Gegen die kapitalistische Restauration! Für die proletarische politische Revolution!

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 5, Neufassung angenommen am 3. Kongress der LRKI, Sommer 1994

Trotz der schon fast ein halbes Jahrhundert alten Rivalität zwischen UdSSR und USA fungierte die Sowjetunion als eine der beiden Zentralsäulen der imperialistischen Weltordnung.

Von 1945 bis 1991 haben sich der Kreml, seine Satelliten und tatsächlich auch seine stalinistischen Nebenbuhler als Agenten zur Verhinderung und Ablenkung der Entwicklung einer weltrevolutionären Woge betätigt, die in der Lage gewesen wäre, den Imperialismus zu isolieren und schließlich zu besiegen. Die begrenzten Kriege mit dem Imperialismus in Korea und Vietnam, die logistische Unterstützung für verschiedene nationale Befreiungskämpfe durch stalinistische Staaten und insbesondere der Sturz des Kapitalismus von China bis Kuba durch stalinistische Parteien verbargen die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus vor Millionen Menschen. Heute erscheint der Zusammenbruch der UdSSR vielen, die weltweit gegen Imperialismus und Kapitalismus kämpfen, als eine absolute Katastrophe.

Der Kollaps der UdSSR und anderer degenerierter Arbeiterstaaten stellt einen enormen materiellen und moralischen Sieg für den Imperialismus dar. Aber der Sieg ist voller Widersprüche. Ihm wohnt nicht nur die Fast-Vernichtung der historischen ökonomischen Errungenschaft der Oktoberrevolution inne, sondern auch die Zerstörung einer konterrevolutionären Agentur des Imperialismus in den Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf dem Erdball. Die konterrevolutionären Konsequenzen des imperialistischen Sieges sind unmittelbar und augenfällig. Im kommenden Jahrzehnt aber wird er sich gnadenlos als Pyrrhussieg erweisen. Die Krise, die wir gerade im Prozeß der Restauration des Kapitalismus erfahren, trägt stark zur Vertiefung der allgemeinen Krisenperiode bei, die das Ende des 20.Jahrhunderts charakterisiert.

Nach 1945 stieg das Ansehen des Kreml durch seinen Sieg über den deutschen Imperialismus und seine darauffolgende territoriale Ausweitung nach Ost- und Zentraleuropa enorm an. Die wesentliche Rolle der Planwirtschaft – einer Schlüsselerrungenschaft der Oktoberrevolution – beim Erringen des Sieges der UdSSR als auch beim Überleben und Wiederaufbau nach dem Krieg waren die materiellen Vorbedingungen für die Schaffung einer Reihe von neuen degenerierten Arbeiterstaaten, von politischen und ökonomischen Abbildern der Sowjetunion. Die bloße Existenz der UdSSR und die Verteidigungsmanöver der stalinistischen Bürokratie gegen den Imperialismus in der ersten Periode des Kalten Krieges führten zur Niederlage und zum Sturz einer Reihe von geschwächten Kapitalistenklassen in Osteuropa und später in der kolonialen und halbkolonialen Welt.

Dieser Sturz des Kapitalismus wurde entweder herbeigeführt durch die Agentur der Sowjet-Streitkräfte oder durch stalinistische Parteien bzw. Guerrillatruppen unter ihrer Führung. Im Fall Kubas assimilierte sich eine kleinbürgerlich nationalistische Bewegung an den Stalinismus und verwandelte die Insel in einen degenerierten Arbeiterstaat. Unter stalinistischer Kontrolle führten diese Siege über den Kapitalismus nicht in einer internationalen Ausbreitung der proletarischen Revolution, sondern vielmehr zur Etablierung eines relativ stabilen Kräftegleichgewichts zwischen UdSSR und Imperialismus. Die stalinistischen Parteien waren der Garant dafür, daß alle Elemente unabhängiger Arbeiterklassenorganisierung noch vor der Zerstörung des Kapitalismus liquidiert wurden. Für das Weltproletariat waren die Konsequenzen der sozialen Umbrüche im gesamten konterrevolutionär.

Tempo und Umstände dieser bürokratischen gesellschaftlichen Umwälzungen variierten notwendigerweise, doch trugen sie eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen: Jedesmal kamen stalinistische Parteien oder proto-stalinistische nationale Befreiungsbewegungen an die Führung mächtiger Streitkräfte im Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Die Waffenträger des bürgerlichen Staates wurden besiegt und durch die stalinistischen Kräfte aufgelöst. Die Bourgeoisie wurde ihrer politischen Macht völlig oder größtenteils beraubt.

Nach der Machtübernahme schritten die Stalinisten zur Zerschlagung aller unabhängiger Arbeiterorganisationen und verhinderten die Bildung von gesunden Arbeiterstaaten, die auf Arbeiterdemokratie fußen. Damit sicherten sie die Etablierung politischer Regimes, die mit der bürokratischen Tyrannei Stalins in der UdSSR ident waren.

Trotz weitreichender Nationalisierungen der Industrie und Enteignungen des halbfeudalen Grundbesitzes fand ursprünglich keine systematische Enteignung der gesamten Bourgeoisie statt. Getreu ihrem konterre volutionären Etappenprogramm hegten die Stalinisten ursprünglich nicht die Absicht, den Kapitalismus zu stürzen, sondern gedachten ihn über die offene oder versteckte Volksfront – einem Bündnis mit der nationalen oder lokalen Bourgeoisie – und durch den Versuch, Bündnisse mit den imperialistischen Mächten aufrecht zu halten. Die ‚Volksdemokratien‘ waren keineswegs als ’sozialistische‘ Staaten angelegt.

Während dieser Phase verhinderten die Stalinisten aktiv jeden Versuch der Arbeiterklasse selbst, der tatsächlich daniederliegenden Bourgeoisie die Macht zu entreißen. In Osteuropa liquidierten die sowjetischen Besatzungsbehörden systematisch die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse und wirklich alle unabhängigen politischen Parteien, Gewerkschaften Fabrikkomitees oder sowjetähnlichen Organe. Sie verteidigten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und versuchten sie andererseits durch Nationalisierungen, gemischte Unternehmen usw. für den Wiederaufbau der Sowjetwirtschaft auszunützen.

Die Armee des bürgerlichen Staates wurde von den stalinistischen Kräften besiegt und zerschlagen. Dennoch waren die Folgestaaten ursprünglich keine Arbeiterstaaten. Es lag in der Absicht des Stalinismus, weiter die Existenz des Kapitalismus zu bewahren und das taten sie auch. Stalins Ziel war die absolute Unterordnung dieser Staaten unter die UdSSR und sie als Pufferzone oder eine Art Verteidigungsglacis zu verwenden. Die stalinistische Bürokratie führte vorbeugend eine bürokratische Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft durch und erstickte die heraufziehende revolutionäre Situation, die der Zusammenbruch der Nazi-Macht schuf. Hierbei konnten sich die Stalinisten der aktiven Assistenz der einheimischen Bourgeoisie und der imperialistischen Mächte gewiß sein. Auf die Art etablierte sich eine Form von Doppelmacht, wobei der bewaffnete Arm der Stalinisten die der Bourgeoisie ersetzte.

Diese Situation war nicht von langer Dauer und konnte es auch nicht sein. Die Brechung der revolutionären Nachkriegswelle und die Zerschlagung jeglicher unabhängiger proletarischer Klassenkräfte durch die Stalinisten mußte den Imperialismus und die verbliebenen bürgerlichen Kräfte in Osteuropa zur neuerlichen Offensive ermuntern. Der fortwährende Druck der stalinistischen Verbände auf dem Balkan (ohne Stalins Billigung) und die Unfähigkeit des britischen Imperialismus, sie ohne Beistand zu bekämpfen, lieferte der neuen US-Administration einen Vorwand für eine ökonomische und militärische Kampagne zur Stärkung der bürgerlichen Staaten des Kontinents.

Truman setzte den Marshall-Plan als Zuckerbrot und die Rückkehr großer US-Truppenteile als Peitsche ein, um jeden weiteren Erfolg der Stalinisten zu verhindern und eine Gegenoffensive in Mittel- und Osteuropa zu begünstigen. Aber die ersten Versuche der lokalen bürgerlichen Kräfte Osteuropas, die Widersprüche von Doppelmacht und Volksfrontregierungen zu nutzen, um Druck auf die Stalinisten zu machen, die Marshall-Hilfe anzunehmen oder ihren Zugriff auf die Armee zu lockern, rief einen Defensivreflex hervor, der sich fatal auf das Schicksal des Kapitalismus in Osteuropa auswirkte.

Nun nutzten die Stalinisten ihre Kontrolle über den staatlichen Unterdrückungsapparat und beseitigten die Gefahr von Imperialismus und dessen einheimischen bürgerlichen Agenten. Sie warfen die bürgerlichen Vertreter aus der Regierung und enteigneten die ganze Kapitalistenklasse. Die stalinistischenÜbergangsregierungen, die die bürokratischen Gesellschaftsumwandlungen dürchführten, können am besten als „bürokratisch-antikapitalistische“ Varianten der „Arbeiterregierung“-Kategorie bezeichtnet werden, wie sie von der Komintern beschrieben wurden. Durch eine Anzahl bürokratischer und militärischer Maßnahmen wurde das kapitalistische System entwurzelt. Industrie und Land wurden nationalisiert und ein System bürokratischer Befehlsplanung nach dem Vorbild der UdSSR wurde eingeführt.

Diese bürokratische Umwälzung zerstörte den Kapitalismus, mündete aber nicht in der Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates, weil die Arbeiterklasse als unabhängige und bewußte Kraft von der Revolution der Eigentumsverhältnisse ausgeschlossen wurde. Für wirklich revolutionäre Kommunisten (Trotzkisten) sind das Bewußtsein, die Kampfkraft und die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selbst entscheidend für die Durchführung der echten proletarischen Revolutionen. Hätte es die Möglichkeit gegeben, so wären begrenzte Einheitsfronten der revolutionären proletarischen Kräfte mit den stalinistischen Parteien und Regimen im Verlauf der bürokratischen Revolutionen erlaubt gewesen. Doch das strategische Ziel von Trotzkisten hätte die Brechung der stalinistischen Kontrolle über die Zerstörung des Kapitalismus, der Kampf für echte Organe der Arbeiterdemokratie und die Erzwingung des Abzugs der Roten Armee aus Osteuropa sein müssen. Nur so hätte der Weg zum sozialistischen Übergang geöffnet werden können, anstatt von Beginn an blockiert zu sein.

Die bürokratische Sozialrevolution war trotz der Enteignung der Produktionsmittel der Bourgeoisie in der Essenz ein konterrevolutionärer Akt. Sie spielte sich gegen den Rhythmus und Strom des Klassenkampfs ab. Sie konnte nur stattfinden, weil Arbeiterklasse und Bourgeoisie zuvor entwaffnet worden waren und die Staatsgewalt in Händen der Stalinisten lag. Nichtsdestotrotz bedeutete die Enteignung der gesamten Kapitalistenklasse und die Unterdrückung der Wirkweise des Wertgesetzes, daß der Staat proletarische Eigentumsverhältnisse verteidigte, obschon von einer totalitären Bürokratie kontrolliert. So waren diese Staaten wie die UdSSR, von deren Agenten sie direkt oder indirekt geschaffen worden waren, degenerierte Arbeiterstaaten. Im Gegensatz zur UdSSR waren sie nie gesunde Arbeiterstaaten, gestützt auf die Macht von Arbeiterräten. Sie hatten keinen Degenerationsprozeß aus einem einstmals gesunden Arbeiterstaat durchlaufen – sie waren von Beginn an degeneriert.

Während der Etablierungsphase dieser Staaten verhinderten die stalinistischen Regierungen unabhängige Arbeitermobilisierungen. Diese hätten den Schwung des Siegs über die Bourgeoisie ausnützen können, um die politische Diktatur und die schmarotzerhaften Privilegien der Stalinisten anzugreifen und damit eine politisch revolutionäre Krise heraufzubeschwören, in der die Staatsmacht der Arbeiterräte als Alternative zur totalitären Diktatur aufgeworfen worden wäre. Die Umstürze wurden von den stalinistischen Kräften durchgeführt als Schutzreaktion gegen den Imperialismus und als vorbeugende Maßnahme gegen eine proletarische soziale Revolution. So gesehen waren die bürokratischen sozialen Umwälzungen zugleich politische Konterrevolutionen gegen das Proletariat. Ihr Ergebnis war die Blockade des Übergangs zum Sozialismus, der Versuch, die reaktionäre Utopie vom ‚Sozialismus in einem Land‘ anstelle einer internationalen Revolution zu verwirklichen. Dies war konterrevolutionär vom Standpunkt der historischen und strategischen Ziele des Proletariats.

In Kuba spielte die Bewegung des 26.Juli um die Caudillofigur F. Castro die Schlüsselrolle in einem im wesentlichen ähnlichen, bürokratischen Sturz des Kapitalismus. Sie war eine Volksfront mit bürgerlich nationalistischem und linksstalinistischem Flügel. Auf dem Weg zur Macht und im ersten Regierungsstadium blieben ihre allgemeine Taktik und Programm die eines kleinbürgerlich revolutionären Nationalismus. Die unerbitterliche Feindschaft der USA gegenüber ihrem Sieg und ihren Angriffen auf US-Investitionen in Kuba leiteten Mitte 1960 eine Gegenoffensive der kubanischen Bourgeoisie ein. Dies zwang Castro an die Seite der Linksstalinisten in der Bewegung, zum Versuch, sich mit der kubanischen kommunistischen Partei zu verbünden und später zu verschmelzen und massive Wirtschafts- und Militärhilfe von der Kremlbürokratie zu erhalten. Diese unterstützte die Entwicklung aus ihren eigenen militärstrategischen Erwägungen (Stationierung von Nuklearraketen) als auch um ihren ideologischen Einfluß in der Dritten Welt auszudehnen. Von Mitte 1960 bis Anfang 1962 enteignete eine bürokratisch-antikapitalistische Arbeiterregierung die einheimisch-kubanische Bourgeoisie und die imperialistischen Liegenschaften, institutionalisierte einen bürokratischen Plan und errichtete einen degenerierten Arbeiterstaat.

Obwohl die degenerierten Arbeiterstaaten den konterrevolutionären Charakter der UdSSR tragen, sind sie nicht in gleicher Weise entstanden. In der UdSSR wuchsen die anfänglichen bürokratischen Deformationen in einem gesunden Arbeiterstaat, bis ein qualitativer Sprung, der Sowjet-Thermidor (politische Konterrevolution), den Staat in einen degenerierten Arbeiterstaat umwandelte. Die anderen Staaten wurden demgegenüber als Duplikate der UdSSR gebildet, sie waren von Beginn an degeneriert. Das Programm der politischen Revolution, wie es von trotzki als die einzige proletarische Strategie gegen die bürokratische Diktatur Stalins entwickelt worden war, war demzufolge auf diese Staaten schon seit ihrer Errichtung anwendbar. Wie in der UdSSR haben die Bürokratien dieser Staaten beständig und überall im Sinne einer Zurückhaltung und Ablenkung von antikapitalistischen und antiimperialistischen Kämpfen gehandelt. Ihr strategisches Ziel war die friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus.

Der Stalinismus engte die Planwirtschaft auf die jeweiligen Landesgrenzen ein. Er verhinderte aktiv die Ausbreitung der proletarischen Revolution auf wirtschaftlich entwickeltere Regionen. Er schnitt die Ökonomien der degenerierten Arbeiterstaaten von den Vorteilen eines Zugangs zur höchsten Konzentration an Produktionsmitteln und von der Integration in die internationale Arbeitsteilung ab. Das Außenhandelsmonopol gewährt einen unverzichtbaren Schutz für den Arbeiterstaat gegen Konkurrenz durch billigere kapitalistische Güter. Aber das Ziel dieses Monopols ist nicht, alle agrarischen und industriellen Sektoren innerhalb der Grenzen eines jeden Arbeiterstaats einzurichten, die es im Rest der Welt gibt. Dieser Weg erwies sich als utopisch (z.B. Nordkorea und Albanien) und führte zu unnötigen und unnützen Opfern, die von der Arbeiterklasse in diesen Ländern mit einer Planwirtschaft erbracht wurden. Nur die Ausbreitung der sozialen Revolution in die Metropolen des Weltkapitalismus wird einen entscheidenden Durchbruch zum Aufbau des Sozialismus und einer globalen Planwirtschaft bringen. Das beschränkte, nationalistische Programm des „Sozialismus in einem Land“ ließ die Entwicklung der Produktivkräfte zurückbleiben – zuerst relativ, doch schließlich absolut.

Gerade die Unterdrückung der Arbeiterdemokratie sorgte dafür, daß der Plan der stalinistischen Bürokratie schlecht informiert war und die Bedürfnisse der Gesellschaft und der tatsächlichen Wirtschaft ignorierte. Die bürokratische Planung erzielte in den ersten Jahrzehnten einige Erfolge, als sie v.a. eine Angelegenheit der industriellen Ausweitung war. Zunehmend aber überstiegen Innovation und ständige technologische Erneuerung die Fähigkeiten bürokratischer Planung. Die herrschende Kaste hatte den dynamischen Quell der Konkurrenz abgeschafft und war zugleich unfähig und nicht bereit, die unmittelbaren Produzenten mit ihrem schöpferischen Eigeninteresse am Planungsprozeß teilnehmen zu lassen. Das Ergebnis war ein unvermeidbarer Fall der Arbeitsproduktivität und ein weiteres verheerendes Zurückbleiben hinter dem imperialistischen Kapitalismus.

Die Bürokratien verstanden es, wirtschaftliche Ressourcen für den eigenen üppigen Konsumbedarf und zur Absicherung ihrer Tyrannei einzusetzen. Je weiter Produktions- und Verteilungssektoren von diesen Prioritäten entfernt waren, desto mehr wurden Mängel und schlechtere Warenqualität zur Norm. Der Militär- und Verteidigungssektor einschließlich des riesigen Polizeiapparates genossen absoluten Vorrang, was Ausgaben anbelangte, und arbeiteten relativ effizient. Aber betreffs der Konsumbedürfnisse der Massen erwiesen sich die bürokratischen Planmechanismen als unfähig, hochwertige und massenhafte Güter herzustellen, die Arbeit zuhause oder in der Produktion zu erleichtern oder zu verkürzen und das Ausmaß und die Qualität der Freizeit zu steigern. Nach erstaunlichen Anfangserfolgen in Erziehung und Wohlfahrt wurden selbst sie Opfer der Stagnation bürokratischer Planung. Die Erfahrung von Versagen und Niedergang untergrub letztenendes national wie international selbst die Idee der ‚geplanten‘ Produktion im Bewußtsein der Arbeiterklasse. Die bürgerliche Propaganda konnte immer erfolgreicher die ‚Lehre‘ verbreiten, daß dies das notwendige Resultat aller Versuche, eine Wirtschaft zu planen, sei.

Aber die stalinistische Bürokratie war und ist kein Ausdruck der Planlogik selbst. Effektive Planung setzt die Kontrolle über die Produktion durch den zentralisierten und bewußten Willen der Produzenten selber voraus. Die Ziele der stalinistischen Kommandoplanung wurden durch einen winzigen Kern von Planern abgesteckt, die ihnen wiederum von einer bonapartistischen Clique von Spitzenbürokraten vorgeschrieben wurden. Die Wirkweise des Plans wurde wiederholt aus dem Gleichgewicht gebracht und unterbrochen durch rivalisierende Schichten von Partei und Wirtschaftsbürokratie. Die atomisierten und entfremdeten Arbeitskräfte, die weder über die Planziele entschieden noch sie verstanden, traten der Produktion zusehends mit Apathie entgegen. Eine chronische Stagnation steuerte in den 1980er Jahren auf eine kritische Lage zu und stürzte die herrschenden Bürokratien in immer tiefere politische Krisen.

Von Moskau bis Peking, von Belgrad bis Hanoi war die herrschende Kaste in einander befehdende Fraktionen gespalten. Alle Versuche, ihr System durch Beimengungen von ‚Marktelementen‘ und den sogenannten Marktsozialismus wiederzubeleben, waren zum Scheitern verurteilt; diese Maßnahmen zerrissen und desorganisierten den bürokratischen Plan, ohne ihn durch eine wirklich kapitalisische Ökonomie zu ersetzen, zunächst in Ungarn und Jugoslawien, am spektakulärsten dann unter Gorbatschow in der UdSSR. Die Zersetzung und der Zusammenbruch der Produktion, ein blühender Schwarzmarkt und Korruption, gigantische Budgetdefizite und Unternehmensbankrotte, aufgeschoben nur durch Hyperinflation, markieren die schreckliche und letzte Todesagonie der bürokratischen Planwirtschaft.

Für die Arbeiterklasse ist der Zweck der postkapitalistischen Eigentumsverhältnisse der Übergang zu einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Sie ermöglichen die Planung der Produktion nach menschlichen Bedürfnissen, das Ende von Unterdrückung und die fortschreitende Beseitigung von Ungleichheiten. Dies zu erreichen erfordert die aktive und bewußte Teilnahme der Arbeiter als Produzenten und Konsumenten. Planung erfordert die Souveränität der unmittelbaren Produzenten, die – erstmals in der Geschichte – ein eigenes unmittelbares Interesse sowohl an der Entwicklung der Produktivkräfte als auch an deren schöpferischer Anwendung haben.

Arbeiterstaaten müssen einen Weg zunehmender ökonomischer Integration und gemeinsamer Planung einschlagen, um von der internationalen Arbeitsteilung, die selbst für eine sozialistische Ökonomie notwendig ist, den effektivsten Gebrauch zu machen. Die stalinistischen Bürokratien waren nicht fähig, diese Vorteile zu nutzen. Der erste Schritt eines gesunden Arbeiterstaats in diese Richtung würde die Errichtung von gemeinsamen Planungseinrichtungen für wichtige Branchen und gemeinsame Pläne für eine Gruppe von Staaten verbunden mit einer gemeinsamen Währung. Ein solches System kann nur durch die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selber, die ihre Ziele bewußt verfolgt, ins Werk gesetzt werden. Obwohl sich die bürokratische Planung überall im Todeskampf befindet, hat der Kapitalismus des ausgehenden 20.Jahrhunderts keine Fähhigkeit gezeigt, schnell einzuspringen und den Restaurationsprozeß zu finanzieren. Eine ausgedehnte Krisenperiode, in der das todgeweihte, seiner zentralen Schaltstelle beraubte Plansystem den endgültigen Triumph des Wertgesetzes behindert, eröffnet der Arbeiterklasse die Möglichkeit, die Illusionen in den Markt abzustreifen und das Programm des demokratischen Plans und der Rätedemokratie wiederzuentdecken.

Die stalinistischen Bürokratien sind historisch illegitime Kasten ohne Anrecht auf Privilegien. Von ihrer Entstehung an neigten sie zur Herausbildung von Fraktionen und Flügeln als Antwort auf den langfristigen Druck seitens des Imperialismus und der Arbeiterklasse. In UdSSR, Ungarn, Jugoslawien und China entwickelten sich Fraktionen, die allmählich dominanter wurden, und den Plan insgesamt demontieren und Preise, Löhne und Produktion durch ‚Marktmechanismen‘ bestimmen lassen wollten. Sie versuchten, den Soziallohn in Form der subventionierten Lebensmittel, Sozialdienste und Annehmlichkeiten, die den Arbeitern als Ergebnis der Beseitigung des Kapitalismus zugute kamen, abzuschaffen.

Diese Anwälte der Dezentralisierung, des freien Marktes und der Öffnung ihrer Ökonomien für die imperialistischen multinationalen Konzerne legten eine immer offener restaurationistische Haltung an den Tag und verzweifelten nicht nur an der bürokratischen Zentralplanung, sondern auch an der Fähigkeit ihrer Kaste, sich an der Macht zu halten.

Diese Fraktion war mit der Direktorenschicht eng verwoben und erhoffte sich eine Etablierung als direkte Agenten, wenn nicht gar Mitglieder einer neuen Kapitalistenklasse. Solche bewußten Restaurationisten waren, wie die Ereignisse in der UdSSR nach 1990-1991 zeigten, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit imstande, ihr stalinistisches Hemd gegen sozialdemokratische, liberale, christdemokratische oder protofaschistische Farben einzutauschen.

In den späten 30er Jahren erwartete Trotzki, ein kleiner revolutionärer Kern würde aus den Reihen der Bürokratie kommen und sich mit der Arbeiterklasse in einer politischen Revolution verbünden. Er traute dieser Fraktion aber keine unabhängige geschweige denn führende Rolle in der Revolution zu. Fünfzig Jahre später in der Todeskrise des Stalinismus ist diese Fraktion nicht aufgetaucht; ihr Entstehen war und ist auch nicht zwingend.

1938 konnte Trotzki auf Ignaz Reiß verweisen, der 1937 vom KGB zur 4. Internationale gestoßen war. Für Trotzki repräsentierte Reiß einen solche Flügel der Bürokratie. Als anderes Extrem konnte er Fjodor Butenko als Repräsentanten des faschistisch-restaurationistischen Flügel der Bürokratie anführen, einen Sowjetdiplomaten bei der Botschaft in Rumänien, der 1938 zu Mussolini überlief. Trotzki sah bei der Mehrheit der Bürokratie unter Stalin den Versuch, durch immer wildere totalitäre Maßnahmen einer Zerschmetterung durch Restauration oder proletarische politische Revolution zu entgehen. Während sich Stalin seiner Einschätzung nach immer näher auf das restaurative Lager (in seiner faschistischen Form) zubewegte, schloß Trotzki nicht aus, daß Stalin und seine Fraktion einem offen restaurationistischen Angriff widerstehen könnten, Unter solchen Bedingungen sah Trotzki eine Notwendigkeit für revolutionäre Kommunisten, eine beschränkte militärische Einheitsfront zur Verteidigung der UdSSR zu bilden.

Die letztgenannte Perspektive erwies sich als richtig. Nach Trotzkis Ermordung wurde die defensive Einheitsfront zur Notwendigkeit, als der deutsche Inperialismus im Zweiten Weltkrieg in der UdSSR einmarschierte.

Durch den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg wurde die Todesagonie des Stalinismus um 40 Jahre hinausgeschoben. Die fraktionellen Konstellationen in der Kremlbürokratie und den anderen Arbeiterstaaten änderten sich in dieser Periode von Grund auf.

Der Triumph der imperialistischen Demokratien im Krieg und die nach dem Krieg stattfindende, drei Jahrzehnte andauernde Ausdehnung der Produktivkräfte hauchte dem liberalen freien Marktkapitalismus neues Leben ein. Dies übte wiederum einen veränderten Druck auf die Bürokratien der UdSSR und der neuen degenerierten Arbeiterstaaten aus. Das Verstreichen vieler Jahre und die Zerstörung der revolutionären Generation 1917-1923, die revolutionäre Führungskrise und die Zerstörung von Trotzkis 4. Internatio nale Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre trugen zum Verschwinden der „Reiß-Fraktion“ bei. Nur eine teifgehende Entwicklung von unabhängigen Klassenorganisationen in einer revolutionären Krise und das Wiedererstehen einer bedeutenden internationalen revolutionären Kraft könnten zum Wiederauftauchen eines solchen Flügels in der Bürokratie führen, aber eine solche Entwicklung ist nicht, und war es auch für Trotzki nicht, ein wesentlicher Bestandteil von Perspektiven oder Programm der politischen Revolution.

Die mehrheitliche Fraktion der Bürokratie in der Todeskrise des Stalinismus nach 1985 wurde vom marktsozialistischen Flügel gestellt. Zur gleichen Zeit wurden offen restaurationistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Bürokratie immer stärker. Gorbatschow, der Elemente des Bucharinismus wiederholte, strebte nicht die Restauration des Kapitalismus an. Vielmehr versuchte er am Beginn, die Marktmechanismen zu benutzen, um die Diktatur der Bürokratenkaste auf der Grundlage der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse abzustützen. Aber seine Maßnahmen und die Allianz mit offen restaurationistischen Kräften zerbrachen letztenendes die bürokratische Diktatur und schuf eine Doppelmachtsituation mit der alten Bürokratie. In den letzten beiden Jahren war Gorbatschow gezwungen, sich immer mehr über die gespaltenen Lager zu erheben und einer schwachen Form von Bonapartismus Raum zu geben. Da er nur über ein utopisches, undurchführbares wirtschaftliches und politisches Programm verfügte, wand sich Gorbatschows Bonapartismus zwischen den beiden Lagern und verwendete die Stärke des einen Lagers, um den Druck des anderen aushalten zu können.

Schließlich begingen die Spitzen der KPdSU-Parteibürokratie und der inneren Sicherheit im August 1991 einen mißlungenen Putschversuch, um den Aufstieg der offen pro-imperialistischen und zur Auflösung der UdSSR bereiten Kompradorenkräfte unter Jelzin zu vereiteln. Der fehlgeschlagene Putsch enthüllte deutlich den Mangel an einer soliden sozialen Basis für die konservative Bürokratie in der Bevölkerung, aber ebenso einen mangelnden Glauben an die eigene Mission auf Seiten der Hardliner in der Bürokratie. Als Folge dieses Fehlschlags beerbte Jelzin die Gorbatschowsche Exekutiv- und Präsidialmaschinerie, stärkte deren Macht und benutzte sie im Dienst einer restaurativen Wirtschaftspolitik mit Blitzschocktherapie. Aber das Scheitern des Putschversuches und Jelzins Übernahme der Exekutive lösten die Doppelmacht zwischen den rivalisierenden Sektionen der Bürokratie nicht auf, sondern verschärften den Widerspruch nur und brachten die Fraktionen in direkten Konflikt miteinander ohne die Bremsung durch Gorbatschows Bonapartismus.

In den degenerierten Arbeiterstaaten Osteuropas wirkte die Gorbatschow-Politik nach 1985 wie ein Katalysator und beschleunigte die Entwicklungen in der Ökonomie und brachte die entscheidende Auseinandersetzung zwischen konservativen Bürokraten und bürgerlichen Restaurationisten immer näher. 1989 signalisierte Gorbatschow, daß die in Osteuropa stationierten, sowjetischen Streitkräfte die nationalen Bürokratien nicht vor heimischem Protest und Forderungen nach radikalen Reformen schützen würde. Der rasche Aufschwung der undifferenzierten „demokratischen“ Massenbewegungen stellte eine solide Grundlage für die demokratische Intelligenz und den Marktflügel der Bürokratie her – soziale Schichten, die in Osteuropa weit größer waren als in der UdSSR. 1989/1990 zerbröckelten der Parteiapparat, die Geheimpolizei und die Streitkräfte in ganz Osteuropa angesichts des Massenprotests. Zwischen 1989 und 1991 brachten Parlamentswahlen Regierungen an die Macht, die sich aus bürgerlichen Kräften oder Parteien, klassenübergreifenden Volksfrontregierungen oder Reformflügeln der stalinistischen Parteien (wie in Rumänien oder Bulgarien) zusammensetzten. Dieser Prozeß schloß die Lostrennung der baltischen Republiken von der UdSSR mit ein. Die einzige Ausnahme bildete Serbien. Im Gegensatz zu Rußland war die Doppelmacht und der Zerfall des staatlichen Überbaus nicht von langer Dauer. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lag der Grund für den sich länger hinziehenden Restaurationsprozeß ausschließlich in den objektiven ökonomischen Schwierigkeiten bei der Umwandlung der wesentlichen Produktionsmittel in Kapital.

In China hat Deng Xiaoping – im Gegensatz zu Gorbatschows Strategie, Umstrukturierung (Perestroika) mit Öffnung (Glasnost) und schließlich Demokratisierung zu verbinden – versucht, radikale Marktreformen mit entschiedener Verteidigung der Parteidiktatur zu verbinden und dabei zu blutiger Unterdrückung am Platz des himmlischen Friedens gegriffen. Die chinesische Bürokratie hat eine kurzfristige Chance für dieses Amalgam; Polizeidiktatur für die Arbeiter und die städtische Intelligenz einerseits, ein fast freier Markt für die Bauernschaft sowie enorme Zugeständnisse an den Kapitalismus in besonderen Wirtschaftszonen andererseits. Die historische Gegebenheit, die diese Chance hervorbrachte, ist die Riesengröße und das soziale Gewicht von Chinas Bauernschaft und ihre Rolle nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Kasernen. Deng hat einen fast völlige Marktwirtschaft gestattet, um das Land zu entwickeln. Seine Fraktion hat für eine begrenzte Zeit die passive oder sogar aktive Unterstützung der Bauern erkauft und dadurch den historischen Grundstein für den Bonapartismus gelegt. Aber die ganze Logik des raschen Wachstums der Marktkräfte im ländlichen China und in den Sonderzonen wird auf die chinesische Bürokratie Druck ausüben und sie entzweien. Wenn sie sich spaltet und gezwungen ist, ihren gegenseitigen Vernichtungskrieg auf der Straße auszutragen (wie in den 60er und 70er und dann wieder Ende der 80er Jahre), wird China vor der krassen Alternative soziale Konterrevolution oder proletarische politische Revolution stehen. Auch in China wird die revolutionäre Führung der entscheidende Faktor sein, der den Ausgang der Krise bestimmt.

Die Erfahrungen von China, Rußland und den anderen degenerierten Arbeiterstaaten bestätigen, daß nicht alle Befürworter von Schocktherapien und rascher Restauration, die aus der stalinistischen Bürokratie kamen, bürgerliche Demokraten oder Liberalisierer sind.

Ebenso wenig sind die meisten der autoritären bürokratischen Konservativen der Verteidigung der bürokratisch geplanten Eigentumsverhältnisse verbunden. In der UdSSR zum Beispiel hat sich der konservative Flügel der Bürokratie schnell zur großrussisch-chauvinistischen und antisemitischen Kraft gemausert und benutzt populistische und nationalistische Parolen, um die rückständigste Teile der Gesellschaft gegen die demokratischen Rechte der Arbeiter und unterdrückten Minderheiten aufzuwiegeln. Faschistische und vorfaschistische Gruppen mit direkten Verbindungen zum früheren KGB und zur Armee sind entstanden. Gruppen wie Naschi und Schirinowskis Liberal Demokratischen Partei lehnen die Zusammenarbeit mit dem westlichen Imperialismus ab, aber nur deshalb, weil ihr Programm auf die Restauration eines spezifisch russischen Imperialismus abzielt.

Die autoritärsten Elemente in der Bürokratie erkennen in solchem Proto-Faschismus ein Bollwerk gegen die Bedrohung einer proletarischen politischen Revolution und eine mögliche Alternative zur zukünftigen Beherrschung durch ausländisches Kapital. Das Wachstum von faschistischen und halb-faschistischen Kräften spiegelte sich am klarsten im Sieg von Schirinowski bei der Dumawahl vom Dezember 1993 wider. Die zukünftige Entwicklung des Faschismus hängt zum Teil vom Ausmaß der Belebung der Arbeiterbewegung in den kommenden Jahren ab. Wenn der Widerstand der Arbeiterklasse den ökonomischen und politischen Angriffen der Restaurationisten gewachsen ist, steigt die Gefahr einer faschistischen Massenbewegung, die diesen Widerstand zerschlagen könnte. Ein weiterer Faktor, der diese Entwicklung fördert wäre ein Anhalten der Schwäche der russischen embryonalen Bourgeoisie und eine fortdauernde Stagnation des Restaurationsprozesses selbst. Dies könnte jenen Flügel in der Bürokratie fördern, der einen staatskapitalistischen Weg zum Kapitalismus einschlagen will. Um sich eine Massenbasis zu verschaffen, könnten sich diese Kräfte einer Mobilisierung von lumpenproletarischen und kleinbürgerlichen Massen durch chauvinistischen und faschistische Parolen bedienen und sie zur Zerschlagung ihrer Rivalen in der Bürokratie und der Drohung einer Explosion von Widerstand der Arbeiterklasse zu verwenden.

Die restaurationistischen Regierungen erwarten alle Beistand vom Imperialismus. Aber dieser, obwohl er die endgültige und völlige Wiederherstellung des Kapitalismus in den degenerierten Arbeiterstaaten sehnlichst herbeiwünscht, besitzt einfach nicht die Ressourcen, eine rasche Umwandlung frei von revolutionären Krisen zu gewährleisten. Nur in einem Staat, der DDR, war eine solche rapide Restauration möglich, was die stärkste europäische imperialistische Macht gewaltig belastet. Trotz der Errichtung von restaurativen Regierungen gibt es eine ausgedehnte Periode, in dem das Programm der politischen Revolution mit einem antikapitalistischen, antirestaurationistischen Programm verbunden werden kann und muß.

Die verbliebenen Errungenschaften der Arbeiterstaaten müssen bis zum bitteren Ende verteidigt werden, wie schon Leo Trotzki sagte. Nur jene, die fähig sind, die alte Errungenschaften zu verteidigen, werden auch neue schaffen können. Nicht nur die Arbeiterklasse der degenerierten Arbeiterstaaten, sondern die der ganzen Welt wird unter deren völligen Zerstörung leiden. Global würde dies die Arbeiterklasse mindestens für einen bestimmten Zeitraum desorientieren und ideologisch entwaffnen. Außerdem verlieren die anti-imperialistischen Kämpfe der Halbkolonien einen wesentliche, wenn auch letztenendes unzureichende Quelle von Waffen- und Hilfsgüterlieferungen. Der unbeschränkte imperialistische Zugang zu Rohstoffen, billiger Arbeitskraft und Märkten der degenerierten Arbeiterstaaten könnte den Weg für eine neue, wenngleich beschränkte Expansionsperiode in der imperialistischen Epoche eröffnen. Dies könnte nichtsdestotrotz den innerimperialistischen Konkurrenzkampf weiter anheizen und eine Neuaufteilung der Welt beschleunigen. Dieser Prozeß wäre konfliktreich und würde das Gespenst von interimperialistischem Krieg und Revolution aufs Neue heraufbeschwören.

Während sich der bürokratische Plan auflöst. kann nur die proletarische politische Revolution die geplanten Eigentumsverhältnisse verteidigen, wiederherstellen und dann ausdehnen und hierdurch das Wiedererstarken des Imperialismus verhindern.

Das Weltproletariat muß seinen Geschwistern in den degenerierten Arbeiterstaaten Beistand leisten zur Verteidigung der verbliebenen geplanten Eigentumsverhältnisse. Das staatliche Außenhandelsmonopol, die Vergesellschaftung der Industrie und das Planprinzip müssen gegen innere Restauration und imperialistischen Angriff verteidigt werden. Mit diesen wirtschaftlichen Errungenschaften verteidigen wir die Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, nicht die über sie herrschende Bürokratie.

Gegenwärtig verlassen sich die Imperialisten vornehmlich auf die ökonomischen Hebel für die Durchführung der Restauration des Kapitalismus. Aber jeder Halt, jede ernsthaft Umkehr des Vorgangs der sozialen Konterrevolution könnte zu einer direkten militärischen Intervention führen, um diese Restauration gegen den Widerstand der Arbeiterklasse zu vollenden. Das Weltproletariat muß weiterhin für die bedingungslose Verteidigung der degenerierten Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus und seine Agenten eintreten. Deshalb sind wir gegen jede Einschränkung der militärischen Schlagkraft der degenerierten Arbeiterstaaten sowohl atomar wie konventionell, was diese Staaten militärisch oder diplomatisch erpreßbarer machen würde.

Für die Arbeiterklasse ist die beste Verteidigung der geplanten Eigentumsverhältnisse immer noch der Angriff auf die stalinistischen Bürokratien, die sie in den Ruin getrieben haben und dies noch weiter tun. Das Programm für die proletarische politische Revolution, ebenso wie das für den Kampf gegen den Imperialismus, ist keines für die bloße „Demokratisierung“ des existierenden Staates. Es darf auch nicht auf klassenunspezifische Forderungen nach „Volksmacht“ verkürzt werden, die nicht klarstellt, welche Klasse die Macht innehaben soll. Es ist ein Revolutionsprogramm, für die Errichtung einer vollen proletarischen Diktatur und gegen Bürokratie, restaurationistische „Demokraten“ und Imperialisten.

Für eine politische Revolution!

Das Wesen des Programms der politischen Revolution, gleich dem Programm der sozialen Revolution in den kapitalistischen Staaten, liegt in der Verbindung der stattfinden Kämpfe für die unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeiterklasse mit dem Kampf um die politische Macht. Durch die Verzahnung der unnachgiebigen Verteidigung von Arbeiterinteressen mit den Taktiken der Massenmobilisierung, unabhängiger politischer Organisierung und der Installierung von Arbeiterkontrolle können Revolutionäre die Arbeiterklasse auf die Machtergreifung vorbereiten. In allen Kampfbahnen muß sich das Proletariat seiner besonderen Interessen und Identität bewußt werden, muß zur Klasse für sich werden.

Für unabhängige Organisierung am Arbeitsplatz!

Aufgrund des Wesens der degenerierten Arbeiterstaaten muß jede unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unmittelbar mit der Macht der bürokratischen Staatsmaschine zusammenstoßen. Gleichgültig, welcher Grund für die Mobilisierung vorliegt, diese Kollision stellt die Arbeiterklasse vor die Notwendigkeit, das Recht auf Organisierung zu erringen. Unabhängige Klassenorganisation und -bewußtsein sind eine Vorbedingung für den Auftritt der Arbeiterinnen und Arbeiter als unabhängige Kraft in den breiten oppositionellen Massenbewegungen gegen den Stalinismus.

Die gesellschaftliche Macht des Proletariats ruht in der Produktion, und die Klasse muß hier organisiert werden. In jedem Betrieb müssen demokratische Massenversammlungen höchste Autorität erhalten. Auf diesen Versammlungen gewählte und abwählbare Arbeiterkomitees müssen sich für Arbeiterkontrolle in jeder betrieblichen Angelegenheit, einschließlich des Streikrechts und des Vetorechts gegen Direktoren- und staatliche Pläne engagieren.

Für freie Gewerkschaften!

Überbetrieblich braucht das Proletariat von den Stalinisten unabhängige Gewerkschaften als zentrales Element bei seiner Organisation als Klasse. Gleich ob sich diese im Gefolge einer durchgreifenden Säuberung der bestehenden ‚Staats’gewerkschaften oder im Kampf neu formieren, sie müssen verantwortlich vor und kontrollierbar von ihren Mitgliedern sein. Alle Gewerkschaftsfunktionäre müssen gewählt und abwählbar sein, frei von der „führenden Rolle der Partei“, und müssen nach dem Durchschnittsverdienst ihrer Mitglieder entlohnt werden.

Von demokratischen Rechten zu einer wahren Arbeiterdemokratie

In den Auseinandersetzungen, die die Todeskrise des Stalinismus einleiteten, traten die Massen den Kampf gegen die Bürokratie hinter Forderungen nach zentralren demokratischen Rechten an. Die Aufgabe des Aufbaus der revolutionären Partei beinhaltet, die Arbeiterklasse zu drängen, an der Front dieses Kampfes zu stehen, ihn zu führen und revolutionäre und proletarische Organisationsformen zur Durchsetzung der Ziele zu benutzen. Die Arbeiter dürfen der Bürokratie oder einem Flügel davon in diesem Kampf nicht erlauben zu entscheiden, wer Nutznießer demokratischer Rechte sein darf und wer nicht. Die Bürokratie hat sich teilweise oder ganz als Hauptagent der Restauration erwiesen und scheidet auf jeden Fall als vertrauenswürdiger Wächter über die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse aus. Die Bürokratie ist nur so weitan demokratischen Zugeständnissen interessiert als sie selbst braucht, um Koalitionen mit anderen Kräften eingehen und eine neue Ausbeuterklasse werden zu können. Die Arbeiterklasse hat alles Interesse an der vollsten und revolutionärsten Ausweitung der demokratischen Rechte, um obiges Vorhaben zu vereiteln und um die Entfaltung ihres eigenen Klassenbewußtseins zu beschleunigen, d.h. um sie zum Erkennen von Freund und Feind zu befähigen.

Wo die Kommunistischen Parteien immer noch die Medien und die Wahlvorgänge monopolisieren, kämpfen wir dagegen an.

• Nieder mit den Zensurgesetzen der Bürokratie. Die Arbeiter selber sollen darüber entscheiden, was veröffentlicht und gesendet wird.

• Für den Zugang aller Arbeiterorganisationen zu Presse, Rundfunk und Fernsehen unter Arbeiterkontrolle. Die Arbeiter müssen faschistischer, pogromistischer und rassistischer Propaganda ihren eigenen Bann auferlegen. Genausowenig darf es Pressefreiheit oder Zugang zu den Medien für die prorestaurativen Kräfte geben, die den gewaltsamen Sturz des Arbeiterstaates vorbereiten.

• Alle Wahlkandidaten müssen eine Rechenlegung ihrer Wahlkampffinanzierung geben. Die Massen sollten ein Veto einlegen gegen Kandidaten, die heimlich Gelder vom Regime oder konterrevolutionären Agenturen wie CIA, den Kirchen oder reaktionären nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) erhalten.

• Jedes neue Gesetz, das der „reformistische“ Flügel der Bürokratie vorschlägt, muß in freier Aussprache von den Arbeitern diskutiert werden. Jedes Gesetz muß eine gewählte Arbeitergerichte in den Mittelpunkt der Rechtsmaschinerie stellen. Für die Freilassung aller politischen Gefangenen und Vorführung vor ein Arbeitergericht, das darüber entscheidet, was weiter mit ihnen zu geschehen hat.

• Für das Recht, Parteien zu gründen, außer für Faschisten, Pogromisten, Rassisten, jene Restaurationisten (auch jene, die aus der Nomenklatura stammen), die einen Bürgerkrieg organisieren wollen, und jene, denen aus anderen Gründen ein Verbot von der Arbeiterbewegung erteilt worden ist. Wir verteidigen diese Parteien nicht gegen die Verfolgung seitens konservativ stalinistischer Regimes oder bürgerlich restaurativer Regierungen. Aber gleichzeitig sprechen wir solchen Regierungen das Recht ab, darüber zu urteilen, wer konterrevolutionär ist und wer nicht. Nur eine revolutionäre Arbeiterregierung kann das tun. Die Arbeiter selber, nicht die Bürokratie, müssen entscheiden, welche Parteien sie als loyal zur eigenen Staatsmacht anerkennen.

• Wir treten für die Bloßstellung von arbeiterfeindlichen Programmen verwirrten oder versteckt restaurativer Parteien ein und dafür, ihnen durch politischen Kampf eine Massenbasis zu entziehen. Wir sollten für sorgsame Überwachung ihrer Aktivitäten und strenge Vorkehrungen gegen jeden Umsturzversuch wider die proletarische Diktatur eintreten. Für das Recht jeder Gruppe von Arbeitern und Kleinbauern, Kandidaten bei allen Wahlen aufzustellen.

• Für die Zerschlagung des repressiven Staatsapparat der Bürokratie, dem Werkzeug von Tyrannei gegen die Arbeiterklasse und dem Werkzeug, das die Stalinisten zur kapitalistischen Restauration benützen. Dieser Apparat wurde von der Bürokratie nach dem Bild der kapitalistischen Staatsmaschine entworfen. Die politische Revolution muß ihn auf dem Weg zur Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates zerschlagen. Für volle politische Rechte von Soldaten, das Recht auf Abhaltung von Versammlungen in den Kasernen, Soldatenräte ohne Kontrolle durch Offiziere und Befehlshaber zu wählen. Für ihr Recht, Zeitungen herauszugeben sowie das Recht auf Zugang zu den Medien. Außerdem sollen alle einfachen Soldaten und Seeleute das Recht auf freie Wahl der Offiziere haben. Für das Recht aller von ihrer Stationierung im Ausland zurückkehrenden Soldaten auf annehmbare, erschwingliche Wohnungen für sich und ihre Familien und auf Umschulung und eine neue Arbeitsstelle nach ihrer Demobilisierung haben.

• Für die Auflösung der Geheimpolizei und die Bestrafung aller, die Verbrechen an der Arbeiterklasse begangen haben. Ein demokratischer Arbeiterstaat braucht keine Geheimpolizei. Den Komplotten der konterrevolutionären Kräfte kann durch Arbeitersicherheitsausschüsse entlang der Linie der revolutionären Tscheka von 1917 begegnet werden. Für die Auflösung des stehenden Heers der Bürokratie und dessen Ersetzung durch eine revolutionäre Arbeiterarmee, die mit den Territorialmilizen der Arbeiter verbunden ist.

Nieder mit Vorrechten und Ungleichheiten!

Eines der frühesten Anzeichen für den Sieg der stalinistischen politischen Konterrevolution in der UdSSR war die arrogante Verurteilung des Gleichheitsgedankens als kleinbürgerliche Abweichung. Aber im Gegenteil der Wunsch nach Gleichheit und der Haß auf Privilegien sind instinktive und grundlegende Bausteine des proletarischen Klassenbewußtseins, wie Trotzki vorhersagte. Auf dem Weg zur endgültige Ausschaltung der Bürokratenherrschaft müssen die Arbeiter für die sofortige Beendigung jeglicher Mißbräuchekämpfen. Sie müssen gegen den grotesk privilegierten Lebensstil der Bürokratie zu Felde ziehen.

• Die Spezialläden müssen schließen, und die bislang der Bürokratie vorbehaltenen Sanatorien, Heilstätten und Freizeitmöglichkeiten müssen den Arbeitern und armen Bauern offenstehen. Partei- oder Staatsfunktionen dürfen nicht länger Zugang zu Privilegien und Luxus bedeuten. Kein Partei- oder Staatsfunktionär darf mehr verdienen als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn. Im Betrieb muß ein Kampf für das Recht der Arbeiter zur Entlassung aller Funktionäre und Manager, die sich der Korruption oder der Verfolgung von Arbeitern schuldig gemacht haben, entfacht werden.

Arbeiterkontrolle über die Produktion und der Plan

Die ökonomischen Entscheidungen in einer Planwirtschaft sind nicht hinter einer Nebelwand von „Marktkräften“ wie unterm Kapitalismus verborgen. Sie sind politische Entscheidungen, die die Bürokratie fällt. Jedes Aufbegehren gegen die Entscheidungen der Bürokratie, egal in welchem Bereich, ist demzufolge zugleich ein Angriff auf das Recht der Bürokratie, den Wirtschaftsplan zu kontrollieren. Da diese Kontrolle Stagnation und Niedergang gebiert, versuchen der Marktflügel der Bürokratie und andere restaurationistische Kräfte, den Arbeiterkampf vom Staat abzulenken, indem die Arbeitern ermuntert werden, „Selbstverwaltung“ ihrer Unternehmen, frei von der bürokratischen Einmischung des Zentralplans zu fordern. Diese Doktrin des „Marktsozialismus“ ist eine reaktionäre Ablenkung, die dazu gedacht ist, die beschränktesten Formen der Betriebsisolationismus zu fördern, das Proletariat als Klassenkraft zu spalten und den Zentralplan selber auszuhebeln. Dagegen müssen Revolutionäre auftreten, damit durch die Forderung nach Arbeiterkontrolle über den Plan jeder Arbeiterkampf zu einem bewußten Affront gegen die Macht der Bürokraten wird.

• Dies muß auf Betriebsebene mit der Öffnung der Bücher für Arbeiterinspektionen beginnen und auf Orts-, Regional- und landesweiter Ebene fortgesetzt werden. Dieser Kampf muß die Arbeiter in den Planungsministerien einbeziehen, um die wirklichen Prioritäten der Sitzen der Bürokratie und ihren Betrug, ihre Korruption und schiere Unfähigkeit zu enthüllen.

Durch die Abwehr der bürokratischen Planung und die Einführung der Klassenprioritäten im Plan schützt die Arbeiterklasse nicht nur ihren Lebensstandard und ihre Lebensbedigungen, sondern bildet die Organisationen, die die Grundlage eines revolutionären Arbeiterstaates darstellen werden. Diese Organisationen sind der Mechanismus, durch den der Arbeiterstaat eine demokratisch zentralisierte Planwirtschaft erreichen wird. Ein isolierter revolutionärer Arbeiterstaat muß mit den Marktkräften leben und sie benützen, aber gleichzeitig danach streben, sie zu überwinden. Fraglos haben Elemente der stalinistischen bürokratischen Ausblendung des Marktes tatsächlich dazu gedient, die Entwicklung von Sektoren der Sowjetwirtschaft zu verzögern. Dies ist nirgends deutlicher geworden als in der Landwirtschaft und bei Massenkonsumgütern. In diesen Bereichen muß unser Programm auf folgenden Elementen aufbauen:

• Nieder mit der Sklaverei von Arbeitern auf staatlichen und kollektivierten landwirtschaftlichen Betrieben. Für kollektivierte Landwirtschaftsbetriebe, die von den Werktätigen selber bewirtschaftet werden. Keine Rückkehr zur privaten Familienklitsche.

• Für die demokratische Reorganisation der Landwirtschaftsbetriebe, die auf der Demokratie der in der Landwirtschaft Tätigen, nicht auf den Launen der Funktionären fußt. Für Landarbeiterräte, deren Repräsentanz nach Arbeitskolonnen festgelegt ist und ihnen unmittelbar verantwortlich sind. Die landwirtschaftliche Erzeugung muß in den landesweiten Produktionsplan eingebaut sein.

• Für eine massive Finanzspritze zur Angleichung des materiellen und kulturellen Niveaus des Landes an das der Städte und damit zur Überwindung der himmelschreienden Unterschiede der Lebensbedingungen von beiden Lebensräumen.

• Gegen alle Reformen, die den Einfluß des imperialistischen Finanzkapitals auf die Ökonomien der Arbeiterstaaten verstärken; gegen die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols, gegen Joint Ventures, wo die Arbeiterrechte im Vergleich zum Standard in den Staatsbetrieben gemindert werden. Wir treten der Unterwerfungspolitik der Bürokratie unter das Diktat des IWF entgegen. Deren verheerende Folgen sind am klarsten schon in Jugoslawien, Polen und Ungarn zu sehen.

• Wir fordern von der Bürokratie die Nichtigkeitserklärung aller Schulden an das internationale Finanzkapital. Ein revolutionäres Arbeiterregime wird entscheiden, welche Verpflichtungen vom Standpunkt revolutionärer Zweckmäßigkeit einzulösen sind. Ein Arbeiterrätestaat wird die ausgebeuteten Massen überall zur Mobilisierung für eine vollständige Zurückweisung aller Außenschulden und die Enteignung der imperialistischen multinationalen Konzerne aufrufen.

Parlamentswahlen und -versammlungen

Die Folge von Jahrzehnten politischer Unterdrückung und ökonomischer Inkompetenz seitens der Bürokratie haben sich weitreichende Illusionen in die bürgerlich parlamentarische Demokratie aufgebaut. Sowohl Bürokratie wie probürgerliche Opposition haben diese Illusionen genutzt, um die Selbstorganisierung der Arbeiterklasse abzublocken und insbesondere die Herausbildung solcher Arbeiterräte zu ersticken, wie sie während der ungarischen Revolution 1956 oder auf niedrigerem Niveau in Polen und Tschechoslowakei in den politisch revolutionären Situationen der 50er und 60er Jahre und 1980-1981 auftauchten. Nur in Rumänien im Aufstand 1989-1990 entstanden embryonale Arbeiterkomitees und spielten eine wichtige Rolle bei den Streiks, die die Ceaucescu-Regierung zu Fall bringen halfen. Anderswo wurden hastig Mehrparteien-Parlamentswahlen anberaumt, um den Weg für die Arbeiterselbstorganisation, direkte Demokratie und für die Beteiligung der Massen an der Politik zu blockeren.

Unser Programm zielt nicht auf die Errichtung bürgerlicher Parlamente in den Arbeiterstaaten. Gewählt durch eine atomisierte Wählerschaft, unfähig, ihre Vertreter zur Rechenschaftslegung anzuhalten, und getrennt von der vollziehenden Gewalt können Parlamente niemals ein angemessener Ausdruck von Arbeitermacht sein. Diese Einrichtungen assistieren direkt den restaurativen Plänen der Bürokratie oder aufkommenden Bourgeoisie. Die parlamentarischen Repräsentanten, die von ihren Wählern nicht abberufen werden können, sind eminent korrumpierbar von den Wohlstands- und Machtträgern. Wenn die herrschende Bürokratie versucht, ihre Herrschaft durch die Implementierung von Parlamentswahlen zu stabilisieren, setzen wir dem die proletarische Demokratie der Arbeiterräte entgegen. Wir wollen ihre Formation als Kampforgane gegen die Bürokratie und als Demokratieorgane eines revolutionären Arbeiterstaates durchsetzen.

Aber wo solche revolutionären Losungen noch keinen Widerhall im Bewußtsein oder Erfahrungsschatz der Massen finden, wäre es eine sektiererische Bankrotterklärung, wollte man sich damit zufrieden geben. Wir müssen jede Chance zur Organisierung der Arbeiterklasse ausloten, damit sie als politisch unabhängige Kraft in die jetzige politische Lage eingreifen kann. Und wenn es – im Gegensatz zu unseren Vorstellungen Parlamentswahlen sind, dann müssen die Arbeiter auch dort kämpfen.

• Wir sind gegen jeden Versuch der Bürokratie, den Wahlvorgang durch Verbote für Kandidatenlisten oder wählbare Parteien zu manipulieren oder zu beschränken. Wir bekämpfen Wahlmanipulationen der Bürokratie. Wir setzen uns für die Prinzipien und gewisse Formen der proletarischen Demokratie ein. Wir kämpfen dafür, daß Arbeiter ihre eigenen Kandidaten aufstellen, die auf Arbeiterversammlungen in Betrieben und Arbeiterbezirken gewählt worden sind. Wir kämpfen dafür daß sie auf einem Arbeiterprogramm stehen gegen Bürokratenherrschaft, Privilegien und alle Formen der Restauration. Dieses kämpferische Aktionsprogramm muß für die Verteidigung der Rechte nationaler Minderheiten, aller Arbeiterrechte und -errungenschaften aufgreifen. Wir kämpfen dafür, daß alle Kandidaten den Arbeiterversammlungen gegenüber Rechenschaft ablegen müssen und nur Bezüge in Höhe des Durchschnittslohn eines Facharbeiters erhalten.

Revolutionäre Kommunisten übernehmen keine Verantwortung für die Form eines bürgerlichen Parlaments in einem Arbeitsstaat. Die Volkskammer ebenso wie der Oberste Sowjet waren Schöpfungen der Stalinisten. Sie haben die eigentlichen Sowjets entweder zerstört oder nicht gewagt, derartiges zu schaffen. Dennoch müssen wir die demokratischen Illusionen der Massen ernsthaft aufgreifen, insbesondere wo die aufkeimenden bürgerlichen Kräfte die „Demokratisierung“ solcher Parlamente zur Schaffung eines permanenten und stabilen Instrumentes für die Restauration des Kapitalismus nutzen wollen. Unser Ziel ist die Verhinderung der Errichtung einer solchen stabilen parlamentarischen Regimes. Wenn die Restaurationisten eine legale und institutionelle Grundlage für die kapitalistische Herrschaft schaffen wollen, durch bonapartistische Plebiszite oder Abstimmungen in bestehenden undemokratischen Versammlungen, wo Arbeiter noch keine Erfahrung mit Sowjets haben oder die Erinnerung daran ausgelöscht worden ist, können und sollen Revolutionäre zur revolutionär demokratischen Forderung nach einer souveränen verfassunggebenden Versammlung zurückkehren. Das ist kein Ruf nach einem Parlament (d.h. permanentem Gesetzgeberorgan, Element der Gewaltenteilung der bürgerlichen Herrschaft), sondern der Versuch, eine Arena zu schaffen, in der sich die Vertretungen der widerstreitenden Klassen treffen und sich um die politische Form und den eigentlichen Klasseninhalt des Staates, wie in der Verfassung niedergelegt, kämpfen. Wir glauben natürlich nicht, daß die Schlacht zwischen Restauration und proletarischer Macht in einer Versammlung entschieden werden kann, aber die versteckten und offenen Agenten der Restauration können dort vor den Augen der Massen bloßgestellt werden.

Unter diesen Verhältnissen ist es die Aufgabe von revolutionäre Kommunisten, zur Vorhut im revolutionär demokratischen Kampf zu werden, um nach Möglichkeit diese Waffe der politischen Demokratie den inkonsequenten (halb-bonapartistischen) bürgerlichen Demokraten zu entwinden. Wir sollten die Losung der verfassungsgebenden Versammlung vorbringen, um die Restaurationisten zu überflügeln, die demokratische Slogans für sich monopolisieren wollen, in Wirklichkeit aber nichts anderes im Schilde führen, als die Macht des Parlaments extrem zu beschneiden und es mit bonapartistischen Kontrollen zu umgeben, falls diese Institution zu sehr unter den Druck der Massen geraten sollte. Wir können diese mit dem Kampf für das revolutionär demokratische Recht auf Abrufbarkeit tun.

• Jeder Abgeordnete muß der sofortigen Abwahl durch die Wählermehrheit unterworfen werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß der Großteil der Wahlkampagne auf Massenversammlungen in Betrieben stattfindet, wo die Kandidaten mit ihrem Programm auf Herz und Nieren geprüft werden können. Wir müssen für freien und gleichen Zugang zu den Medien für alle Kandidaten außer Faschisten oder gewaltsamen Umstürzlern der Planwirtschaft kämpfen.

Selbstredend kann jede verfassungsgebende Versammlung sich als Moment der Konterrevolution, der Zerstörung der geplanten Eigentumsverhältnisse im Arbeiterstaat entpuppen. In dem Fall müssen wir ihre Absichten vor den Augen der Massen demaskieren und die Arbeiter dazu mobilisieren, die verfassungsgebende Versammlung aufzulösen.

Für Demokratie der Arbeiterräte

Um die Diktatur der Bürokratie zu stürzen, muß sich die Arbeiterklasse eigene Mittel zur Ausübung der Staatmacht suchen. Die im Kampf gegen die Bürokratie entstandenen unabhängigen Organisationen müssen zu echten Arbeiterräten zusammengeschweißt werden. Diese Räte werden den massenhaften Aufstand der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, der ländlichen Armut, und die Zerschlagung der ganzen repressiven Maschinerie des stalinistischen Staatsapparats, dem Mittel zur Aufrechterhaltung der politischen Diktatur der Bürokratie über das Proletariat organisieren. Wie beim bürgerlichen Staat, nach dessen Vorbild er geformt ist, sind die wesentlichen Elemente der stalinistischen Staatsmaschine die ’spezialisierten bewaffneten Organe‘ und ihr Apparat von Spitzeln, Kerkermeistern und Folterknechten. Selbst wo die bürokratische Kaste intern gespalten ist, nutzt sie, solange die vorherrschende Fraktion diesen Apparat kontrolliert, ihn auch zur Verteidigung gegen die aufständischen Massen, wie das Massaker vom Tiananmen-Platz wieder einmal bestätigt hat. Die Speerspitze des Programms der politischen Revolution ist also die Bildung von Arbeiterräten und die Bewaffnung des Proletariats.

Wie die russische Revolution zeigte, ist der Arbeiterrat die Form zur Machtausübung der Arbeiterklasse in einem gesunden Arbeiterstaat. Verankert in den Fabriken, den Arbeiterwohnvierteln und den unterdrückten Schichten der Gesellschaft organisieren die Räte die großen Massen der ehemals Ausgebeuteten, um die Herrschaft im eigenen Staat anzutreten. Die Delegierten in den Arbeiterräten werden auf Arbeitermassenversammlungen direkt gewählt. Sie sind ihrer Wählerschaft verantwortlich und deshalb jederzeit von ihr abberufbar. Arbeiterräte sind Organe der Klassenmacht, d.h. Kapitalisten sind von den Wahlen ausgeschlossen. Den herrschenden Sektionen der Bürokratie muß ebenfalls das Stimmrecht entzogen werden. Wir bekämpfen politisch jene Vertreter der Bürokratie, in die die werktätigen Massen noch Illusionen haben. Die politische Revolution kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürokraten aus den Arbeiterräten verjagt sind.

Der Arbeiterrat vereint in sich vollziehende und gesetzgeberische Funktionen, was einer lebendigen Rätedemokratie ermöglicht, die Staatsbürokratie zu kontrollieren, zu reduzieren und sie langfristig vollkommen durch die Selbstverwaltung der Gesellschaft zu ersetzen. Solche Organe haben nichts gemein mit den Sowjets, dir in der UdSSR 1936 installiert wurden und eine pseudo-parlamentarische Form angenommen haben, oder den ‚Volkskomitees‘ auf Kuba, die nur dazu sind, die Beschlüsse der Bürokratie abzunicken.

Nieder mit der sozialen Unterdrückung!

Der Thermidor in der UdSSR markierte nicht nur die Errichtung der bürokratischen Tyrannei über Wirtschaft und Staat, sondern auch die Umkehr vieler Reformen nach 1917 zur Bekämpfung sozialer Unterdrückung. Die Wiedereinführung reaktionärer Gesetze und moralischer Normen hat seither als Vorbild für andere degenerierte Arbeiterstaaten gedient.

Die siegreichen Bürokratien haben alle danach getrachtet, die bürgerliche Familie zu stärken und ihre Größe nach Maßgabe der jeweiligen ökonomischen und militärischen Bedürfnisse festzulegen. Die bürokratische Planung gab das Ziel der Sozialisierung von Kinderbetreuung und Hausarbeit auf. Die Frauen blieben durch die Dreifachlast von Beruf, Haushalt und Kindererziehung preisgegeben. Die ‚Reformer‘ hegen natürlich auch keinesfalls die Absicht, die Auswirkungen des Stalinschen Thermidors auf die Familie zu beseitigen. Im Gegenteil stärkte Gorbatschows Perestroika-Politik ein reaktionäres Frauenbild. Die „Reformer“ wollen die Frau auf die Gattin- und Mutterrolle beschränken und sie aus gewissen Produktionszweigen vertreiben.

Der Jugend wird ihr ‚rechtmäßiger Platz‘ in den Bildungseinrichtungen gelehrt, sie wird verdummt mit der reaktionären Moral des Stalinismus, ihr wird ein freier kultureller Ausdruck verwehrt. Ebenso sind große Errungenschaften der Oktoberrevolution, in der gesetzliche Verteidigung der Rechte von Homosexuellen schon längst zerstört, und der Alltag für Lesben und Schwule von Kuba bis Osteuropa und GUS heißt Unterdrückung oder Verfolgung. Gegen Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität fordern wir:

• Gegen die Unterdrückung von Frauen – für wirkliche Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für einen Plan zur Bereitstellung von Kinderkrippen, die dies ermöglichen. Für ein massives Bauprogramm von Gastwirtschaften, Kantinen und sozialen Annehmlichkeiten, die Frauen von ihrer Bürde befreien.

• Für das Recht von Frauen auf Arbeit und Chancengleichheit in Berufen, die nicht Schutzgesetzen unterstehen. Zur Bekämpfung des Erbes von männlichem Chauvinismus und Unterdrückung, das von der Bürokratie konserviert wurde, verfechten wir eine unabhängige Frauenbewegung auf proletarischer Grundlage.

• Keine Einschränkung des Abtreibungsrechts. Freie Verhütungsmittel für alle, um Frauen wirkliche Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit zu geben. Nein zu jedem Zwang zu einer bestimmten Familiengröße durch die Bürokratie.

• Abschaffung der reaktionären Gesetze gegen Homosexualität. Freilassung aller in dieser Hinsicht Inhaftierten und in psychiatrische ‚Spitäler‘ Eingewiesenen. Beendigung aller Formen der Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Für die offene Anerkennung, daß es Aids auch in diesen Staaten gibt. Für ein staatlich finanziertes Programm zur Erforschung, Behandlung und Aufklärung über den Virus, um jene mit AIDS zu behandeln und die Verbreitung der Krankheit zu verhindern oder zu begrenzen.

• Weg mit der Unterdrückung der Jugend. Für Schüler-, Eltern- und Erzieherkontrolle über die Schulen. Für Jugendausschüsse zur Kontrolle ihrer eigenen Gestaltung von Unterhaltung, Sport, Kultur, Klubs usw. Weg mit der Zensur, die die Jugend nicht vor reaktionären Ideen schützt, sondern ihren Intellekt und Kampfgeist lähmt, und sie so erst für solche Ideen anfällig macht. Abschaffung aller die Jugend in Arbeit und Gesellschaft diskriminierenden Gesetze.

Gegen nationale Unterdrückung!

Seit seiner Gründung hatte der revolutionäre Sowjetstaat einen föderalen Charakter. Wie mit allen anderen Aspekten bolschewistischer politischer Praxis verfuhr der Stalinismus auch hier. Er wahrte die Form, entleerte sie aber ihres revolutionären Inhalt. Fernab jeder freiwilligen Föderation von Völkern wurde die UdSSR zum Gefängnis für Nationen.

Das Muster der Verweigerung von Rechten für nationale Minderheiten wurde in anderen degenerierten Arbeiterstaaten wiederholt, ungeachtet dessen, ob sie föderal strukturiert sind (wie in Jugoslawien), Einheitsstaaten mit angeblich ‚autonomen Regionen‘ (wie in China), oder ob sie die Existenz von Minderheiten verfassungsmäßig gar nicht anerkennen (wie in Rumänien). Der Kreml hat auch Nationen außerhalb der Grenzen der UdSSR unterdrückt und Invasionen veranstaltet, um proletarische Aufstände gegen die Bürokratenherrschaft zu zermalmen. Die Opposition gegen die herrschenden Bürokratien trägt daher oft einen nationalistischen Charakter. Unter diesen unterdrückten Völkern fordern Revolutionäre in vorderster Linie demokratische Rechte für Nationalitäten als Teil ihres Kampfes um die politische Revolution.

• Wir treten jeder Manifestation des großrussischen, chinesischen und serbischen Repressionsnationalismus entgegen. Wir unterstützen das Recht auf vollste kulturelle Selbstäußerung für alle unterdrückten Nationalitäten. Das bedeutet volle Unterstützung für das Recht auf eigene Sprache in allen öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten wie auch auf Unterricht in der eigenen Sprache. Wir sind gegen jede Diskriminierung im Beruf. Wir treten für das Recht unterdrückter Nationalitäten ein, ein Veto gegen die Einwanderungspolitik einlegen zu können, die von den Bürokratien von Unterdrückernationalitäten festgelegt wird. Umgekehrt sind wir auch gegen jede Diskriminierung ehemaliger nationaler Mehrheiten, die nun in neuen unabhängigen Staaten zu Minderheiten geworden sind (bspw. die Russen in den baltischen Staaten).

• Alle multinationalen Arbeiterstaaten sollten freie Föderationen von Arbeiterrepubliken sein. Allgemein streben wir nicht die Zerstückelung von degenerierten Arbeiterstaaten in ihre nationalen Bestandteile an, weil wir die größtmögliche territoriale Zusammengehörigkeit für günstig erachten, um die Entfaltung der Produktivkräfte voranzutreiben, und weil der Nationalismus die Arbeiterklasse spaltet und sie für die Einsicht in die Notwendigkeit der Vernichtung von Bürokratie und Imperialismus blendet. Es kann dazu führen, daß die Arbeiter gemeinsame Sache mit der ‚eigenen‘ nationalen Bürokratie machen, oder daß sie glauben, es sei möglich, ‚Unabhängigkeit‘ durch kapitalistische Restauration und mit Hilfe des Imperialismus zu erlangen.

Die kapitalistische Offensive trachtet danach, alle Elemente von Klassenidentität und kollektivistischem Bewußtsein zu zersetzen und an ihrer Statt individualistische, religiöse oder nationalistisch-ethnische Ideen in den Köpfen der Bevölkerung zu züchten. In verschiedenen Republiken, Regionen, kleineren Landstrichen oder gar Unternehmen versuchen die Restaurationisten die Idee zu verbreiten, daß nur völlige Unabhängigkeit vom offiziellen Staat ihnen einen besseren Zugang zum internationalen Markt, höheren Exportpreise und günstigeren Bedingungen für die Einfuhr von Gütern und das Anlocken von Investoren bietet.

Die UdSSR ist in fünfzehn unabhängige Republiken zerfallen, und es gibt viele weitere autonome Republiken und Regionen innerhalb dieser, die starke separatistische Tendenzen haben. Die Bürokraten und Nationalisten hinter diesen Unabhängigkeitsbewegungen versuchen bürgerliche Kleinst-Halbkolonien zu errichten. In den meisten von ihnen leiden andere ethnische Minderheiten unter Diskriminierung und Unterdrückung. In den baltischen Staaten zum Beispiel werden die slawischen Minderheiten nicht als Staatsbürger anerkannt und erleiden eine Art neue Apartheid. Im früheren Jugoslawien, im Kaukasus, Moldawien, Zentralasien und anderen ehemaligen ’sozialistischen Blockstaaten befinden sich Völkergruppen gegeneinander in blutigen und reaktionären Kriegen.

Eine wirkliche Unabhängigkeit für eine der gegenwärtig unterdrückten Nationalitäten in den Arbeiterstaaten ist allerdings nur erreichbar auf Grundlage von demokratisch geplanten proletarischen Eigentumsverhältnissen. ‚Unabhängigkeit‘ unter Führung von Restaurationisten kann nur in einer Unterwerfung jedes neu konstituierten Staates unter den Imperialismus als Halbkolonie enden. Damit wäre die Arbeiterklasse noch direkter durch den internationalen Kapitalismus ausgebeutet, und ihre demokratischen Bestrebungen würden im Namen des Profits brutal unterdrückt werden. Wir treten von uns aus nicht für Abtrennung ein, weil sie den Arbeiterstaat schwächt und die Entfaltung der Produktivkräfte behindert. Aber in einem konkreten Fall, wo innerhalb einer bestimmte unterdrückten Nation die große Mehrheit der Arbeiterklasse Illusion in die Abtrennung hat, stellen wir die Forderung nach einer unabhängigen Arbeiterräterepublik auf.

Auf wessen Seite sich die Arbeiter in einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Unabhängigkeitsbewegung einer unterdrückten Nation und dem zentralisierten stalinistischen Apparat stellen sollen, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Wenn diese Bewegung andere Minderheiten durch Pogrome verfolgt oder ein Waffenbündnis mit dem Imperialismus eingeht, um gegen den degenerierten Arbeiterstaat Krieg zu führen, wäre es notwendig, auf Seiten der stalinistischen Maschinerie zu stehen, ohne sie politisch zu unterstützen. Gleichzeitig würden wir die Losung nach einer unabhängigen oder autonomen Arbeiterräterepublik (wie in Aserbaidschan 1990) ausgeben.

Wenn wir andererseits eine legitime Bewegung mit Basis in der arbeitenden Bevölkerung antreffen, könnten wir auf deren Seite gegen militärische Unterdrückung durch die Stalinisten stehen, ohne ihre politischen Ziele oder ihre volksfrontartige Führung dabei zu unterstützen (wie in Litauen 1990/1991).

Die Entfremdung so vieler Nationalitäten vom degenerierten Arbeiterstaat ist das Produkt von Jahrzehnten grausamer nationaler Unterdrückung. Die Vorhut der politischen Revolution muß mit den energischsten Mitteln versuchen, diesen Völkern ihre Ängste zu nehmen und sie für die Seite der Erhaltung ihrer eigenen geplanten Eigentumsverhältnisse zu gewinnen. Das muß getan werden, indem ihr Recht auf Selbstbestimmung, die Lostrennung eingeschlossen, bedingungslos unterstützt wird.

Wo die Mehrheit eines Volkes in Massenkundgebungen, Arbeiterversammlungen, Wahlen oder Volksabstimmungen nach Unabhängigkeit ruft, unterstützen wir dieses Ziel rückhaltlos. Sonst würden wir uns von dem ausdrücklichen demokratischen Willen der Arbeitermassen isolieren und damit zulassen, daß sie der Führung reaktionärer Kräfte anheimfallen. Nur die proletarische politische Macht und die proletarischen Eigentumsverhältnisse können die Unabhängigkeit, nach der solche Mobilisierungen streben, gewährleisten. Aus dem Grund lautet unsere positive Losung unter diesen Gegebenheiten ‚Für einen unabhängigen Arbeiterrätestaat‘.

Selbst wo sich separatistische Bewegungen auf eine offen konterrevolutionäre Plattform begeben haben, verteidigen wir noch das Recht auf staatliche Unabhängigkeit, setzen aber den Kampf gegen die Restauration fort. Die Restauration des Kapitalismus läuft nicht simultan zur nationalen Unabhängigkeit. Die Beendigung nationaler Unterdrückung lockert die Bindungen zwischen der Arbeiterklasse und den Repräsentanten ihr entgegengesetzter Klasseninteressen. In den neuen, unabhängigen Staaten müssen revolutionäre Kommunisten die Arbeiter weiter für die bewaffnete Verteidigung der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse organisieren. Jedoch im Fall eines Krieges (Bürgerkrieg oder Krieg nach außen), in den ein Arbeiterstaat verwickelt sein könnte, könnten wir allerdings gezwungen sein, das Recht auf Abtrennung vorübergehend der Verteidigung des Arbeiterstaates gegen die Attacken der Kräfte des Imperialismus und der Konterrevolution unterzuordnen.

Als Ausdruck unserer Gegnerschaft zu der reaktionären Utopie des Aufbaus vom Sozialismus in einem Land stehen wir für die weitestgehende Föderation von Arbeiterstaaten beginnend mit Regionalverbünden. Die siegreiche politische Revolution wird die Republiken der ehemaligen UdSSR, Osteuropas und darüberhinaus auf einer freiwilligen und gleichen Grundlage neu vereinigen. In den Regionen, wo der Stalinismus und seine Erben nationale Antagonismen und Kriege gesät haben, kämpfen wir für Föderationen von Arbeiterstaaten (z.B. auf dem Balkan und in Indochina) als Schritt zur Integration in eine sozialistische Weltrepublik.

Für die Rückkehr zum proletarischen Internationalismus Lenins und Trotzkis

Die Stalinisten haben die Losung des proletarischen Internationalismus durch die Gleichsetzung mit der Unterordnung unter die staatlichen Interessen der Sowjetbürokratie befleckt. Die Außenpolitik eines revolutinären Arbeiterstaates zielt nicht zuallererst auf die eigene Verteidigung oder Schutz und Unterstützung anderer Arbeiterstaaten, sondern stellt die Interessen aller, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen, in den Mittelpunkt. Die Verteidigung eines einzelnen Arbeiterstaates oder einer Gruppierung solcher Staaten ist Teil der Weltrevolution und ihr untergeordnet. Das ist das unverfälschte Programm des proletarischen Internationalismus. Es ist das genaue Gegenteil zur Außenpolitik der degenerierten Arbeiterstaaten im letzten halben Jahrhundert, die dem stalinistischen Ziel einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus dienen sollte.

Die Stalinisten haben die Kämpfe der Arbeiterklasse und Kolonialvölker überall zynisch manipuliert und verraten. Seite an Seite mit der Stärkung der Marktmechanismen und der kapitalistischen Kräfte im Arbeiterstaat sind die verbleibenden herrschenden Bürokratien überall vor dem Imperialismus auf dem Rückzug. Der Stalinismus hat stets eine dem Wesen nach konterrevolutionäre Politik in und außerhalb der eigenen Grenzen betrieben. In den 80er Jahren hat die UdSSR in Afghanistan, Kambodscha, Mittelamerika und Südafrika eine konterrevolutionäre Rolle gespielt, sowohl in der Art, wie sie die fortschrittlichen Kräfte unterstützte, wie auch in ihrem beschämenden Abrücken von jenem Lager im Zuge seiner Kapitulation vor dem Imperialismus.

Die Geheimdiplomatie, mit der die stalinistische Bürokratie operierte, muß vollständig abgeschafft werden. Diese Politik war Teil des bürokratischen Informationsmonopols in den degenerierten Arbeiterstaaten und diente nur zur Desinformation und Täuschung der Arbeiterklasse. Verhandlungen zwischen Arbeiterstaaten und kapitalistischen Staaten oder anderen Arbeiterstaaten müssen vor den Augen der Arbeiterklasse durchgeführt werden. Die Forderungen beider Seiten sollten öffentlich gemacht werden. Verhandlungen müssen genützt werden, um revolutionäre Propaganda zu machen. Das Wesen der Verhandlungen muß den Massen aufgedeckt werden.

Beziehungen mit kapitalistischen Staaten müssen ebenso als Waffe für den Arbeiterstaat genützt werden. Diplomatische Verbindungen und Handelsbeziehungen zu jedem Land müssen sorgfältig untersucht werden. Die Stalinisten verwendeten diplomatische Verbindungen mit kapitalistischen Staaten, um das Ertränken der Arbeiterbewegung dieser Staaten in Blut zu entschuldigen und das Prestige der Schlächter zu erhöhen (z.B. China‘ s Beziehungen mit Pinochet). Das war eine übliche Praxis unter den Stalinisten. Handels- und diplomatische Beziehungen müssen dazu verwendet werden, den Aufbau eines Arbeiterstaats zu unterstützen und dürfen die Bildung von revolutionären Bewegungen nicht begrenzen oder schädigen.

Wenn ein Arbeiterstaat direkt militärisch angegriffen wird, egal ob in einer politisch revolutionären Krise oder nicht, ist es legitim, mit den Truppen eines anderen Arbeiterstaates eine bewaffnete Einheitsfront zu suchen. In dieser Einheitsfront darf die Arbeiterklasse ihre Verbände nicht denen ihrer Verbündeten unterordnen, sondern muß versuchen, Waffen und Hilfe unter die Kontrolle ihrer Organisationen zu bekommen, und muß unter den verbündeten Streitkräften der degenerierten Arbeiterstaaten die Idee der internationalen politischen Revolution verfechten.

Wir verteidigen das Recht der degenerierten Arbeiterstaaten auf Besitz von Atomwaffen und sie auch in Kriegen mit dem Imperialismus zur Verteidigung der Arbeiterstaaten einzusetzen, wenn es militärisch erforderlich ist. Aber wir stellen uns gegen die allgemeine Verteidigungs- und Militärpolitik der Bürokratie, deren Ziel die Verwirklichung des reaktionären Traums von der friedlichen Koexistenz mit dem Weltimperialismus ist.

Die Außenpolitik eines Arbeiterstaates muß einer revolutionären Internationale untergeordnet sein. Eine wirkliche Internationale kann die Außenpolitik eines Arbeiterstaates in den richtigen Zusammenhang im Kampf um die Weltrevolution stellen. Nur eine Internationale kann den Arbeiterstaat effektiv gegen eine imperialistische Intervention schützen, indem Mobilisierungen der Arbeiterklasse in den verschiedenen imperialistischen Ländern koordiniert werden.

Baut leninistisch-trotzkistische Parteien auf!

Das Programm der politischen Revolution, verknüpft ein Verbundsystem von Forderungen mit den strategischen und taktischen Mitteln zu ihrer Durchsetzung. Es kann nicht durch die spontanen Kämpfe der Arbeiterklasse in den degenerierten Arbeiterstaaten entwickelt werden. Die Erfahrung mit Ungarn, Polen und China zeigt auf tragische Weise, daß Spontaneität wie unterm Kapitalismus mit dem wissenschaftlichen Klassenbewußtsein in der organisatorischen Gestalt einer revolutionären Partei geharnischt sein muß. Der erste kleine Kern einer solchen Partei mag zwar der Intelligenz entspringen, die Prüfung für ihren ‚Kommunismus‘ wird aber die Anerkennung der Notwendigkeit, die im antibürokratischen Kampf erstandenen Arbeitervorhut zu gewinnen und zu organisieren, sein. Alle Regeln der Mitgliedschaft, Organisation, Innenleben und Außenaktivität sind wie von der leninistisch bolschewistischen Partei und später den linken Opposition und der Trotzkisten dargelegt anwendbar.

Wir weisen die ‚führende Rolle‘ der stalinistischen Parteien zurück. Es sind Parteien der Bürokratie, nicht der proletarischen Avantgarde. Die Erfahrung der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei 1968 und der ‚Horizontalbewegung‘ in der polnischen Arbeiterpartei auf dem Höhepunkt des Kampfes von Solidarnosc legen jedoch nahe, daß proletarische Mobilisierungen einen Widerschein in den herrschenden, kommunistischen Parteien finden und zwar deshalb, weil eine große Anzahl von Arbeitern Zwangsmitglieder dieser Parteien sind. Wir lehnen die Illusion ab, daß die herrscheden Parteien zu zentristischen Formationen reformiert werden oder sich friedlich dazu umbilden können. Diese Parteien müssen als Werkzeuge der Massenmobilisierung zugunsten der repressiven und privilegierten Bürokratie zerschlagen werden. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht vergessen, daß in einer sich zuspitzenden politisch revolutionären Situation die Führung unter den Druck von Teilen der Mitgliedschaft oder der Arbeiterklasse geraten kann. Die Einheitsfronttaktik, bezogen auf diese Kräfte und Oppositionsgruppen außerhalb der Partei, wird zentral sein, um die Massen von ihren alten und neuen falschen Führern loszubrechen. Wo wir Elemente der proletarischen Basis nicht direkt für den Trotzkismus gewinnen können angesichts dessen, daß eine solche Opposition oftmals der erste Ausdruck von politischer Unabhängigkeit für jene Arbeiter darstellt, sollten wir sie ermuntern, die Kommunistische Partei, in der sie bleiben, unter folgenden Forderungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen:

• Wahlen auf allen Ebenen, mit offenen Plattformen und politischer Wettstreit in offener Diskussion. Für die Aufhebung des Fraktions- und Plattformverbots, das lediglich als vorübergehende Maßnahme in der russischen kommunistischen Partei von Lenin und Trotzki 1921 verhängt worden war, unter Stalin aber zur repressiven Norm gemacht wurde.

• Die im Kampf neu geschmiedete revolutionäre Partei muß den Sturz der stalinistischen Diktatur, den Aufbau einer Arbeiterrätedemokratie, die Einsetzung eines demokratischen Plans und vor allem die internationale Ausdehnung der Revolution auf die Fahne schreiben. Wenn die Arbeiterstaaten eine revolutionäre Neugestaltung durchleben, dann wird die Todesglocke für Imperialismus und Klassenherrschaft auf der ganzen Welt läuten. Verwandelt die bürokratischen Gefängnisse wieder in Festungen der Weltrevolution!

Das Programm im Restaurationsprozess

Eine neue Form von Übergangsperiode, des Übergangs von degenerierten Arbeiterstaaten zum Kapitalismus, ist angebrochen, zurückzuführen auf den Berg von Verrat seitens der stalinistische Bürokratie und die verlängerte Krise der revolutionären Führung. Die Revolutionäre müssen nun ihr Programm umorientieren auf die Führung eines Kampfes gegen die Reste bürokratischer Tyrannei und Desorganisation sowie gegen die Restauration des Kapitalismus.

Die Tür zur Restauration ist in den meisten Fällen durch den Aufstieg einer Bürokratenfraktion aufgestoßen worden, die dann eine Reihe von Zugeständnissen an den Markt auf Schiene gesetzt hat. Diese marktorientierten Maßnahmen sind mit wachsendem Nachdruck von Wirtschaftsfachleuten aus den Reihen der Bürokratie seit den 60er Jahren befürwortet worden (Liberman, Ota Sik usw.). Sie wurden in bedeutsamem Umfang zunächst in Ungarn durchgeführt. Sie konzentrierten sich auf eine stufenweise Schwächung und Einengung des Planhorizonts, die Herstellung von realen oder simulierten Marktmechanismen zwischen Unternehmen, die Durchlöcherung des staatlichen Außenhandelsmonopols, auf den Beitritt zu ökonomischen Einrichtungen des Weltkapitalismus, wie dem IWF. Der utopische Aspekt dieses Programms war die Idee, daß es die Effizienz, das Niveau der technischen Erneuerung oder die stärkere Anpassung der Wirtschaft an die Wünsche der Verbraucher erhöhen würde. Stattdessen aber behinderte und störte es das Wirken der Planwirtschaft, während jene wiederum die Entwicklung eines echten Marktes behinderte, dafür aber eine breite ’schwarze Ökonomie‘ schuf. Das erzeugte eine große Klasse von Kriminellen, bevor es eine Bourgeoisie hervorbrachte.

Sowohl in Staaten, wo die Marktfraktion der Bürokratie versuchte, dieses Programm mit demokratischen Reformen durchzuführen, als auch wo sie ihre politische Diktatur aufrechterhalten wollte, war das Resultat jedesmal das gleiche – eine ernste politische Krise, in der sich drei fundamentale Alternativen stellten:

a) die Restauration der bürokratischen Diktatur und ein Stillstand oder Verlangsamung der Marktreformen

b) die Machtergreifung durch ein offen restauratives Regime, das sich anschickt, das zentrale Planungssystem zu zerstören und rasch zur Wertgesetzlichkeit als dominanter Kraft in der Ökonomie überzugehen.

c) die proletarische politische Revolution, die Arbeiterdemokratie und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Nur die beiden letzten Alternativen waren und sind grundsätzlich gangbar. Die bürokratische Diktatur kann niemals die Todeskrise der bürokratischen Planung lösen, auch wenn sie noch so blutig wiederhergestellt und aufrechterhalten wird. Sie entfremdet sich den Massen und treibt sie den demokratischen Restaurationisten in die Arme. Obwohl die Bürokratie in China, Korea, Vietnam und Kuba versucht, mit Unterdrückungsmethoden dem Schicksal Gorbatschows zu entgehen, ist die Entwicklung von vorrevolutionären und revolutionären Situationen unabwendlich. Das Ergebnis dieser Krisen wird eine Situation der Doppelmacht sein – von größerer oder geringerer Dauer – in der die Kräfte der alten Bürokratie zersplittern werden und in der die Kräfte der proletarischen politischen Revolution oder der bürgerlichen Konterrevolution einen Kampf um Leben oder Tod ausfechten müssen. Wenn die Kräfte der politischen Revolution es nicht schaffen, sich zu entwickeln und die Macht zu übernehmen, ist die Restauration früher oder später unausweichlich.

Bis heute sind jene Kräfte, die bewußt die Planwirtschaft und andere proletarische Errungenschaften verteidigen schwach. Das hatte zur Folge, daß eine Reihe von bürgerlich restaurativen Regierungen die Macht übernommmen hat. Diese haben sich als erstes daran gemacht, die Reste von Doppelherrschaft durch Säuberungen des Staatapparates zu beseitigen. Diese Säuberung wird je nach der politischen Geschlossenheit der Armee unterschiedlich ausfallen. Wo ein bedeutender Teil noch von der Lebensfähigkeit der bürokratischen Herrschaft überzeugt ist, kann die Auseinandersetzung gewaltsame Formen annehmen, selbst bis zum Bürgerkrieg.

Die Auflösung dieser Doppelmacht und die Verhinderung, daß die Arbeiterklasse eigene Machtorgane etabliert, sind wesentlich für einen erfolgreichen Restaurationsprozeß. Aber selbst die Errichtung eines zuverlässigen Staatsapparats, der nicht der Form eines bürgerlichen Staates ähnlich, sondern aktiv die wachsenden Elemente des Kapitalismus verteidigt und die sich zerfallenden Reste der Planwirtschaft attackiert, bedeutet nicht das Ende des Restaurationsprozesses. Erst die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus über die des bürokratischen Plans dominieren, erst wenn die wirtschaftliche Grundlage des Arbeiterstaates zerstört ist, kann man sagen, daß dieser Prozeß abgeschlossen und der Kapitalismus wiederhergestellt ist.

Die Wirtschaftsprogramme der kapitalistischen Restauration sind sehr verschieden. Der eine sofortige ‚Erfolg‘ war die Integration der DDR in den imperialistischen westdeutschen Staat durch eine verlängerte Verbindung von staatskapitalistischen und Privatisierungsmaßnahmen, nachdem die Zentralorgane der Planwirtschaft abgeschafft worden waren. In den anderen Staaten, wo die Ressourcen einer wesentlichen imperialistischen Macht nicht verfügbar waren, ist die neoliberale Schocktherapie angewandt worden. Das hieß Freigabe der Preise, Auflösung der zentralen Plan- und Rohstoffzuteilungsinstanzen, Abschaffung des alten Staatsbankmonopols und Ersetzung mittels eines durchkommerzialisierten Kreditsystems, in dem Verlustunternehmen bankrott gehen können und müssen und Umwandlung der Unternehmen in privat- und/oder staatskapitalistische Konzerne.

Der massive ökonomische Niedergang, der Ergebnis dieser Politik ist, schafft selber wiederholte politische Krisen und vorrevolutionäre Situationen. Nur eine Vertiefung des Klassenbewußtseins und der Militanz des Proletariats sowie das Erscheinen von antirestaurativen Verteidigern der Arbeiterdemokratie kann solche Krisen in eine voll entfaltete Revolution ummünzen. Diese Revolution wird einen kombinierten Charakter haben. Sie muß politische Revolution sein,insofern als sie die Enteignung einer sozialen Klasse – der Bourgeoisie – nicht zum zentralen Ziel hat. Dennoch hat eine solche Revolution enorme gesellschaftliche, d.h. antikapitalistische Aufgaben zu bewältigen. Als politische Revolution ist sie nichtsdestotrotz gegen ein bürgerliches Regime gerichtet, das die ganze oder Teile der Staatsmacht in Händen hält. Ihr bleibt die Aufgabe der Eroberung der Staatsmacht und der Gründung eines Arbeiterstaats, gestützt auf Sowjets.

In den todgeweihten degenerierten Arbeiterstaaten, wo restaurative Regierungen mit der Durchsetzung der Restauration des Kapitalismus befaßt sind, müssen revolutionäre Kommunisten Verfechter eines Programms von Sofort- und Übergangsforderungen sein, um die soziale Konterrevolution aufzuhalten und umzukehren; ein Programm, das in seiner Gesamtheit nur das Programm einer revolutionären Arbeiterregierung sein kann.

• Für einen Mindestlohn, der zum Leben ausreicht und den Kauf eines üblichen Güterkorbes gewährleistet und von Arbeiterbasisorganisationen festgelegt wird.

• Für eine gleitende Lohnskala, eine automatische angepaßte Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg, festgelegt von gewählten Komitees, bestehend aus Arbeitern, im besonderen Frauen und Rentnern, der jeden Preisanstieg kompensiert.

• Schluß mit allen Preiserhöhungen! Preise für Nahrungsmittel, Kleidung, Transport, Mieten und Brennstoff dürfen nicht steigen. Die einzige Währungsreform, die den Interessen der Werktätigen und nicht der Spekulanten dient, ist jene, die von einer Arbeiterregierung durchgeführt wird.

• Alle privaten und staatlichen Warenhäuser und Lebensmittelvorratslager unter Kontrolle von bewaffneten Arbeitereinheiten, unter Arbeiterinspektion und -verteilung. Beschlagnahme aller von Bürokraten, Schwarzmarkthändlern oder Privatgeschäften gehorteten Güter. Arbeiter müssen alle Hilfslieferungen aus imperialistischen Ländern kontrollieren und verteilen.

• Gewählte Arbeiterausschüsse müssen die Konten von Unternehmen und Planungsministerien, von Spezialläden für die Bürokratie und von neuen Spekulanten inspizieren. Nur dann wird das Ausmaß von Korruption, Aneignung und Diebstahl am Produkt des Arbeiterstaates aktenkundig, können die Schuldigen bestraft werden und kann ein neuer Produktions- und Verteilungsplan entstehen.

• Organisierung des unmittelbaren Austausches zwischen Stadt und Land. Die ländliche und städtische Arbeiterschaft sollen gemeinsam faire Austauschraten und sogar -preise zwischen Industrie- und Landwirtschaftsprodukten regeln.

• Wiederherstellung des Rechts auf Arbeit und der Gelegenheit dazu. Den gegenwärtig Arbeitslosen muß eine Arbeitsstelle angeboten oder der durchschnittliche Industrielohn bezahlt werden. Nein zu allen Entlassungen ohne gleichrangigen Ersatzarbeitsplatz bei gleicher Entlohnung. Besetzung aller Fabriken, Bergwerke, Läden und Büros, die Entlassungen verfügen oder schließen wollen. Die müßigen Angehörigen der Bürokratie, die Unternehmensmanager und die schmarotzenden Spekulanten sollen nützliche Arbeit in den Fabriken und auf dem Land zum Durchschnittsverdienst eines Arbeiters verrichten.

• Für Arbeiterverwaltung in jedem Unternehmen. Keine Privatisierung, auch nicht in Form von veräußerbaren Betriebsbeteiligungen, die ganz oder teilweise an die Belegschaft ausgegeben werden. In einem Arbeiterstaat gehören die Fabriken bereits per Gesetz den Arbeitern. Keine Enteignung von Arbeitereigentum.

• Keine Kürzungen im Sozialwesen. Für ein massives Programm zur Wohnungsinstandsetzung und zum Bau von neuen Wohnungen, Kinderkrippen, Schulen und Kliniken. Niemand sollte arbeitslos sein und niemand müßig sein, während es anderen am elementar Notwendigsten fehlt.

• Mindestlohn für alle, der zum Leben ausreicht; Renten, die nicht darunter liegen und geschützt durch eine gleitende Skala.

• Notmaßnahmen zur Linderung der Wohnungsknappheit. Beschlagnahme der Datschen und großen Appartements der Altbürokraten und Neureichen. Besetzung aller Staatsgebäude, die nicht dem Gemeinwohl der Arbeiterklasse dienen und Umwandlung in Unterkünfte für junge Familien und Arbeitslose.

• Arbeiterkomitees müssen eine Inventur des Staatseigentums nach dem Stand vor Regierungsantritt der restaurativen Regierung machen. Die Bereicherung und das Horten der früheren Bürokratie muß ans Licht, und alle Ressourcen des Arbeiterstaates in gemeinschaftliches Eigentum rückgeführt werden. Jede ‚Enteignung‘ von Staatseigentum muß rückgängig gemacht werden.

• Nieder mit dem nationalen Chauvinismus. Kollektive Hinrichtung der Organisatoren von Pogromen und ‚ethnischen Säuberungen‘. Gnadenlose Unterdrückung von Faschisten und Antisemiten, Rassisten und Chauvinisten, die Angriffe auf nationale Miderheiten, Frauen, Lesben und Schwule und die Arbeiterorganisationen anzetteln. Keine Plattform, keine ‚demokratischen Rechte‘ für dieses Ungeziefer.

• Respekt vor den Beschlüssen der minderheitlichen Nationalitäten für Unabhängigkeit, wenn es ihre Wahl ist. Bedingungslose Verteidigung der demokratischen Rechte aller Nationalitäten gegen die stalinistische Unterdrückung alten Stils oder die nationalistische oder religiöse Unterdrückung neuen Stils. Genauso wie wir die demokratischen Rechte aller Minderheiten in Jugoslawien, China oder den Staaten der früheren UdSSR verteidigen, gilt dies auch für alle großrussischen, serbischen oder han-chinesischen Arbeiter in Gegenden, wo sie nun die Minderheit darstellen und Unterdrückung erleiden könnten.

• Für Arbeitermiliz zum Schutz der Arbeiterkämpfe, zur Zerschlagung der Faschisten und Pogromorganisatoren und zur Niederwerfung der bewaffneten Aufstände der Konterrevolutionäre.

Um die Wiederherstellung des Kapitalismus zu verhindern, wartet auf die Arbeiter eine kombinierte Aufgabe, der Kampf gegen die bürgerlichen Vollzugsorgane und ein Kampf zur Rettung der Überbleibsel der geplanten staatseigenen Produktions- und Verteilungsmittel. Für diesen zweiten Teil müssen sie den Kampf zum Sturz der restaurativen Regierungen aufnehmen und Arbeiterregierungen, gestützt auf Arbeiterräte an die Macht bringen. Die restaurativen Kräfte können nicht durch friedliche Mittel allein aus dem Amt entfernt werden, doch je entschlossener und stärker die Arbeiter mobilisieren, desto weniger teuer wird ein solcher Sieg sein. Eine Arbeitermiliz muß die einfachen Soldaten für ihre Sache gewinnen.

Es besteht kein Mangel an Waffen oder an Gelegenheit, sie zu bekommen. Die meisten Arbeiter haben einen Militärdienst absolviert. Die Arbeiter können und müssen sich bewaffnen. Mit der Waffe in der Hand können Arbeiter die Flammen des nationalistischen Hasses ausblasen, alle Minderheiten, die Streiks und Besetzungen schützen. Sobald die Gelegenheit zur Machteroberung kommt, können bewaffneten Einheiten in Verbindung mit den Sowjets diese Aufgabe durchführen und ein Arbeiterregierung errichten. Die Arbeiterregierung müßte Wahlen für Arbeitertribunale organisieren, um alle Verbrecher gegen die arbeitende Bevölkerung aus der Zeit der stalinistischen Diktatur oder der restaurationistischen Regimes vor Gericht zu stellen.

Die zentrale Aufgabe einer Arbeiterräteregierung ist die Zerschlagung der restaurativen Pläne und die Organisierung der Weltarbeiterbewegung zu seiner Verteidigung gegen unvermeidbaren imperialistischen Druck und Blockade. In der Ökonomie muß die Arbeiterregierung einen Notplan entwickeln und durchführen, um die Wirtschaft vor der völligen Auflösung zu retten. Er muß von den Arbeitervertretern aufgestellt und von der Arbeiterklasse selber in Gang gesetzt werden. Die dringendsten Maßnahmen eines solchen Plans sollten sein:

• Wiederherstellung des staatlichen Außenhandelsmonopols, Kontrolle des gesamten internationalen Handels durch gewählte Organe der Arbeiterinspektion. Die Hafen-, Flughafen-, Kommunikationsnetz- und Bankarbeiter können schnell entscheiden, welcher Handel im Interesse des Arbeiterstaats liegt und was Spekulation oder schädliche Profitmache ist. Druck auf die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern, ihre Regierungen zu zwingen, Handelsvereinbarungen zum Wohl des Notplans abzuschließen.

• Schluß mit allen Privatisierungen von großen Produktionsmitteln und Wiederverstaatlichung aller schon ausverkauften Wirtschaftszweige. Schließung der Aktien- und Warenbörsen. Untersuchung aller bisherigen Transaktionen und Bestrafung aller arbeiterfeindlichen Profiteure.

• Wiederherstellung des staatlichen Bankmonopols. Verstaatlichung aller Privatbanken unter Arbeiteraufsicht und -einsichtnahme. Beschlagnahme der Dollarberge der Spekulanten, joint ventures, Pseudo-Kooperativen und Privatkonten der Bürokraten durch den Arbeiterstaat.

• Nichtanerkennung der Auslandsschulden, Schluß mit allen Zahlungen und Bruch aller Ketten an IWF, Weltbank und europäische Bank der Restauration! Raus mit allen imperialistischen ‚Wirtschaftsberatern‘.

• Durchführung einer Geldreform im Interesse der Werktätigen. Geld als Wertmaß muß die für Industrie- und Landwirtschaftsprodukte aufgewendete Arbeitszeit so genau wie möglich messen. Die Inflation aus den letzten Jahren der bürokratischen Mißwirtschaft muß beendet werden, so daß die Arbeiterschaft eine rationelle Buchführung, ohne die Planung unmöglich ist, vornehmen kann.

• Umwandlung der kollektiven Agrarbetriebe in wirklich demokratische Kooperativen auf der Grundlage eine Arbeitskraft – eine Stimme. Errichtung von Arbeiterkontrolle auf den Kolchosen. Hilfestellung als Anreiz für kleine Höfe zu Kooperativ- Zusammenschlüssen durch Versorgung mit gemeinschaftlichen Ressourcen.

• Kleine Privatunternehmen im Bereich von industrieller Produktion, Verteilung, Einzelhandel und Dienstleistung sollten ihr Gewerbe betreiben und in Sphären zahlenmäßig sogar aufstocken können, wo Staat und Kooperativen die Nachfrage nicht abdecken können. Dieser Bereich von privatem Kleinkapital und Kleinbürgertum kann dem Arbeiterstaat sogar von Nutzen sein, vorausgesetzt, daß die dort Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind und ihre Arbeitsbedingungen und -zeit von den Ortssowjets reguliert werden, und vorausgesetzt, daß ihre Konten der Inspektion zugänglich sind und die Besteuerung zu Gunsten des Arbeiterstaates angesetzt ist.

• Reorganisierung eines Zentralausschusses zur Plankoordination und Aufbau ähnlicher Ausschüsse auf lokaler, regionaler und städtischer Ebene. Die Fachleute für Statistik, Wirtschaft und Verwaltung müssen zusammengezogen werden und unter Kontrolle von gewählten Arbeitervertretungen arbeiten. Es darf kein Wiederauftreten bürokratischer Privilegien geben. Kein Experte darf mehr verdienen als ein Facharbeiter, und alle Planungsorgane müssen die Beschlüsse der zuständigen Körperschaften der Arbeiterdemokratie ausführen.

• Der Notplan muß ein massives Bauprogramm zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur beginnen: Hausbau und Instandsetzungen, Kliniken und Krankenhäuser, Ausbau der Kindergärten, Schulen sowie höhere Schulen.

• Der Notplan muß das Kommunikations-, Verteilungs- und Transportsystem schnell verbessern. Militärfahrzeuge und Flugzeuge müssen in ein effektiviertes Frachtsystem eingebaut werden, so daß die Nahrungsmittel nicht verderben, bevor sie den Verbraucher erreicht haben. Ein längerfristiges Straßen- und Schienenbauprogramm, ein optimiertes Telekommunikationssystem, der Aufbau eines landesweiten Netzwerks von Warenhäusern, Kühlhäusern und Gefriertechnikanlagen können dafür sorgen, daß die Arbeit der Bauern nicht vergeudet ist.

• Der Notplan muß als ein zentrales Ziel die Einführung einer Reihe von Maßnahmen haben, die die Bedingungen der Frauen erleichtern. Verbesserungen bei der Qualität von Gütern, Verteilung und Einkaufsmöglichkeiten müssen den Frauen die erdrückende Bürde der Nahrungssuche und des endlosen Schlangestehens abnehmen. Fortschritte im Bereich Wohnungen, Kinderkrippen und Kinderbetreuungseinrichtungen, bei Kranken- und Altenpflege sollten dem Ringen um die Vergesellschaftung von Hausarbeit förderlich sein und die Frauen befreien, damit sie schließlich auch eine vollkommen gleichwertige Rolle im sozialen und öffentlichen Leben einnehmen können.

• Für das Recht der Frauen auf Arbeit bei gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit; Verteidigung des Mutterschaftsurlaubs mit Lohnfortzahlung und Schutz der Frauen vor gesundheitsschädigender Arbeit. Widerstand gegen Versuche, die Frauen zu Teilzeitarbeit mit Lohnverlust und schlechteren Arbeitsbedingungen zu zwingen – Wochenarbeitszeitverkürzung für alle Arbeiter. Verteidigung des Rechts der Frauen auf Abtreibung und Ausweitung des Zugangs zu Verhütungsmitteln.

• Die Kirchen, Tempel und Moscheen haben begonnen, Anspruch zu erheben auf die Einrichtung von Schulen sowie Kultur und Erziehung zu reglementieren. Sie dürfen keine Kontrolle über Schulen, Krankenhäuser oder Medien ausüben. Für wissenschaftliche und rationale Sexualerziehung ohne kirchlichen Aberglauben und Tabus.

Für internationale Solidarität

Die Arbeiterregierung muß entschieden, und das sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene, mit der konterrevolutionären Politik der Walesas, Jelzins oder Havels brechen. Die Verbündeten eines Arbeiterstaates können keine imperialistischen Welthaie und Ausbeuter des Proletariats der kapitalistischen Länder sein.

Die siegreiche politische Revolution muß sich an die Arbeiterbewegung der ganzen Welt und besonders an die Basis um Hilfe und Unterstützung wenden.

Die erfolgreiche russische Revolution 1917 hat massive Unterstützung in Europa, Asien und den Amerikas versammeln können, so daß der heldenhafte Widerstand der russischen Arbeiter die imperialistische Intervention abschütteln konnte. Die internationale Politik der siegreichen politischen Revolution muß im Gegenzug den Kämpfen der Arbeiter und unterdrückten Völker auf der ganzen Welt Wirtschafts- und Militärhilfe anbieten.

• Imperialisten, Hände weg von Kuba, Vietnam, Nordkorea und den anderen bürokratisch beherrschten Arbeiterstaaten. Militärischer und wirtschaftlicher Beistand gegen die US-Embargos, -Blockaden oder Interventionen. Für die sozialistische Wiedervereinigung von Korea, nein zu einer kapitalistischen Wiedervereinigung!

• Hilfestellung für die Arbeiter dieser Staaten zur Durchführung einer politischen Revolution. Nur revolutionäre Regierungen der Arbeiter- und Bauernräte werden imstande sein, diese Staaten zu retten. Für ein weltumspannendes Bündnis von Arbeiterstaaten, das in eine Föderation münden soll. Für die wirtschaftliche Koordination des Plans aller Arbeiterstaaten.

• Unterstützung für alle nationalen Befreiungskämpfe gegen den Imperialismus. Hilfe für alle Arbeiter und unterdrückten Völker, die gegen Austeritäts- und Privatisierungspläne kämpfen, die vom IWF angeordnet sind.

• Opposition gegen alle Ausverkaufsgeschäfte und Verrätereien im Nahen Osten, in Südafrika, Südostasien, Afghanistan und Mittelamerika.

• Unterstützung für alle Kämpfe der Arbeiter in Osteuropa gegen die kapitalistische Restauration.

• Unterstützung für die unmittelbaren und revolutionären Klassenkämpfe der Arbeiter in der gesamten kapitalistischen Welt.

• Für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken der ehemaligen UdSSR; für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken auf dem Balkan.

• Für eine sozialistische Weltföderation von Arbeiterräterepubliken.




Vor 100 Jahren: Gründung der Sowjetunion

Bruno Tesch, Infomail 1208, 30. Dezember 2022

Am 30. Dezember 1922 wurde die Sowjetunion gegründet. 100 Jahre später interpretieren russische wie westliche Medien das Ereignis zu ihrem eigenen Nutzen im Krieg um die Ukraine. Während Putin’s verlogene und zynische Propagandamaschinerie die Sowjetunion mit Großrussland gleichsetzt – inklusive einer positiven Bezugnahme auf Stalins großrussischen Chauvinismus -, stößt sie sich zugleich daran, dass es eben die Politik Lenins war, die eine Loslösung der Ukraine aus dem ehemaligen Zarenreich ermöglichte.

In der BRD wiederum gerät diesbezüglich selbst die FAZ zu einer schwachen „Verteidigerin“  der sowjetischen Politik Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, vor dem Stalinismus. Zugleich werden auch westliche Medien nicht müde, den heutigen russischen Imperialismus mit der Sowjetunion zusammenzuwerfen – unter weitgehender Verkennung des unterschiedlichen gesellschaftlichen Inhalts und großteiliger Ignoranz der Unterschiede zwischen 1917, 1922 und der nationalen Unterdrückung der Ukraine unter dem Stalinismus. Der Staat Putins ist eine kapitalistische, imperialistische Großmacht, die Sowjetunion war selbst zur Hochzeit Stalins und des Kalten Krieges ein degenerierter Arbeiter:innenstaat, mag dieser auch noch so russisch-nationalistisch aufgeladen gewesen sein. Dass Putin sich positiv auf Stalin bezieht, ist freilich kein Wunder. Beide eint eine tiefe Feindschaft den fortschrittlichen Errungenschaften des Oktobers gegenüber, wozu auch das Recht auf nationale Eigenständigkeit zählte.

Wir wollen hier daher selbst ein Blick auf das Ereignis vor 100 Jahren werfen – und damit auch ein revolutionäre Erbe gegen die Ideolog:innen der modernen imperialistischen Blöcke verteidigen.

Gründungsvorbedingungen

Am 30. Dezember jährt sich der 100. Gründungstag der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz Sowjetunion genannt. Russland, Ukraine, Weißrussland und Transkaukasien (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) schlossen sich zu einem föderativen Staatenbund zusammen.

Nach einem 4-jährigen Bürger:innenkrieg war die Konterrevolution im Lande trotz Unterstützung durch imperialistische Mächte militärisch besiegt. Die verheerenden Folgen dieses Krieges stellten die neu entstandenen Sowjetrepubliken aber vor gewaltige Aufgaben. Neben der gesamtgesellschaftlichen Aufbauarbeit musste auch die Isolierung seitens des Imperialismus durchbrochen werden.

3 Jahre zuvor war die Kommunistische Internationale ins Leben gerufen worden. Sie steckte sich die Internationalisierung des Klassenkampfes und der Ausweitung der sozialistischen Revolution zum Ziel. Tragischerweise band jedoch der Überlebenskampf der Revolution in Russland viele revolutionäre Kräfte und kostete etlichen erfahrenen Kadern das Leben.

Eine durch Bürger:innenkrieg und bereits einsetzende Bürokratisierung geschwächte Kommunistischen Partei hatte zwar gesiegt, stand aber zugleich unter dem Druck klassenfremder Elemente im eigenen Land und der Weltbourgeoisie. Der durch Krieg, Isolierung und Rückständigkeit bedingte taktische Rückzug auf die „Neue Ökonomische Politik“ (NEP) verstärkte diesen Widerspruch objektiv.

Zugleich sollte sich aber auch die politische Schlussfolgerung, die die Kommunistische Partei unter Führung Lenins zog, um diese Situation zu bewältigen, selbst als Teil des Problems erweisen. Die Einschränkung der Parteidemokratie und das Fraktionsverbot (1921) stärkten die beginnende Bürokratisierung, die sich im Staat schon vollzog, bildeten einen Nährboden für die kommende bürokratische Konterrevolution unter Stalin.

Verfassung 1924

Auch wenn niemand während der Diskussion um die Gründung der Sowjetunion und deren Verfassung die spätere Entwicklung vorhersehen konnte, zeigten sich schon damals Auseinandersetzungen um diese Frage.

Mit der Russischen Revolution hatten sich zunächst nicht nur in Russland, sondern auch in Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Ukraine und Weißrussland Republiken mit eigenen politischen Machtorganen gebildet. Sie verfügten jedoch über eine gemeinsame Armee und einen ebensolchen Etat.

Im August 1922 wurde auf Initiative des Politbüros des Zentralkomitees der Russischen KP eine Kommission gegründet, die damit beauftragt wurde, den Entwurf für einen Vertrag zwischen den Sowjetrepubliken vorzubereiten.

Die Resolution über den Beitritt der Sowjetrepubliken zur Russischen Föderativen Republik, die von Stalin vorbereitet und von der Kommission verabschiedet worden war, stellte Lenin nicht zufrieden. Er erblickte darin ein Zeichen für den stärker werdenden großrussischen Chauvinismus in der Partei und im Land, wie er schon bei Ordschonikidses Vorgehen in Georgien deutlich wurde. Lenin charakterisiert dessen Vorgehen in „Zur Frage der Nationalitäten oder der ‚Autonomisierung‘“ (Lenin, Werke, Band 36, S. 590 – 596) als „russisch-nationalistische Kampagne“, für die er Stalin und Dzierzynski politisch verantwortlich machte.

Daher auch Lenins massives Drängen darauf, dass der zukünftige Sowjetstaat kein um andere Republiken erweitertes Russland sein solle oder dürfe. Stattdessen schlug er vor, einen multinationalen Bundesstaat auf der Grundlage des Gleichberechtigungsprinzips seiner einzelnen Bestandteile zu gründen. Das Plenum des Zentralkomitees unterstützte diese Idee.

Die Vertreter:innen der anderen Sowjetrepubliken stimmten dem Vorschlag zu und nach Diskussion auf dem 2. Sowjetkongress 1923 und seiner Bestätigung trat die gemeinsame Verfassung 1924 in Kraft. Sie enthielt 11 Abschnitte und regelte sowohl die einzelnen konstitutiven und gemeinsamen Organe wie auch das Verhältnis der Föderativrepubliken zueinander und zur Union.

Der Unionsvertrag schrieb eine „symmetrische“ Struktur der Föderation fest: Jedes Föderationsmitglied verfügte – zumindest de jure – über die gleichen Rechte. Im Grunde genommen wurde ein Bundesstaat neuen Typs geschaffen, für den es keine historischen Vorbilder gab: Jede Republik erhielt das Austrittsrecht aus der Union.

Die Verfassung enthält zwar sehr detaillierte Anweisungen über Gliederungen und Zuständigkeiten der einzelnen Organe der Sowjetunion – angefangen von der Zusammensetzung des Zentralexekutivkomitees der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken aus Unions- und Nationalitätensowjet, bis auf die Ebene der Stadtsowjets, (1 Deputierte/r auf 25.000 Wähler:innen) und Gouvernementssowjetdeputierte (1 Vertreter:in auf 125.000 Einwohner:innen) –, lässt jedoch wichtige Mechanismen der Arbeiter:innendemokratie zur Kontrolle der bestimmte Funktionen ausübenden Gremien vermissen. Die unmittelbare Wahl von Vertreter:innen und deren Rechenschaftspflicht sowie die jederzeitige Abberufbarkeit aus den Ämtern bleiben unerwähnt.

Nationalitäten und Territorialfrage

Lenin betonte stets das Problem der Nationalitäten als Hinterlassenschaft der bürgerlichen Ordnung, die bei unterdrückten Nationalitäten Ambitionen auf die Bildung eines bürgerlichen Nationalstaates wecken konnte. Er drückte klar aus, dass dies einen Gefahrenherd auch für eine Sowjetrepublik darstellen könne und schlug deshalb als Lösung nicht nur die Gleichstellung innerhalb der Sowjetunion, sondern auch die Aufnahme des Selbstbestimmungsrechts bis hin zur Lostrennung aus dem Verband der Sowjetrepubliken vor, selbst um den Preis seiner territorialen Verkleinerung.

Diesen grundlegenden Gedanken entwickelte er in zahlreichen Schriften vor allem während des Ersten Weltkriegs. In der Diskussion um die Verfassung der Sowjetunion kommt Lenin darauf zurück. In der um die Gründung der UdSSR begreift er die Nationalitätenfrage als eine Schlüsselfrage für deren Ausgestaltung.

Die Erfahrungen in Georgien führten ihn zur Überzeugung, dass das bloße Recht auf freiwilligen Ein- bzw. Austritt aus dem Sowjetverband nicht reicht. Wenn der gesamte, vom Zarismus übernommene Staatsapparat im wesentlichen großrussisch geprägt ist, wenn alle wesentlichen Machtpositionen von diesem zentralisiert werden, droht das Recht auf Austritt aus der Union ein „wertloser Fetzen Papier“ zu werden, „der völlig ungeeignet ist, die nichtrussischen Einwohner Rußlands vor der Invasion jenes echten Russen zu schützen, des großrussischen Chauvinisten … “ (LW 36, S. 591)

Lenin bezieht sich hier auf den Staatsapparat Sowjetrusslands. Um zu verhindern, dass das Selbstbestimmungsrecht faktisch nur auf dem Papier besteht, schlägt er weitere Maßnahmen vor, darunter strenge Vorschriften zum Schutz des Rechts auf Gebrauch der nationalen Sprache in den nichtrussischen Republiken.

Vor allem aber geht er auf die Frage der Staatsapparatstrukturen der jeweiligen Republiken ein. Lenin wendet sich dabei gegen die Forderung, den Staatsapparat der gesamten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu zentralisieren. Er erkennt zwar an, dass die Nichtvereinigung des Apparates der russischen Republik mit dem anderer Republiken auch Nachteile, Reibungsverluste und Ineffizienz mit sich bringen kann. Aber „der Schaden, der unserem Staat daraus entstehen kann, daß die nationalen Apparate mit dem russischen Apparat nicht vereinigt sind, ist unermeßlich geringer, unendlich geringer als jener Schaden, der nicht nur uns erwächst, sondern auch der ganzen Internationale, den Hunderte Millionen zählenden Völkern Asiens, dem in der nächsten Zukunft bevorsteht, nach uns ins Rampenlicht der Geschichte zu treten. Es wäre unverzeihlicher Opportunismus, wenn wir am Vorabend dieses Auftretens des Ostens, zu Beginn seines Erwachens, die Autorität, die wir dort haben, auch nur durch die kleinste Grobheit und Ungerechtigkeit gegenüber unseren eigenen nichtrussischen Völkern untergraben würden.“ (LW 36, S. 596)

Während sich Lenin in der Formulierung der Verfassung der Sowjetunion durchsetzen konnte, vermochten er und auch später die Linke Opposition nicht, die Bürokratisierung des Staates, schließlich die politische Machtergreifung einer bürokratischen Kaste zu verhindern.

Staatscharakter

Revolutionäres Ziel konnte natürlich nie die Errichtung eines voluminösen Staatsgebildes sein, sondern Voraussetzungen für das Absterben jeglichen Staatswesens, das immer eine Form des Gewaltapparats beinhaltet, zu schaffen.

Bereits Erfahrungen der Pariser  Kommune führten Marx dazu, die Zerschlagung, nicht Umwandlung und Übernahme der bürgerlichen Staatsmaschine, als Voraussetzung für eine sieg- und dauerhafte sozialistische Revolution zu postulieren, d. h. Enteignung der ausbeutenden Klassen und Beseitigung des sich über die Gesellschaft erhebenden bürokratischen Apparats, v. a. seiner unmittelbaren Gewaltorgane Polizei, stehendes Heer. Die Arbeiter:innenklasse braucht einen Staat, der von vorn herein die Möglichkeit zu seinem Absterben eröffnet, einen „Halbstaat“.

Dies kann nur erreicht werden durch proletarische Formen, die Verwaltungs- und Vollzugsaufgaben und deren Kontrolle durch die Masse der Bevölkerung übernehmen. Ein solcher Halbstaat war Sowjetrussland jedoch allenfalls in Ansätzen.

Bei Schaffung der Roten Armee verschmolzen reguläre Streitkräfte mit dem Milizsystem. Sie war ein der Existenzbedrohung der Revolution durch den Bürger:innenkrieg geschuldeter Kompromiss. Die Erbschaft des Zarismus, deren Armeebestände und Personal, musste in Ermangelung landesweit aufgebauter proletarischer Miltärstrukturen zunächst übernommen, aber deren Befehlshaberränge sollten durch Parteikommissar:innen einer Arbeiter:innenkontrolle unterzogen werden. Diese Armee sollte, v. a. auf Vorschlag Trotzkis, am Ende des Bürgerkriegs in ein allgemeines Milizsystem überführt werden. Aber dazu kam es nicht.

Die Bürokratie (…) brauchte eine Kasernenarmee, losgelöst vom Volk. ( RM 24, S. 28, L. T., zit. nach WP/IWG Degenerated Revolution, S. 51)

Stalinistische Konterrevolution

War 1924 noch das klassische Modell einer Räterepublik  von 1917/18 Leitmotiv für die erste Sowjetverfassung, glichen sich spätere Umarbeitungen – als erste 1936 festgeschrieben unter dem Beinamen „Stalinverfassung“ –  immer mehr dem bürgerlichen Parlamentarismus an.

Der Stalinismus hatte, beginnend bereits Mitte der 1920er Jahre, auf Basis der Zementierung einer Bürokratie jegliche Selbsttätigkeit der Klasse, jegliche innerparteiliche Demokratie erstickt. Zentralisierung der Gewalt, die Amalgamierung von Staat und Partei zu einer bürokratischen Kaste, Filterung  durch Stellvertreterprinzipien, Kontrolle von oben nach unten, Abschaffung von Räte- und Milizsystem und Liquidierung politischer Gegner:innen, v. a. bolschewistischer Revolutionär:innen, bildeten die Eckpfeiler dieser Entwicklung.

Flankiert wurde dies durch Zickzackbewegungen der politischen Linie, die über eine brachiale Industrialisierung, die buchstäblich über Millionen Leichen v. a. im ländlichen Raum ging, zur mit der Bourgeoisie paktierenden und Arbeiter:innenkämpfen in den Rücken fallenden Volksfrontpolitik auf Weltebene schwenkte. Alles wurde den Interessen der herrschenden Bürokratie in der UdSSR untergeordnet. Der Gedanke an Weltrevolution geriet in Verbannung. Die Kommunistische Internationale, die bis dato ohnehin nur noch als Akklamationsorgan für die Richtlinien der Moskauer Bürokratie gedient hatte, fand 1943 ihr unrühmliches offizielles Ende als Verbeugung vor den westlichen imperialistischen Mächten.

Niedergang und Ende

Trotz Bürokratie überstand die Sowjetunion den Zweiten Weltkrieg. Doch nach Jahrzehnten wirtschaftlichen Aufschwungs zerplatzten mit Einbrüchen in der Weltkonjunktur ab den 1970er Jahren, durch eine bürokratisch geplante Wirtschaft und das Zurückbleiben im Rüstungswettlauf mit dem Imperialismus ab den 1980er Jahren verstärkt, nicht nur die Seifenblasen von einem „Einholen des Westens“, sondern es wankten und fielen die gesellschaftlichen Grundfesten in der UdSSR und ihren Vasallenstaaten, so dass ihr Schicksal ab 1990 besiegelt war.

Die Sowjetunion als Leuchtfeuer der Revolution und somit Hoffnungsträgerin für Millionen Arbeiter:innen hat in ihrer stalinistischen Degeneration zugleich ein Zerrbild von sozialistischen Prinzipien und Entwicklungsfähigkeit geliefert, in den Köpfen der Arbeiter:innenbewegung weltweit Verwirrung hinterlassen.

Ihr Ende und die Restauration des Kapitalismus bedeuten gleichzeitig eine historische Niederlage des Proletariats, aber auch die Chance zur schonungslosen Aufarbeitung der Geschichte und zum Neuanfang für die Reorganisation einer internationalen Arbeiter:innenbewegung, angeführt von einer revolutionären Internationale – dringend notwendiger denn je.




60 Jahre Bau der Berliner Mauer – Ein Monument der Bürokratie

Bruno Tesch, Infomail 1158, 13. August 2021

28 Jahre lang stand die Berliner Mauer – geschichtsträchtig wie nur wenige Bauwerke. Sie war eine Manifestation der besonderen Art, wie der Stalinismus Probleme zu lösen pflegte und dabei die Interessen der ArbeiterInnenklasse – in beiden Teilen Deutschlands – verriet. Der Mauerbau war ein Glied in der Kette bürokratischer Maßnahmen, die letztlich auch die Grundlagen des ArbeiterInnenstaats DDR und desssen Entwicklung untergruben, auch wenn die Errichtung der Mauer am 13. August 1961 ihn zunächst zu retten schien.

Die Politik der SED folgte von Anfang an den Interessen der UdSSR-Bürokratie. Deren Blockade Berlins 1948 als Reaktion auf den Bruch des Vier-Mächte-Abkommens der Alliierten durch die Einführung einer westlichen Separatwährung erwies sich nicht nur als Desaster, sondern führte auch dazu, dass die Westmächte als Garanten für die Versorgung der Berliner Bevölkerung aufgewertet wurden. Mit der US-Luftbrücke wurde Stalins Berlin-Blockade zur Luftnummer.

Der „real existierende Sozialismus“ und die Gründung der DDR 1949 waren nicht auf die demokratische Diskussion, Organisierung und Aktion der Lohnabhängigen gegründet, sondern Abwehrreaktionen der stalinistischen Bürokratie auf die von den USA vorangetriebene Westintegration. Die (verspätete) bürokratische Enteignung der Kapitalisten als Klasse sowie die politische Entmündigung bewirkten, dass die ArbeiterInnenklasse die DDR nicht oder kaum als „ihren Staat“ begriff. Dieses Dilemma zeigte sich dann 1989 besonders deutlich, als Millionen ArbeiterInnen schließlich die Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft begrüßten – wenngleich sie damit verschiedene soziale Illusionen verbanden.

Die DDR litt – wie ganz Osteuropa – immer daran, dass die ArbeiterInnenklasse von der direkten Machtausübung ausgeschlossen war, dass sie keine Rätestrukturen hatte und der Staatsapparat daher der Form nach ein bürgerlicher war, obwohl er zugleich der Verteidigung der Planwirtschaft – allerdings mit bürokratischen Methoden – diente.

Der Aufstand vom Juni 1953

Der ArbeiterInnenaufstand in der DDR 1953 war eine Chance, die bürokratische Herrschaft zu zerbrechen. Doch er wurde von den StalinistInnen unterdrückt und von den westdeutschen ReformistInnen in SPD und Gewerkschaften bewusst hintertrieben. Beide opferten auf unterschiedliche Weise die revolutionäre Dynamik zugunsten ihrer Einfluss- und Machtinteressen.

Auslöser für den Aufstand waren wirtschaftliche Pressionen, u.a. Normerhöhungen. Doch die Bewegung der ArbeiterInnen stellte auch rasch politische Forderungen gegen die SED- Bürokratie auf und sandte Appelle an ihre Klassengeschwister im Westen, dort die KapitalistInnen zu stürzen. Die deutsche Teilung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so stark im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse verankert. Aber die Schere zwischen BRD- und DDR-Wirtschaftsentwicklung begann sich schon zu öffnen. Das resultierte 1. aus der Unterbrechung innerdeutscher wirtschaftlicher Beziehungen (von westlicher Seite!), 2. aus der kontraproduktiven Demontagepolitik der UdSSR in ihrem Hoheitsgebiet und 3. aus der wachsenden Demotivierung der ArbeiterInnen aufgrund der bürokratischen Bevormundung.

Doch als ab Mitte der 50er Jahre die DDR ökonomisch immer weiter der BRD hinterher hinkte, brach sich die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in der DDR schon nicht mehr in politischen Kämpfen gegen das Regime Bahn, sondern als „Abstimmung mit den Füßen“: eine gewaltige Fluchtwelle in die Bundesrepublik setzte ein. Die Reaktionen des Regimes darauf waren zunächst ebenso politisch hilflos wie typisch bürokratisch. Mit den geänderten Passgesetzen von 1956 wurde der Straftatbestand der „Republikflucht“ eingeführt und in der Folge verschärft angewendet. Westreisen mussten genehmigt werden, ihre Zahl sank von 2,5 Millionen (1956) auf 700.000 (1958).

Eine „Aufklärungskampagne“ gegen die Westflucht wurde im selben Jahr von Regime-Chef Ulbricht folgendermaßen begründet: „Vor allem ist es notwendig, den Menschen zu erklären, warum das System des militaristischen Obrigkeitsstaats (gemeint ist die BRD, B.T.) keine Zukunft hat und warum die Erhaltung des Friedens die Stärkung der DDR erfordert und deshalb kein Arbeiter, kein Angehöriger der Intelligenz, kein Bauer aus kleinlichen wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen in den Westen ziehen darf.“

Dass den meisten ihre „kleinlichen wirtschaftlichen Gründe“, zumal im Westen relativ problemlos greifbar, näher waren als die „Erhaltung des Weltfriedens“, d.h. die Stabilisierung des stalinistischen Regimes, musste bald auch die DDR-Führung einsehen.

Im Sommer 1961 schwoll der Flüchtlingsstrom rasant an. Allein 150.000 Neuaufnahmen meldeten sich in den Auffanglagern in Westberlin. Nach dem Aderlass vornehmlich an Fachkräften gehobener Qualifikation wie ÄrztInnen, LehrerInnen oder IngenieurInnen verließen nun auch viele BäuerInnen, nachdem sie bis 1960 zwangskollektiviert worden waren, das Land. Alle Wirtschaftszweige waren gefährdet. Die BRD-Politik und die westlichen Medien ließen natürlich keine Gelegenheit aus, die ökonomische Überlegenheit des Kapitalismus heraus zu stellen und alle vergesellschafteten Errungenschaften des ArbeiterInnenstaats, z.B. Betriebskinderkrippen, Polikliniken usw. als wider die menschliche Natur zu diffamieren.

Die einzige Antwort, die den stalinistischen Bürokraten einfiel, waren Maßnahmen, die weniger den Klassenfeind trafen, sondern sich gegen die eigene Bevölkerung richteten: Einschüchterung, Verschärfung des Strafrechts und Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Es kam sogar zu Zwangsumsiedlungen in grenznahen Gebieten zur BRD. Die Grenzanlagen wurden immer weiter ausgebaut.

Die Schwachstelle aber blieb Berlin, das dem Alliiertenrecht unterstand und deren Mächte den Grenzverkehr regelten. Die Berliner Westsektoren diente dem Imperialismus als kapitalistisches Hochglanz-Schaufenster und propagandistischer Brückenkopf mit dem Rundfunksender RIAS und der Springerpresse, von dessen Hochhaus Tag und Nacht Nachrichtenbänder in Leuchtschrift liefen.

Die DDR-Staatsführung stand mit dem Rücken zur Wand; sie handelte am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961, als die Geheimaktion „Operation Rose“ anlief. Bautrupps, gesichert von Einheiten der Nationalen Volksarmee, sperrten zunächst die wichtigsten Verbindungswege an den Sektorengrenzen Berlins, später wurden Häuser- und Fensterfronten zugemauert. Anders als 8 Jahre zuvor war das politische Widerstandspotenzial in der DDR-Bevölkerung jetzt nur noch vereinzelt vorhanden oder hatte resigniert. Die reale Teilung und die Erfahrungen des gescheiterten Aufstands 1953 hatten tiefe Spuren hinterlassen.

Der Mauerbau verschaffte dem Regime eine Erholungspause, um sich wieder festigen zu können. Zugleich markierte er auch eine Abkehr der DDR-Spitze von einer gesamtdeutschen Konzeption, ließ die nationale Frage aber gleichwohl ungelöst. Die Mauer war das Sinnbild für eine erzwungene Teilung Deutschlands. Im Bewusstsein der Massen war es immer mit dem Makel behaftet, das hässliche Antlitz eines „Unrechtsstaats“ zu repräsentieren, der seine Bevölkerung einkerkert und diejenigen inhaftiert oder tötet, die ihm entfliehen wollen.

Wie hätten sich RevolutionärInnen zum Mauerbau verhalten?

Die Frage wird heute innerhalb der Linken kaum gestellt. Die ParteigängerInnen des Stalinismus u.a. Strömungen verteidigen den Mauerbau als notwendig, auch wenn ihnen die Form vielleicht Missbehagen bereitet. Sie entblöden sich dabei oft nicht, die Ulbrichtsche offizielle Lesart vom „antifaschistischen Schutzwall“ und der „friedenserhaltenden Maßnahme“ gegen „permanente Wühltätigkeit feindlicher Agenten und unmittelbar bevorstehendem Einmarsch von NATO-Truppen“ zu übernehmen.

Natürlich war der Mauerbau v.a. Ergebnis der Unvereinbarkeit zweier Gesellschaftsformationen in einem Land. Dass es aber überhaupt zu dieser Situation kam, war der antirevolutionären Politik der StalinistInnen wie der SPD geschuldet, die die Enteignung der Bourgeoisie und die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates in ganz Deutschland verhindert haben. Jede selbstbestimmte Form von Organisierung bzw. Übernahme von Macht durch die ArbeiterInnenklasse wurde blockiert oder bürokratisch „entschärft“. Das Ergebnis war ein de facto schon zweigeteiltes Deutschland lange vor dem Mauerbau: ein kapitalistischer Westen und ein degenerierter ArbeiterInnenstaat im Osten.

RevolutionärInnen mussten natürlich die DDR als historisch „höher“ stehende Gesellschaftsstruktur verteidigen – nicht deren bürokratische Übel, sondern deren soziale Tugenden, v.a. aber die von der Bürokratie blockierten sozialen Entwicklungspotentiale. Nachdem die StalinistInnen sich selbst in das Dilemma manövriert hatten, dass die DDR gegenüber der BRD in der Entwicklung nachhinkte und die Leute massenhaft weg wollten, war der Mauerbau nach ihrer Logik als „letzte“ Maßnahme notwendig.

Die SED argumentierte nach dem Mauerbau u.a., dass diese auch den ökonomischen Zweck hatte, die Ausnutzung subventionierter Waren und sozialer Leistungen durch die vielen Ost-West-Pendler zu verhindern. Zweifellos war das ein Problem, das jedoch hätte auch anders behoben werden können, z.B. durch den Abbau der Subventionen und die Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen im selben Maße.

RevolutionärInnen hätten – mit dem Fakt der Mauer konfrontiert – natürlich nicht einfach für deren Abriss plädiert. Sie hätten aber sehr wohl gegen das Grenzregime u.a. represssive bürokratische Regelungen polemisieren müssen. V.a. aber hätten sie auf die tieferen Ursachen für deren Entstehen verweisen und für die Revolution in ganz Deutschland eintreten müssen – für die soziale Revolution in der BRD und die politische Revolution in der DDR. Die Mauer wäre letztlich nur dann überflüssig geworden, wenn die DDR bzw. der „Sozialismus“  attraktiver geworden wäre. Dazu wäre es aber notwendig gewesen, die Bürokratie mittels einer politischen Revolution zu stürzen.

Der Bau der Mauer war, obwohl sie kurzfristig eine Stabilisierung der DDR bewirkte, kein Sieg, sondern eine Niederlage der ArbeiterInnenbewegung in Ost und West. Es hätte eine öffentliche Kampagne geführt werden müssen mit Aufrufen an alle ArbeiterInnenorganisationen in Ost und West, diese Maßnahme zu diskutieren und die Frage zu stellen, wie die Grundlagen eines wirklich demokratischen ArbeiterInnenstaats geschaffen und gesichert werden können.

Im Herbst 1989 haben sich historisch zwei Dinge bestätigt: 1. ist eine grundlegende Änderung der Verhältnisse ohne Revolution – und die „Wende“ im Herbst 1989 war der Beginn einer politischen Revolution, die jedoch auf halbem Weg stehenblieb – unmöglich; 2. konnte auch die Mauer die DDR nicht davor bewahren, an ihren stalinistischen Geburtsfehlern zu Grunde zu gehen.

Ein halber Sozialismus in einem halben Land im Schatten der Mauer konnte auf Dauer nicht überleben. Der Sozialismus ist international oder gar nicht!




Proteste in Kuba werfen die Frage nach einer sozialistischen Perspektive auf

Markus Lehner, Infomail 1156, 16. Juli 2021

Am Samstag, den 10. Juli, verabredeten sich mehrere BloggerInnen für den kommenden Sonntagmittag, um in San Antonio de los Baños, einem Vorort von Havanna, gegen die extrem schlechte Versorgungslage in Kuba zu protestieren. Aus diesem spontanen Protest in einer Kleinstadt wurde über die Verbreitung in den sozialen Medien im Laufe des Sonntags ein Massenprotest, der sich auf Havanna (ähnlich wie 1994 auf der Uferstraße Malecón in der Hauptstadt), Palma Soriano, Holguín, Camagüey, Santiago de Cuba und andere Orte ausbreitete.

An diesen verschiedenen Orten gab es durchaus unterschiedliche Formen des Protestes von friedlichen Manifestationen bis hin zu Plünderungen, wie auch unterschiedliche Slogans. Verbindendes Moment war im Wesentlichen die Verzweiflung über die Versorgungslage, die häufiger werdenden Stromabschaltungen (besonders außerhalb von Havanna) und die ernster werdende Coronasituation, samt Mangel an Medikamenten.

Die Proteste erreichten zumindest ein solches Ausmaß, dass die Übertragung des Fußball-EM-Finales im Staatsfernsehen unterbrochen wurde für eine Ansprache des Staats- und Ministerratspräsidenten Miguel Díaz-Canel. In dieser Rede erkannte der Präsident durchaus die angesprochenen Probleme an. Vor allem aber erklärte er, dass die USA durch ihre Blockadepolitik diese Probleme verursacht habe, um damit eben diese Protestbewegung zu provozieren und auch Drahtzieherin hinter der Organisation der Proteste zu sein.

Er rief entsprechend zu Gegenprotesten zur „Rettung der kubanischen Revolution“ auf. Entsprechend wurden auch die Sicherheitskräfte zur Unterdrückung der Proteste eingesetzt, das Internet und andere Kommunikationsmedien zeitweise blockiert, eine große Zahl bekannter Oppositioneller (auch von linken und LGTBIAQ-Gruppen) inhaftiert. Auch die regierungstreuen Demonstrationen brachten Tausende auf die Straße und führten offensichtlich zu einem Abbrechen der weniger gut organisierten Antiregierungsproteste, vor allem, da auch gewaltsame Konfrontationen drohten.

Die USA und die EU ergriffen sofort für die Antiregierungsproteste Partei und erklärten sie zu Bewegungen „für Demokratie und Menschenrechte“. Insbesondere die USA taten so, als ob ihre Sanktionen gar nichts mit der Versorgungslage auf Kuba zu tun hätten und letztere ganz auf das „Missmanagement“ der kubanischen Regierung zurückzuführen sei.

Rechte Regime in Lateinamerika wie jenes des brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro, unter denen die Versorgungslage, die medizinische Versorgung angesichts von Corona noch um einiges schlimmer ist als auf Kuba, erklärten sich solidarisch mit dem „Kampf gegen die brutale Diktatur“. Nur Mexiko, Venezuela und Argentinien versprachen Soforthilfen, um die akuten Versorgungsprobleme zu beheben. Auch angesichts der instabilen Lage in der Region ist eine militärische Intervention nicht ganz ausgeschlossen. Andererseits hat Russland, das in den letzten Jahren wieder zum wichtigsten Investor neben China geworden ist, die USA vor jeglichem Eingreifen in Kuba gewarnt.

Die kubanische Regierung regierte auf die Protestbewegung inzwischen mit bestimmten ökonomischen Zugeständnissen, z. B. was Devisen- und Einfuhrbeschränkungen für Einreisende (vor allem im Zusammenhang mit dem Tourismus) sowie Lockerungen in Bezug auf bestimmte Rationierungen betrifft. Einige Oppositionelle wurden auch wieder freigelassen und den Protestierenden ein „Dialog“ angeboten.

Dies deutet darauf hin, dass die kubanische Regierung die Lage nicht nur durch Repression, sondern auch Zugeständnisse und Inkorporation von Teilen der Opposition beruhigen will. Ob dies kurzfristig zu einem Abebben der Proteste führen wird oder diese ermutigt, ist zur Zeit unklar. Die entscheidende Frage wird in jedem Fall sein, welche politischen Kräfte in der Bewegung und in der Bevölkerung insgesamt die Richtung bestimmen werden. Als sicher kann freilich eines gelten: Die sozialen Ursachen, die Tausende auf die Straße brachten, werden nicht verschwinden.

Protestbewegung

Eine Reihe von Linken vertritt die Einschätzung, dass diese Protestbewegung letztlich nur als Element einer neuen „Farbenrevolution“, als vom Imperialismus gesteuerte „Demokratiebewegung“ zum Sturz einer linken Regierung zu betrachten wäre, wie dies auch schon in mehreren lateinamerikanischen Staaten versucht wurde (Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador … ). Gegen ein solches Szenario spricht jedoch, dass die Bewegung sicherlich an ihrem Beginn spontan war, viel zu heterogen ist und auch in ihren Forderungen nicht auf einen „Regimesturz“ festzulegen oder zu reduzieren ist.

Es ist klar, dass dies im Verlauf der Entwicklung einer solchen Bewegung anders werden könnte. Die Teilnahme von linken, sozialistischen und LGBTIAQ-Gruppen an den Protesten spricht jedoch dafür, dass die Bewegung durchaus eine ganz andere, progressive Richtung einschlagen könnte. Der breite Protest gegen die Verhaftung von Frank García Hernández („Comunistas Blog“) zeigt auch, dass diese linke Strömung zumindest in Havanna auch eine gewisse Verankerung hat.

Zweifellos ist der Hauptgrund und unmittelbare Auslöserin der Proteste die schwierige wirtschaftliche Situation in Kuba. Ganz Lateinamerika wird zur Zeit von einer schweren ökonomischen Krise heimgesucht, von der auch Kuba nicht ausgenommen ist. Insofern sind davon ausgehende Massenproteste auf dem ganzen Kontinent nichts Unerwartetes.

Aber die Situation in Kuba wird schon seit Jahrzehnten durch die US-Wirtschaftsblockade geprägt, die durch die Verschärfungen unter Trump noch einmal verschlimmert wurde. Insbesondere das Verbot von Dollartransfers von AuslandskubanerInnen hat den Kampf ums tägliche Überleben noch schwieriger gemacht. Dazu kam jetzt der coronabedingte Einbruch im Tourismus um 70 %, der zusätzlich die Devisenquellen verknappt hat, während der Resttourismus vor allem aus Russland noch groß genug war, um offensichtlich gerade jetzt eine Pandemiewelle in Kuba zu befeuern. Die Devisenknappheit ist auch ein Problem angesichts der hohen Importabhängigkeit des Landes, das etwa 80 % der Grundnahrungsmittel einführen muss. Dies führte zu einer hohen Auslandsschuld (200 Millionen USD), die gerade erst im Juni zu einem Abkommen mit den GläubigerInnen führte.

Das erklärt auch, warum die kubanische Regierung derzeit zu Rationierungsmaßnahmen und Stromeinsparungen greifen musste. Hier erweist sich insbesondere China als unerbittlicher Gläubiger, der auf pünktliche Bezahlung besteht bzw. seine Zahlungsbedingungen durchdrückt. Die kubanische Regierung bleibt damit eingezwängt zwischen US-Blockade, Druck von den GläubigerInnen und der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Versorgungslage. In der letzten Woche vor den Protesten ging in den staatlichen Läden sogar das Mehl aus.

Schluss mit den Sanktionen!

Von daher ist klar, dass die ersten Forderungen von SozialistInnen auf der ganzen Welt sein müssen: Schluss mit allen Sanktionen und der Blockaden gegen Kuba und Streichung aller Auslandsschulden! Angesichts der schwierigen Lage muss es auch bedingungslose Nahrungsmittelhilfen geben sowie Rohstofflieferungen zur Erleichterung der pharmazeutischen und Impfstoffproduktion. Kuba selbst hat an sich eine gut ausgebaute, die aber derzeit auch stark für den Export (z. B. nach China) genutzt wird. Auch hat Kuba selbst zwei sehr effektive Coronaimpfstoffe entwickelt, deren rasche Produktion jedoch auch wieder entsprechende Rohstoffimporte erfordert. Die rasche Impfkampagne, die von der Regierung geplant ist, könnte bei entsprechender Produktionsleistung auch bald zu einer Entspannung gerade an dieser Front führen. Von dieser Impfstoffproduktion könnten zudem auch andere Länder, insbesondere in Lateinamerika profitieren.

Sicherlich ist daher von der wirtschaftlichen Krise in Kuba vieles von außen hineingebracht. Andererseits sind diese Probleme auch ein langfristiges Resultat des verfehlten Modells des „Sozialismus auf einer Insel“. Ein derart hoher Importbedarf an lebenswichtigen Produkten (auch von Grundnahrungsmitteln) zeigt, wie wenig Kuba auch im damaligen Verbund mit den „sozialistischen Bruderstaaten“ in der Lage war, seine einseitige, abhängige Entwicklung aus der (Post-)Kolonialzeit zu überwinden, so dass es weiter von einer landwirtschaftlichen Monokultur abhängig blieb, bei weiterhin geringer Entwicklung von Selbstversorgung für wesentliche Agrar- und Industrieprodukte.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich diese ungünstige Wirtschaftsstruktur noch verschärft, indem eine große Abhängigkeit vom Tourismus sowie vom Export von Nickel und medizinischen Produkten und Dienstleistungen die Ökonomie prägt. Die Wirtschaftspolitik des castroistischen Regimes war nach dem Zusammenbruch des Ostblocks von einem Zickzack geprägt: einerseits Zulassen von Privatunternehmertum bis zu einem gewissen Grad und Lockerungen, was die Währungspolitik betrifft (Dollarisierung), andererseits immer wieder auch Straffung der staatlichen Kontrolle.

Letztere fungieren als ein notdürftiger Reparaturbetrieb angesichts der unvermeidlichen Folgen immer umfangreicherer marktwirtschaftlicher Reformen, die man selbst vorantrieb. Die Zunahme der sozialen Ungleichheit, Triebfeder der sozialen Proteste, auf Kuba ist nicht nur von außen erzwungen, sondern auch Resultat eines Wirtschaftskurses, der dem Kapitalismus den Boden bereitet und den „Sozialismus“ immer weiter unterhöhlt und unglaubwürdiger macht.

Letztlich bleibt die weiterhin dominierende bürokratische Planung aber völlig abhängig von den Problemen der Devisenbeschaffung und Bedienung der Auslandsschulden. In Folge der Reformen hat sich dabei eine immer größere soziale Spaltung in der kubanischen Gesellschaft ergeben, in der bestimmte Schichten, die sich Devisen beschaffen können oder in wichtigen Export- und Tourismusbereichen arbeiten, durchaus gut leben können, während für den Rest der Bevölkerung die Versorgungslage immer schwieriger wird.

Perspektive

Der Kern einer Lösung der langfristigen Probleme liegt daher in einer grundlegenden Demokratisierung und Umgestaltung des Wirtschaftsplans. Die Prioritäten müssen langfristig von den Bedürfnissen des Exports auf Gewährleistung der Grundversorgung umgestellt werden. Dazu muss ein von den ArbeiterInnen demokratisch erstellter und kontrollierter langfristiger Plan durchgesetzt werden, der allen arbeitenden Teilen der kubanischen Gesellschaft eine Perspektive gibt. Es ist auch klar, dass eine solche Abkehr von der abhängigen Entwicklung nicht von Kuba alleine bewältigt werden kann. Eine solche Umstellung der Ökonomie wird umso einfacher, je mehr Länder in Lateinamerika einen sozialistischen Weg einschlagen und für einen die ganze Region umfassenden demokratischen Plan des wirtschaftlichen Umbaus gewonnen werden können.

Kurzum, die Isolierung Kubas von der Entwicklung einer internationalen Revolution muss überwunden werden. Es kann kein Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden. Wenn dies in der UdSSR oder China nicht möglich war, ist es in einem kleinen Land wie Kuba erst recht eine Utopie. Ein ArbeiterInnenstaat, der sich auf die ArbeiterInnendemokratie gründet, könnte jedoch Bestand haben und sowohl eine Inspiration als auch eine Hilfe für RevolutionärInnen weltweit und insbesondere in Lateinamerika sein. Deshalb muss Kuba gegen alle Versuche der USA, den Kapitalismus zu restaurieren, verteidigt werden.

Die Regierung der kubanischen KP wird selbst in ihrem „Dialogangebot“ eine solche Radikalisierung und Demokratisierung der wirtschaftlichen Planung niemals vorschlagen. Im Gegenteil. Die kubanische Revolution war von Beginn an mit dem Problem behaftet, dass die Partei- und Staatsbürokratie die politische Macht monopolisierte, der ArbeiterInnenstaat war also von Beginn an bürokratisch degeneriert. Die Herrschaft dieser Bürokratie stellt selbst ein Hindernis für die weitere Entwicklung zum Sozialismus dar und droht, wie die marktwirtschaftlichen Reformen zeigen, selbst die Errungenschaften der Revolution zu unterminieren und zu zerstören.

Auch deshalb ist der Protest gegen die sozialen Folgen dieser Politik nicht nur legitim, sondern letztlich auch eine Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung. Innerhalb der Bewegung ist die Frage, welche politische Richtung sie einschlagen soll, selbst eine Frage des Kampfes, der politischen Konfrontation nicht nur mit den regierungstreuen Kräften, sondern auch unter den Unzufriedenen und DemonstrantInnen.

Gerade angesichts der Krise der staatlichen Wirtschaftspolitik, ist zu befürchten, dass viele „mehr Markt“ als die einfachste Lösung ansehen werden. Wie die Erfahrungen mit kapitalistischer Restauration anderswo zeigen, verschärft das allerdings die Probleme für den Großteil der Bevölkerung. Wesentlich ist, dass die Organe, die jetzt gebildet werden, ob zum Dialog mit der Regierung oder zum ehrlichen Protest gegen Versorgungsprobleme, zu demokratischen Podien der Diskussion zum Ausweg aus der Krise, zur praktischen Umgestaltung von Produktion und Verteilung in den Betrieben und Stadtteilen werden, kurz zur Basis von ArbeiterInnenkontrollorganen, die auch die Kontrolle über die Planinstitutionen übernehmen können.

Solche Organe können für Gruppen, wie den Comunistas-Blog, andere revolutionär-sozialistische Gruppen oder linke AktivistInnen der LGBTIAQ-Bewegung die Basis liefern, sowohl die konterrevolutionären Tendenzen in der Protestbewegung zu bekämpfen als auch für den Sturz der Herrschaft der Bürokratie und für das Voranschreiten der kubanischen Revolution zu einer wirklich demokratischen Planwirtschaft zu wirken.

Klar ist jedenfalls, wie wir es während der kapitalistischen Restauration in Osteuropa erlebt haben: Die Bürokratie ist letztlich repressiv und nicht in der Lage, nachkapitalistische Eigentumsverhältnisse zu verteidigen. Die antibürokratische Protestbewegung muss wirklich revolutionäre sozialistische Kräfte aufbauen, die sich für die Förderung einer sozialistischen Entwicklung einsetzen, oder sie wird zu einem Vehikel der Restauration.

Letztendlich kann nur eine politische Revolution die ArbeiterInnendemokratie schaffen, die bürokratische Kaste, die Kuba regiert, auflösen und die Entwicklung einer sozialen Konterrevolution unter dem Banner der bürgerlichen Demokratie und der Erwartung billiger Lieferungen vom Weltmarkt stoppen. Was letzteres in der Praxis bedeuten würde, lässt sich an den Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und armen Landbevölkerung in den Nachbarländern Lateinamerikas ablesen.




Die Expansion des Stalinismus nach 1945

Workers Power/Irish Workers Group, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 2001)

Die Existenz der Sowjetunion als degenerierter
ArbeiterInnenstaat bis in die 1990er Jahre kann nur durch eine Analyse der
Expansion des Stalinismus seit Ende des Zweiten Weltkriegs erklärt und
verstanden werden. Die durch diese Expansion aufgeworfenen theoretischen und
politischen Probleme haben unter all jenen, die sich auf den Trotzkismus
berufen, eine tiefe programmatische Verwirrung verursacht. Diese Verwirrung
rührte zum Teil oder zur Gänze von der Unfähigkeit her, Trotzkis Analyse des
Stalinismus unter den Bedingungen des Krieges und seiner Folgen
weiterzuentwickeln.

Seit Beginn der 1920er Jahre hatte Trotzki immer wieder die
allgemeinen Widersprüche skizziert, die zu einem neuen imperialistischen
Weltkrieg drängten. Er erkannte völlig richtig, dass die USA aus dem Ersten
Weltkrieg viel stärker hervorgegangen waren als sowohl die siegreichen wie die
besiegten Imperialismen Europas. Damals glaubte Trotzki, dass ein neuer Krieg
aus dem gescheiterten Versuch einer Nachkriegsexpansion der USA entstehen
würde; ein Scheitern, das aus der Unfähigkeit, genug aus der ruinierten
Wirtschaft Europas zu akkumulieren, und aus dem Widerstand Frankreichs und
Großbritanniens, zu Halbkolonien der USA degradiert zu werden, herrührte. (1)

Der entscheidende Anstoß, der Trotzki zu einer
Konkretisierung seiner Analyse und einer Diskussion über die Geschwindigkeit,
mit der sich der Krieg nähern würde, zwang, war Hitlers Machtergreifung 1933.
(2) Weil das Schicksal des Stalinismus untrennbar mit der Entwicklung des
Imperialismus und der ArbeiterInnenklasse verknüpft war, zog Trotzki eine Reihe
von Schlüssen hinsichtlich des Schicksals der KremlherrInnen, falls der
erwartete Krieg Wirklichkeit werden sollte.

Trotzki argumentierte, dass der imperialistische Krieg und
die ihn begleitenden revolutionären Aufstände die stalinistische Bürokratie
hinwegfegen würden. Entweder würde sie direkt dem Ansturm des Imperialismus –
unter Beihilfe restaurativer Kräfte in der UdSSR – unterliegen, oder eine Reihe
erfolgreicher proletarischer Revolutionen in Europa, hervorgerufen durch den
Krieg, würde zu einer politischen Revolution in der Sowjetunion führen und die
Kreml-Bürokratie zerstören. (3)

Als strategische Prognose behielten Trotzkis Formulierungen
ihre Gültigkeit. Die reaktionäre, utopische Politik der von den StalinistInnen
praktizierten „Entspannung“, der „friedlichen Koexistenz“ führte unvermeidlich
zur Zerstörung der vergesellschafteten Eigentumsverhältnisse. Diese Entwicklung
hätte nur durch die politische Revolution der ArbeiterInnenklasse verhindert
werden können.

Die unleugbare Tendenz in Richtung auf eine Zerstörung des
Stalinismus wurde im Verlauf des Zweiten Weltkrieges jedoch durch eine Reihe
konjunktureller Faktoren aufgehalten, die Trotzki nicht vorausgesehen hatte –
und in einigen Fällen auch gar nicht voraussehen konnte.

Stalinismus und Klassenkampf nach dem Zweiten Weltkrieg

Es war die Spaltung innerhalb des Weltimperialismus, die
seine Fähigkeit zu einer Offensive gegen die UdSSR schwächte. Der Charakter des
imperialistischen Krieges selbst – blutige Auseinandersetzungen über die
Aufteilung der Weltmärkte – brachte die Alliierten, die „demokratischen“
imperialistischen Nationen (v. a. Großbritannien und die USA) schließlich
dazu, die stalinistische Bürokratie gegen die Achsenmächte zu unterstützen, um
so ihre eigenen imperialistischen Ziele zu erreichen.

Die Niederlage der Achsenmächte und der mit ihnen verbündeten Bourgeoisien in verschiedenen Ländern wurde zu Kriegsende von breiten, antikapitalistischen Mobilisierungen begleitet. Dies bestätigte das objektiv vorhandene Potential für einen revolutionären Ausgang des Krieges, wie es Trotzki voraussah. In den Ländern der Achsenmächte (Bulgarien, Rumänien, Ungarn) zeigten sich nach der Niederlage der deutschen Truppen diese Ausbrüche am deutlichsten. So bemerkte zum Beispiel „The Economist“ am 7. 10. 1944, dass in ganz Thrakien und Mazedonien „Soldatenräte gebildet worden sind, Offiziere abgesetzt, rote Fahnen aufgezogen und die Grußpflicht abgeschafft wurden.“ (4)

In Osteuropa trat die ArbeiterInnenklasse in der
Tschechoslowakei am stärksten in den Vordergrund, als Fabrikkomitees,
ArbeiterInnenräte und -milizen gegründet wurden. Eine Doppelmachtsituation
existierte dort 1944/45 etliche Monate. Es dauerte ein ganzes Jahr, ehe die
Regierung es wagte, die ArbeiterInnenkontrolle in den Fabriken zu beschneiden.
(5) Auch in Deutschland gab es weitverbreitete ArbeiterInnenerhebungen,
insbesondere in Magdeburg und Halle. Es ist – sogar bei bürgerlichen
HistorikerInnen – mittlerweile zu einem Gemeinplatz geworden, dass die
Niederlage Hitlers in Frankreich 1944 für die ArbeiterInnenklasse äußerst
günstige Bedingungen hervorgerufen hatte, um die Staatsmacht zu ergreifen. (6)

Der im Krieg siegreiche imperialistische Block war selbst
unfähig, diese Bewegung zu zerschlagen. Der Imperialismus war gezwungen, sich
auf den Kreml und seine bewaffneten VertreterInnen zu stützen, um die wachsende
Zahl der ArbeiterInnenkämpfe einzudämmen. Der Einsatz der Roten Armee zur
gewaltsamen Beendigung der ArbeiterInnenkontrolle in den Fabriken war allgemein
verbreitet, insbesondere in Polen, Rumänien und Bulgarien. Im besiegten
Deutschland und in Österreich litt die ArbeiterInnenklasse noch viel schlimmer.
Viele ArbeiterInnenbezirke wurden terrorisiert; Wien wurde drei Tage hindurch
geplündert und verwüstet.

Der Fortbestand des Bündnisses von Westalliierten und UdSSR
hatte den Effekt, dass ein unmittelbarer Zusammenstoß zwischen Stalinismus und
Weltimperialismus aufgeschoben wurde. Diese unheilige Allianz gegen die
ArbeiterInnenklasse nahm in Indochina ein besonders schlimmes Ausmaß an, als
die StalinistInnen in führender Position in den Reihen der ArbeiterInnen und
Bauern/Bäuerinnen mithalfen, deren Avantgarde abzuschlachten, und dem
Imperialismus ein politisch gebrochenes Proletariat auslieferten.

In Griechenland machte sich die KP, in Übereinstimmung mit
Stalins Anweisungen, eines ähnlichen Verrats schuldig. Die zwischen Stalin und
Churchill in Moskau und von allen Alliierten in Jalta getroffenen Abkommen über
„Einflusssphären“ hatten Indochina und Griechenland dem Imperialismus
überlassen und Stalin war entschlossen, diese Abkommen auch einzuhalten.

Trotzki hatte in seiner Prognose immer darauf bestanden,
dass die Vorbedingung für eine revolutionäre Zerschlagung der Sowjetbürokratie
während des Krieges der Aufstieg der Vierten Internationale zur politischen
Führungsmacht sei. Als der Krieg jedoch vorbei war und ArbeiterInnenkämpfe
tatsächlich ausbrachen, befanden sich die Kader der Vierten Internationale in
nahezu völliger Isolation, mit Ausnahme einiger bemerkenswerter Fälle – wie
etwa in Indochina. Der Stalinismus in der UdSSR und anderswo war daher imstande
zu überleben, da den revolutionären Aufständen eine Führung fehlte, die fähig
gewesen wäre, diese ebenso gegen die Bürokratie wie gegen den Kapitalismus zu
lenken. Die Rolle des bewussten Faktors – der revolutionären Partei – in
Trotzkis Prognose sollte niemals übersehen werden. Das Versagen dabei, seine
Bedeutung zu erkennen, führte die Vierte Internationale schließlich dazu zu
glauben, Stalinismus und Imperialismus könnten durch den „objektiven Prozess“,
unabhängig vom Willen der Beteiligten, gestürzt werden. Diese Denkweise war
Trotzki fremd.

Innere Faktoren

Das Fortbestehen der UdSSR und des Stalinismus in ihr kann
nicht nur durch eine Reihe internationaler Faktoren erklärt werden. Wichtige
interne Ereignisse müssen ebenso in Betracht gezogen werden. Der rasche und
umfangreiche Aufbau einer Kriegswirtschaft enthüllte das fortschrittliche
Potential geplanter Eigentumsverhältnisse in der UdSSR. Doch letztlich ist das
Überleben der Sowjetunion dem heldenhaften Widerstand der großen Masse der
Sowjetbevölkerung – mit an die 20 Millionen Kriegstoten – angesichts des
Angriffes des deutschen Imperialismus geschuldet. Der Widerstand des Volkes
gegen den Faschismus trotz der Tyrannei stalinistischer Herrschaft erklärt sich
einerseits aus der ernüchternden Erfahrung mit der faschistischen
Gewaltherrschaft in großen Gebieten im Westen der UdSSR und durch die relative
Schwächung der bonapartistischen Staatsmaschinerie den Massen gegenüber, welche
es ihnen erlaubte, ihre Selbstverteidigung gegen den deutschen Imperialismus
verhältnismäßig frei von bürokratischer Unterdrückung (wie etwa in Leningrad)
wirksam zu organisieren.

Wenn sich auch die Eigentumsverhältnisse der UdSSR gegenüber
den Attacken des Imperialismus als widerstandsfähig erwiesen, so richtete der
Krieg dennoch unter den Produktivkräften der Sowjetunion schwere Verwüstungen
an. Dies zeigte sich am dramatischsten in einer starken Verknappung der
Akkumulation und einem absoluten Rückgang im Umfang der Produktivkräfte.
Insgesamt wurden 31.850 Industriebetriebe zerstört, 65.000 Kilometer an
Eisenbahngleisen, 15.800 Lokomotiven und eine halbe Million Güterwagen
vernichtet. Die Kohle- und Stahlproduktion fiel in den Jahren 1942/43 um
40–50 %. Sie erreichte erst 1946 wieder das Niveau von 1940. Dazu kam noch
die Zerstörung von 4,7 Mill. Häusern, 1.710 Städten und 70.000 Dörfern! In der
Landwirtschaft war das Bild genauso düster. 98.000 Kolchosen und 1.876
Staatsgüter waren zerstört. Sieben Mill. Pferde und 20 Mill. Schweine (von
insgesamt 23 Millionen!) waren verloren. Im von Nazi-Deutschland besetzten
Russland waren lediglich 3 % der Traktoren bei Kriegsende übrig geblieben.
(7)

Zentrifugale Tendenzen, die die planwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse untergruben, traten zwischen 1941 und 1944 immer mehr zutage. Die Schwerindustrie zum Beispiel litt stark darunter, dass ab 1941 die staatliche Produktionskostenunterstützung eingestellt und den einzelnen Trusts eine gewisse Autonomie verliehen wurde. Die Leichtindustrie war oft nur in lokalem Rahmen organisiert und in einigen Gebieten sogar auf reine Handwerksproduktion beschränkt. Auf dem Land erlebte die Kriegszeit ein beschleunigtes Tempo kapitalistischer Restauration in der Landwirtschaft mit der extensiven Entwicklung primitiver Kapitalakkumulation, die das soziale Regime in der UdSSR zu unterhöhlen drohte. Germain stellte dazu fest: „Die Ergänzung zu der größeren Freiheit, die den reicheren Bauern und Bäuerinnen gewährt wurde, bestand in der Zunahme an drakonischen Maßnahmen, die gegen die ArbeiterInnenklasse in den Städten ergriffen wurden, um die Anforderungen des Krieges zu erfüllen.“ (8)

Gleichzeitig wurden die Privilegien der Bürokratie
ausgebaut. Das Erbrecht wurde erweitert, die orthodoxe Kirche wieder in Amt und
Würden eingesetzt und der Armee und der GPU (jetzt: NKWD) wurde die
Unabhängigkeit von der Partei zugesprochen. Trotz dieser massiven Krise gelang
es den Kreml-FührerInnen, ihre Herrschaft zu sichern und ein unerwartetes
Ausmaß an Stabilität zu erreichen. Als zum Beispiel die Belagerung von
Leningrad durch die deutschen Truppen aufgehoben wurde, bemächtigte sich die GPU
erneut der Stadt. Dies war nur aufgrund der Erschöpfung der ArbeiterInnenklasse
möglich. Außerdem diente die dem Kreml von den Alliierten in Teheran und
Potsdam gewährte Kriegshilfe der „lend-and-lease“-Programme dazu, die
schlimmsten Auswirkungen der Krise in der Wirtschaft abzuschwächen. Als klar
wurde, dass Hitler geschlagen werden würde, wurde die Kreml-Bürokratie von
Angst vor den mächtigen restaurativen Kräften ergriffen, die sie selbst
entfesselt hatte und die nun das Kollektiveigentum bedrohten. Ein neuer
Fünfjahresplan (insgesamt der vierte), der auf eine Wachstumsrate von 10 %
abzielte, wurde für 1945–1949 erstellt. Ende 1944 wurden groß angelegte
Schauprozesse gegen IndustriemanagerInnen wegen angeblicher Veruntreuungen
abgehalten und ab Ende 1945 begann in den offiziellen Erklärungen wiederum die
Terminologie des „Marxismus-Leninismus“ den großrussischen Chauvinismus zu
ersetzen, der während des Krieges kräftig gefördert worden war.

Schrittweise wurde die bonapartistische Staatsmaschine
wieder aufgebaut, um die Interessen der Bürokratie gegenüber der Bedrohung
ihrer Existenz seitens restaurativer Kräfte oder seitens des Proletariats zu
behaupten. Einerseits schlug dieser Bonapartismus gegen die Elemente der
Restauration auf dem Land, welche er selbst freigesetzt hatte, los.
Gleichzeitig ging der Kreml jedoch gegen die ArbeiterInnenklasse vor, die
während des Abwehrkampfes zur Verteidigung der UdSSR eine wachsende
Unabhängigkeit von der Bürokratie gezeigt hatte. Das Überleben der
stalinistischen Kaste war jedoch keine Angelegenheit, die im nationalen Rahmen
entschieden werden konnte. Es war das internationale Szenario am Kriegsende,
das für die Zukunft der BürokratInnen des Kreml entscheidend war.

Ein formeller politischer und militärischer Kontakt zwischen
der UdSSR und den Alliierten wurde im Juli 1941 eingerichtet – nur einen Monat,
nachdem die deutsche Invasion in der UdSSR den Hitler-Stalin-Pakt abrupt
beendet hatte. Dieser Militärblock der Alliierten und der UdSSR war jedoch
immer von beiderseitigem Misstrauen und Feindseligkeiten durchsetzt. Auch das
erste Treffen der FührerInnen der „Großen Allianz“ Ende 1943 in Teheran war ein
erbittertes Geplänkel, bei dem die Sowjetunion die sofortige Eröffnung einer
zweiten Front in Europa forderte. Die Westalliierten hatten de facto die
Sowjetunion dabei alleingelassen, die volle Macht des deutschen Imperialismus
im Osten aufzuhalten, während sie selbst sich auf die Rückeroberung der an
Deutschland und Japan verlorenen Kolonien konzentrierten. Obwohl die USA in
Form des „lend-lease“ der Sowjetunion umfangreiche Hilfe zukommen ließen,
bestand ihre Politik darin, Deutschland zu schlagen und ihren sowjetischen
Verbündeten gleichzeitig ausbluten zu lassen. Als Beweis für die Aufrichtigkeit
gegenüber seinen „demokratisch“-imperialistischen Verbündeten löste Stalin 1943
die Kommunistische Internationale formell auf – und löschte damit auch nur den
bloßen Anschein einer Verpflichtung der internationalen Revolution gegenüber.

Diplomatische Manöver zwischen Stalinismus und Imperialismus

Zu Beginn des Krieges sprach sich die unter den FührerInnen des US-Imperialismus vorherrschende Meinung für eine völlige Kontrolle der USA über Europa aus. George F. Kennan, der führende außenpolitische Berater von Roosevelt und Kopf der politischen Planungsabteilung im Weißen Haus, erklärte 1942: „Wir werden es unternehmen, das gesamte Kontrollsystem, das die Deutschen zur Verwaltung der europäischen Wirtschaft aufgebaut haben, zu übernehmen, wobei wir den Apparat aufrechterhalten, aber unsere eigenen Leute in Schlüsselpositionen darin einsetzen, um es zu leiten – und wir werden dann dieses System zur Ausführung welcher Politik auch immer, die wir in der unmittelbaren Zeit nach dem Krieg in Kontinentaleuropa anwenden, einsetzen.“ (9)

Die entscheidende Veränderung des Kräftegleichgewichtes zwischen den Imperialismen der Alliierten und denen der Achsenmächte fand während des Jahres 1943 statt, als der Sieg der Alliierten immer sicherer schien. Der sowjetische Sieg bei Stalingrad und deren Vormarsch nach Osteuropa zwang die ImperialistInnen, mit der Verhandlungsstärke der Sowjetunion innerhalb des antideutschen Bündnisses fertigzuwerden. In Teheran wurde späteren Aufteilungen nach Kriegsende – mit Ausnahme einer allgemeinen Übereinkunft zur Aufteilung Deutschlands – nur wenig Beachtung geschenkt. Stalin sagte: „Gegenwärtig gibt es keine Notwendigkeit, über irgendwelche sowjetischen Wünsche zu sprechen. Aber wenn die Zeit kommt, werden wir sprechen.“ (10)

Roosevelt verließ die Konferenz, davon überzeugt, dass der
UdSSR nach dem Krieg einige taktische Zugeständnisse gemacht werden müssten.
Erst als die Niederlage Deutschlands sicher und die Rolle, die die UdSSR bei
dieser Niederlage spielen würde, den USA klar war, wurden derartige taktische Konzessionen
überhaupt in Erwägung gezogen. Roosevelt bekannte nach seiner Rückkehr von der
Konferenz in Jalta im Januar 1945 vor einer Gruppe von SenatorInnen:

„Die Besatzungstruppen hatten die Macht in den Gebieten, wo ihre Waffen gegenwärtig waren, und die anderen konnten keine Entscheidung erzwingen. Die RussInnen hatten in Osteuropa die Macht. Der einzige praktische Weg war, was wir an Einfluss besaßen, zur Verbesserung der Situation zu benutzen.“ (11)

Sogar zu diesem Zeitpunktpunkt der Schwäche machten die
ImperialistInnen der UdSSR keine vorbehaltlosen Konzessionen.

Angesichts dieser Aussichten war der Kreml mit einigen
akuten Problemen konfrontiert, die in der internationalen Politik einen
Rechtsschwenk erforderten. Das Hauptproblem bestand in der wachsenden Flut
einer antikapitalistischen Erhebung und ihrer Eindämmung in ganz Europa – einer
Bewegung, die weitgehend außerhalb der Kontrolle der Sowjetbürokratie lag oder
der Kontrolle der einheimischen StalinistInnen zu entgleiten drohte.

Aber die sowjetische Führung musste ebenso vor der
strategischen Bedrohung seitens des anglo-amerikanischen Imperialismus auf der
Hut sein. Wenn auch ein taktisches Bündnis mit diesem Block durch die Drohung
des deutschen Imperialismus notwendig geworden war, so trat mit deren Abklingen
die Drohung einer anglo-amerikanischen Aggression wieder in den Vordergrund. Es
war für Stalin entscheidend, Schritte zur Vorbereitung gegen diese Bedrohung zu
unternehmen.

Derartige taktische Zugeständnisse an den Kreml wurden von Teilen der herrschenden Klasse der USA abgelehnt. Der amtsführende Staatssekretär für den Großteil des Jahres 1945 war Joseph Grew, ein Kriegstreiber, der bereits im Dezember 1944 am Vorabend von Jalta behauptet hatte: „Es wäre viel besser und sicherer, den Showdown zu haben, bevor Russland sich wieder erholen und seine gewaltige potentielle Militär-, Wirtschafts- und Territorialmacht entwickeln kann.“ (12)

Auf der Potsdamer Konferenz im Juni/Juli 1945 wurden die Details der Nachkriegsordnung abgestimmt. Während dieser Konferenz zündeten die USA in New Mexico die erste Atombombe. Die Existenz der Bombe sollte die Forderung des US-Imperialismus nach einem sowjetischen Vorgehen gegen Japan nach Einstellung der Kriegshandlungen in Europa überflüssig machen und das Kräfteverhältnis innerhalb der Alliierten zuungunsten der Sowjetunion verändern. Churchill zeigte sich – im Namen des britischen Imperialismus – entzückt über diese neue Waffe. Ehe die Nachrichten über seine Wahlniederlage im Juni ihn zur Abreise aus Potsdam zwangen, schrieb er: „Wir haben jetzt etwas in den Händen, das das Gleichgewicht mit den Russen verändern wird. Das Geheimnis dieser Bombe und die Macht, sie zu verwenden, werden das diplomatische Gleichgewicht, das seit der Niederlage Deutschlands aus dem Lot geraten war, vollkommen verändern.“ (13) Dazu war Churchill noch entschlossen, die deutsche Armee als Bollwerk gegen die UdSSR unversehrt zu lassen.

Im Bewusstsein dieser potentiellen Bedrohung erkannte Stalin
die unbedingte Notwendigkeit des schnellstmöglichen Wiederaufbaus der
verwüsteten Wirtschaft, um sowohl im Inneren gegenüber der ArbeiterInnenklasse
wie auch nach außen gegenüber der imperialistischen Gefahr seine Sicherheit
zurückzugewinnen. Um auf den Kreml Druck auszuüben, wurde die „lend-lease“-Hilfe
an die UdSSR im Juni 1945, unmittelbar vor Potsdam, eingestellt. Die USA
verfolgten nun eine wesentlich härtere Linie hinsichtlich künftiger
Reparationsleistungen. Beide Maßnahmen sollten dazu dienen, die UdSSR dafür zu
bestrafen, dass sie die Grenzen des Abkommens von Jalta angeblich überschritten
hätte. Dementsprechend waren denn auch in Potsdam die Reparationsforderungen
der springende Punkt, da Stalin fest dazu entschlossen war, Deutschland die
Kriegskosten bezahlen zu lassen. Schließlich wurde in einem gemeinsamen
Übereinkommen besiegelt, dass im von der UdSSR besetzten Gebiet jegliche
Reparationsforderungen gewährleistet seien.

Stalinistische Wiederaufbaupolitik nach dem Krieg

Zieht man die entscheidende Bedeutung der vielfältigen
Bedrohungen für die Existenz einer stabilen parasitären Kaste in der UdSSR und
den internationalen Charakter dieser Schwierigkeiten in Betracht, so war das
Überleben des Stalinismus untrennbar mit der politischen Konsolidierung seiner
militärischen Expansion in Osteuropa verbunden. Die Expansion des Stalinismus
war durch eine Reihe besonderer Eigenheiten gekennzeichnet.

Der Stalinismus fürchtete vor allem die Gefahr einer
wirklichen proletarischen Revolution. Dementsprechend wurde die Ausweitung
seines politischen Einflusses auf eine Weise erreicht, die die Interessen der
ArbeiterInnenklasse denen der Bürokratie, und damit dem Imperialismus,
unterordnete. Die reaktionäre, utopische Theorie des „Sozialismus in einem
Land“, das Glaubensbekenntnis der stalinistischen Bürokratie, führt
programmatisch zur illusionären Strategie der globalen „friedlichen Koexistenz“
mit dem Imperialismus. Die Interessen der ArbeiterInnenklasse wurden auf dem
Altar dieser Strategie geopfert.

Unter außergewöhnlichen Umständen kann jedoch die „Entspannungsstrategie“
mit dem Kapitalismus auf Weltebene gemäß ihrer eigenen Logik zu dessen
Abschaffung im lokalen Rahmen führen. Mit anderen Worten: Der allgemeine
Wunsch, mit dem Privateigentum ein friedliches Nebeneinander zu ermöglichen,
führt unter gewissen, örtlich beschränkten Umständen zur Abschaffung des
Privateigentums, sobald sich dies für den Stalinismus als unvermeidbar erweist.
Dies sollte das Endergebnis in den meisten Gebieten darstellen, welche die
Sowjetunion bei Kriegsende besetzt hielt.

Aber diese Abschaffung des Kapitalismus findet nur dann
statt, wenn das „Entspannungsverhältnis“ für die stalinistische Bürokratie
äußerst unvorteilhaft geworden ist. Sie findet nur statt, um die „friedliche
Koexistenz“ mit dem Imperialismus auf Weltebene auf einer festeren Grundlage
wiederherzustellen. (14) Sie beweist keineswegs, dass der Stalinismus zu einem
revolutionären Faktor geworden war.

Die ehemaligen „Achsen-Länder“ wie Bulgarien, Rumänien und
Ungarn wurden zuerst und am härtesten getroffen – unmittelbar nach ihrer
Besetzung wurden 70 % ihrer Industriemaschinen demontiert. In Ungarn
wurden 1945 ca. 90 % der Industriekapazität in der Metallverarbeitung und
im Maschinenbau demontiert. In Rumänien wurde zwischen dem 23. August und dem 12.
September 1944 Maschinerie im Wert von 2 Milliarden Dollar beschlagnahmt
einschließlich der gesamten Kriegsmarine, des Großteils der Handelsflotte, der
Hälfte der Eisenbahneinrichtungen und der Erdölindustrie. In Polen, der
Tschechoslowakei und Jugoslawien wurden zwischen 15 und 25 % der
Industriebestände abtransportiert. 60 große Industrieunternehmen wurden so
allein im Sudetenland abgebrochen. Dazu kam noch, dass jährlich bis zu
30 % des Bruttonationalproduktes der besetzten Länder vom Kreml eingezogen
wurden.

In der Theorie sollte diese „gemischte Wirtschaft“ zu
gleichen Teilen aus Kapitalanteilen der Sowjetunion und der einheimischen
Bourgeoisie gebildet werden. In Wirklichkeit war jedoch nur herzlich wenig von
einer tatsächlichen russischen „Beteiligung“ zu sehen. So verschwanden denn
unter diesem Deckmantel Unmengen an Rohstoffen und Energielieferungen in die
UdSSR wie etwa das rumänische und iranische Erdöl, Bauxit aus Jugoslawien –
ohne entsprechende Gegenleistungen. (15)

Wir müssen uns an Trotzkis Warnung erinnern, dass die
unstillbare Gier der Bürokratie und ihr Wunsch, ihre Privilegien und ihr
Prestige über andere Territorien auszudehnen, ein Faktor bei jeder Expansion
sein wird. Es wird jedoch immer nur ein nebensächlicher Faktor sein, da dies
allein für den Stalinismus keinen ausreichenden Grund darstellt, sein
Übereinkommen mit dem Imperialismus aufzukündigen, oder die Möglichkeit, eine
ungewollte revolutionäre Aktion der unterdrückten Massen zu entfesseln.

In Osteuropa war die von der stalinistischen Bürokratie
verfolgte politische Strategie bei Kriegsende – und das ihr zugrunde liegende
Motiv – im Wesentlichen überall gleich. In jedem dieser Länder wurden die
Niederlage und der Rückzug des deutschen Imperialismus von potentiell
revolutionären Mobilisierungen der ArbeiterInnen in Stadt und Land und der
Bauern/Bäuerinnen begleitet. Obwohl ihrer Ausrichtung nach antikapitalistisch,
blieben die Massen ohne eine revolutionäre, trotzkistische Führung. Die
Dominanz des einheimischen Stalinismus war von Land zu Land sehr verschieden,
was die Avantgarde dieser Massenkämpfe angeht.

Die Tschechoslowakei war am Vorabend des Krieges das einzige
Land Osteuropas mit dem Anschein bürgerlicher Demokratie. Das ermöglichte es
der KPTsch, relativ offen tätig zu sein. An ihrem Tiefpunkt hatte die KPTsch
etwa 24.000 Mitglieder. Bei Wahlen war sie jedoch immer imstande, bis zu
450.000 Stimmen zu erzielen, auch wenn sie nur 12 % der
Gewerkschaftsmitglieder kontrollierte. Sie überdauerte die deutsche Besetzung
trotz scharfer Repression im Untergrund, um im Mai 1945 im tschechischen Teil
allein mit einer Mitgliederzahl von 27.000 neu zu entstehen. Im Januar 1946
zählte sie bereits 1.159.164 Mitglieder.

Andererseits gab es die polnische KP, die unter den
Säuberungen Stalins am meisten gelitten hatte. Sie war de facto liquidiert
worden, 12 ihrer ZK-Mitglieder wurden hingerichtet. Als sie 1941, nach dem
gewaltsamen Bruch des Hitler-Stalin-Paktes (in dessen Vorbereitung ihre
Mitglieder von Stalin massakriert worden waren) wieder gegründet wurde, wies
sie 1942/43 nur eine winzige Mitgliedschaft von 4.000 auf.

Doch letztlich wurde die Schwäche einiger stalinistischer
Parteien durch die Kontrolle über die Staatsmacht durch die Rote Armee
wettgemacht. Angesichts der sporadischen und von einander isolierten
Widerstandsbewegungen in Osteuropa war die Hauptkraft bei der Vertreibung des
deutschen Imperialismus die Rote Armee gewesen – d. h. der bewaffnete
Flügel der Kreml-Bürokratie. Seit 1944 wurde die Niederlage des deutschen
Imperialismus von der gezielten Zerstörung der eigenständigen
antifaschistischen und antikapitalistischen Bewegungen der osteuropäischen
Massen durch die Rote Armee selbst begleitet. Überall beschützten die
StalinistInnen die Herrschaft der Bourgeoisie in der Wirtschaft (in einigen
Fällen führten sie sie neuerlich ein) und verhinderten die Enteignung des
Privateigentums durch die ArbeiterInnen oder Bauern/Bäuerinnen. Dort, wo die
ArbeiterInnen Fabriken besetzt und in eigene Leitung übernommen hatten, wurde
die Verstaatlichung als ein Mittel benutzt, um ihnen die direkte Kontrolle über
die Produktion wieder zu entziehen.

Molotows Warnungen an die bulgarische ArbeiterInnenklasse waren typisch für diese Zeiten: „Wenn gewisse KommunistInnen ihr derzeitiges Verhalten beibehalten, werden wir sie zur Vernunft bringen. Bulgarien wird weiterhin unter seiner demokratischen Regierung und nach der derzeitigen Ordnung bleiben.“ (16) Hinsichtlich Bulgariens vermeldete das bürgerliche Blatt „Le Monde“ im Juni 1946 erfreut: „Mehr noch, die Vaterländische Front war fähig, eine sichere Wirtschaftslage zu bewahren und die finanzielle Stabilität des Landes zu schützen.“

Auch das „Genfer Journal“ hatte bereits einen Monat zuvor in Hinblick auf Ungarn gejubelt: „Wo immer sie können, blockieren und opponieren die RussInnen eine/r Übernahme der großen Industrieunternehmen in ein neues staatliches System.“ In Rumänien wurde der Nazi-Kollaborateur und Erdölmagnat Tatescu von der KP als Nationalheld gefeiert. Sogar der diskreditierte rumänische Monarch, König Michael I., wurde auf den Thron zurückgeholt und von Stalin ausgezeichnet. (17)

Wie auch in anderen besetzten Ländern Osteuropas besaß die
deutsche Bourgeoisie z. B. in der Tschechoslowakei einen Großteil des
Kapitals. 1945 befanden sich 60 % der Industrie und de facto das gesamte
Finanzwesen in der Tschechoslowakei in deutschen Händen. Nach dem Abzug der
faschistischen Besatzungsmacht errichteten die Arbeiterinnen und Arbeiter im
ganzen Land ihre Kontrolle über die Produktion. Diese ArbeiterInnenräte bauten
eine landesweite Verwaltungsstruktur auf, die anzuerkennen die Regierung Benes
sich gezwungen sah. Kurz danach gab es bereits an die 10.000 landesweit
organisierter ArbeiterInnenverwaltungen, die über 75 % der
IndustriearbeiterInnen vereinten. Die Verstaatlichung der Betriebe und die
schrittweise Einsetzung staatlicher FunktionärInnen als BetriebsleiterInnen war
der einzige Weg – neben einer gewaltsamen Lösung –, um diese revolutionäre
Situation zu entschärfen. (18)

Gleichzeitig gab es beträchtlichen Druck seitens der ArbeiterInnenklasse in Richtung auf eine Verstaatlichung, da die Meinung vorherrschte, dies würde das Ende kapitalistischer Ausbeutung bedeuten. Als Ergebnis dessen verfügten dann die Verstaatlichungsdekrete vom Oktober 1945, dass 62 % der ArbeiterInnenklasse in der Staatsindustrie beschäftigt sein würden – bei einem Anteil der verstaatlichten Industrie von insgesamt nur 16 % aller Betriebe der Tschechoslowakischen Republik. Dies bedeutete nicht die Enteignung der gesamten Kapitalistenklasse durch die tschechischen ArbeiterInnen. Im Gegenteil, die KPTsch erklärte offen: „Unter Verstaatlichung verstehen wir die Überführung des Eigentums Deutscher, Ungarn, der VerräterInnen und KollaborateurInnen in die Hände der tschechischen und slowakischen Nation.“ (19) Ein anderes Verstaatlichungsdekret war noch freimütiger, als es erklärte, dass die Unternehmen nach den Prinzipien des Geschäftswesens, der Betriebsunabhängigkeit, des Profits und des freien Wettbewerbs geführt werden sollten. (20)

Der diesbezüglich über jeden Verdacht erhabene bürgerliche
Staatspräsident der ersten tschechischen Nachkriegsregierung, Benes, umriss
diese Position klar in einem Interview mit dem „Manchester Guardian“ im
Dezember 1945: „Die Deutschen übernahmen einfach die Kontrolle über alle
wichtigen Industrien und über alle Banken (…) Auf diese Weise bereiteten sie
automatisch das Wirtschafts- und Finanzkapital unseres Landes auf die
Verstaatlichung vor. Diesen Besitz und die Banken wieder in die Hände
tschechischer Privatleute zu übergeben oder ihn ohne beträchtliche staatliche
Unterstützung und neue finanzielle Garantien zu konsolidieren, war einfach
unmöglich. Der Staat musste eingreifen.“

1944–1947: Doppelmacht in Osteuropa

Auf Staatsebene diente die Rote Armee dazu, die Formen des
mit der bürgerlichen Herrschaft verbundenen Verwaltungs- und
Repressionsapparates zu stabilisieren oder wiederherzustellen: eine
Zentralregierung in den Händen einer abgehobenen und nicht
rechenschaftspflichtigen Exekutivgewalt; die innere und äußere Sicherheit in
den Händen einer stehenden Armee zentral zusammengefasst – über und gegen die
Masse der direkten ProduzentInnen. Angesichts des in hohem Grad verstaatlichten
Charakters der Eigentumsverhältnisse in diesen Ländern und der daraus sich ergebenden
Schwäche individueller RepräsentantInnen des Kapitals in der Wirtschaft war es
für den Stalinismus besonders wichtig, mit den VertreterInnen der Bourgeoisie
in führenden und entscheidenden Positionen Koalitionsregierungen zu bilden.

In Bulgarien fanden 1945 vermutlich 20.000 politische
Hinrichtungen statt. Nichtsdestotrotz saß der populäre Führer der Agrarischen
Volksunion, Nikola Petkow, in der Regierung. Im November fanden Wahlen statt –
mit dem Ergebnis einer überwältigenden Mehrheit für die „Vaterlandsfront“, eine
Koalition aus KP und bürgerlichen NationalistInnen unter Vorsitz des streng
antikommunistischen Premiers Kimon Georgiew.

In Rumänien wurde die erste Regierung nach der Niederlage
der Deutschen von der Nationalen Bauern-/Bäuerinnenpartei und den
Nationalliberalen im September 1944 gebildet – mit dem Justizminister
Patrascanu als einzigem Stalinisten im Kabinett. Die Machenschaften und die
brutale Gewalt der Roten Armee in den folgenden Monaten zielten darauf ab, die
zwei großen bürgerlichen Parteien (den „Nationalliberalen Block“) zu entfernen
und durch eine Regierung der „Nationaldemokratischen Front“ (NDF) zu ersetzen,
die aus der KP, den SozialdemokratInnen, der „Union der PatriotInnen“ und der
„LandarbeiterInnenfront“ bestand. Eine derartige Regierung wäre dem Kreml sehr
freundlich gesinnt gewesen. In dieser Periode diktierte der Beauftragte
Moskaus, A. J. Wyschinski, dem rumänischen König den Ablauf der Ereignisse.
Schließlich wurde nach bewaffneten Demonstrationen im März 1945 eine Regierung
der NDF etabliert, in der die NDF 17 MinisterInnen stellte – und drei
Wirtschaftsministerien an einen Erdölmagnaten gingen, der auch als
Außenminister fungierte. Diese Maßnahmen dienten dazu, die „demokratische“
Bourgeoisie einzubinden.

Ein ähnlicher Kampf fand auch in Polen statt: zwischen der
im Londoner Exil ansässigen und von Großbritannien und den USA gestützten
Gruppe polnischer NationalistInnen unter Führung des Chefs der
Bauern-/Bäuerinnenpartei, S. Mikolajczyk, und dem sowjetisch unterstützten
„Lubliner Komitee“. In jedem dieser Fälle dürfen die Säuberungen,
Einschüchterungen und die Liquidation prominenter bürgerlicher PolitikerInnen
nicht als eine vollkommene Eliminierung bürgerlicher Herrschaft verstanden
werden, sondern als Maßnahmen zur Zerschlagung bürgerlicher Parteien mit
starken Wurzeln und Anhang in der eigenen Bevölkerung und zu deren Ersetzung
durch andere bürgerliche Kräfte, die über eine zu geringe Basis verfügten, um
den Absichten des Kremls Widerstand leisten zu können, die aber gleichzeitig
dazu dienten, die Wirtschaft auch gemäß den Interessen der einheimischen
Bourgeoisie zu leiten – und die sogar auf die Hilfe des Imperialismus zählen
konnten.

In jedem dieser Länder war der Staatsapparat in der letzten Kriegsperiode mehr oder weniger im Zerfall begriffen gewesen. Während die stalinistische Bürokratie die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen davon abhielt, ihren eigenen neuen Staatsapparat – basierend auf demokratischen Räten und einer ArbeiterInnenmiliz – zu schaffen, und die Kontrolle der Bourgeoisie in der Wirtschaft wieder aufrichtete, blieben die Schlüsselstellen des aus seinen Ruinen wiederauferstandenen Staatsapparates fest im Griff der Roten Armee und ihrer jeweiligen politischen StellvertreterInnen und Verbündeten. M. Rákosi, Ungarns KP-Chef, sprach für alle seine Gesinnungsgenossen und -genossinnen in Osteuropa zu dieser Zeit: „Es gab eine Position, deren Kontrolle von unserer Partei von der ersten Minute an beansprucht wurde. Eine Position, bei der die Partei nicht geneigt war, eine Postenverteilung welcher Art auch immer gemäß der Stärke der Parteien in der Koalition in Erwägung zu ziehen. (Diese Position) war die Staatssicherheit (…) Wir hielten diese Organisation vom ersten Tag ihrer Errichtung in unseren Händen.“ (21)

Doch es war Ungarn, wo die StalinistInnen die meisten
Konzessionen in dieser Frage machen mussten. Die Koalition, die aus den Wahlen
im Oktober 1945 hervorgegangen war, zerstritt sich heftig über die Besetzung
der Ministerien. Schließlich sicherte Imre Nagy für die KP das
Innenministerium, aber die Zuständigkeit für die Polizei musste an die
KleinlandwirtInnenpartei abgetreten werden. Doch sonst behielten die
stalinistischen KPen überall auch das Verteidigungsministerium – mit Ausnahme
der Tschechoslowakei, was hier wiederum die relative Stärke der Bourgeoisie in
diesem Lande widerspiegelte. Ebenso wurden überall die Schalthebel der
bewaffneten Staatsmacht dazu benutzt, um GegnerInnen einzuschüchtern, Wahlen zu
fälschen und die Politik in die gewünschten Bahnen zu lenken.

Das Ergebnis war eine Doppelmachtsituation in Osteuropa, die
das Kräfteverhältnis zwischen der Weltbourgeoisie und der UdSSR widerspiegelte.
Die politische Macht war zwischen dem Stalinismus und der Bourgeoisie geteilt.
Die stalinistischen KPen besaßen das Monopol auf den Unterdrückungsapparat,
aber die Bourgeoisie war in den politischen Überbau durch ihre Kontrolle der
Staatswirtschaft einbezogen. Nirgendwo trat dies klarer an den Tag als in der
Tschechoslowakei. Die deutschen Truppen waren erst sehr spät – im Mai 1945 –
endgültig aus Prag vertrieben worden. Die erste Nachkriegsregierung wurde aus
einer Koalition von vier bürgerlichen Parteien und zwei bürgerlichen
ArbeiterInnenparteien (der KP und den SozialdemokratInnen) gebildet. Unter
ihnen erschien die KPTsch als die stärkste, die dementsprechend als erste unter
den 22 Ministerien wählen konnte, die zu gleichen Teilen unter den
Koalitionspartnerinnen verteilt werden sollten. Die KPTsch nahm sich das
Innen-, das Informations- und das Landwirtschaftsministerium und überließ die
Wirtschaftsministerien der Bourgeoisie.

Wenn wir diese Periode als Doppelmachtsituation definieren, können wir auch ihre Instabilität und ihre Entwicklung verstehen. In Osteuropa bestand die Doppelmacht aus einem Pakt zwischen dem Stalinismus und der Bourgeoisie. Dieser Pakt war für die Bourgeoisie dieser Länder notwendig, da sie geschwächt und von den stalinistischen KPen bei der Bewahrung des Privateigentums abhängig war. Er war notwendig für den Stalinismus, da die Bürokratie in den Jahren 1945–1947 das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufrechterhalten wollte, um ihr Abkommen mit dem Imperialismus zu erfüllen und dafür von den USA Wirtschaftshilfe zu erlangen. Die Doppelmacht war für den Stalinismus auch nötig, um die unabhängige Aktivität der ArbeiterInnenklasse zu zerschlagen. Trotzki nahm die Form einer derartigen Doppelmacht als Möglichkeit vorweg, als er die Erfahrungen der bürgerlichen Revolutionen in England und Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert heranzog: „Die Spaltung der Staatssouveränität kündigt nichts Geringeres an als den Bürgerkrieg. Aber ehe die streitenden Parteien bis zum Äußersten gehen wollen – insbesondere, wenn sie das Eingreifen einer dritten Kraft befürchten – können sie sich für eine recht lange Zeit gezwungen sehen, ein System der Doppelmacht zu erdulden, ja sogar zu billigen.“ (22)

Die Koalitionsregierungen in Osteuropa von 1945 waren das
Ergebnis der Billigung beider Parteien für die vorhandene Spaltung der
Staatssouveränität. Diese Regierungen besaßen in unterschiedlichem Ausmaß
bonapartistischen Charakter. Das war in geringerem Umfang dort der Fall, wo
einheimische Bourgeoisie und Stalinismus wirkliche gesellschaftliche Kräfte
repräsentierten (wie in der Tschechoslowakei), und wesentlich stärker dort der
Fall, wo die neue Regierungsform nur auf geringe bodenständige Grundlagen
verweisen konnte wie etwa im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands.

Die Fähigkeit des Stalinismus, die Doppelmachtsituation nach
1948 zu lösen, ohne den Bürgerkrieg heraufzubeschwören, erklärt sich aus seiner
Dominanz innerhalb dieser Regierungen. Denn Doppelmacht heißt nicht, dass beide
Seiten notwendigerweise gleich stark sein müssen. Die Präsenz sowjetischer
Truppen und der in Osteuropa errichtete Polizeiapparat bedeuteten, dass die
Unterdrückungsmaschinerie sich ausschließlich in den Händen der stalinistischen
Bürokratie befand. Sie war daher imstande, diese Macht zu benutzen, um die
Doppelmacht sozusagen auf „stille“ Weise aufzulösen, als der Weltimperialismus
gegen sie vorzugehen begann.

Volksfront und bürgerliche ArbeiterInnenregierungen

Aufgrund ihrer Beziehungen zu den Streitkräften der UdSSR
waren innerhalb dieser Koalitionsregierungen in ganz Osteuropa die
stalinistischen KPen die entscheidenden Kräfte. (23) Der Aufrechterhaltung des
Privateigentums und der Beruhigung der Massen zum Zweck ihrer weiteren
Ausbeutung verschrieben, handelten sie entweder in der Form einer Volksfront
mit der Bourgeoisie (wie in der CSR) oder in der besonderen Form einer
bürgerlichen ArbeiterInnenregierung. Diese Parteien, die in der einheimischen
ArbeiterInnenklasse Wurzeln gefasst hatten, aber ihre Macht der
Sowjetbürokratie verdankten, erarbeiteten die Regierungspolitik als Produkt
eines Abkommens zwischen drei Kräften: dem Weltimperialismus, der eigenen
Bourgeoisie und der Kreml-Bürokratie.

Diese beiden von den stalinistischen Parteien errichteten
Regierungsformen wiesen aber Unterschiede auf. Eine Volksfront ist eine offene
Koalition von bürgerlichen Parteien und ArbeiterInnenparteien, während eine
bürgerliche ArbeiterInnenregierung eine versteckte Koalition darstellt, die im
Interesse und anstelle der Bourgeoisie regiert. Ihrem Wesen nach dienen jedoch
beide dazu, die ArbeiterInnenklasse davon abzuhalten, die Macht selbst zu
ergreifen und auszuüben.

Bezüglich einer bürgerlichen ArbeiterInnenregierung bemerkte die Komintern zu Recht, dass sie „ein Mittel ist, um das Proletariat über den wirklichen Klassencharakter des Staates zu täuschen oder um mit der Hilfe korrupter ArbeiterführerInnen die revolutionäre Offensive des Proletariats abzuwehren und so Zeit zu gewinnen.“ (24)

Ganz ähnlich die Volksfront, wie Trotzki im Hinblick auf ihre Rolle bei der Demobilisierung der französischen ArbeiterInnenklasse 1936 hervorhob: „Die Volksfront in Frankreich übernahm die gleiche Aufgabe wie die so genannte ,Koalition‘ aus KadettInnen, Menschewiki und SozialrevolutionärInnen in Russland im Februar 1917 – die Revolution in ihrem ersten Stadium zu stoppen.“ (25)

Er fuhr fort und wies darauf hin, dass die Volksfront ebenso wie die bürgerliche ArbeiterInnenregierung das wirkliche Wesen der bürgerlichen Herrschaft vor den ArbeiterInnen verbarg: „Die ArbeiterInnen wurden dieser Instrumente (der Partei und der Räte) beraubt, weil die FührerInnen der ArbeiterorInnenganisationen um die bürgerliche Macht einen Schutzwall bildeten, um sie zu verschleiern, sie unsichtbar und unverwundbar zu machen. So fand sich die Revolution, die begonnen hatte, selbst gebremst, gefesselt, demoralisiert.“ (26)

Die bürgerlichen ArbeiterInnenregierungen und Volksfronten
spielten in Osteuropa genau die gleiche Rolle. Die Bourgeoisie war zu diesem
Zeitpunkt äußerst verwundbar. Ihre bewaffnete Macht war bedeutungslos. Ihr
fehlte ebenso eine entscheidende Hilfe seitens des Imperialismus. Der Vormarsch
der Roten Armee hatte die Erwartungen und die Aktivitäten der Massen beflügelt.
Überall existierte die objektive Möglichkeit, die zusammengebrochene Macht der
Bourgeoisie durch die wirkliche Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter zu
ersetzen. Eine derartige Entwicklung hätte jedoch für die Kremlbürokratie einen
tödlichen Schlag bedeuten können, weil sie auch die eigene ArbeiterInnenklasse
animiert hätte, sich gegen die bürokratische Diktatur zu erheben. Daher
regierte der Stalinismus, statt der Bourgeoisie den Todesstoß zu versetzen, in
ihrem Namen in einer besonderen Form der bürgerlichen ArbeiterInnenregierung
(wie in Ostdeutschland) oder er nahm die gleiche Bourgeoisie und deren Parteien
in offene Volksfrontkoalitionen auf (wie in der Tschechoslowakei und in
Rumänien).

Die von den KPen innerhalb der bürgerlichen ArbeiterInnenregierungen und Volksfronten ausgeübte Vormachtstellung veränderte keineswegs deren Charakter. Sie veränderte jedoch den Verlauf der Entwicklung, den diese notwendigerweise nur vorübergehenden Regierungsgebilde nahmen. Die bürgerliche ArbeiterInnenregierung konnte – wie es die Komintern vorausgesehen hatte – „objektiv helfen, den Zerfallsprozess der bürgerlichen Macht zu beschleunigen.“ (27) Dank der geänderten Politik des Imperialismus und der Vormachtstellung des Stalinismus wurde diese objektive Möglichkeit verwirklicht. Die Volksfronten wurden von Regierungen abgelöst, in denen die stalinistischen KPen über die absolute Kontrolle verfügten. Der Stalinismus war fähig, mit seinen schwächeren Koalitionspartnerinnen zu brechen, als die Hauptgefahr für ihn eher vom Imperialismus als von einer eigenständigen proletarischen Revolution, zu deren Eindämmung gerade die Volksfront gedient hatte, drohte.

Die Verstaatlichungen der Koalitionsperiode waren das
Ergebnis eines Abkommens zwischen Stalinismus und Bourgeoisie, den Besitz der
Achsenmächte und ihrer KollaborateurInnen zu nationalisieren. Die Landreform
betraf nur die größten Güter. Diese Landreform fand gewöhnlich in den ersten
Monaten nach der Befreiung vom Faschismus statt, sie war jedoch von Land zu
Land sehr ungleich und immer unzureichend. Angesichts des Gewichts der auf der
Bauern-/Bäuerinnenschaft basierenden Parteien in den Nachkriegsregierungen, der
Flucht vieler GroßgrundbesitzerInnen im Gefolge des deutschen Rückzugs und der
gewaltigen Beteiligung der Bauern-/Bäuerinnenschaft an den verschiedenen
Partisanenbewegungen war zu erwarten, dass eine beträchtliche Bewegung
entstehen würde, die auf eine Landaufteilung drängte. Dazu erforderte noch die
unmittelbare Notwendigkeit gesteigerter Lebensmittelproduktion, den
Bauern/Bäuerinnen einen Anreiz dazu zu bieten. Die tiefgreifendsten Reformen
fanden in Ungarn statt, wo der Landbesitz auf 1,42 Hektar beschränkt wurde.

In Rumänien wurde jeder Landbesitz über 500 Hektar
aufgeteilt. Tausende Bauern/Bäuerinnen wurden durch diese Reformdekrete
begünstigt, aber die sozialen Bedingungen ihrer Existenz blieben unverändert.
Dies auch deswegen, weil die Rote Armee den besten Teil des
landwirtschaftlichen Maschinenparks in die UdSSR als Reparationsleistung
überführte und – schlimmer noch – die traditionelle Verschuldung der
Kleinbauern/-bäuerinnen an WucherInnen und Banken unangetastet blieb.

Es ist klar, dass der Kreml und die jeweiligen osteuropäischen Kommunistischen Parteien zwischen 1945 und 1947 alles taten, um die Situation der Doppelmacht durch die Schaffung von der UdSSR freundlich gesinnten kapitalistischen Regimes zu lösen. Zu diesem Zweck versuchten sie, den alten Staatsapparat zu erhalten bzw. wieder aufzubauen. Einzig diese Staatsapparate hätten den dauernden Schutz des bürgerlichen Eigentums garantieren können. Daher können in der Periode der Doppelmacht die Staaten Osteuropas als im Wesentlichen noch kapitalistische Staatswesen verstanden werden. Diese allgemeine Aussage ist jedoch ungenügend zur Erklärung der Dynamik einer Situation der Doppelmacht, die ja ihrem Wesen nach nur vorübergehend sein kann und dem Staat selbst einen widersprüchlichen und provisorischen Charakter verleiht. Trotzki wies mit Blick auf Russland nach der Februarrevolution 1917 (also noch vor der Oktoberrevolution) darauf hin: „Wenn der Staat eine Organisation der Klassenherrschaft und eine Revolution der Sturz der herrschenden Klasse ist, dann muss die Übergabe der Macht von einer Klasse an die andere notwendigerweise sich selbst widersprechende Bedingungen für den Staat schaffen – und dies vor allem in Form der Doppelmacht.“ (28)

Das Ziel des Stalinismus bestand darin, die Lösung der
Doppelmacht in Richtung auf eine wirkliche Revolution zu verhindern. Dabei gab
es nur zwei Möglichkeiten: Entweder konnten die KPen einen kapitalistischen
Staat vollkommen wiedererrichten und ihm die Macht abtreten – ein politischer
Kurs, der damit geendet hätte, dass die wieder voll an die Macht gelangten
KapitalistInnen sie aus der Regierung geworfen hätten, um sie danach zu
bekämpfen – gegebenenfalls bis zur Vernichtung wie in Vietnam nach 1945.

Oder aber die stalinistische Bürokratie wäre in der Lage,
eine bürokratische Revolution durchzuführen, die von Anbeginn das Proletariat
vom direkten Zugang zur Macht ausschließen würde wie in den baltischen
Republiken und in Ostpolen zu Beginn des Weltkriegs. Die Möglichkeit beider
Alternativen für den Stalinismus bedeutete für die osteuropäischen Staaten der
Nachkriegszeit bis 1947 genau diesen widersprüchlichen Charakter. Die
StalinistInnen bezogen Teile der Bourgeoisie wieder in den Staatsapparat ein,
aber ihre Furcht vor einem neuerlichen Eindringen des Imperialismus in ihre
erst frisch geschaffene „Pufferzone“ brachte sie dazu, die Bourgeoisie von
jeglicher Kontrolle über den bewaffneten Arm der Staatsmacht, Polizei und
Armee, auszuschließen.

Das heißt jedoch nicht, dass diese Staaten unmittelbar mit
dem Einmarsch der Roten Armee zu degenerierten ArbeiterInnenstaaten geworden
wären. Wir bestimmen weder Form noch Inhalt eines Staates nach der sozialen
oder politischen Zusammensetzung der Staatsbediensteten und FunktionärInnen.
Dass die stalinistischen FunktionärInnen großteils von nachkapitalistischen
Eigentumsverhältnissen abhängig waren, aber selbst kapitalistische
Eigentumsverhältnisse verteidigten, unterstreicht nur den widersprüchlichen und
provisorischen Charakter der Periode von 1944 bis 1947.

Trotzki bemerkte übrigens noch kurz vor seinem Tod, dass wir
unser Verständnis des Stalinismus revidieren müssten, sollte die stalinistische
Bürokratie imstande sein, in von ihr politisch beherrschten Ländern friedlich
neben kapitalistischen Eigentumsverhältnissen zu bestehen. (29)

Vom Kompromiss zum Kalten Krieg

Eine nähere Betrachtung von Trotzkis Argumentation in dieser
Frage gestattet uns, die Richtigkeit seiner Analyse zu bestätigen. Trotzkis
Feststellung gründete auf der unleugbaren Tatsache, dass hinsichtlich eines
isolierten ArbeiterInnenstaates der Imperialismus – d. h. der
Imperialismus auf der ganzen Welt – stärker als die UdSSR bleiben würde. Wenn
die stalinistische Bürokratie die Macht behalten wollte, dann könnte ihre
Herrschaft zwangsläufig nur von kurzer Dauer sein, da die einheimische
Bourgeoisie ja die Macht des Imperialismus herbeiholen würde, mit der sie durch
tausenderlei Bande verknüpft war, um die KP, diesen Fremdkörper im bürgerlichen
Staat, wieder zu entfernen.

Auf diese Weise würde eine politische Konterrevolution der
Bourgeoisie die politische Herrschaft des Stalinismus zerstören, und der
Widerspruch innerhalb dieser Gesellschaft wäre zugunsten des Imperialismus
gelöst worden. Aus diesem Grunde musste die stalinistische Vorstellung, unter Anleitung
der KP einen kapitalistischen Staat konsolidieren zu wollen, zwangsläufig eine
Utopie bleiben.

Nur innerhalb dieser Perspektive kann die Situation in
Osteuropa bei Kriegsende verstanden werden. Es war eine Situation, in der
dieser Widerspruch in der Realität existierte – wenn auch nur für kurze Zeit.
Die Stagnation des Welthandels und der Protektionismus im Jahrzehnt vor dem
Krieg gelangten während des Weltkrieges auf ihren Höhepunkt und wirkten bis in
die Nachkriegsperiode hinein. Mit der Ausnahme der Tschechoslowakei hatten alle
osteuropäischen Länder in den 1930er Jahren bonapartistische Regimes erlebt,
ihr Status war der von Halbkolonien.

Ihre wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zum
westlichen Imperialismus waren während des Krieges nachhaltig unterbrochen
worden. Der Rückgang des Welthandels und die Fragmentierung der Weltwirtschaft
hielten bis 1947 an. Die direkten Beziehungen zwischen der Bourgeoisie der
osteuropäischen Länder und dem US-amerikanischen und britischen Imperialismus waren
bei Kriegsende äußerst schwach. Dies wiederum verminderte die Stärke dieser
Bourgeoisien, sich der aufgezwungenen stalinistischen Führung ihrer Länder zu
widersetzen.

Die Unterbrechung der Beziehungen zwischen dem Imperialismus
und seinen jeweiligen AgentInnen war ein höchst instabiler, konjunktureller
Faktor, der den Widerspruch zwischen nationaler Bourgeoisie und Stalinismus
zeitweilig verschwinden ließ. Aber dieser strategische Widerspruch machte sich
1947/1948 erneut heftig bemerkbar, als sich die seit langem erwartete
„Einheitsfront“ der siegreichen Imperialismen – USA, Britannien und Frankreich
– gegen die Rolle der UdSSR in Osteuropa zu wenden begann. Die taktische
Einheitsfront zwischen Imperialismus und Bürokratie, die geschlossen worden
war, um die Möglichkeit einer proletarischen Revolution in Europa zu
verhindern, zerbrach nun in dem Maß, als die Drohung dieser Revolution selbst
immer schwächer zu werden begann. Im Verlauf des Jahres 1946 hatten sich die
Beziehungen zwischen den Westalliierten und der UdSSR schnell verschlechtert.

1946 markierte eine Wende, nämlich den Übergang von der
Politik des Kompromisses zur Politik der „Eindämmung“ durch den US-Präsidenten
Truman. Er fand dabei in Churchill einen treuen Verbündeten, der zu einem
Vorkämpfer der „harten Linie“ gegenüber der UdSSR geworden war, seit er den
angeblichen Verrat der Sowjetunion am Abkommen von Jalta entdeckt hatte.
Tatsächlich lässt sich der erste Hinweis auf einen „Eisernen Vorhang“ zwischen
West- und Osteuropa bereits fünf Tage nach der Kapitulation des Deutschen
Reiches vernehmen. Der Begriff selbst stammte bezeichnenderweise noch aus
Goebbels‘ Propagandaministerium. Der denkwürdige Hinweis in einer
entscheidenden Rede Trumans im März 1946 hinsichtlich des „Eisernen Vorhanges“ fasste
dann bereits zusammen, was bald darauf als die Position des „Kalten Krieges“
der USA und Britanniens gegenüber der UdSSR bekannt werden sollte.

Die Gründe für diesen Wechsel des ideologischen Standpunktes
im Jahr 1946 sind nicht schwer zu finden. Die Konferenzen von Jalta und Potsdam
waren zu einer Übereinkunft hinsichtlich der Einflusssphären gelangt, die sich
hauptsächlich auf Mitteleuropa und den Balkan bezogen. Aber die Weigerung der
UdSSR im Februar 1946, ihre Truppen aus dem nördlichen Iran abzuziehen, der von
Molotow erhobene Anspruch auf eine Mandatshoheit über Libyen und das
hartnäckige Beharren der Sowjetunion auf ihrem Recht auf einen Warmwasserhafen
bei den Dardanellen überzeugten den Imperialismus, dass es höchste Zeit sei,
die wachsenden Ansprüche der Kreml-Bürokratie einzudämmen.

Diese imperialistische Offensive wurde von den USA
angeführt; Britannien und Frankreich befanden sich mitten in einer
Wirtschaftskrise und waren unfähig, einen neuen Akkumulationszyklus von sich
aus zu eröffnen. So lag die britische Kohleproduktion 1946 um 20 Prozent unter
dem Stand von 1938, in Westdeutschland betrug sie in diesem Jahr ganze zwei
Fünftel der Vorkriegsproduktion. Gerade wegen der beherrschenden Position
Deutschlands in der Industrieproduktion hatte seine Niederlage einen
verheerenden Effekt auf ganz Europa. 1939 stellte das Deutsche Reich ein
Fünftel der Industrieproduktion Europas – jetzt lag die deutsche Industrie in
Trümmern. Dazu kam noch eine schwere Agrar- und Finanzkrise der europäischen Staaten.
Die europäische Weizenproduktion fiel 1947 auf die Hälfte des Standes von 1938.
1946 lebten an die 125 Millionen Menschen in Europa mit einer Tagesration von
1.000 bis 2.000 Kalorien – und dies sollte sich noch verschlimmern. Eine
Vorstellung von der finanziellen Unsicherheit gewinnt man, wenn man in Betracht
zieht, dass in Frankreich 1946 die Großhandelspreise um 80 Prozent stiegen.
(30)

Das produktive Kapital der USA ging aus dem Krieg gestärkt
hervor. Hinsichtlich der Märkte waren die Produktivkräfte der USA mehr als
ausreichend. Die USA stellten 1945 die Hälfte aller Güter der Welt her. 1946
vereinigten die USA mehr als die Hälfte des internationalen Einkommens auf
sich. Kurz gesagt: die USA hatten eine Position der Beherrschung der
Weltwirtschaft inne, die seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts (damals
besetzte Britannien diesen Platz) keine einzelne imperialistische Macht mehr
eingenommen hat. Der Aufschwung in den USA sah sich jedoch einer entscheidenden
Barriere gegenüber, sollte die Stagnation an den Märkten West- und Osteuropas
andauern.

Stalins Zugriff auf Osteuropa und das Gespenst einer
Revolution im Westen riefen die berühmte „Truman-Doktrin“ hervor – eine
Doktrin, die auf die Eindämmung, nicht auf einen unmittelbaren Krieg mit der UdSSR
abzielte; eine Eindämmung, die durch massive Wirtschaftshilfe für
antikommunistische Regierungen unterstützt wurde. Griechenland sollte die
Generalprobe für diese neue Politik abgeben.

Britannien, das sich als imperialistische Macht im Niedergang befand, weigerte sich, Griechenland – inmitten eines Bürgerkrieges – ab Februar 1947 weiterhin finanziell zu unterstützen. Aus Furcht vor einem Sieg der stalinistisch geführten ELAS versprachen die USA der pro-imperialistischen Monarchie bedingungslose Unterstützung. Als Soforthilfe wurde 300 Mill. Dollar bereitgestellt. Am 12. März 1947 führte Truman vor dem Kongress aus: „Es muss die Politik der Vereinigten Staaten sein, freie Völker, die sich der versuchten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußere Pression widersetzen, zu unterstützen.“ (31)

Die wirtschaftliche Ergänzung zu dieser Doktrin bestand in
der Marshallplanhilfe und den Plänen, in den imperialistisch besetzten Zonen
Deutschlands eine neue Währung einzuführen.

General Marshall hatte Byrnes als Außenminister im Januar
1947 ersetzt. Sein Plan wurde als „Truman-Doktrin in Aktion“ bezeichnet.
Angekündigt im Juni 1947, brauchte es dennoch noch fast ein Jahr zu seiner
endgültigen Verabschiedung. Der Marshallplan war ein Wiederaufbauprogramm, das
für Europa an die 17 Milliarden Dollar bereitstellen sollte – mit der Garantie
eines massiven Einflusses der USA auf die Innen- und Außenpolitik der
betroffenen Länder. Bis zum September 1947 hatten 16 Länder seinen Bedingungen
zugestimmt.

Mit dieser Doppelattacke festigten die USA ihren Kurs des
Kalten Krieges – dem Einfluss der UdSSR in Europa eine Grenze zu setzen, dem
Kreml die alleinige Verantwortung für den Wiederaufbau seiner Einflusssphäre
aufzubürden und seinen Einfluss in der imperialistischen Sphäre auszulöschen.
Diese Ereignisse versetzten Moskau und die jeweiligen nationalen KPen in helle
Aufregung. In Westeuropa wurden die stalinistischen Parteien ohne viel
Aufhebens aus den Koalitionsregierungen mit den bürgerlichen Parteien hinausgeworfen.
Es war die soziale Instabilität, die aus der wirtschaftlichen Krise dieser
Länder entstanden war, welche die französische und die italienische Bourgeoisie
gezwungen hatte, stalinistische Parteien in der Regierung zu dulden, da nur sie
die ArbeiterInnenklasse unter Kontrolle halten konnten. Im Mai 1947 wandte sich
Marshall direkt an A. De Gasperi, den Führer der italienischen
ChristdemokratInnen, um den Regierungsausschluss der PCI zu fordern und
gleichzeitig Finanzhilfe anzubieten.

In Osteuropa, wo die Schalthebel der politischen Macht in
seinen Händen lagen, war der Stalinismus gezwungen, sich zu entscheiden:
entweder sich der imperialistischen Offensive entgegenzustellen oder vor ihr
den Rückzug anzutreten und sich vor ihr zu beugen. Konsequent bei ihrem Versuch
des Aufbaus einer strategischen Allianz mit dem Kapitalismus, waren einige
Kommunistische Parteien bereit, die Marshallplanhilfe anzunehmen. Der
Marshallplan stand formal auch der Sowjetunion offen, doch war dies
offensichtlich nur ein Manöver, um dem Kreml vor aller Welt die Schuld an einem
Bruch zuzuschieben. Molotow nahm an den Eröffnungsdiskussionen teil, zog jedoch
die Beteiligung der UdSSR kurz darauf zurück. Die tschechoslowakische und die
polnische Regierung äußerten gegenüber dem Plan Zustimmung, einschließlich der
KPen beider Länder. Aber sie waren bald gezwungen, sich dem Druck der
Sowjetunion zu beugen. Im Gegenzug legte der Kreml eine Reihe improvisierter
Handelsabkommen für die osteuropäischen Länder, den „Molotow-Plan“, vor. Wäre
der Weg des Marshallplans beschritten worden, dann hätte die Sowjetbürokratie
früher oder später die Kontrolle über Osteuropa gänzlich verloren und sich dem
Imperialismus an den Staatsgrenzen der UdSSR gegenübergesehen – eine Erfahrung,
die Stalin nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion freiwillig wohl kein
zweites Mal machen wollte. Er zog stattdessen die Zügel straffer und befahl die
Vernichtung des wirtschaftlichen Fundaments der Bourgeoisie und ihrer
politischen VertreterInnen im Staatsapparat, die zu einem künftigen
Kristallisationspunkt der Wiedererrichtung ihrer Macht hätten werden können.

Der konterrevolutionäre soziale Umsturz

Ein notwendiger und vorbereiteter Schritt für die
bürokratische Liquidierung der Macht der Bourgeoisie in Osteuropa war die
vollständige Kontrolle der jeweiligen einheimischen Kommunistischen Parteien
über die ArbeiterInnenklasse. Zuerst einmal bedeutete dies die Zerstörung des
Einflusses der Sozialdemokratie, die hier eine erbitterte Rivalin des
Stalinismus blieb und ihn oft an Einfluss und Stärke übertraf. Dies war
besonders in Polen, Ungarn und Ostdeutschland der Fall. Das Vorgehen der
stalinistischen KPen war dabei überall gleich: Einschüchterungen, Säuberungen
und Zwangsvereinigungen der Parteiapparate.

Bereits im September 1944 wurde so der polnischen PPS eine
neue, prostalinistische Führung aufgezwungen – in der Absicht, die Vereinigung
mit der eher künstlich ins Leben gerufenen KP zu sichern. Die Parteibasis
weigerte sich hartnäckig, dem zuzustimmen, doch im Dezember 1947 wurde die neue
„Vereinigte ArbeiterInnenpartei Polens“ dessen ungeachtet aus der Taufe gehoben
– nach der Entfernung von 12 widerspenstigen PPS-FührerInnen und 82.000
Parteiausschlüssen.

In Ungarn wurde der Widerstand der ungarischen Sozialdemokratie
im Februar 1948 gebrochen, als die Parteilinke unter Ausschluss des Zentrums
und der Rechten (und unter dem Schutz der Geheimpolizei) einen Kongress
einberief. Im Juni wurde die Vereinigung mit der KP offiziell erklärt. (32)

Trotz der Risiken, die diese Politik für eine künftige
Entspannung mit dem Imperialismus in sich barg, wusste der Kreml, dass ohne
diesen Kurs sein eigener Untergang drohen könnte. Nicht nur, dass die
Sowjetbürokratie das Produktivpotential Osteuropas dem Imperialismus überlassen
müsste; die weitere Existenz der Bürokratie selbst wäre ernsthaft bedroht
gewesen. Angesichts dieser äußerst unvorteilhaften Entwicklung der „friedlichen
Koexistenz“ entschloss sich der Kreml, in allen Ländern seiner „Pufferzone“ die
Bourgeoisie wirtschaftlich und politisch zu vernichten. Auch hier war sein
Vorgehen überall gleich.

In Polen flüchtete Mikolajczyk, der Führer der Opposition
gegen diesen Kurs, um dem Zugriff der KP zu entgehen. In Rumänien wurde König
Michael im Dezember abgesetzt. Anfang 1948 übernahm die jetzt stalinistisch
kontrollierte „Vereinigte ArbeiterInnenpartei” die Macht. Der Führer der
Agrarpartei in Bulgarien, Petkow, wurde im Juni 1947 verhaftet und im September
hingerichtet. Dem folgten an die 20.000 Verhaftungen und die Schließung aller
bis dahin unabhängigen Zeitungen. In Ungarn wurde der ehemalige Führer der
Partei der Kleinen LandwirtInnen, B. Kovács, im Mai verhaftet, der
Premierminister flüchtete im gleichen Monat in die USA. Die – manipulierten –
Neuwahlen im August brachten dann die KP an die Spitze der Koalition, die noch
als Fassade bis zur Fusion mit der Rumpf-Sozialdemokratie formell beibehalten
wurde.

1947/48 wurde der Kapitalismus in den Ländern Osteuropas auf
bürokratische Weise von oben her „abgeschafft“ – verbunden mit der
gleichzeitigen Unterdrückung der Vorhut des Proletariats. Eine Seite dieser
Unterdrückung war die Säuberung der Kommunistischen Parteien selbst. Diese
Säuberungen waren nach 1947 alltäglich, aber sie nahmen nach dem Bruch Titos
mit Stalin im Sommer 1948 eine neue Dimension an. So wurden in Polen zwischen
September und Dezember 1948 30.000 Parteimitglieder ausgeschlossen. Der
Generalsekretär der Partei, W. Gomulka, wurde verhaftet und gefoltert. In
Bulgarien wurden in einigen brutalen Säuberungswellen 92.000 Basismitglieder
der KP und die große Mehrheit ihrer Führung ausgeschlossen.

In der Tschechoslowakei, wo noch dazu der Geist des
tschechischen Nationalismus Unabhängigkeitsbestrebungen auch innerhalb der KP
genährt hatte, wurden allein in der Zeit von Februar bis August 1948 100.000
Parteimitglieder ausgeschlossen. Die Schauprozesse dieser Zeit, getreue Kopien
der stalinistischen Massaker an wirklichen oder vermeintlichen GegnerInnen des
bürokratischen Regimes in der Sowjetunion der 1930er Jahre, richteten sich
v. a. gegen jenen Teil der nationalen Kommunistischen Parteien, der als
FührerIn im antifaschistischen Widerstand eine eigenständige Position gegenüber
Stalin entwickeln konnte und damit in dessen Augen zu einem/r potentiellen
NachfolgerIn Titos werden könnte; zweitens gegen jene Sektionen der Bürokratie,
die sich in der eben vergangenen Periode der Koalition mit den bürgerlichen
Kräften zu sehr an diese Klassenkollaboration gewöhnt hatten und daher noch
immer diese Politik verteidigen wollten.

Einzig in der Tschechoslowakei hatte die KP im Februar 1948
außerhalb von Polizei und Armee Kräfte zum Sturz der Bourgeoisie mobilisiert.
Die Periode der Doppelmacht, ein genau ausbalanciertes und unsicheres
Gleichgewicht in der tschechischen Regierung, ging Ende Februar 1948
unwiderruflich zu Ende. Am 20. Februar führte ein Streit über die
Regierungskontrolle über die Polizei zum Rücktritt von 12 nichtkommunistischen
MinisterInnen. Dieses Manöver, das die KPTsch durch die Drohung mit einer
geplatzten Koalition zum Einlenken hätte zwingen sollen, beantwortete die
KPTsch jedoch durch organisierte Massendemonstrationen ihrer Basis, die in
einer bewaffneten Kundgebung der von ihr dominierten Gewerkschaftsmiliz am 23.
Februar gipfelten. Es wurden keine unabhängigen Organisationen der
ArbeiterInnen zugelassen, die Demonstrationen selbst verliefen in streng
begrenzten Bahnen, um auf Präsident Benes entsprechenden Druck auszuüben. Als
Ergebnis dessen wurde nun die KPTsch mit der alleinigen Regierungsbildung beauftragt.
Die Wahlen im Mai wurden unter verschärfter Repression durchgeführt, mit einer
Einheitsliste an Kandidaten und Kandidatinnen und einem Dekret, dass das
Ungültig Wählen gleichbedeutend mit Verrat ist. Das Wahlergebnis bestätigte
dann auch formell den bereits vollzogenen Coup.

Die Demonstrationen und Massenkundgebungen wurden überall
dazu benutzt, den bürokratischen Umsturz in den Augen der Bevölkerung zu
legitimieren. In dieser Periode stellte der Stalinismus keine revolutionäre
ArbeiterInnenregierung dar, die unter dem Druck der Massen und mit ihrer Hilfe
entscheidende Schritte gegen die Bourgeoisie und deren Eigentum unternommen
hätte. Die Regierung war keine, die ihren Kampf auf selbstständige
Organisationen der Arbeitenden – auf demokratisch gewählte Räte und von ihnen
kontrollierte Milizen – gegründet hätte.

Stattdessen war der Umsturz das Werk einer bürokratischen
antikapitalistischen ArbeiterInnenregierung unter alleiniger Führung der
stalinistischen KP, die zuerst sichergestellt hatte, dass die ArbeiterInnenklasse
so desorganisiert und der Staatsapparat in ihren Händen so übermächtig war,
dass das Proletariat daran gehindert werden konnte, die Enteignung und
Entmachtung der Bourgeoisie selbst durchzuführen und den bürgerlichen Staat
durch die revolutionäre Diktatur des Proletariats zu ersetzen – das heißt,
durch demokratische ArbeiterInnenräte und durch eine proletarische Miliz. Eine
derartige Entwicklung hätte sowohl die Privilegien und die Autorität der
zwischen 1944 und 1947 entstandenen Bürokratenkasten in Osteuropa wie die
politische Herrschaft des Stalinismus in der UdSSR selbst in Gefahr gebracht.

Die qualitative Umwandlung dieser Gesellschaften zu einer
bürokratisch degenerierten Form der Diktatur des Proletariats fand statt, als
die Situation der Doppelmacht zu Gunsten der StalinistInnen aufgelöst wurde und
bürokratisch antikapitalistische ArbeiterInnenregierungen von ihnen gebildet
wurden, um die Bourgeoisie im wirtschaftlichen Bereich zu enteignen und als
soziale Klasse zu zerstören, und als sie daran gingen, das Wirken des
Grundgesetzes jeder kapitalistischen Wirtschaft – des Wertgesetzes –
einzuschränken und aufzuheben und die nunmehr verstaatlichte Wirtschaft auf der
Grundlage eines zentralen Wirtschaftsplanes, wenn auch auf bürokratisch
entstellte, despotische Weise, zu organisieren.

Der entscheidende qualitative Umbruch fand also statt, als
die StalinistInnen ihre Machtpositionen in dem von ihnen selbst nach 1945
re-etablierten bürgerlichen Staat nutzten, um einen degenerierten ArbeiterInnenstaat
zu errichten. Nicht der Abschluss dieser Aufgaben, die Etablierung von
Fünfjahresplänen usw., sondern deren entschlossene Inangriffnahme durch die
bürokratischen antikapitalistischen ArbeiterInnenregierungen markiert den
qualitativen Wendepunkt. (35) Die Funktion des Staatsapparates wandelte sich.
Er wurde zu diesem Zweck von den ParteigängerInnen der Bourgeoisie gesäubert –
er blieb seiner Form nach jedoch trotzdem ein bürgerlicher Staat.

Die Charakterisierung der russischen Räterepublik nach 1917
als ArbeiterInnenstaat gründet auf der Tatsache, dass die Staatsmacht in den
Händen der ArbeiterInnenklasse lag, die sich als herrschende Klasse mit ihren
eigenen Machtorganen – Räten und Milizen – organisiert hatte. Dieses Faktum der
subjektiven Machtergreifung des Proletariats ging der Verstaatlichung der
Industrie und der Einführung der Planwirtschaft voraus.

In Osteuropa dagegen wurden ArbeiterInnenstaaten als Produkt
der Außenpolitik der Sowjetbürokratie errichtet – sie waren daher von Geburt an
bereits bürokratisch degeneriert. Der bürgerliche Staat wurde bei der
Transformation zum degenerierten ArbeiterInnenstaat nicht zerschlagen, nicht
zerbrochen, sondern von der neuen herrschenden Kaste in Besitz genommen und
ihren Bedürfnissen entsprechend umgeformt.

Vom ersten Tag ihres Entstehens an war eine politische
Revolution – also der Sturz der nun an die politische Macht gelangten
Bürokratenkaste – für die Arbeitenden dieser Länder die unabdingbare
Vorbedingung zur Eroberung der direkten Macht für die unmittelbaren
ProduzentInnen (die ArbeiterInnen und die Bauern-/Bäuerinnenschaft) in diesen
nachkapitalistischen Gesellschaften.

Die ökonomische Transformation findet in den osteuropäischen
Ländern mit der Einführung der Fünfjahrespläne ihren Abschluss: 1948 in
Bulgarien, 1949 in der Tschechoslowakei, 1950 in Polen und Ungarn, 1951 in der
DDR und in Rumänien.

Wo immer sie auch stattfinden und welche Form sie annehmen
mögen, die bürokratischen Revolutionen des Stalinismus tragen einen zutiefst
konterrevolutionären Charakter. Doch warum konterrevolutionär, wenn sie doch
fähig waren, die eigene Bourgeoisie zu stürzen und den Kapitalismus zu
überwinden?

Aus einer Reihe entscheidender Gründe, deren ganze Bedeutung
heute, da sich der Stalinismus in seiner Todeskrise befindet, in vollem Umfang
sichtbar wird:

  • Diese Revolutionen werden gegen das vorherrschende Bewusstsein des Großteils der ArbeiterInnenklasse durchgeführt.
  • Sie fanden auf der Grundlage einer durch die bürokratische Unterdrückung beschränkten oder verhinderten Selbsttätigkeit der ArbeiterInnenklasse statt und machten daher Begriffe wie „Revolution“, „Sozialismus“, „ArbeiterInnenstaat“ und „Planwirtschaft“ in den Augen der unterdrückten Massen unglaubwürdig.
  • Sie verzögerten und erschwerten die Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins in der internationalen ArbeiterInnenklasse.
  • Sie schafften einen von Anbeginn an bürokratischen Staat, in dem die ArbeiterInnenklasse politisch entmachtet und entmündigt war.

Diese bürokratischen Regime waren ein Hindernis auf dem Weg
der internationalen ArbeiterInnenklasse bei ihrem Kampf zum Sturz des
Kapitalismus. Die von der stalinistischen Bürokratie im Verlauf des
gesellschaftlichen Umsturzes angewandten Maßnahmen (Enteignung der Bourgeoisie,
Verstaatlichung der Produktionsmittel, Landreform, Bruch mit dem Imperialismus
…) waren zwar ihrem Wesen nach revolutionär, wurden aber allein durch
militärisch-bürokratische Zwangsmaßnahmen durchgesetzt. Dies bedeutete, dass im
Verlauf einer derartigen bürokratischen Revolution eine unabhängige, wirklich
revolutionäre Partei darum kämpfen musste, diesen Umsturz zu einem Kampf um die
direkte Machteroberung durch das Proletariat zuzuspitzen – zur endgültigen
Niederwerfung der Bourgeoisie und zum Sturz der ihr an der Staatsmacht
nachrückenden Bürokratenkaste!

Endnoten

(1) L. Trotzki, Europa und Amerika, intarlit, Berlin 1972.

(2) Für eine Auswahl der hellsichtigsten Gedanken zu diesem
Thema: „Uneven and combined development and the role of American Imperialism“,
in: Trotzki: Writings 1933/1934, New York 1975, S. 116–120, März 1933; „Hitler
and Disarmament“, ebd., S.
246–257, Juni 1933; „Hitler’s Victory“, ebd., S. 133-137, März 1933;
„Hitler the Pacifist“, ebd., S. 144-148, November 1933. Alle diese Artikel
zeigen ein tiefes Verstehen der zentralen Strategie Hitlers in Europa bei
seinem Kampf gegen den Versailler Vertrag und gegen die Sowjetunion und
vermitteln einen ebenso ausgezeichneten Einblick in die diplomatischen und
militärischen Manöver, die Hitler zur Erreichung seines Zieles anwenden musste.
Die vielleicht genaueste Einschätzung der Geschwindigkeit und der
Frontstellungen des heraufziehenden Krieges kann jedoch in „On the Threshold of
a New World War“ (ders.: Writings 1936/1937, New York 1978, S. 379–396) gefunden
werden. Trotzki sagte nicht nur den Hitler-Stalin-Pakt nach dem Untergang der
Tschechoslowakei voraus, sondern auch die Unvermeidlichkeit eines Krieges
zwischen Nazi-Deutschland und der UdSSR – gerade wegen des Paktes.

(3) In jedem der Fälle wird der Krieg zu Stalins Sturz führen (Trotzki). Je nachdem, welche Schriften Trotzkis man liest, kann man eindeutige oder vorsichtigere Urteile über die „Unvermeidlichkeit“ dessen finden. Zum ersteren: „War and the Fourth International“ (Trotzki: Writings 1933/1934, New York 1975, S. 316/317), oder die zahllosen kürzeren Passagen zum Thema siehe: „Kremlin’s Role in the European Catastrophe“ (ders.: Writings 1939/1940, New York 1973, S. 290/291). Hinsichtlich einer vorsichtigeren, mehr abwägenden Einschätzung siehe: „The USSR in War“, in: „Defence of Marxism“, New York 1973: „Der Krieg beschleunigt die verschiedenen politischen Prozesse. Er mag den Prozess der revolutionären Regeneration der UdSSR beschleunigen. Aber er kann auch den Prozess ihrer endgültigen Degeneration beschleunigen.“ (S. 21). Es mag banal klingen, aber gegenüber jenen, die diese Prognose als Beweis für Trotzkis einseitigen „Katastrophismus“ genommen haben, muss betont werden, dass Trotzki diese Fragen immer unter dem Blickwinkel des Programms, das heißt, unter der Notwendigkeit, seinen Anhängerinnen und Anhängern die zentralen Thesen des Konfliktes deutlich zu machen, um ihre Aktivität zur Erlangung des erwünschten Zieles entsprechend orientieren zu können, gesehen hat.

(4) Zitiert nach Y. Gluckstein, „Stalin’s Satellites in
Europe“, London 1952. Das Leitungsmitglied der Vierten Internationale E.
Germain bemerkte ebenso die weit verbreiteten Kundgebungen und Streiks in
Rumänien und Bulgarien im Herbst 1944. Siehe dazu: „The Soviet Union after the War“, September 1946, S. 7 in:
„Internal Bulletin of the IS of the Fl“.

(5) Zitiert
aus: J. Bloomfield: „Passive Revolution“, London 1979, S. 50/51.

(6) Als einen dieser Zeugen: E. Mortimer: „Über Frankreich“, in: „Communist Power in Europe 1944–1949“,  Ed. Mc Cauley, London 1977, S. 151–153. Er schlussfolgert, dass 1944 der günstigste Augenblick für einen Aufstand war. In Italien fand die endgültige Niederlage der deutschen Truppen 1945 statt und sie war ebenfalls von Massenstreiks der ArbeiterInnen begleitet. Allum und Sassoon zeigen im oben genannten Werk auf, dass es in Norditalien keine Fabrik – und in Mittelitalien nur wenige – gegeben hat, deren Belegschaften nicht bewaffnet gewesen wären. Churchill fasste die Probleme, denen sich der Imperialismus damals gegenübersah, in einem Brief an seinen Sekretär für Äußeres, Eden, vom November 1944 dermaßen zusammen: „Jedes Land, das befreit wird oder durch unsere Siege eine Veränderung erfährt, ist vom Kommunismus infiziert – und nur unser Einfluss auf Russland hindert es, diese Bewegung aktiv zu fördern.“ (zitiert aus: Douglas: „From War to Cold War 1942–1948“, London 1981, S. 61).

(7) Zitiert nach: E.. Germain, a. a. O., S.2/3, und D. Yergin: „Shattered
Peace“, Harmondsworth 1980, S. 64.

(8) E. Germain, a. a. O., S. 55.

(9) Zitiert bei Yergin, a. a. O., S. 55.

(10) Zitiert: ebd. S. 473.

(11) Ebd.,
S. 58.

(12) Ebd., S.
91.

(13) Ebd., S. 120.

(14) Trotzki erkannte dies erstmals bei seiner Analyse der sowjetischen Invasion Polens 1939 an: „Dieser Umsturz wurde der Kreml-Oligarchie durch ihren Kampf um Selbsterhaltung unter besonderen Bedingungen aufgezwungen. Es gab nicht den leisesten Grund zur Annahme, dass unter ähnlich gearteten Bedingungen sie gezwungen wäre, genau die gleiche Operation in Finnland auszuführen.“ (Trotzki: „In Defence of Marxism“, a. a. O., S. 175).

(15) Siehe: Germain, a. a. O., S. 7; C. Georges: „Russian Economic Policy in
Eastern Europe“, in: SWP(US), Internal Bulletin Nr. 13/8, S. 10; L. Schwartz:
„USSR and Stalinism“, in: International Information Bulletin, SWP(US), Bd. 1,
Nr. 2; C. Harman; „Bureaucracy and Revolution in Eastern Europe“, London 1974,
S. 49–53.

(16) Zitiert bei: Harman, a. a. O., S. 31.

(17) P. Zinner gibt in „Revolution in Hungary“, New York
1952, aufschlussreiche Details über die an ihre EigentümerInnen
zurückerstatteten Fabriken. Ebenso bei: Schwartz, Germain und Harman. In
Rumänien erließ der kommunistische Justizminister Patranascu ein eigenes
Gesetz, das Industriellen, Bankiers und Geschäftsleuten ermöglichte, einer
Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen zu entgehen.

(18) zitiert bei: Bloomfield, a. a. O., Kap. 6.

(19) Zitiert ebd., S. 89.

(20) Bei: Schwartz, a. a. O., S. 32/33.

(21) Zitiert bei: Harman, a. a. O.. S. 35.

(22) L.
Trotzki: „History oft the Russian Revolution“, London 1977, S. 225.

(23) Die Rote Armee erreichte ihre größte Mannschaftsstärke
im Mai 1945, zum Zeitpunkt der Kapitulation des Deutschen Reiches und am
Höhepunkt der eigenständigen Mobilisierungen des Proletariats und der
Bauern-/Bäuerinnenschaft; ihre Truppenstärke betrug damals die gewaltige Zahl
von 11.365.000. Bereits im Juni begann jedoch die Demobilisierung der Soldaten.
Anfang 1948 wurde die Rote Armee dann auf 2.874.000 geschätzt – noch immer
doppelt so viel wie die Truppenpräsenz der imperialistischen Staaten in Europa.
Die Rolle der sowjetischen Truppen in den osteuropäischen Ländern war von Land
zu Land verschieden. Im Fall der Tschechoslowakei z. B. schätzte der
britische Geheimdienst die Anzahl der sowjetischen Soldaten im Jahr 1946 auf
5.000. Zum Zeitpunkt des „Prager Putsches“ nahm die amerikanische CIA überhaupt
nur eine Truppenstärke von 500 russischen Soldaten für gesichert an! Die Stärke
des einheimischen Stalinismus ermöglichte also in diesem Fall den Aufbau einer
eigenen ausreichenden Repressionsmaschinerie, was sonst nicht überall möglich
war. Der Repressionsapparat in Polen etwa war stark von der Präsenz der Roten
Armee – und mehr noch des NKWD – abhängig. Letzterer war besonders berüchtigt;
ihm war vom prostalinistischen „Komitee der Nationalen Befreiung“, der von
Stalin eingesetzten Lubliner Provisorischen Regierung, die volle Kontrolle über
die zivile Sicherheit im Hinterland der Roten Armee zugestanden worden. Siehe
dazu: Mc Cauley, a. a. O., S. 270, und Yergin, a. a. O., S.270–348.

(24) J.
Degras: „The Communist International 1919–1943“, London 1971, Bd. 1, S. 427.

(25) L.
Trotzki: „On France“, New York 1979, S. 193.

(26) Ebd.,
S. 201.

(27)
Degras, a. a. O.. S. 427.

(28) L.
Trotzki: „The History of the Russian Revolution“, a. a. O., S. 231.

(29) L.
Trotzki: „In Defence of Marxism“,a. a. O., S. 18.

(30)
Yergin, a. a. O., S. 303–310.

(31) Zitiert bei: Douglas, a. a. O., S. 153.

(32) Siehe: Harman, a. a. O., S. 36, und Mc Cauley, a. a. O., S. 192.

(33) Siehe: Harman, a. a. O., S. 54.

(34) Zu den relevanten Passagen: L. Trotzki: „In Defence of
Marxism“, a. a. O., S. 8–20, 26–29, 56–59, 81–90, 130–137, 170–178.

(35) An dieser Stelle korrigieren wir unsere bisherige
Analyse, die die Einführung der Fünfjahrespläne zum entscheidenden Kriterium
für die Schaffung des degenerierten ArbeiterInnenstaates machte. Das
entscheidende Kriterium für die Charakterisierung eines Landes als
degenerierter ArbeiterInnenstaat ist nicht einfach die Frage, welche
Eigentumsverhältnisse vorherrschen, sondern welche Eigentumsverhältnisse die
Staatsgewalt verteidigt, d. h. zu reproduzieren oder etablieren trachtet.
Ansonsten hat sich aber unsere Analyse der Expansion des Stalinismus nach 1945
gerade im Lichte seines Untergangs als überaus treffend erwiesen.