Solidarität mit den brasilianischen KollegInnen!

Gegenwehr! Betriebs- und
Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Februar 2019

Seit dem 1. Januar regiert in Brasilien ein halb-faschistischer
Präsident, gegen den Donald Trump wie ein Liberaler wirkt. Jair Bolsonaro hat
sich durch Beleidigungen und Ausfälle gegenüber Frauen, Homosexuellen,
Schwarzen und die indigene Bevölkerung einen Ruf als gnadenloser „Populist“
gemacht. Als Bewunderer der letzten Militärdiktatur Brasiliens (1964–1985), in
der mehrere tausend Menschen getötet und ungezügelt politische Gegner gefoltert
wurden, hat der Ex-Fallschirmjäger nunmehr eine Mehrheit an Militärs in seiner
Regierung. Zusätzlich verdankt Bolsonaro seine Wahl auch ultra-konservativen
evangelikalen Kirchen, die nunmehr eine herausragende Rolle in Fragen der
Bildung und der Frauenpolitik spielen. Vor allem aber verdankt er seinen Weg an
die Macht der Unterstützung durch große Kapitalgruppen von Bergbaukonzernen,
des Agrobusiness bis hin zu ausländischen (auch deutschen) InvestorInnen in der
brasilianischen Industrie. Zu den ersten großen Projekten der neuen Regierung
zählt daher eine Rentenreform, die für Millionen armer BrasilianerInnen den Weg
zur Alterssicherung verunmöglichen wird. Zusätzlich soll der Rohstoffreichtum
des Landes (vor allem das Erdöl) durch Privatisierung und Ausverkauf an ausländische
Konzerne zu Geld gemacht werden. Vor allem aber bedroht die freie Hand für das
Agrobusiness das sozio-ökologische Gleichgewicht des für das globale Klima so
wichtigen Amazonasgebietes (natürlich gilt Bolsonaro und seiner Regierung der
menschengemachte Klimawandel als „marxistische Erfindung“).

Viele in Deutschland lebende brasilianische KollegInnen sind
inzwischen aktiv geworden, um die Angriffe des Bolsonaro-Regimes auf
Frauenrechte, soziale Sicherungen, Schwarze, Indigene etc. weltweit
anzuprangern. Im Gedenken an die ermordete schwarze Abgeordnete Marielle Franco
und die unzähligen anderen Opfer reaktionärer Gewalt veranstalten in Berlin
lebende brasilianische AktivistInnen einen „schwarzen März“ mit verschiedenen
Veranstaltungen. Vor allem am 14.3. soll es eine Kundgebung/Demonstration zum
Protest gegen Bolsonaro geben – bitte erscheint zahlreich zur Unterstützung und
Solidarität!

Berlin, 14. März: Protest gegen die Bolsonaro-Regierung in Brasilien – und deren deutsche UnterstützerInnen

15.30, Vor dem
Haus des BDI/DIHK, Breite Straße 29

16.30, Kundgebung vor der
Brasilianischen Botschaft, Wallstraße 57

Unterschriftenliste von GewerkschafterInnen in Solidarität mit der brasilianischen ArbeiterInnenbewegung




Brasilien: Bolsonaros Amtseinführung – der Putsch geht weiter!

Liga Socialista Brazil, Infomail 1038, 18. Januar 2019

Es sollte von Anfang an klar sein, dass die Wahl von
Bolsonaro die Fortsetzung des Putsches ist, der die ehemalige Präsidentin Dilma
Rousseff von der ArbeiterInnenpartei PT gestürzt und die demokratischen und
sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse seit dem Sturz der
Militärdiktatur angegriffen hat. Zu dieser Zeit verteidigte der damalige
Abgeordnete Jair Bolsonaro den Putsch entschieden und nutzte den Moment, um
nicht nur Präsidentin Dilma, sondern auch PT-AnhängerInnen im Allgemeinen,
SozialistInnen, soziale Bewegungen und Gewerkschaften zu attackieren. In
Anbetracht dessen ist es einfacher zu erkennen, dass die Amtseinführung von
Bolsonaro als Präsident nichts anderes ist als die Fortsetzung dieses Putsches.
Bei einem Staatsstreich unternehmen die PutschistInnen keinen so wichtigen
Schritt, nur um später in einem Wahlprozess die Macht so einfach „demokratisch“
aufzugeben. Es wäre zu naiv zu glauben, dass dies passieren könnte.

Die Wahlen 2018 in Brasilien waren nichts anderes als ein
Betrug der PutschistInnen, mit der schlichten und einfachen Absicht, dem
Projekt der Eliten eine demokratische Fassade zu verleihen. Der Plan war
einfach: Wahlen abhalten, aber verhindern, dass die beliebteste politische
Führungsfigur des Landes, Lula, kandidiert. Sie verurteilten ihn ohne Beweise
in erster und zweiter Instanz und hielten ihn gefangen. Die Inhaftierung von
Lula ist ein weiterer Angriff auf die demokratischen Freiheiten, was ihn zu
einem politischen Gefangenen macht, der freigelassen werden sollte.

Die Amtseinführung

Die Amtseinführungszeremonie von Bolsonaro machte deutlich,
dass er nicht so viel Unterstützung in der Bevölkerung hat, wie behauptet
wurde. Die Massenmedien wetteten auf die Anwesenheit von mehr als 200.000
Menschen, es gab sogar diejenigen, die 500.000 voraussagten. Was wir sahen, war
viel weniger. Im Vergleich zu den Mobilisierungen von ArbeiterInnen, die zu
anderen Zeiten stattfanden, kann man schätzen, dass die Zahl weniger als 50.000
betrug. Die Boulevardzeitungen versuchten mit viel Photoshop-Bearbeitung, diese
Zahl auf 115.000 zu erhöhen.

In seiner Antrittsrede zeigte Bolsonaro, dass er immer noch
so tut und denkt, als befinde er sich noch in seinem Wahlkampf. Darin
verteidigte er die „Heiligkeit der Familie“, griff linke Ideologien an, lobte
die Gewalt der Polizei. Dies zeigt deutlich seine halbfaschistische Seite und
stellt die Idee eines „enorm mächtigen Feindes der ,echten’“ BrasilianerInnen in
den Mittelpunkt seiner Politik, der unbedingt bekämpft werden muss:
PT-UnterstützerInnen im „tiefen Staat“, SozialistInnen, GewerkschafterInnen,
die angebliche linke Mehrheit unter LehrerInnen und Intellektuellen, LGBTs,
Schwarze und alle sozialen Bewegungen.

So verstärkt Bolsonaro die Feindseligkeit gegen links und
das, was er ihre „widerwärtigen Ideologien“ nennt, indem er die Flagge
Brasiliens schwenkt und bekräftigt: „Das ist unsere Flagge, die nie rot sein
wird. Sie wird nur rot sein, wenn es unser Blut braucht, um sie grün und gelb
zu halten.“ Im Mittelpunkt seiner Rede stand die Notwendigkeit, das Land „vom
Sozialismus zu befreien“. Ein weiteres Element des Halbfaschismus ist hier
seine Erfindung eines gefährlichen Feindes des Landes, der nicht wirklich
existiert. Schließlich waren es die PT-Regierungen, unter denen die Bankiers
und Bänkerinnen ihre größten Gewinne erzielten. Nicht nur die größte Bank des
Landes, Itaú Unibanco, bewegte sich unter diesem so genannten „Sozialismus“
jedes Jahr von einem Rekordgewinn zum nächsten.

Die Angriffe

Während Bolsonaro mit seiner halbfaschistischen Propaganda
weitermacht, übernehmen seine MinisterInnen die Führung und haben die Angriffe
auf die ArbeiterInnen bereits skizziert. So rief der Wirtschaftsminister Paulo
Guedes auf: „Lasst uns die Kreditmärkte vom Staat befreien.“ Guedes betonte die
Bedeutung einer liberalen Trendwende in Brasilien nach Jahrzehnten
sozialdemokratischer Verwaltung. Darüber hinaus unterstrich er, dass es neben
der Kontrolle der Staatsausgaben notwendig sei, die Privatisierungspolitik
voranzutreiben. „Die Idee ist, alles an die Privatwirtschaft zu verkaufen“,
sagte Salim Mattar, der das Privatisierungssekretariat übernommen hat.

Neben
Privatisierungen und Renten„reformen“ ließ sich Guedes die Gelegenheit nicht
entgehen, auch die Rechte der ArbeiterInnen aufs Korn zu nehmen, indem er
erklärte, dass das Land „zukünftige Generationen von den arbeitsrechtlichen
Regulierungen und sozialen Sicherungssystemen befreien muss“. Er erklärte auch,
dass er „jungen Menschen die Möglichkeit geben will, im Rahmen der grünen und
gelben Arbeitserlaubnis zu arbeiten“, d. h. die vom CLT garantierten
Rechte zu streichen (Kommentar des Übersetzers: CLT, Consolidação
das Leis do Trabalho, Konsolidierung der Arbeitsgesetze, sind die
alten Arbeitsgesetze, die reguläre Arbeitsbedingungen definieren, im Vergleich
zu atypischen Arbeitsverhältnissen, die die „Ausnahmen“ mittels roter und
gelber Karten bilden). In der Tat ist es keine Option, sondern ein Mangel an
Auswahl, denn in diesem Fall muss der/die Jugendliche akzeptieren oder
arbeitslos sein. (Quelle: https://www.valor.com.br/brasil/6046141/guedes-defende-desestatizacaoo-d…)

Den Kampf organisieren

Die Regierung irrt, wenn sie glaubt, dass die
ArbeiterInnenklasse passiv zusehen wird, wie diese Angriffe durchgeführt
werden. Die Perspektive besteht im Kampf, einem großen Kampf. Die
Lohnabhängigen sind sich bewusst, wie viel es sie kosten wird, wenn die
Rentenreform, weitere Angriffe auf das Arbeitsrecht, Privatisierungen,
Kürzungen im Gesundheits- wie im öffentlichen Bildungswesen von der neuen
Regierung durchgesetzt werden.

Die Vorschläge der Regierung Bolsonaro stellen eine
grundlegende Bedrohung für die ArbeiterInnenklasse dar: Lohnabhängige ohne
Rechte, mit sehr niedrigen Löhnen und ohne das Recht auf Rente: Das bedeutet,
wie SklavInnen zu arbeiten, bis sie sterben oder alt und arbeitslos werden und
als BettlerInnen überleben.

Angesichts dieser Situation muss unsere Antwort der
Herausforderung angemessen sein: Die Regierung von Bolsonaro ist die
Fortsetzung des Putsches, der Dilma Rousseff gestürzt hat, und sie bedeutet,
all diese Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse durchzuführen. Deshalb erkennen
wir seine Legitimität in keiner Weise an.

Wir werden mit allen unseren Kräften gegen die Reformen der
sozialen Sicherheit, die Angriffe auf das Arbeitsrecht, Privatisierungen und
alle anderen Maßnahmen kämpfen, die uns von dieser illegitimen und
halbfaschistischen Regierung aus angreifen.

Wir müssen uns sofort an der Basis organisieren. An jedem
Arbeitsplatz, in jeder Schule, in jeder Nachbarschaft müssen wir
Widerstandskomitees bilden. Wo sie bereits existieren, müssen wir sie erweitern.
Dieser Kampf muss von unten nach oben geführt werden, was die
Gewerkschaftsführungen und die linken Parteien zwingt, die Bewegung zu führen.
Entscheidungen müssen von den Widerstandsausschüssen und den Parteien getroffen
werden, und die Gewerkschaften müssen sie unter ihrer Kontrolle in die Praxis
umsetzen. Nur so werden wir eine echte Widerstandsbewegung haben, wirklich
demokratisch, die uns zum Sieg führen wird!

  •  Gegen die Rentenreform!
  •  Verteidigung aller Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse!
  •  Gegen Privatisierungen!
  •  Freiheit für Lula!
  •  Weg mit Bolsonaro!
  •  Generalstreik!



Gegen jede Unterstützung der rechtsextremen Bolsonaro-Regierung durch deutsche Unternehmen! Solidarität mit den brasilianischen KollegInnen!

Aufruf linker GewerkschafterInnen, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Am 28. Oktober wurde der rechtsextreme Kandidat und Ex-Militär Jair Bolsonaro in der Stichwahl in das Amt des Präsidenten von Brasilien gewählt, das er Anfang Januar 2019 antreten wird. Die Wahl selbst wurde überschattet durch den Ausschluss des bis dahin in den Umfragen führenden Kandidaten Lula da Silva, des ehemaligen Präsidenten und historischen Führers des CUT-Gewerkschaftsverbandes, dessen Mitglieder maßgeblich zum Ende der Militärdiktatur beigetragen hatten.

Die scharfe Hetze gegen „linke Politik“ und die sozialdemokratische ArbeiterInnenpartei (PT) in den dominierenden Medien und die Gewaltakte gegenüber „Linken“ oder anderen „Verdächtigen“, die in über 50 Morden an Linken, Indigenen und Homosexuellen gipfelten, lassen Schlimmes befürchten.

Jair Bolsonaro vertritt auf allen Gebieten – Wirtschaft, soziale Rechte, Gleichberechtigung von Frauen, Homosexualität, Schutz des Regenwaldes – die reaktionärsten Positionen. Darüber hinaus verteidigte er offen die Militärdiktatur in Brasilien, die von 1964 bis 1985 das Land mit Terror und über 1.000 Morden überzogen hatte. Er bedauerte, dass die Militärs damals leider 30.000 Menschen zu wenig „gesäubert“ hätten.

Konkret sind folgende Maßnahmen zu erwarten:

  • Im Rahmen von „Antiterror“-Gesetzen sollen bestimmte soziale Bewegungen, vor allem diejenigen der landlosen ArbeiterInnen oder von Favela-BewohnerInnen, verboten werden (MST, MTST). Diese Verbote werden sicher auch auf linke Organisationen und Gewerkschaften ausgeweitet werden.
  • Sonderrechte für bestimmte Polizeieinheiten, die Folter und willkürliche Erschießungen erlauben.
  • Ausweitung neo-liberaler „Reformen“ bei Rente und Arbeitsrecht sowie Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras.
  • Beseitigung wesentlicher Umweltauflagen durch die Auflösung des Umweltministeriums und Überführung von dessen Aufgaben in das vom Agro-Businesskontrollierte Landwirtschaftsministerium.
  • Umgestaltung von Lehr- und Studienplänen durch eine „Bildungsrevolution“ unter Kontrolle evangelikaler Kirchen. Unter anderem soll Genderforschung abgeschafft werden.
  • Angriffe auf die Rechte von Frauen und LGBT-Menschen, Stärkung reaktionärer Geschlechterrollen – einschließlich einer Verharmlosung sexistischer Übergriffe und von Gewalt, der schon jetzt jährlich tausende Frauen und sexuell Unterdrückte zum Opfer fallen.
  • Kritische Presseorgane wie die bekannteste liberale Zeitung des Landes, die„Folha de Sao Paulo“, werden mit Anzeigenboykotts und Ausschluss von Pressekonferenzen bedroht, weil sie es gewagt hatten, illegale Spendenpraktiken des Bolsonaro-Wahlkampfes aufzudecken.

Angesichts dieser massiven Bedrohungen von Demokratie, Menschen- und Gewerkschaftsrechten ist es besonders empörend, dass führende VertreterInnen deutscher Unternehmenin Brasilien ihre volle Unterstützung für diese rechtsextremistische Politik erklärt haben. Einerseits spielen deutsche Investitionen eine bedeutende Rolle in Brasilien. Die über 12.000 deutschen Unternehmen verantworten bis zu 10 % des BIP. Andererseits sind gerade erst die Verwicklungen deutscher Unternehmen in schreckliche Aktionen der alten Militärdiktatur aufgearbeitet worden. Der VW-Konzern musste auf Veranlassung der brasilianischen „Wahrheitskommission“ eine wissenschaftliche Studie finanzieren, in der nachgewiesen wurde, dass VW-ManagerInnen an der Denunzierung und Auslieferung von missliebigen GewerkschafterInnen beteiligt waren, die in Folge verschwanden oder ihr Lebenverloren.(http://www.volkswagenag.com/presence/konzern/documents/Historische_Studie_Christopher_Kopper_VW_B_DoBrasil_14_12_2017_DEUTSCH.pdf).

Umso empörender ist es, dass ein Vorstandsmitglied des VW-Konzerns, der Nutzfahrzeugspartenchef Andreas Renschler, sich positiv zur Perspektive der Machtübernahme von Bolsonaro geäußert hat (Der Spiegel, 2.11.2018: „Stramm nach rechts“). Auch der Vorsitzende der deutsch-brasilianischen Außenhandelskammer, Dr. Wolfram Anders, hatte Bolsonaro schon im Wahlkampf unterstützt, um „venezolanische Verhältnisse“ zu verhindern (ebd.). Als Bolsonaro vor der einflussreichen Wirtschaftsvereinigung von Sao Paulo seine Hasstiraden auf seine politischen GegnerInnen losließ, erhielt er dort stehende Ovationen – ein beträchtlicher Teil der dortigen VertreterInnen wird von deutschen Unternehmen entsandt. Roberto Cortes, Chef von VW Trucks and Busses in Brasilien, und Philipp Schiemer, Präsident von Mercedes-Benz in Brasilien, stellten sich öffentlich lobend hinter Bolsonaro (Neue Züricher Zeitung, 14.11.2018: „Keine Angst bei Unternehmen“). Nicht nur aus der Industrie kam Unterstützung für den rechtsextremen Kurs von Bolsonaro. Auch die „Deutsche Bank“ und in ihrem Gefolge die „Commerzbank“ hatten in ihren Tweets zur Wahl betont, dass Bolsonaro der „Wunschkandidat der Märkte“ sei (Frankfurter Rundschau, 25.11.2018, http://www.fr.de/kultur/netz-tv-kritik-medien/netz/jair-bolsonaro-deutsche-bank-nennt-bolsonaro-wunschkandidat-der-maerkte-a-1610928).

All dies zeigt: Deutsche Unternehmen sind eine wesentliche Stütze für einen rechtsextremen Politiker, von dem Maßnahmen zu erwarten sind, die stark an eine faschistische Diktatur erinnern. Statt aus den von ihnen selbst herausgegebenen Studien zu ihrer Verwicklung in die alte Diktatur gelernt zu haben, werden sie wieder zum Steigbügelhalter einer entstehenden Diktatur, die wiederum mit allen Mitteln GewerkschafterInnen in ihren Unternehmen bekämpfen wird.

Alle, die wir Kontakte mit brasilianischen Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen hatten oder sich mit der dortigen Situation beschäftigt haben, müssen befürchten, dass erneut diese Kolleginnen und Kollegen Opfer von staatlicher Willkür oder gar ermordet werden. Brasilien war über fast dreißig Jahre Schauplatz und Beispiel für eine wachsende Gewerkschaftsbewegung, ohne die alle demokratischen Veränderungen und Fortschritte undenkbar gewesen wären. Diese Solidarität muss gerade jetzt verstärkt werden!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB sofortige, entschiedene Positionierung gegen die Unterstützung von VW, Daimler, der Deutschen Bank und anderen deutschen Unternehmen oder deren SprecherInnen in Brasilien für den rechtsextremen Jair Bolsonaro!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB wirksame und spürbare Unterstützung für die brasilianischen Gewerkschaften, insbesondere in ihrem Kampf gegen die Rentenreform und die Privatisierung von Petrobras! Protestaktionen und Streiks der brasilianischen KollegInnen müssen durch entsprechende Solidaritätsaktionen unterstützt werden!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB, die zu erwartenden anti-demokratischen, menschenverachtenden Maßnahmen der Bolsonaro-Regierung mit Boykottaufrufen und Sanktionsmaßnahmen zu beantworten! Insbesondere muss die sofortige Freilassung des widerrechtlich in Gefangenschaft gehaltenen Lula da Silva ein Ziel der internationalen Gewerkschaftsbewegung werden! Als GewerkschafterInnen aus Deutschland unterstützen wir die Kampagne „Lula Livre“ (Freiheit für Lula!) und fordern den DGB zur Teilnahme an dieser Bewegung auf!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB, die internationalen Proteste gegen die Inauguration vom Bolsonaro im Januar zu unterstützen und sich daran zu beteiligen!

ErstunterzeichnerInnen

Matthias Fritz, IG Metall, BR und VKL Mahle Stuttgart

Christa Hourani, IG Metall, Frauenausschüsse IGM und DGB, ehem. BR und VKL Daimler Zentrale

Niels Clasen, IG Metall, ehem. BR und VKL Roto Frank Leinfelden

Sybille Stamm, ver.di,

Mag Wompel, ver.di, Labournet

Laurenz Nurk, ver.di, Mitherausgeber gewerkschaftsforum-do.de

Fritz Stahl, IG Metall, ehem. Vertrauensmann Mercedes Benz Werk Mannheim

Angela
Hidding, IG Metall, Delegierte, ehem. Betriebsrätin Mercedes Benz Werk Mannheim

Walter Hofmann, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzender und VKL Saurer-Allma, Kempten

Klaus-Peter Löwen, IG Metall, ehem. stv. GBR-Vorsitzender Alcatel-Lucent Deutschland AG

Jakob Schäfer, IG Metall, Mitgl. der Delegiertenversammlung der IGMWiesbaden-Limburg, ehem. BR

Helmut Born, ver.di Düsseldorf, Mitglied im Landesbezirksvorstand ver.di NRW

Tom Adler, IG Metall, ehem. BR Daimler Untertürkheim und Mitglied Tarifkommission, Stadtrat LINKE Stuttgart

Christiaan Boissevain, IG Metall, ehem. BR, Sekretariat Initiative zur Vernetzung derGewerkschaftslinken

Helga Schmid, ver.di, Vorstandsmitglied der ver.di-Betriebsgruppe des SüddeutschenVerlags-München

Sascha Ebbinghaus, BR-Vors., Beisitzer Ortsvorstand IGM Waiblingen/Ludwigsburg

Markus Dahms, GBR IBM B&TS, ver.di LBZ Berlin-Brandenburg FB9

Reinhold Riedel, Kreisrat, LINKE Esslingen

Mehmet Sahin, IG Metall, Mahle-Behr, Stuttgart

Michael Clauss, IG Metall, BR Daimler Untertürkheim und Große Tarifkommission Baden-Württemberg

André Halfenberg, IG Metall, ehem. BR Daimler Untertürkheim

Olaf Harms, ver.di, G/BR-Vorsitzender,
Vors. LBV verdi-hamburg

Peter Oberdorf, IG Metall, ehem. BR Coperion Stuttgart

Gerd Rathgeb, IG Metall, ehem.
BR Daimler Untertürkheim

Andreas Grüninger, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzender MWK Renningen GmbH

Günther Klein, ver.di, PR, Vorsitzender Ver.di Fachbereich 5 Stuttgart

Erika Rossade, ver.di

Manfred Jansen, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzende KBA-MetalPrint

Jürgen Stamm, IG Metall, ehem. 1. Bevollmächtigter IG Metall Stuttgart

Sebastian Förster, ver.di, Fachkommission Soziales ver.di Nordhessen

Angelika Teweleit, Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di

Jörg Nowak, Researcher, Univ of Nottingham

Fritz Hofmann IG BCE, Ludwigshafen, Rentner

Heinrich Brinker, Sprecher KV Die Linke Esslingen

Michael Becker, Offenbach, GEW, ehem. Regionssekr. DGB Nordbaden,

Dr Eva Hartmann, lecturer Sociology of Education, Univ of Cambridge

Dr Dario Azzellini, Developement Sociology, Verdi, Cornell Univ, Ithaka

Uwe Elsaßer, IG Metall, VKL Mahle, Stuttgart

Wenn ihr den Aufruf unterstützen wollt:

M.Fritz, matthias.fritz.stuttgart@t-online.de




Brasilien: Stoppt Bolsonaro!

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 30. Oktober 2018, Neue Internationale 233, November 2018

Jair Bolsonaro, ein Halbfaschist, hat bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien 55 Prozent gewonnen, gegenüber 45 Prozent für Haddad/Manuela, den Kandidaten der ArbeiterInnenpartei, PT. Dieser Sieg wird ihm ein „demokratisches Mandat“ geben, um den Angriff auf die brasilianische ArbeiterInnenklasse, BäuerInnen, schwarze und indigene Bevölkerung, Frauen und LGBTIA+-Personen sowie auf die ArbeiterInnenparteien, Gewerkschaften und Massenorganisationen von StudentInnen, obdachlosen und landlosen ArbeiterInnen zu Ende zu führen.

Karneval der Reaktion

Nach der Siegeserklärung gingen seine AnhängerInnen triumphierend auf die Straße. Es war ein Karneval der Reaktion, ein offener Ausdruck ihres Klassenhasses, ihres Rassismus und Sexismus. Militär und Polizei schlossen sich ihnen an und fuhren durch die Straßen der Großstädte. Ihnen wurde von den rechten UnterstützerInnen von Bolsonaro Beifall gezollt, die die Situation nutzten, um die BewohnerInnen der Favelas, die städtischen Armen, einzuschüchtern, die sie als Kriminelle unter dem neuen Präsidenten, jetzt ohne jegliche rechtliche Zurückhaltung, ins Visier nehmen werden. Während seines Wahlkampfes haben seine rechten oder gar faschistischen AnhängerInnen mehrere seiner GegnerInnen, Schwarze oder AktivistInnen aus der LGBTIA+-Bewegung getötet. In der Wahlnacht wurde in Rio ein bekannter schwuler Aktivist getötet.

Ziel der neuen Präsidentschaft ist es, den im August 2016 vom derzeitigen Präsidenten Michel Temer und der Justiz im Namen der brasilianischen Bourgeoisie, der GroßgrundbesitzerInnen und des US-Imperialismus begonnenen Putsch zu vollenden. Der neoliberale Wirtschaftsberater von Bolsonaro, Paulo Guedes, wird für die brasilianische Wirtschaft verantwortlich sein und ein „Superministerium“ leiten. Er hat eine weitere „Rentenreform“ angekündigt, d. h. drastische Kürzungen, eine massive Privatisierung der größten staatlichen Unternehmen wie Petrobras. Er und Bolsonaro haben angekündigt, dass sie alle sozialen und ökologischen Restriktionen aufheben werden, um die Amazonasregion zu „modernisieren“, d. h. den Regenwald im Interesse der Rohstoffe abbauenden Industrie und des Agrobusiness zu zerstören.

Kein Wunder, dass Donald Trump seinem rechten Kollegen sofort gratulierte, und versprach, oder genauer gesagt, drohte, mit ihm „Hand in Hand“ zu arbeiten. Offensichtlich sind Temers Staatsstreich und jetzt der Sieg von Bolsonaro auch Siege für den US-Imperialismus, der seinen Einfluss in Brasilien erhöht und den größten Staat Lateinamerikas wieder zu einem festen US-Verbündeten macht. Andere imperialistische Mächte sind über diese Bekräftigung der amerikanischen Hegemonie „besorgter“, da sie befürchten, dass sie ihren Einfluss schwächen könnte. Sie alle erkennen jedoch die Legitimität des neuen Präsidenten an, obwohl er auf der Grundlage eines parlamentarischen und gerichtlichen Putsches gegen die frühere PT-Präsidentin Dilma Rousseff und durch dem Staatsstreich freundlich gesonnene RichterInnen gewonnen hat, die den früheren Präsidenten Lula gefangen genommen haben und ihm verbaten, bei den Wahlen anzutreten.

Kapitalistische Offensive und der Staat

Bolsonaro und sein Kabinett stehen nicht nur für eine bösartige kapitalistische Offensive. Sie stellen auch eine autoritäre, bonapartistische Form der Herrschaft dar. Niemand sollte sich von seinem Treueeid zur Verfassung täuschen lassen. Abgesehen davon, dass die verfassungsmäßigen Institutionen der brasilianischen „Demokratie“ selbst ein wesentlicher Bestandteil des Putsches gegen Dilma und die PT waren, sollte niemand die Drohungen von Bolsonaro vergessen, das Land von den „Roten“, also der ArbeiterInnenbewegung, zu säubern.

Um diese Drohungen Realität werden zu lassen, will Bolsonaro die Kräfte der Reaktion gegen die ArbeiterInnenbewegung und die Unterdrückten entfesseln. Mindestens drei Ministerien sollen von Führungskadern der Armee geleitet werden; nicht nur die Verteidigung, sondern auch das Innere und die Bildung! Im Moment werden er und seine Regierung bestrebt sein, sich bei der Erfüllung ihrer reaktionären Aufgaben in erster Linie auf den Staatsapparat zu verlassen. Er wird der Polizei und dem Repressionsapparat freie Hand lassen, um seine GegnerInnen in den linken Parteien, in den Gewerkschaften und unter den Armen in den Favelas anzugreifen oder gar zu töten. Bereits im vergangenen Jahr wurden rund 5.000 Menschen von der Polizei umgebracht, davon 80 Prozent farbige Menschen. Diese „legalen“ Morde dürften zunehmen.

Gleichzeitig wird eine spezielle und militarisierte Polizei gegen die BäuerInnen, die Armen und ArbeiterInnenaktionen eingesetzt, wobei die bereits unter Temer eingeführte gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung genutzt wird. Darüber hinaus werden die Staatsorgane und GroßgrundbesitzerInnen insbesondere bei ihren Razzien gegen die landlosen und armen BäuerInnen auch paramilitärische Banden einsetzen, von denen einige faschistischen Sturmtruppen ähneln.

Die Landlosenbewegung MST dürfte eines der ersten Ziele des neuen Systems sein. Während seines Wahlkampfes drohte Bolsonaro damit, sie als „terroristische Organisation“ zu verbieten. Er hat ein Ende des „Flirts mit Sozialismus, Kommunismus, Populismus und Linksextremismus“ gefordert und im Stil von Trump behauptet, Brasilien „wieder groß zu machen“.

Während des Wahlkampfs, in dem Bolsonaro sich mit seiner typischen abscheulichen rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Demagogie hervortat, drohte er wiederholt mit der Zerstörung der ArbeiterInnen-, Landlosen- und Eingeborenenbewegungen und mit der Rücknahme der Rechte, die Frauen seit dem Ende der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre gewonnen haben.

Er bedrohte die FührerInnen und AktivistInnen der ArbeiterInnenpartei PT: „Entweder sie gehen ins Ausland oder ins Gefängnis. (…) Diese roten Gesetzlosen werden aus unserer Heimat verbannt. Es wird eine Säuberung sein, wie sie in der brasilianischen Geschichte noch nie stattgefunden hat.“ Er hat auch versprochen, die Führung der PT und des Gewerkschaftsverbandes CUT sowie anderer Massenorganisationen wegen „Korruption“ zu säubern und vor Gericht zu stellen. In Wirklichkeit werden alle diese Anschuldigungen nur ein Vorwand sein, um die ArbeiterInnenbewegung zu schwächen und zu enthaupten, um ihre Organisationen wie eine Salami Stück für Stück zu zerschneiden.

Jetzt handeln!

Der Aufstieg der Rechten und der Niedergang der PT können nicht verstanden werden, ohne das Schicksal der brasilianischen Wirtschaft zu betrachten. In den ersten fünf Jahren von Lulas Präsidentschaft 2003 – 2008 wurden zwanzig Millionen BrasilianerInnen aus der Armut geholt, aber dann brach 2008 die Große Rezession aus. Kaum hatte sich das Land davon erholt, als es 2012 in den zweiten Einbruch katapultiert wurde, ausgelöst durch die Sparforderungen des IWF und der US-KreditgeberInnen. Dies dauerte bis ins Jahr 2016 und war die Grundlage für Massenmobilisierungen gegen Dilma und die PT und im August desselben Jahres für den Putsch von Temer, Führer der erzbürgerlichen Partei PMDB.

Die Erholung ist seitdem schwach ausgefallen, nicht zuletzt, weil auch die Regierung Temer die Schrauben bei den Staatsausgaben angezogen hat. Die sozialen Folgen waren nicht nur zunehmende Armut, grassierende Ungleichheit und Massenarbeitslosigkeit, sondern auch ein Anstieg der Gewaltkriminalität, der Kampf zwischen Drogenbanden und mit der Polizei in den Armenvierteln. Die Arbeitslosenquote, die 2013 auf einen Tiefstand von 6,05 Millionen gesunken war, lag im August 2018 bei 12,7 Millionen. Mehr als fünfzig Millionen BrasilianerInnen, fast 25 Prozent der Bevölkerung, leben unterhalb der Armutsgrenze.

Die Tatsache, dass Dilma im Amt war, als die zweite Krise zuschlug, und dass sie den IWF-Forderungen nach sozialen Einsparungen nachgab, erlaubte es den rechten Medien, den evangelikalen Kirchen und den rechtsgerichteten DemagogInnen, die die sozialen Medien nutzten, alles auf die PT zu schieben. Sie wurde als korrupt identifiziert und der Verschwendung von Geldern an die Armen bezichtigt, die sie nicht verdient haben. Dies verstärkte die Krisen- und Abstiegsgefühle innerhalb der Mittelschicht und der ArbeiterInnenaristokratie. Auf dieser Grundlage gewann eine Kampagne des bösartigen Hasses gegen die Armen, die Gewerkschaften, die schwarzen und indigenen Teile der Bevölkerung an Fahrt, während Teile der Bevölkerungsbasis der PT durch die Kürzungen bei den unter Lula geschaffenen Wohlfahrts- und Sozialdiensten, demoralisiert wurden.

Wenn es Bolsonaro und dieser Regierung gelingt, ihr Programm und ihre Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, BäuerInnen und Unterdrückten umzusetzen, wäre dies eine historische Niederlage für die Bewegung nicht nur in Brasilien, sondern auch international. Dieser Erfolg liegt jedoch noch vor ihm, und es ist wichtig, dass keine Zeit mehr mit der Mobilisierung verloren geht, um ihn aufzuhalten.

Haddad hat angekündigt, dass er die Demokratie „verteidigen“ wird, aber weder er noch die FührerInnen des wichtigsten Gewerkschaftsbundes, der CUT, haben einen Aktionsplan nach dem Wahlkampf ausgearbeitet. Diese reformistischen FührerInnen befürchten, dass jeder Aufruf zu Massenaktionen die Reaktionskräfte entfesseln und ihre Organisationen zerschlagen oder illegalisieren könnte.

Die Passivität gegenüber den Bedrohungen wird jedoch die Herzen von Bolsonaro oder seinen AnhängerInnen nicht erweichen; ganz im Gegenteil, sie wird sie nur ermutigen, noch wilder zu sein.

Deshalb sind jetzt entschlossene Maßnahmen erforderlich. Es gibt natürlich Millionen, nicht zuletzt die 45 Millionen, die für Haddad gestimmt haben, die nicht wollen, dass ihre Organisationen oder ihre sozialen Errungenschaften von Bolsonaro und den Kräften hinter ihm zerstört werden. Während des Wahlkampfes entstand eine Frauenmassenbewegung, die Millionen gegen Bolsonaro sammelte. Guilherme Boulos, ein Führer der Obdachlosenbewegung MTST und der Partei des Sozialismus und der Freiheit, PSOL, hat Protestaktionen und die Bildung von „frente amplia“, einer breiten Front, gegen die Vertiefung des Putsches und für Massendemonstrationen am 30. Oktober als Ausgangspunkt gefordert.

Eine Einheitsfront, bestehend aus PT, CUT, MST, MTST und allen linken, sozialistischen, indigenen und Frauen-Organisationen, ist von entscheidender Bedeutung. Sie sollte nicht nur auf einer Vereinbarung über Aktionen zwischen den Führungen beruhen, sondern auch in Aktionsräten an den Arbeitsplätzen, in den Büros, in den ArbeiterInnenvierteln und den Favelas, in den Schulen und Universitäten, in den Städten und auf dem Land verankert sein. Auf dieser Grundlage könnten die ArbeiterInnen, die BäuerInnen, die rassistisch Unterdrückten, die Frauen und die Jugendlichen auf den Ansturm von Bolsonaro mit einem gemeinschaftlich vereinten Klassenkampf reagieren. Wenn beispielsweise Bolsonaro die MST tatsächlich illegalisiert, müssen sich alle zur Unterstützung zusammenschließen, nicht nur mit Massendemonstrationen, sondern auch mit einem politischen Generalstreik.

Ein solcher Streik würde jedoch den Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten ab der ersten Minute erfordern, um die streikenden ArbeiterInnen, die Armen in den Favelas oder die Landlosen gegen die polizeilichen, paramilitärischen oder faschistischen Banden zu verteidigen. Eine solche Einheitsfront müsste an die Wehrpflichtigen in der Armee appellieren, nicht gegen die ArbeiterInnen und BäuerInnen missbraucht zu werden, sondern sich an die Seite der Bevölkerung zu stellen und SoldatInnenausschüsse und -räte zu bilden.

Um die konterrevolutionäre Bedrohung durch Bolsonaro zurückzuwerfen und zu beseitigen, müssen die ArbeiterInnenklasse und all die Unterdrückten revolutionäre Mittel einsetzen: den Generalstreik, die Bildung von Aktionsräten und deren Zentralisierung, den Aufbau von Selbstverteidigungsorganen als ersten Schritt zu einer ArbeiterInnen- und Volksmiliz.

Die revolutionären und linken Kräfte müssen dies erkennen und den reformistischen ArbeiterInnen erklären. Bolsonaro kann nur durch entschlossenes Handeln gestoppt werden, aber das bedeutet, die Frage der Macht an die ArbeiterInnenklasse und die Linke selbst zu stellen. Ein unbefristeter politischer Generalstreik wird seinerseits die Frage der Bildung einer ArbeiterInnenregierung auf der Grundlage der Streikorgane, der Aktionsräte und Selbstverteidigungsorgane aufwerfen, die im Laufe des Kampfes in ArbeiterInnenräte (Sowjets) und Milizen umgewandelt würden.

Eine solche ArbeiterInnenregierung müsste den repressiven Apparat des brasilianischen Staates zerbrechen und die konterrevolutionären, reaktionären Kräfte entwaffnen. Sie würde alle reaktionären Gesetze streichen und die Gleichberechtigung der rassistisch unterdrückten, der indigenen Bevölkerung, der Frauen und der sexuell unterdrückten Menschen sicherstellen. Sie würde Großkapital und Land unter der Kontrolle der Werktätigen verstaatlichen, einen Notfallplan einführen, um den brennenden Bedürfnissen der ArbeiterInnen und der Armen gerecht zu werden und die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen und der ökologischen Nachhaltigkeit neu zu organisieren.

Internationale Solidarität jetzt!

Der Sieg von Bolsonaro wird den mächtigen Rechtsruck in Europa, Nordamerika und sogar rund um den Globus beflügeln und fördern. Das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen der potenziellen Katastrophe, vor der eine der stärksten ArbeiterInnenbewegungen der Welt steht, müssen der internationalen Bewegung unserer Klasse nahegebracht werden.

Die Gewerkschaften, die sozialdemokratischen und Labour-Parteien sowie alle linken Parteien müssen die Solidarität auf den Straßen organisieren. Sie müssen die Freilassung von Lula und anderen inhaftierten PT-FührerInnen fordern, gegen alle Maßnahmen der neuen Regierung gegen unsere Bewegung protestieren und Ressourcen und direkte Aktionen wie ArbeiterInnenboykotte mobilisieren, während die Angriffe von Bolsonaro auf unsere GenossInnen in Brasilien niederprasseln.




Brasilien: Neofaschist Bolsonaro vor dem Sieg

Dave Stockton, Infomail 1024, 11. Oktober 2018

Die massiven politischen und gewerkschaftlichen Bewegungen der brasilianischen IndustriearbeiterInnen, landlosen BäuerInnen und Armen in den Slumvierteln (Favelas) sehen sich einer tödlichen Gefahr gegenüber: der Wahl eines Halbfaschisten, Jair Messias (!) Bolsonaro. Er erzielte im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 49 Millionen Stimmen, 46,3 Prozent. Fernando Haddad, der Kandidat der Arbeiterpartei PT, gewann 31 Millionen Stimmen oder 29 Prozent. Ohne die solide Unterstützung des Nordostens, wo Haddad in 8 der 9 Bundesstaaten vorn lag, hätte Bolsonaro in der ersten Runde auf Anhieb gesiegt.

Aufstieg von Bolsonaro

Der Aufstieg von Bolsonaro war spektakulär. Seine Sozialliberale Partei PSL hat ebenfalls 52 Sitze im Unterhaus gewonnen und ist damit mit 57 Sitzen die zweitstärkste Partei nach der PT. Bei den Parlamentswahlen 2014 hatte sie dort nur einen Sitz. Bolsonaro wurde durch den Attentatsversuch auf ihn während seiner Kampagne zu einem Medienhelden gepusht, unterstützt von rechtsextremen Kräften im Militär, die er umworben hatte, indem er die brutalen Militärdiktatoren des Landes lobte, die das Land von den 1960er bis 1980er Jahren regierten.

Lange Zeit als rechter Außenseiter betrachtet, hat Bolsonaro regelmäßig mit Gewalt gegen die ArbeiterführerInnen gedroht und sich in schlimmster Demagogie und Hassreden gegen die schwarze und indigene Bevölkerung sowie gegen Frauen und Schwule ergangen. Dies passte sehr gut zu einer Massenanhängerschaft unter der privilegierten weißen Mittelschicht, insbesondere in den evangelikalen christlichen Kirchen. Diese soziale Basis ist bitter aufgebracht über die begrenzten Reformen, die die PT-PräsidentInnen Lula da Silva und in geringerem Maße Dilma Rousseff zwischen 2002 und 2016 in Kraft gesetzt haben.

Die PT-geführte Regierung wurde durch einen „legalen“ Putsch des Senats und Rousseffs Vizepräsident Michel Temer am 31. August 2016 gestürzt. Seitdem befindet sich Brasilien mit regelmäßigen Massendemonstrationen und eintägigen Generalstreiks in Aufruhr, und das Land hat sich nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch von 2014 nicht wesentlich erholt. Das Wachstum betrug 2017 – 18 nur ein Prozent. Widerstandskampagnen wurden von der PT und den damit verbundenen Massenverbänden wie der Bewegung landloser ArbeiterInnen, MST, und der Gewerkschaftsföderation, CUT, sowie den bedeutenden linkeren Parteien Brasiliens wie der Partei für Befreiung und Sozialismus, P-Sol, organisiert.

Gegen einen Putsch wie den von Temer zu protestieren, aber die Massen davon abzuhalten, ihn und die bürgerlichen Parteien und RichterInnen, die ihn unterstützt haben, zu stürzen, hat jedoch zu einer Situation geführt, in der die Kräfte der Rechten entschlossen sind, die ArbeiterInnen- und Massenbewegung zu zerschlagen und zu atomisieren. Sie haben keine demokratischen Hemmungen wie die PT-FührerInnen, da sie wissen, die brasilianische Staatsmaschinerie gehört ihnen und man kann sich darauf verlassen, dass sie ihnen gehorcht.

Ihr Ziel ist es, ein Regime der Privatisierung und der neoliberalen Zerstörung der sozialen Errungenschaften und Gewerkschaftsrechte zu schaffen, die in den letzten Jahrzehnten errungen wurden. Rechte für Frauen, Indigene, Landlose und Schwule sowie ihre VerteidigerInnen werden alle angegriffen werden.

Paulo Roberto Nunes Guedes, der wichtigste Wirtschaftsberater von Bolsonaro, ehemaliger Investmentbanker bei Bozano Investimentos Ltd., der seine Karriere an der Chicago School of Economics begonnen hat, hat gesagt, dass Brasilien alles von der Banco do Brasil bis zur nationalen Ölgesellschaft Petróleo Brasileiro S. A. (Petrobras) privatisieren sollte. „Alles muss verkauft werden“, sagte er in einem Interview mit der britischen Nachrichtenagentur Reuters, „vorsichtige und verschämte Privatisierungen werden einfach nicht reichen.“

Zweite Runde

In der zweiten Runde ist Fernando Haddad nun der einzige Kandidat, der Bolsonaro stoppen kann, aber es ist wahrscheinlich, ja sicher, dass er die alte PT-Strategie verfolgen wird, ein Bündnis mit pseudosozialdemokratischen und sogar völlig bürgerlichen Parteien des Zentrums und der Mitte-Rechts um die Idee der „Rettung der Demokratie“ zusammenzupfuschen. Dies ist die alte „Volksfront“-Strategie zur Bekämpfung des Faschismus, die mit katastrophalen Folgen angewandt wurde, zum Beispiel 1936 – 39 in Spanien und 1973 in Chile. Temer selbst war so ein „Verbündeter“!

Der Preis, den solche „Verbündeten“ fordern würden, wäre, das schwache reformistische Programm aufzugeben und ihr Programm anzunehmen. Haddad hat es sofort gesagt: „Ich habe völlige Ruhe, wenn es darum geht, die Programmparameter so anzupassen, dass es das repräsentativste für dieses breite demokratische Bündnis wird, das wir beabsichtigen zu bilden.“

Während die ArbeiterInnenklasse die Hilfe anderer Klassen und ihrer Parteien im Kampf um die Verteidigung ihrer Lebensinteressen niemals ablehnt, muss der Schwerpunkt auf dem tatsächlichen Kampf auf den Straßen und in den Betrieben liegen. Auf der Wahlebene stehen die Chancen schlecht für Haddad, da es wahrscheinlich ist, dass die bürgerlichen Parteien mehr von Bolsonaros Programm zur Plünderung der staatlichen Industrien und zur Abwälzung der Krise auf die ArbeiterInnen und Armen angezogen werden als dass sie um die Bedrohung der Demokratie fürchten. Schließlich waren es auch jene Parteien, die den alles andere als demokratischen Putsch gegen Dilma inszenierten. Auf internationaler Ebene hat „The Economist“ vor der Gefahr Bolsonaros gewarnt, dagegen ist die „Financial Times“ viel vorsichtiger und betrachtet seine neoliberalen Reformen mit Wohlwollen. Sicherlich wird Trump ein halbfaschistisches Regime in Brasilien nicht verurteilen.

Trotz der schlechten Wahlaussichten ist auf dem Gebiet des Klassenkampfes bei weitem nicht alles verloren. Die Gewerkschaften und Parteien der ArbeiterInnen und BäuerInnen können immer noch Millionen mobilisieren, um den Weg zum (Halb)Faschismus oder jede Rückkehr zur Militärregierung zu blockieren. Jedes demokratische Mandat für Bolsonaro wird das Ergebnis eines gigantischen Betrugs sein. Die brasilianische Demokratie wurde lange vor den Wahlen durch den parlamentarischen Staatsstreich und durch die gerichtliche Verhinderung von Lulas Kandidatur und seine Inhaftierung untergraben.

Bolsonaros Gefolgschaft ist noch lange keine organisierte faschistische Bewegung, die sich der ArbeiterInnenklasse und den ländlichen Armen entgegenstellen kann, es sei denn, diese bleiben passiv oder werden von ihren reformistischen Führungen gelähmt. Natürlich können die bestehenden faschistischen Gruppen und die bewaffneten SchlägerInnen der UnternehmerInnen und GrundbesitzerInnen die Kader für eine solche Bewegung stellen, aber das Kleinbürgertum kann von einem entschlossenen proletarischen Widerstand in die Knie gezwungen werden.

Ungeachtet des reaktionären Appetits ihrer Kommandeure ist es bislang nicht gelungen, die Streitkräfte dazu zu bewegen, die Verantwortung nicht nur für die angeschlagene Wirtschaft, sondern auch für die Unterdrückung einer riesigen ArbeiterInnenbewegung zu übernehmen. Alles hängt davon ab, dass die ArbeiterInnenklasse ihre Kräfte mobilisiert und ihre Entschlossenheit zeigt, ihre Rechte und sozialen Errungenschaften nicht ohne einen harten Kampf aufzugeben. Eine solche Entschlossenheit könnte wahrscheinlich die bürgerlichen Kräfte selbst fragmentieren und einige von ihnen paralysieren.

Was kann man also in den Wochen vor der zweiten Runde am 28. Oktober tun? Unsere GesinnungsgenossInnen in Brasilien hatten es bereits vor der ersten Runde deutlich gemacht:

„Wir in der Sozialistischen Liga haben argumentiert, dass linke Parteien eine Einheitsfront aufbauen müssen, um dem Staatsstreich und der reaktionären Rechten eine wirksame Abwehr entgegenzustellen und auch, um die Kombination aus militärischem Bonapartismus und Faschismus, deren Führer Jair Bolsonaro ist, besiegen zu können. (…)

Unser Kampf hört nicht mit dem Ende des Wahlprozesses auf. Im Gegenteil, er wird sich danach intensivieren – unabhängig davon, wer gewinnt. Wir müssen die ArbeiterInnenklasse organisieren, indem wir Widerstandskomitees an Arbeitsplätzen, Schulen, in Nachbarschaften usw. bilden.“ (Liga Socialista, Brasilien vor dem Showdown)

Die internationale ArbeiterInnenbewegung muss unseren Brüdern und Schwestern in Brasilien aktiv helfen. Die anderthalb Millionen Mitglieder der PT, ihre verbündeten Organisationen und ihre Zigmillionen WählerInnen stellen die wichtigste Kraft unserer Klasse in Lateinamerika und eine der stärksten auf der Welt dar. Eine historische Niederlage würde das globale Kräftegleichgewicht noch weiter nach rechts schwingen. Sie würde die Kräfte der Reaktion in anderen Ländern zu ähnlichen Handlungen ermutigen, genau wie die Niederlage in Chile 1973. Die ArbeiterInnenbewegungen in Europa und Nordamerika, in Afrika und Asien müssen den brasilianischen ArbeiterInnen jede erdenkliche Hilfe leisten und alles tun, was sie können, um zu verhindern, dass ihre „eigenen“ Regierungen Bolsonaro unterstützen.




Brasilien vor dem Showdown

Liga Socialista, brasilianische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Neue Internationale 232, Oktober 2018

Die am 7. Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen (erster Wahlgang) finden in einer äußerst angespannten politischen und ökonomischen Lage statt. Nachdem der bisher in den Umfragen führende Präsidentschaftskandidat der ArbeiterInnenpartei, Lula da Silva, von den Wahlen ausgeschlossen wurde, droht derzeit der Sieg des extrem rechten, rassistischen, ja halb-faschistischen Ex-Militärs Jair Bolsonaro.

Der Putsch

Am 31. August 2016 stimmten die Mitglieder des Senats der Anklage gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der PT (der sozialdemokratischen „ArbeiterInnenpartei“) zu, die damit ohne Beweise für von ihr begangene Unrechtmäßigkeiten aus dem Amt entfernt wurde. Tatsächlich war es ein Putsch der reaktionären Rechten, die es nicht mehr ertragen konnte, dass die PT das Land regierte, selbst mit deren Politik der Klassenversöhnung, die den Interessen der Bourgeoisie diente.

Seitdem haben die Putschisten, die Regierung in Zusammenarbeit mit Kongress und Justiz ihre Absichten deutlich gemacht. Es folgten Angriffe auf Arbeitsrecht und soziale Sicherungen, den öffentlichen Dienst – Einführung einer Schuldenobergrenze für die nächsten 20 Jahre – und auf die demokratischen Freiheiten. Neben politischen Morden (so an der PSOL-Abgeordneten Marielle in Rio) macht sich die Gewalttätigkeit der Rechten auch in direkten Militärinterventionen deutlich (Ausnahmezustand in Rio und vielen Favelas).

Heute führt der Putsch, der weltweit verurteilt wurde, zur Zerstörung der Rechte der Arbeitenden und zur Verhaftung der Führung der wichtigsten Organisationen der unteren Klassen. Luiz Inácio Lula da Silva, Präsident Brasiliens von 2003-2011, wurde ohne klare Beweise verurteilt und wird von der Bundespolizei in Isolationshaft festgehalten. Sie können nicht verbergen, dass die Verhaftung von Lula neben dem Ziel, sein politisches Leben und das seiner Partei zu beenden, darauf abzielt, die Rückkehr der PT an die Regierung zu verhindern, da sie wissen, dass jede/r rechte KandidatIn bei den Wahlen gegen Lula verlieren würde.

Eine Wahl ohne Lula ist Betrug

Die PT-Führung fuhr eine politische Linie, die in dem Satz „eine Wahl ohne Lula ist Betrug“ zusammengefasst ist, und kämpfte bis zum Ende für die Kandidatur von Lula für das Präsidentenamt mit Fernando Haddad als Vizepräsidenten. Nach der Abweisung der Kandidatur von Lula appellierte die PT an alle Justizbehörden und sogar an die UN-Menschenrechtskommission, die erklärte, Brasilien solle die Kandidatur von Lula zulassen. Die RichterInnen der Putschisten erkannten jedoch die Entscheidung der UNO nicht an.

Diese Haltung der PT war insofern wichtig, als sie den Protest gegen die ungerechte Verurteilung und Inhaftierung von Lula landes- und weltweit bekannt machte und das Justizsystem und die Staatsführung als das entlarvte, was sie sind. Der Vizepräsidentenkandidat für das semi-faschistische Wahlbündnis von Jair Bolsonaro (PSL), General Hamilton Mourão, sagte sogar, dass er eine militärische Intervention nicht ausschließen würde, wenn Lula als Kandidat antreten könne. All dies trug dazu bei, die Militanz der PT-Mobilisierung zu erhöhen.

Am letzten Tag der vom Obersten Wahlgericht (TSE) festgelegten Frist zur Änderung von BewerberInnen für das Präsidentenamt änderte die PT die Kandidatur auf Fernando Haddad (PT) und lancierte als Vizepräsidentschaftskandidatin Manuela d’Ávila (Manu) von der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB, „ReformkommunistInnen“). Nun versucht die PT, Lula aus dem Gefängnis heraus in die Kampgane einzubeziehen, um sicherzustellen, dass seine massive Zustimmung in der Bevölkerung auf Haddad übertragen wird. Bereits jetzt zeigen Meinungsumfragen, dass dessen Unterstützung zunimmt, obwohl ihm das Charisma von Lula bei der ArbeiterInnenklasse und den Unterdrückten fehlt. Zu bekannt ist auch noch seine Bilanz als Präfekt (Oberbürgermeister) von Sao Paulo.

Die Linke und die Wahlen

Wieder ist es nicht gelungen, eine einheitliche Front der Linken hinter einer/m einzigen KandidatIn für diesen Wahlkampf zu schaffen. Die PSOL (die linksreformistische „Partei für Sozialismus und Freiheit“), beschloss, Guilherme Boulos, den jungen Führer der MTST („Bewegung der wohnungslosen ArbeiterInnen“) als Kandidat für das Amt des Präsidenten vorzustellen und ein Bündnis mit der PCB (die alt-stalinistische „Kommunistische Partei Brasiliens“) einzugehen.

Es ist eine propagandistische Kandidatur, die darauf abzielt, AktivistInnen für die PSOL zu gewinnen und der brasilianischen Linken eine etwas linkere Richtung zu geben. Die Wahlplattform ist jedoch ebenso rein reformistisch ausgerichtet wie die der PT. Aber wie die vorangegangenen Kandidaturen zeigen Meinungsumfragen, dass sie wieder kaum die üblichen 1 % schaffen werden.

Die PCO (Partido da Causa Operária, eine größere zentristische Organisation) arbeitete bis zum letzten Moment mit dem Slogan „Lula oder gar nichts“, obwohl sie nicht am Wahlblock mit der PT teilnahm. Sie hat diese politische Linie fortgesetzt und ihre eigenen KandidatInnen für das Parlament aufgestellt. Sie hat sich nicht der Haddad/Manu-Kampagne angeschlossen.

Die PT hat nun die Haddad/Manu-Plattform gestartet, hatte aber zuvor wieder einmal einen bürgerlichen Bündnispartner gefunden: die PROS (Partido Republicano da Ordem Social – Partei des sozialen Republikanismus). Die PROS unterstützte jedoch den Putsch und stimmte für die arbeit„nehmer“Innenfeindliche Arbeitsreform. Außerdem unterstützt die PT in einigen Bundesstaaaten rechte KandidatInnen wie Renan Calheiros (MDB), Renan Filho (MDB), Eunício Oliveira (MDB) und Paulo Câmara (PSB). Damit missachtet die PT-Bürokratie die Entscheidungen ihrer Basis und Anhängerschaft mit der Begründung, dass solche Allianzen eine notwendige Taktik für den Sieg seien. Wir wissen, dass der wahre Grund ganz anders ist: Die PT-Bürokratie versucht, der Bourgeoisie zu zeigen, dass die Partei unter ihrer Kontrolle und nicht gefährlich für sie ist.

Die PSTU (Partido Socialista dos Trabalhadores Unificado), die der morenoistischen Organisation LIT-IV international angegliedert ist, hat eine skandalöse sektiererische Linie gegenüber den Parteien der ArbeiterInnenklasse eingeschlagen, die, wie so oft, zu grobem Opportunistismus gegenüber den Kräften der Bourgeosie geraten ist. Von Beginn der Anti-Dilma-Mobilisierungen an sowie nach dem Putsch favorisierte sie den Slogan „Weg mit Dilma, weg mit ihnen allen!“ und zeigte damit, dass sie bereit war, sich in eine vereinte Front mit der rechten Bourgeoisie zu stellen, um die PT zu zerstören. Diese gemeinsame Front setzt sich auch heute fort und dies wird durch die Tatsache deutlich, dass sie fordert, dass Lula inhaftiert bleiben muss. Sie hält die „Lava-Jato“-Verurteilungen für rechtmäßig. Diese ursprünglich zur „Korruptionsbekämpfung“ durchgeführte Justizkampagne (gegen die „Geldwaschanlage“ = „Lava-Jato“) ist inzwischen längst zu einer Waffe der Putschisten geworden, die hauptsächlich PT-PolitikerInnen verurteilen und verhaften.

Für eine Einheitsfront

Angesichts nicht nur eines parlamentarischen und juristischen Putsches sollten die Linken sich um eine gemeinsame Abwehrfront bemühen, um einen Sieg der ArbeiterInnenklasse zu erringen. Wir wissen, dass die Parteidifferenzen groß sind, aber sie dürfen nicht als Vorwand verwendet werden, sich einem gemeinsamen Kampf gegen die Rechte zu verweigern. Sicherlich muss die PT ihre Bündnisse mit den rechten Parteien, ihre Regierungen der Klassenversöhnung im Interesse der Bourgeoisie selbstkritisch bilanzieren – eine Politik, die letztlich den Putsch möglich machte, der diesen Rückschlag für die gesamte ArbeiterInnenklasse zur Folge hatte. Damit die immer noch von der PT geführte ArbeiterInnenklasse erfolgreich ist, muss sie gezwungen werden, endgültig mit den Parteien der rechten Putschisten zu brechen. Dies gilt auch für die PCdoB, die an allen PT-Regierungen beteiligt war, z. B. in Maranhão, wo sie die Regierung des Bundesstaates innehat.

Es ist unter diesen Bedingungen nicht verwunderlich, dass eine einheitliche Front der Linken für den Wahlkampf mit PSOL, PCB, PCdoB und PT nicht zustande gekommen ist. Die PT ist die Partei, die die weitaus größte ArbeiterInnenbasis hat, die wir trotz der Stärke ihrer (verräterischen) Bürokratie nicht in deren Händen lassen dürfen. Die Teilnahme der PT-Basis ist sehr wichtig für den Sieg der ArbeiterInnenklasse. Die PSOL erwies sich im Parlament als propagandistisch stark im Kampf gegen den Putsch, gegen Arbeitsreform und Outsourcing, während die PCB dort auch die Stärke und den Wert ihrer AktivistInnen auf der Straße zeigte. Diese Kräfte würden die PT-Bürokratie mit der Taktik der Einheitsfront viel besser bekämpfen, als sie es je durch Wahlkampfrivalität könnten. Was wir brauchen, ist die Einheit in der gemeinsamen Aktion mit dem Recht aller Parteien, ihre eigenen Programme vorzustellen und die ihrer Verbündeten zu kritisieren.

Wir in der Sozialistischen Liga haben argumentiert, dass linke Parteien eine Einheitsfront aufbauen müssen, um dem Staatsstreich und der reaktionären Rechten eine wirksame Abwehr entgegenzustellen und auch, um die Kombination aus militärischem Bonapartismus und Faschismus, deren Führer Jair Bolsonaro ist, besiegen zu können.

Die Wahlen und darüber hinaus

Wenn eine politische Kraft beschließt zu putschen, um die Macht zu übernehmen, hat sie sicherlich nicht die Absicht, sie nach zwei Jahren in diesem Wahlprozess aufzugeben. So kann man sicher sein, dass die Putschisten alles ihnen zur Verfügung Stehende tun werden, um über Jahre bzw. Jahrzehnte an der Macht zu bleiben.

Wir müssen bereit sein, uns auf widrigere Bedingungen des Kampfes für die ArbeiterInnenklasse einzustellen. Die Messerattacke auf den semi-faschistischen Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro (der in den Umfragen führt) macht deutlich, dass Akte des individuellen Terrors jedoch nur der Reaktion nutzen. General Mourão, der Stellvertreter von Bolsonaro, hat bereits begonnen, die politische Linie zu bestimmen und kündigt an, dass er die Attacke zum Anlass für die Abrechnung mit der gesamten Linken nehmen wird. Teile der Bourgeoisie scheinen auch eine direkte Militärintervention für den Fall eines PT-Sieges zu überlegen. Entsprechende Äußerungen wurden bereits vom Oberkommandierenden der Streitkräfte getätigt. In diesem Fall kann nur die vereinte ArbeiterInnenklasse dagegen aufstehen.

Unser Kampf hört nicht mit dem Ende des Wahlprozesses auf. Im Gegenteil, er wird sich danach intensivieren – unabhängig davon, wer gewinnt. Wir müssen die ArbeiterInnenklasse organisieren, indem wir Widerstandskomitees an Arbeitsplätzen, Schulen, in Nachbarschaften usw. bilden.

Wir müssen den Wahlkampf nutzen, um die verschiedenen Sektoren der ArbeiterInnenklasse im Kampf um die Stimmen, aber auch um ihre Rechte und demokratischen Freiheiten zu organisieren.

In diesem Sinne fordern wir die PT und die PCdoB auf, mit der rechten Putschpolitik zu brechen und ihre Anhängerschaft für einen größeren Kampf zu organisieren, die Straßen des Landes zu besetzen und den Kampf für eine gerechte und egalitäre Gesellschaft zu gewährleisten. Wir erkennen die Bedeutung anderer linker Parteien im Kampf gegen den Putsch und gegen Angriffe auf die Rechte der ArbeiterInnenklasse an und wir fordern auch PCB, PSOL und PCO auf, sich in diesem Kampf mit der PT und PCdoB zusammenzuschließen. Wir befinden uns an einem entscheidenden Moment im Klassenkampf.

Die Sozialistische Liga bei den Wahlen

Dieser Wahlkampf ist ganz anders als die vorangegangenen, auch wenn man den letzten berücksichtigt, als der Wahlausgang zwischen Aécio Neves (PSDB) und Dilma Rousseff (PT) sehr knapp war. In diesem Wahlkampf unternehmen die Putschisten natürlich alle Anstrengungen, um an der Macht zu bleiben. Wenn wir jede Anstrengung sagen, beziehen wir uns auf alle Methoden, einschließlich der schmutzigsten und gewalttätigsten. Andererseits ist die Reaktion der Massen auf die Putschisten klar. Aber wir brauchen mehr, wir müssen die ArbeiterInnenklasse für einen größeren Kampf vereinen, gegen die Putschisten und gegen den Imperialismus, der sich durch den Putsch bereichert.

Der Halbfaschist Jair Bolsonaro, der sich nun als Märtyrer ausgeben kann, führt jetzt die Umfragen an. Dies ist ein Mann, der die Regime der Militärdiktatur von 1964-1985 lobt, der die Demokratie offen verspottet und die Militärbasen im ganzen Land bereist, um ihre Unterstützung zu gewinnen. Er wäre eindeutig bereit, durch einen direkten Militärputsch an die Macht zu kommen, der den bisherigen „konstitutionellen Putsch“ wie ein Picknick aussehen ließe. Aber wenn er die Zustimmung der Bevölkerung zu einer Wahl mit dem Spektrum der rechtsbürgerlichen Parteien hinter sich gewinnen könnte, wäre dies natürlich ein großer Vorteil für ihn, sobald er eine massive Repression gegen die ArbeiterInnen und die plebejischen Massen entfesseln würde. Er könnte behaupten, es sei eine legitime Vorgehensweise, die von „dem Volk“ gebilligt wurde. Die militärisch-bonapartistische Seite seiner Politik ist damit klar. Aber es gibt auch eine andere an Bolsanaro, nämlich das Schüren von blankem Rassismus gegen „nicht-weiße“ BürgerInnen, das Aussprechen von Hassparolen und sogar Morddrohungen gegen die Militanten und die FührerInnen der Linken, insbesondere der PT. Frauen und auch LGTB-Menschen müssen mit repressiven und patriarchalischen Politiken rechnen, die sie um Jahrzehnte zurückwerfen werden. All dies zielt darauf ab, eine reaktionäre plebejische Massenbasis auf den Straßen für den Einsatz gegen die ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren. So ist Bolsonaro eine semi-faschistische und semi-bonapartistische Figur.

Was auch immer der genaue Charakter seines Regimes sein mag, wir können sicher sein, dass er einen regelrechten Bürgerkrieg gegen die ArbeiterInnenklasse, die armen Bauern und Bäuerinnen sowie die indigene Bevölkerung auslösen würde, um ihre Organisationen zu zerstören. Es ist von entscheidender Bedeutung, ihn und das Spektrum der rechten Parteien, die ihn unterstützen, zu bekämpfen, eine gemeinsame Front des Kampfes aller Parteien der Linken, aller Organisationen der ArbeiterInnenklasse zu bilden. Die Wahl selbst ist Teil dieses Kampfes, aber sie ist weder der Anfang noch das Ende. Der Wahlkampf sollte genutzt werden, um die Alarmglocken in jedem Teil der Massen zu läuten, um sie bei den Demonstrationen und Kundgebungen, an den Arbeitsplätzen und in den Favelas zu mobilisieren.

Als Teil dieses Kampfes und um die Vereinigung der Massenmitgliedschaft von PT, CUT (der PT nahestehende Gewerkschaftsdachverband) und MST (der PT nahestehende Bewegung der Landlosen) mit den Kräften der Linken zu erleichtern, empfehlen wir eine Stimmabgabe für die Präsidentschafts- und VizepräsidentschaftskandidatInnen der PT/PCdoB. Gleichzeitig werden wir ihre Schwäche und Ausflüchte im Kampf gegen die Rechte kritisieren und die PT-Basis auffordern, diese zu korrigieren und so viel Kontrolle wie möglich in ihre eigenen Hände zu nehmen.

Bei den (gleichzeitig für die Hälfte der Sitze stattfindenden) Wahlen zu den beiden Kammern des Parlaments hingegen empfehlen wir in jedem Wahlkreis eine Stimme für die Partei, die die Mehrheit der organisierten ArbeiterInnen hinter sich hat, sofern sie sich dem Staatsstreich widersetzt und die einheitliche Front der ArbeiterInnen unterstützt hat. Sowohl bei den Präsidentschafts- als auch bei den Parlamentswahlen vermitteln wir eine starke Botschaft der Einheit der ArbeiterInnenklasse, um die Rechte zu besiegen, die demokratischen Errungenschaften wiederherzustellen und zu verteidigen und den Weg zu einer ArbeiterInnenregierung zu ebnen. Eine ArbeiterInnenregierung muss die Macht des bürgerlichen Staatsapparates brechen und den Apparat der Unterdrückung zerstören, alle Verletzungen demokratischer Rechte aufheben und rückgängig machen und die Bedürfnisse der Massen befriedigen, indem sie große soziale Maßnahmen vorantreibt. Diese sollten aus der Besteuerung des Vermögens der Reichen und der großen imperialistischen Banken und Unternehmen bezahlt, das Großkapital entschädigungslos und unter ArbeiterInnenkontrolle enteignet und ein demokratischer Plan zur Befriedung der Bedürfnisse der Massen ausgearbeitet werden.

Deshalb: keine Stimme für den Putsch! Keine Stimme für Parteien, die für die Arbeitsreform und das Outsourcing stimmten. Wir sollten sowohl in der ersten als auch in der zweiten Runde für den PT/PCdoB-Präsidialblock stimmen trotz all unserer Kritik, denn sein Sieg würde die Putschisten in ein Dilemma bringen. Sie müssten entweder mit einem groß angelegten militärisch-faschistischen Staatsstreich an die Öffentlichkeit gehen, zu einer Zeit, in der die Massen bereits in Millionenstärke gegen sie mobilisiert wurden, oder sie müssten sich wieder in ihre Löcher zurückschleichen.

Bei den Parlamentswahlen stimmen wir für die Parteien, die sich zur Verteidigung der ArbeiterInnenklasse zusammengeschlossen haben. In diesem turbulenten Szenario von Angriffen auf demokratische Freiheiten, Rechte und Errungenschaften und angesichts der faschistischen Bedrohung plädieren wir dafür, dass die ArbeiterInnenklasse für die diejenigen Linken in PT, PCdoB, PSOL, PCB und PCO stimmt, die gegen den Putsch und gegen die Angriffe der Putschregierung kämpfen.

  • Stoppt den Putsch von rechts und Bolsonaro!
  • Komitees des Widerstands am Arbeitsplatz und Selbstverteidigungseinheiten der ArbeiterInnen!
  • Auf die Straße zur Verteidigung unserer Rechte und Errungenschaften!
  • Gegen die Rentenreform und für den Widerruf aller anderen Angriffe der Putsch-Regierung!



Brasilien: Lula weiter in Haft

Liga Socialista, 15. Juli 2018, Infomail 1012, 17. Juli 2018

Am Morgen des 8. Juli, einem Sonntag, waren die sozialen Netzwerke in Brasilien begeistert von der Nachricht, dass der Richter des regionalen Bundesgerichts der Vierten Region (TRF4), Rogério Favreto, dem ehemaligen Präsidenten Lula Haftprüfung gewährt hatte, nachdem am Freitag, den 6. Juli, eine Petition von drei Parlamentsmitgliedern der Partido Trabalhadores (Arbeiterpartei) PT, Wadih Damous, Paulo Teixeira und Paulo Pimenta, eingereicht worden war. Es schien, dass Lula bald freigelassen werden würde.

Laut Miguel Martins, dessen Äußerung am 9. Juli auf der Website von Carta Capital veröffentlicht wurde, „stellte Favreto auch den Grund für die Inhaftierung von Lula in Frage: die Weigerung von Cármen Lúcia, der Präsidentin des Bundesgerichtshofs, die Verfassungsklauseln 43 und 44 anzuwenden, die eine Inhaftierung ausschließen, wenn noch Berufungen laufen, wie es bei Lula der Fall war. Favreto forderte die sofortige Freilassung des ehemaligen Präsidenten.“

Doch der Jubel war verfrüht. Die Bundesexekutive kam dem Urteil nicht nach. Stattdessen verschworen sich die PutschistInnen der Regierung gegen Lulas Freilassung und riefen den „Anti-Korruptions“-Richter Sérgio Fernando Moro an, der in Portugal Urlaub machte, aber sofort anordnete, Lula nicht freizulassen. Anschließend setzte er die Präsidenten des TRF4, Richter Carlos Eduardo Thompson Flores und Richter João Pedro Gebran Neto, gegen Richter Favreto ein.

Gebran Neto verlangte, dass die Akten über den Fall Lula an sein Büro geschickt werden und ordnete seine weitere Inhaftierung an. Er sagte, Favreto sei von den PT-Abgeordneten „irregeführt“ worden. Favreto ließ sich jedoch nicht einschüchtern, ordnete die Rückgabe der Akten an sein Büro an und gab der Bundespolizei eine Stunde Zeit, den ehemaligen Präsidenten freizulassen. Bevor der Delegierte der föderalen Polizei diese Entscheidung umsetzen konnte, erließ Flores eine weitere Entscheidung, mit der die von Favreto erlassene Haftentlassungsanordnung ausgesetzt wurde.

Diese Entscheidung und die Art und Weise, wie sie zustande kam, verdeutlicht den politischen Charakter der „Justiz“ als Institution der PutschistInnen, die sie, wann und wie sie wollen, ohne Rücksicht auf die richterliche Hierarchie benutzen.

Die Reaktionen folgten sofort. Es gab Demonstrationen in mehreren Städten, als die Protestbewegung wieder mobilisierte, wütend über das, was am Sonntag geschah. Die Menschen sehen darin eindeutig eine rein politische Verfolgung des ehemaligen Präsidenten Lula. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, einen Mann ohne konkrete Beweise gegen ihn zu verurteilen oder ihn ohne Gerichtsverfahren nach dem Gesetz gefangen zu halten. Noch schlimmer war nun das Manöver des Richters Moro aus der ersten Instanz, um die Einhaltung des Haftprüfungsentscheids des Richters aus der zweiten Instanz zu verhindern.

Es ist klar: Die PutschistInnen haben Angst, dass Lula für die Präsidentschaft kandidieren könnte, weil sie wissen, dass er die Wahl gewinnen kann und dass, je mehr sie ihn verfolgen, seine Umfragewerte steigen werden. Für die PutschistInnen blieb nur, die in der Bundesverfassung garantierten demokratischen Freiheiten zu missachten, um Lula im Gefängnis zu behalten und seine Kandidatur zu verhindern.

Dieser Fall wird vor keinem Gericht des Landes gewonnen werden, da sie alle unter der Kontrolle der PutschistInnen stehen. Sogar während der Militärdiktatur, wenn ein Anwalt eine Freiheitsstrafe für die Befreiung politischen Gefangenen erhielt, wurde er/sie freigelassen. Heute sehen wir genau das Gegenteil. Das Justizministerium selbst manipuliert das System, um zu verhindern, dass ein politischer Gefangener freigelassen wird, sogar mit einem Haftprüfungsurteil, das ihm von einem Richter erteilt wurde.

Gleichzeitig sehen wir, dass der bürgerliche Staat, der bereits von der Krise des Kapitalismus erschüttert wurde, durch die mit dem Staatsstreich entstandene politische Krise zunehmend geschwächt wird. Die Sparmaßnahmen, die die ArbeiterInnenklasse angreifen, Rechte abschaffen, Arbeitsplätze vernichten und Löhne kürzen, erhöhen die Unpopularität der Putschregierung. Die Konsequenz zeigt sich deutlich in Lulas Bewertungen in den Umfragen. Diese Ereignisse vom 8. Juli offenbarten die Verzweiflung der PutschistInnen und zeigten ihre Schwächen. Sie sind „PapiertigerInnen“.

Wir müssen die durch die umstrittenen Ereignisse in der Justiz verursachten Turbulenzen nutzen und weiter daran arbeiten, die Massenmobilisierungen zu intensivieren. GewerkschaftsführerInnen müssen die Gewerkschaftszentralen verlassen und mit ihrer Mitgliederbasis diskutieren, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es keine Möglichkeit für ein stabiles Leben unter der Staatsstreichregierung gibt. Die Angriffe auf Rechte und Errungenschaften von gestern, Lohnverluste und Massenentlassungen werden immer eine ständige Bedrohung sein und die Gewerkschaften werden dies nicht durch formelle Verhandlungen mit den UnternehmenschefInnen verhindern können. Der einzige Ausweg für die ArbeiterInnenklasse besteht darin, „die Waffen zu schärfen“, weil Kämpfe notwendig sind und nur der Sieg uns interessiert.

Dieser Fall kann nur auf der Straße gewonnen werden, wenn die Menschen mobilisiert und bereit sind, sich den PutschistInnen entgegenzustellen und ihnen mit der Kraft der ArbeiterInnenklasse die Macht zu entziehen und dann nur ihnen verantwortliche politische VertreterInnen zu wählen. Nur so werden wir die PutschistInnen besiegen und alle Maßnahmen dieser GangsterInnen, die den Staat im Sturm erobert haben, rückgängig machen können.

Aber auch das ist nicht genug! Der Staatsstreich machte deutlich, dass der bürgerliche Staat und seine Institutionen bankrott sind. Die Legislative, die Exekutive und die Judikative dienen nur den Interessen einer Minderheit, bereichert durch die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse und des natürlichen Reichtums unseres Landes. Einen solchen Staat brauchen wir nicht. Dieser Staatstyp wird niemals den Interessen der ArbeiterInnenklasse dienen, auch wenn er von einer ArbeiterInnenführung regiert wird. Wir haben gesehen, was mit der PT-Regierung geschehen ist, die zwar Maßnahmen ergriffen hat, die Millionen von ArbeiterInnen mit Reformpolitik zugutekamen, aber dennoch eine klassenkollaborationistische Regierung hervorgebracht hat, die multinationale Unternehmen, die Agrarindustrie und BänkerInnen begünstigte. Doch als sich eine Gelegenheit bot, kam die Bourgeoisie mit einem Staatsstreich in die Offensive und erlangte die Kontrolle über den Staat zurück.

Deshalb müssen wir die Kraft nutzen, die in der Einheit und Kreativität der ArbeiterInnen- und BäuerInnenorganisationen liegt, die während jahrzehntelangen Kampfes aufgebaut wurden. Es ist die Aufgabe der ArbeiterInnenklasse, diesen bankrotten Staat zu zerstören und auf seinen Ruinen einen anderen Staat, einen sozialistischen Rätestaat, aufzubauen, damit wir eine gerechte, egalitäre und demokratische Gesellschaft erlangen können.

  • Verteidigt die demokratischen Freiheiten!
  • Raus auf die Straße! Organisiert den Generalstreik!
  • Sofortige Freiheit für Lula!



Brasilien: Der Aufstand der LKW-FahrerInnen

Markus Lehner, Neue Internationale 229, Juni 2018

Ende Mai ging in Brasilien fast nichts mehr. Entscheidende Lebensnerven der Ökonomie wie Autobahnkreuze, Häfen, Flughäfen und Raffinerien wurden durch etwa 500 Blockaden mit jeweils um die 150 LKWs lahmgelegt. Der größte Hafen Südamerikas, der Hafen von Santos nahe Sao Paulo, wurde ebenso stillgelegt wie mehrere große Flughäfen. Schulen und Universitäten mussten durch den Zusammenbruch des Transportsystems schließen. Ebenso gab es Probleme in der Versorgung der Supermärkte und natürlich der Tankstellen.

Überraschenderweise war und ist diese Aktion der LKW-FahrerInnen populär und findet viel Zuspruch in der Bevölkerung (laut Umfragen liegt die Zustimmung bei 87 %), da sie ein zentrales Problem des Alltagslebens der Masse der BrasilianerInnen aufgreift: Die Preiserhöhungen bei Benzin und Diesel seit Antritt der Temer-Regierung treffen nicht nur die LKW-FahrerInnen, sondern sind Preistreiberinnen für alle Güter des täglichen Lebens (auch das viel verwendete Haushaltsgas wurde immer unerschwinglicher).

Hintergrund ist der politische Kampf um die Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Petrobras (der mit etwa 250.000 Beschäftigten größte Industriekonzern Brasiliens), der von der Temer-Regierung weiter betrieben wird. Sofort nach ihrer Amtsübernahme wurde ein neuer Petrobras-Chef ernannt (Pedro Parente), der unter anderem die Preise der Produkte an „Weltmarktpreise“ angleichen sollte. Dies führte seit Juli 2017 z. B. zu einer Erhöhung der Dieselpreise um 50 %.

Entwicklung der Auseinandersetzung

Die Bewegung der LKW-FahrerInnen begann absonderlicher Weise eigentlich als Aussperrung durch die Transportunternehmen. Auch in Brasilien hat die Art der aktuellen kapitalistischen Arbeitsteilung zu einem enormen Anstieg von Transportleistung und Konzentration zu großen Transportunternehmen mit vielen Subunternehmen geführt. Den 6 Verbänden der großen Unternehmen ging es vor allem um Druck auf die Regierung wegen deren Pläne zur Aufhebung von Steuererleichterungen. Als Verhandlungsmasse kündigten sie die Einstellung der Transportleistungen an – was einer Aussperrung gleichkam. Doch als es zu einem Abkommen am 24. Mai mit dem Großteil der Verbände zu diesem Thema kam, war die Aktion schon längst deren Kontrolle entglitten. Die selbstständigen FahrerInnen hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon über soziale Medien zu selbstorganisierten Blockadeaktionen verabredet. Insbesondere der Verband der autonomen FahrerInnen stellte die Forderungen nach Dieselpreissenkungen und der Streichung der Autobahnmaut für Leerfahrten in den Vordergrund der spontan immer mehr um sich greifenden Aktionen.

Inzwischen ist ein Kampf um die politische Führung dieser Bewegung entbrannt. Einerseits versucht die politische Rechte, Einfluss zu nehmen. Ein Kern von rechten FahrerInnen hatte schon in der Bewegung zum Sturz der PT-Regierung eine unrühmliche Rollte gespielt. Jetzt fallen sie wieder auf durch Sprüche und Transparente, die das Hinwegfegen der „korrupten PolitikerInnen“ durch eine Regierung der „Ordnung“, durch das Militär fordern. Faschistoide Gruppierungen wie die MBL versuchen, sich zu verankern, indem sie den LKW-FahrerInnen Lebensmittel und Kaffee zu den Blockadepunkten bringen, so wie sich auch der faschistische Präsidentschaftskandidat Bolsonaro öffentlich mit den FahrerInnen solidarisiert. Andererseits gab es auch linke Unterstützungsaktionen bei Blockaden und Solidarisierungen durch die Gewerkschaften anderer Bereiche. Insbesondere hat die CUT-Sektion bei Petrobras, die FUP (Föderation der ÖlarbeiterInnengewerkschaften) für den 30. Mai zu einem dreitägigen Solidaritätsstreik aufgerufen. Dieser wurde als politischer Streik kurz vor Beginn vom obersten Arbeitsgericht verboten. Als typisch legalistische Gewerkschaft hat daraufhin die FUP-Führung den Streik zunächst ausgesetzt. Dabei ist auch für viele LKW-FahrerInnen die Solidarisierung mit den ÖlarbeiterInnen das zentrale Anliegen.

Die Regierung hat auf die Blockaden mit Nervosität reagiert. Temer kündigte den Einsatz des Militärs an (daraufhin wurde er in Karikaturen als Panzerfahrer dargestellt, der feststellen muss, dass er kein Benzin mehr hat). Am 26. Mai wurde eine Senkung des Dieselpreises per staatlicher Subvention um 0,46 Real (portug.: Reais) zugestanden sowie eine monatliche Preisberatung. Auch bei der Autobahnmaut gab es Zugeständnisse. Trotzdem setzte der Großteil der LKW-FahrerInnen, denen die Zugeständnisse nicht weit genug gingen, den Streik fort. Am 30. Mai schließlich wurde der Hafen von Santos durch das Militär unter heftigen Straßenkämpfen geräumt. Die Auseinandersetzung wird sich sicherlich in den nächsten Tagen und Wochen weiter zuspitzen.

Hier die Erklärung unserer GenossInnen der Liga Socialista vom 26. Mai 2018 zu den Aufgaben der Linken.

 




Brasilien: Die Aufgaben der Linken

Erklärung der GenossInnen der Liga Socialista, 26. Mai 2018, Neue Internationale 229, Juni 2018

Diese Bewegung begann als Aussperrung der Transportunternehmen, diese verloren aber schließlich die Kontrolle über die ArbeiterInnen. Es wird heftig diskutiert, um was für eine Art „Streik“ es sich hier handelt. Es gibt auch Ablehnung der Bewegung, da sie Elemente der Anti-Dilma-Putsch-Bewegung in ihren Reihen hat, die heute eine militärische Intervention unterstützen und mit dem extrem rechten Kandidaten verbunden sind. Aber wir können nicht leugnen, dass sich die Mehrheit der FahrerInnen um eine legitime Forderung organisiert, die alle erreicht: die Senkung der hohen Treibstoffpreise.

Der Bewegung ist es effektiv gelungen, viele Bereiche der brasilianischen Ökonomie und des öffentlichen Lebens lahmzulegen und gleichzeitig große Unterstützung zu bekommen. Die Frage der Treibstoffpreise ist mit der allgemeinen Verteuerung des Alltagslebens verbunden. Der Protest verbindet sich für viele BrasilianerInnen mit der allgemeinen Unzufriedenheit über die soziale Lage: die Arbeitsmarktreformen, die Rentenreform, die Schuldenbremse bei den öffentlichen Haushalten, die Misere an Schulen und Universitäten, die hohe Arbeitslosigkeit, das dramatische Sinken der Reallöhne, die Einsparungen im Gesundheitsbereich etc. Die objektiven Gründe für die Ausweitung dieser sektoralen Aktionen zu einem Generalstreik liegen auf der Hand!

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was gerade passiert: Natürlich versuchen mehrere Sektoren der Rechten, die TransportarbeiterInnen-Bewegung zu nutzen, um ihre demagogischen Parolen gegen die „korrupten PolitikerInnen“ und für eine Militärdiktatur an die Streikenden zu bringen (bzw. das „Chaos“ zu nutzen, um das Militär zu rufen). Auf der anderen Seite hat sich der prekär beschäftigte Teil der LKW-FahrerInnen von den rechten Verbänden gelöst, akzeptierte das mit der Regierung ausgehandelte Abkommen nicht und hat begonnen, sich für die Fortsetzung der Blockaden selbst zu organisieren. Die Szenerie der Bewegung verändert sich beständig. Unternehmen und Regierung haben die Kontrolle über die Situation verloren. Die Regierung hat nun die Sicherheitskräfte zu gewaltsamen Aktionen autorisiert – Autobahnpolizei, Bundesarmee und Militärpolizei haben die Aufgabe, die Straßen zu räumen. Das heißt, jetzt beginnt die Bewegung, Repressionen zu erleiden – und kann für eine Radikalisierung in verschiedene Richtungen gewonnen werden.

Die Führung der ArbeiterInnenklasse muss jetzt dringend handeln.

Angesichts der Situation, in der wir uns befinden, muss sich die Bewegung der LKW-FahrerInnen in eine allgemeine Bewegung des Kampfes gegen die Krisenpolitik verwandeln. Auch wenn der Streik der ÖlarbeiterInnen am 30. Mai vorerst ausgesetzt wurde, ist die Vereinigung des Kampfes von LKW-FahrerInnen und Petrobras-Beschäftigten zentral für den Erfolg des Kampfes. Es ist dringend notwendig, eine Einheit aufzubauen. Der Generalstreik ist das Instrument, um Übergangsforderungen der ArbeiterInnenklasse in sich vereinigenden Kämpfen verankern zu können.

Es ist eine grundlegende Aufgabe der Führung der ArbeiterInnenklasse, insbesondere des CUT, der größten Gewerkschaft in Lateinamerika, alle Basisorganisationen aufzurufen, einen Generalstreik zu organisieren!

Wir dürfen uns nicht auf Fragen der Wahltaktik beschränken. Für uns ist es nicht genug, Temer zu stürzen und Lula zu wählen bzw. für dessen Freilassung einzutreten. Es ist notwendig, einen effektiven Kampf mit unseren Forderungen und unter unserer Flagge zu führen, um diese Angriffe abzuwehren und in die Offensive überzugehen.

Jede Bewegung der ArbeiterInnen muss als ein Funke verstanden werden, der den Kampf im ganzen Land verbreiten wird, um dieses System zu stürzen. Die Führungen der linken Parteien, der Gewerkschaftszentralen und der sozialen Bewegungen müssen die ArbeiterInnenklasse zum vereinten Kampf rufen.

Der CUT weigert sich jedoch, den Generalstreik auszurufen. Er unterstützt die Bewegung der Lkw-FahrerInnen, kritisiert die Politik von Temer/Parente bei Petrobras, fordert aber keinen Generalstreik. Ungeachtet des genauen Charakters der derzeitigen Bewegung ist sie ein Moment der Agitation und des sozialen Umbruchs, bei dem es auf das Eingreifen der großen ArbeiterInnenorganisationen ankommt.

Es ist von grundlegender Bedeutung, den durch den Streik der FernfahrerInnen eröffneten Raum zu besetzen, die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse zu organisieren, mit allen Sektoren zu diskutieren, die Diskussionen der ArbeiterInnen auf die Tagesordnung der Linken zu setzen! Wir müssen die vielen Kämpfe zur Abwehr der Sparmaßnahmen vereinen und ausweiten. Wir müssen Klarheit und Ruhe haben, um zu verstehen, dass das, was heute auf dem Spiel steht, alle ArbeiterInnen betrifft. Wir können uns nicht in Eitelkeiten und Rache verlieren. Es ist Zeit für den Kampf. Entweder wir handeln jetzt oder wir werden den Zug der Geschichte verpassen und eine riesige Chance, diese Putschregierung zu besiegen, die Verluste, die uns auferlegt wurden, zu überwinden und den Weg für den Aufbau einer gerechten, egalitären und demokratischen Gesellschaft, einer sozialistischen Gesellschaft zu öffnen!

  • Für die Einheit der ArbeiterInnenklasse!
  • Weg mit allen Angriffen der Putschregierung!
  • Verteidigung von Petrobras und Elektrobras, 100 % staatlich und unter Kontrolle der-ArbeiterInnen!
  • Weg mit Temer! Allgemeine Wahlen!
  • Generalstreik, jetzt!



Brasilien: Die Verhaftung Lulas

Liga Socialista Brazil; infomail 1000, 21. April

Zurzeit herrschen angespannte Tage in Brasilien. Die politische Instabilität, welche mit dem parlamentarischen Putsch begann, verstärkte sich in den Tagen vor der Haftprüfungsanhörung Lulas vor dem Obersten Bundesgerichtshof am Mittwoch, dem 4. April 2018.

Am Vorabend des Prozesses gab Armeegeneral Eduardo Villas Boas eine Erklärung über die sozialen Netzwerke ab, in der er mit einer militärischen Intervention drohte, falls der Gerichtshof die richterliche Haftprüfung von Lula gewähre, da diese seine Freiheit garantiere.

Die Beteiligung des wichtigsten brasilianischen Fernsehsenders „Rede Globo“ an solchen Plänen wurde durch den Ton der Berichterstattung deutlich. Die Botschaft war sehr deutlich: entweder werde Lula verhaftet oder es drohe ein Militärputsch.

Heuchelei

Die Abstimmung des Gerichts über Lulas Fall machte die Heuchelei deutlich. Dies wurde durch das Votum von Richterin Rosa Weber unterstrichen, die ausdrücklich anerkannte, dass die Verhaftung Lulas in dieser Phase des Verfahrens verfassungswidrig sei. In diesem Fall würde sie diese jedoch unterstützen! Ihr Votum hatte zur Konsequenz, dass im Gerichtshof bezüglich der Verhaftung Lulas ein Abstimmungspatt herrschte. So war es die Stimme der Präsidentin des Gerichtshofs, Carmén Lúcia, die für eine Mehrheit gegen die Gewährung einer richterlichen Haftprüfung sorgte.

Die übereilte Abstimmung des Gerichts hatte das einzige und ausschließliche Ziel, Lula vor den diesjährigen Wahlen von seinen politischen Aktivitäten abzuhalten, indem sie ihn ins Gefängnis schickte, noch bevor er sein Recht auf Berufung geltend machen konnte.

Laut der Umfrage des Politbarometers „Estadão – Ipsos“  die am 4. März veröffentlicht wurde, liegt die politische Unterstützung von Lula bei 42 Prozent und damit leicht unter den 44 Prozent des Vormonats.

Damit liegt er vor Marina Silva (Rede) mit 29 Prozent, Jair Bolsonaro (PSC, Sozial-Christliche Partei) mit 24 Prozent, dem Gouverneur von Sao Paulo Geraldo Alckmin (PSDB, Partei der Sozialen Demokratie Brasiliens) mit 20 Prozent und Ciro Gomes (PDT, Demokratische ArbeiterInnenpartei) mit 18 Prozent. Nur Luciano Huck, der Rede Globo-Moderator, liegt mit 56 Prozent Zustimmung vor Lula.

Die Situation wird noch absurder durch die Tatsache, dass derselbe Oberste Gerichtshof verschiedene führende Mitglieder der MDB (Brasilianische Demokratische Bewegung) und PSDB freigesprochen hat, die mit schweren Anschuldigungen konfrontiert waren, die, anders als in Lulas Fall, auf harten Beweisen beruhten. Dies macht noch deutlicher, dass es sich um eine politische Verfolgung und Ausgrenzung von Lula und der ArbeiterInnenpartei PT handelt – einen klaren Fall von Klassenjustiz.

Am Tag nach der Abstimmung erließ Richter Sérgio Moro den Haftbefehl, der eine Frist für die Stellung von Lula an die Bundespolizei in Curitiba bis zum 6. April festlegte.

Antwort der Klasse

Es kam zu einer sofortigen militanten Antwort. Der frühere Präsident Lula, der den Prozess des Gerichtshofs und dessen Schlussabstimmung im „Institut Lula“ verfolgte, ging anschließend in die Büros der Metallarbeitergewerkschaft der ABC-Region (dem Industriegürtel um Sao Paulo) und blieb dort, geschützt durch eine großen Anzahl von militanten AktivistInnen, für fast 2 Tage. Es ist wichtig, die Präsenz der PCO (Partei der Arbeitersache) hervorzuheben, die eine große Kampagne gegen die Verurteilung und Verhaftung von Lula geführt hat.

Die linken Parteien, mit Ausnahme der PSTU (Vereinigte Sozialistische ArbeiterInnenpartei), haben alle Positionen zur Unterstützung Lulas bezogen. Die PCO, PCB (Brasilianische Kommunistische Partei), PCdoB (Kommunistische Partei von Brasilien, PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) und die PDT veröffentlichten eine Erklärung zur Unterstützung Lulas und nahmen an den Solidaritätsdemonstrationen teil. Die PräsidentschaftskandidatInnen wie Manuela d’Ávila (PCdoB) und Guilherme Boulos (PSOL) standen ebenfalls auf der Seite Lulas. Die Losung, welche die linken Kräfte derzeit eint, ist die Verteidigung der demokratischen Rechte. Für alle linken Kräfte außer der PSTU ist die Verurteilung und Verhaftung von Lula eine politische Verfolgung und ein Angriff auf die demokratischen Rechte.

Die CUT, der größte Gewerkschaftsdachverband Brasiliens, zeigte ihre Fähigkeit, die ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren und handelte mit größerer Agilität und Entschlossenheit als selbst gegen die „Arbeitsmarktreform“. Eine Konfrontation war unvermeidlich. Die Polizei eröffnete das Feuer mit scharfer Munition gegen MST (Landlosenbewegungs)-AktivistInnen, die über 50 Autobahnen in 24 Staaten schlossen. Im Gegensatz dazu waren die rechten Demonstrationen zur Unterstützung von Lulas Verhaftung schwach, und viele DemonstrantInnen wurden für ihr Erscheinen bezahlt.

Lula sagte, er würde am Freitag nicht in Curitiba erscheinen. Er schlief in den Gewerkschaftsbüros und am nächsten Morgen nach dem Kaffee besuchte er die Gedenkmesse für seine verstorbene Frau Marisa. Er war umgeben von einer großen Zahl AktivistInnen, die dorthin gingen, um ihn dazu aufzufordern, sich nicht zu ergeben. Mehrere KünstlerInnen und ParteiführerInnen der Linken und Gewerkschaften waren anwesend, um den ehemaligen Präsidenten zu unterstützen.

Bald nach der Messe hielt Lula eine Rede, in der er seine Standhaftigkeit demonstrierte und sagte, er wisse, dass „sie“ seinen Kopf gebeugt, besiegt und beschämt sehen wollten. Diese Freude wolle er „ihnen” aber nicht bereiten. Er sagte auch, dass er sich nicht aufgeben würde, weil er kein Dieb ist und nicht akzeptieren würde, dass man ihn einen nennt. Er sagte, er würde sich bei der Bundespolizei melden.

Als er in ein Auto stieg und gerade abfahren wollte, umgab ihn die AktivistInnenschar, welche ihn nicht durchließ, sondern versuchte, das riesige Tor zu schließen. Lula musste sich zurückziehen und in die Gewerkschaftsräume zurückkehren, wo er noch einige Stunden wartete. Als sich die aufgeheizte Stimmung abkühlte, beschloss er, abzufahren und spazierte durch die Menge der AktivistInnen, die immer noch versuchten, ihn aufzuhalten. Schließlich gaben sie seinem Willen nach und Lula stieg in das Auto der Bundespolizei ein, die schon auf ihn gewartet hatte.

Lula wurde zum Flughafen und von dort nach Curitiba gebracht, wo er im Hauptquartier der Bundespolizei eingesperrt wurde. Seit Sonnenaufgang hatten sich Militante vor dem Gebäude versammelt, um ihre Unterstützung für Lula zu zeigen. Dabei wurden sie von der Militärpolizei angegriffen, wobei 8 Personen durch Tränengas und Gummigeschosse verletzt wurden. Nach der Ankunft Lulas als Gefangener griff die Bundespolizei die linken AktivistInnen mit unverhältnismäßiger Gewalt an. Dabei wurden eine Frau und vier Kinder verletzt.

Später wurden jene, welche den Arrest Lulas unterstützen, mit Lächeln und Applaus von der Bundespolizei empfangen.

Wir in der Sozialistischen Liga haben die Regierungsstrategie der PT mit ihrer Politik der Klassenversöhnung, die dazu geführt hat, dass den Bankiers und multinationalen Konzernen auch während der Krise von 2008 exorbitante Gewinne zugestanden wurden, stets kritisiert.

Wir wissen, dass die PT bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht offen mit den rechten Parteien gebrochen hat, die diesen Putsch planten, und dass Lula nach einer Person aus Unternehmenskreisen als StellvertreterIn auf der Liste Ausschau hielt. Im Moment ist es aber sehr schwierig für alle UnternehmerInnen oder PolitikerInnen der Rechten, mit einen Gefangenen als StellvertreterIn zu kandidieren.

Lula ist wütend, aber nicht geschlagen. Die PT organisiert Komitees für die Freiheit von Lula im ganzen Land. Märsche von AktivistInnen aus verschiedenen Teilen des Landes werden organisiert, um nach Curitiba zu fahren, sich den dortigen AktivistInnen anzuschließen und Lula zu unterstützen. Die PT erklärt, dass es keinen Plan B für die Wahlen gibt, was mit anderen Worten bedeutet, dass Lula und die PT keine anderen KandidatInnen oder NachfolgerInnen ernennen werden, um ihn zu ersetzen. Es sieht also mit großer Wahrscheinlichkeit so aus, dass Lula ein Präsidentschaftskandidat wird, welcher vom Gefängnis aus antreten muss.

Es gibt Meldungen, nach denen Lulas Verurteilung und Verhaftung von der internationalen Presse wie der Washington Post und Le Monde verurteilt wird. Auch linke PolitikerInnen wie Maduro und Mélenchon haben sich für Lula ausgesprochen.

In der jetzigen Situation ist es wahrscheinlich, dass die Agitation und die politische Konfrontation in Brasilien noch lange andauern und die Wahlen 2018 in einer ganz anderen Atmosphäre abgehalten werden als in den letzten Jahrzehnten.

Der Kampf um Lulas Freiheit eint zwar die Linke. aber sie hat es bisher versäumt, eine gemeinsame politische und klassenkämpferische Antwort zu Wahlen zu präsentieren.