Schule muss anders! Aber wie?

REVOLUTION, Neue Internationale 276, September 2023

Warum das Bildungssystem in einer fundamentalen Krise steckt und was wir dagegen tun können

Nach 10 Stunden Frontalunterricht mit mindestens 25 Schüler:innen in einer Klasse kommen wir nach Hause und möchten uns einfach nur noch die Bettdecke über den Kopf ziehen und raus aus dieser Scheiße. Nachdem von den Französischvokabeln, den Anaphern im Goethe-Gedicht und der mathematischen Integralgleichung kaum noch was hängengeblieben ist, scheint wenigstens eins klar zu sein: Dieses Bildungssystem ist genauso marode wie das Schulgebäude, in dem es durch die Decke tropft und in der Umkleidekabine schimmelt.

Leistungsterror als Antwort auf Unterfinanzierung

Obwohl Bildungsstreikbewegungen, Jugendorganisationen und Gewerkschaften schon seit über 10 Jahren davon reden, scheint es nun auch bei der sogenannten Allgemeinheit angekommen zu sein, dass neben Unis und Kitas vor allem auch unsere Schulen in einer fundamentalen Krise stecken. Von FAZ bis taz verdrückt die bürgerliche Presse eine dicke Krokodilsträne nach der anderen darüber, dass immer neue Vergleichsarbeiten bestätigen, dass es den Schüler:innen an elementaren Grundkenntnissen wie Rechnen, Lesen und Schreiben mangelt. Kein Wunder, denn die PISA-Studie hat bestätigt, was wir schon lange wussten: Bildungserfolg hängt in Deutschland vor allem vom Einkommen unserer Eltern ab. Und das in Deutschland in sogar noch stärkerem Maße als in Mexiko, Ungarn oder Polen. Aber anstatt das Problem der massiven Unterfinanzierung unserer Schulen anzugehen, wird uns Schüler:innen eingeredet, wir würden uns halt einfach nicht genug anstrengen und seien demnach auch selber schuld, wenn wir den ganzen Tag nur am Handy „daddeln“ (Boomersprache für „das Handy benutzen“; Boomer: über 50 Jahre alte Person, die sich über das Verhalten der Jugend  aufregt). Aber nachdem nun auch die bürgerliche Presse auf die Probleme in den schulischen Leistungen hingewiesen hat, mussten die Landesregierungen handeln. Anstatt eines Investitionspakets Bildung, der Einstellung neuer Lehrkräfte und der Bereitstellung von kostenloser Nachhilfe hat man sich gedacht: „Wenn die Schüler:innen zu faul zum Lernen sind, müssen wir halt den Druck und die Vergleichbarkeit erhöhen.“ Praktisch bedeutet das für uns eine schärfere Selektion im 3-gliedrigen Schulsystem, die Erhöhung der Anzahl von Prüfungen und eine Verkürzung der Regelschulzeit von 13 auf 12 Jahre im Rahmen des sogenannten „G8“-Abis. Corona hat diesem Prozess noch das Sahnehäubchen aufgesetzt. Der durch die Lockdowns verpasste Lernstoff soll jetzt einfach noch zusätzlich draufgepackt werden. Dieser künstlich erzeugte Leistungsdruck geht auf unsere (mentale) Gesundheit. So ist die Anzahl derer von uns, die sich in psychotherapeutischer Behandlung befinden, in den letzten 10 Jahren um mehr als das Doppelte angestiegen.

Mit Privatisierung gegen die Bildungskrise?

Obwohl die klassisch neoliberale Antwort „Der Markt wird’s schon lösen“ bereits in der Coronapandemie, der Klimakrise, der Wohnungskrise und der Inflationskrise nicht funktioniert hat, wird sie nun auch in der Bildungskrise versucht, indem auf die „unternehmerische Initiative des freien Marktes“ gesetzt wird. Praktisch heißt das: Privatisierung statt stabiler öffentlicher Ausfinanzierung. Eine Öffnung unserer Schulen für den freien Markt findet heute insbesondere unter den Vorzeichen der „Digitalisierung“ statt. Klingt ja erstmal eigentlich ganz gut, denn während der Coronapandemie haben wir gemerkt, dass weder unsere 70 Jahre alte Mathelehrer:in noch unsere 70 Jahre alte Technik für das Homeschooling bereit waren. Doch unter Digitalisierung versteht der Staat keine flächendeckenden Investitionen in eine auf Open Source basierte digitale Infrastruktur unserer Schulen, sondern eine Öffnung des öffentlichen Sektors für die Privatwirtschaft. Über Sponsoringverträge mit Softwarekonzernen kann eine Schule ein nagelneues Computerkabinett oder eine Schulcloud bekommen, wenn sie sich nur dazu verpflichtet, das Konzernlogo gut sichtbar aufzuhängen und alle weiteren Update- und Softwarepakete von derselben Firma zu erwerben. Wenn sich Schulen weigern, geht’s halt weiter mit dem Mathebuch, mit den Bildern, auf denen die coolen Kids aus den 1990ern Spaß beim Lernen haben. Doch auch die Schulbücher werden nicht vom Staat kostenlos bereitgestellt, sondern wir müssen natürlich dafür zahlen. Für die meisten Familien, die unter inflationsbedingtem Reallohnverlust leiden, ist jedoch am Monatsende kaum noch Geld für Schulbücher da. Dazu kommen dann auch noch die ganzen anderen privatisierten Kosten für Kunstmaterial, Sportzeug, Klassenfahrten, Mensaessen, Arbeitsmaterial usw. Hinzu kommt, dass wir auch mit dem ganzen neu gekauften Kram nicht lernen können, denn entweder gibt es nicht genügend Räume für alle Klassen oder die Klassenräume sind so ekelhaft, dass man lieber raus geht für den Unterricht. Bei speziellen Fachräumen mit besonderem Equipment zum Beispiel für Chemie, Physik, Informatik, Musik und Kunst sieht die Lage noch schlimmer aus. Sportunterricht kann teilweise nicht stattfinden, weil es im Winter keine beheizten Hallen gibt. Ein Grund für den massiven Unterrichtsausfall ist also auch der Mangel an Räumen. Auch wenn Unterrichtsausfall erst einmal immer nach mehr Spaß und Freizeit klingt, heißt das im Umkehrschluss, dass diese ausgefallene Unterrichtszeit privatisiert wird, indem sie nach Hause verlagert wird. Eigentlich praktisch, denn da muss der Staat weder Wasser noch Heizung noch Miete noch Personal bezahlen. Meistens passiert das durch die Berge von Hausaufgaben, die eigentlich nur ins Private verlagerte Unterrichtszeit darstellen. Dasselbe gilt für „Online-Unterricht“, der uns dann auch als Schulung digitaler Kompetenzen schmackhaft gemacht werden soll.

Angriffe auf die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften

Nicht nur aus uns Schüler:innen wird versucht, alles Verwertbare auszupressen, auch aus unseren Lehrer:innen. Diese sollen bei gleichbleibendem Lohn nun immer mehr Schüler:innen in einer Klasse unterrichten und immer mehr zusätzliche Aufgaben wie Inklusion, Digitalisierung, Berufsorientierung und Verwaltung übernehmen. Kein Wunder, dass laut einer Studie der Bildungsgewerkschaft GEW über ein Drittel unserer Lehrer:innen im Laufe ihrer Berufslaufbahn ein Burnout oder Anzeichen dafür entwickeln. Immer weniger Menschen wollen diesen Job machen, so dass es in den letzten 10 Jahren bis zu 14 Prozent weniger Lehramtsstudiumsabsolvent:innen gab. Für uns wird das am massiven Unterrichtsausfall deutlich und daran, dass das Wort „Vertretungsunterricht“ aus dem Stundenplan in die Geschichtsbücher geflüchtet ist. Prognosen nehmen an, dass aktuell bis zu 100.000 Lehrkräfte fehlen. Für unsere Lehrer:innen heißt das, dass sie die Arbeit von den fehlenden 100.000 Lehrkräften zusätzlich tragen müssen und das natürlich zum gleichen Lohn.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte spielt auch die Demographie eine wichtige Rolle: So gehen aktuell die geburtenstarken Jahrgänge der sogenannten „Babyboomer“ in Rente, während die geburtenschwachen Millennials jetzt in das Berufsleben eintreten und zahlenmäßig nicht ausreichen, um die Pensionierungswelle der Boomer auszugleichen. Hinzu kommt, dass die jetzt eingeschulten Jahrgänge wieder angewachsen sind durch stärkere Geburtenraten und Migration aus der Ukraine. Während die Bildungsstreikbewegung und die GEW diese Entwicklung bereits Anfang der 2000er Jahre prognostiziert haben, haben Land und Bund das Problem systematisch kleingerechnet und als „unnötige Panikmache“ abgetan. Das ist nun nicht mehr so leicht möglich. So hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusminister:innenkonferenz (kurz KMK, hier treffen sich die Verantwortlichen für Bildung und Kultur aller Bundesländer) ein Papier veröffentlicht, das bestätigt, dass es einen massiven Lehrkräftemangel in Deutschland gibt. Man könnte jetzt denken, dass die Landesregierungen sich nun Maßnahmen überlegen, wie man wieder an mehr Lehrkräfte kommt, um uns Schüler:innen unser verfassungsmäßig verbrieftes Recht auf Bildung zu gewähren. Doch die dafür nötigen 100 Milliarden werden für die Bundeswehr gebraucht. Also hat die KMK Vorschläge erarbeitet, nicht wie unsere Schulen an mehr Lehrer:innen kommen (denn das kostet Geld), sondern wie sie mit weniger Lehrer:innen besser zurechtkommen können. Die dort vorgeschlagenen Maßnahmen sind eine dicke Schelle ins Gesicht von uns allen: Die Klassengröße soll erhöht werden, pensionierte Lehrer:innen sollen aus dem Ruhestand zurückgeholt werden, die Pflichtzahl an wöchentlichen Unterrichtsstunden für Lehrkräfte soll erhöht werden und durch Online-Unterricht soll eine Lehrkraft mehrere Klassen gleichzeitig unterrichten können. Und das ist keine dunkle Fantasie einer dystopischen Hölle: In NRW, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt wurden Teile davon sogar schon umgesetzt. In Berlin wird derweil laut darüber nachgedacht, angeblich weniger wichtige Fächer wie Geschichte, Politik, Ethik, Sport, Musik und Kunst einzukürzen.

Lasst uns unsere Schulen zurückholen!

Dass wir in einer tiefen Bildungskrise stecken, müssen wir nicht mehr diskutieren, das sieht mittlerweile auch die FDP ein. Offen bleibt nur, wer die Kosten dieser Krise zahlen soll. Sind es wir Schüler:innen durch mehr Leistungsterror, größere Klassen und schärfere Selektion oder Regierungen und Kapital, die tiefer in die Tasche greifen müssen, um Geld für unsere Bildung lockerzumachen. Ersteres zu verhindern und Zweiteres zu erreichen, stellt den zentralen Kampf dar, den wir führen müssen. Krise heißt ebenso wie beim Klima oder der Wirtschaft auch immer Potenzial für eine Bewegung dagegen.

Einen Ansatzpunkt dafür bietet der Aktionstag von „Schule muss anders“ (SMA) am 23.9.! Wir unterstützen die Hauptforderungen der Initiative nach 1. kleineren Klassen, 2. mehr Investitionen in die Bildung, 3. multiprofessionellen Unterrichtsteams und 4. einer unabhängigen Beschwerdestelle gegen Diskriminierung zu 100 Prozent und schließen uns mit allen unseren Ortsgruppen der Aktion an. Doch gehen uns diese Forderungen noch nicht weit genug. Um die Dynamik des Aktionstages zu nutzen und weitere Schritte im Aufbau einer bundesweiten Bildungsbewegung zu gehen, müssen wir die 4 Forderungen von SMA in unseren Schulen diskutieren und erweitern. Wir brauchen dafür Vollversammlungen der gesamten Schüler:innenschaft und Komitees an den einzelnen Schulen, die weitere Forderungen erarbeiten. Indem wir unsere Forderungen auf Schilder schreiben, auf dem Protesttag lautstark vertreten und vor allem in die Schule durch kleinere Aktionen und Versammlungen hineintragen, können wir verhindern, dass wir auf ewig ignoriert und totgeschwiegen werden. Beispiele für sinnvolle Forderungen in Ergänzung zu SMA könnten die folgenden sein:

  • Kostenloses und ökologisches Mensaessen! Selbstverwaltete Speisepläne von uns Schüler:innen!
  • Bildung eines Kontrollausschusses aus Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen, der eine Maximalgrenze für Hausaufgaben festlegt!
  • Gegen jede Einflussnahme auf und Präsenz der Bundeswehr an unsere/n Schulen!
  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern! Schluss mit Deadnames auf der Klassenarbeit!
  • Von Schüler:innen selbstorganisierte Freiräume, die in den Pausen für alle frei zugänglich sind, an jeder Schule!
  • Für eine flächendeckende Modernisierung und energetische Sanierung aller Schulgebäude sowie ihrer Heizungs-, Wasser- und Belüftungssysteme! Bezahlt werden soll das von denen, die vom Krieg und den steigenden Energiepreisen profitieren!
  • Für eine demokratische Kontrolle des Lehrplans durch Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen und Organisationen der Arbeiter:innenklasse! Wir bestimmen selbst, was wir lernen wollen!
  • Schluss mit dem 3-gliedrigen Schulsystem! Eine Schule für alle und Abschaffung aller Privatschulen!
  • Für den Aufbau einer Schüler:innengewerkschaft und ein volles Streikrecht für Schüler:innen, damit wir Verbesserungen erkämpfen können!

Die Forderungen von SMA sind nur der Ausgangspunkt, von dem aus wir uns fragen müssen, wessen Schulen das eigentlich sind. Es sind unsere Schulen, denn es sind wir und nicht Bettina Stark-Watzinger (Bundesbildungsministerin, FDP), die unter zu großen Klassen leiden. Es sind wir Schüler:innen, Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Schulpsycholog:innen, die diese Bildungskrise ausbaden müssen. Dann sollten wir doch auch darüber entscheiden können, wie viele Schüler:innen in einer Klasse erträglich sind. Wir wollen nicht in einem Geschichtsunterricht sitzen, in dem einfach nicht über deutsche Kolonien gesprochen wird. Wir wollen im Sexualkundeunterricht auch etwas über nicht-heterosexuellen Sex lernen. Wir wollen an einem Ort lernen, den wir auch selbst gestalten dürfen. Und das zusammen mit unseren Friends, auch wenn ihre Eltern Toiletten putzen oder kein Deutsch sprechen.

Dafür gehen wir nicht nur selbst zum SMA-Aktionstag, sondern fordern alle linken Jugendorganisationen von [’solid], den Jusos, bis hin zur SDAJ und Young Struggle auf, sich daran zu beteiligen. Und zwar nicht nur symbolisch mit Fahne, sondern durch die Mobilisierung der kompletten Basis. Die von SMA geforderte Bildungskonferenz bietet einen wichtigen Ansatzpunkt, wo wir unsere Forderungen miteinander diskutieren und weitere Aktionen gemeinsam planen können. Ebenso gilt es, den Schüler:innenprotest mit dem der Lehrer:innen zu verbinden. In Berlin streiken Lehrer:innen bereits seit über einem Jahr für kleinere Klassen und einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz. Diesen Kampf gilt es, durch eine Unterstützung ihrer Streiks gemeinsam zu führen und außerhalb Berlins durch Diskussionen mit der GEW auszuweiten. Ebenso wird im Oktober in der Tarifrunde der Länder über die Höhe des Lehrer:innenlohns verhandelt. Auch bei diesen Streiks im gesamten Bundesgebiet braucht es unsere Solidarität und unsere Initiative, um weitere Aspekte der Bildungskrise und eine volle Ausfinanzierung unserer Schulen in die Debatte zu tragen. Darüber hinaus gilt es, den Protest gegen die Bildungskrise mit den aktuellen Bewegungen rund um die Klimakrise zu verbinden, denn betreffen tun uns beide und ihre kapitalistische Ursache ist dieselbe! Lasst uns gemeinsam für eine Zukunft kämpfen, in der die Schulen uns gehören!




Nein zur Kündigung von Inés: Gewerkschaftlich gegen Union Busting organisieren!

REVOLUTION, ursprünglich veröffentlicht auf https://onesolutionrevolution.de, Infomail 1228, 20. Juli 2023

Inés ist Sozialarbeiterin an einer Berliner Schule und aktives Mitglied der GEW und jungen GEW. Am 10.07.2023 wurde sie seitens ihres Trägers Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (tjfbg) außerordentlich und fristlos gekündigt. Grund dafür war die Tatsache, dass sie ihre Kolleg:innen über eine Kundgebung gegen die geplanten Sparmaßnahmen im Neuköllner Sozialetat informiert hat.

Mit der rechtlich absolut haltlosen Kündigung versucht der Träger gewerkschaftliches und politisches Engagement im Betrieb zu verhindern und an Inés ein Exempel zu statuieren. Kolleg:innen sollen eingeschüchtert werden. Der Träger will uns zeigen, was uns droht, wenn wir den Mund aufmachen. Getroffen hat es Inés, aber gemeint sind wir alle, die sich unseren Betrieben, Schulen und Unis für bessere Arbeitsbedingungen und gegen sozialen Kahlschlag einsetzen. #WirsindInés

Umso wichtiger ist es nun, dass diese Gewerkschaftsfeinde nicht mit ihrer miesen Nummer durchkommen. Wir solidarisieren uns mit Inés und fordern die Rücknahme der Kündigung seitens der Geschäftsführung und Geschäftsführer Thomas Hänsgen!

Die junge GEW Berlin hat eine Petition zur Unterstützung ihrer Kollegin gestartet. Wir rufen euch dazu auf, diese zu unterzeichnen:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLScZFsRwzEuusmSerFPma0t876gnrCjKP48nChprnrmO3C7T4Q/viewform

Die Petition hat bereits etliche Unterschriften bekommen und setzt den Träger vermutlich bereits stark unter Druck. Dennoch braucht es weitere Schritte. Wenn die GEW tatsächlich die Interessen der Angestellten gegenüber den Bossen vertreten will, muss sie sich als Ganzes mit Inés solidarisieren und öffentlichkeitswirksam hinter ihre Kollegin stellen. Es braucht Solidaritätsaktionen in unseren Schulen – und insbesondere in der Schule von Inés – zu der die GEW Berlin mit voller Stärker mobilisiert.

Auch in den kommenden Streiks für den Tarifvertrag Gesundheit und den Tarifvertrag der Länder muss sich gegen das gewerkschaftsfeindliche Handeln des Trägers ausgesprochen werden. Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass der tjfbg mit seinem hinterhältigen Union Busting nicht durchkommt. Gemeinsam können wir die Erfahrung machen, dass unsere Solidarität stärker ist, als die Kündigungsversuche der Bosse. Gemeinsam können wir damit noch viel mehr Kolleg:innen ermutigen, sich für bessere Lern- und Lehrbedingungen in unseren Schulen einzusetzen!




Freizeitpädagogik bleibt: zuerst essenziell, jetzt wegrationalisiert?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023

Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.

Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.

Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.

Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.

Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.

Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.

Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:

Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.

Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“

Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.

Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.

Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.

Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern  direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.




Berliner GEW-Streik braucht einen Kampagnenplan

Martin Suchanek, Infomail 1224, 9. Juni 2023

Zum 14. Mal legten Berliner Lehrer:innen im Kampf für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz vom 6. – 8. Juni die Arbeit nieder. 14 Streiks, an denen sich jeweils Tausende Beschäftigte anschlossen; 14 Streiks, die vom Berliner Senat – zuerst von Rot-Grün-Rot und jetzt von CDU/SPD – ignoriert wurden. Über einen Tarifvertrag könne das Land Berlin leider leider nicht gegen den Willen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) verhandeln, so ließen bisher alle Senatsparteien verlauten.

In der Tat stellt der geforderte Tarifvertrag Gesundheitsschutz eine fortschrittliche Neuerung für den Bildungssektor dar. Die GEW Berlin fordert darin eine Reduktion der Klassengrößen, um die Beschäftigten zu entlasten und zugleich die Bildung für die Schüler:innen zu verbessern. Natürlich müsste das mit einer massiven Einstellung weiterer Lehrkräfte und verbesserter Bezahlung einhergehen – und genau das wollen weder der Berliner Senat noch die Tarifgemeinschaft der Länder. Um das heiße Eisen erst gar nicht anzufassen, weisen sie jede Zuständigkeit von sich.

Empörung

14 Streiks, die teilweise zwei oder gar drei Tage andauerten, beweisen, dass die Forderung nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Entlastung der Lehrkräfte und qualitativ besseren Lehrbedingungen ein reales Problem treffen – und zwar von Lehrenden, Lernenden und auch deren Eltern.

Daher beteiligten sich tausende Gewerkschaftsmitglieder seit Mitte 2021, also seit rund zwei Jahren, regelmäßig an den Arbeitskämpfen. Die Sympathie unter Eltern und Schüler:innen ist groß – schließlich sind sie selbst Hauptopfer der Unterfinanzierung des gesamten Bildungssystems.

Ursprüngliche Strategie gescheitert

Doch 14 Streiks werfen bei weiterhin ausbleibender Gesprächsbereitschaft seitens des Senats auch immer drängender die Frage auf: Mit welcher Kampfstrategie können die Forderungen durchgesetzt, ja überhaupt Verhandlungen erzwungen werden? Die CDU hat zwar im Wahlkampf eine Reform des Schulgesetzes ins Spiel gebracht, um der Streikbewegung die Spitze zu nehmen und die Lehrer:innen mit einigen Reförmchen abzuspeisen. Doch nicht einmal das wird bisher ernsthaft angeboten.

Zweitens aber sollten die Lehrer:innen ein solches „Angebot“ nicht ablehnen, jedoch dürfen sie sich davon auch blenden lassen und müssen an ihrem Ziel eines Tarifvertrages festhalten. Eine Reduktion der Klassengrößen per Schulgesetzänderung stellt allenfalls eine Willensbekundung des Senats dar, deren Nicht-Umsetzung sich mit Verweis auf den Lehrer:innenmangel leicht entschuldigen lässt. Ein Tarifvertrag hingegen holt die Entscheidung über Klassengrößen raus aus den verschlossenen Türen der Ministerialbürokratie an den Verhandlungstisch mit den Beschäftigten und bietet ihnen eine einklagbare Grundlage für Entlastung am Arbeitsplatz. Für die streikenden Lehrkräfte muss klar sein: Eine Schulgesetzänderung kann kein Ende ihres Kampfes bedeuten!

Das Ausbleiben jedes Angebots seit zwei Jahren verdeutlicht jedoch auch, dass die ursprüngliche Politik der GEW-Führung gescheitert ist, den Berliner Senat mittels einiger Warnstreiks an den Verhandlungstisch zu bringen und dann einen mehr oder weniger guten Kompromiss auszuhandeln. Ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz ist durch befristete Tagesstreiks nicht zu haben. Alles andere bedeutet nur, sich selbst und den Streikenden etwas vorzumachen.

Entwicklung der Bewegung

Aber nach 14 Streiks steht die Frage im Raum, wie es weitergehen kann. Schon bei den letzten Arbeitsniederlegungen zeigte sich, dass die Zahl der Streikenden stagniert, an manchen Schulen sogar abnimmt, während andere dazustoßen. Bei den jüngsten drei Kampftagen vom 6. – 8. Juni stießen die Aktiven zusätzlich auf das Problem, dass sich viele  Gewerkschafter:innen nur an einzelnen Tagen beteiligten.

Generell kann gesagt werden, dass die Bewegung zahlenmäßig stagniert. Sie kann sich einerseits auf eine Schicht von mehreren Tausend zuverlässig Streikenden stützen. Doch die bilden bei rund 35.000 Lehrkräften nur eine Minderheit.

Das bedeutet aber auch, dass die bisherige Taktik, alle ein bis zwei Monate die Arbeit niederzulegen, nicht reicht, um den Senat auch nur zu Verhandlungen zu zwingen. Vom Standpunkt der Bildungsverwaltung und der regierenden Koalition ist es nur folgerichtig, die Aktionen weiter auszusitzen. Sie setzten, nicht ohne Grund, darauf, dass sich die Bewegung totlaufen wird.

Zugleich hat sich in den letzten beiden Jahren die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder, die die Aktionen tragen, deutlich erhöht. Neue, vor allem junge Lehrkräfte wurden in die Bewegung gezogen, auf diese stützen sich viele Streiks, Demonstrationen und Streikcafés in den Bezirken und Kiezen. Letztere sind eine Form von Basisversammlungen aktiver Gewerkschafter:innen, die eine Vernetzung verschiedener Schulen darstellen und damit auch als Mittel zum Aufbau weiterer Basisgruppen und zur Gewinnung neuer Mitglieder dienen. Diese Schicht war bei der Berliner Streikversammlung am 8. Juni besonders stark vertreten, an der über 1.000 Menschen teilnahmen.

Während also die Zahl der Streikenden insgesamt stagniert, so hat sich die Zahl der aktiven, den Kampf vorantreibenden Gewerkschafter:innen erhöht und verbreitet. In diesem, qualitativen Sinne können wir keineswegs von einer Stagnation der Bewegung sprechen, weil sich mit der Vergrößerung der Aktivist:innen auch die Möglichkeiten zur Verbreiterung der Streikbewegung verbessert haben.

Wie weiter?

Dies geht jedoch nicht ohne innere Konflikte. Denn wir müssen auch klar festhalten, dass die Strategie der GEW-Führung in den letzten Monaten immer mehr an ihre Grenzen gestoßen, ja objektiv gescheitert ist. Es braucht eine klare Vorstellung, mit welchen Schritten der Streik ausgeweitet, wie letztlich ein unbefristeter Erzwingungsstreik vorbereitet werden kann.

Indirekt erkennt auch die Führung der GEW dieses Problem an. Angesichts von Monaten der Verhandlungsverweigerung braucht es natürlich Eskalationsschritte wie den dreitägigen im Unterschied zum eintätigen Streik. Doch das allein ist keine Strategie, keine wirkliche Perspektive.

Eine solche setzt nämlich nicht nur ein klares Ziel, den Tarifvertrag Gesundheitsschutz, sondern auch voraus, die notwendigen Kampfschritt offen zu benennen, um so unter den organisierten wie auch den noch nicht organisierten Lehrer:innen und Erzieher:innen deutlich zu machen, welche Kampfformen notwendig sind, um den Tarifvertrag durchzusetzen.

Das wird wahrscheinlich nur mit einem unbefristeten Erzwingungsstreik möglich sein. Das ist sicher mit dem aktuellen Organisationsgrad nicht möglich. Aber um diesen vorzubereiten, muss er auch schon heute klar als Mittel benannt werden.

Kampagnenplan

Vor dieser Frage drückt sich letztlich die GEW-Führung herum. Eine Gruppe von aktiven Gewerkschafter:innen, viele davon junge GEWler:innen, haben daher die Initiative ergriffen und in den Streikcafés, bei der Demonstration und Streikversammlung Flugblätter verteilt und einen Vorschlag für einen Kampagnenplan zur Diskussion gestellt.

Dieser empfiehlt für die ersten Wochen des nächsten Schuljahrs einen fünftägigen Warnstreik. Dieser soll zur Vorbereitung eines unbefristeten Streiks genutzt werden, um die Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, Streikversammlungen an den Schulen abzuhalten, Mobimaterialien herzustellen und zu verteilen, Veranstaltungen durchzuführen, schwächer organisierte Schulen durch stark organisierte zu unterstützen, kiez- und bezirksweite Demonstrationen durchzuführen. Darüber hinaus sollen auch Erzieher:innen in den Streik einbezogen werden.

Den Kern des Plans bildet aber auch eine Verbreiterung und Demokratisierung der Entscheidungsstruktur durch eine berlinweite Streikversammlung, die über die Strategie der Bewegung und die Politik der Tarifkommission bestimmt. Sie soll auch darüber entscheiden, wie der Streik fortgesetzt wird, falls sich der Senat auch nach der ersten fünftägigen Aktion nicht zu Verhandlungen bereiterklärt.

Damit formulieren die Streikenden ein Konzept zur Überwindung der aktuellen zahlenmäßigen Stagnation. Der Fokus auf Streikversammlungen und deren Entscheidungsbefugnis erlaubt auch eine viele breitere Einbeziehung aller, vor allem der aktiven Träger:innen des Streiks. Natürlich geht es dabei auch um stärkere Kontrolle der bestehenden Strukturen der GEW und der Tarifkommission. Aber das ist letztlich nur ein Aspekt.

Wenn es wirklich einen längeren, letztlich unbefristeten und auch viel breiteren Erzwingungsstreik geben soll, muss die GEW ihre Aktivenbasis vergrößern. Das wird letztlich aber nur möglich sein, wenn diese (a) praktische Verantwortung für den Kampf übernimmt (also Erstellen von Material, Streikposten, Verbindung zu Eltern und Schüler:innen, Kiezversammlungen mit Anwohner:innen usw.) und (b) auch real über die Streikstrategie und die Politik der Tarifkommission und einer etwaigen Verhandlungskommission bestimmt.

Dazu braucht es Massenversammlungen wie die Streikversammlung am 8. Juni. Damit diese über grundlegende Fragen entscheiden können, müssen sie natürlich auch besser vorbereitet und Anträge im Voraus über die GEW verschickt werden. So können Argumente und Gegenargumente über einen längeren Prozess ausgetauscht werden, was einer großen Versammlung wiederum erleichtert, rasch Entscheidungen zu treffen. Diese wären nicht nur viel demokratischer als jene einer wenig an die Basis gebundenen Tarifkommission. Sie würden viel direkter die Mehrheit der Mitgliedschaft zum Ausdruck bringen – und zwar vor allem des aktiven, engagierten kämpferischen Teils.

Wir rufen alle kämpferischen Gewerkschafter:innen auf: Unterstützt die Vorschläge für einen Kampagnenplan, tretet mit den Kolleg:innen in Kontakt!




TVStud: Bald Lohnkampf an den Unis?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 274, Juni 2023

Frischer Wind weht durch die Uniflure in der Bundesrepublik. Seit Semesterstart ist die Initiative TVStud für einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte unterwegs und versucht studentische Hilfskräfte zu organisieren. Das Ziel: Im Herbst diesen Jahres soll zusammen mit den Beschäftigten von TV-L gestreikt werden. Denn die Arbeitsbedingungen sind mehr als schlecht, wie das Forschungsprojekt „Jung, akademisch, prekär?“ vom Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen in Kooperation mit ver.di und GEW belegt. Insgesamt wurden im Zeitraum vom 30. Januar 2022 bis zum 22. Juli 2022 über 11.000 studentische/wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor:innen zu ihren Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen befragt.

Damit ist die Studie die erste ihrer Art und aktuell die umfassendste. Kernerkenntnisse sind dabei, dass: 77,8% der studentisch Beschäftigten als armutsgefährdet gelten, da sie über weniger als 1.250€ monatliches Gesamteinkommen verfügten. Dies liege daran, dass sich die Löhne an den TdL-Richtlinien orientieren und nur knapp über dem Mindestlohnniveau lägen. Der Stundenlohn von studentischen Hilfskräften (SHK), also denjenigen ohne Bachelorabschluss, läge im Erhebungszeitraum zwischen 10 € (Thüringen und Bayern) und 12,96 € (Berlin). Hinzu kämen kurze Vertragslaufzeiten, im Durchschnitt bei 6,1 Monaten, häufig als Kettenbefristung. Seien studentische Hilfskräfte und Tutor:innen mehr als einmal an einer Hochschule beschäftigt, arbeiteten sie im Durchschnitt zum dritten Mal in Folge auf derselben Stelle. Für knapp 90% der studentischen Beschäftigten sei die Lebensfinanzierung ein (wesentliches) Erwerbsmotiv.

Kurzum: Befristung und schlechte Bezahlung sind hier als Spiegel der Arbeit im deutschen Wissenschaftsbetrieb der Universitäten zu verstehen. Die schlechten Anstellungsbedingungen der studentisch Beschäftigten dienen quasi als Vorbereitung zu den Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine massive Ausweitung dieser Anstellungsart zu beobachten, die auch genutzt wird um Stellen im universitären Bereich zu ersetzen und so Tarifflucht zu begehen.

Herausforderungen

Hier mit einem Tarifvertrag TVStud entgegen zu wirken in richtig und notwendig! Einfach wird  das Vorhaben aber nicht. Die Aktivist:innen stehen vor mehreren Problemen:

1. Die kurze Beschäftigungsdauer

Während andere Arbeitskämpfe den Vorteil haben, dass die Belegschaft Erfahrungen im Rahmen unterschiedlicher Auseinandersetzungen sammeln kann, ist das bei den SHKs weniger der Fall. Das liegt in der Natur des Studiums an sich, das im Idealfall drei Jahre dauert. Dementsprechend begrenzt sind auch die Anstellungsdauer der SHKs, verstärkt wird das ganze durch die Kettenbefristung. Das heißt in der Praxis: Studierende, die man im Sommersemester für den Streik motiviert, arbeiten vielleicht im Wintersemester nicht mehr in ihrer Anstellung.

2. Willkür und persönliche Abhängigkeit

Nur 36,7% der befragten SHKs haben sich auf eine Stellenausschreibung beworben; 41,4% wurden persönlich angesprochen, insgesamt 60,3% so oder auf einem anderen informellen Weg rekrutiert. Das bedeutet eine verstärkte Abhängigkeit gegenüber den Vorgesetzten, die häufig auch an die Studierenden Noten im „normalen“ Unialltag vergeben. Das in Kombination mit der Kettenbefristung kann die Bereitschaft senken für die eigenen Interessen und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen.

3. Fehlende Klarheit

Bisher ist unklar, für welche Form des Tarifvertrags man die SHKs eigentlich organisieren möchte. Berlin ist das einzige Bundesland in dem ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte existiert. Der Tarifvertrag ist ein Relikt aus den 80er Jahren, dient aber als Vorbild für die Initiative. Die Verbesserungen sind merklich: die durchschnittliche Anstellungszeit in Berlin liegt bei 14,1 Monaten und auch das Lohnniveau ist im Vergleich höher (auch wenn seit Juni 2022 der Berliner Landesmindestlohn den Abschluss überholt hat).

Was braucht es?

Um Erfolg zu haben, braucht es eine Strategiedebatte.

Die Frage, die auf dem Tisch liegt, ist, wofür eigentlich gestreikt werden soll. Ein bundesweiter TV-Stud? Oder eine Anbindung an den TV-L? Letzteres hat definitiv Vorteile wenn es darum geht, die Kampfkraft zu erhöhen. Statt alleine zu streiken, wären die studentischen Beschäftigten mit weiteren Kolleg:innen auf der Straße, beispielsweise auch mit wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an den Universitäten.

Auf der anderen Seite gerät man dabei Gefahr, dass man seitens der Gewerkschaften ausverkauft und bei den Abschlüssen nicht genügend beachtet wird. Dieses Szenario ließe sich durch Streikversammlungen mit allen TV-L Beschäftigten bekämpfen, indem diese über die Fortführung des Streiks bestimmen, sowie direkte Wähl- und Abwählbarkeit für die Mitglieder der Tarifkommission. Das würde in der Praxis bedeuten, dass die Mitglieder der Tarifkommissionen die Entscheidungen der Streikenden von den Versammlungen umsetzten müssten. Damit das nachvollziehbar ist, sollten die Verhandlungen selbst auch öffentlich geführt werden.

Was sich nach Utopie anhört, hat in der Praxis mehrere Vorteile: Die Streikenden würden die Kontrolle über ihren Streik erhalten und selber in die Lage versetzt werden, politische Diskussionen zu führen, was notwendig wäre um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten. Darüber hinaus fällt der Frust weg, seitens der Gewerkschaft ausverkauft zu werden, wie es beispielsweise Teile der Kolleg:innen mit dem Abschluss im TVöD erleben.

Doch das ist nicht alles: Darüber hinaus braucht es eine Bewegung an den Universitäten, die nicht nur die studentischen Beschäftigten erfasst. Für die Studierenden muss klar sein: Gute Lernbedingungen entstehen nur durch gute Arbeitsbedingungen. Es ist also im Interesse aller Studierenden die Streiks zu unterstützen. Ebenso bieten sie den Rahmen längst überfällige Forderungen zur Verbesserungen der eigenen Situation aufzustellen.




Österreich: Solidarität mit den Streikenden in den privaten Bildungseinrichtungen

Flo Kovacs, Infomail 1222, 8. Mai 2022

Im Innenhof eines Unterrichtsstandorts sind Transparente aufgehängt, die allesamt eine zu schlechte Bezahlung beklagen. Beinahe alle der etwa 150 Anwesenden haben entweder eine Ratsche oder eine Trillerpfeife in der Hand, um ein paar Hälse hängen auch selbst zusammengeschweißte Blechtrommeln. Die Stimmung ist ausgelassen. Auf der provisorischen Bühne schwingt der Betriebsrat kämpferische Reden, bevor gemeinsam in die Etagen der Streikbrecher:innen zum Lärm Machen aufgebrochen wird. Zumindest an einem der Betriebe, die am Mittwoch und Donnerstag gestreikt haben, hat es so ausgesehen. Eines unserer Mitglieder war selbst als Streikender vor Ort.

Diese Woche, am 3. und 4. Mai, haben die Betriebsräte in den privaten Bildungseinrichtungen zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte zum Warnstreik gerufen. Hier möchten wir uns kurz mit den Hintergründen und Forderungen auseinandersetzen, bevor wir unsere Einschätzung abgeben.

Den freiwilligen Zusammenschluss der „Berufsvereinigung der Arbeitgeber:innen privater Bildungseinrichtungen“ (BABE) gibt es seit 1999, ein gemeinsamer Kollektivvertrag (KV) für diese Vereinigung wird seit 2005 jährlich verhandelt. Wer nicht viel mit der Erwachsenenbildung zu tun hat, wird von den eingeschlossenen Betrieben nur wenige kennen. Hervorzuheben sind die einzelnen Berufsförderungsinstitute (BFI) der Bundesländer, die zur Gänze der Arbeiterkammer und dem Gewerkschaftsbund gehören und einen großen Teil der AMS-Kurse veranstalten, sowie der Verband der österreichischen Volkshochschulen.

Dass ansonsten noch eine hohe Zahl an mittelgroßen bis kleinen Bildungsbetrieben beteiligt ist, hilft nicht bei der Organisierungsrate. Generell ist durch die Zugehörigkeit zu Bildungssektor und Sozialbereich eine schwach ausgeprägte Streikkultur erwartbar. Außerdem befinden wir uns in Österreich, wo es eine solche ohnehin nicht gibt. Das beklagen auch kämpferische Betriebsräte, bevor sie zum Eintritt in die Gewerkschaften aufrufen. Eine weitere Schwäche stellt die Verteilung des Sektors über mehrere Gewerkschaften dar. Zwar deckt die GPA einen großen Teil der Beschäftigten ab, je nach Bereich der Ausbildung – etwa von Deutschkursen bis zu Schweißausbildungen – kann das aber variieren. Deswegen sitzt auch die vida am Verhandlungstisch, während wieder weitere, wie die Gewerkschaft Bau Holz, nur zu den einzelnen Betriebsversammlungen kommen (können).

Diese Aufteilung bildet sich auch in der Streikbereitschaft der einzelnen Betriebe ab. Da steht auf der einen Seite mit dem BFI Wien ein kämpferisches, größeres Haus, das die kompletten zwei Tage ausnützt, für die der ÖGB seine Streikfreigabe erteilt hat. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen wie die Wiener Volkshochschulen, deren Kurse hauptsächlich am Abend stattfinden, die nur an einem Tag von 11 bis 14 Uhr die Arbeit niederlegen. Der Wille zum Aufbau von Druck durch die Basis ist also nicht durchgängig gegeben.

Ziele und Probleme

Die Betriebsräte fordern eine Lohnerhöhung von 15 % im Vergleich zum Vorjahr. Der damalige Abschluss wird von jenen Betriebsrät:innen, die ihm wohl selbst auch zugestimmt haben, rückblickend als eine Frechheit bezeichnet, als lächerlich niedrig im Vergleich zu den anderen aus dem letzten Jahr. Das überrascht nicht, immerhin ist das alljährliche Theaterspiel zu den KV-Verhandlungen ein fixer Teil der Sozialpartner:innenschaft. Sieht man sich die Vertragsabschlüsse verschiedener Industrien, die letztes Frühjahr getroffen worden sind, an, dann liegen die auch konsequent über den 3,4 % der BABE. Einzelne andere Branchen schlossen noch deutlich schlechter ab, aber daran soll man sich ja besser nicht orientieren.

Neben dem schwachen Abschluss 2022 kämpft die Branche mit zwei weiteren Problemen. Erstens sind gerade die größeren Häuser von den Bildungsmaßnahmen abhängig, die sie für das AMS oder den Integrationsfonds durchführen. Diese sind aber zu nennenswerten Teilen zeitlich begrenzt und bieten keine Möglichkeit mehr zur Vollzeitanstellung, weil die Stundenanzahl schlicht nicht ausreicht. Das bedeutet zwar eine geringere Arbeitszeit, was für manche Lebenslagen sicher gut passt. Wer allerdings noch auf eine Pension hofft, ist nach langer Teilzeitarbeit deutlich stärker von Altersarmut betroffen. Außerdem bietet eine derart befristete Arbeitsweise immer die Gefahr einer Prekarisierung, wie sie gerade bei vielen privaten Sprachbildungsinstituten vorherrscht.

Zweitens wurde im Zuge des KV-Abschlusses 2010 eine neue Gehaltsstufe eingeführt, die für die meisten der seither eingestellten Trainer:innen ein niedrigeres Gehalt bedeutet. In die bis dahin für Trainer:innen (das sind in der Erwachsenenbildung alle, die unterrichten) allgemein geltende Stufe 5 kommen nun bestenfalls solche, die neue Kurse konzipieren und einführen. Für alle anderen gibt es seither die Stufe 4a, deren Einstiegsgehalt bei Vollzeitanstellung aktuell gut 200 Euro darunter liegt. Das bietet eine willkommene Einsparungsmöglichkeit für die Bosse, die nicht alle, aber viele von ihnen natürlich nutzen.

Inspiration

Die Forderung nach 15 % Lohnerhöhung kommt nicht von ungefähr. Die aktuell in den BABE-Einrichtungen geführten Kämpfe orientieren sich stark an den Arbeitskämpfen der letzten Jahre im Sozialbereich. Dieser ist eine ähnlich schwach und kleinteilig organisierte Branche mit historisch nicht vorhandener Streikkultur, die deswegen immer stärker in Richtung Prekarität gerutscht ist. Nachdem über die vergangenen Jahre hinweg immer mehr Streikhandlungen gesetzt wurden, im Zuge derer sich die Branche untereinander vernetzte, gegenseitig stärkte und ein solidarisches Bewusstsein aufbaute, erreichte sie dieses Jahr einen Abschluss mit knapp über 10 % Lohnerhöhung. Der stellt immer noch keine Lösung für die gravierenden Probleme im österreichischen Sozialbereich dar, ist aber zumindest im Vergleich zu anderen Branchen trotzdem eher im oberen Bereich angesiedelt. Und etwas Ähnliches erhoffen sich die Verhandler:innen auch vom nächsten BABE-Abschluss. Dabei bekommen sie auch moralische Unterstützung von den Betriebsrät:innen aus dem Sozialbereich, von denen auch zwei auf der branchenweiten öffentlichen Betriebsversammlung gesprochen haben. Dementsprechend verkünden die Vertreter:innen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Was die Verhandlungen bei den BABE etwas interessanter macht, ist auch die andere Seite am Verhandlungstisch. Denn während diese anderswo aus Größen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung besetzt wird, sitzen hier auch alteingesessene Gewerkschaftsbürokrat:innen auf der Gegenseite. Das ergibt sich aus der Größe der einzelnen BFIs, die allein dadurch innerhalb der Berufsvereinigung nennenswerte Macht haben. Die rekrutieren, wie es ihre Besitzverhältnisse anbieten, die Führungsetage auch aus den Reihen von ÖGB und AK. Das führt dann dazu, dass Personen, die sich in ihrem eigenen Leitbild als fester Teil der Gewerkschaftsbewegung verstehen, sich gleichzeitig gegen Lohnerhöhungen in der eigenen Branche stemmen.

Und das tun sie bisher sehr erfolgreich. Vom Einstiegsangebot von 9 % Erhöhung hat man sich in den größten Gehaltsgruppen noch kein halbes Prozent hinaufbewegt. In ihren Aussendungen versichern die Betriebsräte, dass sie auf keinen Fall mit einem Abschluss unter 10 % in die Betriebe zurückgehen werden. Ob sie diese Ankündigung wahrmachen, wird sich zeigen. Ein Blick auf die anderen, kürzlich abgeschlossenen KVs stimmt nicht sonderlich zuversichtlich. Da kommt neben dem SWÖ-Kollektivvertag nämlich gerade einmal die Papierindustrie auf ein zweistelliges Ergebnis.

Was können wir erwarten?

Generell offenbaren diese Verhandlungen die doppelte Unzulänglichkeit der modernen Sozialpartner:innenschaft. Zu tatsächlichen Lohnerhöhungen kommt sie nicht, die Reallöhne stagnieren in Österreich seit Jahrzehnten. Außerdem stellt dieser Warnstreik eine Ausnahme dar in einem Sektor, der dieses Mittel wahrscheinlich bisher noch nie in Erwägung gezogen hat. Es ist also schon positiv hervorzuheben, wenn der ÖGB einmal eine Streikfreigabe erteilt und nicht noch schnell ein Abschluss hermuss, um den Warnstreik dann doch zu verhindern. Außerdem fehlt mittlerweile auch in den traditionell starken Branchen, wie der Metallindustrie, die Vorbildwirkung, die dann die anderen Bereiche nachziehen kann. Es müssen also nun andere aufstehen, um in Zeiten der Hochinflation keine starken Reallohnverluste einstecken zu müssen. Ohne eine kämpferische Gewerkschaft, die den Kapitalismus auch angreift, statt ihn entspannt bürokratisch mitzuverwalten, werden tatsächliche Verbesserungen für Lohnabhängige weiterhin unerreichbar bleiben. Es braucht außerdem eine automatische Anpassung der Löhne an die tatsächlich spürbare Inflation, damit Arbeitskämpfe endlich aus der Abwehrhaltung in den Angriff übergehen können.

Direkte demokratische Kontrolle über die Streiks in den einzelnen Betrieben sollte von demokratischen Streikkomitees der Beschäftigten der Standorte ausgeübt werden. Um den öffentlichen Druck zu erhöhen und auch die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen, braucht es bei zukünftigen Streikmaßnahmen Streikkundgebungen im öffentlichen Raum. Auch hier hat der Sozialbereich mit tausenden Menschen starken Demonstrationen gezeigt, wie einerseits die Solidarität innerhalb der Beschäftigten auch über Standorte hinaus gestärkt und gleichzeitig breite Solidarität und Aufmerksamkeit in der Bevölkerung geschaffen werden können. Wenn sich die Verhandlungsteams auf einen Kollektivvertrag geeinigt haben, braucht es als Mindestmaß der demokratischen Mitbestimmung eine Urabstimmung darüber.

Obwohl also leider von keinen großen Gewinnen auszugehen ist, gilt unsere Solidarität den Streikenden in den privaten Bildungseinrichtungen. Denn sie sind es, die durch ihre Berufs- und Weiterbildungen zehntausenden Beschäftigten Chance auf bessere Arbeit geben, die migrierten und geflüchteten Personen durch Sprachkurse eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und auch die einzigen, die durch massenhafte Umschulungen eine ökologische Transformation in der Industrie ermöglichen könnten. 15 Prozent Lohnerhöhung sind dafür das Mindeste!




Vollen Support an die junge GEW Berlin!

REVOLUTION, Infomail 1213, 8. Februar 2023

Der Berliner Ableger der Gewerkschaftsjugend der Bildungsgewerkschaft GEW hat sich mit einem offenen Brief an ihren Landesvorstand gewandt, um einen Erzwingungsstreik zu organisieren. Nach mittlerweile 8 Warnstreiks und 0 Gesprächsbereitschaft seitens des grünen Finanzsenators Daniel Wesener wollen sie den Druck auf den Senat dadurch erhöhen, dass die Verhandlungen für gescheitert erklärt werden, eine Urabstimmung eingeleitet und zu einem unbefristeten Streik aufgerufen wird, der erst aufhört, wenn das Ziel erreicht ist. Unsere Lehrer:innen kämpfen dabei für einen Tarifvertrag-Gesundheit, dessen Ziel es ist, überfüllten Klassen zu verkleinern. Für sie heißt das: weniger Stress und Arbeitsbelastung. Für uns heißt das: besser Lernen, mehr Zeit und weniger genervte Burn-Out-Mathelehrer. Lasst uns diese Kämpfe verbinden! Wie das genau funktionieren soll, erfahrt ihr in unserer neuen Schüler:innenzeitung oder auf unserer Homepage. Außerdem findet hier den offenen Brief der jungen GEW zum Nachlesen. Streik in der Schule, Uni und Betrieb: Das ist unsere Antwort auf ihre Politik!

Im Folgenden spiegeln wir den offenen Brief:

Erzwingungsstreik jetzt

Wir fordern den Landesvorstand auf, die Verhandlungen um den Tarifvertrag-Gesundheit mit dem Berliner Senat für gescheitert zu erklären. Wir, die streikenden Lehrer:innen, wollen selbst Einfluss auf die Frage nehmen, wie unser Arbeitskampf geführt wird. Der LV möge deshalb alle nötigen Schritte für eine Abstimmung über einen Erzwingungsstreik einleiten. Wir streiken, bis wir unseren Tarifvertrag haben!

Begründung

Die Arbeitsbelastung in den überfüllten Klassen unserer Schulen ist unzumutbar. Während die Schüler:innenzahlen 2023 weiter ansteigen werden, fehlen noch immer rund 1.000 Kolleg:innen in Berlin. Noch immer hat der Senat keinerlei Schritte unternommen, um diesen Mangel zu beheben.

Die Untätigkeit des Berliner Senats hat uns zum Handeln gezwungen. Mit unserem Kampf für einen Tarifvertrag-Gesundheit möchten wir die Arbeitsbelastung für uns alle durch eine gesetzliche Verankerung von kleineren Klassengrößen verringern. So waren wir im vergangenen Jahr mit ganzen sieben Warnstreiks auf der Straße. Wir waren viele und wir waren laut. Auch der Landeselternausschuss hat sich unseren Forderungen angeschlossen. Und trotzdem lehnt der grüne Finanzsenator Daniel Wesener bis heute ab, überhaupt mit uns zu sprechen. Wir finden: Jetzt reicht’s! Wir finden, dass wir mehr Druck machen müssen, um den Senat endlich von seiner Blockadehaltung abzubringen. Wir finden, dass wir einen Erzwingungsstreik zur Durchsetzung unserer Forderungen brauchen.

Während der Senat unsere monatlichen Warnstreiks noch teilweise ignorieren konnte, kann die Bildungsverwaltung bei einem Erzwingungsstreik nicht mehr den Kopf in den Sand stecken und Augen und Ohren vor uns verschließen. Ein Erzwingungsstreik ist unser verfassungsmäßig geschütztes Recht nach gescheiterten Tarifverhandlungen den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Wir fordern deshalb unsere Verhandlungsführer:innen Anne Albers (Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) und Udo Mertens (Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) auf, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Erkennt, dass es keine Verhandlungen geben wird, wenn wir den Druck nicht erhöhen! Erklärt die Verhandlungen für gescheitert! Auf mehreren Personalversammlungen hat uns Udo versprochen, im kommenden Jahr die „Daumenschrauben anzuziehen“. Udo, halt dich an dein Versprechen und leite eine Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik ein!

Wir lassen uns nicht lähmen von der Verzögerungs- und Hinhaltetaktik des Senats. Wir wollen unseren Tarifvertrag, denn unter den gegebenen Umständen, weiß kaum jemand von uns, wie wir diesen Job, den wir doch alle eigentlich irgendwo auch lieben, die nächsten zehn Jahre weiter machen sollen. Lasst uns deshalb gemeinsam das Thema Bildung auf die Tagesordnung des Berliner Wahlkampfes setzen!

Dafür wollen wir nun endlich „die Daumenschrauben anziehen“. Wir fordern den GEW-Landesvorstand mit diesen Unterschriften dazu auf, alle notwendigen Schritte für einen Erzwingungsstreik in die Wege zu leiten und diesen aktiv zu organisieren. Natürlich freuen wir uns auch über Solidarität von Kolleg:innen aus anderen Bundesländern, denn die Frage von kleineren Klassen betrifft nicht nur Berlin.




Personalmangel an Schulen: Mehrarbeit und Yoga sollen es richten

Christian Gebhardt, Infomail 1212, 4. Februar 2023

Die Katze ist aus dem Sack: Zu viele Schüler:innen treffen auf zu wenig Lehrkräfte. Es herrscht Lehrkräftemangel an unseren Schulen. Laut dem Berater:innengremium „Ständige Wissenschaftliche Kommission“ (SWK) der Kultusminister:innenkonferenz (KMK) fehlen jetzt schon 12.000 Stellen und in den kommenden Jahren soll diese Lücke jährlich um etwa 1.600 Lehrer:innen ansteigen.

Diese Lage ist der KMK nicht erst seit heute bewusst. Und natürlich nimmt jede:r Beschäftigte:r in einer Bildungseinrichtung schon lange das zunehmende Problem wahr. Jedoch sind die oben angesprochenen Zahlen der KMK mit Vorsicht zu genießen. Studien des Bildungswissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Klemm, die er im Auftrag unterschiedlicher Organisationen wie z. B. der GEW oder des VBE (Verband Bildung und Erziehung) durchgeführt hat, sprechen eher dafür, dass die KMK ein stark geschöntes Bild zeichnet und mit einer weitaus größeren Lücke bis 2030 zu rechnen ist.

Das dahinter liegende Problem zeichnet sich wie folgt: Geburtenschwache Jahrgänge nehmen in den kommenden Jahren ihr Studium auf, während geburtenstärkere eingeschult werden – eine größere Schüler:innenschaft steht einer kleineren Anzahl an potentiell neuen Lehrer:innen gegenüber. Die Zunahme der Schüler:innenzahlen durch Migration von Geflüchteten verstärkt diesen Effekt noch. Hier wird zwar gerne nach einem Sündenbock gesucht, doch den alleinigen Auslöser für das Problem stellt diese bei weitem nicht dar.

Laut Klemm basieren seine Berechnungen wie die der KMK auf einer ähnlichen Annahme des Anstiegs der Schüler:innenzahl bis 2030 sowie ähnlicher Zahlen der notwendigen Stellen. Interessant wird es aber, wenn ein Fokus darauf gerichtet wird, wie sich das Neuangebot frisch ausgebildeter Lehrkräfte bis 2030 entwickelt. Die KMK geht hier von einer konstant bleibenden Zahl aus. Klemm prognostiziert im Gegensatz dazu ein Sinken der Anzahl jährlich neu ausgebildeter Lehrkräfte. Dies begründet er durch den Verweis auf die oben schon angesprochenen geburtenschwachen Jahrgänge, die in den kommenden Jahren ihr Studium beginnen werden. Weniger potenzielle Lehramtsstudierende bedeuten auch eine geringere Anzahl an Neulehrkräften. Die Rechnung der KMK beschreibt er in diesem Punkt als schlicht unseriös.

Durch diese unterschiedliche Herangehensweise sieht Klemm im Gegensatz zum KMK für 2030 einen Lehrkräftemangel von 81.000 voraus (480 % mehr als die KMK). Wichtig anzumerken bleibt, dass diese Zahl notwendig ist, um nur den derzeitigen Status quo aufrechtzuerhalten.

Um bildungspolitische Ziele wie Inklusion, Ganztagsausbau, zusätzliche Betreuung geflüchteter Jugendlicher zu gewährleisten oder die durch Corona entstandenen Lernrückstände aufzuholen, werden noch viel mehr neue Lehrkräfte benötigt. Die wirkliche Zahl beläuft sich laut Klemm daher bis 2030 somit auf weit über 100.000 Fehlstellen, möchte man diese ausgerufenen Ziele auch wirklich erreichen.

Problem erkannt, Problem gebannt?

Nach den obigen Ausführungen können wir schon einmal festhalten, dass die KMK das Problem nicht erkennen, sondern politisch kleinreden und leugnen möchte. Auch bei dessen Lösung sieht es nicht besser aus.

Am 27. Januar 2023 stellte die KMK die Vorschläge der SWK vor. Darin wird u. a. Folgendes vorgeschlagen:

  • Die Möglichkeit der Teilzeit soll eingeschränkt werden.

  • Die zu unterrichtenden Unterrichtsstunden pro Woche (Deputat) sollen befristet erhöht werden.

  • Auslandsabschlüsse sollen einfacher anerkannt werden, um ausländische Lehrer:innen schneller einsetzen zu können.

  • Pensionierte Lehrer:innen sollen aus dem Ruhestand geholt werden.

  • Mithilfe des Fernunterrichts soll eine Lehrkraft nicht nur eine Klasse, sondern mehrere gleichzeitig unterrichten.

Die Vorschläge wurden richtigerweise von der Vorsitzenden der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Maike Finnern, als „Ausdruck einer Hilflosigkeit“ sowie als „blanker Hohn“ bezeichnet. Sie weist auch darauf hin, dass u. a. die GEW schon seit Jahren auf die Schönrechnerei der KMK aufmerksam macht. Passiert sei aber nichts. Die GEW verweist auf ihre „15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel“, die sie zur Diskussion stellt.

In diesem Artikel können wir nicht näher auf alle Punkte des „15-Punkte-Programms“ eingehen. Die Strategie der GEW geht jedoch über ein Anbieten von Diskussionen und Verhandlungen nicht hinaus. Im Grunde ist das überhaupt keine Strategie, sondern nur eine Form des Vermeidens einer offenen Konfrontation mit der KMK. Das Problem soll eher mitverwaltet und „gemeinsam überwunden“ werden, anstatt die Interessen der Beschäftigten darzustellen und offensiv gegenüber der KMK zu vertreten und durchzusetzen.

Was könnte die GEW anders machen?

Einer der Punkte, die die GEW als Lösung vorschlägt ist u. a.:

„Um ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessert und damit attraktiver werden (Senkung der Arbeitszeit, kleinere Klassen, mehr Ausgleichsstunden, besserer Gesundheitsschutz, höhere Altersermäßigung, Unterstützungssysteme für Lehrkräfte wie Team-Coaching und Supervision usw.).“

Diese Forderungen finden sich nicht umsonst unter „Punkt 1“ ihrer Liste! Sie stellen zentrale Fragen dar, durch den der Lehrer:innenberuf attraktiver gestaltet werden kann, um so Kolleg:innen im Beruf zu halten und junge Leute für diesen zu begeistern. Leider widerspricht der Vorschlag der KMK fast allen Forderungen. Dies verdeutlicht, dass hier kein Kompromiss auszuhandeln ist. Es muss sich vonseiten der GEW auf eine langanhaltende Auseinandersetzung und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Schulen und darüber hinaus eingestellt werden.

Für die GEW spielt daher der Kampf um einen „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ und für „kleinere Klassen“ in Berlin eine nicht zu unterschätzende Vorreiterrolle! Dieser wird um eine der zentralen Fragen ausgefochten: Wer holt die Kohlen aus dem Feuer? Die Beschäftigten durch Mehrarbeit und schlechtere Arbeitsbedingungen – und infolgedessen auch die Schüler:innen und Eltern – oder werden Verbesserungen erkämpft und durchgesetzt, die die Krise im Sinne der Beschäftigen, Schüler:innen und Eltern lösen?

Um diesen Kampf aber zu gewinnen, muss die GEW in Berlin ihre Streikstrategie ändern. Die bisherigen eintägigen Warnstreiks haben gezeigt, dass sie nicht ausreichen, um den Senat zum Umdenken zu bewegen. Sie sollte die Gespräche für gescheitert erklären, die Organisation sowie Durchführung eines unbefristeten Erzwingungsstreiks einleiten und ihre Kampfkraft zusammen mit den Kolleg:innen im öffentlichen Dienst, bei der Post und im Nahverkehr auf der Straße vereinigen. Hier können wir positiv auf die Initiative der Jungen GEW Berlin verweisen, die richtigerweise eine Unterschriftenliste gestartet hat, indem sie den Vorstand der GEW Berlin dazu aufruft, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären sowie die notwendigen Vorbereitungen und Durchführung eines Erzwingungsstreiks einzuleiten (https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdDESQdkzQGP6lqAFjbYToI6ylV8LGk9bOyqpJxw-qDr137eQ/viewform).

Bundesweite Solidaritätskampagne für die Berliner Kolleg:innen!

Die GEW bundesweit muss aber nicht nur zuschauen, was in Berlin passiert, sondern sollte schnellstmöglich damit beginnen, den Kampf ihres Berliner Landesverbandes voll zu unterstützen. Sie sollte eine Solidaritätskampagne initiieren, in der sie Lehrkräfte, Schüler:innen und Eltern in Solidarität mit dem Berliner Tarifkampf sammelt. Neben dem Aussprechen von Solidarität sollte sie auch darauf abzielen, politischen Druck aufzubauen, indem sie die SPD und LINKE dazu aufruft, ihre Blockadehaltung zu durchbrechen. Hierbei sollte sich gezielt auf diese beiden Parteien fokussiert werden, sind es doch gerade die SPD und LINKE, die am meisten in den Gewerkschaften verankert sind und somit durch eine gewerkschaftliche Initiative erreicht und unter Druck gesetzt werden können. Zusätzlich stellen Parteien wie die CDU oder FDP gewerkschaftsfeindliche Parteien dar, von denen nichts zu erwarten ist. Hier sollte keine politisch diffuse Kampagne gefahren werden, in der Hoffnung ein paar mehr Solidaritätsstimmen zu bekommen. Aus einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik muss hier eine Klassenlinie gezogen werden und die CDU bzw. FDP stehen hier auf der anderen Seite.

Eine solche Solidaritätskampagne könnte in zweierlei Hinsicht nützlich sein. Erstens könnte sie dazu führen, exemplarisch in einem Bundesland „Kleinere Klassen“ tariflich festzuschreiben. Zweitens könnte sie auch als Ansatzpunkt fungieren, um diese Forderung in einer bundesweiten Initiative zu kanalisieren und mit weiteren Forderungen des „15-Punkte-Plans“ zu verbinden. Diese bundesweite Initiative sollte diese Forderungen als Bestandteil der kommenden Tarifverhandlungen rund um den „Tarifvertrag der Länder“ (TV-L) vorschlagen und diese in die Tarifverhandlungen integrieren.

So hätten alle Kolleg:innen im Bildungsbereich, ob Schule oder Kita, die Chance, nicht nur in Berlin, sondern bundesweit zusammen mit unseren Schüler:innen und ihren Eltern auf die Straße zu gehen und der KMK ein klares „Nein“ auf ihre Vorschläge entgegenzurufen. Wir haben die Krise nicht verursacht! Wir werden auch nicht dafür geradestehen!




„Die Blockadehaltung des Senats ist eine absolute Unverschämtheit!“

Interview mit Clara, Berliner Lehrerin, geführt von Christian Gebhardt, Neue Internationale 269, November 2022

Beim letzten Warnstreik gingen 3.500 Kolleg:innen auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen, dass es ihnen mit der Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz ernst ist. Wir haben eine der Streikenden zu dieser Tarifauseinandersetzung interviewt.

NI: Hallo Clara, erzähl unseren Leser:innen doch kurz etwas von dir.

Clara: Moin, ich bin Clara und Lehrerin an einer Sekundarstufe in Berlin-Mitte. Neben meinem Beruf als Lehrerin bin ich noch gewerkschaftlich in der Jungen GEW Berlin aktiv und interessiert an einer aktiven Gewerkschaftsarbeit.

NI: Ich arbeite selbst als Lehrkraft an einer Berufsschule in Baden-Württemberg und wir lesen gerade immer wieder etwas von euren Streikaktionen für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV-G). Berichte uns doch kurz von dieser Initiative.

Clara: Der Arbeitskampf rund um den TV-G hat bisher zu mehreren Warnstreiks mit bis zu 3.500 streikenden Kolleg:innen geführt. Der Hauptfokus liegt hier auf der tariflichen Festschreibung der Klassengrößen. Eine Studie der GEW zur Arbeitsbelastung hat diesen Faktor als einen der Hauptpunkte für die Arbeitsbelastung von Lehrkräften herausgearbeitet. Bisher setzt der Senat mittels Verwaltungsvorschriften ohne verbindliche Absprachen mit uns Lehrkräften die Klassengrößen fest. Eine tarifliche Festlegung würde diese Vorgehensweise aushebeln.

NI: Lässt sich der Senat überhaupt auf Verhandlungen oder Diskussionen ein?

Clara: Kurz gesagt: nein! Der Senat schiebt die Verantwortung auf die Tarifgemeinschaft der Länder ab. Berlin ist Teil dieser Gemeinschaft, die die Tarifverhandlungen führt. Da diese jedoch die Diskussion um einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz abgelehnt haben, sieht sich der Senat in Berlin nicht in der Pflicht, Diskussionen mit uns zu führen oder gar ein Angebot auf den Tisch zu legen. In Wechselunterrichtsphasen während der Coronapandemie haben wir Kolleg:innen jedoch praktisch erfahren, wie effektiv Unterricht in kleineren Lerngruppen ist. Die Blockadehaltung des Senats ist eine absolute Unverschämtheit, wir sind stinksauer!

NI: Auffallend bei der Tarifauseinandersetzung ist, dass die GEW sich ausschließlich auf Schulen konzentriert. Gibt es Gründe, wieso nicht auch andere prekäre Bildungseinrichtungen wie Kitas mit einbezogen werden?

Clara: Diese Entscheidung empfinde ich auch als total unverständlich. Gerade in unserer Jungen-GEW-Gruppe haben wir ebenfalls Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen, die regelmäßig von den gleichen Belastungen und vom Druck berichten, größere Gruppen zu betreuen. Gerade während der Coronapandemie war und ist es normal, dass eine Person auch mal zwei Gruppen parallel betreuen muss, da eine Kolleg:in kurzerhand ausgefallen ist. Die GEW argumentiert, dass der Kampf nun erst einmal exemplarisch für die Lehrkräfte geführt werden soll und dann auf andere Berufsgruppen übertragen werden kann. Dies kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, da wir für unsere Forderungen eigentlich viel effektiver streiken und streiten könnten, wenn wir alle Betroffenen mit ins Boot holen würden. Alle im Bildungsbereich tätigen Kolleg:innen haben die gleichen Probleme und benötigen somit die gleichen tariflichen Absicherungen.

NI: Wenn die GEW nur für Teilbereiche streiten möchte, wie macht sich das dann in ihrer Mobilisierung bemerkbar?

Clara: Die Mobilisierung wird eigentlich ganz klassisch von oben organisiert. Die Gewerkschaftsführung ruft zum Streik auf und die Vertrauenspersonen versuchen, dafür an ihren Einrichtungen zu mobilisieren. Darüber hinaus wird die GEW selbst aber nicht aktiv. Sie organisiert wenig bis keine Diskussionsveranstaltungen, um mit Kolleg:innen direkt in Kontakt zu kommen oder Basisstrukturen aufzubauen, die den Streik selbst organisieren und in die Hand nehmen. Gerade dieses Element aus dem Streik der Pflegekräfte hier in Berlin hatte sich sehr positiv auf die Mobilisierung an den Krankenhäusern ausgewirkt. Warum die GEW-Vorstände sich daran kein Beispiel nehmen, kann ich mir nur so erklären, dass sie an einer aktiven Einbindung der Basis kein Interesse haben bzw. nicht wissen, wie diese funktionieren soll.

NI: Wenn ich in meinen eigenen Pausen an der Schule die GEW-Pinnwand anschaue, lacht mich schon seit gut zwei Schuljahren ein Plakat an, auf dem kleinere Klassen gefordert werden. Diese Forderungen wurde ja jetzt nicht gerade neu erfunden. Wie bewertest du das Vorgehen der GEW, um die Ziele der Initiative nun auch wirklich mal zu erreichen?

Clara: Die Blockadehaltung des Senats hat gezeigt, dass die Strategie der Warnstreiks nicht genügend Druck aufbaut, um den Senat zu Verhandlungen zu bewegen. Aus meiner Sicht sollte hier die GEW ihre Schlagzahl erhöhen und mehr Streiks mit weniger Abständen organisieren. Es sollte das Ziel sein, diese in einen Erzwingungsstreik zu verwandeln. Die Vorbereitungen und notwendigen Abstimmungen für einen solchen Erzwingungsstreik könnten jetzt schon parallel zu den häufigeren Warnstreiks durchgeführt werden. Gleichzeitig sollte der alleinige Fokus auf die Schulen aufgehoben werden. Auch wenn dies die Tarifverhandlungen eventuell verkompliziert, sollten wir unsere eigene Kampfkraft nicht schon im Vorhinein selbst einschränken. Alle Kolleg:innen auf die Straße!

Zu guter Letzt sollte sich die GEW ein Beispiel an den Organisationsstrukturen der Krankenhausbewegung in Berlin nehmen. Sie sollte aktiv den Aufbau von Basisstrukturen vorantreiben, die nicht nur für das Verteilen von Flyern und Aufhängen von Plakaten dienen sollten, sondern selbst über die Inhalte und die Koordinierung des Streiks diskutieren und abstimmen sollten. Nur so können wir erreichen, dass wir Kolleg:innen entscheiden, wann Verhandlungen abgebrochen, wann zum Streik aufgerufen und unter welchen Bedingungen wir im positiven Falle den Streik auch wieder abbrechen wollen.

Meine Erfahrungen in vorherigen Kampagnen haben aber gezeigt, dass der GEW-Vorstand seine Kontrolle hier nicht gerne aus der Hand gibt. Mobilisierungen vor Ort werden gerne „basisdemokratisch“ delegiert. Die Inhalte und Entscheidungen werden aber nicht aus der Hand gegeben. Wir benötigen daher basisoppositionelle Strukturen innerhalb der Gewerkschaft, die sich für solche Methoden und Perspektiven der Tarifauseinandersetzung einsetzen und, wenn nötig, sich mit unseren Vorsitzenden darüber streiten.

NI: Vielen Dank für das Gespräch und deine Einblicke in die derzeitige Auseinandersetzung rund um den TV-G. Sollten Leser:innen am Aufbau einer Basisopposition innerhalb der GEW zusammen mit Clara Interesse haben, könnt ihr euch gerne bei uns melden. Wir vermitteln gerne einen Kontakt.




Schulen und Kitas: gewappnet für das beginnende Schuljahr?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 267, September 2022

Die Sommerferien sind in den meisten Bundesländern zu Ende. Die Schüler:innen und Lehrkräfte sind zurück in ihren Schulen, die Kinder und Erzieher:innen in ihren Kitaeinrichtungen. In einer perfekten Welt würden nun alle gestärkt und erholt in ein neues Jahr voller Wissenszuwachs und Entwicklungssprünge starten. Stattdessen stapeln sich die Probleme: die Angst vor einer neuen Coronawelle im Herbst und Winter, der hohe Personalmangel an Lehrkräften bzw. Erzieher:innen wie auch fehlende Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen, um die psychischen Belastungen der Coronapandemie – mit der noch viele Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben – sowie die Lernrückstände aufholen zu können.

Fehlende Investitionen

Es ist nichts Neues, dass unser Bildungssystem mit seinen unterschiedlichen Bereichen nicht gut ausfinanziert ist. Die Fortbildungen lassen zu wünschen übrig und die Gebäude benötigen nicht nur mit Hinblick auf bessere Lüftungsanlagen eine Sanierung. Anstatt auf Investitionen dürfen wir uns mit auf kommende Kürzungen gefasst machen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt in Baden-Württemberg rhetorisch denn Weg vor, in dem er größere Klassenteiler vorschlägt oder von Kolleg:innen in Teilzeit eine Stunde Mehrarbeit verlangt. Das grüne Außenministerium lässt schon Taten folgen und kürzt die Mittel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für rund 6.000 Stipendien. Darüber hinaus wurde in Verhandlungen rund um den Berliner Haushalt lange darüber gesprochen, an drei Posten im Bildungshaushalt zu sparen: 1) an der Schulbauoffensive sollten 136 Millionen Euro eingespart werden, 2) an der Lehrkräftefortbildung 16,5 Millionen Euro und 3)  sollten 5 – 10 Millionen Euro für sogenannte „multiprofessionelle Teams“ (z B. Zusammenarbeit zwischen Erzieher:innen und Lehrkräften mit Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen) gekürzt werden. Diese Kürzungen wurden trotz überraschenden Steuermehreinnahmen von 300 Millionen Euro diskutiert und vorgeschlagen. Argumentiert werden sie wie auch fehlende und notwendige Mehrinvestitionen mit allgemeinen Haushaltseinsparungen, die aufgrund des erneut ausgesprochenen Ziels der schwarzen Null durch die Ampelkoalition durchgeführt werden müssten.

Verhinderte Kürzungen in Berlin!?

In der Hauptstadt haben die angekündigten Kürzungen gepaart mit den Steuermehreinnahmen zu einem Aufschrei einiger Initiativen und Organisationen im Bildungsbereich geführt. Die Berliner Initiative „Schule muss anders“, die auch durch die GEW Berlin unterstützt wird, thematisierte die Kürzungen und organisierte eine Mahnwache dazu. Gleichzeitig sprachen sich auch die Bildungspolitiker:innen der drei Regierungsparteien in Berlin (darunter Philipp Dehne von der Linkspartei, der auch in „Schule muss anders“ aktiv ist) gegen die Kürzungen aus und wandten sich an ihre Fraktionsspitzen, um diese zum Einlenken zu bewegen. Schlussendlich könnten sich die Akteur:innen in Berlin über die Rücknahme der Mehrzahl der angekündigten Kürzungen freuen.

Einerseits muss aber die Frage gestellt werden, ob sie wirklich erfolgreich verhindert oder nur nach hinten geschoben wurden. Die schon angesprochene Rhetorik in anderen Bundesländern sowie Bereichen des Bildungssystems und der notwendigen Haushaltseinsparungen werden weitere Einsparungen sehr wahrscheinlich machen. Deshalb muss die Frage der Aktionsform in Berlin näher unter die Lupe genommen werden. Waren eine Mahnwache sowie ein Brief der Bildungspolitiker:innen an die Fraktionsspitzen genug, um die Kürzungen zu verhindern?

Vergegenwärtigen wir uns die allgemeine politische Situation, befindet sich die rot-grün-rote Landesregierung wie alle anderen und die Bundesregierung in einer Situation, in der sie inmitten hoher Kriegsausgaben, einer historischen Inflation und Energiepreissprüngen das kapitalistische System verwalten müssen. In einer Zeit, in der offen von möglichen sozialen Unruhen im Herbst gesprochen wird, die Koalitionsverhandlungen in Berlin alles andere als rund über die Bühne gingen und mit dem Volksentscheid „DeutscheWohnen & Co. enteignen“ schon eine wichtige, soziale Frage in der Hauptstadt von der Koalition mit Füßen getreten wird, kann sich diese mit einem weiteren Wortbruch im Bildungssystem nicht noch weiter gegen ihre Basis und Wähler:innen stellen.

Möglich war dieses Zugeständnis im Bildungsbereich aber nur, weil die Steuermehreinnahmen von 300 Millionen Euro als Verhandlungsbasis zur Verfügung standen. Wäre dieses Geld nicht vorhanden gewesen, hätten „wir alle“ in Berlin den Gürtel auch im Bildungsbereich noch enger schnallen müssen. Solche Zeiten drohen uns durch die massiven Militärausgaben in Zeiten des Ukrainekrieges, der u. a. für die imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals geführt wird.

Um uns für kommende Angriffe im Bildungssystem zu wappnen, müssen wir unsere Kämpfe als solche gegen alle kommenden Kürzungen verstehen. Hierfür benötigen wir eine bundesweite Bewegung der Arbeiter:innenklasse gegen die Inflationsauswirkungen und bevorstehende Sparmaßnahmen, ob im Bildungs-, Gesundheits- oder anderen Bereichen des „Sozialstaates“. Die Organisation einer bundesweiten Aktionskonferenz, um vereinzelte Proteste und Initiativen zusammenzuführen, stellt die Aufgabe der Stunde für große Organisationen wie die DGB-Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien dar. Notwendig hierfür ist ein Bruch mit der Sozialpartner:innenschaft sowie den unterschiedlichen Koalitionen mit offen bürgerlichen Parteien.