Nahost: Israel und der Westen missachten Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs

Rose Tedeschi und Alex Rutherford, Infomail 1248, 19. März 2024

Am 26. Januar erließ der Internationale Gerichtshof (IGH) ein Zwischenurteil in einem von Südafrika gegen Israel angestrengten Verfahren. Der IGH wurde ersucht zu entscheiden, ob Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht. In diesem Urteil wird festgestellt, dass sich Israel einer „plausiblen“ Anklage wegen Völkermordes zu stellen habe, und der IGH hat eine einstweilige Verfügung erlassen, in der dem Land Auflagen gemacht werden.

Die Anordnung verpflichtet Israel, alle Handlungen zu unterlassen, die unter die Völkermordkonvention fallen könnten, und sicherzustellen, dass seine Truppen im Gazastreifen keine völkermörderischen Handlungen begehen. Außerdem wird es aufgefordert, öffentliche Aufforderungen zu Völkermord zu verhindern und zu bestrafen und Beweise für den Vorwurf des Völkermords zu sichern. Darüber hinaus wurde Israel angewiesen, Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage der palästinensischen Einwohner:innen in der Enklave zu ergreifen, Beweise dafür aufzubewahren und dem Gericht innerhalb eines Monats einen Bericht vorzulegen.

Israel Bericht ist fällig. Es wird jedoch erwartet, dass er kurz und voller Beschimpfungen sein wird, die die Welt von der Regierung um den Premierminister Benjamin Netanjahu zu erwarten gewohnt ist. Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara machte dies Ende Februar deutlich, als sie die Anschuldigungen Südafrikas als „skandalös“ und die Behauptungen als „absurd“ bezeichnete. Sie fuhr fort:

„Das entschlossene Handeln der israelischen Verteidigungskräfte beruht auf der Reinheit der Waffen und der allgemeinen Einhaltung des nationalen und internationalen Rechts, die Ausdruck der Stärke unseres Landes sind.“

Israel weiß, dass es sich hier auf zweifelhaftem Boden befindet und wird sich wahrscheinlich auf die Lieferung humanitärer Hilfe konzentrieren und behaupten, dass nicht es den Fluss der Hilfsgüter behindert, sondern die Palästinenser:innen, die den freien Durchgang blockieren. Die israelische Belagerung zwingt die hungernden Bewohner:innen des Gazastreifens, die wenigen Konvois, die durchkommen, zu plündern.

Natürlich gibt es einen Berg von Beweisen dafür, dass Israel die Hilfe durch zahlreiche Kontrollpunkte und Verzögerungen blockiert, wie die Aufnahmen von an der Grenze gestauten Lastwagen zeigen, ganz zu schweigen von der Belagerung von Rafah, dem Hauptzugangsort für die Hilfe. Der Norden soll frei von Hamas-Kämpfer:innen sein, doch wurden dort keine Grenzen geöffnet.

In Bezug auf die beiden anderen Forderungen muss Israel einige ernste Fragen beantworten. Genau zwei Tage nach dem IGH-Urteil nahmen neun Mitglieder des israelischen Parlaments (Knesset), darunter zwei Minister, an einer rechtsextremen Siedler:innenkundgebung teil, bei der die Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen und der Zuzug von Siedler:innen gefordert wurde. Die Minister selbst riefen dazu auf, das nördliche Westjordanland zu besiedeln. Die Regierung hat es versäumt, irgendwelche Abgeordneten dafür zu „bestrafen“, geschweige denn, dies zu „verhindern“.

Seine Militäraktionen im Februar bestätigen ebenfalls Israels Bereitschaft, mit einer Invasion in Rafah zu drohen und gleichzeitig Schulen und Krankenhäuser zu bombardieren. Tausende von Menschenleben stehen auf dem Spiel; wenn Panzer und Kanonen es nicht erreichen, könnten Krankheiten diese Aufgabe für die Israelis übernehmen. Die Bedrohung durch einen Völkermord ist näher gerückt, nicht weiter weg.

Israel und das Gesetz

Entscheidend ist jedoch, dass das Gericht keinen sofortigen Waffenstillstand anordnete. Die Hauptbegründung hierfür ist das von Israel vorgebrachte rechtliche Argument, dass es an einer „völkermörderischen Absicht“ fehle. Da die Hamas beschuldigt wird, die Gewalt durch ihren Angriff am 7. Oktober angezettelt zu haben, ist das Gericht der Ansicht, dass Israel argumentieren kann, dass seine Handlungen in Selbstverteidigung erfolgten, was eine Rechtfertigung für den Krieg und somit keine Anordnung einer sofortigen Waffenruhe darstellt.

Dies ignoriert die 75 Jahre der Unterdrückung, Enteignung und Apartheid, die Israel den Palästinenser:innen angetan hat. Für revolutionäre Kommunist:innen kann jedoch die Gewalt eines unterdrückten Volkes niemals mit der Gewalt des Unterdrückers gleichgesetzt werden. Das palästinensische Volk ist seit der Gründung des zionistischen Staates im Jahr 1948 Opfer einer schrecklichen nationalen Unterdrückung. Der Gazastreifen ist praktisch ein Freiluftgefangenenlager für eine der am meisten benachteiligten und überfüllten Bevölkerungen der Welt.

Diese Entscheidung ist nur vorläufig; bis zur endgültigen Entscheidung in diesem Fall werden Monate oder sogar Jahre vergehen. Die Entscheidungen des IGH sind endgültig und unanfechtbar, aber das Gericht hat keine Möglichkeit, sie durchzusetzen. Der Nachweis eines Vorsatzes ist jedoch bekanntermaßen schwer zu erbringen, da die rechtliche Messlatte für Beweise sehr hoch angesetzt ist.

Netanjahu bekräftigt Israels „unerschütterliches Engagement“ für das Völkerrecht und bezeichnet den Vorwurf des Völkermords als „empörend“. Der israelische Verteidigungsminister Yo’aw Galant zeigte sich „bestürzt“ darüber, dass die Klage nicht rundheraus abgelehnt wurde, und der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir twitterte spöttisch „Haag-Schmach“. Es wurde berichtet, dass andere hochrangige israelische Minister das Urteil als „antisemitisch“ bezeichnet haben.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sagte, er erwarte, dass Israel sich an das Urteil hält und Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermords ergreift. Bislang sieht es nicht danach aus. Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor war näher an der Wahrheit und warf Israel vor, das Urteil zu ignorieren. In der Woche nach dem Urteil des IGH wurden fast 1.000 weitere Palästinenser:innen getötet. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich nun auf mehr als 30.000.

Israel hat seine Militäroperationen auf Rafah ausgeweitet, obwohl es die Stadt zu einer „sicheren Zone“ erklärt hat. Die UNO hat Rafah als „Druckkochtopf der Verzweiflung“ bezeichnet. Krankenhäuser sind weiterhin Ziel israelischer Angriffe; Berichten zufolge wurden Panzer in der Nähe des Nasser-Krankenhauses – dem größten funktionierenden Krankenhaus in Gaza – gesehen.

Kluft zwischen imperialisiertem Süden und imperialistischem Westen

War es das wert, den Fall vor den Weltgerichtshof zu bringen? Ja! Dieser Fall steht eindeutig für ein Massengefühl der Rebellion in der halbkolonialen Welt gegen den westlichen Imperialismus. Ramaphosa, der berüchtigte Mörder der südafrikanischen Bergarbeiter:innen von Marikana, ist sicher kein antiimperialistischer Kämpfer – und seine Gründe mögen in einem Wahljahr zynisch sein.

Aber es war der Druck der internationalen Bewegung für die Befreiung der Palästinenser:innen, auf den die Machthaber:innen reagierten. Südafrikaner:innen sind seit langem Verbündete des palästinensischen Volkes, und die internationale Rechtsexpertin Heidi Matthews sagte, dass ihr historischer Kampf für die Beendigung der Apartheid dem Fall gegen Israel „Glaubwürdigkeit und moralisches Gewicht“ verleiht.

Das Gefühl des Hasses gegenüber dem Westen, den ehemaligen Kolonialherr:innen Afrikas und Asiens, wird durch die Reaktion auf das Urteil des IGH noch geschürt. Innerhalb weniger Stunden nach der Entscheidung stellten die USA ihre Finanzierung des UN-Hilfswerks UNRWA ein, und Kanada folgte diesem Beispiel rasch. Es überrascht nicht, dass auch das Vereinigte Königreich und sechs weitere europäische Länder, darunter auch Deutschland,  sowie Japan ihre Mittel für das UNRWA aussetzten.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen ist die einzige Organisation, die derzeit in der Lage ist, die humanitären Mittel bereitzustellen, zu deren Gewährung sich US-Präsident Joe Biden und der britische Außenminister David Cameron „verpflichtet“ haben. Die EU schätzt, dass sich die insgesamt ausgesetzten Mittel auf mehr als 440 Millionen US-Dollar belaufen – die Hälfte des Haushalts der Organisation für 2024. In einer Zeit, in der die Menschen im Gazastreifen gezwungen sind, Gras zu essen und verschmutztes Wasser zu trinken, um zu überleben, ist dies absolut verachtenswert.

Glücklicherweise haben nicht alle Länder ihre Finanzierung zurückgezogen; Spanien hat ein dringendes Hilfspaket in Höhe von 3,8 Millionen Dollar angekündigt, und Australien und Belgien werden ihre Finanzierung des UNRWA fortsetzen. Aber der Sonderpreis für Heuchelei geht sicherlich an Deutschland, das einerseits die Legitimität des IGH anerkannt, andererseits aber sämtliche Vorwürfe gegen Israel vor jeder Untersuchung zurückweise – und gleichzeitig Israel mit den Waffen versorgt, die es benutzt, um das „Völkerrecht“ mit Füßen zu treten.

Schlussfolgerung

Trotz der vielen Unzulänglichkeiten dieses vorläufigen Urteils und des IGH selbst stellt die Entscheidung einen Schlag sowohl für Israel als auch für die westlichen Mächte dar. Sie hat zu dem Schauspiel geführt, dass diese Mächte genau die Institutionen untergraben, die sie zuvor geschaffen hatten, um ihre imperialistische Herrschaft über die Welt zu verschleiern. Ihre Ansprüche auf Rechtsstaatlichkeit und das Recht auf Selbstbestimmung, die sie im Falle der Ukraine und Taiwans, d. h. bei der Verurteilung ihrer Rivalen Russland und China, so hochgehalten haben, haben in den Augen des globalen Südens erheblichen Schaden genommen.

Die Bewegung für die Befreiung Palästinas muss diese Orientierungslosigkeit der Regierenden ausnutzen und sich keinen Illusionen in Typen wie Ramaphosa hingeben und ihre Anstrengungen international koordinieren, wenn sie ihr Ziel, ein freies Palästina, erreichen will. Das Urteil des IGH kann eine Plattform bieten, um auf diesen Kampf hinzuweisen, aber es kann keine Gerechtigkeit schaffen. Das können nur die Palästinenser:innen selber und ihre Unterstützer:innen tun, indem sie für die revolutionäre Zerstörung des zionistischen Staates und seine Ersetzung durch ein einheitliches, säkulares und sozialistisches Palästina kämpfen, einschließlich des Rechts auf Rückkehr.




Israel: Rechte Regierung, Unterdrückung und Widerstand

Alex Rutherford und Marcel Rajecky, Infomail 1212, 6. Februar 2023

Am 30. Dezember wählte das israelische Parlament eine Regierung unter dem Vorsitz des Führers des Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, ins Amt. Diesmal hatte Netanjahu Vertreter:innen mehrerer extrem religiöser und rechtsextremer Parteien in seine Koalition aufgenommen, die den Block „Religiöser Zionismus“ (RZ) bilden.

Programm der Regierung

Eine Erklärung Netanjahus zu den wichtigsten politischen Maßnahmen der Regierung begann mit den Worten: „Das jüdische Volk hat ein ausschließliches und unveräußerliches Recht auf alle Teile des Landes Israel. Die Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen des Landes Israel vorantreiben und ausbauen – in Galiläa, im Negev, auf den Golanhöhen und in Judäa und Samaria.“

Letzteres bezieht sich auf das besetzte Westjordanland, die zerfaserten Überreste Palästinas, die den 2,5 Millionen ursprünglichen Bewohner:innen, aber nun auch 500.000 zionistischen Siedler:innen gehören.

Der neue Finanzminister Bezalel Smotrich, Mitglied des RZ-Blocks und selbst ein illegaler Siedler, sagte in einem Artikel im Wall Street Journal, dass es niemals eine „Änderung des politischen oder rechtlichen Status“ des Westjordanlandes geben werde. Das bedeutet, dass die „Zweistaatenlösung“, die offiziell von den USA und der so genannten internationalen Gemeinschaft seit den 30 Jahre alten Osloer Abkommen unterstützt wird, nicht einfach nur tot ist, sondern durch Beschlagnahme des Landes, den Abriss palästinensischer Häuser und ständige Razzien in den über 50 Jahre alten Flüchtlings-Lagern ersetzt wurde.

Ein weiterer wichtiger rechtsextremer Minister in der neuen Regierung ist Itamar Ben-Gvir, ein Siedler aus dem besetzten Westjordanland. Im Alter von 16 Jahren schloss er sich der Kach an, der berüchtigten rassistischen und extrem „religiös-zionistischen“ Organisation von Meir Kahane. Im vergangenen Jahr war er aktiv an den Auseinandersetzungen im besetzten Ostjerusalem beteiligt, im Viertel Scheich Dscharrah, wo die israelischen Behörden versuchen, palästinensische Familien zu vertreiben. Dort fuchtelte er mit einer Waffe herum und forderte die Polizei auf, das Feuer auf palästinensische Demonstrant:innen zu eröffnen. Dieser Mann ist jetzt Minister für Nationale Sicherheit, zuständig für die Polizei, die Gefängnisse und den Grenzschutz. Er befürwortet die Einführung der Todesstrafe für „Terrorist:innen“ und noch härtere Bedingungen für die 4.450 palästinensischen Gefangenen (darunter 150 Kinder) in israelischen Gefängnissen.  Außerdem unterstützt er die Ausweisung aller palästinensischen Bürger:innen Israels, die sich weigern, dem jüdischen Staat die Treue zu schwören.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den Wochen seit dem Amtsantritt der Regierung Netanjahu die Angriffe des israelischen Staates auf das Westjordanland und ebenso der Widerstand der verschiedenen palästinensischen islamistischen Guerillaorganisationen stark zugenommen haben.

Erneut Dschenin

Am 26. Januar massakrierten die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) neun Palästinenser:innen im Flüchtlingslager Dschenin im besetzten Westjordanland. Ein zehnter Palästinenser wurde später von israelischen Truppen bei einem Protest gegen die Gräueltat getötet. Dschenin ist seit langem Schauplatz zahlloser brutaler Überfälle der so genannten Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Am 11. Mai letzten Jahres geriet die berühmte palästinensisch-amerikanische Journalistin Shireen Abu Akleh in die Schlagzeilen, als sie von einem IDF-Scharfschützen getötet wurde.

Das palästinensische Gesundheitsministeriums identifizierte drei der bei dem Anschlag am 26. Januar getöteten Menschen: Magda Obaid (61), Saeb Izreiqi (24) und Izzidin Salahat (26). Außerdem wurden 20 Menschen verwundet. Berichten zufolge wurden Krankenwagen zunächst von israelischen Truppen daran gehindert, die Verwundeten zu erreichen, und auch die Kinderstation eines örtlichen Krankenhauses wurde von israelischen Einheiten mit Tränengas beschossen.

Als Reaktion darauf brach die Palästinensische Autonomiebehörde (Israels gewöhnlich zuverlässige Kollaborateurin bei der Unterdrückung der im Westjordanland lebenden Palästinenser:innen) vorübergehend die Sicherheitsbeziehungen zu den Besatzungstruppen ab. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, rief drei Trauertage und einen Generalstreik im gesamten besetzten Westjordanland und in Jerusalem aus.

Die Ermordung von sieben Gläubigen vor einer Moschee am Rande der Jerusalemer Altstadt durch Khairi Alqam, einen 21-jährigen Palästinenser, hat bei den führenden Politiker:innen der Welt natürlich weitaus mehr Empörung ausgelöst als das Massaker von Dschenin am Vortag, das offensichtlich den Anstoß zu dem Anschlag gab, sowie die Tatsache, dass zwei Tage zuvor ein Verwandter von ihm von der israelischen Polizei getötet wurde. Einige palästinensische Organisationen lobten den Anschlag, und natürlich wird die weitaus höhere Zahl der Todesopfer auf ihrer Seite des Konflikts von vielen als ausreichende Rechtfertigung angesehen. Tatsächlich aber führen solche Taten zu weitaus größeren Repressionen, zur Zerstörung des Hauses der Familie des Schützen, zu Massenverhaftungen und zur Androhung noch härterer Vergeltungsmaßnahmen. Angriffe auf willkürliche Gruppen von Zivilist:innen sind ein Produkt der Verzweiflung und kein wirksames Mittel des Kampfes. Nur Massenaktionen wie die beiden Intifadas haben die Aufmerksamkeit der Welt auf die Brutalität der israelischen Unterdrückung gelenkt.

Die Gewalt ist nicht neu: Mindestens 30 Palästinenser:innen wurden in diesem Jahr bereits von israelischen Truppen im Westjordanland getötet, und im vergangenen Jahr waren es mehr als 150. Netanjahus neue Regierung signalisiert natürlich keinen Kurswechsel dieser gewaltsamen Unterdrückung. Trotz kleiner Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen zionistischen Parteien sind die Hauptpfeiler des Siedlungskolonialprojekts – Beschlagnahme von Land für den Bau illegaler Siedlungen, wiederholte Bombenangriffe auf Gaza, Lobbyarbeit gegen die Anerkennung Palästinas – Konsens in der israelischen politischen Klasse und bis zu einem gewissen Grad auch in der israelischen Zivilgesellschaft insgesamt.

Globaler Kontext

Die anhaltende Gewalt gegen die Palästinenser:innen wird mit stiller Billigung von Israels Hauptsponsorin, den Vereinigten Staaten, ausgeübt. Als regionaler Gendarm der USA haben Washington und Tel Aviv ein vereinbartes Programm: mehr Landkonfiszierung und Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten.

Während Trumps Präsidentschaft kam dieser Plan am deutlichsten im sogenannten „Deal des Jahrhunderts“ zum Ausdruck, der im Januar 2020 öffentlich wurde. Darin signalisierten die USA, dass sie umfangreiche Annexionen palästinensischen Landes und die „Judaisierung“ Ostjerusalems unterstützen würden, und schlossen die Möglichkeit eines palästinensischen Staates im eigentlichen Sinne aus. Außerdem versprachen sie ihren regionalen „Partner:innen“ Milliarden für Investitionen in Palästina und den Ausbau ihrer Beziehungen zu dem einst feindlichen zionistischen Staat.

Die USA sind derzeit stark in Konflikte mit Russland in der Ukraine und China in Ostasien verwickelt und können eine größere Explosion im Nahen Osten nicht oder nur schwer vermeiden. Das war auch der Hintergrund des Besuchs von US-Außenminister Antony Blinken in Israel. Deshalb versuchen sie, ihre wichtigsten arabischen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar mit Israel zu verbinden. Dies soll weiter wirtschaftlich und strategisch forciert werden. Zugleich stärken sei diese Staaten gegen interne Bedrohungen, sei es die politische oder religiöse Opposition oder im Falle Israels die palästinensische nationale Befreiungsbewegung. Die aktuelle Verschärfung der zwischenimperialistischen Rivalität macht diese Ziele und den Unterordnung ihrer regionalen „Partner:innen“ für die USA immer dringlicher (zugleich aber auch immer schwieriger).

Netanjahus Block hat jedoch seine eigenen Probleme in der israelischen Gesellschaft. Seit Wochen finden Demonstrationen gegen die Pläne der neuen Regierung statt, den Obersten Gerichtshof Israels zu schwächen, damit eine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, seine Entscheidungen außer Kraft setzen kann. Ein Grund dafür ist, die Verurteilung Netanjahus wegen Korruptionsvorwürfen verhindern zu können. Zudem würde dies der Regierung mehr Spielraum für den Bau neuer Siedlungen und die Verfolgung der theokratischen Sozialagenda der religiösen Rechtsextremen gegenüber LGBTIAQ-Rechten geben.

Diese Vorschläge haben in der israelischen Gesellschaft großen Widerstand mit wochenlangen Protesten hervorgerufen, die am 21. Januar in einer Demonstration von 100.000 Menschen in Tel Aviv(-Jaffa) gipfelten, an deren Spitze verschiedene zionistische Parteien, ehemalige Premierminister sowie Menschenrechtsgruppen und die LGBTIAQ-Community standen, denen die religiösen Fanatiker:innen mit neuen repressiven Gesetzen gedroht haben. Die Frage der Rechte der Palästinenser:innen wurde jedoch ausgeklammert, und palästinensische Flaggen waren nicht erlaubt, obwohl sie das erste Ziel einer Regierung wären, die sich völlig von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit hat.

Solidarität mit Palästina!

Das politische System Israels ist ein Siedler:innenkolonialismus, der zu Recht mit dem rassistischen Apartheidsystem verglichen wird. Das bedeutet, dass trotz des Ausbruchs moralischer Panik in der israelischen liberalen bürgerlichen Presse in Bezug auf die neue Regierung Israels anhaltende Politik der Unterdrückung der Palästinenser:innen von der gesamten politischen Klasse gebilligt und durch keine israelische Wahl grundlegend geändert wird.

Heute ist zwar noch immer ein bedeutender Teil der israelischen Arbeiter:innenklasse in der 800.000 Mitglieder zählende Histadrut organisiert, der Organisationsgrad liegt aber bei rund 20 %. Seit ihrer Gründung im Jahr 1920 war sie nie eine echte Gewerkschaft, sondern ein wesentlicher Bestandteil des zionistischen Kolonisierungsprojekts, vollständig in das Siedlungskolonialprojekt integriert. Die offiziellen Arbeiter:innenorganisationen vertreten nicht einfach die israelischen Lohnabhängigen und ihre Interessen als Arbeiter:innen, sondern sondern faktisch auch als Besatzer:innen und die einer privilegierten Arbeiter:innenschicht gegenüber den Palästinenser:innen (auch wenn sich die Histadrut formal palästinensischen Arbeiter:innen geöffnet hat).

Natürlich müssen sich Sozialist:innen in Israel und in der ganzen Welt dieser jüngsten Manifestation israelischer Gewalt gegen die Palästinenser:innen widersetzen. Aber genauso wichtig ist es, dass wir uns entschieden gegen den Zionismus in all seinen Formen stellen. Es handelt sich um eine rassistische Ideologie, die tagtäglich zur Rechtfertigung der Unterdrückung des palästinensischen Volkes benutzt wird. Unser Ziel muss daher die Zerstörung des rassistischen zionistischen Siedler:innenstaates und seine Ersetzung durch einen einzigen säkularen Staat für alle Menschen in Palästina sein: Araber:innen und Israelis, Muslim:innen, Juden/Jüdinnen, Christ:innen und Atheist:innen.

Dieses Ziel kann nur durch eine sozialistische Revolution erreicht werden, die die gesamte palästinensische Arbeiter:innenklasse mit fortgeschrittenen Teilen der israelischen Klassenbrüder und -schwestern einbezieht. Aber sie muss auch Teil einer solchen Revolution im gesamten Nahen Osten sein, die die autokratischen Reiche stürzt, seien es militärisch-säkulare wie Ägypten oder „islamische“ wie Saudi-Arabien oder die Golfstaaten. Die internationale Solidarität mit allen fortschrittlichen Kämpfen in der Region ist entscheidend.

Wir weisen das Argument, die Unterstützung Palästinas sei antisemitisch, mit Verachtung zurück und wenden uns gegen jedes Wiederauftauchen antijüdischer Hetze. Wir loben den Mut vieler jüdischer Menschen sowohl in Israel als auch in der ganzen Welt, die die Rechte der Palästinenser:innen unterstützen und die zionistische Unterdrückung anprangern. Wir müssen alle zusammenstehen im Kampf für den Sturz des zionistischen Apartheidstaates und seine Ersetzung durch einen binationalen säkularen sozialistischen Staat, in dem alle Einwohner:innen über gleiche politische und wirtschaftliche Rechte verfügen.




Südafrika: Nachruf auf Desmond Tutu (1931 – 2021)

Jeremy Dewar, Infomail 1174, 30. Dezember 2021

Der Antiapartheidaktivist und Befreiungstheologe Desmond Tutu ist am zweiten Weihnachtsfeiertag im Alter von 90 Jahren nach einem langen Kampf gegen den Krebs gestorben.

Tutu ist vor allem für sein aktives Engagement im Kampf gegen die südafrikanische Apartheid bekannt, deren Sturz eine der großen historischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts darstellte. Er nutzte seine Ämter zunächst als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates und später als erster schwarzer anglikanischer Erzbischof von Kapstadt (daher sein Spitzname „The Arch“), um den gewaltfreien Widerstand gegen die Apartheid zu fördern.

Liberale Antiapartheidbewegung

In der Praxis bedeutete dies, dass Tutu zwar Miet- und Schulstreiks in den Townships unterstützte und sogar zu einem Generalstreik aufrief, sich aber auch gegen Umkhonto we Sizwe (Xhosa: Der Speer der Nation), den militärischen Flügel der Afrikanischen Nationalkongress-Partei ANC, und gegen Repressalien seitens der Bewegung gegen KollaborateurInnen („necklacing“) wandte. Dies machte ihn zu einer idealen Symbolfigur für die liberale Antiapartheidbewegung, die von seinem Freund und frühen Mentor Trevor Huddleston initiiert wurde. Er war jedoch ein mutiger und freimütiger Verfechter des Kampfes gegen den Staat der abstoßenden, weißen Vorherrschaft und brandmarkte auch dessen politisch-ideologischen Zwilling – den zionistischen Siedlerstaat Israel. Während seine eigene Kirche und die meisten Labour-, sozialdemokratischen und liberalen PolitikerInnen wie Feiglinge davor zurückschreckten, ihn zu verurteilen, tat Tutu das nicht.

Seine Unterstützung der Kampagne für Boykott, Vielfalt und Sanktionen (BDS) war wahrscheinlich sein größter Beitrag zum Sturz der Apartheid. Sie trug dazu bei, moralische Sympathie in aktive Unterstützung umzuwandeln und das zunehmend isolierte Regime dort zu treffen, wo es weh tut – in den Taschen.

Tutu nutzte sein Privileg als Erzbischof in vollem Umfang, um die Welt zu bereisen und für BDS zu werben, 1984 den Friedensnobelpreis zu erhalten und ein Jahr später vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Noch wichtiger als dies war Tutus Fähigkeit, der Macht die Wahrheit zu sagen und damit die jungen Reihen der Antiapartheidallianz zu ermutigen und zu erweitern, etwa als er Präsident Reagan sagte: „Amerika kann zur Hölle fahren!“ Und das von einem Mann der Geistlichkeit.

Die Grenzen seiner widersprüchlichen Position – für die Befreiung, aber gegen die Mittel zu ihrer Verwirklichung – wurden deutlich, als er Senator Ted Kennedy auf eine Tour durch die Townships mitnahm und das Treffen von AktivistInnen gestört wurde, die sich über die Unterstützung eines US-imperialistischen Politikers empörten.

Seine Achillesferse war sein kleinbürgerlicher Pazifismus, denn er schloss den totalen Sieg der einen oder anderen Seite aus. Als die revolutionären Kräfte 1984 – 86 ihre Offensive gegen das System starteten, war es Tutu, der sich als erster als Vermittler anbot. Obwohl er zunächst von Präsident Pieter Willem (PW) Botha abgewiesen wurde, fand Tutus Kampagne für Versöhnung, d. h. christliche Vergebung, 10 Jahre später bei Südafrikas erstem schwarzen Präsidenten Nelson Mandela Anklang.

Wahrheits- und Versöhnungskommission

Tutu führte von 1996 bis 1998 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC). Die TRC, die vom regierenden ANC handverlesen wurde, obwohl ihr auch einige AnhängerInnen der Apartheid angehörten, erhielt die Befugnis, Zeugenaussagen von Opfern (beider Seiten!) anzuhören, Wiedergutmachung zu leisten und entweder Rehabilitierung oder Amnestie (für diejenigen, die „Reue“ zeigten) zu gewähren. Die Betonung auf Vergebung und nicht auf Gerechtigkeit wurde dadurch unterstrichen, dass Tutu vor jeder Sitzung ein Gebet verlas.

Obwohl 22.000 Opfer der Apartheid identifiziert und angehört wurden, stieß die Weigerung, zwischen der Gewalt des/r UnterdrückerIn und der der Unterdrückten, die das Recht hatten, sich dagegen in Stellung zu bringen, zu unterscheiden, vielen sauer auf – ebenso wie die „Vergebung“ von 849 TäterInnen, die über die Köpfe der Unterdrückten hinweg amnestiert wurden.

Am schlimmsten war, dass die TRC es versäumte, kollektive Forderungen gegen das Apartheidsystem als Ganzes anzusprechen, indem sie sich mit denjenigen befasste, die ganz oben in der Pyramide standen.

Der ehemalige Präsident Frederik Willem (FW) de Klerk, dem es nicht gelungen war, die Kommission von vornherein zum Scheitern zu bringen, weigerte sich rundheraus, die Verantwortung seiner Regierung für die von seinen Sicherheitskräften begangenen Verbrechen anzuerkennen. De Klerks Vorgänger PW Botha weigerte sich sogar, vor der Sitzung Kommission zu erscheinen, und bezeichnete sie als „Zirkus“. Tutu konnte nichts tun, um die beiden zu weiteren Schritten zu zwingen oder sie vor Gericht zu stellen. Die Familie von Steve Biko, des 1977 ermordeten Führers der Schulstreiks von Soweto, war eine von vielen, die sich durch Tutus TRC einer wirklichen Gerechtigkeit beraubt fühlten.

Später setzte Tutu mutig Israels Behandlung der PalästinenserInnen mit der der schwarzen Bevölkerung Südafrikas gleich und unterstützte die BDS-Kampagne der PalästinenserInnen mit den Worten:

„Ich war in den besetzten palästinensischen Gebieten und habe die nach Rassen getrennten Straßen und Wohnungen gesehen, die mich so sehr an die Bedingungen erinnerten, die wir in Südafrika unter dem rassistischen System der Apartheid erlebt haben“.

Wegen solcher Äußerungen bezeichnete ein Blogger der Zeitschrift Times of Israel Tutu noch vor seiner Beerdigung als „heimtückischen Antisemiten“ und wiederholte damit die Beschimpfungen, die die ApologetInnen der Apartheid in den 1980er Jahren gegen den „Arch“ ausstießen.

Einige Linke sind versucht, Tutus Rolle in der TRC als einen Ausrutscher in seinem sonstigen  Leben für die Befreiung zu betrachten, zumal er sich später, zusätzlich zu seiner bereits erwähnten unerschütterlichen Unterstützung für die Sache der PalästinenserInnen, für LGBT-Rechte, das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch und für die gemiedenen und ausgeschlossenen AIDS-Opfer einsetzte. Er scheute sich auch nicht, die Korruption des ANC und die Nichteinhaltung von Versprechen an die schwarzen Armen und die ArbeiterInnenklasse anzuprangern. Er forderte auch, dass Tony Blair und George W. Bush als Kriegsverbrecher nach Den Haag geschickt werden sollten (Irak), und weigerte sich einmal, mit ersterem ein Podium zu teilen.

Aber die TRC war entscheidend für die demokratische Konterrevolution, die der ANC durchführte. Die Kommission lieferte den ideologischen Deckmantel für die „Versöhnung“, die die ANC-Führung unter der Leitung von Nelson Mandela dem weißen Monopolkapital anbot. Der Nationalen Partei, die jahrzehntelang über die Apartheid regiert hatte, wurden MinisterInnen in einer Koalitionsregierung und die Leitung der Zentralbank angeboten, obwohl sie bei den ersten, allumfassenden Wahlen 1994 nur 20 Prozent der Stimmen erhalten hatte, ein Drittel des vom ANC erzielten Anteils. Die Freiheitscharta und insbesondere die Paragraphen, die eine Verstaatlichung forderten, wurden zugunsten einer „Verfallsklausel“ verworfen, die die Rechte des (weißen) Privateigentums garantierte.

Tutu war nie Mitglied des ANC . Er verbot anglikanischen Geistlichen den Beitritt zu irgendeiner politischen Partei, arbeitete aber eng mit dem legalen Arm des ANC, der Vereinigten Demokratischen Front, und, als dieser frei war, mit Mandela zusammen. Trotz seiner tiefen Abneigung gegen die stalinistische SACP leitete Tutu die Beerdigung ihres Generalsekretärs Chris Hani, der 1993 von einem weißen Rassisten ermordet wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die SACP jedoch bereits an der Spitze der Bestrebungen für eine Volksfrontregierung und eine kapitalistische „Etappe“ der Revolution, d. h. eine demokratische Konterrevolution.

Viele in der Linken waren der Meinung, dass dies nur eine vorübergehende Phase sein würde, und rieten zur Unterstützung des ANC. Workers Power und die Vorgängerorganisation der Liga für die Fünfte Internationale gehörten nicht zu ihnen. Tragischerweise haben wir Recht behalten, und Millionen von schwarzen SüdafrikanerInnen, landlosen Bauern und Bäuerinnen, ArbeiterInnen und arbeitslosen Jugendlichen, müssen mit dem Erbe leben.

Tutus aufrichtige Sympathie für die Unterdrückten bedeutete jedoch, dass er auch der neuen schwarzen Elite, etwa Jacob Zuma, dem abgesetzten südafrikanischen Präsidenten, „die Wahrheit sagte“ und offen darüber sprach, wie wenig die Armen und Ausgebeuteten von den Früchten der Befreiung erhalten hatten – im krassen Gegensatz zu MillionärInnen wie dem jetzigen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Er war jedoch nicht bereit, das Recht und die Notwendigkeit der Ausgebeuteten und Unterdrückten anzuerkennen, „mit allen Mitteln“ um die Macht zu kämpfen.

Während wir also Tutus Beiträge zum Kampf und seinen Mut anerkennen, solidarisieren wir uns politisch mit denen, die heute für ein sozialistisches Südafrika kämpfen.




Elbit und israelische Kriegswirtschaft zerschlagen: Boykottiert Waffenproduktion und Transport

Interview mit Dr. Stavit Sinai, Akivistin von Palestine Action, Infomail 1150, 19. Mai 2021

Palestine Action ist ein in Großbritannien ansässiges Netzwerk für direkte Aktionen, das für die Beendigung der britischen Unterstützung der israelischen Apartheid eintritt. Es fordert eine Einstellung der Zusammenarbeit mit Israels Kriegsindustrie und -wirtschaft. Die jüngsten Aktivitäten richteten sich daher gegen Elbit Systems Ltd., ein israelisches Rüstungs- und High-Tech-Unternehmen. Angesichts der tödlichen Bombardements auf Gaza haben die AktivistInnen ihre Anstrengungen deutlich verstärkt. So markierten und besetzten sie Einrichtungen von Elbit mit dem Ziel, die Produktion zu stoppen, Bewusstsein zu schaffen und kollektive Aktionen zu initiieren, wie sie zuletzt bei den italienischen HafenarbeiterInnen in Livorno gesehen wurden. Die Liga für die Fünfte Internationale unterstützt diese Aktionen voll und ganz. Wir rufen ArbeiterInnen und linke Organisationen dazu auf, sich solchen Bemühungen anzuschließen und sie zu unterstützen. Das Interview führte Georg Ismael.

ArbeiterInnenmacht: Am 12. Mai beteiligtest du dich an der Aktion gegen Elbit in Oldham. Was hofftest du zu erreichen?

Stavit Sinai: Es gibt eine unmittelbare Dringlichkeit, die tödliche Produktion in der Ferranti-Anlage in Oldham zu stoppen. Das Leben der Menschen im Gaza-Ghetto hängt unmittelbar von der Zerstörung der Produktionskapazitäten Elbits und anderer solcher Firmen ab. Unser Hauptziel bei der Aktion war es, Elbits Fabrik des Todes zu deaktivieren. Genauso wichtig ist es jedoch, das Bewusstsein für ihre kriminellen Bestrebungen zu schärfen und die Unterstützung der britischen Regierung und der britischen Rüstungsindustrie bei diesen Verbrechen aufzuzeigen. Unser Ziel ist es, Elbit Systems Unternehmung in Großbritannien vollständig zu beenden.

ArbeiterInnenmacht: Warum hast du dich persönlich entschieden, aktiv zu werden?

Stavit Sinai: Als privilegierte Israelin konnte ich nicht einfach zusehen, wie die Bomben über Gaza abgeworfen werden. Ich könnte wegen meiner Handlungen vor Gericht gestellt werden. Aber wenn ich nicht handle, bleibt das Leben der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, der Westbank und dem Palästina von 1948 in großer Gefahr. Ich hoffe, dass sich uns mehr Menschen anschließen und ihr Schweigen brechen werden. Das gilt besonders für Israelis, deren Schweigen meiner Meinung nach eine direkte Unterstützung für Israels Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist.

ArbeiterInnenmacht: Was macht Elbit zu einem so wichtigen Ziel eurer Aktionen?

Stavit Sinai: Elbit ist Israels größter privater Waffenkonzern, der an Israels Angriffen auf die palästinensische Bevölkerung verdient. Sein größter Einzelkunde ist das israelische Verteidigungsministerium (IMOD) und als solches ist es einer der größten Waffenhersteller der Welt.

Aber darüber hinaus hat Elbit Systems eine massive internationale Reichweite. Das Unternehmen verkauft 80 % seiner Ausrüstung außerhalb Israels. Daher gefährdet es nicht nur das Leben der PalästinenserInnen, sondern bedroht die Integrität der Menschheit.

ArbeiterInnenmacht: Kannst du uns mehr über Elbits Aktivitäten in Großbritannien erzählen, z. B. Elbit „liefert“?

Stavit Sinai: Elbit hat zehn Standorte in Großbritannien, darunter 4 Waffenfabriken. Es beliefert das israelische Militär mit etwa 85 % seiner Killerdrohnen. Diese Drohnen terrorisieren die Menschen in Gaza. Die israelische Armee setzt sie zur täglichen Überwachung und für regelmäßige Angriffe ein. Elbit produziert auch Munition und Komponenten für alle israelischen Kampfflugzeuge. Auch die israelischen F-16-Kampfjets sowie die Apache- und Cobra-Angriffshubschrauber sind mit Elbit-Ausrüstung ausgestattet. Sie wurden wiederholt eingesetzt, um zivile Gebiete, Häuser und Flüchtlingslager anzugreifen, was zu Tausenden von Opfern im Libanon, im Westjordanland und im Gazastreifen führte. Viele der Häuser, die derzeit in Gaza zum Einsturz gebracht werden, wurden höchstwahrscheinlich von Elbit-Waffen getroffen.

Aber Elbit bringt nicht nur Gebäude zum Einsturz, es schafft auch Mauern. So ist Elbit einer der Hauptlieferanten des elektronischen Zaunsystems für die Apartheidmauer im Westjordanland. Kürzlich wurde der Konzern beauftragt, die neue unterirdische Mauer um den blockierten Gazastreifen zu errichten, was es noch schwieriger macht, Lebensmittel oder Zement über die Tunnelsysteme zu importieren, um die Menschen zu ernähren oder das Zerstörte wieder aufzubauen.

Im Jahr 2018 kaufte Elbit IMI Systems, den einzigen Lieferanten der IDF für kleinkalibrige Munition. Also werden nicht nur die Drohnen am Himmel von Elbit hergestellt, auch die Kugeln, die von israelischen ScharfschützInnen verschossen werden, stammen von diesem Unternehmen. IMI Systems ist bekannt dafür, Streumunition zu produzieren, und deshalb haben sich Unternehmen von Elbit getrennt.

Allerdings sind die Gewinne des Unternehmens in die Höhe geschnellt, nachdem seine Ausrüstung bei dem brutalen Angriff auf Gaza 2014 eingesetzt wurde, was dem Unternehmen half, Verträge mit Militärs auf der ganzen Welt zu schließen. Dies ist einer der Gründe, warum die Rüstungsindustrie und Regierungen in Großbritannien, Deutschland und anderswo mit Elbit zusammenarbeiten wollen. Sie wollen sich Zugriff auf die modernen Zerstörungsmitteln des 21. Jahrhunderts sichern, die durch das ständige Töten der PalästinenserInnen getestet und der Welt vorgeführt wurden. (Siehe: https://palestineaction.org/stop-elbit/)

ArbeiterInnenmacht: Ist die Resonanz, die du dir erhofft hast, eingetreten?

Stavit Sinai: Wir freuen uns über ein wachsendes Interesse und positive Reaktionen. Aber natürlich sind wir nicht zufrieden und werden es auch nicht sein, bis wir eine absolute Abschaltung von Elbit Systems und das Ende der unmenschlichen Bombardierungen von ZivilistInnen, auch in Gaza, erreicht haben. Allein in den letzten zehn Tagen starben hunderte Menschen, einschließlich Kindern und Babys. Wie kann man da zufrieden sein?

ArbeiterInnenmacht: Es sollte ein Prozess gegen Palestine Action wegen einer früheren Aktion gegen Elbit in Großbritannien stattfinden. Der Prozess ist verschoben worden. Warum ist das so?

Stavit Sinai: Ein Prozess würde eine wunderbare Gelegenheit bieten, Elbits Todesfabrik und Israels Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu entlarven, und würde einen ernsthaften Imageschaden für dieses grauenhafte Unternehmen, das Elbit Systems ist, bedeuten. Die britische Regierung weiß das. Deshalb wird der Prozess verschoben.

ArbeiterInnenmacht: Was können britische ArbeiterInnen tun, um eure Sache zu unterstützen?

Stavit Sinai: Oldham, wo wir eine Aktion durchgeführt haben, hat eine lange Geschichte politischer ArbeiterInnenkämpfe. Während der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei organisierten ArbeiterInnen in Oldham kollektiven Widerstand gegen diese. Sie weigerten sich, Baumwolle zu verarbeiten, die von afrikanischen SklavInnen geerntet wurde. Wir würden uns wünschen, dass die ArbeiterInnen sich an diese Geschichte erinnern und sie heute in Aktionen umsetzen. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen einem wirtschaftlichen Boykott Israels und dem Widerstand gegen die Apartheid in all ihren Formen.

ArbeiterInnenmacht: Wie würde das praktisch aussehen?

Stavit Sinai: Praktisch sollte das bedeuten, dass die Gewerkschaften in Großbritannien ihren Beschluss, BDS praktisch zu unterstützen, mit allem Nachdruck umsetzen. Sie sollten dem Beispiel der italienischen HafenarbeiterInnen folgen, sie sollten Streikposten vor Firmen wie Elbit organisieren, und sie sollten Proteste, ja sogar politische Streiks organisieren, um die britische Regierung zu zwingen, ihre Unterstützung für den israelischen Staat einzustellen. Es kann getan werden. Hunderttausende, die auf den Straßen Großbritanniens protestieren, zeigen, dass viele Menschen damit hinter uns stehen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Gewerkschaften auf der Grundlage ihrer früheren politischen Entscheidungen Maßnahmen ergreifen.

ArbeiterInnenmacht: Aber dazu ist oft ein gewisser Druck nötig, oder?

Stavit Sinai: Es erfordert auch ein Beispiel, dem die Menschen folgen können. Letzte Nacht besetzte Palestine Action das Elbit-Gelände in Leicester. Am Morgen wurde die Feuerwehr hinzugezogen, um die Polizei bei der Räumung des Geländes und des Daches zu unterstützen. Schließlich schritt die Feuerwehrgewerkschaft von Leicester ein und forderte die Feuerwehrleute zum Rückzug auf. Die Feuerwehrleute zogen wieder ab. Vor der Fabrik hatten sich dutzende BürgerInnen versammelt, um ihre Unterstützung zu zeigen.

ArbeiterInnenmacht: Ist so etwas auch in Deutschland möglich? Immerhin gibt es eine lange Tradition linker Aktivitäten, die Rüstungskonzerne wie Krupp oder Thyssen ins Visier nehmen.

Stavit Sinai: Unmöglich ist das nicht. Aber in Deutschland ist es schwieriger angesichts der blinden deutschen Unterstützung der israelischen Kolonisierung und Apartheid. Das muss sich also ändern. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass in Deutschland Elbit Systems in der Nähe des Bundestages angesiedelt ist. Elbit Systems arbeitet unter der Schirmherrschaft des deutschen Staates. Zum Beispiel wurden die gleichen Drohnen, die in Gaza morden, vom Deutschen Bundestag bestellt, um die Fortress Europe (Festung Europa) vor Flüchtlingen zu schützen. Es bestehen symbiotische Beziehungen zwischen Elbit Systems und den deutschen Behörden. Welch eine bittere Ironie der Geschichte, dass der rassistische israelische Staat heute Waffen an Deutschland liefert!




Südafrika: ANC bleibt an der Macht, aber unter Druck von links

Jeremy Dewar,  Neue Internationale 238, Juni 2019

Am Ende war es
ein komfortabler Wahlsieg für den ANC (Afrikanischer Nationalkongress) von
Präsident Cyril Ramaphosa und seinen Verbündeten, der Gewerkschaftsföderation
COSATU und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP). Mit 57,5 Prozent der
Stimmen bei einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 66 Prozent hielten
sie den Trend gegen sich auf unter 5 Prozent und behielten eine absolute
Mehrheit im Parlament.

Dies ist jedoch
mehr der Unterstützung zu verdanken, die der ANC erhält, weil er den
Anti-Apartheidkampf geführt hatte, als der Begeisterung für die
Regierungsgeschichte der Partei in den letzten 25 Jahren. Der ANC profitierte
auch von der Uneinigkeit sowohl in der neoliberalen Oppositionspartei, der
Demokratischen Allianz, als auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung.

Was können wir
erwarten?

Ramaphosa
startete seine Kampagne mit einer Rede in Durban, in der er die MigrantInnen
aus den Nachbarländern zum Sündenbock machte und versprach, gegen ArbeiterInnen
ohne Papiere vorzugehen. Zwei Monate später töteten RandaliererInnen drei
MigrantInnen und griffen ausländisch geführte Unternehmen in der blutigsten
Gewalt seit vier Jahren an. Bereits 2012 hetzte er gegen die streikenden
Bergleute in Marikana. Am nächsten Tag mähte die Polizei 34 unbewaffnete
Streikposten nieder.

In einem Land,
in dem die Arbeitslosigkeit bei 35 Prozent liegt, d. h. 9 Millionen von
geringen oder gar keinen staatlichen Leistungen leben müssen, entschied sich
der ANC für eine Kampagne zur Schaffung von 275.000 Arbeitsplätzen pro Jahr,
obwohl selbst diese unzureichende Maßnahme darauf abzielt, 1,2 Billionen Rand
(73 Milliarden Euro) private Investitionen anzuziehen, was angesichts der
stagnierenden südafrikanischen Wirtschaft illusorisch ist.

Südafrika ist
das ungleichste Land der Welt. 65 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der
„oberen Armutsgrenze“ von 3,33 US-Dollar pro Stunde.

Präsident
Ramaphosa, den das „Forbes“-Magazin in der Millionärsrangliste mit einem
Vermögen von 450 Millionen einschätzt, kümmert dies wenig. Der abtrünnige
Gewerkschaftsverband SAFTU startete im vergangenen Jahr einen Generalstreik
gegen den erbärmlichen Mindestlohn von 0,75-1,33 Dollar pro Stunde, den COSATU
jedoch pflichtbewusst begrüßte.

Südafrika hält
jedoch auch einen anderen, mehr Hoffnung verheißenden Rekord: Gemäß
Weltwirtschaftsforum waren seine GewerkschafterInnen die konfrontativsten in
den letzten 7 Jahren. Und sie stehen im Fadenkreuz des ANC. Weitere Angriffe
infolge der im letzten Jahr verabschiedeten Antigewerkschaftsgesetze, die
obligatorische Briefwahlen vor einem legalen Streik einführen, sind
wahrscheinlich.

Das
Landreformprogramm klingt vielversprechender. Der ANC verspricht, die
Verfassung zu ändern, damit den reichen weißen FarmerInnen Land entzogen werden
kann. Aber er droht auch damit, gegen illegale BesetzerInnen und die
Beschlagnahmungen von Eigentum durch die Landlosenbewegung vorzugehen.

Ebenso verhält
es sich mit dem Anti-Korruptionsprogramm von Ramaphosa: Die
Zondo-Untersuchungskommission zum „Raub“ am Staat durch Kumpane des
Ex-Präsidenten Jacob Zuma, die Brüder Gupta, wurde von der ANC-Regierung
ernannt. Das Vertrauen, dass sie viele vor Gericht bringen wird, ist nur
gering, da die Zuma-AnhängerInnen weiterhin stark in der Partei sind.

Opposition und
die EFF

Trotz all dieser
Misslichkeiten konnten die Demokratische Allianz (DA) und die EFF (KämpferInnen
für Ökonomische Freiheit) zwar punkten, aber den Vorsprung des ANC bei den
Umfragen nicht wettmachen.

Tatsächlich
verlor die DA fünf Sitze, nachdem ihre Kapstädter Bürgermeisterin und ihr
Stellvertreter zum ANC übergelaufen waren, und als Folge des unbeliebten
Sparprogramms, das sie in den von ihr geführten Gemeinden, viele in Koalition
mit der EFF, entfesselte.

Die EFF hingegen
erwies sich mit 1,9 Millionen Stimmen und 19 neuen Sitzen als echte
Wahlsiegerin und erhöhte ihre Gesamtzahl an Abgeordneten auf 44 (DA 84, ANC
230). Das EFF-Manifest konnte auf ihre Unterstützung für wichtige soziale
Bewegungen hinweisen einschließlich wichtiger Reformen in der Landfrage und bei
Studiengebühren, die sie dem ANC neben einer Vielzahl von kleineren
Verbesserungen abgetrotzt hat.

Das Manifest der
EFF heißt „Unser Land und unsere Arbeitsplätze JETZT!“ Sein Umfang beträgt 168
Seiten und trägt den Untertitel „Ein Volksmanifest und Aktionsplan“. Es enthält
jedoch grundlegende Fehler und stellt ein völlig reformistisches Programm dar,
das trotz der Forderungen nach einer Verstaatlichung der Nationalbank und der
Minen weder als konsequent antikapitalistisch noch antiimperialistisch
bezeichnet werden kann.

Besorgniserregend
ist, dass fast kein Bezug zu den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen in den
armen Vororten (Townships), der Landlosenbewegung oder der Solidarität mit
MigrantInnen hergestellt wird. Das Manifest appelliert an „Gaben von oben“ und
versteht sich keinesfalls als Aktionsprogramm zum Kampf.

Studentische
Reformen und die Studierendenbewegung werden zwar kontrastreich und ausführlich
erwähnt. Aber die bisherige Praxis der EFF zeigt, dass sie sich von breiteren
sozialen Bewegungen fernhält, die sie nicht kontrollieren oder zumindest
beeinflussen kann.

Methode der EFF

Die wichtige
Frage der Landumverteilung unterstreicht die autoritäre Methodik der EFF.
Obwohl das Land ohne Entschädigung verstaatlicht, kostenlos verteilt und Frauen
und Jugendlichen die Hälfte des Landes zur Verfügung gestellt werden soll,
werden die Rechte der „illegalen“ LandbesetzerInnen nicht erwähnt und die EFF
schweigt zur Frage der Landnahme, die derzeit grausam unterdrückt wird.
Tatsächlich verspricht die Partei, die mörderische Polizei massiv zu
verstärken.

Stattdessen soll
ein „Volksbodenrat“ das Land neu verteilen, und eine EFF verspricht, dass sie
an der Regierung „die Rechte der traditionellen FührerInnen bei der Zuweisung
und Umverteilung von Land nicht abschaffen wird“.

Wiederum werden
eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns und Millionen neuer Arbeitsplätze
zugesagt. Aber sie haben einen hohen Preis – für die Armen. Für die reichen
Sonderwirtschaftszonen, einschließlich aller wichtigen Townships, soll es keine
Besteuerung geben, solange sie 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Gewerkschaftsrechte werden in den Sonderwirtschaftszonen notorisch aufgegeben.

Vor allem die
BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) werden gezielt angesprochen,
sich auf Binneninvestitionen zu beschränken, während Südafrika bestrebt ist,
den afrikanischen Markt für sich zu erschließen. Der Anführer der EEF, Julius
Malema ist ein Türöffner für OligarchInnen und chinesische Mega-Konzerne.

Die EFF koppelt
dies mit dem „Schutz und der Lokalisierung von Industrien, die Grund- und
Gebrauchsgüter durch Importsubstitution herstellen“, von Löffeln und Seife über
Glühbirnen bis hin zu verarbeiteten Lebensmitteln. Dies mag einige
Arbeitsplätze auf Kosten der südafrikanischen NachbarInnen retten, aber es wird
die chinesische Stahlindustrie nicht ausbremsen.

Es sind
demokratische „Reformen“ vorgesehen, die den Staat zentralisieren sollen, indem
die Provinzregierung abgeschafft und die Kommunalverwaltungen direkt gegenüber
der Regierung verantwortlich gemacht werden. In den internationalen Beziehungen
würde die EFF Südafrika auf Russland und China ausrichten, was als Modell für
die Zukunft gilt.

Wo war die SWRP?

Die größte
Enttäuschung bei den Wahlen war das katastrophal schlechte Abschneiden der
Socialist Revolutionary Workers Party (SWPR). Trotz der Unterstützung durch die
MetallarbeiterInnengewerkschaft NUMSA erhielt sie jedoch nur 24.439 Stimmen und
dies bei einer NUMSA-Mitgliedsstärke von 339.000.

Die neue Partei
wurde erst am 4.-8. April 2019 ins Leben gerufen, obwohl sie schon 2014
angekündigt worden war. Gleichzeitig wurden NUMSA und der
COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi aus COSATU ausgeschlossen. Die militante
MetallarbeiterInnengewerkschaft forderte damals „eine Bewegung für den
Sozialismus, da die ArbeiterInnenklasse eine politische Organisation braucht,
die sich in ihrer Politik und ihren Aktionen für die Errichtung eines
sozialistischen Südafrikas einsetzt“.

Aber eine solche
Bewegung wurde nie aufgebaut. Vavi, der jetzt den neuen Gewerkschaftsbund SAFTU
leitet, zu dem NUMSA gehört, sagte am 1. Mai dem Sender SABC News, dass SAFTU
noch nicht über die neue Partei gesprochen habe und NUMSAs Unterstützung „bedeutet
nicht, dass SAFTU daher plötzlich die SRWP ohne interne Diskussion
unterstützt“.

Die CWI-Sektion
WASP (Schwesterorganisation der SAV) kritisierte auch die SRWP für ihren
Rückzug aus dem ArbeiterInnengipfel, den NUMSA selbst erst im Juli letzten Jahres
einberief, die Besetzung von Führungspositionen durch NUMSA-AnhängerInnen und
die mangelnde Transparenz darüber, woher das gesamte Geld für den Start kam.

Das Manifest der
Partei „Gleichheit, Arbeit, Land“ scheut sich nicht, revolutionär klingende
Erklärungen abzugeben. In der Präambel des Programms heißt es, dass die Partei,
„geleitet vom Marxismus-Leninismus“, darauf abzielt, die ArbeiterInnenklasse
„in ihrer historischen Mission, Imperialismus und Kapitalismus zu besiegen und
den Sozialismus in Südafrika, Afrika und auf der ganze Welt zu etablieren als
Auftakt für den Vormarsch zu einer wirklich freien und klassenlosen
Gesellschaft: zu einem kommunistischen Südafrika, Afrika und der
kommunistischen Welt“ anzuleiten.

Weiter heißt es:
„Die SRWP wird alle strategischen Industrien verstaatlichen, insbesondere die
Bergwerke, das Land und kommerzielle Farmen, die Banken, die großen Fabriken
und die Großunternehmen (…) und alle verstaatlichten Industrien in einen
demokratischen sozialistischen Produktionsplan für die menschlichen Bedürfnisse
und nicht für Profit integrieren.“

Aber die Vorlage
eines knappen und in etlichen Punkten auch verkürzten marxistischen Programms,
bevor es einen ernsthaften Versuch gab, die militanten Gewerkschaften dafür zu
gewinnen, war ein großer Fehler. Eine viel bessere Methode wäre der Kampf um
die Gewinnung der Massenorganisationen an den Arbeitsplätzen und in den
Gemeinschaften, um eine ArbeiterInnenpartei zu bilden, wie es Leo Trotzki in
seinen Schriften an seine AnhängerInnen in den USA dargelegt hat. Bei der
Gründung der SRWP gab es keine vorherige Diskussion, kein Engagement anderer
Kräfte oder von GewerkschaftsführerInnen. Dadurch sieht die Partei wie eine
Totgeburt aus.

Welche Partei?

Die
Basismitglieder von NUMSA müssen zusammen mit den TeilnehmerInnen des
ArbeiterInnengipfels und anderen radikalen Kräften der ArbeiterInnenklasse wie
der Bergleutegewerkschaft AMCU die Notwendigkeit der politischen Einheit in
einem Kampfprogramm diskutieren. Es darf kein parlamentarischer „Aktionsplan“
wie der der EFF-Führung sein, der in Koalitionsgesprächen mit dem Klassenfeind
als Verhandlungsgrundlage dienen soll. Wir brauchen keinen ANC 2.0.

Darüber hinaus
kann keine neue Partei die jungen ArbeiterInnen und StudentInnen der EFF
umgehen, die zweifellos derzeit ein wichtiger Teil der Vorhut der Klasse sind.
Wenn RevolutionärInnen Wege finden können, mit ihnen zu kämpfen, ihre
FührerInnen auf die Probe zu stellen und die Mitglieder für den revolutionären
Marxismus und das Programm der permanenten Revolution zu gewinnen, dann kann
eine neue ArbeiterInnenpartei in Südafrika entstehen.




Die Krise in Südafrika

Jeremy Dewar, Infomail 1024, 15. Oktober 2018

Bis heute inspiriert die Geschichte des Anti-Apartheidskampfes Millionen, die gegen Rassismus und für Befreiung kämpfen. Und das sollte sie auch. Aber nur die Geschichte zu erzählen, als ob der Kampf um Gleichheit mit der Auflösung des Apartheid-Systems beendet worden wäre, würde denjenigen, die es bekämpft haben, einen Bärendienst erweisen. Wir müssen uns auch mit dem Erbe dieses Kampfes und den Herausforderungen befassen, die er für eine neue Generation mit sich bringt.

Beginnen wir mit einigen unbequemen Fakten. Südafrika ist offiziell das ungleichste Land der Welt und das schon seit einigen Jahren. Bis zu 65 Prozent der SüdafrikanerInnen leben in Armut, die Lebensmittelpreise steigen. Nach Angaben der Weltbank stellt sich dies so dar:

„Die unteren 50 % der Haushalte machen nur 8 % der Einkommen, 5 % der Vermögenswerte und 4 % des Nettovermögens aus. Umgekehrt besitzen die Top-10 % der Haushalte 55 % der Haushaltseinkommen, 69 % der gesamten Haushaltvermögenswerte und 71 % des Haushaltnettovermögens“.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 %, bei Jugendlichen sogar bei 50 %. Gut bezahlte Arbeitsplätze wurden, wenn überhaupt, durch prekäre Beschäftigung ersetzt. Löhne und Wachstum stagnieren, die Kapitalflucht ist monströs.

Der Haushalt 2018 erhöhte die Mehrwertsteuer, kürzte die Sozialleistungen, verschärfte gewerkschaftsfeindliche Gesetze und lockerte die Einschränkungen von Kapitalflucht.

Dies verstärkt das Elend, zu dem die systematische Korruption, verkörpert durch den ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, die Veruntreuung von Weltbankgeldern durch ANC-BeamtInnen und GaunerInnen wie die Brüder Gupta und die Leugnung von AIDS durch den früheren Präsidenten Thabo Mbeki verschärft wurde. Allein AIDS soll schätzungsweise Hunderttausende vorzeitige Todesfälle verursacht haben.

Der diesjährige Haushalt, der erste unter Präsident Cyril Ramaphosa, führte auch Mindestlöhne von 11 bis 22 Rand ein, d. h. 0,55 bis 1,15 € pro Stunde, die Massenproteste auslösten, sogar von der stalinistischen „Kommunistischen Partei Südafrikas“ und den wichtigsten Gewerkschaften des Verbandes COSATU, die in Koalition mit dem regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) bleiben. Der neue gegründete, abtrünnige Südafrikanische Gewerkschaftsbund ging am 25. März mit einem Generalstreik einen Schritt weiter.

Schließlich gibt es noch die Landfrage, eines der brennendsten Themen während des Anti-Apartheid-Kampfes. Über hundert Jahre Ungerechtigkeit wurden seit dem Sturz der Apartheid vor 24 Jahren immer noch nicht angegangen.

Das Gesetz, der Natives Land Act, von 1913 entzog der schwarzen Bevölkerung Landbesitz und vergab 87 % des Landes an weiße BäuerInnen. Der schwarzen Mehrheit wurde nur das Restland von 13 % in den überfüllten „Eingeborenenreservaten“ überlassen.

Heute liegt der Anteil des weißen Grundbesitzes bei 72 % – trotz Landreform, d. h. Übergang in den schwarzen Grundbesitz, der das Herzstück der Freiheitscharta bildet. Nur 8 % des weißen Landes wurden seit 1994 in schwarzen Besitz überführt. In der Post-Apartheid-Verfassung steht, dass Land nicht enteignet werden kann, sondern nur auf der Grundlage übertragen, dass es „eine/n willige/n VerkäuferIn“ und „eine/n willige/n [und zahlungsfähige/n] KäuferIn“ gibt.

Kurz gesagt, 2,2 Mio. schwarze BäuerInnen sind für nur 5 % der gesamten Wirtschaftsleistung im Agrarsektor verantwortlich, während 35.000 kommerzielle LandwirtInnen die restlichen 95 % auf dem besten Land produzieren, mit den modernsten Geräten arbeiten, 800.000 LandarbeiterInnen, meist Schwarze, beschäftigen und den Markt kontrollieren. An der Spitze stehen 1.300 Unternehmen, die 50 % des Einkommens genießen und für den Weltmarkt produzieren.

Landnahmen sind weit verbreitet, gelegentlich gewalttätig und führen dazu, dass AfrikaanerInnen der extremen Rechten behaupten, es sei ein „Völkermord“. Zahlen zeigen jedoch, dass es in den Städten gefährlicher ist als in ländlichen Gebieten, und mehr Schwarze sterben an gewaltsamen Landnahmen als Weiße. Mit anderen Worten, die Besetzungen sind wirtschaftlich motiviert, rassistisch ist deren Unterdrückung. Die Vergeltung durch weiße BäuerInnen war und ist extrem. In einem finsteren Echo auf die Apartheid-Ära oder das der Jim-Crow-Gesetze in den USA hat ein weißer Farmer kürzlich einen schwarzen Jungen getötet, weil er eine Sonnenblume gestohlen hatte.

Während er den Gesetzentwurf der oppositionellen Bewegung „Economic Freedom Fighters“ (EFF, Wirtschaftliche FreiheitskämpferInnen) zur Änderung der Verfassung und zur Genehmigung von Landenteignungen und Umverteilungen unterstützt, hat der ANC Ramaphosas die Landnahmen schnell und entschieden verurteilt. Seine Unterstützung für die Reform zielt darauf ab, eine militante Bewegung von unten zu entschärfen: d. h. mit der klassischen Taktik von Zuckerbrot und Peitsche oder besser gesagt, Zuckerbrot und Waffe.

Cyril Ramaphosa

Es ist unmöglich, die heutige politische Krise zu verstehen, ohne die Anti-Apartheid-Bewegung und die Nach-Apartheid-Lösung zu analysieren. Bemerkenswert ist, dass dies mittels Blick durch die Linse von Cyril Ramaphosas eigenem persönlichen Lebenslauf erreicht werden kann.

Ramaphosa, der in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Studentenaktivist war, schloss sich der wachsenden Jugend- und StudentInnenenbewegung in den Townships an. Er schloss sich auch dem ANC an, der mit seinem 10-Punkte-Programm, der Freiheitscharta und seiner „zweigleisigen“ Strategie, das Regime und die Bosse zu Verhandlungen zu zwingen, indem er das Land unregierbar machte, im Kampf gegen die Apartheid an erster Stelle stand. Es war eine klassische Volksfrontstrategie mit viel workeristischem Beiwerk, besonders notwendig, da es keine schwarze Bourgeoisie und kaum eine Kleinbourgeoisie gab. Bei all dem hat die Südafrikanische KP sie unterstützt und begünstigt.

Ramaphosa gründete Mitte der 1980er Jahre die Bergarbeitergewerkschaft NUM, die Teil des Gewerkschaftsverbandes COSATU war, der 1984 – 1985 auf 700.000 Mitglieder stark anstieg. Im Mittelpunkt standen die 300.000 Bergleute sowie die Gewerkschaft der Metall- und verbündeten ArbeiterInnen (MAWU, später in NUMSA umbenannt).

Eine riesige Streikwelle 1985 – 1986 markierte die Explosion der ArbeiterInnenklasse auf der Bühne der bürgerlichen demokratischen Revolution. Zwei große BergarbeiterInnenstreiks – der erste, der fünfeinhalb Monate dauerte und 1986 von einem brutalen Ausnahmezustand gebrochen wurde, markierte den Höhepunkt der Bewegung –; der zweite, der dreieinhalb Wochen dauerte, war von den Nachwehen der revolutionären Bewegung gekennzeichnet. Beide wurden von Ramaphosa zur Niederlage geführt, der erste heroisch, der zweite schmählich.

Schmählich, weil es eine wachsende Streikwelle gab, zu der auch Einzelhandelsbeschäftigte und sogar Hausangestellte gehörten. Daneben führten MAWU und ihr inhaftierter Führer Moses Mayekiso eine Bewegung zur Bildung einer ArbeiterInnenpartei an – um den ANC zur Rechenschaft zu ziehen, aber vor allem, um für die sozialistischen Forderungen im Hier und Jetzt und eine ArbeiterInnenregierung zu kämpfen.

Bald nach der Niederlage der Bergleute begannen die Gespräche und Ramaphosa spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung mit ihrer berüchtigten Sonnenuntergangsklausel, die garantierte, dass sie nicht in die bürgerlichen Eigentumsrechte der weißen Bourgeoisie, die später White Monopoly Capital (weißes Monopolkapital) genannt wurde, eingriff. Die Dreierallianz und später die Dreierregierung von ANC, SACP und COSATU wurde als Mittel zur Durchführung dieser demokratischen Konterrevolution etabliert, die sich im Laufe der Zeit sicher von der (jetzt demobilisierten) Revolution selbst entfernt hat.

Nach dem Ende der Apartheid 1994 schickte der ANC Ramaphosa als „Abgesandten“ in die Geschäftswelt. Es wurde oft gesagt, dass er die Black Economic Empowerment (BEE, schwarze Wirtschaftsermächtigung)-Politik der ersten ANC-Regierung unter Nelson Mandela eher zu wörtlich und zu persönlich nahm. Er besitzt derzeit mindestens eine halbe Milliarde Dollar und war Vorstandsmitglied der Standard Bank und der Lonmin Mining Company.

Sehr viele ANC-PolitikerInnen, SACP-FührerInnen und COSATU-FunktionärInnen wurden durch ihre Worte und Taten gegen die ArbeiterInnenklasse in dieser 24-jährigen Periode verdammt, aber ein Vorfall, mehr als jeder andere, sorgte für die völlige Ernüchterung der ArbeiterInnenklasse oder zumindest ihrer Vorhut gegenüber dem ANC und der Volksfront: das Marikana-Massaker von 2012.

Marikana-Massaker

Ein Streik für höhere Löhne hatte bereits zu Scharmützeln mit der Polizei geführt, bei denen 10 Bergleute getötet wurden. Die Spannungen zwischen der NUM, der alten Gewerkschaft Ramaphosas, und der abtrünnigen Bergarbeitergewerkschaft AMCU, die mit ihrer mutigen und entschlossenen Führung mehr Bergleute für sich gewinnen konnte, nahmen zu. Dann schickte Ramaphosa, selbst Aufsichtsratsmitglied und Investor bei des Bergbauunternehmens Lonmin, im August eine E-Mail an den Polizeiminister, nannte den Streik eine „hinterhältige Straftat“ und forderte die Polizei auf, „Begleitmaßnahmen“ zu ergreifen.

Am nächsten Tag eröffnete sie das Feuer auf Streikende, die nur mit zeremoniellen Speeren bewaffnet waren, um ihnen mehr als alles andere Mut zu verleihen, und tötete 34 von ihnen. Jüngste Beweise zeigten, dass viele von ihnen praktisch beim Rückzug hingerichtet wurden oder im Versteck in den Rücken geschossen wurden. Ramaphosa hat sich „entschuldigt“ – aber erst im letztes Jahr und nur für die von ihm verwendete Sprache!

Eine weniger bekannte Tatsache, die erst vor kurzem aufflog, ist, dass Ramaphosa für den Bau von 5.500 BergarbeiterInnenwohnungen verantwortlich war und von der Weltbank 100 Millionen Dollar für das Projekt erhielt. Nur 2 Musterhäuser wurden jemals gebaut. Niemand ist sich sicher, wo das Geld geblieben ist. Ramaphosa täuschte die Bergleute auf grausamste Weise, nicht einmal, sondern mindestens zweimal.

Die nächsten vier Jahre brachten einen Aufschwung im Kampf, denn die Austeritätspolitik trug zu den Jahren der Frustration und Verarmung durch den Neoliberalismus bei. Die Armensiedlungen in den Vororten (townships) hatten ihre Kämpfe bereits seit Anfang der 2000er Jahre unter AnführerInnen wie Trevor Ngwane und Ashwin Desai wieder aufgenommen. Nun schlossen sich die Gewerkschaften, insbesondere die Bergleute, an. AMCU leitete einen fünfmonatigen Streik in den Platinminen und erzielte einen Tarifvertrag über 800 Rand Mindestlohn im Monat.

Aber der Stellenabbau ging weiter, als die Bergbau- und Stahlunternehmen auf dem internationalen Markt mehr und mehr unter Konkurrenz standen.

Der Stern von Ramaphosa erstrahlte jedoch noch heller, und im Dezember 2017 übernahm er (mit 51 % gegen 49 %) das Amt von Jacob Zuma als Vorsitzender des ANC und, wie üblich, einen Monat später als Präsident der Republik Südafrika.

Allerdings musste er viele seiner besiegten GegnerInnen in das Kabinett aufnehmen, darunter die rivalisierende Fraktion „Generation 40“, angeführt von einer von Zumas Frauen, Nkosazana Dlamini-Zuma, (NDZ). Aber er wird sich und die Partei sicherlich dahin kriegen, sich aus den Skandalen Zumas, der mit über 780 (!) Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, und der Brüder Gupta, die die „Staatsvereinnahmung“, die kollektiv als Zupta bekannt ist, erfunden und perfektioniert haben, herauszulösen.

Ramaphosa machte in seinem ersten Haushalt deutlich, dass er für das weiße Monopolkapital regieren wird.

Die Partei

Diese erneute Phase des verstärkten Kampfes hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen. Die Volksfront wurde bis an die Belastungsgrenze getestet.

Als erstes schloss der ANC seinen Jugendführer Julius Malema aus, der sich für Landnahmen und Reformen im simbabwischen Stil ausgesprochen hatte. Malema gründete aus seinen treuen AnhängerInnen in der ANC-Jugendliga die EFF.

Sie gewannen bei der letzten Wahl, 2014, 6,35 % und 25 Abgeordnete. Berühmt ist, dass die EFF auf Demos, Pressekonferenzen und im Parlament rote Drilliche im Armeestil und schwarze Barette trägt. Ihr Programm fordert eine entschädigungslose Verstaatlichung des Grund und Bodens und von 60 % der Minen sowie die Einrichtung einer staatlichen Investitionsbank: ein linksreformistisches Standardprogramm, das in pseudomarxistische Sätze gepackt ist und eindeutig von der SACP und wahrscheinlich der Kommunistischen Partei Chinas gelernt wurde.

Durch die Intervention in die weitgehend erfolgreiche StudentInnenbewegung #FeesMustFall (Fort mit den Studiengebühren) haben sie eine jugendliche Mitgliedschaft beibehalten und erneuert, die in der Lage ist, Menschenmassen von bis zu 40.000 zu ihren Kundgebungen zu ziehen.

Aber sie sind in ihren Parteistrukturen wie in ihrem Programm stalinistisch und autoritär. Darüber hinaus werden gegen Malema, bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich, auch des Skandal- und Geldwäschevorwürfe erhoben, die aus seinen Tagen im ANC nicht beantwortet wurden.

Möglicherweise noch wichtiger waren die Ereignissen in den Jahren 2013 – 2014, die zum Ausschluss der NUMSA aus COSATU führten, angeblich wegen Mitgliederabwerbung, aber in Wirklichkeit wegen der Forderung nach dem Bruch der Dreifachallianz und der Bildung einer politischen ArbeiterInnenorganisation.

Auf einer Sonderkonferenz, die fast zeitgleich mit dem COSATU-Kongress stattfand, der sie ausschloss, verabschiedete NUMSA einstimmig eine Erklärung, dass sie nach dem Vorbild der Vereinigten Demokratischen Front, dem legalen Flügel des verbotenen ANC, eine gemeinsame Kampffront der ArbeiterInnenklasse und eine Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei nach einem ArbeiterInnengipfel bilden würde.

Dann kam eine lange Zeit des Zögerns und des Versäumnisses, die Resolution zur Realität werden zu lassen, die alle Probleme der Gewerkschaftsbürokratie aufzeigte. Zwar betonen MarxistInnen die Bedeutung der Gewerkschaften bei der Gründung einer ArbeiterInnenpartei. Doch wenn es den FunktionärInnen, die den Apparat der Gewerkschaften kontrollieren, überlassen bleibt, die Partei ohne die Intervention einer revolutionären Strömung innerhalb der Mitgliedschaft zu gründen, dann drohen die Gewohnheiten der Gewerkschaftsführung wie Bürokratismus, Vorgehen gegen abweichende Meinungen, Zurückhaltung in Taten, mangelnde Flexibilität usw. die bestehenden Möglichkeiten zunichte zu machen.

Offensichtlich gab es innerhalb der EFF sowie über ihr internes System ideologische und politische Meinungsverschiedenheiten. AMCU weigerte sich, sich NUMSA bei der Bildung einer neuen Föderation anzuschließen, und zog es stattdessen vor, den Nationalen Gewerkschaftsrat (NACTU), einen Gewerkschaftsverband der Black-Consciousness-Bewegung, zu dominieren. Die Gespräche endeten mit einer Farce. Der ehemalige COSATU-Präsident Zwelinzima Vavi, der zusammen mit NUMSA ausgeschlossen wurde, forderte die Bergleute auf, AMCU zu verlassen und sich NUMSA anzuschließen.

Im vergangenen Jahr begannen sich die Dinge jedoch zu bewegen. Die Südafrikanische Gewerkschaftsföderation, SAFTU, wurde mit 700.000 Mitgliedern gegründet, darunter ein beachtlicher Anteil aus NUMSA. Im Juli 2018 fand ein ArbeiterInnengipfel mit 1.000 Delegierten aus über 450 Gemeinde-, StudentInnen- und Landlosenorganisationen sowie Gewerkschaften statt. SAFTU führte im April einen Generalstreik gegen das neue Mindestlohnniveau durch, mit rund 100.000 auf der Straße.

In seiner Maifeieransprache in diesem Jahr schlussfolgerte NUMSAs Generalsekretär Irvin Jim:

„Solange die Mehrheit der schwarzen und afrikanischen Bevölkerung noch unter der Armutsgrenze lebt, gibt es keine Freiheit. Der Klassenkampf geht weiter und deshalb bleibt der NUMSA nichts anderes übrig, als die ArbeiterInnenklasse als eine Klasse für sich selbst zu organisieren und eine revolutionäre sozialistische ArbeiterInnenpartei zu bilden, deren Mission und Aufgabe es ist, im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen. Wir müssen das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse anheben, um den Kapitalismus zu stürzen. Ein System der Gier wird durch ein sozialistisches System ersetzt, das die Menschheit voranbringt… (…)

Die Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei (SRWP) wird die Arbeit der Revolution beenden, die vom ANC und seinen BündnispartnerInnen aufgegeben wurde.“

In seiner Rede forderte Jim:

  • Streichung der neuen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze Ramaphosas, die Wahlabstimmungen vor Streiks vorschreiben etc…;
  • einen einen Mindestlohn, der dem Lebensunterhalt entspricht;
  • ein Ende der Gangmaster (Arbeitsvermittlung);
  • Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung;
  • ein Bündnis mit der Landlosenorganisation Abahlali BaseMjondolo, um Zugang zu Land, angemessene ländliche Dienstleistungen und demokratische Rechte zu fordern;
  • Bodenenteignung ohne Entschädigung und Beendigung der Schikanierung und Inhaftierung von LandbesetzerInnen;
  • Verstaatlichung der Kommandoebenen der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle;
  • Beendigung des neoliberalen GEAR-Programms (Wachstum, Beschäftigung, Umverteilung) und des NDP-Sparprogramms (Nationaler Entwicklungsplan);
  • Verstaatlichung der Reservebank (SARB).

Das sind wichtige und tragfähige Forderungen, aber selbst vollständig umgesetzt würden sie nicht bedeuten, „das Werk der Revolution abzuschließen“: Der gesamte Staatsapparat bliebe intakt und Südafrika ein kapitalistisches Land. Dennoch wird die südafrikanische herrschende Klasse angesichts eines entschlossenen Kampfes auch für dieses Programm unter Druck von Märkten, Banken und imperialistischen Institutionen geraten, die ArbeiterInnenklasse weiter anzugreifen, was den Widerstand zu noch größerer Militanz anstacheln könnte.

Fazit

Jim verspricht, dass die SWRP noch vor Ende des Jahres ins Leben gerufen wird. Gut. NUMSA- und SAFTU-Mitglieder sollten ihn beim Wort nehmen. Alle objektiven Elemente für den Erfolg einer revolutionären Massenpartei gibt es im Überfluss: militante Gewerkschaften wie AMCU, NUMSA, die Postangestellten; StudentInnen und Jugendliche, die von #FeesMustFall und der EFF mobilisiert wurden; Massenbewegungen in den Townships, unter der armen Stadtbevölkerung und den Landlosen.

In dieser Situation liegt der Schlüssel zur Fortführung des Kampfes im gemeinsamen Handeln dieser Massenorganisationen im Kampf um die gemeinsamen Forderungen wie einem Mindestlohn, Land für diejenigen, die es bebauen, und Gerechtigkeit, um das korrupte Netz aus PolitikerInnen und KapitalistInnen vor Gericht zu bringen. RevolutionärInnen werden sich für die Bildung lokaler Einheitsfrontkomitees unter Einbeziehung der verschiedenen Organisationen einsetzen, um ihre FührerInnen zu drängen, eine solche Aktionseinheit zu verkünden, oder um dafür selbst zu mobilisieren, wenn ihre derzeitigen FührerInnen versagen.

Im Laufe des Kampfes für die unmittelbaren Forderungen der ArbeiterInnen und durch die Organisationen, die sich für sie einsetzen, können südafrikanische ArbeiterInnen eine demokratische Konferenz einberufen, um eine neue ArbeiterInnenpartei zu bilden, die die Macht übernehmen und die Arbeit der Revolution wirklich „beenden“ wird.