Mit Vergesellschaftung gegen die Klimakrise: Eine neue Strategie für die Klimabewegung muss her!

Ein Diskussionsvorschlag der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION, Infomail 1198, 8. September 2022

Hitzerekorde, Jahrhundertfluten, Waldbrände, Nahrungsmittelknappheit, Trinkwassermangel und Artensterben: Allein in den letzten Monaten haben wir schon einmal einen kleinen Vorgeschmack auf das bekommen, was uns erwartet, wenn wir die Klimakatastrophe nicht so schnell wie möglich aufhalten. Die nächsten paar Jahre werden ausschlaggebend dafür sein, ob die Erderwärmung auf 1,5 Grad beschränkt und das Sterben von Millionen Menschen, Hundertmillionen Arten und die Verödung ganzer Erdregionen noch verhindert werden können. Da die führenden Politiker:innen kein Interesse daran haben (siehe Ergebnisse des G7-Treffens in Elmau), bleibt unsere einzige Hoffnung die globale Klimabewegung. Leider steckt diese hierzulande gerade in einer Krise, die wir uns angesichts der drohenden Katastrophe jedoch nicht leisten können. Mit den Massenaktionen im Großraum Hamburg, den Klimacamps in Leipzig und im Rheinland, dem FFF-Interregionale Sommerkongress und der Großdemo zur Enteignung von RWE & Co in Köln stand der August im Zeichen des Klimaaktivismus, der vielleicht die letzte Chance bietet, noch rechtzeitig aus der Sackgasse der Klimabewegung herauszukommen. Mit diesem Papier möchten wir allen Klimaaktivist:innen, -strukturen und -organisationen von FFF bis „Letze Generation“ eine Strategie zur Diskussion vorschlagen, mit der wir glauben, unseren guten alten Slogan „system change not climate change“ tatsächlich noch verwirklichen zu können.

Dafür versuchen wir, in diesem Papier 3 Fragen zu beantworten:

  • Warum steckt die Klimabewegung in der Krise?
  • Welche strategische Ausrichtung braucht die Bewegung, um daraus zu kommen?
  • Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Warum steckt die Klimabewegung in der Krise?

Zuerst das Positive: Was wir geschafft haben, ist, viele, und zwar wirklich sehr viele Menschen auf die Straße zu bringen und das Klimaproblem damit in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu tragen. FFF hat eine ganze Generation von Jugendlichen politisiert und ihnen dazu verholfen, wertvolle politische Kampferfahrungen in selbstorganisierten Strukturen und Aktionen zu machen. Auch wenn die Teilnehmer:innenzahlen der letzten Großmobilisierungen stetig gesunken sind, zählen die Klimagerechtigkeitsaktionen der letzten 3 Jahre nach wie vor zu den größten Veranstaltungen überhaupt. Dennoch dürfen wir die Augen nicht vor dem Offensichtlichen verschließen: Wir haben keine einzige unserer Forderungen durchsetzen können. Millionen von Aktivist:innen haben sich der Bewegung angeschlossen, viel Gegenwind und Repression für ihren Aktivismus geerntet und viel Kraft, Energie und Arbeit in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose internationale Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass die Abstände zwischen unseren Aktionen größer und diese selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert und überarbeitet von der Bewegung zurückgezogen haben.

Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass zu viele von uns daran geglaubt haben, dass die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ auf unser Seite stünde und ein „Green New Deal“, ein grünerer Kapitalismus, möglich wäre. Wir haben es verpasst, mit der gesamten Bewegung eine Debatte darüber zu führen, wie dieser vielzitierte „system change“ denn eigentlich aussehen soll, ob dieser innerhalb des Kapitalismus gelingen kann und welche soziale Kraft ihn mithilfe welcher Aktionsformen durchsetzen sollte. Stattdessen hat sich die Bewegung so stark fragmentiert, dass nun Menschen wie Kathrin Henneberger, Emilia Fester und Nyke Slawik für die Grünen im Bundestag sitzen, während sich die anderen von den Bullen, die im Auftrag dieser Regierung handeln, aus dem Danni oder von der A100 prügeln lassen müssen. Der Großteil von dem, was von der Klimabewegung übrig geblieben ist, ist weißer Hautfarbe und hat einen akademischen Hintergrund (kommt also von Gymnasium/Uni/Hochschule oder hat Akademiker:inneneltern). Die Tatsache, dass die Anzahl der Aktivist:innen zuerst stagniert und dann stetig abgenommen hat, liegt also vor allem auch daran, dass wir es nicht geschafft haben, neue und breite Teile der Gesellschaft außerhalb von klimabewussten Studis und Schülis für unsere Ziele und Aktionen zu gewinnen. Weder FFF noch „Ende Gelände“, „Extinction Rebellion“ oder „Letzte Generation“ haben unsere Forderungen und Aktionen zum Klimaproblem mit den sozioökonomischen Interessen der Millionen von Lohnabhängigen politisch verknüpfen können.

Welche strategische Ausrichtung braucht die Bewegung, um daraus zu kommen?

Es sind die führenden Industrienationen, die Sitz der lediglich 100 Firmen sind, die für über 70 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Aus Angst die eigene führende Stellung auf dem Weltmarkt in Gefahr zu bringen, wagt es keine dieser Regierungen, die Profite ihre Klimakillerkonzerne „zu sehr“ durch politische Umweltschutzmaßnahmen zu beschneiden. Der Kampf für die Erhaltung dieses Planeten ist also ein Klassenkampf, bei dem die Seite des Kapitals mit politischer Rückendeckung versucht, ihre Profite zu vermehren, während es unsere Aufgabe sein muss, die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufzuhalten. Demzufolge muss es auch die Perspektive der Klimabewegung sein, nicht einen „grüneren“ Kapitalismus zu fordern, sondern den Widerspruch zwischen kapitalistischer Marktlogik und nachhaltiger Lebensweise zu erkennen und aufzuheben. Unser strategischer Partner dafür ist die organisierte Arbeiter:innenbewegung. Ihre aktuelle Führung aus sozialdemokratischen Parteien und verknöcherten Gewerkschaften steckt mit dem Kapital unter einer Decke und hat nur leere Worte für den Klimaschutz übrig hat. Dennoch ist es ihre besondere Stellung in der kapitalistischen Produktionsweise, die ihr die soziale Macht verleiht, das System aus den Angeln zu heben. Denn wo gestreikt wird, kann kein Profit mehr fürs Kapital produziert werden. Es wird also gezwungen, auf unsere Forderungen einzugehen. Daher müssen wir uns aktiv an die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie wenden, ihre Führung dazu auffordern, den Burgfrieden mit dem Kapital zu brechen und der Ausbeutung sowohl des Menschen als auch des Planeten den Kampf anzusagen.

Verbesserungen statt Verzicht und Verbote

Die Regierung sagt, dass Verbote und individueller Verzicht die Lösung seien für die Energie- und Klimakrise. Bei steigenden Preisen sollen die Leute sparen und die Heizung runterdrehen, vielleicht halt auch ein bisschen frieren. Manche sagen sogar, es sei gut, dass die Preise steigen, dann würde weniger konsumiert. Gleichzeitig werden einige wenige immer reicher und die Regierung beschließt 100 Milliarden, in die Bundeswehr (selbst eine große Klimakillerin) zu pumpen. Wollen wir unsere Klasse auf die Straße bringen, dürfen wir nicht in den Chor der Robert Habecks einfallen, die Frieren für Klima und Demokratie (eigentlich aber für die Interessen des deutschen Kapitals) propagieren. Stattdessen brauchen wir Forderungen, die nicht nur den Klimawandel stoppen, sondern auch mit konkreten Verbesserungen für die Arbeiter:innen verbunden sind:

  • Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Schluss mit DB-Chaos, 9 Euro-Ticket 4ever!
  • Ausbau der erneuerbaren Energien unter Arbeiter:innenkontrolle und kostenlose Deckung eines Grundbedarfs für jede:n!
  • Verstaatlichung der Lebensmittelindustrie, Preise senken und nachhaltige Agrarwende organisieren!

Enteignen, enteignen, enteignen!

Indem wir Energieproduktion, Verkehr oder Landwirtschaft demokratisch organisieren, kontrollieren und planen, entreißen wir sie der egoistischen und widersprüchlichen Marktlogik und können so ein Wirtschaften, orientiert an unseren Bedürfnissen und der Erhaltung des Planeten anstatt an der Vermehrung von Profiten, umsetzen. Dabei lässt sich auch beispielsweise die Spaltung zwischen Klimabewegung auf der einen und Beschäftigten in der Kohle- und Autoindustrie auf der anderen Seite überwinden, denn durch die Vergesellschaftung geht kein einziger Job verloren und da keine Profite für die Chef:innen mehr erwirtschaftet werden müssen, bleibt auch mehr für alle übrig. Neuere Ansätze wie „RWE & Co enteignen“ gehen deshalb bereits in die richtige Richtung und sollten weiter diskutiert und vertieft werden. Gleichzeitig bieten sich so auch neue Potenziale, um Kämpfe zu verbinden: Lasst uns den Immobilienriesen „Deutsche Wohnen“ enteignen, anstatt klimaschädliche und platzraubende Luxuswohnungen zu bauen. Lasst uns das Gesundheitssystem vergesellschaften, denn der Klimawandel produziert nicht nur tödliche Hitzewellen und Pandemien, die Privatisierung der Krankenhäuser hat auch dafür gesorgt, dass die Pflegekräfte am Limit sind und den Kranken nicht mehr genügend Betten zur Verfügung stehen. Lasst uns an der Seite der Widerstandsbewegungen im globalen Süden die Agrar-, Lebensmittel- und Trinkwasserkonzerne vergesellschaften, die aktuell von massiven Preissteigerungen profitieren, während andere hungern. Der Kampf für die Vergesellschaftung der einzelnen Schlüsselbranchen ist dabei nur der erste Schritt in Richtung einer neuen globalen Wirtschaftsweise, die auf der Basis von Nachhaltigkeit, demokratischer Planung und Bedürfnisorientierung die egoistische, klimaschädliche und zerstörerische Profitvermehrung des Kapitalismus hinter sich lässt.

Internationalismus muss

Die westlichen Industrienationen versuchen, sich mit neuen Recyclingverfahren und schicken E-Autos als besonders klimafreundlich darzustellen, während sie ihre Müllberge einfach im globalen Süden abladen und die Menschen in den Kobaltminen schonungslos ausbeuten. Genauso versuchen sie uns nun, ihren Krieg gegen Russland als Rettungsmission für das Klima zu verkaufen. Dabei reden „selbst“ die Grünen schon öffentlich davon, den Kohleausstieg erneut zu verschieben oder sogar in die Atomenergie wieder einzusteigen. An die Stelle des russischen Gases treten RWE-Braunkohle, das den Krieg im Jemen finanzierende saudische Öl und Frackinggas aus den USA, von Ruß kotzenden Flüssiggastankern einmal um die halbe Welt geschippert. Als Klimabewegung können wir uns deshalb nicht einfach aus der Kriegsfrage heraushalten. Es gilt, sich weder auf die Seite Putins noch der NATO zu schlagen, sondern unseren Kampf gegen den Klimawandel als einen gegen das System aus konkurrierenden imperialistischen Nationalstaaten zu führen. Eine große Stärke unserer Bewegung ist dabei ihre internationale Vernetzung. So lässt sich ein internationales System auch nur durch global koordinierten Widerstand bekämpfen.

Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Die Klimacamps in Leipzig und im Rheinland, aber auch der Interregionale Sommerkongress in Darmstadt bieten gute Möglichkeiten dafür, einen solchen Strategiewechsel zu diskutieren. Die Klimacamps könnten als Vorbereitung dafür dienen, eine Klimaaktionskonferenz vorzubereiten, in der alle Teile der Klimabewegung durch wähl- und abwählbare Delegierte repräsentiert sind. Die Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten ist dabei besonders zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern (danke für nichts, Luisa … ) und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Die rassistischen Vorfälle innerhalb der Klimabewegung haben außerdem die Notwendigkeit aufzeigt, die Frage der Verschränkung von strukturellem Rassismus, (Neo-)Kolonialismus und Klima auf die Tagesordnung zu stellen sowie auch bewegungsinterne Schutzräume für POCs zu schaffen. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen. In der Vergangenheit ging es auf Klimacamps und -konferenzen häufig um Vernetzung, Spiel & Spaß sowie interessante Workshops. Das ist auch nicht verkehrt, jedoch sollte im Zentrum der basisdemokratische Beschluss eines verbindlichen Aktionsprogramms stehen, damit wir als Klimabewegung nach einer solchen Konferenz gestärkt auf dasselbe Ziel zugehen.

Um den oben beschworenen Druck auf Sozialdemokratie und Gewerkschaften praktisch aufzubauen, sind neben offenen Briefen auch Aktionen vor Gewerkschaftszentralen, Betriebstoren oder zu Parteiversammlungen nötig.

Gleichzeitig müssen wir anfangen, unser Aktionsprogramm auch dort unter die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen. Statt sich nur unter Gleichgesinnten zu bewegen, lohnt es sich, durch Mobilisierungen, Vollversammlungen und kleineren Aktionen vor Ort die Debatte zu anderen Leuten zu tragen und unsere Themen sichtbarer zu machen. Das sorgt für eine stetige Auseinandersetzung und befähigt gleichzeitig viele von uns, sich mehr einzubinden. Vor allem ist die Hemmschwelle, sich einzubringen, für viele dort wesentlich geringer. Lasst uns Vollversammlungen und Veranstaltungen an unseren Schulen und Unis organisieren, auf denen wir gemeinsam mit den Belegschaften und Gewerkschaften diskutieren! Gleichzeitig sollten wir als Schüler:innen, Studis und Aktivist:innen Streikversammlungen und Streikposten von Beschäftigten besuchen, um unsere Solidarität auszudrücken und gemeinsame Schnittstellen im Kampf für eine bessere Welt auszuloten.




Extinction Rebellion: Alle Klassen für das Klima?

Jan Hektik/Martin Suchanek, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Extinction Rebellion (XR) ist bekannt als radikaler Teil der
Umweltbewegung und als enge Bündnispartnerin von Fridays for Future. Gerade in
Großbritannien und den USA steht sie im Fokus der öffentlichen Debatte. Doch
wofür tritt XR ein? Was sind ihre Taktiken? Und was ihre Stärken und Schwächen?
Mit diesen Fragen möchte sich dieser Artikel auseinandersetzen.

Was macht Extinction Rebellion?

XR ist eine auf öffentlichkeitswirksame Aktionen abzielende
Bewegung, die vor allem in Großbritannien viele AnhängerInnen und große
Protestaktionen organisiert hat. Auch in Deutschland existieren ca. 30
Ortsgruppen, Tendenz rasch steigend. Mittlerweile soll XR bundesweit rund
16.000 Mitglieder haben.

Zunächst einmal muss man positiv hervorheben, dass durch XR
viele Jugendliche aktiv auf die Straße gehen und in Konflikt mit dem
bürgerlichen Staat treten, gegen den wir letztlich die Rettung unserer
Lebensgrundlagen durchsetzen müssen. Weiterhin hat XR es geschafft, zumindest
in Großbritannien eine große Öffentlichkeit zu erreichen und so die allgemeine
Debatte maßgeblich zu beeinflussen. Dies geschieht vor allem in Aktionen
zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden aber auch in künstlerischen
Protestformen wie z. B. „Die-Ins“ (sich an öffentlichen Orten massenweise tot
stellen). Dort erreichten die Aktionen teilweise eine Größe von 6.000
TeilnehmerInnen, was aber inzwischen auch zu hunderten, wenn nicht tausenden Verhaftungen
führte. Laut XR ist es sogar das Ziel, solche zu provozieren, um eine größere
Öffentlichkeit zu schaffen. Weiterhin soll gewaltfrei agiert werden, damit die
Öffentlichkeit sich eher mit den Protesten solidarisiert, also „die richtigen
Bilder geschaffen werden.“

In Deutschland organisierte XR bislang eine symbolische
Blockade der Internationalen Automobilausstellung sowie Aktionen um Fridays for
Future und die Kampagne plant vom 7. Oktober an, „Berlin lahmzulegen“, wozu
mehrere tausend AktivistInnen erwartet werden.

Grundforderungen

Bevor wir uns mit den Aktionsformen auseinandersetzen, geben wir zunächst die drei Grundforderungen von XR auszugsweise wieder:

„Sagt die Wahrheit!

Die Regierung muss die existenzielle Bedrohung der ökologischen Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstehen, werden revidiert. (…)

2. Handelt jetzt!

Die Regierung muss jetzt handeln, um die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf Netto-Null zu senken. (…)

3. Politik neu leben!

Die Regierung muss eine Bürger:innenversammlung für die notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit einberufen. Darin beraten und entscheiden zufällig ausgewählte Bürger:innen darüber, wie die oben genannten Ziele erreicht werden können. (…) Die Regierung verpflichtet sich, die Beschlüsse der Bürger:innenversammlung umzusetzen.“

Diese drei Forderungen stellen für XR gemeinsam mit 10 „Prinzipien und Werten“ das inhaltliche Konzept dar.

Vertrauen in bürgerliche Politik

Die Grundforderungen verdeutlichen einen zentralen
Widerspruch, der sich durch die ganze Bewegung zieht. Einerseits präsentiert
sie sich als radikaler, internationaler und aktionistischer Flügel der
Umweltbewegung. Andererseits bleiben die Forderungen sogar weit hinter deren
reformistischen oder selbst linken kleinbürgerlichen Teilen zurück. Während z.
B. reformistische Parteien, attac oder die verschiedenen NGOs konkrete
Forderungen aufstellen, belässt es XR bei einem allgemeinen Aufruf an die
Regierung. Diese solle nicht nur „die Wahrheit sagen“ und „endlich handeln“,
sie soll darüber hinaus auch selbst festlegen, welche Maßnahmen notwendig sind,
damit die Klimaziele bis 2025 erreicht werden können.

Dieselben Regierungen, die über Jahrzehnte versagt und die
Interessen der großen Kapitale bedient haben, sollen wie durch ein Wunder zu
„Klimaretterinnen“ mutieren. Und nicht nur das. Sie sollen nicht einmal
konkrete Forderungen z. B. nach Besteuerung der Profite der großen Konzerne
oder Ausbau des öffentlichen Nachverkehrs umsetzen, sondern selbst entscheiden,
wer wie welchen Anteil an den notwendigen Maßnahmen und deren Kosten übernehmen
soll. Mit anderen Worten: es wird der bürgerlichen Regierung überlassen zu
entscheiden, wie viel UnternehmerInnen oder Lohnabhängige, arm oder reich
„beitragen“ müssen. Allenfalls wird unverbindlich angemahnt, dass „die
Bedürfnisse der Menschen, die von der ökologischen Krise am stärksten
betroffenen sind, (…) Priorität“ haben sollen. Solche Allerweltserklärungen
könnten selbst Trump, Merkel und Johnson unterzeichen – sie verpflichten
schließlich zu nichts.

Klassen?

XR gibt sich zwar militant und kämpferisch, offenbart aber ein rühriges Vertrauen in das bestehende politische System. Die Bindung des Staatsapparates und der Regierung an die Interessen des Kapitals kommt erst gar nicht vor. XR strebt vielmehr eine Bewegung aller Klassen an, wenn aufgerufen wird, sich „der Rebellion für das Überleben anzuschließen, unabhängig von Religion, Herkunft, Klasse, Alter, Sexualität, Geschlecht sowie politischer Neigung.“ (https://extinctionrebellion.de/wer-wir-sind)

So richtig es ist, für eine Bewegung unabhängig von
Religion, Nationalität, Geschlecht, sexueller Orientierung einzutreten, so
problematisch wird es, wenn „politische Neigung“ und „Klasse“ keine Rolle
spielen sollen.

Was die „politische Neigung“ betrifft, so ist schon der
Begriff problematisch. Ob jemand rassistische oder anti-rassistische,
internationalistische oder nationalistische, bürgerliche, kleinbürgerliche oder
proletarische politische Positionen vertritt, ist eben keine Frage einer
„Neigung“ wie z. B. ob jemand lieber Wasser mit oder ohne Kohlensäure trinkt.
Es geht hier darum, welchen politischen, letztlich welchen Klassenstandpunkt
eine Person oder gar eine ganze Bewegung einnimmt. So richtig es ist, dass wir
für neue Menschen offen sein müssen, so bedarf es auch einer klaren Abgrenzung
gegenüber rassistischen und nationalistischen Positionen, so müssen bürgerliche
und kleinbürgerliche pro-kapitalistische Positionen offen politisch bekämpft
werden. Alles andere läuft nicht auf eine „bunte“ Bewegung hinaus, sondern auf
eine Unterordnung der großen Masse der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

BürgerInnenversammlung?

Darüber hinaus lehnen wir auch die Forderung nach
BürgerInnenversammlungen ab, deren Mitglieder gar nicht gewählt, sondern per
Los, also rein zufällig bestimmt werden sollen. Ein solches Gremium wäre nicht
nur leicht von Regierung und bürgerlichen ExpertInnen manipulierbar, es wäre
auch undemokratischer als jedes Parlament.

Auch dieses verschleiert zwar, wer die eigentliche Macht in
der Gesellschaft ausübt: die EigentümerInnen von Energie-, Autokonzernen und
Transportunternehmen, von Banken und Versicherungen, von Medien und
IT-Unternehmen, um nur einige wichtige Teile der KapitalistInnenklasse zu
nennen. Sie haben kein Interesse daran, einen effektiven Klimaschutz zu
schaffen, sobald er ihren Profitinteressen entgegensteht.

Aber zu den Parlamentswahlen treten wenigstens politische
Parteien an, die verschiedene Klassenkräfte repräsentieren (können), die die
Lohnabhängigen somit als Feld nutzen können, ihr Programm zu vertreten. Selbst
das würde bei der Verlosung zur „BürgerInnenversammlung“ völlig entfallen.
Statt die Regierung und den Staatsapparat besser zu kontrollieren, würden diese
in Wirklichkeit gestärkt werden.

Kontrolle und Räte

Wirklicher Klimaschutz erfordert daher, nicht weitere, gar
noch undemokratischere Anbauten am bürgerlichen Staat vorzunehmen, sondern
vielmehr den Kampf für klassenspezifische, in den Betrieben, Unternehmen,
Stadtteilen und Kommunen verwurzelte Strukturen der Gegenmacht. Diese müssten
z. B. kontrollieren, was zu welchem Zweck erforscht wird. Diese müssten die
Schwerpunkte für eine nachhaltige Produktion im nationalen wie internationalen
Maßstab festlegen. Solche Organe wären Mittel der ArbeiterInnenkontrolle, die
vor allem in den großen Energie-, Verkehrs- und Verschmutzungsindustrien, in
den Banken usw. eingeführt werden müssten. Sie müssten die Aufstellung eines gesellschaftlichen
Plans kontrollieren, der ökologische Ziele und die Bedürfnisse der Mehrheit der
ProduzentInnen und KonsumentInnen in den Mittelpunkt stellt.

Solche Kontroll- und Kampforgane würden ihrerseits rasch mit
den Machtorganen der Unternehmen wie des Staates zusammenstoßen. Um deren
unvermeidlichen Widerstand zu brechen, müssten sie selbst den Schritt von
Organen der Gegenmacht zu Organen der ArbeiterInnenmacht, einer sozialistischen
Umgestaltung machen.

Anhang: Welche Aktionsform?

Daher treten wir für massenhafte, kollektive Aktionsformen,
die den Kern der verantwortlichen Industrien treffen, ein: Streiks,
Besetzungen, Massendemonstrationen. Auch eine Platzbesetzung wie sie XR in
London ausgeführt hat, kann sinnvoll sein. Es braucht aber vor allem demokratisch
gewählte Organe von ArbeiterInnen, Unterdrückten und Jugendlichen.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der
Gewaltfreiheit. Da es hierbei um das Überleben der Menschheit geht, ist
eigentlich klar, dass im Notfall leider Gewalt angewendet werden muss – schon
allein zur Selbstverteidigung gegen die unvermeidliche Repression durch den
Staat oder unternehmensnahe rechte Kräfte. In der Tat wäre die Alternative,
weiter zuzulassen, dass Klimakiller unsere Umwelt zerstören, alles andere als gewaltfrei.
Sie bedeutet nämlich massenhafte Vertreibung und letztlich die Zerstörung der
Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen.

Die Frage lautet daher, welche Art von Gewalt und
Aktionsform für uns sinnvoll ist. Sicher können „Die-Ins“kurzzeitig ein medienwirksames
Symbol darstellen. Wirklich unter Druck setzen wird dies aber weder Regierung
noch Konzerne. Erst eine massenhafte militante Streikaktion kann das tun. In
diesem Sinne sollten die Schulstreiks fortgeführt werden und die Verbindung zu
ArbeiterInnen suchen. Die Polizei wird nicht geneigt sein, solche Aktionen mit
Samthandschuhen und Humor zu behandeln, aber diese können organisiert und
kollektiv verteidigt werden.