Britannien: Für Arbeiter:innenaktionen gegen den Gaza-Genozid!

Dave Stockton, Workers Power (Britannien), Infomail 1242, 17. Januar 2024

Das Jahr begann mit dem anhaltenden Martyrium der Menschen im Gaza-Gebiet. Bis zum Neujahrstag gab es über 22.000 Tote – davon 8.633 Kinder – und 57.000 Verletzte zu beklagen. Etwa 29.000 Bomben haben 300.000 von 493.000 Häusern zerstört. Die Weltgesundheitsorganisation meldete, dass nur neun von 36 Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen in Betrieb sind, und zwar alle nur teilweise und sämtlich im Süden.

Zwei Millionen der 2,3 Millionen Einwohner:innen sind in den Süden getrieben worden. Rund um Rafah sind riesige Zeltstädte entstanden, und bei strömendem Regen und knappen Wasser- und Lebensmittelvorräten könnten bald Krankheiten grassieren. Bombardierungen und Drohnenangriffe verfolgten die Menschen auf ihrer Flucht nach Chan Yunis und dann nach Rafah, die laut israelischen Flugblättern „sichere Zonen“ sein sollen. Der Gazastreifen ist auch nicht der einzige Schauplatz zionistischer Gräuel. Im besetzten Westjordanland wurden 350 Menschen getötet, und das Flüchtlingslager von Dschenin wurde aus der Luft bombardiert.

Rassismus

Israelische Regierungsminister aus den unverhohlen rassistischen „religiösen Parteien“, wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und der Finanzminister Bezalel Smotrich, haben zur „freiwilligen Migration“ nach Ägypten und in andere Nachbarländer aufgerufen. Avi Dichter, Landwirtschaftsminister des Likud, sagte: „Wir sind dabei, die Nakba des Gazastreifens auszurollen“, während der Minister für Heimaterbe, Amihai Eliyahu, im 103FM-Radio erklärte, dass Israel „Wege für die Menschen im Gazastreifen finden muss, die schmerzhafter sind als der Tod“, so wie es die USA mit Japan getan haben, um seine Moral zu brechen und „seinen nationalen Traum zu beenden“.

Das Ziel solcher Parteien, auf die Netanjahu seine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, stützt, ist eindeutig die vollständige Vertreibung der einheimischen Bevölkerung Palästinas. Israels westliche Unterstützer:innen befürworten dies aufgrund ihrer Beziehungen zu ihren Verbündeten wie Saudi Arabien, Jordanien oder den Emiraten nicht, was Israel jedoch nicht daran hindert, das Projekt voranzutreiben. Zumindest beabsichtigt es, die palästinensische Bevölkerung in immer kleinere Zonen zu drängen, die von der IDF (Israelische Armee) und den immer schwerer bewaffneten Siedler:innen im besetzten Westjordanland umgeben sind.

Natürlich verurteilen US- und EU-Politiker:innen die extremen Ansichten dieser Minister, aber sie bleiben in einer Regierung, die in der Praxis das tut, was nur sie zu sagen wagen. Unterdessen berichten mutige israelische Friedensaktivist:innen, dass jüdischen Bürger:innen die Schrecken, die sich in Gaza abspielen, nicht vor Augen geführt werden und sie glauben, dass der Tod von Zivilist:innen ein unbeabsichtigter, aber unvermeidlicher Kollateralschaden der Kampagne gegen die Hamas ist.

Die Tötung von Zivilist:innen auf breiter Front ist das bewusste Ziel der israelischen Taktik; die Auslöschung ganzer Stadtteile dient dem strategischen Ziel, „den nationalen Traum zu beenden“. Die immer strengere Belagerung des Gazastreifens, die systematische Zerstörung seiner Infrastruktur und die Lähmung seiner Wirtschaft haben den Widerstand jedoch nicht gebrochen. Im Gegenteil, sie haben die Unterstützung für die Hamas als die unnachgiebigste und zum Gegenschlag fähigste Partei verstärkt. Ihre Verankerung in der Bevölkerung wird sich als unausrottbar erweisen, wenn nicht die Menschen selbst ausgerottet werden.

Vor diesem schrecklichen Hintergrund ist die Weigerung westlicher Regierungen, zu einem Waffenstillstand aufzurufen unter dem Mantra, dass Israel das Recht hat, sich selbst zu verteidigen, eine kriminelle Absprache. Dies sollte uns nicht überraschen. Die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich haben alle völkermörderische Kriege auf ihrem Gewissen, nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart, in Afghanistan, oder im Irak.

Labour

Die Vereinigten Staaten, Schirmherr und Geldgeber Israels und all seiner Aggressionen seit den 1950er Jahren, haben alle Versuche der Mehrheit in der UN-Vollversammlung und im Sicherheitsrat, ein Ende des Tötens zu fordern, mit ihrem Veto blockiert. Großbritannien unter Rishi Sunak folgt der Linie aus Washington, ebenso wie die Labour-Partei unter Keir Starmer. Dies passt zu seinem Interview mit der Times of Israel nach seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden, in dem er betonte: „Ich unterstütze den Zionismus ohne Einschränkung.“ Darauf folgte eine Hexenjagd auf Antizionist:innen, die als Antisemit:innen verleumdet wurden, darunter viele jüdische Verteidiger:innen der palästinensischen Rechte.

Dennoch sind Starmers Ansichten nicht die der Labour-Basis oder der Parteipolitik. Die Jahreskonferenz hat wiederholt Entschließungen verabschiedet, die Israel verurteilen und Maßnahmen gegen Israels Gräueltaten unterstützen. Erst 2021 verabschiedete sie einen Antrag, in dem es hieß:

„Die Konferenz beschließt, die von der palästinensischen Zivilgesellschaft geforderten ,wirksamen Maßnahmen’, einschließlich Sanktionen, gegen die völkerrechtswidrigen Handlungen der israelischen Regierung zu unterstützen, insbesondere um sicherzustellen, dass Israel den Siedlungsbau stoppt, jegliche Annexion rückgängig macht, die Besetzung des Westjordanlands und die Blockade des Gazastreifens beendet, die Mauer abbaut und das im Völkerrecht verankerte Recht der palästinensischen Bevölkerung auf Rückkehr in ihre Heimat respektiert.“

Diese Entschließungen bleiben die offiziell beschlossene Politik der Labour Party und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften, die für sie gestimmt haben. Wie viele andere Entschließungen werden sie natürlich vom Schattenkabinett und dem Nationalen Exekutivkomitee völlig ignoriert. Und nur einige dieser Gewerkschaften wagen es noch, sie zu äußern, weil sie damit erpresst werden, dass jede Kritik an Starmer die Wahlchancen von Labour gefährdet. Nichtsdestotrotz sind eine Reihe von kommunalen Labour-Abgeordneten aus Protest zurückgetreten oder drohen damit, bei den nächsten Wahlen auf einer Plattform für Palästina gegen Labour zu kandidieren.

Aktionen

In Großbritannien und anderen Ländern gab es wöchentliche Massendemonstrationen, die einen Waffenstillstand und das Ende der Blockade forderten. In London marschierten Hunderttausende, und in den meisten britischen Großstädten fanden beträchtliche Mobilisierungen statt. Dutzende von lokalen Gaza-Solidaritätsgruppen sind entstanden und organisieren regelmäßig Kampagnen. Aktivist:innen haben auch direkte Aktionen gegen Elbit Systems, den größten israelischen Waffenhersteller, der mindestens 85 Prozent der vom israelischen Militär verwendeten Drohnen liefert, geplant.

An einer Aktion in Sandwich in Kent am 26. November nahmen Gewerkschaftsmitglieder von Unite, Unison, der National Education Union, der University and College Union, der British Medical Association und der Bakers‘ Union teil und trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Workers for a free Palestine (Arbeiter:innen für ein freies Palästina)“. Sie haben auch eine gleichnamige Gruppe  gegründet.

Solche Maßnahmen sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer landesweiten Kampagne für den Boykott aller Institutionen und Firmen, die Material liefern, das Israels Gräueltaten in Gaza unterstützt. Wir müssen diese Forderung in den Gewerkschaftsgruppen in Fabriken und Büros, an Universitäten und Schulen aufgreifen.

Wir müssen die Informationsverbote über den Gazastreifen durchbrechen, die von Verwaltungen und Bildungsbehörden verhängt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da der Gesetzesentwurf der Regierung „Economic Activity of Public Bodies (Overseas Matters) Bill“ (Gesetz zur ökonomischen Aktivität öffentlicher Körperschaften in Außenangelegenheiten), der darauf abzielt, Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen zu verbieten, demnächst im Unterhaus eingebracht werden soll. Dieser Angriff auf die Redefreiheit muss aufgedeckt, bekämpft und, falls er verabschiedet wird, abgewehrt werden.




Demonstration vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag

Fabian Johan, Den Haag, Infomail 1242, 12. Januar 2024

Die südafrikanische Regierung hat beim Internationalen Gerichtshof (IGH), dem wichtigsten internationalen Gericht der Vereinten Nationen, formell Anklage wegen Völkermordes gegen den Staat Israel erhoben. Als Folge seines brutalen Krieges gegen die Palästinenser:innen hat die südafrikanische Regierung erklärt, Israel habe die „spezifische Absicht … die Palästinenser:innen in Gaza als Teil der breiteren palästinensischen nationalen und ethnischen Gruppe zu zerstören“. (https://www.theguardian.com/world/2024/jan/09/explainer-what-is-the-icj-and-what-is-south-africas-claim-against-israel) Die Initiative Südafrikas wurde von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit unterstützt, der 75 Mitgliedsstaaten angehören. Sie wurde auch von Hunderten fortschrittlicher palästinensischer und Friedensorganisationen unterstützt.

Am 11. und 12. Januar fanden die ersten beiden Anhörungen vor dem IGH in Den Haag statt. Eine Delegation progressiver Aktivist:innen begleitete die südafrikanische Abordnung, zu der auch der ehemalige linke Labour-Vorsitzende und Antikriegsaktivist Jeremy Corbyn gehörte. Da Corbyn stets der palästinensischen Solidaritätsbewegung nahestand und im Unterhaus imperialistische Kriege anprangerte, wurde er eingeladen, der Delegation beizuwohnen. Die Organisator:innen der Delegation erklären, Corbyn habe „immer auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden, indem er eine Sache unterstützt hat, die darauf abzielt, die Rechte der Menschen zu schützen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ethnischen Zugehörigkeit“.

Obwohl es ein Werktag war, waren viele Menschen am Donnerstagmorgen gekommen, um vor dem Gericht zu protestieren. Auffallend war die hohe Beteiligung der jüdischen Gemeinde, die seit Beginn des Krieges gegen den Gazastreifen am 7. Oktober begonnen hat, in den Niederlanden antizionistische jüdische Organisationen zu gründen. Einige Mitglieder der orthodoxen jüdischen Organisation Neturei Karta (deutsch: Wächter der Stadt Jerusalem) trugen Schilder mit den Worten „Der Staat Israel repräsentiert nicht das Weltjudentum“ und „Das Judentum verurteilt den Staat Israel und seine Gräueltaten“.

Ebenfalls anwesend waren Aktivist:innen von BDS Netherlands, Samidoun, Students for Palestine und Aktivist:innen von BIJ1 (Zusammen, einer antirassistischen linken Partei in den Niederlanden). Die große Menschenmenge versammelte sich um einen großen Bildschirm, auf dem die Live-Übertragung der Anhörung durch Al Jazeera zu sehen war. Als die südafrikanische Delegation die Palästinenser:innen verteidigte und Israel des Völkermords beschuldigte, brach die Menge in tosenden Applaus aus.

Wie der Guardian berichtet, kann das Verfahren Jahre dauern, aber „eine einstweilige Verfügung könnte innerhalb von Wochen erlassen werden“.  Wenn nachgewiesen werden kann, dass einige der israelischen Handlungen unter die Völkermordkonvention fallen, kann das Gericht innerhalb weniger Wochen vorläufige Maßnahmen ergreifen. Auch wenn ein Gerichtsurteil nicht vollstreckt werden kann, kann eine Erklärung der Vereinten Nationen zum Völkermord schwerwiegende Folgen haben, die zionistischen Angriffe weiter in den Augen der Öffentlichkeit delegitimieren, den palästinensischen Widerstand und die Solidaritätsbewegung stärken. Es würde der Gewerkschaftsbewegung helfen, zu einem Arbeiter:innenboykott gegen Israel aufzurufen, und jene Kräfte stärken, die für einen Stopp der Waffenlieferungen, der politischen und wirtschaftlichen Unterstützung Israels eintreten. Es ist daher wichtig, die internationalen Bemühungen zur Aufdeckung der Verbrechen Israels zu unterstützen, da sie die Solidaritätsbewegung mit Palästina stärken und uns so einem gerechten Frieden im Nahen Osten näherbringen.




Ver.di Bundeskongress: „Sagt nein! Gewerkschafterinnen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“

Georg Ismael, Infomail 1231, 17. September 2023

Berlin. Während sich im Hotel Estrel die rund 1000 Delegierten der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zusammenfanden, brachten rund 60 Kollegen und Kolleginnen ihren Protest gegen die Politik des ausgehenden Bundesvorstandes zum Ausdruck.

Im Vorhinein hatten sie bundesweit rund 12.000 Unterschriften gesammelt. Die Kampagne lehnt die Zustimmung ver.dis zur Kriegs-, Aufrüstungs- und Sanktionspolitik der deutschen Regierung ab. Hiergegen will sie eine Opposition in ver.di zusammenzubringen. So unterstützen bereits etliche Delegierte die Resolution „Sagt Nein! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden“.

Während die Leitanträge ver.dis weitestgehend zu Fragen der Inflation schweigen, wurde Bundeskanzler Scholz gegen Mittag das Wort erteilt. Dieser hatte kürzlich mit dem „Deutschlandpakt“ massive Einschnitte bei ökologischen und sozialen Ausgaben gerechtfertigt. Unterdessen stieg der Militärhaushalt für das Jahr 2024 auf mehr als 80 Milliarden Euro.

Der ver.di Kongress wird sich voraussichtlich wenig mit dem Versagen der Gewerkschaft beschäftigen, die Inflation für die Beschäftigten in den vergangenen vier Jahren unter Bedingungen von Covid19 und Kriegssanktionen abzuwenden. Stattdessen werden mit der Einladung Scholz (SPD) und Wegeners (Berliner Bürgermeister, CDU) die bürgerlichen Regierenden hofiert, deren Politik maßgeblich für diese Krise mitverantwortlich ist.

Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine alternative klassenkämpferische Politik seitens der Basis in den Gewerkschaften und Betrieben. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) Berlin lädt für den 20. September, 18.30 zum Treffen „Zwischen TV-L und ver.di Bundeskongress“ in der ver.di-Mediengalerie, Dudenstr. 10 (Nähe U-Bahn Platz der Luftbrücke) ein.

Die Dauer-Kundgebung vor der dem Estrel dauert bis Dienstag 20 Uhr an.




IAA München: Autoindustrie umschalten

Mattis Molde, Neue Internationale 2023, September 2023

Die Internationale Automobilausstellung (IAA) ist nicht mehr das, was sie mal war. Einst war es die Präsentation der neuesten und teuersten Automobile zu Werbe und Verkaufszwecken, ein Ort, an dem Technik- und Autobegeisterte vor allem männlichen Geschlechts ihrer echten Leidenschaft kollektiv frönen konnten. Aber schon die Ausstellung 2021 verzeichnete zeitweise „leere Hallen“ und die Stimmung war „verklemmt“, wie Redakteur:innen von Auto motor und sport (Deutsche Automobilzeitschrift) in einem Interview mit dem VDA (Verband der Automobilindustrie) beklagten.

Die IAA 2023 sieht ein Riesenvolksfest in der Münchner Innenstadt vor, alle dürfen Probe fahren, Autos, E-Bikes, Scooter und sogar überwiegend „kostenfrei“. Angeblich geht es um „Mobility“ und im Werbefilmchen ist auch ganz kurz eine Straßenbahn zu sehen sowie zwei Fußgänger:innen –  auf einem Berggrat wandernd. Wie sind sie dorthin angereist? Sicher mit dem Auto, das aber unsichtbar bleibt.

Ein Filmchen so wie die übliche Autowerbung, in der es meist um viel entlegene Natur geht, gerne steil, mit Schnee oder Sand, die ein kraftvolles Fahrzeug erfordert, gerne auch Familie mit Kindern, die im SUV (Sport Utility Vehicle; Stadtgeländewagen bzw. Geländelimousine) wundervoll geschützt sind, oder –„alternativ“ – junge moderne Individuen, die ihre besondere Individualität mit einem ebenso besonderen Kleinwagen ausleben. In dieser Werbung kommen praktisch nie andere Autos vor, schon gar nicht die Realität verstopfter Innenstädte oder blockierter Autobahnen. Das einzige Auto, das vorkommt, ist das Produkt der werbenden Firma.

Beim IAA-Werbefilmchen muss man sich anstrengen, mal kurz im Hintergrund zwei Rücklichter zu entdecken – Berge und Baby sind länger zu sehen. Die Automobilbranche hat ganz offensichtlich ein Imageproblem.

Es ist nicht so, wie die Autoindustrie gerne tut, dass sie unverdientermaßen schlechtgeredet wird. Nein, sie ist schlecht: hauptverantwortlich für den Klimawandel und für eine Verkehrspolitik, die ineffizient und teuer ist und das größte Hindernis für eine Wende dieser. Ein wahrheitsgetreuer Film über diese Branche müsste Autounfälle und Abholzungen zeigen, Waldbrände und Ölpest. Sie setzt ihre Interessen mit Lobbyarbeit, Drohungen und kriminellen Methoden durch. Sie muss bekämpft werden und die IAA ist ein guter Platz, diesen Kampf zu propagieren.

Der Gegner

Der VDA richtet die IAA aus und besorgt die ganze politische Vertretung des deutschen Autokapitals mit Büros in Berlin, Brüssel und China. Er sorgt für die unglaublichen Subventionen für die Industrie in Form von Geldern für die Transformation (E-Mobilität, Biosprit …), Forschung, Abwrackprämien und E-Auto-Zuschüsse, für Autobahnbau und Aufbau von Ladestruktur und dazu die Unterstützung, die Autowerke von den Bundesländern erhalten. Hinzu kommt Subvention durch Kurzarbeit in einem Umfang, der die Erwerbslosenversicherung schon bis 2022 über 30 Milliarden Euro gekostet hat.

Der VDA sorgt für eine ökologisch unsinnige Klimapolitik der EU, die aber maßgeschneidert für große Oberklassen-Pkw  ist: Beurteilt wird der Flottenverbrauch, das heißt durchschnittliche CO2-Ausstoß aller neuverkauften Fahrzeuge eines Herstellers, berechnet aus dem Spritverbrauch entsprechend den Angaben eben dieses Herstellers. Für E-Autos gibt’s „Supercredits“, diese senken diesen völlig fiktiven Flottendurchschnitt überproportional.

Die Logik dieses Systems, das so offensichtlich die Böcke/Ziegen zu Gärtner:innen macht, bewirkt auch, dass der Kauf jedes Kleinwagens oder E-Mobils dem jeweiligen Hersteller den Verkauf weiterer fetter SUVs erlaubt und so umgekehrt der möglicherweise gute Wille der Käufer:in konterkariert wird.

Die Autoindustrie, die dicke staatliche Subventionen kassiert, zeigt keine, Scham zugleich ein massives Arbeitsplatzvernichtungsprogramm durchzuziehen. Der Personalabbau ist im vollen Gange: Von 850.000 Beschäftigten im Jahr 2019 sind es noch 760.000 im Jahr 2022. Fast 100.000 weniger. Der Geschäftsführer des VDA, Jürgen Mindel, spricht jetzt anlässlich der IAA von „über 600.000 Beschäftigten“ der Autoindustrie.

Dieser Personalabbau spielt sich vor allem in der Autozulieferindustrie ab. Kleinere Unternehmen werden verkauft oder schließen Standorte. Größere Unternehmen wie Opel, MAN, Bosch, Conti und Mahle haben Personal in Tausendergrößenordnung abgebaut und Standorte geschlossen.

Der VDA wäscht seine Hände in Unschuld. „Die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität kann mehr Arbeitsplätze kosten, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen – und dies schon, ohne die Folgen der überstürzten aktuellen Diskussion um ein neues Klimaschutzgesetz absehen zu können. Bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte betroffen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze – und dies schon auf der Basis der bisherigen Klimaschutzgesetze“, ließ er per Pressemitteilung am 5.6.21 wissen. Also: Die Klimagesetze, die gerade den CO2-Ausstoß beim Verkehr mitnichten eingedämmt haben, sind schuld daran, dass schon Hunderttausende ihre Arbeit verloren haben.

Dieser Personalabbau hat überhaupt nichts damit zu tun, dass es den großen Unternehmen der Branche schlechtginge. VW zum Beispiel hat seinen Profit von gut 7 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf über 22 Milliarden fast kontinuierlich gesteigert.

Es ist vielmehr so, dass er diese Gewinne generiert. Die Großkonzerne zwingen die Zulieferer, ihre Teileproduktion ins Ausland zu verlagern. Teile für Verbrenner werden nicht weiterentwickelt. Wenn sie auslaufen, erfolgt der Neustart in „Low Cost Countries“. Die Teile für E-Mobility werden schon lange dort gefertigt. Die Klagelieder über die „Deindustrialisierung“ Deutschlands stammen also von den Verursacher:innen derselben.

Als Internationalist:innen geht es uns nicht darum, „Arbeitsplätze in Deutschland“ zu verteidigen. Aber diese Betriebe können auch die Fahrzeuge bauen und die nötigen Technologien entwickeln, die für eine klimagerechte Mobilität nötig sind. Ihre Belegschaften können die Kraft sein, die der Klimabewegung bislang fehlt, um andere Entscheidungen durchzusetzen.

Strategie

Auf diese Kraft der ganzen Arbeiter:innenklasse müssen wir setzen. Die Rezepte der Klimabewegung waren bislang hilflos:

  • Die individuelle Kaufentscheidung beeinflusst nicht, welche Autos gebaut werden, und schon gar nicht, welche Verkehrssysteme zur Verfügung stehen. Der Bau und Betrieb von öffentlichen Alternativen muss politisch durchgesetzt werden gegen die Interessen der Autoindustrie.

  • Staatliche Richtlinien und Vorgaben bei Subventionsvergabe werden die Autokonzerne zu nichts zwingen können, sondern umgekehrt: Die stärkste Fraktion des deutschen Exportkapitals setzt in „ihrem Staat“ ihren Willen durch.

  • Straßen zu blockieren, ist mutig, aber es trifft nicht den eigentlichen Gegner. Der VDA und seine politischen Gehilfen rufen nach Polizei und Staatsanwalt. Die kommen auch und schlagen zu. Abgasbetrug aber bleibt straflos.

Das entscheidende Problem für die Verbindung von Umweltbewegung und Lohnabhängigen stellen jedoch die Führungen der Arbeiter:innenklasse, vor allem die Bürokratie und Apparate in den Gewerkschaften und Großkonzernbetriebsräten dar, die letztlich „ihre“ Autoindustrie über die Interessen der Gesellschaft stellen. Schlagwörter wie Transformation und ökologischer Umbau sind für sie Phrasen, die der Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung mehr Glanz verleihen sollen.

Es reicht daher nicht, die Lügen der Autoindustrie offenzulegen und die Schwächen der Umweltbewegung zu kritisieren. Vor allem müssen wir für einen Kurswechsel Richtung Klassenkampf in den Betrieben und Gewerkschaften und der gesamten Arbeiter:innenbewegung kämpfen.

Die Autoindustrie kann nicht ökologisch „transformiert“ werden, ohne die Macht des Kapitals anzugreifen, ja zu brechen. Andernfalls bleibt es bestenfalls bei Stückwerk. Die Enteignung der Autoindustrie – ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle – bildet daher eine Schlüsselforderung. Nur so kann ein planmäßiger Umbau im Interesse der Lohnabhängigen und ökologischer Nachhaltigkeit angegangen werden. Diese Perspektive muss sich auch die Bewegung gegen die IAA zu eigen machen.




Arbeiter:innen „RE-WOLT“ gegen Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

English translation: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/workers-re-wolt-against-wolt/

Berlin: Fünfzig Wolt-Beschäftigte und Sympathisant:innen versammelten sich am Montag, den 19. Juni 2023, auf dem Platz vor dem Zentrum Kreuzberg am U Kottbusser Tor, um gegen die Nichtzahlung von Löhnen, den Entzug der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und andere arbeitsrechtliche Bestimmungen zu protestieren. Auf ihrem Transparent stand „Wolt schuldet uns Geld und Rechte“, gefolgt von dem Logo der Protestkampagne „ReWolt“ – eine Anspielung auf den Namen des Unternehmens und das Wort „Revolte“.

Kampagne

Der Protest wurde vom Wolt Workers Collective organisiert, einem Netzwerk von Wolt-Beschäftigten in Berlin, die bereits am 13. April dieses Jahres einen Protest organisiert hatten. Der Protest am Montag war die Fortsetzung einer Reihe von Protesten, die die Arbeit„nehmer“:innen organisieren wollen, bis sie ihre Grundrechte erhalten. Die jüngste Protestbewegung in Berlin begann, als einer Flotte von 120 eingewanderten Arbeiter:innen über mehrere Monate hinweg die Bezahlung verweigert wurde, was sich auf mehrere Tausend Euro an unbezahlten Löhnen belief. Sie waren von Wolt über einen Subunternehmer angeheuert worden, der auf den Namen Ali hört und in Neukölln in der Karl-Marx-Straße ein Geschäft für Handyzubehör namens Mobile World betreibt. Bei der letzten Protestaktion fuhren die Arbeiter:innen mit dem Fahrrad vom U Karl-Marx-Straße zur Wolt-Zentrale in Friedrichshain, wo sie der Wolt-Geschäftsführung eine schriftliche Charta mit ihren Forderungen für die nicht gezahlten Löhne übergeben wollten. Mitglieder der Gruppe Arbeiterinnenmacht waren dort anwesend, und wir wurden Zeu:ginnen, wie die Geschäftsführung sich weigerte, auch nur aus ihren Büros zu kommen, um die Charta mit den Forderungen entgegenzunehmen. Als Muhammad, der Anführer des Protests, versuchte, die Charta in den Briefkasten des Unternehmens zu werfen, wurde ihm gesagt, dass Wolt keinen habe.

Was als Kampagne unbezahlter Arbeiter:innen begann, denen unter dem Vorwand der Ausrede eines Subunternehmers der Lohn verweigert wurde, hat sich nun zu einem kollektiven Kampf entwickelt, an dem auch direkt bei Wolt Angestellte beteiligt sind. Gemeinsam fordern sie die ihnen zustehenden Löhne, Sicherheit am Arbeitsplatz, eine Entschädigung, ein Ende des ausbeuterischen und illegalen Systems der Untervergabe von Aufträgen sowie bezahlten Urlaub im Krankheitsfall und andere Rechte. Um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen, organisierten sie am Montag eine Protestveranstaltung, bei der eine Reihe von Arbeit¡nehmer“:innen sowie ihre Freund:innen und Sympathisant:innen gegen die Ungerechtigkeiten sprachen, denen sie ausgesetzt sind.

Arbeiter:innen klagen an

„Ich bin ein Student mit Migrationshintergrund und kämpfe darum, hier in Deutschland mit meiner Familie leben zu können“, sagte Muhammad, der Anführer des Protests. „Meine Frau und ich arbeiten in Gelegenheitsjobs, um über die Runden zu kommen. Wolt hat mir drei Monate meines Lohns gestohlen. Und ich bin nicht allein. Wir sind viele Student:innen mit Migrationshintergrund, die sich in der gleichen Situation befinden und von diesem Unternehmen ausgebeutet werden. Weil wir Migrant:innen sind, haben viele Studierende sogar Angst zu protestieren. Ich war achtmal persönlich in der Wolt-Filiale, um meinen Lohn einzufordern. Der Geschäftsführer, den alle nur als Ali von der Mobile World GmbH kennen, weigerte sich jedoch immer wieder und sagte schließlich, dass er von Wolt nicht dafür bezahlt wurde, unseren Lohn zu zahlen. Wenn wir Aufträge pünktlich und mit ehrlichem Einsatz ausgeliefert haben, ist das Mindeste, was wir verdienen, dass wir bezahlt werden! Jede Arbeit hat ihre Würde. Es ist ein Verbrechen, dass Menschen in diesem reichen Land leben und Hungerlöhne erhalten.“

Seine Kollegin Shiwani Sharma, die ebenfalls ihren Lohn nicht erhalten hat, sprach über die Härten, denen diese Arbeiter:innen infolge des Lohndiebstahls ausgesetzt sind. „Ich bin Studentin an einer privaten Universität in Berlin und es ist schon sehr schwierig, mit den Herausforderungen der hohen Miete und Studiengebühren fertigzuwerden“, sagte sie. „Ich bin im Dezember bei Wolt als Fahrerin eingestiegen. Es war eiskalt, aber wir gingen von Tür zu Tür, um die Kund:innen mit Essen zu versorgen. An manchen Tagen hatten wir starke Schmerzen in den Händen, weil das Wetter so kalt war. Die ganze Zeit über saß die Geschäftsführung von Wolt in ihren gut geheizten Büros. Dank unserer harten Arbeit bekommen sie das Geld, um ihre Büros zu heizen, aber dann nehmen sie uns auch noch unseren mageren Lohn ab. Wir verdienen es, bezahlt zu werden! Und wir verdienen zumindest einen Mindestlohn pro Stunde statt der Bezahlung pro Auftrag. Dieses System der auftragsbezogenen Bezahlung muss abgeschafft werden!“

Ein anderer Fahrer indischer Herkunft, Abhay, beschrieb seine Erfahrungen mit Wolt als Achterbahnfahrt. Ihm zufolge arbeiteten diese Arbeiter:innen in den eisigen Monaten Dezember und Januar acht bis zehn Stunden, weil sie dachten, sie würden bezahlt, um ihre Universitätsgebühren und andere Ausgaben bestreiten zu können. „Was bekomme ich nach dieser Arbeit? Wolt hat sich geweigert, mich zu bezahlen. Ich dachte, sie würden mich im nächsten Monat bezahlen. Aber ich habe für November, Dezember und Januar kein Geld bekommen. Die Personalabteilung von Wolt hat sogar schon geleugnet, dass wir ihre Beschäftigten sind. Wir haben alles, um zu beweisen, dass wir für Wolt gearbeitet haben. Wir wollen bezahlt werden.“

Janno, ein Freund der Arbeiter:innen von der Kampagne Welcome United, sagte, dass illegale Geschäftspraktiken wie Lohndiebstahl gestoppt werden müssen. „Viele der Lieferdienste verletzen täglich grundlegende Rechte und Gesetze auf dem Rücken ihrer Fahrer:innen“, sagte er. „Das ist kein Zufall, kein Ausrutscher. Es ist ihr Geschäftsmodell.“

Lieferfahrer:innen von Gorillas, Lieferando und anderen Unternehmen dieser Art waren ebenfalls anwesend, um ihre Argumente gegen prekäre Arbeit vorzubringen. Joey vom Workers Centre, der auch ein Gorillas-Fahrer ist, sprach über die Notlage von Arbeitsmigrant:innen in der deutschen Gig-Economy und stellte sie in den größeren europäischen Kontext des strukturellen Rassismus. Sie verurteilten die Untätigkeit der griechischen Behörden und die europäische Gleichgültigkeit im Allgemeinen gegenüber den pakistanischen, syrischen und anderen Opfern des jüngsten Ertrinkens der Insass:innen eines überfüllten Bootes im Mittelmeer.

Zum Abschluss führte das Theater X einen theatralischen Sketch über die Notlage der betroffenen Zusteller:innen auf.

Kapitalismus und Überausbeutung

Die Krise der Lebenshaltungskosten in Deutschland wird schon jetzt von Tag zu Tag unerträglicher. Schon jetzt ist es für uns Beschäftigte so schwer, mit dem Mindestlohn über die Runden zu kommen. Den Beschäftigten im prekären Sektor wird nun sogar dieser Lohn vorenthalten. Es ist absolut beschämend, dass diese Praxis des Lohndiebstahls in einem so genannten demokratischen Staat wie Deutschland stattfinden kann. Aber es zeigt auch, dass der Staat immer die Interessen der Kapitalist:innenklasse vertritt.

Und deshalb müssen wir uns als Arbeiter:innen zusammenschließen und die Gewerkschaften zu kollektiven Kampforganisationen machen, die uns vertreten, aber wir brauchen auch eine Arbeiter:innenpartei, die uns und unsere Interessen in Wirklichkeit vertritt.

Unser Genosse Martin hielt auf der Demonstration eine bewegende Rede. Er sagte, er sei Mitglied der IG Metall (der größten Industriegewerkschaft in Deutschland und Europa), und auch wenn seine Gewerkschaft einer anderen Branche angehöre, sei es wichtig, dass wir uns als gemeinsam kämpfend verstehen.

„Das ist etwas, was die Gewerkschaften in Deutschland gar nicht oder nicht ausreichend tun. Das ist etwas, was wir in den nächsten Jahren gemeinsam ändern müssen. Euer Ringen, euer Mut, euer Kampf gegen Outsourcing, gegen Leiharbeit, gegen Lohnraub zeigt nicht nur, welche Maßnahmen Wolt und andere kriminelle Kapitalist:innen ergreifen, um ihre Gewinne zu sichern. Es zeigt auch, dass ihr keine Opfer seid und ihr euch wehren könnt, und ihr habt bewiesen, dass ihr euch organisieren könnt und wir uns organisieren können. Deshalb ist es wichtig, dass wir Solidarität und einen gemeinsamen Kampf mit den Gewerkschaften im gleichen Sektor wie der NGG, ver.di und allen anderen fordern, denn der Kampf, den ihr führt, ist nicht nur für euch wichtig, er wird auch für die gesamte Arbeiter:innenklasse wichtig sein. Je mehr sich der prekäre Sektor ausweitet, desto mehr werden die Löhne überall gedrückt! Deshalb ist es nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch eine Frage des Eigeninteresses aller Arbeiter:innen, diesen Kampf zu unterstützen. Wir müssen unabhängig vom Wetter Lebensmittel kaufen und Miete zahlen, und deshalb müssen wir das System in Frage stellen, das hinter dem Diebstahl eines Lohns steckt, der selbst für die Deckung der Grundbedürfnisse nicht ausreicht. Hunderte Millionen von Migrant:innen, Frauen und die am stärksten benachteiligten und unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse werden durch die Ausweitung der Gig-Economy in diese Bedingungen getrieben. Wenn wir ein Ende dieses Systems wollen, müssen wir auch das Recht auf die Gewinne in Frage stellen, die Lieferando, Wolt, Flink und all die anderen für sich selbst erzielen. Wenn sie nicht bereit sind, die Löhne pünktlich zu zahlen, wenn sie nicht bereit sind, Löhne zu zahlen, die zum Leben reichen, dann sollten diese Unternehmen entschädigungslos enteignet werden! Wir müssen aus einem System, das auf Ausbeutung, Rassismus, Krieg und Unterdrückung fußt, Geschichte machen!“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Frage der Enteignung in Berlin auf die Straße gebracht wird. Im Jahr 2021 war das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erfolgreich, auch wenn der Gesetzgeber den Willen der Berliner Bevölkerung, die angesichts der Wohnungs- und Mietkrise für die Enteignung der Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen und anderer gestimmt hat, nicht umgesetzt hat. „Wir sind nicht länger bereit, mit unseren überhöhten Mieten die Gewinne der Aktionär:innen zu finanzieren“, heißt es auf deren Website. Die Profite der Unternehmen, die von den Privilegien der Kapitalist:innenklasse durch prekäre Gig-Arbeit profitieren, werden nun zunehmend in Frage gestellt. Auch einige deutsche Schüler:innen waren zu der Demonstration gekommen, um ihre Solidarität mit den unbezahlten eingewanderten Arbeiter:innen zu bekunden. „Die Tatsache, dass das Management nicht bereit ist, euch zu bezahlen, ist eine Frechheit“, sagte Kai, der auch Mitglied der kommunistischen Jugendgruppe Revolution ist. „Als Jugendliche, die sich für unsere Zukunft interessieren, sehen wir die Notwendigkeit, uns mit eurem aktuellen Kampf und mit dem Kampf der ganzen Welt zu vereinen. Heute sind wir Student:innen oder Auszubildende und eines Tages werden wir Arbeiter:innen sein. Euer Kampf jetzt ist auch ein Kampf für unsere Zukunft. Auch wir werden von demselben System unterdrückt, das euch unterdrückt.“ Als er seine Rede beendete, rief die Menge unisono: „Student:innen und Arbeiter:innen, vereinigt euch und kämpft!“

Eine Solidaritätsbotschaft des Sprechers der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) lautete: „Ich drücke meine Solidarität mit eurem Kampf aus. Als jahrzehntelang aktiver Gewerkschafter muss ich sagen, dass es eine Schande ist, dass die Nichtbezahlung von Arbeit„nehmer“:innen in diesem Land wieder möglich ist. Dass das Mindestrecht der Lohnarbeit, dass der Lohn gezahlt wird, nicht respektiert wird! Die Gewerkschaften des DGB, die Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, die arbeitenden Menschen zu vertreten, SPD und Linkspartei, müssen dafür kritisiert werden, dass sie die Gesetze für Leiharbeit und Plattformökonomie zulassen, die die Rechte der Arbeiter:innen ausgehöhlt haben. Es ist ihre Pflicht, für die Wiederherstellung dieser Rechte und für die Verteidigung der betroffenen Beschäftigten zu kämpfen.“

Positiv war, dass Ferat Koçak von der Partei DIE LINKE Neukölln unserem Aufruf zur Solidarität gefolgt ist. Da Ferat terminlich verhindert war, bekundete an seiner Stelle Genosse Daniel seine Solidarität. Wir rufen alle linken Kräfte und Gewerkschaften auf, gleichermaßen zu reagieren und diese Bewegung als aktiven Kampf mit aufzubauen. Schließlich liegt es im Eigeninteresse aller Lohnabhängigen, die Ausweitung prekärer Arbeit zu verhindern und gemeinsam für die Durchsetzung von Mindestlöhnen und anderen grundlegenden Arbeitsrechten für alle zu kämpfen! Deshalb rufen wir in einem ersten Schritt alle auf, am 27. Juli zur Gerichtsverhandlung zu erscheinen, damit auch die Gerichte wissen, dass wir zusammenstehen.

Hoch die Internationale Solidarität!




Workers „RE-WOLT“ against Wolt

Minerwa Tahir, Infomail 1226, 21. Juni 2023

Deutsche Übersetzung: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/06/21/arbeiterinnen-re-wolt-gegen-wolt/

Berlin: Fifty Wolt workers and sympathisers took to the square in fron of Zentrum Kreuzberg at U Kottbusser Tor on Monday, 19th June 2023, to protest against non-payment of wages, deprivation from paid sickness leave and other labour law provisions. Their banner read “Wolt owes us money and rights” followed by the logo of the protest campaign, called “ReWolt” – a play on the company’s name and the word “revolt”.

The protest was organised by the Wolt Workers Collective, which is a network of Wolt workers in Berlin who had earlier organised a protest on April 13 this year. Monday’s protest was a continuation of the series of protests that workers have planned to organise until they are given their basic rights. The recent protest movement in Berlin began when a fleet of 120 migrant workers were denied payment for several months, amounting to several thousands of euros in unpaid wages. They had been hired by Wolt through a subcontractor who goes by the name Ali and runs a mobile phone accessories shop in Neukölln on Karl Marx Straße by the name Mobile World. At the last protest, workers cycled their way from U Karl Marx Straße to the Wolt headquarters in Friedrichshain where they had intended to deliver a written charter of their demands for the unpaid wages to Wolt management. Members of Gruppe Arbeiterinnenmacht were present there and we witnessed how management refused to even come out of their offices and receive the charter of demands. When Muhammad, the leader of the protest, tried to put the charter in the mailbox of the enterprise, he was told that Wolt did not have a mailbox.

What began as a campaign of unpaid employees being denied wages under the farce of a subcontractor excuse has now evolved and grown into a collective struggle that also involves directly hired employees of Wolt. Together, these workers demand their rightful payment of wages, occupational safety, workers‘ compensation, an end to the super-exploitative and illegal subcontracting system, and paid sickness leave among other rights. To make their voice heard, they organised a protest on Monday, where a number of workers and their friends and sympathisers spoke against the injustices they have been facing.

Workers accuse

“I am a migrant student and struggle to live here in Germany with my family,” said Muhammad, the leader of the protest. “My wife and I work odd jobs to make ends meet. Wolt has stolen three months of my wages. And I am not alone. We are many migrant students facing the same situation at the hands of this company. Because we are migrants, many students are even afraid of protesting. I went to the Wolt store in person eight times to claim my wages. However, the manager, whom everyone only knows as Ali from Mobile World GmbH, repeatedly refused and finally said that he has not been paid by Wolt to pay our wages. When we have delivered orders on time and with honest dedication, the least we deserve is to be paid! All labour has dignity. It is a crime for people to live in this rich nation and receive starving wages.”

His colleague, Shiwani Sharma, who has also not been paid her wages, spoke about the hardships these workers have been facing as a result of the wage theft. “I am a student in a private university in Berlin and it is already very difficult to cope with the challenges of high rent and high tuition fees,” she said. “I joined Wolt as a rider in the month of December. It was freezing cold weather but we would go door to door to deliver food to customers. On some days, we would get severe pain in our hands because the weather was so cold. All the while, the Wolt management sat in their comfortably heated offices. They get the money to heat their offices due to our hard work but then they deprive us of even our meagre wages. We deserve to be paid! And we deserve at least a minimum wage per hour instead of the per order payments. This per order payment system must be abolished!”

Another rider of Indian background, Abhay, described his experience with Wolt as a roller coaster ride. According to him, these workers worked eight to ten hours in the freezing months of December and January, thinking that they might be paid to be able to afford their university fees and other expenses. “What do I get after this work? Wolt denied to pay me. I thought they will pay me next month. But I have not been paid for November, December and January. The HR department of Wolt has even denied before that we are their workers. We have everything to prove that we worked for Wolt. We want to be paid.”

Janno, a friend of the workers from the Welcome United campaign, said that illegal business practices such as wage theft must be stopped. “Many of the delivery services violate basic rights and laws on the backs of their riders on a daily basis,” he said. “It’s not a coincidence. It’s not an accident. It’s their business model.”

Delivery riders from Gorillas, Lieferando, and other such companies were also present to make their case regarding precarious work. Joey from Workers Centre, who is also a Gorillas rider, spoke about the plight of migrant workers in Germany’s gig economy and situated it in the larger European context of structural racism. They condemned Greek authorities’ inaction and European apathy in general towards the Pakistani, Syrian and other victims of the recent drowning of an overcrowded boat in the Mediterranean.

At the end, Theater X performed a theatrical sketch on the plight of affected delivery workers.

Capitalism and superexploitation

Germany’s cost of living crisis is already becoming more and more unbearable with each passing day. It is already so difficult for us workers to make ends meet even on minimum wage. Workers employed in the precarious sector are now deprived of even that wage. It is absolutely shameful that this practice of wage theft can happen in a so-called democratic state like Germany. But what it also shows is that the state is always representative of the interests of the capitalist class. And that is why we as workers have to unite ourselves and make the trade unions collective fighting organisations that represents us but also that we need a workers’ party that in reality represents us and our interests.

Our comrade, Martin, gave a moving speech at the protest. He said he was a member of IG Metall (the largest industrial union in Germany and Europe), and even though his union belongs to a different trade, it is important that we see ourselves as waging a struggle together. “This is something that the trade unions in Germany do not do at all or do not do sufficiently. This is something that we need to change in the next years together. Your struggle, your courage, your fight against outsourcing, against subcontracting, against the robbing of your wages shows not only what kind of measures Wolt and other criminal capitalists are undertaking in order to secure their profits. It also shows that you are not victims and you can fight back and you have proven that you can organise and that we can organise ourselves. Therefore, it is important that we demand solidarity and a common struggle with the trade unions in the same sector like the NGG, Ver.di and all others because the struggle you wage is not only important for you, it will also be important for the whole working class. The more the precarious sector expands, the more it will undercut wages everywhere! This is why it is not just a question of solidarity but rather a question of self-interest of every worker to support this struggle. We have to buy food and pay rent irrespective of the weather and that is why we have to question the system that is behind stealing of a wage that is itself insufficient to pay for basic needs. Hundreds of millions of migrant workers, women and the most disadvantaged and oppressed sections of the working class are driven into these conditions by the expansion of gig economy. If we want an end to this system, we also have to question the right to the profits which Lieferando, Wolt, Flink and all the others are making for themselves. If they are not prepared to pay the wages on time, if they are not prepared to pay wages sufficient for a living, then those companies should be expropriated without compensation! We need to make history out of a system which stands on exploitation, on racism, on war and oppression!”

This is not the first time that the question of expropriation has been raised in the streets of Berlin. In 2021, the Deutsche Wohnen Enteignen (Expropriate Deutsche Wohnen) referendum was successful, even if lawmakers have failed to act on the will of the Berlin population who voted in favour of expropriating the real estate company, Deutsche Wohnen, in light of the housing and rent crisis. “We are no longer willing to finance the profits of the shareholders with our excessive rents!” reads their website. Profits of companies enjoying the privileges offered to the capitalist class through precarious gig work are now increasingly coming under question. Some German school students had also come to the protest to express solidarity with the unpaid migrant workers. “The fact that the management is not willing to pay you is an insolence,” said Kai, who is also a member of communist youth group Revolution. “As youth interested in our future, we see the necessity to unite with your current struggle and with the struggle of all around the world. We are students or trainees today and we will be workers one day. Your struggle now is also a struggle for our future. We are also being oppressed by the same system that oppresses you.” As he ended his speech, the crowd shouted in unison, “Students and workers, unite and fight!”

A solidarity message received from the speaker of the Vernetzung für kämpfersiche Gewerkschaften read: “I express my solidarity with your struggle. As an active trade unionist for many decades, I have to say that it is a shame that the non-payment of workers is possible again in this country. That the minimum right of wage-labour, that the wage is paid, is not respected! The trade unions of the DGB, the parties that claim to represent the working people, SPD and the Left Party, have to be criticised for allowing the laws for temporary work and platform economy that have eroded workers’ rights. It’s their duty to fight for re-establishment of these rights and for the defence of the workers concerned.”

It was positive that Ferat Kocak of Die Linke Neukölln responded to our call for solidarity and sent Comrade Daniel in his stead to express solidarity with the workers. We call upon all left forces and trade unions to respond alike and help build this movement as an active struggle. After all, it is in the self-interest of all workers to prevent the expansion of precarious work and to collectively fight for the application of minimum wage and other basic labour rights on all! Therefore, as a first step, we call on everyone to come to the court hearing on 27 July, so that the courts also know that we stand together.

Hoch die Internationale Solidarität!




Razzien gegen Letzte Generation: Mut soll kriminalisiert werden

Georg Ismael, Infomail 1223, 24. Mai 2023

Der Klimawandel und die Umweltzerstörung sind bekanntermaßen eine, wenn nicht die zentrale Herausforderung für die Menschheit des 21. Jahrhunderts. Insbesondere die deutsche Regierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst wie keine andere. Die Aufgabe ist klar, bei aller Zustimmung zur Rettung der Menschheit müssen natürlich vor allem die Profite und Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und die Unantastbarkeit seines bürgerlichen Staates selbst geschützt werden.

Sagen darf in Deutschland freilich jede/r, dass der Kapitalismus die Umwelt und das Mensch-Natur-Verhältnis grundlegend zerstört. Handeln – darüber hinaus mit friedlichen Mitteln und zugunsten rational vollkommen nachvollziehbarer Forderungen –, hier hört die Freiheit auf. Das gilt für den effektiven Streik scheinbar genauso wie für die direkte Aktion.

Umso mehr muss dies natürlich der Fall sein, wenn jenes Handeln die Passivität nicht nur der unmittelbaren Akteur:innen selbst durchbricht, sondern auch den Raum der öffentlichen Debatte zu bestimmen, zumindest aber zu verändern beginnt. Immerhin sind gerade in bürgerlichen Demokratien nebst dem Gewaltmonopol des Staates die Vorherrschaft von Gedanken, die die Interessen des Kapitals stärken oder schützen, ein hohes Gut.

In diesem Sinne muss man jenes feststellen: Eine der erfolgreichsten Bewegungen der vergangenen Jahre in Deutschland, die die Hegemonie der herrschenden Diskurse unter Druck setzte und klimapolitische Forderungen anhand ihrer allgemeinen Sinnhaftigkeit und nicht ihrer Verträglichkeit mit aktuellen Kapitalinteressen in die Debatte trug, ist fraglos die Letzte Generation.

Ihren Aktionen schlossen sich zahlreiche junge und alte Menschen an, die sich seit 2019 über drei Jahre restlos hatten überzeugen können, dass die Fakten gepaart mit letztlich symbolischen Massendemonstrationen wie von Fridays for Future keine oder deutlich unzureichende Maßnahmen durch Staat, Kapital und Regierung zur Folge hatten.

Es ist eben nicht eine vermeintlich kriminelle Energie, die die Aktiven der Letzten Generation antreibt. Ihren Mut ziehen sie aus der faktisch absehbaren Überschreitung der Kipppunke in den Umweltsystemen. Dieser Prozess ist bereits im vollem Gange, mit Folgen, die einen dystopischen und bisher kaum absehbaren Charakter annehmen werden.

Nachdem anderthalb Jahre vergangen sind und eine energische Kampagne der bürgerlichen Medien gegen die Letzte Generation zwar die Spaltung der öffentlichen Meinung, keinesfalls aber eine Minderung der Popularität der Bewegung herbeiführte, nachdem Inhaftierungen und eine erste Inszenierung der Letzten Generation als krimineller Vereinigung scheiterten, konnte die Bewegung einen, wenn auch kleinen Erfolg vorweisen. Die Zustimmungswerte zu Tempolimits auf deutschen Autobahnen steigen in der deutschen Bevölkerung.

Damit kommt genau der richtige Zeitpunkt für Staatsanwaltschaft und Polizei, eine großangelegte Razzia gegen die Bewegung durchzuführen. Fünfzehn Wohnungen wurden am Mittwochmorgen des 24. Mai im Bundesgebiet durchsucht. Die Internetseite der Letzten Generation wurde abgeschaltet.

Besonderes Interesse galt auch ihren Spendengeldern. Immerhin kann es in einem Rechtsstaat nicht angehen, dass Arbeiter:innen wie auch Angehörige der Mittelschichten, aus denen sich ihre Aktiven zusammensetzen, auf kollektiven Beistand hoffen dürfen, wenn sie sich der individuellen Kriminalisierung durch den bürgerlichen Staat ausgesetzt sehen.

Ziel der Razzia ist es, die Letzte Generation organisatorisch zu schwächen und über die Kriminalisierung der Bewegung vielleicht nicht unmittelbar ihre bisher Aktiven an weiteren Aktionen zu hindern, sicherlich aber den Zustrom weiterer Aktiver zu hemmen und mögliche Spender:innen zu verunsichern.

Den Inhalt der Bewegung selbst nicht vergessen wollend, etwas, dessen sich viele Medien und Politiker:innen regelmäßig schuldig machen: aus rationaler, ökologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Sicht sind ihre Forderungen nach einem 9-Euro-Ticket und einem Tempolimit von 100 km/h vollkommen berechtigt. Die Forderung, einen Gesellschaftsrat technokratisch einzusetzen, hat einen utopischen Charakter, der auch die politischen Schranken dieser Gruppierung deutlich macht.

Dass die sogenannte „Fortschrittskoalition“ insbesondere auch diesen zwei Forderungen nicht nachgeben möchte, weil dann womöglich ein Teil der oberen Mittelschichten sich von dieser abwenden könnte, vermutlich noch wichtiger, weil man einer sozialen und ökologischen Bewegung zu ihren Bedingungen entgegenkäme, das lässt tief blicken.

Es mag in der Debatte über die Strategie der Letzten Generation selbst viele unterschiedliche Meinungen geben. Wir haben etliche unserer Gedanken und auch Kritik an anderer Stelle geäußert. Ganz sicher entblößt sie aber durch ihr Handeln die innere Dynamik sowohl des bürgerlichen Diskurses als auch Staates.

Wir fordern daher ein sofortiges Ende der Kriminalisierung der Letzten Generation und rufen zu Solidaritätsaktionen auf. Ebenfalls denken wir, dass sich die ökologischen und sozialen Bewegungen in Deutschland eines ganz gewiss von der Letzten Generation abschauen können: mutig und selbstgewiss im Angesicht von öffentlicher Diffamierung als auch Gewalt durch Staat und Wutbürger:innen ihren berechtigten Anliegen nachzugehen.




Tag X! Lützerath verteidigen!

Aufruf der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1209, 4. Januar 2023

Lützerath hat den Tag X ausgerufen. Dies kommt als Reaktion auf Maßnahmen von RWE und der Polizei. Diese haben damit begonnen, Strukturen anzugreifen, die von den Bewohner:innen des Dorfes aufgebaut wurden, um es zu erhalten. Ebenfalls wurden eine Zufahrtsstraße für schweres Gerät und Wälle aufgeschüttet als auch Zäune zur Abschirmung des Dorfes aufgestellt.

Das heißt: Die Räumung des besetzten Weilers hat begonnen. Unsere Anstrengungen, diese zu verhindern, müssen nun ebenfalls verstärkt werden. Wir als Arbeiter:innenmacht möchten hierfür einen Beitrag leisten.

Wir möchten betonen: Wir stehen nicht vor einer selbstverständlichen Niederlage nach einem langen Kampf. Es gibt gute Grundlagen für eine Verteidigung. Die Aktivist:innen vor Ort haben diese zwei Jahre lang mit ehrlicher, harter politischer Arbeit vorbereitet. Hierfür muss ihnen von allen Spektren der Linken und der Klimabewegung Respekt gezollt werden.

Diese neuen Einwohner:innen Lützeraths sind bereit, den Ort, den sie mittlerweile ihr Heim nennen, und mit diesem die 1,5-Grad-Grenze zu verteidigen. Es gibt eine breite Verankerung und Unterstützung in der Region, im Kreis Heinsberg, unter den Dörfern an der Kante. Hunderte weitere Aktivist:innen sind bereits vor Ort. Tausende sollten sich in den nächsten Tagen anschließen. Voraussichtlich bis zum 09.01. wird es möglich sein, legal zur Mahnwache und damit in das Dorf zu gelangen. Es sollte unser Ziel sein, dass Zehntausende an der Großdemonstration in der Region am 14. Januar teilnehmen.

Vor einer Entscheidung

Aber die Situation drängt auf eine Entscheidung. Die Gegenseite weiß dies und so wird die Schlinge zugezogen: von der schwarz-grünen Landesregierung, von RWE und der willfährigen Polizei.

Es bahnt sich hier eine Entscheidung an, welche für die künftige Klimabewegung konstitutiv und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zentral sein dürfte. Dennoch, Lützerath ist für uns keine Offenbarung, auch wenn dies für viele so sein mag, die große Hoffnungen auf einen Richtungswechsel unter einer grünen Bundesregierung legten. Es handelt sich auch nicht um einen Fehler der Grünen, wie Luisa Neubauer sagt.

Die Räumung des Weilers und die Ausdehnung des Kohletagebaus Garzweiler II nennt sich in der Welt dieser Partei schlicht Realpolitik. Ein integraler Teil davon sind zwangsläufig auch die regelmäßigen Beteuerungen, dass man diese eigentlich nicht betreiben wolle. Sie wollten auch die A49 nicht und lassen sie bauen. Sie wollten auch Stuttgart 21 nicht und lassen es bauen. Ach, sie wollten so vieles nicht. Aber noch viel mehr wollen sie Teil dieses Systems sein. Die Grünen haben eine grundlegende Transformation vollzogen, in der sie nicht mehr in erster Linie als grüne, sondern als bürgerliche Partei glaubwürdig sein wollen. Ihr vorderstes Ziel ist es, Teil der bürgerlichen Regierung zu sein.

Das aber bedeutet, dass sie für eine Klimabewegung keine – gar keine! – Glaubwürdigkeit, kein Vertrauen mehr besitzen darf, die ihren eigenen Slogan ernst nimmt, System Change statt Climate Change zu erwirken! Lützerath fällt nicht, weil die Grünen einen Fehler machen, sondern weil sie aktiv die Räumung Lützeraths vorantreiben. Eine Partei, die den Kapitalismus verteidigt, muss auch RWEs Interessen durchsetzen.

Aber was muss passieren, damit Lützerath nicht zur Realdystopie wie der Danni und Hambi wird? Reicht unsere jetzige Verteidigung? Wir werden es sehen. Aber selbst wenn bis zum Ende der Räumungs- und Rodungssaison durchgehalten wird, selbst wenn der Einsatz noch so teuer wird – was passiert dann? RWE wird nicht nachlassen, hat Lützerath sowieso fast schon zur Hälfte umbaggert, koste es was wolle. Im Hambi nahm man auch den Tod in Kauf. Individuelle Militanz, verklebte Fingerkuppen und Entschlossenheit alleine, so sehr sie moralisch gerechtfertigt sind, sind auf Dauer nicht genug. Was also hilft da?

Klimaklassenkampf!

Was uns bisher fehlt, ist: Klimaklassenkampf, eine Stilllegung von RWEs Tagebau durch die, die dort arbeiten, ein wirklicher Klimastreik: Autobänder, Bahnen, Rüstungsfabriken anhalten, damit Lützerath bleibt, damit wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Weil es das nicht gibt, ist die Besetzung natürlich das aus der Not geborene Mittel der Wahl, bewundernswert, definitiv unterstützenswert, aber gegen die Macht von Staat und Konzernen strategisch unterlegen.

Über die unmittelbaren praktischen Aufgaben einer Besetzung hinaus brauchen wir die Debatte, wie wir jene gewinnen können, die den Profit der Klimakiller erarbeiten. Etliche von ihnen wollen in ihrer Rolle als Lohnabhängige dieser Konzerne nichts von der der Klimabewegung wissen. So erscheint es zumindest. Das ist definitiv auch Schuld von Gewerkschaftsführungen, die selbst am fossilen Tropf hängen, allen voran die IG BCE und die IG Metall.

Vielen ist aber vollkommen klar, dass das, was sie jeden Tag bauen, produzieren oder konstruieren, nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Allerdings gibt es keine alternative Strategie, die Arbeitsplätze erhält oder neue schafft und das mit sozialer Sicherheit verbindet, die nicht von den Beschäftigten, sondern den Kapitalist:innen bezahlt wird. Immerhin, es gibt erste Sektoren unter Beschäftigten bei Bus und Bahn oder bei regenerativen Energiebetreibern, aber auch in der Metallindustrie, die beginnen, die Verhältnisse in Frage zu stellen.

Das bisher größte Problem in unserem Kampf bleibt aber, dass es eine weitgehende Trennung zwischen der Klimabewegung und denen gibt, die täglich im fossilen Kapitalismus arbeiten müssen. Wie viele fuhren zu Ende Gelände nach Hamburg und wollten von den Hafenstreiks nichts wissen? Wie viele kämpferische Gewerkschafter:innen kommen nicht darauf, selbst mal eine Besetzung in Augenschein zu nehmen, den Austausch mit Aktivist:innen auf Klimacamps zu suchen. Wir sollten deswegen nicht glauben, dass viele Klimaaktivist:innen nicht selbst Lohnabhängige sein mögen oder umgekehrt. Es gibt aber bisher keine organischen und organisatorischen Verbindungen, die über die Bekenntnis zum gemeinsamen Kampf hinausgehen.

Wir als Arbeiter:innenmacht sehen uns als Organisation, die diese Verbindungen schaffen und dies gemeinsam mit allen tun möchte, die dieses Ziel teilen. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass dies ein Unterfangen ist, dass letztlich nur gegen den Widerstand der konservativsten Elemente sowohl in der Gewerkschafts- als auch der Umweltbewegung durchgesetzt werden kann.

Es braucht aber auch Sofortmaßnahmen.

  • Wir rufen euch auf: Bringt euch und eure Organisationen jetzt in die Verteidigung Lützeraths ein!

  • Beteiligt euch massenhaft an der Besetzung vor Ort! Unterstützt sie finanziell, logistisch oder medial, insbesondere, wenn ihr nicht selbst in Lützerath sein könnt!

  • Beteiligt euch an der Demonstration nach Lützerath am 14. Januar! Beteiligt euch auch an Solidaritätsaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen im Bundesgebiet! Wo möglich plädieren wir insbesondere für das Mittel politischer Betriebsversammlungen, die sich gegen die Räumung aussprechen.

Aktuelle Infos unter: https://luetzerathlebt.info

Vor allem muss die Verteidigung Lützeraths einen kollektiven Charakter annehmen. Bringt Erklärungen in Gewerkschaftsgliederungen, Mietervereinen, sozialen Verbänden, Parteien und Vereinen ein, die den Erhalt Lützeraths fordern, die Rodungen verurteilen und Maßnahmen eurer Organisation ankündigen! Sendet diese Erklärungen auch an die Landesregierung in NRW! In ihnen sollten eure Organisationen oder Gliederungen sich aber auch dazu verpflichten, dem Kampf gegen die Rodung finanziell, logistisch, medial, rechtlich und/oder durch die Mobilisierung von Protesten zu helfen.

Die Beteiligung an der Besetzung und an der Demonstration am 14. Januar ist eine wichtige Sache. Aber wir werden Rodung und Räumung nicht allein vor Ort stoppen können. Wir müssen den politischen Preis für die schwarz-grüne Landes-, für die Bundesregierung und für RWE durch große und vor allem koordinierte bundesweite Proteste in die Höhe treiben. Gegen die Räumungsversuche sollten in Düsseldorf, in Berlin und weiteren Städten möglichst große Aktionen auf die Beine gestellt werden. Hierfür sollten wir nicht nur den linken Flügel der Klimabewegung und der linken Bewegungen gewinnen. Wir sollten auch die Grünen, die SPD und die Gewerkschaftsführungen auffordern, für Lützerath zu mobilisieren – gerade um die inneren Widersprüche in diesen Organisationen voranzutreiben und durch Aktion und gemeinsame Erfahrung jene an der Basis für eine alternative Politik zu gewinnen, die sich zunehmend von der Politik der regierenden Parteien verraten fühlen.

Lützerath ist eine der vielen Chancen, die Trennung zwischen Klimaaktivist:innen und Arbeiter:innenklasse zumindest im Ansatz zu überwinden, Militante für Klimaklassenkampf zu gewinnen. Besser, wir nehmen sie wahr. Noch drei Jahre, bis die 1,5 Grad gerissen werden könnten, eine Grenze, die zwischen den Baggern und Lützi verläuft.

  • Solidarität mit Lützerath! Alle Dörfer bleiben! Klima schützen ist kein Verbrechen!



Für einen heißen Herbst – Konferenz im Oktober

Pressemitteilung VKG, Infomail 1199, 18. September 2022

Die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“ (VKG) bewertet das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung als Blendwerk. „Diese Regierung ist nicht gewillt und nicht in der Lage, die Masse der Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner*innen und Jugendlichen vor den Auswirkungen der Preisexplosion und der allgemeinen Krise zu schützen, weil sie nicht an die Vermögen der Superreichen und an die Gewinne der Konzerne ran gehen will“, erklärte Angelika Teweleit, eine der Sprecherinnen der Vernetzung bei der Protestkundgebung „Protestieren statt Frieren“ in Berlin. „Mit der Zahl 65 Milliarden Euro will Olaf Scholz beeindrucken. In Wirklichkeit wird es in keiner Weise die immensen Belastungen für die Masse von Lohnabhängigen kompensieren. Es ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Dazu kommt, dass die Gasumlage ein heftiger Angriff auf die einfachen Leute ist. Sie sollen die Zeche für die kapitalistische Krise und die falsche Sanktionspolitik zahlen, damit sich die Gas- und Energiekonzerne die Taschen noch voller stopfen können“, sagt Christa Hourani vom VKG-Sprecherrat.

Nach Ansicht der VKG müssten die DGB-Gewerkschaften jetzt ihre fast sechs Millionen Mitglieder für Proteste mobilisieren und einen heißen Herbst organisieren. „Wir fragen uns, wie die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi jetzt davon sprechen kann, dass dieses Entlastungspaket geeignet oder sogar beeindruckend sei. Immerhin erklärt die DGB-Gewerkschaft ver.di, dass dieses Paket die Belastungen nicht ausgleichen wird. Allerdings sollte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke jetzt seiner Ankündigung, zu Demonstrationen aufzurufen, auch Taten folgen lassen. „Mit einer solchen Mobilisierung durch die Gewerkschaften könnte man auch den Rechtspopulisten am besten den Boden entziehen, die sonst versuchen, sich als Interessenvertretung der kleinen Leute aufzuspielen, was sie natürlich nicht sind – im Gegenteil,“ so Teweleit.

Christa Hourani betont: „Auch die anstehenden Tarifrunden müssen genutzt werden, um die Menschen jetzt gemeinsam auf die Straße zu bringen. Es braucht eine klare Antwort auf die Provokationen des Präsidenten des größten Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall Stefan Wolf, der mitten in dieser Rekordinflation eine Nullrunde für die Beschäftigten fordert. Gleichzeitig haben große Metallkonzerne ein weiteres Jahr riesige Profite eingefahren. Ein weiterer Reallohnverlust ist nicht zu akzeptieren. Die IG Metall muss jetzt schon Vorbereitungen für einen Vollstreik treffen.“

Die GewerkschafterInnen laden Aktive aus den Betrieben und Gewerkschaften zu einer Konferenz der VKG am 08./09. Oktober in Frankfurt am Main ein. Hier soll diskutiert werden, welche Schritte gegangen werden können, um Gegenwehr zu organisieren. Auf der Konferenz sprechen verschiedene Gewerkschaftsaktive: Jana Kamischke erzählt von den Erfahrungen des Hafenarbeiterstreiks, Alexandra Willer und Anne Pötzsch werten ihre Erfahrungen mit den Krankenhausstreiks aus.




Marsch für das Leben: auf die Straße gegen rechte Fundis und für Selbstbestimmung!

Resa Ludivin, Neue Internationale 267, September 2022

Halten wir zunächst einmal fest: Das Recht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers und das Recht, über diesen selbst zu bestimmen, sind fundamental und werden vor allem Frauen und Queers immer wieder abgesprochen, Männern hingegen nicht. Geht es um sexualisierte Gewalt, Abtreibungen oder Geschlechtsangleichungen, sollen sich Frauen und Queers reinreden lassen, wenn ihre Stimme überhaupt gehört wird. Damit muss endlich Schluss sein!

Die krasseste Gegenbewegung kommt nicht nur von rechts, sondern auch von christlichen Fundamentalist:innen. Einmal jährlich, dieses Jahr am 17.9., treffen sie sich in Berlin zum „Marsch für das Leben“ oder auch „1000-Kreuze-Marsch“. „1000 Kreuze“ sollen hier symbolisch für abgetriebene Föten stehen. Die „Pro Life“-Bewegung, wie sie sich selbst nennt, hat Ableger in mehreren Ländern.

Hintergrund

In den letzten Jahren konnte dieses Spektrum jährlich mehrere Tausend Menschen mobilisieren. Seit etwa 20 Jahren reisen sie dafür aus ganz Deutschland nach Berlin. Sie sind gegen Abtreibungen. Auch Aufklärung lehnen sie ab. Untersuchungen vor der Geburt, die schwere Krankheiten bereits erkennen ließen, oder Samen- und Eizellspenden sind ihnen ein Dorn im Auge. Gleichgeschlechtliche Paare sollten ihrer Meinung nach keine Kinder bekommen, da dies wider die Natur wäre. Das von ihnen propagierte „Recht auf Leben“ ist eben nur auf Heterosexuelle mit Kinderwunsch und biologischer „Schöpfungsfähigkeit“ ausgelegt, die es sich leisten können. Vorne mit dabei marschieren Kirchenvertreter:innen, Ultrakonservative, christliche Fundamentalist:innen, Antifeminist:innen und natürlich die AfD. Die Nähe zu rechtem Gedankengut der Bewegung zeigt sich nicht nur anhand ihrer Mitstreiter:innen, sondern auch an der Wahl ihrer Worte. In Verharmlosung von NS-Sprache werden schnell Begriffe wie „Babycaust“ oder „Euthanasie“ geprägt.

Christlicher Fundamentalismus national wie international: frauen-, queerfeindlich, reaktionär!

Die Ideologie der christlichen Fundamentalist:innen ist nicht weniger reaktionär als die anderer Religionen. Sie bilden einen radikalen und zum Teil politischen Arm von Ultrareligiösen. Sie lehnen moderne, wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden ab. Ihre Richtschnur ist die Bibel und der Erhalt einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen nicht mal über ihren eigenen Körper bestimmen dürfen. Alles, was nicht „von Gott geschaffen ist“, darf es in ihren Augen nicht geben. Dazu zählen: Sex und Liebe fernab des Reproduktionsgedankens. Klingt wie Mittelalter, ist aber Neuzeit.

Diese Bewegung gewinnt überall auf der Welt an Fahrt. Besonders in den USA sind christliche Fundamentalist:innen wie Evangelikale auch in wichtigen politischen Ämtern vertreten. So kam es 2022 auch dazu, dass der Supreme Court sich gegen das Recht auf Abtreibung gestellt hat. Einzelne Bundesstaaten wie Kansas versuchen, dies jedoch zu umgehen (Abstimmung vom 3.8.22).  Auch in Europa, bspw. in Spanien oder Frankreich, ist Abtreibung nichts Selbstverständliches und die Bewegung groß. (In Deutschland übrigens auch nicht: es ist nicht legal, sondern lediglich bis zur 12. Woche straffrei. Ärzt:innen oder Beratungen dazu zu finden, ist leider so gut wie unmöglich.)

Der Aufschwung, den religiöser Fundamentalismus derzeit erlebt, kommt nicht von ungefähr. Gerade in Krisenzeiten, und das sind wir mit Wirtschafts-, Corona- und Umweltkrise sowie kriegerischen Auseinandersetzungen, suchen sich unterschiedliche Klassen verschiedene Strategien. Vor allem das Kleinbürger:innentum versucht, an Altbewährtem festzuhalten oder gar die Zeit zurückzudrehen. Für sie stellt Abtreibung einen „Angriff“ auf die bürgerliche Familie dar, die schon längst nicht mehr nur Vater, Mutter und 2 Kinder bedeutet und in einigen Region dieser Welt nie hat, eine Krise im Kleinen. Das scheint zunächst absurd, da einem die Nachbar:innen, ihre Familienform oder sexuelle Orientierung egal sein könnten. Es ist ihnen aber nicht egal, weil sie ihre Ängste auf ihr näheres Umfeld projizieren, anstelle sie mit ihren Ursachen, gesellschaftlichen Krisen, in Zusammenhang zu setzen, um diese zu bekämpfen. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und Existenzverlust.

„Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine!“

Herzlich willkommen im 21.Jahrhundert: Frauen und Queers haben Rechte. Die kamen nicht aus dem Nichts, sondern mussten erst hart erkämpft werden. Daher gilt es, sie jeden Tag zu verteidigen. Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland strafbar. Unsere bürgerlich-demokratischen Rechte sind demnach zum Teil noch ziemlich jung. Sie werden derzeit aber weltweit wieder angegriffen und in Frage gestellt. Dazu braucht es auch internationalen Protest und Vernetzung. Egal, ob in den USA oder Deutschland, Abtreibungsrechte müssen gegen die rechte Welle verteidigt werden. Das bedeutet auch, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit im Medizinstudium bekommt, es mehr einfach zugängliche Beratungsstellen und sexuelle Aufklärung geben muss. All das kann natürlich nicht vor jeder ungewollten Schwangerschaft schützen, denn dazu bräuchte es auch mehr Prävention gegen Vergewaltigungen und ein Umdenken in den Köpfen, das dazu führt, dass endlich offen über Sex gesprochen wird. Es wäre aber ein wichtiger Schritt.

Natürlich ist das nur Symptombekämpfung. Denn auch Selbstbestimmungsrechte sind vor allem eine Klassenfrage. Arbeiterinnen können sich nicht leisten, zum Abtreiben ins Ausland zu fahren oder sich mit Top-Anwält:innen der Strafe vor Gericht entziehen. Sie müssen oftmals noch lange in Gewaltbeziehungen bleiben, weil sie nicht nur emotional, sondern auch ökonomisch abhängig sind oder es zu wenig Plätze in Frauenhäusern gibt. Einen langfristigen Schutz und eine Verbesserung der Situation kann es nur geben, wenn die patriarchale Gesellschaft über den Haufen geworfen wird. Ein paar Schritte dahin?

  • Vollständiges Recht auf Abtreibung, überall, kostenlos, während der gesamten Schwangerschaft! Kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln!
  • Für echte Aufklärung in der Schule: Über Sex reden lernen, Verhütung und Abtreibung  gehören in den Unterricht, Erziehung und Pädagogik als Schulfach für alle, und nicht nur als Ausbildung in klassischen Frauenberufen!
  • Kostenlose und umfassende Hilfe für Betroffene von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen! Für die jederzeitige Möglichkeit sich einseitig scheiden zu lassen und auszuziehen! Massiver Ausbau von Schutzräumen und Wohnungen für Betroffene unter demokratischer Kontrolle der Frauenbewegung und der Gewerkschaften! Selbstverteidigungsunterricht in der Schule!
  • Vollständige Vergesellschaftung der privaten Reproduktionsarbeit – einschließlich einer gemeinschaftlichen Kindererziehung, kein Kind soll von seiner biologischen Elternschaft abhängig sein!
  • Auf die Straße, für die Freiheit, für das Leben – gegen den Marsch für ein patriarchales, unterdrückerisches Leben!