Bundeskongress ver.di: Kampfansage oder Fortführung der Sozialpartnerschaft?

Helga Müller, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Vom 22.-28.
September fand der 5. Bundeskongress der Vereinigten
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unter dem Motto „zukunftsgerecht“ statt.
Dieser Kongress war sicherlich einer der wichtigsten in der kurzen Geschichte
der Organisation. Zum einen stellt ver.di eine der wichtigsten
gesellschaftlichen Kräfte dar. Mit 1,9 Mio. Mitgliedern ist sie nach der IG
Metall die zweitgrößte Gewerkschaft in der Bundesrepublik und mit der
Digitalisierung und der heraufziehenden neuen tiefen wirtschaftlichen Krise
kommen ganz neue Herausforderungen auf sie zu.

Eine große
Verantwortung für die 1.000 Delegierten, die in den 7 Tagen über die
gewerkschaftspolitische Ausrichtung der nächsten 4 Jahre entscheiden mussten.
Gleichzeitig erfolgte ein Führungswechsel. Der langjährige ver.di-Vorsitzende
Frank Bsirske trat nicht mehr an und Frank Werneke, einziger Kandidat für den
Posten, wurde mit großer Mehrheit zum neuen Vorsitzenden gewählt. Werneke ist
kein Neuling in ver.di-Kreisen. Er war langjähriger Chef des noch existierenden
Fachbereichs 8 (Medien) und im Bundesvorstand zuständig für Finanzen und
Mitgliederentwicklung. Gleichzeitig wurden die Führungsgremien (Bundesvorstand
und Gewerkschaftsrat) neu gewählt. Auch hier hätte das höchste
Entscheidungsorgan – der Bundeskongress – durchaus die Möglichkeit gehabt, eine
bestimmte Richtung vorzugeben (und auf seine Weise tat er das auch).

Wofür steht
Werneke?

Frank Werneke
hielt zwar nach Aussagen der meisten Zeitungen eine kämpferische Rede, in der
er wichtige Fragen wie den Kampf gegen die zunehmende Erosion der Tarifbindung,
für die Durchsetzung eines Mindestlohns von 12.- Euro ebenso wie durchaus
politische – z. B. den gegen Klimawandel und Rechtsrutsch in der Gesellschaft –
aufwarf. Schließlich gilt ver.di gemeinhin als die politischste der
DGB-Gewerkschaften – und dem wollte er zumindest in einer radikal, aber
unverbindlich gehaltenen Antrittsrede entsprechen.

Wer Frank
Werneke aus dem Fachbereich 8 kennt – er war zuständig für die
Tarifverhandlungen bei den Zeitungsverlagen und in der Druckindustrie – weiß,
dass er dafür bekannt war, lange Verhandlungsmarathons zu führen und einen
gerade noch akzeptablen Kompromiss für beide Seiten rauszuholen. Zuständig für
Finanzen und Mitgliederentwicklung im Bundesvorstand, war er zudem derjenige,
der die letzte noch nicht vollständig umgesetzte große Strukturreform gegen
größte Widerstände innerhalb der Organisation durchgesetzt hatte. Statt 13
Fachbereiche wird es nun 5 ungefähr gleich große geben. Der Anlass dafür war
nicht etwa die notwendige Anpassung der Strukturen an die Änderungen in
Wertschöpfungsketten und Technik (Stichwort Digitalisierung).

Die „Reform“ war
und ist vor allem getrieben durch finanzielle Probleme aufgrund der stetigen
Mitgliederverluste, also eine rein bürokratische Antwort auf diesen seit
Gründung von ver.di anhaltenden Trend und den Verlust an Gewerkschaftsbindung
(siehe Helga Müller, Sinnvolle Reform oder bürokratische Flickschusterei, in:
Neue Internationale 229, Juni 2018 ). Ver.di hat seit Gründung der Organisation
ca. 900.000 Mitglieder verloren. Es gibt zwar durchaus Mitgliederzuwächse
gerade in Bereichen, die früher nicht als kampfstark galten wie bei
ErzieherInnen und Krankenhäusern. Aber die Eintritte kompensieren den
Austrittstrend bei weitem nicht und dieser wird sich auch 2019 fortsetzen.

Ver.dis
tarifpolitischer Kurs

Nun ist ver.di
im Gegensatz zur IG Metall, die in der (noch) gut florierenden Exportindustrie
aktiv ist, in Bereichen tätig, die von massiven Umstrukturierungsprozessen
(Handel), von Verdrängungswettbewerb (Druckindustrie, Zeitungsverlage) oder von
einem massiven Privatisierungsdruck (Gesundheitsversorgung, Müllabfuhr,
Wasserversorgung…. kurz: die öffentliche Daseinsvorsorge) und oft von prekären
Arbeitsverhältnissen (Handel) gekennzeichnet sind. Zugegebenermaßen sind diese
schwer zu organisieren und tarifpolitisch zu erschließen und viele Unternehmen
haben aufgrund der verstärkten Konkurrenz und Kapitalkonzentration kaum noch
Interesse an Flächentarifverträgen, die gleiche Arbeitsbedingungen über die
Branche hinweg garantieren und damit für sie gleiche Konkurrenzbedingungen.

Gerade diese
Situation müsste in ver.di ein Anlass sein, Schluss zu machen mit dem üblichen
Tarifritual, wie es zuletzt im öffentlichen Dienst noch unter der Führung von
Bsirske vorgeführt wurde. Dieses läuft regelmäßig etwa so ab: Ein paar
Warnstreiks werden organisiert, damit die Belegschaften Dampf ablassen können.
Dann wird in Marathonverhandlungen ein Tarifvertrag abgeschlossen, der für die
Beschäftigten gerade noch akzeptabel ist und den Arbeit„geber“Innen nicht
wehtut, in der Regel mit einer langen Laufzeit (zwei Jahre oder mehr), der
diesen vielmehr langfristige Planungssicherheit garantiert. Ein Abschluss also,
geprägt von der klassischen Sozialpartnerschaft, an dem die überwiegende
Mehrheit des Kapitals gar kein Interesse mehr hat und der auch den
Beschäftigten immer weniger bringt. Gerade der Umstand, dass das Kapital (aber
auch die öffentlichen Arbeit„geber“Innen) eine härtere Gangart einschlagen,
führt in der Logik der Bürokratie nicht zu einem Kurswechsel, sondern dazu, die
Sozialpartnerschaft beispielsweise durch lange Laufzeiten auch den Unternehmen
schmackhafter zu machen.

In anderen
Bereichen wie der Gesundheitsversorgung geht ver.di ein wenig voran, um wieder
in der Mitte steckenzubleiben. Hier hat die Gewerkschaft zusammen mit den
Belegschaften in 15 Kliniken Abkommen für mehr Personal (vor allem
Pflegepersonal) durchsetzen können. In den meisten Unikliniken konnten diese
nicht in die Tat umgesetzt werden, da die Klinikleitungen daran kein Interesse
haben und es für die Belegschaften keinen Hebel gibt, die vereinbarten
Sanktionen bei Nichteinhaltung durchzusetzen. Gerade hier zeigt sich deutlicher
als anderswo, dass der Kampf gegen den aus der Privatisierungspolitik
resultierenden Druck auf die Belegschaften nicht rein ökonomisch, betrieblich
gegen das Kapital durchgesetzt werden kann. Ver.di selbst betont immer wieder
zu Recht, dass diese Abkommen einen Eingriff in das Direktionsrecht der
Klinikleitungen darstellen und diese aufgrund der Konkurrenzsituation unter den
Krankenhäusern kein Interesse daran haben, mehr Geld für Personal auszugeben.
Hier zeigt sich ganz deutlich, dass gegen die Profitlogik, die im
Gesundheitswesen Einzug gehalten hat – auch in Bereichen, die noch unter
öffentlicher Aufsicht stehen – ein politischer Kampf notwendig ist. Und zwar
ein politischer Massenstreik. Volksbegehren, die in mehreren Stadtstaaten und
Ländern initiiert wurden, mal ohne ver.di, mal unter ihrer Führung, sind
allesamt an den Landesverfassungsgerichten gescheitert. Kein Wunder, sind doch
die Sparmaßnahmen beim Personal eines der Herzstücke der
Privatisierungspolitik.

Oder nehmen wir
die Zeitungsbranche. Seit Jahren, um nicht zu sagen seit Jahrzehnten, kämpfen
die Belegschaften und ver.di gegen Personalabbau, Verlagerungen ohne
Tarifbindung etc. Aber solange sich die Zeitungen hauptsächlich durch
rückläufige Werbeeinnahmen finanzieren, werden die Angriffe auf die
Arbeitsbedingungen kein Ende haben. Jeder rein ökonomisch geführte Kampf wird
daran längerfristig eine Grenze finden müssen. Gerade in diesem Bereich wäre
eine politische Kampagne nötig, die Zeitungsbranche wie überhaupt die
Medienindustrie den profitorientierten KapitaleignerInnen zu entreißen – oder,
anders ausgedrückt, zu enteignen – unter Kontrolle der Beschäftigten und
LeserInnen fortzuführen und aus Steuergeldern zu finanzieren.

Nächste Krise

Verschärfend
kommt hinzu, dass die nächste tiefgehende Krise vor der Tür steht: die
Angriffswelle der Kapitalseite wird kommen. So hat – um nur ein Beispiel zu
nennen – die CSU-Landesregierung in Bayern bereits angekündigt, eine Initiative
im Bundesrat zu ergreifen, um die Arbeitszeiten zu deregulieren.

Vor diesem
Hintergrund sind die Beschlüsse des Bundeskongresses zu bewerten: Gibt sich
ver.di für die nächsten vier Jahre die adäquaten Mittel in die Hände, um die
Belegschaften auf die nächste Periode von Angriffen vorzubereiten oder möchte
sie nur weiter so wie bisher verfahren?

Bis
Redaktionsschluss waren uns nicht alle Beschlüsse des Kongresses bekannt, aber
die bisherigen deuten nicht darauf hin, dass ver.di die Signale verstanden hat,
auch wenn es einige positive darunter durchaus gibt.

So hat die
Gewerkschaft nach drei vergeblichen Anläufen endlich einen Beschluss zum Verbot
von Leiharbeit gefasst. Der Bundeskongress hat ein weiteres Mal beschlossen,
den politischen Streik zu nutzen und ihn auch wahrzunehmen. Es bleibt abzuwarten,
ob dieser wie ein ähnlicher Beschluss aus dem Jahr 2011 nur auf dem Papier
besteht oder tatsächlich auch umgesetzt wird. Möglichkeiten wären genug da.
Genutzt wurden sie allesamt in den letzten Jahren nicht, wie z. B. die
Weigerung zeigte, den Klimastreik von Fridays for Future für einen öffentlichen
Aufruf zur Mobilisierung der Gewerkschaft zu nutzen.

Bei den
fortschrittlichen Beschlüssen ist also Vorsicht geboten. Bei deren Umsetzung
können wir uns auch weiterhin nicht auf die Führung und den Apparat verlassen.
Im Gegenteil: Ohne massiven Druck der Basis, ohne deren selbstbewusstes und
organisiertes Auftreten und Einfordern drohen sie wie schon viele ähnliche in
den Protokollen der Vergessenheit anheimzufallen. Diese Befürchtung ist umso
ernster zu nehmen, als eine Reihe von Beschlüssen des Gewerkschaftstages in die
andere Richtung weist.

Die zahlreichen
Anträge auf Arbeitszeitverkürzung für alle und mit Lohn- und Personalausgleich
wurden nicht angenommen, obwohl gerade sie als Hebel gegen den kommenden Abbau
von Arbeitsplätzen hätten dienen können. Stattdessen wurde die im Leitantrag
des Gewerkschaftsrates stehende sehr vage Formulierung durchgesetzt, das Ziel
einer „kurzen Vollzeit mit Lohn- und Personalausgleich“ weiterzuverfolgen (zit.
nach: www.junge-welt.de vom 26.9.19).

Hinsichtlich der
weiteren Digitaloffensive der Unternehmen, die zu Arbeitsplatzabbau führen
wird, hat der Bundeskongress lediglich eine Erweiterunge der Mitbestimmung bei
der Umsetzung und einen regulierten Einsatz der neuen Technik gefordert. Dieser
Beschluss verharrt genau in der alten Sozialpartnerschaftslogik und wird den
betroffenen Belegschaften im Kampf gegen Arbeitsplatzabbau auf der einen und
Arbeitsverdichtung auf der anderen Seite nicht wirklich weiterhelfen.

Basisbewegung
notwendig

Der Kongress
hat, so die grundlegende Bilanz, die Weichen für eine Fortsetzung des
bisherigen Kurses der Gewerkschaft gestellt. Das drückt sich in den Beschlüssen
wie auch in der Wahl des neuen Vorsitzenden aus.

Damit sind
weiterer Niedergang und Fortführung aller Probleme vorprogrammiert. Von der
Gewerkschaftsführung und vom Apparat ist ein Kurswechsel nicht zu erwarten.
Zugleich zeigte sich in den letzten Jahren auch, wo die Ansätze einer
Erneuerung und einer Trendwende in der Politik der zweitgrößten
DGB-Gewerkschaft herkommen können – von jenen, die z. B. in den Kämpfen im
Gesundheitswesen oder bei anderen Mobilisierungen aktiv geworden sind. Im
Großen und Ganzen drohen sie aber, auch vereinzelt im Kleinkrieg mit den
Unternehmen und öffentlichen Arbeit„geber“Innen aufgerieben zu werden und an
den Hürden des Apparates zu scheitern. Es bedarf daher einer eigenständigen,
bundesweiten, anti-bürokratischen Organisierung dieser Schicht, des Aufbaus
einer klassenkämpferischen Basisbewegung. Nur so kann der Kampf für eine
grundlegende „Revolutionierung“ der Strukturen, die politische Ausrichtung von
ver.di erfolgen. Nur so wird ein Bruch mit der Sozialpartnerschaft und damit
eine klassenkämpferische, demokratische Gewerkschaft möglich werden.

Die Strategiekonferenz der Gewerkschaftslinken am 25. und 26. Januar stellt dazu eine zentrale Möglichkeit dar.

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften: https://www.vernetzung.org




„Fair“handeln ist keine Lösung! Zukunft müssen wir uns erkämpfen!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur Kundgebung der IG Metall am 29. Juni, Infomail 1060, 29. Juni 2019

Die großen Auto-Konzerne wie VW und Daimler, aber auch
Zulieferer haben klare Kampfansagen formuliert: Die Beschäftigten sollen die
Kosten für E-Mobilität bezahlen. Zehntausende Arbeitsplätze sollen wegfallen
und Werke geschlossen werden. Die bisher angekündigten Angriffe werden nicht
die letzten sein. Maschinenbau und Stahl werden folgen. Dazu kommen die
Digitalisierung und die nächste Krise. Auch damit wollen sie zehntausende
Stellen vernichten.

Ob wir die E-Mobilität wollen, ob es sinnvoll ist,
Verbrennungsmotoren durch Batterien zu ersetzen, das werden wir weder als
Beschäftigte noch als VerbraucherInnen gefragt. Aber zahlen sollen wir! Die
Digitalisierung hat den Zweck, menschliche Arbeit überflüssig zu machen. Grundsätzlich
ist gegen höhere Produktivität nichts einzuwenden, aber im Kapitalismus
bedeutet dies immer mehr Arbeitslosigkeit und Arbeitsverdichtung.

Die BetriebsratsfürstInnen und die IG Metall-Spitze
reagieren hilflos auf diese Kampfansagen. Sie schaffen es meist nicht mal
deutlich und klar, die Sparprogramme abzulehnen und dagegen zu mobilisieren.
Nur in Ausnahmefällen, z. B. bei Bosch, gab es Proteste. Mobilisierung ist
gut, aber die Bosch-Betriebsräte haben unter anderem die Aufhebung der
Fahrverbote gefordert. Kann es die Arbeitsplätze retten, wenn dafür die Städte
verpestet werden und das Klima kippt?

Hofmann: Große Worte – hilflose Konzepte

Auch die Kundgebung heute in Berlin weicht den Problemen
aus: Hofmann tut so, als ob Digitalisierung und E-Mobilität aus Naturgesetzen
entspringen und fordert die Unternehmen und „die Politik“ auf, „endlich zu
handeln“. Das Schlimme ist aber, dass diese handeln! Sie haben sich für die
„Lösung“ entschieden, die ihnen weiter Profite sichern soll; die die
Beschäftigten dreifach mit Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen und Verlagerungen
bezahlen sollen; die der Menschheit neue Umweltprobleme bescheren wird. Die
KapitalistInnen haben ein Konzept, das sie mit aller Macht durchsetzen wollen –
die IG Metall bittet um „Fairwandel“.

In den Betrieben werden die Sparprogramme von den
Betriebsratsspitzen abgenickt, wenn nur keine/r direkt gekündigt wird. Beispiel
Daimler: Wenn von den Angestellten keine/r rausfliegt und in der Produktion
alles mit Leiharbeit geregelt wird, nennen sie das „sozialverträglich“. Nein,
Leiharbeit bedeutet Lohndrückerei und Unsicherheit! Arbeitsplatzvernichtung ist
nicht sozialverträglich!

Klare Forderungen für alle MetallerInnen!

Die IG Metall kann mobilisieren, wenn sie wirklich will. Das
hatte schon die letzte Tarifrunde gezeigt. Es geht aber jetzt um ganz andere
Dinge als den Tarifzug. Gegen die Angriffe der Konzerne wird eine einzelne Demo
in Berlin ohne klare Forderungen bei weitem nicht reichen.

  • Was wir heute als IG Metall brauchen, ist ein Nein zu jedem Arbeitsplatzabbau!
  • Auf Digitalisierung und Transformation gibt es nur eine Antwort: Verkürzung der Arbeitszeit entsprechend der Arbeitseinsparung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das heißt: Kampf für die 30-Stunden-Woche in Ost und West und gemeinsam in ganz Europa! Kein erneuter Ausverkauf des Kampfes um die 35-Stunden-Woche im Osten!
  • Die LeiharbeiterInnen und Jugendliche drohen als Erste zum Opfer der Angriffe zu werden. Keine Entlassung der LeiharbeiterInnen, Übernahme in gleiche, tariflich gesicherte Beschäftigung, unbefristete Übernahme der Azubis, kein Einstellungsstopp!
  • Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Verkehrssysteme und der Energieversorgung, statt weiter den Ideen der Konzerne hinterher zu traben, welche sie immer auch mit der Regierung durchgesetzt haben. Geplante Ersetzung des Individualverkehrs durch massiven Aus- und Umbau des öffentlichen Verkehrs, kontrolliert von Gewerkschaften, Beschäftigten und NutzerInnen!
  • Wir dürfen nicht nur immer den „eigenen“ Betrieb im Auge haben: Die Autoindustrie ist global, die Klimakatastrophe und die Wirtschaftskrise sind es auch. Gerade die Gewerkschaft muss über den Tellerrand eines Betriebes und eines Landes hinausschauen und endlich damit aufhören zu versuchen, mit Standortsicherungen die eigenen Arbeitsplätze auf Kosten der KollegInnen in anderen Betrieben, Werken oder Ländern zu sichern. Das untergräbt die Solidarität und macht uns zum Spielball der ManagerInnen!
  • Gemeinsamer Kampf mit Geflüchteten und MigrantInnen gegen Rassismus und Nationalismus!
  • Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Massenentlassungen oder Schließungen durchsetzen wollen, durch Massenstreiks und Betriebsbesetzungen erzwungen! Weiterführung und Neuausrichtung der verstaatlichten Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für den 20. September haben AktivistInnen der Fridays for Future Bewegung wie Greta Thunberg zu einem globalen Klimastreik aufgerufen, der alle Altersschichten umfassen soll und ArbeiterInnenbewegung und Umweltbewegung praktisch zusammenführen kann. Wir fordern von der IG Metall, den DGB-Gewerkschaften und dem Europäischen Gewerkschaftsbund eine volle Mobilisierung, um den Klimastreik zu einem internationalen politischen Massenstreik zu machen!

Das Problem heißt „Sozialpartnerschaft“

Diese Forderungen können nicht durchgesetzt werden, wenn
jede Belegschaft alleine mit Angriffen konfrontiert ist. Alle gemeinsam – wie
hier in Berlin – ist der richtige Ansatz. Aber die Zersplitterung in einzelne
Unternehmen und Werke hat einen Grund: Das politische Muster der
Betriebsratschefs und der ganzen IG Metall-Spitze ist, dass es für „unsere
Leute“ das Beste wäre, wenn „unsere Unternehmen“ fette Gewinne machen würden.
Dann würde für alle was abfallen: ein paar Prozent Lohnerhöhung für die
Kernbelegschaften der Auto-Industrie, auch mal ein paar Tausender Jahresprämie.

Diese Rechnung ist in den letzten Jahren scheinbar
aufgegangen, weil die deutsche Auto-Industrie und auch Stahl und Maschinenbau
die anderen Industrieländer nieder konkurriert haben.

In Wirklichkeit waren die „Belohnungen“ für die
MetallerInnen aber bescheiden, gemessen an den Profiten des Kapitals. Viele
Beschäftigte in der Zulieferindustrie, in der sogenannten „Produktionslogistik“
oder in Leiharbeit haben davon nichts abbekommen. Sie haben oft sogar
Reallohnverluste erlitten oder waren die Opfer, mit deren Lohneinbußen,
Ausgliederungen und Arbeitsplatzverlusten die Profite der Konzerne gesteigert
wurden. Die Bedingungen im Osten wurden bis heute nicht an jene des Westens angeglichen
und die Beschäftigen in den Leiharbeitsfirmen werden nicht nur schlechter
bezahlt, sondern dienen auch als Reserve, die viel leichter gefeuert werden
kann.

Ganz sicher ist, dass angesichts des Konjunkturrückgangs,
der massiven Arbeitsplatzvernichtung durch Digitalisierung und E-Mobilität
diese „Partnerschaft“ mit dem Kapital noch weniger funktionieren kann.

Neue Strategie – neue Bewegung

Die nötige Wende in der IG Metall kann nicht mit einem
Hofmann kommen, der vor den Kampfansagen des Kapitals die Augen verschließt,
und mit all den anderen, die weiter von „Partnerschaft“ träumen!

Es gibt in vielen Betrieben Kolleginnen und Kollegen, die
gegen die Kungelei der BR-Spitzen und der GewerkschaftssekretärInnen mit den
Vorständen vorgehen, die versuchen, Vertrauensleute zu stärken oder die eigene
BR-Listen aufstellen. Wir müssen erkennen, dass das Problem nicht an einzelnen
Führungspersonen liegt. Dahinter steht ein politisches Konzept. Die
Sozialpartnerschaft können wir nur mit einer entgegengesetzten Strategie
bekämpfen, die von den Interessen aller MetallerInnen und der ganzen Klasse
ausgeht und nicht einer Elite von Stammbelegschaften in den Großkonzernen. Wir
müssen dies gemeinsam erarbeiten und uns zusammenschließen, weil die Macht in
der IG Metall völlig unter der Kontrolle des Apparates ist.

Am 25./26. Januar 2020 wird in Frankfurt/Main eine
Strategie-Konferenz stattfinden, die Kolleginnen und Kollegen in diesem Sinne
zusammenbringen soll. Wir rufen Metaller und Metallerinnen auf, sich jetzt schon
auszutauschen und zu verbinden: Für eine oppositionelle Bewegung, die die
Angriffe der Unternehmen nicht sozial gestaltet, sondern konsequent bekämpft!
Für eine Bewegung, die auf Klassenkampf setzt statt auf Sozialpartnerschaft,
auf ein Aktionsprogramm gegen die Krise und für die Interessen aller
ArbeiterInnen statt auf Kungelrunden mit Kapital und Kabinett!

Anhang: Korruption ist Scheiße …

BetriebsratsfürstInnen greifen zu: Osterloh (VW) soll bis zu
750.000 in einem Jahr, Hück (Porsche) wohl eine halbe Million verdienen. Das
dürfte die Spitze des Eisbergs sein. Es gibt noch genug andere
SpitzenfunktionärInnen bei der IG Metall, deren Einkommen weit im Bereich von
Managergehältern liegen.

Die Genannten machen nach eigenen Worten so was wie
Topmanagement. Sie finden, dass sie für „ihre Firma“ arbeiten und zwar viel.
Sollen sie aber gar nicht! Sie sollen für die Interessen der Belegschaften
kämpfen und als Gewerkschafter für ALLE MetallerInnen! Das geht nicht mit
Managergehältern. Abgesehen davon ist es eine Beleidigung für alle
Vertrauensleute und Betriebsratsmitglieder, die mit Benachteiligung zu kämpfen
haben, mit Karriereknick oder (auch) in ihrer Freizeit unbezahlt aktiv sind.

  • Offenlegung aller Bezüge! Durchschnittliche Bezüge für alle Betriebsratsmitglieder, die jenen der Belegschaft entsprechen!



Wien: ArbeiterInnen fordern „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“!

Michael Märzen, Infomail 1059, 18. Juni 2019

Seit 1. Jänner
2018 gilt für alle neuen Gemeindebediensteten der Stadt Wien ein neues
Besoldungs- und Dienstrecht, laut dem ehemaligen Stadtrat Czernohorsky von der
SPÖ die „größte personalpolitische Reform der Stadt in der Zweiten Republik“.
Vorgebliches Ziel ist es, die Gemeinde als Arbeit„geberin“ attraktiver zu machen,
vor allem durch eine höhere Lebensverdienstsumme bei flacherer Gehaltskurve.
Das gilt aber nicht für alle: Wer schon vor 2018 bei der Gemeinde begonnen hat,
hat keine Möglichkeit, in das neue Anstellungsverhältnis zu wechseln. Nun
kämpfen Beschäftigte im Krankenanstaltenverbund (KAV) – vor allem Pflegekräfte
– für eine Optierung.

Worum es geht

Bei der Stadt
Wien sind etwa 60.000 Menschen in rund 260 Berufsgruppen beschäftigt. Mit der
„Besoldung neu“ und dem neuen Dienstrecht erwartet sich die Gemeinde einen
flexibleren Umgang mit Personalressourcen. Anwerbung neuer MitarbeiterInnen
geschieht vor allem über ein höheres Einstiegsgehalt (es gilt Mindestlohn 1.670
Euro brutto). Die „Anwerbung“ wird vor allem dadurch erleichtert, dass es gar
keine Pragmatisierungen mehr gibt. Die Entlohnung soll transparenter sein,
indem eine Vielzahl an Zulagen pauschal ins Grundgehalt integriert wird, und
außerdem wird der Tätigkeitsbereich gegenüber Vorbildung und Dienstalter
stärker gewichtet. Für Dienstältere kann die „Besoldung alt“ somit durchaus
vorteilhafter sein, auch weil es keine zusätzlichen Urlaubstage für Ältere mehr
gibt. Es existieren somit durchaus Vor- und Nachteile, die man mit einer
Optierung, also mit einer persönlichen Entscheidung der „Alt“-Bediensteten für
dieses oder jenes Dienstrecht, individuell abschätzen könnte.

Wo liegt das
Problem?

Eine Optierung
ist bisher nicht möglich und auch nach beinahe zwei Jahren ist es nicht sicher,
dass eine solche überhaupt kommen wird. Das wäre vielleicht nicht so schlimm,
wenn nicht mittlerweile durch direkte Vergleiche von Gehaltszetteln bekannt
geworden wäre, welche Kluft zwischen Jahresverdiensten existiert und wie spät
sich in manchen Fällen die Gehaltskurven erst treffen. So liegt der
Schnittpunkt für Pflegekräfte der Intensivstation beispielsweise bei 37
Dienstjahren und der Ausgleich der Lebensverdienstsumme bei absurden 104 Dienstjahren.
Kein Wunder, dass die Stimmung bei den Pflegekräften gegenwärtig hochkocht!

Die Gewerkschaft
beschwichtigt

„Younion“, die
Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, hat die Besoldungs- und
Dienstrechtsreform zwei Jahre lang verhandelt und keine Optierung durchgesetzt.
Die Stadt Wien hat eine zweijährige Evaluierungsreform in Aussicht gestellt,
nach der die Gewerkschaft die Optierung haben möchte. Bei den empörten
ArbeiterInnen im Krankenanstaltenverbund stellt sich natürlich die berechtigte
Frage, warum man so lange warten soll und ob diese Entscheidungsmöglichkeit
dann überhaupt noch kommen wird. Darüber hinaus gibt es viele
Gemeindebedienstete, denen in der Zwischenzeit eine ordentliche Menge Geld
entgeht. Sollte es eine Optierung geben, dann müsste sie also auch rückwirkend
gelten!

Proteste an der
Basis

Eine Gruppe von
PflegerInnen in der Rudolfstiftung wollte sich die Beschwichtigungen von der
Gewerkschaft nicht gefallen lassen und wandte sich an die Personalvertretung.
Ein Personalvertreter startete daraufhin eine Petition an die Wiener
Stadtregierung zur freien Wahlmöglichkeit des Besoldungssystems für alle
MitarbeiterInnen im KAV. Die empörten KollegInnen lancierten parallel dazu die
Initiative „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Seither wurden über 15.000
Unterschriften gesammelt und mehrere öffentlich wirksame Protestaktionen
organisiert. Gefordert wird neben der Optierung die Anpassung der Besoldungen
in Richtung gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie eine transparente
Informationspolitik der Gewerkschaft. Besonders bemerkenswert war jener
Anblick, als mehrere tausend Pflegekräfte vor dem Hauptgebäude der Younion
demonstrierten und skandierten: „Kämpft mit uns!“ – aus dem Gebäude kam keine
Reaktion!

Wie geht es
weiter?

Am 6. Juni tagt
der Petitionsausschuss im Rathaus. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
organisiert um 15 Uhr vor dem Rathaus eine Kundgebung, um lautstarke
Unterstützung für die Eingabe zu signalisieren. Am 19. Juni wird es ein großes
Vernetzungstreffen geben, um die weiteren Aktivitäten zu planen. Auch gibt es
in den verschiedenen Spitälern AktivistInnentreffs und Aktionskomitees. Im
Wilhelminenspital hat sich sogar eine kämpferische Personalvertretungsliste
gebildet und bei den PV-Wahlen im Mai 27 % erreicht! Unter den Pflegekräften
im gesamten KAV hat die FSG fast 15 Prozentpunkte verloren. Das zeigt die große
Unzufriedenheit mit der inkonsequenten Politik der Gewerkschaftsbürokratie.
Diese Wahlen zeigen aber zeitgleich ein Problem auf: Was ist die Alternative
zur FSG in der Gewerkschaft? Eine kämpferische Basisbewegung, wie sie seit
Jahren unter den Pflegekräften existiert, muss sich einen klassenkämpferischen
und organisierten Ausdruck in der Gewerkschaft schaffen. Nur so und im Bündnis
mit anderen Berufsgruppen wird man langfristig etwas erreichen können!




Gewerkschaftslinke: Strategiekonferenz 2020 und ihre Aufgaben

Leo Drais, Neue Internationale 238, Juni 2019

Am 18. Mai 2019 trafen sich in Frankfurt am Main AktivistInnen aus dem Bereich der Gewerkschaftslinken, um eine Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften im kommenden Jahr vorzubereiten (vernetzung.home.blog). In der Diskussion waren sich fast alle politischen Kräfte einig, dass die Konferenzen der Rosa-Luxemburg-Stiftung eigentlich nur Austauschforen darstellen. Die zur Koordinierung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik notwendige strategische Diskussion findet dort ebenso wenig statt wie eine Beschlussfassung zur verbindlichen gemeinsamen Aktion – ein Resultat der Dominanz des linken Gewerkschaftsapparates, der diese Versammlungen auf unverbindlichen Austausch beschränken will. Daher beschloss die Gewerkschaftslinke, eine eigene Strategiekonferenz, vermutlich im Januar oder Februar 2020, durchzuführen.

Die Lage

Eine Strategiekonferenz muss die gegenwärtige Lage der
Gewerkschaften bewerten. Derzeit stehen wir vor einer neuen Verschärfung der
seit 2008 weltweit allgegenwärtigen Krise. Nach einem kurzen Aufschwung der
letzten Jahre werden zur Zeit die Wachstumsprognosen nach unten revidiert, für
Deutschland „halbiert“ (0,8 %). Bürgerliche PolitikerInnen und ÖkonomInnen
erwarten ein Ende der Konjunktur. Globale Konfliktherde nehmen zu: drohender
Brexit, Staatsschuldenkrise in Italien, Handelskonflikte – vor allem zwischen
USA und China – sind nur einige der Punkte.

Treibende und zugleich verschärfende Kraft hinter diesen
Entwicklungen ist die zugespitzte Konkurrenz zwischen den kapitalistischen
Mächten und der daraus resultierende Kampf um die Neuaufteilung der Welt.
Während die Herrschenden in den imperialistischen Zentren 2008 und in den
folgenden Jahren noch zu einem koordinierten Vorgehen gegen die Auswirkungen
der Krise fähig waren – vor allem durch Auslagern der Krisenfolgen in
Halbkolonien sowie durch eine Politik der Bankenrettung und des billigen Geldes
-, sind die Möglichkeiten beim nächsten Einbruch der Konjunktur deutlich
beschränkter. Erstens haben die Maßnahmen zur Rettung der großen Unternehmen
selbst dazu geführt, dass nicht so viel Kapital vernichtet wurde, wie zu einer
neuen nachhaltigen Expansion nötig wäre. Im Gegenteil: Die strukturellen
ökonomischen Probleme – Überakkumulation von Kapital, Verschuldung, neue
spekulative Blasen – sind größer geworden. Zugleich schwindet auch die
Möglichkeit und Bereitschaft der herrschenden Klassen, zu einem koordinierten
Vorgehen – stattdessen haben die Tendenzen zu Blockbildung und Unilateralismus
zugenommen. Die Kosten der Krise sollen auf die KonkurrentInnen abgeladen
werden, die um die Vormachtstellung kämpfen.

Vor diesem Hintergrund sind auch härtere Angriffe auf die
Kernsektoren der ArbeiterInnenklasse zu erwarten, auf die sich heute die IG
Metall, IG BCE usw. im Wesentlichen stützen.

Die Konzerne sind sich dieser verschärften Konkurrenz und
der drohenden Krise bewusst. In der Automobilbranche – einem, wenn nicht dem
zentralen Sektor der deutschen Industrie – werden bereits jetzt große
„Sparprogramme“ aufgelegt. So sollen bei VW 7.000, bei Daimler 10.000, bei
Ford-Deutschland 5.000 Jobs vernichtet werden. Trotz dieser klaren Kampfansage
schüren die GewerkschaftsführerInnen weiter die Illusion, all dies ließe sich wie
eh und je sozialpartnerschaftlich lösen.

Dabei mussten wir schon in der Vergangenheit die fatalen
Auswirkungen dieser Politik erleben. Sie schlägt sich nach den mitgetragenen
Generalangriffen der letzten Jahrzehnte (Ausverkauf der DDR, Agenda 2010) in den
Mitgliederzahlen nieder. 2017 wurde die 6-Milllionenmarke im DGB
unterschritten. Der Klassenfrieden, die Konzentration auf rein ökonomische
Aufgaben (Lohn, Arbeitszeit,..) und die Standortlogik stellen einen
wesentlichen Grund für die Rechtsentwicklung auch von Teilen der Mitgliedschaft
dar.

So fordert der Vorsitzende des VW-Gesamt- und
Konzernbetriebsrats Osterloh: „(…) wir wollen auch deutlich mehr Zusagen für
Zukunftsarbeitsplätze. Und diese Zukunftsarbeitsplätze entstehen nicht irgendwo
in der Welt, sondern in der VW-Heimat.“ Der Konzernbetriebsrat gibt sich hier
kämpferisch – doch nur für die Belegschaft an „seinem“ Standort. Die
VW-Beschäftigten in anderen Länden spielen bei dieser Art standortbornierter
Politik allenfalls am Rande eine Rolle.

Sie spielt dabei unwillkürlich RassistInnen und
RechtspopulistInnen in die Hände, die sich noch als die Anwälte „deutscher
Arbeitsplätze“ präsentieren – und damit Erfolge einfahren. 15 % der
DGB-Mitglieder wählten 2017 die AfD – ein Kampf dagegen oder auch nur eine
Diskussion über die Ursachen findet so gut wie nicht statt. Eine Aufnahme von
Geflüchteten in die Gewerkschaften erfolgt zumeist nur, wenn diese bereits in
ein Arbeitsverhältnis eingetreten sind. Ein Abschiebestopp wurde letztes Jahr
diskutiert – aber bloß für berufstätige Geflüchtete, ganz im Einklang mit der
Industrie.

Eine Frage der Kontrolle

Angesichts dieser Ausgangslage ist die Initiative zur
Strategiekonferenz der Gewerkschaftslinken wichtig und richtig. Ein erstes
Vorbereitungstreffen fand Mitte Mai 2019 statt. Aus unserer Sicht sollte eine
Strategiekonferenz der Startpunkt für den Aufbau einer klassenkämpferischen
Basisopposition in den Gewerkschaften sein. Das bedeutet einerseits, dass
Arbeitskampfmaßnahmen demokratischer und kämpferischer gestaltet werden.

Es muss darum gehen, die Kontrolle über die Kämpfe in die
Hände der Belegschaften selbst zu legen. Jeder Arbeitskampf, bei dem sich die
ArbeiterInnen selbst dazu ermächtigen, zu entscheiden, wie und für was sie
kämpfen wollen, wird jedoch unweigerlich einen Konflikt mit der
Gewerkschaftsbürokratie hervorrufen – auch mit deren linkem Flügel.

Die GewerkschaftsführerInnen und FunktionärInnen, der
gesamte bürokratische Apparat, sind nicht nur ideologisch auf
Klassenzusammenarbeit getrimmt. Die Politik der Sozialpartnerschaft entspricht
der Vermittlerrolle, die die Bürokratie im Kampf zwischen Kapital und Arbeit
einnimmt – eine Vermittlerrolle, die ihrerseits über Jahrzehnte
institutionalisiert wurde und mit einer engen Bindung der Bürokratie an Unternehmen
und Staat einhergeht.

Die opportunistische Haltung zu den Arbeit„geber“Innen
stellt daher keinen politischen Ausrutscher dar, sondern bildet vielmehr das
Lebenselixier dieser Funktionärsschicht, selbst wenn sie gelegentlich gezwungen
sein kann, linker und kämpferischer aufzutreten, als ihr lieb ist. Darüber
hinaus ist die heutige Struktur der Gewerkschaften hierarchisch
durchorganisiert und auch kämpferische FunktionärInnen können dadurch
Repressionen von höheren Instanzen ausgesetzt werden. Genau deshalb geht es
nicht bloß um eine andere Politik der Gewerkschaften – es geht um ihre
grundsätzliche Reorganisation auf klassenkämpferischer, antibürokratischer
Basis.

Eckpunkte dessen sind:

  • Aufbau von Streikkomitees, die gegenüber den Vollversammlungen in den Betrieben verantwortlich, von diesen gewählt und jederzeit abwählbar sind! Diese Versammlungen müssen alle Beschäftigten einschließen, auch die gewerkschaftlich unorganisierten, um sie in den Kampf einzubeziehen und den Druck auf die Routine des Apparats zu erhöhen. Die Komitees müssen zentralisiert und zu einer schlagkräftigen Führung ausgebaut werden!
  • Streiks und Kämpfe müssen gegen StreikbrecherInnen, Polizei und ProvokateurInnen geschützt werden! Dazu sind demokratisch kontrollierte Streikposten zu Selbstverteidigung der ArbeiterInnen nötig!
  • Für das Recht aller politischen und sozialen Gruppierungen (mit Ausnahme faschistischer und offen gewerkschaftsfeindlicher), sich in den Gewerkschaften zu versammeln, zu artikulieren und Fraktionen zu bilden!
  • Für die Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der FunktionärInnen! Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt verdienen!
  • Aufhebung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere des Rechts auf politischen Streik! Für klassenkämpferische Gewerkschaften, strukturiert nach Branchennähe, Streikfähigkeit und gemäß dem Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“.

Ein Programm gegen die Krise

Entscheidend für den Erfolg der Strategiekonferenz und der
Gewerkschaftslinken wird sein, ob ihre Isolation innerhalb der
ArbeiterInnenbewegung durchbrochen werden kann. Dazu bedarf es aber auch der
Diskussion und Formulierung einer politischen Alternative zum Bürokratismus und
Reformismus des Apparates.

Der Kampf um eine Politisierung der Gewerkschaften ist dazu
unerlässlich. Die drohenden Angriffe werden nicht nur in Betrieben stattfinden.
Die Frage von explodierenden Mieten, Kampf um die Erhaltung unserer
Lebensgrundlagen, imperialistische Aufrüstung, Rassismus, Schuldendiktate und
Generalangriffe auf demokratische Rechte bedürfen politischer Antworten bis hin
zum politischen Streik.

Daher sollte auch eine Verbindung der gewerkschaftlichen
Kämpfe mit bestehenden Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Deutsche Wohnen
und Co. enteignen“ gesucht werden. Dies wird nur möglich sein durch
programmatische Forderungen, die in die kommenden Auseinandersetzungen getragen
werden und um die sich kämpferische ArbeiterInnen sammeln können:

  • Wir zahlen nicht für eure Krise! Gegen die staatliche Rettung maroder Banken und Konzerne. Keine Subventionsprogramme zur Steigerung der Profite!
  • Streiks und Besetzungen gegen die kommenden Massenentlassungen! Anstelle einer sozialpartnerschaftlichen „Lösung“: entschädigungslose Enteignung der Schlüsselindustrien und der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit allen Hartz-Gesetzen sowie Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen! Nein zu allen Privatisierungen! Demokratische Kontrolle der Arbeitslosenversicherung, des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens durch die Beschäftigten! Die Gewerkschaften müssen auch für die kämpfen und die aufnehmen, die nicht im Produktionsprozess stehen.
  • Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche in ganz Europa! Für einen europaweiten Mindestlohn und internationale Tarifverträge, um der Standortkonkurrenz entgegenzutreten!
  • Nein zu Rassismus, Sexismus, Militarismus, Umweltzerstörung! Offene Grenzen statt Festung Europa! Europaweiter und internationaler Klassenkampf statt Nationalismus!

Auf dem Vorbereitungstreffen wurde von verschiedenen Kräften
der Vorschlag eingebracht, eine Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung auf 30
Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu starten –
angesichts der drohenden Massenentlassungen eine richtige und wichtige
Forderung, vor allem im Zusammenhang mit den zu erwartenden
Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung. Die Forderung sollte aber
dahingehend erweitert werden, eine von ArbeiterInnen kontrollierte Aufteilung
der Arbeit auf alle, die in Europa leben, zu erreichen – so kann auch der
Spaltung der Lohnabhängigen entgegengetreten werden.

Um zu einem Attraktionspol für kämpferische
GewerkschafterInnen zu werden, reicht natürlich die Bewerbung einer
Strategiekonferenz nicht aus. Die Initiative muss vielmehr auch in den Kämpfen
und Mobilisierungen bekannt gemacht werden.

Vor allem aber geht es auch darum, dass die
Gewerkschaftslinke eine klassenkämpferische Antwort in den laufenden
Auseinandersetzungen und Aktionen – sei es gegen die drohenden
Massenentlassungen, sei es gegen den Pflegenotstand, sei es bei Fridays for
Future oder der zentralen Mobilisierung 
der IG Metall am 29. Juni – vertritt.




Auto-Krise: Next Level

Frederik Haber, Neue Internationale 237, Mai 2019

7.000 Arbeitsplätze will VW
vernichten, 10.000 Daimler. Beide haben in den letzten Wochen sogenannte
„Sparprogramme“ angekündigt. In den Pressemeldungen wurde zugleich auf die in
beiden Fällen lange laufenden „Sicherungen“ verwiesen, die Entlassungen der
Stammbelegschaften in Deutschland verhindern würden.

Auch bei den ZuliefererInnen
wird gespart. Der weltweit größte, Bosch, hat intern schon klargemacht, dass
bei der Produktion von Dieselmotor-Komponenten bis zu 90 % der Arbeitsplätze
wegfallen werden. Im letzten Jahr sind schon 600 abgebaut worden. Die
Betriebsräte in Stuttgart-Feuerbach und Bamberg trieb dies bereits zu
Protestkundgebungen und dazu, zu lokalen Demos gegen Diesel-Fahrverbote
aufzurufen.

Der viertgrößte deutsche
Zulieferer Mahle hat ebenfalls ein Sparprogramm einschließlich Stellenabbau
verkündet und darauf hingewiesen, dass die dort gültige Standortvereinbarung
nur bis Ende 2019 gilt.

Gründe

Daimler und VW sprechen von
einem Rückgang der Zulassungszahlen und von notwendigen Investitionen in
Elektromobilität und Digitalisierung. Tatsächlich sind die Zulassungszahlen –
wenn überhaupt – nur leicht gesunken. In Deutschland wurden im März 19 zwar 0,5
% weniger Autos neu zugelassen als im Vorjahresmonat, im ersten Quartal 19 aber
sind es 0,2 % mehr als im entsprechenden Zeitraum 2018. Auch weltweit kann noch
nicht von einem wirklichen Einbruch des Absatzes gesprochen werden.

Diese Begründungen sind also
nur ein Teil der Geschichte.

Mit dem Verbrennungsmotor, insbesondere
mit dem Diesel, haben die deutschen Autokonzerne Milliarden verdient und ihre
Position auf dem Weltmarkt ausgebaut. Unter den 10 größten AutobauerInnen (nach
Umsatz) befinden sich drei deutsche, unter den 30 größten ZuliefererInnen vier.
Im Segment Elektro-Autos, so klein es auch ist, führen andere, vor allem
chinesische Firmen.

Die Zahl der verkauften
Elektroautos ist aber sprunghaft angestiegen. Zwar sind von den im März 19 in
Deutschland zugelassenen nur 1,9 % E-Autos, aber die Zahl stieg in einem Jahr
um fast 75 %. Solche Zuwächse wecken Begehrlichkeiten.

Für Elektrotechnologie sind
allerdings gewaltige Investitionen nötig: in die Entwicklung der
Antriebstechnik, der Produktionstechnik und die Maschinerie selbst. Das Geld
dafür wollen die Autokonzerne und die ZuliefererInnen aus existierenden Anlagen
und Technik raussaugen. Angesichts dessen, dass der Großteil der verkauften
Autos nach wie vor mit Verbrennungsmotoren ausgestattet ist, hat sich die
Konkurrenz auf diesem Sektor ebenfalls verschärft. Wer jetzt nicht genug Profit
saugen kann, spielt im nächsten Level nicht mehr mit.

Schlechte Aussichten

Die Ankündigungen aus den
Konzernetagen sind ernst zu nehmen. Die Sparpläne von VW und Daimler setzen auf
schon laufenden Programmen auf. So hat VW schon seit 2016 eines laufen,
weltweit 30.000 Stellen abzubauen, 23.000 davon in Deutschland. Im Gegenzug
sollen 9.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Dazu kommt eine massive
Entlassungswelle von LeiharbeiterInnen. Bei Daimler-Untertürkheim werden allein
über 800 entlassen, um die Motorenproduktion zu verlagern und
„Zukunftstechnologien“ anzusiedeln.

Diese „Transformation“ ist
keineswegs ein ökologischer Fortschritt. Der Verkehrsexperte Winfried Wolf
bemerkt völlig zu Recht:

„Weniger Klimabelastung in
den USA und Europa? Umgekehrt: Mit der Elektromobilität wachsen die
CO2-Emissionen sogar in den hoch motorisierten Ländern. Die reine CO2-Bilanz
eines E-Pkw ist im Vergleich zu einem Benzin- oder Diesel-Pkw maximal um ein
Viertel günstiger – wenn der gesamte Lebenszyklus des Autos betrachtet wird.
Und wenn es kleine Elektroautos sind. Nun sind die E-Auto-Modelle inzwischen
deutlich schwerer und oft größer als herkömmliche Mittelklasse-Pkw. Der VW
Käfer wog 700 Kilogramm. Der aktuelle Golf bringt 1,3 Tonnen auf die Waage. Der
E-Golf wiegt 1,6, ein Tesla Model S dann 2,1 Tonnen.“

Dass es den Autokonzernen
mitnichten um ökologische Ziele geht, belegt auch das kriminelle Verhalten
einiger ihrer führenden Köpfe. Die EU beschuldigt die drei führenden deutschen
Auto-Konzerne, Absprachen zulasten der VerbraucherInnen getroffen zu haben. Sie
hatten vereinbart, keine weiteren schadstoffreduzierenden Technologien zu
entwickeln. In trauter Eintracht hatten sie zuvor schon Abgasmessungen
manipuliert und Abschaltvorrichtungen eingebaut.

IG Metall

Die stärkste
Industriegewerkschaft der Welt verhält sich bemerkenswert ruhig. Es gibt keine
Erklärung zu den Einsparplänen bei VW oder Daimler, schon gar keinen Protest.
Der Abbau von 30.000 Jobs bei VW wurde 2016 mit dem Betriebsrat vereinbart. Die
vage Zusicherung, dass die anderen Arbeitsplätze gesichert wären, reicht
Betriebsrat und IG Metall, dem Kapital freie Hand zu geben.

Es gibt auch keine Debatte
in der IG Metall über Verkehrssysteme. Die einfache Logik des Handelskrieges
reicht: Wenn China die Elektroautos baut, dann sind unsere Arbeitsplätze weg
und unser Wohlstand auch.

Also trabt die IG Metall
weiter hinter dem Großkapital her. So wie sie die Exportoffensive und die
Abgaspolitik bei der EU unterstützt hat, am selben Strang ziehend wie Merkel
und die Industrie. So wie sie die Agenda 2010 unterstützt hat, die Einführung
der Niedriglöhne und die Ausweitung der Leiharbeit, gerade auch in den großen
Autofabriken. Wie die Ausgliederung von Produktion an
„Logistik“-DienstleisterInnen und die Änderung des Streikrechts, die genau
verhindern kann, dass die NiedriglöhnerInnen bei diesen Betrieben mit Streiks
die Wertschöpfungskette unterbrechen können.

Mitgefangen

Die Krise der
Automobilindustrie ist so auch zu der der Gewerkschaft geworden. Das Konzept
der deutschen AutobauerInnen beinhaltete, die Welt mit immer mehr, immer
größeren und schwereren Oberklassenautos zuzuschmeißen. Sie haben dies mit
KanzlerInnen-Hilfe abgesichert.

Die Strategie der IG Metall
bestand in der engstmöglichen Zusammenarbeit mit dem Exportkapital. Das war
immer schon Verrat an den LeiharbeiterInnen und den NiedriglöhnerInnen, an den
Beschäftigten bei ZulieferInnen und im Ausland. Sie hat eine Mentalität bei den
Stammbelegschaften erzeugt, dass der eigene Arbeitsplatz am besten geschützt
ist, wenn möglichst viele andere ungeschützt sind. Dass die eigenen
Arbeitsplätze auf Kosten anderer mit „Standortsicherungen“ verteidigt werden
müssen und Sonderzahlungen aus den Profiten, d. h. der Ausbeutung, im Ausland
finanziert werden sollen. Sie hat die Solidarität völlig untergraben, aber dies
hat scheinbar funktioniert.

Jetzt wird diese Strategie
für deutlich weniger Menschen aufgehen. Die Ankündigungen von Stellenabbau und
Entlassungen der letzten Wochen sind ein Warnschuss. Es wird der IG Metall
nicht gelingen, diese Arbeitsplatzstreichungen aufs Ausland zu verschieben. Im
Gegenteil: Eine in Deutschland eingesparte Stelle spart mehr als eine im
Ausland. Neue Stellen aus „Transformation“ werden hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit
nicht in Deutschland geschaffen.

Mobilisierung oder Ersatzhandlung?

Offensichtlich wird es auch
den StrategInnen im Vorstand in Frankfurt ungemütlich. Sie wollen nicht, dass
sich gar nichts tut. Sie rufen zu einer Kundgebung am 29. Juni in Berlin auf:

„Eine gerechte
Transformation geht nur mit uns. Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich
rasant. Die IG Metall will den Wandel im Sinne der Beschäftigten mitgestalten.
Egal, ob die Schlagwörter Digitalisierung, Elektromobilität, Industrie 4.0 oder
Globalisierung heißen: Wir kämpfen für eine soziale, ökologische und
demokratische Transformation. ‚Wandel geht nur gerecht – gegen Profitgier,
Politikversagen und Spaltung‘, schreiben wir uns auf die Fahnen.“

Die Rolle der Konzerne kommt
nicht vor. Der Kapitalismus kommt nicht vor. Gerade mal „Profitgier“ gibt es,
aber wo fängt die an? Wo doch die IGM-Betriebsräte selbst betonen, dass die
Gewinne nötig sind, um die Zukunft zu meistern?

Die Forderungen „für sichere
und tarifgebundene Arbeitsplätze“, nach „Zurückdrängung prekärer Arbeit“, für
„ein Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung“, „Einhaltung der
Klimaschutzziele, Ausbau der öffentlichen Infrastruktur, Investitionen in
nachhaltige und innovative Industrie“ und „mehr Beteiligung und Mitbestimmung“ sind
so unkonkret und beliebig wie ein Wahlplakat der SPD. Damit wird die
Gewerkschaft weder wirklich mobilisieren können noch einen nachhaltigen
Widerstand aufbauen.

Es ist auch fraglich, ob und
wie sich aus der Mobilisierung für Berlin ein solcher entwickeln kann, wenn es
keine Debatte über die konkreten Probleme gibt. Wenn weiterhin die Nähe zu den
Bossen so eng ist, dass weder die „Transformation“ noch die Digitalisierung
noch die E-Autos in Frage gestellt werden.

Ansatzpunkte

Eine Alternative zur Politik
der IG Metall-Führung kann nicht sein, die Kapitulation vor den Angriffen der
Konzerne nur etwas sozialer zu gestalten oder etwas mehr zu kämpfen. Eine
Alternative muss die ganze Situation im Blick haben:

  • Welche Verkehrssysteme entsprechen den Bedürfnissen der Massen in Stadt und Land?
  • Wie können sie durchgesetzt und umgesetzt werden – national und international?
  • Wer kann was produzieren und wer entscheidet darüber?

Die IG Metall fordert in
ihrer Satzung die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. In der Gewerkschaft
selbst ist das ein Tabu. Doch es ist eine richtige Idee, die Macht der
Autokonzerne zu brechen. Aber die Verantwortung dürfen nicht Regierungen und
Staat übernehmen.

Wir schlagen eine
entschädigungslose Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle vor: Die
Entscheidung, was und wo entwickelt wird, müssen die Beschäftigten demokratisch
fällen – keine Konkurrenz, sondern Zusammenarbeit für die besten Lösungen. Über
die Verkehrssysteme darf nicht der Markt entscheiden, sondern das muss die
Gesellschaft tun.

Brennpunkte

Aus dem heutigen Alltag im
Betrieb heraus erscheint eine solche Diskussion verwegen, ja abseitig. Heute
beschäftigen sich nur wenige weitblickende KollegInnen damit.

Doch wenn wir die Tiefe der
Krise des Kapitalismus, die Notwendigkeit einer grundlegenden Umstrukturierung
des gesamten Energie- und Verkehrssystems in Rechnung stellen, so sind solche
Fragstellungen nicht abseitig, sondern notwendig, wenn wir eine
fortschrittliche Antwort im Interesse aller arbeitenden Menschen – ob nun in
der Autoindustrie oder anderen Branchen – entwickeln wollen. Wenn die
Ankündigungen der ManagerInnen konkret werden, wenn Entlassungen im Raum stehen
und Schließungen, dann wird sich die Lage ändern – die Frage des Kampfs gegen
alle Entlassungen muss spätestens dann mit der nach dem für die
Umstrukturierung der gesamten Industrie, ja der gesamten Gesellschaft verbunden
werden. Dann muss gekämpft werden und dann werden KollegInnen dazu gezwungen
sein, weil die Kapitalseite die Sozialpartnerschaft aufkündigt.

In solchen Situationen
müssen Alternativen auf den Tisch: Das „Schlimmste verhindern“ und ein paar
Arbeitsplätze retten oder gemeinsam für alle die Arbeitsplätze vereidigen? Auf
Lohn verzichten und die eigene Haut „standortsichern“ oder betriebsübergreifend
und international gemeinsam handeln?

Die Bosse „an ihre
Verantwortung erinnern“ oder die Betriebe besetzen, die sie schließen wollen?

Bereiten wir uns darauf vor,
Alternativen präsentieren zu können! Die KapitalistInnen haben den Klassenkampf
ausgerufen. Wir rufen auf, eine klassenkämpferische Bewegung in der IG Metall
aufzubauen! Eine solche Bewegung muss jetzt die Krise der Autoindustrie als
eine des Kapitalismus thematisieren. Sie muss jetzt auf die Vorbereitung des
Abwehrkampfes drängen, auf Besetzungen und politische Massenstreiks gegen
Schließungen, Verlagerungen und Massenentlassungen. Sie muss dies von der
Gewerkschaftsführung einfordern, auf Kongressen, in den Gremien und vor allem
in den Betrieben einbringen, ohne auch nur eine Minute politisches Vertrauen in
die Bürokratie zu setzen.

Und sie muss diesen Kampf
organisiert führen – als klassenkämpferische Bewegung, die mit dem
Co-Management der eigenen Organisation bricht.




„Aus unseren Kämpfen lernen“ – aber wie?

Frederik Haber/Helga Müller, Infomail 1064, 14. März 2019

Unter obigem Motto fand die 4. Streikkonferenz vom 15. bis 17. Februar in Braunschweig statt. Mit rund 800 Teilnehmenden war sie die bisher größte ihrer Art. Offensichtlich gibt es Bedarf, über die Praxis der Gewerkschaften zu diskutieren. Von den Mitgliederzahlen her waren diese in den letzten 70 Jahren noch nie so schwach wie heute. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in Betrieben mit Betriebs- oder Personalräten, der Geltungsbereich von Tarifverträgen ist auf unter 50 Prozent gesunken.

Niedergang

Dieser
Niedergang hat nicht nur auf Grundlage strategischer Niederlagen wie der Agenda
2010 stattgefunden, sondern setzte sich in den letzten Jahren auch ohne scharfe
offene Angriffe und Rückschläge fort, in Zeiten, in denen die
Gewerkschaftsführungen mit der Regierung kooperieren, ja sie sogar offen
unterstützen; in Zeiten, in denen der DGB gemeinsam mit den
Unternehmerverbänden „Hundert Jahre Mitbestimmung“ feiert.

Höchste Zeit
also zu fragen, was die Gewerkschaften falsch machen. Ist es nur die Praxis
oder steht dahinter auch eine bestimmte Politik? Die Rosa-Luxemburg- Stiftung
als Veranstalterin der Braunschweiger Konferenz beschränkte sich allerdings
bewusst auf ein Konzept, einzelne gute Beispiele zu präsentieren, die dann
anderswo nachgeahmt werden können. Recht offen stellte ihre Vorsitzende dar,
dass in den Gewerkschaftsführungen oft Leute sitzen, die nichts ändern möchten.
Sie berichtete von der mühevollen Arbeit, diese trotzdem von der Notwendigkeit
dieser Konferenz zu überzeugen.

Die einfache
Frage, warum die Leute, die für den Niedergang der Gewerkschaften
verantwortlich sind, an der Klassenzusammenarbeit um praktisch jeden Preis
festhalten und daran auch nichts ändern wollen, noch hofiert, stellt sie nicht
und offensichtlich nicht viele im Publikum: Gehören solche Leute nicht einfach
rausgeschmissen?

Die
VeranstalterInnen setzen denn auch darauf, möglichst viele regionale
Verantwortliche als UnterstützerInnen zu gewinnen. Überhaupt sind viele
Hauptamtliche dabei. Beim Branchentreff Metall stellen sie rund die Hälfte der
Anwesenden. Mag sie auch Unbehagen über die derzeitige Politik nach
Braunschweig getrieben haben, in der Diskussion verteidigen sie die Politik der
Führung – sei es aus Überzeugung oder Reflex.

Der
Tarifabschluss 2018 sei ein Einstieg in die Arbeitszeitdebatte und hätte eine
Verkürzung der Arbeitszeit gebracht – meinte z. B. das IGM-Vorstandsmitglied
Urban. Dass der Abschluss ein größeres Arbeitszeitvolumen ermöglicht und viele
Unternehmen dies nutzen, wird genauso wenig erwähnt, wie dass der rechte
Apparat der IGM mit diesem Abschluss die Arbeitszeitdebatte für beendet erklärt
hat. Jegliche Strategie der Linken muss aber von der Realität ausgehen und
nicht von Wunschdenken und Schönreden.

Rechtsruck und
Gewerkschaften

Die Krise der
Gewerkschaften drückt sich auch darin aus, wie sie mit dem Rechtsruck in der
Gesellschaft umgehen. So sorgte sich die IG Metall bei den Betriebsratswahlen
2018 sehr um das Abschneiden einiger betont rechter, rassistischer und
gewerkschaftsfeindlicher Listen. Nachdem diese aber nur wenige Mandate erzielt
hatten, ist das kein wirkliches Thema mehr.

Dazu trug Klaus
Dörre auf der Konferenz ein Referat vor, das darauf hinwies, dass „sich nur
wenige Kandidaten gefunden haben, die sich während der Betriebsratswahlen auf
Listen offensiv dazu bekennen, rechte Positionen zu vertreten, doch das bedeute
nicht, dass diese nicht existieren.“ Allein 19 Prozent der Lohnabhängigen und
15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben bei der Bundestagswahl 2017 der
AfD ihre Stimme gegeben – bei einem Gesamtergebnis von 12,6 Prozent ein
deutlich überdurchschnittlicher Wert.

Er stellte dar,
dass es nicht nur GewerkschafterInnen gibt, die sowohl „korrekte“
gewerkschaftliche Positionen vertreten wie auch rechtspopulistische Floskeln
äußern, sondern auch überzeugte rassistische ReaktionärInnen, die manchmal eine
führende Rolle in den betrieblichen Strukturen ausüben und als „gute InteressensvertreterInnen“
gelten. Wo diese einmal etabliert sind, wird das Thema vom Apparat tabuisiert,
solange die Mitglieder oder Betriebsräte keine Konkurrenzliste aufmachen.

Das hätte viel
Anlass zur Diskussion geben können und müssen. Es zeigt, dass die
reformistischen BürokratInnen rassistische, nationalistische und
rechtspopulistische Positionen dulden, solang diese Kräfte die Gesamtpolitik
des Apparates nicht stören. Man könnte das als unausgesprochenes
Stillhalteabkommen bezeichnen. Für die Linke in den Gewerkschaften bedeutet
dies, dass es nicht reicht, nur gute, aktive Betriebsarbeit zu machen, auf
„Organizing“ zu setzen und sich um die unorganisierten Bereiche insbesondere im
prekären Sektor zu kümmern, der bekanntlich von der Bürokratie fast völlig
vernachlässigt wird. Vielmehr muss dies mit einem aktiven Kampf gegen Rassismus
verbunden werden – und eine solche Politik muss auch gegen den Apparat in den
Gewerkschaften und in den Großkonzernen durchgesetzt werden.

Es liegt auf der
Hand, dass diese nicht in „Bunt statt Braun“- Bekenntnissen aller Gutmenschen
oder in gemeinsamen Erklärungen von Betriebsräten mit den Unternehmensleitungen
bestehen kann. Die richtige Erklärung, dass die AFD „neoliberale“ und
arbeiterInnenfeindliche Politik mache, bleibt solange weitgehend unwirksam, wie
die Gewerkschaften auf Klassenzusammenarbeit mit den BetreiberInnen und
ProfiteurInnen dieser „neoliberalen“ Politik setzen. Der Kampf gegen rechts ist
in den Gewerkschaften zugleich einer gegen die Klassenzusammenarbeit und kann
letztlich nur so erfolgreich sein.

Dies wird nicht
nur in den Gewerkschaftsstrukturen kaum thematisiert. Auch in Braunschweig gab
es keine Diskussion mit Dörre zu dessen Studien und teilweise provozierenden
Thesen. Nur ein Workshop ganz am Ende der Tagung betrachtete den „Umgang mit
Rechtspopulismus in Betrieb und Gewerkschaft“ – ansonsten wurde das Thema
routiniert ausgesessen.

Beteiligung

Ein gutes
Drittel der TeilnehmerInnen kann man als „jung“ (also unter 40) bezeichnen und
insgesamt lag der Altersdurchschnitt deutlich unter dem der meisten
Gewerkschaftsveranstaltungen. Aber die in Braunschweig versammelte
„Gewerkschafts-Jugend“ war nicht sonderlich radikal. Es schienen viele
Studierende unter ihnen zu sein, denen die Konferenz mal erlaubt, an
Betriebsarbeit zu schnuppern, aber auch viele, die direkt an einem Aufstieg in
den Apparat arbeiten.

Frappant war der
geringe Anteil an MigrantInnen auf der Konferenz. Sie sind bekanntlich in der
Gewerkschaft umso schlechter vertreten, je höher es in die Ränge der
FunktionärInnen geht. In Braunschweig kamen gerade mal 16 Menschen zum Workshop
über Migration. Das stand in eklatantem Gegensatz zu Bernd Riexingers Statement
in der Podiumsdiskussion am Freitagabend, dass Streiks „heute jünger, weiblicher
und migrantischer“ seien. Diese Aussage ist dort gültig, wo Streiks im Handel,
bei ErzieherInnen und in ähnlichen Bereichen stattfinden. Sie wirft aber auch
ein Licht darauf, dass genau diese KollegInnen in Braunschweig wenig anwesend
waren, sondern vor allem die GewerkschaftssekretärInnen, die diese Kämpfe
betreuen und organisieren.

Insgesamt war
ver.di viel besser vertreten als die IG Metall – ein Indiz dafür, dass dort die
Spielräume größer sind. Das liegt einerseits an deren branchenbedingter Vielfalt
und einem relativ schwächeren Apparat, aber auch daran, dass die IG Metall die
Schlachtschiffe des deutschen Groß- und Exportkapitals organisiert,
insbesondere die Autoindustrie. Ihr Beitrag zu der dort herrschenden engen
Zusammenarbeit mit dem Kapital ist es, alle eigenständigen Bewegungen und
Initiativen zu ersticken, die die arbeitsteilige Produktion und den Umsatz
gefährden könnten. Ja, es werden sogar störende Elemente in Kollaboration mit
dem Management aus den Betrieben entfernt.

Pflegenotstand

Ein wichtiger
Schwerpunkt der Konferenz war die Debatte zum Gesundheitswesen. Kein Wunder
fehlen nach ver.di-Angaben über 100.000 Pflegekräfte. Ver.di hatte deswegen vor
ca. 2 Jahren eine Kampagne zur Entlastung der Klinikbeschäftigten initiiert und
in immerhin 13 Krankenhäusern Tarifverträge und schuldenrechtliche Abkommen für
mehr Personal durchsetzen können, teilweise durch wochenlange
Durchsetzungsstreiks wie an den Unikliniken in Essen und Düsseldorf. In den
Medien ist seitdem die Personalmisere insbesondere in den Krankenhäusern immer
wieder Thema. Selbst die Politik musste mit diversen neuen Gesetzen reagieren,
die vorgeben den Personalnotstand zu bekämpfen. Von daher wurden auf der
Konferenz diverse Arbeitsgruppen zur Bilanz der Entlastungskampagne und wie es
damit weitergeht angeboten.

Trotz positiver
Beispiele wie Abkommen und Tarifverträge für mehr Personal durchgesetzt werden
konnten, wurde hier versäumt intensiv darüber zu diskutieren, welche Mittel die
Belegschaften einsetzen müssen, um die Tarifverträge auch gegen den Willen der Klinikleitungen
in der Realität umzusetzen. Trotz eines Beschlusses des
Bundesfachbereichsvorstandes 3 (Fachbereich 3 ist in ver.di für den
Gesundheitsbereich zuständig), die Kampagne fortzuführen und trotz des
ernstgemeinten Appells eines linken Gewerkschaftssekretärs, die Umsetzung des
Personalaufbaus gemeinsam mit allen Beschäftigten der 13 Krankenhäuser gegen
die Verweigerungshaltung der Klinikleitungen durchzusetzen, wurde es versäumt
zu diskutieren, wie genau dieses gemeinsame Vorgehen gegen den Willen des
Apparats durchgesetzt werden kann. Lag doch eine der Schwächen der Kampagne
genau darin, dass die ver.di-Verantwortlichen die Kampagne in keiner Phase des
Kampfes so angelegt hatten, dass die Belegschaften aller Krankenhäuser in einen
gemeinsamen Kampf für die Durchsetzung von mehr Personal entsprechend dem
Bedarf geführt wurden.

Eigentlich eine
gewerkschaftliche Binsenweisheit! Liegt doch die Kraft eines bundesweit
angelegten gewerkschaftlichen Kampfes gerade darin, dass besser organisierte
und kampffähigere Belegschaften schwächere mitziehen können und diese durch ein
bundesweites Abkommen für mehr Personal davon profitieren können. Immer wieder
wurde auch gemunkelt, dass der Bundesvorstand die Kampagne gerne nur noch auf
Sparflamme hätte fortführen wollen bis sie dann zu guter Letzt ganz aufgegeben
wird. Das konnte tatsächlich durch den Kampf der Belegschaften der 13
Krankenhäuser durchbrochen werden. Sehr richtig wurde in den Diskussionen von
ver.di-Seite angemerkt, dass diese Kampagne mehr ist als der „übliche“
gewerkschaftliche Kampf um einen Tarifvertrag, diese darüber hinausgeht und
auch eine politische Kampagne beinhaltet.

Aber anstatt
Ross und Reiter zu nennen, dass es um einen politischen Streik geht gegen die
Privatisierungspolitik der Regierungen und gegen die Einführung der sog. DRGs
(Fallpauschalen), die die Privatisierung erst für Gesundheitskonzerne lukrativ
gemacht haben, verwiesen die anwesenden Gewerkschaftssekretäre und die
Vertreter der Linkspartei auf die diversen Volksbegehren in Hamburg, Berlin,
Bremen und Bayern, die zum Ziel haben einen verbindlichen gesetzlichen
Personalschlüssel durchzusetzen. Egal ob im Norden oder Süden der Republik – diese
Volksbegehren haben den großen Nachteil, dass sie einerseits einem mehr oder
weniger komplizierten gesetzlichen Verfahren unterworfen sind, das zum Ziel
oder auch nicht führen kann und das andererseits vollkommen vom politischen
Willen der jeweiligen Regierungen abhängig ist.

Perspektive

Insgesamt ist
diese Konferenz nicht darauf ausgelegt gewesen, die linken, kritischen oder
oppositionellen Teile in den Gewerkschaften zu radikalisieren und zu vereinen.
Dazu wäre auch eine Kritik an der Praxis der Bürokratie – einschließlich des
linken Flügels des Apparates – nötig gewesen. Die Vereinbarungen zur
„Standortsicherung“ beispielsweise verlieren ihren spalterischen Charakter –
die Sicherung der Arbeitsplätze auf Kosten anderer Belegschaften und der prekär
Beschäftigten – nicht dadurch, dass sie von kämpferischen Aktionen begleitet
werden und dem Kapital das eine oder andere Zugeständnis abknöpfen. Die
permanente Rechtfertigung solcher Politik durch „linke“ SekretärInnen als
einzig Mögliche und damit, dass die KollegInnen ja noch nicht so weit wären
(„Ich selber bin ja auch SozialistIn“) blockiert und beschränkt zugleich die
Entwicklung des Klassenbewusstseins und der Entschlossenheit der AktivistInnen.
Aus dem Munde linker GewerkschafterInnen sind die Rechtfertigungen oftmals
wirkungsvoller als aus dem Munde derer, die schon die Ansätze von Kämpfen
verhindern.

Hinzu kommt,
dass die Fortsetzung der Politik der Sozialpartnerschaft durch
gewerkschaftliche Unterstützung der Regierungspolitik von SPD und Linkspartei
auch weitgehend ausgeblendet wurde.

Natürlich ist es
für einzelne AktivistInnen enorm schwer, in der Masse von sowohl rückständigen
Belegschaften als auch Gewerkschaftsstrukturen, die voll und ganz unter der
Kontrolle der ReformistInnen stehen, den Spagat zu machen zwischen
Mobilisierung für den Kampf, Kritik an den Apparatmethoden, der Entwicklung und
Durchsetzung alternativer Strategien, die nicht nur kämpferischer sind, sondern
zugleich eine antikapitalistische Perspektive entwickeln, die mit der Praxis
verbunden sind.

Aber genau das
erfordert eine verbindliche Organisierung der klassenkämpferischen Kräfte in
den Gewerkschaften und Betrieben, die nicht nur um eine andere Politik
vertreten, sondern auch darum kämpfen, die Macht des Apparates zu brechen –
eines Apparates, der nicht nur eine sozialpartnerschaftliche und bürgerliche
Politik in der Klasse betreibt, sondern der auch über tausende Fäden eng mit
dem Herrschaftssystem des Kapitals verbunden ist. Schritte in diese Richtung
unternahm die Streikrechtskonferenz nicht – und das war von der Linkspartei und
den ihr nahestehenden Teilen der Gewerkschaftsspitzen auch nicht beabsichtigt.

Zur
organisierten Opposition können wir nur auf Grundlage einer Aufarbeitung der
Krise der Gewerkschaften und einer Verständigung gelangen, worin die Politik des
reformistischen Apparates besteht. Dazu sind Verabredungen zum Kampf gegen die
reformistische Bürokratie nötig.

Die nächste
Gelegenheit dafür bietet sich voraussichtlich mit dem Projekt einer
Strategiekonferenz im Jahr 2020. Die Initiative zur Vernetzung der
Gewerkschaftslinken hatte dafür im Vorfeld geworben und schon einige Resonanz
erhalten. Ein kurzes Treffen für die Organisierung zählte dann immerhin 70
TeilnehmerInnen. Offensichtlich gibt es bei einigen das Bedürfnis, tiefer zu
gehen, als nur Anregungen für eine bessere Praxis zu sammeln. Möglicherweise
hat die Übermacht des Apparates in Braunschweig die Notwendigkeit, über
Strategie nachzudenken, noch befördert. Zur Vorbereitung der Strategiekonferenz
2020 findet ein nächstes Vernetzungstreffen am 18. Mai 2019 in Frankfurt/Main
statt.

Das strategische
Ziel muss die Befreiung der größten Organisationen der ArbeiterInnenklasse von
denen sein, die sie in der Zusammenarbeit mit dem Kapital und dessen Staat
fesseln.




SPD: Neubestimmung oder neue Illusionen?

Tobi Hansen, Infomail 1044, 1. März 2019

Die bürgerlichen Medien standen für die Regierungsparteien Spalier. Alle berichteten über die „Profilschärfung“ bei „Debattencamp“ und Vorstandsklausur der SPD. Bei der CDU heißt das „Werkstattgespräche“. Sozialdemokratie und Unionsparteien war es schließlich schon vor einiger Zeit „gelungen“, in den Meinungsumfragen gemeinsam unter die 50-Prozent-Marke zu sinken. Die SPD sackte an ihrem Tiefpunkt gar auf 12 oder 13 % ab – deutlich hinter die Grünen. Die Partei will nun Hartz IV „hinter sich lassen“ – Grund genug, dass am „Debattencamp“ Jubel ausbrach. Schließlich beschloss der Vorstand einstimmig das Papier „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ .

Bei der CDU hatte zwar die neue
Vorsitzende Kramp-Karrenbauer (AKK) die Anwesenden zunächst als SozialdemokratInnen
begrüßt. Nach diesem Lapsus wusste sie aber sehr wohl, was der mittlere und
obere Funktionärsstamm der Union hören wollte. Als Botschaft blieb übrig, dass
sich „ein 2015“ nicht wiederholen solle. Dies ist explizit nicht auf den
syrischen Bürgerkrieg gemünzt, sondern auf die Grenzöffnung der damaligen
Bundesregierung. Grenzen zu, Abschiebezentren, die „funktionieren“, und soziale
Auslese bei möglichen EinwanderInnen – das war die Botschaft für die CDU. Dort
fiel im Nachklang speziell der „Merz-Jünger“ Carsten Linnemann, Vorsitzender
der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT; „Mittelstandsunion“) der
CDU/CSU und deren Stellvertretender Fraktionschef, auf, welcher noch mehr
direkten staatlichen Rassismus einforderte.

Als Ergebnis stiegen beide
„GroKo“-Parteien in der WählerInnengunst. Glaubt man den aktuellen Umfragen,
könnten sie sogar wieder eine Mehrheit erreichen und die SPD holt gegenüber den
Grünen auf.

Im Chor der Hofberichtserstattung
wurde die „Profilschärfung“ allgemein begrüßt. Wenn die SPD wieder
sozialdemokratischer wäre und die CDU die innere Sicherheit vertreten würde,
könnte die AfD eingedämmt werden. Stabile demokratische Verhältnisse wären für
immer gesichert. „Vergessen“ wurde dabei, dass diese Parteien weiterhin
regieren, den Aufstieg der AfD wie auch den eigenen Niedergang zu verantworten
haben und die Probleme, die zu ständig neuen Regierungskrisen geführt haben,
nicht verschwinden werden.

Auch wenn die aktuellen Manöver
der Regierungsparteien Stabilität vortäuschen, bleibt ihr Zustand äußerst
fragil, doch zumindest scheint die Koalition bis zu den EU-Wahlen gesichert.
Die Fraktions- und Parteichefin der SPD, Nahles, feierte mit dem
Vorstandsbeschluss die programmatische „Erneuerung“. Somit herrschen auch in
der SPD erst mal „Burgfrieden“ und „Einigkeit“.

In beiden Regierungsparteien haben
sich die Vorstände zunächst durchgesetzt, die parteiinternen KritikerInnen
besänftigt und gezähmt. Speziell beim „Forum Demokratische Linke 21“ (DL21) in
der SPD erwuchs danach beinahe Begeisterung für die aktuelle Führung.

Bei allem Spott, der für diese
AkteurInnen nur allzu gerechtfertigt scheint, dürfen wir die aktuelle
Führungskrise des deutschen Imperialismus nicht vergessen. Inmitten der
globalen Spannungen erweist sich die EU als schwaches Glied innerhalb der
imperialistischen Ordnung. Die Führungsmächte Deutschland und Frankreich präsentieren
sich als Getriebene der inneren Widersprüche der Europäischen Union – nicht als
deren schlagkräftige Führung. Neben Brexit, italienischen Staatsschulden,
selbsternannten neuen FührerInnen des Volkes wird die deutsch-französische
Führung vor allem durch den aggressiven US-Imperialismus, aber auch den
Aufstieg Chinas herausgefordert.

In den aktuellen Handelskonflikten
finden Deutschland und Frankreich keinen gemeinsamen Handlungsauftrag für die
EU-Kommission. Zwar wollen beide Schutzzölle des US-Marktes möglichst
verhindern (z. B. gegen Autos, landwirtschaftliche Erzeugnisse),
allerdings strebt Deutschland einen umfassenden Vertrag an, z. B. eine
Neuauflage eines TTIP, während die französische Regierung dies derzeit ablehnt –
auch aus Furcht davor, dass dadurch die aktuellen Proteste gegen Macron
nochmals an Fahrt aufnehmen könnten.

Unter diesen Gesichtspunkten muss
auch der Versuch der Regierungsparteien betrachtet werden, sich zu
stabilisieren. Für die EU-Wahlen, die Zusammenstellung einer neuen Kommission
braucht der deutsche Imperialismus zumindest eine stabile politische
Vertretung.

Gleichzeitig sortieren sich die
Regierungsparteien neu sowohl für ein mögliches vorzeitiges Ende der GroKo wie
für die kommenden Europa-, Landtags- und Bundestagswahlen. Mit der aktuellen
„Profilschärfung“ versuchen beide, wieder mehr „Selbstständigkeit“ zu
suggerieren. Dies erklärt z. B. die aktuelle Gesetzesoffensive der SPD.

SPD – Erneuerung abgeschlossen?

Schon nach dem Debattencamp wurde
der Abschied von Hartz IV verkündet. Das Bürgergeld sollte dieses Kapitel für
die SPD beenden.

Hauptsächlich wird hier allerdings
inhaltliche Kosmetik betrieben. Dem aktuellen Vorstand scheint es sicher, dass
mit der Weiterführung von Hartz IV, „Agenda 2010“ und aktueller GroKo-Teilhabe
keine Wahlen mehr gewonnen werden können. Eine „soziale“ Neuorientierung soll
nun der SPD aus dem Dilemma helfen. Allerdings können wir keine konkreten
Forderungen erwarten. Nur hier und da scheint etwas Erkenntnis durch, was das
Hartz-IV-System angerichtet hat. So heißt es in „Ein neuer Sozialstaat für eine
neue Zeit“ auf Seite 14: „Das Bürgergeld wird Regelungen beinhalten, mit
denen speziellen Bedarfen und Härten begegnet werden kann, zum Beispiel für den
Fall, dass plötzlich die Waschmaschine kaputtgeht und gleichzeitig die alte
Winterjacke aufgetragen ist.“

Hartz IV hat
Armut „produziert“, der angegliederte Niedriglohnbereich wird weiterhin
Generationen in die „Armutsrente“ schicken. Zehntausende wurden obdachlos,
Millionen mussten sich an der „Tafel“ anstellen, wurden sozial ausgegrenzt und
ausgeschlossen. Mit Winterjacken und Waschmaschinen sieht’s dann auch schlecht
aus. Das abgeschaffte System der Sozialhilfe kannte „Sondermittel“ für Dinge
des täglichen Bedarfs. Diese wurden abgeschafft durch Hartz IV – durch die SPD.
Wir erfahren in der Aneinanderreihung mancher sozialer Phrasen in dem Beschluss
auch nichts über konkrete Erhöhungen der Geldmittel. Anscheinend wird das
Bürgergeld in Höhe des Hartz-IV-Satzes bleiben – da bleiben Winterjacke und Waschmaschine
Illusion.

Die konkretesten
Maßnahmen sind bei zwei Sachverhalten geplant. Einmal sollen die Ersparnisse
aus dem Arbeitsleben beim Bürgergeld bis zu 2 Jahren geschont werden, während
sie bislang bei Hartz IV zuerst aufgebraucht werden mussten. Des Weiteren soll
das Sanktionsregime zumindest verändert werden. Dazu wird folgendes formuliert:

„Sinnwidrige und unwürdige Sanktionen gehören
abgeschafft. Die strengeren Sanktionen von unter 25-Jährigen sind sogar
offenkundig kontraproduktiv. Auch darf niemand wegen Sanktionen Angst haben,
obdachlos zu werden, daher wollen wir die Kürzung der Wohnkosten abschaffen.
Eine komplette Streichung von Leistungen soll es nicht mehr geben.“

Es
bleibt wohl das Geheimnis der SPD, was unter einer „sinnvollen“ oder gar
„würdigen“ Sanktion zu verstehen ist – von einer Komplettabschaffung des
aktuellen Regimes ist jedenfalls nicht die Rede.

Wir
wollen außerdem daran erinnern, dass einer sechsstelligen Zahl von
EmpfängerInnen die „Leistungen“ komplett gestrichen wurden und Millionen
Teilkürzungen hinnehmen mussten, dass sicherlich eine fünfstellige Zahl in den
15 Jahren durch das Hartz-IV-Regime obdachlos wurde, dass viele unter 25-Jährige
Schikanen erlebt haben und vor allem in den Niedriglohnbereich gehetzt wurden.
Unerwähnt bleibt auch die „voraussetzende“ Kürzung von ALG 1 und Hartz IV. Wer
sich nämlich nicht rechtzeitig gemeldet hatte, wird von der Arge mit 3 Monaten
kompletter Sperre bestraft.

Vor
allem vergisst die SPD, dass die entwürdigenden Sanktionen keinen Betriebsunfall
der rot-grünen „Reformen“ darstellen, sondern ein unerlässliches Mittel zum
Zweck – die Schaffung eines Niedriglohnsektors von Millionen und Abermillionen
Menschen, um das deutsche Kapital richtig konkurrenzfähig zu machen.

Die
zwangsmäßige Beschäftigung in Leih- und Zeitarbeit stellt nicht zufällig die
hauptsächliche „Sanktion“ gegen die Arbeitslosen dar. Hiermit wurde
festgeschrieben, dass die Ware Arbeitskraft eben nicht bestmöglich qualifiziert
wurde, sondern möglichst billig verkauft werden musste. Dass der SPD nach 15
Jahren auffällt, dass die strengeren Sanktionen und Vorschriften für unter 25-Jährige
sogar „offenkundig“ kontraproduktiv sein könnten, stellte eine kaum
überbietbare  Heuchelei und Verhöhnung
ebendieser Jugendlich dar. Besonders jugendliche MigrantInnen waren und sind einer
massiven Hetze ausgesetzt. Sie wären zu dumm, zu faul, um zu arbeiten. Daher
galten für sie besonders scharfe Vorschriften zur „Wiedereingliederung“ in den
Arbeitsmarkt.

Nach
mehreren Jobs in der Leih- und Zeitarbeit sehen viele jüngere Menschen keine
Perspektive in diesem System der Lohnarbeit. Da gleichzeitig das Klagen über
den „Fachkräftemangel“ quartalsweise auftaucht, muss sich wahrscheinlich sogar
ein SPD-Vorstand fragen, ob nicht eine „Korrektur“ nötig wäre, ob nicht
Qualifikation vor der Hilfsarbeit stehen sollte.

Welche
Sanktionen „sinnwidrig und unwürdig“ sind, lässt die SPD offen. Immerhin stellt
sie fest, dass es eine komplette Streichung der „Leistungen“ nicht mehr geben
soll. Ansonsten warten wir brav auf das Bundesverfassungsgericht. Dies will „in
einigen Monaten“ eine Entscheidung fällen. Stellen wir uns vor, dass vor den
drei ostdeutschen Landtagswahlen das Sanktionsregime insgesamt für
verfassungswidrig erklärt wird (höchst unwahrscheinlich, wahrscheinlich aber,
dass z. B. die komplette Streichung der Mittel fällt), wird die SPD ihren
„neuen Sozialstaat“ vielleicht wieder reformieren müssen.

Mit
ihrem Beschluss tut die SPD-Führung so, als ob sie einen ungerechten Zustand
beenden will, endlich wieder mehr Respekt und Teilhabe gegenüber den
Arbeitslosen einfordert. Sie stellt fest, dass dieses System nicht zu „besserer
Arbeit“ geführt hat. Aber sie verliert auch kein Wort darüber, warum es eine
SPD-geführte Regierung gegen den Widerstand einer Massenbewegung der
Arbeitslosen durchsetzte.

Vielmehr
entblödeten sich VertreterInnen der damaligen Führung nicht, gegen die aktuelle
SPD-Spitze, speziell gegen Nahles, zu poltern. Die SPD müsse aufpassen, dass
sie nicht zur Linkspartei mutiere und Nahles tauge nicht zur Kanzlerkandidatin.
Ihr fehle, ließ der Agenda-Kanzler Schröder ausrichten, der große ökonomische
Sachverstand. In der aktuellen Lage begeisterten sich freilich nur wenige für
die Ratschläge des Ex-Kanzlers. Ja, solche Querschläge nutzten dem Ansehen der
SPD-Spitze bei Mitgliedern wie WählerInnen eher, als ihr zu schaden.

So
wissen wir zumindest, dass die aktuelle Führung relativ „stabil“ ist. Die sog.
„Parteilinke“ applaudiert und stellt ihren kaum vorhandenen Widerstand gegen
den Vorstand wieder ein.

Und
die Mindestrente kommt auch noch

Nach
Jahren der Rentenkürzung, der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Agenda
2010, der Ausweitung des Niedriglohnbereichs, der Pfändung der Vermögen von
Arbeitslosen will die SPD nun eine Mindestrente einführen. Von mindestens 950
Euro ist die Rede. Diese soll als „AufstockerInnen“-Rente vor allem den sog.
ArmutsrentnerInnen zugutekommen – inzwischen rund 20 Prozent aller
RuheständlerInnen.

Die
SPD veranschlagt die Zusatzkosten auf rund 5 Mrd. Euro pro Jahr, die Union auf
15. Finanzierbar wäre dies allemal. Mit der großen Koalition wird es aber
selbst das SPD-Modell nicht geben. Die bürgerlichen Medien rechnen schon jetzt
vor, wie der SPD-Vorschlag missbraucht werden könne.  Dafür soll das Beispiel „Zahnarztgattin“ herhalten. Diese
wäre nicht nur durch die Rente des Mannes abgesichert, sondern hätte auch noch
Anspruch auch eine Mindestrente. Mit solchen Tricks soll selbst das ohnedies
bescheidene SPD-Modell madig gemacht werden, würden doch in Wirklichkeit nach
wie vor Millionen RentnerInnen, die keine 35 Jahre Beiträge zahlen konnten,
leer ausgehen.

Viele
der Medien sprachen von einem „Linksschwenk“ der aktuellen Führung. Manche
versuchten, dies zusammen mit der alten Spitze als Bedrohung darzustellen. Der Rest
verortete dies als „Profilschärfung“, welche vor allem bei künftigen Wahlen
helfen könnte.

In
jedem Fall feiert die SPD ihre neue gewonnene „Einigkeit. Die interne
Auseinandersetzung wurde – vorerst – beendet Die „Partei-Linke“ sammelt sich
hinter dem Beschluss des Vorstands. Dies gibt dem auch freie Hand zum einen, um
in der Regierung jeden Tag gegen die gefassten Beschlüsse zu verstoßen, zum
anderen, um die somit „links blinkende“ SPD wieder als Regierungsoption
prozentual aufzuwerten und Hoffungen in einen „Politikwechsel“ und „Mehrheiten
jenseits der Union“ wieder zum Leben zu erwecken.

Verbliebene
„Linke“ wie Simone Lange, welche bei „Aufstehen“ mitmischt, sollten zwar
wissen, was ein Vorstandsbeschluss wert ist, wenn zugleich die Große Koalition fortgesetzt
wird – das ändert aber nichts daran, dass auch sie wieder stärker auf die SPD
orientieren werden.

Das
Entscheidende am Vorstandbeschluss besteht freilich nicht in der offenkundigen
Widersprüchlichkeit zwischen leichtem Blinken nach „links“ und der Fortsetzung
der GroKo. Es liegt vielmehr darin, dass er auch die Handschrift der
Gewerkschaftsbürokratie trägt – bis hin in einzelne Begriffe zur
Qualifizierung, „Zukunft der Arbeit“ usw. usf. Die SPD-Spitze bereitet sich
also nicht nur auf die Zeit nach der GroKo vor, sondern suchte in diesem
Zusammenhang offenkundig auch den Schulterschluss mit der betrieblichen und
gewerkschaftlichen ArbeiterInnenbürokratie.

Umsetzen?

Die
SPD hat sich mit den Beschlüssen einen Notausgang für die GroKo aufgebaut.
Daher versucht sie, sich auch mit sozialen Forderungen verlorengegangene „Glaubwürdigkeit“
zurückzuholen – auch wenn sie natürlich weiß, dass sie jeden Tag in der GroKo
diese untergraben muss. Die „Lösung“ besteht einerseits darin, in der Koalition
so zu tun, als würde sie dafür eintreten oder gar „kämpfen“. Andererseits
werden die Zukunftsvorstellungen bewusst vage gehalten, um nicht durch allzu
konkrete Formulierungen von Mitgliedschaft oder WählerInnen auf konkrete
Versprechen festgenagelt werden zu können.

Die
Linkspartei macht sich zugleich Sorgen darüber, ob ihr die SPD mögliche
WählerInnen abspenstig machen könnte. Schließlich liegen die beiden Parteien in
der Regierungspraxis  auf
Länderebene – siehe Berlin, Brandenburg, Thüringen – näher beieinander, als der
Linkspartei lieb sein kann.

Was
jedoch die Linkspartei und erst recht die SPD-Linke oder die Gewerkschaften
unterlassen, ist Folgendes: Sie fordern von der SPD nicht einmal ein, jetzt für
ihre Verbesserungsvorschläge zu mobilisieren, sie fordern von ihr keinen Bruch
der Großen Koalition oder die Unterstützung für die Forderungen der
Gewerkschaften im öffentlichen Dienst. Kein Wunder, denn dort verhandeln
SPDlerInnen schließlich für die Arbeiter„geber“Innenseite.

Eine
solche klare Positionierung wäre aber nötig. Dafür müssen linke SPDlerInnen,
SPD-Gewerkschaftsmitglieder und die Jusos mobilisieren. Ansonsten setzten sie
bloß ihre unrühmliche Politik der letzten Monate als linke Flankendeckung einer
SPD-Spitze fort.




Streikrechtskonferenz 2019: Klassenzusammenarbeit ist eine Sackgasse!

Frederik Haber, Neue Internationale 235, Februar 2019

„Aus unseren Kämpfen lernen“ heißt das Motto der Konferenz
linker GewerkschafterInnen, die 2019 zum vierten Mal von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert wird. So gut es ist, dass es diesen Rahmen
für kämpferische, aktive und linke Kolleginnen und Kollegen gibt, so groß ist
auch diesmal die Gefahr, in den vielen kleinen Problemen der gewerkschaftlichen
Alltagspraxis stecken zu bleiben und dem Bemühen, damit fertig zu werden.

„In unseren gewerkschaftlichen Kämpfen entstehen neue Formen
der Gegenwehr“, heißt es in der Einladung: „Was können wir aus ihnen lernen?
Wie können wir Erfolge verallgemeinern, alte Routinen durchbrechen und unsere
Durchsetzungsfähigkeit stärken?“

Hier stecken die VeranstalterInnen aus der Rosa
Luxemburg-Stiftung, also der Linkspartei, den Rahmen der Konferenz ab: eine
bessere gewerkschaftliche Praxis. Diese erstreben selbstverständlich alle
aktiven GewerkschafterInnen und Linken. Doch die Frage beinhaltet auch eine
Einschränkung. Der Rahmen der „gewerkschaftlichen Praxis“ selbst, die
Gesamtheit der kapitalistischen Verhältnisse in Deutschland und international,
die politische Strategie der Gewerkschaften und Betriebsräte, also die
eigentlichen Grundlagen der aktuellen Praxis, erscheinen allenfalls als
Nebenfragen.

Aber eine „bessere Praxis“ kann ohne eine „bessere“, d. h.
grundlegend andere politische Ausrichtung auf betrieblicher oder Branchenebene
allenfalls nur als Ansatz, als Stückwerk in Erscheinung treten. Die bestehende
„alte Routine“ entspricht nämlich der Ausrichtung der deutschen
Gewerkschaftsbewegung, der Verinnerlichung der Klassenzusammenarbeit mit dem
Kapital auf allen Ebenen vom Betrieb über die Aufsichtsräte bis zur
Unterstützung der Großen Koalition – und sie kann daher letztlich auch nur
überwunden werden, wenn die Politik und Strategie der herrschenden Bürokratie
in Gewerkschaften und Betriebsräten in Frage gestellt, ja bekämpft wird.

Das ist keine abstrakte Frage. Beispielsweise ist in den
Krankenhäusern eine Bewegung für Mindestbesetzungen in der Pflege in Gang
gekommen. Es gibt erste Erfolge. In Haustarifverträgen gibt es Quoten oder
zumindest Mechanismen, wie seitens der Belegschaften gegengesteuert werden
kann.

Beispiel Kampf um Pflege

Warum bleibt es bei einzelnen Beispielen? Natürlich gibt es
überall rückständige Belegschaftsteile, hinderliche Einstellungen von
Beschäftigten, die auch von christlicher und anderer Ideologie gefördert
werden. Aber es gibt auch das Problem, dass sich die ver.di-Führung weigert,
für einen allgemeinen Tarifvertrag zu kämpfen. Ein gemeinsamer Tarifkampf muss
natürlich entsprechend vorbereitet werden. Aber er kann alle Belegschaften
vereinen und die schlechter Organisierten mit hineinziehen und stärken.

Das Verhalten des ver.di-Vorstandes beruht nicht einfach auf
dem Festhalten an „alter Routine“, sondern resultiert aus ganz bewusster
Politik. Die AktivistInnen aus den Krankenhäusern und den Soli-Gruppen sollen
Unterschriften sammeln und demonstrieren, die ver.di-Führung will alleine
bestimmen, wie weit die KollegInnen gehen können/dürfen. Schließlich sollen sie
nicht als selbstständige EntscheiderInnen über ihre Aktionen auftreten, sondern
als Mittel, die Verhandlungsmacht der Führung zu erhalten.

Warum verhindert sie einen einheitlichen Kampf? Vielleicht,
weil zu viele Apparatschiks in den Aufsichtsräten sitzen? Oder in Stadträten
und Verwaltungen, die Ausgabensteigerungen fürchten? Die zwar Minister Spahn
angehen, aber keinesfalls eine Massenbewegung wollen, die die
Regierungskoalition gefährdet?

Der Kampf in der Pflege und den Krankenhäusern hat enormes
Potential. Er kann Massen in den Kampf führen, die bisher eher am Rand standen
und sich erst in den letzten Jahren organisiert und mobilisiert haben. Er kann
auf Unterstützung aus der ganzen ArbeiterInnenklasse rechnen. Der
Pflegenotstand ist Folge einer Politik, die Steuersenkungen für das Kapital von
den Arbeitenden durch Kürzungen für die Kommunen, Senkung der
„Lohnnebenkosten“, Einführung und Ausbreitung von Niedriglöhnen bezahlen lässt.

Diese Politik wurde von den Gewerkschaftsführungen
mitgetragen. Die SPD hat sie aktiv gestaltet. Die „Agenda 2010“ sollte  die Stellung Deutschlands gegenüber den
anderen führenden imperialistischen Ländern verbessern.

Die Linkspartei bekämpft diese Politik zwar in Worten, aber
es reicht weder, eine bessere Praxis zu propagieren noch der SPD gelegentlich
den Schwarzen Peter Agenda 2010 vorzuhalten. Erst recht wird eine solche
Politik zur Farce, wenn in Landesregierungen gemeinsam mit der SPD und den
Grünen die Agenda 2010 weiter verwaltet und umgesetzt wird.

Die Gewerkschaften sind durch und durch von der Politik
geprägt, die die Agenda durchsetzte und heute umsetzt:

  • „Gestaltung“ der Leiharbeit statt deren Bekämpfung.
  • Standort„sicherung“ auf Kosten anderer Belegschaften im In- und Ausland.
  • Aushöhlung der Tarifverträge durch Standort„sicherung“, Sanierungs-TV, Ausgliederung.
  • Kein Kampf für kollektive Arbeitszeitverkürzung, selbst angesichts massiver Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung.
  • Unterstützung des Angriffs auf das Streikrecht (IG Metall, SPD) bzw. die kampflose Hinnahme (ver.di und Linkspartei).

Diese Politik schwächt die Gewerkschaften und macht sie
wehrlos gegen Angriffe, die sich mit der kommenden Krise noch verstärken
werden. Sie entfremdet immer größere Teile der Lohnabhängigen von ihnen und
liefert sie den rechten PopulistInnen aus.

Eine andere, bessere Gewerkschaftspraxis kann nur
durchgesetzt werden, wenn diese Politik aktiv bekämpft wird. Wir müssen dafür
eintreten, dass die Gewerkschaften damit brechen!

Daher soll die Konferenz diese Fragen behandeln und die
Diskussion dazu organisieren – in Braunschweig und darüber hinaus. Wir brauchen
nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern gemeinsame Forderungen, um den Kampf für
eine andere, klassenkämpferische und anti-bürokratische Gewerkschaftspolitik zu
koordinieren und zu vereinheitlichen. Hierzu einige Vorschläge:

  • Statt im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und des Exportes Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, brauchen wir den Kampf für unsere Interessen mit allen gewerkschaftlichen und politischen Mitteln. Betriebsbesetzungen sind dabei unverzichtbar und legitim.
  • Die Einbeziehung der Basis in die Entscheidung über Streiks ist der Anfang – letztlich hat nur sie über den Abschluss zu entscheiden und nicht die hauptamtlichen Zentralen. Die Streikleitungen müssen von ihr gewählt, ihr wirklich rechenschaftspflichtig und abwählbar sein.
  • Eine radikale Erhöhung des Mindestlohnes ohne Ausnahmen ist ein entscheidendes Mittel, um den rechten DemagogInnen das Wasser abzugraben und den ständigen Lohndruck auf Stammbelegschaften abzuschwächen.
  • Betriebe, die Arbeitsplätze vernichten, müssen entschädigungslos unter Kontrolle der Beschäftigten enteignet werden!
  • Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel, alle Arbeitssuchenden in die Betriebe zu integrieren! Gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für Stamm- und Randbelegschaften! „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ statt Spaltung. Kampf der Leiharbeit!
  • Solidarität mit kämpfenden KollegInnen in anderen Ländern statt „Sicherung der deutschen Standorte“ – gerade in den internationalen Konzernen!
  • Kampf gegen Rassismus durch Massenmobilisierung! Aufnahme von Geflüchteten und MigrantInnen in die Gewerkschaften! Keine Rückendeckung für die Große Koalition – das ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD.

Aussprechen, was ist

Es hilft den Linken in den Gewerkschaften nicht, sich davor
aus taktischen Überlegungen oder Opportunismus zu drücken. „Zu sagen, was ist,
bleibt die revolutionärste Tat….“ – Luxemburgs Satz ist angesichts der Krise
der deutschen Gewerkschaftsbewegung nur zu wahr!

Es hilft daher nichts, die Lage der Gewerkschaften
angesichts von Rechtsruck, Krise, globaler Konkurrenz und Militarisierung zu
beschönigen. Die Politik der sozialpartnerschaftlichen Mitverwaltung des
Kapitalismus, der Standortpolitik ist tief in die politische DNA der Führungen,
des Apparates und der Betriebsräte der Großkonzerne eingeschrieben. Daher
bildet diese Bürokratie heute auch eine der wichtigsten verbliebenen Stützen
der Großen Koalition.

Um eine bessere, andere Praxis in den Betrieben und
Gewerkschaften durchzusetzen, bedarf es neben Forderungen und Diskussion vor
allem auch des organisierten, gemeinsamen Vorgehens der linken,
klassenkämpferischen GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsräte. Das
System der Bürokratie, das die ArbeiterInnenklasse an die Zusammenarbeit mit
Kapital und Regierung bindet, kann nicht einfach „reformiert“ werden. Es reicht
nicht, einzelne Personen durch andere zu ersetzen. Vielmehr müssen die
Gewerkschaften der Kontrolle durch einen Apparat, eine ganze bürokratische
Schicht entrissen und auf demokratischer Basis neu aufgebaut werden. Dazu
bedarf es einer organisierten Basisbewegung, einer Opposition, die für eine
demokratische, antibürokratische, klassenkämpferische Gewerkschaft kämpft!




Öffentlicher Dienst der Bundesländer: Auftakt der Tarifrunde

Helga Müller, Neue Internationale 235, Februar 2019

Am Montag, dem 21. Januar,
begannen die Tarifverhandlungen für die 3,3 Millionen Beschäftigten der Länder,
darunter rund 2,3 Millionen BeamtInnen und VersorgungsempfängerInnen. Ver.di
fordert 6 % mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro, für die Pflegekräfte in
Krankenhaus und Altenpflegeeinrichtungen die Anhebung der Tabellenwerte in der
sog. Pflegetabelle um 300 Euro, zudem eine Verbesserung der Entgeltordnung, was
z. B. die Eingruppierung angeht. Begründet wird das Ganze mit den sprudelnden
Steuereinnahmen der Länder, deren Steigerung sich in den letzten Jahren bei ca.
3-6 Prozent bewegt. Daran sollen auch die Beschäftigten beteiligt werden.
Außerdem wird der Nachholbedarf im Vergleich zur privaten Wirtschaft angeführt,
deren Gehälter im Durchschnitt um ca. 4 Prozentpunkte höher liegen. Daher
wären, so ver.di, auch Einkommensverbesserungen nötig, damit der Öffentliche
Dienst im Wettbewerb um Fachkräfte vor allem im IT- und Technikbereich mithalten
kann. Dasselbe gilt für den Fachkräftemangel in der Pflege und die
Gleichstellung z. B. der ErzieherInnen mit ihren KollegInnen in den Kommunen,
die besser eingruppiert sind.

So weit, so gut! Wie zu
erwarten war, lehnt die Gegenseite die Forderungen als überzogen und gar
utopisch ab: „Wenn man das Paket zusammenrechnet, liegt es bei zehn
Prozentpunkten in einem Jahr. Und das ist zuviel“,  kommentierte der Verhandlungsführer der
Länder-Tarifgemeinschaft (TdL) – Berlins Innensenator Matthias Kollatz (SPD) –
die Forderung von ver.di (zitiert nach: „Im öffentlichen Dienst drohen
Warnstreiks“, sueddeutsche.de, 21. Jan. 2019). Untermauert wird ihre Haltung
noch damit, dass dies mit den vielen Neueinstellungen – z. B. im
LehrerInnenbereich notwendig – nicht vereinbar sei. Aber als Hauptargument
gegen die berechtigten Forderungen der Beschäftigten der Länder wird die
Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte ins Feld geführt, die im Jahr
2020 auch für die Länder gelten soll, bei denen auch erwartet wird, dass ein
Teil ihrer Schulden zurückgezahlt werden muss. Die Schulden der Länder belaufen
sich auf insgesamt 572 Milliarden Euro, die Berlins auf 58 Milliarden. (Zahlen
nach: „Bsirske kündigt harte Haltung bei Tarifstreit mit Ländern an“,
sueddeutsche.de, 21. Jan. 2019)

Wie reagiert ver.di?

Es wurden schon vor Beginn der
Auftaktverhandlungen am 21. Januar zwei weitere Verhandlungstermine angesetzt:
am 6. und 7. Februar und der dritte und letzte am 28. Februar und 1. März. Wie
in den letzten Tarifrunden ist zu erwarten, dass ver.di und die TdL in einer
Marathonsitzung in der letzten Tarifrunde – begleitet von ein paar mehr oder
weniger langen Warnstreiks, evtl. sogar von der Androhung eines unbefristeten
Durchsetzungsstreiks – einen für beide Seiten noch akzeptablen Kompromiss
beschließen, der den Ländern nicht allzu weh tun wird.

Diese Linie ist schon in der
Begründung für die Forderungen von ver.di-Chef Bsirske angelegt: Für ihn liegt
der Motor für die Stabilisierung der deutschen Wirtschaft angesichts der Herausforderungen
von Brexit und Handelskonflikten um die USA in der Förderung des Binnenmarkts
durch gute Löhne (zitiert nach: „Im öffentlichen Dienst drohen Warnstreiks“,
sueddeutsche.de, 21. Jan. 2019).

Nicht nur, dass dies ein Appell
an die öffentlichen Arbeit„geber“Innen ist, sich doch den wirtschaftlich
sinnvollen Sachargumenten eines Frank Bsirske anzunähern, nein – letztendlich
ist das auch eine Unterordnung der ver.di-Spitze unter die Interessen des
deutschen Kapitals in Konkurrenz zu den anderen. Dafür wird auch ein
ver.di-Bundesvorstand bereit sein, einige der zahlreichen Forderungen, die es
gilt, in dieser Tarifrunde durchzusetzen, zu opfern.

Um sicherzustellen, dass eine
solche Rechnung nicht aufgeht und ein entschlossener Kampf für die Forderungen
geführt wird, müssen kämpferische GewerkschafterInnen und KollegInnen aktiv
werden. Es geht darum, lokale und regionale Streikkomitees sowie Versammlungen
zu organisieren, auf denen die Kampftaktik, etwaige Verhandlungsergebnisse
öffentlich diskutiert und die weiteren Kampfmaßnahmen kollektiv beschlossen
werden.

Einige ausgewählte Warnstreiks – wie jetzt am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und dem Zentrum für Integrative Psychiatrie in Kiel oder bei den Kitas in Berlin – werden für die Durchsetzung der Forderungen nicht ausreichen. Jetzt gilt es, die gesamte Kampfkraft der KollegInnen in den Ländern einzusetzen – zumal hier der Organisationsgrad noch schlechter ist als in den Kommunen.

  • Für einen unbefristeten Vollstreik aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder!
  • Organisiert Euch in Streikkomitees, die den Kampf kontrollieren und führen!



Thesen zum Maoismus

8. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, Januar 2011, Revolutionärer Marxismus 45, Dezember 2013

Kapitel 1: Charakterisierung des Maoismus

Der Maoismus stellt eine Form des Stalinismus dar, der Merkmale aufweist, die spezifisch für ärmere, halbkoloniale Länder sind. Historisch betrachtet entwickelte er sich sowohl organisatorisch als auch programmatisch als Teil der stalinisierten III. Internationale (Komintern). Der Maoismus als unabhängige politische Strömung entstand erst nach einem verschärften Machtkampf zwischen den nationalen Bürokratien Russlands und Chinas, der schließlich – ähnlich dem Zerwürfnis zwischen Stalin und Yugoslawiens Führer Tito 1948 – zum Bruch führte. Während dies den geschichtlichen Moment darstellt, durch den der Maoismus als separate politische Strömung entstand, war er jedoch nur ein formaler, d.h. explizit politischer Ausdruck der Prinzipien, welche schon während der chinesischen Revolution vorherrschten und ihr einen eigenen Charakter gaben. Trotz einer Anzahl markanter Unterschiede stellt der Maoismus eine spezielle Form des Stalinismus dar – und teilt seine grundlegend reaktionären Aspekte.

Trotzki sagte vorher, dass sich die Sektionen der Komintern unter dem Einfluss von Stalins „Sozialismus in einem Land“ vom Marxismus weg bewegen und entlang nationaler Linien degenerieren würden, wie es die KPdSU zuerst vollzog. Die KP Chinas folgte diesem Kurs einerseits durch Anpassung an die zahlenmäßig weit überlegene Bauernschaft und andererseits durch die völlige Vernachlässigung des städtischen und ländlichen Proletariats. Darüber hinaus spielte das Abreißen ihrer Bindungen an die revolutionären und zentristischen Traditionen der KP Chinas von 1921-27 eine Rolle. Weitaus lebendigere Einflüsse auf die Partei hatten die ultralinke 3. Periode und die 4. Periode der Volksfrontpolitik, weil Mao Tsetung gerade während der 4. Periode zum überragenden Parteiführer aufstieg. Die lang anhaltende geografische Isolierung von der Aufsicht der Komintern und der sowjetischen Partei erlaubte Mao die Umgestaltung seiner Ideologie und Praxis. In den fünf Jahren vor und dem Jahrzehnt nach Stalins Tod produzierten auseinander treibende und desintegrative Tendenzen innerhalb des Weltstalinismus den Maoismus, parallel zu den nationalen Trennungslinien von Tito, Togliatti, Hoxha, Ho Tschi Minh, Pol Pot, Abimael Guzmán usw.

Der Maoismus teilt mit dem Moskau-Stalinismus wesentliche Elemente des Programms und der Ideologie, welche ihren gesellschaftlichen Ursprung in den materiellen Interessen einer Bürokratie haben, welche wiederum verbunden ist mit den ArbeiterInnen und unterdrückten Bewegungen. Die wichtigsten ideologischen Elemente, die uns den Maoismus als eine Variante des Stalinismus sehen lassen, sind folgende:

1. Sozialismus in einem Land. MaoistInnen teilen die Ansicht, dass der Sozialismus zuerst auf einem nationalen Terrain aufgebaut werden kann und soll. Dies ist der Grund, warum verschiedene stalinistische Staaten, die eine Sympathie für Mao hegten – wie z.B. Hoxha in Albanien oder für einige Zeit Kim il-Sung in Nordkorea – sich auf Autarkie orientierten. Das vermutlich barbarischste und bizarrste Beispiel für den maoistischen Versuch eines autarken Staates stellte Kambodscha dar, wo das Pol Pot-Regime Millionen ermordete, bevor es 1979 zusammenbrach.

2. Eine mechanistische Theorie, getrennter historischer Phasen auf dem Weg zur Klassenmacht der ArbeiterInnen. MaoistInnen teilen die Vorstellung, dass auf dem Weg zum Sozialismus die Arbeiterklasse zuerst für eine separate historische Phase kämpfen muss – genannt die „Neue Demokratie“ – in welcher der Kapitalismus nicht abgeschafft wird. Dieser „Neuen Demokratie“ zufolge führt die maoistische Partei eine Koalition sich kontrovers gegenüberstehender Klassen an – den „Block der vier Klassen“. Dieser Block – ähnlich u.a. der „antifaschistischen-Demokratie“, der „anti-monopolistischen Demokratie“ sowie „national-demokratischen Revolutions“-Konzepten der pro-Moskau StalinistInnen – beinhaltet die ArbeiterInnen, die Bauern, das Kleinunternehmertum sowie die „patriotischen“ Kapitalisten. Faktisch ordnet somit die „Neue Demokratie“ die Arbeiterklasse der Ausrichtung der Bürokratie auf einen Block mit der „patriotischen“ Bourgeoisie unter.

3. Das Konzept der Hegemonie der Arbeiterklasse wird in der Praxis zurückgewiesen. Während die führende Rolle der Arbeiterklasse von den MaoistInnen formell verteidigt wird, ersetzen sie diese praktisch durch die führende Rolle der stalinistischen Partei und ordnen das Proletariat den Kämpfen nicht proletarischer Schichten unter (Bauernpartisanenkrieg, Fokussierung auf Studentenbewegungen usw.). Deshalb konzentrierte sich, u.a. die KP China darauf, eine Bauernpartisanenarmee aufzubauen, ähnlich der KP Nepals (MaoistInnen) bis 2006, der KP Indiens (MaoistInnen), des „Sendero Luminoso“ in Peru und der KP der Philippinen. Die MaoistInnen, die eine Strategie der „Massenlinie“ bis zum „langwierigen Volkskrieg“ vorziehen, wandeln sich, wenn sie Masseneinfluss gewinnen, in reformistische Parlamentsparteien wie z.B. die PCR in Argentinien, verschiedene KP(MLs) in Indien oder die nepalesische KP Nepal (M) nach 2006.

4. Offene Förderung von Nationalismus und Chauvinismus. Wie der Stalinismus ist der Maoismus im Grunde nationalistisch. Dies drückt sich nach innen im Staatsleben in der offenen Förderung des Nationalismus als ein Mittel gesellschaftlicher Kontrolle aus, nach außen durch das Konkurrieren im ‚großen Wettbewerb‘ um internationale Beziehungen mit anderen Mächten in der kapitalistischen Epoche. Aber anders als in der Sowjetunion, wo der Nationalismus einen Teil der Degeneration seiner revolutionären Fundamente von 1917 darstellte, besaß der Maoismus eine viel organischere Beziehung zum Nationalismus von dessen Ursprüngen im China der 1930er Jahre. Der in der Theorie des „Sozialismus in einem Lande“ inhärente Nationalismus wurde der zentrale Slogan des Programms der KP Chinas während ihrer Rivalität mit der Kuomintang, in welcher sie nicht nur die Bauern an ihrer Basis, sondern auch das städtische Kleinbürgertum sowie die „patriotischen“ Teile der chinesischen Bourgeoisie anzusprechen versuchte. Diese Bindung zum Nationalismus gewann während des Krieges gegen die japanische Besatzung noch an Bedeutung. Die generelle Ansicht, die Bauernschaft stelle den prinzipiellen Akteur einer revolutionären Umwälzung dar, stellt eine Tendenz innerhalb des Maoismus dar, welche nationalistische, traditionsgebundene und rückständige ideologische Ansichten aufnimmt und versucht, diese in Einklang mit den Ideen des Kommunismus und revolutionärer gesellschaftlicher Veränderung zu bringen. Dies tendiert darüber hinaus zu einem vollauf nationalzentriertem, anti-internationalistischem Parteiaufbaukonzept.

6. Ein bürokratisches Modell der Partei, inklusive Führerkult (z.B. „Großer Steuermann“). Maoistische Parteien werden dominiert von einer bürokratischen Führung. Ihnen fehlt interne Demokratie einschließlich des Rechts, Tendenzen oder Fraktionen zu bilden. Ausschlüsse oder Spaltungen werden oft mit physischer Konfrontation einschließlich der Tötung begleitet (z.B. die diversen Unterdrückungen der rivalisierenden Führer in der „Kultur-Revolution“ Chinas, die Ermordung von Oppositionellen durch die philippinische KP oder die bewaffnete Konfrontationen zwischen indischen MaoistInnen. Die maoistische Version von „Kritik und Selbstkritik“ stellt üblicherweise nur eine Maskerade dafür dar, dass die Führung Oppositionelle öffentlich bestraft.

Der Maoismus entwickelte sich in China unter anderen gesellschaftlichen und historischen Umständen als der russische Stalinismus.

1. Er entwickelte sich in China, einer armen Halbkolonie, welche Gefahr lief, von rivalisierenden imperialistischen Mächten auseinander gerissen zu werden.

2. Er ist das Ergebnis einer historischen Niederlage der Arbeiterklasse in der Revolution von 1925-27 dar, welche zur physischen Vernichtung der Arbeitervorhut durch die Kuomintang führte.

3. Er entstand nicht vor dem Hintergrund von Arbeiterkämpfen, sondern vor dem Hintergrund eines Bauernkriegs, geführt von Bauernsoldaten einer bäuerlichen Bevölkerung, welche unter einer zum Großteil städtischen, kleinbürgerlich dominierten Führung stand.

Daher ist der chinesische Maoismus – als auch der Maoismus als internationale Bewegung – stark von kleinbürgerlichem, populistischem Revolutionarismus beeinflusst. Dies ist das Ergebnis der Kombination von kleinbürgerlichem Milieu, auf das sich der Maoismus meist orientiert, mit der kleinbürgerlichen Form des Partisanenkampfes. Zusätzlich zu diesen integriert der Maoismus verschiedene vor-sozialistische sowie nationale Traditionen in seine Ideologie (wie die Sun Yat-sen-Ideologie in China, die Inka-Tradition der peruanischen KP oder Skanderbeg in Hoxha’s albanischer PLA.

Der Maoismus entwickelte einen starken kleinbürgerlich-idealistischen sowie subjektivistischen philosophischen Ansatz, der de facto den dialektischen und historischen Materialismus aufgab. Er ersetzt eine objektive Klassenanalyse durch eine idealisierte Haltung zur Partei und insbesondere ihrem großen Führer, welcher den „proletarischen Geist“ verkörpert. Der Maoismus kann faktisch alles für proletarisch erklären, durch eine idealistische Wendung der marxistischen Dialektik, wobei der „Hauptwiderspruch“ von der Partei und ihren Führern immer auf den jeweils aktuellen Block oder die Kurswende bezogen wurde. Diese maoistische Methode passte zu isolierten (oder sich selbst isolierenden) politischen Kräften, welche anziehend auf kleinbürgerliche Milieus wirkten. Diese Kräfte reichten von deutschen und italienischen MaoistInnen bis hin zu ihrer US-amerikanischen Version. Während Erstere durch starke, existente Arbeiterparteien von den Massen der ArbeiterInnen getrennt waren, waren Letztere durch die politische Rückständigkeit der US-ArbeiterInnen isoliert. In Asien war es die geografisch bedingte Isolation, welche die Bedingungen während und direkt nach dem “Langen Marsch” beeinflusste.

Wichtige Elemente der maoistischen Strategie sind die Vorstellungen von „lang andauernden Volkskriegen“ und von „Massenlinien“. Wo der Maoismus Masseneinfluss gewinnt, offenbaren diese Vorstellungen zwei Varianten eines kleinbürgerlich-populistischen Volksfront-Konzepts. Das Konzept des „Volkskriegs“ kann ein Ausdruck des Radikalismus der unterdrückten armen Bauernschaft sein, ordnet diese jedoch der Parteibürokratie und ihrem strategischen Ziel – dem “Block der vier Klassen“ – unter. Während der erste Teil der Mao-Worte “Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen” oft dazu verwendet wurde, Revolutionen als puren militärischen Akt darzustellen, um jene, die keine Waffen zur Hand nehmen, als falsche RevolutionärInnen darzustellen, macht der Rest des Satzes „aber die Gewehre müssen immer in der Hand der Partei sein.” deutlich, dass die zu erreichenden Ziele der militärischen Aktionen die strategischen Ziele der Partei darstellen. Das Konzept der “Massenlinie” beschreibt eine Orientierung hin zum Aufbau von Massenorganisationen, welche unter dem Einfluss der bürokratischen Parteiführung stehen. Gewöhnlich werden diese Massenorganisationen dem Partisanenkampf als legale Deck-Organisation untergeordnet, in welchem sie allein eine Rolle als UnterstützerIn für die Hauptform des Kampfes – den bewaffneten Kampf – einnimmt. U.a. Umständen können diese Massenorganisationen aber auch als Instrument verwendet werden, um den reformistischen Drang der Partei nach Mitwirkung am bürgerlichen Staat zu unterstützen oder aber – unter speziellen Umständen wie in China in den frühen 1950ern – werden sie für die Machtergreifung verwendet, in welcher die Partei die Bourgeoisie enteignet und gleichzeitig eine politische Diktatur gegen die Arbeiterklasse aufbaut. Ein klassisches Beispiel für die Vereinbarkeit eines bewaffneten, kleinbürgerlichen Kampfes und reformistischem Parlamentarismus stellt die UCPN(M) in Nepal dar. Innerhalb weniger Monate und ohne irgendwelche starken internen Auseinandersetzungen, wechselte die Partei 2006 vom Partisanenkampf in eine Regierungskoalition mit offen bürgerlichen Parteien, um das Konzept der Etablierung einer bürgerlichen Republik basierend auf einer kapitalistischen Wirtschaft zu verwirklichen.

Eine weitere wichtige Innovation des Maoismus war die reaktionäre, idealistische Theorie, die UdSSR als „Sozialimperialismus“ zu denunzieren. Diese Theorie zur Charakterisierung der UdSSR als „Sozialimperialismus“ konnte sich natürlich auf viele reaktionäre Merkmale der Politik Moskaus beziehen: nationale Unterdrückung in Osteuropa und Zentralasien, Unterordnung halbkolonialer Revolutionen unter die Außenpolitik Moskaus, Unterordnung der wirtschaftlichen Entwicklung anderer bürokratisch degenerierten Arbeiterstaaten unter die wirtschaftliche Entwicklung der UdSSR etc. Aber der Maoismus ignorierte die objektive Klassenbasis der UdSSR, welche einen degenerierten Arbeiterstaat darstellte, in welchem der Kapitalismus abgeschafft und eine bürokratisch geführte Planwirtschaft errichtet wurde. Über diese Planwirtschaft herrscht eine bürokratische Diktatur an der Spitze eines verbürgerlichten Staatsapparats. Um die vorgenommene Bezeichnung „Staatsimperialismus“ zu rechtfertigen, die von einem Zusammenprallen nationaler Staatsinteressen ausgelöst wurde, erklärten die MaoistInnen die UdSSR zu einem „Staatskapitalismus“ ohne den ernsthaften Versuch einer sozio-ökonomischen Analyse zu unternehmen, wie z.B. zu untersuchen, wie die Eigentumsverhältnisse vom „Sozialismus“ zum „Kapitalismus“ umgewandelt wurden oder wie die politische Konterrevolution zwischen Stalins Tod und Chrustschows Aufstieg verlief. Die Theorie des „Sozialimperialismus“ war eine verallgemeinerte Form der „Theorie“ Stalins, geboren in den 1930ern, mit der parteiinterne Gegner als „Faschisten“ oder „imperialistische Agenten“ denunziert und oft ermordet wurden. Die reaktionären Folgen dieser Theorie waren, dass die UdSSR und ihre Verbündeten nicht gegen den Imperialismus verteidigt wurden. Stattdessen kollaborierte Peking – nach dem berühmten Treffen zwischen Mao und Nixon 1972 – stillschweigend mit dem US-Imperialismus gegen Moskau. Beispiele hierfür können im Krieg in Vietnam 1979 im Dienste des US-Imperialismus, in Chinas Unterstützung für die pro-imperialistische UNITA gegen die MPLA-Regierung in Angola oder in ihrer Unterstützung für die reaktionären Mudschahedin in Afghanistan gegen die PDPA und die sowjetischen Truppen nach 1979 gefunden werden. Eine ideologische Spiegelung dieser reaktionären Politik war Maos „Drei Welten-Theorie“, nach der die Welt in drei Teile geteilt war: die Erste Welt (die zwei Supermächte USA und UdSSR), die Zweite Welt (die Verbündeten dieser Supermächte) sowie die Dritte Welt. Dieses Konzept rechtfertigte die reaktionäre Unterstützung Pekings für rechtsgerichtete, pro-amerikanische Diktaturen, wie z.B. die des Schahs in Iran, das Marcos-Regime auf den Philippinen, das Pinochet-Regime in Chile oder die Regierung Bandaranaike in Sri Lanka, die Tausende von Jugendlichen während des Aufstands 1971 abschlachtete. Obschon Albaniens stalinistischer Diktator Enver Hoxha – und mit ihm viele MaoistInnen, die sich von China nach 1978 abwandten – später die „Drei Welten-Theorie“ ablehnte, behielt er aber das essenzielle, reaktionäre Konzept des „Sozialimperialismus“ bei.

Mit dem Fehlen einer materialistischen Klassenanalyse ist die weitestgehende Konfusion innerhalb der maoistischen Reihen über die leninistische Theorie der Arbeiteraristokratie verbunden. Während einige Teile die riesige Mehrheit der weißen Arbeiterklasse in den imperialistischen Metropolen als „verbürgerlicht“ denunzieren, als einen Teil der Arbeiteraristokratie ansehen oder gar behaupten, sie seien überhaupt keine ArbeiterInnen (wie die MIM), leugnen andere Teile des Maoismus (darunter die deutsche MLPD) wiederum praktisch die Existenz einer Arbeiteraristokratie als gesellschaftliche Schicht. Beide Teile ignorieren Lenins korrekte These, dass die Arbeiteraristokratie die privilegierte, oberste Schicht der Arbeiterklasse darstellt, welche über ihren Reproduktionskosten aus den imperialistischen Extraprofiten bezahlt wird – Extraprofite, welche aus der halbkolonialen Welt sowie aus den überausgebeuteten Schichten des Proletariats in den Metropolen selbst stammen.

Nach der Spaltung zwischen der UdSSR und China entstand folgende Situation:

1. China war die schwächere Macht, deshalb hatte Peking weniger materielle Mittel, um Bürokratien in anderen stalinistischen Parteien zu finanzieren.

2. Die wenigen Pro-Peking-Parteien, die Masseneinfluss hatten, erlitten entweder eine historische Niederlage (KP in Indonesien 1965, KP in Thailand in den frühen 1980ern) oder drifteten ab und passten sich an ihre eigene nationale Bourgeoisie an, die im Konflikt mit Peking standen, wie z.B. die CPI(M) in Indien. Diese war jedoch keine wirklich maoistische Partei, aber anfänglich eine linke stalinistische Partei. Moskaus Bündnis mit Indien und in Verbindung mit der chinesischen Invasion Indiens führte zu riesigen Verlegenheiten für jede Partei, die sich nach Moskau oder China richteten. Unabhängigkeit von Moskau und Peking war die beste Lösung für die CPI(M). Die MaoistInnen in der CPI(M) spalteten sich ab und starteten einen Partisanenkrieg gegen den indischen Staat (die Naxaliten-Bewegung). Verschiedene Ereignisse zersplitterten die Maoisten, die sich bemühten, loyal zur KP Chinas zu bleiben: der Sturz von Lin Biao (1971), Nixons Besuch in Peking (1972), der Fall der Viererbande (1976) und der Aufstieg von Deng (1978).

3. Deshalb stellte der Maoismus eine viel schwächere internationale Bewegung im Vergleich mit dem Moskaustalinismus dar.

4. Angesichts der Unglaubwürdigkeit und Fäulnis der Politik Moskaus sowie deren friedlicher Koexistenz mit dem Imperialismus konnte sich der Maoismus als ein attraktives programmatisch/ideologisches Modell für verschiedene kleinbürgerlich-revolutionäre Bewegungen wie z.B. die 68er-Bewegung im Westen, der CPP/NPA in den Philippinen oder Sendero Luminoso in Peru darstellen.

5. Zusätzlich gewann der Maoismus an Attraktivität durch den chinesischen „Halb“bürgerkrieg während der Kulturrevolution, welcher Mao – nach dem Befreiungskrieg – zum zweiten Mal ein Image als Revolutionär, Kämpfer und vermeintlicher Bekämpfer des Parteiapparates verlieh.

6. Auch diverse degenerierte TrotzkistInnen passten sich dem Maoismus an, in dem sie verkündeten, die maoistische Theorie der permanenten Revolution und die der Kulturrevolution seien eine Art „unbewusster Trotzkismus“.

Diese bestimmten historischen Bedingungen – radikaleres ideologisches Erscheinungsbild, weniger zentralisierte bürokratische Kontrolle durch das Machtzentrum in Peking – helfen, die unterschiedlichen Schattierungen des Maoismus zu erklären. In den imperialistischen Staaten gewann der Maoismus keinen Masseneinfluss, besteht jedoch in kleineren Organisationen weiter. Wo er eine Macht mit Masseneinfluss in halbkolonialen Ländern darstellte, nahm der Maoismus entweder die Form einer reformistischen Partei oder die einer kleinbürgerlichen Partisanenbewegung an.

MarxistInnen sind im Einklang mit der Einheitsfronttaktik immer bereit, mit MaoistInnen im Klassenkampf gegen die Feinde der Arbeiterklasse und der Unterdrückten zusammenzuarbeiten. Natürlich angesichts der repressiven und sogar mörderischen Taten, die MaoistInnen – wie andere StalinistInnen – gegen TrotzkistInnen (und untereinander) begangen haben, müssen TrotzkistInnen in einer solchen Einheitsfront in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. Zugleich ist es notwendig, den MaoistInnen, unter denen es viele hingebungsvolle KämpferInnen gegen Unterdrückung und Ausbeutung gibt, zu erklären, dass ihre Theorie und Praxis dem Marxismus fremd und ein Hindernis für den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und der Bauernschaft ist. Die Liga für die Fünfte Internationale ruft sie daher dazu auf, ihre Vorstellungen zu überdenken, mit dem Maoismus zu brechen und sich in die Reihen des authentischen Marxismus einzureihen. Vorwärts zur Fünften Internationale!

Kapitel 2: Der Maoismus in China

Der Maoismus ist ein Produkt der Degeneration der Komintern. Wie von Trotzki vorhersagt, führte die Übernahme der Doktrin des „Sozialismus in einem Land“ unweigerlich zu einem Wegdriften der nationalen Sektionen der Komintern von einem internationalistischen Programm zu einer systematischen Anpassung an nationale Gegebenheiten. Maoismus ist daher „Stalinismus mit chinesischen Merkmalen“. In China fand diese Anpassung unter den denkbar schlechtesten Umständen statt; den Nachwirkungen einer vollständigen Niederlage, die eine Arbeiterklasse je erlitt und von der sich die chinesische Arbeiterklasse – in Hinblick auf politische Unabhängigkeit und Selbstorganisation – bis heute noch nicht erholt hat.

Obwohl Mao Tsetung, bevor er ein Bauernorganisator innerhalb der Kuomingtang wurde, zunächst ein führender Aktivist der antiimperialistischen 4. Mai-Jugend-Bewegung, ein Gründungsmitglied der KP Chinas sowie für eine Weile auch Gewerkschaftsorganisator in den Anyuan-Kohlenrevieren war, fanden die formenden Erfahrungen des Maoismus als bestimmte politische Ideologie in den Nachwirkungen der Niederlage der zweiten Revolution statt, bei welcher der weiße Terror die Basis der ArbeiterInnen der Kommunistischen Partei buchstäblich vernichtete. Als Überlebender des abenteuerlichen Herbst-Ernte-Aufstands entkam Mao wie viele andere in die Berge von Jing Gang Shan. Dort, sowie anschließend während des Aufbaus des Rätegebiet Jiangxi, entwickelten er und seine GenossInnen die charakteristische Kombination von politischer und militärischer Organisation, Strategie und Taktiken, die die Welt als Maoismus kennt.

Dieser Prozess, durch welchen das politische Programm des Maoismus formuliert wurde, erstreckte sich über mehrere Jahre und schloss langwierige Konflikte mit der offiziellen Hierarchie der Partei und besonders mit VertreterInnen der Komintern ein. Dies reflektierte sowohl die physische Trennung vom städtischen Proletariat als auch die praktischen Prioritäten des Überlebens in einem spärlich bevölkerten Gebiet unter ständiger Bedrohung durch Angriffe der Kuomintang-Truppen. Maos Streitkräfte vereinigten sich zu anfangs aus überlebenden Mitgliedern der kommunistischen Partei und GewerkschaftsaktivistInnen, welche der Unterdrückung entkommen waren, aus Resten von Einheiten der Kuomintang-Armee, welche die KommunistInnen unterstützt hatten, aus BauernaktivistInnen, welche für den „Marsch nach Norden“ mobilisiert wurden, sowie aus Mitgliedern der zerstreuten Banden an Geächteten, welche schon vor der Ankunft der Revolutionäre in einer prekären Existenz lebten.

Während der kommunistischen Parteiorthodoxie Lippenbekenntnisse erwiesen wurden, wie z.B. zur führenden Rolle der städtischen Arbeiterklasse, war die Wirklichkeit von Maos entstehendem Programm eine systematische Anpassung an die Umstände der Bauernbevölkerung und beruhte auf der Annahme, dass die kommunistischen Kräfte lange in ländlicher Isolierung überleben müssten. Als Revolutionäre der Modernisierung Chinas verpflichtet, waren sie automatisch feindlich gegen die traditionellen und patriarchalischen Strukturen gesinnt, welche immer noch vorherrschend waren. Sie setzten daher ein Programm einer egalitären Landreform, der Abschaffung traditioneller Hierarchien und Pachten und ein System der Verwaltung durch Dorfräte, die sie Sowjets nannten, durch. Praktisch wendeten sie so weit wie möglich ein bürgerlich-demokratisches Programm an.

Im Lauf der Zeit und mit der Ankunft weiterer Truppen, oft angeleitet durch fähige und hoch geachtete KommandantInnen wie Shu De, Peng Dehuai und He Long wurde es eine essenzielle Aufgabe für die Revolutionäre, ihre eigene Versorgung zu sichern; im ersten „Basislager“ hielten sich anfangs nur 2.500 DorfbewohnerInnen auf, innerhalb von zwei Jahren wurde das Gebiet jedoch von etwa 50.000 RevolutionärInnen bevölkert. Neben der Einführung einer effizienten Organisation und Arbeitsteilung schuf dies eine völlig andere Beziehung zwischen der „Armee“ und der bäuerlichen Bevölkerung, die an Soldaten gewöhnt war, die sie normalerweise missbrauchten und ihr Essen stahlen. Zum gleichen Zeitpunkt war der einzige Weg, alle verschiedenartigen Elemente zu organisieren, dies mit militärischen Mitteln und mit Hilfe kommunistischer Parteikader zu tun, die als politische Kommissare handelten. Dadurch wurden alle mit der Zeit Teil der „Roten Armee“.

Diese anfänglichen Erfahrungen, bestärkt durch den katastrophalen Ausgang des von der Komintern geleiteten Changsha-Aufstands von 1930, bekräftigten Mao in seinem Glauben, dass die Revolutionäre auf dem Land nicht nur überleben, sondern auch ihre Kräfte und ihren Einfluss ausweiten könnten, in dem sie sich auf das Land anstatt auf die Städte konzentrierten. Diese Strategie, zusammen mit dem dies begründenden Programm, sowie die Taktiken, welche notwendig waren, um dies durchzusetzen, wurde von der Partei nicht vor der endgültigen Niederlage der von der Sowjetunion unterstützten Führung auf der Zunyi-Konferenz im Januar 1935, als offizielle Linie angenommen. Zu dieser Zeit hatten sich die organisatorischen Techniken und politischen Verfahren, die anfangs das Überleben sicherstellen sollten, zu einer systematische politischer Praxis verhärtet.

Dies wurde später als die „Massenlinie“ bekannt, ein Konzept, durch welches die Parteikader geschult wurden, die zerstreuten und unsystematischen Ideen der Massen zu ‚systematisieren‘ und zu ‚konzentrieren‘ und sie als klare politische Richtlinien und Losungen zu formulieren. Obwohl Maos Formulierung „von den Massen zu den Massen“ impliziert, dass die Parteipolitik ein Ausdruck des Volkswillens ist, unterschlägt dies die Rolle der Kader bei der Popularisierung des Parteiprogramms sowie der ‚Systematisierung‘ nur jener Volksideen, welche von ihnen als angemessen bewertet werden. Nichtsdestotrotz stellte dies einen radikalen, sogar revolutionären Bruch mit einer Tradition dar, in welcher die Gedanken und Bestrebungen der breiten Masse der Bevölkerung nicht zählten. Zugleich politisierte dieses Verfahren auch die breiten Massen und zog künftige Kader heran, deren Ideen denen der Partei am nächsten kamen und echte Wurzeln in der bäuerlichen Gesellschaft hatten.

Erst nach der Vollendung des Langen Marsches und der Einrichtung der gesicherten Basis in Yenan, versuchte Mao sich an einer Kodifizierung seiner politischen Ideen. Im Kern können diese als Voluntarismus und philosophisch als Idealismus charakterisiert werden. Während das Überleben in den Basis-Gebieten und im Langen Marsch zweifellos Hingabe und heldenhaftes Engagement erforderten, zog Mao aus dieser Erfahrung einen übertriebenen Glauben an die Möglichkeit der Willenskraft, praktisch alle materiellen Hindernisse zu überwältigen. Darüber hinaus kam er zu dem falschen Entschluss, dass die kommunistische Partei auch mit der Basis einer Bauernbevölkerung ebenso wie mit einer städtischen Arbeiterbasis aufgebaut werden könne.

Von diesen zwei Fehlern ausgehend leitete er einen dritten ab: die Partei als Organisation oder Institution könne selbst die historische Rolle der Arbeiterklasse übernehmen. Wenngleich Mao auch mit dem Studium der philosophischen Aspekte des Marxismus – mit Hilfe von stalinistisch geprägten sowjetischen Lehrbüchern – sowie mit dem Halten von Vorträgen über Materialismus und Dialektik begann, zeigten seine späteren Erkenntnisse, dass es Chinas größter Vorteil gewesen sei, dass es „arm und leer“, und dass die chinesische Bauernschaft wie eine „saubere weiße Seite war, auf die die schönsten Zeichen reichlich geschrieben werden konnten“, deutlich ein unzulängliches Verständnis der Methode des Marxismus. Zum gleichen Zeitpunkt ermutigten die harschen Wirklichkeiten von Yenan Partei und Armee, einen rudimentären Staatsapparat zu begründen. Sie forderten auch eine ultimative politische Instanz: einen Bonaparte – dessen Rolle Mao Tsetung bereitwillig einnahm.

An keinem Punkt in der Entwicklung und Konsolidierung des Maoismus gab es jedoch eine Erkenntnis von oder gar ein Programm dafür, demokratisch kontrollierte Arbeiterorganisationen aufzubauen, die sowohl den Kampf gegen den Kapitalismus führen als auch die Basis des künftigen revolutionären Arbeiterstaats bilden können. In der Tat – abgesehen von der Anerkennung der Existenz von Klassen und unterschiedlicher Klasseninteressen innerhalb der Gesellschaft und des Imperialismus als Weltsystem – spielte der Marxismus, verstanden als eine Analyse des Kapitalismus und als Programm für seinen internationalen Sturz und seine Ersetzung durch eine international geplante Wirtschaft unter der Kontrolle von Arbeiterräten, keine wirksame Rolle im Maoismus, dessen Programm eine Verschmelzung des Stalinismus mit revolutionär-chinesischem Nationalismus darstellte.

International führte der Aufstieg von Nazi-Deutschland zu einem Kurswechsel der Kommunistische Internationale. Die ultralinke Politik der 3. Periode wurde aufgegeben. Das war in China geprägt von desaströsem, militärischem Abenteurertum sowie einer sektiererischen Politik einer vom Kreml eingesetzten Parteiführung der KP China, welche sich im Schanghaier Untergrund aufhielt. Stattdessen nahm Stalin die Volksfront-Strategie an. Im neu entstehenden Konflikt mit Japan, das 1931 die Mandschurei besetzte und damit drohte, in Zentralchina einzudringen, reproduzierte diese Politik der Klassenzusammenarbeit die Strategie des „Blockes der vier Klassen“, die mit schrecklichen Folgen schon in der Mitte der 1920er Jahre verfolgt worden war. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass Mao Tsetung einer der letzten kommunistischen Führer war, der seine Zusammenarbeit mit der ‚linken‘ Kuomintang-Regierung in Wuhan aufgab.

Maos Übernahme und Anwendung der Volksfront-Strategie in Form der „Zweiten Einheitsfront“ mit der Kuomintang im Krieg gegen Japan ist deshalb nicht Beweis einer sklavischen Unterordnung unter Moskau. Dies stellt eher eine zufällige Übereinstimmung von Maos bevorzugter Strategie mit der von Stalin dar. Mit dem Ausbruch des Krieges 1937 hat Mao, während er seine eigene geografische Basis in Yenan behielt, nichtsdestotrotz seine Kräfte dem kompletten Befehl von Chiang Kai-shek untergeordnet. Während dies die Form der „anti-imperialistischen Einheitsfront“ annahm, welche von der Komintern in ihrer revolutionären Periode entwickelt wurde, unterschied sie sich in ihrem Inhalt. Statt die chinesische Arbeiterklasse und die Bauernschaft vor der unvermeidlichen Unzulänglichkeit Chiangs Führung zu warnen, lobte Mao sich selbst in den Himmel. Es besteht kein Grund zu glauben, dies wäre eher Naivität als zynische Kalkulation gewesen, oder gar, dass Mao nicht immer Verrat von Chiang erwartete und nicht beabsichtigte, sich gegen ihn zu wenden, wenn die Zeit dafür reif war. Der Fehler lag im Versäumnis, die Arbeiterklasse und die Bauernschaft nicht von der Notwendigkeit überzeugt zu haben, ihre eigenen Kampfkräfte zu entwickeln. Die Kombination von Maos Vertrauen auf den Partisanenkrieg und der politischen Strategie der Volksfront produzierte das Konzept des „Volkskrieges“, welcher ein Hauptbestandteil des „Maoismus“ werden sollte.

Der „Block der vier Klassen“ wurde nicht auf den Krieg gegen Japan beschränkt. Er wurde auch zum vorgeschlagenen Regierungsprogramm der „Neuen Demokratie“ erweitert – dem maoistischen Gegenstück zur „kapitalistischen“ Entwicklungsphase, die im stalinistischen Etappenschema als eine Notwendigkeit vor der sozialistischen Revolution dargestellt wird. Es wurde nie ein Zeitrahmen für die Dauer dieser „Phase“ definiert, aber es soll angemerkt werden, dass das Modell für den „Sozialismus“, welcher dieser Phase folgen sollte, von der Sowjetunion bereitgestellt wurde. Nach der Niederlage gegen Japan behielt Mao seinen Aufruf zur Volksfrontregierung bei. Chiangs Verrat erzeugte jedoch Risse in der Kuomintang. Mao begrüßte jenen Teil, welche sich von Chiang lossagte, als die „nationale Bourgeoisie“. Dies pflasterte den Weg hin zu einer Koalitionsregierung mit diesen ausgetretenen Elementen der Kuomintang auf der Basis eines Programms der kapitalistischen Entwicklung nach der „Befreiung“ 1949, d.h. hin zu einer Volksfront-Regierung.

Ungeachtet ihrer subjektiven Absichten haben der Ausbruch des Koreakriegs sowie die Versuche der auf der Insel Taiwan stationierten Kuomintang, einen Aufstand auf dem Festland zu ermutigen, die KP China dazu gebracht, eine abrupte Linkswende zwischen 1951 und 1953 durchzuführen. Während dieser beaufsichtigte sie die Landreform sowie eine bürokratische Nationalisierung dessen, was von der Privatindustrie übrig war. Nachdem sie die Kontrolle über Industrie und Handel übernommen und die gesellschaftliche Macht der Grundeigentümer gebrochen hatte, führte die Regierung ein System der Planung, angelehnt an das Modell der Sowjetunion, ein. Ab diesem Punkt kann davon gesprochen werden, dass der Kapitalismus durch eine bürokratische Planwirtschaft ersetzt wurde und China ein degenerierter Arbeiterstaat wurde. Die nun zur Sache der Regierungspolitik gewordenen Entscheidungen über die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung spaltete die Parteiführung. Während sich anfangs alle auf die Annahme des alleinig existenten Modells der „sozialistischen industriellen Entwicklung“, d.h. das Kopieren der Fünfjahr-Pläne der Sowjetunion einigten, wurden die Frage des Verhältnisses zur überwiegend bäuerlichen Bevölkerung sowie die Frage nach der Entwicklung einer Leichtindustrie zur Quelle unendlicher fraktioneller Streitigkeiten.

Angesichts eines Handelsembargos unter Führung der USA und der beständigen Drohung militärischer Angriffe, führte Maos Voluntarismus ihn immer wieder zu einer Überschätzung der möglichen Geschwindigkeit wirtschaftlicher Entwicklung und seine überwiegend utopischen Haltungen unterschieden sich zunehmend von der Realität, als deutlich wurde, dass viele Erfahrungen der SU auf China nicht anwendbar waren. Seine Gegner sprachen sich für eine größere Anpassung an die ‚Marktkräfte‘ in der Landwirtschaft und der städtischen Leichtindustrie aus, welche, wenn angewandt, Produktion und Gewerbe gesteigert, aber unvermeidlich auch das Emporkommen bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Mächte begünstigt hätte. Unfähig, aus der Unmöglichkeit einer ausgeglichenen und optimalen Entwicklung für Chinas Produktivkräfte, auf Basis der Doktrin“ des Sozialismus in einem Land“, auszubrechen, wetteiferten die zwei Fraktionen zwei Jahrzehnte lang miteinander, ohne je einen definitiven Sieg zu erreichen. Nichtsdestoweniger führte dieser Kampf gegen jene, die später als ‚Wegbereiter des Kapitalismus‘ charakterisiert wurden, zu Maos linkem Erscheinungsbild.

Im Verlauf dieses Fraktionskampfes versuchte Mao, die langsame Entwicklung des sowjetischen Modells durch eine Dezentralisierung der Industrie den „Großen Sprung vorwärts“, sowie mit der Massenmobilisierung der Bauernschaft, die „Bewegung der Volkskommunen“ zu überwinden. Dies stürzte China an den Rand einer Katastrophe sowie in eine Hungersnot. Zur gleichen Zeit wurde die sowjetische Hilfe zurückgezogen, wodurch Maos Gegner das Ruder in die Hand nahmen. Sie führten einen gewissen Grad an „wirtschaftlichem Haushalten“ durch das Erlauben einer Rückkehr marktwirtschaftlicher Kräfte in den ländlichen Gebieten ein. In einer parteiinternen Kampagne gegen seine Gegner theoretisierte Mao seine Aussage, dass der schnellen Entwicklung des Sozialismus eine konstante Mobilisierung der Massen gegen Behörden und Institutionen einhergehen muss, da diese immer zu einer konservativen Vorliebe für ein langsames Entwicklungstempo tendierten. Er verwies auf diese Theorie als eines Programms der „Permanenten Revolution“. Obwohl sich Maos Verwendung dieses Konzepts fundamental von dem von Marx (1851) oder von Trotzki unterschied – beide benutzten diese Theorie, um die Notwendigkeit zu beschreiben, dass das Proletariat die Führung im Kampf für eine bürgerliche Demokratie übernehmen und sie gleichzeitig in Richtung einer revolutionären Bewegung für den Sozialismus vorwärtstreiben müsse – stärkte auch dieses Maos Ruf als Revolutionär.

Zum gleichen Zeitpunkt erklärte er die Einstellung der sowjetischen Unterstützungen als einen konterrevolutionären Angriff der Sowjetunion, die nach dem Tod Stalins in einen „Staatskapitalismus“ verwandelt worden sei. Davon ausgehend verallgemeinerte er dies, um Chruschtschows Politik der „friedlichen Koexistenz“ mit den USA anzugreifen und der Moskauer Führung „Revisionismus“ vorzuwerfen, welcher sich auf der ganzen Welt in den reformistischen Programmen der moskautreuen kommunistischen Parteien wiederfinden ließe. Diese Angriffe führten zu einer Spaltung innerhalb der kommunistischen Bewegung weltweit, in der Mao die Fortsetzung eines revolutionären Ansturms im eigenen Land sowie als Unterstützung der weltweiten anti-imperialistischen Kämpfe repräsentierte. Angesichts der zweifellos reformistischen Programme der offiziellen kommunistischen Parteien überrascht es nicht, dass Maos Kurs bei „links orientierten“ Strömungen angenommen wurde und zur Formierung kommunistischer, „Pro-Peking“ Parteien in vielen Ländern führte. Dies ließ den „Maoismus“ auch jenseits der Grenzen Chinas zu einer Macht werden.

Innerhalb Chinas regten die Maßnahmen, die ergriffen wurden um mit der industriellen und landwirtschaftlichen Krise – welche zur Hungersnot in den frühen 1960ern führte – zurechtzukommen, erneut einem vermehrten Wachstum marktwirtschaftlicher Kräfte an. Dies produzierte eine Mehrheit innerhalb der Führung der KP Chinas, welche gegen Maos weiteres Drängen nach einer beschleunigten, aber dezentralisierten Industrialisierung, opponierte. Diese Mehrheit stellte sich jedoch als unfähig heraus, Mao zu entfernen, da die Rechtmäßigkeit des ganzen Regimes stark mit dem Kult rund um Maos Person verflochten war. Es war dieser sorgfältig kultivierte persönliche Status, der es Mao erlaubte, einen Gegenangriff zu starten, indem er an Kräfte außerhalb der Partei appellierte. Dies war die wahre Bedeutung der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“, die alles andere, als eine verspätete Hinwendung zur Notwendigkeit direkter Arbeitermobilisierungen darstellte, um die Macht zu ergreifen, sondern nur ein letzter, verzweifelter Versuch Maos war, sein Programm mit einer inszenierten Massenmobilisierung durchzusetzen.

Nach anderthalb Jahrzehnten Einparteiendiktatur überrascht es nicht, dass die jüngere Generation der StudentInnen begeistert auf Maos Forderung „Das Hauptquartier zu bombardieren!“ reagierte. Dieser heftige Angriff, kombiniert mit der politischen Unterstützung der Führung der Volksbefreiungsarmee unter Lin Biao, war ausreichend, um einen Rückzug von Maos Gegnern zu erzwingen und stellte wenigstens eine partielle Implementierung der Politik der dezentralisierten Industrialisierung, die von der Armee unterstützt wurde, sicher. Als jedoch große Mengen von ArbeiterInnen in den bedeutenden städtischen Zentren wie Schanghai und Wuhan anfingen, auch gegen das Regime zu mobilisieren, stellten die verschiedenen Interessengruppen der Bürokratie ihre Unterschiede zurück und unterstützten die Wiederherstellung der Ordnung durch die Volksbefreiungsarmee. Das letztliche Ergebnis der „Kultur-Revolution“ war ein bürokratisches Patt sowie die Einführung des Kriegsrechts in China.

Selbst unter diesen Umständen sicherte die Zentralität des ‚Vorsitzenden Mao‘ die Legitimierung des Regimes, seine Vorrangstellung unter den übrigen ParteiführerInnen, auch wenn real seine übrig gebliebene Macht durch die FührerInnen der maoistischen Fraktion um Jiang Qing und die „Viererbande“ ausgeübt wurde. Nach Maos Tod im September 1975 wurde Hua Guofeng zum Parteiführer ernannt. Fast gleichzeitig, 1976, wurde Deng Xiaoping, der ins Exil Guangdong verbannt worden war, rehabilitiert. Hua wurde entmachtet, die „Viererbande“ verhaftet und die langjährigen ParteigegnerInnen Maos gelangten unangefochten an die Macht.

Kapitel 3: Der Maoismus außerhalb Chinas

Vor dem Hintergrund der US-Blockade von Kuba, der Eskalation des Krieges gegen Vietnam und der Vermehrung der Unabhängigkeitskämpfe, besonders in Afrika, verwundert es kaum, dass die Bewunderung für den Maoismus und dessen Nachahmungen durch antiimperialistische Kräfte in der Welt anwuchs. Die unter Beweis gestellte Fähigkeit Chinas, selbst der US-Blockade standzuhalten und anscheinend nicht nur eine vorher bankrotte Wirtschaft wieder anzukurbeln, sondern aus dieser eine moderne, fortschrittliche industrielle Wirtschaft zu entwickeln, welche mit ihrer Betonung der potenziellen Stärke und Kreativität der großen Volksmassen verbunden wurde – von den Imperialisten als „rückständig“ oder „unentwickelt“ betrachtet – verhalf dem Maoismus zu großem Prestige und etablierte ein programmatisches Modell für RevolutionärInnen in solchen Ländern.

Im Gegensatz zum Maoismus, welcher durch die zwangsweise Aussendung städtischer RevolutionärInnen in isolierten ländlichen Gebieten entstand, haben sich seine „ausländischen“ Nacheiferer freiwillig allgemein auf die Bauernschaft als einer bewussten politischen Alternative zur städtischen Arbeiterklasse ausgerichtet. Maos Lob für die Tugenden des bäuerlichen Lebens, verstärkt durch seinen Rat an die Roten Garden „von den Bauern zu lernen“, ermutigte eine Anzahl nationalistischer und populistischer Revolutionäre, Städte und Universitäten zu verlassen und ihre eigenen „sowjetischen Basisgebiete“ zu gründen. Aufgrund der Tatsache, dass in vielen Ländern, die Landfrage eine brennende Frage blieb, waren solche Strömungen imstande, sich durch das Anpassen der von Mao formulierten politisch-organisatorischen Techniken in Ländern wie Peru, Teilen Indiens, Nepal, Indonesien und den Philippinen als bedeutende Kräfte zu etablieren. In seiner extremsten Form, wie von den Roten Khmer in Kambodscha illustriert, haben maoistisch inspirierte Intellektuelle aus der Pro-Bauern-Orientierung einen anti-städtischen Nihilismus extrapoliert, der zu einem völlig reaktionären De-Urbanisierungsprogram und zum Abschlachten Hunderttausender führte.

Auf den ersten Blick stellt es eine Schwierigkeit dar, das Wachstum von bedeutenden maoistischen Parteien in fortgeschrittenen imperialistischen Ländern zu erklären, die keines der charakteristischen Merkmale Chinas aufzeigen. Maos Kombination der Verurteilung der Politik der Klassenkollaboration der bürokratischen, Moskau-loyalen kommunistischen Parteien und der bedeutenden reformistischen Parteien einerseits, mit dem Widerstand gegen den Imperialismus, besonders den US-amerikanischen, und seiner Erklärung, dass „Rebellion gerechtfertigt“ sei andererseits, rief jedoch in der Jugend und den Antikriegs-Bewegungen der späten 1960er Jahre Sympathie hervor.

Dies traf insbesondere auf Länder mit einer starken sektiererischen Tradition zu, wie in Italien und Deutschland, wo der Faschismus praktisch das revolutionäre Vermächtnis ausgelöscht hatte, und Arbeiterorganisationen auf Grundlage von Programmen der Klassenkollaboration wieder gegründet wurden. Das Fehlen taktischer Mittel aller Art innerhalb des Maoismus, sich auf die Arbeitermassen zu orientieren, seine statt dessen erfolgende Orientierung auf Kräfte außerhalb der Arbeiterklasse sowie seine Verherrlichung des Voluntarismus einer selbst ernannten revolutionären Vorhut, empfahlen den Maoismus einer großen Anzahl sich nach links bewegender Jugendlicher, die schon vom Anarchismus oder dem Stalinismus der 3. Periode beeinflusst waren. Das Ergebnis waren große, im allgemeinen jugendliche, zentristische Organisationen, die zahlenmäßig durch das ansteigende Niveau an Klassenkämpfen oft zunahmen, sich aber schlussendlich den Massenorganisationen der Arbeiterklasse entgegenstellten.

Solche Organisationen dünnen meist unter den Auswirkungen staatlicher Unterdrückung und Isolierung von Massenorganisationen der Arbeitermassen aus, während diese ihren Arbeiteranhang behielten – selbst als sie Kompromisse vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Krisen in den 1970ern aushandelten. In aller Welt litten die MaoistInnen auch unter den Ergebnissen der Drehungen und Wendungen der chinesischen Außenpolitik wie z.B. unter der Unterstützung für die Unterdrückung eines maoistisch inspirierten Aufstands durch die sri-lankische Regierung, unter der frühen diplomatischen Anerkennung des Pinochet-Regimes in Chile und als Krönung unter Maos Annäherung an Nixon und die offene Unterstützung der US-Außenpolitik. Nichtsdestotrotz begründeten sie eine Kader- sowie eine politische und intellektuelle Tradition, welche in einer sektiererischen, politischen Methode wurzelt und einen beträchtlichen Einfluss auf folgende Generationen ausübte.

Der Anbruch einer neuen Periode der historischen Krise des globalen Kapitalismus schafft einen neuen Kontext für die weitere Entwicklung des Maoismus und seiner Ableger. In einer zunehmenden Zahl von Ländern hat die Landfrage eine noch größere Dringlichkeit bekommen, da multinationale, landwirtschaftliche Firmen und sogar souveräne Staaten versuchen, Land aufzukaufen, das gegenwärtig besessen und/oder von bäuerlichen Bevölkerungen bewirtschaftet wird. Unter solchen Umständen können maoistisch inspirierte Versuche, diesem sich durch eine Kombination von politischer Mobilisierung und einem Partisanenkrieg zu widersetzen, leicht Zulauf bekommen. Zentrale staatliche Unterstützung für die „Landräuber“ wird oft Bedingungen schaffen, die jenen im China der 1930er ähnlich sind. Es wird daher für revolutionäre Arbeiterorganisationen, die ihre Basis in den Städten haben, notwendig sein, dafür ein Programm aufzustellen. Es muss die Verteidigung der Bauernrechte mit Forderungen nach dem Abzug staatlicher Mächte enthalten und verbunden sein mit der Forderung der Formierung demokratisch organisierter Bauernräte – aber nicht eine als „Partei“ eingesetzte Verwaltung – welche in Verbindung mit den Arbeiterräten als Basiskräfte einer ArbeiterInnen- und Bauern-Regierung dienen kann. Diese Regierung muss Schritte unternehmen, um das Land zu sozialisieren, sowie die Landwirtschaft in die Entwicklung einer landesweiten Planwirtschaft zu integrieren.

In der imperialistischen Welt kann das Scheitern der offiziellen Arbeiterorganisationen, die Interessen der ArbeiterInnen gegen die Welle von Angriffen wirksam zu verteidigen, ebenfalls Bedingungen schaffen, in denen Organisationen und politische Strömungen, die in der ideologischen Tradition des Maoismus stehen, Glaubwürdigkeit und Einfluss gewinnen. Hier wird die entscheidende Frage für Revolutionäre, die korrekte Anwendung der Einheitsfront gegenüber den Arbeitermassenorganisationen und ihren FührerInnen sein. Diese muss entlang von Forderungen aufgebaut werden, die einerseits wesentlich für die Verteidigung der Arbeiterinteressen sind, andererseits versuchen, die Masse der ArbeiterInnen zu organisieren und zu mobilisieren – unabhängig oder, wenn notwendig, gar gegen ihre FührerInnen und gegen alle Strategien opponieren, die die Masse der Arbeiter effektiv unter die Kontrolle der existierenden Führungen hält.