Solidarität mit den Protesten gegen Tesla!

Jan Hektik, Infomail 1250, 3. April 2024

Der Wald in Grünheide ist besetzt und wird es wohl vorerst auch bleiben. Durch die Besetzung wollen Aktivist:innen den Ausbau der dort ansässigen Teslafabrik verhindern, um die Umwelt und die dort lebende Bevölkerung vor dem zerstörerischen Einfluss der „Gigafactory“ zu schützen. Die Kritik und Proteste gegen das Projekt kommen aus drei Richtungen. Sie beziehen sich auf den Schutz der Umwelt, der ansässigen Bevölkerung sowie der Arbeiter:Innen in der Fabrik. Zuletzt sabotierten sie hierfür einen Strommast, was zu Produktionsausfällen bei Tesla und einem verschärften Ton gegenüber den Aktivist:innen führte.

An dieser Stelle möchten wir einen Überblick über die Ausgangslage, die Protestformen gegen die Erweiterung der Teslafabrik sowie die Auswirkungen des Protestes geben, um anschließend eigene Schlussfolgerungen für den weiteren Kampf zu ziehen.

Warum ist die Tesla Fabrik so problematisch?

Doch bevor wir auf das Spezifische bei Tesla eingehen, zunächst einmal zum Grundproblem: E-Autos werden als umweltfreundliche Alternative zum Verbrennerauto dargestellt und vermarktet. Ignoriert wird dabei der immense Umweltschaden durch die Lithiumgewinnung, die Ineffizienz von Individualverkehr sowie die Frage der Stromerzeugung (CO2 aus dem Schornstein statt dem Auspuff). Zugleich gerät die eigentlich dringend notwendige Verkehrswende bei der Fokussierung auf die E-Mobilität aus dem Blick (Mehr dazu hier).

Bei Tesla kommt hinzu, dass der Ausbau der Fabrik die Rodung eines Waldes im Landschaftsschutzgebiet notwendig werden lässt. Es handelt sich hierbei um einen Mischwald, dessen Zerstörung erhebliche Auswirkungen auf das Ökosystem und die Umwelt haben könnte. Darüber hinaus befindet sich die Fabrik teilweise in einem Trinkwasserschutzgebiet. Nicht nur führt der enorm hohe Verbrauch der Fabrik schon jetzt zu Trinkwasserknappheit und zu Einschränkungen der Entnahme für die Bevölkerung. Auch die Qualität des Wassers leidet unter der umweltschädigenden Produktion angeblich „grüner“ Teslakarossen, was gesundheitsschädigende Folgen für die ansässige Bevölkerung mit sich bringen kann. Elon Musk hat all diese Probleme mit seinem ihm eigenen Charme bisher einfach abgetan – schließlich will er auch weiterhin Milliardengewinne einfahren. Umwelt- und Sicherheitsstandards stehen diesem Vorhaben nur im Weg.

Darüber hinaus gab es bereits etliche große „Pannen“ und Unfälle im Teslawerk Grünheide und einen besonders dreisten Umgang damit seitens der Firmenleitung, was dazu führte, dass auch Teile der bürgerlichen Presse sowie einige Sozialdemokrat:innen das Projekt kritisch betrachten. Bei einem Unfall im Jahr 2022 wurde Lack verschüttet, welcher vermutlich in die Kanalisation gelaufen ist. Darüber hinaus kam es im Werk auch schon zu mehreren Unfällen aufgrund der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen. Dabei wurden Arbeiter:innen wiederholt verletzt.

Weiterhin attestiert der Wasserverband Strausberg-Erkner (WSE) seinem Vertragspartner Tesla wiederholte und andauernde Grenzwertüberschreitungen bezüglich der  Schadstoffe im Abwasser der Fabrik. Teilweise würden die Grenzwerte um das Fünffache überschritten. Trotz mehrfacher Abmahnungen sei keine Besserung in Sicht. Kein Wunder also, dass sich bei derartigen Problemen Widerstand gegen den weiteren Ausbau der Fabrik regt.

Widerstand

Protest gegen diese Verhältnisse kommt vor allem von drei Seiten: einer Bürger:innenitiative in Grünheide, der IG Metall sowie von ungefähr 90 Umweltaktivist:Innen, die den Wald besetzt haben, der gerodet werden soll.

Der Schutz des Trinkwassers steht dabei im Fokus der Besetzung und der Bürger:innenitiative der Gemeinde Grünheide, die sich in einer Abstimmung bei 76 % Wahlbeteiligung mit 57 % gegen eine Erweiterung ausgesprochen hat. Der darauffolgende Vorschlag der Gemeinde, angesichts des Ergebnisses gegebenenfalls nur den halben Wald zu roden, ist ein Hohn und ein Schlag ins Gesicht der Bürger:inneninitiative sowie der ansässigen Bevölkerung.

Auch die Situation der Arbeiter:innen bei Tesla ist kritikwürdig. Betriebsunfälle häufen sich und führen zu schweren Verletzungen bei der überwiegend aus dem Ausland (hauptsächlich Polen) stammenden Belegschaft. Gleichzeitig liegt die Bezahlung 15 – 20 Prozent unter dem Branchendurchschnitt und die Verträge beinhalten rechtlich umstrittene Knebelklauseln.

Die Situation bei Tesla entspricht somit einer Bilderbuchkritik des Marxismus am Kapitalismus: Auf Kosten von Natur, Anwohner:Innen und Arbeiter:Innen werden die Profite der Unternehmen mit staatlichen Mitteln geschützt und durchgesetzt.

Das Protestcamp

Um den Ausbau der Fabrik zu verhindern, haben Aktivist:innen ein Protestcamp im Wald nahe der Fabrik errichtet. Nachdem die Besetzer:Innen des Waldes zunächst Auflagen der Polizei erhalten hatten, welche die Erweiterung des Camps untersagte, den Abriss der Baumhäuser vorschrieb und das Camp bis zum 15.03.2024 begrenzte, wandten sich die Besetzer:innen mit einer Klage an das Verwaltungsgericht Potsdam. Offensichtlich haben sie aus den Erfahrungen der Waldbesetzungen im Hambi und Dani gelernt, da unter anderem ein Baugutachten von den Aktivist:innen beauftragt wurde. Das Gericht hat nun die Auflagen für unwirksam erklärt, sodass das Camp zunächst unbefristet bleiben darf. Wie weitere Instanzen ggf. entscheiden werden, bleibt abzuwarten. Wir erinnern uns, dass auch bei der Besetzung des Hambacher Forsts das Verwaltungsgericht Köln zunächst positiv für das Camp entschied und die Entscheidung dann später von höherer Instanz gekippt und die Räumung für rechtmäßig erklärt wurden. Gleichzeitig ist die öffentliche Unterstützung für das Camp, besonders in der Umgebung von Grünheide, sehr hoch. Der Ruf von Tesla ist hingegen sehr schlecht. Gute Bedingungen also, um die Besetzung möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Auch von den Forderungen und politischen Aussagen her, die auf den Transparenten im Camp zu lesen sind, scheinen die Besetzer:innen die progressivste Kraft darzustellen. Wir lesen hier Solidaritätsbekundungen mit Palästina, Verbindungen internationaler Kämpfe wie bspw. in Chile gegen die Ausbeutung und Umweltzerstörung im Zusammenhang mit der dortigen Lithiumgewinnung sowie Kritik am Konzept des Individualverkehrs, wie wir sie oben ebenfalls dargelegt haben.

Zudem scheinen die Besetzer:Innen diejenigen zu sein, die sich am stärksten darum bemühen, die Proteste gegen die Gigafactory zu verbinden. Sie beziehen sich positiv auf die Bürger:innenitiative und haben ihre Besetzung kurz nach der Abstimmung gegen die geplante Erweiterung begonnen. Auch versuchen sie, Kontakte und Verbindungen zu den Arbeiter:innen bei Tesla herzustellen, was sich jedoch aufgrund der Knebelverträge und Drohungen von Kündigungen schwierig gestaltet.

Zudem haben sie es bei Tesla mit einem Betriebsrat zu tun, der fest an der Seite der Bosse steht und öffentlich für deren Interessen Stellung bezieht. So erklärte er sich nach den Anschlägen auf die Stromversorgung nicht nur solidarisch mit der Firmenleitung. Die Betriebsratsvorsitzende entblödete sich darüber hinaus auch nicht, die Teslageschäftsführung für ihre Ankündigung zu loben, die Löhne der Beschäftigten während des erzwungenen zweiwöchigen Stillstands weiter zu zahlen – also etwas umzusetzen, wozu Tesla ohnehin gesetzlich verpflichtet ist.

Der Brandanschlag und seine Folgen

Der Brandanschlag auf den Strommast, der zum Produktionsstillstand führte, wurde begangen, um die Teslaproduktion lahmzulegen. Allerdings kam es auch zu Stromausfällen in der umliegenden Wohngegend. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die bürgerlichen Medien und Politiker:innen, um die Sabotage und Besetzung zu verurteilen und dadurch vom eigentlichen Skandal abzulenken – der umweltzerstörerischen und menschenfeindlichen Produktion ressourcenverschlingender Luxuskarossen gegen den Willen der dort lebenden Bevölkerung.

Anstatt daher die Verurteilung der Aktivist:innen zu fordern, sollten wir uns fragen, wo die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Körperverletzung aufgrund der Vergiftung des Trinkwassers bleiben? Oder die Schadensersatzansprüche gegen Tesla wegen der Trinkwasserknappheit? Oder die Ermittlungen wegen massenweisen Betrugs gegenüber den mit rechtswidrigen Knebelverträgen gebeutelten Arbeiter:innen?

Stattdessen haben sich Medien und Politiker:innen aber auf die Aktivist:innen eingeschossen. Wir aber stellen uns gegen jede Verfolgung und Verurteilung dieser Menschen. Zwar lehnen auch wir die Anschläge ab, da sie nur zur Isolation gegenüber den Massen und zur stärkeren Repression durch den Staat führen. Dennoch erklären wir uns solidarisch mit denjenigen, die in ihrer Verzweiflung angesichts der Lage zu solchen Mitteln der direkten Aktion greifen. Wir erklären uns auch solidarisch mit den Besetzer:innen, die ihrerseits betonen, dass der Anschlag auf den Strommast nicht aus ihren eigenen Reihen erfolgte.

Perspektive

Wir sind solidarisch mit allen Formen des Protestes gegen die Erweiterung des Werkes, ohne dabei vor taktischer Kritik zurückzuschrecken. Weniger klar ist die Sache bei der IG Metall, die bei den Betriebsratswahlen Ende März 2024 stärkste Kraft wurde. Ihre Kritik an Tesla beschränkt sich weitgehend auf die schlechten Arbeitsbedingungen. Trotz des Geredes von der Transformation der Wirtschaft wird von ihr die Sinnhaftigkeit der Produktion von E-Autos nicht grundsätzlich infrage gestellt.  Im Gegenteil: Auf der IG-Metall-Website wird der IG-Metall-Bezirksleiter  mit den Worten zitiert: „Die IG Metall ist die Gewerkschaft aller Beschäftigten in der Autoindustrie in Deutschland. Für uns ist völlig selbstverständlich, dass wir den Aufbau und auch den Ausbau des Werkes in Grünheide befürworten. Wir sind für ein Tesla in Grünheide, das den Beschäftigten die in der Branche üblichen guten Arbeitsbedingungen bietet.“

Es geht aber bei Tesla nicht nur um die Frage von längeren Taktzeiten und angemessenen Bandpausen, sondern darüber hinaus um Fragen von Trinkwassergefährdung, Umweltzerstörung und der Unvereinbarkeit von kapitalistischer Produktionsweise und nachhaltiger Entwicklung. Die Probleme, die Tesla durch die Produktion von Elektroautos verursacht, reichen weit über den Betrieb in Grünheide hinaus – im Gegensatz zu der beschränkten Perspektive der Gewerkschaftsfunktionär:innen, die nicht fähig sind, über den Tellerrand des einzelnen Betriebes hinauszublicken.

Gewerkschaften müssen handeln – im Interesse der gesamten Klasse!

Bei diesen grundlegenden Fragen dürfen sich die Gewerkschaften aber nicht einfach wegducken, in der Hoffnung, dass „die Politik“ schon die richtigen Entscheidungen auf überbetrieblicher Ebene treffen und für eine „grüne Transformation“ sorgen wird. Gerade sie wären in der Lage, hier für Verbesserungen zu kämpfen – und zwar auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, nicht nur im einzelnen Betrieb. Die Bürger:inneninitiative und die Besetzer:innen des Waldes jedenfalls scheinen für einen Schulterschluss mit den Gewerkschaften bereit zu sein. Das Bündnis „Wir fahren zusammen“ von FFF und ver.di ist trotz vieler Probleme ein positives Beispiel für diese Art von Allianz zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung.

Da die Führungen der Gewerkschaften aber nach wie vor eine sozialpartnerschaftliche Politik der Klassenkollaboration verfolgen und einen bornierten, einzelbetrieblichen Blick auf die Probleme an den Tag legen, ist es an uns Mitgliedern, innerhalb der Gewerkschaften dafür zu kämpfen, dass diesen Kräften aus der Umweltbewegung die Hand gereicht, ein Ausbau des Werks verhindert und ein gemeinsamer Kampf für eine Verkehrswende im Interesse der arbeitenden und konsumierenden Massen geführt wird.

Weiterhin muss die IG Metall nicht nur Kritik an den Verträgen und Arbeitsbedingungen üben, sondern auch effektiven Widerstand dagegen organisieren. Wo sind die Kundgebungen gegen die Arbeitsbedingungen, die Streiks gegen die vergleichsweise niedrigen Löhne? Wo bleibt die Klage vor dem Arbeitsgericht zur rechtlichen Überprüfung der Schweigeklauseln? Diese Fragen gilt es zu verbinden mit einer darüber hinausgehenden gesellschaftlichen Perspektive.

Als GAM sind wir Teil der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die versucht, über Gewerkschaftsgrenzen hinweg kämpferische Kolleg:innen zu vernetzen und einen gemeinsamen Kampf für demokratische und klassenkämpferische Gewerkschaften zu führen.

Wir fordern:

  • Solidarisierung der Gewerkschaften mit der Besetzung des Waldes und Unterstützung der Bürger:inneninitiative!
  • Schluss mit Knebelverträgen, Zeitarbeit und untertariflicher Bezahlung!
  • Stopp der Teslaerweiterung und erneute Überprüfung der umweltschädigenden Aspekte der bestehenden Produktion unter Einbeziehung von Expert:innen und unter Kontrolle der Gewerkschaften!
  • Produktionsstopp der Teslafabrik bis zur Klärung der obigen Frage bei vollständiger Lohnfortzahlung für die Beschäftigten!
  • Verstaatlichung der Automobilindustrie, Beschäftigungsgarantie, Weiterführung und Umstellung der Produktion in Richtung echter Wende des Massenverkehrs unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Für die Erarbeitung und Durchsetzung eines Umweltnotplanes durch die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung!



„Erfahrungen, die mich prägen und bleiben werden“

Interview mit Aktivist:in der Lützerath-Besetzung, Infomail 1213, 12. Februar 2023

Vor rund drei Wochen wurde Lützerath geräumt. Welche Eindrücke und Gedanken haben Aktivist:innen von dort mitgenommen? Eines unserer Mitglieder war selbst im Dorf und hat sich nach der Räumung und den Aktionen nochmal mit einem Menschen aus seiner Bezugsgruppe getroffen und unterhalten.

GAM: Es ist jetzt ein bisschen her, dass Lützerath geräumt wurde. Aber alle, die da waren, haben viele und intensive Erinnerungen mitgenommen. Du warst sowohl im Dorf, wurdest geräumt und bist am Samstag auf der Großdemo gewesen. Was bleibt da für dich persönlich von Lützerath?

S: Also im Großen und Ganzen habe ich eine positive Erinnerung an die Zeit in Lützerath selber. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und hatte sehr gute Gespräche dort. Auch den Kampf habe ich als empowernd wahrgenommen. Wir haben gemeinsam an Barrikaden gebaut und uns zusammen in einem Haus verschanzt, um die Räumung zu verzögern. Mir gibt das generell Energie, dort diese Gemeinschaft gespürt zu haben und in ihr etwas zu erreichen. Wir sind in der ganzen Welt in die Medien gekommen, haben es geschafft, auf Lützerath und das Thema aufmerksam zu machen. Das war auch von Anfang an das Ziel. Ich denke, den meisten Aktivistis war klar, dass es nicht möglich sein wird, die Räumung zu verhindern. Aber wir haben es versucht und alle, die da waren, hatten das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Auch für mich, den Widerstand zu spüren, in dem Haus gewesen zu sein, zusammen zu kochen, zu essen, zu singen, sich auf die Räumung vorzubereiten, sich um einander zu kümmern und dann auch die Räumung gemeinsam durchzustehen. Das sind auf jeden Fall Erfahrungen, die mich weiter prägen und bleiben werden.

GAM: Ja, so ein Gefühl ein bisschen jenseits des Kapitalismus. Auf der anderen Seite der Barrikade passierte das Gegenteil, die Polizei hat RWEs Interessen mit krasser Gewalt durchgesetzt. Wie hast du das wahrgenommen?

S: Ich musste leider auch selbst Polizeigewalt erleben. Am Anfang der Räumung stand ich mit anderen in einer Menschenkette, wo dann ein Polizist auf mich zugerannt ist und mir seine Faust ins Gesicht gehauen hat, wovon ich dann eine blutige Lippe davongetragen habe. Das war unangenehm und im Endeffekt hätte er mich auch einfach zurückdrängen können. Das hätte genau die gleiche Wirkung gehabt. Ich hatte aber den Eindruck, dass er das so machen wollte. Und auch generell hatte ich den Eindruck, dass die Polizei in Lützerath Gewalt angewendet hat, wo es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, es überstürzt um Einschüchterung ging und scheinbar auch einfach darum, Gewalt auszuleben. Für die Räumung selbst war das nicht notwendig.

Auch nach meiner Räumung wurde ich zwei Stunden im kalten Regen festgehalten, was sich auch als Gewalt bezeichnen lässt.

Im späteren Verlauf der Großdemo, nach der Räumung, wurde ich dann mit einem Schlagstock am Kopf getroffen, wovon ich eine sechs Zentimeter lange Platzwunde davongetragen habe, was für mich dann im Krankenhaus endete. Im Großen und Ganzen empfand ich das Auftreten der Polizei also sehr unangenehm und gewaltvoll.

GAM: Mhm. Wirklich vielen Aktivist:innen geht es ja so, eine wahrscheinlich dreistellige Zahl an Verletzten und Herbert Reul sagt dann noch „Zeigt euch doch!“, nur um dann noch eine Strafverfolgung hinterherzuschicken. Im Endeffekt sind dann alle mit Verletzungen dem Staat gegenüber alleine und haben nichts gegen die Polizei in der Hand.

Jetzt ist der Kampf ja auch noch nicht vorbei. Die Kohle ist noch im Boden, auch wenn Lützerath zerstört ist. Was denkst du, braucht der Protest noch, damit er erfolgreich werden kann?

S: Also ich verbuche Lützerath schon als Erfolg, einfach weil es medial weltweit und in Deutschland so stark präsent war. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Räumung durch RWE und Polizei innerhalb kürzester Zeit durchgezogen wurde und auch ohne größere Schwierigkeiten, abgesehen vom Tunnel. Und da kann man sich natürlich die Frage stellen, was hätte helfen können, damit die Räumung hätte verhindert werden können. Einerseits ist da natürlich die Vorstellung, was wäre, wenn Hunderttausende nach Lützerath gekommen wären. Das hätte sicherlich einen Unterschied ausgemacht. Zum andern denke ich aber, dass es einen großen Unterschied machen würde, die Arbeiter:innen von RWE auf unsere Seite zu ziehen und dann gemeinsam mit ihnen diesen Kampf zu führen. Denn sie sind letztlich diejenigen, die im Konzern RWE wirklich was erreichen können. Das  wäre natürlich ein Ziel für die Zukunft, mithilfe von Streiks und der Solidarisierung unter Aktivistis und Mitarbeitenden gegen RWE zu kämpfen.

GAM: Ja, das ist sicher eine wichtige – und große – Aufgabe für die Klimabewegung, auch weil dafür im Betrieb der Einfluss der IG-BCE-Führung gebrochen werden muss, um eine Auseinandersetzung rund um wirklichen Klimaschutz zu erreichen. Zum Schluss nochmal die Frage: Was war der positivste Moment für dich in Lützi?

S: Die Nacht vor der Räumung, sich zusammen vorzubereiten und nochmal eine gute Zeit zu haben. Das war natürlich eine aufregende Zeit, eine Achterbahn der Gefühle. Aber es war auch schön und diese Gemeinschaft wünsche ich mir natürlich manchmal zurück.

GAM: Das wünschen sich sicher viele zurück. Danke schön für das Interview und gute Besserung wegen der Kopfverletzung!

S: Danke schön!




Lützerath ist zerstört – wir sind es nicht

Leo Drais, Infomail 1211, 19. Januar 2023

Mir brutaler Gewalt haben Staat und RWE Fakten geschaffen, Lützerath innerhalb einer Woche gestürmt, geräumt und abgerissen. Hunderte Aktivist:innen wurden aus Baum- und besetzten Häusern vertrieben – Orte, die sie als Zuhause empfanden. 35.000 Klimaschützer:innen kamen am Wochenende und riefen laut: „Lützi bleibt!“ Viele rangen in Schlamm und Sturm mit der Polizei, einige mussten wegen hemmungslos prügelnder Cops ins Krankenhaus. Die Proteste gingen bis zum 18. Januar weiter, einige hundert beteiligten sich an einem dezentralen Aktionstag von Ende Gelände.

Trotzdem, und es tut weh, das zu schreiben – haben wir trotz eines großen Mobilisierungserfolgs und eines riesigen Rückhalts im ganzen Land und weltweit Lützerath an RWE verloren.

Wer noch da ist, sind wir. Wir werden Lützi nicht vergessen, und daraus lernen:

1. Besetzungen sind richtig, aber das Mittel hat Grenzen

Hambi, Danni, Lützi: drei Orte, die wie keine anderen in Deutschland für Kämpfe gegen den fossilen Kapitalismus stehen, gegen Braunkohleabbau und ein aberwitziges Verkehrssystem.

Weitgehend unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit gab und gibt es daneben eine Reihe weiterer, kleinerer Waldbesetzungen. Am 19. Januar räumte die schwarz-grüne Landesregierung Hessens den Fechenheimer Wald in Frankfurt für den Ausbau der A66. Man bleibt sich eben treu.

In Lützerath dauerte der Einsatz anstatt erwarteter bis zu vier Wochen dann doch nur einige Tage. Im Vergleich zum Danni und Hambi eine kurze Zeit (dort knapp 70 bzw. 35 Tage), obwohl die Anzahl der Besetzer:innen ähnlich hoch war. Klarer Weise liegt dieser Unterschied darin, dass ein kleines Dorf leichter zu räumen ist und die Polizei den Ort mit RWE abgesperrt hatte, während im nicht absperrbaren Dannenröder Wald viele Aktivist:innen, die heute geräumt wurden, morgen wieder vor Ort waren.

Dass die Polizei in Lützerath von einer Räumungsdauer von bis zu vier Wochen ausging, liegt sicher auch daran, dass sie mehr militante Gegenwehr erwartet hatte. Doch die Gewalt blieb auf Seiten der Aktivist:innen fast komplett aus, ging wesentlich nur von den Bullen aus, die dabei wiederholt Menschenleben gefährdeten.

Auch wenn es nur wenige Tage dauerte – Lützerath zu besetzen und zu verteidigen, war richtig. Jeder Kampf braucht wirkmächtige Symbole, und Lützi ist so eins. Viele Menschen wurden um diesen Kampf mobilisiert, entwickelten sich politisch weiter, brachen mit den Grünen und hinterfragen einen Staat, der ihnen auf die Fresse gab. Für viele, die durch FFF politisiert wurden, war das die erste größere Konfrontation mit organisierter Polizeigewalt.

Auch wenn die Räumung gelang, so ging das Ziel, die Bewegung zu spalten, nicht auf. Im Gegenteil: Die Repression führte zu einer massiven Solidarisierung mit der Besetzung, einem Gefühl der Gemeinsamkeit aller Demonstrant:innen, ob nun radikaler Linker, entschlossener Aktivist:innen, Gewerkschafter:innen, Mitgliedern von Umweltverbänden, der Linkspartei oder enttäuschten Basismitgliedern von Grünen und SPD. Aus Sicht antikapitalistischer Klimapolitik bedeutet Lützerath einen moralischen, inhaltlichen Sieg, weil eine breite, sich radikalisierende Massenbewegung sichtbar wurde, die nach der Räumung sicher nicht verschwinden wird.

Zudem war Lützi viel mehr als nur die Besetzung. Es gab und gibt eine breite Verankerung in der Region. Über die Grenzen Deutschlands hinweg wurden Menschen mobilisiert – weil es einen Ort, ein Symbol gab, um das sie sich sammeln konnten. Selten hat der Staat auf so einfach verständliche Weise Kapitalinteressen verteidigt, und immer mehr gerade jungen Aktivist:innen wird klar, dass es keine andere Wahl gibt, als sich dem zu widersetzen.

Lützi bedeutet aber auch die Erkenntnis, dass eine Besetzung alleine, selbst mit der Unterstützung von 35.000 Demonstrierenden, die fossile Profitimaschine nicht ausschalten kann.

2. Es knirscht in den Grünen

Lützerath bedeutet auch eine gewisse Zerreißprobe der Grünen. Die Wirkung dessen, dass schon wieder sie daran beteiligt sind, den Braunkohleabbau durchzusetzen, sollte nicht überschätzt werden. Gerade ihre Wähler:innenschaft zeichnet sich durch hohe opportune Elastizität aus, zumal es keine wirklich taugliche Wahlalternative für sie gibt. Sie sollte aber auch nicht unterschätzt werden.

Die Grüne Jugend alleine mobilisierte wahrscheinlich weit über tausend Menschen zur Großdemo und allen ist klar, dass dieser riesige Lochfraß wegen der Grünen passiert, auch wenn ihre Führer:innen noch so oft sagen, dass sie darüber nicht glücklich seien.

So was muss Spuren im Bewusstsein hinterlassen haben. Vor vier Jahren wuchsen die Grünen und besonders die Grüne Jugend auf der Welle von FFF an, auch ohne offen aufzutreten (im Hintergrund dafür umso mehr). Jetzt kommen Zweifel auf und das ist aus antikapitalistischer Sicht gut so. Denn letztlich sind die Grünen dem Kapitalismus verpflichtet, die Welt ist mit ihnen nicht zu retten. Der Bruch mit ihnen ist für alle, die ihnen Lützerath übelnehmen, notwendig und richtig.

Ob es jetzt zu größeren Brüchen mit den Grünen kommt, wird sich zeigen. Es hängt davon ab, ob die Linke eine Alternative formulieren kann und liegt auch an Figuren wie Luisa Neubauer, die dadurch, dass sie sich einerseits als Aktivist:innen verkaufen können, andererseits aber den Bruch mit den Grünen nicht vollziehen, diese Partei von links decken.

Nicht nur die Partei, auch die Ideologie vom grünen Kapitalismus, die Hoffnungen in den „Green New Deal“ der Bundesregierung wurden in Lützerath erschüttert.

So oder so. Wir bieten allen, die nach einer Alternative suchen, die offene Diskussion darüber an, wie wir gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage kämpfen und gewinnen können.

3. Gewalt, die so nicht heißen darf

Alle, die in und um Lützerath unterwegs waren, nehmen auch eine gewaltvolle Erfahrung mit, die in der bürgerlichen Presse entweder sehr stark relativiert oder uns gleich ganz in die Schuhe geschoben wird.

Dabei belegen unzählige Videos, wie brutal die Polizei gegen uns vorgegangen ist. Viele tragen Platzwunden, Prellungen oder Knochenbrüche davon.

Es ist zynisch, dass wir in der Schule lernen mussten, der Staat verfüge über das Gewaltmonopol, aber wenn er es in aller Schärfe anwendet, soll die Gewalt nur von den anderen ausgegangen sein. Die Gewalt der Bullen wird nicht beim Namen genannt.

Zudem wird unser Protest auf die Frage der Rechtmäßigkeit gelenkt – und damit weg von unseren eigentlichen Forderungen und Zielen, einem effektiven Klimaschutz. Es heißt, die Bullen haben das Recht, Gewalt anzuwenden, RWE habe das Recht, die Kohle abzubaggern, wir hätten kein Recht, uns dem entgegenzustellen. Aber alles, was damit gesagt wird, ist, dass das bürgerliche Recht eben eines ist, das die Zerstörung von Dörfern und Wäldern für Profite zulässt. Es ist das Recht der Kapitalist:innen, ihre Macht zu behalten.

Dagegen zu protestieren, ist legitim, genauso wie, dagegen organisiert Widerstand zu leisten, solange wir untereinander Rücksicht nehmen und Gewalt kein Selbstzweck ist. Dann kann dieser auch der Arbeiter:innenklasse vermittelt, von dieser mitgetragen werden.

4. Antikapitalismus rocks, aber er braucht Klimaklassenkampf!

Womit wir wieder bei der Frage sind: Was sind eigentlich die Mittel, die uns das nächste Lützerath erfolgreich verteidigen lassen?

Eine Besetzung alleine ist es nicht, auch wenn, wie oben beschrieben, es verkürzt wäre, Lützi nur auf die Besetzung zu reduzieren. Wie auch im Danni hätte es sie nie ohne die breite Unterstützung insbesondere vor Ort gegeben.

Es gibt eine gewisse Geschichte von Protesten gegen Umweltzerstörung, die sogar als Massenbewegung auftraten, die – teilweise auch dank roher Polizeigewalt – sogar eine breite moralische Unterstützung genossen und die Umweltschäden trotzdem nicht verhindern konnten. Dazu zählen die Proteste gegen die Startbahn West Frankfurt, Stuttgart 21, die A49 (Danni) oder eben Lützerath. Gorleben und Wackersdorf waren demgegenüber zumindest halb erfolgreich, wobei keineswegs ein schnellstmöglicher Ausstieg aus Atomstrom erreicht wurde und auch nicht, dass die Energiekonzerne die Kosten für Endlagerung und Rückbau der Meiler zahlten.

Alle diese Proteste hatten zumindest zeitweise tausende, teilweise sogar über 100.000e Menschen mobilisiert. Aber warum wurden sie nicht von Erfolg gekrönt trotz aller Entschlossenheit, die Aktivist:innen vor Ort an den Tag legten? Der Kampfgeist vieler anarchistischer Klimaaktivist:innen oder Ende-Gelände-Teilnehmer:innen ist etwas, wovon sich große Teile der sozialistischen Linken eine Scheibe abschneiden könnten.

Aber auch das allein reicht noch nicht. Wir müssen uns klarmachen, dass ohne die Beschäftigten von RWE und anderen Energieunternehmen sowie generell aus der Großindustrie der Kampf gegen diese Kapitale kaum gewonnen werden kann. Auch wenn diese oft jene Schichten der Arbeiter:innenklasse verkörpern, die nicht als erste gegen die Umweltzerstörung aktiv werden, auch wenn sich etliche aus Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz an die Seite „ihres“ Unternehmens stellen, so ist dies kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Viele Arbeiter:innen fragen sich selbst, was in Zukunft überhaupt für wen produziert werden soll. Vielen dämmert es längst, dass die ökokapitalistische Transformation der Ampelregierung und EU ein Schwindel ist, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird.

Hinzu kommt, dass diese Beschäftigten eine Schlüsselrolle nicht nur bei der Enteignung dieser Konzerne spielen müssen, sondern vor allem bei der Reorganisation der gesamten Energieproduktion unerlässlich sind. Schließlich reicht es nicht, wenn nach einer etwaigen Verstaatlichung von RWE und Co. Staatsbeamt:innen anstelle kapitalistischer Manager:innen den Laden kontrollieren.

Entscheidend ist vielmehr, welche Klasse die Energieproduktion lenkt. Eine Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse – die Beschäftigten wie Vertreter:innen aller Lohnabhängigen, also im Grunde die gesamte Gesellschaft – lässt sich nur mit den Arbeiter:innen von RWE, Vattenfall, LEAG, eon usw. ausüben. Sie sind es, die wir gewinnen, davon überzeugen müssen, dass nicht sie die Energiewende durch Jobverlust bezahlen sollen, sondern sie diese selbst gestalten und vollziehen können.

Die Hürden dafür sind hoch, insbesondere weil mit den Führer:innen der größten Gewerkschaft des Sektors, der IG BCE, große Verfechter:innen fossiler Energien in die Arbeiter:innenklasse wirken. Aber vielleicht müssen wir auch gar nicht dort anfangen, die Verbindung zur Arbeiter:innenklasse zu suchen. Der Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, der eine große Interessenüberschneidung mit der Klimabewegung aufweist, bietet sich vielleicht eher als Anknüpfung.

Nächstes Jahr steht dort eine Tarifrunde an. Wir sollten nicht einfach nur eine arbeitsteilige Unterstützung anbieten, sondern mit den Kolleg:innen diskutieren – zum Beispiel darüber, wie ein kostenloser Nahverkehr erreicht werden kann. Hier liegt vielleicht ein Ansatz für Klimaklassenkampf: Arbeitskämpfe nicht nur für höhere Löhne, sondern auch für Streckenausbau und kostenlosen Nahverkehr.

Aber – das wäre ja ein politischer Streik?! Stimmt! Denn Lützi lehrt uns, dass es nicht darauf ankommt, was erlaubt ist und was nicht, sondern auf das, was richtig und wirksam ist.




Tag X! Lützerath verteidigen!

Aufruf der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1209, 4. Januar 2023

Lützerath hat den Tag X ausgerufen. Dies kommt als Reaktion auf Maßnahmen von RWE und der Polizei. Diese haben damit begonnen, Strukturen anzugreifen, die von den Bewohner:innen des Dorfes aufgebaut wurden, um es zu erhalten. Ebenfalls wurden eine Zufahrtsstraße für schweres Gerät und Wälle aufgeschüttet als auch Zäune zur Abschirmung des Dorfes aufgestellt.

Das heißt: Die Räumung des besetzten Weilers hat begonnen. Unsere Anstrengungen, diese zu verhindern, müssen nun ebenfalls verstärkt werden. Wir als Arbeiter:innenmacht möchten hierfür einen Beitrag leisten.

Wir möchten betonen: Wir stehen nicht vor einer selbstverständlichen Niederlage nach einem langen Kampf. Es gibt gute Grundlagen für eine Verteidigung. Die Aktivist:innen vor Ort haben diese zwei Jahre lang mit ehrlicher, harter politischer Arbeit vorbereitet. Hierfür muss ihnen von allen Spektren der Linken und der Klimabewegung Respekt gezollt werden.

Diese neuen Einwohner:innen Lützeraths sind bereit, den Ort, den sie mittlerweile ihr Heim nennen, und mit diesem die 1,5-Grad-Grenze zu verteidigen. Es gibt eine breite Verankerung und Unterstützung in der Region, im Kreis Heinsberg, unter den Dörfern an der Kante. Hunderte weitere Aktivist:innen sind bereits vor Ort. Tausende sollten sich in den nächsten Tagen anschließen. Voraussichtlich bis zum 09.01. wird es möglich sein, legal zur Mahnwache und damit in das Dorf zu gelangen. Es sollte unser Ziel sein, dass Zehntausende an der Großdemonstration in der Region am 14. Januar teilnehmen.

Vor einer Entscheidung

Aber die Situation drängt auf eine Entscheidung. Die Gegenseite weiß dies und so wird die Schlinge zugezogen: von der schwarz-grünen Landesregierung, von RWE und der willfährigen Polizei.

Es bahnt sich hier eine Entscheidung an, welche für die künftige Klimabewegung konstitutiv und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zentral sein dürfte. Dennoch, Lützerath ist für uns keine Offenbarung, auch wenn dies für viele so sein mag, die große Hoffnungen auf einen Richtungswechsel unter einer grünen Bundesregierung legten. Es handelt sich auch nicht um einen Fehler der Grünen, wie Luisa Neubauer sagt.

Die Räumung des Weilers und die Ausdehnung des Kohletagebaus Garzweiler II nennt sich in der Welt dieser Partei schlicht Realpolitik. Ein integraler Teil davon sind zwangsläufig auch die regelmäßigen Beteuerungen, dass man diese eigentlich nicht betreiben wolle. Sie wollten auch die A49 nicht und lassen sie bauen. Sie wollten auch Stuttgart 21 nicht und lassen es bauen. Ach, sie wollten so vieles nicht. Aber noch viel mehr wollen sie Teil dieses Systems sein. Die Grünen haben eine grundlegende Transformation vollzogen, in der sie nicht mehr in erster Linie als grüne, sondern als bürgerliche Partei glaubwürdig sein wollen. Ihr vorderstes Ziel ist es, Teil der bürgerlichen Regierung zu sein.

Das aber bedeutet, dass sie für eine Klimabewegung keine – gar keine! – Glaubwürdigkeit, kein Vertrauen mehr besitzen darf, die ihren eigenen Slogan ernst nimmt, System Change statt Climate Change zu erwirken! Lützerath fällt nicht, weil die Grünen einen Fehler machen, sondern weil sie aktiv die Räumung Lützeraths vorantreiben. Eine Partei, die den Kapitalismus verteidigt, muss auch RWEs Interessen durchsetzen.

Aber was muss passieren, damit Lützerath nicht zur Realdystopie wie der Danni und Hambi wird? Reicht unsere jetzige Verteidigung? Wir werden es sehen. Aber selbst wenn bis zum Ende der Räumungs- und Rodungssaison durchgehalten wird, selbst wenn der Einsatz noch so teuer wird – was passiert dann? RWE wird nicht nachlassen, hat Lützerath sowieso fast schon zur Hälfte umbaggert, koste es was wolle. Im Hambi nahm man auch den Tod in Kauf. Individuelle Militanz, verklebte Fingerkuppen und Entschlossenheit alleine, so sehr sie moralisch gerechtfertigt sind, sind auf Dauer nicht genug. Was also hilft da?

Klimaklassenkampf!

Was uns bisher fehlt, ist: Klimaklassenkampf, eine Stilllegung von RWEs Tagebau durch die, die dort arbeiten, ein wirklicher Klimastreik: Autobänder, Bahnen, Rüstungsfabriken anhalten, damit Lützerath bleibt, damit wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Weil es das nicht gibt, ist die Besetzung natürlich das aus der Not geborene Mittel der Wahl, bewundernswert, definitiv unterstützenswert, aber gegen die Macht von Staat und Konzernen strategisch unterlegen.

Über die unmittelbaren praktischen Aufgaben einer Besetzung hinaus brauchen wir die Debatte, wie wir jene gewinnen können, die den Profit der Klimakiller erarbeiten. Etliche von ihnen wollen in ihrer Rolle als Lohnabhängige dieser Konzerne nichts von der der Klimabewegung wissen. So erscheint es zumindest. Das ist definitiv auch Schuld von Gewerkschaftsführungen, die selbst am fossilen Tropf hängen, allen voran die IG BCE und die IG Metall.

Vielen ist aber vollkommen klar, dass das, was sie jeden Tag bauen, produzieren oder konstruieren, nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Allerdings gibt es keine alternative Strategie, die Arbeitsplätze erhält oder neue schafft und das mit sozialer Sicherheit verbindet, die nicht von den Beschäftigten, sondern den Kapitalist:innen bezahlt wird. Immerhin, es gibt erste Sektoren unter Beschäftigten bei Bus und Bahn oder bei regenerativen Energiebetreibern, aber auch in der Metallindustrie, die beginnen, die Verhältnisse in Frage zu stellen.

Das bisher größte Problem in unserem Kampf bleibt aber, dass es eine weitgehende Trennung zwischen der Klimabewegung und denen gibt, die täglich im fossilen Kapitalismus arbeiten müssen. Wie viele fuhren zu Ende Gelände nach Hamburg und wollten von den Hafenstreiks nichts wissen? Wie viele kämpferische Gewerkschafter:innen kommen nicht darauf, selbst mal eine Besetzung in Augenschein zu nehmen, den Austausch mit Aktivist:innen auf Klimacamps zu suchen. Wir sollten deswegen nicht glauben, dass viele Klimaaktivist:innen nicht selbst Lohnabhängige sein mögen oder umgekehrt. Es gibt aber bisher keine organischen und organisatorischen Verbindungen, die über die Bekenntnis zum gemeinsamen Kampf hinausgehen.

Wir als Arbeiter:innenmacht sehen uns als Organisation, die diese Verbindungen schaffen und dies gemeinsam mit allen tun möchte, die dieses Ziel teilen. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass dies ein Unterfangen ist, dass letztlich nur gegen den Widerstand der konservativsten Elemente sowohl in der Gewerkschafts- als auch der Umweltbewegung durchgesetzt werden kann.

Es braucht aber auch Sofortmaßnahmen.

  • Wir rufen euch auf: Bringt euch und eure Organisationen jetzt in die Verteidigung Lützeraths ein!

  • Beteiligt euch massenhaft an der Besetzung vor Ort! Unterstützt sie finanziell, logistisch oder medial, insbesondere, wenn ihr nicht selbst in Lützerath sein könnt!

  • Beteiligt euch an der Demonstration nach Lützerath am 14. Januar! Beteiligt euch auch an Solidaritätsaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen im Bundesgebiet! Wo möglich plädieren wir insbesondere für das Mittel politischer Betriebsversammlungen, die sich gegen die Räumung aussprechen.

Aktuelle Infos unter: https://luetzerathlebt.info

Vor allem muss die Verteidigung Lützeraths einen kollektiven Charakter annehmen. Bringt Erklärungen in Gewerkschaftsgliederungen, Mietervereinen, sozialen Verbänden, Parteien und Vereinen ein, die den Erhalt Lützeraths fordern, die Rodungen verurteilen und Maßnahmen eurer Organisation ankündigen! Sendet diese Erklärungen auch an die Landesregierung in NRW! In ihnen sollten eure Organisationen oder Gliederungen sich aber auch dazu verpflichten, dem Kampf gegen die Rodung finanziell, logistisch, medial, rechtlich und/oder durch die Mobilisierung von Protesten zu helfen.

Die Beteiligung an der Besetzung und an der Demonstration am 14. Januar ist eine wichtige Sache. Aber wir werden Rodung und Räumung nicht allein vor Ort stoppen können. Wir müssen den politischen Preis für die schwarz-grüne Landes-, für die Bundesregierung und für RWE durch große und vor allem koordinierte bundesweite Proteste in die Höhe treiben. Gegen die Räumungsversuche sollten in Düsseldorf, in Berlin und weiteren Städten möglichst große Aktionen auf die Beine gestellt werden. Hierfür sollten wir nicht nur den linken Flügel der Klimabewegung und der linken Bewegungen gewinnen. Wir sollten auch die Grünen, die SPD und die Gewerkschaftsführungen auffordern, für Lützerath zu mobilisieren – gerade um die inneren Widersprüche in diesen Organisationen voranzutreiben und durch Aktion und gemeinsame Erfahrung jene an der Basis für eine alternative Politik zu gewinnen, die sich zunehmend von der Politik der regierenden Parteien verraten fühlen.

Lützerath ist eine der vielen Chancen, die Trennung zwischen Klimaaktivist:innen und Arbeiter:innenklasse zumindest im Ansatz zu überwinden, Militante für Klimaklassenkampf zu gewinnen. Besser, wir nehmen sie wahr. Noch drei Jahre, bis die 1,5 Grad gerissen werden könnten, eine Grenze, die zwischen den Baggern und Lützi verläuft.

  • Solidarität mit Lützerath! Alle Dörfer bleiben! Klima schützen ist kein Verbrechen!



End Fossil: Occupy! Was können wir von den Unibesetzungen lernen?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Zwischen September und Dezember 2022 sollten unter dem Namen „End Fossil: Occupy!“ weltweit hunderte Schulen und Unis besetzt werden. Auch in Deutschland sind in über 20 Städten Uni- und Schulbesetzungen angekündigt. Startpunkt für die Aktionen war Uni Göttingen, an der wir uns am 24. Oktober auch beteiligten. Weitere folgten an der Technischen Universität Berlin oder in Frankfurt/Main. Aber was fordern die Aktivistist:innen von End Fossil: Occupy! eigentlich?

Ziele

Im Großen und Ganzen richtet sich End Fossil: Occupy! – wie der Name der Kampagne richtig vermuten lässt – gegen jede Form der fossilen Produktion. So heißt es auf der internationalen Website: „Unser Ziel ist es, das System zu verändern, indem wir die fossile Wirtschaft auf internationaler Ebene beenden. Je nach lokalem Kontext können die Forderungen variieren: Beendigung des Abbaus fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Infrastrukturen oder andere.“

Vom deutschen Ableger werden dabei weitere spezifischere Forderungen aufgeworfen. Im Fokus steht dabei die Beendigung der profitorientierten Energieproduktion mittels Übergewinnsteuer aller Energieträger und langfristiger Vergesellschaftung der Energieproduktion insgesamt. Ebenso tritt die Initiative für die Verkehrswende für alle ein, da der Verkehrssektor 18,2 % der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen ausmacht. Um dies zu ändern, braucht es laut Aktivist:innen  einen regelmäßigen, für alle erreichbaren ÖPNV sowie einen massiven Ausbau des überregionalen Schienennetzes. Damit er auch von allen genutzt werden kann, wird darüber hinaus ein 9-Euro-Ticket gefordert und langfristig ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr angestrebt. Daneben schließt sich End Fossil: Occupy! auch den Forderungen von Lützi bleibt!, Debt for Climate und Genug ist Genug an. Zusätzlich erheben viele Besetzungen auch lokale Forderungen, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.

Und wie soll das erreicht werden?

End Fossil: Occupy! ist eine Ansammlung von Aktivist:innen aus der Umweltbewegung, von denen ein guter Teil von Fridays for Future geprägt wurde. Diverse Organisationen unterstützen die Initiative, aber im Stil der Umweltbewegung gibt es keine offene Unterstützer:innenliste, um sich nicht zum „Spielball“ unterschiedlicher Interessen zu machen und „unabhängig“ zu bleiben. Darüber hinaus fallen weitere Ähnlichkeiten mit der bisherigen Klimabewegung auf. So wird auf der Website recht eindeutig gesagt, dass End Fossil: Occupy! von „unzähligen historischen Beispielen, wie der Pinguin Revolution 2006 in Chile, der Primavera Secundarista 2016 in Brasilien, der weltweiten Mobilisierung in und nach 1986 und vielen anderen“ inspiriert ist. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Gleichzeitig muss aber bewusst sein, dass sowohl die Proteste in Chile 2006 als auch die  Bildungsstreikproteste in Brasilien, bei denen in kürzester Zeit über 100 Universitäten im ganzen Land besetzt wurden, in einer wesentlich anderen Ausgangslage stattgefunden haben. Bei beiden Beispielen gab es konkrete Angriffe auf das Bildungssystem. Die Besetzungen waren die Antwort von Schüler:innen, Studierenden und teilweise Lehrenden, um diese aktiv abzuwehren.

Aufbauend auf diesen Bezugspunkten setzt die Kampagne jedenfalls mehrere Prinzipien für ihre eigenen Aktionen fest:

„Die Besetzungen sind organisiert von jungen Menschen. Der politische Rahmen hinter den Besetzungen ist der der Klimagerechtigkeit. Wir wollen ein Ende der fossilen Industrie, um Klimaneutralität und weltweite soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Unser Ziel wollen wir durch einen globalen und sozial gerechten Prozess erreichen. Unsere Intention ist es, (Hoch-)Schulen an verschiedensten Orten zu besetzen und so das öffentliche Leben zu stören, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.“

Kurzum, die Besetzung soll Druck auf Institutionen aufbauen. Diese müssen dann den Forderungen der Aktivist:innen zustimmen und so sollen der fossilen Produktion Stück für Stück Absatzmärkte entzogen werden.

Unibesetzungen

Besetzungen stellen hier also ein zentrales Mittel zur Veränderung der Lage dar. Gemäß aktuellem Kräfteverhältnis folgt allerdings eher dem Muster der direkten Aktion, also mit dem Hintergedanken, dass Menschen durch eine radikale Tat selbst in Aktivität gezogen werden. Vor Ort, also an den Unis oder Schulen, gibt es unter den Studierenden eigentlich keine systematische Vorbereitungsarbeit. Die Masse soll vielmehr durch die unmittelbare Besetzung und ihre mediale Bewerbung so inspiriert werden, dass sich mehr und mehr Leute spontan anschließen. Dabei gibt es jedoch mehrere Probleme, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Schulen und Universitäten sind keine oder nur im sehr begrenzten Rahmen – z. B. wenn die Forschung direkt mit industrieller Entwicklung verbunden ist – Orte der Mehrwertproduktion. Das heißt, Streik hier wirkt anders als beispielsweise in Sektoren wie der Bahn oder Autoindustrie. Dementsprechend ist es zwar logisch, von „Störung des öffentlichen Lebens“ zu sprechen, gleichzeitig sorgt sie aber auch dafür, dass diese Auseinandersetzungen länger ausgesessen werden können und weniger Druck erzeugen als Betriebsbesetzungen. Das sollte einem bewusst sein, insbesondere, wenn die Gegner multinationale Konzerne sind.

Heißt das, dass wir das alles schwachsinnig finden? Nein, im Gegenteil. Grundsätzlich halten wir die Initiative für sinnvoll und glauben, dass sie Potenzial entfalten kann. Deswegen haben wir Besetzungen, wo wir vor Ort sind, auch aktiv mit unterstützt und wollen dies künftig weiter tun. Gleichzeitig halten wir es sinnvoll, eine offene Debatte über die Strategie der Klimabewegung zu führen, um so aus den Initiativen sowie Fehlern der Vergangenheit zu lernen und unserem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Besetzungen stellen ein wichtiges Kampfmittel der Student:innenbewegung, von Schüler:innen, Indigenen, Bauern/Bäuerinnen, aber vor allem auch der Arbeiter:innenbewegung dar und bieten in diesem Rahmen eine Menge Potenzial. Bevor wir dazu kommen, wollen wir uns jedoch anschauen, was für uns Besetzungen bedeuten.

Was steckt eigentlich hinter einer Besetzung?

Für uns Marxist:innen sind Besetzungen ein recht starkes Mittel im Klassenkampf. Auch wenn dies manchen Leser:innen als altbacken daherkommen mag, wollen wir an der Stelle einen kurzen Abschnitt aus dem Übergangsprogramm Trotzkis zitieren:

„Die Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Äußerungen dieser Initiative, sprengen die Grenzen der ‚normalen’ kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.“

Das heißt, Besetzungen werfen unmittelbar die Fragen auf: Wer kontrolliert das besetzte Gebäude, die besetzte Unternehmung? Damit stellen sie die Verfügungsgewalt des Privateigentums und/oder etablierte kapitalistische Herrschaftsstrukturen infrage. Der besetzte Betrieb ist eine lokal begrenzte Form der Doppelmacht. Selbstverwaltete Strukturen von Arbeiter:innen und Unterdrückten existieren parallel und im Gegensatz zum eigentlich staatlich gesicherten Privateigentum.

Deswegen können sich Besetzungen je nach Lage der gesamten Situation recht schnell auch zuspitzen, wie man in der Vergangenheit sehen konnte, beispielsweise von französischen Arbeiter:innen, die ihm Rahmen von Streiks Raffinerien besetzten. Solche Situationen können aber nicht ewig bestehen bleiben, da die eine Struktur immer wieder die Legitimität der anderen in Frage stellt und beide letzten Endes auch Ausdruck zweier unversöhnlicher Interessen sind.

Das heißt: Im klassischen Marxismus geht es bei Besetzungen nicht nur darum, „die Normalität zu stören“, sondern sie sind ein Mittel, um den Klassenkampf bewusst zuzuspitzen. Auf der anderen Seite sind sie auch ein Ausdruck vom Kräfteverhältnissen. D. h., die Lohnabhängigen müssen selbst eine gewisse Entschlossenheit, Bewusstheit, also auch politische und organisatorische Vorbereitung sowie ein Wissen über den/die Gegner:in besitzen, um eine solche Aktion gezielt durchzuführen und den Kampf weiterzutreiben. Ansonsten bleibt eine spontane Besetzung leicht bloßer Ausdruck von Verzweiflung und kann nicht länger gehalten werden.

Dieses Verständnis erklärt übrigens, warum isolierte Besetzungen in der Regel nicht erfolgreich sein können. Sie greifen das kapitalistische System nur an einem Punkt an und steht dem von Besetzer:innenseite keine massive, dauerhafte Mobilisierung entgegen, verfügt der/die Kapitalist:in bzw. der etablierte, bürgerliche Staat, der sein/ihr Privateigentum schützt, über weitaus mehr Ressourcen, diese zu räumen. Heißt das im Umkehrschluss, dass man nur Besetzungen machen sollte, wenn man eine Basisverankerung vor Ort hat? Die Antwort ist: Kommt drauf an, was man erreichen will. Als symbolischer Protest kann eine Besetzung auch genutzt werden, um Basisarbeit aufzunehmen. Das heißt, in diesem Sinne kann es durchaus zweckmäßig sein, dass „die Normalität gestört wird“. Wenn es aber darum geht wie im Hambacher Forst, im Dannenröder Wald oder auch bei End Fossil:Occupy!, aktiv Errungenschaften zu verteidigen oder zu erkämpfen, dann bedarf es unbedingt vorheriger Basisarbeit an dem Ort, der besetzt werden soll. Dann muss dafür auch in den bestehenden gewerkschaftlichen oder studentischen Strukturen gekämpft werden. Im Folgenden wollen wir skizzieren, wie das aussehen kann.

Wir glauben, dass Besetzungen, die mehr als einen symbolischen Charakter haben, erfolgreich sind, wenn eine Massenbasis bzw. eine Verankerung besteht, beispielsweise wenn man gesamte Gebäude einer Universität statt einzelner Hörsäle oder gar Betriebe besetzen will. Werden diese Besetzungen nicht von den Studierenden oder Arbeiter:innen getragen, werden sie schnell geräumt oder im Falle der Unis geduldet, bis die Besetzer:innen nicht mehr können.

Das heißt, sie sind ebenfalls eine bewusste Entscheidung für die Besetzung durch die Mehrheit aller, zumindest aber durch die aktiven Student:innen. Ansonsten ist sie letztlich auf Dauer nicht zu halten, organisiert keine Basis, sondern spielt faktisch Stellvertreter:innenpolitik.

Wie kommt man nun zum Ziel? Vollversammlungen sind ein sinnvolles Mittel wie beispielsweise bei der Besetzung der TU Berlin. Wichtig dabei ist, dass man a) für diese gezielt mobilisiert, indem man beispielsweise Forderungen, die man vor Ort aufstellt, präsentiert und b) die Anwesenden aktiv in die Debatte einbindet und so die Besetzung auch zu ihrer kollektiven Entscheidung gestaltet.

Letzteres ist dort leider nicht passiert und eine der Ursachen dafür, warum die Besetzung auf eine kleine Gruppe und einen Hörsaal beschränkt blieb. Die „gezielte Mobilisierung“ ist für eine wirkliche Besetzung, die das bestehende Kräfteverhältnis in Frage stellt, unumgänglicher, essentieller Teil der Vorbereitung. Das bedeutet praktisch: wochenlanges Flyern, Plakatieren, mit dem Megaphon vor der Mensa zu stehen und Gespräche mit Studierenden bzw. der Belegschaft vor Ort zu führen. Dabei kann man Termine vorschlagen, um den Kreis der Vorbereitenden zu erhöhen und mehr Aktivist:innen in die Arbeit einzubeziehen, und wenn gewollt, auch weitere kreative Mobilisierungsformen entwickeln.

Zentral ist dabei, diese mit Forderungen zu verbinden, die lokale Probleme aufzeigen bzw. thematisieren, wie es positiver Weise an der TU Berlin geschehen ist. So wurden unter anderem die Transparenz über Fördermittel sowie weitere Geldquellen der TU Berlin und  Abkehr von fossiler Finanzierung gefordert. Dabei sollten „alle Einnahmen und sonstige finanziellen Unterstützungen durch Unternehmen transparent und übersichtlich aufgeschlüsselt werden, um sowohl die Verwendung der Gelder als auch den Einfluss der Unternehmen auf akademische Strukturen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.“

Dies gleicht der Offenlegung der Geschäftsbücher, die wir unterstützen, und bietet beispielsweise auch die Möglichkeit, um mit Beschäftigten an der Uni ins Gespräch zu kommen, was die Höhe ihrer eigenen Gehälter angeht und dass die Unterstützung der Besetzung letzten Endes in ihrem Interesse liegt.

Dies sind alles kleine, mühselige Schritte – aber notwendig, wenn wir Erfolg und Besetzungen nicht bloß einen symbolischen Charakter haben sollen.




End Fossil: Fossilen Kapitalismus überwinden!

Interview mit Josh, Besetzer der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule, Göttingen, geführt von Georg Ismael, Infomail 1203, 8. November 2022

Vom 06. – 18. November versammeln sich Regierungsvertreter:innen und Klimaorganisationen zur 27. UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh. Doch viele Jugendliche haben ihr Vertrauen in diese Institutionen verloren. Das genug beschlossen, geschweige denn umgesetzt wird, daran glauben sie nicht. Deshalb versammeln sie sich selbst. Sie organisieren Besetzungen ihrer Schulen und Universitäten. Diese Bewegung ist international und nennt sich End Fossil. Es soll Druck ausgeübt werden, mehr als bei den bisherigen Demonstrationen. Die ehemals Streikenden, nun Besetzenden wollen so zu noch aktiveren Subjekten im Kampf um Klimagerechtigkeit werden. Wir haben mit Josh gesprochen. Er ist einer der Besetzer:innen an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule (IGS). Hier und am Hainberg-Gymnasium finden aktuell Besetzungen in Göttingen statt.

Seit wann besetzt ihr eure Schule?

Seit gestern Vormittag.

Und wie begann die Besetzung?

Über längere Zeit hatten wir versucht, Mitstreiter:innen über Mund-zu-Mund Propaganda zu gewinnen. Dann versammelten wir uns hier. Wir haben dann einfach Sofas, Transparente und Alles reingetragen und angefangen zu besetzen. Am Anfang waren wir so knapp 30 Schüler:innen. Gleichzeitig ist jemand von uns ins Sekretariat ans Mikro gegangen und hat durchgesagt, dass jetzt besetzt wird. Schon kurz danach kam fast eine ganze Klasse und hat sich mit uns solidarisiert. Seitdem kommen immer mehr. Heute früh war eine Lehrer:in hier. Sie hat uns belegte Brötchen mitgebracht. (In diesem Moment tauchen Schüler:innen einer Englisch-Klasse auf. Sie sagen, dass sie für ihren Unterricht Interviews machen möchten.)

Hattet ihr für all das eine Erlaubnis?

Nein, wir haben das einfach so gemacht. Es gab aber auch keinen Widerstand dagegen. Wir haben uns die Schule ausgesucht, weil es hier eine aktive Schüler:innenschaft gibt. Aber ja, die hiesige Schulleitung ist aufgeschlossen und von der inhaltlichen Wichtigkeit unseres Themas überzeugt. Das hilft. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Grund, warum wir einen Ort besetzen. Wir besetzen, weil das Thema drängt. Nicht weil wir eine Erlaubnis für unseren Protest haben.

In Köln, wo die SPD die Bezirksregierung anführt, wurden die Schulleitungen angewiesen, die Besetzungen der Schüler:innen durch schulfremdes Personal, nämlich die Polizei, brechen zu lassen. Die Aktiven beschlossen daraufhin vorerst freiwillig die Besetzungen zu beenden. Ihr konntet wiederum heute Nacht bleiben. Die Stadt Göttingen hatte einen Sicherheitsdienst abgestellt. Fühlt ihr euch jetzt sicherer?

Naja, nicht wirklich. Wir waren dagegen, dass ein Sicherheitsdienst kommt. Das haben wir auch der Sozialdezernentin gesagt, die hier war, um das zu besprechen. Wir können ja selbst auf uns und auf unsere Schule aufpassen. Wir hatten auch den Eindruck, dass es weniger um unseren Schutz als den Schutz der Sachmittel an der Schule geht. Es wurde dann gesagt, dass die Securities abschliessen. Wir sollten nur noch raus, aber nicht mehr reinkommen. Wir haben dann mit unserer Schulleiterin gesprochen. Am Hainberg-Gymnasium durften die Schüler:innen nämlich rein und raus. Es sei nur fair, dass wir das dann auch dürften. Dann haben wir den gleichen Deal wie am Hainberg bekommen.

Und wer ist wir?

Wir, das sind Schüler:innen von der Kampagne End Fossil. Wir haben die Aktionen schon seit Längerem geplant und vorbereitet. Wir hatten bei unseren Vorbereitungen die Weltklima-Konferenz in Sharm El-Sheikh im Blick. Es müssten deutlich bessere Maßnahmen beschlossen werden. Vor allem müssen aber als erstes die bisher getroffenen Beschlüsse eingehalten und durchgesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt protestieren, auch wenn der Protest nur symbolisch ist.

Was fordert ihr denn?

Einerseits stellen wir auch hier die bundesweiten Forderungen von End Fossil auf. Wir treten für eine Übergewinnsteuer auf Profite im Energiesektor ein. Letztlich muss aber die gesamte Energieindustrie vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr muss massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig braucht es die sofortige Fortführung des 9 Euro Tickets. Wir finden auch, dass Lützerath bleiben muss. Keine weitere Kohleförderung. Wir stehen an der Seite von debt4climate. Zusammen mit ihnen kämpfen wir für die Streichung der Schulden der armen Länder. Nur so werden diese genug Möglichkeiten haben, um Investitionen zugunsten einer ökologischen Transformation zu tätigen. Wir wissen aber auch, dass Klimagerechtigkeit eng mit der sozialen Frage verknüpft ist. Deswegen unterstützen wir die Forderungen von Genug ist Genug. In Niedersachsen treten wir für eine klimagerechte Lehre ein. Das Thema muss stärker in den Unterricht eingebettet werden. Aber wir brauchen auch Räume, um uns selbst beizubringen, wie wir unsere Forderungen umsetzen und gegen den Klimawandel aktiv werden können. Deswegen sind wir hier. Gleichzeitig diskutieren wir auch, was für Maßnahmen wir hier an der Schule durchsetzen möchten.

Und ihr seid eine Gruppe hier an der Schule?

Wir sind Schüler:innen dieser Schule. Aber nein, wir sind aktuell keine lokale Gruppe, sondern sind stadtweit vernetzt. Es gibt Aktive an allen möglichen Schulen. Wir haben aber gesehen, dass es für uns aktuell nur an zwei Schulen realistisch möglich gewesen wäre, eine Besetzung vorzubereiten. Dann haben wir uns alle zusammen in zwei Gruppen aufgeteilt und die jeweilige Besetzung begonnen zu planen. Aber natürlich würden wir uns freuen, wenn ein Ergebnis unserer Besetzung die Gründung einer lokalen End-Fossil Gruppe hier am IGS wäre. Aber es wäre auch ein Träumchen, wenn sich die Besetzungen auf andere Schulen ausweiten.

Ich bin heute früh von Ansagen durch ein Megafon wach geworden. Ich hatte die Vermutung, es kam aus der Nähe einer Schule in meinem Quartiert. Wart ihr das, um dieses Träumchen wahr zu machen?

Ja, das waren wir. Wir waren heute früh am Felix-Klein Gymnasium und haben dort eine Soli-Aktion durchgeführt. Jetzt schauen wir einmal, wie die Resonanz ist, wie sich die Stimmung entwickelt. Sowohl hier an der Schule und an anderen Schulen, die wir Besetzer:innen besuchen, um aufzuklären und zu mobilisieren.

Diskutiert ihr auch mit den Lehrer:innen?

Ja, wir laden alle an der Schule ein, Teil zu haben. Gestern haben wir auch mit einer solidarischen Reinigungskraft geredet. Es ist unser Ziel alle so nachhaltig wie möglich zu politisieren und zu organisieren.

Habt ihr mal darüber nachgedacht, jemanden von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einzuladen?

Bisher eher nicht. Für uns als Schüler:innen ist der aktuelle Fokus mit den anderen Schüler:innen in Kontakt zu treten. An der IGS allein sind das immerhin 1500. Und es ist auch unsere Generation, die am meisten betroffen sein wird.

Du sagtest am Anfang, der jetzige Protest sei symbolisch. Was wäre denn ein Protest für dich, der über das Symbolische hinaus geht?

Ich spreche hier erstmal nur für mich, nicht für die ganze Gruppe. Meiner Meinung nach bräuchte es mehr direkte Aktionen. Ende Gelände hat hier wichtige Initiativen vorangebracht, zum Beispiel mit der Besetzung von Kohlegruben. Es gab aber auch Sabotage-Aktionen. Vor dem größten Kalkwerk Europas wurden die Schienen verbogen. Für einen Tag konnten die Züge nichts abtransportieren. Aber letztlich braucht es Streiks. Denn auf Dauer haben Aktionen von außen nicht die Macht den Produktionsprozess nachhaltig zu verändern. Das müssen letztlich die Arbeiter:innen tun. Aber wir sind ja noch keine Arbeiter:innen. Wir sind Schüler:innen. Deswegen besetzen wir erstmal hier an der Schule, und wir führen eben die Aktionen durch, die uns als Schüler:innen möglich sind. Oft ist das eben auch die direkte Aktion.

Ist dir noch etwas wichtig zu sagen?

Ja. Einerseits ist es sehr gut, dass wir momentan viel Aufmerksamkeit bekommen. Das Göttinger Tageblatt war hier. Auch der NDR. Aber meistens werden wir nur nach so organisatorischen Sachen gefragt. Aber uns geht es ja nicht um die Form sondern den Inhalt. Bei vielen ist dann bisher auch nur hängengeblieben, dass man anders konsumieren sollte. Das ist gut und richtig. Aber es ist ja eben auch eine systematische Frage. Das wirtschaftliche System, das hinter der Klima- und Umweltkatastrophe steht, und das nun mal zentral auf fossilen Brennstoffen beruht, muss verändert werden. Darüber sollten wir mehr gefragt werden. Darüber müssen wir alle viel mehr reden.

Und hat dieses System auch einen Namen für dich?

Kapitalismus. Aber wir haben auch gemerkt, dass manche gesamtgesellschaftliche Fragen von der linken Szene schlecht besetzt wurden. Es gibt gewisse Vorurteile. Deswegen erklären wir erstmal was ist und worum es geht. Dann geben wir dem Ganzen einen Namen. Aber auf dem Transparent hier steht ja auch „Fossilen Kapitalismus überwinden“.




Lützerath, die Umweltbewegung und die Grünen

Leo Drais, Neue Internationale 269, November 2022

Es gibt Orte, von denen kaum wer wüsste, wären sie nicht zum Schnittpunkt von Umweltzerstörung und Kampf dagegen geworden. Der Hambacher und Dannenröder Wald sind solche Orte. Oder – Lützerath.

Die Hälfte des kleinen Weilers ist bereits geschliffen, der letzter offizielle Einwohner, der Landwirt Eckardt Heukamp, zog Anfang Oktober aus, nachdem er vor Gericht gegen RWE verloren hatte. Gerade mal 50 Meter trennen den Ort noch vom Abgrund des Energieriesen, des Tagebaus Garzweiler II. Und doch ist Lützerath nicht ausgestorben. Mehr als 200 Klimaaktivist:innen halten es besetzt – 10 mal mehr, als der Ort offizielle Bewohner:innen hatte.

Der Artikel könnte also auch heißen: Solidarität mit „Lützi“! Oder: Wie kann Lützerath gehalten werden?

Warum Lützerath?

Die besondere Brisanz Lützeraths ergibt sich aus einer Studie, der zufolge die 1,5-Grad-Grenze  sinnbildlich zwischen der jetzigen Abbruchkante und dem Ort verläuft. Wenn RWE die unter Lützerath liegende Braunkohle verstromt, ist allein dadurch das CO2-Budget, das Deutschland zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens noch zusteht, verbraucht.

Natürlich steht und fällt das nicht allein hier. Selbst wenn das braunschwarze Nichts nicht weiter gefräst wird, wird der deutsche Kapitalismus jedes noch so weit gesteckte Klimaziel verfehlen. Allein die Autoindustrie sorgt schon dafür, früher oder später.

Trotzdem ergibt sich aus der Lage Lützeraths nicht nur eine hohe Symbolwirkung des Protests gegen Umweltzerstörung, sondern auch tatsächlich eine reale ökologische Notwendigkeit, dass der Ort nicht fällt.

Dabei schien es immer wieder so, dass er quasi fast und im Grunde eigentlich schon beabsichtigt werde, gerettet zu werden. In etwa so klangen die Landesregierung von NRW, die Ampel vor gut einem Jahr, der Bundestag noch diesen Sommer. So unverbindlich wie geheuchelt.

Und dann, am 4. Oktober, hauen RWE, NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur (Grüne) zusammen mit Robert Habeck raus, dass Lützerath abgebaggert werde. Seitdem kann jeden Tag der Räumungsbefehl ergehen. Dafür bestrebe man, also sei man dafür, solle auf jeden Fall schon 2030 aus der Braunkohleverstromung ausgestiegen werden. Ja, ja. Der Physik des Klimas ist das egal, nachfolgende Generationen werden‘s danken.

Heuchelei und Lüge – Bündnis ’90/Die Grünen

Wie schon im Hambi und Danni wird der Marschbefehl auf Lützi unter Mitwirkung der Grünen erteilt, als Teil der Landesregierung und der Ampel sowieso. Im Grunde sind sie zur Zeit die konsequenteste, zugleich auch die verlogenste Partei im Interesse des deutschen Kapitalismus.

Denn um diesen geht es den Grünen als bürgerlicher Partei eigentlich. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine trieb sie dazu, konsequenter und offener ihren Klassenstandpunkt zu beziehen. Der rechte Flügel um Habeck, Baerbock, Hofreiter usw. nutzt die Lage, um die Grünen von ökologisch sowieso völlig unzureichenden Prinzipien zu befreien. Der Kampf um die Ukraine, bei dem die Grünen auch gleich mal den letzten pazifistischen Rest ausmisten, erfordere eben „Realpolitik“.

Und das bedeutet, an der Spitze einer Macht wie Deutschland, einem imperialistischen Land eben, auch einen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Konkurrenten zu führen. Die Unabhängigkeit vom Menschenrecht verachtenden russischen Gas soll mit Menschenrecht verachtendem saudischen und katarischen erkauft werden (auch wenn der Katar-Deal erstmal platzte), garniert mit Frackinggas aus den USA und eben rheinischer Braunkohle. Auch am AKW-Strom hält man noch etwas länger fest.

Wir stellen hier auch gar nicht in Abrede, dass die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Strom und Wärme sichergestellt werden muss. Aber die Politik der Grünen ist diesbezüglich verlogen und geheuchelt.

Solange ein Großteil der Kosten auf die Bevölkerung abgewälzt wird, ohne die Überprofite der Energieriesen anzurühren, solange VW in seinen werkseigenen Kraftwerken Gas verfeuern darf, um eine völlig unökologische und ineffiziente Verkehrsweise zu produzieren, solange der schleifende Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Ausbau des Autobahnnetzes gepaart wird und Koalitionsfrieden und kapitalistische „Realpolitik“ das Agieren bestimmen, kann diese Politik nicht anders bezeichnet werden.

Es geht den Grünen um die Konkurrenzfähigkeit der energieintensiven deutschen Industrie und nur zweitrangig um Versorgungssicherheit. Für letztere ist die Kohle unter Lützerath wie überhaupt von Garzweiler, Hambach und Inden kaum erforderlich, schon gar nicht bis 2030.

Und, wir wollen hier auch keine Illusionen erzeugen, dass es irgendwann anders sein könnte. Die Grünen werden auch in Zukunft Wälder roden, E-Auto-Fabriken bauen und Kriege führen lassen und sagen „Wir haben das nie gewollt, wir können nur nicht anders.“ Wenigstens ist der zweite Halbsatz für eine Partei, die glaubt, man könne Kapitalismus entgegen jeder Logik auch auf ökologisch trimmen, tatsächlich ein bisschen ehrlich. Als bürgerliche Partei können sie tatsächlich nicht anders, und alle, die vielleicht motiviert durch Fridays for Future mit ernsthaften Ambitionen in die Partei eintraten und sich jetzt enttäuscht sehen, sind gut beraten, sie zu verlassen.

Luisa Neubauer und das angeblich Radikale

Eine besondere Rolle im geschäftigen Heucheln kommt dabei Aktivist:innen wie Luisa Neubauer zu. Einerseits steht sie mit beiden Beinen fest in den Grünen, ihr Kopf ist aber einer der bekanntesten von Fridays for Future und damit der Klimabewegung in Deutschland. Was hier an Widerspruch erscheint, ist aber eigentlich keiner, nur der (Selbst-)Betrug ist größer.

Denn wenn sie einerseits auf dem Parteitag der Grünen eine noch so vehement vorgetragene Abrechnung über verfehlte Klimapolitik präsentiert (nicht ohne Anerkennung, dass der Krieg kurzfristig mehr andere fossile Energie erfordert, nicht ohne lobende Worte gegenüber jenen in Parlamenten und Regierungen) und dann nach Lützi fährt und für dessen Verteidigung eintritt, versucht sie, eine Schnittstelle zwischen der Praxis einer kapitalistischen Partei und einer radikaleren Protestform der Umweltbewegung zu bilden.

De facto bedeutet das aber nicht, die Grünen zu einer Klimapolitik zu treiben, die ihren Namen verdient. Es bedeutet im Gegenteil, Flankenschutz für Habeck und Neubaur durch alle sich selbst „radikal“ gerierenden Teile der Grünen. Deren angebliche und von manchen bewunderte geringere Korrumpierbarkeit ist schlicht Pseudoradikalität, hinter der Grünen und NGOs bisher letztlich die Treue gehalten wird.

Es ist nicht von ungefähr, dass die mit den Grünen eng verbundene Fridays-for-Future-Spitze schon wenige Monate nach Geburt der Bewegung von deren linkesten Teilen, diplomatisch gesagt, viel Kritik einfing.

Es ist ja der Verdienst von Luisa Neubauer, Jakob Blasel, Carla Reemtsma und Co., dass die Bewegung, die sich so sehr davor fürchtete, von anderen politischen Kräften vereinnahmt zu werden, von Anfang an von bürgerlich-grüner Politik dominiert und undemokratisch diszipliniert wurde. Wenn diese Köpfe jetzt davon sprechen, dass man das System radikaler in Frage stellen müsse und so weiter, dann leiern sie damit nur einen Begriff von Radikalität runter, ähnlich radikal wie ein Klimastreik, der so wirklich nie einer war, wenn dabei die gesamte Arbeiter:innenklasse weiterarbeitet.

Ein radikaler, das Problem an der Wurzel packender Kampf ist das aber nicht.

Tatsächlich Radikales

Viel näher kommen dem die Besetzer:innen von Lützerath. Sie verbinden den Kampf gegen die Klimakatastrophe tatsächlich mit Antikapitalismus, stellen der dystopischen, toten Grube des Konzerns eine kleine Utopie entgegen.

Dabei ist nicht das Mittel Gradmesser der Radikalität. Wenn sich der „Aufstand der letzten Generation“ an der Straße festklebt, aber in seinen Zielen nicht viel mehr als ein Tempolimit auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket fordert, ist das nicht radikal. Radikal wäre, den Kapitalismus infrage zu stellen. In diesem Sinn ist die Besetzung von Lützi tatsächlich radikal.

Aber sie ist auch Ausdruck zweier Schwächen. Erstens gibt es in Deutschland dreieinhalb Jahre nach FFF keine Millionen Schüler:innen mehr auf den Straßen, ist die Umweltbewegung gespalten in den unvermeidlichen Glauben an die Grünen, denn Glauben wird ja wichtig, wenn man nicht mehr weiter weiß, und in einen kleineren, sich selbst als radikal verstehenden Teil, welcher besetzt und zivilen Ungehorsam leistet. Wobei, wie gesagt, das mit der Radikalität ja so eine Sache ist.

Die zweite, entscheidendere Schwäche ist, dass selbst diese radikaleren Teile der Umweltbewegung außerhalb einer definitiv richtigen Besetzung auch nicht so ganz weiß, wie RWE, ja der ganze Kapitalismus in die Knie gezwungen werden können, was gerade auch der anarchistischen Prägung dieses Teils der Bewegung entspricht.

Aber die direkte Aktion ersetzt keine Analyse, kein konkretes Programm. Diskussion darum gibt es natürlich (darum ja auch dieser Artikel). Wir denken, dass ohne eine Verbindung von Arbeiter:innen- und Umweltbewegung beide zum Scheitern, in gewisser Weise mit der Menschenwelt zum Untergehen verdammt sind. Leider ist diese Verbindung, die im Endeffekt nur ein revolutionäres Programm gegen den Kapitalismus entzünden kann, weit weg, auch wenn die Mehrheit der Beschäftigten bei VW oder RWE sicher nicht den Klimawandel leugnet und es Ansätze von Diskussionen darüber gibt, wie die Industrie umgestellt werden muss, schnellstmöglich.

Das nimmt ihr aber nicht die Notwendigkeit. Ohne Enteignung der gesamten Industrie unter demokratischer Kontrolle, ohne demokratischen Plan zur schnellstmöglichen Umstellung der Produktion sind wir auf das Hoffen und Warten und Druck Machen auf (grüne) Regierungen beschränkt.

Nicht nur kann eine schnellstmögliche Umstellung auf Erneuerbare und die Lösung ihrer Verfügbarkeitsprobleme nur mit dem Know-how der Arbeiter:innenklasse passieren, es kann auch nur durch sie mit Streiks und Betriebsbesetzungen erkämpft werden. Weil aber natürlich weder SPD, LINKE oder Gewerkschaftsführungen für sowas eintreten, braucht es die radikalen Teile der Umweltbewegung, um wenigstens die Debatte darum zu suchen. Es braucht – Klimaklassenkampf!

In diesem Sinne: Solidarität mit Lützi! Gegen jede Räumung und Repression der Besetzung! Für eine Radikalisierung, die die fossile Welt tatsächlich begräbt!




End Fossil Göttingen leitet Besetzungen für Klimagerechtigkeit ein

Georg Ismael, Infomail 1203, 28. Oktober 2022

Am Montagabend, dem 24. Oktober entschlossen sich circa 120 Studierende den zentralen Hörsaal der Universität Göttingen zu besetzen. Sie gingen diesen Schritt, um ihre Forderungen für Klimagerechtigkeit mit neuer Kraft an die Universität und in die Gesellschaft zu tragen. Junge Schüler:innen und solidarische Arbeiter:innen der Stadt Göttingen schlossen sich ebenfalls an. Auch aus anderen Städten reisten aktive der Arbeiter:innen- und der Klimabewegung an, um in einen Austausch zu treten.

Forderungen

Die Besatzer:innen stellten bundesweite und lokale Forderungen. Bundesweit fordern sie eine Verkehrswende für alle in Form eines sofortigen 9€ Tickets und dem unmittelbaren sowie massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs durch den Bund. Die Profite der Energiekonzerne sollten mit einer Übergewinnsteuer versehen werden. Auch müsse die Vergesellschaftung von Energiekonzernen wie RWE unverzüglich in Angriff genommen werden. Desweiteren sollte der Abriss von Lützerath gestoppt werden. Die Schulden des globalen Südens sollten gestrichen werden. Dies wäre ein erster notwendiger Schritt, um dort einen ökologischen Umbau zu beginnen. Außerdem betonte die Besetzung die Verbindung sozialer und ökologischer Fragen. Daher schloss sie sich den Forderungen des Bündnisses „Genug ist Genug“ an.

Auf lokaler Ebene forderten die Besetzer:innen eine Machbarkeitsstudie für die Dekarbonisierung der Universität. Die Universitäts-Leitung dürfe nicht nur versprechen bis 2030 klimaneutral zu werden. Sie müsse dieses Versprechen unmittelbar umsetzen und diese Umsetzung mit der Veröffentlichung konkreter Pläne und Rechenschaftsberichte transparent machen. Büros sollten grün und nachhaltig gestaltet werden. Die klimaneutrale Sanierung solle auch mit der Schaffung neuer Büro- und Arbeitsplätze verbunden werden. 

Darüber hinaus bedürfe es der Einbettung der Themen Klimawandel und Klimagerechtigkeit in der Lehre und zwar fächerübergreifend und verpflichtend für alle Studiengänge. Als der Vize-Präsident darauf hinwies, dass dies die Freiheit der akademischen Lehre angreife, fragte ein Mitglied der Arbeiter:innenmacht, das an der Universität wissenschaftliche Hilfskraft ist, inwiefern die Beschäftigung aller Lehrkräfte und Studierender mit einer Frage, die sie auch alle kollektiv betreffe, die akademische Freiheit einschränke. Die interdisziplinäre Darstellung der vorherrschenden und aktuellen Forschung zum Klimawandel und seinen Folgen sei kein Angriff auf die akademische Freiheit. Im Gegenteil, die Aufnahme dieses Themas ins Studium Generale sei eine Verpflichtung an einem Ort, der leitende Funktionär:innen für Staat, Industrie und Ideologie-Produktion ausbilde. Zuletzt forderten die Aktivist:innen, diese Forderungen durch politischen Druck in die Koalitionsverhandlungen in Hannover zu tragen.

Im Verlauf der Woche fanden zahlreiche Lesungen, Interviews, Gesprächsrunden und Workshops zu Fragen der Klimagerechtigkeit statt. Auch ein Gespräch mit pakistanischen Aktivist:innen zu der dortigen Flutkatastrophe, ihrer Hilfskampagne und der Forderung nach Streichung der Schulden wurde am Dienstagmorgen durchgeführt. Ein Professor der Ökonomie, der am Dienstag morgen mit seinen Studierenden auf die Eingangshalle ausweichen musste, bot spontan an, seine Vorlesung am Mittwoch zum Thema Statistik und Klimagerechtigkeit zu halten. Diesen Vorschlag nahm die Besetzung dankend an.

Immer wieder erbosten sich allerdings einzelne Studierende und Professoren über den „undemokratischen und illegitimen Charakter“ der Besetzung. Hierauf erwiderten die Besetzer:innen folgendes. Einerseits seien die Forderungen der Besatzung legitim. Denn sie sicherten das Überleben der Menschheit. Die bisherigen Maßnahmen des Präsidiums und der Regierung täten dies ohne jeden Zweifel nicht. Darüber hinaus sei die deutsche Universität ein privilegierter Raum in einem imperialistischen Land. Es seien gerade Funktionär:innen, Manager:innen, Intellektuelle und Kapitalist:innen, die an deutschen Universitäten ausgebildet würden. Viele von ihnen verwalteten oder profitierten aktiv von den Ausbeutungsverhältnissen des fossilen Kapitalismus. Es seien auch diese konkreten Personen, die sich beständig einer Rechenschaft entzögen, gerade einer Rechenschaft vor den am meisten Betroffenen: den Lohnabhängigen, Bäuer:innen, der städtischen und ländlichen Armut des globalen Südens, die praktisch keinerlei Zugangsrechte auf die vermeintlich demokratischen und „heiligen“ Räume der deutschen Universität besitzen. 

Ein Mitglied unserer Organisation adressierte die Versammlung an der auch der Universitätspräsident teilnahm mit folgenden Worten:

„In Wirklichkeit ist die Besetzung eines einzigen Universitätshörsaals noch viel zu wenig. Wir müssen doch über den Rahmen der Universität hinaus denken, denn an der Universität werden die leitenden Funktionär:innen für die Gesellschaft ausgebildet. Es geht nicht einfach darum sich kritisch zu bilden. Es geht darum die strategischen Zentren des deutschen Kapitals in Frage zu stellen. Das bedeutet beispielsweise die großen Autokonzerne entschädigungslos zu enteignen und mit ihrem Kapital und ihren Produktionsmitteln unter Kontrolle der dort Beschäftigten die Produktion so umzustellen, dass der benötigte Ausbau des öffentlichen Verkehrs auch wirklich materiell gewährleistet werden kann. Um das zu erreichen braucht es viel mehr als eine Besetzung. Hierfür braucht es den politischen Generalstreik. Es ist jetzt Zeit sich zu entscheiden, ob man auf der Seite jener Banken und Konzerne steht, die die Umwelt zerstören und Menschen ausbeuten, oder auf der Seite der Klimagerechtigkeit.“ 

Im Laufe der Woche sagte der Universitätspräsident Metin Tolan zu, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um die lokalen Forderungen umzusetzen. Gesamtgesellschaftliche Fragen könne „die“ Universität aber nicht unterstützen. Wir werden „die“ Universität an ihre Zusagen erinnern und ihre Umsetzung einfordern, bei Bedarf auch mit weiteren Aktionen wie Streiks oder Besetzungen.

Folgerungen

Für die Zukunft ergeben sich unseres Erachtens nach folgende Lehren. Für Universitätsbesetzungen unter den aktuellen Umständen in Deutschland sind konkretere Mobilisierungen für Besetzungen sinnvoll. Eine mehrwöchige Kampagne mit Plakaten, Flugblättern, dem Auftritt in sozialen Medien, in Veranstaltungen und in Hörsälen, die die Forderungen bereits im Vorhinein popularisiert und diese in einen expliziten Zusammenhang mit einer bevorstehenden Besetzung mit einem genauer bestimmbaren Beginn (z.B. „Einführungswoche“) gestellt hätte, erscheinen uns für sinnvoll. An Schulen und Betrieben mag die spezielle Taktik eine andere sein. Immerhin schafft die genaue Situation eines Raums und der Kräfteverhältnisse die Herangehensweise. 

In Göttingen wird es nun wichtig sein, die Forderungen von End Fossil durch eine gemeinsame Kampagne zu verbreiten. Die vielen Aktiven der Besetzung sollten gemeinsam die Gespräche auf zentralen Plätzen, vor Haustüren und Werkstoren suchen. Wenn sie in diesen Gesprächen die Frage der Klimagerechtigkeit mit der Frage der Krise und der Inflation verbinden, würde dies auch einen wichtigen Beitrag zur Schaffung einer linken Arbeiter:innenbewegung in Deutschland leisten. Um die Arbeiter:innenbewegung und Gewerkschaften zu gewinnen, muss aber auch die Debatte in diese hineingetragen werden und müssen ihre Forderungen in den anstehenden Tarifrunden wie im öffentlichen Dienst oder Metallbereich unterstützt werden – immerhin findet sowohl der Lohnkampf als auch der Kampf um unsere Erde gegen das Interesse der deutschen Kapitalist:innen  statt. Unserer Meinung nach wäre die Arbeiter:innenklasse letztlich die zentrale soziale Kraft, die eine weitgehende ökologische Transformation auch gewährleisten kann. Denn auf die bürgerliche Ampel-Regierung, die sich vielmehr als Sachverwalterin des deutschen Kapitals und seiner imperialistischen Interessen enttarnt, kann freilich kein Verlass sein.




Universität Göttingen besetzt: Climate Justice Now!

Georg Ismael, Infomail 1202, 25. Oktober 2022

Heute Nacht entschieden sich rund 120 Personen nach einer Vorlesung zur Klimafrage einen der zentralen Hörsäle der Universität zu besetzen.

Auch ein Genosse der Gruppe Arbeiter:innenmacht sprach vor Ort. Er schlug vor, der Besetzung folgende Forderungen zu geben:

  • sofortige und bundesweite Fortführung des 9 Euro Ticket und ein massiver Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen.
  • sofortige Umsetzung eines Notfallprogramms, um die Universität und die Stadt Göttingen bis 2030 klimaneutral zu machen.
  • Enteignung der Schlüsselindustrien in den Bereichen Chemie, Schwerindustrie, Energie und Rohstoffen, unter Kontrolle der Beschäftigten, um eine ökologische Transformation umzusetzen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen und nicht an Profiten ausrichtet.
  • Streichung der Schulden der armen Länder und der Länder des globalen Südens.

Die Besetzer:innen beschlossen, ab Dienstag, den 25. 10. alternative und kritische Vorlesungen und Debatten zur Umweltfrage zu organisieren. Am heutigen morgen fand eine erste Veranstaltung mit einer unter dem Titel „Pakistan, die Flut, Ökoimperialismus und Arbeiter:innensolidarität“ statt.

Schließt euch den protestierenden Studierenden und Beschäftigten an!




Hände weg von der Rigaer Straße!

Martin Suchanek, Infomail 1153, 17. Juni 2021

Die Berliner Polizei räumt wieder einmal. Seit Jahren sind ihr die besetzten Häuser in der Rigaer Straße 94, in der Liebigstr. 34 und viele andere wie Wohn- und Kulturprojekte ein Dorn im Auge. Längst ist der rot-rot-grüne Senat von der Politik der faktischen Legalisierung und Befriedung von Besetzungen abgerückt, wie sie in den 1990er Jahren durchgeführt wurde.

Unter dem fadenscheinigen Vorwand einer Brandschutzprüfung konnten die HauseigentümerInnen der Rigaer –  die in London ansässige Lafone Investments Limited, die über weitere Firmen und Treuhandkonstruktionen zu einem Berliner Privateigentümer und Immobilienhai führt – einen massiven Polizeieinsatz erzwingen. Dass es sich bei der Prüfung um einen bloßen Vorwand handelt, war schon immer klar, wurde aber am 17. Juni noch einmal deutlich, als das Angebot der BewohnerInnen ausgeschlagen wurde, den Brandschutzprüfer ohne Polizei ins Haus zu lassen.

Das Ziel wird damit nur noch einmal unterstrichen: die Räumung des Hauses mit allen Mitteln. Genau aus diesem Grund wird die Rigaer Straße seit Monaten, ja Jahren regelmäßig zum polizeilichen Sperrgebiet erklärt. Demonstration und Versammlungen werden tagelang verboten – und diese faktische Militarisierung der Auseinandersetzung durch Polizei, Senat und Gerichte wird dann den BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen in die Schuhe geschoben, die ihre Vertreibung nicht einfach hinnehmen wollen.

Widerstand ist berechtigt!

Die EinwohnerInnen wehren sich – wie die vieler anderer besetzter Häuser – seit Jahren. Ihr Widerstand ist zweifellos berechtigt und verdient die Unterstützung der gesamten Linken, der MieterInnenproteste und –bewegung, der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung.

Die beabsichtigte Räumung praktisch aller besetzten Häuser und Projekte in Berlin und die Diffamierung ihre BewohnerInnen und VerteidigerInnen als „Kriminelle“ muss im Gesamtzusammenhang  der Privatisierungen, der zunehmenden Spekulation, der Immobilienblase an den Börsen und der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes verstanden werden. Der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße bildet einen Bestandteil dieser Entwicklung, die zu stetigen Mietpreissteigerungen und Verdrängung hunderttausender Menschen führt.

Die Hetze der bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus, der PolizeivertreterInnen und natürlich der Immobilienwirtschaft bringt letztlich nur deren Klassenstandpunkt und -hass zum Ausdruck. Kriminell agieren nicht die BesetzerInnen, die verdrängt werden sollen und sich wehren, sondern diejenigen, die deren Verdrängung, Räumung und Kriminalisierung fordern.

Ob AfD, CDU oder FDP: Sie alle singen im Chor mit der Berliner Presse das Lied der Freiheit der Rendite, fordern ein immer härteres Durchgreifen. Der rot-rot-grüne Senat erweist sich dabei wieder einmal als treuer Erfüllungsgehilfe dieser Kapitale. Voraus marschiert dabei SPD-Innensenator Geisel. Als Mini-Noske gibt er den Einpeitscher und Taktgeber: Was die bürgerliche Opposition fordere, setze er ohnedies längst schon um. Solange der Mann der Polizeitruppe vorsteht, können die Reichen in Ruhe reicher werden. „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez“, lässt der Innensenator verlauten. Hier spricht einer, der sich auskennt mit dem Drangsalieren von AnwohnerInnen. Denn: Was sind schon brennende Reifen gegen die Räumung von Häusern, Verdrängung tausender MieterInnen durch die Spekulation? Was bedeutet es schon, einen Farbbeutel oder einen Stein auf die Straße zu werfen, wenn tausende MieterInnen aufs Pflaster geworfen werden?

Von dem Innensenator kann die grüne Bezirkbürgermeisterin Herrmann in Sachen Umkehrung von Tatsachen noch lernen. Sie ist bestürzt über Gewalt und Chaos einer Minderheit. Gemeint hat sie damit jedoch nicht die Polizei, die die Straßen besetzt hält, sondern die Menschen, die sich gegen die Räumung wehren.

Ansonsten gehen Jusos, die verbliebenen Linken bei den Grünen und die Linkspartei derweil auf politische Tauchstation. Sie agieren nach dem Pontius-Pilatus-Prinzip und waschen ihre Hände in Unschuld. Gegen Geisel, die Polizei und die Pressehetze wollen sie nichts sagen, um nicht die imaginäre „Mitte“ zu verprellen oder gar kurz vor den Wahlen einen Koalitionskrach so zu riskieren. Umgekehrt wollen sie die UnterstützerInnen und SympathisantInnen der Rigaer Straße nicht als WählerInnen verprellen. Diese feige Stillhaltepolitik ist selbst ein politischer Skandal. Sie macht es den Geisels leicht, den Einbruch der Polizei mit Kettensägen und Rammböcken als „normalste Sache der Welt“ hinzustellen.

Solidarität!

Damit Geisel, seine Polizei und Immobilienlobby, deren Profite sie sichern, nicht durchkommen, bedürfen die BewohnerInnen der Rigaer 94 und alle anderen von der Räumung bedrohter Häuser und Projekte unserer Solidarität.

Ohne Massenunterstützung wird es kaum möglich sein, dass der Widerstand gegen das paramilitärische Aufgebot der Polizei, gegen den vereinten Justiz- und Verwaltungsapparat auf Dauer siegen kann. Unterstützt daher die Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen mit der Rigaer 94 heute und an den kommenden Tagen!

Zugleich brauchen wir eine breite Solidaritätsbewegung, die alle MieterInnenbündnisse und Kampagnen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen und die Gewerkschaften umfasst. Vor allem aber sind die Linkspartei und alle Senatsparteien, die ständig vorgeben, sich für die Belange der MieterInnen einzusetzen, gefordert, den Geisels und Hermanns in den Arm zu fallen und aufzuhören, als verlängerter Arm von HauseigentümerInnen und Kapitalinteressen zu agieren.

Sofortiger Stopp der Räumung und Rückzug aller Polizeieinheiten! Aufhebung aller Demonstrations- und Versammlungsverbote!

  • Freilassung aller festgenommenen Protestierenden!
  • Entschädigungslose Enteignung der BesitzerInnen der Rigaer 94 und anderer von der Räumung bedrohter Häuser!
  • Überlassung der Wohnräume und Projekte an die BesetzerInnen und Hauskollektive!
  • Unterschreibt das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen! Entschädigungslose Enteignung von Vonovia, Deutsche Wohnen und aller anderen Immobilienkonzerne!