Frauenbewegung in den USA und die Abtreibungsfrage

Jan Hektik, Leonie Schmidt, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2024

Seit Jahrzehnten stehen die Abtreibungsrechte im Fokus der Frauenbewegung in den USA – nicht erst seit dem 24.06.2022, als der Supreme Court (Oberster Bundesgerichtshof) die Grundsatzentscheidung „Roe vs. Wade” kippte (Entscheidung Dobbs vs. Women’s Health Organization). Dabei stellen sie nicht nur die Frage der Selbstbestimmung über den eigenen Körpers, des Lebens und der Gesundheit von Frauen auf die Tagesordnung. Der Stand der Bewegung zeigt auch auf, welchen Problemen die Frauenbewegung sich im Kampf gegen die (meist fanatisch christliche) Rechte gegenübersieht.

Rechtliche Situation

„Roe vs. Wade” wurde 1973 gefällt und garantierte seitdem Frauen grundsätzlich das Recht, über den Abbruch von Schwangerschaften selbst zu bestimmen – bis zum Juni 2022. In den Monaten nach dem Urteilsspruch  wurde der Zugang zu Abtreibungs- und Reproduktionsdienstleistungen in fast der Hälfte des Landes drastisch eingeschränkt oder verboten. Viele Kliniken bieten in den betroffenen Bundesstaaten keine Dienstleistungen mehr an, da die Rechtslage unberechenbar geworden ist, mit einer breiten Palette an staatlichen Maßnahmen, die nach dem Urteil eingeführt wurden – einschließlich Verboten, die vor Roe galten (einige davon stammen aus den 1800er Jahren), neuen Gesetzen und mehreren laufenden Gerichtsverfahren. Diese Unvorhersehbarkeit hat in vielen Staaten zu einer abschreckenden Wirkung geführt, so dass Anbieter:innen von Abtreibungen aus Angst vor rechtlichen Schritten ihre Dienste vorsorglich eingestellt haben. Die Lage gestaltet sich nun wie folgt:

In 14 Bundesstaaten ist Abtreibung bis auf wenige Ausnahmen illegal (Alabama, Arkansas, Idaho, Indiana, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, North Dakota, Oklahoma, South Dakota, Tennessee, Texas, West Virginia). Dies bedeutet, auch bei sexualisierter Gewalt, psychischen Folgen oder unmittelbarer Gefahr für die Gesundheit der Mutter und unabhängig von den Überlebenschancen des Kindes ist ein Abbruch der Schwangerschaft in diesen Staaten nicht erlaubt. So verbot jüngst ein texanisches Gericht einer 31-jährigen die Abtreibung ihres höchstwahrscheinlich nicht lebensfähigen Fötusses, die einen Notfallschwangerschaftsabbruch beantragt hatte. Weitere 13 stehen Abtreibung generell feindlich gegenüber und planen entweder die Illegalisierung oder starke Einschränkungen. In 11 wurden der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen vereinfacht und besonders geschützt (Kalifornien, Connecticut, Hawaii, Illinois, Maryland, Minnesota, New York, Oregon, Vermont, Washington).

In den restlichen Staaten ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Beispielsweise versucht die Legislative in Florida, immer wieder Angriffe auf das Abtreibungsrecht durchzuführen, das oberste Gericht Floridas verhindert dies jedoch regelmäßig. Dabei ist herauszustellen: Die rechtliche Lage alleine gibt nicht wieder, wie der Zugang zu Kliniken, die Finanzierung des Eingriffs oder die Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten aussehen. Das heißt, selbst keine oder lediglich partielle Einschränkungen bedeuten nicht automatisch, dass Selbstbestimmung über den eigenen Körper so einfach möglich ist.

Seit dem Urteil des Supreme Court hat rund die Hälfte der Gesetzgeber:innen in den Vereinigten Staaten insgesamt mehr als 500 neue Gesetze zu Abtreibungen erlassen, die zu einer Verschärfung oder einem absoluten Verbot von Abtreibungen geführt haben, drohen allen, die Frauen helfen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, hohe Haft- und empfindliche Geldstrafen und als Arzt/Ärztin auch der Entzug der Berufslizenz. Die krassesten Forderungen der Abtreibungsgegner:innen sind die nach Verhängung der Todesstrafe (South Carolina), Verbot der Zulassung für die Abtreibungspille Mifepriston  und Streichung der Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest (Texas).

Auswirkung

Schon vor Einschränkung der Selbstbestimmung war in keiner Industrienation die Müttersterblichkeit so hoch wie in den USA. Die Tendenz nimmt aktuell zu. Dabei zeigt die Realität, dass die Auswirkungen der Einschränkungen je nach Klassenlage unterschiedlich ausfallen: Der  Flickenteppich aus verschiedenen Regelungen, der eingeschränkte Zugang zu Krankenversicherungen sowie allgemein schlechte medizinische Versorgung in den USA führen dazu, dass vor allem proletarische Schichten ungleich stärker getroffen werden. Die emotionale Belastung, ungewollt schwanger zu sein, sowie die Ablehnung durch das Umfeld treffen zwar alle, es macht jedoch einen massiven Unterschied, ob man es sich leisten kann, nach Kalifornien zu fliegen, um dort eine Abtreibung durchzuführen, oder dies schlichtweg nicht bezahlen kann. Diesen bleibt dann nur übrig, Abtreibung illegal oder durch Freund:Innen vornehmen zu lassen – oder das Kind zu bekommen.

Dabei weisen viele der Bundesstaaten mit Abtreibungsverbot bereits jetzt die schlechtesten wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen für Frauen und Familien in den USA auf wie keinen garantierten, bezahlten Urlaub aus familiären und medizinischen Gründen, keine Ausweitung der MedicAid-Deckung auf 12 Monate nach der Geburt und schon jetzt höhere Armutsquoten von Frauen und Kindern als im Landesdurchschnitt. Diese Entscheidung sorgt letzten Endes dafür, dass die wirtschaftliche Stellung von Frauen sich weiter verschlechtert, und drängt sie in die Abhängigkeit von Beziehungen – und setzt sie auch der Situation aus, partnerschaftliche Gewalt aushalten zu müssen. Ebenso ist herauszustellen, dass nicht-weiße Frauen, insbesondere Schwarze, besonders davon getroffen werden, da sie schon jetzt überproportional in Gegenden mit schlechter medizinischer Infrastruktur leben, im Kindbett sterben und von rassistischen Übergriffen und Benachteiligungen im Gesundheitssystem betroffen sind.

Und der Widerstand?

Immer wieder kommt es zu größeren Protesten, zumeist angeführt von den Demokrat:innen wie zum 50. Jahrestag der „Roe vs. Wade”-Entscheidung, bei der Tausende auf die Straße gingen. Jedoch hat der Widerstand mehrere Probleme: Die sporadischen Proteste sind kaum miteinander koordiniert, was ihre Ausweitung erschwert. Vor allem ist jedoch die Strategie der Führung der Proteste – der bürgerlichen Demokratischen Partei – fehlerhaft. Hier zeigt sich sehr anschaulich, welche Probleme mit dem klassenübergreifenden Kampf für Unterdrückte verbunden sind.

Das Motto der Demokrat:innen lautet: wählen, bilden und überzeugen. Ganz nach dem Motto: „Wir müssen nur gut genug darlegen, warum es wissenschaftlich und gesundheitlich richtig ist, Menschen, die die das Recht auf Abtreibung anerkennen, in Positionen wählen, wo sie Entscheidungen treffen können, dann werden sich Gesetze und Gerichte danach richten. Schließlich haben doch auch die Rechten über Gesetzgebung und den Supreme Court diese Änderung bewirkt.“

Diese Überlegung krankt jedoch an zwei Denkfehlern: Zum einen vertauscht sie Ursache und Wirkung. Die US-amerikanische Rechte stellt eine Bewegung dar, welche durch Demonstrationen, Verbreiten von Propaganda und Angriffen ihre Ziele durchsetzt, damit die Republikanische Partei vor sich hertreibt und ihre Ziele umsetzt. Die Gesetzgeber:innen und Richter:innen im Supreme Court sind nämlich dabei nicht das Mittel, sondern Ergebnis einer kämpfenden Bewegung, welche auch nicht davor zurückschreckt, faschistoide Elemente zu verwenden. Dass sie Teile der Bevölkerung ansprechen kann, liegt auch nicht an mangelnder Aufklärung dieser, sondern entweder daran, dass diese ihre gesellschaftliche Stellung halten wollen oder sich bereits in einer schlechten ökonomischen Situation befinden und keine andere Alternative aufgezeigt bekommen, außer gegen marginalisierte Gruppen zu kämpfen.

Gerade deswegen ist zum anderen der Weg der Überzeugung fehlerhaft. Über 2/3 der US-Bevölkerung stehen dem Abtreibungsrecht grundsätzlich positiv gegenüber. Es gilt nicht, das letzte Drittel zu überzeugen, sondern sich zu fragen, weshalb 1/3 über 2/3 entscheiden kann und wie dies zu beheben ist. Wenn 70 % Mehrheit nicht reichen, warum sollten es 80 % tun? Wenn die Demokrat:innen seit den 1970er Jahren keine ihrer Mehrheiten genutzt haben, um Abtreibungsrechte gesetzlich zu verankern, warum sollten sie es in Zukunft tun?

Warum eigentlich?

Die Republikaner:innen und Rechten mit der gesellschaftlichen Dynamik über ein Werkzeug, ihre Position durchzusetzen. Die Ablehnung des Rechts auf Selbstbestimmung über weibliche Körper zementiert die Herrschaft von Männern über Frauen in Beziehungen, stärkt die Abhängigkeit von der bürgerlichen Familie und bietet Männern eine Ablenkung von der Krise (und individuell ein Gefühl ihrer Abschwächung), während es gleichzeitig Frauen bindet und daran hindert, dagegen zu kämpfen. Natürlich gibt es nicht irgendwo eine geheime Verschwörung rechter Köpfe, die einen Masterplan über die Stärkung der bürgerlichen Familie ausgeheckt haben, sondern es sind gesellschaftliche Kräfte und Tendenzen, die bestimmte Verhaltensweisen, Organisationen und Bewegungen stärken und andere schwächen.

Die Republikaner:innen und die Rechte profitieren gewissermaßen davon, dass ihre Ziele weniger widersprüchlich sind. Wer sich auf das religiös motivierte Verbot von Abtreibungen, Enthaltsamkeit als Verhütungsmethode und den Segen der bürgerlichen Familie beruft, kommt nicht nur gut bei religiösen Fundamentalist:Innen und konservativen Traditionalist:Innen an, sondern fördert auch nebenbei ein Umfeld, in welchem Frauen noch einfacher entlassen, unterbezahlt, teilzeitbeschäftigt und in die Reproduktionsarbeit getrieben werden können. Dies ist ein großes Plus für Unternehmer:innen – insbesondere in Krisenzeiten –,  welche Lohn- und Reproduktionskosten senken und nebenbei einen psychologischen Effekt der Überlegenheit bei ihren Arbeitern erzielen können, welcher sie ruhigstellt.

Die Demokrat:innen können sie sich in manchen Fragen zwar liberaler positionieren, kämpfen gegen offenen Sexismus, die Wurzel der Unterdrückung (die bürgerliche Familie) wollen sie jedoch nicht angreifen. Denn das würde bedeuten, dass sie mit ihrer Politik zugunsten der Profite der Unternehmen brechen müssten.

Wie kann die Bewegung Erfolg haben?

Um eine erfolgreiche Bewegung für Selbstbestimmung über den eigenen Körper auf die Beine zu stellen, bedarf es mehrerer Schritte:

Gemeinsame Forderungen, Slogans und koordinierte Proteste bilden einen ersten Schritt, um den bestehenden Aktivitäten einen gemeinsamen Deckel zu geben sowie mehr Ausstrahlung zu erreichen. Dies kann Ergebnis von Absprachen zwischen Organisationen sein, jedoch braucht es eine Strategiekonferenz, bei der Aktivist:innen zusammenkommen können und verbindliche Beschlüsse und Aktivitäten verabschieden. Dort muss diskutiert werden, wie die Bewegung aufgebaut werden kann – und wie ihr Weg verlaufen soll, ihre Forderungen zu erreichen. Unserer Meinung nach hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Demokrat:innen sich zwar gerne an den Protesten beteiligen dürfen, ihre Strategie ist jedoch unzureichend und kann nicht als Grundlage genommen werden.

Wenn eine Bewegung Erfolg haben will, darf sie nicht nur Massendemonstrationen organisieren, sondern muss sich an Schulen, Universitäten sowie in Betrieben verankern und vor Ort präsent sein. Um das zu erreichen, ist es nicht nur wichtig, Aktivitäten vor Ort zu organisieren. Es ist auch notwendig, nicht nur gegen das Abtreibungsverbot zu kämpfen, sondern für konkrete Verbesserungen. Die Realität zeigt: Arme Schichten sowie insbesondere Nicht-Weiße sind besonders von den Abtreibungsverboten betroffen. Es müssen also Forderungen entworfen werden, die den Kampf um Selbstbestimmung mit dem für breitere Verbesserungen der Arbeiter:innenklasse insgesamt verbinden helfen. Ziel muss es sein, Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, sodass diese sich aktiv an den Protesten beteiligen, selber mobilisieren und gemeinsam mit der Bewegung den politischen Streik als Waffe zur Durchsetzung der Forderungen lancieren können:

  • Reproduktive Gerechtigkeit jetzt: Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung!
  • Menschen statt Profite: Für ein staatliches Gesundheitssystem, in das alle einzahlen und welches alle Gesundheitsleistungen inklusive Verhütung, Schwangerschaftsabbruch und Geburten ohne Zusatzleistungen abdeckt (Single Payer HealthCare System)!
  • Schluss mit Abhängigkeit: Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Flächendeckender Ausbau von Schutzräumen für Betroffene von sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter, sowie LGBTIA+!
  • Für Aufklärungskampagnen an Schulen, Universitäten und in Betrieben durch Gewerkschaften zu Sexismus, sexuellem Konsens und Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

In so einer Bewegung ist es wichtig, dass Sozialist:innen eine revolutionäre Perspektive hereintragen. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass diese Probleme einer systematischen Umwälzung mindestens des US-Gesundheits-, Justiz-, Regierungs- und Polizeisystems bedürfen. Solange es einen Flickenteppich aus privaten Krankenkassen und Gesundheitseinrichtungen gibt, wird die Gesundheit (und werden damit sichere Abtreibungen, Schwangerschaften und Geburten) ein Privileg der Reichen sein! Das heißt: Wir unterstützen den Kampf für Reformen und Verbesserungen. Gleichzeitig muss dieser damit verbunden werden, dass Elemente von Arbeiter:innenkontrolle in die Forderungen mit eingebunden werden, um sicherzustellen, dass diese im Interesse der Klasse umgesetzt werden und aufzeigen, wie der Kapitalismus überwunden werden kann. Das kann beispielsweise so aussehen:

  • Versorgung garantieren: Verstaatlichung des Gesundheitssektors unter Kontrolle der Arbeiter:innen! Flächendeckender Ausbau von Kliniken, insbesondere in ländlichen Regionen, sowie massive Aufstockung des Personals!
  •  Schluss mit Diskriminierung in der Medizin: Für Sensibilisierungskampagnen gegen sexistische und rassistische Vorurteile!
  • Armut stoppen: Anhebung des Mindestlohns auf 15 USD/Stunde und Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Finanzierung durch die Besteuerung der Reichen und verbindliche Offenlegung der Geschäftskonten gegenüber den Gewerkschaften!

Bewegung alleine reicht nicht

Das zeigt die Richtung, in die es gehen muss. Die Aufgabe von Revolutionär:innen in den USA ist letzten Endes eine dreifache: a) der Aufbau einer Bewegung für reproduktive Gerechtigkeit; b) Bildung eines Pols in dieser Bewegung, der eine revolutionäre Perspektive aufzeigt; und c) der Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenpartei, die es schafft, unterschiedliche Bewegungen zu sammeln und mit einer Perspektive, einem realen Programm zum Erfolg zu führen – also das kapitalistische System zu zerschlagen. Ihre Aufgabe besteht  somit nicht primär darin, zu Wahlen anzutreten, sondern die Kämpfe zu organisieren, planen und aktiv zuzuspitzen. Dabei muss sie als Bindeglied zwischen den verschiedenen kämpfenden Gruppen (People of Colour, Frauen, Gewerkschaften, LGBTIA+, Umweltbewegung) fungieren und den offenen Kampf gegen die Politik der Mitverwaltung des Kapitalismus seitens Demokrat:innen und Gewerkschaftsführung in diese tragen. Nur so kann letzten Endes gesichert werden, dass reproduktive Gerechtigkeit nicht nur als Wahlkampfslogan benutzt, sondern aktiv umgesetzt wird. Dabei ist essentiell, dass in Gewerkschaften oder politischen Organisation der Arbeiter:innenbewegung gesellschaftlich unterdrückte Gruppen das Recht haben, einen Caucus zu bilden, sich gesondert nur unter sich zu treffen, um die eigene Unterdrückung in einem Schutzraum diskutieren zu können!




USA: Anstieg von Femiziden nach Verschärfung von Abtreibungsgesetzen

Veronika Schulz, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 11, März 2023

Die Angriffe auf hart erkämpfte Errungenschaften, Grund- und Bürgerrechte im Zuge des Aufstiegs von Rechtspopulist:innen weltweit gehen weiter – und erste Folgen sind jetzt schon spürbar. Trotz der Abwahl von Donald Trump und der neuen Bundesregierung unter Joe Biden erleben wir in den USA einen enormen Angriff auf Frauenrechte.

Insbesondere reproduktive und Selbstbestimmungsrechte von Frauen werden immer häufiger infrage gestellt. Damit wird Frauen der Zugang zu Beratung sowie Abtreibung im Falle ungewollter Schwangerschaften bewusst erschwert oder gleich gänzlich kriminalisiert, was neben finanziellen Belastungen und gesundheitlichen Risiken im Falle nun illegal durchgeführter Abbrüche weitere Auswirkungen mit sich führt: In den USA lässt sich bereits ein deutlicher Anstieg von Femiziden feststellen, insbesondere an schwangeren Frauen.

Hintergründe

Der Begriff Femizid (engl. femicide) wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zum englischen Begriff „homicide“ (Mord, Totschlag) benutzt. Die feministische Soziologin Diana Russell definiert Femizid als einen Mord an einer weiblichen Person durch einen Mann auf Grund der Tatsache, dass sie weiblich ist. Diese Definition schließt auch die Tötung von Kindern mit ein. Dadurch wird die geschlechtsspezifische Motivation der Morde verdeutlicht, die Frauen durch Männer erleiden. Der Femizid stellt, noch vor der Vergewaltigung, die höchste Manifestation der Unterdrückung der Frau und eine extreme Form patriarchaler Gewalt dar.

Auch wenn Boulevardmedien mit reißerischen Schlagzeilen das Gegenteil suggerieren, so sind Femizide keine rein individuellen Tragödien. Während die Täter beim Frauenmord in familiärem oder partnerschaftlichem Kontext zwar einzelne Individuen oder kleine Gruppen sind, repräsentieren sie [beim Feminizid, dem organisierten, massenhaften Femizid] eine gesellschaftliche Kraft, in deren Interesse sie agieren – z. B. eine bestimmte Sorte von Unternehmen, eine reaktionäre Bewegung.

Die gesellschaftliche Dimension von Femiziden, also Morden an Frauen, weil sie Frauen sind, erfordert eine Betrachtung der Ursachen für die Zunahme dieser Gewalttaten.

Der von konservativen Richter:innen dominierte Supreme Court (Oberster Gerichtshof) der USA hatte im Juni 2022 das fast 50 Jahre geltende Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aufgehoben. Dieses garantierte bisher das landesweite Grundrecht auf Abtreibung. Durch die Entscheidung des Supreme Court können Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nun einschränken oder gänzlich verbieten, was mehrere konservativ regierte bereits getan haben. Das Urteil wurde deshalb nicht nur in den USA von Abtreibungsgegner:innen als Sieg gefeiert.

Betroffen sind rund 40 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter, die in US-Bundesstaaten leben, in denen Abtreibungen entweder bereits verboten oder nur in eng gefassten Ausnahmefällen möglich sind bzw. in absehbarer Zeit verboten oder stark eingeschränkt werden.

Zunahme von Femizide an Schwangeren

Bereits Ende 2021, noch vor dem Urteil des Supreme Court und den darauffolgenden Restriktionen, gab es Bedenken bezüglich einer Zunahme von partnerschaftlicher Gewalt und Femiziden als mögliche Folgen: „Einige Experten befürchten, dass die Einschränkung des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch gefährdete Frauen noch mehr in Gefahr bringen könnte.“ So hatten Studien ohnehin belegt, dass partnerschaftliche Gewalt durch bzw. während Schwangerschaften zunimmt. Frauen war es oft nicht möglich, ihre Schwangerschaft fortzusetzen, und sie entschieden sich aufgrund häuslicher Gewalt zur Abtreibung. Die USA hatten demnach bereits eine sehr hohe Rate an Müttersterblichkeit: „Im Jahr 2018 kamen in den USA auf 100.000 Lebendgeburten 17 Müttersterblichkeitsfälle – mehr als doppelt so viele wie in den meisten anderen Ländern mit hohem Einkommen.“

Forscher:innen der Harvard School of Public Health kommen zu dem Ergebnis, dass es in den USA für Schwangere oder Frauen, die vor kurzem entbunden haben, wahrscheinlicher ist, ermordet zu werden, als durch schwangerschafts- oder geburtsbedingte Komplikationen zu sterben. Tötungsdelikte an Schwangeren sind somit häufiger als solche Todesfälle durch Bluthochdruck, Blutungen oder Sepsis, wie die Forscher:innen in einem Leitartikel beschreiben.

Die Verbreitung von Gewalt in der Partnerschaft ist in den USA ohnehin höher als in vergleichbaren Ländern. Die Gewalt endet oft tödlich und häufig sind Schusswaffen im Spiel. Eine weitere Studie der Tulane University bestätigt diesen Trend, wonach Tötungsdelikte eine der häufigsten Todesursachen bei Schwangeren und Wöchnerinnen in den USA sind.

Die genannten Studien können durch Zahlen belegen, dass neben schwangeren Jugendlichen insbesondere schwarze Schwangere ein wesentlich höheres Risiko hatten, getötet zu werden, als weiße oder hispanische. Dies verwundert nicht, da schwarze Arbeiter:innen in den USA auch heute noch strukturell benachteiligt sind, schlechter bezahlte Jobs haben, oft in beengten Wohnsituationen leben und seltener krankenversichert sind. Die ökonomischen Bedingungen wirken sich daher für diese Bevölkerungsgruppe besonders negativ aus.

Ähnliche Entwicklungen konnten auch in Deutschland im Zuge der Lockdowns der Coronapandemie beobachtet werden, wo aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Lage und der erzwungenen Nähe auf engstem Raum partnerschaftliche Gewalt um ein Vielfaches zugenommen hat.

Somit war bereits vor den Verschärfungen und Verboten, die auf das Grundsatzurteil des Supreme Court in einigen US-Bundesstaaten folgten, die Ausgangslage für Schwangere alles andere als sicher. Gesetze, die den Zugang von Frauen zu Abtreibung einschränken, können sie weiter gefährden, da die Kontrolle über die reproduktiven Entscheidungen einer Frau oft eine Rolle bei Gewalt in der Partnerschaft spielt. Die Autor:innen der Studie der Harvard School of Public Health weisen explizit darauf hin, dass schwangerschaftsbedingte Tötungsdelikte vermeidbar sind, z. B. indem im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Schwangeren gewaltgefährdete Frauen identifiziert und Hilfestellungen angeboten werden können.

Arbeiter:inneneinheitsfront für freie Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung

Doch wie kann, gemessen an diesen permanenten Angriffen und vielfältigen Problemen, eine erfolgreiche Pro-Choice-Bewegung aufgebaut werden? Statt nur auf Verschlechterungen zu reagieren, müssen wir selbst Verbesserungen erkämpfen. Wir dürfen nicht auf den Staat vertrauen oder Illusionen in die Demokratische Partei hegen. Diese konnte bzw. wollte die derzeitigen Angriffe auf bestehende Frauenrechte nicht verhindern. Daher müssen wir unabhängig von ihr gegen den Abbau von Frauenrechten kämpfen. Dabei kommt es auf den Kampf als Klasse an, was bedeutet, dass er durch die Arbeiter:innenklasse geführt und von ihren Organisationen unterstützt werden muss.

Wir fordern daher die Gewerkschaften auf, für eine gemeinsame Kampagne zu mobilisieren. Betriebsräte könnten beispielsweise Betriebsversammlungen einberufen, wo diese Themen und Fragen diskutiert werden. Darüber hinaus können Gewerkschaften mit Streik als Kampfmittel, anders als Einzelpersonen oder andere Gruppen, ökonomischen und politischen Druck auf Kapital und Regierung aufbauen.

Im Rahmen von Aktionstagen und für die Durchführung eines politischen Streiks wäre es außerdem wichtig, Streik- und Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort mobilisieren, kollektive Erfahrungen ermöglichen und auf diese Weise auch zur Stärkung und Demokratisierung des gemeinsamen Kampfes beitragen. Ebenso sind Gewerkschaften personell und finanziell in der Lage, internationale Kooperation und Koordination zu gewährleisten, z. B. durch die Organisation zentraler, internationaler Aktionstage zum Thema Abtreibungsrechte und Selbstbestimmung. Dies ist wichtig, da die Unterdrückung nicht nur in einem Land existiert und zusammen mehr Druck aufgebaut werden kann.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einbindung von Gewerkschaften auch einige Probleme mit sich bringt. Gerade im Dienstleistungsbereich, in dem hauptsächlich Frauen arbeiten, organisieren sich nur wenige Arbeiter:innen in ihnen. Ebenso agieren Gewerkschaften häufig reformistisch und beschränken sich auf die Besitzstandswahrung im eigenen Interesse, anstatt Fortschritte für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Es existiert eine Gewerkschaftsbürokratie, die ihren Frieden mit dem jetzigen System geschlossen und ihre Rolle selbst auf das Feilschen um Lohn und Arbeitsbedingungen reduziert hat. Revolutionäre Kommunist:innen müssen sich deshalb für eine klassenkämpferische, antibürokratische Basisbewegung einsetzen, die sich der bürokratischen Spitze entgegenstellt, um die Gewerkschaften zu einem Glied in den Reihen des Kampfes für den Sozialismus umzugestalten.

Des Weiteren rufen wir alle bestehenden Pro-Choice-Bündnisse und -Bewegungen aktiv dazu auf, auch weiterhin gegen den bestehenden Abbau von Frauenrechten zu kämpfen und den Protest erneut auf die Straße zu tragen. Lasst uns die bisher bestehenden Bündnisse und Mobilisierungen bündeln und einen gemeinsamen Aktionstag für den Kampf für Frauenrechte ausrufen!

Gegenwehr

Zur Verhinderung von Femiziden ist der Aufbau von Organen der Gegenmacht erforderlich. Um die Verelendung der Klasse zu verhindern und rechtspopulistischen oder protofaschistischen Kräften das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage selbst aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Zur Abwehr weiterer Angriffe auf Abtreibungsrechte, aber auch zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, welches selbst in Staaten mit liberaler Gesetzgebung bisher eingeschränkt ist, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt – national und international:

  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen/öffentlichen Gesundheitsdiensten finanziert werden!

  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Für uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen, Ärzt:innen und Kliniken!

  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!

  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!

  • Ausbau von Kitas und Kinder-/Jugendbetreuungsangeboten, um Eltern zu entlasten!

  • Für viel mehr finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung von insbesondere (jungen) Frauen und Alleinerziehenden und dafür, dass minderjährige Frauen mit einer Schwangerschaft nicht alle Chancen auf eine gute Zukunft verlieren!

  • Langfristig: Für die Kollektivierung der Kindererziehung in der Gesellschaft!

  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!

Ärzt:innen dürfen die Entscheidung zur Geburtshilfe (Entbindung) bei überlebensfähigen Föten treffen. Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!

Quellen:

Baumgarten, Reinhard (2022): Weitere Rechte auf der Kippe?, online unter https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/abtreibung-usa-supremecourt-101.html

Chang, Leila (2020): Pro Choice: Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/pro-choice-selbstbestimmung/

Chang, Leila (2022): Our bodies, our choice, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/14/our-bodies-our-choice/

Der Standard (2005): USA: Mord als eine der häufigsten Todesursachen für Schwangere, online unter https://www.derstandard.at/story/1962393/usa-mord-als-eine-der-haeufigsten-todesursachen-fuer-schwangere

Frühling, Jonathan (2020): Femizide – Frauenmorde international, Widerstand international, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/femizide-frauenmorde-international/

Harvard School of Public Health (2022): Homicide leading cause of death for pregnant women in U.S., online unter https://www.hsph.harvard.edu/news/hsph-in-the-news/homicide-leading-cause-of-death-for-pregnant-women-in-u-s/

Insider (2021): Homicide is the leading cause of death for pregnant women in the United States, a new study found, online unter https://www.insider.com/pregnant-women-in-the-us-homicide-leading-cause-of-death-report-says-2021-12

National Institute of Child Health and Human Development (2022): Science Update: Pregnancy-associated homicides on the rise in the United States, suggests NICHD-funded study, online unter https://www.nichd.nih.gov/newsroom/news/091622-pregnancy-associated-homicide

Sanctuary for Families (2022): The Silent Epidemic of Femicide in the United States, online unter https://sanctuaryforfamilies.org/femicide-epidemic/

Suchanek, Martin (2022): Femizide, Feminizide und kapitalistische Krise, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/femizide-feminizide-und-kapitalistische-krise/

The Guardian (2022): Estimated 45,000 women and girls killed by family member in 2021, UN says, online unter https://www.theguardian.com/global-development/2022/nov/23/un-femicide-report-women-girls-data




Abtreibungsrechte: Angriff auf schwer erkämpfte Errungenschaften

Veronika Schulz, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Unterschiedlicher hätten Gerichte nicht entscheiden können: Ende Juni beschloss der deutsche Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition sowie der Linkspartei die Streichung von Paragraph 219a, bekannt als „Werbeverbot für Abtreibungen“. Dieser überfällige Schritt ermöglicht Schwangeren künftig einen einfacheren Zugang zu Informationen sowohl über Ärzt:innen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, als auch über die Methoden, die dazu angewandt werden.

Am selben Tag entschied in den USA der Supreme Court (Oberster Bundesgerichtshof) mit einer Mehrheit konservativer und teils ultrareaktionärer Verfassungsrichter:innen von 5:4 Stimmen, ein knapp 50 Jahre altes Grundsatzurteil zu kippen. Die damalige Entscheidung im Fall „Roe vs. Wade“ garantierte bisher das Recht auf Abtreibung bis zur 23. Schwangerschaftswoche. Das bedeutet, dass bisher in den meisten US-Bundesstaaten Abtreibungen rechtlich nahezu uneingeschränkt möglich waren.

Bereits Anfang Juni war ein im Februar 2022 verfasster erster Entwurf des jetzt verkündeten Urteils über die Nachrichtenseite Politico an die Öffentlichkeit gelangt. Es kam zu spontanen Demonstrationen in über 450 Städten der USA und einem eher verzweifelten Versuch der Demokratischen Partei, das Recht auf Abtreibung durch Kongressbeschluss in einem Bundesgesetz zu verankern. Bisher fehlt jedoch eine Gegenwehr der organisierten Arbeiter:innenklasse.

Dass der Supreme Court ausgerechnet jetzt eine solche Grundsatzentscheidung trifft, hängt auch mit der aktuellen Zusammensetzung des höchsten US-Gerichts zusammen. Ex-Präsident Trump hatte während seiner Amtszeit drei Posten neu besetzt, wodurch sich eine Verschiebung ergeben hat: Von insgesamt neun Richter:innen sind sechs dem konservativen bzw. republikanischen und nur noch drei dem progressiven bzw. demokratischen Lager zuzuordnen. Seine Entscheidung ist jedoch nicht repräsentativ für die Haltung der Bevölkerung zum Thema Abtreibung: Laut Umfragen befürworten um die 70 % der US-Amerikaner:innen „Roe vs. Wade“.

Bedeutung für Schwangere und die Arbeiter:innenklasse

Mit dem neuen Urteil ist der Weg für einzelne Bundesstaaten frei, eigene Gesetze zur Abtreibung und damit Kontrolle über Frauenkörper zu erlassen. Mehrere waren bereits auf dieses Urteil vorbereitet und hatten – teils extreme Verschärfungen bis hin zu (faktischen) Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen – bereits als sogenannte „Trigger Laws“ genannte Entwürfe in den Schubladen. Quasi über Nacht sind somit in überwiegend republikanisch regierten US-Bundesstaaten wie Arkansas oder Oklahoma Schwangerschaftsabbrüche für illegal erklärt worden.

Bereits im September 2021 trat das sogenannte „Heartbeat Law“ in Texas in Kraft. Es verbietet Abtreibungen, nachdem ein fötaler Herzschlag in der sechsten Woche festgestellt werden kann – ein Zeitraum, der so kurz ausfällt, dass viele Frauen nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Es macht keine Ausnahme bei Vergewaltigung oder Inzest. In Texas drohen Schwangeren, Ärzt:innen oder gar Personen, die anderweitig Abtreibungen unterstützen oder ermöglichen, und sei es ein:e Taxifahrer:in zur Beförderung der Schwangeren, hohe Geld- oder Haftstrafen. Was dies für die akut Betroffenen bedeutet, mag sich niemand vorstellen.

Betrachtet man die Karte der US-Bundesstaaten, ist oder wird mit großer Wahrscheinlichkeit in weiten Teilen des Landes – abgesehen von den liberalen Küstenregionen und vereinzelten Staaten im Norden – entweder ein faktisches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen oder ein sehr eingeschränkter Zugang dazu vorherrschen.

Insbesondere Frauen in ländlichen Gebieten des Mittleren Westens sowie einkommensschwachen, migrantischen und Women of Color wird der Zugang zu legalen und sicheren Abtreibungen weiter erschwert bis verweigert. An diesem Punkt zeigt sich der Klassencharakter des Urteils und seiner Auswirkungen. Zweifelsohne sind auch Frauen der bürgerlichen Mittelschicht betroffen, werden jedoch durch soziale Kontakte und finanzielle Mittel auch weiterhin einen Weg finden, auf sichere Weise abzutreiben.

Dadurch zeigt sich, wie durch solch reaktionäre Politik die Ungleichheiten der kapitalistischen Unterdrückung im täglichen Leben von Frauen der Arbeiter:innenklasse verstärkt werden. Langfristig ist dieses Urteil in einem vermeintlich „demokratischen, liberalen westlichen Industriestaat“ auch ein fatales Signal für reproduktive Rechte von Frauen weltweit. Uns muss klar sein, dass es keine objektive oder neutrale Regierungspolitik oder Justiz innerhalb des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen gibt, erst recht keine Rechtsprechung im Sinne der Arbeiter:innenklasse, die an den Grundfesten des Systems rüttelt.

Gegenwehr

Der Aufschrei in den USA und international ist deutlich zu vernehmen. Gut so! Zehntausende haben auf Straßen und Plätzen demonstriert und werden es weiterhin tun. Doch auch die konservativen und evangelikalen, rechten Abtreibungsgegner:innen demonstrieren und scheuen dabei nicht vor Gefährdungen und Verletzungen der Befürworter:innen zurück. Jüngst war ein Auto eines Anhängers dieser durchgeknallten, entsicherten Mittelklassenbewegung, wie sie sich schon beim von Trump inszenierten Sturm aufs Capitol zeigte, in eine protestierende Menschenmenge gerast – unter Inkaufnahme von Tod und Körperverletzungen.

Über Demonstrationen hinaus müssen sich deshalb gerade angesichts der zu allen erlaubten und unerlaubten Mitteln greifenden Rechten Abtreibungsbefürworter:innen auf den Schulterschluss mit der US-amerikanischen Arbeiter:innenbewegung zubewegen. Es ist deren Potenzial, das das Urteil des Obersten Bundesgerichtshofs kippen kann: durch politische Streiks für die Wiederinkraftsetzung von „Roe vs. Wade“ sowie durch, erforderlichenfalls bewaffnete, Verteidigung von Protesten und Abtreibungseinrichtungen mittels gemeinsamer Selbstverteidigungsstrukturen.

Kampf um Selbstbestimmung als Teil des Klassenkampfes

Das Recht der Frau auf körperliche Unversehrtheit ist durch dieses Urteil nicht länger gegeben. Die Gründe für Schwangerschaftsabbrüche sind vielfältig und unabhängig davon, warum eine Frau sich dafür entscheidet, spielt immer auch die Frage der physischen wie psychischen Gesundheit und die Souveränität über den eigenen Körper eine Rolle.

Der Kampf um das Selbstbestimmungsrecht über unsere Körper und reproduktiven Rechte kann nicht länger warten, er muss jetzt konsequent geführt werden. Da wir uns mehr denn je nicht nur gegen Verschlechterungen zur Wehr setzen, sondern die bisherigen Errungenschaften verteidigen müssen, braucht es endlich eine massenhafte Bewegung der Arbeiter:innen. Deshalb fordern wird national und international:

  • Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen finanziert sein!
  • Für uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen, Ärzt:innen und Kliniken!
  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung aller Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



USA: Oberster Gerichtshof versetzt Frauenrechten härtesten Schlag seit Generationen

Internationales Sekretariat, Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1191, 28. Juni 2022

Nun haben die reaktionären Kräfte es geschafft. Am 24. Juni wurden die amerikanischen Frauen nach fünfzig Jahren eines begrenzten verfassungsmäßigen Rechts auf Abtreibung dieses Rechts beraubt. Unter dem obszönen Slogan „Recht auf Leben“ und der wissenschaftsfeindlichen Behauptung, Abtreibung bedeute die Tötung von Babys, wurde den Frauen die Souveränität über ihren eigenen Körper entzogen. Kein Wunder, dass Frauen in dem Land, das fast einen halben Kontinent umfasst, auf die Straße gingen, um ihrer Wut und Ablehnung Ausdruck zu verleihen.

Mit einer 5:4-Mehrheit hat der Oberste Gerichtshof das von seinen Vorgänger:innen gefällte Urteil Roe versus Wade aus dem Jahr 1973 aufgehoben, das allen Frauen in den USA das Recht einräumte, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Dieses war bereits durch andere Entscheidungen und durch Bundesstaaten mit reaktionären Mehrheiten in ihren Gesetzgebungen und Gerichten eingeschränkt worden, doch nun haben dieselben Kräfte freie Hand.

Sie werden zweifelsohne dazu übergehen, die schwächeren und partiellen Errungenschaften der LGBTIAQ-Menschen und der People of Color in Bezug auf den Grundsatz der persönlichen Autonomie zu beschädigen. Dies ist ein großer Triumph für die religiösen Fanatiker:innen aller Glaubensrichtungen, die die amerikanische Politik bevölkern, trotz einer der ältesten und fortschrittlichsten Errungenschaften der Verfassung, der Trennung von Kirche und Staat.

Die knappe Mehrheit der Fanatiker:innen in dem nicht gewählten Gericht wurde von Donald Trump geschaffen, dem dreistesten sexistischen Präsidenten seit vielen Jahrzehnten, einem Mann, der stolz zugab, dass er Frauen mehrmals sexuell belästigt hatte. Er besaß die Unverfrorenheit zu behaupten, dass „Gott die Entscheidung getroffen hat“ und dafür verantwortlich sei. Dass dieser obszöne Clown nicht wegen offener Aufwiegelung zum Umsturz der Anerkennung seines ordnungsgemäß gewählten Nachfolgers durch den Kongress im Gefängnis sitzt, sagt viel über den Anspruch der USA aus, das weltweite Vorbild für Demokratie darzustellen.

Wenn die fast zwei Drittel der Amerikaner:innen, die sich gegen die Aufhebung des Urteils Roe vs. Wade ausgesprochen haben, es durchgehen lassen, wird das Leben realer, lebender US-Bürgerinnen gefährdet sein. Das Urteil wird nicht das Ende von Abtreibungen bedeuten, sondern nur das Ende legaler und sicherer. Frauen werden in dem Moment sterben, in dem jeder Staat diese ekelhaft falsch benannten „Pro-Leben-Gesetze“ einführt.

Staaten mit republikanischer Mehrheit können nun Gesetze erlassen, die den Schwangerschaftsabbruch weiter einschränken oder ganz verbieten. 13 haben bereits Gesetze im voraus verabschiedet, die ihnen dies praktisch sofort ermöglichen. Einige, darunter Arkansas, Kentucky, Louisiana, Missouri, Oklahoma und South Dakota, haben dies bereits in Kraft gesetzt, und weitere 22 werden ihnen in Kürze folgen. Frauen in diesen Staaten werden versuchen müssen, in Staaten mit liberaleren Regelungen zu gehen, obwohl die reaktionären Staaten Gesetze vorbereiten, die selbst dies schwer bestrafen.

Abtreibungen werden in den meisten Teilen des Südens und des Mittleren Westens illegal sein, wo es für die Ärmsten, oft Women of Color, schwierig sein wird, in einen Staat zu reisen, in dem sie weiterhin legal bleiben. In vielen Staaten werden Gesetze erlassen, die die Frauen selbst kriminalisieren. Mehr als die Hälfte, 58 Prozent, aller US-Frauen im gebärfähigen Alter, etwa 40 Millionen Menschen, leben in diesen Staaten, und ihre Partner:innen und sogar Taxifahrer:innen die ihnen helfen, werden ebenfalls mit hohen Geldstrafen belegt. Der so genannten „Pille danach“ wird die Illegalisierung angekündigt, und sogar die Empfängnisverhütung wird von den Abtreibungsgegner:innen bedroht.

Es liegt auf der Hand, dass diese rechten Kräfte die Frauen in ihren reproduktiven Fähigkeiten einschränken wollen. Sie sind sich bewusst, dass die fehlende Kontrolle darüber durch die Frauen selbst die Grundlage für die Aufrechterhaltung einer patriarchalischen Gesellschaft ist, und dass sie die Uhr auf ihre archaischsten Versionen zurückdrehen. Die Religionen spüren instinktiv, dass das Leiden der Frauen unter diesem System die Zuflucht zu ihrem spirituellen Opium fördert und die Stimmen für die Rechten erhöht.

Aus all diesen Gründen ist das Recht der Frau auf körperliche Autonomie ein Menschenrecht, das historisch mit demselben Prinzip verbunden ist, das auch der Abschaffung der Sklaverei zugrunde lag: der persönlichen Freiheit. Kein Wunder also, dass die Staaten, die sich darauf vorbereiten, Frauen auf diese Weise erneut zu versklaven, oft diejenigen sind, in denen weiße Vorherrschaft und Polizeimorde an Schwarzen immer noch extrem stark ausgeprägt sind.

Aus demselben Grund sollte der Kampf um die Aufhebung dieses Urteils die Unterstützung aller Unterdrückten und Ausgebeuteten in den USA finden, einer Mehrheit, die sich im Obersten Gerichtshof überhaupt nicht widerspiegelt und im Senat, im Repräsentantenhaus und in den Verfassungen der Bundesstaaten, in denen die Unterdrückung der Wähler:innenschaft grassiert, in keiner Weise anerkannt wird.

Auf internationaler Ebene müssen die Frauen- und Arbeiter:innenbewegung und alle fortschrittlichen Kräfte zur Unterstützung unserer Schwestern in den USA mobilisieren. Die jüngsten Bewegungen in Spanien, Polen, Irland und Argentinien zeigen, was getan werden kann. Überall auf der Welt gibt es die gleichen reaktionären Mächte, die durch die Siege ihrer Gesinnungsfreund:innen in den USA ermutigt werden.

Die Botschaft von Vizepräsidentin Kamala Harris bringt die Antwort der Demokratischen Partei auf den Punkt: „Es ist noch nicht vorbei; die Wähler:innen werden das letzte Wort haben“. Mit Blick auf die Zwischenwahlen, die voraussichtlich die Kontrolle der Republikanischen Partei über den Senat stärken und ihr sogar das Übergewicht im Repräsentantenhaus verleihen werden, lautete ihre Botschaft: „Sie haben die Macht, Führer:innen zu wählen, die Ihre Rechte verteidigen und schützen werden.“

Nein! Die US-Frauen müssen antworten: „Wir haben eine viel größere Macht als das. Wir können dieses erzreaktionäre Urteil kippen und unsere Rechte auf der Straße und am Arbeitsplatz wiederherstellen, indem wir Kliniken und ihre Patient:innen, Pflegepersonal und Ärzt:innen durch direkte Massenaktionen verteidigen.“

Eine Massenbewegung von Frauen und ihren männlichen und transsexuellen Unterstützer:innen gegen das Urteil des Obersten Gerichts vom 24. Juni muss in einem ähnlichen Ausmaß ausbrechen wie die Black Lives Matter-Bewegung im Jahr 2020. Sie sollte sich auf die Forderung nach einer Revolution erstrecken, die alle reaktionären Organe und Gesetze hinwegfegt, die sogar den Anspruch der USA, eine demokratische Republik zu sein, entstellen.

Es ist die amerikanische Arbeiter:innenklasse, die diesen Kampf anführen muss, indem sie Massendemonstrationen mit Massenstreiks unterstützt, insbesondere in den Bundesstaaten, die diese abscheuliche Entscheidung anwenden – Staaten, die oft auch über drakonische gewerkschaftsfeindliche Gesetze verfügen.

Es geht dabei um mehr als nur um „Sicherheit in Zahlen“. Es gibt die Kraft, alle Säulen des Hauses der Unfreiheit zu stürzen, das von Republikaner:innen und Demokrat:innen gleichermaßen errichtet wurde, als sie die wirklichen Errungenschaften der amerikanischen Geschichte einschränkten und rückgängig machten: die Abschaffung der Sklaverei, die große Gewerkschaftsbewegung der 1930er Jahre, die Errungenschaften der Bürgerrechte der 1960er Jahre und die Errungenschaften der Frauen und LGBTQI in den 1970er Jahren. Aber nichts wird von Dauer oder sicher sein, bis die Klasse und das System, das diese Monster hervorgebracht hat, der sexistische und rassistische Kapitalismus, endlich auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt werden.




Ampelkoalition und Abtreibung: Grünes Licht für die Selbstbestimmung?

Emilia Sommer (REVOLUTION, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10, März 2022

Im Koalitionsvertrag der Ampel (SPD, FDP und Grüne) werden allerhand Verbesserungen zu Schwangerschaftsabbrüchen versprochen, die auf den ersten Blick gar nicht mal so schlecht klingen. So wirbt sie mit der Streichung des Paragrafen 219a StGB, welcher das öffentliche Bereitstellen von Infos zu diesen durch Ärzt_Innen bisher kriminalisiert hatte (Werbeverbot) , einem Ausbau der Beratungsstellen sowie der Integration von Schwangerschaftsabbrüchen in die medizinische Aus- und Weiterbildung. Was davon in der Realität umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Feststeht jedoch, dass all dies noch lange nicht ausreichend ist.

Aktuell ist die Lage für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen möchten, im als Paradebeispiel für legale Abtreibungen geltenden Deutschland prekär. Durch den Paragrafen 218 ist ein Abbruch illegal und bleibt nur dann straffrei, wenn 1.) die Schwangere den Abort verlangt und dem/r Arzt/Ärztin durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2). der Schwangerschaftsabbruch von einem/r MedizinerIn vorgenommen wird (der/die nicht die Beratung durchführt) und 3.) seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Beratungsstellen bilden hierbei eine große Hürde: In vielen Fällen sind sie nicht flächendeckend ausgebaut und bieten vor allem keine objektive Aufklärung. Zudem sind kirchliche Träger nicht dazu verpflichtet, einen Beratungsschein auch tatsächlich auszuhändigen. Erschwerend kommt der aktuell noch geltende Paragraf 219a hinzu, welcher das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche untersagt und es Betroffenen somit extrem schwer macht, Kliniken für Abbrüche zu finden.

Ursprung der Paragraphen

Paragraf 218 wurde im Jahre 1871 in das Strafgesetzbuch aufgenommen und war Ergebnis von bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts geführten Diskussionen. Neben der Frage nach Rechten des (ungeborenen) Kindes bzw. der Frau spielten immer auch bevölkerungspolitische Interessen eine entscheidende Rolle. Das ungeborene Kind wurde als Vorstufe eines Menschen gewertet und dem Staat eine Berechtigung zu dessen Schutz erteilt. Paragraf 219a wurde im März 1933 aufgrund des Ermächtigungsgesetzes ohne parlamentarische Beratung eingeführt als Resultat einer langen rechtspolitischen Debatte seit dem deutschen Kaiserreich. Er sollte angeblich Frauen vor einer Kommerzialisierung ihrer Notlage schützen und dem Entstehen eines Marktes für Schwangerschaftsabbrüche entgegentreten. Tatsächlich haben aber beide Paragrafen zum Ziel, das Selbstbestimmungsrecht von weiblichen Körpern stark einzuschränken. Dies nutzt in erster Linie der herrschenden und besitzenden Klasse, denn die bürgerliche Familie, also Mutter-Vater-Kind mit Fokus auf Monogamie und geschlechtlicher Arbeitsteilung, dient der sicheren Vererbung von Eigentum. Aber auch auf die Arbeiter_Innenklasse wirkt sich dies aus. Zwar hat das Proletariat in der Regel nicht sonderlich viel zu vererben, dennoch haben Kapitalist_Innen ein großes Interesse daran, dass es weiterhin Arbeitskräfte gibt, die sie ausbeuten können.

Aber wir können nicht davon sprechen, dass die bürgerlichen Staaten eine demographische Strategie der Bevölkerungszunahme um jeden Preis verfolgen. So hat z. B. die UNO im Interesse der imperialistischen Staaten eine Geburtenkontrollkampagne in Ländern der sog. 3. Welt verfolgt (Sterilisation von Frauen), also ganz das Gegenteil. Die Bevölkerungszunahme in Europa zur Zeit des frühen Industriekapitalismus ist mehr auf die Aufhebung der Bindung der Eheschließung an eine eigene Wirtschaft in Dorf und Stadt zurückzuführen als auf ein geltendes Abtreibungsverbot. Sie schuf erst das Eherecht auch für Besitzlose, v. a. Proletarier_Innen. Außerdem sorgt die Kapitalakkumulation durch Ersatz von Arbeitskräften durch Maschinen für eine Reservearmee von Arbeitslosen und ruiniert den Kleinbesitz. Auch damit schafft sie ein zusätzliches Lohnangebot. Die Arbeitsmigration ist eine Folge davon. Schließlich geht es dem Kapital auch um die Mobilisierung zusätzlicher Lohnarbeit durch weibliche Arbeitskräfte, insbes. hoch qualifizierter. Das steht im Widerspruch zur Rolle der proletarischen Frau „nur“ als Hausfrau mit zahlreicher Nachkommenschaft am Rockzipfel. Das Koalitionspapier bewegt sich mit seinen Reförmchen innerhalb dieses Widerspruchs. Zu guter Letzt führte die von der Arbeiter_Innenbewegung erkämpfte gesetzliche Rentenversicherung dazu, dass auch innerhalb der proletarischen Familie das Interesse an vielen Nachkommen zwecks Altersversorgung der „Nachproduktiven“ nebensächlich geworden ist.

Also bestehen Verbote wie das der Abtreibung vor allem deshalb, um die auf geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierende Unterdrückung der Frau in der Familie durch eine repressive Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen Körper, Fixierung der weiblichen Sexualität auf das Gebären von Kindern usw. aufrechtzuerhalten. Reproduktionsarbeit ist fürs Kapital v. a. Privatsache und soll es auch bleiben. Kurz gesagt, um die repressive, frauenfeindliche Struktur auch in der Arbeiter_Innenklasse zu reproduzieren. Die vorurteilsbehaftete Unterteilung der Klasse in Geschlecht, Nationalität, Religion etc. hilft hierbei, sie zu spalten und die verschiedenen Kämpfe damit zu schwächen.

Es gibt einen weiteren Klassenunterschied in der Abtreibungsfrage: Während es sich Frauen der herrschenden Klasse leisten können, den Eingriff auch in anderen Ländern durchführen zu lassen, beispielsweise nach Überschreitung der 12-Wochen-Frist, müssen die Arbeiter_Innen diesen in der Illegalität über sich ergehen lassen. Auch legal erfolgende Abbrüche erfordern aufgrund des Mangels an Kliniken und Praxen oft einen weiten Anreiseweg, welcher sowohl logistischen Aufwand bedeutet als auch eine finanzielle Belastung darstellt. Daher galt der Paragraf 218 schon kurze Zeit nach seiner Einführung als „Klassenparagraf“, da vor allem Proletarierinnen vom Verbot der Abtreibung betroffen waren. Besonders hart trifft die repressive Abtreibungsgesetzgebung auch Jugendliche, da diese nicht nur ökonomisch und sozial abhängig, sondern auch noch rechtlich benachteiligt sind.

Warum diese Problematik erst mit der neuen Ampelkoalition angegangen wird, lässt sich am ehesten mit der WählerInnenschaft der beiden Parteien FDP und Grüne beantworten. Beide haben einen starken Zuspruch im akademischen Milieu. Diese Frauen gilt es, weiterhin stärker in den Produktionsprozess einzubinden und ein Rollback zurück in die 1950er Jahre zu verhindern. Dies könnte schließlich wichtige WählerInnenstimmen kosten.

Aktuelle Lage

Im Jahre 2020 fanden in Deutschland 99. 948 statt, 96,2 % davon mit der Beratungsregelung, d. h. nicht durch medizinische (gefährdete Gesundheit der austragenden Person) oder kriminologische Indikation (Schwangerschaft beruht medizinisch feststellbar auf einem Sexualdelikt). Es ist nicht klar herauszufinden, wie viele Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen es aktuell in Deutschland gibt, allerdings ist von ca. 1.600 auszugehen. Dabei beschäftigen sich diese nicht ausschließlich mit der Konfliktberatung. Sie bildet nur einen Teilbereich von Verbänden wie Pro Familia. Ebenso ist ein beachtlicher Anteil konfessionsgebunden. Ähnlich verhält es sich mit Kliniken und Ärzt_Innen, welche Abtreibungen durchführen. In der offiziellen Liste der Bundesärztekammer sind aktuell 360 Praxen und Kliniken zu finden. Die Aufnahme in diese Liste ist freiwillig und man kann davon ausgehen, dass viele dies bewusst nicht tun, da noch immer eine ernstzunehmende Gefahr von Abtreibungsgegner_Innen ausgeht. Im Medizinstudium wird das Verfahren eines Schwangerschaftsabbruchs kaum bis gar nicht behandelt. Studierende müssen sich nötiges Wissen durch zusätzliche Seminare und Workshops selbst erarbeiten.

Schauen wir uns die Zahlen nun an, so fällt sehr schnell ein massiver Notstand auf. Zu wenige Beratungsstellen und Abbruchsmöglichkeiten sowie mangelnde Informationen erschweren Betroffenen die ohnehin nervenzerrende Prozedur noch weiter. Hinzu kommt, dass bislang die Kosten von selbstbestimmten Abbrüchen nur in selten Fällen teils oder ganz übernommen werden.

Zwar verspricht die Ampel wichtige Verbesserungen wie zum Beispiel einen flächendeckenden Ausbau von Beratungsstellen und Kliniken, dass Abbrüche Teil von ärztlicher Fort- und Weiterbildung werden sollen und diese kostenfrei möglich sein müssen, sie verrät jedoch nicht, wann und in welcher Form das passiert. Dies soll sich wohl in einer „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ entscheiden, welche bislang allerdings keine konkreteren Formalien hat. Der Paragraf 219 a soll zwar abgeschafft werden, von Paragraf 218 jedoch, welcher Abtreibungen eigentlich kriminalisiert, ist keine Rede.

Der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht und gegen das Abtreibungsverbot ist also noch lange nicht gewonnen. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, dass wir als Arbeiter_Innen und Schüler_Innen selbst Strukturen schaffen, die über die Zusammenhänge zwischen Abtreibungsverboten und dem kapitalistischen System aufklären und dafür kämpfen, dass auch für Arbeiter_Innen und ärmere Menschen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen kostenlos und ohne Zwangsberatung zugänglich sind. Dafür ist es wichtig, durch den Aufbau von basisoppositionellen Strukturen innerhalb der Gewerkschaften Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie aufzubauen. Wir müssen uns auch innerhalb der Schule oder Uni organisieren und gemeinsam auf die Straße gehen, um gegen den Kapitalismus und die darauf fußenden Unterdrückungsmechanismen zu protestieren.

Daher fordern wir:

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung aller Abtreibungsparagrafen sowie der Beratungspflicht ohne Altersbegrenzung!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen leibliche Zwangselternschaft, wenn Frauen durch die momentanen Umstände zur Entbindung gedrängt werden! Für einen Ausbau staatlicher Kinderversorgungs- und Adoptionsmöglichkeiten!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



Our bodies, our choice

Leila Cheng (REVOLUTION und Gruppe ArbeiterInnenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Zurzeit werden Abtreibungsrechte auf der ganzen Welt von rechten und fundamentalistischen Bewegungen und Regierungen angegriffen und zurückgenommen. Nur an wenigen Stellen konnten Frauen und linke Bewegungen Verbesserungen erkämpfen. Wir haben einige Beispiele gesammelt, und möchten sie mit euch teilen.

USA

Seit Dezember 2021 hat Mississippi Abtreibungen nach der 15. Woche verboten und damit ein wichtiges US-Grundsatzurteil (was Abtreibung erlaubt) infrage gestellt. Im ganzen US-Staat gibt es noch eine Abtreibungsklinik. Nun beschäftigt sich der Oberste Bundesgerichtshof mit dem neuen Gesetz. Seit 1973 gilt bundesweit das Urteil: Abtreibungen sind erlaubt, bis der Fötus lebensfähig ist, also zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche. Das neue Urteil des Gerichtshofes soll im Juni 2022 verkündet werden. Sollte das Gesetz tatsächlich gekippt werden, wollen einige Bundesstaaten Abtreibung ganz verbieten.

Rechte Antiabtreibungsbewegungen nehmen in den letzten Jahren in den USA vor allem in den Staaten des mittleren Westens stark zu. Sie sind Teil der rechten Mobilisierungen, die sich oft politisch nah bei Trump verorten und predigen konservative Frauenbilder. Oft haben die sogenannten Evangelikalen hierbei ihre Finger im Spiel (diese sind auch meist in die Politik dieser Bundesstaaten verstrickt).

Polen

In Polen starb im Januar 2022 eine Schwangere an einer Sepsis. Die Ärzt_Innen in 3 Kliniken trauten sich aufgrund des strengen Abtreibungsgesetzes nicht, einen Abbruch vorzunehmen (denn sie hätten dafür ins Gefängnis kommen können). Solche Sepsen können sich entwickeln, wenn ein schwerkrankes Kind im Mutterleib abstirbt und dann nicht bzw. zu spät entfernt wird.

Vor einem Jahr war nach einem Urteil des Verfassungsgerichts ein verschärftes Abtreibungsrecht in Kraft getreten. Seitdem dürfen Frauen auch dann keinen Abort vornehmen lassen, wenn es sich um einen schwer fehlgebildeten oder nicht überlebensfähigen Fötus handelt. Das heißt, es müssen todkranke Kinder zur Welt gebracht werden auch gegen den Willen von Mutter und Ärzt_Innen. Das geht nicht nur krass gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren eigenen Körper, sondern ist für sie auch lebensgefährlich.

Es gab letztes Jahr eine starke Bewegung u. a. von vielen Frauen, Arbeiter_Innen gegen das neue Gesetz, die tausende auf die Straße bringen und sogar Streiks anleiern konnte. Das Gesetz kam jedoch trotzdem durch. Hier spielen vor allem die katholische Kirche mit ihrer Verstrickung zur Regierung eine Rolle sowie auch die neue rechte Bewegung in Polen mitsamt der regierenden konservativen PiS-Partei.

Argentinien

In Argentinien sind Eingriffe sind bis zur 14. Woche erlaubt, kostenlos im öffentlichen Gesundheitswesen, länger bei Vergewaltigungen oder Gefahr für die Gesundheit der Mutter. 30 Jahre hat Argentiniens Frauenbewegung dafür gekämpft. Eine ähnliche Initiative war noch 2018 am konservativen Senat gescheitert. 2020 wurde das Gesetz von Präsident Alberto Fernandez persönlich eingebracht. Seit Dezember 2020 gilt die neu erkämpfte Regelung. In Argentinien gab es wirklich eine starke Frauenbewegung, die dieses noch unzureichende, aber dennoch schon mal fortschrittliche Gesetz durchboxen konnte, indem Jahr für Jahr tausende Frauen auf die Straße gingen.

Doch weiterhin kämpft der konservative Norden mit Einfluss der evangelikalen und katholischen Kirche dagegen.

Deutschland

In Deutschland gibt es den Paragraf 219a, der oft als ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche dargestellt wird. Er verbietet Ärzt_Innen jegliche Information darüber, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und wie. Dieser Paragraf stammt sogar noch aus der Nazizeit. Weiterhin sind Abtreibungen in Deutschland eigentlich verboten, werden allerdings bis zu 12. Woche gemäß aktuellem Abtreibungsgesetz unter u. a. Bedingungen nicht unter Strafe gestellt. In Ausnahmefällen (wie schweren Fehlbildungen des Kindes) können diese bis zur 24. Woche gelten. Außerdem sagt Paragraf 218: Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Um nicht kriminalisiert zu werden, müssen die Abtreibenden zu einer Pflichtberatung. Die staatlich anerkannten Beratungsstellen werden dazu angehalten, den Schutz des ungeborenen Lebens in den Vordergrund zu rücken. Also sollen sie nicht sachlich informieren, sondern die Frauen vom Gegenteil überzeugen und unter Druck setzen.

Jetzt will die Ampelregierung zumindest den Paragrafen 219a abschaffen, was schon mal ein großer Fortschritt ist. Aber warum schweigt sie zu Paragraf 2018 und der dortigen Tabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen? Auch in Deutschland gibt es seit Jahren von erzkonservativen Katholiken und Rechten den sogenannten Marsch fürs Leben. Dagegen gibt es auch immer wieder linke Gegenproteste.

Fazit

Was können wir daraus schließen? Was alle Länder vereint, ist das Abtreibungsrechte immer wieder von rechten und konservativen Regierungen, Parteien oder der Kirche angegriffen oder zumindest stigmatisiert werden. Überall versucht man abtreibenden Frauen Steine in den Weg zu legen, je nach Land mal mehr und mal weniger. Gerade jetzt in Zeiten der Krise des Kapitalismus nutzen die erstarkenden Rechten Ängste um sich zu mobilisieren. Aufgrund dieser massiven Angriffe auf Abtreibungsrechte, die gerade auf der ganzen Welt stattfinden, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt.

Weitere Forderungen (siehe dazu auch den Artikel zur Ampelkoalition in dieser Ausgabe):

  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!
  • Ausbau von Kitas und Kinder-/Jugendbetreuungsangeboten, um Eltern zu entlasten!
  • Für viel mehr finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung von insbesondere (jungen) Frauen und Alleinerziehenden und dafür, dass minderjährige Frauen mit einer Schwangerschaft nicht alle Chancen auf eine gute Zukunft verlieren!
  • Langfristig daher: Für die Kollektivierung der Kindererziehung in der Gesellschaft!
  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Für die Aufhebung aller Verbote! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!



Abtreibungsgesetz in Texas: Republikanischer Angriff auf Frauenrechte

Veronika Schulz, Neue Internationale 259, Oktober 2021

Texas hat Anfang September das geltende Abtreibungsrecht massiv verschärft. Die republikanische Mehrheit um Gouverneur Greg Abbott peitschte ein Gesetz durch, das Schwangerschaftsabbrüche fast unmöglich macht.

Das sogenannte „Heartbeat Law“ („Herzschlag-Gesetz“) verbietet Abtreibungen bereits ab der sechsten Woche, also dann, wenn ein Herzschlag des Fötus zu hören ist. Da viele Frauen bis zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind, egal ob geplant oder ungewollt, kommt es faktisch einem Verbot gleich. Selbst bei Schwangerschaften infolge von Vergewaltigung oder auch Inzest gibt es keine Ausnahmen mehr.

Ein weiterer perfider Bestandteil des Gesetzes besteht darin, dass es auf Denunzierung und in gewisser Weise Selbstjustiz setzt. Nicht etwa der Staat und seine Behörden sollen für die Einhaltung sorgen, sondern alle BürgerInnen. Jede/r ist aufgefordert, ÄrztInnen, Klinikpersonal und selbst diejenigen, die Schwangere zu einer Abtreibungsklinik fahren, wegen Beihilfe anzuzeigen. Damit nicht genug, winkt den DenunziantInnen sogar noch eine Belohnung von mindestens (!) 10.000 US-Dollar. KritikerInnen sprechen bereits von „AbtreibungskopfgeldjägerInnen“, die auf diese Weise ihre Chance wittern.

Vor diesem Hintergrund haben AbtreibungsgegnerInnen bereits Internetseiten eingerichtet, über die anonyme Hinweise eingereicht werden können. Dieses Vorgehen ist nicht nur moralisch und ethisch verabscheuungswürdig, sondern erschwert durch unklare Zuständigkeiten auch den Beklagten, sich zu wehren. Zusätzlich wird eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung erzeugt, zumal Kliniken und ÄrztInnen, die Abtreibungen vornehmen, bereits in der Vergangenheit Ziel von Einschüchterungen und gewaltsamen Attacken durch AbtreibungsgegnerInnen waren. US-Justizminister Merrick B. Garland sah sich sogar gezwungen, den Schutz von Einrichtungen zu garantieren. Ein Gesetz von 1994 verbiete es, Menschen, die eine Abtreibung anbieten oder in Anspruch nehmen, an dem Eingriff zu hindern. Mit diesem ultrareaktionären texanischen Gesetz sind somit mehrere Angriffe auf die Rechte von Frauen und auch elementare demokratische Errungenschaften zu verzeichnen.

Bruch mit einer 50 Jahre alten Grundsatzentscheidung

Die bisherige Rechtslage beruht auf einem fast 50 Jahre alten Urteil. Im Jahr 1973 entschied der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) der USA, dass Schwangerschaftsabbrüche landesweit unter das Recht auf Privatsphäre gestellt und legalisiert werden. Staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, verstoßen demnach gegen die US-Verfassung. Anlass war eine Sammelklage im Namen schwangerer Frauen gegen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen – des Bundesstaates Texas. Der Supreme Court urteilte, dass die damaligen Gesetze nach dem 14. Zusatzartikel der Verfassung das Recht der Frauen, über die Fortführung oder Beendigung einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, verletzen.

Durch die Entscheidung des Supreme Court wurde verfügt, dass eine Schwangere ohne unterschiedliche Gewichtung von Gründen die Schwangerschaft abbrechen darf. Dies gilt bis zu jenem Zeitpunkt, an dem ein Fötus lebensfähig wird. Vom Moment der Lebensfähigkeit an, die ursprünglich mit der 28., heute mit der 24. Schwangerschaftswoche angesetzt wird, darf ein Bundesstaat Schwangerschaftsabbrüche verbieten. Letzteres gilt mit der Einschränkung, dass Schwangerschaftsabbrüche zu einem späteren Zeitpunkt aus medizinischer Notwendigkeit (Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit der Frau) ebenfalls möglich bleiben müssen. Zusammengefasst sind gesetzliche Verbote und Gebote des Schwangerschaftsabbruches also im ersten Trimester der Schwangerschaft gar nicht und im zweiten Trimester nur eingeschränkt möglich, im dritten Trimester jedoch nur dann zulässig, solange nicht Leben oder Gesundheit der Schwangeren bedroht sind.

Diese Entscheidung steht nun auf der Kippe, sollte die texanische Gesetzesinitiative als rechtmäßig eingestuft werden. Dabei spielt die Zusammensetzung des Supreme Court eine wichtige Rolle. Ex-Präsident Trump hatte während seiner Amtszeit drei Posten neu besetzt, wodurch sich eine bedeutende Verschiebung ergeben hat. Von insgesamt neun RichterInnen sind sechs dem konservativen bzw. republikanischen Lager und nur noch drei dem demokratischen zuzuordnen. Insbesondere die Ernennung Amy Coney Barretts, einer erzkonservativen Katholikin, als Nachfolgerin der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg, hatte seinerzeit für erhebliches Aufsehen gesorgt. Einige der konservativen RichterInnen haben bereits erklärt, dass sie das alte Grundsatzurteil kippen wollen. Daran zeigt sich exemplarisch, dass es keine objektive oder neutrale Justiz innerhalb des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen gibt, erst recht keine Rechtsprechung im Sinne der ArbeiterInnenklasse.

Aktuell gibt es auch einen Rechtsstreit im Bundesstaat Mississippi, wo Abtreibungen nach der 15. Woche bis auf wenige Ausnahmen verboten werden sollen. Eine Entscheidung wird für diesen Herbst erwartet. Falls dies vom Supreme Court für rechtens erklärt wird, könnten weitere Staaten, vor allem konservativ geprägte unter republikanischer Führung, folgen.

Zwar ist eine Mehrheit der US-AmerikanerInnen Umfragen zufolge für sichere und legale Abtreibungen, auch wenn hierzulande medial häufig eine größere Rückständigkeit suggeriert wird. Dennoch versucht die Republikanische Partei besonders in Bundesstaaten mit traditionell konservativ-christlichem Bevölkerungsanteil, ihre religiöse Basis auf diese Weise für sich zu mobilisieren und sich von den durch die DemokratInnen dominierten, liberaleren Küsten abzugrenzen.

Fortschritt und Rückschritt

Rückschritte im Kampf um reproduktive und Selbstbestimmungsrechte von Frauen gab es auch jüngst in Polen. Anfang 2021 trat ein fast vollständiges Abtreibungsverbot in Kraft. Damit wurde eines der ohnehin restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas weiter verschärft. Schon seit Jahrzehnten werden in Polen kaum legale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Jährlich sind zehntausende Polinnen gezwungen, im Untergrund oder mit Abtreibungspillen zu Hause abzutreiben bzw. nach Deutschland oder Tschechien zu fahren. Nun dürfen nur noch Frauen, deren Gesundheit oder Leben gefährdet ist oder die infolge einer kriminellen Handlung schwanger wurden, legal Abtreibungen vornehmen lassen. Alle anderen, Frauen mit finanziellen, sozialen Hindernissen oder jene, die einfach kein Kind wollen, haben nicht das Recht, sich zu weigern, eines auf die Welt zu bringen. Die regierende rechtskonservative PiS-Partei (Prawo i Sprawiedliwość; deutsch: Recht und Gerechtigkeit) rühmt sich dabei als Lebensschützerin und verherrlicht diese Entscheidung mit dem Begriff „Pro Life“. Dieses faktische Totalverbot von Abtreibungen bindet die reaktionäre, kleinbürgerliche Massenbasis der PiS und bedient sich dabei des tief verwurzelten Katholizismus.

Ermutigend sind jedoch die massiven und lang anhaltenden Proteste, über die auch international berichtet wurde. Nachdem das polnische Verfassungstribunal bereits im Oktober 2020 die Rechtmäßigkeit des neuen Gesetzes bestätigt hatte, kam es durch kämpferische Demonstrationen und Aktionen zu einer mehrmonatigen Verzögerung bis zum Inkrafttreten.

Außerdem wurden sowohl in Mexiko, Argentinien als auch Irland, beides ebenfalls sehr religiös bzw. katholisch geprägte Länder, Fortschritte erzielt. Die bisherige irische Gesetzgebung, die der neuen in Polen nicht unähnlich war, wurde im Jahr 2019 durch ein Referendum zur Verfassungsänderung gekippt und durch eine neue ersetzt. Dieser Entscheidung war ein jahrzehntelanger Kampf vorausgegangen, an dessen vorläufigem Ende zumindest eine Fristenregelung steht. Der Einfluss der (katholischen) Kirche nimmt ab, ebenso zeigte sich ein Gefälle zwischen den Generationen. Lediglich die Altersgruppe der über 65-Jährigen war gegen eine Liberalisierung.

Veränderung ist möglich und nötig, wie diese Beispiele zeigen. Doch nur eine massenhafte Bewegung, die vor allem von den lohnabhängigen Frauen getragen wird, kann sich gegen Verschlechterungen erfolgreich zur Wehr setzen und die bisherigen Errungenschaften verteidigen – in Fragen der körperlichen und sexuellen Selbstbestimmung wie auch in anderen sozialen Auseinandersetzungen. Deshalb fordern wir:

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung!
  • Abschaffung aller Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht! Kostenlose und frei zugängliche Abtreibung auf Wunsch, ohne Fristen und Einschränkungen!
  • Flächendeckender Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!
  • Verteidigung von Frauen, ÄrztInnen und Beschäftigten gegen Angriffe von AbtreibungsgegnerInnen durch organisierten Selbstschutz der Frauen- und ArbeiterInnenbewegung!
  • Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!
  • Für eine proletarische Frauenbewegung zum Kampf gegen Sexismus und Ausbeutung!



Brasilien: Evangelikale und rechte Angriffe auf Frauenrechte nach dem Putsch

Liga Socialista, Infomail 1118, 23. September 2020

Am 27. August 2020 verübte die Regierung Bolsonaro ein weiteres bösartiges Attentat auf die Rechte der Frauen. Gemäß ihrer reaktionären, konservativen und grausamen Politik greift der vom Gesundheitsministerium erlassene Paragraph 2282 das verfassungsmäßige Recht auf unterstützte Abtreibung an.

In Brasilien garantiert das Gesetz seit 1940 Frauen den Zugang zur unterstützten Abtreibung, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben der Frau bedroht oder sie durch Vergewaltigung herbeigeführt wurde. Im Jahr 2004 verabschiedete das Oberste Bundesgericht ein Urteil, das den Schwangerschaftsabbruch bei fötaler Anenzephalie, einem Zustand, bei dem der größte Teil der Großhirnrinde des ungeborenen Kindes fehlt, entkriminalisiert. Der Widerstand gegen dieses Urteil war der Auslöser für die Angriffe auf das legale Recht auf Abtreibung.

Im August 2013 sanktionierte Präsident Dilma Rousseff einen Gesetzentwurf, der dem nationalen Gesundheitsdienst (SUS) zur Pflicht machte, den Opfern sexuellen Missbrauchs eine sofortige Versorgung zu gewähren. Religiöse Organisationen versuchten sofort, die Schwangerschaftsverhütung mit der „Pille danach“ in Fällen sexueller Gewalt zu stoppen, weil sie argumentierten, dies würde ÄrztInnen den Weg zu Abtreibungen öffnen. Gegenwärtig schreibt das Gesetz vor, dass alle Krankenhäuser des öffentlichen Netzes unter anderem unverzüglich die Diagnose und die „Pille danach“ für das Opfer sowie die medizinische Behandlung körperlicher Verletzungen und psychologische Beratung, Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten (STD), HIV-Tests und Zugang zu Informationen über gesetzliche Rechte und andere verfügbare Gesundheitsdienste anbieten müssen.

Reaktion

Kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes im Oktober 2013 stellte Eduardo Cunha, ein Abgeordneter der „evangelikalen Fraktion“, die Gesetzesvorlage PL 5069 vor, die einen großen Rückschritt für die Frauenrechte darstellt. Der Gesetzentwurf war eine klare Reaktion seitens religiöser FührerInnen gegen die Garantie des Zugangs zu Abtreibung in Fällen von Vergewaltigung und anenzephalen Föten (Föten, bei denen ein bedeutender Teil des Großhirns nicht entwickelt ist). Aufgrund einer heftigen Reaktion von AktivistInnen und ParlamentarierInnen, die versuchten, Teile des Textes zu ändern, kam die Gesetzesvorlage im Parlament zum Stillstand, zumal kurz darauf das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff begann.

Der Aufstieg reaktionärer Kräfte nach dem Parlamentsputsch, der Dilma verdrängte, dann die Wahl von Jair Bolsonaro und die Bildung einer sozialkonservativen, rechtsextremen Regierung ebneten den Weg für erneute Attacken auf die Rechte der Frauen. Die Auflösung des Frauensekretariats und die Schaffung des Ministeriums für Familie und Menschenrechte unter der evangelischen Pastorin Damares Alves machten deutlich, dass die Agenda für Fortschritte bei den Frauenrechten abgeschlossen war. Die Zeit der Rückschritte, Verluste und Angriffe hatte begonnen.

Drastische Gesetzesverschärfung und reaktionäre Hetze

Ende 2019 wurde das Gesetz 13.931 verabschiedet, das Angehörige der Gesundheitsberufe verpflichtet, Vergewaltigungsfälle der Polizei zu melden. Die betroffenen Frauen sind außerdem zu einer ausführlichen Schilderung gegenüber dem ärztlichen Personal verpflichtet und müssen darauf hingewiesen werden, dass ihnen für den Fall, dass sie den Vorwurf nicht beweisen können, strafrechtliche Verfolgung droht. Dieses Gesetz bricht die ärztliche Schweigepflicht und hindert Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, wirksam daran, in Vergewaltigungsfällen medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie die Reaktion ihrer Täter fürchten.

Letzten August schockierte ein Fall von Vergewaltigung das Land, sowohl wegen der Art des Verbrechens selbst als auch wegen der Behandlung des Opfers. Ein 10-jähriges Kind, das von seinem Onkel sexuell missbraucht worden war, seit es 6 Jahre alt wurde, wurde schwanger. Die Reaktion auf das Kind war so repressiv, dass eine Gruppe von Frauen vor dem Krankenhaus tätig wurde, um sicherzustellen, dass es medizinisch versorgt und ein Verfahren zum Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wurde.

Fundamentalistische Gruppen taten alles, um eine legale Abtreibung zu verhindern und dann das Kind selbst des Mordes anzuklagen. Das Frauenministerium beteiligte sich an diesen Ausschreitungen gegen das 10jährige Mädchen. Es gibt in der Tat Hinweise darauf, dass es das Ministerium selbst war, das die Informationen und Daten des Kindes an fundamentalistische Gruppen weitergegeben hat.

Die Reaktion der Regierung auf den Einsatz der feministischen Gruppen, die das Kind unterstützten, erfolgte rasch. Sie verfügte den Erlass 2282, der das Gesetz 13.931 modifiziert, das die ärztliche Schweigepflicht verletzt, indem es  ÄrztInnen verpflichtet, die Behörden zu benachrichtigen. Dem feministischen Netzwerk von GynäkologInnen zufolge erschwert, ja verunmöglicht es Frauen, die sich vor ihren Angreifern verstecken müssen, Hilfe und Unterstützung zu suchen. In jedem Falle werden die Opfer noch größeren Gefahren ausgesetzt.

Den ÄrztInnen zufolge ist Vertraulichkeit unerlässlich, um Frauen in die Lage zu versetzen, den Aggressor anzuzeigen. Die Anwesenheitspflicht eines/r AnästhesistenIn bürokratisiert die Betreuung zusätzlich. Die ÄrztInnen stellen klar, dass in den meisten Fällen ein Abbruch durch medikamentöse und nicht durch chirurgische Mittel eine solche Anwesenheit unnötig macht. Nur im letzteren Fall wäre ein/e AnästhesistIn in jedem Fall obligatorisch.

Das Dekret schreibt die Pflicht einer Ultraschalluntersuchung vor, die der Frau gezeigt werden muss, mit dem einzigen Zweck, Frauen ein schlechtes Gewissen zu bereiten, weil sie Abtreibungen vornehmen lassen wollen. Zudem kann es  den Schmerz von bereits geschwächten und vergewaltigten Frauen verstärken.

Die Perversität dieser rechtsradikalen Regierung ist klar. Dekret 2282 hat das klare Ziel, der Regierung die volle Kontrolle über alle legalen Abtreibungsverfahren zu gewähren, um mehr und mehr die vergewaltigten Körper von Frauen (Kinder und Erwachsene) zu kontrollieren. Die Vorankündigung der Hilfeleistung wird Daten für die Kontrolle und die Verweigerung der Rechte von Frauen liefern. Wenn es ihnen gelingt, Zugang zu erhalten, werden die Schwierigkeiten, eine/n AnästhesistIn zu bekommen (die/der die Teilnahme verweigern kann), mehr Not und Leid für die Frauen verursachen, und darüber hinaus stellt die Ultraschalluntersuchung für Frauen, die Opfer tiefer Gewalt sind, Folter dar.

Zeit des Rückschritts

Wir leben in einer Zeit des tiefen sozialen Rückschritts. Zusätzlich zu all den Verlusten, die wir als Lohnabhängige erleiden, leiden wir als arbeitende Frauen in Stadt und Land. Es ist bekannt, dass Abtreibung in Brasilien für reiche Frauen relativ leicht und uneingeschränkt verfügbar ist. Das Verbot gilt nur für arme Frauen, die illegalen Verfahren ausgesetzt sind, bei denen Arbeiterinnen, von denen viele Mütter sind, verstümmelt oder getötet werden.

In dem Land, in dem Angaben des brasilianischen Jahrbuchs für öffentliche Sicherheit aus dem Jahr 2018 durchschnittlich 180 Vergewaltigungen pro Tag vorkommen, die Mehrheit (53,8 %) gegen Mädchen bis 13 Jahre alt, repräsentiert dieses Dekret mehr als Gewalt gegen Frauen. Es bedeutet, dass wir heute eine Regierung haben, die diese Gewalt, diese Vergewaltigungspraxis bekräftigt, indem sie Frauen bestraft, sie dazu verurteilt, Mütter der Frucht dieser Gewalt zu werden, oder sie sogar foltert und diesen Frauen, die Opfer einer männlich chauvinistischen Gesellschaft sind, die Schuld zuschiebt.

Die Verfassung von 1988 garantiert einen säkularen Staat und die Trennung von Kirche und Staat. Daher gibt es weder Raum noch eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Einmischung der Kirche in die unterstützte Abtreibung, die seit 1940 im Strafgesetzbuch garantiert wird. Es stellt einen großen Rückschritt für Frauen, Mädchen und Kinder dar, die arm, unschuldig, ohne Hilfe, unterdrückt und geschwächt sind.

Wir wissen, dass die Realität für Frauen aus den wohlhabendsten Schichten ganz anders aussieht. Sie sind keinerlei Zwängen, Druck oder Unsicherheiten ausgesetzt. Der ganze Prozess verläuft vertraulich, sie befinden sich in angenehmer Umgebung und werden in völliger Sicherheit und Diskretion betreut. Es gibt keine undichten Stellen, keine religiösen FanatikerInnen, keine HeuchlerInnen, die an den Türen der Kliniken demonstrieren. Es handelt sich also nicht um eine Frage der Sorge um das Leben, sondern um reine Heuchelei und Fanatismus, die vom religiösen Fundamentalismus aufgezwungen werden, der in der gegenwärtigen Regierung Stärke besitzt und zur Umkehrung aller Eroberungen führt, die der Kampf der Frauen im Land erreicht hat.

Wir müssen diesen reaktionären Attacken mit aller Kraft widerstehen! Unsere Antwort muss klar und geschlossen sein, um die Rechte der arbeitenden Frauen zu verteidigen! Der 28. September ist der lateinamerikanische und karibische Tag für legale Abtreibung. Wir müssen energische und entschlossene Maßnahmen ergreifen, damit dieses Dekret aufgehoben wird und wir unsere Rechte weiter durchsetzen, und dürfen keinen Rückzug von ihnen zulassen!

  • Für die Aufhebung des Gesetz 13.931 und des Dekrets 2282!
  • Für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs!
  • Für die Verteidigung des Lebens der Frauen!



Pro Choice: Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Leila Chang, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten Jahren gab es immer wieder massive Angriffe
auf Abtreibungsrechte von Frauen. Hinzu kommen die Verabschiedungen harter
Abtreibungsgesetze, die jahrelang erkämpfte Reformen rückgängig machten. Ein
Beispiel dafür ist der am 15. Mai 2019 beschlossene „Human Life Protection Act“
des US-amerikanischen Bundesstaates Alabama. Auch wenn diese
Einzelstaatenregelung durch Bundesgesetz gebrochen werden kann, verkörpert sie
doch Druck auf jene. Bei diesem Antiabtreibungsgesetz handelt es sich um eines
der härtesten weltweit. So soll eine Frau nur noch bei eigener Lebensgefahr
abtreiben dürfen. „Strafbar wären demnach auch Abtreibungen nach Vergewaltigung
oder Inzest.“ (siehe Tagesschau, 29.10.2019) Ein Arzt oder eine Ärztin, die
solch einen Eingriff durchführt, könnte demnach bis zu 99 Jahre Gefängnisstrafe
bekommen. Nach internationalem Protest wurde dieses Gesetz zwar Ende Oktober
vom obersten US-Gerichtshof gestoppt. Dennoch zeigt es, in welchem Ausmaß die
Angriffe auf körperliche Selbstbestimmung und Frauenrechte in unserer
kapitalistischen Weltordnung stattfinden. Doch warum ist das so?

Ursachen

Hier spielen mehrere Faktoren zusammen. Der Kapitalismus
profitiert von sozialen Unterdrückungen. Zum einen spaltet er die
Arbeiter_Innenklasse beispielsweise nach Geschlechtern, Nationen, Sexualität
oder Alter. Das verringert den Zusammenhalt innerhalb der Klasse. Zum anderen
gewinnen die Kapitalist_Innen dadurch Profite. Zudem festigen sie
beispielsweise die bürgerliche Familie.

Diese ist für die herrschende Klasse wichtig, weil sie die
Vererbung ideologisch stützt. Große Mengen an Geld, Besitz an Produktionsmitteln
und zusätzliches Kapital (z. B. in Form von Aktien) werden stets an die
Kinder vererbt, um das Geld „in der Familie“ zu behalten, so ähnlich wie
Adelstitel in der Zeit der Feudalherrschaft vererbt wurden. Der Fortbestand
dieser ist also in ihrem Interesse, auch wenn Frauen in privilegierten
Positionen oftmals die Möglichkeit haben, sich „freizukaufen“.

Das hat aber auch Auswirkungen auf die Arbeiter_Innenklasse.
In der Regel hat diese wenig zu vererben. Hier greift aber das Interesse der
Kapitalist_Innen an immer mehr Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten.
Gleichzeitig festigen solche rückschrittlichen Verbote auch die
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie. Denn mit ihr gehen auch
repressive Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über
den eigenen Körper, Zwangsgeburten von Kindern usw. einher. Kurz gesagt: Die
repressiven frauenfeindlichen Strukturen werden so auch in der
ArbeiterInnenklasse reproduziert.

Privatisierung der Reproduktion

Ebenso entscheidend ist die Verlagerung der Reproduktion in
die individuelle Familie. So konnten in imperialistischen Kernländern einige
Liberalisierungen durchgeführt werden. Mit der Notwendigkeit, höher
qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden und in den Produktionsprozess
einzubinden, sowie Durchsetzung von Sozialversicherungsrentensystemen stützt
sich das Überleben im Alter in der Arbeiter_Innenschaft immer weniger auf
eigene Kinder. Bildungsreformen und Integration von Frauen in Fabrik und Büro
gingen damit Hand in Hand. Deswegen konnten hier Lockerungen erzielt werden,
auch wenn es aufgrund der sinkenden Geburtenrate wie in Deutschland in Ordnung
ist, ein Abtreibungsgesetz aus dem Dritten Reich zu behalten- wenn auch ein
modifiziertes.

Im Kontrast dazu stehen die Verhältnisse in Halbkolonien und
Schwellenländern. Dort sind die eigenen Kinder meist „die“ Rentenversicherung
schlechthin. Kein Wunder, dass Abtreibungsverbote hier viel schärfer ausfallen.

Es geht also beim Antiabtreibungsmythos nicht um das Wohl
ungeborener Kinder. Sondern vielmehr um den Erhalt einer patriarchalischen,
Jahrtausende alten Gesellschaftsordnung mit dem Ziel, viele billige
Arbeitskräfte für die Zukunft zu schaffen, Kapital innerhalb der
kapitalistischen Familie zu vererben und Kosten bei der Reproduktion insgesamt
zu sparen. So ist es kein Zufall dass in Zeiten der Krise, wo versucht wird,
viele der Kosten auf die Arbeiter_Innenklasse auszulagern, sich die Angriffe
auf Abtreibungsrechte verstärken. Vor allem Rechtspopulist_Innen und religiöse
Fundamentalist_Innen nutzen diese auch, um die Rolle der bürgerlichen Familie,
die wichtig für sie ist, zu stärken.

Protestbewegungen gegen diese Angriffe

Auf der ganzen Welt gibt es heutzutage feministische
Organisationen und Demonstrationen. Die Bewegung der jährlichen „Marches of
Choice“ ist dafür nur ein Beispiel. Diese bekämpfte das rückschrittliche
Abtreibungsgesetz in Irland, welches das strengste Europas war. Selbst nach
Vergewaltigungen, Inzest oder bei einem kranken Fötus waren
Schwangerschaftsabbrüche strafbar. Als Folge mussten jedes Jahr tausende Frauen
nach Großbritannien reisen, um Abtreibungen durchführen zu lassen. 2012
verstarb dann die 31-jährige Savita Halappanavar an den Folgen einer zu spät
vorgenommenen Abtreibung, die eine Blutvergiftung zur Folge hatte. Ihr war die
Abtreibung trotz ärztlicher Empfehlung verweigert worden. So wurde 2014
eingeführt, dass Schwangerschaftsabbrüche bei der Gefahr des Lebens einer Frau
durchgeführt werden durften. Weitere Proteste erzwangen ein Referendum. Nach
dessen Erfolg und einer Volksabstimmung, die mehrheitlich für ein neues
Abtreibungsgesetz stimmte, akzeptierte das irische Parlament 2018 ein Gesetz,
das legale Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und bei bestimmten
medizinischen Gründen auch später ermöglicht.

Ein weiteres Beispiel ist die deutsche Bewegung gegen die
Paragraphen 218 und 219, die aus dem Dritten Reich stammen. Zuerst einmal
scheint es fortschrittlich, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche,
unter bestimmten Umständen auch länger, erlaubt sind. Doch es ist nicht so
einfach. Schwangerschaftsabbrüche sind nur unter bestimmten Bedingungen
straffrei. Zudem gibt es nicht überall flächendeckende
Abtreibungseinrichtungen, v. a. im ländlichen Raum. Kirchliche Träger
verweigern den Eingriff und Abtreibungen sind nicht fester Bestandteil der
Arztausbildung. Auch ist es in Deutschland für Ärzte/Ärztinnen verboten,
offizielle Informationen darüber online zu stellen, weil es als „Werbung“ gilt.
Ebenso ist gesetzlich festgeschrieben, dass Frauen vorher ein ärztliches
Gespräch führen müssen mit dem Hintersinn, die Abtreibung nicht durchführen zu
lassen. Gegen diese Einschränkungen gibt es seit Jahren Demonstrationen. Im
Februar 2018 war es schließlich so weit, dass mehrere Gesetzesentwürfe zur
Aufhebung der Artikel entstanden. Jedoch wurden sie allesamt von der Großen
Koalition trotz Versprechen der SPD abgelehnt. Tausende Frauen beteiligen sich
in den letzten Jahren an den Demonstrationen, auch wenn bisher keine
Veränderung erreicht wurde.

Beide Beispiele stehen hier nur stellvertretend für hunderte
von anderen Frauenbewegungen weltweit. Ob Polen, Spanien, Argentinen: der Kampf
um die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist allgegenwärtig. Trotzdem wurden
bisher nur eingeschränkte, regionale Erfolge erreicht. Deswegen müssen wir uns
fragen, wie wir erfolgreich für das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen
Körper kämpfen können.

Arbeiter_Inneneinheitsfront für freie Abtreibung

Statt nur auf Angriffe zu reagieren, müssen wir selbst
Verbesserungen erkämpfen. Deswegen muss der Kampf für das Recht auf
Selbstbestimmung über den eigenen Körper damit verbunden werden, dass wir für
kostenlose Abtreibungen und Verhütungsmittel eintreten oder, dort wo nicht vorhanden,
für staatliche Krankenversicherungen. Um das zu erreichen müssen wir die
Organisationen der Arbeiter_Innenklasse klar auffordern für diese Kampagne
einzutreten und zu mobilisieren.

Gewerkschaften beispielsweise waren für die
Arbeiter_Innenklasse schon seit Beginn des Klassenkampfes eine Möglichkeit,
sich zu organisieren und für ihre Rechte einzutreten. Mit Streik als Mittel
können sie ökonomischen und politischen Druck aufbauen. Ein erster Schritt
dahin wäre beispielsweise: Die Betriebsräte könnten dazu Betriebsversammlungen
einberufen, wo diese Frage diskutiert wird. Im Rahmen von Aktionstagen und für
die Durchführung eines politischen Streiks gegen die Gesetze wäre es wichtig,
Streik- und/oder Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort mobilisieren.

Ebenso können Gewerkschaften internationale Kooperation
gewährleisten, z. B. von zentralen, internationalen Aktionstagen zum Thema
Abtreibungsrechte. Dies ist wichtig, um die unterschiedlichen Protestbewegungen
international zu koordinieren. Schließlich existiert die Unterdrückung nicht
nur in einem Land und zusammen können wir mehr Druck aufbauen. Trotzdem bringen
Gewerkschaften auch einige Probleme mit sich. Gerade in Berufen, die
Dienstleistungen anbieten und oft verstärkt durch Frauen besetzt werden, organisieren
sich nur wenige Arbeiter_Innen darin. Ebenso existiert eine
Gewerkschaftsbürokratie, deren Interesse eher der Erhalt der eigenen Stellung
ist, als Fortschritte für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Deswegen beschränken
sie sich eher darauf, ihren Frieden mit dem jetzigen System zu machen und sich
auf das Feilschen um Lohn und Arbeitsbedingungen zu reduzieren. Revolutionäre
Kommunist_Innen müssen sich darum für eine klassenkämpferische,
antibürokratische Basisbewegung einsetzen, die der bürokratischen Spitze die
Gewerkschaften entreißt, um sie zu einem Glied in den Reihen des Kampfes für
den Sozialismus umzugestalten.

Daher fordern wir national und international:

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung aller Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



Abtreibungsparagraphen wegstreiken!

Svea Hualidu, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Kaum ein Thema sorgt für mehr Diskussionsstoff als dieses. Gerade
Abtreibungsgegner_Innen instrumentalisieren dieses Thema emotional, während
Befürworter_Innen versuchen, die Thematik rational zu betrachten. In der
Debatte steht dabei immer die Frage der Legalisierung im Vordergrund. Denn in
vielen Ländern sind Abtreibungen, geschweige denn die Aufklärung darüber, noch
verboten. In Ländern wie Chile, Malta oder der Dominikanischen Republik dürfen
unter keinen Umständen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Deshalb
sind viele Frauen dazu gezwungen, kilometerweit in andere Städte oder sogar
Länder zu fahren, um dort abzutreiben.

Insgesamt finden schätzungsweise jährlich 56 Millionen statt. Knapp die
Hälfte davon ist aufgrund von Gesetzeslage oder finanzieller Situation illegal.

Deutschland

Selbst in Deutschland, welches immer als das Paradebeispiel für legale
Abtreibungen hingestellt wird, haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bis
Frauen wirklich ohne jegliche Hürden selbst über ihren Körper entscheiden
können.

Denn ob eine Frau sich hier gegen ein Kind entscheidet, muss bis zur 12.
Schwangerschaftswoche feststehen – danach ist eine Abtreibung illegal (sog.
Fristenlösung).

Direkt mit der Empfängnis geht der eigentliche Stress für die Frau jedoch bereits los, da laut Paragraph 219a Ärzt_Innen keine „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche machen dürfen. Werbung bedeutet jedoch schon, dass sie auf ihrer Homepage nicht angeben dürfen, selbst Abtreibungen durchzuführen, wie sich im Fall Kristina Hänel zeigte. Die Gießener Ärztin tat nämlich genau das und wurde dafür zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro (noch nicht rechtskräftig) verurteilt. In Bayern werden beispielsweise von der Landesregierung öffentliche Beratungsstellen darauf hingewiesen, keine Adressen von Abtreibungsärzt_Innen weiterzugeben. Im Medizinstudium wird der praktische Abbruchprozess gar nicht erst behandelt. Wieviele Ärzt_Innen in Deutschland Abtreibungen genau ermöglichen, ist aufgrund der Gesetzeslage nicht ermittelbar. Aber eines lässt sich konstatieren: Die Zahl ist sehr gering. Gerade in ländlichen Regionen müssen Frauen rund 100 km fahren, um zu einem/r entspr. Arzt/Ärztin zu kommen. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen bieten viele kirchliche Kliniken Abtreibungen nicht an, zum anderen sinkt aufgrund von Privatisierungen die Zahl der Kliniken allgemein. Ein häufiges Argument ist dann, dass sich Abtreibungen häufen würden, wenn der Zugang dazu zu leicht ist. Die Niederlande beweisen jedoch das Gegenteil: Dort kommen Frauen leicht an Informationen, dürfen legal abtreiben und haben einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Wem bring das Verbot was?

Wie immer im Kapitalismus müssen wir uns fragen: Wozu das alles, wer hat
etwas von diesen Verboten?

Die Behinderung des Rechtes auf Abtreibung bedeutet die Einschränkung
des Selbstbestimmungsrechts über den weiblichen Körper. Diese nutzt in erster
Linie der herrschenden, besitzenden Klasse. Denn die bürgerliche Familie, die
Monogamie und geschlechtliche Arbeitsteilung mit sich bringt, hat für sie die
Aufgabe, Eigentum zu vererben. Dass sich Frauen dieser Aufgabe verweigern, soll
unterbunden werden. Das hat aber auch Auswirkungen auf die
Arbeiter_Innenklasse. In der Regel haben diese wenig zu vererben, aber
gleichzeitig haben die Kapitalist_Innen Interesse an immer mehr
Nachwuchsarbeitskräften, die für sie arbeiten. Nicht zufällig stammt der
Artikel 219a aus dem Jahr 1933. Vor allem aber geht es darum, dass die auf
geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung basierende Unterdrückung der Frau in der
Familie durch  repressive
Sexualmoral, Geschlechternormen, Einschränkungen der Kontrolle über den eigenen
Körper, Fixierung der weiblichen Sexualität auf das Gebären von Kindern usw.,
kurz gesagt, die repressiven, frauenfeindlichen Strukturen auch in der
ArbeiterInnenklasse reproduziert werden.

Es gibt einen weiteren Klassenunterschied in der Abtreibungsfrage:
Während Frauen der herrschenden Klasse es sich leisten können, in andere Länder
zu fahren, um den Eingriff durchführen zu lassen, müssen die Arbeiter_Innen
diesen in der Illegalität über sich ergehen lassen. Besonders hart trifft die
repressive Abtreibungsgesetzgebung jugendliche und junge Frauen, da diese nicht
nur ökonomisch und sozial abhängig, sondern als Jugendliche auch noch rechtlich
benachteiligt sind.

Gegenwehr

Doch es gibt auch Gegenwind. Im September gingen mehr als 5.000 Menschen
in der Republik Irland zum sogenannten „March of Choice“ für die Aufhebung des
Artikels 40.3.3 (8. Zusatzartikel zur Verfassung) auf die Straße. Dieser
besagt, dass das Leben eines ungeborenen Kindes genauso viel wert ist wie das
der Mutter. Das irische Parlament sah sich nach einem Volksentscheid am
25.5.2018 gezwungen, am 13.12.2018 ein Gesetz zu verabschieden, welches
Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche und bei bestimmten medizinischen
Gründen darüber hinaus erlaubt.

In Spanien wurde das Land am 8. März 2018 durch Frauenstreiks
lahmgelegt. Knapp 6 Millionen demonstrierten für ihre Rechte, denn auch dort
gibt es immer wieder Gesetzesvorlagen für Verschärfungen des Abtreibungsrechts.

Im Februar 2018 wurden im Bundestag 3 Gesetzesentwürfe zur ersatzlosen
Streichung bzw. Abschwächung vorgestellt – auch auf Druck aus der Gesellschaft.
Aber dieses Gesetz wurde von der Großen Koalition blockiert. Die SPD wollte mit
dem Koalitionspartner CDU/CSU keinen weiteren Konflikt riskieren – und stimmte
daher trotz gegenteiliger Versprechungen gegen Millionen Frauen.

Somit zeigt sich mal wieder, dass wir uns auch in dieser Frage nicht auf
bürgerliche Vertreter_Innen oder reformistische Parliamentarier_Innen verlassen
können, sondern selbst Proteste organisieren müssen.

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung organisiert zwar wichtige
Kampagnen und stellt in dieser Hinsicht einen Schritt in die richtige Richtung
dar. Wir müssen hierbei jedoch kritisch sehen, dass es ihm mehr um das
„Überzeugen“ der Herrschenden denn um eine Mobilisierung auf der Straße und in
den Betrieben geht. Aber wir als Arbeiter_Innen müssen uns selbst Strukturen
schaffen, die über die Zusammenhänge zwischen Abtreibungsverboten und dem
kapitalistischen System aufklären, und dafür kämpfen, dass auch ArbeiterInnen
und Armen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen und ohne
Zwangsberatung möglich sind.

  • Hände weg von unseren Körpern! Raus mit der Kirche und anderen Religionen aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Für Abschaffung der Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!
  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung, egal in welchem Monat, und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!
  • Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!
  • Gegen Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern! Adoptionsvorrang für Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen!
  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!