der Arbeiter gegen die Offensive von Kapital und Staat wird unvermeidlich eine verstärkte Offensive des Faschismus hervorrufen. Wie bescheiden die ersten Verteidigungsschritte auch sein mögen, die Reaktion des Gegners wird unverzüglich die Reihen der Einheitsfront zusammenschließen, die Aufgaben erweitern, die Anwendung entschiedenerer Maßnahmen erforderlich machen, die reaktionären Schichten der Bürokratie von der Einheitsfront abschütteln, den Einfluss des Kommunismus steigern, die Barrieren innerhalb der Arbeiterschaft schwächen und damit den Übergang von der Defensive zur Offensive vorbereiten.“




Parlamentswahl in Italien: Rechtsruck inmitten der Instabilität

Azim Parker, Neue Internationale 268, Oktober 2022

Wie erwartet gingen Giorgia Meloni und ihre ultra-reaktionäre Partei Fratelli d’Italia als Siegerinnen aus der Wahl am 25. September hervor. Sie wird demzufolge an der Spitze der nächsten Regierung stehen. Die Fratelli d’Italia, deren Mitglieder sich bis heute positiv auf Mussolinis Faschismus beziehen, erhielt 26 % der Stimmen (plus 21,6 % gegenüber 2018). Auf den gesamten rechten Block, der nun die Regierung stellen wird, entfielen 43,9 % (Lega 8,8 %, Forza Italia 8,1 %). Damit verfügt er aufgrund des undemokratischen Wahlrechts über eine absolute Mehrheit in Abgeordnetenhaus wie Senat.

Für die italienischen Arbeiter:innen bedeutet dies eine weitere katastrophale Nachricht. Sie werden gegen weiteren massiven Sozialabbau und die hundertste Steuersenkung für die Kapitalist:innen – im Einklang übrigens mit allen bisherigen bürgerlichen Regierungen – kämpfen müssen. Genauso furchtbar sieht das Zukunftsszenario für Frauen, queere Menschen und Migrant:innen aus, die einen beispiellose Angriff auf ihre Grundrechte erleiden werden. So wetterte Meloni im Wahlkampf gegen das Recht auf Abtreibung, eine angebliche LGBT-Lobby und forderte Seeblockaden gegen Geflüchtete aus Afrika.

Abgesehen von den Schlagzeilen und den Siegeserklärungen ist dieses Wahlergebnis jedoch nicht ohne Widersprüche, die ganz deutlich darauf hinweisen, dass die Situation alles andere als stabil ist.

Die neue Mehrheit und die reaktionäre Wende

Die Wahl war auch durch eine riesige Enthaltung gekennzeichnet. Am 25. September entschlossen sich nämlich nur 64 % der Wahlberechtigen, sich zu den Urnen zu begeben – 9 % weniger als 2018. Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, seitdem die Republik existiert, und das zeigt zweifellos eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise der bürgerlichen Institutionen.

Betrachtet man die absolute Zahl der Stimmen, so erhielt die rechte Koalition, bestehend aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia, die gleiche Anzahl von Stimmen wie 2018 (ca. 12 Millionen). Die WählerInnen, die 2018 für Salvini oder Berlusconi stimmten, wandten sich nun Giorgia Meloni zu, weil Fratelli d’Italia die einzige Partei war, die nicht Draghis Kabinett unterstützte. Das  bedeutet aber auch, dass die Begeisterung wahrscheinlich mehr und mehr schwinden wird, sobald Giorgia Meloni gezwungen sein wird, die gleichen Politiken der vergangene Regierungen fortzusetzen.

Das Land befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Der Staat ist massiv überschuldet – und die rechte Regierung braucht bei aller Kritik an Brüssel 200 Mrd. Euro von der EU, um das Land zu stabilisieren – und zwar auf Kosten der Arbeiter:innen und der Armen.

Auch die politischen Differenzen innerhalb der neuen Mehrheit sind bestimmt nicht zu ignorieren. Das betrifft insbesondere die Haltung gegenüber Russland. Obwohl das Koalitionsprogramm die Unterstützung des NATO und der „westlichen Werte“ bekräftigt, ist klar, dass die Lega im Gegensatz zu Fratelli d’Italia eine „flexiblen“ Haltung gegenüber Putin einnehmen möchte und für das Ende der Sanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt. Wenn man bedenkt, dass die Lega mit 8,8 % als die große Verliererin gilt, ist nicht schwer zu erraten, dass Salvini in der Zukunft die Uneinigkeit über den Krieg nutzten könnte, um wieder Anklang zu gewinnen.

Demokratische Partei und Fünf-Sterne-Bewegung

Die Demokratische Partei (PD) verlor ca. 800.000 Stimmen und mit 19 % blieb sie einmal mehr unter der 20 %-Marke. Die Partei unterstützte die sozialen Angriffe unter Draghis Kabinett. So entfremdete beispielsweise die reaktionäre Bildungsreform die Lehrkräfte, eine traditionelle Wähler:innenbasis der PD. Ihren Anspruch, sich als glaubwürdige Alternative zur rechten Koalition darzustellen, konterkarierte die Partei selbst in den letzten Monaten, in denen sie zusammen mit der Lega regierte. All diese Faktoren haben eine wichtige Rolle gespielt und zur Niederlage beigetragen. Ganz zu schweigen von dem katastrophalen Wahlkampf, vor allem, weil es nach verschiedenen Versuchen unmöglich war, eine Koalition mit den liberalen Parteien von Calenda und Renzi zu bilden. All das stiftete zweifellos eine große Verwirrung, die dazu beitrug, die Stimmen für andere Parteien abzugeben.

Andererseits stellt die Fünf-Sterne-Bewegung die echte Überraschung dieser Wahl dar. Obwohl sie mehr als die Hälfe der Stimmen verlor (17,3 %), schnitt sie mit 15,3 % besser ab, als die meisten erwartet hatten. Schließlich hatte sich kaum eine Partei in der letzten Legislaturperiode so unglaubwürdig verhalten wie die, die einst gegen das gesamte System angetreten war. Ursprünglich aus einer Bewegung gegen alle Parteien geboren, regierte sie schließlich zunächst allein.

Diese populistische Bewegung  unterzeichnete u. a. das kriminelle „Sicherheitsdekret“ von Salvini gegen die Migrant:innen, war mitschuldig an der todbringenden Pandemiepolitik, den Kürzungen der Gesundheitssysteme und der Erhöhung der Militärausgaben. All das führte zu einem Kollaps in den Umfragen. Trotz alledem gelang es der Partei, eine Katastrophe zu verhindern, indem sie den Wahlkampf auf die Verteidigung des Grundeinkommens fokussierte im Gegensatz zur rechten Koalition, die dessen Abschaffung forderte. Diese Strategie war relativ erfolgreich, insbesondere im Süden, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Dadurch konnte die Fünf-Stere-Bewegung mit 15,3 % noch überleben.

Der Niedergang der Linken geht weiter …

Das Ergebnis der linken Organisationen bestätigt die tiefe, seit Jahren andauernde Krise der Arbeiter:innenbewegung, zu der auch diese Führungen maßgeblich beitrugen.

Insgesamt traten drei Organisationen der Linken und sogenannten radikalen Linken bei dieser Wahl an:

– Sinistra Italiana (italienische Linke). In einer gemeinsamen Liste mit den Grünen (Alleanza Verdi e Sinistra) erreichte sie 3,6 %. Was ihre Rolle im Wahlkampf sowie künftigen Parlament angeht, ist sie nichts anders als ein Anhängsel der PD, dessen wichtigste Forderung einfach die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Fünf-Sterne-Bewegung darstellt.

– Die Kommunistische Partei, eine stalinistische Organisation um den ehemaligen Abgeordneten Marco Rizzo, trat in die Liste Italia Sovrana e Popolare (souveränes und populäres Italien) ein. Das war ein groteskes Sammelsurium, das aus faschistischen Verschwörer:innen und Reaktionär:innen bestand. Diese Liste zeigte ganz klar, wie tief die Stalinist:innen fallen können. Das Ergebnis war auch in diesem Fall ganz mies – 1,2 % – und bedeutet hoffentlich einen vernichtenden Schlag für Marco Rizzos Beliebtheit.

– Rifondazione Comunista (RC) verbarg sich seit Jahren hinter der Bürgerliste, die jede Spur von Klasseninhalten verdrängt, in einem verzweifelten Versuch, wieder einen Platz im Parlament zu gewinnen. Diesmal hieß der Versuch Unione Popolare (populäre Union), geführt vom ehemaligen Bürgermeister und Staatsanwalt Neapels, de Magistris. Die Liste zeichnet sich durch ihren Ruf nach Verfassungstreue aller Parteien und blasse fortschrittliche Forderungen aus. Am Ende des Wahlkampfes versuchte de Magistris noch erfolglos, zu einer Vereinbarung mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu kommen. Unione popolare erreichte schließlich 1,4 % und RC bestätigt damit auch den Mangel an Perspektive ihres Linksreformismus.

Dramatisch

In diesem Szenario sind die Zukunftsperspektiven einfach dramatisch. Allein die Engpässe der Energieversorgung und die stetig steigende Inflation bedrohen tausende Betriebe. Rund 20 % gelten als gefährdet – und damit die Arbeitsplätze und Zukunft von Millionen Arbeiter:innen.

In dieser Lage braucht es sowohl auf betrieblicher und gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene eigentlich eine Einheitsfront aller Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen die Angriffe der rechten Regierung und des Kapitals. Doch der Ausgang der Wahlen zeigt auch, dass die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Partei braucht als politische Alternative zum Theater der bürgerlichen Politik, zur Rechten wie zu allen anderen offen bürgerlichen und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien.