Gegen Rassismus und die Rechte: Wie die AfD stoppen?

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Ob in Hamburg, Berlin oder Potsdam, ob in Köln, Frankfurt/Main oder München: Hunderttausende gehen in den letzten Wochen gegen Rechtsruck und AfD auf die Straße. Am Wochenende vom 19. – 21. Januar waren es bundesweit weit mehr als eine Million, davon allein in Berlin und München 300.000 bzw. 200.000. Mitglieder, Anhänger:innen und Wähler:innen eines breiten, klassenübergreifenden demokratischen Spektrums protestieren dort, um ihre Wut, ihre Betroffenheit und ihre Angst vor dem Rechtsruck deutlich zu machen.

Unmittelbarer Auslöser dieser Massenbewegung waren die jüngst von der Rechercheplattform CORRECTIV enthüllten Pläne zur „Remigration“, also zur Vertreibung von Millionen Menschen. Bei einen „privaten“ Geheimtreffen präsentierten der Faschist und bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner, Vertreter:innen der AfD, der Werteunion und anderer Rechter und Rechtsextremer ihren „Masterplan“, um „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Asylbewerber:innen, Menschen mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ sollten von einer zukünftigen Rechtsregierung allesamt deportiert werden. Gemeinsam sollte die nationale und völkische Rechte dazu ideologische, „diskursive“ und natürlich auch handfeste Vorbereitung leisten, um schon jetzt Migrant:innen des Leben möglichst unerträglich zu machen.

Völkisch-rassistische Ziele

Verwundern sollten diese völkisch-faschistischen Ziele, die phantastischen, aber zugleich durchaus ernstzunehmenden und bedrohliche Pläne nicht. Der Zulauf zur AfD in den Umfragen, wiewohl durch die Regierungspolitik und die Krise genährt, geht seit Jahren mit ihrer Radikalisierung selbst einher. Der Thüringer Landesvorsitzende und Rechtsaußen, Höcke, avancierte zum realen Taktgeber der Partei, deren „gemäßigter“ Flügel wurde in den letzten Jahren marginalisiert. Aber in den letzten Wochen trag es Millionen überdeutlich zu Bewusstsein, dass die AfD keine „normale“ rechte Partei ist, sondern dass ihr extremer Rassismus die gezielte Deportation von Millionen anvisiert.

Massenhaftes Entsetzen verursachten die Enthüllungen von CORRECTIV wegen der offenkundigen, sich jedem halbwegs vernünftigen Menschen aufdrängenden Parallele zum Nationalsozialismus, zur Wannseekonferenz und den Plänen zum industriellen Massenmord am jüdischen Volk. Pläne wie die Errichtung eines bis zu zwei Millionen Menschen umfassenden „Musterstaates“ für „Remigrierte“ in Afrika erinnern unwillkürlich an die nationalsozialistischen Pläne, vier Millionen Jüdinnen und Juden nach Madagaskar zu deportieren. Und dieser offene Bezug zum Faschismus verdeutlicht, wie weit nicht nur direkte Nazis, sondern auch immer größere Teile des bürgerlichen Lagers zu gehen bereit sind. Die Verharmlosungen des Treffens als rein „privaten“ Austausch durch AfD-Funktionär:innen und Mitglieder der Werteunion oder die Darstellung von Teilnehmer:innen des Treffens, dass man Sellner „so nicht verstanden“ hätte, sind reine Schutzbehauptungen – sonst nichts. Unglaubwürdig ist dabei nicht nur die AfD, sondern natürlich auch die CDU, die so tut, als wäre die Werteunion nicht aus ihr hervorgegangen.

Die Anwesenheit ihrer Vertreter:innen, die aus dem rechten Flügel der CDU/CSU stammen, beim „privaten“ Treffen verweisen ebenso wie der Aufstieg der Freien Wähler und die anvisierte Bildung neuer rechtskonservative Parteien zwischen AfD und CDU/CSU auf einen Umbruch in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, der keineswegs bloß als „Protest“, sondern als Abspaltung zur Neuformierung des bürgerlich-rechten Lagers begriffen werden muss.

Die Grenzen der Breite

In jedem Fall hat der Schock über die Enthüllungen eine riesige Demonstrationswelle ausgelöst. Und das ist gut so. Die Bewegung umfasst die radikale Linke, die reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE, Gewerkschaften, Fridays for Future, antirassistische Initiativen, Migrant:innenorganisationen, Die Grünen, die Kirchen, FDP und sogar Teile der Unionsparteien. Faktisch also fast alle außer der AfD und offenen Nazis und Rassist:innen.

Auf den Demonstrationen sprechen neben Vertreter:innen der „Zivilgesellschaft“ Redner:innen aller Parlamentsparteien, von Regierung, linker wie bürgerlicher Opposition, auch wenn zweifellos jene aus dem reformistischen und links-bürgerlichen Spektrum dominieren und wohl auch große Mehrheit der Teilnehmer:innen mobilisieren. Kaum jemand, die/der nicht die „Einheit der Demokrat:innen“ beschwört, der Ruf nach dem Verbot der AfD wird laut.

Doch was vielen als größte Stärke der Bewegung erscheint, ihr klassenübergreifender Charakter, die Einheit von Scholz und Merz, aller Parteien bis hin zur Linkspartei, stellt in Wirklichkeit auch ihre Schwäche dar.

Rechtsruck und Rassismus, deren extrem gefährlicher Ausdruck der Aufstieg der AfD zweifellos ist, scheint nur außerhalb der „demokratischen“ Mitte, der anständigen Vertreter:innen der bürgerlichen Verhältnisse zu existieren.

Dabei überbieten sich gerade die Vertreter:innen ebendieser „Mitte“ – von CDU/CSU, FPD, SPD, Grünen und neuerdings auch der BSW – mit unentwegten Forderungen nach „besserer“ Regulation der Migration. Auf ein rassistisches Gesetz folgt faktisch das nächste. Während die EU-Außengrenzen weiter dicht gemacht werden, patrouilliert die Bundespolizei an den deutschen Grenzen.

Während sich Faeser, Scholz, Baerbock und Lindner als Menschenfreund:innen inszenieren, beschließt die Ampel-Mehrheit am 18. Januar im Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, die jüngste einer Reihe rassistischer Gesetzesverschärfungen. Dies soll lt. Olaf Scholz ermöglichen, dass Asylbewerber:innen „im großen Stil“ abgeschoben werden. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei ausgeweitet werden. Außerdem sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind. Und schließlich sollen Widerspruch oder Klage gegen Abschiebungen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Union und AfD ging das nicht weit genug, aber ein weiterer Schritt Richtung Ausweisung aller „unnützen“ Migrant:innen ist das allemal.

Die fast zeitgleich beschlossene Erleichterung von Einbürgerungen kann das nicht nur nicht aufwiegen. Sie passt vielmehr ins Konzept der „kontrollierten“ Migration, wie sie auch das deutsche Kapital fordert.

Während die Regierung und andere „Demokrat:innen“ die völkische und nationalistische Hetze der AfD verurteilen, heizen sie selbst antimuslimischen und antiarabischen Rassismus an, kriminalisieren die Solidaritätsbewegung mit Palästina und wollen zukünftig Migrant:innen auf ihre „Verlässlichkeit“ hinsichtlich der deutschen Staatsräson überprüfen.

Alle diese rassistischen Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen stellen heute für Millionen Migrant:innen und Geflüchtete die unmittelbar größte Gefahr dar. Während die Regierung und die bürgerlichen Kräfte so tun, als würden sie den Nazis offensiv entgegentreten, schieben sie selbst „im großen Stil“ ab, versuchen, den Rechten und CDU/CSU den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich deren Forderungen zumindest teilweise zu eigen machen und umsetzen.

Gegen den Rassismus der Rechten – und von Staat und Regierung!

Wer konsequent gegen die völkischen, faschistischen und rechtspopulistischen Kräfte kämpfen und mobilisieren will, darf daher zum Rassismus der Regierung, zu den neuen Abschiebegesetzen, zum antimuslimischen Rassismus und zur Kriminalisierung von politisch oppositionellen Migrant:innen nicht schweigen. Antirassismus muss Kampf gegen diese staatlichen Maßnahmen inkludieren, ansonsten wird er selbst unglaubwürdig.

Zweitens müssen wir uns auch klar von der illusorischen Vorstellung abgrenzen, dass der Rechtsruck und die AfD durch ein Parteiverbot gestoppt werden würden. Damit würden weder der staatliche Rassismus noch Faschismus verschwinden. Vor allem aber verkennt diese Losung, dass das deutsche Kapital in einer zugespitzten Krise oder angesichts massiven Klassenwiderstandes auf AfD und weit rechtere Kräfte zurückzugreifen bereit ist. Schließlich kann die Forderung von bürgerlicher Seite auch leicht zur Begründung von Verboten linksradikaler „antidemokratischer“, außerhalb des „Verfassungskonsenses“ stehender Organisationen herangezogen werden, wie wir es schon heute bei solchen palästinensischer, kurdischer oder türkischer Organisationen sehen.

Um den Zulauf zur AfD zu stoppen, können und dürfen wir uns nicht auf den Staat verlassen und schon gar nicht dürfen wir uns an sie anpassen, wie das die BSW tut. Der Kampf gegen Rassismus und gegen Faschismus muss vielmehr als Teil des Klassenkampfs verstanden werden. Daher müssen wir in der Bewegung gegen die Rechten für die Herausbildung einer antirassistischen Einheitsfront der Gewerkschaften, der linken Parteien, der Migrant:innenorganisationen, der radikalen Linken kämpfen. Dazu müssen sich Linke, internationalistische und alle Organisationen der Arbeiter:innenbewegung an den Massenkundgebungen und Demonstrationen nicht nur beteilten, sondern auch offen und sichtbar für eine internationalistische und klassenkämpferischen Stoßrichtung eintreten.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Warum gehört Palästinasolidarität auf die Anti-AfD-Proteste?

Georg Ismael, Infomail 1242, 22. Januar 2024

Ganz einfach, weil die AfD ihre rassistische Hetze momentan im Besonderen mit antipalästinensischer Stoßrichtung vorantreibt!

Das wusstest du nicht? Dann einige Fakten dazu:

Bereits am 10.10.2023 brachte die AfD-Fraktion zwei Anträge in den Menschenrechtsausschuss ein. Einer forderte die Streichung aller Zuwendungen an das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Der zweite behauptete, dass palästinensische Jugendliche systematisch zu „Attentätern, Mördern und Selbstmordattentätern“ erzogen würden. Daher sei die Entwicklungshilfe für palästinensische Bildungseinrichtungen vollständig einzustellen. Mittlerweile sterben Menschen in Gaza an Hunger. Die Mehrzahl aller Schulen und Universitäten ist zerstört, unzählige Lehrer:innen, Professor:innen und Student:innen sind tot. Die AfD hält an diesen Positionen fest.

Gleichzeitig sagte AfD-Chefin Alice Weidel sehr früh, dass sie gegen jegliche Aufnahme von palästinensischen Geflüchteten ist. Heute ist Palästina der Kriegsschauplatz, auf dem die meisten Zivilist:innen sterben. Südafrika klagt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des Genozids an.

Im Berliner Abgeordnetenhaus brachte die AfD im Januar 2024 einen Antrag ein. Dieser fordert einen vollständigen und bundesweiten Stopp der Aufnahme palästinensischer Geflüchteter. In Berlin soll dies unmittelbar vom Senat umgesetzt werden, denn das palästinensische Volk sei laut AfD eines von Terrorist:innen.

Währenddessen unterstützt sie mittlerweile offen und aggressiv den Krieg gegen Gaza. Auch ist sie für die Verzehnfachung der  Waffenlieferungen an Israel eingetreten, die die Bundesregierung 2023 genehmigt hat.

Die AfD spielt eine ähnliche Rolle wie ihre rechten bis rechtsradikalen Freund:innen in den USA. Sie ist laut Umfragen die Partei im deutschen Bundestag mit den meisten Antisemit:innen unter ihren Mitgliedern und Wähler:innen. Gleichzeitig ist sie eine brennende Verfechterin des israelischen Staates und der zionistischen Apartheid.

Das ist eigentlich vollkommen „logisch“

Der israelische Staat verwirklicht mit seiner brutalen Unterdrückung und Vertreibung der Palästinenser:innen genau die rassistischen Gewaltphantasien, die der AfD auch in Deutschland insbesondere für nicht-europäische Menschen im Allgemeinen als auch für Araber:innen und Muslim:innen im Speziellen vorschweben.

Israel ist zunehmend ein Vorbild für die westliche rechtsradikale Szene. Sie feiert Israels „Ethnopluralismus“ und die „Remigration“ der Palästinenser:innen.

Ethnopluralismus ist ihr „modernes“ Wort für die „Zusammensetzung einer Gesellschaft nach rassischen und völkischen Merkmalen“. Remigration ist ihr „modernes“ Wort für Deportation und Vertreibung.

Gleichzeitig ist die AfD und sind ihre rechtsradikalen Anhänger:innen glücklich darüber, dass die meisten Jüdinnen und Juden fernab von ihnen leben. Die Aussage eines Rechtsradikalen bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Ich freue mich zu sehen, was dort unten passiert. Egal wer von einer Kugel getroffen wird: es trifft immer das richtige Ziel.“ So treffen sich antimuslimische, antiarabische und antisemitische Einstellungen deutscher Faschist:innen.

Wir haben also allen Grund, Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen die AfD zusammenzubringen! Die Wahrheit ist: Gerade Palästinenser:innen stehen aktuell im Zentrum der rassistischen Hetze sowohl von rechtsaußen als auch aus der „Mitte der Gesellschaft“.

Scholz forderte Abschiebungen von Palästinenser:innen, weil sie angeblich Antisemit:innen seien. Es gab bereits Fälle von Abschiebungen propalästinensischer Aktivist:innen. Gleichzeitig verzehnfachte die deutsche Regierung ihre Waffenlieferungen an Israel. Ganz nach dem Motto „Ich bin ja keine Rassistin. Meine Waffen töten nur ein unterdrücktes Volk.“

Die Regierung kriminalisiert und diffamiert Proteste für einen Waffenstillstand. Ein Beispiel: In Berlin wird unter Schwarz-Rot das Oyoun, ein migrantisch geprägtes, kosmopolitisches Kulturzentrum geschlossen. Der Grund: Die jüdische Stimme, die größte linke jüdische Organisation in Deutschland, spricht sich dort zu ihrem 20. Jubiläum gegen die Unterdrückung der Palästinenser:innen aus.

Die CDU will die Ausbürgerung von deutschen Staatsbürger:innen legalisieren. Das ist ein Gesetzesvorschlag, der aktuell im Parlament diskutiert wird, „Remigration“ light also, die von den Konservativen vorangetrieben wird.

Ampelregierung und CDU betreiben selbst rassistische Hetze und Politik. Gleichzeitig sitzen die noch gefährlicheren Rassist:innen und Antisemit:innen der AfD am rechten Rand des Parlaments. Sie klatschen und reiben sich die Hände, dass die Bundesparteien über den „Import von Antisemiten“ phantasieren, anstatt über die Antisemit:innen der AfD zu sprechen.

Wir kommen also zu dem Ergebnis: In Wirklichkeit müssten propalästinensische Stimmen auf Anti- AfD-Protesten nicht nur willkommen sein. Gerade Palästinenser:innen und linke antizionistische Juden/Jüdinnen müssten als Redner:innen auf den Bühnen der Proteste eingeladen werden.

Dass dies nicht so passiert, zeigt, wie verlogen der „Antirassismus“ der momentanen Organisator:innen ist. Grüne, SPD, die Linkspartei oder Gewerkschaftsführungen mögen aktuell an der Spitze der Proteste stehen. Aber das ist unsere Bewegung. Wir werden nicht schweigen.

Gegen jeden Rassismus, gegen jede Vertreibung – ob durch deutsche oder durch israelische Rassist:innen!




Der Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus

Markus Lehner, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Die Polarisierung zwischen einem „autoritären“, konservativen und einem „demokratischen“ bürgerlichen Lager kennzeichnet die Situation in vielen imperialistischen wie auch halbkolonialen Ländern. Die aktuelle kapitalistische Krise selbst befördert diese Polarisierung und die Tendenz zum Populismus, zur Radikalisierung im bürgerlichen Lager, dem ein vorgeblich demokratisches gegenübersteht.

Letzteres versucht, sich als „fortschrittliche Alternative“ zu präsentieren, und reicht von der liberalen Bourgeoisie (einschließlich Teilen der Konservativen) über die Grünen bis hin zur Sozialdemokratie und Teilen der Linksparteien und des Linkspopulismus.

Scheinalternative

Politisch steht es für Elemente der staatlichen Intervention, des Korporatismus, der Einbeziehung von Unternehmer:innen und Gewerkschaften oder anderen Vertretungsorganen der Lohnarbeit in die Sozialpartner:innenschaft.

Ökologische und ökonomische Versprechen wie der Green (New) Deal, begrenzte Sozialreformen, formale demokratische Verbesserungen für Frauen oder rassisch Unterdrückte sollen die Masse der Lohnabhängigen und Unterdrückten bei der Stange halten, ohne jedoch die Akzeptanz des Finanzkapitals und eine Erneuerung des Kapitalstocks in den jeweiligen Ländern in Frage zu stellen. All dies wird mit einer demokratisch verbrämten imperialistischen Außenpolitik kombiniert.

Es ist kein Zufall, dass eine solche Politik vor allem in den reicheren imperialistischen Ländern mit einer relativ großen Arbeiter:innenaristokratie und umfangreichen lohnabhängigen Mittelschichten eine gewisse Grundlage finden kann. In den Halbkolonien, aber auch in den bonapartistischen imperialistischen Regimen, muss die „Demokratie“ durch nationalistische und chauvinistische Ideologie ersetzt werden. Die populistisch organisierte Massenunterstützung muss dort auf solche Ideologien zurückgreifen, wie z. B. den zunehmenden völkisch konnotierten Nationalismus in Russland oder den Hinduchauvinismus in Indien.

Die Polarisierung im bürgerlichen Lager ist jedoch auch das Ergebnis der inneren Krise der Bourgeoisie und der veränderten Lage der Mittelschichten und des Kleinbürgertums. Die Krise untergräbt nämlich ihre Stellung in der Gesellschaft und drückt ihre wirtschaftlich aktiven Teile an die Wand. Die Kombination aus internen Konflikten in der Bourgeoisie und der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse führt dazu, dass die Mittelschichten und das Kleinbürgertum, enttäuscht von den Hauptklassen der Gesellschaft, eine scheinbar unabhängige Kraft hervorbringen – sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, zusammen mit einer Reihe von Schwankungen zwischen den Polen.

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich rechtspopulistische, scheinbar gegen das Establishment gerichtete Parteien und Organisationen als Scheinalternative des „kleinen Mannes“, der „normalen“ Menschen.

Faschismus

Neben dem bedrohlichen Anstieg rechtspopulistischer, rassistischer und rechtsextremer Organisierung darf die faschistische Gefahr in ihren verschiedenen Gestalten nicht vergessen werden. Nachdem die Linke lange Zeit in allen möglichen politischen Tendenzen und Verschärfungen staatlicher Repression bereits den „Faschismus“ ante portas (vor den Toren zur Machtergreifung) sah, stand sie lange Zeit fassungslos dem wachsenden populären Massenanhang für Antimigrationsmobilisierungen, Protesten gegen liberale Gesetzgebungen in Gender- oder Antidiskriminierungsfragen, Klimaschutzregeln, Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gegenüber. Die Konfrontation mit diesen rechten Massenphänomenen war für die sogenannte „antifaschistische“ Linke viel schwieriger als das Stoppen kleiner Neonaziaufmärsche oder -aktionen der Vergangenheit. Dabei können sich gerade Faschist:innen im Windschatten dieser Bewegungen in viel wirksamerer Weise aufbauen als früher.

Der Faschismus ist nicht bloß eine bestimmte, besonders reaktionäre ideologische Strömung innerhalb bürgerlicher Politik. Er stellt vielmehr die äußerste Form des konterrevolutionären Bürgerkriegs gegen die Gefahr der sozialen Revolution in Zeiten zugespitzter sozialer Krisen dar. In den 1920er/-30er Jahren war er das letzte Mittel der Bourgeoisie, um durch Massenmobilisierung die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung zu zerschlagen. Normalerweise vertraut bürgerliche Politik auf die Integration der Massen durch politisch-demokratische Institutionen, die bürgerliche Öffentlichkeit („Zivilgesellschaft“) und repressive Mittel des Staatsapparates. Darüber hinaus sollen radikalere Klassenkämpfe und damit verbundene reformistische und gewerkschaftliche Organisationen auch durch Mittel des Bonapartismus im Zaum gehalten werden – und sei es, um „Schlimmeres zu verhindern“.

Doch ab einem gewissen Punkt der Zuspitzung des Klassenkampfs bedarf die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung radikalerer Mittel, die auf die Zerschlagung nicht nur der sich selbst organisierenden und revolutionären Bewegungen der Klasse und Unterdrückten, sondern der gesamten organisierten Arbeiter:innenbewegung zielen. Der Zweck der organisierten und militanten Massenbewegung des Faschismus besteht dabei darin, über die staatliche Repression hinaus eine politische Atomisierung der Arbeiter:innen und Unterdrückten herbeizuführen. Für die faschistische Herrschaft ist nicht einfach die Übernahme der Machtpositionen im bestehenden Staat entscheidend, sondern auch die Bewegung hin zur Machtübernahme, die die Unterklassen durchdringt und jeglichen Widerstand im Keim erstickt. Es ist daher für den Faschismus charakteristisch, dass er als Bewegung des rabiaten Kleinbürger:innentums samt demoralisiertem Anhang in anderen Klassen beginnt und diese gesellschaftliche Kraft zu einer Bewegung, einem Rammbock gegen die Arbeiter:innenbewegung – und oft zuerst gegen deren unterdrückteste Teile – zusammenschweißt.

Eine solche totalitäre Form des Kampfes um die Macht erfordert eine organisierte Massenbewegung, die sich auf verzweifelte, von Aggression und Irrationalismus getriebene Teile von Unterklassen stützt, die in der sozialen und ökonomischen Krise aus ihrer bisherigen „bürgerlichen“ Scheinwelt entwurzelt wurden. Traditionell waren dies Teile des Kleinbürger:Innentums und des Lumpenproletariats. Mit der sich seit einigen Jahrzehnten entwickelnden Krise der Arbeiter:innenklasse selbst, ihrer größer werdenden Differenzierung und Spaltung sind es auch vermehrt Schichten der von der Krise betroffenen Lohnabhängigen, die, vom Reformismus enttäuscht, sich den rechten Rattenfänger:innen anschließen. So z. B. die Teile der Arbeiter:innenaristokratie, die vom Abstieg durch Veränderungen des Produktionsprozesses ins Abseits geschoben wurden. Umgekehrt können der Faschismus – und als Vorstufe der Rechtspopulismus – eine Anziehungskraft für deklassierte, marginalisierte Teile der Lohnabhängigen, die aus tariflich gebundenen Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen sind und von den Gewerkschaften nicht organisiert werden, verkörpern. Für diese Schichten erscheinen reformistische Teile der Arbeiter:innenbewegung als die „Krisengewinner:innen“ in der Klasse, die sich mit den Mittelschichtsgrünen arrangieren, als besondere Verräter:innen ihrer Interessen und damit neben den Migrant:innen als primäre Ziele ihres gesellschaftlichen Hasses.

Diese Formen der Entwurzelung, des Aufbaus von Ersatzhassobjekten, des Weltbildes von Verschwörungen eines „volksfremden“ Establishments gegen die eigentlich gute „bürgerliche“ Gesellschaft führen zu extrem aggressiven Formen von Massenmobilisierungen, die sich letztlich auch in bewaffneten Organen, von „Bürgerwehren“ bis hin zu Milizen, bündeln lassen. Zumeist besteht auch eine Nähe zum Personal der bewaffneten Kräfte des „normalen“ bürgerlichen Staatsapparates, wo es einen überdurchschnittlichen Anteil an Sympathien für rechte politische Strömungen gibt. So baut sich mit der Zeit ein Netzwerk von Waffenarsenalen, rechtem Terror und schließlich bewaffneten Organisationen auf, das zum Kampf um die Macht bereit ist.

Diese Form kam vielen Linken gerade in den westlichen Demokratien lange als Relikt der Vergangenheit vor und über Jahrzehnte hinweg bestand in vielen Ländern auch nicht die gesellschaftliche Basis für eine faschistische Massenbewegung (auch wenn es durchaus bedeutsame Ausnahmen gibt).

Faschistische Frontorganisationen

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren faschistische Parteien in Europa und Nordamerika nach den Erfahrungen des Nazi- und italienischen Faschismus außerdem weitgehend diskreditiert. Die überlebenden faschistischen Kräfte hatten daher drei Optionen: erstens das Überleben als mehr oder weniger unauffälliges Netzwerk in bürgerlich-parlamentarischen Parteien; zweitens als kleine, sektenartige Randgruppen; drittens aber auch durch den Aufbau von faschistischen Frontorganisationen. Insbesondere in Italien wurde mit der MSI (Movimento Sociale Italiano) eine Organisation gebildet, die weiterhin einen faschistischen Kern und entsprechende Ideologien enthielt, aber darüber hinaus als „normale“ Partei im parlamentarischen Rahmen agierte. MSI und später in Frankreich der FN (Front National) des Jean-Marie Le Pens konnten beschränkte Massenwirksamkeit erreichen, ohne die eigentlichen faschistischen Formen des Kampfes einzusetzen. Ihre respektable bürgerliche Fassade, ihr gewöhnlicher Rechtspopulismus konnten trotzdem faschistische Kerne an sich binden, die diese Form der Frontorganisation als Mittel ihres langfristigen Aufbaus für den eigentlichen militanten Kampf sahen.

Faschistische Frontorganisationen tragen somit wesentlich widersprüchliche Tendenzen in sich. Zwischen reinem Verbreiten „faschistischer Ideologie“ (die letztlich immer einen Mischmasch verschiedener, schon vorgefundener extrem reaktionärer Ideen darstellt) und dem tatsächlichem Kampf des Faschismus um die Macht besteht ein weites Feld. Sofern solche Fronten dann tatsächlich Funktionen im bürgerlichen Staat übernehmen ohne die entsprechenden Formen der faschistischen Machtergreifung, transformieren sich Teile ihrer Führung schnell zu gewöhnlichen rechtspopulistischen oder rechtskonservativen Politiker:innen und die faschistischen Kräfte spalten sich ab. So geschehen in den 1990er Jahren in der ersten Regierung Berlusconi in Italien, als seine Partei zusammen mit der Lega Nord und der zur Alleanza Nazionale (AN) gewandelten MSI eine Koalition einging. Dies war natürlich keine „faschistische Machtübernahme“. Die Regierungsbeteiligung führte vielmehr zur „Verbürgerlichung“ eines Teils der MSI und der Abspaltung der „traditionellen Faschist:innen“, aus denen später die Fratelli d’Italia (FdI) entstand. Offenbar wiederholt sich gegenwärtig derselbe Prozess mit letzterer – auch wenn die faschistische Front diesmal sogar die stärkste Kraft in der Koalition ist. Der FN in Frankreich machte schon vor der möglichen Regierungsbeteiligung einen solchen Wandlungsprozess durch, in dem er sich in das Rassemblement National (RN) umbaute.

Während der Globalisierungsperiode entwickelte sich ein breites Spektrum von rechtspopulistischen, rechtsextremen bis hin zu faschistischen Organisationen, die an diese Vorgeschichte anknüpften. War nationale Abschottung zwar angesichts der faktischen Gewalt der kapitalistischen Globalisierung kein realistisches Politikprojekt, so wurden nationalistische Scheinantworten auf die sozialen Folgen der Globalisierung immer verbreiteter. Dies betraf nicht nur Phänomene wie verstärkte Standortverlagerungen oder Arbeitsmigration, sondern auch wachsenden Verlust nationaler Gesetzgebungskompetenz angesichts der übermächtigen Kapitalströme. Mit dem Aufkommen verstärkter Krisentendenzen am Ende der Globalisierungsperiode haben irrationale nationalistische Alternativen zur Globalisierung immer mehr an politischem Gewicht gewonnen. Dies ist nicht nur in der völligen Überhöhung von Fragen der Migration oder von „Genderwahn“ & Co. zu sehen, sondern in Europa insbesondere an Fragen der EU-Integration. Letzteres führt im EU-Raum zu verschiedenen Formen von Austrittsbewegungen, zu Bewegungen oder Kampagnen gegen bestimmte EU-Vorgaben, an denen sich rechte und faschistische Kräfte aufrichten können. Die Rechte benutzt teilweise berechtigte EU-Kritik zur Selbstinszenierung als Antiestablishmentkämpferin gegen „Globalismus“, „EU-Establishment“, den „woken Totalitarismus“ etc.

Die AfD

Der Aufstieg der AfD muss im Rahmen dieser allgemeinen Tendenz betrachtet werden, auch wenn sich ihre Entstehung und Entwicklung deutlich von jener faschistischer Frontparteien unterscheidet. Gegründet wurde sie weitgehend von EU-kritischen rechten U-Booten in den etablierten konservativen Parteien (CDU, CSU, FDP), insbesondere aus der Ablehnung des Euro heraus. Massenwirksam wurde die AfD jedoch vor allem durch extrem rassistische Mobilisierung rund um Migrationsfragen. Dadurch konnten sich auch rechtsextreme Kreise in der Führung der AfD immer mehr durchsetzen. Einer Wählerschaft von 10 – 20 % in Deutschland sind angesichts der Wirkung von kritischer Demagogie bezüglich EU- und Migrationspolitik die offensichtlich rechtsextremen Figuren in verschiedenen Führungspositionen der Partei immer unwichtiger. Inzwischen wird die Partei durch den rechtsextremen „Flügel“ unter dem neuen „Führer“ Bernd Höcke dominiert. Er weist tatsächlich viele Merkmale einer faschistischen Frontorganisation auf, auch wenn sein Verhältnis zu offenen Naziorganisationen wie den „Freien Sachsen“ durchaus auch konfliktbehaftet ist. Gerade wo sich der AfD und auch den vom „Flügel“ geführten Organisationen parlamentarische Möglichkeiten eröffnen (z. B. bei parlamentarischen Manövern mit CDU und FDP in Thüringen), ist auch letzterer dem Spannungsverhältnis von bürgerlichem Politikbetrieb und offenem Faschismus ausgesetzt. Das Konstrukt der AfD erlaubt den faschistischen Kernen jedoch, sich genügend fern von der Diskreditierung durch etablierte bürgerliche Politik zu halten, aber gleichzeitig genügend nahe am bestehenden Politikbetrieb zu bleiben, um neue Anhängerschaft und Geldmittel zu rekrutieren. So bauen sie sich auf, als reale politische Kraft, die im Fall der Fälle für den Kampf um die politische Macht im faschistischen Sinn bereit steht. Auch wenn die AfD insgesamt als rechtspopulistische Partei charakterisiert werden muss, die ihre Klientel vor allem als Wähler:innen organisiert und weiter auf eine Koalition mit Konservativen und anderen Rechten abzielt, so enthält sie auch einen stärker werdenden inneren Teil, der eine faschistische Frontorganisation darstellt.

Anderswo in Europa gibt es verschiedene Formen ähnlicher „Konstrukte“, in denen sich Faschist:innen auf ihre zukünftige Rolle vorbereiten. Die „Schwedendemokraten“ entstanden direkt aus einer offen faschistischen Organisation, die sich ähnlich MSI/AN/FdI im letzten Jahrzehnt in eine rechtspopulistische Partei mit extrem rassistischen Positionen umwandelte. Erhalten blieben jedoch jeweils faschistische Kerne, die entsprechende Frontorganisationen innerhalb der „gemäßigten“ etablierten Partei bilden und sich oft auch auf eine breitere Unterstützung innerhalb der Mitgliedschaft dieser Organisationen stützen können. Bei Diskreditierung durch Teilnahme an Koalitionsregierungen oder deren Duldung besitzen die faschistischen Kerne genügend Spielraum, um weiterhin als „Opposition“ zu agieren oder eventuell auch Neugründungen anzustoßen. Auch hier wird mit diesen Konstrukten eine reale faschistische Machtalternative zumindest vorbereitet.

Halbkolonien

In Halbkolonien ist der Aufbau faschistischer Organisationen als Kampfmittel zur entsprechenden Machteroberung weiterhin schwieriger, da die entsprechenden vom Abstieg betroffenen Mittelschichten, die von reformistischen Organisationen enttäuscht sich nach alter nationaler Größe zurücksehnen, nicht so ausgeprägt sind wie in den imperialistischen Zentren. Solche faschistischen Kräfte treten daher eher in ökonomisch entwickelteren Halbkolonien wie Brasilien auf. In der islamischen Welt erfüllen extrem islamistische Kräfte oft die Rolle der Atomisierung und Zerschlagung von progressiver Organisierung der Arbeiter:innen und Unterklassen. Dabei rekrutierte z. B. der Islamische Staat (Daesch) seine Militanten tatsächlich sehr stark unter deklassierten Jugendlichen aus imperialistischen Ländern. Der Aufstieg Bolsonaros in Brasilien ist verbunden mit der Bildung verschiedener reaktionärer Organisationen z. B. rund um evangelikale Kirchen, bewaffnete Milizen von Agrarunternehmer:innen, Teile von Vereinigungen Angehöriger von Polizei und Armee, reaktionäre Transportunternehmer:innen und ihre Beschäftigten, offen rechtsextreme Organisationen (z. B. Movimento Direita in Minas Gerais) etc. Diesem Amalgam von bewaffneten Gruppierungen fehlte jedoch bisher die vereinigende politische Organisierung. Die reaktionäre Clownerie des Bolsonaro genügte zwar, um Wahlkämpfe zu führen und eine Welle von rechtem Terror auszulösen, aber nicht für eine faschistische Form der Machtübernahme – daher als (vorläufig) ultimative Losung der Aufruf zum Militärputsch. Ob die neuen Parteien des Bolsonarismus, die PL und die Republikaner:innen, faschistische Frontorganisation werden, hängt davon ab, ob sich jenseits der politischen Figuren im üblichen Politikbetrieb von Kongress, Einzelstaaten und Lokalverwaltungen tatsächliche faschistische Kader mit stabilen Organisationsstrukturen herausbilden, die in diesen Parteien eine wesentliche Rolle spielen können. Gerade bei Ex-Militärs und im Umfeld der Agrarbosse haben sich in den Mobilisierungen nach der Niederlage Bolsonaros bereits entsprechende Personen profiliert.

Auch wenn sich faschistische Kräfte heute vor allem im Windschatten reaktionärer rechter Parteien aufbauen, werden die Opfer der extremen Rechten immer zahlreicher. Zunächst bedeutet die allgemeine Rechtsverschiebung eine repressivere Politik gegenüber Migrant:innen und Minderheiten aller Art ebenso wie ein brutaleres Vorgehen rechtslastiger „Sicherheitskräfte“. Durch die Unterstützung von rechten Medienkonzernen oder die Kampagnen in den „sozialen Medien“ wird ein Klima der Angst und Hetze gegen Linke, unliebsame Journalist:innen und Lokalpolitiker:innen, Wissenschaftler:innen, Migrant:innen, Minderheiten etc. erzeugt, das sich auch über Drohungen hinaus bewegt. Verstärkt tritt rechter Terror nicht nur in Einzeltaten, sondern auch in geplanten Aktionen zutage. Es verwundert nicht, dass in diesen Gewaltakten auch der Antisemitismus wieder eine Rolle spielt. Rechte Parteien und ihre Sympatisant:innen im Polizeiapparat verharmlosen diesen Gewaltanstieg bzw. kriminalisieren den Widerstand dagegen.

Reformistische Irrwege

Die Reaktion der reformistischen Organisationen bzw. von progressiven Mittelschichtparteien wie den Grünen besteht zumeist in der Forderung nach Schulterschluss der „Demokratie“ zur Verhinderung der Machtbeteiligung der Rechtsextremen. Im Windschatten vertreten auch Teile der extremen Linken neue Varianten der Volksfrontpolitik in Form von „demokratischen Allianzen“ (wie jüngst bei der Wahl in Brasilien). Das Problem des Verbündens mit offen bürgerlichen Parteien, die noch nicht zur Zusammenarbeit mit der extremen Rechten bereit sind, liegt darin, dass sie die reformistischen Organisationen und die Linke zu noch mehr Zugeständnissen an die bürgerliche Krisenpolitik zwingen und sowieso viele Forderungen der extremen Rechten z. B. in der Migrationspolitik mit aufgegriffen werden. Die extreme Rechte kann so die Enttäuschung über den Reformismus noch weiter vorantreiben und sich als die „wahre Opposition“ des „kleinen Mannes“ gegenüber dem vereinigten Establishment der „Volksfeind:innen“ präsentieren. Wie schon in den 1930er Jahren geschehen, gerät die Volksfront so zur Wegbereiterin des Aufstiegs des Faschismus.

Gewisse Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit und auch der Linken vertreten die Ansicht, dass sich die extremen Rechten am besten durch tatsächliche Regierungsbeteiligung entlarven ließen, in der sie demonstrieren müssten, dass sie für den Großteil ihrer ärmeren Wähler:innen nicht nur nichts bewirken würden, sondern sogar weitere Verschlechterungen betreiben. Dies verkennt den irrationalen Kern der Basis der extremen Rechten, die durch solche Tatsachen nur davon überzeugt werden, dass der „tiefe Staat“ und die Machthaber:innen „hinter den Kulissen“ die eigenen Führer:innen an der Durchsetzung ihrer Politik hindern würden. Auch dies führt letztlich nur zur weiteren Radikalisierung und Bildung neuer, noch rechterer Organisationen. So wurde die österreichische FPÖ bei ihren Regierungsbeteiligungen jedes Mal in fürchterlicher Weise entlarvt – um dann kurze Zeit später in neuem, weiter rechts stehendem Gewand in alter Stärke wiederaufzuerstehen. Auch das Debakel der „Dänischen Volkspartei“, die während ihrer Regierungstolerierung von 20 % auf heute unter 3 % abstürzte, brachte nur die noch rechtere Partei der „Dänendemokraten“ hervor, die von ihr die Führungsrolle übernahm.

Das dänische Beispiel zeigt auch ein weiteres ungeeignetes Modell: Hier übernahm die größte reformistische Partei, die Sozialdemokratie, wesentliche Teile des rassistischen Migrationsprogramms der Rechten, um es mit klassischer Sozialpolitik für die „eigenen“ Unterschichten zu verbinden. Dieses Modell einer rechtsnationalen Sozialdemokratie wurde tatsächlich für einige sozialdemokratische Parteien nicht nur in Skandinavien zu ihrem modernen Weg ernannt. Auch wenn es teilweise in Wahlen erfolgreich war, verhindert es nicht, dass sich dadurch der rechte Irrationalismus weiter bestärkt fühlt und letztlich doch wieder das „Original“ gewählt wird – insbesondere wenn die so nach rechts gewendete Sozialdemokratie dann doch wieder klassische bürgerliche Krisenpolitik betreibt. Ähnlich verfehlt ist die Strategie, links von der Sozialdemokratie linkspopulistische Organisationen aufzubauen, die ebenso eine offene Flanke gegenüber Rassismus und sozialchauvinistischer Migrationspolitik aufweisen. Auch wenn Mélenchon in Frankreich oder Wagenknecht in Deutschland zeitweise in der Lage sind, Wähler:innen von den Rechten in ihre Richtung zu lenken, so bestärken sie ihrerseits die gesellschaftlichen Spaltungen in den Unterschichten, die gerade zum Aufstieg der Rechten führen.

Kampf

Mit dem Faschismus gibt es letztlich keine „diskursive“ politische Auseinandersetzung. Faschistische Kader müssen je nach Kräfteverhältnis in direkter Aktion an ihrer politischen Aktivität gehindert werden. Ihnen darf keine öffentliche Plattform gestattet werden. Dies betrifft auch Faschist:innen am Arbeitsplatz oder in Gewerkschaften, wo wir für ihren Ausschluss eintreten. Auch ihr Antritt bei Wahlen muss mit gebotenen Mitteln ver- oder behindert werden. Dabei vertrauen wir nicht auf den bürgerlichen Staat oder seine Organe (da etwaige Verbote sowieso vor allem gegen Linke eingesetzt werden), sondern auf die Einheitsfront von Arbeiter:Innenorganisationen und Vereinigungen anderer gesellschaftlich Unterdrückter.

Bei den rechtspopulistischen Organisationen wie der AfD oder auch der breiteren Wähler:innenschaft von Frontorganisationen ist ein differenzierteres Vorgehen notwendig, da ihre Anhängerschaft nur zu einem gewissen Teil aus Faschist:innen besteht. Entscheidend ist aber auch hier die Einheitsfront, insbesondere die Forderung an die führenden reformistischen Organisationen,  mit der bürgerlichen Krisenpolitik (die mit den „demokratischen Allianzen“ noch verstärkt wird) zu brechen und sich in einen gemeinsamen Kampf gegen kapitalistische Angriffe und rechte Hetze einzureihen. Den Rechten darf der Krisenprotest nicht überlassen werden aus lauter Angst vor „Querfronten“. Dabei muss in solchen Einheitsfrontaktionen auf den Ausschluss rechter Kräfte und die Verteidigung der Aktionen gegen Unterwanderung durch Rechte gedrängt werden. Aktionen der rechten Frontorganisationen, in denen faschistische Kader eine wichtige Rolle spielen, z. B. Mobilisierungen gegen Geflüchtete müssen ähnlich wie direkt faschistische Aktionen konfrontiert werden. Politische Veranstaltungen der klassischen Art wie z. B. Wahlkundgebungen oder Diskussionsveranstaltungen können je nach Kräfteverhältnis rein propagandistisch angegriffen oder gestört werden. Dabei steht das Aufzeigen der politischen Alternative und die Schwäche der Rechten bei den entscheidenden Fragen gerade gegenüber unentschlossenen, verunsicherten Personen aus den sozial bedrängten Unterschichten im Vordergrund.

Die wichtigste Waffe gegen den Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus ist jedenfalls das konsequente Vorantreiben einer internationalistischen antikapitalistischen Alternative und das Aufzeigen des revolutionären Weges dahin. Nur dies kann die Scheinalternativen der nationalen Abschottung, des Vorantreibens gesellschaftlicher Spaltungen und des Aufbaus von Ersatzfeind:innen für den/die eigentliche/n Klassenfeind:in als Irrwege entlarven. Die Einheitsfront bildet ein zentrales Instrument zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltungen, wie sie von den Rechten benutzt werden. In der Einheitsfront erleben die Arbeiter:innen und Unterdrückten die Solidarität über Grenzen der nationalen Herkunft, Geschlechteridentitäten, Verdienst- und Bildungsunterschiede, kulturellen und schichtspezifischen Verschiedenheiten hinaus.

Sie ist aber vor allem auch ein wichtiges Instrument, um die weiterhin bestehende Mobilisierungsfähigkeit reformistischer Organisationen und der Gewerkschaften zu nutzen und ihre Führung vor den Massen dem Test der Praxis zu unterziehen. Trotzki wies 1932 in „Was nun?“ darauf hin, dass die Lage der Arbeiter:innenbewegung angesichts von Niederlagen, Krise und Aufstieg der Nazis aussichtslos zu sein schien, dass aber gerade die aus der Situation der Defensive entstehenden Kämpfe eine Perspektive der Offensive eröffnen würden: „Man darf nicht vergessen, dass die Einheitsfrontpolitik im Allgemeinen in der Defensive viel wirksamer als in der Offensive ist. Konservativere oder zurückgebliebenere Schichten des Proletariats lassen sich leichter in den Kampf ziehen, um das zu verteidigen, was sie bereits besitzen, als um Neues zu erobern.“

Bei einem klaren strategischen Plan der revolutionären Partei für den erfolgreichen Aufbau der Einheitsfront besteht die weitergehende Perspektive: „Der Widerstand der Arbeiter gegen die Offensive von Kapital und Staat wird unvermeidlich eine verstärkte Offensive des Faschismus hervorrufen. Wie bescheiden die ersten Verteidigungsschritte auch sein mögen, die Reaktion des Gegners wird unverzüglich die Reihen der Einheitsfront zusammenschließen, die Aufgaben erweitern, die Anwendung entschiedenerer Maßnahmen erforderlich machen, die reaktionären Schichten der Bürokratie von der Einheitsfront abschütteln, den Einfluss des Kommunismus steigern, die Barrieren innerhalb der Arbeiterschaft schwächen und damit den Übergang von der Defensive zur Offensive vorbereiten.“




Ihre Freiheit ist eine Lüge

ArbeiterInnenmacht-Rede zum AfD-Gegenprotest in Herrenberg, Infomail 1176, 25. Januar 2022

Hallo GenossInnen,

wie wir wissen, schießen die Infektionszahlen in diesen Tagen wieder mal in die Höhe und scheinbar geht auch einigen Leuten dabei im Kopf die Sicherung durch. Zu der Omikron-Welle kommt jetzt zu allem Unglück noch eine Spaziergangswelle von Verwirrten, die mit hohlen Freiheitsphrasen um sich schmeißen.

Für diese Leute ist die Verweigerung des Maskentragens und der Impfung der letzte Hort der Freiheit. Sie halten sich nicht an den Infektionsschutz und denken, das sei ein Widerstandsakt. Die AfD fühlt sich berufen, diesen SpinnerInnen eine Stimme zu geben.

Die AfD fordert Freiheit für das egoistische Individuum. Die ganz reale Unfreiheit – der Lohnabhängigen, von rassistisch Unterdrückten, von Frauen oder LGBTQ-Personen – verteidigt sie als Gesetz der Natur.

Wir wollen diesen reaktionären Haufen nicht mehr sehen!

Der gemeinsame Nenner der sogenannten SpaziergängerInnen ist Wissenschaftsleugnung und Ablehnung des Infektionsschutzes. Unsoziales, gemeingefährliches und egoistisches Verhalten wird zur Protestkultur einer Bewegung der vermeintlich Fitten, die denken, Corona könne ihnen nichts anhaben.

Woher kommt dieser absurde Möchtegernprotest?

Den Nährboden für diese reaktionäre Bewegung haben die Regierungen mit ihrer gescheiterten Pandemiepolitik selbst bereitet. Deren Ziel war nie der Schutz von Leben und Gesundheit, sondern, die kapitalistische Profitmaschine am Laufen zu halten. Es gilt als Erfolg, dass schwerkranke PatientInnen einen Beatmungsplatz bekommen. Dass sie an einer vermeidbaren schweren Krankheit leiden, wird als unvermeidbarer Kollateralschaden verbucht, damit die kapitalistische Wirtschaft weiterlaufen kann.

Das ist menschenverachtende Politik im Interesse des Kapitals!

Letzten Sommer wurde das baldige Ende der Pandemie angekündigt und es wurden daher auch keine Vorbereitungen für die vierte Welle getroffen. Mittlerweile ist das faktische Ziel der Bundesregierung die Durchseuchung der gesamten Bevölkerung. Karl Lauterbach, unser ach so toller Gesundheitsminister, dem seit jeher ein auf Profiterwirtschaftung getrimmtes Gesundheitswesen wichtiger ist als Menschenleben und der maßgeblich die Einführung der DRGs vorangetrieben hat als „Berater“ der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, rechnet selbst mit mehreren hunderttausend Neuinfektionen pro Tag und trägt das vor, als wäre es die Wettervorhersage!

Die Regierung versucht, die Durchseuchungspolitik zu verschleiern, und stellt sie so dar, als stünde sie im Einklang mit der Wissenschaft. Das ist sie natürlich nicht. ExpertInnen warnen davor, Ungeimpfte egal welchen Alters einer Infektion mit der Omikron-Variante auszusetzen. Auch zweifach Geimpfte tragen ein Erkrankungsrisiko. Solange die Hälfte der Bevölkerung keine dritte Impfung erhalten hat und sogar 3 Millionen (!) Über-60-Jährige ungeimpft sind, ist das Laufenlassen der Pandemie zynisch. Diese Politik nimmt den Tod von Tausenden in Kauf und Long Covid für Millionen, und sie macht die Entstehung neuer Virusvarianten wahrscheinlich.

Dabei gäbe es eine Alternative: Konsequenter Infektionsschutz, der keine Rücksicht auf Profitinteressen nimmt, Aussetzung von Tätigkeiten mit hohem Infektionsrisiko, systematische Umsetzung, Kontrolle und Verbesserung der Maßnahmen in allen Betrieben, Schulen und Unis.

Einen solidarischen Umgang mit der Pandemie müssen wir erkämpfen – gegen Regierung und Kapital!

Die Politik hat die Gefahr durch Corona systematisch verharmlost und die Verantwortung für den Gesundheitsschutz dem Individuum übertragen. Die Rechten denken diese Politik konsequent zu Ende und verbinden sie mit Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung.

Diesen Verschwörungsglauben können wir nicht mit Aufklärung besiegen.

Wir müssen den Rechten die Straße nehmen!

Wir müssen ihnen aber auch eine progressive Antwort auf Pandemie und Krise entgegensetzen, damit klar wird, wie systemkonform ihr lächerlicher Protest eigentlich ist!

Das heißt, wir müssen den Kampf gegen rechts verbinden mit dem für eine solidarische Pandemievorsorge, gegen Entlassungen und Schließungen von Krankenhäusern, für mehr Personal in den Kliniken, für mehr Gehalt für alle Beschäftigten!

Außerdem ist es unerlässlich, dass wir für die Freigabe der Impfstoffpatente weltweit eintreten, damit diese global produziert und verteilt werden können. Gerade in den halbkolonialen Ländern, die formal unabhängig, aber ökonomisch von den imperialistischen Zentren wie beispielsweise Deutschland abhängig sind, ist es von enormer Bedeutung, dass die Bevölkerung Zugang zu kostenlosen Impfungen erhält, da man dadurch weitere Mutationen des Virus eindämmen kann und es nicht weiter zu fatalen Varianten kommt, deren Folgen nicht abzuschätzen sind.

Gegen den rechten Spuk hilft nur die Mobilisierung der organisierten ArbeiterInnenklasse, die für eine rationale Lösung der Pandemie kämpft – also mit antikapitalistischer Politik gegen die Auswüchse kapitalistischer Krise und Pandemiepolitik!

In diesem Sinne, lasst uns den Kampf gegen AfD und Pandemie gemeinsam führen!




Tragödie und Farce in Thüringen

Martin Suchanek, Infomail 1088, 10. Februar 2020

„Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen
weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er
hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als
Farce.“

Mit diesen Worten beginnt Marx die Abhandlung
„Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“. Auch wenn wir die geschichtliche
Bedeutung der Farce im Thüringer Landtag, der Wahl Kemmerichs zum
Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden nicht überhöhen wollen, so drängt sich der
historische Bezug auf – und die Frage, wie wir verhindern können, dass auf die
Farce eine neue Tragödie folgt.

Anfang 1930 trat die NSDAP erstmals in der
Weimarer Republik in eine Landregierung ein. Die Baum-Frick-Regierung aus
Deutscher Volkspartei, Deutschnationaler Volkspartei, dem Thüringer Landbund
und der Reichspartei des deutschen Mittelstandes und der Nazis markierte einen
wichtigen Schritt zur Anerkennung des Faschismus als möglichen
Koalitionspartner „gemäßigter“ bürgerlicher Parteien und als politische Kraft
im Interesse des deutschen Imperialismus.

Wie alle historischen Analogien gibt es
natürlich wichtige Unterschiede zwischen 1930 und 2020. Die AfD stellt keine
faschistische Partei dar, auch wenn sich mehr und mehr Rechtsextreme in ihr und
um sie tummeln – gerade im von Höcke geführten Landsverband.

Nicht minder bemerkenswert sind freilich die
Parallelen. Auch die bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik meinten, die
NSDAP „auszunutzen“, betrachten Hitler und seine Gefolgsleute oft als
nützliche, kulturlose IdiotInnen.

Die Farce

So gratulierten am 5. Februar der FDP-Vorsitzende Lindner und sein Vize Kubicki ebenso wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung und Thüringer CDU-Vize Hirte Kemmerich zur Wahl zum Ministerpräsidenten.

Erst als sich öffentliche Empörung – bis hin zur
offenen Verurteilung des Thüringer Manövers durch die CDU/CSU-Spitze und
etliche Vorstandsmitglieder der FDP – regte, traten die Landesverbände einen
Teilrückzug an.

Hatten sie die Wahlhilfe der AfD zuvor noch für
den „Erfolg der Mitte“ billigend in Kauf genommen und als günstigen Zufall
heruntergespielt, so wollten sie nun von den Rechten getäuscht worden sein.
FDP-Chef Lindner stilisiert mittlerweile die FDP gar zum Opfer einer besonders
perfiden Taktik der AfD.

Dabei hatte sie noch kurz zuvor, ebenso wie AfD und CDU, die Abwahl von Rot-Rot-Grün gefeiert. Das Zusammenwirken von CDU, FDP und AfD stellt darüber hinaus in Thüringen auch keine Neuheit dar – sie kulminierte allerdings am 5. Februar darin, sich mit ihrer Hilfe eine Mehrheit für Kemmerich zu verschaffen.

Die Abwahl des „roten Bodo“ war das Ziel, das
die 3 Fraktionen einte. Schon 2014 demonstrierten sie gemeinsam gegen einen
„sozialistischen“ Ministerpräsidenten. Manche beschworen gar die Rückkehr der
SED. Damals skandierten CDU, FDP, AfD in trauter Eintracht mit
neofaschistischen Kreisen „Ramelow hau ab“, begleitet von einem Fackelumzug vor
der Erfurter Staatskanzlei.

Dass die AfD zur Wahl eines CDU- oder
FDP-Kandidaten bereit wäre, verkündete Höcke schon unmittelbar nach der
Landtagswahl 2019; ebenso wurde mittlerweile offenkundig, dass es informelle
Gespräche zwischen VertreterInnen der drei Parteien seit November gegeben
hatte. Der „Überraschungscoup“ war so überraschend also nicht – zumal die Thüringer
CDU noch vor der Abstimmung im Parlament auf die mögliche AfD-Taktik aufmerksam
gemacht worden war, sich aber offenkundig dazu entschied, die Warnung zu
ignorieren.

Die Züge einer Farce nahm das rechte Manöver
nicht nur wegen der albernen Ausreden und Lügengeschichten an, sondern auch
weil FDP und CDU kalte Füße kriegten. Aufgrund des öffentlichen Drucks und
dramatischer Verluste in den Umfragen wurde der Rückzug angetreten – wenn auch
mit etlichen Winkelzügen. Sie konnten zwar am Amt des Ministerpräsidenten nicht
mehr festhalten – andererseits wollten und wollen sie keine Neuwahlen und erst
recht keine Inthronisierung Ramelows zum Ministerpräsidenten.

Kemmerich verkündete erstmals 25 Stunden nach
der Wahl, sein Amt niederzulegen, ließ aber Datum und Modalitäten offen. Nach
einem Rücktritt vom Rücktritt, am 8. Februar, legte er sein Mandat nieder. Er
bleibt aber gemäß Landesverfassung weiter geschäftsführender Ministerpräsident
bis zur Wahl eines Nachfolgers durch den Landtag. Er könnte also, wenn auch
ohne gewählte Regierung, noch bis zu einer Neuwahl des Parlaments und zur
Bildung einer Regierungsmehrheit weiter sein Unwesen treiben.

Die historische Analogie

Ein besonderes Kapitel der öffentlichen
Diskussion nehmen historische Vergleiche ein. Bodo Ramelow war einer der
ersten, der diese ins Spiel brachte, als er auf die Parallele zur Beteiligung
der NSDAP an der Thüringer Landesregierung 1930 verwies.

Die Parteien der WiederholungstäterInnen von
Erfurt empörten sich – ebenso wie Kommentarspalten der bürgerlichen Presse.
FAZ-Kommentare wiesen z. B. auf die Unterschiede hin, darauf, dass die AfD
keine faschistische Partei wäre, … Der Unterschied im Charakter der beiden
Parteien besteht zweifellos, und sicherlich sollten sich auch Linke davor
hüten, eine aggressive, rassistische und völkische rechts-populistische Partei
mit einer faschistischen gleichzusetzen. Richtig sind sicherlich auch die
Verweise darauf, dass sich die bürgerliche Mitte nicht zum ersten Mal von einer
rechten Partei an die Spitze eines Bundeslandes wählen ließ. So koalierte die
Hamburger CDU unter Ole von Beust Bürgermeister von 2001–2003 mit der „Partei
Rechtsstaatlicher Offensive“ (PRO; Schill-Partei).

Doch diese Unterschiede dürfen über den Kern der
historischen Analogie nicht hinwegtäuschen. Wenn Hegel und in seinem Gefolge
Marx davon sprechen, dass sich die Geschichte wiederhole, so darf das nicht als
Duplizieren aller politischen Faktoren und Konstellationen missverstanden, darf
nicht vergessen werden, dass jede solche Wiederholung immer auch Unterschiede
kennt.

Entscheidend für Hegel ist, dass sich darin die
geschichtliche Bedeutung bestimmter Ereignisse zeigt. So heißt es in den
Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte: „Durch die Wiederholung wird das,
was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und
Bestätigten.“ Den Kern dessen bildet nicht, dass alle AkteurInnen denselben
„Charakter“ hätten – so betrachtet könnten sie, um im Bild von Marx zu bleiben,
nie einmal als Tragödie, einmal als Farce auftreten -, sondern dass in beiden
Ereignissen zugrunde liegende, tiefere gesellschaftliche Gegensätze zum
Ausdruck kommen.

Die Parallelität der politischen Lage von 1930
und 2020 liegt darin, dass die zunehmenden krisenhaften Tendenzen des
Kapitalismus und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf Seiten der
herrschenden Klasse eine Krise des tradierten politischen Systems
hervorbringen, die wachsende Teile des Kapitals wie immer größere bürgerliche
und kleinbürgerliche Schichten zur Überzeugung treiben, dass Bündnisse mit
rechten Kräften, denen bislang der Zutritt zur Regierung verweigert wurde,
notwendig werden. Hier liegt, bei allen Unterschieden von AfD und NSDAP, die
historische Parallele und auch die neue, bedrohliche reaktionäre Qualität der
Thüringer Ereignisse.

Dass dieser Prozess in anderen Ländern wie
Österreich oder Italien noch viel deutlich weiter vorangeschritten ist,
verdeutlicht nur, dass es sich um keine Episode, sondern um eine allgemeine
reaktionäre Tendenz unserer Zeit handelt.

Krise der Union – Rücktritt von
Kramp-Karrenbauer

Die Bedeutung der politischen Zäsur von Erfurt
liegt letztlich weniger darin, wie in Thüringen die Regierungskrise bewältigt
wird. Das halb abgebrochenen Manöver hat die Krise von FDP und CDU verlängert,
ja vertieft. Die Ankündigung des Rücktritts von Kramp-Karrenbauer als
CDU-Vorsitzende im Sommer 2020 und ihr Verzicht auf die nächste
KanzlerInnenkandidatur stellt den bisherigen Höhepunkt der Entwicklung dar. Der
Flügelkampf unter den Konservativen wurde nicht befriedet, er bricht offen aus.
Die Thüringer CDU hatte sich nicht nur gegenüber den Warnungen der Bundespartei
vor der AfD taub gezeigt, sie war auch nicht bereit, der Forderung der
Parteivorsitzenden nach Neuwahlen zu folgen. Deren bewusst in Kauf genommene
Demontage verdeutlicht die tiefen Risse innerhalb des bürgerlichen Lagers.
Nachdem die Bildung einer von der AfD geduldeten CDU-FDP-Minderheitsregierung
nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Bundespartei vorerst abgeblasen werden
musste, werden sich somit viele aus dem Landesverband über den Rücktritt der
ungeliebten und politisch ohnmächtigen Vorsitzenden freuen.

Teile der ostdeutschen CDU-Landesverbände und
die national-konservative Werteunion unterstützten und unterstützen offen die
Taktik von CDU-Landeschef Mohring. Dieser Flügel der Union strebt eine nächste
Kanzlerschaft mit der FDP an und will dafür auch einen Pakt mit der AfD nicht
ausschließen. In jedem Fall zieht er diese einer Koalition mit Grünen, SPD oder
beiden vor. Bundestagsabgeordnete der „jungen Gruppe“ – zumeist Merz-AnhängerInnen
– wie auch zahlreiche Abgeordnete, FunktionärInnen und Mitglieder aller
ostdeutschen Landesverbände gehen in eine ähnliche Richtung. Dort bedroht die
AfD die Position der CDU als führende bürgerliche Kraft. Nicht allein das
KleinbürgerInnentum trägt die AfD, auch politisch rückständigere Teile der
ArbeiterInnenklasse wählen sie. Aber auch für Teile der KapitalistInnenklasse
wird sie angesichts der tiefen Krise der EU, drohender wirtschaftlicher
Einbrüche und der verschärften internationalen Konkurrenz zu einer Option, da
all diese Entwicklungen eine substantiell härtere, nationalistische Gangart
erfordern.

Die Demontage Kramp-Karrenbauers durch die
Erfurter Landtagsfraktion stellt dabei nur einen Schritt dar. Was der rechte
Flügel der Union will, verdeutlicht unter anderem der ehemalige Verfassungsschutzpräsident
Maaßen. Für ihn stellt sich die Verhinderung von Rot-Rot-Grün als die einer
„sozialistischen Regierung“ dar. Mit Schlagzeilen wie „Hauptsache die Sozialisten
sind weg“ punktet er nicht nur beim rechten Publikum weiter, die AfD hat ihn
auch schon als möglichen Ministerpräsidenten ins Gespräch gebracht.

In einem Interview im Tagesspiegel stellt Maaßen auch klar, gegen welche innerparteilichen GegnerInnen das Manöver gerichtet war. Dies war „ein Schlag ins Gesicht derjenigen Parteifreunde in der CDU, die lieber eine sozialistische Regierung Ramelow dulden wollten, als einen eigenen CDU-Kandidaten bei der Ministerpräsidentenwahl aufzustellen“. Und weiter zur Perspektive der Union in Thüringen:

„Er hoffe, sagte
Maaßen, dass die CDU in Thüringen begreift, dass sie mehr auf ihre Wähler hören
muss. Zehn Prozent sind bei der vergangenen Landtagswahl weggelaufen. Viele zur
AfD, andere sind zuhause geblieben. Jetzt heißt es, die Wähler
zurückzugewinnen. Zum Beispiel mit einer anderen Migrationspolitik, in der
endlich ausreisepflichtige Zuwanderer abgeschoben werden.“

Gemäß diesem Duktus war wahrscheinlich der einmalige Verzicht der „sozialistischen“ Ramelow-Regierung auf Abschiebungen im Winter 2016/17 ein Beitrag zur „Umvolkung“ in Thüringen – ein Verbrechen an Volks- und Rassegemeinschaft. Dass die Union mit krachenden Abschiebungen die Stimmen zurückgewinnen soll, verdeutlicht einmal mehr, welch elender Rassist der ehemalige Verfassungsschutzpräsident eigentlich ist.

Den eher liberalen Flügel der Union, der unter
anderem vom Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Günther, repräsentiert
wird, führen das Wahlmanöver für Kemmerich wie auch die Aussagen von Maaßen und
Werteunion dazu, das Verbot bzw. den Rausschmiss der Werteunion zu fordern.

Strategieproblem des deutschen Imperialismus

Ob der innere Konflikt unter den Konservativen
durch Spaltung oder Ausschluss „gelöst“ wird, wird die Zukunft zeigen – in
jedem Fall werden sich die Gegensätze weiter zuspitzen.

Die traditionelle transatlantische bürgerliche
Führungspartei steckt tief im Konflikt, weil die bisherigen Strategien für die
EU aufgebraucht sind und es an einer strategischen Neuausrichtung fehlt. Der
aggressive neue Kurs des US-Imperialismus unter Trump stellt für die EU und
insbesondere für seine Führungsmacht Deutschland eine große Herausforderung
dar, die durch den Brexit und den Aufstieg Chinas weiter verschärft wird. Im
Mittelmeerraum, im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika kann die EU nur
ökonomisch punkten, geo-strategisch fallen sie und damit der deutsche
Imperialismus weiter zurück.

Der Richtungsstreit in der Union geht darum, auf welchem Weg der deutsche Imperialismus sich dieser Aufgabe stellen soll. Soll ein „schwarz-grün“ angestrichener Imperialismus mit mehr EU-Vertiefung und „ökologischen“ Sparmaßnahmen die eigenen Ansprüche durchsetzen oder erfordert es eine schwarz-gelb-blaue/-braune Variante, die „Deutschland zuerst“ auf ihre Fahnen schreibt?

Der ideologisch-strategische Konflikt der
deutschen Bourgeoise wird in der kommenden Periode durch eine ökonomische Krise
verschärft werden, also auch eine klassenpolitisch härtere Gangart im Inneren
erfordern. Für die Ausgebeuteten und Unterdrückten hierzulande heißt das auch,
sich auf neue Angriffe auf die Sozialsysteme, auf Arbeitsplätze, Einkommen einzustellen.
Die verschiedenen Flügel der Bourgeoise werden allesamt massive Angriffe
durchführen und vorschlagen, wenn auch ideologisch unterschiedlich
verschleiert. So werden die aggressiven nationalistischen Teile Angriffe auf
die ArbeiterInnenklasse mit völkischer und rassistischer Demagogie verbinden,
der „liberale“, weltoffene Teil wird Angriffe mit einigen Reformversprechen zur
„sozialen Abfederung“ kombinieren.

GroKo will Neuwahlen

In dieser Situation empören sich SPD, Grüne,
Linkspartei und auch der „liberale“ Flügel der Union über den Tabubruch. Sie
fordern Neuwahlen, um die Glaubwürdigkeit der „Politik“ wiederherzustellen.
Schon hierin liegt im Grunde ein Betrug. Schließlich hat nicht „die“ Politik,
sondern haben CDU und FDP mit der AfD paktiert. Die Taktik von Kramp-Karrenbauer,
Merkel und des CDU-Vorstandes zielt auf zweierlei. Einerseits präsentieren sie
sich als DemokratInnen und geben sich als „harte“ GegnerInnen des Thüringer
Landesverbandes, mit dem sie freilich auch nicht brechen wollen. Zum anderen
appellieren sie an die „Einheit der DemokratInnen“, also daran, dass SPD,
Grüne, Linkspartei weiter mit Union (und FDP) kooperieren.

Diese, so CDU/CSU und FDP, sollten dabei den
UnterstützerInnen von Kemmerich entgegenkommen – am besten, indem sie selbst
Ramelow als Kandidaten fallenlassen und Grüne, SPD und Linkspartei mit der
Union eine von allen DemokratInnen anerkannte „Person des öffentlichen Lebens“
unterstützen, also auf ihre eigene Regierung verzichten. Die FDP, die
erbärmlichste aller bürgerlicher Parteien, gibt sich hier besonders frech.

Immerhin haben SPD, Grüne, Linkspartei und deren Jugendorganisationen wie auch die Gewerkschaften in den letzten Tagen tausende Menschen gegen die Wahl Kemmerichs auf die Straße gebracht. Für den 15. Februar plant „Aufstehen gegen Rassismus“ eine Großdemonstration gegen AfD, CDU und FDP vor dem Erfurter Landtag.

Mit den UnterstützerInnen der AfD, also der
Großen Koalition, brechen will aber die SPD nicht. Sie sonnt sich darin, dass
sie der Union ein Bekenntnis abgerungen habe, demzufolge sie keine politischen
Mehrheiten und Regierungsbildungen mit der AfD anstrebe. Obwohl sie genau das
gerade getan hat, feiert diese SPD die Lippenbekenntnisse der Unions-Führung
als Sieg. Die gerne links blinkenden Walter-Borjans, Esken und Kühnert betrachteten
diese Frage noch zum Jahreswechsel als Lackmustest für Verbleib in der oder
Verlassen der Großen Koalition. Jetzt erklären Kühnert und Co., warum die
Regierung zur Zeit nicht verlassen werden dürfe. Dies würde nämlich nur den
Rechten zuarbeiten, weil ein Bruch mit der CDU/CSU die Wiederherstellung der
„Einheit der DemokratInnen“ erschweren würde. Solcherart verkaufte der SPD-Vorstand
das Ergebnis des Koalitionsausschusses als Erfolg. Das hätte Nahles auch
geschafft, wenn auch nicht mehr so überzeugend. Für diejenigen in der SPD und
den Jusos, die mit der erneuerten Führung auch eine konsequente Politik gegen
die GroKo verbanden, sollte dies ein deutliches Zeichen sein, mit dieser
Politik und Führung zu brechen und einen Bruch der Koalition hier und jetzt
einzufordern.

Auch für die DGB-Gewerkschaften gilt die
Absetzung von Hirte schon als großer Erfolg. Natürlich, so ihre
Verlautbarungen, werden sie die Demonstrationen unterstützen und am 15. Februar
in Erfurt präsent sein, nur scheint eher unklar, ob die ArbeiterInnenbewegung
sich dieses Rechtsrucks und dieser aktuell verschärfenden Lage bewusst ist.

Auch die Linkspartei reiht sich in dieser
Situation in den Chor der Forderungen nach einer „Einheit der DemokratInnen“
ein. CDU und FDP müssten ihren Fehler korrigieren, indem sie in den nächsten
ein bis zwei Wochen im Thüringer Landtag Ramelow den Weg freimachen und diesen,
am besten gleich im ersten Wahlgang wiederwählen.

Welche Lehren aus einer historischen Analogie?

Auch wenn VertreterInnen der Linkspartei die
Analogie 1930–2020 ins Spiel gebracht haben, so verdeutlicht ihre Politik, dass
die Partei deren eigentlichen Sinn, deren eigentliche Bedeutung nicht
verstanden hat. In beiden Fällen war es nicht der „Verrat an der Demokratie“,
der zur Kooperation der offen bürgerlichen Parteien mit Faschismus oder
Rechtspopulismus führte. Vielmehr liegt ihr die, wenn auch unterschiedlich
ausgeprägte Krise des Kapitalismus zugrunde, die die „normalen“ demokratischen
Herrschaftsformen des bürgerlichen Parlamentarismus wie auch das mit ihnen
verbundene Parteiensystem mehr und mehr unterminierte. Schließlich liegt jeder
länger währenden Reproduktion bürgerlich-demokratischer Verhältnisse ein
bestimmtes, geschichtlich etabliertes Verhältnis zwischen den Klassen zugrunde,
das sich im parlamentarischen Rahmen in der Regel als „konsensual“ akzeptierter
Wechsel von Regierung und Opposition darstellt. Diese Bindekraft büßt die
Demokratie mehr und mehr ein, was eine viel tiefer liegende und längst nicht
abgeschlossene Veränderung des Verhältnisses zwischen den Klassen
widerspiegelt. CDU und SPD wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu den
staatstragenden Großparteien, die im Rahmen des politischen Systems
verschiedene Klassenkräfte repräsentieren und über Sozialpartnerschaft, begrenzte
Reformen, SPD und Gewerkschaften die ArbeiterInnenklasse integrierten. Dieses
System durchläuft schon seit Ende der 1960er Jahre eine Reihe heftiger
Erschütterungen, die letztlich dazu führten, dass sich das politische System
dieser Nachkriegsordnung, wenngleich in etlichen Formen weiter im Bestand,
eigentlich überlebt hat. Die historische Krise der SPD und der Unionsparteien
ist auch Ausdruck dieser Entwicklung.

Linkspartei

Die Politik der Linkspartei verhält sich
gegenüber diesen Veränderungen letztlich rückwärtsgewandt. Sie will nämlich die
Infragestellung der überlebten Verhältnisse von rechts durch den Appell an die
auf eine bestimmte Form der Klassenkollaboration eingerichteten Teile der
Bourgeoisie, der Mittelschichen und des KleinbürgerInnentums bekämpfen, sie
will, mehr oder weniger bewusst, politische Verhältnisse, den sog. Sozialstaat
wiederbeleben, deren materielle Basis erschöpft ist.

Dabei wiederholt sie den historischen Fehler der
Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Gegen die immer stärker werdende
Reaktion suchte diese das Bündnis mit dem „demokratischen“ BürgerInnentum, dem
Gegenstück zur heutigen „Einheit der DemokratInnen“. Daher werden nicht nur die
„demokratischen“ Prinzipien der CDU beschworen, sondern wird vor allem eine
Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei als neues „Bollwerk“ der Demokratie
ins Spiel gebracht.

Aber auch eine Koalition mit den Grünen wäre
nichts anderes als eine solche bürgerlicher, reformistischer
ArbeiterInnenparteien mit einer grün-liberalen Partei des Kapitals, nur eine
andere Koalition der Klassenzusammenarbeit, die notwendigerweise die
Eigentumsverhältnisse unangetastet ließe und, wenn auch humanistischer,
verkaufte, imperialistische Politik darstellen würde. Wie die Erfahrungen
rot-roter oder rot-rot-grüner Koalitionen auf Landesebene immer wieder gezeigt
haben, stellen diese, selbst wenn sich einiger ihrer konstituierenden Parteien
sozial auf die ArbeiterInnenklasse stützen, auch nur eine Form bürgerlicher
Regierungen dar, die allenfalls als etwas gemäßigtere SachwalterInnen des
Kapitals fungieren.

Wenn wirklich die Lehren aus der historischen
Analogie gezogen werden sollen, so dürfen sich diese nicht auf die für sich
genommen berechtigte, in der aktuellen Situation aber zweitrangige Kritik an der
verheerenden Politik der KPD Anfang der 1930er Jahre, die sog.
„Sozialfaschismustheorie“, beschränken – zweitrangig, weil sie heute nur noch
von im Grunde und vollkommen zu Recht bedeutungslosen stalinistischen Sekten
vertreten wird.

Rot-Rot-Grün?

Die nicht minder verheerende Politik der SPD
erfreut sich jedoch weiter großer Beliebtheit, ja könnte in Form von
Rot-Rot-Grün neue Illusionen an sich ziehen, weil sie auf den ersten Blick als
Antwort auf den Rechtsruck erscheint. Hinzu kommt, dass zur Zeit große Teile
der fortschrittlichen gesellschaftlichen Bewegungen von einer
klassenübergreifenden, linken kleinbürgerlichen Ideologie geprägt sind, so
z. B. die Umweltbewegung oder der Feminismus.

Das zentrale Problem der Strategie der
Linkspartei (und noch mehr der SPD und Gewerkschaften) besteht jedoch darin,
dass in einer tiefen gesellschaftlichen Krise Bündnisse zwischen VertreterInnen
antagonistischer sozialer Klassen, also von Parteien des (liberalen oder
demokratischen) BürgerInnentums mit Parteien/Organisationen, die sich auf die
ArbeiterInnenklasse stützen, nur durch die Unterordnung der ausgebeuteten
Klasse und der gesellschaftlich Unterdrückten zu haben sind.
Klassenübergreifende Bündnisse scheinen auf den ersten Blick zwar mehr Kräfte
zusammenzuführen. Doch da diese einander entgegengesetzte Ziele verfolgen,
addieren sie sich nicht, sondern heben sich praktisch auf. Sie stoßen
notwendigerweise gerade jene Schichten der ArbeiterInnenklasse, die am meisten
von krisenhaften Entwicklungen betroffen sind, ab – und bereiten damit auch den
Boden für die Rechten vor.

Die Alternative kann daher nicht „Einheit der
DemokratInnen“ lauten, sondern Einheit der ArbeiterInnenklasse und
Unterdrückten. Diese Forderung muss auch an die bürgerliche, reformistische
Führung von Linkspartei, SPD und Gewerkschaften gerichtet werden – nicht, weil
RevolutionärInnen an deren ernsten Willen zum Bruch mit der Bourgeoisie oder
deren Parteien glauben, sondern weil die AnhängerInnen dieser Parteien von
ihren Führungen, weil die Mitglieder der Gewerkschaften vom bürokratischen
Apparat gebrochen werden müssen.

Daher fordern wir von der SPD das sofortige Verlassen der GroKo! Daher sollte die Linkspartei auf der Straße und in den Betrieben dafür mobilisieren, dass Ramelow Ministerpräsident wird und ein Programm im Interesse der Lohnabhängigen durchsetzt. Die Linkspartei müsste die Initiative ergreifen, die Wiederwahl nicht durch Hinterzimmergespräche mit Unions- und FDP-Abgeordneten, sondern durch den Druck der Straße und durch Aktionen bis zum Streik in den Betrieben durchzusetzen.

Die anstehenden tariflichen Auseinandersetzungen
im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, der Elektro- und Metall-Branche könnten
genutzt werden, die Klasse wieder in Bewegung zu bringen, vor allem als
entscheidende politische und soziale Akteurin, nicht in zweiter oder dritter
Reihe. Dasselbe trifft auf die Kämpfe der Umweltbewegung, antirassistische und
anti-militaristische Mobilisierungen zu. Demonstrationen wie am 15. Februar in
Erfurt dürfen daher nicht das Ende des Protestes, sondern der Anfang für neue,
zugespitzte Klassenkampfaktionen sein.

Die Wahl von Kemmerich war ein deutliches
Zeichen des deutschen Kapitals und des aktuellen Rechtsrucks. Sie verdeutlicht,
welche Möglichkeiten sie derzeit in Betracht ziehen. Auch wir müssen weitergehende
Maßnahmen als Demos, Petitionen und Volksbegehren diskutieren und angehen.
Aktionskonferenzen gegen den Rechtsruck, gegen die GroKo, gegen die nächsten
Krisenprogramme werden vonnöten sein, wenn wir in die Offensive kommen wollen
und damit auch real einen polarisierenden Schlag der ArbeiterInnenklasse
organisieren können.




Prozess gegen Antifaschisten am 6. Februar: Freispruch für Jan und Lukas!

Tobi Hansen, Infomail 1088, 9. Februar 2020

Der Vorwurf gegen unsere Genossen Jan und Lukas lautete
„gefährliche Körperverletzung“, erhoben von einem Teilnehmer der AfD-Demonstration
am 27. Mai 2018 in Berlin. Ort soll der Bahnhof Friedrichstraße gewesen sein,
wo AfD-AnhängerInnen und deren faschistischer „Schutz“ mit TeilnehmerInnen der
zahlreichen Gegendemonstrationen aneinandergerieten.

Politisch hatten die rechtspopulistische AfD wie auch ihre
UnterstützerInnen aus faschistischen Strukturen am 27. Mai 2018 eine herbe
Niederlage einstecken müssen. Den etwa 5.000 Rechten standen, je nach
Schätzung, 50.000 bis 70.000 AntirassistInnen und AntifaschistInnen gegenüber.

Offenkundig versuchten einige Rechte, als „ZeugInnen“ vor
Gericht ihre politischen GegnerInnen madig zu machen und solcherart Rache für
die politische Niederlage zu nehmen, so auch im Prozess gegen Jan und Lukas am
6. Februar.

Im Zuge der Verhandlung wurde deutlich, dass weder der
rechte Zeuge der Anklage wusste, wer wirklich am Bahnhof gewesen sein sollte,
noch die Polizei, warum sie wen festgenommen oder verhaftet hatte.

Nach diesem ganz anschaulichen Beispiel von „Beweisführung“ wurden
die Genossen in fast allen Punkten freigesprochen. Ganz aber nicht. Schließlich
hätte einer Widerstand gegen die Festnahme geleistet, indem er sich an einer Griffstange
in der Bahn festgehalten hätte. Dafür wurde eine Geldbuße verhängt.

Bemerkenswert freilich, was „nebenbei“ auch deutlich wurde:
Die Polizei nahm Menschen per Fingerzeig von TeilnehmerInnen einer AfD-Demo
fest. Menschen, die „links“ aussahen, wurden aus einer Regionalbahn heraus vorläufig
festgenommen – und wer dem nicht einfach Folge leistete, der machte sich gemäß
dieser Logik des „Widerstands“ schuldig.

Die Verschärfung der Polizei- und Repressionsgesetze auf
Landes- und Bundesebene erleichtert dieses Vorgehen zusätzlich. Die Ausweitung
der Rechte der Polizei beschränkt logischerweise die demokratischen Rechte der
Bevölkerung, schränkt jede Möglichkeit ein, sich der Gewalt dieser bewaffneten
Einheiten zu erwehren.

Umso mehr müssen hier die Alarmglocken läuten, als eine
beträchtliche Zahl dieser StaatsdienerInnen auch mit rechtsextremen Netzwerken
und Organisationen verbunden ist, wie es seit Jahren immer mal wieder an die
Öffentlichkeit kommt. Wenn sich gleichzeitig ein FDP- Landeschef in Thüringen
mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten küren lässt, vollzieht sich der
Rechtsruck in einer neuen Qualität.

Für AntifaschistInnen und Linke gilt weiterhin vor, auf und nach
jeder Demonstration: Keiner geht allein, bleibt zusammen, schützt Euch gegen
Übergriffe von Polizei und Rechten!




Kemmerich – ein Ministerpräsident von AfD Gnaden

Martin Suchanek, Infomail 1088, 5. Februar 2020

Bis vor kurzem kannten ihn nur wenige. Nachdem Thomas L.
Kemmerich am 5. Februar zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde, warfen
wohl viele die Suchmaschinen im Internet an, um mehr über einen Mann zu
erfahren, der bisher im bürgerlichen Parlamentarismus und auch in der FDP
allenfalls eine drittrangige Rolle spielen durfte.

Der Thüringer FDP-Fraktionsvorsitzende Kemmerich gehörte von
2017–2019 zu den HinterbänklerInnen, den grauen Mäusen im Bundestag. Bei den
Landtagswahlen 2019 schaffte seine Partei gerade 5 %. Der Unternehmer und
Vorsitzende der FDP-nahen Vereinigung „Liberaler Mittelstand“ war bisher nur
durch notdürftig als „Mittelstandpolitik“ verbrämten Neo-Liberalismus und als
Betreiber einer Friseurkette aufgefallen, die Jobs mit „flexiblen
Arbeitszeiten“ verspricht.

Wahrscheinlich wäre Kemmerich auch eine unbekannte
Randfigur, eine der zahlreichen StatistInnen des bürgerlichen Politbetriebs
geblieben, hätte ihn nicht die politische Lage in ungeahnte „Höhen“ gehievt.
Schließlich kommt es auch in deutschen Landtagen nur höchst selten vor, dass
ein Mitglied der schwächsten Partei zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Erklärbar ist seine Wahl nur als Folge des politischen
Patts, das die Wahlen 2019 in Thüringen mit sich brachten – und der
offenkundigen Bereitschaft von CDU und FDP, auch mit der AfD „bürgerliche
Mehrheiten“ zu organisieren.

Die Linkspartei konnte zwar zulegen und wurde mit 31 %
stärkste Partei. Allein verfügt sie über 29 der 90 Sitze. Aber ihre
Koalitionspartnerinnen schwächelten: Die SPD sackte auf 8,2 % ab und die
Grünen schafften mit 5,2 % gerade den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Daher
verfügte die rot-rot-grüne Koalition gerade über 42 Stimmen, während die AfD
(22 Mandate), CDU (21) und FDP (5) eine gemeinsame Mehrheit bilden konnten.

Bürgerblock

Union und FDP standen also vor der Wahl, entweder mit der
AfD zu kooperieren oder Rot-Rot-Grün und damit den bisherigen
Ministerpräsidenten Ramelow zu „tolerieren“.

Nachdem Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen jedoch keine
absolute Mehrheit erringen konnte, zog die AfD im dritten ihren Kandidaten
zurück – und erklärte wie schon in den letzten Wochen, den FDP-Mann Kemmerich
zu wählen. Dieser errang die Mehrheit. Mit 45 gegenüber 44 Stimmen für Ramelow
wurde er bei einer Enthaltung als neuer Ministerpräsident gewählt.

Zufall stellt die Wahl von Kemmerich natürlich keinen dar.
Schon im Vorfeld hatte er erklärt, dass er sich auch von der AfD zum
Ministerpräsidenten wählen lassen würde. Während Bundes-CDU und -FDP
„offiziell“ noch von der „Abgrenzung“ und „Nichtzusammenarbeit“ mit der rechten
AfD schwadronierten, kümmerte die Thüringer Abgeordneten dieses leere Geschwätz
offenkundig schon lange nicht mehr.

Der Feind der Union und FDP wird dort offenbar bei den
„Roten“ – und sei es ein noch so blasser Roter wie Thüringens Ramelow –
verortet. Den Hauptfeind für Union und FDP bildet schließlich die
ArbeiterInnenbewegung und nicht der Rechtspopulismus, in dessen Reihen sich
neben (halb)faschistischen Flügel-Leuten auch viele ehemalige CDUlerInnen und
FDPlerInnen tummeln. Hier wächst anscheinend zusammen, was, jedenfalls für
bedeutende Teile der Union und FDP, zusammengehört.

Zu solch einer Wahl gehört auch die Legendenbildung.
FDP-Bundesvize Kubicki erklärt gar, dass die Wahl einen großen Erfolg seiner
Partei darstelle, da diese schließlich die „demokratische Mitte“ darstelle –
einen Erfolg, für den FDP und CDU den politischen Sieg der AfD billigend in
Kauf nehmen. Kemmerichs FDP und erst recht die Thüringer CDU stellen den
Ausgang so dar, also hätten sie nur „zufällig“ den Liberalen mit den Stimmen
der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, da sie Höcke und Co. nicht an ihrer
Stimmabgabe „hindern“ hätten können. Dabei hätten sie das natürlich können. Sie
hätten sich nur der Stimme enthalten müssen.

Die TaschenspielerInnen des Parlamentarismus ziehen es
offenkundig vor, sich blöd zu stellen. Das glaubt zwar niemand, aber solche
„Erklärungen“ sollen wenigstens den Bundesparteien erlauben, weiter so zu tun
können, als ob sie mit der AfD nicht kooperieren würden, als ob es sich nur um
einen „Sonderfall“ oder „Betriebsunfall“ handeln würde. FDP-Chef Linder phantasiert
sogar davon, dass es gar keine Kooperation mit der AfD gegeben habe – man habe
sich schließlich nur von ihr wählen lassen.

In Wirklichkeit stellt die Thüringer Wahl des Ministerpräsidenten ein Politprojekt einer CDU/FDP-Koalition von AfDs Gnaden dar. Auch wenn es durchaus möglich ist, dass die Bildung einer Landesregierung Kemmerich durch CDU und FPD mit Duldung der AfD scheitert, so sollte doch niemand deren Bildung ausschließen. Schließlich zeigte der 5. Februar, zu welchen Manövern Teile von FDP und CDU mittlerweile bereit sind.

Schließlich entspricht die Bereitschaft der CDU und FDP in
Thüringen auch der Überzeug weiter Teile ihrer Parteien und von Fraktionen der
herrschenden Klasse, dass Koalitionen mit der AfD eine Option werden könnten,
wenn sich die Krise der EU weiter verschärften sollte. Hinzu kommt, dass damit
in jedem Fall auch der Druck auf die Grünen oder andere „PartnerInnen“ nach den
nächsten Bundestagswahlen erhöht werden kann. Sollten sie sich der CDU/CSU
nicht fügen, hätte diese dann eben auch eine Alternative.

Klassenpolitik

Thüringen zeigt auch, dass – unabhängig von allen
„zufälligen“ Momenten der Wahl – Klasseninteressen allemal bedeutender sind als
Beteuerungen, undemokratische, rechtspopulistische, rassistische Parteien
„auszugrenzen“. Wenn es um die Sicherung bürgerlicher Macht und vor allem auch
um die Option eines aggressiveren, nationalistischen Kurses zur Wahrung der
Interessen des eigenen Kapitals in der internationalen Konkurrenz geht, will
und wird sich die herrschende Klasse nicht den „Luxus“ einer „Ausgrenzung der
AfD“ leisten. Solche Schritte müssen freilich vorbereitet werden – und dazu
kann eine regionalpolitische Entscheidung, bei der für alle unappetitlichen
Tabubrüche im Zweifelsfall die LandespolitikerInnen verantwortlich gemacht
werden können, den Boden bereiten.

Diese Schlussfolgerung sollten sich auch alle jene zu eigen
machen, die hofften und hoffen, die AfD im Gleichschritt mit den bürgerlichen
Parteien zu „stoppen“. Dies trifft bei aller Empörung über die Manöver von FDP
und CDU auch auf die SPD, Grünen und Linkspartei in Thüringen zu. Die Grünen
werfen der FDP vor, sich von FaschistInnen wählen zu lassen – ein Akt, der
jedoch im Gegensatz zu den Vorstellungen dieser bürgerlichen DemokratInnen
leider nicht einzigartig in der deutschen Geschichte ist.

Die SPD verspricht, dass sie mit Kemmerich nicht kooperieren
wolle. Diese „Härte“ fällt ihr freilich leicht. Ausnahmsweise muss sie ihre
„Prinzipien“ nicht über Bord werfen, denn sie wird im Thüringer
Kabinettsschacher ohnedies nicht gebraucht. Nach dem Rechtsruck im Landtag
müsste sie eigentlich die Große Koalition auf Bundesebene aufkündigen – doch so
treu will die Sozialdemokratie zu ihren angeblichen Prinzipien wieder auch
nicht stehen. Stattdessen wird sich die SPD wohl auf Allerweltsfloskeln
beschränken wie etwa Kevin Kühnert, der in einer ersten Stellungnahme erklärte,
dass „Wachsamkeit … das Gebot der Stunde“ sei.

Schließlich muss sich aber auch die Linkspartei fragen,
wohin sie ihr Hofieren der Thüringer CDU, die Spekulationen und
Hinterzimmergespräche mit Gauck über eine „Projektregierung“, also eine Duldung
von Rot-Rot-Grün durch die CDU, gebracht haben. Selbst das zahme rot-rot-grüne
„Projekt“ wollten CDU und FDP nicht länger erdulden – es zweigt sich einmal
mehr, dass diese parlamentarischen Kombinationen kein Schutz vor dem Rechtsruck
und dem weiteren Aufstieg der AfD darstellen. Der 5. Februar legte nicht nur
die Leere der „Abgrenzung“ von CDU und FDP gegenüber der AfD offen, sondern
auch die Leere der – auch von der Linkspartei geteilten – „Einheit der
DemokratInnen“, von offen bürgerlichen Kräften, und der, wenn auch
verbürgerlichten, ArbeiterInnenbewegung.

Dass die Thüringer Vorsitzende der Linkspartei,
Hennig-Wellsow, Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße wirft, drückt
schließlich nicht nur berechtigen Zorn, Wut, ja Abscheu aus – es verdeutlicht
auch ungewollt das illusorische Vertrauen, das die Linkspartei in CDU und FDP,
also in die Parteien des Kapitals, hegt(e).

Auch Parteichef Riexinger beklagt diesen „bitteren Tag für
die Demokratie“ – als ob diese erst gar keine Herrschaftsform des Kapitals
wäre. In Wirklichkeit zeigt der Urnengang eben auch, dass „die Demokratie“
keine über den Klassen schwebende politische Institution darstellt, dass die
„demokratischen Parteien“ der Bourgeoisie eben auch zur Kooperation mit den
wenig demokratischen, rechtspopulistischen politischen Parteien bereit sind.

Die AfD, Rechtspopulismus, Rechtsruck und erst recht der
Faschismus werden durch die gemeinsame „Ausgrenzung“ dieser Parteien weder in
den Parlamenten noch in der Gesellschaft gestoppt werden können. Im Gegenteil.
Die „Ausgrenzung“ durch CDU und FDP hat sich als Chimäre, als Illusion
erwiesen. Der Kampf gegen rechts – diese Lehre verdeutlicht das Thüringer
Ergebnis einmal mehr – kann letztlich nur als Teil des Klassenkampfes, gegen
Rassismus, Faschismus, Ausbeutung und Unterdrückung geführt werden. Einheit
also nicht „der DemokratInnen“, sondern der sozialen und ArbeiterInnenbewegung
mit eigenen Zielen und Forderungen gegen den Rechtspopulismus als eine, wenn
auch aggressivere Spielart bürgerlicher Politik.




Kein Frieden mit der AfD! Solidarität mit Jan und Lukas!

ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION, Januar 2020, Neue Internationale 244, Februar 2020

Am 27. Mai 2018 mobilisierte die AfD zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin. Der Tag endete mit einer Niederlage der RechtspopulistInnen. Rund 5.000 AfD-AnhängerInnen samt rechtsradikalem und faschistischem Gefolge stellten sich bis zu 70.000 GegendemonstrantInnen entgegen. Bündnisse wie „Stoppt den Hass“ und „AfD wegbassen“ organisierten breiten Protest.

Danach kam es an einigen Orten in Berlin bei der Abfahrt zu
Zusammenstößen zwischen AfD-AnhängerInnen und AntifaschistInnen. Einige
AntifaschistInnen – darunter Jan und Lukas – stehen nun, nach fast zwei Jahren,
vor Gericht. Die Anklage lautet: gefährliche Körperverletzung. Zum konkreten
Geschehen kann leider bis zu einem rechtskräftigen Urteil öffentlich keine
Stellung bezogen werden.

Hintergrund

Klar ist aber schon jetzt: Den politischen Hintergrund, den
Rechtsruck in Deutschland, die dramatische Zunahme rassistischer und
faschistischer Gewalt und die Rolle der AfD wollen sowohl Anklage wie
Staatsanwaltschaft ausblenden.

Mit Elementen wie Höcke, bei dem sogar gerichtlich
festgestellt wurde, dass man ihn als Faschisten bezeichnen darf, dem „Flügel“
und anderen völkischen und faschistischen Teilen stellt die Partei ein
wichtiges Bindeglied zwischen rechtsbürgerlichen, rechtspopulistischen und
offen faschistischen Kräften dar. Es lässt sich leicht belegen, dass solche
Tendenzen in der AfD vorhanden sind. Neben den eher bekannten Zitaten von Höcke
und Gauland findet man auch folgende interessante Aussagen: „Wir sollten eine
SA gründen und aufräumen!“ (Andreas Geithe, AfD) und: „Von der NPD
unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützer-Umfeld,
nicht so sehr durch Inhalte“ (Dubravko Mandic, AfD).

Letzteres beschreibt eine Funktion der AfD eigentlich recht
gut. Sie dient nationalistischen, faschistischen und völkischen Kräften als
Scharnier und Einfallstor in eine größere Öffentlichkeit. Darüber bietet sie
die Möglichkeit, über die Beteiligung in Parlamenten, die Schaffung und
Finanzierung von sogenannten „Thinktanks“ wie dem Institut für Staatspolitik
und Medienaufmerksamkeit die Akzeptanz von rechter Ideologie in der Bevölkerung
zu stärken. Somit ist sie gewissermaßen eine Vorhut und ein Deckmantel für
solche Kräfte. Es ist deshalb auch kein Zufall, wenn bekannte Neonazis bei
AfD-Aktionen als Schläger-Trupps fungieren oder Aktionen gemeinsam mit
Organisationen wie dem „III. Weg“ veranstaltet werden, welche sich offen zum
NS-Faschismus bekennen. Gleichzeitig können diese Schläger-Truppen als
AnhängerInnen einer parlamentarisch vertretenen Partei auftreten und sich als
Opfer der Medien und der „Linken“ stilisieren.

Solidarität!

Die Zunahme rassistischer und faschistischer Gewalt
offenbart zugleich, dass der Staat und die Polizei nicht gewillt sind, dagegen
entschieden vorzugehen. Sie reicht mittlerweile bis hin zum Mordanschlag gegen
antifaschistische und linke AktivistInnen, Flüchtlinge, MigrantInnen, Jüdinnen
und Juden sowie sämtlichen üblichen Zielen von Rechten und ist wohlbekannt.
Sogar PolitikerInnen von SPD, Linkspartei, Grünen, ja selbst aus der CDU werden
zu deren Opfern.  In dieser
Situation ist es notwendig weiterzugehen, als sich lediglich auf die Polizei zu
verlassen, auf die, wie die Fälle der rechten Anschlagsserie in Berlin zeigen,
gerade kein Verlass ist. Dort wurden Todeslisten bei rechten BeamtInnen
gefunden und teilweise die „Zielpersonen“ erst nach Anschlägen darüber
informiert.

Was wir brauchen, sind Strukturen der Linken, MigrantInnen
und ArbeiterInnenbewegung, welche die Information und Verteidigung gegen die
Rechten organisieren – eine antifaschistische Aktionseinheit. Gleichzeitig
müssen wir uns solidarisch zusammenschließen mit all jenen, die sich gegen die
Rechten einsetzen, die von ihnen angegriffen werden oder sich gegen sie
verteidigen.

Solidarität mit Jan und Lukas!

  • Unterstützt die Angeklagten am ersten Prozesstag!
  • Berlin, Donnerstag, 6. Februar, 10:00 Uhr vor dem Amtsgericht Tiergarten, Turmstraße 91



AfD-Parteitag in Braunschweig: Rechte Kräfte in Partei gestärkt – 20.000 protestieren draußen

Martin Eickhoff. Infomail 1079, 5. Dezember 2019

Schon am frühen Morgen des 30. November versuchten hunderte
DemonstrantInnen und  Gruppierungen
der radikalen Linken, darunter auch GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht,
den Zugang zum AfD-Bundesparteitag zu blockieren. Die Blockierenden wurden
jedoch sehr schnell von den Bullen gekesselt, so dass bis auf verbale
Auseinandersetzungen nicht mehr an Protest möglich war.

An der Protestdemonstration und Kundgebung beteiligten sich
knapp 20.000 Menschen. Getragen und politisch dominiert wurden sie von reformistischen,
gewerkschaftlichen und bürgerlichen Organisationen. Die Reden der VertreterInnen
von Gewerkschaften, Parteien, verschiedenster Verbände und Gruppen sowie der
Kirchen gingen freilich über moralische Empörung nicht hinaus, blieben inhaltsleer
und in der Regel auf einzelne Phrasen beschränkt. Nicht Klassenkampf, sondern
die „Einheit der Demokratie“, von CDU bis zur Linkspartei, bildete den
Grundtenor.

Parteitag der AfD – Rechte konsolidieren Positionen

Zunächst mag ein falscher Eindruck entstehen. Mit Andreas
Kalbitz wurde zwar nur einer der führenden VertreterInnen des „Flügels“ in den
neuen Bundesvorstand gewählt, aber die Macht des rechts-nationalistischen,
völkischen Lagers zeigte sich mehr als nur durch die Wahl eines ihrer
ExponiertInnen. Beispielsweise wurde Alice Weidel ohne eine/n GegenkandidatIn
mit 76 Prozent der Stimmen zur stellvertretenden Sprecherin gewählt, was
unmöglich gewesen wäre ohne den Burgfrieden, den sie mit Höcke schloss. Darüber
hinaus trat auch sie schon bei der neurechten Kaderschmiede, dem Institut für
Staatspolitik von Götz Kubitschek in Schnellroda, auf.

Auch der weit rechts stehende Bundstagsabgeordnete Stephan
Protschka aus Niederbayern hat seine Wiederwahl als Beisitzer im Bundesvorstand
den Stimmen des „Flügels“ zu verdanken. Welch Geistes Kind Protschka ist, zeigt
allein schon, dass er in Polen – gemeinsam mit der NPD-Jugendorganisation – ein
geschichtsrevisionistisches Denkmal für Wehrmachtssoldaten und Freikorpskämpfer
mitfinanzierte.

Freuen konnten sich Höcke und seine rechten KameradInnen
über den Erfolg von Stephan Brandner. In Braunschweig hetzte der
Bundestagsabgeordnete, der vor kurzem seinen Posten als Sprecher des Bundestagsrechtsausschusses
verlor, gegen „SozialfaschistInnen“ in Richtung der SozialdemokratInnen. Für
seine Abwahl machte er eine angebliche „Nationale Front“ aller Parteien gegen
die AfD verantwortlich. Eine weiterer „Opfermythos“ wurde so geboren.
VertreterInnen des scheinbar gemäßigten Lagers wie z. B. Albrecht Glaser
oder Kay Gottschalk fielen bei den Wahlen durch. So manche Karrierepläne von
„Gemäßigten“ endeten abrupt.

Am Parteitag hat sich einmal mehr gezeigt, wie tief im Rechtsextremismus
die Parteibasis mittlerweile angekommen ist. Vor der Wahl des Vorstands ging es
um die Besetzung des Bundesschiedsgerichts. Die Parteigerichte sind Mittel des
Machtkampfes in der AfD – erst recht, seit immer häufiger Ausschlussverfahren
angestrengt werden, die dem rechten Lager suspekt sind.

Beim ersten Wahlgang ließen die Delegierten Ines Oppel, die
bisherige Parteischiedsgerichtsvorsitzende, durchfallen. Sie wurde allerdings
später mit mageren 52,1 Prozent doch noch gewählt.

An den Kräfteverhältnissen in der Partei hat sich seit dem
letzten Parteitag vor zwei Jahren in Hannover nicht viel verändert. Die AfD ist
in Braunschweig nicht weiter nach rechts gerückt – aber der bereits 2017
vollzogene Rechtsruck hat sich konsolidiert. Alleine kann der offen völkische  „Flügel“ zwar nichts durchsetzen, jedoch
kann er teilweise benötigte Zweidrittelmehrheiten kippen und so vermeintlich „zu
liberale“ Positionen ausbremsen.

AfD und Regierungsfrage

Betont wurde einerseits die Bereitschaft weiter Teile der
Partei, mit dem „Flügel“ zusammenzuarbeiten, und auch bei den vorgeblich
„Moderaten“, über mögliche „Verfehlungen“ derjenigen im eigenen Lager großzügig
hinwegzusehen, die sich öffentlich „entschuldigten“. Andererseits soll sich die
AfD „gemäßigter“ geben, um sich als mögliche Koalitionspartnerin der CDU/CSU
ins Spiel zu bringen – eine Ausrichtung, die nicht nur rechtspopulistische
Elemente, sondern letztlich auch „Der Flügel“ teilen.

Bei der Wahl zum Parteivorsitzenden (Bundessprecher) setzten
sich Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg und der sächsische Malermeister Tino
Chrupalla durch; Überraschungen blieben aus. Mit großer Mehrheit wurde
Alexander Gauland zum Ehrenvorsitzenden gewählt – und bleibt somit weiter Mitglied
des Bundesvorstandes und Strippenzieher.

Nicht minder wichtig als die Verschiebungen in der AfD
selbst werden freilich die politischen Entwicklungen im bürgerlichen Lager für
die Zukunft der Partei sein. Die Krise der EU, die inneren Gegensätze und der
Niedergang der Unionsparteien können und werden – siehe den Vorstoß etlicher
sächsischer ParteifunktionärInnen – bei Teilen der Union den Ruf nach einer
Änderung der Haltung gegenüber der AfD lauter werden lassen. Die öffentliche
„Mäßigung“ der RechtspopulistInnen entspricht daher nicht nur einer politischen
Vorleistung, sie soll auch den Druck auf CDU/CSU erhöhen, so dass die AfD als
einzige Möglichkeit zur Bildung einer aggressiven, konservativ geführten und
neo-liberal ausgerichteten Regierung verbleibt.

Daher ist auch die Fokussierung auf den „Flügel“ in der
Kritik an der AfD politisch verkürzt, ja problematisch. Von der AfD geht eine
Gefahr nicht nur durch ein erstarkendes rechtes, völkisches und teilweise
faschistisches Element aus. Eine nicht minder große, angesichts der tiefen
Krise der EU womöglich viel unmittelbarere Gefahr geht von den „Gemäßigten“
aus. Sie stehen als JuniorpartnerInnen einer CDU-geführten Bundesregierung für
eine politische Neuausrichtung des deutschen Imperialismus parat.

Im Kampf gegen die rassistische rechtspopulistische Partei
dürfen wir daher nicht nur auf den „Flügel“ achten, sondern wir müssen die AfD
als Ganze sehen. Gegen deren Angriffe, Aufmärsche ist antifaschistischer
Selbstschutz notwendig, um sich zu organisieren.

Es kommt aber vor allem darauf an, die Ursachen für das
Wachstum und die Konsolidierung der AfD selbst in Blick zu nehmen, um
ArbeiterInnen und Arbeitslose aus ihrer WählerInnenschaft herauszubrechen. Dazu
reichen Mobilisierungen gegen die AfD nicht aus. Es bedarf einer glaubwürdigen
und entschlossenen Politik der Gewerkschaften und der gesamten
ArbeiterInnenbewegung in den Betrieben und auf der Straße gegen die drohenden
und laufenden Angriffe, für Mindestlohn, Rente, gegen Mietwucher und
Massenarmut. Nur so kann die soziale und chauvinistische Demagogie der Partei
wirksam bekämpft werden.




November 1989 – 30 Jahre danach

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019

Dass die
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen „Ost“ und „West“ auch 30
Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer nicht angeglichen sind, sollte
KapitalismuskritikerInnen eigentlich nicht verwundern.

Nach drei Jahrzehnten
eines vereinigten, imperialistischen Deutschland klingen die
Einheitsversprechungen bürgerlicher PolitikerInnen aller Couleur nicht nur
abgedroschen und hohl. Sie hören sich auch an wie ein ständiges Replay. Das
Ausbleiben „sozialer Einheit“, die weiterhin klaffende Lücke bei Einkommen,
Arbeitszeiten, Lebensperspektive … wurden 1999 ebenso wie 2009 beklagt – und
„baldige“ Angleichung versprochen. In Wirklichkeit blieb diese aus – und wird
es auch weiter bleiben.

Reproduktion
sozialer Ungleichheit

Hier nur einige
Zahlen (1), die den Unterschied zwischen Ost und West belegen:

  • 2018 mussten die Arbeiter„nehmer“Innen in den alten Bundesländern im Schnitt 1295 Arbeitsstunden arbeiten, im Osten (inklusive West-Berlin) 1351 Stunden, also 56 Stunden länger.
  • Die Jahres-Bruttolöhne je Beschäftigten lagen im Westen bei 36.088 Euro, in den neuen Ländern bei 31.242 Euro, was einen Unterschied von knapp 4.900 Euro ausmacht.
  • Diese Ungleichheit wird auch bei den tariflich Beschäftigten reproduziert. So hatten  2018 im Westen 8 Prozent dieser eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, im Osten 40 Prozent.
  • Mindestlöhne und Renten, die selbst das geringere Lohn- und Einkommensniveau widerspiegeln, klaffen weiter auseinander.

Die Spaltung des
Arbeitsmarktes hält also auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung an. Und das,
obwohl sich im Westen die prekären und atypischen Arbeitsverhältnisse
(Befristung, Teilzeitarbeit unter 20 Stunden, geringfügige Beschäftigung und
Leiharbeit) unter anderem aufgrund der Hartz-Gesetze und Agenda 2010 sogar noch
schneller ausgedehnt haben als im Osten. In den „alten Bundesländern“ betrug
2017 deren Anteil an der gesamten Erwerbstätigkeit 24 % gegenüber 18 %
im Osten (2).

Den Hintergrund
dafür bildet jedoch die deutlich höhere Arbeitslosigkeit in den neuen
Bundesländern. Dort lag sie Ende 2018 bei 7,6 % gegenüber 5,3 % im
Westen.

Von 1991 bis
2017 wanderten außerdem 3.681.649 von Ost nach West ab, was fast einem Viertel
der Bevölkerung der ehemaligen DDR entspricht. Dem stehen zwar 2.451.176 Zuzüge
aus dem Westen entgegen (3). Die Wellen der innerdeutschen Migration
entsprechen jedoch der Zerstörung der ostdeutschen Industrie und der geringen
Arbeitsmarktperspektiven, gerade für besser ausgebildete Menschen. Die
Migration von West nach Ost ging außerdem auch mit einer massiven Verschärfung
der Unterschiede innerhalb der neuen Bundesländer einher. Einigen
„erfolgreichen“ städtischen Regionen steht der fortgesetzte Abstieg der meisten
ländlichen und kleinstädtischen Gebiete, bis zum Verlassen ganzer Dörfer
entgegen.

Die Ungleichheit
zwischen Ost und West drückt sich daher keineswegs nur auf dem Arbeitsmarkt
aus, sondern insbesondere auch beim Vergleich einzelner Regionen. So zeigt z. B.
der „Teilhabeatlas Deutschland“ (4), dass sich in den neuen Bundesländern die
„abgehängten Regionen“ konzentrieren. Diese zeichnen sich durch einen hohen
Anteil an Hartz-IV-EmpfängerInnen (darunter auch viele „AufstockerInnen“),
geringere kommunale Steuereinnahmen, besonders geringes jährliches durchschnittliches
Haushaltseinkommen (Medianwert für 2017: 19.100 Euro), geringe Lebenserwartung,
Abwanderung (2017 noch immer mehr als 10 Prozent!), schlechter digitaler
Anbindung und überdurchschnittlicher Entfernung zu Versorgungseinrichtungen
(Krankenhaus, Behörden, …) aus.

Darin spiegelt
sich wider, dass in den neuen Bundesländern die schlechter entlohnten,
perspektivloseren und länger arbeitenden Teile der ArbeiterInnenklasse
überdurchschnittlich vertreten sind. Aber auch die Herausbildung und
Reproduktion des KleinbürgerInnentums, des Kleinkapitals wie der lohnabhängigen
Mittelschichten – also allen jener Klassen, die bürgerliche Demokratie und
freie Marktwirtschaft tragen – verläuft ungleicher, unsicherer, verglichen mit
dem Westen geradezu prekär.

Kapitalistische
Wiedervereinigung

Hintergrund der
sozialen Ungleichheit und damit ungleicher Lebensbedingungen bilden
selbstredend nicht „Mentalitätsunterschiede“, sondern vielmehr die Ergebnisse
der kapitalistischen Wiedervereinigung, zu denen eben auch gehört, dass dem
Wirtschaftsgebiet der ehemaligen DDR ein spezifischer Platz im Rahmen eines
schon bestehenden bundesdeutschen gesellschaftlichen Gesamtkapitals zugewiesen
wurde.

Nach der
kapitalistischen Wiedervereinigung erlebte die DDR-Ökonomie einen drastischen Niedergang
und Ruin, dessen Ausmaß für Friedenszeiten ungewöhnlich, wenn nicht einzigartig
war und ist.

Zwischen 1990
und 1992 wurden zwei Drittel der ostdeutschen Industrie zerstört und zwar unter
Aufsichtung und Lenkung der Treuhand-Anstalt, einer Staatsholding, die die
Privatisierung der DDR-Ökonomie überwachen sollte.

Ende 1992 waren
nur noch 750.000 Menschen in der ehemaligen DDR-Industrie beschäftigt, etwa ein
Viertel des Beschäftigungsstandes zur Zeit der Wiedervereinigung. Auch die
landwirtschaftliche Produktion sank von 1989 bis 1992 auf rund die Hälfte. Von
9,8 Millionen Beschäftigten der DDR-Wirtschaft wurden rund 4 Million
„freigesetzt“, arbeitslos, in Kurzarbeit gesetzt oder verschwanden vom
Arbeitsmarkt (RentnerInnen; Abwanderung in den Westen, die in dieser Zeit ihren
Höhepunkt erreichte; Rückgang der Erwerbstätigkeit von Frauen). (5)

Zugleich stiegen
die Preise für Konsumgüter und Mieten dramatisch, so dass die Auswirkungen des
für kleinere SparerInnen günstigen Umtauschkurses von Ost-Mark zu D-Mark (1:1)
im Zuge der Währungsreform rasch verpufften. Umgekehrt begünstigte die
Währungsreform 1990 die Aneignung der ostdeutschen Ökonomie durch das
westdeutsche Kapital.

Der Umtauschkurs
bedeutete erstens, dass die Schulden der DDR-Unternehmen in D-Mark neu bewertet
wurden, darunter auch Kosten, die in einer kapitalistischen Ökonomie erst gar
nicht in den einzelbetrieblichen Bilanzen aufgeschienen wären (z. B.
betriebliche Sozialleistungen). Im degenerierten ArbeiterInnenstaat DDR gab es
im Unterschied zum Westen bezogen keine klare Trennung staatlicher/kommunaler
und betrieblicher Schulden/Kosten (und dies war auch nicht unbedingt
erforderlich). Nun erschienen diese Aufgaben und deren Kosten als
Verlustbringerinnen in den betrieblichen Bilanzen.

Zweitens wog die
Neubewertung des Anlagevermögens der ostdeutschen Industrie, Landwirtschaft und
Dienstleistungsunternehmen (Handel, …) besonders schwer. Das veraltete, lange
nicht erneuerte fixe Kapital wurde jetzt mit den westdeutschen,
fortgeschrittenen Kapitalien verglichen und neu bewertet. Das Anlagevermögen
wurde somit über Nacht weit mehr entwertet, als es der Umtauschrelation
größerer Geldvermögen (1:2) entsprach, so dass die Schuldenrate der
DDR-Betriebe massiv anwuchs. Sie waren als Konkurrentinnen damit mehr oder
minder aus dem Feld geschlagen.

Das Übrige
erledigte die Treuhand. Sie verkauft die DDR-Betriebe unter Wert, v. a. an die
westdeutsche Konkurrenz. Da es keine DDR-Bourgeoisie gab, wanderte in kurzer
Zeit alles, was profitabel erschien, in die Hände der bundesdeutschen
KapitalistInnenklasse. Ursprünglich sollte die Privatisierung der ostdeutschen
Ökonomie und deren Restrukturierung durch Verkaufserlöse finanziert werden.
Doch das westliche Kapital wollte für die DDR-Unternehmen nicht zahlen, sondern
für seinen „Dienst“ noch belohnt werden.

Daher übernahm
die Treuhand und über diese der Staat den größten Teil der Schulden. Bis Ende
1992 waren so 8.000 von 40.000 DDR- Betrieben auf diese Weise verkauft, genauer
verscherbelt worden.

Die Filetstücke
eigneten sich die „rettenden“ Konzerne zuerst an, sei es, um neue
wirtschaftliche „Inseln“ zu schaffen, sei es, um unliebsame Konkurrenz zu
übernehmen und auszuschalten. Diese Übernahme großer Teile einer
Volkswirtschaft wurde dem Kapital auch noch durch Milliarden-Subventionen
vergoldet. So erhielt Carl Zeiss für die Übernahme von Carl Zeiss Jena 3,5
Milliarden DM, die Bremer Vulkan-Werft 6,2 Milliarden für die Übernahme
ostdeutscher Werften. Lufthansa konnte gegen den Widerstand von Betriebsrat und
Gewerkschaft die Abfertigung am Flughafen Schönefeld übernehmen usw. usf.

Diese Übernahme
der DDR- Volkswirtschaft spiegelt sich bis heute in der Rolle der ostdeutschen Ökonomie
im Rahmen des Gesamtkapitals der Bundesrepublik wider:

  • Die Produktivität lag 2017 in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) bei durchschnittlich 82 Prozent des Westniveaus.
  • 93 Prozent der Großkonzerne sind immer noch im Westen angesiedelt. (6)

Die Kapitalakkumulation
im Osten bleibt bis heute abhängig von den Erfordernissen der Konzernzentralen
im Westen, von einem in der Bundesrepublik entstandenen und von dort geprägten
nationalen Gesamtkapital. Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg, wo die massive
Vernichtung von Kapital günstige Akkumulationsbedingungen für das Gesamtkapital
und damit für einen kapitalistischen Aufschwung legte, der über mehrere Zyklen
bis Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre anhielt, brach der „Osten“ vor dem
Hintergrund struktureller Überakkumulation des Kapitals zusammen.

Interessant war
er als Markt für (westdeutsche) Produkte und als Reservoir zusätzlicher,
billiger und qualifizierter Arbeitskräfte. Als Investitionsstandort spielte er
jedoch nur für einzelne Branchen und somit für die Schaffung einzelner
„Wachstumsregionen“ eine Rolle. Eine „aufholende“ Entwicklung, gleiche
Bedingungen zwischen „Ost“ und „West“ waren vom Standpunkt der ökonomischen
Interessen der herrschenden Klasse nie vorgesehen.

Polarisierung
und soziale Auseinandersetzungen nach der Wiedervereinigung

Das Geheimnis
das Aufstiegs der AfD gerade im Osten muss zweifellos vor dem Hintergrund der
ökonomischen und sozialen Lage in den neuen Bundesländern verstanden werden.
Aber nicht in einer mechanischen Weise, sondern im Wechselverhältnis von
sozialer Entwicklung und Klassenkämpfen. Allein die jahrelange starke Stellung
von PDS/Linkspartei unter den Erwerbslosen, aber auch den Mittelschichten im
Osten zeigt, dass es nicht einfach Armut, Benachteiligung oder gar eine
angeblich besonders autoritär geprägte DDR-Identität waren, die per se die
Menschen zur AfD oder zur extremen bis hin zur faschistischen Rechten treiben.

Die
kapitalistische Wiedervereinigung, wiewohl aus einer legitimen,
kleinbürgerlich-demokratischen Massenbewegung gegen die DDR-Bürokratie
entstanden, stellte für die ArbeiterInnenklasse in ganz Deutschland eine
historische Niederlage dar. Sie stärkte den Imperialismus, die soziale,
wirtschaftliche und globale Stellung des „eigenen“ Kapitals ungemein. Die
soziale Konterrevolution im Osten, also die Vernichtung des ArbeiterInnenstaates
DDR, wurde jedoch in einer bürgerlich-demokratischen Form vollzogen, was nicht
zuletzt auch die Einbindung der Massen erleichterte – trotz einer enormen
Zerstörung der ökonomischen Basis der ehemaligen DDR.

Die
gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Niederlage waren jedoch in den neuen und
alten Bundesländern höchst unterschiedlich. Die Klassenstruktur (und
-zusammenarbeit) des BRD-Kapitalismus wurde im Westen nur schrittweise
umgemodelt, in der DDR wurde das gesamte soziale und ökonomische Gefüge abrupt,
sprunghaft zerstört. Der Kapitalismus war nicht zuletzt aufgrund der massiven
Zerstörung der ostdeutschen Industrie immer instabiler als im Westen und daher
auch die Klassenstruktur.

Noch in den
ersten Jahren nach der Wende artikulierte sich das in dreifacher Weise. Erstens
und am wichtigsten in Form der Demobilisierung einer Massenbewegung. Die
Millionen, die in der DDR auf die Straße gegangen waren und die SED-Herrschaft
zum Einsturz gebracht hatten, wurden über Wahlen, Parlamentarismus und die Versprechungen
der „sozialen Marktwirtschaft“ befriedet, später durch deren Auswirkungen
frustriert und auf Trab gehalten.

In dieser Lage
artikulierte sich auf der Rechten eine Welle rassistischer Gewalt und
faschistischer Organisierung, die sich in pogromartigen Mobs wie in Rostock
oder Hoyerswerda, Anschlägen auf Asylsuchende und MigrantInnen manifestierte
(und zwar nicht nur im Osten, sondern auch im Westen). Die deutsche Regierung
vermochte es, der rechten Hetze, Rassismus und Faschismus den Wind aus den Segeln
zu nehmen, indem sie selbst das Asylrecht mit Zustimmung der „oppositionellen“
SPD durch den sog. „Asylkompromiss“, der von Lafontaine mit ausgehandelt worden
war, beschnitt. Anders als heute fanden die Rechten damals keinen
politisch-organisatorischen Widerhall unter Fraktionen des deutschen Kapitals.
Mittelschichten und KleinbürgerInnentum befürworteten eine
konservativ-rassistische Regierungspolitik, die Nazis und rechten Straßenbanden
blieben letztlich auf eine relativ kleine Minderheit beschränkt.

Ein wichtige
Faktor für diese Entwicklung bestand zweifellos darin, dass es nicht nur rechte
Reaktionen auf die Wiedervereinigung gab, sondern auch wichtige, lange
andauernde, wenn auch letztlich isolierte Abwehrkämpfe. So besetzten rund 500
BergarbeiterInnen der von der Schließung durch die Treuhand bedrohten
Kali-Grube in Bischofferode (Thüringen) im Sommer 1993 den Betrieb bei
laufender Produktion, rund 100 traten in Hungerstreik. Dieser Kampf zog sich
über mehrere Monate hin. Ende 1993 wurde der Bergbau zwar geschlossen.
Entscheidend ist jedoch, dass Bischofferode durchaus für eine Schicht von
Beschäftigten stand, die mit Mitteln des Kampfes gegen Schließungen,
Entlassungen und Verarmung ankämpften.

In den 1990er
Jahren vermochte im Wesentlichen die PDS, diese Schichten für sich zu gewinnen.
Sie wurde zur Partei der „Ausgegrenzten“, der Arbeitslosen und konnte sich so
im Osten eine Massenbasis erhalten bzw. aufbauen. Als reformistische Partei war
die PDS auch damals eher eine der „KümmererInnen“ denn der KämpferInnen. Sie
konnte jedoch über eine solidarische Präsenz zahlreiche Massen- und
Vorfeldorganisationen (Volkssolidarität, …) an sich binden und ihnen einen
elektoralen Ausdruck verschaffen. Die Tatsache, dass die PDS damals noch von
den etablierten politischen Parteien des bundesrepublikanischen Systems
ausgegrenzt, als „rote Socken“ diffamiert wurde, stärkte eigentlich die
Glaubwürdigkeit der Partei in den Augen vieler.

In diesem
Zusammenhang darf darüber hinaus nicht vergessen werden, dass sich teilweise
auch die Gewerkschaften und selbst die SPD (z. B. in Form von
sozialpolitischen Galionsfiguren wie Regine Hildebrandt) als „natürliche“
gewerkschaftliche, soziale und politische Vertretung darstellten.

Bis Ende der
1990er Jahre waren die Hoffnungen der ArbeiterInnenklasse – insbesondere auch
der Erwerbslosen – auf eine Abkehr von der konservativ-liberalen Koalition und
auf eine „soziale Wende“ im Grunde an die bürgerlichen ArbeiterInnenparteien
SPD und PDS geknüpft.

Doch die
politische Lage und das Verhältnis von ArbeiterInnenklasse (wie auch großer
Teile der lohnabhängigen Mittelschichten) zu diesen Parteien wandelte sich in
der ersten Hälfte des Jahrtausends.

Rot-Grün
lancierte mit Agenda 2010 und Hartz-Gesetzen einen strategischen Angriff auf die
Lohnabhängigen, ein Programm, das mit den Montagsdemonstrationen vor allem im
Osten eine Massenbewegung hervorbrachte, aus der später die WASG entstand (und
in deren Folge die Fusion mit der PDS zur Linkspartei).

Die Montagsdemos
entstanden im Sommer 2003 und breiteten sich in Windeseile zu einer
Massenbewegung aus, die vor allem von höher qualifizierten Arbeitslosen,
ehemaligen FacharbeiterInnen, IngenieurInnen getragen wurde. Diese Bewegung
wurde jedoch von der Sozialdemokratie wie auch von den sozialdemokratisch
geführten DGB-Gewerkschaften bekämpft. Dadurch wurde deren Ausweitung in den
Westen, vor allem aber die Verbindung von Montagsdemos und politischen
Massenstreiks verhindert. Der DGB sah sich zwar selbst gezwungen, 2004 gegen
die Agenda-Gesetze Massendemonstrationen zu organisieren, weil er die
Formierung einer bundesweiten Opposition in den Betrieben und auf der Straße
fürchtete, blies aber die Mobilisierung im Sommer 2004 nach Massendemos mit
nahezu einer halben Million Menschen ab.

Die zweite markante
Niederlage erfolgte ebenfalls 2003. Die Streiks um die 35-Stunden-Woche im
Frühjahr 2003 zeigten eine erstaunliche Mobilisierungsfähigkeit. Als der Streik
begann, Auswirkungen auf die Betriebe im Westen zu haben, verschärfte sich das
Trommelfeuer nicht nur der Bourgeoisie gegen den Streik, sondern auch die
Konzernbetriebsräte der westdeutschen Autoindustrie und der IG
Metall-Vorsitzende Zwickel fielen ihm in den Rücken und setzten seine
Einstellung durch. Dabei geriet nicht nur die Gewerkschaftsdemokratie unter die
Räder, die ArbeiterInnenklasse in der ehemaligen DDR musste eine weitere
demoralisierende Niederlage durchmachen.

All diese
Faktoren – nicht nur geringerer gewerkschaftlicher Organisierungsgrad und
geringere tarifliche Bindung im Osten – haben dazu geführt, dass die SPD ihren
sozialen Rückhalt gerade unter den verarmten, arbeitslosen, prekär
beschäftigten und schlecht organisierten ArbeiterInnen verloren hat.
Gleichzeitig büßte sie auch ihre Bindekraft unter den lohnabhängigen
Mittelschichten ein.

Im letzten
Jahrzehnt machte aber auch die Linkspartei eine ähnliche Entwicklung durch.
Weigerten sich SPD und Grüne in den 1990er Jahren oft noch, Koalitionen mit der
„unzuverlässigen“ PDS einzugehen, so wurde sie schon vor der Jahrhundertwende
auch in den Augen der bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer „normalen“ Partei.
Die Realpolitik der PDS und später der Linkspartei führte sie in
Landesregierungen in allen neuen Bundesländern mit Ausnahme Sachsens. Während
die Mitgliederzahlen schrumpften, wuchs der Anteil jener Mitglieder, die
Wahlämter innehatten. Ein großer Teil der aktiven Mitgliedschaft ist seit
Jahren fest in das bürgerlicher System integriert, ihre politische Aktivität
besteht darin, Wahlämter auf kommunaler, regionaler oder Bundesebene auszuüben.
Er prägt die Parteistrukturen, die Vorstände, Parteitage. Die Frage, ob die
Linkspartei eine „Bewegungspartei“ oder eine institutionelle
StellvertreterInnentruppe sei, ist eigentlich nur für jene eine, die partout
die Realität der Partei beschönigen wollen. Praktisch war sie für die PDS (und
damit auch für die Linkspartei) immer schon beantwortet. In den letzten Jahren
ist – unabhängig von den vertretenen reformistischen oder, neuerdings,
linkspopulistischen Ideologien – das Gewicht des Apparates und der in den
bürgerlich-parlamentarischen Institutionen tätigen FunktionärInnen immer mehr
gewachsen.

Mit deren
bürgerlicher Realpolitik und der Mitverwaltung der Misere schwand
notwendigerweise auch das Ansehen der Partei unter den Lohnabhängigen, vor allem
auch unter den Arbeitslosen, prekär oder gering Beschäftigten. Zugleich verlor
die Linkspartei trotz ihrer angepassten Politik auch die Bindekraft gegenüber
lohnabhängigen Mittelschichten und auch dem KleinbürgerInnentum im Osten.

Mit letzteren
verliert die Linkspartei WählerInnenschichten an AfD (und tw. auch Grüne), die
sie im Westen ohnedies nie hatte und die für eine „linke“ Partei eigentlich
untypisch sind, sondern vielmehr historisch aus den Wurzeln der PDS in der SED,
also der Partei der politisch herrschenden Kaste in der DDR herrühren.

Aufstieg der AfD

Der Aufstieg der
AfD reflektiert also nicht nur die sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die
soziale Lage verschiedener Klassen im Osten, sondern auch Verrat und Niedergang
der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften.

Bezüglich einer Analyse der AfD verweisen wir an dieser Stelle auf den Artikel „Die AfD zwischen neoliberalem Nationalismus und radikaler Rechter“ (7). Dass diese rechtspopulistische Partei, die sich als „Alternative“ zur „Elite“ präsentiert, im Osten besonders stark ist, sollte aber nicht verwundern. Gerade die instabilere Klassenstruktur bietet einen günstigeren Nährboden für das rasche Anwachsen solcher Kräfte. Das drückte sich auch bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg einmal mehr aus.

Zwei
Entwicklungen der AfD im Osten Deutschlands sind dabei entscheidend für den
Wahlerfolg. Erstens gelingt es, die kleinbürgerlichen Schichten äußerst stark
zu mobilisieren. So erhielt die AfD lt. Umfragen in Brandenburg 34 % der
Stimmen unter den „Selbstständigen“, in Sachsen immerhin auch 29 %. Sie
konnte damit eindeutig in die klassische CDU- und FDP-WählerInnenschaft
eindringen. Vor allem bei den ehemaligen NichtwählerInnen mobilisierte sie mit
Abstand die meisten Stimmen. Erschreckend ist sicherlich der hohe Anteil an den
„ArbeiterInnen“ – in Brandenburg 44 %. Auch wenn das nicht mit der
ArbeiterInnenklasse gleichgesetzt werden darf und der Anteil unter den
Angestellten mit 26 % deutlich geringer ausfiel, so verdeutlicht es den
Einbruch in lohnabhängige Milieus. Sicherlich wurde das z. B. in
Brandenburg noch einmal durch die besondere Situation in der Lausitz angesichts
des Ausstiegs aus der Braunkohle verschärft. Jedenfalls hat die AfD in dieser
Region einige Direktmandate erobert.

Vor allem Angst
vor Veränderungen, die sozialen Abstieg bedeuten könnten, treibt alle
Bevölkerungsschichten um und an, dies sorgt für große Mobilisierung zur Wahl.
Dabei bilden Rassismus und Chauvinismus quasi den gemeinsamen „Kitt“, der
eigentlich gegensätzliche soziale Lagen verbindet und die AfD als zweitbeste
Vertretung „ostdeutscher Interessen“ erscheinen lässt. Mögen auch viele
Menschen subjektiv sie aus „Protest” gewählt haben, so hat sich dieser
verfestigt und die „ProtestwählerInnen” lassen sich von Rassismus,
Zusammenarbeit mit offenen Nazis von der Wahl nicht abschrecken.

Die AfD baut
sich gerade in der ehemaligen DDR als gesellschaftliche Kraft mit Massenanhang
im kleinbürgerlich-reaktionären Spektrum auf, die perspektivisch auch immer
größeren Teilen des BürgerInnentums und des Kapitals eine „verlässliche“
Machtalternative bieten will – von BürgermeisterInnen in den Kommunen bis hin
zur Beteiligung an Landesregierungen.

Dies tut sie z. B.
mit dem Slogan „Vollendet die Wende“, „Wende 2.0“. Sicher bringt diese
Formulierung auch eine große gesellschaftliche Tragik zum Ausdruck. Die
Tatsache, dass sich 30 Jahre nach der kapitalistischen Restauration der DDR die
nationalistischen und faschistischen SchergInnen des Kapitals anschicken, die Wende
zu vollenden, ist selbst ein dramatischer Ausdruck der Niederlagen der
ostdeutschen ArbeiterInnenklasse wie des politischen Versagens von SPD und
Linkspartei.

Kandidat Andreas
Kalbitz, der in Athen schon mal die NS-Flagge hisste, begründete diesen Slogan
mit der sozialen Realität, nämlich den immer noch niedrigeren Rentenniveaus der
Ostdeutschen. Bevor „andere“ – gemeint sind MigrantInnen und Geflüchtete – Geld
bekämen, sollte doch erst mal die Rente angeglichen werden. So werden reale
soziale Skandale wie Altersarmut, Ungleichheit, das Abhängen ganzer Regionen
angesprochen. Dass Einkommen, Arbeitszeiten, Infrastruktur, Bildungs- und
Arbeitsmarktchancen auch 30 Jahre nach der Wende nicht angeglichen sind, hat
freilich die AfD nicht erfunden. Sie greift vielmehr diese Realität des
Kapitalismus auf und verbindet sie mit nationalistischer und rassistischer
Hetze. Dabei spielen ihr alle anderen Parteien mehr oder weniger willig in die
Hände, die die soziale Misere verharmlosen und Jahr für Jahr erklären, dass sie
die Lebensverhältnisse der Menschen doch verbessert hätten.

Dass die
AfD-Wirtschafts- und -Sozialpolitik eigentlich neoliberal bis auf die Knochen
ist, dass sie die öffentlichen Rentenkassen an Fonds verscherbeln will, spielt
in ihrer öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle. Zum anderen kann die AfD einfach
darauf setzen, dass sie die „Systemparteien“ – also alle anderen – ungestraft
einfach als „LügnerInnen” bezeichnet, selbst wenn sie einmal die Wahrheit sagen
sollten.

Irrwege und Wege

SPD und Linkspartei
starren auf den Aufstieg der AfD wie das Kaninchen auf die Schlange, indem sie
sich an ein parlamentarisches Bündnis nach dem anderen klammern. Statt auf
Mobilisierung und Klassenkampf setzen sie – nicht nur die SPD, sondern auch
weite Teile der Linkspartei – auf ein Bündnis mit bürgerlichen „DemokratInnen“.

In Zeiten
kommender Wirtschaftskrisen, akuter Handelskriege, baldiger Restrukturierungen
im industriellen Sektor, Massenentlassungen und weiterer Prekarisierung der
sozialen Bedingungen, einer vertieften ökologischen Gesamtkrise bedeutet diese
Politik nichts anderes, als die Lohnabhängigen an eine Allianz mit den
„demokratischen“ VertreterInnen des Kapitals zu binden und der AfD-Demagogie in
die Hände zu spielen, dass sie als einzige „die einfachen Leute“ vertrete. Die
Lehre kann nur lauten: Schluss mit dieser Politik!

Der Kampf gegen
rechts darf dabei nicht auf den Kampf gegen die AfD beschränkt bleiben. Eine
Linke, eine ArbeiterInnenbewegung, die Hunderttausende Lohnabhängige von den
rechten DemagogInnen wiedergewinnen will, muss den Kampf gegen die soziale
Misere, die realen Missstände in Angriff nehmen. Dazu braucht es einen Kampf
gegen Billiglohn und Hartz IV, gegen weitere drohende Entlassungen, für ein
öffentliches Programm zum Ausbau der Infrastruktur, von Bildung,
Gesundheitswesen, ökologischer Erneuerung im Interesse der Lohnabhängigen,
kontrolliert von der ArbeiterInnenklasse und finanziert durch die Besteuerung
der Reichen – um nur einige Beispiele zu nennen. Kurzum, es braucht den gemeinsamen
Kampf der Linken, der Gewerkschaften wie aller ArbeiterInnenorganisationen.

Angesichts der
drohenden Angriffe, und um gemeinsamen Widerstand zu entwickeln, brauchen wir
Aktionskonferenzen auch bundesweit, um den Kampf gegen Rechtsruck, AfD,
militante faschistische Gruppierungen und gegen die laufenden und drohenden
Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse und die Jugend, auf Arbeitsplätze und
unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu koordinieren.

Endnoten

(1) https://www.spiegel.de/karriere/beschaeftigte-in-ostdeutschland-laengere-arbeitszeit-weniger-lohn-a-1276092.html

(2) https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/PDF_Dokumente/181002_SF_Ergebnisse_im_Einzelnen_Arbeitsverhaeltnisse_in_Ost_und_West.pdf

(3) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-05/ost-west-wanderung-abwanderung-ostdeutschland-umzug

(4) https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Teilhabeatlas/Teilhabe_Online.pdf,
S. 16

(5) Martin
Suchanek, Zerstörung eines ArbeiterInnenstaates, in: Revolutionärer Marxismus
9, S. 25, Frühjahr 1993

(6) https://www.sueddeutsche.de/politik/studie-osten-westen-wirtschaft-deutschland-1.4354465

(7) Wilhelm Schulz, Die AfD zwischen neoliberalem Nationalismus und radikaler Rechter, in: Revolutionärer Marxismus 50, November 2018, S. 116 – 142