Südafrika: Nachruf auf Desmond Tutu (1931 – 2021)

Jeremy Dewar, Infomail 1174, 30. Dezember 2021

Der Antiapartheidaktivist und Befreiungstheologe Desmond Tutu ist am zweiten Weihnachtsfeiertag im Alter von 90 Jahren nach einem langen Kampf gegen den Krebs gestorben.

Tutu ist vor allem für sein aktives Engagement im Kampf gegen die südafrikanische Apartheid bekannt, deren Sturz eine der großen historischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts darstellte. Er nutzte seine Ämter zunächst als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates und später als erster schwarzer anglikanischer Erzbischof von Kapstadt (daher sein Spitzname „The Arch“), um den gewaltfreien Widerstand gegen die Apartheid zu fördern.

Liberale Antiapartheidbewegung

In der Praxis bedeutete dies, dass Tutu zwar Miet- und Schulstreiks in den Townships unterstützte und sogar zu einem Generalstreik aufrief, sich aber auch gegen Umkhonto we Sizwe (Xhosa: Der Speer der Nation), den militärischen Flügel der Afrikanischen Nationalkongress-Partei ANC, und gegen Repressalien seitens der Bewegung gegen KollaborateurInnen („necklacing“) wandte. Dies machte ihn zu einer idealen Symbolfigur für die liberale Antiapartheidbewegung, die von seinem Freund und frühen Mentor Trevor Huddleston initiiert wurde. Er war jedoch ein mutiger und freimütiger Verfechter des Kampfes gegen den Staat der abstoßenden, weißen Vorherrschaft und brandmarkte auch dessen politisch-ideologischen Zwilling – den zionistischen Siedlerstaat Israel. Während seine eigene Kirche und die meisten Labour-, sozialdemokratischen und liberalen PolitikerInnen wie Feiglinge davor zurückschreckten, ihn zu verurteilen, tat Tutu das nicht.

Seine Unterstützung der Kampagne für Boykott, Vielfalt und Sanktionen (BDS) war wahrscheinlich sein größter Beitrag zum Sturz der Apartheid. Sie trug dazu bei, moralische Sympathie in aktive Unterstützung umzuwandeln und das zunehmend isolierte Regime dort zu treffen, wo es weh tut – in den Taschen.

Tutu nutzte sein Privileg als Erzbischof in vollem Umfang, um die Welt zu bereisen und für BDS zu werben, 1984 den Friedensnobelpreis zu erhalten und ein Jahr später vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Noch wichtiger als dies war Tutus Fähigkeit, der Macht die Wahrheit zu sagen und damit die jungen Reihen der Antiapartheidallianz zu ermutigen und zu erweitern, etwa als er Präsident Reagan sagte: „Amerika kann zur Hölle fahren!“ Und das von einem Mann der Geistlichkeit.

Die Grenzen seiner widersprüchlichen Position – für die Befreiung, aber gegen die Mittel zu ihrer Verwirklichung – wurden deutlich, als er Senator Ted Kennedy auf eine Tour durch die Townships mitnahm und das Treffen von AktivistInnen gestört wurde, die sich über die Unterstützung eines US-imperialistischen Politikers empörten.

Seine Achillesferse war sein kleinbürgerlicher Pazifismus, denn er schloss den totalen Sieg der einen oder anderen Seite aus. Als die revolutionären Kräfte 1984 – 86 ihre Offensive gegen das System starteten, war es Tutu, der sich als erster als Vermittler anbot. Obwohl er zunächst von Präsident Pieter Willem (PW) Botha abgewiesen wurde, fand Tutus Kampagne für Versöhnung, d. h. christliche Vergebung, 10 Jahre später bei Südafrikas erstem schwarzen Präsidenten Nelson Mandela Anklang.

Wahrheits- und Versöhnungskommission

Tutu führte von 1996 bis 1998 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC). Die TRC, die vom regierenden ANC handverlesen wurde, obwohl ihr auch einige AnhängerInnen der Apartheid angehörten, erhielt die Befugnis, Zeugenaussagen von Opfern (beider Seiten!) anzuhören, Wiedergutmachung zu leisten und entweder Rehabilitierung oder Amnestie (für diejenigen, die „Reue“ zeigten) zu gewähren. Die Betonung auf Vergebung und nicht auf Gerechtigkeit wurde dadurch unterstrichen, dass Tutu vor jeder Sitzung ein Gebet verlas.

Obwohl 22.000 Opfer der Apartheid identifiziert und angehört wurden, stieß die Weigerung, zwischen der Gewalt des/r UnterdrückerIn und der der Unterdrückten, die das Recht hatten, sich dagegen in Stellung zu bringen, zu unterscheiden, vielen sauer auf – ebenso wie die „Vergebung“ von 849 TäterInnen, die über die Köpfe der Unterdrückten hinweg amnestiert wurden.

Am schlimmsten war, dass die TRC es versäumte, kollektive Forderungen gegen das Apartheidsystem als Ganzes anzusprechen, indem sie sich mit denjenigen befasste, die ganz oben in der Pyramide standen.

Der ehemalige Präsident Frederik Willem (FW) de Klerk, dem es nicht gelungen war, die Kommission von vornherein zum Scheitern zu bringen, weigerte sich rundheraus, die Verantwortung seiner Regierung für die von seinen Sicherheitskräften begangenen Verbrechen anzuerkennen. De Klerks Vorgänger PW Botha weigerte sich sogar, vor der Sitzung Kommission zu erscheinen, und bezeichnete sie als „Zirkus“. Tutu konnte nichts tun, um die beiden zu weiteren Schritten zu zwingen oder sie vor Gericht zu stellen. Die Familie von Steve Biko, des 1977 ermordeten Führers der Schulstreiks von Soweto, war eine von vielen, die sich durch Tutus TRC einer wirklichen Gerechtigkeit beraubt fühlten.

Später setzte Tutu mutig Israels Behandlung der PalästinenserInnen mit der der schwarzen Bevölkerung Südafrikas gleich und unterstützte die BDS-Kampagne der PalästinenserInnen mit den Worten:

„Ich war in den besetzten palästinensischen Gebieten und habe die nach Rassen getrennten Straßen und Wohnungen gesehen, die mich so sehr an die Bedingungen erinnerten, die wir in Südafrika unter dem rassistischen System der Apartheid erlebt haben“.

Wegen solcher Äußerungen bezeichnete ein Blogger der Zeitschrift Times of Israel Tutu noch vor seiner Beerdigung als „heimtückischen Antisemiten“ und wiederholte damit die Beschimpfungen, die die ApologetInnen der Apartheid in den 1980er Jahren gegen den „Arch“ ausstießen.

Einige Linke sind versucht, Tutus Rolle in der TRC als einen Ausrutscher in seinem sonstigen  Leben für die Befreiung zu betrachten, zumal er sich später, zusätzlich zu seiner bereits erwähnten unerschütterlichen Unterstützung für die Sache der PalästinenserInnen, für LGBT-Rechte, das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch und für die gemiedenen und ausgeschlossenen AIDS-Opfer einsetzte. Er scheute sich auch nicht, die Korruption des ANC und die Nichteinhaltung von Versprechen an die schwarzen Armen und die ArbeiterInnenklasse anzuprangern. Er forderte auch, dass Tony Blair und George W. Bush als Kriegsverbrecher nach Den Haag geschickt werden sollten (Irak), und weigerte sich einmal, mit ersterem ein Podium zu teilen.

Aber die TRC war entscheidend für die demokratische Konterrevolution, die der ANC durchführte. Die Kommission lieferte den ideologischen Deckmantel für die „Versöhnung“, die die ANC-Führung unter der Leitung von Nelson Mandela dem weißen Monopolkapital anbot. Der Nationalen Partei, die jahrzehntelang über die Apartheid regiert hatte, wurden MinisterInnen in einer Koalitionsregierung und die Leitung der Zentralbank angeboten, obwohl sie bei den ersten, allumfassenden Wahlen 1994 nur 20 Prozent der Stimmen erhalten hatte, ein Drittel des vom ANC erzielten Anteils. Die Freiheitscharta und insbesondere die Paragraphen, die eine Verstaatlichung forderten, wurden zugunsten einer „Verfallsklausel“ verworfen, die die Rechte des (weißen) Privateigentums garantierte.

Tutu war nie Mitglied des ANC . Er verbot anglikanischen Geistlichen den Beitritt zu irgendeiner politischen Partei, arbeitete aber eng mit dem legalen Arm des ANC, der Vereinigten Demokratischen Front, und, als dieser frei war, mit Mandela zusammen. Trotz seiner tiefen Abneigung gegen die stalinistische SACP leitete Tutu die Beerdigung ihres Generalsekretärs Chris Hani, der 1993 von einem weißen Rassisten ermordet wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die SACP jedoch bereits an der Spitze der Bestrebungen für eine Volksfrontregierung und eine kapitalistische „Etappe“ der Revolution, d. h. eine demokratische Konterrevolution.

Viele in der Linken waren der Meinung, dass dies nur eine vorübergehende Phase sein würde, und rieten zur Unterstützung des ANC. Workers Power und die Vorgängerorganisation der Liga für die Fünfte Internationale gehörten nicht zu ihnen. Tragischerweise haben wir Recht behalten, und Millionen von schwarzen SüdafrikanerInnen, landlosen Bauern und Bäuerinnen, ArbeiterInnen und arbeitslosen Jugendlichen, müssen mit dem Erbe leben.

Tutus aufrichtige Sympathie für die Unterdrückten bedeutete jedoch, dass er auch der neuen schwarzen Elite, etwa Jacob Zuma, dem abgesetzten südafrikanischen Präsidenten, „die Wahrheit sagte“ und offen darüber sprach, wie wenig die Armen und Ausgebeuteten von den Früchten der Befreiung erhalten hatten – im krassen Gegensatz zu MillionärInnen wie dem jetzigen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Er war jedoch nicht bereit, das Recht und die Notwendigkeit der Ausgebeuteten und Unterdrückten anzuerkennen, „mit allen Mitteln“ um die Macht zu kämpfen.

Während wir also Tutus Beiträge zum Kampf und seinen Mut anerkennen, solidarisieren wir uns politisch mit denen, die heute für ein sozialistisches Südafrika kämpfen.




Südafrika: Die Armen konfrontieren den ANC mit seiner Verkommenheit

Jeremy Dewar, Infomail 1157, 26. Juli 2021

Südafrika erlebt gerade die schlimmste Gewalt im Land seit dem Fall der Apartheid vor fast drei Jahrzehnten. Fünf Tage lang plünderten und brannten verarmte ArbeiterInnen und städtische Arme Einkaufszentren, Supermärkte und lebensmittelverarbeitende Fabriken im ganzen Land nieder – unter Missachtung von Polizei und Militär. Dies war in erster Linie ein Aufstand der Armen gegen die vom African National Congress geführte Regierung (Afrikanischer Nationalkongress, ANC).

Viele KommentatorInnen, einschließlich der BBC, konzentrierten sich auf die Free-Zuma-Kampagne und ihre Basis innerhalb der ANC-Spitze, die nach der Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma durch das Verfassungsgericht zu Massenprotesten und orchestrierten Sabotageakten gegen wichtige Infrastrukturen wie Straßen und Schienen, Fabriken und medizinische Einrichtungen aufrief. Doch je weiter sich die Unruhen über Zumas Basis in der östlichen Provinz KwaZulu-Natal hinaus ausbreiteten, desto mehr nahmen sie die Form einer Volksrevolte gegen Armut an.

Spaltung des ANC – eine Hälfte bis ins Mark so verdorben wie die andere

Natürlich kam es beiden Seiten in dem anhaltenden ANC-Fraktionskampf gelegen, die Unruhen als das Überschwappen ihres politischen Kampfes um die Vorherrschaft auf die Straße darzustellen. Auf diese Weise konnten sie die Notlage der Massen ignorieren, die sich von Woche zu Woche verschlimmert, und das Augenmerk von ihrem Versagen im Umgang mit der Wirtschaft und der Pandemie, ihrer Bestechlichkeit und Korruption, ihrer mörderischen Repression ablenken.

Diesem Narrativ folgend, begannen die Ereignisse Ende Juni damit, dass das Verfassungsgericht Zuma zu 15 Monaten Haft verurteilte, weil er einer Untersuchung von Korruption auf Staatsebene während seiner Präsidentschaft zwischen 2012 und 2018 nicht nachgekommen war. In einer scheinbar taktisch geplanten Kapitulation stellte sich Zuma am 8. Juli.

Dies löste die ersten Demonstrationen aus, Angriffe auf die Polizei, die, wie die auf dem Capitol Hill beim Trump-Putsch, verdächtig untervorbereitet wirkte, und Transportblockaden, Plünderungen von Sanitätshäusern usw. Im Laufe der Woche wuchs die Zahl der Menschen auf den Straßen deutlich an. Zu diesem Zeitpunkt wurden vor allem Einkaufszentren und Lebensmittellager zu den Hauptzielen, da sich die Ausschreitungen auf Johannesburg und die Provinz Gauteng ausweiteten. Insgesamt wurden über 1.000 Supermärkte für Grundnahrungsmittel geplündert.

Dies führte dazu, dass die Free-Zuma-Kampagne in opportunistischer Weise behauptete: „Nur ein freier Präsident Zuma kann sich an unsere Nation wenden und zur Ruhe aufrufen“, um hinzuzufügen, dass die Ermittlungen zu Zumas Förderung von Waffengeschäften „sofort eingestellt werden müssen“ – als ob sich die DemonstrantInnen zu diesem Zeitpunkt auch nur ein Jota um die Gefängnisstrafe des korrupten Zuma oder die „Übernahme des Staates“ durch seine KumpanInnen scherten.

Dies benutzte Präsident und ANC-Vorsitzender Cyril Ramaphosa als Vorwand, um bis zu 25.000 SoldatInnen auf die Straße zu schicken, die „den demokratischen Staat“ verteidigen und einen Putsch verhindern sollten, indem er behauptete: „Die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes ist bedroht.“ Die wirkliche Bedrohung für Ramaphosa bestand allerdings darin, dass die Unruhen zum Auftakt eines anhaltenden Widerstands der ArbeiterInnenklasse gegen die Art und Weise werden könnten, wie er im Namen des in- und ausländischen Großkapitals regiert.

RegierungsbeamtInnen folgten dem und schürten Ängste vor einer „zweiten Phase“ des Putsches, in der das Ziel sei, das Land „unregierbar“ zu machen und Südafrika zu den ethnischen Auseinandersetzungen der letzten Tagen der Apartheid zurückzubringen, alles ohne den geringsten Beweis. Auch Zumas Lager verschärfte die Rhetorik und forderte den Sturz der Regierung. Dazu muss man wissen, dass das Verfassungsgericht am Montag, den 12. Juni, Zumas Gefängnisstrafe aufhob und damit den Weg für einen Deal ebnete, obwohl er noch nicht freigelassen worden ist.

Pandemie und Wirtschaft

Um den wahren Kern der Krise im ANC zu verstehen, muss man sich die südafrikanische Wirtschaft ansehen, die seit fast einem Jahrzehnt stagniert und im Jahr 2020 um rekordverdächtige 7 Prozent geschrumpft ist. Die Arbeitslosigkeit, die schon immer hoch war, liegt bei einem Rekordwert von 43 Prozent, bei der Jugend sogar bei astronomischen 74 Prozent; 2 Millionen Arbeitsplätze wurden während der Pandemie vernichtet.

Ende April hat die Regierung die monatlichen Zuschüsse zur sozialen Notlage (Social Relief of Distress, SRD) gestrichen, eine Leistung im Wert von nur 350 Rand (entspricht etwa 20 Euro), die Arbeitslosen zusteht. Ramaphosa behauptete, die Pandemie sei besiegt und wirtschaftliche Erholung zeichne sich ab. Das Einzige, was wuchs, waren jedoch die Kosten für Lebensmittel, die in den letzten Monaten um 7 Prozent gestiegen waren, wobei sich der Preis für Brot in der Woche vor den Unruhen verdoppelt hatte. Anfang Juli zwang eine dritte Coronawelle, die frühere sogar noch übertraf, Ramaphosa dazu, erneut harte Lockdownmaßnahmen zu verhängen und zugleich viele zu zwingen zu arbeiten, selbst wenn sie krank sind.

Obwohl die offizielle Zählung 64.000 Coronatote angibt, können wir davon ausgehen, dass es in Wirklichkeit 175.000 Tote sind (bei 60 Millionen EinwohnerInnen, also einer Bevölkerung von der Größe Großbritanniens), da der Gesundheitssektor überfordert ist. Nur 2,3 Prozent der Bevölkerung sind geimpft, obwohl der Impfstoff von Johnson & Johnson vor Ort produziert wird. Arbeiten oder hungern sind die einzigen Optionen für die ArbeiterInnen und das Schlimmste steht ihnen mit ziemlicher Sicherheit noch bevor.

Weder die Aktionen von Ramaphosa noch die aus Zumas Lager haben die Situation verbessert. Die Streichung auch nur der geringsten wirtschaftlichen Unterstützung für Arbeitslose und die Isolation, Plünderung und das Niederbrennen von medizinischen Fabriken und Einrichtungen wird die Zahl der Toten unter den Armen nur erhöhen. Kein/e ArbeiterIn sollte eine der beiden Fraktionen unterstützen, die beide eingeschworene Feindinnen unserer Klasse sind, nicht nur wegen vergangener Verbrechen, sondern wegen der gegenwärtigen Gefahr, die sie darstellen.

Der entscheidende Unterschied zwischen Ramaphosas regierender Fraktion, die von ihren GegnerInnen als „weißer Monopolkapitalismus“ bezeichnet wird, und Zuma, dem die „Übernahme des Staates“ in Absprache mit der Gupta-Familie vorgeworfen wird, besteht darin, wie sie die Wirtschaft wiederbeleben wollen. Was Korruption angeht, sind beide Männer äußerst korrupt, aber das ist nicht die eigentliche Ursache der Verarmung der Massen. Die Lösungen beider Männer sind gleichermaßen nutzlos.

In Wahrheit ist Zumas „radikale wirtschaftliche Transformation“, obwohl sie einige linke Forderungen wie Verstaatlichung der Energieversorgung und Landumverteilung enthält, ein populistischer Schwindel. Wie kommt es, dass er nach acht Jahren im Amt keine einzige seiner Hauptforderungen umgesetzt hat? Wie kommt es, dass Südafrika nach seiner Amtszeit als das ungleichste Land der Welt dasteht? Und das ist nur die Bilanz, noch bevor man sich dem Thema Korruption und „Übernahme des Staates“ zuwendet.

Ramaphosa kann Zuma in Sachen Korruption, Veruntreuung und brutalen Terrors sicher das Wasser reichen, wenn man seine Bilanz über die Jahrzehnte betrachtet wie z. B. die Anordnung zur Erschießung von 34 streikenden BergarbeiterInnen im Jahr 2012. Selbst heute mussten wichtige MinisterInnen wegen der unzulässigen Vergabe von Verträgen an Günstlinge zurücktreten, nur ein Drittel des 5-Milliarden-Rand-Ausgabenpakets hat die vorgesehenen EmpfängerInnen erreicht und seine Polizei und SoldatInnen haben in der letzten Woche bis zu 200 DemonstrantInnen und ZivilistInnen getötet. Was den persönlichen Reichtum betrifft, so übersteigt sein geschätztes Nettovermögen von 450 Millionen US-Dollar die 20 Millionen US-Dollar von Zuma bei weitem – man könnte sagen, dass er mit dieser Form des „Empowerment“ sehr gut gefahren ist.

Doch Ramaphosa folgt letztlich den Interessen einer bestimmten Klasse, vor allem von ausländischen und südafrikanischen imperialistischen InvestorInnen. Sie haben eine doppelte Forderung: die Korruption, die ihre operativen Geschäfte belastet, zu reduzieren und die ArbeiterInnenklasse und ihre Gewerkschaften zu zähmen. Die ausländischen ImperialistInnen kommen heute sowohl aus dem Osten als auch aus dem Westen. Die Aufgabe, vor der SozialistInnen in Südafrika heute stehen, ist, den Kampf für Notmaßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Gesundheit, Sozialleistungen und Lebensmitteln mit einem strategischen Kampf gegen das von Zuma und Ramaphosa verteidigte System, den Kapitalismus, zu verbinden. Die Bosse planen, von der Krise zu profitieren, und das sollten die ArbeiterInnen auch.

Die Linke

Die südafrikanische ArbeiterInnenklasse hat eine stolze Kampfbilanz vorzuweisen, und das nicht nur als historische Speerspitze der Anti-Apartheid-Kämpfe in den 1980er Jahren, die das Regime in die Knie zwangen. Im letzten Jahrzehnt hat sie regelmäßig die weltweit höchste Anzahl von Streiktagen zu verzeichnen.

In dieser Zeit begann die Avantgarde der ArbeiterInnenklasse, vor allem in den Gewerkschaften, aber auch in den Townships und unter der Jugend, mit der ANC-Volksfrontregierung zu brechen. Dies war zwar notwendig und ein Schritt in Richtung Klassenunabhängigkeit, hat aber auch weitere Spaltungen und damit Verwirrung produziert. Leider ließ sich vieles davon während des jüngsten Aufstandes beobachten.

Die Partei der Economic Freedom Fighters (KämpferInnen für wirtschaftliche Freiheit, EFF), die von der stalinistischen Kultfigur Julius Malema angeführt wird, kämpfte während der Krise um Aufmerksamkeit. Malema übte keine Kritik an Zuma, den er als glaubwürdigen politischen Akteur und potenziellen Verbündeten ansieht. Da er die Notwendigkeit zur Schärfung des Profils der EFF sah, reagierte Malema aus heiterem Himmel mit einem Tweet auf das Vorgehen der Regierung Ramaphosa: „Keine SoldatInnen auf unseren Straßen! Ansonsten schließen wir uns an. Alle KämpferInnen müssen bereit sein … sie werden uns nicht alle umbringen.“ Nicht nur, dass dies nicht zustande kam, sondern die Farce ist nun in ein Gerichtsverfahren übergegangen, wobei Malema den Führer der oppositionellen Democratic Alliance (Demokratische Allianz, DA) wegen Verleumdung verklagte, als dieser Malema wegen Anstiftung zur Gewalt anzeigte!

Notwendig war nicht ein erbitterter Kampf mit der Armee (auf den sich die EFF nicht vorbereitet hatte und den sie nie auf die Beine stellen konnte), sondern Verteidigungsposten aus der ArbeiterInnenklasse, die die Stadtteile vor der Polizei schützen, sich mit den einfachen SoldatInnen verbrüdern und kriminelle Banden aufhalten konnten, die anrückten, um die Situation auszunutzen. Es gibt einige Berichte darüber, dass dies ansatzweise stattgefunden hat, allerdings nicht unter Führung der EFF.

Dass Malema Zuma stillschweigend unterstützt, ist keine Überraschung, wenn man bedenkt, wie viele Gemeinsamkeiten sie haben. Sie kommen beide aus dem stalinistischen Lager innerhalb des ANC, beide sind in Korruptionsvorwürfe immensen Ausmaßes verwickelt und  Meister der Demagogie. Aber auch der Präsident der National Union of Metalworkers of South Africa (Nationaler Metallarbeiterinnenverband, NUMSA; größte Einzelgewerkschaft Südafrikas) und Führer der Socialist Revolutionary Workers Party (Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei, SRWP), Irvin Jim, schloss sich den beiden an und machte zu seiner Hauptbeschwerde über Ramaphosa „dessen Versäumnis, den ehemaligen Präsidenten Zuma beim Namen zu nennen“. Diese beiden falschen Führer würden lieber einen Handel mit Zuma eingehen, als einen Ausweg für die ArbeiterInnenklasse aufzuzeigen.

Wie weiter?

Unruhen, selbst wenn sie authentische Aufschreie der Armen und Verzweifelten sind, angeheizt durch die Wut gegen ihre UnterdrückerInnen, können niemals die Grundlage für einen längeren Kampf bieten. Bestenfalls können sie die Massen ermutigen und eine Minderheit politisieren, indem sie sie mit einer gewissen organisatorischen Grundausbildung ausstatten. Aber am Ende können sie genau die Gruppen von sich entfremden, die mit den Folgen leben müssen: Repression (über 2.500 Verhaftungen), Lebensmittel- und Treibstoffknappheit und weitere Entbehrungen.

Einige in der Linken, insbesondere die Workers and Socialist Party (Sozialistische und ArbeiterInnenpartei, WASP), haben diesen Punkt angesprochen und zu Recht versucht, die Aufgaben des heutigen Kampfes mit dem für den Sozialismus zu verbinden. Um dies zu konkretisieren, plädieren wir für einen vereinigten Kampf und fordern:

  • Bildung von ArbeiterInnenverteidigungseinheiten, die in jeder Ortschaft den Volksversammlungen rechenschaftspflichtig sind, repräsentativ für alle Betriebe und ArbeiterInnenviertel, um sich Polizei, Armee und kriminellen Banden zu widersetzen.
  • Bildung von Aktionsräten in jeder Stadt und jedem Bezirk, um die Krise zu diskutieren, Streiks auszurufen und durchzuführen, kostenlose Lebensmittel für die Bedürftigen zu beschaffen und zu verteilen und Massenaktionen, Demonstrationen, Mietstreiks usw. durchzuführen.
  • Aufruf an alle Gewerkschaftsverbände, insbesondere South African Federation of Trade Unions (Südafrikanischer Gewerkschaftsdachverband, SAFTU) und Congress of South African Trade Unions (Kongress Südafrikanischer Gewerkschaften, COSATU), einen Generalstreik zu starten, um KurzarbeiterInnengeld statt Stellenabbau, wirtschaftliche Unterstützung für Kranke und Arbeitslose, vollständige und schnelle Einführung des Impfstoffs und Sicherheitsmaßnahmen unter ArbeiterInnenkontrolle zu fordern.
  • Eine Basisbewegung in allen Gewerkschaften mit dem Ziel, die Bürokratie zu beseitigen, die Gewerkschaften zunächst im Kampf und dann organisatorisch zu vereinigen und sie zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei zu nutzen, die demokratisch von ihren Mitgliedern kontrolliert wird und in ihren antikapitalistischen Aktionen zentralisiert ist.

Keine der bestehenden „Parteien“ links vom ANC hat den Test der letzten Tage bestanden. Ausgehend von der aktuellen Krise kann die südafrikanische ArbeiterInnenklasse nicht nur Ramaphosa davon abhalten, sie für die vielfältigen Krisen bezahlen zu lassen, sondern auch die Basis für eine neue Partei bereiten, die den Kampf für den Sozialismus anführen kann.




ANC – Business as usual, aber frische Kräfte sammeln sich links

Jeremy Dewar, Infomail 990, 4. März 2018

Die Beschlagnahmung des Vermögens der berüchtigten, wohlhabenden und korrupten Gupta-Brüder war ein weiterer Nagel im Sarg von Präsident Jacob Zuma. Seit langem eng mit den beiden verbunden, scheint es jetzt, als würden sie alle zusammen untergehen.

Der ANC (African National Congress) hat Zuma bereits wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, aber es ist unklar, ob dies ausreicht, um sich selbst länger an der Macht zu halten.

Ein neuer ANC?

Cyril Ramaphosa ist der jüngste Veteran des afrikanischen Befreiungskampfes, der sich als selbsternannter Anti-Korruptionsreformer präsentiert und als Retter seiner umkämpften Partei und damit der Nation auftritt. Aber wie beim jüngst zum Vorsitzenden der Zanu-PF, der Schwesterpartei des ANC in Simbabwe, gewählten Emmerson Mnangagwa, dessen Nettovermögen auf mehr als 450 Millionen Dollar geschätzt wird, ist es extrem unwahrscheinlich, dass er sich effektiv gegen Korruption stellen oder die Probleme chronischer Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit auf die Tagesordnung setzen wird, also jener Probleme, die Südafrika von Beginn an heimsuchen.

Wie ein Führer der NUM (National Union of Mineworkers; deutsch: Nationale Bergarbeitergewerkschaft) unter der Apartheid und selbsternannter Sozialist zu einem Millionär wurde, mag Außenstehende überraschen. Aber wie für viele ANC-FührerInnen bedeutete „Black Economic Empowerment“ (BEE; deutsch: schwarze wirtschaftliche Ermächtigung) für ihn vor allem die eigene Bereicherung. Die Armen in den Townships und die ArbeiterInnen in den Fabriken oder auf dem Land sahen wenig „Selbstermächtigung“ oder Bereicherung.

Wie Mnangagwa nutzte Ramaphosa seine Rede vom 8. Januar, um den 106. Jahrestag des regierenden ANC zu feiern und zur Einheit der Partei aufzurufen: „Wir müssen uns von der Zersplitterung befreien. Wir wollen keinen gespaltenen Afrikanischen Nationalkongress. (…) Eines der Dinge, die Genossin Nkosazana Dlamini-Zuma gesagt hat, war: ‚Geteilt fallen wir, vereint stehen wir‘. Das hat eine große Bedeutung.“

Indem sich Ramaphosa auf seine mit 51 zu 49 Prozent knapp besiegte Gegnerin bei der Vorwahl des ANC vom 18. Dezember 2017 bezog, versuchte er, die Ängste des mächtigen gegnerischen Flügels der Partei zu besänftigen. Dieser hatte von den Hintermännergeschäften, Regierungsverträgen und illegalen finanziellen Manövern profitiert, die die Präsidentschaft Zumas geprägt hatten – und er will das natürlich weiter tun. „Ihr habt nichts von mir zu befürchten […], solange wir uns zusammenschließen müssen, um die Demokratische Allianz (die ehemalige regierende Nationalpartei) bei den Wahlen 2019 zu besiegen.“

Aber Dlamini-Zuma, auch bekannt als NDZ, wird von den meisten Gemeinde-, Gewerkschafts- und StudierendenaktivistInnen verachtet. Unterstützt von ihrem ehemaligen Ehemann, um zu sichern, dass sie als Übergangspräsidentin vor 2019 eingesetzt wird, führte NDZ eine ANC-Fraktion an, die immer noch Schlüsselpositionen innerhalb der Partei kontrolliert und die Politik der BEE sowohl wörtlich als auch persönlich nahm.

Sipho Pityana erläutert das riesige und lukrative Netz der Korruption, das als „Staatseroberung“ bekannt ist, in der Financial Times folgendermaßen:

„Das Wesentliche daran ist, dass sie das Staatsoberhaupt kompromittieren, dass sie das Staatsoberhaupt in der Tasche haben […] Sie setzen alle Strafverfolgungsbehörden außer Kraft und ermöglichen den ungehinderten Zugang zu Personen, die ihre Positionen im Amt dem Wohlwollen des Präsidenten verdanken. Sie haben uneingeschränktes Recht, sehr hochrangige Personen in der Regierung zu ernennen und zu feuern, einschließlich KabinettsministerInnen, GeheimdienstmitarbeiterInnen, MitarbeiterInnen staatlicher Unternehmen und allen wichtigen strategischen PosteninhaberInnen, von denen sie denken, dass sie ihren Weg zu den Staatskassen behindern oder verunmöglichen würden. Es ist eine zielstrebige Durchdringung staatlicher Ressourcen.“

Jacob Zuma hat in letzter Minute eine Untersuchung über die staatliche Einflussnahme eingeleitet, aber dies war nur ein zynischer Versuch, seine unvermeidliche Ablösung hinauszuzögern. Nachdem sie von Ramaphosa in ihrem Bestreben, Interimspräsidentin zu werden, brüskiert wurde, wollten NDZ und ihre Mitstreiter, die „Zuptas“, Ramaphosas Kandidatur schwächen, damit sie ihn davon abhalten können, Präsidentschaftkandidat des ANC bei den Wahlen 2019 zu werden.

Wer ist Ramaphosa?

Ramaphosa erklärte, er wolle „die Konzentration des Eigentums und die Kontrolle über die Wirtschaft reduzieren sowie den Markt für neue schwarze Unternehmen öffnen“. Trotz eines Zugeständnisses in Richtung ArbeiterInnengenossenschaften und Vertretung in Mitbestimmungsgremien stellt dies keinen wirklichen Bruch mit der BEE dar. Er will Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe schaffen, indem er auf Protektionismus, Quoten oder Steuererleichterungen hinweist, schweigt aber zu Armutslöhnen und fehlenden Gewerkschaftsrechten.

Die meiste Aufmerksamkeit hat sich jedoch auf sein Engagement konzentriert, den gesamten Grund und Boden Südafrikas „entschädigungslos“ zu verstaatlichen. Dies ist jedoch in keinster Weise ein sozialistischer Akt. Ramaphosa stellte klar, dass es als marktfreundliche Tat interpretiert wurde. Er ließ verlauten, dass die „Enteignung des Landes unter Berücksichtigung aller wichtigen Dinge wie des Wachstums unserer Wirtschaft, der landwirtschaftlichen Produktion sowie der Ernährungssicherheit, durchgeführt wird“. Dies ist ein Hinweis an die weißen Agrarunternehmen und Großba(e)uerInnen, dass das Land zu lächerlich niedrigen Preisen an sie zurückverpachtet wird, da sie diejenigen sind, die wissen, wie man kapitalistische Farmen führt.

Ramaphosa hat sich für ein „nicht-rassisches Südafrika“ ausgesprochen und wird von der sogenannten „White Monopoly Capital“-Fraktion des ANC unterstützt. Aber das ist schlussendlich, was die südafrikanische schwarze ArbeiterInnenklasse von diesem Verräter und Mordkomplizen zu erwarten hat.

Obwohl Ramaphosa 1980 die südafrikanische Bergarbeitergewerkschaft NUM gründete und viele mutige Streiks gegen die Apartheid führte, ist sein politischer Weg nach rechts gut dokumentiert und weithin bekannt. 1987 leitete er den revolutionären Bergleutestreik, der das alte Apartheidregime an den Rand des Sturzes brachte – und verkaufte ihn dann aus. Für seine Dienste wurde Ramaphosa ein paar Jahre später in die Führung des ANC eingebunden, um Verhandlungen zur Beendigung der Apartheid auf reformistische Weise zu tätigen, die die Zukunft des „White Monopoly Capital“ sicherten und zur Vereinbarung eines Übergangsregimes mit den sog. „Sunset“-Klauseln führten.

Nachdem Ramaphosa zum Chef der staatlichen Zentralbank ernannt und in den Vorstand von Lonmin, dem berüchtigten Bergbauunternehmen, berufen worden war, zog er sich aus der Politik zurück. Er verdiente Millionen und ließ die Bergleute, die er einst angeführt hatte, hinter sich.

Massaker von Marikana

Im Jahr 2012 wurden 44 streikende Bergleute, darunter viele Mitglieder der NUM, die nur mit zeremoniellen Speeren bewaffnet waren, von der Polizei erschossen. Zwei Jahre später stellte sich heraus, dass Cyril Ramaphosa eine direkte Rolle in diesem Massaker spielte. Er schickte eine E-Mail, in der er den Streik „nicht als Arbeitskonflikt, sondern als kriminelle Handlung“ bezeichnete und das Kabinett aufforderte, „den Polizeiminister Nathi Mthetwa dazu zu bewegen, in einer klaren Art und Weise zu handeln […] Lassen Sie uns einfach den Druck aufrechterhalten, um sie zu korrektem Handeln zu bringen!“

Er bezeichnete die Bergleute als „schlicht und einfach hinterhältig kriminell“, und mit „dieser Charakterisierung bedarf es eines entsprechendes Handelns“. Genau 24 Stunden später, am 16. August 2012, tat Mthetwa, was ihm gesagt wurde. Vierundvierzig Bergleute wurden im Kugelhagel erschossen. Ihr Blut klebt an Ramaphosas Händen; er hat sich nie dafür entschuldigt.

Trotz der Zusagen, die Landreform ohne Entschädigung durchzuführen – ein Versprechen, das er nie zu erfüllen gedenkt – würde Ramaphosa weiterhin über eine neoliberale Wirtschaft herrschen, die ihn so reich gemacht hat. Er muss von der ArbeiterInnenklasse bekämpft werden – sozial, wirtschaftlich und vor allem politisch.

Die Demokratische Allianz (ehemals Demokratische Partei und davor die alte regierende Nationalpartei unter der Apartheid) ist die größte Bedrohung für den ANC. Sie hat einen charismatischen, jungen schwarzen Führer, Mmusi Maimane, einen ehemaligen Bürgermeister von Kapstadt, wo die Partei am stärksten ist. Während sie sich selbst als nicht-rassische oder multirassische Partei neu erfindet, fördert sie jedoch die gleiche Politik des weißen Monopolkapitals, die seit der Apartheid der schwarzen ArbeiterInnenklasse nichts gebracht hat.

Die Post-Apartheid-Volksfrontallianz des ANC, der SACP (Kommunistische Partei Südafrikas) und des Gewerkschaftsbundes COSATU unterstützte jahrelang die neoliberale Agenda. Aber seit Marikana ist diese Unterstützung gebrochen, vielleicht sogar grundlegend. Die MetallarbeiterInnengewerkschaft NUMSA wurde aus dem ANC ausgeschlossen, weil sie ein Ende der Allianz gefordert hatte. Im April letzten Jahres hat sie die Südafrikanische Gewerkschaftsföderation (SAFTU) als revolutionäre Alternative zu COSATU ins Leben gerufen und organisiert rund 700.000 Mitglieder.

Leider ist die Einheit mit einer anderen linken Föderation, NACTU, zu der die abtrünnige Bergarbeitergewerkschaft AMCU gehört, die nach Marikana die NUM überflügelte, nicht zustande gekommen. Schlimmer noch, SAFTU-Führer Zwelinzima Vavi forderte kürzlich Bergleute dazu auf, sich der NUMSA anzuschließen, nachdem AMCU seine Forderungen nach Einheit zurückgewiesen hatte. Während es notwendig war, mit COSATU zu brechen, kann eine Fülle kleiner „Basis-„ oder gar „revolutionärer“ Gewerkschaften, wie man zum Beispiel in Italien beobachten kann, die ArbeiterInnenklasse nicht allein zu großen Siegen führen.

Die ArbeiterInnenparteien

Wie bei den Gewerkschaften, so auch bei den ArbeiterInnenparteien in Südafrika. Die SACP ist so lange in die arbeiterInnenfeindliche Klassenpolitik der ANC-Regierung verstrickt, dass sie von SozialistInnen, Gemeinde- und StudierendenaktivistInnen gehasst wird. Im Jahr 2013 gründete Julius Malema, der aus der ANC-Jugendliga ausgeschlossene Anführer der Feuerwehrleute, die Economic Freedom Fighters (EFF), die bei den Parlamentswahlen im Mai 2014 25 Abgeordnete mit 6,35 Prozent und über einer Million Stimmen gewinnen konnten.

Malema hat sich die Ikonen der US- amerikanischen Black Panthers zu eigen gemacht mit einer selbst proklamierten „marxistisch-leninistischen“ Ideologie, Baretten und sich selbst als „Chefkommandanten“ installiert. Das Manifest der EFF fordert die entschädigungslose Verstaatlichung des Landes, der Minen, der Industrie und der Banken. Die EFF sind in den Straßen und im Parlament mit ihren roten Baretten und roten T-Shirts unverwechselbar. Bis zu 40.000 nehmen an Kundgebungen der Organisation teil. Malema wird aber auch der Geldwäsche, Belästigung von JournalistInnen, Steuerhinterziehung und der Annahme von Schmiergeldern aus staatlichen Quellen der Provinz Limpopo beschuldigt. Er unterstützte den in Ungnade gefallenen, ehemaligen simbabwischen Präsidenten Mugabe.

Die National Union of Metalworkers of South Africa, NUMSA, die größte Gewerkschaft Südafrikas, hat kürzlich eine wichtige Erklärung abgegeben, in der sie einen sauberen Bruch mit dem ANC fordert. Dies ist ein langjähriges Ziel der MetallarbeiterInnengewerkschaft, die auf die Tage von Moses Mayekiso in den 1980er Jahren zurückgeht und von NUMSA-Chef Irvin Jim wiederbelebt wurde, als die Gewerkschaft 2014 aus COSATU getrieben wurde.

In der Erklärung, die Irvin Jim im Januar verkündete, heißt es:

„Wir fordern Sie auf, uns beim Aufbau einer ArbeiterInnenpartei zu helfen, die im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der Armen kämpfen wird. Ihre Vision ist der ArbeiterInnenklasse und den Armen unseres Landes untergeordnet. Der Kampf für den Sozialismus ist kein Selbstzweck, sondern ein Kampf für eine kommunistische klassenlose Gesellschaft, von der Karl Marx zu Recht sagte, dass das Prinzip gelte: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘.“

Der Aufruf brandmarkte auch Zuma und Ramaphosa gleichermaßen.

NUMSA teilt SAFTUs Ansicht, dass „Cyril Ramaphosa ein zutiefst kompromittierter kapitalistischer Milliardär ist, dessen Hände mit dem Blut der 34 Opfer von Marikana befleckt sind, die vom Staat kaltblütig erschossen wurden, um White Monopoly Capital im Allgemeinen und Lonmin im Besonderen zu schützen“. Außerdem sei es naiv zu glauben, dass die Vetternwirtschaft und Korruption, die für den ANC kennzeichnend sind, verschwinden werden. Genau dieselben Leute, die still und leise zusahen, während der Staat aktiv von verschiedenen Fraktionen des Kapitals geplündert wurde, einschließlich der Familien Gupta und Rupert, sind diejenigen, die die obersten Führungsstrukturen des ANC bilden. Dazu gehörte auch Ramaphosa selbst. Sie könnten sich nicht von den korrupten Tendenzen der Partei befreien. Darüber hinaus wurde der ANC in seiner Korruption durch die Führung der Kommunistischen Partei Südafrikas und des Gewerkschaftsbundes COSATU unterstützt, die weiterhin aktiv Mitglieder der ArbeiterInnenklasse dazu verleiten, ihre schlimmsten SchlächterInnen für ihre eigene, egoistische, enge politische Agenda zu unterstützen.

Die ursprünglichen Forderungen in der Erklärung umfassen:

  • Für einen existenzsichernden Lohn von 12.500 Rand (860 Euro) pro Monat
  • Gegen das vorgeschlagene gewerkschaftsfeindliche Gesetz und für das Streikrecht
  • Verstaatlichung der Kommandohöhen der Wirtschaft
  • ArbeiterInnenvertretung in den Vorständen staatlicher Unternehmen
  • Volle ArbeiterInnenrechte für GelegenheitsarbeiterInnen und prekär beschäftigte ArbeiterInnen, nieder mit den Bandenchefs.

Er hebt auch die freie Bildung und die Verstaatlichung und Umverteilung von Land hervor, zwei der neuesten Forderungen der Bewegung. Dies ist ein großer Fortschritt, vorausgesetzt, dass diesmal auch Taten folgen.

Der Aufruf NUMSAs zur Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei sollte mit dem Aufbau aktiver Ortsruppen in allen Townships, Städten und Dörfern, vor allem in allen Fabriken und Bergwerken verbunden werden. Dann, und nur dann, wird ein echter Bruch mit der Vormundschaft durch den ANC eintreten.

Eine dringende Aufgabe ist eine demokratische Konferenz, an der die abtrünnigen Gewerkschaften, kommunalen Organisationen, Studierendengewerkschaften und die halbrevolutionären (zentristischen) sozialistischen Gruppen und Wahlbündnisse teilnehmen: eine Konferenz, die eine echte Opposition, die stark in den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse verwurzelt ist, gegen den ANC und die DA hervorbringen könnte.

Es muss eine echte demokratische Programmdebatte stattfinden und ein politischer Bruch mit der stalinistischen Methode der Kommunistischen Partei Südafrikas vollzogen werden, insbesondere mit ihrer Volksfrontstrategie der Zusammenarbeit mit politischen Kräften der nicht arbeitenden Klasse. Stattdessen muss ihre Orientierung die Permanente Revolution sein, bei der die ArbeiterInnen den Kampf gegen die massiven Überreste weißer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vorherrschaft und des Imperialismus zur Schaffung einer ArbeiterInnenregierung führen: einen Kampf, der die gesamte kapitalistische Klasse enteignen kann, sowohl die schwarze als auch die weiße. Ein Hauptaugenmerk auf den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei werden die Wahlen 2019 richten.

Die Mobilisierungen und Auseinandersetzungen davor und danach könnten die Art kämpferischer Opposition nach Südafrika zurückbringen, die es seit den letzten Tagen der Apartheid nicht mehr gegeben hatte.