Vorwort – Wohin treibt Europa?

Redaktion, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Krise der Europäischen Union, der britische Brexit, der wachsende Rechtspopulismus und Rassismus auf dem Kontinent verdeutlichen – in Europa, vor allem in der EU und Eurozone, treten die grundlegenden Widersprüche unserer Periode deutlicher hervor als in anderen imperialistischen Staaten oder Zentren.

Kein Wunder! Die EU selbst ist von tiefen inneren Gegensätzen durchzogen. Es wurde zwar ein Binnenmarkt geschaffen. Aber, anders als die USA, China oder selbst Japan und Russland ist die Union kein einheitlicher Staat.

Mit der größer gewordenen Dominanz Deutschlands traten auch die Gegensätze während der Krise deutlicher hervor – und daran droht die EU zu zerbrechen.

Sicher weint kein/e Linke/r einem imperialistischen „Einigungsprojekt“ eine Träne nach. Zugleich sollte aber auch niemand vergessen: Der Zerfall der EU in einzelne „unabhängige“ Nationalstaaten, der Austritt aus der Union oder der Eurozone stellt auf der Basis des kapitalistischen Staates eine reaktionäre Antwort auf die Krise dar. Die Erweiterung der Produktivkräfte, ein größerer Wirtschaftsraum, engere, übernationale ökonomische Verbindungen, vereinheitlichtere Kommunikations- und Verkehrssysteme, größere Freizügigkeit der Arbeitskraft stellen einen Fortschritt dar, auch wenn sie unter der Ägide des Finanzkapitals „von oben“ durchgeführt wurden. Mit dem Zerfall der EU in einzelne Nationalstaaten werden auch die Grenzen zwischen den ArbeiterInnenklassen Europas wieder errichtet, wird die rassistische Abschottung weiter verstärkt. Darum waren und sind die Auswirkungen des Brexit reaktionär.

Die Krise der EU verdeutlicht aber auch eines. Die Kapitalistenklassen und die imperialistischen Staaten sind nicht fähig, den Kontinent zu einen. Es sind ihre eigenen Klasseninteressen, die einer Einigung im Wege stehen oder ihr allenfalls die Form der zeitweiligen Unterordnung anderer geben können. Als Alternative zur imperialistischen Einigung droht die Zersplitterung des Kontinents, die die Beherrschung der „schwächeren“ Staaten durch die tradierten europäischen oder außereuropäischen Mächte nicht aufheben, sondern ihr allenfalls eine andere Form geben wird. Die „nationale Unabhängigkeit“ einer vom Weltmarkt getrennten „eigenständigen“ Entwicklung ist eine reaktionäre Fiktion, in der imperialistischen Epoche eine Utopie.

Die einzig fortschrittliche Alternative zur Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der Finanzkapitale Deutschlands, Frankreichs und ihrer Juniorpartner ist die Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa.

Nur die ArbeiterInnenklasse vermag Europa zu einen. Dazu braucht sie jedoch eine politische Zielsetzung, eine Strategie, ein Programm und auch eine internationale, revolutionäre Partei. Diese Themen bilden den Rahmen dieser Ausgabe des „Revolutionären Marxismus“.

Wir eröffnen sie mit drei Resolutionen, die der Kongress unserer internationalen Strömung, der Liga für die Fünfte Internationale, im Frühjahr 2016 verabschiedet hat.

Der erste Text „Internationale politisch-ökonomische Perspektiven“ ist eine umfangreiche, wenn auch thesenartige Darstellung der Weltlage.

Darauf folgen die „Abschlusserklärung des Kongresses“ und die Resolution „Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse“.

Seit dem Kongress der Liga sind nur wenige Monate vergangen. Seither haben sich in vielen Regionen die politischen Ereignisse überstürzt. Das ist selbst ein Zeichen dafür, dass wir in einer historischen Krisenperiode, einer Phase des Umbruchs leben, die durch tiefe Krise des Gesamtsystems und durch den Kampf um eine Neuaufteilung der Welt gekennzeichnet ist. Eine solche Krise hat auch zur Folge, dass sich politische Veränderungen viel rascher vollziehen.

Auch wenn die Resolutionen des Kongresses mittlerweile durch eine ganze Reihe von politischen Entwicklungen ergänzt werden könnten, so haben diese umgekehrt die grundlegende Einschätzung vom März 2016 bestätigt.

Die Resolution zu Europa steht in diesem „Revolutionären Marxismus“ am Ende der Kongresstexte, weil sie auch den Übergang zu einem thematischen Schwerpunkt dieser Ausgabe bildet. Im Artikel „EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“ beschäftigt sich Tobi Hansen mit den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Vereinigung Europas und legt dar, warum es notwendig ist, an die Losung Trotzkis und der frühen Kommunistischen Internationale anzuknüpfen.

Im Anschluss veröffentlichen wir eine Resolution des Internationalen Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale „Das Referendum über den Brexit und seine Nachwirkungen“ und die Polemik „Varoufakis rettet Europa“, die die sozial-demokratischen Rezepte des ehemaligen Finanzministers aufs Korn nimmt.

Darauf folgen zwei Texte, die sich mit dem zunehmenden Rassismus in Europa, seinen Ursachen und der Politik der ArbeiterInnenbewegung und Linken beschäftigen. Anne Moll und Martin Suchanek widmen sich dem Thema „Imperialismus, Rassismus und die deutsche Linke“ und unterziehen dabei die Strategie unterschiedlicher Strömungen einer Kritik. Darauf folgt die Resolution „Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa“, die Arbeiter*innen*standpunkt und Gruppe ArbeiterInnenmacht im März 2016 gemeinsam verabschiedet haben und deren grundsätzliche politische Ausrichtung weiter aktuell ist.

Die Zerrüttung der Verhältnisse geht auch an den „tradierten“ politischen Organisationen nicht vorbei. Michael Märzen widmet sich ihnen und ihren Ursachen in einem Diskussionsbeitrag „Der Niedergang der SPÖ“. Im abschließenden Kapitel stellt er dar, welche Aufgaben sich daraus ergeben. Über die Tiefe und Signifikanz der SPÖ-Krise und die Bedeutung und Möglichkeiten des „Aufbruchs“ besteht allerdings im AST noch Diskussionsbedarf.

Die letzten beiden Artikelkomplexe beziehen sich auf die „radikale Linke“ in Deutschland und international. Wilhelm Schulz bilanziert in „Bilanz und Lehren eines Umgruppierungsprojekts“ die Geschichte, die Möglichkeiten und das Scheitern der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO). Sein Beitrag wird durch Tobi Hansens Replik auf die NaO-Bilanzen von „Lila Wolken“, isl und RSB sowie ihrer Antworten auf die Dokumentierung der Auflösungserklärung der NaO abgerundet.

Schließlich veröffentlichen wir eine ausführliche Kritik der „Fracción Trotskista“ (FT), die in Deutschland durch RIO vertreten wird. Ihren Anspruch, den „orthodoxen Trotzkismus“ zu repräsentieren, vermag sie nicht einzulösen. Stattdessen tritt ihr workeristischer Maximalismus zutage.

Die beiden letzten Themenkomplexe – NaO und FT – mögen auf den ersten Blick den „großen Themen“ wie Krise der EU, Rassismus fern erscheinen. Manche mögen sie als „Kleingruppengezänk“ oder „innerlinke“ Debatte abtun. Wir halten eine solche Herangehensweise für oberflächlich. Wenn die Schwäche der „radikalen Linken“ überwunden werden soll, so muss die „radikale Linke“ nicht nur praktisch wirksamer werden, sie muss auch und vor allem theoretisch, programmatisch, taktisch, also in ihrem Verständnis des Marxismus aufrüsten, also die inhaltliche Auseinandersetzung forcieren.




Internationale politische und ökonomische Perspektiven

10. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, März 16, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Einleitung

Die internationale Lage ist von wachsender Instabilität, Reibung und offenen Konflikten zwischen Staaten gekennzeichnet. Während im vergangenen Jahrhundert kaum eine Periode ohne irgendeinen Krieg auf der Welt verstrichen ist, war 2015 das erste Jahr seit Jahrzehnten, in dem hauptsächlich lokale Auseinandersetzungen wie in der Ukraine, in Syrien, im Jemen die Großmächte mit hineingezogen haben und drohten, sich zu militärischen Konfrontationen zwischen ihnen auszuwachsen. Der syrische Bürgerkrieg hat ein Ausmaß an Zerstörung und Gefahr für den Weltfrieden erreicht, das jenem im früheren Jugoslawien der 90er, Spanien der 30er Jahre und den Balkankriegen 1912 – 1914 ähnelt. Überdies haben Konflikte wie in Syrien oder der Ukraine unweigerlich Nachwirkungen über die Grenzen dieser Länder hinaus. Millionen fliehen aus ihren Heimatländern und suchen Zuflucht tausende Kilometer entfernt. Auch der Handel ist bei den Staaten, die nicht unmittelbar darin involviert sind, unterbrochen.

Zugleich sind neue Handelsblöcke wie das von den USA dominierte TTP und das RCEP unter Führung von China, sowie das geplante TTIP, das wiederum den USA die größten Vorteile verschaffen würde, eindeutig dazu bestimmt, die Hauptkonkurrenten von diesen Blöcken auszuschließen. Dies wiederum legt die Grundlage für künftige Konflikte. Die sich bildenden Handelsblöcke umreißen geographisch die Zonen mit dem größten Konfliktpotenzial und enthüllen die Bruchlinien, an denen die Großmächte und ihre untergeordneten Staaten sich reiben und aneinandergeraten werden.

Zusätzlich hat die Europäische Union eine Reihe massiver Schockwellen durchlebt: drohenden Zusammenbruch des Bankensystems; Staatsschuldenkrise ihrer schwächeren Mitglieder; eine mögliche dauerhafte Desintegration des Schengen-Raums angesichts der Weigerung vieler Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen; die Bedrohung durch den Brexit.

Diese Blöcke sind noch nicht voll ausgeformt oder verfestigt, zumal politische und strategische Bündnisse sich noch verändern können, aber die Triebkräfte sind im Wesen wirtschaftlicher Art. Allem anderen liegt der generelle Trend der Profitrate zu Grunde, der in allen imperialistischen Großmächten, v. a. in den USA, aus jedem Konjunkturzyklus niedriger hervorgeht. Dieser Trend kann bis zu den 70er Jahren zurückverfolgt werden. In jedem Investitionszyklus sind damit eine Ausdehnung des Fixkapitalstocks und finanzielle Erfordernisse verknüpft, die immer weniger durch die langsamer wachsende Profitmasse finanziert werden können. Diese Überakkumulation von Kapital, auf die Marx angespielt hat, als er schrieb: die wahre Grenze für die kapitalistische Produktionsweise ist das Kapital selbst“, kann nur durch eine gewaltige Kapitalvernichtung bereinigt werden. Wie bei früheren Krisen war die politische Antwort der kapitalistischen Regierungen 2008 die Verhinderung von Bankrotten, die eine solche Vernichtung gebracht hätten, in diesem Fall ging es um die Rettung der Banken, die „zu groß zum Scheitern“ gewesen waren.

Die Politik, mit der man versuchte, der Krise in den großen Ökonomien Herr zu werden, bestand aus Niedrigzinsen, Regierungsinvestitionen, Lockerung des Geldflusses (Quantitative Easing, QE) auf der einen sowie aus Kürzungen bei Sozialausgaben auf der anderen Seite. Doch weder das eine noch das andere löste das grundlegende Problem, vielmehr trugen diese Maßnahmen zu seiner Verschlimmerung bei. Gelder flossen weiter in den spekulativen Bereich und führten zu Fusionen und Aufkäufen statt in produktive Investitionen; die Kürzungen bei den Ausgaben drosselten den Verbrauch; geringere Steuern auf hohe Einkommen vergrößerten soziale Unterschiede.

Zugleich fordern die langfristigeren Auswirkungen der Aufteilung der Welt zwischen wenigen Großmächten und der großen Mehrheit von Staaten, in denen der Hauptteil der Menschheit lebt, weiter ihren Tribut. V. a. in Afrika sind Millionen zu Hunger, Krankheit und Armut verdammt, denn ihre Länder werden ihrer Quellen und Rohstoffe beraubt, um die Ökonomien der imperialistischen Länder zu füttern. Je mehr der Erdteil zum Streitobjekt zwischen Imperialisten oder deren Helfern wird, desto mehr nimmt eine steigende Anzahl von Regimen – selbst in formal demokratischen Staaten – Zuflucht zu bonapartistischen und autoritären Maßnahmen,.

Hinzu kommt der längste Trend von allen, die zunehmende Erderwärmung, die sich über der ganzen Welt zusammenbraut. Wie in den Jahren vor den 2 Weltkriegen, als die Großmächte Friedenskonferenzen abhielten, doch längst Kriegspläne schmiedeten, so werden heute Klimakonferenzen und Absichtserklärungen zur Schau gestellt, während die Konzerne und ihre Staaten bereits ihre Pläne zur Ausweitung von Kohlenwasserstoffgewinnung in Regionen fertig stellen, die aufgrund des Klimawandels besser ausbeutbar werden könnten.

Keine dieser Tendenzen entwickelt sich in einem luftleeren Raum. Alle haben Auswirkungen auf die Gesellschaft. In den vergangenen Jahren sind gelegentlich bemerkenswerte oppositionelle Bewegungen entstanden, die zumindest einen Eindruck von den gesellschaftlichen Kräften geben, die nicht nur gegen bestimmte Erscheinungsformen aufbegehren können, sondern auch gegen das System, das sie hervorbringt.

Viele politische Parteien oder deren Führungen erfuhren an der Regierung Verluste an Rückhalt in der Bevölkerung: von Mahinda Rajapaksa in Sri Lanka auf der Rechten bis zu Nicolás Maduro und Cristina Kirchner-Fernández de Kirchner und Dilma Rousseff auf der populistischen Linken. Dies liegt auch dem erdrückenden Sieg Narendra Modis von der chauvinistischen Hindu-Partei BJP über die indische Nationalkongress-Partei zu Grunde. Diese erlitt ihre schlimmste Niederlage aller Zeiten. Der Aufstieg von Bernie Sanders und Donald Trump in den USA, die Erfolge von Marine Le Pen in Frankreich, von Pablo Iglesias und Podemos in Spanien, der Triumph Jeremy Corbyns in der britischen Labour Party: dies alles sind Anzeichen für eine gewaltige Zunahme des Unmutes der Massen mit der etablierten Ordnung auf beiden Polen des politischen Spektrums.

Wie die Lösungsversuche der kapitalistischen Regierungen zur Behebung ihrer Systemkrise haben die Oppositionsbewegungen Taktiken und politische Maßnahmen ergriffen, die den Aufgaben völlig unangemessen waren. In der Erforschung und Bewertung der gegenwärtigen Lage und der Erarbeitung eines eigenen Programms, von Strategien und Taktiken auf dieser Grundlage müssen RevolutionärInnen deshalb sowohl die Dynamik der wirtschaftlichen und politischen Kräfte wie auch die Hauptirrtümer der derzeitigen Oppositionsbewegungen bloßlegen.

Die wirtschaftlichen Grundlagen und Hintergründe

Der Druck der Finanzkrise von 2008 auf den Welthandel erzeugte ein hohes Maß an Gleichzeitigkeit bei der darauf folgenden Rezession. „Lokale“ Faktoren bestimmten jedoch die antirezessive Politik in den verschiedenen Ländern. Dadurch kam es zu unterschiedlichen Formen der Erholung in den verschiedenen Teilen der Welt. Jede dieser Maßnahmen erwies sich allmählich als unzureichend, um das Wirtschaftswachstum zu erhalten, auch wenn dies in einigen Fällen vorübergehend gelang.

Die USA, immer noch bei weitem die größte Wirtschaft, durchlief eine Mischung aus Rezessionen und stockender Erholung. Die Produktionsstandards der Vorkrisenzeit wurden erst 2015 wieder erreicht. Die Politik des lockeren Geldflusses, die ursprünglich als Teil der Rekapitalisierung der Banken, die „zu groß zum Scheitern“ waren, aufgelegt wurde, wurde Jahr für Jahr ausgeweitet, weil der Wirtschaftsmotor nicht wie erwartet ansprang. Nur ein geringer Teil der in das System gepumpten Milliarden floss in die Erneuerung industrieller Anlagen; der Großteil hingegen befeuerte einen spekulativen Boom an den Aktienmärkten bzw. finanzierte Zusammenschlüsse und Aufkäufe, was wiederum eine größere Kapitalkonzentration bewirkte.. 2015 überstieg der Aktienwert an der New Yorker Börse den von 2007 um das Dreifache. Der Shiller-Preis/Gewinn-Index für die S&P 500, der die Aktienpreise gegen die längerfristige Produktivität der zu Grunde liegenden Werte misst, stand bei 27. Ein Wert über 25 kam nur dreimal vor: 1929, 1999 und 2007 (drei in der Geschichte des Finanzwesens wohlbekannte Daten) – dies weist neben anderen Beobachtungen darauf hin, dass die Finanzmärkte erneut in eine Hochrisikoperiode geraten sind.

Das heißt allerdings nicht, dass es keine Investitionen in produktive Anlagen gegeben hätte. Doch, die gab es. Die Entwicklung von neuen Industrien wie Ölschiefer- und Schiefergas-Förderung, erneuerbare Energiequellen und neue Technologien im Verein mit einigen Umrüstungen von bestehenden Industrien wie bei (Last-)Kraftfahrzeugen hat stattgefunden und wirft auch Profit ab. Nichtsdestotrotz sind solche Tendenzen im Vergleich zum Umfang der Wirtschaft jedoch vorerst Randerscheinungen. In der Gesamtwirtschaft spiegelt sich insgesamt betrachtet der Mangel an Investitionen in neue Anlagen in den Zahlen des Produktivitätsanstiegs vor und nach der Krise wider. Zwischen 1991 und 2008 stieg das Wachstum im Jahresschnitt um 2,3 %,; zwischen 2011, also nachdem der anfängliche Druck durch die Krise nachließ, und 2014, als eine zyklische Erholung normalerweise hätte voll greifen sollen, lag der jährliche Schnitt dagegen bei gerade einmal 0,5 %.

China wiederum, die zweitgrößte Wirtschaft der Welt, steht vor ganz anderen Schwierigkeiten, die in der heimischen Wirtschaft begründet, jedoch mit grundlegenden internationalen Auswirkungen verbunden sind. Chinas Aufstieg zur Weltmacht fußte auf seinem Export. Durch den dramatischen Niedergang des Welthandels nach 2008 wurde Peking von einer wirtschaftlichen und politischen Unordnung bedroht. Die Antwort der Regierung bestand in einem sofortigen Konjunkturanreizpaket, das die Wirtschaft außerhalb der Küstenzonen entfalten helfen und den Verbrauch im Binnenland ankurbeln sollte.

Das 400 Milliarden $-Paket hat das BIP-Wachstum zweifelsohne durch riesige Investitionen in Infrastruktur und neue Industrieanlagen wieder befördert. Doch endete dieser Boom bereits 2014, und als sich selbst die Wachstumswerte der offiziellen Statistik entschleunigten, stellte sich heraus, dass dieser Anreiz die zu Grunde liegenden Schwächen der chinesischen Ökonomie noch verschärft hat.

Praktisch hatten Staatsunternehmen von den Staatsbanken Geld zu niedrigen Zinsen geliehen, um Projekte zu finanzieren, die entweder bestehende Vermögenswerte verdoppelten oder einfach nicht rentabel waren. D. h. die Anleihen konnten nie zurück gezahlt werden und somit eine Gefahr für den Bestand der Banken selber. Überdies stellten Chinas „Schattenbanken“ während des Aufschwungs Geld zur Verfügung, zur Hauptsache für Privatinvestoren oder Konzerne, die von der fieberhaften wirtschaftlichen Tätigkeit auch gern profitieren wollten. Jeder Abschwung birgt die Gefahr für Firmen, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen zu können, und daraus folgend den Zusammenbruch von Banken, weil sie vom Staat nicht gestützt werden. Die beiden Bereiche des chinesischen Bankensystems, der staatliche und der Schattenbereich, können deswegen in Zukunft zu Finanzkrisen führen. .

Chinas neue Führung mit Xi Jinping und Li Keqiang, die erst nach einem langen Fraktionskampf in der chinesischen KP ans Ruder kamen, hat keine andere Wahl, als den gordischen Knoten zu zerschlagen, der die Staatsbanken und Staatsindustrien aneinanderkettet. Das aber wirft massive politische Probleme auf, weil das Bindeglied zwischen beiden die regierende KP selber ist.

Xis Strategie will die Staatsbanken bis zu einem gewissen Grad der Konkurrenz ausländischer Banken aussetzen, die bisher nur in den beschränkten „Freihandelszonen“ Geldeinlagen annehmen und Kredite vergeben dürfen. Damit hofft Xi, die Banken zu zwingen, ihre eigenen Operationen zu rationalisieren und ihre Geschäfte mit den Staatsunternehmen nach streng kommerziellen Grundsätzen vorzunehmen. So sollen die „Marktkräfte“ die Gewinner und Verlierer in der Wirtschaft zu bestimmen beginnen können.

In der Binnenwirtschaft ist die Bühne für eine Runde der Rationalisierung bereitet. Peking will zweifellos stufenweise vorgehen, wie es dies bei politischen Veränderungen in der Vergangenheit getan hat. Aber die KP-FührerInnen sind nicht allmächtig und der zyklische Abschwung könnte Kräfte freisetzen, die nicht so leicht zu kontrollieren wären.

Im ostchinesischen Meer liegt die drittgrößte Wirtschaft der Welt, Japan. Im Herbst 2015 befand sich der Inselstaat in seiner 5. Rezession seit 2009; allein dies verdeutlicht das Ausmaß seiner Schwierigkeiten. Seit Beginn der zweiten Amtszeit als Premierminister Ende 2012 hat Shinzo Abe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die lang anhaltende Deflation und eine stagnierende Ökonomie zu überwinden. Seine „Abenomics“ bestanden im Wesentlichen aus Abwertung der Yen-Währung, die Einführung negativer Zinsraten und einem Anstieg der Staatsausgaben.

Innerhalb von 6 Monaten fiel der Yen um 25 % gegenüber dem US-Dollar, und die jährliche BIP-Zuwachsrate lag bei 3,5 %; dieser Wert konnte jedoch nicht gehalten werden. Die Abwertung zog eine Preiserhöhung der Einfuhren nach sich; Japan musste nach dem Tsunami von 2011 und der Schließung von Kernkraftanlagen fossile Brennstoffe einführen. Außerdem wurden zur Abtragung von Staatsschulden 2014 die Verbrauchssteuern von 5 auf 8 % erhöht. Dies wiederum wirkte sich einschränkend auf den Konsum aus und die BIP-Zuwachsrate sank um 6,9 % im Jahresmittel.

Die Europäische Union (EU) hat eine Reihe von großen Schocks durchlitten; der drohende Kollaps des Bankensystems, die Staatsschulden ihrer schwächeren Mitglieder, eine mögliche permanente Desintegration des Schengenbereichs durch die Verweigerung vieler Mitgliedsstaaten, Flüchtlinge hereinzulassen und die Drohung eines Verlassens der EU durch die Britten.

Wenn die Europäische Union eine einzelne wirtschaftliche Einheit wäre, würde sie die größte der Welt sein. Doch in Wirklichkeit sind es 28 nationale Ökonomien, und deren Unterschiede drohen die Grundlagen ihrer Koordination, die sich herausgebildet hat, zu untergraben.

Von Anfang an wurde die EU von einem Bündnis zwischen zwei imperialistischen Mächten, Deutschland und Frankreich, beherrscht. Ihre Herrschaft gründete sich auf die EU-Bürokratie und die Einführung des Euro, einer Währung nach dem Muster der D-Mark und reguliert durch die Europäische Zentralbank, die wiederum nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank aufgebaut worden war.

Trotz Jahrzehnte währender Zusammenarbeit und einiger Beispiele von Verschmelzung von deutschem und französischem Kapital wie in der Luft- und Raumfahrt oder im Chemiebereich bleiben beide doch zwei getrennte Nationalstaaten mit eigenen Interessen. Heute beherrscht das deutsche Kapital den gesamten europäischen Binnenmarkt, der Handelsüberschuss gegenüber Frankreich schwankt zwischen 25 und 35 Milliarden Euro jährlich.

Ein weiterer Störfaktor stellt die Rolle Britanniens dar, das immer noch über einen mächtigen Finanzplatz verfügt, aber kein Mitglied der Eurozone ist. Britannien war die treibende Kraft bei der EU-Erweiterung in Richtung Mittel- und Osteuropa, doch es stellt sich gegen die Bestrebungen nach einer „immer größeren Gemeinschaft“ von Ökonomien in der EU, was als beschönigender Ausdruck für noch größere deutsche Kontrolle gedeutet wird. Diese Spannungen zwischen den größten Nationen bringen die zwei möglichen Richtungen zum Ausdruck, in die sich die EU bewegen könnte: eine weitere Integration unter deutscher Vorherrschaft, was die Bourgeoisien der kleineren Länder auf kaum mehr als Kompradoren herabstufen würde, oder die Teilung in zwei oder mehr Blöcke, die die führenden Nationen um sich scharen könnten. Damit aber wäre Europa als möglicher Hauptdarsteller auf der Weltbühne erledigt.

Das strategische Ziel, Europa zu einigen, um mit den USA und China zu konkurrieren, wie es die „Lissaboner Agenda“ vorsah, erhielt einen ernsten, wahrscheinlich entscheidenden Rückschlag 2004/2005 durch das Scheitern, eine gemeinsame europäische Verfassung zu verabschieden. Mit der Verfassung wäre ein notwendiger institutioneller Rahmen gegeben gewesen, der das gesteckte Ziel der Vereinheitlichung hätte erreichbar werden lassen. Die Kräfte, die das Ziel getrennter Blöcke verfolgen, können bereits auf dem rechten Flügel in mehreren Ländern ausgemacht werden. Auch die Entscheidung Britanniens über eine Abstimmung zur fortgesetzten Mitgliedschaft in der EU ist ein Ausdruck davon.

Unmittelbar nach der Krise 2008/2009 schien es so, dass der größte Teil der EU deren Auswirkungen nicht so stark zu spüren bekommen würde, bedingt v. a. durch die Stärke der deutschen Wirtschaft, in der die Profite vor der Krise hoch lagen und zwar durch die neoliberalen Reformen der SPD/Grünen-Regierung unter Schröders Kanzlerschaft. Doch dieser Glaube erwies sich bald als Luftschloss, besonders für Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, die sogenannten PIIGS-Staaten, wie sie verächtlich genannt wurden. Diese Länder waren gezwungen, über den Mechanismus des Euro, Austeritätspakete zu schnüren als Gegenleistung für die finanzielle Rettung ihrer bankrotten Institutionen.

Dem folgte der Arbeitsplatzverlust für Millionen ArbeiterInnen auf dem Fuße. Die Arbeitslosenquote schwoll seit 2009 in Süd- und Osteuropa auf zwischen 20 und 25 % an, bei Jugendlichen gar über 40 % in etlichen Ländern. In der EU lebt insgesamt ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Armut. In Süd- und Osteuropa liegt der Anteil über 30 %, in Bulgarien sogar bei fast 50 %, und zeigt die tiefste soziale Not. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen in der EU beläuft sich auf beinahe 30 Millionen, 20 Millionen davon leben in der Eurozone.

Der russische Imperialismus schien sich bis zur Ukraine-Krise weltpolitisch und ökonomisch unter dem bonapartistischen Regime Putin restabilisiert zu haben und versuchte auch den weiteren Verlust von Einflussgebieten an die USA und europäische Mächte einzudämmen, während gleichzeitig mit den europäischen Mächten – vor allem mit Deutschland – eine „strategische Partnerschaft angestrebt wurde. Doch die militärische Macht Russlands, seine globale politische Rolle und die Machtkonzentration in Putins Regime können nicht verbergen, dass Russland ökonomisch die schwächste aller imperialistischen Mächte ist.

Ein Großteil der Deviseneinkünfte hängt unmittelbar am Export von Rohstoffen zur Energiegewinnung. 2013 waren es 71,2 %. Die wirtschaftliche Krise hat Russland voll erfasst, die Inflationsrate steigt, die Krise verbreitet sich trotz wirtschaftlicher Intervention der Regierung weiter. Nur die diktatorische Machtkonzentration im System Putin, eine russisch-nationalistische Demagogie sowie die politische und organisatorische Schwäche der Opposition und erst recht der ArbeiterInnenbewegung verhindern bisher massivere Proteste gegen die Abwälzung der Krise auf die Masse der Bevölkerung.

Den wichtigsten Regionalmächten wie Brasilien, Indien, Australien, Südafrika hat die Periode seit der Krise ein unterschiedliches Los beschert. Mehrere Jahre lang haben Australien und Brasilien prosperiert. Australien konnte eine Rezession ganz vermeiden, während Brasilien jährliche Wachstumsraten von 8 % erreichte. Das Geheimnis ihres Erfolgs war allerdings in beiden Fällen die gewaltige Nachfrage nach Rohstoffen, Energie und Nahrungsmitteln aus China, als das Anreizpaket dort Früchte trug. Die Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftstempos und für Brasilien der Verfall der Ölpreise veränderten schnell die Lage, so dass Brasilien 2015 in eine tiefe Rezession eintrat. Brasilien erlitt einen ernsten Wirtschaftsabsturz von durchschnittlich – 3,7 % im Jahr 2015, wobei ein anhaltendes Minus von 3 % für 2016 vorhergesagt wird.

Der Preisverfall für Energie und Mineralstoffe forderte auch von Südafrika seinen Tribut, wo die riesenhaften Bergbaukonzerne wie Glencore und Anglo-American ihre geplanten Investitionen aussetzen und bestehende Operationen einstellen mussten.

Zunehmende interimperialistische Rivalität

Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund haben die Großmächte ihre Strategien für die folgenden Jahrzehnte konzipiert. Für jede liegt der entscheidende Gesichtspunkt dabei auf der Vergrößerung ihres weltweiten Spielraums, ungeachtet dringlicher Schwerpunkte im Innern.

Die erste Priorität für den US-Imperialismus liegt folgerichtig nicht in der Runderneuerung seiner Industrie auf qualitativ fortgeschrittenerer technischer Grundlage. Das würde die Vernichtung existierender Kapitalanlagen in fast unvorstellbarem Ausmaß erfordern. Das US-Kapital hat längst aufgehört, sich vorrangig auf seine Industrie zu stützen, die nur noch etwa 15 % zur Wirtschaft im BIP-Maßstab beiträgt. Für seine vorherrschende Fraktion, das Finanzkapital, liegt der Weg v. a. darin, vollen Vorteil aus seiner globalen Dominanz zu ziehen, um noch mehr Profit aus anderen Ländern herauszuquetschen.

Das ist der Zweck von TTP und TTIP. Obwohl vieles vom Inhalt der vorgeschlagenen Verträge geheim bleibt, ist bekannt, dass sie Klauseln enthalten, die systematisch alle juristischen, verfassungsmäßigen oder wirtschaftlichen Bestimmungen verbieten, die sich als nachteilig für US-Firmen erweisen könnten, bei ihren Bestrebungen, Auslandsmärkte zu betreten. So stehen z. B. staatliche Dienstleistungen im Gesundheits- oder Bildungssektor und erst recht Staatseigentum an Industrien offen für die Anklage unlauteren Wettbewerbs durch US-Konzerne. Diese Klagen würden nicht in Gerichtshöfen verhandelt, sondern in Schiedstribunalen, die von Konzerninteressen dominiert werden.

In China ist Xis Strategie nicht auf Reformen des Bankenwesens und der staatlichen Industrie beschränkt; er hat auch Pläne entworfen für die buchstäbliche Neuordnung der Weltwirtschaft. Diese sind in einer Parole aus 4 Zeichen zusammengefasst: OBOR („One Belt, One Road“; „Ein Gürtel, Eine Straße“). Der „Gürtel“ ist die Seepassage von China nach Ostafrika über Südostasien und den Indischen Ozean, während „Straße“ die Sammelbezeichnung für die Überlandrouten von China nach Europa darstellt, mit Verbindungen zum Golf von Bengalen, der Andamanensee im östlichen Indischen Ozean, der malaiischen Halbinsel, dem arabischen Golf, dem Schwarzen Meer, der Ost- und Nordsee.

Obwohl es sich um einen Plan für mehrere Jahrzehnte handelt, nehmen einige Elemente bereits Gestalt an. Eisenbahnverbindungen nach Deutschland, Spanien und in den Iran sind schon in Betrieb, wenn auch mit geringer Kapazität. Der neue Hafen und die Freihandelszone von Gwadar in Pakistan ist schon der chinesischen Betreibergesellschaft übergeben worden. Laut der Ratingagentur Fitch hat CDB, die chinesische Entwicklungsbank, Ende 2014 125,9 Milliarden US-Dollar an Krediten für OBOR-Projekte ausgegeben und verfügt über Pläne, weitere 900 Projekte mit Investitionen in Höhe von 800 Milliarden US-Dollar zu finanzieren. Zusätzlich hat ein Konsortium chinesischer Geschäftsbanken aus Bank of China, China Construction Bank und China CITIC Bank eine Leihsumme von 198 Milliarden US-Dollar für OBOR-Projekte ins Auge gefasst.

In diesem Zusammenhang muss man nicht nur Chinas Förderung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) verstehen, die die USA ausschließt, aber mittlerweile über die Unterstützung von 57 Staaten verfügt einschließlich bedeutenderer US-Verbündeter wie Britannien und Deutschland, sondern auch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die Neue Entwicklungsbank (NDB) und die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP).

Was OBOR verdeutlicht, ist Lenins Bemerkung, eine neue imperialistische Macht sei gezwungen, zur Aufteilung der Welt, sich nicht nur auf die Neuausrichtung existierender ökonomischer Ressourcen zu beschränken, sondern dies könne die Schaffung gänzlich neuwertiger Produktionszentren und ungewohnter Wirtschaftsbeziehungen beinhalten. Was erhalten bleibt, sind unausweichliche Rivalitäten und Konflikte zwischen einer aufsteigenden Macht und den bestehenden Mächten. Die Betonung dieser Rivalitäten und Konflikte sollten wir als Resultat der Expansion Chinas sehen.

Obwohl Chinas Strategieplan erst 2014 amtlich bekanntgegeben wurde, wurde dieser seit vielen Jahren entwickelt und war anderen Mächten nicht unbekannt. Das wirft ein Licht auf politische Prozesse in Europa, besonders Deutschlands aufkeimende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, die durch die Ereignisse in der Ukraine einen ernsten Rückschlag erlitten hat und den Beschluss des Vereinigten Königreichs (UK; Großbritannien und Nordirland ohne die Isle of Man und die Kanalinseln), um chinesische Kapitalanlagen im empfindlichen Sicherheitsbereich der Stromerzeugung aus Kernkraft zu ersuchen.

Auch an Washington kann das nicht unbemerkt vorbeigehen. Obamas „Dreh- und Angelpunkt für den Pazifik“ zielt ganz offensichtlich auf Eindämmen der chinesischen Ausweitung und, falls möglich, Abriegelung des „Gürtels“ zwischen der chinesischen Küste und Afrika. Die Verlautbarung der Pläne Pekings verleiht der säbelrasselnden US-Intervention in der Ukraine und ihrem Beharren auf der Errichtung vorgelagerter NATO-Stützpunkte in Ost- und Mitteleuropa einen Sinn.

Die Entwicklung derartiger Wirtschaftsblöcke ist symptomatisch für das prägende Merkmal der gegenwärtigen Periode: zunehmende interimperialistische Rivalität.. Die geschichtlich bedeutendste Rivalität mag zwischen den USA und China herrschen, doch ist sie gegenwärtig nicht die wahrscheinlichste Konfliktquelle. Der relative Niedergang des US-Imperialismus, am klarsten offenbart, als ihm sein Strafgericht in Afghanistan und dem Irak widerfuhr, hat Regionalmächte, einst seine Gendarmen, ermuntert, ihre eigenen Interessen vorzubringen, manchmal gegen Washingtons Wünsche.

Gegenwärtig sind die grässlichsten Folgen davon in Syrien sichtbar, wo das Patt zwischen den zersplitterten Kräften der demokratischen Revolution unter unzulänglichen Führungen und Assads Regime ein Machtvakuum geschaffen hat, in das benachbarte Mächte wie Saudi-Arabien, Katar, Türkei, Libanon, Iran, Israel stießen. Der daraus resultierende Krieg tötete nicht nur 250000 und zwang Millionen zur Landesflucht, sondern sah auch das Emporkommen des „Islamischen Staats“, anfangs ein Erzeugnis des Zusammenbruchs des Irak und finanziert durch die Golfstaaten, dessen lokaler Vormarsch Staatsgrenzen von der Landkarte ausradierte. Solche Instabilität, die auch die KurdInnen des Irak, Syriens und der Türkei einbezog, konnte von den Großmächten nicht ignoriert werden. Ihr Versuch, die Situation mittels eines UNO-Mandates zu kontrollieren, war schlicht ein Deckmantel für ihre jeweiligen Eigeninteressen.

Unausweichlich führte das Blutbad in Syrien zu Konsequenzen weit über das Land hinaus. Auch dies prägt die Periode. Bezüglich interimperialistischer Rivalität stärkte es Russlands Zugriff auf einen weiteren Konflikt, bei dem auch eine direkte Konfrontation zwischen den Großmächten drohte: die Ukraine. Dort wurde ein von Deutschland veranlasster EU-Vorstoß, Präsident Janukowytsch, nachdem er sich einem Abkommen mit der EU verschloss, durch eine Alternative zu ersetzen, die EU-freundlich eingestellt war, aber willens, einen Kompromiss mit Russland zu akzeptieren, von den USA torpediert. Durch Mobilmachung des äußersten rechten Flügels des ukrainischen Nationalismus unter Einschluss faschistischer Milizen bekam Washington seinen Willen, provozierte aber einen Bürgerkrieg im östlichen Landesteil, der von Russland Hilfe erhielt.

Auf der anderen Seite Europas erfuhr die französische Intervention in Syrien eine Antwort in Form von Bombenattentaten durch ISIS in Paris im November 2015, was zur Ausrufung des Ausnahmezustands führte. Zweifellos wurde in Paris nicht nur Vergeltung geübt wie schon beim Attentat auf Charlie Hebdo für Syrien, sondern auch für die zunehmende Islamophobie im Land und andere Militärinterventionen in Libyen, Mali, Niger, dem Tschad, Burkina Faso und der Elfenbeinküste.

Allgemeiner gesprochen gibt es einen Wettlauf um Afrika wie in der Morgenröte der imperialistischen Epoche. Diesmal beteiligen sich nicht nur die europäischen Mächte daran, sondern auch die USA und – als Zeichen der Zeit – China. Bis vor kurzem war Chinas Einmischung beschränkt auf Entwicklungshilfe, vorwiegend für Infrastruktur und Erzabbau, an Regime, deren Umgang mit Menschenrechten und antiimperialistischer Rhetorik sie zu unangenehmen Partnern für die westlichen Imperialismen, oft genug die früheren Kolonialmächte, machten. Jetzt sind aber chinesische Truppen als „Friedenshüter“ im Sudan stationiert.

Der neue „Wettlauf um Afrika“, den wir in unseren letzten Perspektiven skizzierten, hat während der Großen Rezession Fahrt aufgenommen und wird es im nächsten Zeitrahmen weiterhin tun. Das imperialistische Kapital sucht nach profitablen Anlagen für sein überakkumuliertes Kapital. Verschiedene imperialistische Mächte haben sich für verschiedene Investitionsstrategien entschieden; China hatte sich für Jahrzehnte auf die Entwicklung der Infrastruktur konzentriert, die oftmals durch garantierte Lieferungen von Mineral- und Energievorräten bezahlt wurde. Die größte Quelle einer solchen Investition war in den letzten Jahren Frankreich gewesen mit einer Summe von 18.5 Mrd US Dollar im Jahr 2014 während sich die Summe der USA auf 8 Mrd US-Dollar belief. Die Erträge solcher Investitionen waren lukrativ: zwischen 2003 und 2012 fließen ca. 528 Mrd. US-Dollar in die Zentren der Metropolen zurück (das sind 5,5 % des BIP des europäischen Kontinents).

Schließlich hat in der Republik Südafrika die vom Zusammenbruch des Bergbaus und der Rohstoffi ndustrie losgetretene Wirtschaftskrise zur Destabilisierung des ANC (und besonders von Staatspräsident Zuma) geführt. Die Branchengewerkschaft NUMSA brach mit ihm und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU. Ob NUMSA und/oder die aus der Spaltung der Bergarbeitergewerkschaft hervorgegangene AMCU eine ArbeiterInnenpartei gründen und die ArbeiterInnenklasse um ihr Banner werden scharen können, wird zur Schlüsselfrage künftiger Klassenauseinandersetzungen geraten.

Chinas auf Ostafrika zulaufender „Gürtel“ findet sein strategisches Gegenstück, missverständlich „Perlenkette“ getauft, in einer Reihe von Marineeinrichtungen entlang der Route nach Afrika; sie umfassen Sri Lanka und Pakistan wie auch Myanmar. An ihrem Ostende, im Südchinesischen Meer, hat Peking künstliche Inseln durch Aufbau der Riffe vor den Spratly- und Paracel-Inseln errichtet und dadurch die Nachbarstaaten Indonesien, Philippinen, Vietnam und Malaysia brüskiert, die näher an den Inseln liegen. Der Bau von Stützpunkten auf diesen Inseln einschließlich von Flugrollbahnen hat bereits die US-Marine provoziert, in deren Nähe zu manövrieren, um die „Freiheit auf See“ zu bekräftigen – eine halbe Weltreise von ihren eigenen Küsten entfernt.

Weiter nördlich, im Ostchinesischen Meer, findet ein ähnlicher Zusammenprall zwischen China und Japan um die Besitzrechte an den Senkaku- oder Diaoyu(tai)-Inseln statt. Hier hat es Auseinandersetzungen zwischen Flottenschiffen und Fischerbooten gegeben, an sich unbedeutende Zwischenfälle, aber mit dem Potenzial, unter passenden Umständen, ernsthafte Konflikte zu entfachen. In diesem Zusammenhang bestätigt Shinzo Abes Beschwörung des Slogans der Meiji-Restauration – „fukoku kyohei“, „Bereichert das Land, stärkt die Armee!“ -, als er sein Wirtschaftsprogramm und seine Vorschläge zur Tilgung der pazifistischen Artikel aus der japanischen Verfassung vorstellte, dass diese Region ein weiterer möglicher Brennpunkt ist.

Auf der anderen Seite des Pazifik, einst als „Amerikas Hinterhof“ betrachtet, verebbt nun die „rosa Welle“ populistisch-sozialistischer Dirigenten wie Chávez in Venezuela, Lula da Silva in Brasilien, Evo Morales in Bolivien und Raffael Correa in Ecuador deutlich, die sich erhob und aufgrund steigender Grundstoffpreise halten konnte, diese aber nun infolge einer sich abkühlenden Weltwirtschaft, besonders eines Nachfragerückgangs aus China, abstürzen. Nach den Wahlen vom Dezember 2015 steht Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro einer feindlichen Parlamentsmehrheit gegenüber. Dilma Rousseff, Amtserbin Lulas, wird wegen Korruption angeklagt, und der Neoliberale Mauricio Macri ist zum argentinischen Präsidenten gewählt worden undbeendet damit die aufeinanderfolgenden linksperonistischen Regime unter Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner.

Alle diese Entwicklungen deuten auf eine mögliche Wiederherstellung des US-amerikanischen Einflusses in der Region hin. Das gilt sogar für die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba, dessen politische Führung dem europäischen Kapital schon die Tür geöffnet hat und auf eine kapitalistische Restauration nach dem Modell der chinesischen Erfahrungen aus zu sein scheint. Das zunehmend missachtete US-Embargo ist währenddessen zu einem Hindernis für das US-Kapital geworden. Seine Aufhebung wird langfristig eine Stärkung der restaurativen Kräfte und eine Störung der Zusammenarbeit zwischen Kuba und seinen einstigen lateinamerikanischen Verbündeten gestatten.

Nach der Wiederwahl Dilmas in Brasilien gibt es vermehrte Anläufe rechtsbürgerlicher Kräfte, die Massendemonstrationen gegen Korruption und eine beachtliche Kampagne des bedeutenden TV-Netzwerks „Globo“ inszenieren, um die gewählte Präsidentin und damit die PT aus der Regierung zu scheuchen. Dies war von scharfer Spargesetzgebung durch den Bundeskongress im Zuge der heftigen Wirtschaftskrise begleitet, woraufhin eine große soziale Bewegung rund um die Gewerkschaften, aber auch die Bewegungen der Land- und Obdachlosen (MST, MTST) aufkam. Dies signalisiert ein erhöhtes allgemeines Klassenkampfniveau in Brasilien. Nach der Verhaftung Lulas entstand eine riesige Gegenbewegung gegen die reaktionäre Mobilmachung und den bürgerlichen Versuch, eine Rechtsregierung des sozialen Angriffs zu formieren. Das Ergebnis dieses Zusammenstoßes auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wird entscheidend für die Frage sein, ob der Rechtstrend in Lateinamerika umgekehrt werden kann oder nicht.

Wie die Balkanländer des frühen 20. Jahrhunderts bleibt der Nahe Osten in der bevorstehenden Periode das „Pulverfass“, wo Russland und die NATO mit unvorstellbaren Auswirkungen aneinandergeraten könnten. Die Türkei und Saudi-Arabien helfen nicht nur konterrevolutionären Kräften im Ausland – in Libyen, Jemen und Syrien -, sondern werden im Innern zunehmend repressiver. Hier handelt es sich tatsächlich um eine Region, wo eine starke einheimische Konterrevolution sich auf dem Vormarsch befindet – sie tritt in Ägypten, Bahrain, Libyen und Syrien die Errungenschaften des Arabischen Frühlings von 2011 in den Staub. Solche Unterdrückung und massive, durch Bürgerkriege fabrizierte Zerstörung kann eine lang gedehnte konterrevolutionäre Phase bedeuten. Aber die wirtschaftliche und soziale Instabilität der Regime wird früher oder später zu Rissen und Spaltungen führen, durch welche das revolutionäre Feuer wieder emporlodern wird, ernsthafter und gefährlicher als zuvor.

Die ArbeiterInnenklasse nach der Krise

Die gesamte kapitalistische Entwicklung bringt notwendig Veränderungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse mit sich, sowohl bezüglich ihrer räumlichen Verteilung wie ihrer Zusammensetzung. Die beiden letzten Jahrzehnte erlebten einen großen Wandel, am offensichtlichsten aufgrund des Wachstums des Kapitalismus in China, aber auch in anderen Teilen Asiens und Lateinamerikas, am auffälligsten in Brasilien. Der bedeutende Unterschied zu China besteht darin, dass dieses sich als imperialistische Macht etabliert hat, unabhängig vom Kapitalzufluss aus dem Ausland, um sein Wachstum am Laufen zu halten. Dies hat bereits zu einer Schichtung innerhalb der chinesischen ArbeiterInnenklasse geführt, die mit der Zeit die Herausbildung einer ArbeiterInnenaristokratie erlauben könnte.

Eine Konsequenz aus der Produktionsverlagerung nach Asien beinhaltete die Restrukturierung der traditionellen ArbeiterInnenklassen in den älteren imperialistischen Ländern Europas und Nordamerikas. Dieser Prozess wurde beschleunigt durch die Krise, die nicht nur die Arbeitslosigkeit hochschnellen ließ – die Internationale Arbeitsorganisation der UNO (IAO/ILO) rechnet mit einem Anstieg um 30 Millionen auf 193 Millionen -, sondern auch Millionen stark verschlechterte Arbeitsbedingungen und Löhne hinzunehmen zwang. Selbst in Deutschland, einer stärkeren Volkswirtschaft, werden 25 % der Arbeitskräfte „prekärer“ Beschäftigung zugerechnet.

In der halbkolonialen Welt hat die Hoffnungslosigkeit des Landlebens mittlerweile Millionen in aufblühende Megastädte vertrieben. Erstmalig ist jetzt die Stadtbevölkerung größer als die dörfliche. Aber der Lebensstandard der LohnarbeiterInnen ist oft wenig unterschieden von dem der Armen: man nimmt an, dass 1,25 Milliarden von weniger als 1,25 $ täglich leben müssen; davon stehen 447 Millionen in bezahlter Beschäftigung.

Die Migration erfolgt natürlich nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch transnational. Aus den Halbkolonien durch Armut in die Metropolenzentren getriebene ArbeiterInnen besitzen oft keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie sind gezwungen, Superausbeutung und Vorenthaltung fundamentaler Rechte zu akzeptieren und erleiden überall im Alltagsleben chauvinistische und rassistische Diskriminierungen.

Weltweit hat sich die Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse auch durch den Eintritt zunehmender Zahlen von Frauen in die Belegschaften geändert, oft ebenso schlimmsten Arbeitsbedingungen und allen zusätzliche Nachteilen, bedingt durch ihre familiären Verpflichtungenausgesetzt. . Die Kriege in Nahost und Afrika, der Strom von Geflüchteten über Kontinente, Meere und Grenzen hinweg steigern die Entbehrungen von Frauen und ihren Familien. Die Stärkung reaktionärer salafistischer Srömungen – die Verbündeten Al-Qaidas Boko Haram und Laschkar-e Taiba, die pakistanischen und afghanischen Taliban usw. und v.a. ISIS, teilweise als Reaktion auf die imperialistischen Interventionen und Krise des Kapitalismus entstanden – führten zu einer zunehmenden Zahl von Angriffen auf Frauen und deren Rechte. Die soziale Krise und konterrevolutionäre religiöse bzw. kirchliche Regimes ermutigen oder gestatten Vergewaltigungen und körperliche Attacken gegen Frauen wie die Vorenthaltung ihrer Rechte auf Bildung ein soziales Leben und Arbeit außerhalb des Hauses.

Industriearbeiterinnen in ganz Asien oder Lateinamerika erleiden oft schreckliche Arbeitsbedingungen; manche grenzen an ausgemachte Sklaverei. In den letzten 5 Jahren standen eine Reihe Fabrikbrände auf dem indischen Subkontinent dafür Zeuge wie der grauenhafte Einsturz des Rana Plaza-Fabrikgebäudes in Sabhar (Bangladesch), bei dem mehr als 1000 ArbeiterInnen umkamen. Doch die Arbeiterinnen in der Textil- und Bekleidungsbranche haben einige mutige Kämpfe aufgenommen. In Pakistan begannen sich die Arbeiterinnen in der Heimindustrie zu organisieren; in Indien hat es eine beachtliche Bewegung gegen Vergewaltigungen und Belästigungen von Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln gegeben. Kurz, die Bestrebungen zur Verteidigung von Frauenrechten haben im vergangenen Zeitraum zugenommen.

Nichtsdestotrotz führt die Notwendigkeit kapitalistischer Entwicklung Bedingungen herbei, die einigen Schichten der ArbeiterInnenklasse, nicht nur ausschließlich in den imperialistischen Ländern, beträchtlich bessere Arbeitsbedingungen zu erringen gestatten – Ergebnisse einer Mischung aus Verknappung an qualifizierten Arbeitskräften, strategischen Stellungen im Wirtschaftsgeschehen und höherem gewerkschaftlichen Organisationsgrad.

Diese „ArbeiterInnenaristokratie“, die gemeinhin die soziale Basis für stabile, häufig bürokratisierte Gewerkschaften und reformistische Parteien stellt, erfährt selbst Umwälzungen. In den jüngsten Jahrzehnten hat die weltweite industrielle Umstrukturierung ganze Branchen aus einigen Ländern vollständig verschwinden lassen, die einst die Basis für die ArbeiterInnenaristokratie abgaben. Gleichzeitig hat der technische Fortschritt eine umfangreiche Zahl jener, die ehedem zu den „lohnabhängigen Mittelschichten“ zählten, aus professionellen Berufen in die besser entlohnten Ränge der ArbeiterInnenklasse gezwungen.

In globalem Maßstab verringerte die Krise nicht die Größe der ArbeiterInnenklasse, zwang sie aber generell zum Rückzug, zur Hinnahme niedrigerer Löhne, härterer Arbeitsbedingungen, zur Aufgabe vergangener Errungenschaften, was Rechte und Sozialleistungen betrifft. In den imperialistischen Ländern und in Halbkolonien mit bereits eingewurzelter LohnarbeiterInnenschaft lag darin der Preis, den die Gewerkschaften an eine Unternehmerklasse zahlten, die selbst die Krise eindämmen wollte als sie „ihre Arbeit tun zu lassen“. Die angewandten Maßnahmen, um sie zu entschärfen – Lösegelder zur Rettung vor Bankrotten, niedrige Zinsfüße und QE – haben die verfügbaren Reserven drastisch reduziert, um eine weitere Krise zu bekämpfen, von der schon Signale in Form spekulativer Blasen sichtbar sind.

Ein vollständig anderes Bild ist in China zu besichtigen, dessen geschwinde kapitalistische Entwicklung die größte nationale ArbeiterInnenschaft der Welt, ja in der Geschichte, geschaffen hat. Diese Klasse war im Allgemeinen in der Lage, stetige Verbesserungen ihrer Lebensumstände zu erzielen dank anhaltender Produktionsausweitung, obwohl sie noch nicht die gesetzliche Anerkennung ihrer Rechte errungen hat. Sie schaffte dies nicht ohne häufige Massenaktionen einschließlich Streiks, Besetzungen und Blockaden. Doch unter der fortbestehenden Diktatur der KPCh war sie noch nicht imstande, unabhängige Gewerkschaften oder politische Organisationen zu bilden.

Politische Antworten

Es gehört zu den scheinbaren Paradoxien des Kapitalismus, dass die krisenhafte Situation der globalen Kapitalverwertung zugleich zu einem enormen Anstieg der Vermögen an der Spitze der Einkommenshierarchie und einer weiteren Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich führt. Gerade die Überakkumulation von Kapital, d. h. der Mangel an profittragenden produktiven Investitionsmöglichkeiten, erzeugt einen Anstieg eines parasitären Rentier-(zinstragenden) Kapitalismus, der mehr und mehr von Wertpapiergeschäften, Immobilien und Finanzspekulationen lebt.

In den imperialistischen Zentren macht der Kapitalstock heute durchschnittlich das 6-fache des Sozialprodukts aus (in den 1950er-Jahren war es bloß das Doppelte), wovon wiederum z.B. in den USA 70 % vom obersten Zehntel kontrolliert wird (bzw. 35 % von den obersten 1 %). Die Bourgeoisie der imperialistischen Staaten verfügt heute über nie dagewesene Mittel, die sie flexibel und global in ihrem Interesse einsetzen kann. Überakkumulation, Vermögenskonzentration und Finanz-Globalisierung führen zu einer weiteren Untergrabung nationalstaatlicher politischer Handlungsspielräume gegenüber der finanziellen Macht dieser Klasse. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass trotz der gewaltig gestiegenen Vermögen auf der anderen Seite die Reichen prozentual immer weniger davon über Einkommens- und Vermögenssteuern zur Finanzierung der gesamtstaatlichen Aufgaben abgeben. Jeder Nationalstaat, der diesem Steuer- und Abgabentrend entgegenwirkt, wird sofort von der „Strafe der Märkte“, durch Kurs-, Währungs-, Zinsturbulenzen oder Investitionstransfers bestraft. In diesem Sinn sind die Nationalstaaten heute chronisch unterfinanziert, bei gleichzeitig stattfindenden Dumpingwettbewerben um die niedrigsten Steuern, die besten Investitionsbedingungen und möglichst niedrige Arbeitskosten. Die Verschuldungskrise führt zu Privatisierungen im industriellen Bereich, wie auch bei Wohnungsgesellschaften oder öffentlichen Diensten – womit weitere Investitionsmöglichkeiten für das parasitäre Vermögenskapital geschaffen werden. Ausgerechnet die Finanzkrise, die durch Spekulation mit prekär finanzierten Immobilienhypotheken begann, hat letztlich zu einer enormen Ausweitung der Investition in Immobilien durch die großen Vermögensbesitzer geführt.

Diese Spirale von Sozial- und Steuerdumping, Staatsverschuldung, Austerität, Privatisierung und weiterer Bereicherung der Superreichen wird gerne als „Neoliberalismus“ bezeichnet. Dieser Begriff kann möglicherweise missverstanden werden, tatsächlich bildet er ein Aktionsprogramm dessen Slogans und Forderungen – Privatisierung, Deregulierung des Arbeitsmarkts, freie Märkte – , den dringenden Handlungsbedarf der entscheidenden Teile des Kapitals zum Ausdruck bringt. Dem werden von der reformistischen und rechts-zentristischen Linken gerne keynesianische Programme von progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern, Entlastung der unteren Einkommen, Investitionsprogramme, Ankurbelung des öffentlichen Konsums, Rekommunalisierung privatisierter Versorgungsunternehmen, etc. als praktikable Alternative im Kapitalismus entgegengesetzt. Dies verkennt sowohl den Kapitalzwang der Überakkumulation, die Globalisierung der Kapitalmacht, wie auch die Veränderung des Kräftegleichgewichts zugunsten der großen Vermögen. Neoliberalismus ist keine Ideologie, sondern ein durch „die Macht der Märkte“ ausgeübter „Sachzwang“ auf die politischen Marionetten in den Staatsapparaten – welcher politischen Couleur auch immer. Welche Regierung auch immer die angeblichen Machtpositionen im Staat besetzt, sie wird durch diese hinter ihrem Rücken wirkenden Kapitalzwänge notwendigerweise nichts anderes als neoliberale Politik umsetzen können. Die Erfahrung mit der Syriza-Regierung in Griechenland war hier ein eindeutiges Lehrstück, das aber wiederum von einem Großteil der Linken im Kern überhaupt nicht verstanden wurde. Eine andere als eine neoliberale Politik kann heute überhaupt nur durch die tatsächliche Eroberung der Macht, d. h. durch die Vergesellschaftung der Produktions- und Reproduktionsbedingungen eines Landes erreicht werden, die zugleich in den Rahmen einer internationalen Umwälzung gegen das globale Kapital eingebunden ist.

Linksreformistische Ökonomen von Piketty bis Varoufakis verkünden, dass ein Durchbrechen der „neoliberalen Logik“ und eine Krisenbewältigung möglich wäre durch Schuldenstreichung, Vermögensabgaben, progressive Besteuerung von Einkommen und Vermögen des großen Kapitals, eine Kapitaltransfersteuer etc. Ihr Argument ist, dassdie großen Vermögen in der Lage wären, Staatsschulden, die Finanzierung der Renten- und Gesundheitssysteme und der bestehenden Sozialtransfers gleich mehrfach zu bezahlen („Geld ist genug da“). Dem Reformismus fehlt jedoch eine internationale politische Strategie, und er geht einer entscheidenden Konfrontation mit dem großen Kapital auch auf nationaler Ebene aus dem Weg. Bewegungen wie attac, später Occupy oder „We are the 99 %“ agierten zwar international, waren aber nicht in der Lage, den Kampf um ihre Partikularforderungen trotz oftmals radikalerer Aktionsformen mit dem revolutionären Kampf um die Macht im Sinne welche Klasse soll die Macht ergreifen zu verbinden. Auch für RevolutionärInnen sind natürlich Schuldenstreichung, Enteignung der großen Vermögen, progressive Besteuerung Elemente des Programms – aber nur in Verbindung mit dem Kampf um ArbeiterInnenkontrolle und im Rahmen von Übergangsforderungen, die klar machen, dass nicht einmal grundlegende Fragen der Umverteilung und sozialen Sicherung im Rahmen des heutigen Krisenregimes umsetzbar sind.

Die Politik der etablierten reformistischen Parteien – heißen sie SozialistInnen, SozialdemokratInnen oder Labour – erfüllte angesichts des Beginns der härtesten Krise seit dem Krieg exakt die von der Bourgeoisie an sie gestellten Bedingungen. Diejenigen, die sich zum Ausbruchszeitraum der Krise an der „Macht“ befanden oder in ihrem Gefolge an die Regierung gelangten, griffen zum Glaubenslehrsatz „unausweichlicher“ Sparpolitik. Gleichzeitig lösten sie Banken und Großbetriebe aus der Verschuldung aus und attackierten jene ArbeiterInnenschichten, die Widerstand leisteten. Einschlägige Beispiele verkörperten die Labour-Regierung unter Gordon Brown im Vereinigten Königreich und später die Sozialistische Partei François Hollandes in Frankreich. Bis zu einer gewissen Grenze stellten sie sicher, dass Sparpakete, Lohneinbußen und Arbeitsplatzverluste ihre arbeiteraristokratische Basis nicht so empfindlich trafen, aber zur selben Zeit förderten sie bei einem großen Teil der Arbeitskräfte die Zunahme unsicherer, Teilzeit- und Niedriglohnjobs (Prekariat) .

Die Gewerkschaften in Griechenland, Frankreich, Italien und den USA mobilisierten zu vielköpfigen Protestmärschen und eintägigen Streiks. Im Zeitabschnitt von 2009 – 2014 ging die Zahl ein- oder zweitägiger Aktionen in Griechenland in die Dutzende; seit Syrizas Verrat beginnen sie wieder. Selbst in Großbritannien verabschiedete der TUC eine Resolution, die mit einem Generalstreik drohte, und eine Allianz „linker“ Gewerkschaften lancierte eine Kampagne für koordinierte Arbeitskampfmaßnahmen. Aber die Aktionstage blieben isolierte Einzelaktionen baren Trotzes.

Die Gewerkschaftsbürokratie – besonders wo „Links“regierungen an der „Macht“ waren (SozialdemokratInnen in Europa, PopulistInnen in Lateinamerika, Obama in den USA) – garantierten, dass diese nicht ernsthaft in Verlegenheit kamen, geschweige denn mit ihrem Sturz bedroht wurden durch nachhaltige und kämpferische Mobilisierungen.. Die traditionellen linken KritikerInnen der sozialdemokratischen Mehrheitsströmungen wie DIE LINKE, Izquierda Unida, Überreste von Rifondazione Comunista (RC) in Italien strebten regionale oder nationale Koalitionen an, was ihrer Alternative zum reformistischen Hauptstrom die Spitze brach. Kurz, die reformistischen politischen Parteien und Gewerkschaftsbonzen aller Schattierungen, rechter wie linker, kapitulierten vor der Herausforderung durch die Rezession und handelten mit dem Ergebnis von Desorganisation und Dämpfung des Widerstands, anstatt ihn gegen einen anfänglich geschwächten und diskreditierten Kapitalismus ins Feld zu führen.

In Ländern ohne solche reformistischen Parteien, wo die Gewerkschaften traditionell sich entweder an eine der großen bürgerlichen Parteien wie in den USA bzw. an mehr oder weniger linke nationalistische bzw. volkstümlerische Parteien anschmiegten, war das Muster im Grunde dasselbe. Die Identifikation mit den Interessen der Kapitalistenklasse oder eines ihrer Flügel, führte zur Aufgabe der Verteidigung von Klasseninteressen und folglich einer Einbuße in Größe und Einfluss des Gewerkschaftswesens als gesellschaftlicher Kraft. Das war z.B. in Venezuela und Argentinien der Fall. Die einzige bedeutende Ausnahme passierte in der Republik Südafrika, wo Gewerkschaften ihr Bündnis mit dem ANC aufgekündigt haben.

Wo Unterdrückerregimes zuvor dafür gesorgt hatten, dass Gewerkschaften im Untergrund oder nur halblegal operieren mussten, schuf die Wucht der Krise Bedingungen, wo diese dramatisch anschwellen und sich an die Spitze der Massenopposition setzen konnten, die sogar Regierungen zu stürzen vermochte. Am dramatischsten wurde das in Tunesien, anschließend in Ägypten, demonstriert, wo die Erhebungen den Arabischen Frühling auslösten. Doch selbst hier brachte es die politische Borniertheit des reinen GewerkschafterInnentums mit sich, dass die Leitung der Massenbewegung klassenfremden Kräften zugestanden wurde: der Volksfront in Tunesien sowie Mursi und der Muslimbruderschaft in Ägypten.

Woanders schlugen sich gewerkschaftliche Schwäche, Sparpolitik der überkommenen reformistischen Parteien und unvermeidbare Beschränktheit „spontaner“ Massenbewegungen im Anwachsen von Parteien nieder, die eine neue Form politischer Organisation zu verkörpern vorgaben, aber tatsächlich Spielarten des Linkspopulismus darstellten. Solche Parteien wie Podemos in Spanien waren auch stark von kleinbürgerlichen Ideologien aus „Mittelklasse“schichten durchtränkt, die ebenfalls heftig von der Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden. Viele äfften die bolivarischen Regimes Lateinamerikas nach, die sie zu Leitfiguren erkoren. Diese Parteien adoptierten eine Form von plebiszitärer Demokratie für ihre eigene Organisation, was unausweichlich in ein autoritäres Regiment einer kleinen Clique um den/die zentrale ChefIn mündete.

Wie in der Vergangenheit führte das Versagen der ArbeiterInnenorganisationen, ein zusammenhängendes antikapitalistisches Programm vorzulegen, in Verbindung mit anhaltender Unfähigkeit der bestimmenden Fraktionen der herrschenden Klasse, die wirtschaftliche Krisenfolgen zu lösen, zur Ermunterung des Aufstieges der extremen Rechten. Das nahm verschiedene Gestalten an: von der Tea Party bei den US-Republikanern und UKIP im Vereinigten Königreich zur FN in Frankreich und FPÖ in Österreich und schloss regelrechte faschistische Parteien wie Jobbik in Ungarn und Goldene Morgenröte in Griechenland ein. Die meisten tauchten in Europa auf, wo sie nicht nur von der Fremdenfeindlichkeit gegenüber EinwanderInnen und Geflüchteten profitierten, sondern auch von allgemeiner Unzufriedenheit mit Sparmaßnahmen, die der EU zur Last gelegt wurden. Der Aufstieg von Modis hindunationalistischer BJP in Indien beweist, dass dieses Phänomen nicht auf diesen Kontinent begrenzt ist.

Selbst wo solche Kräfte nicht die auserlesenen Instrumente der herrschenden Klasse darstellen, kann ihre Zunahme in Spaltung, Desorganisation und Demoralisierung der Lohnabhängigen und ihrer Organisation enden, was das Durchpeitschen reaktionärer Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik erlaubt. Der Kampf gegen die Rechte kann sich nicht auf die Verteidigung früherer Errungenschaften oder demokratischer Rechte beschränken, sondern muss sich in eine Strategie einfügen, die auf den Sturz des kapitalistischen Systems selbst abzielt.

Die Linke

In Anbetracht der tiefen kapitalistischen Krise und ihrer sozialen und politischen Verwerfungen haben die Kräfte der radikalen und subjektiv revolutionären Linken, in Wahrheit zentristische Gebilde des einen oder anderen Zuschnittes, deutlich darin versagt, eine alternative Quelle proletarischer Führung zur Verfügung zu stellen, die auf einer in sich schlüssigen Strategie zum Sturz des Kapitalismus fußt.

Mit teilweisen Ausnahmen in Griechenland, Spanien und Frankreich lag das an ihrer Unfähigkeit, die einflussreichen reformistischen Parteien im Wahlkampf und in den Gewerkschaften herauszufordern. Ihrem Unwillen, mit der Bürokratie zu brechen bedeutete, dass sieeinerseits beim Aufbau einer machtvollen Basisbewegung versagten, andererseits, dass sie sie in kritischen Momenten nicht in Frage stellten, wo sie den Kampf abwürgten oder verrieten, wenn er objektiv die Machtfrage aufwarf.

In Griechenland betraf dieses Versagen sowohl die Gewerkschaftsebene in den Jahren von Massenstreiks und Besetzungen (2009 – 2014) wie die politische während Syrizas Aufstieg an die Regierung (2012 – 2015). Hier stand die extreme Linke entweder in passiv-propagandistischer Isolierung von der erheblich mächtiger gewordenen reformistischen Partei oder war Teil von ihr als höfliche Kritikerin der Tsipras-Spitze. Trotz all der Verbindungen, die die Reformisten an die griechische bürgerliche Herrschaft bindet, war Syriza das Werkzeug, das die Massenprotestbewegung gegen die Troika sich auf der politischen Ebene schuf und stand so unter enormen Druck von unten. Ein weitergehender Schritt in der Konfrontation mit der Bourgeoisie zusammen mit einer gut begründeten Intervention durch die revolutionären Kräfte hätte sie auf eine progressive Art und Weise von der Bourgeoisie wegbrechen können und die Basis für die Gründung einer revolutionären Partei legen und die Bildung einer wirklichen ArbeiterInnenregierung auf die Tagesordnung setzen können.

Es ist ganz offensichtlich, dass diese Perspektive nun vorüber ist. Syriza hat sich von einem Instrument der Massen im Kampf gegen die Sparkurse in ein Werkzeug, um den Sparkurs zu implementieren, verwandelt. Wie andere sozialdemokratische Formationen wird Syriza von den ArbeiterInnen nur noch gewählt, weil sie eine Partei ist, die die Sparpollitik etwas abmildert und noch nicht so korrupt ist wie andere. Obwohl es immer noch Verteidigungskämpfe gegen einzelne Maßnahmen der Regierung und der EU gibt, gibt es aber keine generelle politische Offensive gegen diese Angriffe. Der Zusammenbruch des revolutionären Potenzials und die Eröffnung des konterrevolutionären Prozesses durch den Verrat von Syriza eröffnet die sehr reale Möglichkeit, dass eine steigende Desillusionierung mit Syriza nicht notwendigerweise den sozialen und linken Widerstand stärkt, sondern mittelfristig den Weg zu einer reaktionären Lösung für die griechische Krise ermöglicht.

Dieses Muster wird sich wahrscheinlich innerhalb von Podemos wiederholen. Sie steht vor der Gelegenheit, entweder die PSOE zu zwingen, mit ihr eine Regierung auf Grundlage eines Anti-Sparkurses zu bilden. Alternativ könnte sich die PSOE dazu entscheiden, Mariano Rajoy, den Vorsitzenden der Partido Popular (PP) zu helfen, sich an die Macht zu klammern. Egal welches Szenario es würde Podemos die Gelegenheit bieten von der Unfähigkeit der PSOE, entscheidende Maßnahmen gegen das Kapital zu ergreifen, zu profitieren. Genauso wie Syriza vom Betrug der Pasok gestärkt wurde, könnte Podemos zu einer Partei werden, die eine Wahl gewinnen und die Macht ergreifen könnte. Sollte das der Fall sein, wäre das Ergebnis ähnlich wie in Griechenland, es sei denn es gäbe eine ArbeiterInnenmassenmobilisierungen, bei der die UGT- und CCOO-Gewerkschaftsbonzen den Griff auf ihre Mitglieder verlieren würden.

In Bezug auf den Kampf gegen die etablierte Führung der reformistischen Massenparteien und Gewerkschaften und gegen die Unzulänglichkeiten der neuen Führungen, die im Widerstand gegen die Sparolitik aufgeworfen wurden, , haben die Zentristen 3 umfassende Kategorien an Irrtümern offenbart,, aus denen die revolutionäre Bewegung Lehren ziehen muss:

Abstentionismus: Dies ist eine sektiererische Tradition, die aus Verrat durch die und Schwächen der existierenden Massenorganisationen schlussfolgert, entweder müsse man gegen Organisierung überhaupt auftreten oder die reformistischen Parteien bzw. Gewerkschaften seien trotz ihrer Massenmitgliedschaft in keiner Weise überhaupt noch Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Das klingt radikal, ist aber doch ein Rezept, diese Massenorganisationen weiterhin der Regie durch pro-kapitalistische Kräfte preiszugeben statt Illusionen in diese zu zerstreuen und die Mitgliederbasis für revolutionäre Politik zu gewinnen.

Befürwortung „breiter Parteien“: Dies stellt eine opportunistische Antwort auf die Randständigkeit revolutionärer Tradition dar. Sie gipfelt in Vorschlägen für neue Parteien, die sowohl reformistische als auch revolutionäre Strömungen umfassen. Das sei gegenwärtig die einzig „praktikable“ Strategie. Sie führt praktisch aber zur Anpassung an den Linksreformismus und zur Ablehnung,, klar revolutionäre Programme anzunehmen. Eine aus der Tradition der Kommunistischen Arbeiterinternationale (CWI) stammende Variante davon kombiniert sektiererische Enthaltung von der Einmischung in bestehende sozialdemokratische Parteien – diese seien verbürgerlicht – mit opportunistischer Unterstützung für neue Parteien auf „breiten“ programmatischen Fundamenten.

Antikapitalismus: Auch dies ist ein zentristischer Fehler. Die offene Unterstützung für reformistische Programme oder Parteien wird zwar verworfen, aber von allen anderen Strömungen wird gefordert, sich um eingeschränkte Programme herum zu vereinigen, die nicht ausgesprochen und vollständig revolutionär sind. Diese seien erst realisierbar als Resultat gemeinsamer Erfahrung und eines Prozesses politischer Intervention. Beispiele dafür liefern die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich und Antarsya in Griechenland. Die Awami ArbeiterInnenpartei in Pakistan stellt eine Mischung diese Vorgehens und des Aufbaus einer „breiten Partei“ dar. Dieses Herangehen an den Parteiaufbau lässt außer Acht, dass besonders in der aktuellen Situation Schlachten gegen Austeritätsmaßnahmen und zur Verteidigung vergangenen politischen wie ökonomischen Erbes hier und jetzt ausgetragen werden müssen. Wenn die korrekten revolutionären Methoden und Ziele nicht an Bord gehievt werden, werden diese Auseinandersetzungen in Niederlagen enden. Als Auswirkung davon wird die Klasse zurückgeworfen.

RevolutionärInnen sind auf Grund ihrer geringen Stärke und schwachen Verankerung in der ArbeiterInnenavantgarde gezwungen, danach zu streben, diesen Missstand zu überwinden. Sie müssen dazu innerhalb dieser Parteien als erkennbare, unterschiedene revolutionäre Tendenz oder Fraktion arbeiten, ihre Treue gegenüber demokratischen Mehrheitsentscheidungen, was Aktionen betrifft, mit der Präsentation eines klaren revolutionären Aktionsprogramms und einer alternativen Führung verbinden. Diese von Lenin für die britischen Kommunisten in den frühen 1920er und von Trotzki allgemeiner in den 1930 Jahren aufgestellt.e Taktik wird in der kommenden Periode wieder notwendig werden. .Ihre EpigonInnen entstellten sie in sektiererischer bzw. opportunistischer Auslegung. Sie dürfen sich aber nicht in eine Strategie verwandeln, gemäß der RevolutionärInnen wie Chamäleons die Farbe ihre Wirte annehmen und auf einen objektiven Prozess warten, der ihnen erlaubt, sich offen darzustellen und an die Spitze einer Massenorganisation eskortiert zu werden.

Schlussfolgerungen

100 Jahre nach dem Erscheinen von Lenins „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” können wir klarer noch als in den Nachkriegsjahrzehnten die Wahrheit seiner Analyse dieser Ära als eine von „besonders intensiven Kämpfen um die Teilung und Neuaufteilung der Welt“ geprägte Zeit erkennen. Wir leben in einer Periode, in der sich der Niedergang des Kapitalismus in wiederkehrenden Krisen ausweist, die das Auseinanderbrechen von alten Verbünden und sogar von Nationalstaaten (Britannien, Spanien, die EU selbst), als auch Kriege und Revolutionen auf die Tagesordnung setzen. Ein neuer hoch technisierter Rüstungswettlauf und gefährliche Eingriffe in Kriege zwischen rivalisierenden regionalen Verbündeten der Imperialisten haben bereits begonnen.

Diese interimperialistischen und Auseinandersetzungen zwischen Regionalmächten haben Bewegungen für politischen und gesellschaftlichen Wandel wie den Arabischen Frühling von 2011 in die falsche Richtung gelenkt oder aus dem Gleis geworfen und den Weg für den Aufstieg reaktionärer Bewegungen wie den ISIS bereitet. Islamistische politische Bewegungen haben den Platz eingenommen, den im 20. Jahrhundert arabisch-nationalistische, sozialistische und stalinistische Parteien ausgefüllt haben, weil sie scheinbar Widerstand gegen die militärisch aktiven imperialistischen Mächte USA, Russland, Britannien und Frankreich leisten, die den nahen Osten ein Jahrhundert lang geteilt und ausgebeutet haben.

2015 haben die Interventionen der USA und Britanniens im Irak und in Syrien, von Frankreich in dessen ehemaligen Kolonien und Russlands Hilfe für Assad terroristische „Gegenschläge” provoziert, auf die der französische Staat mit der Verhängung eines drakonischen und unbefristeten Ausnahmezustands reagiert hat. Die andere Gegenbewegung war der Zustrom von Flüchtlingen in angrenzende nahöstliche Länder, auf den Balkan und auch in mittel- und westeuropäische Staaten. Dies führte zu größeren Grenzkrisen innerhalb der EU und stachelte die Zunahme von Rassismus in den angestammten konservativen Parteien, von Rechtspopulismus und offenem Faschismus an. Die Islamfeindlichkeit ist zur zentralen unterschwellig rassistischen Ideologie von PopulistInnen und FaschistInnen geworden, zum Antisemitismus des 21. Jahrhunderts.

Keiner der imperialistischen Blöcke stellt einen irgendwie gearteten fortschrittlichen Aspekt dar, den SozialistInnen unterstützen könnten – auch nicht kritisch. Sie sind alle, wie Lenin sie einmal benannte, „Räuberbanden“. Die ArbeiterInnenklasse ist eine internationale Klasse, die nicht für ihre eigenen historischen Interessen kämpfen kann, wenn sie sich irgendeinem Block oder einer einzelnen imperialistischen Macht unterordnet, auch nicht, wenn sie sich der herrschenden Kapitalistenklasse von kleineren unterdrückten und ausgebeuteten Nationen unterwirft. Die Selbstständigkeit der ArbeiterInnenklasse ist ausschlaggebend, gerade in der Erkenntnis, dass wir inmitten einer solchen Periode nicht Jahrzehnte entfernt sind von Kriegen und Revolutionen, sondern diese uns in den nächsten Jahren wiederholt bevorstehen.

Wie die Erfahrungen des Arabischen Frühlings gezeigt haben, setzt der Sturz eines langjährigen Diktators allein noch keinen unumkehrbaren objektiven revolutionären Prozess in Gang. RevolutionärInnen müssen die Lehren ziehen, die die ArbeiterInnenklasse lernen muss:

  • Sie muss den Unterschied zwischen berechtigten demokratischen Aufständen gegen tyrannische Regierungen und Konterrevolutionen erkennen, die sich als Revolution tarnen, wie in der Ukraine.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss die Führung bei all solchen demokratischen Revolutionen übernehmen, ihre eigenen Organisationen formen, mit denen sie die alte Staatsmacht brechen und jedes Rädchen ihres Unterdrückungsapparates ausschalten kann.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss dann die Aufgaben der sozialistischen Revolution anpacken und den Kampf in die umliegende Region und sogar in die ganze Welt hinaustragen.

In allen imperialistischen Ländern muss die Richtschnur unseres Handelns „Der Hauptfeind steht im eigenen Land” lauten. Eine vordringliche Aufgabe ist die Mobilisierung gegen die Kriegsführung, gegen Sanktionen, gegen Grenzzäune und Ausnahmezustände und gegen die Vorbereitung von Kriegen durch die imperialistischen Mächte. RevolutionärInnen müssen alle Maßnahmen entlarven und vor ihnen warnen wie den des Rückzugs in die nationale Abschottung, die zu Handelskriegen, kalten Kriegen und schließlich zu interimperialistischen Kriegen führen können.

In den meisten europäischen Staaten haben 5 Jahre Austerität bei großen Teilen der Bevölkerung zu Enttäuschung von den Parteien geführt, die diese Politik durchgeführt haben, sowohl von rechten wie auch von vermeintlich linken. Es gibt eine weitgehende Entfremdung von den alten reformistischen Parteien der 2. Internationale. Viele glauben auch nicht mehr an das „Zweiparteiensystem”, denn beide Seiten haben ähnliche, oft genug ein und dieselbe Politik gemacht. Jüngste Wahlergebnisse in Europa haben eine Suche der WählerInnenschaft nach Alternativen gezeigt, sowohl nach rechts wie in Polen, wie nach links wie in Portugal, Griechenland und Spanien. Populistische Parteien auf der rechten wie auf der linken Ebene sind kometenhaft aufgestiegen. Einige wie die reformistische Syriza stellten zwischen 2012 und 2015 scheinbar eine neue aufregende Alternative dar. Heute verspricht die Bewegung, die dem neuen britischen Labour-Führer Jeremy Corbyn den Rücken stärkt, eine Umwandlung der Labour Party in eine ähnliche Richtung.

Wo die ArbeiterInnenmassen sich von solchen Vorgängen angezogen fühlen, wäre es sektiererisch von RevolutionärInnen, abseits zu stehen. Aber sie müssen sich diesen Auseinandersetzungen illusionslos anschließen und vor den verhängnisvollen Schwächen der FührerInnen und deren Programmen warnen. Unser Ziel, wo Beteiligung an diesen Massenparteien oder -bewegungen unter unserer eitenen politischen Fahne möglich ist, muss die Umwandlung dieser Parteien in echte, d. h. revolutionäre ArbeiterInnenparteien sein. Wirtreten dabei nicht nur für ein sozialistisches Übergangsprogramm zur Annahme durch die Partei ein, sondern benennen auch die innerparteilichen Hindernisse bei dessen eventueller Ausführung: d. h. die reformistische Bürokratie und ihre wirkungslosen Organisationsformen, die sie den ArbeiterInnenorganisationen übergestülpt hat.

Die Lösung der Führungskrise, die die ArbeiterInnenklasse auf der ganzen Welt betrifft, erfordert von der kleinen Zahl von revolutionären KommunistInnen die Anwendung von Taktiken, die sie an die Seite der kämpfenden Massen bringen mittels der verschiedenen Einheitsfronttaktiken. Ein wichtiger Ausdruck dieser Führungskrise bestand darin, dass es gegen die Auswirkungen der Krise von 2008 mit Ausnahme des Arabischen Frühlings und der Occupy-Bewegungen in Europa und Nordamerika einen viel geringeren international organisierten und perspektivischen Widerstand gegeben hat als in der Zeit zwischen 1998 und 2003 mit den Sozialforen und Gipfelblockaden.

Die revolutionäre Linke muss ihre Kräfte für den Widerstand sammeln und diesen Negativtrend umkehren, eine Aufgabe, die eine weitere Vertiefung der kapitalistischen Krise und der Herrschaft kapitalistischer Regierungen aller Schattierungen noch dringlicher erscheinen lässt. Wir brauchen sofort massenhafte Einheitsfronten gegen Austerität und imperialistischen Krieg, gegen Rassismus und reaktionären Populismus, gleich ob in religiösem oder weltlichem Gewand. Wir müssen die Kräfte vom linken Flügel der ArbeiterInnenmassenorganisationen zusammenbringen wie auch neue Kräfte in der ArbeiterInnenschaft, Frauen, Jugend und rassisch wie national Unterdrückte, um revolutionäre ArbeiterInnenparteien und eine neue fünfte Internationale aufzubauen.




Erklärung des 10. Kongresses

Liga für die Fünfte Internationale, März 2016, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Seit 2008 befindet sich der globale Kapitalismus in einer neuen historischen Krisenperiode. Diese kann durch schwache Erholung, Stagnation und wiederkehrende Rezessionen charakterisiert werden. Dies hatte neben ökonomischen auch politische, ökologische sowie ideologische Auswirkungen, gegen welche sich die politischen wie auch gewerkschaftlichen Organisationen der ArbeiterInnenklasse als machtlos erwiesen haben.

Dieser Schwäche liegt zugrunde, dass diese Organisationen keinerlei effektive Strategien oder Formen eines politischen Programms vorzuweisen haben, welche die Krise auf Kosten der herrschenden und unterdrückenden Klasse und nicht auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse überwinden würden. Um es kurz zu sagen, es offenbart eine Führungskrise.

Die von der herrschenden Klasse angewandten Maßnahmen, um ihren eigenen Wohlstand sowie ihre Privilegien zu schützen, beinhalteten auf der einen Seite Angriffe auf die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse und auf der anderen Seite Unternehmungen, anderen Nationen die Kosten der Krise aufzuzwingen. Dies wiederum hat die Spannungen und Rivalität zwischen unterschiedlichen Ländern erhöht,  Das seinerseits macht Kriege – auch zwischen Großmächten – wahrscheinlicher.

Hundert Jahre nach der Veröffentlichung seiner Schrift: „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ist Lenins Beschreibung dieser Epoche als „eines besonders intensiven Ringens um die Aufteilung sowie Neuaufteilung der Welt“ immer noch aktuell wie akkurat. Das Aufkommen Russlands und Chinas als neue imperialistische Mächte im 21. Jahrhundert hat schon zur Destabilisierung der vorhergehenden „Weltordnung“ geführt. Vor allem mit Hinblick auf China wird dessen weiteres Wachstum die Dominanz anderer Mächte in immer mehr Regionen der Welt herausfordern.

Keine der imperialistischen Mächte oder deren jeweilige Allianzen repräsentieren historisch betrachtet etwas Progressives. SozialistInnen können sich daher nicht an die Seite dieser Kräfte stellen, egal wie „kritisch“. All jene Mächte sind zumindest an barbarischer Unterdrückung in verschiedenen Teilen der Welt beteiligt. SozialistInnen müssen sich daher mit all jenen solidarisieren, welche gegen imperialistische Interventionen vorgehen.

Dies trifft sowohl in der Ukraine gegen den von faschistischen Milizen angeführten und von den USA unterstützten „Maidan-Putsch“ wie auch gegen Assad in Syrien zu, wo Russland einen Vorteil für sich erlangen will.

Hundert Jahre Imperialismus haben ebenfalls die Unvereinbarkeit von kapitalistischer Entwicklung und der Aufrechterhaltung der natürlichen Umwelt – von der jegliche Lebensform abhängt – demonstriert. Die unstillbare Suche des Kapitals nach Profit führt nicht nur zur Ausbeutung von Menschen, sondern auch von Naturressourcen, unabhängig davon, wie diese Ausbeutung sich langfristig auf beide auswirkt.

Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels in Form von Wüstenbildung, Überschwemmungen und weiteren extremen Wetterereignissen, gefolgt von Hunger und Epidemien, können nur abgefangen und erst recht langfristig nur umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den Händen der großen Kapitalisten entrissen wird, die die Menschheit an den Rand eines Desasters geführt haben. Alleine eine sozialistische Revolution wird die optimal geplante Verwendung der Ressourcen unter der Kontrolle der Mehrheit ermöglichen, eine Planung, welche die Entwicklung der Städte und der Natur in gleichem Maße nicht nur in nationalem Rahmen, sondern auch auf globalem Maßstab ausbalancieren kann.

Entwicklung

Trotz ihrer üblen Begleiterscheinungen ermöglicht die anhaltende kapitalistische Dominanz weiterhin soziale Veränderung, ja sogar Entwicklung. Eine davon ist in China die Schaffung der größten ArbeiterInnenklasse,  welche die Welt je gesehen hat. Obwohl ihr immer noch das Recht auf unabhängige Organisierung verwehrt wird, hat sie sich schon als dazu fähig erwiesen, große Zugeständnisse, ob von Unternehmern oder auch von Staatsseite, zu erzwingen. Beispiele hierfür sind Auseinandersetzungen um sichere Arbeitsbedingungen sowie für höhere Löhne und soziale Gesetze in den Megastädten, in welchen das chinesische Proletariat seine Arbeit verrichtet.

Nicht weniger wichtig war die Einbindung von Millionen weiblicher Arbeitskräfte – hauptsächlich jüngeren Frauen – in die moderne, industrielle Produktion in Ländern über den gesamten Globus hinweg. Obwohl sie häufig fast sklavenähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind, haben sie nichtsdestotrotz mutige Kämpfe gegen einerseits ökonomische Ausbeutung sowie ihre soziale Unterdrückung geführt. Die Arbeiterinnen bereicherten somit die Reihen der weltweiten ArbeiterInnenklasse mit einer dynamischen und wichtigen Kraft.

Die krisengeschüttelte Natur des modernen Kapitalismus wird ebenfalls durch die plötzlichen Ausbrüche an sozialen Krisen und Revolutionen reflektiert, selbst bei Regimes, die für ihre repressive Stabilität bekannt waren. Der „Arabische Frühling“ hatte mehr als alle andere Bewegungen nicht nur die Sehnsucht nach Demokratie und Menschenrechten aufgezeigt, sondern auch den innewohnenden internationalen Charakter einer jeden tiefgreifenden revolutionären Bewegung.

Innerhalb einer viel zu kurzen Zeit wurde auch die entscheidende Rolle einer Führung demonstriert. Eine etablierte und organisierte ArbeiterInnenpartei, die eine klare Strategie mit dem Ziel verfolgt, die Macht des Staatsapparates zu brechen und sie  durch Organe der ArbeiterInnenklasse zu ersetzen, hat gefehlt. Dadurch trat der Kern der Massenbewegung in Ägypten die Führung an die klerikalen Kräfte ab, welche anschließend durch einen militärisch-bonapartistischen Putsch unter al-Sisi abgelöst wurden. In einer Welt, die von ökonomische Unsicherheiten und Rivalitäten zwischen Nationen heimgesucht wird, kann ein Schock in einem Lande schnell auf andere übergreifen. Der „Arabische Frühling“ inspirierte rund um den Globus Massenbewegungen, welche hauptsächlich von Jugendlichen dominiert wurden und zu der Besetzung der Wall Street sowie von öffentlichen Plätzen in einem Land nach dem anderen führten. Aber auch diese waren unfähig, eine erkennbar progressive Richtung einzuschlagen, als sie im Angesicht von Polizeigewalt nichts Substantielles entgegenzusetzen hatten außer der Beteuerung, das Recht der „99%“ zu haben.

In andern Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens rief die Instabilität Interventionen von Welt- sowie Regionalmächten hervor. Diese generierten und verbreiteten jedoch noch mehr Instabilität. Dies tritt nirgendwo anders so deutlich zu Tage wie in Syrien, dessen Revolution, Konterrevolution und Bürgerkrieg nicht nur zur Herausbildung von ISIS geführt hat und nicht nur zur Steigerung der Konfrontation zwischen den USA und Russland beitrug, sondern auch zur internen Desintegration der Europäischen Union, indem sie mit Millionen verzweifelter Flüchtlinge konfrontiert wird.

Die neue Periode hat ebenfalls ihre Auswirkungen auf die schon vor 2008 existierenden Bewegungen. Dies wird besonders in Lateinamerika sichtbar, wo die bolivarischen, populistischen sowie sozialdemokratischen Regime, welche im letzten Jahrhundert an die Regierung kamen und zu Beginn des 21. Jahrhunderts florierten, nun mit dem Rücken zur Wand stehen. Das ökonomische Modell des „(reformistischen) Sozialismus des 21.Jahrhunderts“, welches hauptsächlich auf dem Export von Rohstoffen basierte, erwies sich als zeitlich beschränkt und sehr von den zweistelligen Wachstumsraten Chinas abhängig.

Neue Parteien

Generell kann die Aussage kann getroffen werden, dass die politischen Auswirkungen der neuen Periode die soziale Basis der etablierten Parteien und Gewerkschaften unterminierten oder manchmal gar abtrugen, während die Gesellschaft nach links und rechts radikalisiert wurde. In Europa wird dies auf der Rechten durch die „Alternative für Deutschland“, die „5-Sterne-Bewegung“ in Italien, die Front National in Frankreich, die UKIP in Britannien sowie die chauvinistischen Regierungen Ungarns und Polens verkörpert. Auf der Linken sahen wir das Erstarken von Syriza (Griechenland), Podemos (Spanien) und Bloco (Portugal).

In sehr unterschiedlicher Form entfaltet sich eine ähnliche Dynamik bei der Wahl von Jeremy Corbyn zum Parteiführer der Labour Party in Großbritannien, im Wachstum der „Black Lives Matter“ und der „$15-Mindestlohn“-Bewegung sowie den unerwarteten Erfolgen von Bernie Sanders bei den Demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen in den USA. Das Erstarken der populistischen Rechten in den USA wird klar durch Donald Trump verkörpert, während der aufkommende Hindu-Nationalismus und die Modi-Regierung in Indien klar machen, dass dies nicht nur auf die „etablierten“ Länder beschränkt ist.

Im Vergleich zum „Antikapitalismus“ der ersten Jahre des neuen Jahrhunderts und zu den durch den „Arabischen Frühling“ inspirierten „Occupy“-Bewegungen haben die AktivistInnen bspw. von Syriza, Podemos oder der Corbyn-Bewegung die Notwendigkeit von Aktionen und Lösungen auf Regierungsebene erkannt und weisen somit eine größere politische Reife auf. Die Stärken wie aber auch die Gefahren ihres schnellen Aufstiegs und der Reaktionen der Linken auf diese können am besten am Fall Syrizas illustriert werden.

Die Abspaltung ihres eigenen rechten Flügels trieb Syriza nach links und brachte ihr Unterstützung in den Massenmobilisierungen der griechischen ArbeiterInnenklasse ein, da sie sich offen dagegen aussprach, mit der Troika und ihren Kürzungspaketen zusammenzuarbeiten. Durch die Tatsache, dass sich Syriza aus unterschiedlichen Tendenzen zusammensetzte, kam es nicht überraschend, dass es kein entwickeltes Programm zur Hand hatte, um den Kampf gegen die Troika aufzunehmen. Vor allem stellte sich Syriza nicht die Aufgabe, die aus dem Stegreif entstandenen Organisationsformen der Massenbewegung in demokratisch kontrollierte Organe zu verwandeln, die wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Kürzungen hätten durchsetzen können.

Viele innerhalb der Linken, allen voran die Sektionen des Vereinigten Sekretariats der 4.Internationale, sahen im schnellen Aufstieg Syrizas eine Bestätigung ihrer eigenen Ablehnung des „leninistischen“ Parteiaufbaumodells und dessen Ersetzung durch „breite“ Allianzen, welche revolutionäre sowie reformistische Tendenzen zusammenbringen. Es war jedoch durchaus richtig, sich positiv auf Erscheinungen wie Syriza zu beziehen, anstatt sich als RevolutionärInnen passiv daneben zu stellen und auf das kommende Versagen zu verweisen. Dies hätte keinerlei positiven Effekt für die Vorbereitung der ArbeiterInnenklasse auf den kommenden Kampf gebracht. Es war andererseits völlig falsch, darauf zu verzichten, die fundamentalen Schwächen des Syriza-Projekts von vornherein aufzuzeigen.

Die plötzliche Kapitulation der Syriza-Regierung trotz mehrheitlicher Unterstützung seitens der Bevölkerung im OXI-Referendum bewies nicht nur einen abstrakten Punkt politischer Theorie. Es stellte einen Wendepunkt im Schicksal der griechischen ArbeiterInnenklasse dar: eine strategische Niederlage.

Reform und Revolution

Betrachtet man die Fülle an kürzlich abgehaltenen Jahrhundertfeiern zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sind die Lehren, welche von Syriza gezogen werden sollen, ironischerweise genau dieselben wie jene, welche die Linke in damaliger Zeit zog: Die Partei, die die ArbeiterInnenklasse benötigt,  kann keine Allianz zwischen ReformistInnen und RevolutionärInnen sein. Wie Rosa Luxemburg bemerkte, bewegen sich diese zwei Tendenzen nicht allein auf unterschiedlichen Straßen zum selben Ziel – selbst ihre Ziele stehen sich entgegen.

Gleichzeitig kann die Regierung, welche die ArbeiterInnenklasse benötigt, nicht abhängig von den existierenden staatlichen Institutionen sein, wie von Syriza praktiziert,. Sie muss vielmehr auf kämpfenden Organen der ArbeiterInnenklasse fußen, organisiert und bereit sein, ihr Programm durchzusetzen, das Enteignungen und Kontrolle der Agenturen des Kapitals vorsieht.

Welche unterschiedlichen Auswirkungen die kapitalistische Krise auf verschiedene Länder auch haben mag, sie  hat internationalen Charakter, und international muss auch die Lösung der ArbeiterInnenklasse sein. Mit Hinblick darauf waren die jüngeren Bewegungen ein Schritt rückwärts im Vergleich zum Internationalismus der vorhergegangenen Bewegungen mit ihrem Fokus auf Gipfelbelagerungen, Sozialforen und international koordinierten Aktionen.

Die griechische ArbeiterInnenklasse wurde im Grunde in ihrem Kampf alleingelassen. Konfusionen über die internationalen Hintergründe zu den Ereignissen in Syrien und der Ukraine führten zu wenig internationaler Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften in diesen Ländern. Im größeren Maßstab gab es keine internationale Opposition zum „Krieg gegen den Terror“ oder eine Solidaritätsbewegung der ArbeiterInnenklasse mit den Opfern der „Flüchtlingskrise“ in Europa.

Die Unfähigkeit des Kapitalismus, seine Krise zu überwinden und irgendeine Art von anhaltendem ökonomischen Wachstum zu generieren, wird wiederkehrende Vorfälle von politischen, ökonomischen und sogar militärischen Konfrontationen hervorrufen, vor allem verbunden damit, dass die mächtigsten Staaten sich weiterhin auf Kosten anderer stärken müssen. In dieser Situation sind die zentralen Aufgaben der geringen Anzahl von RevolutionärInnen hauptsächlich solche von PropagandistInnen: die Darstellung der vielen Ideen eines revolutionären Programms für die  fortgeschrittensten AktivistInnen, auch wenn diese ohne Zweifel zuerst die Minderheit in den Reihen derjenigen darstellen, welche sich gegen Kürzungen, soziale Unterdrückung und militärische Repression wenden.

Nichtsdestotrotz weist das rasche Aufkommen von Bewegungen darauf hin, dass revolutionäre PropagandistInnen auch in sehr kurzer Zeit zur Aktion gezwungen oder gar in die Führungsrolle gebracht werden können. In einer solchen Situation kann die scharfe Axt in Form eines Programm, das sich der Lage gewachsen zeigt, auch durch schwere Hindernisse dringen, wie Trotzki sagte.

Dieses Programm muss sich auf die Notwendigkeiten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten fokussieren, eigene demokratisch kontrollierte Kampforgane zu schaffen. Es besteht darauf, dass der Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zwar mit direkten ökonomischen und politischen Forderungen beginnen kann, sich ein solcher Kampf jedoch nicht auf deren Durchsetzung beschränken darf.

Der Kampf muss vielmehr „permanent” geführt werden, wie er von Marx und Engels zunächst verstanden worden ist und später von Trotzki verallgemeinert wurde. Er muss immer weiter vorangetrieben werden und die Festungen des Kapitalismus schleifen; er darf weder vor den Institutionen des Staates noch vor Grenzen des Landes, in dem der Kampf begonnen hat, haltmachen. Dieses Programm muss in die lebendigen Auseinandersetzungen der großen Mehrheit der Menschheit hineingetragen werden, aber zu dem Zweck müssen die Befürworter des Programms sich selbst organisieren.

Darum besteht die hauptsächliche Aufgabe für heutige RevolutionärInnen darin, für den Aufbau revolutionärer Organisationen einzutreten, die vergleichbar sind mit jenen, die von den KommunistInnen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges und seiner Auswirkungen gegründet wurden – das ist der Kampf für die 5. Internationale.




Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse

10. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, März 16, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Europäische Union sieht sich mit der größten Krise ihrer gesamten Geschichte konfrontiert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte sie sich das Ziel, die dynamischste Ökonomie der Welt zu werden. Die Verträge von Lissabon und die Europäische Verfassung sollten die ökonomische, soziale und politische Vereinheitlichung des Kontinents vorantreiben.

Dies hätte vervollständigt, was der französische und deutsche Imperialismus nach dem Fall der Berliner Mauer erreichen wollten: die Osterweiterung der EU und die Einführung des Euro, also die Etablierung einer Europäischen Union, die unter ihrer Führung und Hegemonie eine ernsthafte Herausforderung der USA und anderer Kontrahenten im Wettstreit um weltweiten Einfluss darstellt.

Anstelle dessen wurde die EU nach der Finanzkrise von 2007/2008 und der nachfolgenden weltweiten Rezession selbst zum Zentrum der weltweiten Unruhen. Dem deutschen Imperialismus war es möglich, den schwächeren Staaten der Union, besonders jenen in Süd-Europa, die Kosten der Krise aufzuzwingen. Das gesamte Euro-System wurde zu einem Mechanismus, der die Ungleichheit zwischen den Mitgliedsländern vergrößerte. Die südeuropäische „Schuldenkrise“ erlaubte es dem deutschen Imperialismus und seinen engeren Verbündeten, Griechenland in ein EU-Protektorat zu verwandeln und Ländern wie Italien, Spanien und Portugal ihrePolitik aufzuzwingen.

Die Krise demonstrierte aber auch die Schwäche der EU und ihrer dominierenden Kraft. Die angewandte Politik zur Rettung der Monopole und des Finanzkapitals in den europäischen Kernländern, sowie die Austeritätspolitik, die nicht nur Südeuropa, sondern auch Frankreich aufgedrückt wurde, werden die inneren Spannungen erhöhen.

Die so genannte „Flüchtlingskrise“, also die kurzlebige Möglichkeit von Menschen, vor Krieg und Armut zu fliehen und Schutz in Europa zu suchen, hat die wachsenden inneren Widersprüche der EU hervorgehoben und eindeutig gezeigt, dass die EU weit davon entfernt ist, ein Supra-Staat zu sein. Die Flüchtlingskrise hat auch klar gemacht, dass Deutschland zwar die eindeutig stärkste, dominierende imperialistische Macht der EU ist, deren Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer Politik in der EU als Ganzes aber begrenzt ist.

Während der Deal mit der Türkei von der deutschen Regierung und Angela Merkel als Sieg ihrer Position dargestellt wird, zeigt er eigentlich die Möglichkeit der kleineren Länder, die Lösung zu blockieren, die Deutschland und andere zentrale Akteure der EU durchsetzen wollten.

Außerdem zeigten die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten, dass die EU keine einheitliche und aktive außenpolitische Rolle nach den Vorstellungen besonders Deutschlands einnehmen kann. In der Ukraine war es den USA möglich, den innerstaatlichen Konflikt zu nutzen, um einen „neuen Kalten Krieg“ zu beginnen und somit ihre europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland, vorerst zur Beendigung ihrer strategischen Partnerschaft mit Russland zu zwingen. Im Mittleren Osten hingegen nimmt Russland im Syrien-Konflikt eine Schlüsselposition ein.

Nun, da der Austritt Großbritanniens durch den Brexit möglich ist, zieht eine weitere Krise am Horizont der EU herauf. Während eine funktionierende deutsch-französische Partnerschaft vor einigen Jahren froh gewesen wäre, den britischen Imperialismus als pro-amerikanisches Hindernis los zu werden, würde Großbritanniens Austritt heute von europäischem Finanzkapital und entscheidenden imperialistischen Regierungen als Katastrophe gewertet werden.

Risse innerhalb der Staaten und der herrschenden Klassen

Die Europäische Union und der Euro werden die heutigen Herausforderungen wohl „überleben“. Aber es ist klar, dass die angehäuften Krisen, Hindernisse und Niederlagen, sowie der andauernde Rückfall der EU und seiner führenden Mächte hinter die USA und China insbesondere die herrschenden Klassen und die bürgerlichen Führungen in Deutschland, England und Frankreich zu einer Neuausrichtung ihrer europäischen und globalen Strategien zwingen.

Die Beziehungen zwischen diesen drei imperialistischen Mächten sind der Schlüssel zu der Frage, ob und wie eine kapitalistische Einigung Europas fortschreiten kann. Zur Zeit Kohls und Mitterrands oder Schröders und Chiracs war die deutsch-französische Partnerschaft der Motor Europas, der mit gleichen Zielen als Kern der EU diente. Heute ist diese Partnerschaft in der Klemme, während Großbritannien seine Position gegenüber den USA und der EU neu justiert.

Das bedeutet, dass wir nicht nur einen Kampf zwischen Nationalstaaten und herrschenden Klassen um die Zukunft Europas miterleben, sondern auch einen Kampf innerhalb der herrschenden Klassen und zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals über ihre zukünftige Ausrichtung. In der derzeitigen Krisenperiode, in ihrem Kampf um die Neuordnung Europas und die Neuaufteilung der Welt, stehen die Kapitalisten einer politischen Krise gegenüber, einer Krise ihrer historischen Strategien.

Letzten Endes spiegelt dies die Unfähigkeit der Bourgeoisie wider, Europa zu einigen. Die EU und der Euro selbst resultieren aus der Entwicklung der Produktivkräfte über nationale Grenzen hinaus. Natürlich klammern sich wichtige Fraktionen des Kapitals und imperialistischer Strategen (und große Teile der Eliten schwächerer, semi-kolonialer Staaten) an die EU. Sie sind sich sehr bewusst, dass ein Zusammenbruch der Eurozone oder der Union ihre Position auf dem Weltmarkt wahrscheinlich schwächen würde.

Zur gleichen Zeit drohen die nationalen Interessen der herrschenden Klassen und die Widersprüche zwischen den zentralen imperialistischen Mächten Europa erneut auseinanderzureißen. Im Kapitalismus kann eine größere Vereinigung nur durch die Unterordnung der semi-kolonialen Staaten in Europa und der EU gelingen, durch eine dynamischere Intervention auf dem Weltmarkt und immer offenere politische und militärische Interventionen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Am wichtigsten aber: Dies kann aber nur durch die Dominanz einer imperialistische Bourgeoisie über die anderen historischen Mächte geschehen; es ist also der Antagonismus zwischen diesen Mächten, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, der das eigentliche Hindernis für eine organische, andauernde Vereinigung Europas darstellt.

Für die deutschen Kapitalisten, aber auch für jede andere imperialistische Bourgeoisie ist es klar, dass die EU, das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen im Allgemeinen nicht zu einem „größeren Deutschland“ führen werden – trotz der ökonomischen Dominanz des Landes. Sie hören die Uhren ticken, weil die Widersprüche innerhalb der EU sie immer weiter hinter die USA und China zurückfallen lassen. Also ist eine „neue Strategie“ vonnöten. Das könnte ein entschlossener Vorstoß des deutschen Imperialismus sein, mit dem seine ökonomische Rolle zu politischer und militärischer Dominanz führte. Aber wie wir an der Politik der Europäischen Zentralbank und der Finanzmacht Großbritanniens sehen können, ist selbst Deutschlands ökonomische Dominanz bei weitem nicht absolut.

Deshalb ist eine Periode der Neuausrichtung zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannies und deren Versuch einer gewissen Restrukturierung der EU wahrscheinlicher – auch wenn deren endgültige Form sowie die Beziehungen zu den USA, China und Russland unklar bleiben und nicht ohne zukünftige Krisen und Konfrontationen zu etablieren sein werden.

Die vermehrten imperialistischen Interventionen Frankreichs in seinen historischen Einflussgebieten – mit Bodentruppen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik, dem Bombardement in Syrien und klandestinen Einsätzen in Libyen – sind sicherlich ein Zeichen für diese Periode der Neuausrichtung. Sie zeigen auch ein neues Bewusstsein der französischen Bourgeoisie, dass eine weiterführende und wiedererstarkende Dominanz in dem Rest seiner Kolonien für seine zukünftige Rolle als Imperialmacht wichtig sein könnte.

Im Rahmen der EU, aber auch in Bezug auf „die großen Drei“, können wir weitere Interventionen im „nahen Umfeld“ erwarten. Der Deal der EU mit der Türkei, der die europäischen Grenzen abschotten soll, spiegelt auch Deutschlands Ambitionen wider, eine Rolle bei der Neuaufteilung des Mittleren Ostens zu spielen. Allein die Politik gegenüber Russland, der wichtigsten europäischen Macht außerhalb der EU, wird eine Quelle andauernder Auseinandersetzungen sein. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Deutschland und England ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China stärken und damit möglicherweise den Grundstein für eine zukünftig engere politische Zusammenarbeit legen – eine Entwicklung, welche die USA mit Sorge beobachten.

Ungeachtet der Details sind die Aussichten für die nächsten Jahre klar: es wird eine Intensivierung der europäischen Krise, größere Instabilität in Europa und eine Zuspitzung der Widersprüche zwischen und innerhalb der einzelnen Staaten geben.

Die Krise des „Projekts Europa“, die anhaltenden Austeritätsprogramme und das Bestreben Deutschlands, den Kontinent politisch und ökonomisch zu dominieren, führen zur Zunahme von Sektoren der herrschenden Klassen, die nationalistische Lösungen vorschlagen und von Kleinbürger- und Mittelschichten unterstützt werden.

In vielen Ländern erleben wir ein Anwachsen nationalistischer, rechtspopulistischer, rassistischer oder sogar faschistischer Kräfte. Einige fordern die „soziale Zerstörung“ der EU demagogisch heraus; andere, wie die rechten Parteien, die in Osteuropa regieren, oder die AfD in Deutschland, halten an einer ultra-neoliberalen Sozialpolitik fest. Sie wollen keinen einzigen Cent abdrücken, weder an Flüchtlinge noch an die Länder Südeuropas, die durch das europäische Kapital gedemütigt wurden. Andere, wie der Front National (FN) in Frankreich, präsentieren sich auf demagogische Weise als Verteidiger „des französischen Arbeiters“. Rassismus gegen MigrantInnen – und gegen Muslime/a im Besonderen – ist ein verbindendes Motiv all dieser Parteien. Es ist klar, dass eine Reihe dieser Parteien und Bewegungen zu Werkzeugen für schärfere Angriffe nicht nur auf MigrantInnen in Europa, sondern auch auf die ArbeiterInnenklasse als Ganze werden mögen, um sie die Kosten kommender globaler Wirtschaftskrisen zahlen zu lassen.

Die derzeitige politische Krise der EU wird wegen der anhaltenden Stagnation auf dem Kontinent, der wachsenden Ungleichheit und einer heraufziehenden Rezession noch akuter werden. Deutschland und einige Länder, die an dessen Konjunktur angebunden sind, konnten ihre Position in der EU/Eurozone stärken – sie taten dies aber auf Kosten eines anhaltenden sozialen und ökonomischen Abstiegs der Länder Süd- und Osteuropas. Die osteuropäischen Regime und die baltischen Staaten handeln indessen als buckelnde Anhänger des Neoliberalismus. Weil ihre EinwohnerInnen die sozialen Verwüstungen der kapitalistischen Restauration erleben mussten, fordern sie, dass niemand vor seinem Niedergang „gerettet“ werden muss.

Auch wenn der britische und deutsche Imperialismus Teile ihrer industriellen und finanziellen Stärke erhalten konnten, wurde von allen historischen Mächten der französische Imperialismus (ganz zu schweigen von Italien und Spanien) am härtesten von der ökonomischen Krise der EU getroffen. Über Jahrzehnte handelten die französischen Regierungen als gleichrangige, wenn auch weniger dynamische Partnerinnen Deutschlands. Jetzt aber wird es schwer für die französische Regierung, diese Gleichrangigkeit auch nur zu behaupten und dies ihrer Bevölkerung zu verkaufen. Sie will den französischen ArbeiterInnen jetzt ein Ääquivalent der deutschen „Agenda 2010“ aufdrücken, um verlorenen Boden wiedergutzumachen. Sollte dieses Programm durchgebracht werden, wäre das sicherlich eine strategische Niederlage der französischen ArbeiterInnenklasse. Ob es dem französischen Kapitalismus Aufwind verschaffen könnte, ist zumindest zweifelhaft.

Die derzeitige Krise hat auch gezeigt, dass die „Werte“ der Europäischen Union und die Pläne für ein soziales Europa, die in den 1990er Jahren ein Kennzeichen der Sektionen der europäischen Sozialdemokratie und selbst der Christ-Demokraten waren, längst geopfert wurden. Während der Flüchtlingskrise wurde jeder Appell Merkels, Junckers oder Schulz’ im Namen dieser europäischen Werte an andere europäische Politiker mit blanker Verachtung entgegnet. Das enthüllte nicht nur die Grenzen der deutschen Macht, sondern auch die ideologische Krise der Europäischen Union.

Das Ausmaß der politischen Krise wird durch die wirtschaftliche Krise weiter betont. In den letzten Jahren hat sie Süd-Europa getroffen und hat zu massiven Erschütterungen und Widerstand geführt. Jetzt erreicht sie auch die europäischen Kernländer, Deutschland, England, Frankreich – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die kommenden ökonomischen Turbulenzen werden eine europäische Krise einleiten und synchronisieren.

Es ist klar, dass die Spaltung der europäischen Regierungen und die sich entfaltenden Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen einen gemeinsamen Gegenangriff der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten erlaubt hätten. Anstelle dessen funktionierten die Gewerkschaftsbürokratien, die reformistischen Massenparteien sozialdemokratischer und stalinistischer Tradition als Stabilisatoren  der bürgerlichen Herrschaft.

Es ist nicht überraschend, dass nun, im Gegensatz zur Zeit nach der Krise 2007/2008, reaktionäre, nationalistische und rassistische Kräfte von der Krise profitieren. Dies ist ein Resultat wichtiger Niederlagen in der vergangenen Periode und des Niedergangs der klassischen ArbeiterInnenbewegung, der Erosion des Gewerkschaftertums und der Repräsentation der ArbeiterInnen, sowie der Parteien, die historisch und organisch auf der ArbeiterInnenklasse aufbauen.

Daher tritt die ArbeiterInnenklasse in einer geschwächten Position und als europäische Kraft beinahe paralysiert in die kommende Periode ein. In Griechenland finden natürlich noch anhaltende Abwehrkämpfe gegen die Rentenreform statt, aber sie werden vor dem Hintergrund einer strategischen Niederlage geführt, welche die griechische ArbeiterInnenklasse im Oxi-Verrat und der Installation der zweiten Syriza-ANEL-Regierung erlitten hat.

Rechtsruck des Reformismus

Dies war der Höhepunkt einer Reihe von Vertrauensbrüchen der Führung der ArbeiterInnenklasse in Europa. Nicht, weil die Syriza-Führung schlimmer ist, als die Reformisten anderer Länder, sondern weil ihr Aufstieg und die vorrevolutionäre Situation, die sie geschaffen hatte, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung und der revolutionären Lösung der Krise aufwarf. Die Niederlage hatte massive reaktionäre Konsequenzen, nicht nur in Griechenland, sondern für die ArbeiterInnenbewegung des gesamten Kontinents.

Diese Niederlage bedeutet dennoch nicht, dass weitere Klassenkämpfe in der kommenden Periode auszuschließen sind. In Frankreich zum Beispiel sind nach den Wahlen 2017 weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu erwarten, was eine Welle von Widerstandsbewegungen auslösen könnte. Dies ist heute mit der weiter anwachsenden Bewegung gegen das neue Arbeitsgesetz (Gesetz El Khomri) bereits teilweise der Fall, die eine Möglichkeit gemeinsamen Widerstands der Jugend und der ArbeiterInnenbewegung bietet. Zur gleichen Zeit könnten Verrat und Sabotage der reformistischen Führungen Selbstvertrauen und Kampfkraft der ArbeiterInnenbewegung erneut unterminieren, wenn keine revolutionäre Alternative auftaucht.

Während der Krisenperiode erfuhren die bürokratische kontrollierten Gewerkschaften und reformistischen, sozialdemokratischen Massenparteien im allgemeinen einen Verfall und eine Bewegung nach rechts. Selbst dort, wo sie versprachen, die herrschenden Klassen herauszufordern,  kapitulierten sie vor ihr und richteten sich gegen ihre eigene ArbeiterInnenbasis – wie im Fall Hollandes in Frankreich.

Im Allgemeinen suchten die reformistischen Führungen in der derzeitigen Krise nach Allianzen mit „ihren Regierungen“ und „ihrer Bourgeoisie“. In allen wichtigen politischen Punkt verweigerten sie es, Widerstand zu leisten. Angesichts zunehmender imperialistischer Interventionen und wachsender Militarisierung blieben sie bestenfalls schweigsam, während die meisten von ihnen die Interventionen der NATO und „ihrer Regierungen“ im Nahen Osten, Afrika und der Ukraine unterstützten. Eine Minderheit von ihnen erhob pazifistische Bedenken, aber Massenmobilisierungen blieben aus. Tatsächlich unterstützten die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen im Fall des „Kriegs gegen den Terrorismus“ sogar Angriffe auf demokratische Rechte, spielten gemeinsam die Karte des anti-muslimischen Rassismus, arbeiteten mit „ihren“ herrschenden Klassen zusammen und unterstützten sogar die Verhängung des Ausnahmezustands wie in Frankreich. In der Flüchtlingskrise gingen sie nicht in Solidarität mit allen Migranten und Geflüchteten auf die Straße, um die Mauern der Festung Europa niederzureißen, sondern unterstützten entweder Merkel und ihre Politik der kontrollierten Immigration oder trieben selbst die Grenzschließungen voran, wie die österreichische Regierung.

Diese sozialchauvinistische Politik hat die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten weiter gespalten; die Geflüchteten, migrantischen ArbeiterInnen und Jugendlichen sind ihre ersten Opfer und sie wird zu weiteren Spaltungen der arbeitenden Massen in ganz Europa führen. Es gab eine massive Wendung zugunsten nationalistischer Lösungen, die das Schicksal der ArbeiterInnen an das des nationalen Kapitals fesseln und welche die deutschen, britischen, französischen, schwedischen oder österreichischen Regierungen als geringeres Übel als die „weit entfernten“ Bürokraten in Brüssel bezeichnen.

Die Wahl Jeremy Corbyns in der britischen Labour Party war eine Ausnahme in dieser Entwicklung, als Hunderttausende dem rechten Flügel der Partei und der Parlamentsfraktion eine herbe Niederlage beibrachten. Aber auch dies wird ohne einen entschiedenen Bruch mit dem rechten Flügel der Partei, der britischen Bourgeoisie und der Überwindung des bürokratischen Parteiapparats nur ein temporärer Sieg sein. Während dies eine schwierige Aufgabe ist, muss es die Pflicht von RevolutionärInnen sein, diesem Kampf ohne Zögern beizutreten. Sie müssen sich mit Corbyns Unterstützern gegen den rechten Parteiflügel vereinigen, alle Konzessionen an letzteren ablehnen und gleichzeitig die Grenzen von Corbyns Strategie und Programm eines (linken) Reformismus aufzeigen. Der Verrat von Syriza, die Rechtsentwicklung der populistischen Partei Podemos und die Politik der Linken Parteien in Europa im Allgemeinen zeigen, dass Reformismus und Keynesianismus am Ende unfähig sind, der ArbeiterInnenklasse in Europa und andernorts Lösungen zu präsentieren. Ihr wichtigster Slogan war der eines „sozialen, demokratischen, ökologischen, feministischen, antirassistischen …“ Europas; mit anderen Worten, eine reformierte Europäische Union, die auf einer „sozialen Marktwirtschaft“ basiert und vermutlich die Herrschaft des Finanzkapitals erhalten würde.

Der Bankrott dieser Politik wurde in den letzten Jahren millionenfach aufgezeigt. Nur eine schrumpfende Zahl von Reformisten oder erratischen Marxisten wollen dieses Programm wiederbeleben und einem toten Körper neues Leben einhauchen.

Ironischerweise sucht der reformistische Mainstream sein Heil bei einer anderen Leiche, die vor einiger Zeit schon begraben wurde: dem unabhängigen Nationalstaat. Wenn die Reform einer kapitalistischen EU nicht funktioniert, warum sollten wir nicht „unseren Staat“ wiedererobern? Obwohl Revolutionäre das Recht einer jeden Nation verteidigen, die EU zu verlassen (ohne deshalb dazu aufrufen); und sie anerkennen, dass die EU nicht reformiert werden kann, lehnen sie die reaktionäre und utopische Idee ab, dass die Rückkehr zu vielen „unabhängigen“, kapitalistischen Nationalstaaten, mit ihren „unabhängigen“ Währungen und Banken, ihren Grenzkontrollen und der Abschaffung der Bewegungsfreiheit auf dem gesamten Kontinent eine Lösung ist. Alle diese Maßnahmen sind durch und durch rekationär und würden vereinten Aktionen zwischen den ArbeiterInnenschaften und Unterdrückten ganz Europas weitere Hindernisse entgegenstellen.

Revolutionäre müssen dieser reaktionären Antwort auf die kapitalistische EU gemeinsamen Kampf für demokratische und soziale Rechte auf dem gesamten Kontinent, die Öffnung der Grenzen, die Abschaffung der Austeritätsverträge, gegen Krieg und imperialistische Intervention entgegensetzen. Sie müssen zu gemeinsamen und europaweiten Aktionen aufrufen, um von den Gewerkschaften und den Massenparteien der ArbeiterInnenklasse zu fordern, dass sie mir „ihrer“ Bourgeoisie brechen und ihre Millionen von Mitgliedern zu solchen Auseinandersetzungen mobilisieren.

Wenn diese einmal Massencharakter in Form von Massenstreiks und Besetzungen angenommen haben, werden sie die Machtfrage zurück auf die Agenda bringen. Sie werden erneut, wie in Griechenland bis Mitte 2015, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung aufwerfen, also Regierungen, die mit der herrschenden Klasse brechen, die Notfallprogramme für die ArbeiterInnenklasse, die Bauern und die Armen einführen; ein Programm, um der herrschenden Klasse die Kontrolle über Finanz- und Industriekapital aus den Händen zu nehmen, es unter Kontrolle der ArbeiterInnen zu enteignen und mit einem demokratischen Programm, um die Bedürfnisse der ArbeiterInnen und Armen zu erfüllen. Der Klassenkampf in Griechenland hat gezeigt, dass dies nur auf Grundlage kämpfender Organisationen möglich ist – mit Räten und Aktions-Komitees -, welche die ArbeiterInnen und unterdrückten Massen vereinigen, gegen die herrschende Klasse mobilisieren und die Macht im Staat in eigene Hände nehmen können. Er hat demonstriert, dass ein revolutionärer Verlauf der Dinge unmöglich ist ohne die Gründung von ArbeiterInnenmilizen und die Gründung von SoldatInnenkomitees in der Armee, um den bürgerlichen Repressionsapparat zu zerbrechen.Nur einer ArbeiterInnenregierung, die auf solchen Organen basiert, wird es möglich sein, die konterrevolutionären Angriffe der Bourgeoisie, ihrer Staatsorgane und imperialistischen Verbündeten abzuwehren.

Die Geschichte hat gezeigt, dass ein solches Programm nicht in einem Land allein eingeführt werden kann. Selbst die mächtigste europäische Wirtschaft, Deutschland, geriete ins Chaos und machte Einbußen, wenn die Verbindungen zu ihren europäischen Nachbarn durchtrennt würden. Die ArbeiterInnenklasse Europas hat kein Interesse daran, den Kontinent in ein Mosaik kleinerer und größerer kapitalistischer Staaten zu verwandeln. Im Gegenteil, die Klasse als Ganze und jede ArbeiterInnenregierung, die in einem Land entstehen könnte, muss dafür kämpfen, den gesamten Kontinent ökonomisch und politisch zu reorganisieren. Dies kann nur durch die Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der ArbeiterInnen geschehen, durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und ihre Gründung.

Eine Partei für den Kampf um ein sozialistisches Europa

Die Reformisten haben den Kampf für den Sozialismus längst aufgegeben. Sie oszillieren zwischen bürgerlichen, „pan-europäischen“ Utopien und dem Weg „nationaler Reform“. Aber welche Alternative hat die radikale, anti-kapitalistische Linke aufgezeigt? Keine. Während die Reformisten den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und ihrer Politik hinterherkriechen, kriecht die radikale Linke den Reformisten hinterher. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, wem sie folgen.

Eine lange Zeit folgten große Teile der „extremen Linken“, besonders die Sektionen der Vierten Internationale, den Advokaten eines „sozialen Europas“. Dies korrespondiert mit ihrer Unterstützung einer „breiten linken Partei“, die alle Strömungen der ArbeiterInnenbewegung in einem Zustand friedlicher Koexistenz auf Grundlage eines reformistischen Programms vereinigen soll.

Da sich immer mehr Fraktionen der europäischen linken Parteien und populistischer Kräfte hiervon verabschiedet haben, propagieren einige Gruppen der radikalen Linken nun den Austritt aus der EU.

Während die Reformisten behaupten, dass dies die Realisierung eines reformistischen Programms auf Grundlage einer Reihe keynesianischer Maßnahmen vereinfachen würde, behaupten zunehmend Teile der „radikalen Linken“, dies sei der einfachere „Weg zum Sozialismus“. Für sie ist Kapitalismus kein internationales System, sondern eine Summe von Nationalstaaten und Internationalismus die Summe nationaler Klassenkämpfe. Letztendlich sind dies neuzeitliche Imitationen der stalinistischen Utopie vom „Sozialismus in einem Land“.

In zwei Themen unterscheiden sich die Advokaten des „sozialen Europas“ und die des EU-Austritts weit weniger, als sie zuzugeben bereit sind. Beide folgen einem reformistischen Programm und beide argumentieren gewöhnlich zweitens, dass der Kampf für ein revolutionäres Programm der Machtergreifung und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa nicht „auf der Tagesordnung“ steht. Selbst dort, wo sie es nicht offen ablehnen, bezeichnen sie den Kampf für ein sozialistisches Europa für eine Aufgabe der mehr oder weniger fernen Zukunft. Sie behaupten, dass nur ein Programm zur Reform der EU oder der Kampf für bessere Zustände auf nationaler Ebene „realistisch“ sei. Beide Wege führen letztlich ins Nirgendwo.

Wenn die ArbeiterInnenklasse Europas verhindern will, dass sich der Kontinent in eine Ansammlung krisengeschüttelter Staaten aufteilt, die zunehmend verzweifelt jedes Mittel anwenden werden, um Dominanz zu erlangen – wie dies bereits zwei Weltkriege hervorgebracht hat -, dann muss sie sich auf ein Programm für die Vereinigung des Kontinents auf der Grundlage von ArbeiterInnenmacht und öffentlichem Besitz der Produktionsmittel unter Kontrolle der ArbeiterInnen und einem demokratischen Plan stellen.

Hierfür benötigt die ArbeiterInnenklasse neue politische Organisationen, neue revolutionäre Parteien in jedem Land und eine neue, fünfte, Internationale. Im vergangenen Jahrzehnt haben die europäische ArbeiterInnenklasse, die Jugend und Linke wertvolle Zeit verloren. Das kapitalistische Europa ist in der Krise und die Herrschenden bereiten einen Alptraum an Reaktion vor, wie wir an den EU-Außengrenzen, am Erstarken der politischen Rechten, den imperialistischen Interventionen in Afrika und im Nahen Osten, den sozialen Verheerungen in Ost- und Südeuropa sowie den heraufziehenden sozialen und politischen Angriffen sehen können.

Deshalb rufen wir alle RevolutionärInnen und AntikapitalistInnen in Europa dazu auf, sich gemeinsam an die Aufgabe zu machen, ein Aktionsprogramm für die sozialistische Transformation Europas zu entwerfen! Schließt euch uns bei dieser Aufgabe an!




EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Tobi Hansen, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Vorwort

Die EU ist in der Krise. Nicht erst seit gestern und sie wird nicht morgen beendet sein. Sie stellt nicht nur die AkteurInnen der herrschenden Klassen der EU-Länder vor große Probleme und zeigt die Begrenztheit der Fähigkeiten eines Cameron oder Johnson genauso auf wie die einer Merkel oder eines Hollande.

Sie stellt auch erhebliche Anforderungen an die antikapitalistischen und sozialistischen AktivistInnen und ihre Organisationen und Strukturen. Deshalb haben wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht uns diesem Thema immer wieder gewidmet, sei es anlässlich der Austeritätspolitik, der Griechenlandkrise oder aktuell anlässlich der Situation der Geflüchteten in Europa.

Die EU ist kein gleicher Verbund freier Länder, sondern ein imperialistisches Projekt. Dieses Projekt in seiner Gesamtheit erlebt eine tiefe politische und ökonomische Krise. Ihre Tiefe ist nicht allein bedingt durch ökonomische Faktoren. Die Zuspitzung der politischen Krise birgt die Möglichkeit des kompletten Scheiterns des Projekts EU.

Die Häufung der Krisenhaftigkeit ist Produkt der imperialistischen Epoche selbst. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 trifft die Zuspitzung der imperialistischen Konkurrenz besonders das Projekt EU. Eine massive Austeritätspolitik wurde hier durchgesetzt, der deutsche Imperialismus unterwirft sich ökonomisch den Binnenmarkt und Währungsraum, dies trifft auf den Widerstand der ArbeiterInnenklasse, aber auch auf den Widerstand der unterworfenen europäischen Kapitalfraktionen und Nationen.

Die EU ist ein einmaliges Experiment der imperialistischen Epoche. Verschiedene nationale Bourgeoisien und deren Kapitalfraktionen agieren in einem gemeinsamen Markt, in einem transnationalen staatlichen Rahmen der EU-Bürokratie. Diese nationalen Bourgeoisien stehen dann auch in der ökonomischen Krise seit 2007/08 stärker in Konkurrenz zueinander. In der Krise verschärft sich der Verteilungskampf innerhalb dieser Gesamtkapitale und zwischen ihnen. Es gibt immer weniger Spielraum für eine „geordnete“ Konkurrenz, für einen „stabilen“ Kapitalismus oder andere demokratische und/oder soziale Illusionen, welche mit dem Kapitalismus zusammenhängen.

Dies ist auch die materielle Basis, auf der Nationalismus und Rassismus wachsen, die jede imperialistische Krise begleiten und auch heute in der EU wieder ein Massenphänomen darstellen.

Wenn also reformistische Kräfte wieder mal einen besseren oder stabileren Kapitalismus einfordern oder vorschlagen, wie Krisen zu vermeiden wären, so betreiben sie bewusste Täuschung. Stabilität im Kapitalismus und/oder in der EU, heißt nämlich nichts anderes als Stabilität, ausgehend von der Herrschaft eines Imperialismus, welcher allen anderen seine Profitbedingungen, Produktionsverhältnisse und seine Politik aufdrückt. Dies war im globalen Maßstab lange Zeit die Aufgabe der USA. Mit der EU versuchten sich Deutschland, Frankreich, und etwas weniger aktiv Großbritannien in dieser Rolle.

Besonders der deutsche Imperialismus hat sich als ökonomische Ordnungsmacht in der EU, speziell im Euro-Raum gestärkt. Die Marktmacht des deutschen Industrie- und Handelskapitals hat die europäischen Konkurrenten in die zweite und dritte Reihe eingeordnet. Im Gegensatz zu vorherigen imperialistischen Versuchen des deutschen Kapitals Europa unterzuordnen, muss aber diesmal eine „Kooperation“ mit anderen nationalen Gesamtkapitalen gesucht werden.

Dies geschieht durch ein Bündnis mit dem französischen Imperialismus, welcher an zweiter Stelle profitiert, allerdings ökonomisch gegenüber dem deutschen Imperialismus zurückgefallen ist, speziell seit dem gemeinsamen Euro-Währungsraum und derzeit unter Hollande gezwungen ist „deutsche“ Sozialangriffe auf die französischen Beschäftigten durchzuführen, um gegenüber dem deutschen Kapital wieder konkurrenzfähiger zu sein. Mit diesen Führungsmächten konkurrieren weitere imperialistische Kapitale wie die von Großbritannien, Italien, Niederlande, Spanien, Belgien, Österreich und die skandinavischen Staaten – allein diese Ansammlung verdeutlicht die inneren Schwierigkeiten und Konkurrenzen in der EU. Dazu kommen die direkt ökonomisch unterworfenen halbkolonialen Staaten Osteuropas, an denen alle westeuropäischen Imperialisten ihre Anteile haben und verwerten wollen, wie auch ein zum EU-Protektorat erniedrigtes Griechenland, dessen Kapital jede Sauerei gegen die ArbeiterInnenklasse zwar mitmacht, dessen Nationalstaat aber das schwächste Glied in der EU-Kette geworden ist.

Diese „Schwierigkeiten“ des kapitalistischen Europa haben es historisch schon zweimal zum inner-imperialistischen Schlachtfeld Nr. 1 werden lassen. An diesen Voraussetzungen hat sich nichts geändert, daher muss die ArbeiterInnenbewegung Antworten auf Krise, Nationalismus und Krieg liefern.

Unter KommunistInnen der Komintern bis Mitte der 20ziger Jahre war die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ die Lösung. Sie wird heute noch von vereinzelten trotzkoiden Strömungen aufrechterhalten. Wir wollen in diesem Artikel die Aktualität dieser Taktik herausarbeiten, ihre Bedeutung für eine revolutionäre Politik gegen eine imperialistische EU in den Kontext der historischen Erkenntnisse stellen.

Europa als Schlachtfeld des Imperialismus

Wir wollen keine längeren historischen Darlegungen hier machen, die Entwicklung von imperialistischen Weltkriegen ist eigene Artikel wert (siehe z. B. http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/ersterweltkrieg.htm).

Europa ist der Kontinent der alten kapitalistischen Mächte, auf dem sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung erstmals durchgesetzt hat. Dies führte zu einer Vielfalt von Nationalstaaten und nationalen Kapitalgruppen. Es ist Folge dieser Entwicklung bzw. des Übergangs von der spätfeudalen zur bürgerlichen Ordnung, dass in Europa verschiedene kapitalistische Mächte groß wurden bzw. sich als imperialistische Mächte etablieren konnten. Das britische Weltreich, der kontinentale Aufstieg Frankreichs, die Handelsmacht Niederlande, der Aufstieg der Industriemacht Deutschlands, dazu die imperialistischen Ambitionen von Italien, Belgien und Spanien – die Etablierung des Kapitalismus in Europa prägt bis heute diese bunte Zusammenstellung von nationalen Bourgeoisien, Kapitalfraktionen und Staaten.

Auf dieser Grundlage konnten und mussten zwei Weltkriege auf diesem Kontinent ausbrechen. Zuviele imperialistische Akteure auf einem vergleichsweise kleinen Kontinent, die nationale Zersplitterung inklusive offener ethnischer Konflikte und fehlender nationaler Selbstbestimmung waren die Voraussetzung für die Kriegstreiberei der herrschenden Klasse. In Europa entwickelten sich in den verschiedenen Krisenperioden des Kapitalismus immer wieder starke nationalistische, rassistische und/oder antisemitische politische Strömungen, welche von Kapital und Kleinbürgertum getragen wurden, aber immer wieder auch auf die ArbeiterInnenklasse übergriffen. Bezahlen für den Krieg der Herrschenden aber mussten immer die Arbeitenden, die dafür in den Tod geschickt wurden. Die Lösung der imperialistischen Konkurrenz und Krise wurde von den kriegführenden herrschenden Klassen meist durch die militärische Niederwerfung und Besatzung der Konkurrenten bzw. des halbkolonialen Umlands gesucht. So drängten die europäischen imperialistischen Akteure, getrieben vom entwickelten Finanzkapital auf die Weltmärkte und Kontinente, unterwarfen sie sich und entwickelten Theorien von der Überlegenheit der „eigenen“ Rasse oder eines „Volks ohne Raum“.

Das ist die Grundlage für die historische zweimalige Zuspitzung der Gegensätze in Europa und für die Krisenhaftigkeit des heutigen Europa mit der Gefahr eines Zerbrechens der EU.

Am innerimperialistischen Hauptkonflikt sind heute im Vergleich zu den beiden Weltkriegen nicht mehr Europa oder einzelne seiner Staaten zentrale beteiligt. Die Vorstellung eines bewaffneten Konflikts zwischen den Hauptmächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien um die Zukunft der EU ist kein aktuelles Szenario, wenn auch dies zukünftig nicht ausgeschlossen werden sollte.

Der Hauptgegensatz der heutigen zwischenimperialistischen Konkurrenz liegt auf beiden Seiten des Pazifik. Die Frage, welche Macht letztlich die Ordnungsmacht im ökonomisch aufstrebenden Asien wird bzw. bleibt, ist die Kernfrage der kommenden Periode. Hier treffen die USA, China, Japan, Russland, Südkorea aufeinander, aufstrebende Mächte und Märkte wie Indien, Indonesien, Thailand und Vietnam betreten die Bühne und auch Australien ist involviert. Der „Hauptwiderspruch“, nicht nur dieser Region, sondern auch der globalen imperialistischen „Ordnung“ liegt zwischen der bisherigen Führungsmacht USA und dem aufstrebenden Konkurrenten China.

In Europa gelten aber weiterhin die imperialistischen Gegensätze und wir treten jetzt in eine Periode ein, in der sie wieder offener auftreten und zu Destabilisierung und Krise führen. Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb 1923 zur damaligen Krise in Europa, was auch für die aktuelle Lage als Ansatzpunkt dienen kann:

„Die treibende Kraft an diesem Kriege waren kapitalistische Produktivkräfte, die über den Rahmen der europäischen Nationalstaaten hinausgewachsen sind. Deutschland stellte sich die Aufgabe, Europa zu „organisieren“, d. h. den europäischen Kontinent unter seiner Leitung wirtschaftlich zu vereinigen, um später den eigentlichen Kampf mit England um die Weltherrschaft zu beginnen. Frankreich machte sich zur Aufgabe, Deutschland zu zersplittern. Die geringe Bevölkerung Frankreichs, ihr vorwiegend agrarischer Charakter und der Konservatismus seiner Wirtschaftsformen machen es der französischen Bourgeoisie unmöglich, an das Problem – Europa zu organisieren – auch nur heranzutreten, dessen Lösungsversuch dem mit der Kriegsmaschine der Hohenzollern ausgerüsteten deutschen Kapitalismus das Rückgrat gebrochen hat.“ (1)

Die Hauptfrage „Wer organisiert Europa?“ haben Deutschland und Frankreich mit der Einführung gemeinsamer Währung und einheitlichen Binnenmarktes zu beantworten versucht, Großbritannien bleibt Co-Macht mit eigener Währung. Die EU ist vor allem für den deutschen Imperialismus Sprungbrett seiner globalen Ambitionen. Die Produktivkräfte des deutschen Imperialismus beherrschen den europäischen Markt, speziell den Euro-Raum. Gemeinsam mit dem französischen Imperialismus wurde die EU-Bürokratie aufgebaut und in den letzten Jahren der Schuldenkrise ein Austeritätsregime für ganz Europa installiert. Es gab und gibt massive Sozialangriffe auf die ArbeiterInnenklasse, die Kosten der Krise wurden verlagert auf die Klasse, Millionen wurden in die Arbeitslosigkeit geschickt wie auch Millionen von Beschäftigungsverhältnissen weiter prekarisiert und pauperisiert wurden. Die Finanzierung der jeweiligen Staatshaushalte ist in dieser EU abhängig von der Kreditvergabe der EZB wie auch teilweise des IWF – in der Krise organisierte vor allem der deutsche Imperialismus die EU nach seinen Verwertungsinteressen. In der Politik der EZB finden wir allerdings auch die gegensätzlichen Interessen der unterschiedlichen nationalen Bourgeoisien. Die Finanzierung der Staatsanleihen via EZB seit Beginn 2015, die mit monatlich 80 Mrd. Euro unterstützt werden, waren nicht im Interesse des deutschen Imperialismus. Hier konnten sich die „vereinigten“ Interessen der anderen imperialistischen Staaten und Kapitale durchsetzen, welche die EZB zur Finanzierung aller Staatsanleihen und Finanzmärkte heranziehen wollen.

Diese Krise führt einerseits zu einem generalisierten Angriff auf die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse, wie seit der letzten Wirtschaftskrise in den 1930iger Jahren nicht mehr erlebt, aber zum anderen auch zu einer offeneren Dominanz des deutschen Imperialismus als je nach dem Ende des 2. Weltkriegs.

Je offener Krise und Herrschaftsanspruch des deutschen Imperialismus auftreten, desto offener gelangt auch die Konkurrenz zu den anderen imperialistischen Mächten zu Tage und desto stärker müssen diese sich des deutschen Imperialismus erwehren, um ihre ureigensten imperialistischen Interessen zu bewahren und durchzusetzen.

Hier trifft die ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung des Kapitalismus und seiner Klassenkräfte zu. Die aktuelle EU ist Spiegelbild dieser Gesetzmäßigkeit.

Nationalismus und Rassismus im Schatten der Krise

Im Rahmen der sog.  „Flüchtlingskrise“ konnten wir feststellen wie z. B. Österreich auf der „Westbalkankonferenz“ den Nicht-EU-Staat Mazedonien als neuen Grenzposten installiert und dadurch wieder Ordnungsmacht auf dem Balkan spielt – die Republik Österreich überträgt faktisch die ungarische Grenzpolitik auf den ganzen Balkan.

Überhaupt ist der Balkan, wie auch Südosteuropa, wieder Sinnbild des Versuchs der Einflussnahme verschiedener imperialistischer Mächte auf diese Region. Die EU ist bemüht nach Slowenien und Kroatien auch den Rest des ehemaligen Jugoslawien ökonomisch einzugliedern, ebenso wie die „privilegierten“ Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien bspw. aufzeigen, dass sie weitere ehemalige Republiken der UdSSR als ökonomisch unterworfene Peripherie in ihr Herrschaftsgebiet aufnehmen will. Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis zur aufstrebenden Halbkolonie Türkei, die derzeit vehement Regionalmachtansprüche stellt. Durch den schmutzigen und rassistischen Flüchtlingsdeal mit der EU, welcher sie jetzt als „Schleuserstaat“ installiert, nimmt sie indirekt Einfluss auf die europäische Politik und versucht ihren Einfluss auf dem Balkan zu erhöhen und mittels der EU ihre Rolle als Mittelmeer -und Regionalmacht zu stärken.

Das EU-Protektorat Griechenland ist weiterhin das schwächste Glied der europäischen Kette. Das Spar- und Kürzungsregime unter Tsipras ruiniert die griechische Volkswirtschaft, lässt die griechische Regierung offen für russischen Einfluss werden, wie auch der russische Imperialismus „traditionell“ zu Bulgarien und Serbien gute Beziehungen pflegt und als Konkurrent gegenüber der EU auftritt. Die Regierungskrise in Montenegro, der aktuelle Rechtsschwenk der kroatischen Regierung, die offen nationalistisch-rassistische Politik Ungarns: der Balkan ist derzeit nicht allein „Transitzone“ der Flüchtlinge, sondern auch Spiegel der Instabilität der EU.

Im Zuge der Wirtschaftskrise wuchsen die rechtspopulistischen, nationalistischen, rassistischen und offen faschistischen Kräfte in der gesamten EU. Die EU-Dekrete und EZB/IWF-Kahlschlagspolitik trieben Millionen in die Armut und bereiteten den Boden für die verschiedenen rechten Parteien und Bewegungen. Der soziale Angriff auf die lohnabhängigen Mittelschichten, die verstärkte Konkurrenz innerhalb der kleinbürgerlichen Schichten, die „Proletarisierung“ verschiedener kleinbürgerlicher Berufsgruppen sind Voraussetzung für ihre politische Radikalisierung. In allen Fällen gab es auch vor der „Flüchtlingskrise“ rassistische Ausfälle, meistens gegenüber „dem Islam“, aber auch gegen Südeuropäer oder sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Mit der „Flüchtlingskrise“ hat sich diese Situation weiter verschärft, die rechten Akteure betreiben offen soziale Hetze gegen die Flüchtlinge, versuchen die einheimische Bevölkerung gegen diese in Stellung zu bringen.

Der Verteilungskampf spitzt sich zu während der Krise, hier ist auch das Potenzial für rassistische und nationalistische Hetze vorhanden. Das Kapital kennt nur eine Krisenlösung, nämlich die möglichst hohe Entwertung und Entrechtung der Ware Arbeitskraft wie auch die Vernichtung und Zerschlagung von Produktionsmitteln und Kapazitäten der Konkurrenz. Daher sind Nationalismus und Rassismus zwei ideologische Mittel des Kapitals und der kleinbürgerlichen Schichten, diesen Kampf gegen die Arbeitsbedingungen des Proletariats aufzunehmen und es zugleich für die Kriege des Kapitals einzuspannen.

Der Rückzug aus der EU ist die Option der „geschlagenen“ imperialistischen Mächte bzw. derjenigen, die der deutsch-französischen Übermacht immer weniger entgegenzusetzen haben. Auf der anderen Seite ist speziell das deutsche Großkapital an einer weiteren Vertiefung der EU interessiert. Vertiefung heißt hier nichts anderes als weitergehende Unterwerfung. Wiederum andere Kapitalfraktionen der imperialistischen Staaten sind abhängig von der und angewiesen auf die EU. Diese stellen die besten Verbündeten des deutschen Imperialismus.

Eine andere Lösung kann dieses System nicht bieten, zu einer anderen Politik ist diese Ordnung nicht in der Lage, in dieser Hinsicht können wir von historischen Wiederholungen sprechen, die imperialistische Krise und Zuspitzung trifft ein drittes Mal Europa.

ArbeiterInnenklasse, politische Führung und die Frage der Taktik

In solchen Krisen haben die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zweimal historisch versagt und konnten nicht verhindern, dass die Ausgebeuteten auf den Schlachtfeldern der Ausbeuter geopfert wurden. Während des 1. Weltkrieges konnte aber eine Partei der ArbeiterInnenbewegung in Europa den imperialistischen Krieg zum Krieg gegen den Imperialismus wenden. Im Jahr 2017 können wir 100 Jahre Oktoberrevolution feiern. Die Bolschewiki führten die Revolution gegen Zarentum, Krieg und Kapital an. Damit setzten sie auch eine neue Entwicklung in der ArbeiterInnenbewegung in Gang, die Bildung von kommunistischen Parteien und Kommunistischer Internationale. In dieser Phase entwickelten die Komintern und ihre Parteien eine Reihe von Taktiken, Analysen und Strategien im Kampf gegen den Imperialismus und die bürgerliche Führung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, gegen die reformistischen und sozialchauvinistischen Organisationen der 2. Internationale. Europa war der Kontinent, auf dem die meisten revolutionären Hoffnungen dieser Zeit ruhten. Hier war die ArbeiterInnenklasse stark organisiert, waren kommunistische Massenparteien aktiv und traten die Widersprüche der imperialistischen Krise und der bürgerlichen ArbeiterInnenpolitik offen zu Tage. Der Faschismus bestieg ebenfalls die politische Bühne, die „Alternativen“ trafen quasi offen aufeinander: entweder sozialistische Lösung und Revolution für Europa oder „Neuauflage“ des 1. Weltkrieges, diesmal mit den Faschisten als führender Kraft!

Die Taktiken und Methoden der frühen Komintern sollten die bürgerlichen Akteure in der ArbeiterInnenbewegung herausfordern und letztlich Teile der Klasse für eine revolutionäre Politik gewinnen, auch hier sind die objektiven Aufgaben heute ähnlich gestellt, allerdings ohne Massenparteien der KommunistInnen. Aber die Taktik der ArbeiterInneneinheitsfront, der ArbeiterInnen- (und Ba(e)uerInnenregierung) und die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ behalten in der Krisenperiode des Imperialismus ihre Aktualität.

Die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“

So hieß ein bedeutender Text von Trotzki aus dem Jahre 1923 zur Frage der Perspektive der europäischen Revolution. Den Titel könnten wir heute uneingeschränkt übernehmen, ist doch die Fragestellung und politische Perspektive heute in vieler Hinsicht noch augenscheinlicher als damals. Gemeinsam haben die Jahre 1923 und 2016, dass die imperialistische Entwicklung Europas die arbeitenden Klassen ausbeutet, in Konkurrenz zueinander setzt, Armut und Verwahrlosung breiter Teile der Klassen organisiert und nicht fähig ist, diesem Kontinent eine fortschrittliche soziale und ökonomische Perspektive zu bieten. Deutliche Unterschiede müssen natürlich auch festgestellt werden, da 1923 die Kriegsgefahr ganz aktuell brodelte, die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen, welche damit die Reparationsforderungen Frankreichs untermauerten, die Wiederholung eines europäischen Kriegen ganz konkret androhte. Heute droht kein innereuropäischer Krieg direkt, sondern der Zerfall der EU.

Die Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ wie auch die der „Balkanföderation“, die die 2. Internationale 1910 aufgestellt hat, beziehen sich konkret auf die Überwindung des Nationalstaates als Perspektive, die dem wohl berühmtesten Satz der revolutionären ArbeiterInnenbewegung, „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Ausdruck geben soll. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese Losungen in der Zeit unmittelbar vor dem ersten imperialistischen Krieg aufkamen. So zeigten die Balkankriege, dass die imperialistischen Großmächte (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich, Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Osmanisches Reich) sie nutzen, um ihren Einfluss zu stärken, die Staaten Griechenland, Serbien, Bulgarien und Rumänien ständigen Konflikten ausgesetzt waren, die quasi die Blaupause für den direkten Krieg der Großmächte abgaben. Zur Überwindung des Einflusses der Großmächte, welche mit ihren willigen nationalen Verbündeten Südosteuropa in den Krieg führten, entwickelte die 2. Internationale die Losung der „Vereinigten Balkanföderation“, welche alle nationalen und kulturellen Eigenheiten integrieren sollte, damit diese, obwohl in der Hand des Kapitals, nicht erneut für Nationalismus und Krieg verwendet werden konnten.

Wenn wir heute die EU betrachten, dann kommen wir an der dominanten Rolle des deutschen Imperialismus nicht vorbei, ist die EU in ihrer Entstehung und mit ihrer „EG“-Vorgeschichte doch vor allem ein kombiniertes Projekt des deutschen und des französischen Imperialismus. Zu dieser Möglichkeit einer europäischen Ordnung von „oben“ schrieb Trotzki bereits 1915 in dem Text „Das Friedensprogramm“:

„Unter diesen Bedingungen ist ein einigermaßen vollständiger wirtschaftlicher Zusammenschluss Europas von oben herab, durch Verständigung zwischen kapitalistischen Regierungen eine Utopie. Weiter als zu Teilkompromissen und halben Maßnahmen kann hier die Sache niemals kommen. Daher wird eine wirtschaftliche Vereinigung Europas, welche sowohl für die Produzenten wie für die Konsumenten und für die kulturelle Entwicklung überhaupt von größtem Vorteil ist, zu einer revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampf gegen den imperialistischen Protektionismus und dessen Waffe, den Militarismus.“ (2)

Zu diesem Zusammenhang noch folgendes Zitat:

„Auf dem europäischen Markt aber schließt jede Erweiterung des englischen Absatzes eine Verringerung des deutschen und französischen in sich, und umgekehrt. Das letztere kommt immer häufiger vor: der Export Deutschlands und Frankreichs schlägt dem Export Großbritanniens tiefe Wunden. Der europäische Markt erweitert sich nicht. Innerhalb bestimmter Grenzen vollziehen sich Verschiebungen in der einen oder anderen Richtung.“ (3)

Zur Bestimmung von Europa:

„Europa ist kein geographischer Terminus, sondern ein wirtschaftlicher, der, zumal unter den gegenwärtigen Nachkriegsverhältnissen etwas weit konkreteres ist, als der Terminus Weltmarkt. Wenn wir schon lange gewohnt sind, die Notwendigkeit einer Föderation der Balkanhalbinsel einzusehen, so wird es allmählich an der Zeit, auch das balkanisierte Europa im selben Lichte zu sehen.“ (4)

Diese Ausgangslage der Zitate beschreibt treffend die aktuelle Verfasstheit der EU. Die heutige EU ist ein „imperialistisches“ Projekt von oben und zwar der vorherrschenden deutschen und französischen Kapitale, von denen sich die „übrigen“ Gesamtkapitale Vorteile versprachen. Schließlich sind alle imperialistischen Akteure daran interessiert, die EU für ihre Ambitionen auf dem Weltmarkt zu nutzen und gegen die Interessen und Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse einzusetzen.

Wir haben Anführungszeichen gesetzt, da hier oft ein Hauptmissverständnis in der aktuellen Analyse der EU vorliegt. Es gibt keinen geeinten EU-Imperialismus, wie es auch keine europäische Bourgeoisie gibt, daher bleibt die EU weiterhin ein Projekt verschiedener imperialistischer Akteure und Interessen. Selbst das deutsche und französische Großkapital, welche in vielen Bereichen stärker fusionierten im letzten Jahrzehnt (Raum- und Luftfahrt, Rüstung, Pharma) ist kein geeintes, sondern durchzogen von tiefer Konkurrenz und dem deutschen Versuch sich das französische Großkapital unterzuordnen. Als der Mischkonzern Alstom 2014 zum Verkauf stand, war natürlich der deutsche Monopolist Siemens erster Bieter, sicherlich mit dem Ziel diesen noch vorhandenen europäischen Konkurrenten auszuschlachten. Auf Intervention der französischen Regierung wurde aber dann der US-Konkurrent General Electric als „weißer Ritter“ gefeiert, welcher dann Anteile von Alstom übernahm.

Die imperialistischen Kapitalverbände haben „Teilkompromisse“ und viele „halbe Maßnahmen“ durchgeführt, um zumindest ihre Interessen gegenüber der ArbeiterInnenklasse in Europa festzulegen. Dabei mussten sie eine europäische Ordnung installieren, die in vielen Bereichen den nationalen Rahmen des Kapitalismus sprengt und andeutet wie denn eine „wirtschaftliche Vereinigung“ aussehen könnte, welche real zum Vorteil der Produzenten und Konsumenten dienlich wäre.

Die aktuelle Verfasstheit der EU

Ökonomisch ist die EU an der „Agenda von Lissabon“ gescheitert. Die USA konnten nicht als Wirtschaftsraum und Markt Nr. 1 abgelöst werden. Die Weltwirtschaftskrise seit 2007/08 hatte der EU einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach 15 Jahren der Euro-Einführung befinden sich große Teile in der Stagnation und haben Jahre der Rezession hinter sich. Unter der Dominanz der imperialistischen Kapitalverbände haben sich weite Teile Osteuropas und Südeuropas als Halbkolonien in der EU manifestiert. Die Lage Griechenlands als de facto Protektorat von EU, EZB und IWF zeigt das tiefe Gefälle innerhalb des Binnenmarktes. Dies ist die Folge der „freien“ Konkurrenz bzw. des unbeschränkten Marktzugangs der imperialistischen Kapitale. Die Tatsache, dass das deutsche Industrie- und Handelskapital überall in Konkurrenz zu den anderen nationalen Bourgeoisien treten konnte, ebenso das britische, französische und italienische Kreditkapital überall Investitionen und Kredite steuerten, im Binnenmarkt wüten konnten, ist die Erklärung für die tiefe ökonomische und soziale Krise der EU. Die Formelkompromisse dieser herrschenden Kapitalverbände wurden auf dem Rücken der europäischen ArbeiterInnenklasse ausgetragen, wie auch eine wirtschaftliche Vereinigung Europas nur unter der Konkurrenz jener vonstatten geht und somit wenig Vorteile für Produzenten (ArbeiterInnen) und Konsumenten brachte, aber für die vorherrschenden nationalen Bourgeoisien mehr Profite und Marktanteile.

So konnte der deutsche Imperialismus den europäischen Markt lange Zeit ohne militärische Knute unterwerfen, wie im 1. und 2. Weltkrieg versucht. Diese „friedliche“ Unterwerfung des Binnenmarktes hat aber nicht zu einer Angleichung oder Befriedung der Gegensätze im Lager des Kapitals geführt – im Gegenteil, hier wachsen die Unterschiede und Spannungen an, als Folge einer Ordnung von „oben“.

Jedes nationale Gesamtkapital und dessen Fraktionen können soviel „EU“ mittragen, wie es ihren Interessen nützt. So unterstützt auch die griechische Bourgeoisie jede Maßnahme der „Troika“, weil sie damit tiefe einschneidende Angriffe auf die griechische ArbeiterInnenklasse durchführen kann, die zuvor oft vom griechischen Proletariat zurückgeschlagen wurden. Ähnliches lässt sich von allen anderen Bourgeoisien sagen. So ist die Austeritätspolitik seit der Schuldenkrise ein stetiger „Tanz auf der Rasierklinge“ geworden, welchen der deutsche Imperialismus mit Bravour erledigte, hatte dieser doch mit der „Agenda 2010“, der Schaffung eines großen Niedriglohnsektors schon entscheidende Angriffe auf die deutsche ArbeiterInnenklasse bewerkstelligt. Die anderen Kapitalfraktionen, wie aktuell die französische, stellt diese aber vor massiven Herausforderungen, wie die Auseinandersetzungen um das Arbeitsgesetz El Khomris beweisen.

Die stetige Konkurrenz und die damit einhergehende weitere Konzentration und Monopolisierung zu Gunsten der imperialistischen Akteure bewirkt aber auch, dass die Ambitionen und Interessen der übrigen Bourgeoisien immer weiter geschmälert werden, diese nur noch in Abhängigkeit von und direkter ökonomischer Unterwerfung unter eine dieser imperialistischen Bourgeoisien ihre Existenz als Vasallenbourgeoisie weiterführen können. Auch die Ambitionen einiger imperialistischer Fraktionen werden geschmälert (Italien, Spanien). Die britische Bourgeoisie ist derzeit darüber gespalten, auf welchem Weg die eigenen Ambitionen besser bewerkstelligt werden können: als Teil der EU oder eben nicht.

EU nach außen

Sichtbar wird dieses aktuelle „Auseinanderdriften“ der herrschenden Kapitalverbände gerade im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Deren Mangel ist ein Hauptwiderspruch innerhalb der „Ordnung von oben“ in der EU. Zwar gibt es gemeinsame Rüstungsvorhaben wie den „Eurofighter“ und militärische Zusammenarbeit einzelner Staaten im Rahmen der WEU. Allerdings ist die EU 2016 weit davon entfernt, als ein gemeinsamer imperialistischer Block aufzutreten, mit gemeinsamen Sicherheitsinteressen und vor allem einer gemeinsamen Strategie. Deutlich wird dies z. B. im Konflikt mit Russland um die Ukraine. Während Deutschland strukturell an einem Ausgleich mit Russland interessiert ist, derzeit durch Außenminister Steinmeier sogar NATO-Manöver an der EU-Ostgrenze als „Säbelrasseln“ kritisieren lässt, sind Großbritannien und viele osteuropäische Staaten treue Gefolgsleute der US-Politik gegenüber Russland. Hier sehen wir deutlich, was zu einer politischen Vereinigung der EU fehlt und dass es eben kein gemeinsames imperialistisches Agieren der EU geben kann, solange weiterhin Nationalstaaten mit nationalen Kapitalinteressen innerhalb der EU ihre Politik betreiben wollen. Dies konnte die EU auch samt ihrer Bürokratie eben nicht überwinden, dies würde nur durch eine direkte Unterwerfung der Nationalstaaten geschehen.

In der aktuellen „Brexit“-Debatte sahen sich konservative deutsche EU-Parlamentarier auch genötigt, mal wieder offensiver die Idee und Forderung nach einer europäischen Armee aufzustellen. Diesmal mit der offensichtlichsten aller möglichen Begründungen, da könnte man ja Geld sparen, schließlich bräuchten dann die einzelnen Staaten keine eigenen Armeen mehr. Diese Pseudoargumente verdecken natürlich die eigentlichen Interessen des deutschen Imperialismus, welcher eine Armee unter EU-Kontrolle, d. h. v. a. unter eigener, aufbauen will. Dies würde zwangsläufig das alleinige Kommando Frankreichs über seine Atombomben und Flugzeugträger in Frage stellen wie auch die NATO herausfordern. Auch in diesem Bereich zeigt sich die gesamte Widersprüchlichkeit des EU-Projekts. Sicherlich hat speziell Frankreich Erfahrungen damit, sich nicht unter das militärische Kommando der NATO einzuordnen. Auf der anderen Seite wäre aber der Verlust des Oberbefehls über die Atombomben ein herber Schlag für den französischen Imperialismus und seine globalen Ambitionen. So könnte Deutschland mit einer möglichen französischen Präsidentin Le Pen sicher vortrefflich Unterstützung gegen die US-Dominanz innerhalb der NATO gewinnen, bei der Aufstellung einer EU-Armee müssten dann aber schon alle Stäbe in Paris sitzen, damit der Front National dies überhaupt in Erwägung zöge. Die Außen- und Sicherheitspolitik bzw. der Militarismus der verschiedenen imperialistischen Staaten haben innere Grenzen, die nicht aufgegeben werden können in einem EU Projekt.

Ebenso ist die USA als NATO-Führungsmacht ein ganz „natürliches“ Hindernis innerhalb der westlichen imperialistischen Wirklichkeit. Ohne die NATO und vor allem ohne den US-Militarismus ist jegliche kriegerische Intervention des Westens eigentlich zum Scheitern verurteilt, speziell der deutsche Imperialismus ist auf die militärischen „Partner“ USA, Großbritannien oder Frankreich angewiesen. Die Lage in Libyen ist ein Beispiel für fehlenden EU-Militarismus und -Imperialismus. Wurde die sogenannte „Übergangsregierung“ zwar aus willigen Exilpolitikern von der EU zusammengewürfelt, so scheitert die Amtsübernahme doch ganz konkret an der militärischen Situation. Derzeit sichern zwei Fregatten der EU die Regierung im Hafen von Misrata. Diese EU kann nicht als „Ordnungsmacht“ auftreten, zumindest nicht in dem Maße wie die USA in Afghanistan und Irak. Dies aber wäre mitentscheidend dafür, ob die EU ein geeinter imperialistischer Block wird.

Der Einfluss der USA als NATO-Führungsmacht bedroht ganz klar die Ambitionen des deutschen und französischen Imperialismus in der EU. Hier gibt es stets eine „offene Flanke“, welche die USA zur Untermauerung ihres Führungsanspruchs nutzt. Dies ist auch das Mittel der USA, um die konkurrierenden europäischen imperialistischen Bourgeoisien unter Kontrolle zu halten bzw. strategisch auch in der kommenden Periode an sich zu binden – zum US Militarismus gibt es derzeit keine Alternative innerhalb des westlichen „Blocks“.

EU nach außen heißt aber auch „Assoziierungsabkommen“ mit Staaten der Peripherie, heißt ökonomische Expansion. Wie am Beispiel Ukraine, Georgiens oder Serbiens sichtbar, ist die EU weiterhin interessiert weitere Märkte zu unterwerfen und dort die Markthoheit zu erlangen. Dort handelt dann sie etwas wie ein „Superstaat“, indem sie einfach die gebündelten Interessen der Großkapitalfraktionen umsetzt. Hier gehören der Balkan, die Staaten der ehemaligen UdSSR, aber auch der sog. Mittelmeerraum (inkl. Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten) zu den „Zielmärkten“ der EU. Hier treten dann die „europäischen“ Bourgeoisien in den direkten Konkurrenzkampf mit den USA, China und Russland.

Die Funktion der EU-Bürokratie

Als eine der wichtigsten Anforderungen an einen gemeinsamen Wirtschaftsraum beschreibt L. Trotzki in seinen Texten die Überwindung der Zollschranken, welche Europa spalten und ihrerseits nur eine Schutzfunktion des jeweiligen nationalen Kapitals darstellen. In dieser Hinsicht wie auch der Verwaltung einer europäischen Wirtschaft zeigt sich inwieweit der Kapitalismus die nationalen Grenzen sprengt, weil er nicht mehr im nationalen Rahmen funktionieren kann. Die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, welcher bislang in der europäischen Geschichte meist ein Produkt des Krieges war, wie das Zollbündnis im 1. Weltkrieg (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich), ist objektiv im Interesse der ArbeiterInnenklasse Europas, aber freilich nicht unter den aktuellen Bedingungen. Bei der Gestaltung des Binnenmarktes und den Anforderungen an Produktion, Distribution, Konsumtion und Reproduktion handelte die EU allein im Interesse der exportierenden Kapitalfraktionen.

So ist es natürlich sinnvoll in einem gemeinsamen Markt bestimmte Vorschriften und Gemeinsamkeiten für Transport, Logistik und Buchhaltung zu entwickeln. Diese Funktionen der EU-Bürokratie weisen darauf hin, dass eine gemeinsame Planung und Verwaltung nötig ist und diese sogar gegen nationale Kapitale durchgesetzt werden muss, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum zu strukturieren.

Wenn wir uns kurz eine nichtkapitalistische, sozialistische Wirtschaftsordnung für diesen Kontinent vorstellen wollen, dann wäre klar, dass diese auch gemeinsame Regelungen, Vorschriften und Vereinbarungen bräuchte. Das bekannte Beispiel der Normung europäischer Gurken, welches von kleinbürgerlichen und Konservativen stets als Beispiel der „Überregulierung“ benannt wird, macht natürlich volkswirtschaftlich Sinn, wenn wir wollen, dass eine vergleichbare Menge Gurken in allen Transportkisten des Kontinents vorhanden ist, welches der Planbarkeit natürlich hilft. Dies gilt natürlich auch für die Angleichung und Verknüpfung der europäischen Logistik-, Transport- und Produktionsketten: zu was das Großkapital in seinen Konzernen gezwungen ist, macht natürlich auch Sinn für jede Form einer sozialistischen Planwirtschaft.

Was eine Verwaltung Europas, die nach Bedürfnissen und Erfordernissen einer Planwirtschaft agieren würde, zusätzlich machen müsste, ist darstellbar an der anarchischen Ordnung der kapitalistischen Produktion. Die europäischen Bourgeoisien verteilen die Produktionsketten nach ihren Maßstäben, d. h. nach Profitrate, niedrigen Löhnen und Steuerlast und einer im Verhältnis dazu hohen Produktivität (z. B. Verlagerungen in die Slowakei, nach Estland). Dies führt zu einer Konzentration der Industrieproduktion in Europa wie auf der anderen Seite zu einem Kahlschlag (Großbritannien, Portugal). Für eine sozialistische Planwirtschaft würde dieses kaum Sinn machen. Dort müssten eine europäische „Verwaltung der Dinge“ bzw. ein europäischer ArbeiterInnenrat sicher andere Maßstäbe zur Verteilung der Produktion, Forschung und Dienstleistung anlegen. So macht es auch volkswirtschaftlich wenig Sinn, dass z. B. Maschinenbau, Pharmazeutika, Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, IT, Chemie  u. a. so konzentriert werden, dass diese in einigen europäischen Wirtschaftsräumen kaum vorkommen. Das wäre dann die epochale Weiterentwicklung einer europäischen Planung, wenn Produktion, Dienstleistung und Distribution nach den Erfordernissen der arbeitenden Klasse geordnet und verteilt werden und eben nicht nach den Profiterwartungen der Kapitalplaner.

Natürlich ist die derzeitige Bürokratie ein Konstrukt der kombinierten Kapitalinteressen, speziell der deutschen, französischen und, wenn es um Ausnahmen geht, der britischen – wie auch die anderen imperialistischen Kapitalinteressen aus Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Österreich und den skandinavischen Staaten berücksichtigt werden müssen.

Dementsprechend ist jede objektiv fortschrittliche Errungenschaft der EU nur ein „Nebenprodukt“ bzw. aus dem Zwang zur Überwindung einiger Aspekte der Nationalstaaten und Nationalwirtschaft entstanden. Die Bewegungsfreiheit des europäischen Proletariats ist ein Beispiel dafür wie auch das „offene“ Grenzregime innerhalb Europas eine Folge dieser Zwänge ist.

Natürlich wollen die nationalen Bourgeoisien das Proletariat gegeneinander ausspielen, möglichst viel Konkurrenz und Lohndumping herbeiführen und benutzen dafür die EU-Bürokratie und die sog. „Freizügigkeit“. Wie es aber bei Gesellschaftssystemen so ist, hat dies auch weitergehende Implikationen. Das europäische Proletariat kann in der Lage sein ein gemeinsames Bewusstsein zu entwickeln, kann gegen die „EU der Bosse“ ein „Europa der ArbeiterInnen“ propagieren, kann gegen die Kapitalistenklasse auf diesem Kontinent gemeinsam vorgehen. Die europaweite Ausbeutung zwingt sogar Teile der Gewerkschaftsbürokratie für europaweite Regelungen, Rechte und Schutzklauseln einzutreten, da das europäische Proletariat nämlich gegenüber den europäischen Bourgeoisien auch eigene Rechte und Forderungen braucht und sei es nur zum Schutz der im nationalen Rahmen erkämpften Rechte.

Der Kapitalismus herrscht seit langem in Europa und hat diesen ökonomischen Raum gebildet und dessen Produktivkräfte soweit entwickelt, wie es unter ihm nur möglich war. Doch diese Nationalstaaten wurden zu eng für den Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche.

Zum Verhältnis von Staat, Nation und Wirtschaft schrieb Trotzki im Juli 1915:

„Der Staat ist seinem Wesen nach ein ökonomisches System, er wird gezwungen sein, sich an die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen. Die Stelle des separaten Nationalstaates wird zwangsläufig eine ausgedehnte demokratische Föderation fortgeschrittener Staaten einnehmen müssen, die darauf beruht, dass jegliche Zollschranken beseitigt sind. Die nationale Gemeinschaft, die aus den Bedürfnissen der kulturellen Entwicklung resultiert, wird dadurch nicht nur nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil: Nur auf der Basis einer republikanischen Föderation fortgeschrittener Länder wird sie ihre Vollendung finden können. Die dafür erforderlichen Bedingungen setzen voraus, dass die Schranken der Nation von den Schranken der Wirtschaft befreit werden und umgekehrt. Die Wirtschaft schließt sich auf dem ausgedehnten Raum der Vereinigten Staaten von Europa zusammen und bildet das Kernstück der Weltwirtschaft. Als politische Form kommt nur eine republikanische Föderation in Frage, in deren flexiblem und elastischem Rahmen jede Nation mit größtmöglicher Freiheit ihre kulturellen Potenzen entfalten kann.“ (5)

Im Gegensatz zur rein nationalstaatlichen Ordnung ist auch eine kapitalistische, bürgerlich-demokratisch ausgerichtete Föderation eine fortschrittliche Entwicklung. Dies wird oft von Kritikern der EU vergessen, welche sich gerne an der Oberfläche aufhalten, die EU für jede Schandtat der imperialistischen Kapitale verantwortlich machen und bspw. von rechter Warte aus dann vom „EU-Superstaat“ fabulieren, der ihnen die „heilige Nation“ nimmt. Speziell von den „linken“ EU-Gegnern wird dabei Ursache und Wirkung durcheinander gebracht. Um es deutlich zu sagen: weder EU-Parlament noch -Kommission oder andere EU-Institutionen sind die Ursache für Austeritätspolitik oder rassistisches Grenzregime, sondern Handlanger, Befehlsempfänger der vorherrschenden Bourgeoisien und Regierungen.

Die EU ist somit kein eigenständiger imperialistischer Akteur, es gibt in dieser Form keinen „EU-Imperialismus“, sondern nur eine Bündelung national-imperialistischer Schnittmengen beim Aufbau transnationaler bürokratischer Strukturen, welche auch nur eine gewisse politische Souveränität und Führung mit beinhalten. Daher sind auch alle Vermutungen à la „Superstaat“ grundfalsch, wie sie gerne von den „linken“ Kritikern der EU ins Feld geführt werden. Hier herrscht eben kein „Ultraimperialismus“, wie ihn Kautsky für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg erhoffte. Nach dieser Theorie sollte die Monopolisierung des Kapitals die Widersprüche und Konkurrenz friedlich überwinden können. Ebenso kam bei Kautsky dem Staat eine besondere Bedeutung zu, da die Monopole in der Krise auf den Staat angewiesen sind, konnte der Staat in der Krise die Monopole unter Kontrolle bringen und letztlich in Staatsunternehmen umwandeln. So versuchte die 2. Internationale die imperialistische Konkurrenz, Zuspitzung und eben auch den Krieg wegzutheoretisieren. Die Realität der EU heute sieht genau anders aus. Im Gegensatz dazu glauben die „linken“ EU-GegnerInnen, dass es einen EU-Imperialismus gibt, geben damit aber Kautskys revisionistischer Ultraimperialismustheorie recht, gegen die Lenin ebenso nachdrücklich wie methodisch gewettert hatte. Nur: was bei Kautsky ein frommer Wunsch war, nehmen sie als dessen negativ besetzte Verwirklichung. Am methodischen gemeinsamen Boden ändert das nichts!

Die nationale Trennung der Bourgeoisien bleibt erhalten, auch wenn diese z. B. gemeinsame Konzerne à la Airbus oder Royal Dutch Shell besitzen. In der EU gelten weiterhin die Gesetze der imperialistischen Epoche, welche auch in der Monopolbildung eben nicht die Konkurrenz abschwächen, sondern auf globale Ebene heben, verstärken und zuspitzen.

Es ist das „Besondere“ an der kapitalistischen EU, dass hier eben mehrere Tendenzen gleichzeitig wirken: Zuspitzung und Verschärfung der Konkurrenz in der imperialistischen Epoche; der Versuch politischer Vereinheitlichung/Bürokratisierung durch vorherrschende Bourgeoisien; Verschärfung von Krise und Spaltung.

In der Hinsicht unterscheidet sich die EU eben von jeder x-beliebigen Freihandelszone. Hier wurde eine „politische“ Verwaltung zur Bündelung und Umsetzung der imperialistischen Interessen aufgebaut. Die EU ist ein halbfertiges Gebilde mit dem Problem, dass es unter kapitalistischen Bedingungen eben nicht zu „Ende“ gebaut werden kann. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die EU zerbricht entlang nationaler Grenzen inklusive einer möglicher verschiedener neuer Blockbildungen in Europa oder aber die deutsch-französische Vorherrschaft wird weiter vertieft, welche in sich aber auch den möglichen Bruch zwischen Deutschland und Frankreich beinhalten könnte. Ein vereintes Europa im Interesse der Produzenten, Konsumenten und MigrantInnen fertig zu bauen, dies kann nur die ArbeiterInnenklasse, dies kann nur durch eine sozialistische Umgestaltung erfolgen, eben durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Daher ist ein Kampf gegen die kapitalistische EU und deren Bürokratie stets ein Kampf zur Zerschlagung dieser bürgerlichen (Halb-) Staatlichkeit und muss zusammengehen mit dem Kampf für eine europäische Rätedemokratie auf den Trümmern des gescheiterten kapitalistischen Projektes des Europa des Kapitals. Nur auf dieser Ebene kann die ArbeiterInnenbewegung eine Antwort auf das Scheitern der aktuellen EU geben.

Die Aktualität der Parole für die Sozialistischen Staaten von Europa 2016

Die Herleitung dieser Parole ist geknüpft an die Zuspitzung der imperialistischen Krise und was diese für Auswirkungen auf Europa hatte und zukünftig haben kann. Die kapitalistische EU zeigt den Übergangscharakter der imperialistischen Epoche deutlich auf, in der eine revolutionäre Politik gefordert ist, dies zum Ausgangspunkt ihrer Taktiken und Rückschlüsse zu machen. Von daher muss ein europäischer Klassenkampf eben diesen Kampf gegen die Ansammlung der europäischen Bourgeoisien in der EU zum Ausgangspunkt seiner Politik machen. Dies ist die Methode eines Programms von Übergangsforderungen, welches die Diktatur des Proletariats zum Ziel hat. Um nicht mehr oder weniger geht es dabei!

Die aktuelle Krise der EU verschärft diese Notwendigkeit nochmals, jetzt liegen die Alternativen klar auf den Tisch.

Bei Rosa Luxemburg hieß das: „Sozialismus oder Barbarei“. Diese Alternative stellt sich auch für die kommende Periode der EU. Verschiedene Schichten des Kapitals und besonders des Kleinbürgertums orientieren ihre Krisenlösung auf die Verwendung des Nationalismus, des Rassismus und wenn nötig des offenen Faschismus. Es ist letztlich die „Logik“ der kapitalistischen Konkurrenz, welche mit neuen ideologischen Gewändern den Angriff auf die ArbeiterInnenklasse forciert, mit Blut, Boden und Rasse die Ware Arbeitskraft in den „Sklavenstatus“ drücken und unliebsame Konkurrenz ausschalten will.

Für eine antikapitalistische und sozialistische ArbeiterInnenpolitik muss aber die Krise Ausgangspunkt ihrer Taktik sein, um eben die Ansammlung der Bourgeoisien angreifen zu können, bevor diese sich in eine neue Blockbildung zurückziehen. Für die Bourgeoisien ist dieser Rückzug kein größeres Problem an sich, für das europäische Proletariat kann aber eine historische Chance verstreichen.

„Es ist kein Zufall, daß die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa trotz aller Vorurteile gerade im Jahre 1923 angenommen wurde, als man den Ausbruch der Revolution in Deutschland erwartete, und als die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten Europas brennend wurde. Jede neue Verschärfung der europäischen, oder noch mehr, der Weltkrise, die stark genug sein wird, um die politischen Grundprobleme auf die Oberfläche zu bringen, wird unbedingt die Empfänglichkeit für die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa steigern. Darum ist es grundfalsch, daß man diese Parole, ohne sie abzulehnen, im Programm verschweigt und sie irgendwo in Reserve hält – so für alle Fälle. Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (6)

Welche „Reserven“ die aktuellen sozialistischen, selbsternannten revolutionären Strömungen haben, gilt es am Beispiel des „Brexit“ genauer nachzuvollziehen. Hier wollen noch den Zusammenhang zur sog. „Flüchtlingskrise“, dem europäischen Grenzregime darstellen. Die „offenen“ Grenzen, welche zuvorderst für Waren, Dienstleistungen und Investitionen geschaffen wurden, waren seit Herbst 2015 Beispiel für den Übergangscharakter der EU, der aktuellen Periode/Situation und die Möglichkeiten einer revolutionären Politik in diesem Zusammenhang. Nicht allein das zusammengebrochene Grenzregime der EU hätte großes Potential einer revolutionären Politik, nein, auch die soziale Frage dahinter war eine sehr gute Vorlage für eine konsequente antirassistische und sozialistische Taktik und Politik.

Wer für die Geflüchteten aufkommt, unter welchen Bedingungen diese später hier bleiben und arbeiten sollen, hätte direkt die Frage nach den europäischen Sozialstandards aufgeworfen wie auch nach der Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe und deren Bezahlung.

Wenn eine „radikale“ Linke solche Fragen nicht beantworten will bzw. sich vor der sozialen Frage scheut, dann kann das Proletariat auch nicht für den Antirassismus gewonnen werden. Dafür braucht es mehr als „humanistische“ Beweggründe. Diese bringen nämlich dem deutschen Niedriglöhner nichts, daher brauchen wir eine Klassenantwort auf eine Klassenfrage.

Als die Geflüchteten den illusorischen Charakter eines offenen Grenzregimes deutlich machten, war dies optimale Ausgangsbasis für ein Programm der ArbeiterInnenklasse für die Geflüchteten in Europa. Dann wäre es und ist es weiterhin entscheidend, die sozialen Fragen im Sinne des europäischen Proletariats zu beantworten.

Die Fragen der Löhne, des Kampfes gegen jeden neuen Niedriglohnsektor, der mit den Geflüchteten aufgemacht werden soll (in Deutschland Arbeitsplätze/Integration), für die Heranziehung der Bourgeoisie für die Kosten von Unterbringung, Förderung und Integration, für eine „Integration“ in die europäische ArbeiterInnenklasse stehen im Vordergrund. Dieser Kampf muss in Europa zentral geführt werden, gegen die verschiedenen nationalen Abschottungsstrategien, gegen „Westbalkan“-Konferenzen unter Führung Österreichs, die ungarische Politik durchsetzen und gegen eine EU, die unter Merkels Führung einen schmutzigen Deal mit der Türkei unternimmt. Während EU und EZB gar nicht mehr wissen, wie viel gedrucktes Geld in die Finanzmärkte gepumpt werden muss, aktuell der italienische Finanzsektor wohl kurz vorm Zusammenbruch steht, müsste eine europäische ArbeiterInnenbewegung eben für die Geflüchteten und deren Unterstützung und Integration die Finanzmittel dort einfordern. Hier, im europäischen Rahmen wäre auch der Kampf für die Beibehaltung der inneren offenen und Beseitigung der äußeren Grenzen, für die Bewegungsfreiheit der Geflüchteten und für ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte zu führen.

Stattdessen unternimmt z. B. der deutsche Staat alles, um neue Konkurrenz zu schaffen. Während der Hartz-IV-Arbeitslose den 1-Euro-Job bekommt, wenn die Linkspartei mitregiert, sogar 1,50 Euro pro Stunde, wird diese Zwangsarbeit für den Geflüchteten zu einem 80-Cent-Job und zu einem Abschiebegrund, sollte er diesen ablehnen oder nicht befriedigend erfüllen. Der offiziöse Reformismus blinkt derzeit auch teilweise nach rechts, etwa wenn Wagenknecht von der Linkspartei populistisch und rassistisch agiert („Wer sein Gastrecht verwirkt, muss abgeschoben werden“) oder SPD Chef Gabriel vor den diesjährigen Landtagswahlen einfällt, dass doch was für die armen Deutschen getan werden müsste.

Genau hier müsste aber eine revolutionäre Politik ansetzen, in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse für Solidarität mit den Geflüchteten eintreten, die über Spenden für „Welcome“-Initiativen hinausgeht und eine reale, praktische Politik als Klassensolidarität propagiert und einfordert. In dem Zusammenhang wäre auch der Kampf gegen das Grenzregime der britischen Insel zu führen, welches zu katastrophalen Zuständen auf der anderen Seite des Ärmelkanals führt. Dies würde dann in einer bürgerlich-demokratischen Föderation eher passieren und gäbe der ArbeiterInnenbewegung die Möglichkeit zusammen mit den Geflüchteten den aufkommenden rassistischen und nationalistischen Bewegungen des Bürgertums eine starke proletarische Antwort zu geben.

Doch anstelle eine solche Politik zu propagieren, fanden wir beim britischen Referendum auch linke Stimmen, die einen Zerfall der EU vorziehen, statt für ein sozialistisches Programm gemäß ihres Übergangscharakter einzutreten, lieber dem Populismus gegen Brüssel folgen und dabei den rechtspopulistischen Kampagnen und Akteuren noch einen „linken“ Beigeschmack verliehen haben.

Der „Brexit“ – die reaktionäre Antwort des Kapitals

Die Entscheidung für den „Brexit“ in Großbritannien ist ein Sinnbild der imperialistischen wie auch der strukturellen Krise der EU. Sicherlich ist das Ausscheiden Großbritanniens ein herber Schlag für die Ambitionen der EU, vor allem für die des deutschen und französischen Imperialismus. Es geht die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, eine der beiden europäischen Atommächte, eine der Führungsmächte, allerdings diejenige, die sich stets mit allen Mitteln gegen die politische Vertiefung bzw. Führung wehrte. Dies ist eine Niederlage für die EU, dies steht außer Zweifel. Allerdings existierte schon vorher eine strukturelle Krise, davon ist der „Brexit“ nur ein Ausdruck. Anzunehmen, dass die EU nur durch den „Brexit“ in eine Krise geraten wäre und deswegen dieser auch aus linker Sicht zu rechtfertigen ist, ist eine gefährliche Illusion.

Die führenden Teile des „Leave“-Lagers waren die enttäuschten und radikalisierten Schichten des britischen (speziell englischen) Kleinbürgertums, welche bei den Tories starken Einfluss gewonnen  und somit Ex-Premier Cameron zur Volksabstimmung gezwungen hatten. So war der neue Außenminister Johnson der Chefagitator der „Brexit“-Kampagne, welche ebenfalls von UKIP und Britain First, also den Rechtspopulisten und Rassisten. stark unterstützt bzw. getragen wurde.

Diese Kräfte versprachen den „Verlierern“ der EU, also den kleinbürgerlichen Schichten, denen die Konkurrenz sozialen Abstieg beschert hat, wie auch den großen Teilen der britischen ArbeiterInnenklasse, welche durch Immobilienkrise, Deindustrialisierung und massive Sozialkürzungen ebenso einen sozialen Abstieg erlebt hatten: „Alles wird besser, wenn Großbritannien den Exit wählt!“. Slogans à la „Make Britain great again“ wurden gepaart mit rassistischer Propaganda gegen die ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten. Hier setzte die „Brexit“ Kampagne ein klassisches Beispiel von rassistischer Spaltung mit sozialen Versprechen, wie so oft in Zeiten einer tiefen imperialistischen Krise. Versprochen wurde, dass die Gelder für die EU nun in das Gesundheitssystem NHS umgeleitet werden, wenn Großbritannien erst mal raus ist, wieder mehr Geld für die Briten da wäre. Es war auch nicht verwunderlich, dass nach Jahren und Jahrzehnten des Abstiegs bestimmter sozialer Schichten solche Versprechen gut ankamen. Schon am Tag nach dem Referendum bemühte sich Farage (UKIP) diese „Missverständnisse“ auszuräumen. Dieselben politischen Kreise, die eher für eine Zerschlagung und Privatisierung des NHS stehen, waren zumindest nach dem Referendum „ehrlicher“ als zuvor.

Nach dem Referendum stieg die Zahl der rassistisch motivierten Straftaten enorm an. Die britischen Nazis von BNP und EDL (British National Party, English Defence League), welche sich bei Britain First tummeln, träumen von Massenabschiebungen und Deportationslagern, vor allem für die osteuropäischen (speziell polnische) ArbeitsmigrantInnen. Was diese Rassisten nicht verstehen werden und wozu sie jetzt auch noch keine Macht haben, ist, dass die britische Bourgeoisie, das Großkapital ein enormes Interesse an den ArbeitsmigrantInnen hat. Eine Massenabschiebung wäre ein massives ökonomisches Problem für Großbritannien und würde auch andere besser bezahlte Arbeitsplätze gefährden.

Dementsprechend wird die eilig zusammengewürfelte neue Tory-Regierung unter Ministerpräsidentin May versuchen, diese Vorteile des EU-Binnenmarkts für das britische Kapital zu retten, wie auch klar sein dürfte, dass Einschnitte, Kürzungen und mögliche Sanktionen seitens der EU zuallererst von der ArbeiterInnenklasse Großbritanniens getragen werden müssen. Für das britische Großkapital war die EU eine ihrer letzten verbliebenen Basen, um ihre globalen Ambitionen auszuüben. Sicherlich ist das britische Finanzkapital seit den Tagen des Commonwealth global aufgestellt, besonders durch die enge Verknüpfung mit dem US-Imperialismus. Um aber 2016 die eigenen imperialistischen Ambitionen aufrechtzuerhalten, ist die EU und sind vor allem die osteuropäischen und skandinavischen Märkte von entscheidender Bedeutung. Allerdings spielt die EU auch eine zwiespältige Rolle für die weitere Entwicklung des britischen Imperialismus. Je tiefer und dichter die ökonomische Vorherrschaft des deutschen Imperialismus sich auswirkt, je stärker die deutsch-französische Vorherrschaft in der EU-Bürokratie wird, desto mehr gefährdet dies die Pfründe des britischen Imperialismus.

Es gehört auch zu den „Treppenwitzen“ der aktuellen Periode, dass ein Sieg der Rechtspopulisten und Konservativen den Bestand des Vereinigten Königreichs selbst massiv gefährdet. Die schottische Regionalregierung kündigte ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum an, mit dem Ziel dann als eigenständiges Schottland in der EU zu bleiben. Dies gilt auch für ein mögliches Referendum in Nordirland über eine „Wiedervereinigung“ der irischen Insel. Diese Auswirkungen des „Brexit“ stellen die neue Regierung wie auch den britischen Imperialismus insgesamt vor hohe Herausforderungen.

Unter diesen Bedingungen der zugespitzten inneren Krise der herrschenden Partei der britischen Bourgeoisie wie auch des britischen Imperialismus gegenüber der EU darf die ArbeiterInnenklasse Großbritanniens sich nicht zum Anhängsel dieses Konfliktes und der Krise machen. Den Riss innerhalb der britischen Bourgeoisie, zwischen dem Großkapital und dem Kleinbürgertum, welche sehr unterschiedlich die EU brauchen, davon profitieren bzw. durch die gesteigerte Konkurrenz in den Ruin getrieben werden, muss das Proletariat für eine eigenständige Politik nutzen. Für eine Politik, welche auf den europäischen Klassenkampf setzt, sich gemeinsam mit den ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten solidarisiert und für diesen gemeinsamen Kampf eintritt gegen die nationale Bourgeoisie wie auch deren europäische Kompagnons. Dafür haben die linken Unterstützer des „Brexit“ reichlich wenig getan außer ein sehr kurzfristiges, populistisches und illusorisches Verständnis vom „Brexit“ zu propagieren.

Das linke Verständnis von „Brexit“ und der EU

Teile der linken „Brexit“-Befürworter wie die SWP (Socialist Workers Party/ in Deutschland: marx21) oder die SP (Socialist Party/ in Deutschland: SAV), beide hierzulande in der Linkspartei aktiv, sahen den „Brexit“ als Auslöser einer-EU Krise, welche von linker Seite zu unterstützen wäre, wie auch der Ausgang nun als „Sieg“ oder Möglichkeit für die Linke verklärt wird.

In tiefer marxistischer Einsicht stellten diese fest, dass diese EU eine des Kapitals sei und tun fast so, als wäre dies nicht seit Beginn der EU/EG völlig klar gewesen. Besonders die deutsche SAV, welche sich mit ihrem letzten Statement (7) bemüht zu erklären, dass die Behauptungen des Reformismus (so ist das in der deutschen Linkspartei), die EU sei ein Friedensprojekt und vom Internationalismus geprägt, nicht stimmen.

Diese Erkenntnis sagt noch relativ wenig darüber aus, wie denn mit dieser kapitalistischen EU umzugehen ist.

Hierzu ein Zitat aus einem Artikel der SAV:

„Aber die Frage, wie die Linke es mit der EU hält, ist von größter Bedeutung. Um zu verhindern, dass die berechtigte Anti-EU-Stimmung auch in anderen Ländern von rechtspopulistischen und rassistischen Kräften ausgenutzt werden kann, muss die Linke eine klare und unzweideutige Haltung gegen die EU der Banken und Konzerne einnehmen. In einigen Linksparteien hat ein solcher Diskussionsprozess begonnen. So hat zum Beispiel der portugiesische Linksblock, der in der Vergangenheit eine eher unkritische Haltung zur EU einnahm, sich nun deutlich gegen die EU ausgesprochen. Eine Ablehnung der EU muss aber einhergehen mit dem Aufzeigen einer positiven Alternative jenseits von kapitalistischer EU und kapitalistischem Nationalstaat – einem Europa der Arbeiterinnen und Arbeiter, einer freiwilligen sozialistischen Föderation der europäischen Staaten“ (8).

Die Frage, wie denn eine sozialistische, antikapitalistische Linke für ein sozialistisches Europa kämpft, wird hier mit dem „Aufzeigen einer positiven Alternative“ beantwortet. Dies ist doch bei allem beschworenen Marxismus eine eher dünne Suppe, schließlich müsste doch die Frage lauten wie die kapitalistische EU zerschlagen werden kann, damit ein „Europa der ArbeiterInnen“-Realität entstehen kann. Richtigerweise wird zum Charakter der EU festgehalten:

„Wie zum Beispiel der ‚Lexit‘-Aufruf zurecht sagt, ist die EU „kein neutrales Spielfeld“. Sie ist kein Gefäß, das mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden kann. Sie ist ein Vertragswerk kapitalistischer Staaten und bringt die Interessen der herrschenden Klassen dieser Staaten zum Ausdruck. Sie ist ein Club der Bosse und Bänker (und ihrer politischen VertreterInnen) – und das war sie schon immer.“ (9)

Nun ist aber die Frage, was denn gegen diese EU getan werden muss? Genau wie der kapitalistische Nationalstaat kann sie eben auch nicht einfach reformiert werden. (Was nicht ausschließen darf für Reformen im Sinne der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen.) Nach der Methode von SAV und SWP soll zuerst die kapitalistische EU zerfallen, damit dann als Alternative das „Europa von unten“ aufgebaut werden kann. In früheren Artikeln wurden sogar bessere Kampfmöglichkeiten für die Linke Europas durch den „Brexit“ beschworen. (10)

Hier wäre es hilfreich zumindest einmal zu erwähnen, was die ArbeiterInnenklasse denn gegen diese EU machen soll, warum für ein Europa der ArbeiterInnen die Zerschlagung dieser kapitalistischen EU die Voraussetzung sein muss.

Bei aller gerechtfertigten Darstellung und Polemik gegen die EU, der Auflistung ihrer kapitalfreundlichen Politik (große Überraschung…) wird in diesem „linken“ „Brexit“-Lager eine entscheidende Kategorie stets vergessen: Die EU ist Produkt der imperialistischen Epoche, der materiellen Zwänge, denen die nationalen gesellschaftlichen Gesamtkapitale wie deren einzelne Fraktionen unterworfen sind. Sie waren und sind gezwungen, den Nationalstaat zu überwinden, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, Zollschranken niederzureißen, ja selbst das innereuropäische Grenzregime aufzulösen. Die Zwänge der imperialistischen Epoche waren stets die Bedingung dafür, dass in methodisch-analytisch glanzvolleren Zeiten der ArbeiterInnenbewegung die TheoretikerInnen von einer unmittelbar bevorstehenden nächsten gesellschaftlichen Stufe überhaupt sprechen konnten, auf der der Sozialismus bereits an die Tür klopft und „nur“ die imperialistischen Hindernisse beseitigt werden müssen, um der Entfaltung aller Produktivkräfte einen Dienst zu tun, sprich das Kapital, die besitzende Klasse zu stürzen und aus dem Europa der vorherrschenden imperialistischen Kapitale ein Europa der ArbeiterInnen zu machen. Die klassische Imperialismustheorie v. a. Lenins fasste diese Epoche als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus, als Übergangsregime zum Sozialismus. In ihr stellte sich die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ als aktuelle!

Diese Entwicklung der Produktivkräfte der imperialistischen Epoche lässt sich eben nicht zurückdrehen, diese stößt immer mehr an die Grenzen der „Nationalökonomie“, reißt deren Grenzen und Gebilde nieder, die Aufgabe des Proletariats ist es, darauf eine internationalistische Antwort zu geben, diese Entwicklung sich selbst zu Nutzen zu machen – dann kann die Parole „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ eine politische Richtschnur werden.

Diese Kategorie der Einschätzung der aktuellen Epoche und was denn die europäischen Bourgeoisien als „Krisenlösung“ parat haben und vor allem, wie eine sozialistische revolutionäre Alternative aussieht, fehlt bei den „Lexit“-Befürwortern, stattdessen verklären sie im Nachgang die aktuelle Auseinandersetzung in der Labour Party als positives Produkt des „Brexit“.

„Meine These ist: Das Zusammenbringen aller linken Kräfte (innerhalb und außerhalb von Labour) durch Corbyn und eine offensive Kampagne für Neuwahlen und für eine Labour Party mit klarem Anti-Austeritäts-Programm, könnte Corbyn zum Sieger des Machtkampfes innerhalb von Labour und zu Großbritanniens nächstem Premierminister machen. Das wäre ein Horrorszenario für den britischen und EU-Kapitalismus – und eine potenzielle Wirkung des ‚Brexit‘. Auch die Gewerkschaftsführungen könnten dafür sorgen, dass sich der Wind dreht.“ (11)

Genosse Stanicic von der SAV erklärt nun, dass der Putschversuch der Mehrheit der Parlamentsfraktion von Labour eine potenzielle Wirkung des „Brexit“ gewesen ist, während in alten Artikeln noch Corbyn kritisiert wurde, nicht entschieden das „Brexit“-Lager anzuführen. (12) Aber gute zentristische Schule ist es, die Realität den eigenen Taktiken anzugleichen. Ein Machtkampf in der Labour Party war unausweichlich, das haben die letzten Monate seit Corbyns Wahl deutlich gezeigt. Es war allein die Frage, wann und aus welchem Vorwand heraus der rechte Flügel in die Offensive geht, sei es nun der „Brexit“ oder „Trident“ (atomare Bewaffnung der U-Boot-Flotte).  Innerhalb und außerhalb ist dabei auch eine wichtige Kategorie für den CWI (Committee for a Workers‘ International): während sie in Deutschland in der Linkspartei auf den Massenaufschwung warten und bis dahin mit Posten und Einfluss in dem Jugendverband und etwas Parteivorstand zufrieden sind, reicht es in Großbritannien außerhalb der Massen der Labour Party zu agieren und in der Allianz aus einigen sozialistischen Gruppierungen und Gewerkschaften namens TUSC zu werkeln.

Anti-Euro als internationalistische Alternative zur Rettung der Demokratie?

Als neueste Initiative der EU/Euro-GegnerInnen wurde ein „’Lexit‘-Netzwerk“ organisiert, welches von führenden linken ReformistInnen und ZentristInnen gegründet wurde, u. a. aus der Linkspartei (De Masi, Höger), der Syriza-Abspaltung Laiki Enotita mit Lapavitsas, Soziologen à la Streeck und Attac-Aktivisten wie Wahl. Sie stellen fest, ähnlich der SAV und SWP, dass die EU kein „neutrales Spielfeld“ sei und deswegen die Linke vor allem eine Alternative zur Währung entwickeln müsste. Dies deckt sich mit Vorschlägen aus Griechenland mit dem „freiwilligen Grexit “ als Lösung aller Probleme, aber auch mit der EU-Gegnerschaft eines Oskar Lafontaine.

Als Aufrufüberschrift wurde das äußerst zwiespältige „Demokratie und Souveränität statt neoliberaler Integration und gescheitertem Euro-System“ gewählt.

Wie schon bei der „Grexit“-Diskussion ist diese Anti-EU-Perspektive eine sehr kurzfristige und schürt die Illusion, als sei mit der Abschaffung des Euro schon irgendein Kapitalismus geschlagen worden in Europa, werden die Erscheinungsform und die Ursache bewusst durcheinander gebracht.

Sicherlich ist die Währung ein Mittel im Kapitalismus, um überhaupt Handel, Investitionen und Subventionen zu tätigen und natürlich ist es für einen Wirtschaftsraum sinnvoll ein einheitliches Wertmaß anzugeben, das wäre auch bei jeder anderen Wirtschaftsform der Fall. Problematisch werden diese Begründungen, wenn der Währung, der äußeren Erscheinungsform alle „Sauereien“ des Kapitalismus zugeschoben werden, ohne die Grundfragen dieser Ordnung, den Besitz an Produktionsmitteln, die Verfügungsgewalt und die Profit-Aneignung erwähnt zu haben.

Dazu das „Lexit“-Netzwerk:

„Politisch zwingt der Euro seine Mitglieder in einen verschärften Wettbewerb, in dem jedes Land seine wirtschaftliche Position nur durch politische Maßnahmen gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit und zugunsten des internationalen Kapitals verbessern kann. So schafft er eine Abwärtsspirale, die Löhne, Renten, Sozialleistungen, öffentliche Beschäftigung, öffentliche Investitionen etc. nach unten drückt“ (13).

Mit einer solchen Argumentation könnten wir auch für die Abschaffung des Binnenmarktes sein, schließlich zwingt dieser auch den teilnehmenden Unternehmen/Volkswirtschaften den gemeinsamen Wettbewerb auf. Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Bevölkerungsmehrheit und dem internationalen Kapital (ebenso wie die Rolle des nationalen Kapitals), und dass „erst“ der Euro die Länder (14) zwingt Politik für das Kapital zu machen. Welch mangelhaftes Verständnis hier vom globalen Kapitalismus dargestellt wird ist schon erstaunlich. Im Umkehrschluss würde dies die schlimmste Form von reformistischer Verkürzung mit sich bringen, eine nationalbornierte Sicht auf die Dinge wie die Globalisierung sei Schuld an der steigenden Konkurrenz und Ausbeutung und deswegen verweigern wir uns ihr und preisen den Nationalstaat bzw. den Rückzug auf dessen Währung als Fortschritt.

Wir können an dieser Stelle nicht alle Einzelheiten der Imperialismustheorie darstellen und gehen sogar davon aus, dass einige der UnterzeichnerInnen diese sogar kennen. Aber die Entwicklung des Kapitalismus führt dazu, dass die Bourgeoisien international gegeneinander in Konkurrenz treten, diese die „Weltarena“ erobern wollen und sich „Kapitalblöcke“ bilden, die sehr wohl mehr „Macht“ konzentrieren als manch Land mit seiner Regierung zusammen. Lenin, sogar schon Hilferding (der den Unterzeichnern sicherlich näher stehen würde), beschrieben die Konzentration und Monopolisierung als Voraussetzung für die Entstehung der Kartelle und Trusts (Hilferding) und als international agierendes Finanzkapital (Lenin), welches eben zur Aufgabe hat, die Interessen des Kapitals gegen die „Bevölkerungsmehrheit“ durchzusetzen und alle Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse anzugreifen – das ist Kapitalismus auf höchster Stufe, diese imperialistische Epoche prägt derzeit alle gesellschaftlichen Beziehungen.

In dieser Epoche ist auch herzlich egal, in welcher Recheneinheit das Kapital agiert. Ein EU-Austritt bzw. Anti-Euro-Kampagne ändern gar nix am Imperialismus und den Interessen des Kapitals wie auch dessen Auswirkungen auf Staaten und Bevölkerungsmehrheiten.

Während dieses Netzwerk (15) also den rechtspopulistischen Anti-EU-Kampagnen eine Alternative entgegenstellen will, versucht es „halbherzig“ eines von deren Versprechen für sich zu reklamieren, nämlich die Souveränität. Es ist die alte Mär, speziell der nationalkonservativen „Kapitalismuskritik“, dass die Souveränität des Nationalstaats vor der „unsichtbaren“ Macht der Märkte zu schützen sei. Hier wurde immer Tür und Tor für jede ach so verkürzte und antisemitische Kapitalismuskritik geöffnet, dies wollen wir dem Netzwerk nicht unterstellen.

Was ist denn heute Souveränität? Ist der Staatsbürger souverän, wie es manche Verfassung oder Grundgesetz ausmalen – sind die Nationalstaaten souverän, wie es die nationalistischen Flügel gerne einfordern, für wen gilt die Souveränität denn eigentlich?

Souverän im Sinne von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, dies gilt im bürgerlichen Regime vor allem für die herrschende Klasse (16), für den Nationalstaat bzw. dessen Institutionen sollte dies vor allem gegenüber dem Feudalsystem gelten, gegenüber dem Kapital ist dies nicht möglich, ist doch der Nationalstaat ein „Produkt“ des Kapitals. Für welche Bestandteile eine eigenständige, souveräne Politik wünschenswert wäre, wird auch erwähnt:

„Letztlich reflektiert die Idee eines demokratischen, föderalen europäischen Bundesstaates auch nicht die ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen den Mitgliedern. Gerade vor diesem Hintergrund wäre eine starke europäische Zivilgesellschaft erforderlich. Aber die gibt es nicht. Und sie kann auch nicht mal eben von oben eingesetzt werden“ (17).

Jetzt sind bei den Unterzeichnern viele dabei, die vielleicht beim Begriff „Zivilgesellschaft“ an die ArbeiterInnenklasse Europas denken mögen, es ist aber ebenso bezeichnend diese nicht zu benennen und stattdessen das „Trojanische Pferd“ der „neutralen“ Klassenzusammensetzung zu bringen. Sehr sicher wäre es eben die Aufgabe dieser europäischen Linksparteien, Gewerkschaften und vielleicht auch manch Akademikers und/oder NGO, eben etwas für eine „starke europäische Zivilgesellschaft“ zu tun und sei es auch „nur“ für die lohnabhängigen Teile davon, ein Programm gegen ein Europa des Kapitals zu entwickeln. Stattdessen wird konstatiert, dass es dort Schwächen gibt. Man spricht erst gar nicht von den möglicherweise vorhandenen gemeinsamen Interessen der lohnabhängigen Beschäftigten und Mittelschichten in Europa bzw. davon, von was für einer Politik diese wirklich profitieren würden. Anstelle dessen wird die Gemeinschaftswährung als Haupthindernis wahrgenommen!

Dieser methodische und programmatische Mangel lässt sich am griechischen Beispiel wahrscheinlich mit dem „Horizont“ erklären, den die Verfasser zur Änderung der Politik in der EU gemein haben:

„Wie die Ereignisse in Griechenland im Sommer 2015 deutlich gezeigt haben, ist die Governance-Struktur der Eurozone nicht offen für politische Maßnahmen, die dem ausdrücklichen Mehrheitswillen der Menschen folgen, sofern dieser der neoliberalen Agenda zuwider läuft. Als die Syriza-Regierung, gestärkt durch das OXI-Referendum, versuchte ihr Programm umzusetzen, hat die EZB ihre finanziellen Waffen genutzt, um die Regierung zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines weiteren Memorandums zu zwingen.“ (18)

Sieh mal einer an, die EZB verfügt über finanzielle Waffen und die setzt sie sogar gegen einen Nationalstaat ein, so eine Sauerei aber auch – das eigentlich Beschämende daran ist, dass die Autoren so tun, als wäre das erst 2015 passiert. Das Technokratenregime von Papademos, der 2011 die PASOK-Alleinregierung (19) ersetzte, oder auch die Regierung Monti in Italien, die den eher unbeliebten Berlusconi ablöste, dies war bereits die geballte Macht der EU-Bürokratie (inkl. EZB) und vor allem des dahinter stehenden deutschen und französischen Imperialismus.

Wenn wir uns die Begrifflichkeiten „Governance“-Struktur und Mehrheitswillen anschauen, merken wir, dass hier Grundlagen eines sozialistischen, gar marxistischen Staatsverständnisses weitgehend verschüttet sind.

Anhand des griechischen Beispiels werden wir dahingehend auch uns die Taktiken und Methoden aus der kommunistischen Bewegung vor Augen führen, welche diese gegenüber und für (bürgerliche) ArbeiterInnenregierungen entwickelt hat, eben dass eine sozialistische, klassenkämpferische Bewegung auch für eine „Governance“-Struktur eintritt, in der eine „Offenheit“ erkämpft werden kann, nämlich mit dem Ziel dem Willen der Mehrheit, der lohnabhängigen Klasse den einzig adäquaten Ausdruck zu verleihen: der Diktatur des Proletariats!

Welches Verhältnis zu den Führungen der Klasse?

Revolutionäre Politik zeichnet sich nicht durch abstrakte Worthülsen aus wie der Feststellung, welche Partei/Regierung oder Gewerkschaftsführung denn reformistisch ist bzw. eh nur die ArbeiterInnenbewegung verraten wird, sondern dadurch, dass Taktiken und Forderungen gegenüber diesen Formationen verwendet werden, um letztlich deren Einfluss auf die Klasse brechen zu können, um zu o. a. Ziel der Klassenherrschaft zu gelangen.

Die Notwendigkeit eben diese anzuwenden wird besonders in der kapitalistischen Krise im imperialistischen Zeitalter deutlich.

Als Syriza sich anschickte nicht nur griechische Wahlen zu gewinnen, sondern auch die Regierung zu stellen, gab es auf reformistisch-zentristischer Seite schon Gewissheit darüber, dass damit dem europäischen Austeritätsregime eine entscheidende Niederlage zugefügt wäre, wie auf der zentristisch-passiv-sektiererischen Seite schon klar schien, dass Syriza eh nur verrät und man sich gar nicht zu ihr verhalten muss.

Beide Seiten sollten durch die Realität gelernt haben, dass es eben nicht so einfach reicht, nur die vorgefertigten Gewissheiten zu haben, sondern vor allem eine taktisch-methodische Herangehensweise nötig ist.

Syriza war vor allem eine Partei gegen die Spardiktate und gegen das Versagen der etablierten Parteien der griechischen ArbeiterInnenbewegung. Dadurch konnte sie sich zur führenden Kraft der ArbeiterInnenklasse und der lohnabhängigen Mittelschichten aufschwingen und deswegen glaubten nicht nur viele in Griechenland, dass Syriza eine Offensive gegen die EU und die deutsch-französische Vorherrschaft angehen könne. Sinnbildlich dafür ein Zitat aus einem Interview von Tsipras und dem Hobbylinken und Philosophen Zizek:

„Was wir brauchen, ist ein europäischer Frühling des Widerstandes – vergleichbar dem arabischen Frühling, um die Verhältnisse zu verändern. Wenn Syriza gewinnt, dann wird Europa nicht mehr so sein, wie es zuvor war.“ (20)

Klar ist, dass jegliches Handeln der Syriza/ANEL-Regierung nicht dazu geeignet war, um nur einen Hauch von Arabischem Frühling aufkommen zu lassen. Stattdessen hofften Tsipras und Varoufakis die europäischen Regierungen, speziell Frankreich und Italien, für eine lockerere Finanzpolitik zu gewinnen, ihnen etwas Keynesianismus, bzw. „Marshallplan“-Politik abzuringen. Sinnbildlich für das Resultat dieser Bemühungen bleiben die Verhandlungen mit Minister Schäuble, welcher deutlich die Interessen des deutschen Imperialismus vertrat.

Es war das Betteln einer reformistischen Partei mit Massenunterstützung gegenüber dem deutschen Imperialismus und der EU-Bürokratie – ein aussichtsloses Unterfangen, vor allem wenn es nicht mit europäischen Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse gegen Spar- und Troikadiktate verbunden ist und die Regierung nicht über den bürgerlich-nationalkapitalistischen Rahmen hinaus agieren will. Was heißt das für eine revolutionäre Politik? Sollte die griechische ArbeiterInnenklasse nicht Syriza wählen, sollte sie keine Forderungen an diese stellen, soll der Charakter einer Partei zur Passivität auch der selbsternannten RevolutionärInnen führen, wie es ihnen die griechische stalinistisch-nationalreformistische KKE so erbarmungslos vorexerzierte?

Für KommunistInnen wurde darauf schon früh in der Geschichte der Komintern eine Antwort gegeben, nämlich wie diese sich zu Arbeiterregierungen stellen soll, warum und wieso es entscheidend ist, diesen Parteien und Regierungen gegenüber eine richtige Taktik zu verfolgen, auch und gerade wenn die kommunistischen Akteure eben nicht Teil einer solchen Regierung sind. Die erste Syriza/ANEL-Regierung war eine Koalition aus einer reformistischen ArbeiterInnenpartei mit einer offen bürgerlichen-rechtspopulistischen Kraft in einer Situation, wo die ArbeiterInnenbewegung entweder weiter auf dem Weg zur Revolution marschieren musste oder eine Niederlage erleiden musste, die einer Konterrevolution gleichkommt. Dies war keine „normale“ Koalition aus einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei mit offen bürgerlichen Kräften, sondern eine Volksfrontregierung. Diese Form der Regierung ist eben ein möglicher Ausdruck der tiefen Krise des bürgerlichen Systems. Wenn diese Parteien eingebunden sind in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien, hat die Bourgeoisie stets eine Option diese Regierung zu kontrollieren oder wie im Falle von ANEL dieser Partei das Verteidigungsministerium zu verantworten. Dies lässt die Kontrolle beim Militär, welches in Griechenland schon einmal erfolgreich putschte.

Für eine Taktik den reformistischen und bürgerlichen ArbeiterInnenparteien gegenüber reicht es aber nicht auf deren Rückständigkeit zu verweisen, sondern vielmehr deren Gefolgschaft eine Taktik zum Bruch mit den bürgerlichen Führern aufzuzeigen und diese in die Klasse zu tragen.

Was ist also nötig zu tun gegenüber jeder möglicherweise noch kommenden Regierung, die verspricht sich für die Interessen der „kleinen Leute“ einzusetzen, wie z. B. auch die Regierung Hollande mal startete, warum und wieso brauchen wir Forderungen um überhaupt eingreifen zu können?

Trotzki hatte eine solche Taktik mal sehr anschaulich am Beispiel der britischen Labour-Minderheitsregierung 1923 beschrieben:

„Jetzt fragen wir: Wie wird es weitergehen? Wie wird sich die ‚Arbeiter’regierung in Zukunft verhalten? Wenn sie auch nicht die Mehrheit im Parlament hat, heißt das doch keineswegs, daß ihre Lage aussichtslos wäre. Es gibt einen Ausweg, man muß nur entschlossen sein, ihn zu finden. Stellen sie sich einmal vor, MacDonald würde sagen: Zu unserer Schande thront bisher über der Demokratie eine gewisse allerdurchlauchigste Familie, die wir nicht brauchen. Und wenn er dann hinzufügte, daß alle Titelerben der Räuber und Blutsauger im House of Lords und in anderen staatlichen Institutionen sitzen und daß man einen Besen nehmen solle, um sie hinauszufegen, würden dann nicht die Herzen der englischen Arbeiter vor Freude höher schlagen? Und wenn er dann noch hinzufügte: Nehmen wir ihnen das Land, die Gruben, die Eisenbahnen; nationalisieren wir die Banken – und in den englischen Banken kann man ja mehr finden als bei uns. Wenn er sagte: Mit den Mitteln, die durch Abschaffung der Monarchie und des House of Lords frei werden, wollen wir Arbeiterwohnungen bauen. Damit würde er gewaltigen Enthusiasmus hervorrufen. In England gehören drei Viertel der Bevölkerung zur Arbeiterklasse. Es ist ein proletarisches Land. Da gibt es zwar eine Handvoll landbesitzender Lords und Kapitalisten, die mächtig und sehr reich sind, aber das ist nur eine Handvoll. Wenn MacDonald in das Parlament ginge, sein Programm vorlegte, mit der Faust ein wenig auf den Tisch hiebe und sagte: ‚Entweder ihr nehmt das Programm an, oder ich jage euch auseinander‘ (er sollte das höflicher sagen, als ich es hier tue), wenn er das machte, dann würde man England in zwei Wochen nicht wiedererkennen. MacDonald bekäme bei den Wahlen eine erdrückende Mehrheit. Die englische Arbeiterklasse würde die Schale des Konservatismus, mit der man sie ummantelt hat, sprengen, sie würde ihren sklavischen Respekt vor den Gesetzen der Bourgeoisie, vor den besitzenden Klassen, vor der Kirche und vor der Monarchie verlieren.“ (21)

Diese Klarheit in der Taktik wie auch der Perspektive gegenüber den bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und deren Führungen ist heute spärlich gesät. Von der Gruppe ArbeiterInnenmacht haben wir diese Taktik gegenüber Syriza und gemeinsam mit der NaO Berlin auch gegenüber der griechischen Regierung angewendet. Dies bleibt auch Orientierung für jede künftige Regierung, die, gestützt auf ArbeiterInnenparteien unterschiedlichster Couleur, in den nächsten Jahren antreten könnte.

Gerade der Mangel an revolutionären Massenparteien bewirkt nämlich auch die Langlebigkeit der reformistischen Kräfte bzw. deren Wiederauferstehung in der aktuellen scharfen Krise der EU. Deswegen ist die Taktik der ArbeiterInnenregierung – wenn auch nicht identisch damit – nur im Zusammenhang mit der Taktik gegenüber reformistischen und bürgerlichen Arbeiterparteien zu verstehen, um dadurch die wiederauferstandenen reformistischen und kleinbürgerlichen Illusionen in der ArbeiterInnenklasse herauszufordern.

Daher ist es entscheidend den Zusammenhang dieser angeführten Taktiken in der imperialistischen Epoche zu sehen. Gerade weil heutzutage keine Komintern existiert, es keine kommunistische Massenparteien in Europa gibt, müssen wir intensiver die Taktiken und Losungen auf den Reformismus und die bürgerlichen ArbeiterInnenparteien beziehen bzw. in die anstehende Periode hinüberretten. Dies gilt ebenso für neue politische Formationen, die im Verlauf der Krise aufkommen werden, wie z. B. Syriza in Griechenland, aber auch Podemos im spanischen Staat oder die HDP in der Türkei – für eine revolutionäre Politik brauchen wir Taktiken gegenüber diesen Parteien.

Wie die Komintern eine solche Taktik diskutierte und was dort unter ArbeiterInnenregierung verstanden wurde, veranschaulicht dieses Zitat:

„Die vorrangigen Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen die Bewaffnung des Proletariats, die Entwaffnung der bürgerlichen und konterrevolutionären Organisationen, die Einführung der Arbeiterkontrolle über die Produktion, die Umverteilung der überwiegenden Steuerlast auf die Reichen und die gewaltsame Zerschlagung des Widerstands der konterrevolutionären Bourgeoisie sein. Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie sich aus dem Kampf der Massen heraus erhebt und von kampffähigen Arbeiterorganen gestützt wird, die von den am meisten unterdrückten Schichten der Arbeiterklasse geschaffen worden sind.“ (22)

Wie auch folgendes:

„In der gegebenen Niedergangsperiode des Kapitalismus, wo die wichtigste Aufgabe darin besteht, die Mehrheit des Proletariats für die proletarische Revolution zu gewinnen, können aber auch diese Regierungen objektiv dazu beitragen, den Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gewalt zu beschleunigen.

Die Kommunisten sind bereit, auch mit jenen Arbeitern zu marschieren, die die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats noch nicht erkannt haben, mit sozialdemokratischen, christlichen, parteilosen, syndikalistischen usw. Die Kommunisten sind also auch bereit, unter gewissen Garantien eine nichtkommunistische Arbeiterregierung zu unterstützen. Die Kommunisten erklären aber der Arbeiterschaft unter allen Umständen offen, dass nur die Diktatur des Proletariats der Arbeiterklasse die wirkliche Befreiung sichert.“ (23)

Dies sollte, bei aller Berücksichtigung des aktuellen Klassenkampfes in den betreffenden Staaten, eine Richtschnur für den Umgang mit, aber auch die Taktik und die Aufstellung von Forderungen eben an diese/n Parteien und Regierungen ergeben.

Die Langlebigkeit des Reformismus und Sozialchauvinismus

Die Parteien der 2. Internationale (ja, die gibt’s noch), die Parteien der Sozialdemokratie zeigen eine äußerst lange Haltbarkeit, ihre Funktion als bürgerliche ArbeiterInnenpartei erlaubt es ihnen. Nach dem 1. Weltkrieg mussten die KommunistInnen der Komintern manch zu optimistischen Mitstreiter bremsen, welcher schon den Abgesang auf diese Parteien einübte und Taktiken, geschweige denn zeitweilige Bündnisse mit ihnen als Anpassung und vor allem als unnötig erachtete. Diese Parteien konnten sich in der ArbeiterInnenklasse erneuern, d. h. ihre politische und soziale Verankerung wiederaufbauen, sobald das nationale Kapital wieder „restauriert“ war und wiederum einen bürgerlichen Agenten (so deutlich wurde damals ausgesprochen) in der ArbeiterInnenklasse brauchen konnte.

Auch heute sind diese Parteien in ihrer verschiedenen Couleur, mal linksreformistisch, mal offen sozialchauvinistisch eine herrschende Kraft in der europäischen ArbeiterInnenklasse. Mal reicht es zur Regierungsbeteiligung, speziell in den „alten“ EG-Staaten, mal gibt es ein neues reformistisches Projekt mit altem Programm, meistens werden auch die etablierten Gewerkschaften mitgeführt bzw. wird gemeinsam mit der Gewerkschaftsbürokratie die Klasse politisch irregeführt und für die eigenen Interessen geopfert.

Daher ist dies auch ein erster Ansatzpunkt zur Entwicklung einer revolutionären Theorie und Praxis für dieses Europa der Krise, des aufbrechenden Nationalismus und Rassismus – wie können wir diese Kräfte herausfordern und letztlich ihre Hegemonie über die Lohnabhängigen brechen, wie sieht der Gegenentwurf zum kapitalistischen Europa aus?

Die bürgerlichen Arbeiterparteien, eine SPD aus Deutschland, eine PS aus Frankreich oder eine Labour Party aus Großbritannien bspw. waren Mitverwalter und Mitorganisatoren der Wirtschaftskrise. Mit ihrer Politik trugen sie entscheidend dazu bei, dass es kaum europäische Aktionen der Gewerkschaften gegen Krise und Sparpakete gab, schlossen sie erneut den Burgfrieden mit dem nationalen Kapital. Aus diesen Reihen, kombiniert mit ehemaligen stalinistisch-reformistischen Kräften, war auch der neue Stern Syriza in Griechenland geboren, was aufzeigte, dass gerade in der Krise auch reformistische Rezepte wieder greifen können. Hier kamen nochmals alle reformistischen Illusionen in die EU zum Tragen. SPD und PS hielten treu ihrem Kapital die Stange gegen die griechische ArbeiterInnenklasse.

Plötzlich sollte Kapitalismus wieder für „die Menschen“ da sein, Finanzminister Varoufakis wollte die EU-Volkswirtschaft mittels Investitionen retten, etwas „New Deal“-Politik für Europa schwebte den griechischen Vertretern vor, damit wollten sie eine EU gestalten, die auch gerecht gehen könnte, wenn es politisch nur gewollt sei.

Genau darin lag dann aber auch die Täuschung der griechischen ArbeiterInnenklasse wie auch aller in Europa, welche zumindest den formalen Widerstand der Syriza/ANEL-Regierung gegen das Austeritätsregime der EU unterstützen wollten.

Es ist in der imperialistischen Krise eben keine Frage des „guten Willens“ oder einer gerechten Politik, sondern der Angriff durch das Kapital dessen einzige Option. Dies nicht verstanden zu haben bzw. immer wieder an die Reformierbarkeit des Systems zu appellieren, zeigt den trügerischen, verräterischen Charakter der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien, des Reformismus auf. Wobei der klassische Reformismus immer propagierte, über den parlamentarischen Weg eine Art von Sozialismus einführen zu wollen. Die meisten heutigen bürgerliche ArbeiterInnenparteien nutzen dies höchstens als Folklore zum 1. Mai, bleiben aber auch in ihren vorgeblichen Zielen klar auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie, in der Varoufakis jetzt auch etwas angeblich Höheres sieht als eine Klassenherrschaft. Nach dem August 1914 überschritten alle sozialdemokratischen Parteien jedoch den Rubikon der Konterrevolution, aus dem opportunistischen Possibilismus wurde konterrevolutionärer Sozialimperialismus – unabhängig von mehr oder weniger rhetorisch-„sozialistischen“ Versatzstücken in ihren Programmen und Reden!

Eine mögliche Neuauflage reformistischer Regierungen muss von revolutionärer Taktik stets auf ihren „wahren“ Gehalt geprüft werden, also eine Syriza- oder mögliche Podemos-Regierung in Spanien – dazu sind die Taktiken der ArbeiterInnenregierung wie die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa die wesentlichen Voraussetzungen für eine revolutionäre Politik 2016, in dieser Periode der sich verschärfenden imperialistischen Krise.

Welches Programm gegen die kapitalistische EU?

Wir werden uns jetzt der Frage zuwenden, wie denn ganz praktisch ein Abwehrkampf gegen eine zunehmend nationalistische, rassistische und sowieso kapitalistische EU, für ein „Europa von unten“ aufgenommen werden soll. Schließlich müssen alle Losungen mit „Leben“ gefüllt werden, zu teilweise leeren Abstraktionen neigt die radikale Linke ebenso wie auch auf der anderen Seite dieser Medaille reines Abnicken der gewerkschaftlichen und meist reformistischen Forderungen von einem Großteil der „Linken“ praktiziert wird, ohne diesen Horizont nur ansatzweise zu überschreiten.

Wie schon erwähnt, müssen sich auch sozialpartnerschaftlich orientierte Gewerkschaften, wahrscheinlich öfter als ihnen lieb ist, mit der Spaltung der EU nach Löhnen, Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsmigrationsrechten und allgemein mit den Standards der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft beschäftigen. Meistens führte dies zu Regelungen, die der Sozialpartnerschaft entsprachen, nämlich der „Schutz“ der „einheimischen“ ArbeiterInnenklasse stand im Vordergrund, wie z. B. bei den Bestimmungen für osteuropäische ArbeiterInnen und deren Einschränkung der sog. „Freizügigkeit“, welche natürlich von der Kapitalseite ausgenutzt wird, um die Löhne und Bestimmungen auf das niedrigste Niveau in Europa zu drücken.

Das Gleiche gilt auch für alle Arten von Mindestlöhnen und Tariflöhnen, nach denen dann ArbeitsmigrantInnen in der EU bezahlt werden, wobei dort die meisten Bestimmungen eigentlich dazu dienten, um diese zu unterlaufen, geltendes Recht bzw. gültige Vorschriften zu brechen und somit die europäische ArbeiterInnenklasse in einem ruinösen Wettlauf nach unten zu spalten. In dem Zusammenhang ist auch das „Troika“-Regime gegenüber Griechenland zu verstehen. Hier wurden möglicherweise alle Schandtaten gegen die Rechte und Errungenschaften der griechischen ArbeiterInnenklasse durchgezogen, sicherlich eine „Blaupause“ für die Wünsche der europäischen Bourgeoisien.

Dies und noch manches mehr dürfte auch den Gewerkschaftsführungen, den Apparaten der „Mitbestimmung“ aufgefallen sein. Allein sie taten äußerst wenig, um sich gegen diesen „Wettlauf“ nach unten zu wehren bzw. auch nur die europäische ArbeiterInnenklasse in eine „Verteidigungsposition“ zu bringen.

Es ist bezeichnend, dass während der Rezession und der folgenden Schuldenkrise die europäischen Gewerkschaften bemerkenswert still blieben. Allein der Generalstreik im November 2011 auf der iberischen Halbinsel (14N) führte zu Solidaritätsaktionen der anderen europäischen Gewerkschaften. Dies war der einzige Aktionstag, der diesen Namen zumindest ansatzweise verdient hatte. Wir können hier nicht alle Gründe für das „Warum“ ausbreiten, jedoch sollte mitgenommen werden, dass europäische Aktionen ein wichtiger Schritt für die ArbeiterInnenklasse Europas darstellen, nicht allein um ihrer selbst willen, sondern auch zur Herausbildung einer europäischen Solidarität und eines europäischen Klassenbewusstseins.

Dies ist kaum von den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführungen, speziell in den imperialistischen Staaten, „von sich heraus“ zu erwarten. Dies muss aber eine taktische Notwendigkeit gegenüber diesem „Reformismus“ in allen seinen Schattierungen für die „revolutionäre“ Linke bedeuten. Die etablierten Führungen, sowohl in den Parteien wie den Gewerkschaften, der aktuellen ArbeiterInnenbewegung werden und „können“ eine Spaltung Europas mitgestalten, solange sich ihre bürokratischen Standortinteressen mit einer nationalen imperialistischen „Alternative“ zur EU decken könnten oder, was historisch der Fall war, bis sie an dieser Entwicklung zugrunde gehen und das Kapital gegen sie vorgeht. Diese Führungen haben bislang aufgrund ihres nationalen Standortbewusstseins, aber vor allem auch in der Verschärfung der Krise, nicht „europäisch“, nicht als kampffähige auf diesem Kontinent agiert. Von gewerkschaftlicher Seite, von den Aktionen der Klasse her blieben es nationale Abwehrkämpfe, welche allerdings alle gegen das „Diktat“ der Märkte und besonders gegen die Sparpolitik der EU letztlich verloren haben.

Seien es die über 20 Generalstreiks in Griechenland, welche auch 2016 gegen die zweite Syriza/ANEL-Regierung in eine Runde gehen, seien es die aktuellen Massenkämpfe in Frankreich gegen das El Khomri-Gesetz oder die Generalstreiks in Spanien (wie auch die Indignados-Bewegung), in Belgien gegen eine neoliberale Regierung oder Italien, wo der „Sozialdemokrat“ Renzi die Politik der EU-Marionette Monti fortsetzt – es gab viele große Proteste und Bewegungen gegen die Spardiktatur in Europa. Aber nirgends fanden sie aufgrund der sozialpartnerschaftlichen Führung den „Weg“ nach Europa – keine Abwehrkämpfe wurden europäisch vereinheitlicht. Der europäische Generalstreik ist ein unbekanntes Wesen in der ArbeiterInnenbewegung wie auch die Idee, auf diese Angriffe, auf dieses Diktat des Kapitals in Europa eine programmatische, eine politische Antwort zu geben.

Worum geht es?

Ganze Volkswirtschaften werden in ihrer Profitabilität miteinander in Konkurrenz gesetzt: wie viele Jahre kann die Ware Arbeitskraft welchen Mehrwert fürs Kapital erschaffen, mit welchen Steuern ist zu rechnen, welche sonstigen möglichen Reproduktionserfordernisse müsste das Kapital bezahlen und vor allem, wo geht’s denn billiger – dieses Diktat wirkt seit 2001 und verstärkte sich durch die Krise seit 2008. Derzeit werden in Europa viele massive Angriffe auf Arbeitsrechte, Beschäftigungsverhältnisse und Löhne gefahren, wie gleichzeitig neue „flexible Arbeitsformen“ eingeführt und ausprobiert werden, wie die sog. „Zero hour contracts“. (24)

Während das Kapital in Europa auch die aktuellen Handelsabkommen CETA (mit Kanada) und das bekanntere TTIP (mit den USA) für eine weitere „Deregulierung“ und Entrechtung des Arbeitsmarktes nutzen wird, hat die ArbeiterInnenbewegung auf der anderen Seite noch nicht mal eine Vorstellung darüber, was denn ein gemeinsames Programm bzw. länderübergreifende Forderungen sein könnten.

Wie hoch soll denn  z. B. ein europäisches Renteneintrittsalter, wie lang die europäische Wochenarbeitszeit, ein europäischer Mindesturlaub, wie hoch ein europäischer Mindestlohn, was für Schutz – und Arbeitsrechte gelten für die europäischen ArbeiterInnen, was für Ansprüche sollen Arbeitslose und RenterInnen gegenüber den Sozialkassen haben, welche Rechte und Übernahmebestimmungen gelten für die Auszubildenden, welche Mindeststandards gelten für Arbeitsverträge, Versicherungsbeiträge und Höchstarbeitszeit und zu welchen Bedingungen sollen eigentlich die Geflüchteten in Europa arbeiten und leben dürfen? Auf all das hat die ArbeiterInnenbewegung keine Antworten. Stattdessen werden nationale Abwehrkämpfe verloren und danach die Sauereien des Kapitals mitverhandelt bzw. mitgetragen. Dies ist Folge der kurzsichtigen, sozialpartnerschaftlichen Politik der Führungen. Dem muss ein europäischer Internationalismus, ein europäisches Abwehrprogramm gegen die Krise und Konkurrenz entgegengestellt werden. Das ist der Schlüssel für einen europäischen Klassenkampf.

Und es ist letztlich die Aufgabe aller sich als SozialistInnen, AntikapitalistInnen oder gar RevolutionärInnen bezeichnenden Akteure, dafür in den Gewerkschaften einzutreten und dies von den bürgerlichen und reformistischen ArbeiterInnenparteien zu fordern.

Dann wäre es sicherlich eher möglich, eine europäische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu fordern wie auch einheitliche Standards für die sozialen Rechte der Klasse festzulegen. Doch dafür brauchen wir die Perspektive eines sozialistischen Europa, in dem die Rechte und Forderungen der ArbeiterInnenklasse zur Geltung kommen.

Hier kommt dann der Charakter und die Methode des Übergangsprogramm zum Tragen. So ist es möglich aus den Abwehrkämpfen gegen die Krise und Sparpolitik eine „Brücke“ zur „Ermächtigung“ der ArbeiterInnenklasse zu schlagen, indem z. B. ein europäischer Abwehrkampf mit Forderungen für die europäische Klasse geführt wird, welcher sie dann in die Lage versetzen kann, gegen den gemeinsamen Feind, gebündelt in dieser EU, vorzugehen. Hier und jetzt besteht die Möglichkeit, den „versammelten“ europäischen Bourgeoisien einen mächtigen, vielleicht auch entscheidenden Schlag zu versetzen, des Erwachens eines europäischen Klassenbewusstseins, welches dann das Proletariat Europas vereinigen kann mit den Geflüchteten, um sich dem aufkeimenden Rassismus und Nationalismus entgegenzustellen und dadurch der ältesten Forderung des kommunistischen Manifests „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ zumindest kontinental Leben einzuhauchen.

Schließen wollen wir hier zwei historische Zitate anführen, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben, wie sie auch gleichzeitig die Perspektive für den programmatischen und politischen Kampf in dieser Periode weisen können:

„Die IV. Internationale verwirft nicht die Forderungen des alten ‚Minimal‘-Programms, soweit sie noch einige Lebenskraft bewahrt haben. Sie verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer richtigen, aktuellen, d. h. revolutionären Perspektive. In dem Maße wie die alten partiellen ‚Minimal‘-Forderungen der Massen auf die zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus stoßen – und das geschieht auf Schritt und Tritt – stellt die IV. Internationale ein System von Übergangsforderungen auf, dessen Sinn es ist, sich immer offener und entschlossener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst zu richten. Das alte ‚Minimalprogramm‘ wird ständig überholt vom Übergangsprogramm, dessen Aufgabe darin besteht, die Massen systematisch für die proletarische Revolution zu mobilisieren.“ (25)

„Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (26)

In den Fragen des europäischen Klassenkampfes, wie wir welche Forderungen aufstellen, ist die heutige „Linke“ und ArbeiterInnenbewegung scheinbar weit weg von der Klarheit der Programmatik, die historische RevolutionärInnen entwickelt haben. Allerdings gilt es auch heute – es darf keine „Reserve“ geben! Es geht nicht allein darum, ob „eine andere Welt möglich ist“ oder auch ein „soziales Europa“, es geht darum mit welchen Mitteln, Forderungen und Methoden wir für einen europäischen Klassenkampf heute eintreten, wie wir revolutionäre Parteien der Klasse aufbauen, welche real in der Lage sind die ArbeiterInnenklasse in den Kampf gegen Imperialismus und Krise zu führen.

Dann kann es eine andere Perspektive für Europa geben, kein Hinabsinken in Rassismus, Nationalismus und Faschismus, wie es diese Teile des Kapitals und der bürgerlichen Marionetten schon parat haben, sondern einen geeinten europäischen Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung, für einen Bolschewismus im 21. Jahrhundert.

Endnoten

(1) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 92

(2) Leo Trotzki: Das Friedensprogramm 1915/16/17, Kapitel 4: Vereinigte Staaten von Europa – zuerst veröffentlicht 1915/16 als Artikelserie in: „Nasche Slowo“ www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1915/xx/frieden.htm  

(3) Leo Trotzki: Der europäische Kapitalismus in der Sackgasse – in: Europa und Amerika, Berlin, 1972 (Verlag Neuer Kurs), S. 77

(4) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 94

(5) Leo Trotzki: 1915 – Europa im Krieg/ Hauptfragen und erste Ergebnisse des Krieges, in: Nasche Slowo Nr. 130 und 135, Essen, 1998, S. 237/238, Arbeiterpresse Verlag

(6) Leo Trotzki: Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977, S. 79.

(7) https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(8) Ebda., am Ende

(9) Siehe https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(10) Dazu mehr im Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni211/brexit.htm

(11) Siehe Artikel unter 8

(12) www.sozialismus.info/2016/06/brexit-ist-ein-grund-zur-freude/

(13) Siehe  http://lexit-network.org/aufruf

(14) Wahrscheinlich zufällig existierende nationale Einheiten….

(15) Sind vor allem Europäische Linkspartei, Gewerkschaften und Akademiker – wenn wir eines brauchen, dann mehr Netzwerke

(16) Das Netzwerk spricht gerne von Ländern oder Land. Da halten wir uns doch lieber an die konkreten historischen Kategorien

(17) Siehe Endnote 12

(18) Siehe Endnote 19

(19) Finanzminister Venizelos spaltete die Fraktion und Regierung, nachdem Papandreou eine Volksabstimmung ankündigte.

(20) Tsipras und Zizek, 15. Mai 2013 – The Role of the european Left – http://www.youtube.com/watch?v=aUh96oXYt18

(21) Leo Trotzki: Auf dem Weg zur europäischen Revolution, in: Schriften Band 3.1, Hamburg, 1997, Verlag Rasch und Röhring, Seite 331/332

(22) Nach Degras: The Communist International, London, 1971, S. 426 – ebenso Thesen zu Reformismus und Wahltaktik der Gruppe ArbeiterInnenmacht, S . 37

(23) Thesen zur Taktik (Die Arbeiterregierung), in: Die Kommunistische Internationale, 3. und 4. Weltkongreß, Dortmund, 1978

(24) Hierbei wird die Flexibilität auf die Spitze getrieben: Die ArbeiterInnen haben keine feste Stundenzahl, stattdessen sind sie de facto andauernd auf Abruf. Vorreiter hierbei ist Großbritannien, aber auch in Italien und Deutschland gibt es speziell im Einzelhandel und Dienstleistungssektor ähnliche Beschäftigungsverhältnisse.

(25) www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ ueberg1.htm#mup

(26) Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977.

Anhang: Die Debatte zu den Vereinigten Staaten von Europa und der Versuch, Lenin und Luxemburg gegen diese Losung zu stellen

In der Vorbereitung des 6. Weltkongresses der Komintern 1928 wurde die Parole der „Vereinigten Staaten von Europa“ als Losung für die revolutionäre Perspektive des Kontinents gestrichen. Dies war Folge der „neuen“ Theorie vom „Sozialismus in einem Land“, welche von Bucharin und Stalin, den damals führenden Köpfen der Komintern und vor allem der KPR(B), in den Umlauf gebracht wurde.

War es damals vor allem ein Schwenk zum bürokratischen Zentrismus in seiner ultra-linken Form, welcher die Komintern vom methodischen Boden des Internationalismus wegführte, so missbrauchen heute zentristische Organisationen wie marx21 Lenin und Luxemburg als Gegner eines friedlichen, pazifistischen Europa (1), um den revolutionären Gehalt dieser Losung vergessen zu machen.

Es gehört zu den Taschenspielertricks von marx21, den revolutionären Flügel der damaligen Sozialdemokratie als Gegner der Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ aufzuführen, gerade wenn diese Losung mit einem kapitalistisch geeinten Europa verwechselt wird. Diese Parole, wie auch die dahinter stehende Methodik und Programmatik, waren nie dazu geeignet, eine reformistische Illusion in Europa zu erzeugen bzw. diese zu verteidigen. Natürlich sollte heute eine revolutionäre Politik und Taktik solche Illusionen auf das Schärfste bekämpfen, wie z. B. in der deutschen Linkspartei, in der marx21 aktiv ist, oder bei den Gewerkschaftsführungen Europas. Der Kampf gegen diese Illusionen, welche hauptsächlich auf dem Konzept von Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration aufbauen, bedeutet aber noch keine Richtschnur dafür, wie heute mit der EU umzugehen ist.

Natürlich kann ein kapitalistisches Europa, geführt von imperialistischen nationalen Bourgeoisien, keinen Fortschritt für die ArbeiterInnenklasse darstellen, wie es auch bedeutet, dass ein verschärfter Angriff auf die ArbeiterInnenklasse durch diese EU vonstattengeht. Es stellt sich jedoch die Frage, wie wir zu einem „Europa von unten“ kommen, welches auch die „Lexit“-Strömungen gerne „aufbauen“ möchten. Durch einen Zerfall der EU in neue konkurrierende Blöcke, durch ein Ende der Gemeinschaftswährung, wie es die besonders Kurzsichtigen argumentieren, wohl nicht.

„Seit jeher galt in der Sozialdemokratie der Klassenkampf und die internationale Solidarität des Proletariats als oberster Grundsatz. In diesem Grundsatz wurzelt die ganze politische und wirtschaftliche Macht der Arbeiterklasse, in ihm wurzelt auch ihre künftige Befreiung, der Sieg des Sozialismus. Zwei Nationalitäten gibt es in Wirklichkeit in jedem Lande: die der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten. Der eigene deutsche Kapitalist ist dem deutschen Proletarier Feind, der fremde Proletarier hingegen, ob Franzose, Engländer oder Russe, ist sein Bruder.“ (2)

Der hier geäußerte Internationalismus Luxemburgs ist beispielhaft dafür, was heute in der sozialistischen Linken fehlt. Eine Klarheit in der Agitation, eine Benennung der berühmten Rosse und Reiter. Im Internationalismus wurzelt das ganze politische und wirtschaftliche Programm der proletarischen Klasse. Auf die heutige EU angewandt, bedeutet dies eben, in diesem Wirtschaftsraum einen europäischen Klassenkampf zu entfachen, der dann die Macht dieser europäischen ArbeiterInnenklasse aufzeigen kann, nämlich gegen die Austeritätspolitik, gegen Rassismus und Nationalismus und für eine soziale Offensive dieser Klasse. Ein Europa „von unten“ müsste sich dabei nicht sonderlich lange mit den Illusionen der reformistischen und kleinbürgerlichen Akteure aufhalten, sondern stattdessen für eine europäische antikapitalistische und antirassistische Offensive eintreten. Das geht ohne Lexit, ohne Euro-Gegnerschaft, dazu braucht es einen Fokus auf eine unabhängige Klassenpolitik, wie sie für Luxemburg, Lenin und Trotzki immer im Vordergrund stand.

Marx21 versucht jedoch die Haltung Luxemburgs so darzustellen, als würde sie der Parole Trotzkis und der Komintern widersprechen. Auch wenn sich marx21 manchmal auf seine „trotzkistischen“ Wurzeln beruft, so findet sich in ihren zentralen Artikeln zu Europa kein Wort, kein Zitat, geschweige denn ein Text von Trotzki. Das ist reichlich bezeichnend. Wenn sich ein revolutionärer Akteur mit dem europäischen Kontinent und dessen Fragen des Klassenkampfes intensiv beschäftigt hat, dann war es wahrscheinlich Trotzki zu seinen Lebzeiten.

In der Diskussion in der stalinisierten Komintern wurde schon damals Lenin als „Kronzeuge“ gegen die Losung „Vereinigte Sowjetstaaten von Europa“ benannt. Trotzki schreibt dazu zunächst:

„Vereinigte Staaten von Europa – das wäre vor allem die einzig denkbare Form der Diktatur des europäischen Proletariats.“(3)

Und weiter: „Doch auch bei einer solchen Stellungnahme sah Lenin in der damaligen Periode eine Gefahr. Bei dem Fehlen jeder Erfahrung einer proletarischen Diktatur in einem einzelnen Lande und bei der theoretischen Unklarheit, die in dieser Frage sogar auf dem linken Flügel der damaligen Sozialdemokratie herrschte, konnte die Parole der Vereinigten Staaten von Europa die Vorstellung erwecken, als ob die Revolution gleichzeitig zum mindesten auf dem ganzen Kontinent Europa ausbrechen müsste. Gerade vor dieser Gefahr hatte Lenin gewarnt. Doch in dieser Frage gab es zwischen Lenin und mir nicht einmal den Schatten einer Meinungsverschiedenheit.“ (4)

Ähnlich wie Luxemburg gehörte Lenin zu den entschiedensten KämpferInnen für den Internationalismus, sah die Aufgabe der Komintern vor allem und ausschließlich in der Ausbreitung der Revolution. Versuchte Luxemburg die Erfahrungen der russischen Revolution von 1905 in die 2. Internationale zu tragen oder bei der Massenstreikdebatte ein wirksames Vorgehen der Sozialdemokratie gegen den drohenden imperialistischen Krieg anzumahnen, so war Lenin stets davon überzeugt, dass die Revolution sich ausbreiten müsse, wenn sie nicht zugrunde gehen sollte.

Dies führt Trotzki in seinem Text „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“ (5) aus, indem er Lenin zu Wort kommen lässt: „Es war uns klar, dass ohne die Unterstützung der internationalen Weltrevolution der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution und auch nachher dachten wir: Entweder sofort, oder zumindest sehr rasch, wird die Revolution in den übrigen Ländern kommen, in den kapitalistisch entwickelteren Ländern, oder aber wir müssen zugrunde gehen. Trotz dieses Bewusstseins taten wir alles, um das Sowjetsystem unter allen Umständen und um jeden Preis aufrechtzuerhalten; denn wir wussten, dass wir nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Revolution arbeiten.“ (6)

Von diesem Kurs rückte die Komintern ab, ein nationalbornierter Zentrismus breitete sich aus, welcher nicht nur den Sozialismus in einem Land aufbauen wollte, sondern gleichzeitig die revolutionäre Politik, Methode und Taktik begrub, wofür die Bolschewiki und die Komintern der ersten 4. Kongresse bis 1922 gestanden und gekämpft hatten.

Heute geht es darum, sich diese Tradition, diese Methodik wieder anzueignen. Die Debatte rund um die Vereinigten Sowjetstaaten bzw. Sozialistischen Staaten von Europa zeigt deren brennende Aktualität, zeigt auf, welche Analyse, Methodik und Taktik heute gegenüber dieser kapitalistischen EU angewendet sollten.

Endnoten

(1) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(2) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(3) „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“, in: „Die 3. Internationale nach Lenin“, Berlin (Intarlit), 1977,  S. 74

(4) Ebd.

(5) Ebd., S. 76

(6) Lenin, Werke, Band 32, S. 501 – 519, hier S. 503




Britannien – Das Referendum über den Brexit und seine Nachwirkungen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 28. Juni 2016, Infomail 890, 29. Juni 2016

Der Sieg des „Brexit“, des britischen Austritts aus der Europäischen Union, vom 23. Juni hat Schockwellen nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt zur Folge. Börsen stürzten ab; manche erlitten größere Einbrüche als nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers 2008. Auch wenn die erste Panik verfliegen mag, so ist das nur ein Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen des Verlassens der größten Handelszone der Welt offenkundig werden. Während die führenden europäischen PolitikerInnen erklären, dass die EU überleben wird und keine weiteren Staaten dem britischen Beispiel folgen werden, haben populistische PolitikerInnen wie Marine Le Pen den Sieg des Brexit gefeiert und rufen zu einer Volksabstimmung in Frankreich auf. In Britannien selbst hat er die Büchse der Pandora des Rassismus und britischen Chauvinismus geöffnet.

Polnische Kulturzentren und Moscheen wurden mit rassistischen Parolen beschmiert. Kinder, die für MigrantInnen gehalten werden, wurden auf Schulhöfen beschimpft oder misshandelt, Erwachsene auf der Straße angegriffen. Die Polizei berichtet von einem alarmierenden Anstieg von Hassverbrechen. Zweifellos ist ein großer Teil davon das Werk bislang noch kleiner faschistischer Gruppen, aber etliches davon ist die direkte, wenn auch unorganisierte Folge des Hasses gegen MigrantInnen und Geflüchtete, der täglich von den vier bis fünf meistgelesenen Boulevard-Zeitungen verbreitet wird.

Spaltung der KapitalistInnen

Es ist auch den Milliardärsmedien zu verdanken, dass das Gift des Chauvinismus Sektoren der ArbeiterInnenklasse erfasst hat, die normalerweise Labour wählen, und erst recht die fremdenfeindlichen Teile der Mittelklassen und Millionen ArbeiterInnen, die ohnedies kein Klassenbewusstsein haben, regelmäßig die Tories wählen und keinen Gewerkschaften beitreten würden. Die Darstellung des Brexit als eine Rebellion des „Heart of England“ (des Herzens Englands) gegen die privilegierte, hauptstädtische Elite spielt direkt in die Hände der von Nigel Farage geführten UKIP (United Kingdom Independence Party). Sie lenkt außerdem auch von den wirklichen Gründen für das Referendum ab, der Spaltung der britischen KapitalistInnenklasse zwischen jenen, die groß und konkurrenzfähig genug sind, international zu operieren, und den kleineren, national orientierten, die das nicht können.

Diese Spaltung spiegelt sich in der Konservativen Partei wider, deren FührerInnen und Abgeordnete im Allgemeinen die Interessen der mächtigsten, aber zahlenmäßig sehr kleinen KapitalistInnen zum Ausdruck bringen. Die Basis der Partei besteht aber aus der viel größeren Zahl kleiner KapitalbesitzerInnen, den von ihnen Abhängigen, darunter oft deren Angestellte. In der Kampagne stellte sich eine Minderheit der Führung der Konservativen Partei – vor allem Boris Johnson und Michael Gove – auf die Seite der Brexit-BefürworterInnen, um ihre eigenen Aussichten zu verbessern, Cameron abzulösen. Wie fast alle AnalystInnen, so glaubten auch sie, dass sich die lange als sicher erscheinenden Prognosen erfüllen würden, dass das Remain (Verbleib)-Lager gewinnen würde und Britannien in der EU bliebe – allerdings mit Johnson als Premierminister.

Diese Fehlkalkulation hat den britischen KapitalistInnen eine tiefe politische Krise beschert. Ihre ganze ökonomische Strategie wurde durch ihre eigene politische Partei aufs Spiel gesetzt. Noch schlimmer: Die Austritts-Politik hat jetzt ein, wenn auch vollkommen fragwürdiges, „demokratisches Mandat“, und ihre Partei wird wahrscheinlich von jenen leichtfertigen Abenteurern geführt werden, die eine Mehrheit für den Brexit mobilisiert haben. Die Sache wird noch schlimmer dadurch, dass das ungewollte Resultat des Referendums nicht nur den fragilen Zusammenhalt der EU auf die Probe stellt, sondern auch das Auseinanderfallen des Vereinigten Königsreichs selbst, da sowohl in Schottland wie in Nordirland eine große Mehrheit gegen den Brexit stimmte.

Die Führung der Labour Party

Die Krise der bürgerlichen Klasse macht es umso schändlicher, dass die Labour-Rechte, die seit den Tagen Tony Blairs über eine Mehrheit in der Parlamentsfraktion der Partei verfügt, sich in dieser Situation entschlossen hat, einen lange geplanten Coup gegen den linken Parteivorsitzenden, Jeremy Corbyn, zu initiieren, der vor weniger als einem Jahr von einer großen Mehrheit der Mitglieder und UnterstützerInnen gewählt worden war.

Dem Narrativ von UKIP und der Boulevardpresse folgend, stellen sie das Ergebnis als Rebellion der „Kernregionen von Labour“ gegen die hauptstädtische Mittelklasselinke Londons und der großen Städte dar. Das ist eine ungeheuerliche Entstellung der Realität: Rund zwei Drittel der WählerInnen der Labour Party haben für den Verbleib in der EU gestimmt, während nur 40 Prozent der WählerInnen der Konservativen der offiziellen Politik ihrer Partei folgten, für den Verbleib zu stimmen.

Nichtsdestotrotz müssen revolutionäre KommunistInnen zur Kenntnis nehmen, dass eine signifikante Zahl von WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse für die durch und durch reaktionäre Politik des Brexit gestimmt hat. Diesem wurde durch die Kommunistische Partei Britanniens (CPB) und ihrer Tageszeitung, den „Morning Star“, der Socialist Workers Party (SWP, Schwesterorganisation von Marx21), der Socialist Party (Sozialistische Partei, Schwesterorganisation der SAV) und ihren jeweiligen Wochenzeitungen ein „linker“ Anstrich gegeben. Sie traten für einen „linken“ Austritt, den Lexit, ein und argumentierten, dass dieser die Pläne der herrschenden Klasse durchkreuzen und Cameron zu Fall bringen würde. Diese simple Herangehensweise an den Klassenkampf ruft uns Trotzkis ätzende Bemerkung in Erinnerung, dass jeder Idiot eine Meisterstratege wäre, wenn es nur darum ginge, überall dort, wo die herrschende Klasse ein Plus macht, ein Minus zu setzen.

Die CPB und die SP haben sogar mit der Idee geliebäugelt, dass die Migration tatsächlich ein Problem wäre, dass die Konkurrenz mit den polnischen ArbeiterInnen wirklich die Löhne gedrückt hätte. Die CPB tritt für eine Form kontrollierter Einwanderung ein. Die internationale Organisation der SP, das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ proklamierte den 23. Juni gar zu einem großen Sieg der ArbeiterInnenklasse und legte nahe, dass dieser zu einem Wahlsieg Jeremy Corbyns führen könnte. Die SWP unterscheidet sich davon immerhin positiv, indem sie die Forderung nach offenen Grenzen unterstützt. Gleichwohl hat sie mit ihrem Eintreten für den Brexit die ArbeiterInnen dazu aufgerufen, Grenzen, die bislang relativ offen waren, zu schließen! Nach der Abstimmung hat die SWP außerdem wenigstens realisiert, dass eine massive anti-rassistische Kampagne wegen der direkten Folgen ihres vorgeblichen „Sieges“ notwendig geworden ist.

Viele Menschen stimmten für den Austritt, weil sie um ihre Lebensbedingungen fürchten. Das ist zweifellos verständlich. Die Vorstellung, dass der Verbleib in der EU gegen ihre wirklichen Interessen verstoßen würde oder ihre Ängste vor Migration gerechtfertigt wären, beruht auf Einbildung und einer chauvinistischen Verkehrung der realen Ursachen der Probleme von Millionen. Aber was gab Schlagwörtern wie „Wiedererlangung der Kontrolle über das Land“, von „Souveränität“ und „Unabhängigkeit“ die Macht zu überzeugen? Es ist der zunehmende Verlust selbst von beschränkter Kontrolle über das eigene Leben, dieses nach eigenen Wünschen zu gestalten. Tony Benn hat vor Jahren Lord Actons bekanntem Ausspruch über die Korruption durch Macht dahingehend umformuliert, dass Machtlosigkeit korrumpiert und die absolute Machtlosigkeit absolut korrumpiert“. Das Maß an Macht über ihr eigenes Leben, dass ArbeiterInnen einmal errungen hatten, war das Resultat besser bezahlter Arbeit, sicherer Arbeitsplätze, sozialen Wohnungsbaus und expandierender Sozialleistungen. Nicht „Europa“ hat das alles zerstört, sondern die britische KapitalistInnenklasse, die an der Spitze des Neo-Liberalismus, der Privatisierungen, des Outsourcing und der Verlagerungen stand.

Das Ausbleiben jedes ernsthaften Kampfes zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen durch Labour und die Gewerkschaften bedeutet, dass viele Menschen, besondern die älteren, erwerbslosen EinwohnerInnen in den niedergehenden, ehemaligen Industriestädten berechtigterweise auf das ganze „Establishment“ empört sind – seien es die PolitikerInnen aus dem Parlament in Westminster, die „ExpertInnen“ und BürokratInnen, die allesamt für die soziale Verwüstung ihrer Gemeinden verantwortlich sind.

Ein damit verbundener Faktor ist der Niedergang der Gewerkschaften, die nur noch halb so groß sind wie in den 80er Jahren. Zusammen mit einem Rückgang der Kampfkraft und Kampfbereitschaft bedeutet das, dass viele Menschen keine Erfahrungen mit gemeinsamen effektiven Aktionen gegen Entlassungen, Kürzung sozialer Dienste oder Wohnungsnot haben. Das hat sie für die Argumente der Rechts-PopulistInnen von UKIP unter Nigel Farage empfänglich gemacht, die etwas tun konnten, was die Austrittsbefürworter aus der konservativen Elite um Boris Johnson nicht tun hätten können. UKIP benutzte links klingende Demagogie über die langen Wartelisten beim sozialen Wohnungsbau, die Finanzierungskrise im Gesundheitswesen NHS, marode Schulen und niedrige Löhne, um dafür die migrantischen ArbeiterInnen verantwortlich zu machen.

Die offenkundigen Krisen der europäischen Union – die Bankenkrise, dann die Finanzkrisen in den Mitgliedsländern, die Austeritätskrise, die den schwächeren Ländern der Eurozone aufgezwungen wurde, und schließlich die sog. „Flüchtlingskrise“ im vergangenen Jahr – trugen alle zum weit verbreiteten Misstrauen gegen „Europa“ bei. Hinzu kam, dass mit Ausnahme von Corbyn und McDonnell alle PolitikerInnen auf beiden Seiten des Referendums „vergaßen“, dass der britische Kapitalismus 2008 selbst eine fundamentale Krise durchmachte. Sie „vergaßen“, dass die britischen Bosse Niedriglöhne durchgesetzt hatten und britische Regierungen, ob von den Tories oder Labour, eine Kürzungspolitik ohne jeglichen Druck von Brüssel durchsetzten.

Schließlich scheint es bei einem Referendum – anders als bei Parlamentswahlen, wo das undemokratische britische Mehrheitswahlrecht sicherstellt, dass die meisten Stimmen tatsächlich nichts zählen –, tatsächlich auf jede Stimme anzukommen. Was auch immer die unterschiedlichen Motive der einzelnen WählerInnen für ihre Wahl sein mögen, so werden sie zu einem Thema gebündelt. Das war zweifellos ein machtvoller mobilisierender Faktor für Millionen, die sich mehr und mehr von den beiden größten Parteien entfremdeten, die beide dazu aufriefen, in der EU zu verbleiben.

Aussichten

Das Anschwellen des antieuropäischen Chauvinismus wird im September VertreterInnen des rechten Flügels der Konservativen Partei, wahrscheinlich Boris Johnson oder Theresa May, an die Regierungsspitze bringen. Sie werden den Artikel 50 des Abkommens von Lissabon aufrufen müssen und mit harten Bandagen auf die Wirtschaft durchschlagende Verhandlungen mit der EU beginnen. Sie werden ferner sicher einen neuen Kürzungshaushalt verabschieden wollen. Die Bank von England hat signalisiert, 250 Milliarden britische Pfund aufzutreiben, wenn dies notwendig sein sollte, um die Banken und den Finanzplatz  London City zu stabilisieren, während sie für das Gesundheitswesen oder den sozialen Wohnungsbau keinen Penny übrig hat.

Der Einfluss von Farage und seiner UKIP wird während der Verhandlungen über den Brexit wachsen. Bei einer wahrscheinlich vorgezogenen Wahl dürfte diese Partei erstmals eine beträchtliche Anzahl von Parlamentssitzen gewinnen. Das ist um so wahrscheinlicher angesichts der Anstrengungen, Corbyn als Führer der Labour Party wegzuputschen. Dieser offene Verrat  wäre eine echte Chance für UKIP, die bewusst auf Stimmenfang bei Labour-WählerInnen in Kleinstädten und Vororten aus ist. Die UKIP hofft, dort große Einbrüche zu erzielen mit Hilfe ihrer Demagogie, dass ihr die sozialen Probleme und die vernachlässigte „einheimische“ (damit meint sie weiße) ArbeiterInnenschaft am Herzen lägen, während sie den eingewanderten ArbeiterInnen  aus Europa die Schuld an allen Unannehmlichkeiten in die Schuhe schieben will.

Da die ökonomische Schrumpfung, die sich schon vor der Brexit-Abstimmung abzeichnete, Britannien sehr hart treffen wird, kann auch die ‚Souveränität’ keinen Schutz vor den Kräften der Märkte, d. h. den Gesetzen des weltumspannenden Kapitalismus bieten. Wenn sich die Verhandlungen zwischen Britannien und der EU hinziehen, wird sich die Sachlage wirtschaftlich verschlechtern, und es wird sich klar zeigen, dass es kein Abkommen über einen kompletten Einwanderungsstopp geben kann. Dies birgt die große Gefahr, dass die Befürworter von direkter Aktion als einzigem Ausweg  Oberwasser gewinnen können. In einer solchen Atmosphäre werden erwartungsgemäß Rufe nach der Abschiebung von ausländischen Arbeitskräften und Flüchtlingen lauter und physische Übergriffe von faschistischen Gruppen häufiger. Rassismus wird in all seinen hässlichen Formen um sich greifen, wenn er nicht massenhaft  bekämpft wird. Über das Potenzial dazu verfügen nur Labour und die Gewerkschaften.

Nicht zuletzt wird die britische Entscheidung in Europa die eurofeindliche Rechte beflügeln, die bereits vor dem 23. Juni auf dem Vormarsch war. Front National in Frankreich und andere Gruppierungen in den Niederlanden, in Dänemark und einer Reihe von ost- und mitteleuropäischen Ländern, die den Austritt fordern und das Banner der nationalen Souveränität schwenken und ihren Hass auf EinwanderInnen hinausschreien, selbst wenn es bei ihnen kaum welche gibt, werden profitieren. Dies hat eine Gegenreaktion bei den europäischen HerrscherInnen hervor gerufen, auch teils unter der Wählerschaft wie in Spanien, wo es zu  einer Ablehnung des rechten wie linken Populismus und einem Zug zu der Geborgenheit traditioneller Parteien wie der konservativen Volkspartei von Mariano Rajoy gekommen ist, die – so denken sie – Stabilität gewährleisten kann.

Angela Merkels Antwort auf das britische Votum fiel im Gegensatz zu ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble unerwartet milde aus.  Ihre Äußerung zeugt von dem Bewusstsein, nicht zu stark gegenüber den schwächeren EU-Staaten auftrumpfen zu wollen, weil diese sonst mit Gedanken an Abstimmungen oder den Austritt spielen könnten, was die auseinanderdriftenden Tendenzen innerhalb der Europäischen Union verstärken könnte. Die Brexit-Seuche könnte sich leicht wie ein Wundbrand ausbreiten.  Zum anderen halten es viele für notwendig, Britannien zurückzuweisen, weil es die anderen ermutigt.

Die Schwäche der nationalen ArbeiterInnenbewegungen bei der Bekämpfung von Kürzungspolitik und beim Widerstand gegen den flüchtlingsfeindlichen Rassismus ist der mit entscheidende Faktor für das Anwachsen des reaktionären Nationalismus in Britannien ebenso wie in ganz Europa. Es ist ihnen nicht gelungen zu zeigen, dass „ein anderes Europa möglich“ ist, wie es bei den Euromärschen und anschließend bei den europäischen Sozialforen im Zeitraum von 1997 bis 2007 zu zeigen versucht worden ist.  Welche Ironie der Geschichte ist es, dass ausgerechnet im Augenblick, als der Kapitalismus in seine ernsteste Krisen- und Stagnationsperiode  seit dem 2. Weltkrieg eintrat, sich die Bewegungen der europäischen ArbeiterInnen und der Linken hinter die eigenen Landesgrenzen zurückgezogen haben.

Obschon es bedeutsame Ausnahmen davon gab, besonders in Griechenland, Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal, lag es auf der Hand, dass die Bewegungen selbst dort durch nationale Beschränktheit beeinträchtigt worden sind. Notwendig sind nicht nur Solidaritätsbekundungen, sondern ist ein gemeinsamer Kampf aller europäischen ArbeiterInnen gegen ihre eigenen Regierungen, um zu verhindern, dass sie Kürzungen und sogenannte Arbeitsreformen durchdrücken. Auf dieser Grundlage können die EU-Behörden, die Kommission, die Zentralbank getroffen werden und zwar knallhart. Diese Institutionen sind nämlich nicht die allmächtigen Menschenfresser, als die sie die AustrittsbefürworterInnen hinstellen wollen. Die Verstärkung nationaler Spaltungen ist allerdings der völlig falsche Weg, sie zu bekämpfen.

Wenn die Regierungen Spaniens, Italiens, Frankreichs und schließlich Deutschlands daran gehindert werden können, ihre Politik des Sozialkahlschlags, der Lohndrückerei, der Deregulierung von Gesundheit, der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Arbeitszeit  sowie der weiteren Einschränkung der Gesundheits- und Bildungsversorgung  durchzusetzen, dann kann ein ganzer Erdteil vom Kampf nicht nur um ein ‚soziales’, sondern ein sozialistisches Europa erfasst werden.

Deshalb brauchen wir nicht nur eine Gegenbewegung gegen Kürzungen und Rassismus und alle Auswirkungen des Brexit-Prozesses in Britannien, sondern gemeinsame Kampfmaßnahmen der ArbeiterInnen in ganz Europa.  Dies kann aber weder motiviert sein durch eine Verteidigung der bestehenden EU, ein Gebilde, das Griechenland und andere Mittelmeeranrainer zermalmt hat, noch durch einen Austritt seiner Mitgliedstaaten aus ihr.

Das Banner eines vereinten ArbeiterInnen-Europa, der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, muss entfaltet werden: eines Gebietes, das seine Grenzen weit offen hält für Flüchtlinge und alle, die dort für dessen Aufbau arbeiten wollen. Ein solches Europa kann dazu beitragen, dass sich solche Regionen rasch entwickeln, wo der Mangel an Arbeitsstellen, Schulen und Krankenhäusern junge Leute dazu treibt, das Land zu verlassen und bei der Seeüberfahrt nach Europa ihr Leben zu riskieren. Dann wird die Bewegungsfreiheit für Menschen ein wahrhaft freiwilliges Gut sein und einander helfen, eine bessere Welt aufzubauen.




Varoufakis rettet Europa

Frederik Haber, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Er wollte ein Held werden. Nach dem überraschend deutlichen Wahlsieg von Syriza im Januar 2015 war er Finanzminister geworden und stand als solcher im Scheinwerferlicht der harten Auseinandersetzungen zwischen der griechischen Regierung und der Troika aus EU, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB).

Einige Monate hielten er und Regierungschef Tsipras dem Druck der Institutionen stand oder gaben das wenigstens vor. Hinter ihnen stand nicht nur eine Parlamentsmehrheit, sondern die große Mehrheit der griechischen Bevölkerung, vor allem der ArbeiterInnenklasse und der verarmten Schichten, z. B. der RentnerInnen. Das Referendum vom 5. Juli 2015 brachte eine überwältigende Mehrheit für das „Oxi“, das Nein zu den Zumutungen und den Erpressungen der EU unter deutschem Kommando, personifiziert in Schäuble und Merkel. Trotz dieses Votums kapitulierten Tsipras, seine Regierung und Syriza. Varoufakis trat zurück. An der schändlichen Umsetzung des EU-Diktats war er nicht mehr beteiligt, auch wenn er schon davor einer Reihe von schäbigen Kompromissen mit der EU zugestimmt hatte.

Varoufakis verließ rechtzeitig das sinkende reformistische Schiff, um sich als Mensch mit sauberen Händen hinzustellen – und für die Fortsetzung jener Politik zu plädieren, die schon Syriza zum Kentern brachte.

Wider den Untergang Europas

Seit Anfang des Jahres 2016 aber hat er eine Initiative auf Kiel gelegt, mit der offensichtlich eine Heldentat vollbringen will. DiEM25 heißt das Projekt: Bewegung Demokratie in Europa 2025. Der Titel des Manifestes dieser Bewegung lautet: „Europa demokratisieren! Europa wird demokratisiert oder es wird zerfallen!“ (https://diem25.org; Zitate von dieser Seite)

Schon der Titel macht klar, dass Varoufakis unter Europa die EU versteht, dass er diese für undemokratisch hält und dass er den Zerfall der EU verhindern will.

Er beschreibt die EU mit Worten, die an die Propaganda erinnern, die die EU-Gründung begleitete: „Die Europäische Union war eine außerordentliche Leistung. Sie hat europäische Völker, die unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedliche Kulturen pflegen, in Frieden zusammengeführt und damit bewiesen, dass es möglich ist, einen gemeinsamen Rahmen der Menschenrechte auf einem Kontinent zu errichten, auf dem vor noch nicht allzu langer Zeit mörderischer Chauvinismus, Rassismus und Barbarei herrschten. Die Europäische Union hätte der sprichwörtliche Leuchtturm sein können, sie hätte der Welt zeigen können, wie aus jahrhundertelangen Konflikten und Bigotterie Frieden und Solidarität entstehen können.“

Die Krise der EU ist nicht zu übersehen und es ist gut möglich, dass ihr Verfall – nach dem inzwischen beschlossenen Brexit – in Zerfall endet. Das Manifest benennt:

„o Die Volkswirtschaften der Eurozone werden in den Abgrund eines Wettbewerbs um die härteste Austeritätspolitik getrieben, was zu einer anhaltenden Rezession in den schwächeren Ländern und zu Investitionsschwäche in den Kernländern führt.

o Die EU-Mitglieder, die nicht der Eurozone angehören, wenden sich von Europa ab, suchen Inspiration und Partner in dunklen Ecken, wo sehr wahrscheinlich undurchsichtige Freihandelsvereinbarungen auf sie warten, die sie binden und ihre Souveränität aushöhlen.

o In ganz Europa wachsen in ungekanntem Ausmaß Ungleichheit, Hoffnungslosigkeit und Misanthropie.“

Letzterer Punkt ist sicher richtig, wenn man den steigenden Rassismus, insbesondere die Islamfeindlichkeit, verharmlosend mit dem Begriff Misanthropie bezeichnen will. Wenden sich nur die Nicht-Eurozonen-Länder der EU von dieser ab? Auch Freihandelsvereinbarungen drohen an verschiedensten Ecken. Die EU selbst ist Spezialistin für undurchsichtige Freihandelsvereinbarungen mit ihren Beitrittskandidaten oder den afrikanischen Ländern. Aber immerhin bezieht sich der zweite Punkt auf die realen Absetzbewegungen von der EU weg.

Der erste Punkt ist komplett verdreht: „Die Volkswirtschaften der Eurozone werden in den Abgrund eines Wettbewerbs um die härteste Austeritätspolitik getrieben?“ Wer treibt da? Und dieses Treiben führt letztlich zu Investitionsschwäche der Kernländer? Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Kern der globalen Krise des kapitalistischen Systems ist die Unfähigkeit für Massen von Kapital profitable Anlagemöglichkeiten zu finden, also sie zu investieren – eine Unfähigkeit, die mit einem historischen Gesetz dieses Systems, dem tendenziellen Fall der Profitrate, zusammenhängt. Da hilft es auch nicht billiges Geld, zinslose Kredite, über die stagnierenden Volkswirtschaften auszuschütten, wie es die EZB gerade tut. So suchen Regierungen und Banken ihr Heil darin, durch Lohndrückerei und Haushaltskürzungen die Profite und die Profitrate zu erhöhen. Das ist dann die Austeritätspolitik, die Griechenland und andere europäische Länder so massiv trifft.

So zeigt sich wieder einmal, dass bürgerliche ÖkonomInnen Kapitalismus nicht kapieren, auch wenn sie linke bürgerliche ÖkonomInnen sind. Recht aber hat Varoufakis, wenn er ausdrückt, dass die Austeritätspolitik die Krise vertieft und nicht löst, was sie mit der Billiggeldschwemme der EZB übrigens gemein hat.

„It´s the economy“

Wie ist jetzt die EU, die ein „Leuchtturm hätte sein können, sie der Welt hätte zeigen können, wie aus jahrhundertelangen Konflikten und Bigotterie Frieden und Solidarität entstehen können“, in eine Zerfallskrise geraten? Das Manifest bleibt völlig unklar über den Zeitpunkt oder das Ereignis, das diese Wende zum Schlechten bewirkt haben soll:

„Doch leider trennen eine gemeinsame Bürokratie und eine gemeinsame Währung heute die europäischen Völker, die trotz unterschiedlicher Sprachen und Kulturen auf dem Weg zur Einigung waren. Eine Verschwörung kurzsichtiger Politiker, ökonomisch naiver Beamter und in Finanzdingen inkompetenter ‚Experten‘ unterwirft sich sklavisch den Beschlüssen der Finanz- und Industriekonzerne, entfremdet die Europäer einander und schürt eine gefährliche europafeindliche Stimmung.“

Wann und wodurch ist diese Bürokratie entstanden? Warum spaltet die gemeinsame Währung? Warum unterwerfen sich die inkompetenten „Experten“ den Konzernen? Und sind diese auch in Finanzdingen inkompetent? Vage wird ein Prozess beschrieben:

„Ökonomisch betrachtet, begann die EU als ein Kartell der Schwerindustrie (später bezog sie noch die Bauern mit ein), das entschlossen war, die Preise zu diktieren und die Gewinne des Oligopols durch die Brüsseler Bürokratie zu verteilen. Das im Entstehen begriffene Kartell und seine in Brüssel beheimateten Verwalter fürchteten den Demos und verachteten die Idee einer Regierung durch das Volk.

Geduldig und methodisch wurde der Prozess der Entscheidungsfindung entpolitisiert, mit dem Ergebnis, dass der Demos langsam, aber stetig aus der Demokratie verschwand und jegliche politische Entscheidungsfindung in einen alles überwuchernden pseudo-technischen Fatalismus gehüllt wurde. Die nationalen Politiker wurden gut dafür entlohnt, dass sie dabei mitmachten, die Kommission, den Rat, den Finanzministerrat Ecofin, die Eurogruppe und die EZB in politikfreie Zonen zu verwandeln. Wer sich diesem Prozess widersetzte, bekam das Etikett „Europagegner“ verpasst und galt als „eklatanter Außenseiter.“

Offensichtlich gab es so etwas wie eine politische Seite der europäischen Integration und eine ökonomische. Aber selbst da, wo das Manifest die Macht und die Interessen der Kapitalisten benennt, vermeidet es tunlichst, daraus irgendetwas zu folgern. Es wird weder die Frage gestellt, ob diese Macht und diese Interessen auf der Ebene der Nationalstaaten auch bestehen und wenn ja in welcher Form, noch ob und wie diese etwas mit der Krise der EU zu tun haben. Das ist derselbe Fehler, den die linken VertreterInnen von EU-Austritten wie die griechische KKE oder die britische SWP (Schwesterorganisation von Marx 21) und SP (Schwesterorganisation der SAV) ihrerseits machen, wenn sie so tun als wären solche Austritte in irgendeiner Weise „antikapitalistisch“.

MarxistInnen gehen anders vor. Für sie liegt die Krise der EU generell in der Unfähigkeit der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, sich über die Grenze des (kapitalistischen) Nationalstaats zu erheben und einen europäischen (bürgerlichen) Über-Staat zu schaffen und konkret in der fundamentalen Krise des kapitalistischen Systems, die die Konkurrenz unter den Kapitalien und den Staaten so verschärft, dass dadurch die fragile Konstruktion der EU mit ihren – natürlich bürokratischen – Mechanismen, die die unterschiedlichen Interessen ausgleichen sollen, zerfrisst. Und dann messen MarxistInnen die Frage, ob mit oder ohne EU, daran, was die Kampfbedingungen gegen die KapitalistInnen verbessert.

Hier ist die einfache Antwort, dass im Rahmen der EU ein internationaler Klassenkampf besser möglich ist als auf der Ebene einzelner Nationalstaaten für sich. So ist letztlich Varoufakis` Pro-EU-Position etwas näher an dieser Erkenntnis als die Exit-Position gewisser Linksreformisten wie der KKE oder rechter Zentristen wie der SP und der SWP, aber keineswegs, weil Varoufakis´ Analyse oder seine Strategie richtig wären.

Demokratische Illusionen

Varoufakis sucht sein Heil in der Demokratie. „Die EU demokratisieren“. Der (angebliche) Prozess der „Entdemokratisierung“ soll umgedreht werden:

„Im Zentrum unserer zerfallenden EU liegt ein böser Betrug: Ein durch und durch politischer, undurchsichtiger und autokratischer Entscheidungsprozess wird zu einem ‚unpolitischen‘, ‚rein technischen‘, ‚prozeduralen‘ und ‚neutralen‘ Verfahren erklärt. Dessen Zweck ist es, die Europäer daran zu hindern, eine demokratische Kontrolle über ihre Währung, ihre Finanzen, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Umwelt auszuüben.“

Das ist eine naive Utopie. Die materielle Basis für diese Utopie ist die Tatsache, dass selbst die bescheidenen demokratischen Abläufe heute von den Herrschenden angegriffen werden, um die Diktate der Krise durchzusetzen. Das macht aber den Umkehrschluss nicht richtig, dass mit mehr Demokratie die Macht des Kapitals aufgehoben werden könnte.

Für bürgerliche Nationalstaaten wie für den Über-Halb-Staat EU gilt, dass sie Strukturen sind, die die ökonomische Herrschaft der Bourgeoisien auch politisch absichern sollen. Der Grad an „Demokratie“, der seitens der Herrschenden dabei eingesetzt wird, ist abhängig davon, wie viel sie brauchen, um ihre unterschiedlichen, auch widersprüchlichen Interessen auszugleichen und zugleich den ausgebeuteten Klassen nicht zu viel Einmischungsmöglichkeiten zu gewähren.

Von daher verteidigen MarxistInnen alle demokratischen Errungenschaften, aber sie verfallen weder der Illusion, noch verbreiten sie diese, dass damit die Herrschaft der Bourgeoisie wirklich beendet werden könnte. Dazu muss der bürgerliche Staat als solcher angegriffen und zerschlagen werden.

Kleinbürgerliche DemokratInnen allerdings hegen und verbreiten solche Illusionen. So fordert das DiEM 25-Manifest an konkreten Maßnahmen:

„SOFORT: Volle Transparenz bei der Entscheidungsfindung

o Sitzungen des EU-Rats, von Ecofin, Beratungen über Steuerfragen und Sitzungen der Eurogruppe müssen per Livestream öffentlich gemacht werden.

o Die Protokolle der Sitzungen des Gouverneursrats der Europäischen Zentralbank müssen innerhalb weniger Wochen veröffentlicht werden.

o Alle Dokumente im Zusammenhang mit wichtigen Verhandlungen (zum Beispiel TTIP, „Rettungs“-Kredite, über den Status Großbritanniens), die alle Facetten der Zukunft der Europäer betreffen, müssen ins Netz gestellt werden.

o Alle Lobbyisten müssen sich registrieren lassen und dabei die Namen ihrer Kunden angeben, wie viel Geld sie erhalten und wann sie sich mit (gewählten und nicht gewählten) Vertretern Europas getroffen haben.

INNERHALB VON ZWEI JAHREN: Eine Verfassunggebende Versammlung. Das Volk Europas hat ein Recht, sich mit der Zukunft der Union zu befassen, und die Pflicht, aus Europa (bis 2025) eine voll entwickelte Demokratie mit einem souveränen Parlament zu machen, das die nationale Selbstbestimmung respektiert und die Macht mit den nationalen Parlamenten, mit Regionalversammlungen und Gemeindeparlamenten teilt. Dafür muss eine Versammlung seiner Repräsentanten einberufen werden. …

BIS 2025: Umsetzung der Beschlüsse der Verfassunggebenden Versammlung“

Natürlich sind die Forderungen nach mehr Transparenz – gerade auch bei den TTIP-Verhandlungen – nicht falsch. Aber wer kann und will per live-stream alle Verdrehungen der Bürokratie nachverfolgen? Und was kann damit erreicht werden?

Ist es wichtiger zu wissen, welcher Lobbyist für welche Fraktion des Kapitals tätig ist oder dass Tausende von ihnen die Gesetze beeinflussen und zum Teil verfassen – wie sie dies auch auf nationaler Ebene tun, wo eine enge Verquickung zwischen Wirtschaft und Ministerialapparat herrscht? Die DiEM 25-Forderungen können helfen, den Charakter der EU offenzulegen, sie können ihn nicht verändern.

Solches ist auch heute nötig. Aber es kann besser geschehen, indem die Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien Europas sich auf Widerstandsprogramme einigen und mit Aktionen gegen die Krisenabwälzung, gegen die Austeritätsprogramme und Angriffe wie derzeit in Frankreich wehren. Die Weigerung der reformistischen Führungen dieser Organisationen muss politisch angegriffen werden. Die Wahl eines anderen Spielfeldes rettet dies nicht.

So bleibt von den Vorschlägen nur Hilflosigkeit und Irreführung.

Bewegung

Warum findet ein so dürftiges Konzept so breite Unterstützung? 17.000 sind bisher beigetreten. Vor allem aus der Intelligenz, aus Kultur und den Metropolen.

Solche Schichten haben durchaus von der EU profitiert. Sie nutzen die Reisefreiheit nicht nur für die jährliche Urlaubsreise, sie profitieren möglicherweise von EU-Fördermitteln für Kunst und Kultur. Aber sie stehen auch für das, was die wirkliche Stärke von Varoufakis´ Initiative ist: Sie ist die derzeit einzige, die eine europäische Bewegung versucht.

Weder die Gewerkschaften noch die Linksparteien, geschweige denn die SozialdemokratInnen haben hier derzeit viel zu bieten. Ihr alte Losung „Für ein soziales und demokratisches Europa“ haben sie in die Ecke gestellt. Sei es, weil sie im zunehmenden Konkurrenzkampf der Nationen dichter an die Seite ihrer jeweiligen Bourgeoisie rücken, sei es, weil sie sich angesichts der nationalistischen Kampagnen in den meisten Ländern opportunistisch und feige verhalten. Natürlich war und ist auch die Orientierung, die EU demokratisch und sozial machen zu wollen, genauso utopisch wie der Versuch sie zu demokratisieren. Aber Varoufakis´ Bewegung bleibt so fast die einzige „europäische“ Stimme.

So schafft es beispielsweise die von Kipping und Riexinger ausgerufene „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie“ (https://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/artikel/revolution-fuer-soziale-gerechtigkeit-und-demokratie/) vom April des Jahres über den nationalen Tellerrand hinaus nur die hunderttausendste Bekräftigung der „’konkrete Utopie‘ eines demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Europas ‚von unten’“. Anschließend wird festgestellt, dass „angesichts der Verankerung neoliberaler Politik in den Institutionen und der Verfassung der EU – und gerade angesichts der Erfahrung der Erpressung der linken Regierung und der de-facto-Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie in Griechenland – eine radikale Kritik der EU dringend erforderlich“ sei. Praktisch bleibt nur übrig, dafür zu kämpfen, „dass die sozialen Garantien europaweit Verfassungsrang bekommen und Freihandelsabkommen wie TTIP gestoppt werden.“

Vor dem Hintergrund solcher Dürftigkeit seitens der ReformistInnen gewinnen die kleinbürgerlichen Illusionen in die Demokratie und die Demokratisierung an Gewicht.

Die europäische ArbeiterInnenklasse braucht mehr.




Imperialismus, Rassismus und die deutsche Linke

Anne Moll/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Der Rassismus ist der Sozialismus der dummen Kerls – so könnte Friedrich Engels‘ Bemerkung über den Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf die aktuelle Periode übertragen werden. Zweifellos gehören staatliche Selektion von MigrantInnen und Flüchtlingen, rassistische Ideologien und Vorstellungen untrennbar zur bürgerlichen Gesellschaft.

In den letzten Monaten und Wochen erleben wir jedoch nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern in ganz Europa ihr massives Anwachsen. Übergriffe gegen Geflüchtete, MigrantInnen, Anschläge auf Unterkünfte nehmen in erschreckendem Ausmaß zu. Mit der AfD etabliert sich eine rechts-populistische Partei, in Österreich ist die rassistische FPÖ zur stärksten Partei geworden.

Die „Willkommenskultur“ der Regierung Merkel – verlogen wie sie immer schon war – ist nach einem Jahr einer permanenten Verschärfung von Gesetzen, Abriegelung der EU-Außengrenzen, forcierten Abschiebung gewichen. Wenn die Herrschenden von „Integration“ sprechen, meinen sie ein demütigendes Anpassungs- und Selektionsprogramm. Der Anti-Islamismus wird zugleich als „populärer“ Rassismus unserer Zeit befeuert, sexuelle Gewalttaten und reaktionäre dschihadistische Anschläge werden „den“ Flüchtlingen in die Schuhe geschoben. Zugleich dient er als Rechtfertigung für weitere imperialistische Interventionen im Nahen Osten, Zentralasien und Afrika, für die Militarisierung der Außenpolitik, Aufrüstung im der globalen Konkurrenz, Ausbau des Überwachungsstaates und die Aufhebung demokratischer Rechte im Inneren.

In einer Periode der kapitalistischen Krise ergreift Rassismus nicht nur das vom Abstieg bedrohte Kleinbürgertum und die Mittelschichten, sondern auch größere Teile der ArbeiterInnenklasse. Nicht nur der „normale“ bürgerliche Nationalismus und die Konkurrenz tragen dazu das Ihre bei. Die vorherrschende nationalstaatliche, am „eigenen“ Wirtschaftsstandort sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Politik von Gewerkschaften und Sozialdemokratie hat das Ihre dazu beigetragen, dass große Teile der Lohnabhängigen anfällig werden für chauvinistische und rassistische Hetze. Große Teile der ArbeiterInnenklasse, die dem Rechtsruck entgegentreten wollen, stehen heute politisch perspektivlos, hilflos, ratlos da.

Dabei war die Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten im Sommer 2015 eine der größten gesellschaftlichen Bewegungen der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung – Schätzungen gehen von bis zu 7 oder 8 Millionen Menschen aus, die sich an Unterstützungsaktivitäten beteiligten – hieß Hunderttausende nicht nur willkommen, sondern zeigte in zahlreichen lokalen Initiativen und Vereinigungen, dass der Rechtsruck keineswegs eine „unvermeidbare“ oder „natürliche“ Entwicklung ist. Schon davor hatten GewerkschafterInnen wie z. B. in Hamburg Initiativen ergriffen, Geflüchtete in die Gewerkschaften aufzunehmen, um ihre Solidarität zu demonstrieren und aufzuzeigen, dass diese in die ArbeiterInnenbewegung integriert werden können und müssen. Noch wichtiger war, dass sich in den letzten Jahren auch eine politische Bewegung unter den Geflüchteten gebildet hat, die mit Protestmärschen und Besetzungen ihre Anliegen öffentlich machte.

Materiell erreicht haben diese Initiativen bislang zwar nur wenig. Verbesserungen wie eine Lockerung der Residenzpflicht, die sie in einigen Bundesländern erzwangen, sollen nun wieder im Namen der „Sicherheit“ kassiert werden. Die meisten UnterstützerInnen für Geflüchtete agierten mehr als humanitäre und karitative NothelferInnen, wo sich staatliche Stellen aufgrund von Kürzungen, politischem Unwillen und auch Kalkül als unfähig erwiesen, die elementare Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen. Trotz ihrer großen Zahl fehlte ihen eine politische Perspektive.

Aber all das verdeutlicht, dass es ein großes gesellschaftliches Potential gab und weiter gibt, das sich aktiv dem Rechtsruck entgegenstellen will. So wie die AfD, rassistische Straßenmobilisierungen bis hin zu neo-faschistischen Gruppierungen das Unterste der Gesellschaft formieren und radikalisieren, so gibt es durchaus auch ein Potential für eine aktive, antirassistische Massenbewegung. Das zeigt im Übrigen auch die Teilnahme von 500 bis 800 Menschen an „antirassistischen Aktionskonferenzen“ in den letzten beiden Jahren.

Allein: Damit diese Potentiale ausgeschöpft und zu einer wirklichen gesellschaftlichen und politischen Kraft werden, braucht es eine politische Konzeption, die den Kampf gegen den Rassismus als Bestandteil des Kampfes gegen soziale und politische Angriffe, als integralen Teil des Klassenkampfes begreift und diese Aktivitäten um konkrete Forderungen herum bündelt. Es erfordert ein Verständnis des Rassismus, seiner gesellschaftlicher Wurzeln wie auch politischer Strategie und Taktik.

Genau daran mangelt es jedoch der deutschen Linken. Während der Mainstream der bürgerlichen, staatlich integrierten ArbeiterInnenbewegung, vor allem die SPD und das Gros der Gewerkschaften, ihr Heil in einer rein bürgerlichen Politik suchen, der „Humanismus“ für die Geflüchteten mit selektiver Migration kombiniert, geben auch immer größere Teile des Linksreformismus diesem Druck nach. Die SPD und die Grünen stimmen Gesetzesverschlechterungen offen zu. Die Landesregierung Thüringens schiebt unter dem „linken“ Ministerpräsidenten Ramelow in aller Stille ab. Andere wie Lafontaine und Wagenknecht spekulieren darauf, der AFD mit offen sozialchauvinistischen Äußerungen das Wasser abzugraben – und helfen doch nur, das AfD-Schiff flott zu machen.

Aber auch die „radikale“ Linke verfügt über kein klares Verständnis, was Rassismus überhaupt ist, geschweige denn, wie er zu bekämpfen wäre. Ihre Politik schwankt zwischen Opportunismus und Sektierertum, zwischen einer „Verallgemeinerung“ der Kleingruppenpolitik der Antifa und dem Beschwören klassenübergreifender Bündnisse. Versuche, den Rassismus als Element der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu begreifen, werden losgetrennt vom Kampf gegen Imperialismus und vom Bezug auf den Klassenkampf. Andere sind zwar gegen „Obergrenzen“ für Geflüchtete, distanzieren sich aber gleichzeitig von der Forderung nach offenen Grenzen. Zu all diesen politischen Irrungen gesellt sich ein manifestes Unvermögen – wenn nicht ein Unwille -, ein bundesweites Aktionsbündnis gegen die RassistInnen und RechtspopulistInnen wie gegen den staatlichen Rassismus aufzubauen.

Es ist daher kein Wunder, dass die Rechten heute in der Offensive sind. Der Aufschwung der AfD ist auch durch innere Zerwürfnisse und Skandale um offene Antisemiten wie im Stuttgarter Landtag nicht zu stoppen. Regierung und EU haben es geschafft, die Festung Europa wieder dicht zu machen. Nun sollen jene, die es 2015 und 2016 geschafft haben, die Festungsmauern zu überwinden, sortiert werden in „nützliche Flüchtlinge“ mit „Integrations- und Bleibeperspektive“ und andere, die so rasch wie möglich abgeschoben oder zur „freiwilligen Rückkehr“ in Länder wie Afghanistan „ermutigt“ werden sollen. Zugleich richtet sich der Rassismus – insbesondere in Form des Anti-Islamismus – zunehmend gegen MigrantInnen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und nach wie vor als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Im Folgenden werden wir daher kurz das marxistische Verständnis des Rassismus skizzieren und illustrieren, wie sich die Lage der MigrantInnen in den letzten Jahren verschlechtert hat. Im zweiten Schritt werden wir auf zentrale politische Probleme und Schwächen verschiedener Teile der deutschen Linken eingehen. Wir werden uns dabei nicht mit allen Strömungen, wohl aber mit wichtigen Streitfragen beschäftigen, die für das Verständnis und den Kampf gegen den Rassismus heute von Bedeutung sind. Wir verweisen außerdem auf die Resolution „Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa“ (siehe diese Ausgabe S. 136), die von ArbeiterInnenstandpunkt und ArbeiterInnenmacht Ende März 2016 veröffentlicht wurde und die Strategie und Taktik unserer Organisationen zu Schlüsselforderungen im Kampf gegen den Rassismus darlegt.

Was ist Rassismus?

Nationalismus, Rassismus und Imperialismus sind historisch eng miteinander verflochten. Rassistische Ideologien sind kein Produkt des „menschlichen Wesens“, nicht Ausdruck einer „tief verwurzelten, archaischen Angst vor dem Fremden“, oder was es sonst noch an psychologistischen Verharmlosungen des Rassismus gibt. Richtig ist zwar, dass die Milderung der Klassengegensätze der eigenen Gesellschaft durch die Umlenkung des Kampfes auf die Auseinandersetzung mit fremden Gesellschaften eines der „bewährtesten“ Mittel aller Klassengesellschaften gewesen ist (siehe die Auseinandersetzung mit den „Barbaren“ in der Sklavenhaltergesellschaft oder mit den „Heiden“ in der Feudalgesellschaft). Doch der Rassismus zeitigt einige Besonderheiten, die erst mit der kapitalistischen Epoche möglich wurden und mit dem Entstehen bürgerlicher, imperialistischer Nationalstaaten zusammenhängen.

Erst die Bourgeoisie schuf sich aus ihrem Bedürfnis nach einem geeigneten „Binnenmarkt“ heraus den politischen Überbau des Nationalstaates. Erst der Kapitalismus brachte einen allgemeinen Weltmarkt hervor, in dem die entwickelten kapitalistischen Nationen die Bedingungen diktieren. Schon die Entstehung der bürgerlichen Nationen ist verbunden mit der Ausplünderung der Reichtümer und Nutzung der Arbeitskräfte von anderen Völkern. So beruht die ursprüngliche Akkumulation in den USA zu einem großen Teil auf der Arbeit der schwarzen Sklaven.

Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert zur Überwindung seiner beständigen Überproduktionskrisen gezwungen war neue Märkte zu gewinnen, entwickelte er eine Kolonialisierungspolitik, die an Gewalt und Ausmaß alles Bisherige in den Schatten stellte. Erst dies war die Geburtsstunde des Märchens von den „großen“ Nationen, die der Welt ihre „Zivilisation“ bringen. Mit der Beständigkeit der Ausbeutung der Bevölkerung der Kolonialländer wuchs der Bedarf an Erklärungen, die die Unzivilisierbarkeit dieser Menschen feststellten und sie so zu ewigen „Dienern des weißen Mannes“ machten. So war der Boden bereitet für die pseudo-wissenschaftliche Erklärung ihrer „Minderwertigkeit“ durch den Rassebegriff.

Der Nationalismus spielt von Beginn der kapitalistischen Ära an eine Schlüsselrolle. Er richtet sich nicht nur gegen die feudale Ordnung oder gegen Unterdrückung durch andere Nationen, er ist auch die Ideologie, die in Wirklichkeit unversöhnliche Klasseninteressen scheinbar im „nationalen Wohl“, im nationalen „Gesamtinteresse“ versöhnt. Anders als vorhergehende Gesellschaftsformationen präsentiert sich der bürgerliche Staat als eine Gemeinschaft formal gleicher und freier WarenbesitzerInnen, von StaatsbürgerInnen, hinter der die reale Ungleichheit, die auf dem Klassenantagonismus beruht, verschleiert wird.

Es ist daher kein Zufall, dass die kleinbürgerlichen Schichten, die „Mittelklassen“ der Gesellschaft oft die begeistertsten AnhängerInnen des Nationalismus sind. Auch wenn Rassismus und Nationalismus keineswegs ein- und dasselbe sind, so findet der Rassismus doch seinen Nährboden im Nationalismus.

Die Geschichte der Klassengesellschaft war immer überlagert durch eine Geschichte ethnischer Gegensätze. Die jeweiligen ökonomischen Möglichkeiten einer Klassengesellschaft schufen die Voraussetzung für die Bildung immer größerer gesellschaftlicher Einheiten, in denen das allgemeine Gefäß der Klassengesellschaft mit Leben gefüllt wurde. Erst in diesen Einheiten wird die Lebenswelt ihrer Mitglieder umfassend bestimmt, während das Prinzip der Klassengesellschaft nur die allgemeinen Grundzüge festlegt. Im Gegensatz zur Klassenzugehörigkeit haftet den ethnischen Institutionen (Sprache, kulturelle Überlieferung, besondere Rollenverständnisse etc.) etwas „Konventionelles“ an. Die zentrale Bestimmung des Individuums ergibt sich aus dem Klassenantagonismus und damit aus seiner Klassenzugehörigkeit. Das zeigt sich auch bei der Frage der Migration. Während es für Angehörige der KapitalistInnenklasse relativ wenige Schwierigkeiten gibt, auch in die meisten imperialistischen Länder zu reisen, so ist ein Visum für die Masse der Bevölkerung schwer erhältlich, ohne extreme Hürden kaum zu meistern. Die Einreise von ArbeitermigrantInnen ist eng an ihre Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt gebunden. Ebenso ist die „Integration“ in die vorherrschende bürgerliche Kultur des imperialistischen Landes klassenspezifisch bestimmt.

Rassismus und Nationalismus kehren die Verhältnisse genau um. Für sie bleibt ein/e TürkIn immer ein/e TürkIn, auch wenn sie/er schon jahrzehntelang in einem anderen Land lebt. Wer auf die doppelte Staatsbürgerschaft nicht verzichten will, gilt schon als „illoyal“, wenn nicht als potentieller „Terrorist“. Der Rassismus geht sogar weiter als die Festlegung eines Individuums durch Sprache oder kulturelle Herkunft. Er macht sich zunutze, dass „man den Menschen ja ansieht, woher sie kommen“. Phänotypische Merkmale (Kopfform, Hautfarbe etc.) werden hergenommen, um die wesentliche Gruppenzugehörigkeit eines Menschen festzulegen.

Der Rassenbegriff ist dabei ein besonders bequemes Instrument der bürokratischen Grenzziehung und der demagogischen Mobilisierung. Auch wenn heute eine kulturalistische Begründung oft vorherrscht, so ist der Weg zur Schädellehre auch in den letzten Jahrzehnten keineswegs so weit gewesen, wie die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft sich gern vormacht. So wurden Anfang der 90er Jahre AussiedlerInnen aus Polen auf ihre Schädelmaße hin untersucht, um festzustellen, ob sie denn noch „wirklich“ Deutsche wären. Wir leben in einer Zeit, in der moderne Kommunikationsmittel die Distanz zwischen Kontinenten zu einer Nebensächlichkeit machen und die Wissenschaft sich einer immer perfekter werdenden universellen Sprache – der Mathematik und Logik – bedient. Trotz aller Möglichkeiten im Transport- und Kommunikationswesen, die wir heute hätten, unser Leben in eine andere Region zu verlegen, entscheiden über Verwirklichung eines solchen Wunsches oft Maßstäbe, deren reaktionäre Dummheit nicht einmal das Wort „mittelalterlich“ verdient.

Manchmal wird die Anwendung des Begriffes Rassismus auf die Unterdrückung der Arbeitsmigrantinnen als unpassend angesehen. Er gilt oft als ein Extremwort, das mit „Pogrom“ oder „Apartheid“ assoziiert wird. Dabei wird übersehen, dass er auch viel einfachere Formen hat, die den Alltag des Imperialismus mitbestimmen. Es muss nicht so weit gehen, dass jemand wegen einer pseudo-wissenschaftlichen Feststellung seiner „Rassenzugehörigkeit“ staatlich unterdrückt wird. Auch die Zuteilung verschiedener Rechte, je nachdem, ob man einer „rückständigen“ oder einer „zivilisierten“ Nation oder Nationalität zugeordnet wird, ist Rassismus. Sein Sinn ist nämlich genau dies: die positive Bewertung der ethnischen Zugehörigkeit zu einem imperialistischen „Staatsvolk“ und die negative für alle anderen. Grundsätzlich ist dabei Rassismus immer mit einer Abwertung von Angehörigen unterdrückter Nationen verbunden, auch wenn er sich in bestimmten Situation ebenfalls gegen Angehörige imperialistischer Nationen wenden kann (z. B. gegen italienische MigrantInnen in den 50er/60er Jahren oder gegen die Bevölkerung des Kriegsgegners in imperialistischen Kriegen). Die Abwertung von Angehörigen unterdrückter Nationen ist keinesfalls auf die imperialistischen Länder beschränkt, sondern prägt auch viele halb-koloniale Länder (siehe z. B. den Rassismus gegenüber Schwarzen und der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika).

Der Tatsache, dass Rassismus und Nationalismus allgemeines „Volksgut“ in den imperialistischen Ländern geworden sind, liegt jedoch ein langwieriger politischer und sozialer Prozess zugrunde. Noch im kommunistischen Manifest schrieben Marx und Engels „(…) die moderne industrielle Arbeit, die moderne Unterjochung unter das Kapital, dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutschland, hat ihm (dem Proletarier) allen nationalen Charakter abgestreift. Die Gesetze, die Moral, die Religion sind für ihn ebenso viele Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interessen verstecken.“ (1)

Doch mit dem Anwachsen der ArbeiterInnenbewegung und der Enttäuschung revolutionärer Erwartungen in den Jahren 1848 und 1870 änderte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Situation. Einerseits waren die Herrschenden gezwungen, gegen den wachsenden Druck der ArbeiterInnenbewegung auch mit sozialen Kompromissen vorzugehen. Aufgrund der imperialistischen Superprofite konnte man es sich aber auch leisten, einer gewissen Schicht der ArbeiterInnenklasse einen bescheidenen Wohlstand zuzugestehen.

Andererseits begannen sich diese Schichten der ArbeiterInnenbewegung in ihrem neuen kleinbürgerlichen Glück wohlzufühlen und wurden zugleich zur sozialen Basis für die Entstehung einer eigenen, abgesonderten ArbeiterInnenbürokratie an der Wende zur imperialistischen Epoche. Diese, den Rest der ArbeiterInnenklasse ideologisch dominierenden Schichten, begannen ihren Erfolg mit dem der „eigenen“ deutschen, englischen und französischen Industrie zu identifizieren. Damit hörte der Nationalismus auf, nur eine Ideologie der herrschenden Eliten und des Kleinbürgertums zu sein. Er fand Eingang unter die Masse der arbeitenden Bevölkerung. In dieser Zeit bildete sich der soziale und politische Kompromiss heraus, der noch heute die imperialistischen Länder bestimmt: über „demokratische“ Institutionen erhalten reformistische ArbeiterInnenorganisationen politische Mitspracherechte, anderseits bilden sich die verschiedenen Institutionen einer „Sozialpartnerschaft“ zwischen den ArbeiterInnenbürokraten und „ihren“ Unternehmern, in denen ein „angemessenes“ Stück vom Kuchen der imperialistischen Gewinne für die „eigenen“ ArbeiterInnen verlangt wird. Das Symbol dieses Kompromisses ist der „Sozialstaat“, der von Anfang an ein nationalistisches Konzept ist, in dem nur die ArbeiterInnen des Staatsvolkes Anspruch auf seine Segnungen haben.

Im Jahr 1914 riefen die sozialdemokratischen Parteien fast aller Nationen die ArbeiterInnen zur Unterstützung ihres jeweiligen Staates im Weltkrieg auf. Die Vorstellung, ArbeiterInnen könnten ihre Interessen am besten durch ihren „eigenen“ Staat durchsetzen, hatte sich in der Zweiten Internationale endgültig über den Internationalismus als dominierendes Prinzip hinweggesetzt. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts hatten sich führende deutsche Sozialdemokraten für den Erwerb von Kolonien in Afrika und repressive Maßnahmen gegen die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte ausgesprochen. Die Vorstellung, diese seien ein Problem oder eine Bedrohung für Deutsche, der deutsche Imperialismus verkörpere dagegen eine zivilisatorische Wohltat für die unterdrückten Völker der Welt, wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts auch in der ArbeiterInnenbewegung vorherrschend. Die Grundlage für das Eindringen rassistischer Vorurteile in breite Schichten der Gesellschaft war somit geschaffen.

Die Erfahrung zweier Weltkriege, die faschistische Diktatur und die Festigung des imperialistischen Sozialkompromisses durch den langen Boom nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Schwäche des Proletariats aufgrund der historischen Niederlage und des Fehlens einer revolutionären Partei haben dazu geführt, dass der Nationalismus heute wesentlich tiefer verwurzelt ist als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Immerhin gab es noch in den 1920er Jahren einflussreiche kommunistische Parteien und, nach deren stalinistischer Degeneration, die auch mit einer nationalistischen Wende einherging, oppositionelle Strömungen, die der chauvinistischen Ideologie der offiziellen ArbeiterInnenparteien eine internationalistische Politik der ArbeiterInnensolidarität entgegensetzten. Heute dagegen ist jeder ArbeiterInnenfunktionär „staatstragend“, ein „Patriot“ – und kaum jemand findet das anstößig. Die Vorstellung, einen deutschen Arbeiter verbinde mehr mit einem deutschen Unternehmer als mit ausländischen ArbeiterInnen, gilt heute als selbstverständlich.

In vielen reformistisch geprägten Kreisen, ist der Begriff „Rassismus“ bis heute nicht gebräuchlich. Stattdessen wird oft von „Fremdenfeindlichkeit“ gesprochen. Dem liegt die verharmlosende Tendenz zugrunde, die Diskriminierung der ArbeitsmigrantInnen aus imperialisierten Ländern auf ein rein psychologisches Problem zu reduzieren. Tiefverwurzelte Vorurteile und Feindbilder würden „die Menschen“ dazu treiben „fremdenfeindlich“ zu handeln. Dies würde bedeuten, dass man dem Problem mit „Aufklärung“ und kultureller Aktivität begegnen kann. Mit Kulturveranstaltungen und Festen könnte die „Berührungsangst“ vor dem Fremden genommen werden und die Idee einer „multi-kulturellen Gesellschaft“ um sich greifen.

Dieser Ansatz verkennt, dass der Rassismus kein Problem „fehlender Aufklärung“ ist, sondern tief im gegenwärtigen Herrschaftssystem verankert. Nicht nur, dass der Rassismus ein notwendiges ideologisches Element des Imperialismus ist. Die materielle Basis des Rassismus in der ArbeiterInnenklasse ist der oben dargestellte soziale Kompromiss auf Kosten der Massen in den Halbkolonien, der einem Teil der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern einen gewissen Wohlstand zu garantieren scheint. Dass dieser Kompromiss nur begrenzt ausdehnbar ist, macht diese Schichten daher leicht zu VerfechterInnen einer nationalistischen Politik. Wenn schließlich die Krise den Kompromiss endgültig als Illusion entlarvt, wird dieser Nationalismus zur Basis noch schärferer Spaltungen der ArbeiterInnenklasse.

Eine anti-rassistische Politik muss grundlegend anti-nationalistisch und anti-imperialistisch sein. Es geht darum, dass der/die ArbeiterIn in den imperialistischen Ländern nicht wegen seiner/ihrer migrantischen KollegIn entlassen wird, die Miete erhöht oder die Sozialleistungen gekürzt bekommt. Anti-Rassismus beinhaltet den Kampf gegen die Illusionen, über die Unterstützung der „eigenen“ Industrie und des „eigenen“ Staates ein gutes Auskommen zu erhalten. Insbesondere SozialdemokratInnen und StalinistInnen, die wir für den anti-rassistischen Kampf zu gewinnen versuchen, werden an dieser Grenze halt machen. Sogar ihre linkesten Elemente fürchten, dass sie sich mit einer solchen Politik von der Mehrheit der „einheimischen“ ArbeiterInnen isolieren. Sie kapitulieren also vor den nationalistischen und rassistischen Tendenzen in der ArbeiterInnenklasse, die gerade ein Produkt ihrer Politik des „historischen Kompromisses“ sind. Auf diese Weise entlarven sich die ReformistInnen selbst vor den Augen fortschrittlicher ArbeiterInnen.

Zur politischen Ökonomie des Rassismus

Verschiedene Teile der ArbeiterInnenschaft gegeneinander auszuspielen, gehörte schon immer zu den Instrumenten unternehmerischer Strategie. Die nationalistische Entsolidarisierung mit den ArbeitsmigrantInnen führte nach Beginn des Einwanderungsbooms aus den vom Imperialismus beherrschten Ländern zur besonderen rechtlichen und sozialen Stellung der ArbeitsimmigrantInnen. Die FührerInnen der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und der Gewerkschaften hatten diesen Versuchen in den letzten Jahrzehnten wenig entgegenzusetzen, indem sie ArbeitsimmigrantInnen ähnlich wie proletarische Frauen und Jugendliche sowie Lesben und Schwule an den Rand der ArbeiterInnenbewegung drängten beziehungsweise gar nicht in diese hineinließen.

Der heutige Imperialismus greift zwar wieder mehr auf unmittelbare neo-koloniale militärische Gewalt zurück. Er funktioniert aber vor allem über indirekte ökonomische Zwänge: die Produktion der unterentwickelten Länder wird über Kapitalexport und Tauschbedingungen in Sektoren abgedrängt, die letztlich auf die Verwertungsbedürfnisse der imperialistischen Monopole ausgerichtet sind. Das mag zwar zur Entwicklung ganzer Industrien führen, ändert aber nichts an der globalen Arbeitsteilung, in die diese eingebunden sind. Durch diesen Prozess werden einerseits die Unterentwicklung der Gesamtökonomie der vom Imperialismus dominierten Länder festgeschrieben, andererseits Extraprofite an die imperialistischen Zentren abgeliefert.

Durch diese ungleiche Entwicklung der verschiedenen Wirtschaftssektoren verlieren aber auch massenhaft Arbeitskräfte aus dem ländlichen Bereich ihre Existenzbedingung. Sie ziehen in die Metropolen ihres Landes, ohne dass die unterentwickelte Industrie dort alle diese Arbeitskräfte aufnehmen könnte. Wir haben es daher mit riesigen Migrationsbewegungen zu tun, die oft Binnenmigration sind, zur Bildung von „Mega-Städten“ führen und zugleich zu einer Entstehung riesiger Schichten des Halb- und Subproletariats.

Dies ist auch eine der Triebkräfte, die zu einer grundlegenden Veränderung der Migrationsbewegung in der imperialistischen Epoche verglichen mit dem 19. Jahrhundert führten. Arbeitskräfte migrieren nun aus der sog. „Dritten Welt“ in die „Zentren“ der Welt, vorher war es umgekehrt.

Die Unternehmer der imperialistischen Länder waren in der Zeit das großen Booms auch sehr an einer Aufstockung ihrer industriellen Reservearmee interessiert. Umgekehrt sind die Regierungen der Halbkolonien – denken wir nur an Osteuropa nach der Wiedereinführung des Kapitalismus, aber auch an die Türkei – daran interessiert, frei gesetzte Arbeitskräfte abzubauen. Daher ist seit dem Zweiten Weltkrieg eine selektive, staatlich gesteuerte Migration vorherrschend, die den Zuzug der Arbeitskraft flexibel regulieren soll. Die migrantische Arbeit soll nur zeitweilig auf dem Arbeitsmarkt auftreten, danach soll sie wieder in ihr Herkunftsland verschwinden.

Ein zusätzliches Hindernis stellten für die Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg oft die ArbeiterInnenbürokraten dar, die den sozialen Kompromiss durch die unbeschränkte Einreise von „LohndrückerInnen“ in Gefahr sahen. So flossen schon zu Beginn der „AusländerInnenpolitik“ zwei verschiedene Interessen ineinander: einerseits das Interesse der ArbeiterbürokratInnen an einem „Schutz des inländischen Arbeitsmarktes“ durch AusländerInnenbeschäftigungsgesetze, andererseits das Interesse bürgerlicher PolitikerInnen an der rechtlichen Absicherung von Rassismus und Nationalismus durch die Schaffung polizeilicher Sonderrechte bei der Behandlung von ArbeitsmigrantInnen und die Gewährleistung ihrer politischen Rechtlosigkeit. Dies waren die Bedingungen, unter denen zu Beginn der 60er Jahre in der BRD und Österreich zwischenstaatliche Abkommen mit der Türkei und Jugoslawien über die „Einfuhr“ von Arbeitskräften abgeschlossen und die Ausländergesetze geschaffen wurden.

Der Grundsatz dieser Gesetze ist es, dass es den ImmigrantInnen so schwer wie möglich gemacht werden soll, ein vollwertiges Mitglied der jeweiligen Gesellschaft zu werden. Der von den Gesetzgebern angestrebte Status wird am entlarvendsten durch den Begriff „Gastarbeiter“ zum Ausdruck gebracht. Auch wenn jemand schon Jahrzehnte hier arbeitet, soll es rechtlich möglich sein, ihn/sie abzubauen, sprich in die alte Heimat abzuschieben. Die Schaffung eines zweiten, kapazitätsabhängigen Arbeitsmarktes war immer schon ein Traum der UnternehmerInnen für die Organisierung der industriellen Reservearmee. So meinte schon 1895 eine Studie des preußischen Handelsministeriums: „Beschränkte man die Industrie auf inländische Arbeiter, so würde bei einem Rückgang der Industrie eine große Anzahl von Arbeitern brotlos und vermehrten sich dadurch die unzufriedenen Elemente. Dagegen könne man ausländische Arbeiter in einem solchen Falle ohne weiteres abstoßen.“

Der Imperialismus konnte nach dem Zweiten Weltkrieg diesen „Traum“ von einer weltweiten Organisierung der industriellen Reservearmee realisieren. In den Slums der „3. Welt“, in den halbkolonialen Ländern, gibt es genug Reserven, die man bei entsprechender Konjunkturlage hereinholen und bei schlechterer Lage wieder zurückschicken kann. Rassismus und sozialchauvinistische ArbeiterInnenparteien sorgen dafür, dass dies vom Großteil der ArbeiterInnen in den imperialistischen Ländern hingenommen wird und der soziale Kompromiss nicht von einigen übereifrigen Unternehmern überzogen wird.

Doch ganz so perfekt funktioniert das System natürlich nicht. Inzwischen gibt es bestimmte Sektoren des Arbeitsmarktes, die auf ArbeitsimmigrantInnen angewiesen sind. Dies trifft besonders auf bestimmte Arbeiten im Gastgewerbe, am Bau oder bei besonders lärmbelasteter und gesundheitsgefährdender Tätigkeit zu sowie auf Beschäftigung mit prekären Arbeitszeiten, z. B. Altenpflege im privaten Bereich.

Aufgrund ihrer unsicheren Stellung im „Gastland“ und der beständigen Bedrohung mit Abschiebung sind die ArbeitsimmigrantInnen oft gezwungen und „bereit“, besonders schlechte Arbeits- und Lohnbedingungen in Kauf zu nehmen. Diejenigen, die schärfere Bestimmungen gegen AusländerInnen fordern, schneiden sich also ins eigene Fleisch: AusländerInnen nehmen ihnen ja nicht die Arbeitsplätze weg, sondern sie nehmen Arbeitsplätze zu umso schlechteren Bedingungen in Kauf, je schärfer sie durch AusländerInnengesetze bedroht werden. Solche Gesetze verschärfen also nur Lohndruck und Spaltung.

Die ArbeiterInnenklasse braucht dagegen eine vorwärtsgewandte, auf die internationale Solidarität abzielende Perspektive, denn es gibt keinen modernen Kapitalismus ohne Arbeitsimmigration.

Rassistische Gesetzesverschärfungen in Deutschland und der EU

Ebenso wenig gibt es Imperialismus ohne Fluchtbewegungen. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1948 schreibt zwar fest, dass Verfolgte Schutz genießen würden. Alle 28 Mitgliedstaaten der EU haben das unterzeichnet. In der Realität wurde dieses Recht immer mehr zur leeren Hülle.

Wird heute vom Asylrecht gesprochen, so geht im „zivilisierten“ Europa vor allem die Angst vor dessen „Missbrauch“ um. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Migration so reguliert, dass Not, Elend, Hunger und erst recht die Suche nach einem besseren Leben nicht als legitime Fluchtgründe anerkannt wurden.

Das drückte sich insbesondere in der Regulierung der Arbeitsmigration aus, besonders beim Arbeits-, Aufenthalts- und Sozialrecht. Das Ausländergesetz wurde 1965 verabschiedet, nachdem mit verschiedenen Staaten wie der Türkei, Griechenland, Italien sogenannte Anwerbeabkommen abgeschlossen worden waren, die dazu dienten, für eine befristete Zeit ArbeiterInnen aus diesen Ländern nach Deutschland zur Lohnarbeit zu bringen.

Das Ausländergesetz hat sich heute zum Aufenthaltsgesetz für Ausländer entwickelt und ist zusammen mit dem Asylgesetz (2015 um das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ergänzt) das wesentliche Element des deutschen Ausländerrechts.

Das Recht auf Asyl, im Grundgesetz §16 festgeschrieben, wurde 1993 mit dem § 16a stark eingeschränkt und seither noch mehr zur Makulatur gemacht. Dort wurde festgelegt, dass Menschen praktisch nur ein Recht auf Asyl haben, wenn sie nicht über einen sicheren Drittstaat einreisen. Das trifft auf alle Nachbarstaaten zu. So ist es nur möglich per Flugzeug nach Deutschland einzureisen, um hier ein Recht auf Asyl zu haben. An den Flughäfen wurden dafür Außenstellen der Grenzbehörde eingerichtet, in denen im Schnellverfahren über Asylanträge eingereister MigrantInnen entschieden und, bei negativem Bescheid, die Einreise untersagt wird (Asylgesetz § 18a, Verfahren bei Einreise auf dem Luftwege).

Die Dublin II-Verordnung von 2003, seit 2013 in reformierter Fassung als Dublin III gültig, ist ein Beschluss des Europaparlaments. Dort ist festgelegt, wer in der EU für welche Asylverfahren zuständig ist (die sogenannte Drittstaatenverordnung). Vor allem geht es um Datenerfassung der MigrantInnen und EU und länderübergreifende Zusammenarbeit.

Eurosur ist ein Grenzüberwachungssystem der Europäischen Union, das seit Dezember 2013 aktiv ist. Die Grenzüberwachungssysteme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen zusammengeführt werden, um Informationen auszutauschen. Als Hauptziele werden die Verhinderung von grenzüberschreitender Kriminalität und die Flüchtlingshilfe in Seenot proklamiert. Für die Überwachung ist die Agentur Frontex zuständig, deren Hauptsitz sich in Warschau befindet. FRONTEX ist für die Koordinierung von Grenzschutzsystemen zuständig sowie für die sechs Bereiche: Ausbildung von Grenzschutzbeamten, Risiko-Analyse der Grenzübergänge, Technologische Unterstützung, Koordinierung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, Unterstützung bei Abschiebungen, Informationsaustausch zwischen den nationalen Grenzpolizei-Einheiten. EUROSUR wurde 2013 von der Europäischen Union eingeführt, Frontex wurde bereits 2004 errichtet und ist seit 2005 aktiv. Praktisch handelt es dabei um zentrale Institutionen zur Abschottung der EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge.

Die sogenannte Flüchtlingskrise hat seit 2015 weitere Gesetze in Deutschland und allen anderen EU-Mitgliedstaaten hervorgebracht.

Das Asylpaket II und die Asylrechtsnovelle kamen 2016 Schlag auf Schlag. Und immer werden sie in der Öffentlichkeit dargestellt als bessere Integrationsmöglichkeit, als „Fördern und Fordern“ und im Sinne der „Ordnung“, die besonders in Deutschland heilig zu sein scheint. Tatsächlich geht es aber um Begrenzung, Abschottung einerseits und Verschlechterung der Lebensbedingungen der Geflüchteten und der MigrantInnen andererseits. Es werden immer mehr Länder als „sichere“ Herkunftsländer „ausgewiesen“ und damit den Menschen aus diesen Ländern die Möglichkeit genommen, auch nur einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Das neueste Gesetz, das in Deutschland eingeführt werden soll, ist das „Integrationsgesetz“. Dieses Gesetz teilt MigrantInnen in neue (legale) Gruppen ein: In Asylberechtigte, in anerkannte Flüchtlinge, in subsidiär Schutzberechtigte und in AsylbewerberInnen mit guter Bleibeperspektive. Letztere sind Menschen, die aus den Ländern Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia stammen. Der Begriff „Bleibeperspektive“ erscheint als etwas Positives, tatsächlich ist damit gemeint, dass Menschen aus diesen Ländern wohl nicht in den nächsten Jahren dorthin zurückgeschickt werden können, da ihre Lebensgrundlagen total zerstört sind oder jedes Überleben durch Kriege bzw. militärische Auseinandersetzungen extrem bedroht ist. Der Begriff beinhaltet aber ausdrücklich nicht, dass diese Menschen aus diesen Ländern ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Alle Geflüchteten werden individuell geprüft. Sie müssen glaubhaft machen, tatsächlich aus gefährlichen Regionen zu kommen und auch ihren Fluchtweg beschreiben. Wenn sie schon in einem anderen EU-Staat registriert worden sind, können sie dorthin zurückgeschickt werden.

Das neue Integrationsgesetz wird uns von der Bundesregierung als „Fordern und Fördern“ der ImmigrantInnen präsentiert und setzt sich aus 7 „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ (FIM) zusammen: 1. Verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen, 2. Rechtssicherheit während der Ausbildung, 3. Bessere Steuerung durch Wohnsitzregelung, 4. Verzicht auf Vorrangprüfung, 5. Ausbildung ermöglichen, 6. Niederlassungserlaubnis hängt von „Erfolgreicher Integration“ ab, 7. Einheitliche Regelung zur Aufenthaltsgestattung.

Zuallererst wird aber klargestellt, wer von diesen Maßnahmen ausgeschlossen ist: AsylbewerberInnen aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten und vollstreckbar Ausreisepflichtige werden nicht in den „Genuss“ besonderer Integrationsmaßnahmen kommen.

Die Menschen mit „Bleibeperspektive“ haben die Möglichkeit, für 6 Monate eine Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, der gegenüber Ein-Euro-Jobs noch gut bezahlt sind: bis zu 30 Stunden pro Woche für 80 Cent die Stunde. Diese Maßnahme ist befristet bis 2020. Das Gesetz erlaubt außerdem die Kürzung der Asylbewerberleistungen, wenn Arbeitsgelegenheiten oder Integrationskurse ohne wichtigen Grund abgelehnt oder abgebrochen werden.

Bei Maßnahmen zur Ausbildung und Vorrangprüfung ist mindestens eine Duldung Voraussetzung und natürlich die „Eigenverantwortung“, selber einen Ausbildungsplatz bzw. eine Arbeitsstelle zu finden. Die Vorrangprüfung ist außerdem eine Kann-Regelung und je nach Bedingungen am Arbeitsmarkt von der Agentur für Arbeit umzusetzen oder auch nicht.

Insgesamt führt dies Gesetz zu einer weiteren Verschlechterung der Lage von Geflüchteten und zur weiteren Spaltung der ImmigrantInnen in Integrationswillige und -unwillige und zu mehr repressiven Maßnahmen, sobald sich ImmigrantInnen nicht so anpassen wie gefordert.

Dies ist nur ein grober Überblick über die neuen Gesetze und Regelungen. Sie verdeutlichen, dass die Bundesregierung weit entfernt von einer „Willkommenspolitik“ für die Geflüchteten ist. Vielmehr wurden, seitdem die Geflüchteten 2015 die EU-Außengrenzen zeitweilig durchbrechen konnten, die Gesetze drastisch verschärft. Gerade das „Integrationsgesetz“ zeigt, dass es überhaupt nicht um Integration, sondern rassistische Selektion und Abschottung geht. Es verdeutlicht zugleich, wie viel Energie die imperialistischen Staaten aufwenden, um ihren Reichtum abzusichern.

Imperialistische Politik und Flucht

Der Hauptgrund für die Zunahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 ist leicht zu finden. Die meisten kamen aus den Ländern des Nahen Ostens, vor allem aus Syrien, sowie aus den nord- und zentralafrikanischen Staaten und Afghanistan. Die wichtigsten Fluchtgründe sind militärische Auseinandersetzungen, Bürger- oder Bandenkriege im Land. In den Nachbarländern dieser Staaten gibt es schon große Flüchtlingscamps, die nur gerade ein Überleben ermöglichen, aber keinerlei Perspektive bieten können. Auch die absolut minimale Versorgung ist in den ersten Monaten 2016 in einigen Camps zusammengebrochen, weil das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen kein Geld mehr hatte, da etliche Länder ihre Einzahlungen verzögerten.

Dabei befanden sich weltweit noch nie so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung wie heute. Ende 2015 waren es weltweit 63,5 Millionen Menschen. Im Vergleich dazu waren es ein Jahr zuvor 59,5 Millionen, vor zehn Jahren waren es 37,5 Millionen Menschen.

15 Konflikte in den letzten 5 Jahren treiben die Zahl der Menschen auf der Flucht nach oben. Aus Syrien flohen 4,9 Millionen Menschen, 6,6 Millionen sind Inlandsflüchtlinge. 2013 hatte Syrien 22,85 Millionen EinwohnerInnen. Es mussten also fast 50 % aller SyrerInnen ihre Heimat verlassen. Andere Länder, die stark zu Fluchtbewegungen beitragen, sind: Irak, Sudan und Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Burundi, Jemen, Ukraine, Myanmar, Somalia und Afghanistan.

Allein 2015 stieg die Zahl der Menschen auf der Flucht um 12,4 Millionen. Im gleichen Jahr konnten nur 201.400 Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. 86 %, also 9 von 10 Flüchtlingen fliehen in Länder, die selbst unter Armut und unsicheren Verhältnissen leiden: in die Türkei (2,5 Millionen), nach Pakistan (1,6 Millionen), in den Libanon (1,1 Millionen), in den Iran (knapp ein Million), nach Äthiopien (736.000) und nach Jordanien (664.000). Die Länder mit den meisten Binnenflüchtlingen sind Kolumbien (6,9 Millionen), Syrien (6,6 Millionen), Irak (4,4 Millionen), Sudan (3,2 Millionen), Jemen (2,5 Millionen), Nigeria (2,2 Millionen), Südsudan (1,8 Millionen), Demokratische Republik Kongo (1,6 Millionen) und Afghanistan (1,2 Millionen).

Die größten Flüchtlingslager sind in Kenia das Lager Dadaab mit über einer halben Millionen Menschen und in Jordanien das Lager Zaatari mit über 100.000 Menschen. Oft gibt es nicht mehr genug zu essen, viel zu wenig Gesundheitsversorgungsangebote und auch nur sehr prekäre und viel zu wenige Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. Die Möglichkeiten zu arbeiten tendieren gegen null. Das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab in Kenia, soll aufgelöst werden, da es überwiegend von islamischen Banden und somalischen Clans kontrolliert wird. Wir können also nicht von „Leben“ in den Lagern sprechen, höchstens von Überleben, und auch das ist schwierig, aber eben doch noch besser als in den Heimatländern der Flüchtlinge. Der Aufenthalt in einem Flüchtlingslager ist immer als kurzfristige „Lösung“ angelegt, bis militärische Konflikte beendet sind und die Menschen zurück in ihre Heimat können. Dies trifft zunehmend nicht mehr zu. Die PalästinenserInnen sind schon seit 1948 auf der Flucht und viele von ihnen bis heute in Flüchtlingslagern untergebracht. Das Schicksal teilen immer mehr Menschen. So besteht das Flüchtlingslager Dadaab schon seit 1991 und entwickelte sich zu einer kleiner Stadt. (2)

Aber die Perspektivlosigkeit für die überwiegende Zahl der Flüchtlinge bleibt und die Kapazitäten der Nachbarländer sind mehr als ausgeschöpft. Das ist ein Grund, warum mehr Menschen den überaus gefährlichen, langwierigen und teuren Weg nach Europa suchen. Der andere Grund ist, dass die Grenzabschottung der nordafrikanischen Staaten, vor allem in Libyen, zusammengebrochen ist und bis heute nicht wieder hergestellt werden konnte. Dadurch gab es endlich für hunderttausende Menschen die Möglichkeit, mit relativ „wenig Risiko“ nach Europa zu kommen. Trotzdem ist die Abschottung brutal und das Risiko groß. In den letzten 25 Jahren ertranken mehr als 25.000 Menschen, die nach Europa fliehen wollten, im Mittelmeer und an der europäischen Atlantikküste. In den ersten fünf Monaten 2016 ertranken mindestens 2500 Menschen. Die EU-Politik nimmt dies nicht nur billigend in Kauf, sie macht das Mittelmeer zum Massengrab, das abschrecken soll.

Der Weg aus dem Nahen Osten und Nordafrika ist für die meisten Flüchtenden lang und beschwerlich. An vielen Orten müssen die Menschen Zwangspausen einlegen und oft wochen- und monatelang warten, bis sie weiterziehen können. Jede Teilstrecke kostet Geld, um FluchthelferInnen zu bezahlen. Es hat sich ein System von FluchthelferInnen aufgebaut, das von den Regimes der Länder, aber vor allem von Europa unter dem fragwürdigen Begriff „Schlepperbanden“ zusammengefasst und immer als illegale und zu bekämpfende Struktur dargestellt wird.

Zugleich ist es aber zur Zeit für die meisten Flüchtenden die einzige Möglichkeit, aus ihrer lebensbedrohlichen Lage zu entkommen, und immer noch sicherer, als sich alleine auf den Weg zu machen. Die Preise sind hoch, die Transportwege oft lebensgefährlich und Banden machen damit hohe Profite auch auf Kosten von Menschenleben. Die EU-Kritik an den „Schlepperbanden“ ist jedoch zynisch und verlogen, da ihre Abschottung der Festung Europa dazu führt, dass die Geflüchteten auf solche Geschäftemacher angewiesen sind.

Dabei muss man sehen, dass die Geflüchteten selbst in das System integriert werden, anderen solange helfen, bis sie selbst genug Geld haben, um weiterreisen zu können. Alle Arbeitsmöglichkeiten der Menschen unterwegs nach Europa sind illegal, prekär und sehr gefährlich. Für Frauen gibt es oft nur die Möglichkeit der Prostitution, während Männer im Baugewerbe oder Straßenverkauf ausgebeutet werden. Und überall sind Banden, Unternehmen und Behörden im Hintergrund, die von der Situation der Flüchtlinge profitieren. In den Massenmedien ist aber ausschließlich von den „Schlepperbanden“ und ihren kriminellen Machenschaften die Rede. Das verzerrt das Bild der Situation der Menschen auf der Flucht absolut und zeigt die weltweiten Machtinteressen des Kapitals.

Diese Situation könnte durchaus verändert und verbessert werden, indem Schiffe und andere Transportmöglichkeiten für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden, um die Flüchtlinge sicher und rasch in die Länder der EU zu bringen. Doch genau das ist nicht gewollt. Die jetzige Situation verlängert das Elend der Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, um eine weitere traumatisierende Erfahrung langer Flucht. Diese „Abschreckung“ ist gewollt und gemacht.

Frauen, Jugendliche, sexuelle Unterdrückung

Geflüchtete Frauen und Arbeitsmigrantinnen zählen zu den unterdrücktesten Schichten der Gesellschaft. Sie sind mehrfach unterdrückt als Frauen und als Ausländerinnen und werden als Arbeitskräfte ausgebeutet. Dabei gewinnt auch die Frauenunterdrückung ein doppeltes Gewicht. Einerseits verschärft sich hier noch der patriarchalische Zug der Familie, andererseits sind sie als ausländische Frauen noch verstärkt den unterdrückerischen Mechanismen der hiesigen Gesellschaft unterworfen.

Trotz aller staatlichen und gesellschaftlichen Schikanen blieben mehr und mehr Migranten dauerhaft. Sie wurden unterprivilegierter Teil der Gesellschaft, für den eine Rückkehr in die „Heimat“ immer mehr in die Ferne rückte. Somit entstand aber auch das Bedürfnis, die eigenen Familienangehörigen nachzuholen. Viele der Frauen waren ursprünglich in erster Linie Hausfrauen und wurden erst allmählich in den Arbeitsmarkt als häusliche Hilfs-, Teilzeit- oder ungelernte Kräfte, teilweise als Mithelfende im Betrieb von Verwandten integriert. Das trifft vor allem für aus der Türkei Eingewanderte zu. Die Arbeitsmigrantinnen aus den osteuropäischen Ländern wurden oft viel rascher als billige Arbeitskräfte integriert, ja für bestimmte Berufe v. a. im Pflegebereich werden direkt Frauen angeworben.

Wenn wir von der Lage der Arbeitsmigrantinnen sprechen, so unterscheidet sich diese zwischen verschiedenen Nationen beträchtlich, so wie auch das Ausmaß rassistischer Unterdrückung und der rechtliche Status sehr unterschiedliche Formen annehmen.

Zweifellos gibt es eine widersprüchliche Tendenz zu Verfestigung wie Aufbrechen tradierter partriarchaler Strukturen unter den MigrantInnen. Die doppelte Arbeitsbelastung im Haushalt und in 9- oder 10-Stundenjobs und das durch patriarchalischen Zwang eingeengte soziale Milieu führen dazu, dass proletarische Immigrantinnen kaum politisch oder gewerkschaftlich organisiert sind. Mit den ausländischen Frauen hat sich das Kapital eine besonders billige und wehrlose Arbeitskraftreserve erschlossen. Reaktionäre und konservative Familien, Gewalt, Unterdrückung von migrantischen Frauen tragen das Ihre dazu bei, ihren Kontakt mit anderen Frauen zu erschweren.

Das Haupthindernis für das Durchbrechen ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung ist jedoch der Rassismus einschließlich dessen deutscher „KollegInnen“. Frauen werden von den Gewerkschaften oft noch mehr vernachlässigt als ihre männlichen Kollegen.

Jugendliche MigrantInnen und Geflüchtete, die oft auch unbegleitet kommen, sind ebenfalls einer besonderen Unterdrückung ausgesetzt. Sie stehen unter Generalverdacht, organisierte Diebstähle und Drogenhandel zu betreiben. Jugendliche MigrantInnen, die hier geboren wurden, gelten noch immer als „AusländerInnen“, selbst wenn sie mit dem Herkunftsland ihre Eltern oder Großeltern kaum noch etwas verbindet. Allein auf diese Art manifestiert sich alltäglich rassistische Ausgrenzung. Die Jugendlichen gehören zu den unterdrücktesten Schichten. In der Schule, in der Ausbildung werden sie benachteiligt. Minderjährige, unbegleitete, geflüchtete Jugendliche werden, wenn möglich, in Wohngruppen untergebracht, von der Bürokratie schikaniert und ansonsten vor allem sich selbst überlassen. Sie werden nicht in Schulen integriert, solange sie keinen „geklärten“ Status haben. Während ihnen mangelnde „Integrationsbereitschaft“ vorgeworfen wird, fehlt es an Deutschkursen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher sportlicher und kultureller Betätigung.

Geflüchtete und migrantische LGBTIA-Menschen (Lesben, Schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und asexuelle Menschen) sind ebenfalls extremen Anfeindungen ausgesetzt. Sie treffen meistens auf heterosexuelle, repressive Sexualmoral und Normen von MitbewohnerInnen wie in der hiesigen Bevölkerung. So sind die in Unterkünften Unterdrückung und Gewalt ausgesetzt, die bei den Behörden reproduziert werden, vor denen sie sich outen oder denen sie ihre sexuelle Orientierung „beweisen“ müssen.

Rassismus verfestigt die Unterdrückung der Frauen, Jugendlichen, sexuell Unterdrückten – und gleichzeitig deren Ausbeutung, prekäre Lage und Stigmatisierung. Auch hier zeigt sich, dass der Kampf gegen den Rassismus ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes ist.

Die deutsche Linke und der Kampf gegen den Rassismus

In den vorhergehenden Teilen haben wir einen Abriss der Grundlagen des Rassismus und seiner aktuellen Verschärfung dargelegt. Wir haben dabei gezeigt, dass er untrennbar mit Kapitalismus und Imperialismus verbunden ist, vor allem der politischen, ökonomischen und ideologischen Einbindung der ArbeiterInnenklasse in das politische und ökonomische Gesamtgefüge der bürgerlichen Gesellschaft. Das erklärt einerseits, wie Rassismus und Nationalismus die Lohnabhängigen spalten und verschiedene Teile gegeneinander in Stellung bringen. Es verdeutlicht aber auch, dass nur die ArbeiterInnenklasse ein objektives, materielles Interesse haben kann, diese Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, dass nur sie das Subjekt eines Kampfes sein kann, der nicht nur diese spezifische Form der Unterdrückung, sondern auch ihre sozialen Wurzeln angreift und überwindet.

Den MigrantInnen, ethnisch, national oder rassistisch Unterdrückten und den Geflüchteten kommt in diesem Kampf eine Schlüsselrolle zu. Damit die ArbeiterInnenklasse überhaupt zur führenden Kraft des Kampfes gegen Rassismus werden kann, müssen auch alle Hindernisse überwunden werden, die die besonders unterdrückten Teile der Lohnabhängigen in ihren eigenen Organisationen, v. a. in den Gewerkschaften benachteiligen und diskriminieren. Daher ist der Kampf gegen Sozialchauvinismus, rassistische Vorurteile sowie gegen alle Hindernisse für die gleiche Teilnahme an der Bewegung (z. B. fehlende Übersetzung und Informationen in den verschiedenen Sprachen) ein unverzichtbarer Bestandteil einer solchen Politik. Dazu sind auch besondere Maßnahmen notwendig, seien es Übersetzungen bei Sitzungen und Versammlungen, sei es das Recht auf gesonderte Treffen (Caucus) der MigrantInnen in den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung.

Vor allem aber muss sich jede linke Strategie, jede Bündnispolitik auch daran messen lassen, wie sie Anti-Rassismus in einen anti-kapitalistischen Kontext stellt, ob und wie sie die ArbeiterInnenklasse dabei zur führenden Kraft machen will. Nur so kann die These, dass der Kampf gegen Rassismus wie gegen jede Form der Unterdrückung integraler Bestandteil des Klassenkampfes ist, mit Leben gefüllt werden.

Die Linkspartei – vorwärts zum Sozialstaat zurück

Es ist eine gängige Mode geworden, die Linkspartei und ihre Politik anhand der sozialchauvinistischen Ergüsse von Wagenknecht und Lafontaine zu kritisieren oder aufgrund der Umsetzung des „üblichen“ Programms des staatlichen Rassismus durch die Thüringer und Brandenburger Landesregierungen. Wir wissen außerdem auch alle, dass für die Spitzen der Linkspartei Abschiebungen kein Hinderungsgrund sind, in eine Regierungskoalition einzutreten oder diese zu dulden. Antirassismus ist für die Linkspartei sicher keine „Haltelinie“, wenn es ums Mitverwalten der Krise und des Kapitalismus geht.

Immerhin gibt es in der Partei Widerspruch zu dieser Politik, die vor allem vom linken Flügel der Linkspartei kommt und der sich auch in den Beschlüssen von Parteitagen oder Verlautbarungen der Parlamentsfraktion wiederfindet. Nachdem die Antikapitalistische Linke (AKL) Sahra Wagenknecht lange mit Samthandschuhen angefasst hat, hat sie sich schließlich von deren ständig wiederkehrenden „missverständlichen“ Rufen nach Begrenzung der Migration und mehr polizeilicher Überwachung distanziert. Dass es einige Schwachköpfe gibt, die dennoch weiter Unterschriften für Wagenknecht (!) sammeln, zeigt zwar, welche Leute sich am rechten Rand der „Linken“ tummeln, ist aber zum Glück politisch nebensächlich.

Es ist aber auch eine gängige Methode, dass viele Linke diesen Schandtaten entgegenhalten, dass die Linkspartei eigentlich gute Positionen im Kampf gegen den Rassismus vertreten, dass es sich bei Wagenknecht und Ramelow um „Ausrutscher“ handeln würde. Richtig daran ist, dass deren Handlungen durch keine Parteitagsbeschlüsse gedeckt sind – was allerdings auch die Frage aufwirft, warum diese, von der rituellen Empörung abgesehen, regelmäßig folgenlos bleiben. Ein Grund dafür ist, dass auch die Linkspartei über keine an die Wurzeln gehende Kritik und Analyse des Rassismus verfügt, geschweige denn über eine konsequente Programmatik.

Das verdeutlicht auch der Beschluss des Magdeburger Parteitages „Für Demokratie und Solidarität! Gegen den Rechtsruck!“ (3) vom 28./29. Mai 2016. Dort heißt es:

„Die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität, die Fundamente sowohl der Aufklärung als auch der Demokratie, sind in Europa bedroht wie nie zuvor. Auch die Bundesrepublik steht am Scheideweg. Rückt sie politisch weiter nach rechts, werden die demokratischen und humanistischen Grundlagen der Gesellschaft weiter abgebaut, dann droht eine Entwicklung wie in Ungarn und Polen, Dänemark und Frankreich. Als LINKE setzen wir dem unsere Vision einer offenen, menschlichen und egalitären Gesellschaft entgegen, gegen die Positionen des rechten Kulturkampfes streiten wir für eine solidarische Alternative.“ (4)

An anderer Stelle erklärt die Linkspartei, dass die Bundesregierung und generell die neo-liberale kapitalfreundliche Politik in der EU die soziale Spaltung der Gesellschaft vertiefen und für das Wachstum von Rassismus und Rechtspopulismus verantwortlich sind.

„Das Agieren der Großen Koalition in ihrer Flüchtlings-, Integrations-, Infrastruktur- und Sozialpolitik führt dazu, dass Konflikte und Spaltungen in der Gesellschaft immer weiter zunehmen. Gesellschaftliche Gruppen werden gegeneinander ausgespielt und in Konkurrenz um Arbeitsplätze, Löhne, Wohnungen und Sozialleistungen gesetzt. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihren Auftrag an, die Gesellschaft sozial zusammenzuhalten, in öffentliche Infrastruktur und Soziales zu investieren, bezahlbare Wohnungen zu bauen und leerstehende zur Verfügung zu stellen, für ausreichend Personal zu sorgen, Kommunen zu entlasten und auskömmliche Sozialleistungen zu garantieren, geschweige denn auszubauen, um Konflikte in der Gesellschaft abzubauen. Die Bundesregierung ist in erster Linie Sachwalterin von Kapitalinteressen.“ (5)

Hier gibt sich die Partei schon fast radikal und, wer hätte das gedacht, „entlarvt“ die Große Koalition als Sachwalterin der Kapitalinteressen.

Die Linkspartei erkennt zwar an, dass es eine kapitalistische Wirtschaftsordnung gibt. Dass diese jedoch aus ihrer eigenen Widersprüchlichkeit zur Krise treibt, dass auch die „sozialste“ und „demokratischste“ Regierungspolitik diese nicht aufhalten kann – davon will sie nichts wissen.

Zwar kritisiert sie die Regierung dafür, dass sie Kapitalinteressen verfolgt. Die staatlichen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft und vor allem „die Demokratie“ erscheinen ihr jedoch als die geeigneten Mittel, um die Spaltung der Gesellschaft zu mildern, wenn nicht gar zu überwinden.

„Wir haben ein Problem mit Rassismus und Rechtspopulismus. Es an der Wurzel zu packen, heißt, die soziale Spaltung der Demokratie zu bekämpfen. Nur so können demokratische Institutionen wieder gestärkt werden. Immer mehr sind draußen, immer weniger gehören dazu.“ (6)

Und weiter unten:

„DIE LINKE fordert eine soziale Offensive für alle, die Investitionsprogramme für öffentliche Infrastruktur und Integration auflegt, den Staat handlungsfähig macht mit mehr Personal im öffentlichen Dienst, bezahlbaren Wohnraum schafft, Armut bekämpft, Sozialstaat und Daseinsvorsorge stärkt, Kommunen und Länder entlastet, den gesetzlichen Mindestlohn ausnahmslos für alle auf zwölf Euro anhebt und endlich auch die Reichen und Steuerflüchtlinge ins Steuer- und Sozialversicherungssystem integriert. Geld ist genug da, aber völlig ungerecht verteilt. Uns ist bewusst, dass eine soziale Offensive nicht dafür sorgt, dass es auch nur eine Rassistin oder einen Rassisten weniger in Deutschland gibt! Eine soziale Offensive ist ein erster notwendiger Schritt, um die soziale Schieflage zu beseitigen und Gesellschaft zu stabilisieren. Um Menschen zu ermutigen, sich an der Demokratie zu beteiligen, muss ihnen die Angst vor dem sozialem Abstieg genommen werden.“ (7)

Konkrete Forderungen nach Verbesserungen sind sicher korrekt. Gesetzlicher Mindestlohn, Armutsbekämpfung, Besteuerung der Reichen, Infrastrukturausbau, bezahlbarer Wohnraum – all das sind richtige Kampfziele, für die alle Organisationen der ArbeiterInnenklasse gemeinsam kämpfen sollten.

Aber die Linkspartei kombiniert diese Forderungen mit einer illusorischen Hoffnungsmacherei. Die „soziale Offensive“ würde die Gesellschaft stabilisieren, mehr soziale Rechte würden so den Menschen die „Angst vor sozialem Abstieg nehmen“. Den Kapitalismus zu überwinden, eine sozialistische Revolution durchzuführen, zu verteidigen und die Gesellschaft auf Grundlage einer räte-demokratischen und planwirtschaftlichen, an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Planung zu reorganisieren, ist schwer. Auch ein revolutionärer Umsturz und die Machtergreifung des Proletariats werden den Menschen nicht mit einem Schlag ihre Ängste vor sozialen Verwerfungen nehmen. Aber eine sozialistische Revolution, so schwer sie sein mag, ist möglich, ja notwendig.

Eine kapitalistische Marktwirtschaft, in der es keine Angst vor sozialem Abstieg geben soll, ist jedoch einfach utopisch, ein Ding der Unmöglichkeit, zumal in einer globalen Krisenperiode. Dass sich der deutsche Kapitalismus von der Rezession 2008 relativ rasch erholte und als sehr konkurrenzfähig erwies, hat er auch seiner enormen produktiven und finanziellen Basis zu verdanken, die auf extremer Produktivität und Ausbeutung, Ausweitung des Billiglohnsektors und imperialistischen Extraprofiten beruht.

Es ist zwar möglich, dass auch in Krisenperioden Verbesserungen erkämpft werden, aber diese werden bei der nächsten Gelegenheit von der herrschenden Klasse in Frage gestellt werden. Substanzielle Reformen spitzen die gesellschaftlichen Widersprüche weiter zu, weil sie erstens den Spielraum der herrschenden Klasse einengen und zweitens eine umfassende Klassenmobilisierung der Lohnabhängigen und Unterdrückten erfordern, also eine Zuspitzung des Klassenkampfes. Kurzum, sie bringen nicht mehr Stabilität, sondern Instabilität.

Die Linkspartei streut ihren AnhängerInnen und wohl auch sich selbst Sand in die Augen. Sie verspricht eine Restabilisierung des Kapitalismus, eine Rückkehr zur angeblich guten alten sozialen Marktwirtschaft, zu einer bestimmten Phase des sozialstaatlich vermittelten Klassenkompromisses, dessen ökonomische Basis jedoch längst und unwiederbringlich erodiert ist.

So wie die Linkspartei dem Kapitalismus und seinen Gesetzmäßigkeiten die Rückkehr zu einer imaginierten sozial regulierten Marktwirtschaft gegenüberstellt, indem sie die negativen Seiten dieser Produktionsweise von ihren „positiven“ betrennt, so erscheint ihr auch der politische und staatliche Überbau, der auf eben dieser Eigentumsordnung fußt, als das Mittel, den Kapitalismus zu zähmen. Die „schlechten“ Seiten erblickt sie in einer falschen Politik. Die Lösung besteht in einer „Umkehr“ zu einer Politik für alle Klassen.

Der Staat und die Bürokratie erscheinen ihr nicht als Herrschaftsinstrumente des Kapitals, sondern als Instrumente, die grundsätzlich allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zur Verfügung stünden. Der Staat müsse nur „ausgebaut“, ausfinanziert und den „richtigen“ politischen Imperativen untergeordnet werden.

Im politischen Arsenal der Linkspartei kommt daher die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse, der Kampf auf der Straße und in den Betrieben zur Umsetzung ihrer Forderungen nicht oder allenfalls am Rande vor. Sie präsentiert kein Programm des Klassenkampfes, sondern der „vernünftigen“, für alle Klassen der Gesellschaftlich akzeptablen Organisation des Kapitalismus.

Auch wenn sich die Linkspartei für das Asylrecht ausspricht und gegen Abschiebungen und „Obergrenzen“, so will sie doch bei der Organisierung der „Flüchtlingsbetreuung“ nicht auf die repressiven staatlichen Institutionen verzichten (Polizei, Ausländerbehörden, …), deren struktureller Rassismus hinlänglich bekannt ist. Die Linkspartei setzt hier ohne Wenn und Aber auf den bürgerlichen Staat und seine Organe, die allenfalls „demokratisiert“ und „politisch korrekt“ ausgerichtet werden sollen.

Die Partei stellt zwar eine Reihe sozialer und demokratischer Forderungen auf, über den Ausbau der bürgerlichen Demokratie geht sie aber nicht hinaus. Das trifft auf die „Demokratisierung“ oder „Wiederherstellung“ demokratischer Institutionen zu. Das zeigt sich aber auch bei ihrer Vision einer „Wirtschaftsdemokratie“, die auf dem Boden einer, allenfalls erweiterten, „Mit“bestimmung stehen bleibt.

Nirgendwo wirft sie die Frage nach Kontrolle z. B. des Wohnungsbaus durch Komitees von MieterInnen, Gewerkschaften, Flüchtlingen auf, ja es gibt nicht einmal Überlegungen, wie ein gemeinsamer Kampf geführt werden könnte, der sich vor allem auf die ArbeiterInnenklasse stützt.

Besonders deutlich wird das, wenn es um Fragen der Sicherheit der Geflüchteten, von MigrantInnen wie auch von linken UnterstützerInnen geht. Dabei ist das angesichts zunehmender Überfälle, Brandanschläge auf Einrichtungen, Wohnheime, Wohnungen und Personen eine unmittelbar praktische Frage. Hier kritisiert die Linkspartei letztlich nur, dass bei der Polizei und bei der Überwachung der Rechten zu viel gespart würde. Von organisierter Selbstverteidigung, von Plänen zur Mobilisierung von Beschäftigten in Betrieben oder aktiven AntirassistInnen in den Wohngebieten im Fall von Übergriffen oder größeren Überfällen und Mobilisierungen von Rechten – also alles Fragen, wo AntirassistInnen aufhören, sich auf die rassistische Polizei zu verlassen – will die Linkspartei nichts wissen.

Daher wären genau das Formen der direkten Organisierung in Nachbarschaftskomitees, gemeinsame Aktionsstrukturen, die zugleich mit der Selbstorganisation von Geflüchteten und UnterstützerInnen einhergingen. Eine solche Perspektive könnte in Betriebe und Gewerkschaften getragen werden, indem einzelne Belegschaften, deren VertreterInnen (Vertrauensleutekörper, Betriebsräte) oder eigens geschaffene Aktionskomitees direkt Verbindung mit Flüchtlingen aufnehmen. Solche müssten natürlich nicht nur auf die Verteidigung gegen Übergriffe von Nazis, RassistInnen oder der Polizei beschränkt bleiben, sondern könnten auch zu Strukturen werden, um gemeinsam für soziale Forderungen einzutreten.

Ein solches, breites Bündnis auf einer soliden Klassenbasis streben wir letztlich an. Wir wissen, dass es nicht nur „von unten“ entstehen wird, auch wenn lokale Initiativen und Ansätze dazu eine wichtige Beispielwirkung entfalten könnten. Dies müsste aber mit der beständigen Forderung an alle Organisationen der ArbeiterInnenklasse, vor allem an die Gewerkschaften, verbunden werden, ein bundesweites Aktionsbündnis zu schaffen.

Die Linkspartei will jedoch einen anderen Kurs einschlagen:

„Um eine breite Gegenbewegung gegen die politische Rechte anzustoßen, müssen sich die Kräfte bündeln. Bundesweite Initiativen sind entstanden, die beides noch enger zusammenbringen: Geflüchtete willkommen – Rassisten entgegentreten! Wir brauchen ein gesellschaftliches Bündnis gegen rechts, eine breite antirassistische Koalition aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden, Studierenden, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingsinitiativen, Künstlerinnen und Künstlern und antifaschistischen Organisationen.“ (8)

Was der Linkspartei hier vorschwebt, ist keine ArbeiterInneneinheitsfront gegen Rassismus, sondern ein „breites Bündnis“, das Parteien und Vereinigungen aller Klassen beinhalten soll – bis hin zur FDP oder auch der CDU/CSU.

Zweifellos ist es richtig, dass es gegen die RassistInnen, RechtspopulistInnen und die staatliche rassistische Politik eine Massenbewegung, ein Bündnis von Massenorganisationen braucht. Wenn die ArbeiterInnenklasse zum entscheidenden Subjekt des Kampfes werden soll und muss, müssen RevolutionärInnen diese Forderungen aber an alle Parteien und Organisationen richten, die sich historisch und sozial auf diese Klasse stützen, aus der ArbeiterInnenbewegung kommen und diese zu vertreten beanspruchen. Daher ist es unserer Meinung nach notwendig, diese Forderung auch an die Gewerkschaften, die Linkspartei und die SPD zu richten – nicht weil wir denken, dass diese dem bereitwillig folgen werden, sondern weil das ein unerlässliches Mittel ist, die reformistischen und gewerkschaftlichen Führungen in den Augen ihrer AnhängerInnen und Mitglieder dem Praxistest zu unterziehen.

Wir halten es für falsch, diese Ausrichtung auf offen bürgerliche Parteien zu erweitern oder auf die Kirchen. Natürlich geht es nicht darum, deren Mitgliedern oder einzelnen RepräsentantInnen die Teilnahme an anti-rassistischen Aktionen und Demonstration zu „verbieten“. Aber es geht darum, dass es keine politischen Zugeständnisse, keine Unterordnung unter diese geben darf, nur um eine „einheitliche“ Aktion hinzukriegen.

Es geht vielmehr darum, die Einheit einer Klasse herzustellen und diese auch mit den sozialen Forderungen zu verbinden – nicht, weil dann alles wieder gut und stabil wird, sondern weil so eine soziale Kraft entsteht, die den Rechten und ihrem rabiaten Rassismus Paroli bieten und deren Behauptung praktisch und öffentlich entlarven kann, dass Rechtspopulisten wie die AfD, Bündnisse wie Pegida, die „antisystemische“ Kraft wären.

Die strategische Einheit von Linken mit allen staatstragenden Kräften, das Bündnis bis zur CDU und zum Bundespräsidenten geht nicht nur unvermeidlich mit dem Verzicht einher, den staatlichen Rassismus zu bekämpfen und auf alles zu verzichten, was den Legalismus der Versammlungsbehörden überschreitet. Noch wichtiger ist, dass so die rechten Demagogen auf der Klaviatur ihres eigenen Populismus spielen können. Der Rechts-Populismus, dessen Anwachsen wir in ganz Europa erleben, geriert sich als eine „antisystemische“ Kraft, die gegen „das Kartell“ und die „Lügenpresse“ antreten würde. Klassenübergreifende Bündnisse, wie sie von den reformistischen und gewerkschaftlichen Führungen angestrebt werden, wirken nur als Bestätigung der rechten Propaganda. Letztlich, wird jeder rechte Stammtischhetzer vorbringen, paktieren die Linken mit Kapital und Establishment gegen die „WutbürgerInnen“, die ArbeiterInnenorganisationen mit ihren Ausbeutern.

Das zeigt, dass ohne Klassenorientierung dem Rechts-Populismus einer AfD letztlich nicht beizukommen ist, vor allem sobald er angefangen hat, größere, wenn auch politisch rückständige Teile der Lohnabhängigen zu ergreifen.

„Aufstehen gegen Rassismus“

Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ wird von der Linkspartei offiziell unterstützt und gemeinsam mit linken Gewerkschaften, linker Sozialdemokratie, Attac und post-autonomen Kräften (Interventionistische Linke) prägt sie dieses Bündnis.

Zweifellos ist es notwendig und richtig, sich an den Aktionen von „Aufstehen gegen Rassismus“ zu beteiligen wie auch von diesem zu fordern, sich zusammen mit anderen Bündnissen in eine bundesweite Einheitsfront zu transformieren. Doch davon ist „Aufstehen gegen Rassismus“ leider noch weit entfernt.

Erstens teilt das Bündnis die klassenübergreifende Konzeption, die auch die Linkspartei in ihrem Parteitagsbeschluss vertritt. „Wir rufen alle Menschen, zivilgesellschaftliche Akteure und Bündnisse, Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kulturschaffende, Religionsgemeinschaften und Parteien dazu auf, mit uns gemeinsam die Demonstration und das Konzert am 3.9. in Berlin zu mobilisieren und durchzuführen.“ (9)

Zweitens fällt auf, dass der Aufruf kaum konkrete Forderungen enthält.

„Wir werden weiterhin Geflüchtete mit offenen Armen empfangen. Denn Asyl ist Menschenrecht.

Wir werden uns stark machen für gleiche politische und soziale Rechte für alle Menschen.

Wir stehen an der Seite der Muslime und aller anderen, die rassistisch diskriminiert und bedroht werden.

Wir wenden uns gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus und jede andere Form des Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit.“ (10)

Das sind Absichtserklärungen oder allgemeine Formeln. Um ein Bündnis zu schaffen, wären aber konkrete Forderungen viel wichtiger wie zum Beispiel: Gegen alle Abschiebungen! Nein zu den sog. „Integrationsgesetzen“! Für sozialen Wohnbau, finanziert durch Unternehmensgewinne, Kontrolle der Mietpreise durch Mieterkomitees und Beschlagnahme leer stehenden Wohnraums zur Unterbringung von Geflüchteten wie allen anderen Wohnungssuchenden.

Der Satz „Wir stehen an der Seite der Muslime und aller anderen, die rassistisch diskriminiert und bedroht werden“ müsste durch die Losung der organisierten Selbstverteidigung und ihrer Unterstützung durch das Bündnis ergänzt werden. Ansonsten verkommt er zu einem folgenlosen Lippenbekenntnis.

Vor allem aber beschränkt sich ‚Aufstehen gegen Rassismus‘ fast ausschließlich auf die Mobilisierung gegen die AfD, während die verstärkten Angriffe der Bundesregierung, die Abriegelung der EU-Außengrenzen, die schäbigen Deals mit der Türkei und mit afrikanischen Staaten zum Stopp der Geflüchteten unerwähnt bleiben.

Statt konkrete Forderungen gibt es Allerweltsphrasen: “Wir stehen für eine offene und gerechte Gesellschaft. Wir lassen nicht zu, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen Solidarität, Zusammenhalt und ein besseres Leben für alle!“ (11)

„Aufstehen gegen Rassismus“ begreift sich nicht in erster Linie als Aktionsbündnis, sondern als „Aufklärungskampagne“. Daher ist neben Konferenzen und einzelnen Demos ihr Hauptinstrument die Ausbildung von AufklärerInnen, im eigenen Jargon: „StammtischkämpferInnen“.

„Eines der Herzstücke der ‚Aufstehen gegen Rassismus‘-Kampagne sind unsere Ausbildungen zu StammtischkämpferInnen. Dafür brauchen wir Trainer_innen!“ (12) Diese sollen Menschen, die mit rassistischen Äußerungen konfrontiert sind, in Seminaren Folgendes vermitteln:

„Hier wollen wir ansetzen und mit den Schulungen Menschen in die Lage versetzen, die Schrecksekunde zu überwinden, Position zu beziehen und deutlich zu machen: Das nehmen wir nicht länger hin!

Dazu wollen wir in Trainings uns mit Strategien beschäftigen, die uns ermöglichen, den Parolen der AfD und ihrer Anhänger Paroli zu bieten, wir wollen gängige rechte Positionen untersuchen und wir wollen gemeinsam üben, das Wort zu ergreifen und für solidarische Alternativen zu streiten statt für Ausgrenzung und Rassismus.“ (13)

Sicherlich ist es notwendig, dass Menschen lernen, wie sie rassistischen Äußerungen Paroli bieten und wie sie darauf schlagfertig antworten. Eine Strategie, der AfD, rassistischen oder faschistischen Organisationen den Boden zu entziehen, ist das aber nicht.

Der Kampf gegen den stärker werdenden Rassismus ist im Grund eine Frage, welche Klasse einen Ausweg aus der tiefen Krise der gegenwärtigen Gesellschaft zu bieten vermag, welche Klasse eine Antwort auf die Zerrüttung der Lebensverhältnisse gibt. Die „Mitte“ hat immer weniger zu bieten. Die Linkspartei und letztlich auch „Aufstehen gegen den Rassismus“ orientieren aber darauf, den „Zusammenhalt“ der Gesellschaft, den es früher gegeben haben soll, wiederherzustellen.

Das ist aber utopisch. Es ist daher notwendig, Aktionsbündnisse um konkrete soziale und demokratische Forderungen herum zu schaffen. Allgemeine „Aufklärungsparolen“ greifen hier zu kurz. Werden sie zum Kern eines „Bündnisses“ erhoben, so geht die Sache überhaupt ins Leere. Der anti-rassistische Kampf wird durch einen Seminarraum ersetzt. Rassismus wird zu einer Massenkraft nicht in erster Linie wegen fehlender Aufklärung, schlechten Schulunterrichts, sondern weil er eine reaktionäre Antwort auf den drohenden Zerfall der gesellschaftlichen Grundlagen zu bieten scheint, während die ArbeiterInnenbewegung keine Perspektive zu weisen vermag.

In diesem Kontext muss übrigens auch die strategische Bedeutung von anti-rassistischen Aktionsbündnissen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten gesehen werden. Es geht hier zum ersten natürlich darum, möglichst große Aktionen für konkrete Ziele und Forderungen durchzuführen. Es geht aber auch darum, dass in diesen Aktionen ein Bewusstsein der Gemeinsamkeit, der Einheit der Unterdrückten entsteht und so eine Basis für Kämpfe um weitergehende Ziele gelegt wird.

Die „Stammtischkämpferausbildung“ ist davon völlig losgelöst. Das zeigt sich auch darin, dass erst gar nicht in Erwägung gezogen wird, die Stärkung der Argumentationskraft als Teil des Aufbaus einer Bewegung mit betrieblichen oder lokalen Strukturen zu stellen. Die „StammtischkämpferInnen“ sind EinzelkämpferInnen, AufklärerInnen, nicht Teil einer Bewegung, die es vor allem zu schaffen gilt.

Die Interventionistische Linke (IL)

Um „Aufstehen gegen Rassismus“ gruppieren sich nicht nur reformistische und gewerkschaftliche Gruppierungen, sondern mit der IL auch eine Teil der „post-autonomen“, radikalen Linken.

In ihrem Aufruf zur Demonstration „Grenzenlos feministisch. Grenzenlos antikapitalistisch – Grenzenlos solidarisch!“ (14) betont die IL zwar die Frage der „offenen Grenzen“, der Text konzentriert sich aber fast ausschließlich auf die Frage der AfD. Durchaus pointiert greift sie deren reaktionären Gehalt an, deren Frauenfeindlichkeit und Unterstützung jeder noch so reaktionären, repressiven Marotte aus der „Herrensauna“.

Dem Aufruf der IL wie auch anderen ihrer Stellungnahmen mangelt es jedoch an Analyse und vor allem an Forderungen und Perspektive. Dem reaktionären Bezug auf die Kleinfamilie hält die IL in ihrem Aufruf das „selbstbestimmte Individuum“ entgegen: „Nicht freie, selbstbestimmte Individuen, sondern die heterosexuelle Kleinfamilie sei die Keimzelle der Gesellschaft.“ (15)

Hier wird der altbackenen, rückwärtsgewandten Ideologie des AfD-Konservativismus die ideologische Fiktion des Liberalismus gegenübergestellt, demzufolge die Gesellschaft eine Summe „freier und selbstbestimmter“ Einzelner wäre. Das „freie Individuum“, ein beschönigendes Codewort für das bürgerliche Individuum, ist selbst ein historisches Produkt, ein großer Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Frei und selbstbestimmt ist es natürlich nur so weit, wie es KäuferIn und VerkäuferIn der Ware Arbeitskraft auf dem Boden einer verallgemeinerten Warenproduktion sein kann. Es ist kein Zufall, dass das Individuum umso „freier“ zu sein vorgibt, je mehr es dem unmittelbaren Zwang zum Verkauf seiner Arbeitskraft entbunden scheint. Es ist kein Zufall, dass eine ihrer politischen Ausrichtung nach kleinbürgerliche Gruppierung wie die IL dem „Frauenbild“ des Konservativismus das Menschheitsideal des Liberalismus entgegenhält.

Mag diese Passage auch etwas unüberlegt in den Aufruf der IL gekommen sein, so enthält sie doch einen zentralen Gesichtspunkt, der ihre politische Strategie und Vorstellung vom anti-rassistischen Kampf prägt.

Das Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen ist nicht die ArbeiterInnenklasse. Vielmehr ist deren Existenz wie die Verwendung des Klassenbegriffs für Post-Autonome ohnedies fragwürdig geworden. Eine Bewegung ist für sie vor allem eine Bewegung von einzelnen, von möglichst „selbstbestimmten Individuen“.

Auch wenn die IL aus einem anderen Begründungszusammenhang kommt als die Linkspartei, so tritt auch sie für „möglichst breite“ Bündnisse ein. Nennt die Linkspartei noch die Akteure als kollektive Akteure, sind es bei der IL vor allem „die Menschen“:

„Sollen wir also nicht mehr blockieren, demonstrieren? Nein – PEGIDA und ähnliche Phänomene müssen auf der Straße gestoppt werden, in breitestmöglichen Bündnissen. Doch die Begründung darf nicht eine des ökonomischen Kalküls sein. Im Gegenteil: Protest gegen Pegida muss Protest sein gegen die Logik der herrschenden Verhältnisse:

– Gegen Niedriglohn und Prekarisierung in Deutschland

– Gegen den Export dieses Sozialkahlschlags durch Austeritätspolitik in Europa

– Gegen das Sterben an den Außengrenzen der EU, organisiert von ‚demokratischen‘ Regierungen

– Gegen Militäreinsätze von NATO und EU-Staaten, die wie in Libyen Flüchtlingselend erzeugen.“ (16)

Die IL erhebt hier zwar einige Forderungen, diese bleiben aber insgesamt recht allgemein. Das trifft vor allem auf ihren Aufruf zum ersten 3. September zu:

„Unsere Alternative: Grenzenloser Feminismus!

Gleichberechtigung herrscht weder in Deutschland noch anderswo. Geschlecht und sexuelle Orientierung sind viel zu wenig anerkannte Fluchtgründe. Betroffene von Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, mangelndem Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch verlangen unsere Solidarität – egal wo auf der Welt. Mehrheitlich weiße linke Bewegungen arbeiten seit Jahren an antirassistischen Praktiken, die kritisch mit den eigenen Privilegien umgehen. Wir wollen noch mehr. Wir fordern alle zu internationaler feministischer Solidarität, zum Kampf für das Recht auf körperliche, ökonomische und sexuelle Selbstbestimmung und Gleichberechtigung auf – auch und gerade eine patriarchal sozialisierte, männlich dominierte Antifa.

Die AfD stellt sich eine Gesellschaft vor, in der alle feministisch erkämpften Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wieder zurückgenommen werden, in der Geburtenzwang, die Verpflichtung auf die Kernfamilie und ein immer breiterer gender pay gap herrschen. Feminismus ist unser zentraler Gegenentwurf. Wir sehen uns in der Tradition feministischer Kämpfe weltweit. Wir profitieren von den Errungenschaften der europäischen Frauenbewegung in Bezug auf Bildung, Familienrecht und Strafrecht, wollen aber nicht hier stehenbleiben.

Eure Frauenquote in den Aufsichtsräten könnt ihr behalten – wir wollen die Hälfte einer Welt ohne börsennotierte Unternehmen.

Unser Feminismus bleibt antirassistisch!“ (17)

Zu Recht hebt die IL die Rechte von Frauen und deren Verbindung mit antirassistischen Kämpfen hervor. Zugleich bleibt der Text aber sehr unkonkret. Soll aber eine Bewegung aufgebaut oder um obige Zielsetzungen erweitert werden, braucht es konkrete, bestimmte Forderungen, die dann auch europaweit, global oder in Deutschland erkämpft werden können. Hier liegt aber eine grundlegende Schwäche aller post-autonomen wie der meisten „anti-kapitalistischen“ Kräfte.

Ein zweiter Schwachpunkt liegt in einem spontaneistischen Verständnis von Bewegung. Ein kurzer Auszug dem Artikel „Die soziale Frage ist offen. Lassen wir sie nicht rechts liegen!“ verdeutlicht das: „Oft haben wir in den letzten Jahren nach Griechenland oder Spanien geschaut und waren sehr beeindruckt. Dort sind unter den Bedingungen der von der Austeritätspolitik verursachten Not selbstorganisierte Solidaritätsnetzwerke entstanden, die sich zu politischen Akteuren direkt-demokratischer Vergesellschaftung weiterentwickelt haben.“ (18)

Die IL legt den Fokus auf die Selbstorganisierung. Aber sie blendet die Bedingungen aus, unter denen sie entsteht und unter denen sie, sollten sie zu keiner politischen Bewegung werden, eben nur gesellschaftlicher Notbetrieb sein können. Die „Solidaritätsnetzwerke“ zeigen zwar, dass sich die Menschen auch in der Not nicht unterkriegen lassen wollen. Die Interpretation, dass das der Weg zur „ direkt-demokratischen Vergesellschaftung“ wäre, ist jedoch vollkommen naiv und unterstellt, dass sich daraus Schritt für Schritt neue Organisationsformen einer zukünftigen Gesellschaft entwickeln könnten, ohne dass die Staatsmacht direkt heraufgefordert werden müsste. Das Gegenteil ist aber der Fall. Wenn es nicht gelingt, der herrschenden Klasse und der hinter ihr stehenden Troika die Macht zu entreißen, so müssen die lokalen Initiativen zu Organisationen werden, die nur den Mangel und die Not verwalten.

Es geht gerade darum, das Bewusstsein in diesen Netzwerken auf die Frage des politischen Kampfes zu richten und nicht den bestehenden Zustand zu romantisieren. Eine Grundlage für eine andere Form der Vergesellschaftung (einschließlich der Verallgemeinerung rudimentärer Ansätze, die in Krisenperioden aus der Not entstehen können) kann letztlich nur durch die Eroberung der Staatsmacht geschaffen werden, sie erwächst nicht graduell im Inneren der kapitalistischen Gesellschaft.

So wie die IL die Aktivitäten in Südeuropa überhöht, so macht sie das auch mit den Geflüchteten und den Supportern. Diese leisten zweifellos beachtliche Arbeit und haben auch eine beeindruckende Bewegung gebildet. Die IL geht in ihrer Einschätzung jedoch viel weiter:

„Diese Initiativen (die freiwilligen HelferInnen in der Flüchtlingsarbeit; Anm. der Red.) sind eine neue, starke und beeindruckende soziale Bewegung. Komplementär zur derjenigen der Flüchtenden selbst. Auch viele Blockupy- Aktivist_innen sind jeweils Teil solcher Solidaritätsstrukturen vor Ort, von Lesbos bis Malmö. Wir teilen nun ähnliche Erfahrungen, sind Teil eines gemeinsamen Kampfes, ganz praktisch. Hierin scheint auf, was die europäische Kommune sein kann, von der wir in letzter Zeit häufiger gesprochen haben.“ (19)

Für die IL braucht es kein revolutionäres Subjekt, keine Strategie, keine Taktik, um den Kapitalismus zu stürzen. Vielmehr entstehen in den Kämpfen, in der Organisierung durch HelferInnen der Flüchtlingsarbeit wie in der Bewegung der Refugees selbst die Konturen einer zukünftigen anderen Gesellschaft, der „europäischen Kommune“. Schon wär’s.  In Wirklichkeit ist das reine, reformistische Utopie. Anders als der klassische Reformismus oder generell die bürgerliche ArbeiterInnenpolitik will die IL dem Staat nicht schrittweise Reformen abringen oder die Gesellschaft mittels parlamentarischer Mehrheiten „transformieren“, sie will nicht einmal die Verstaatlichung der großen Unternehmen.

Die Kommune erwächst vielmehr aus der Not, die zukünftige „andere“ Gesellschaft wird durch die Verallgemeinerung der Hilfe von sehr engagierten Menschen spontan gebildet. Im Grunde ist das nur eine Spielart des Genossenschaftssozialismus, der eine neue, sozialistische (und „auf der Kommune“ basierende) Produktionsweise schrittweise in der bürgerlichen Gesellschaft entwickeln will. Dummerweise ist die objektive Entwicklung des Kapitalismus durch die gegenteilige Tendenz – immer stärkere Vergesellschaftung unter dem Kommando des großen Kapitals – gekennzeichnet. Diese Vergesellschaftung, der zunehmende gesellschaftliche Charakter der Arbeit bleibt aber den bornierten Zwecken von Privateigentümern an den Produktionsmitteln unterworfen, der Profitmaximierung. Dies kann nur durchbrochen werden durch die politische Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse und die Zentralisation der Produktionsmittel in ihren Händen, in dem von ihr geschaffenen Rätestaat.

Die IL hingegen unterschiebt den Refugees wie den UnterstützerInnen eine politische Tendenz, die sie nicht haben. Die meisten von ihnen haben von der „europäischen Kommune“ nichts gehört – und das ist auch gut so. RevolutionärInnen müssen vielmehr erkennen, dass die enorme Energie der UnterstützerInnen nicht von Dauer sein kann, noch kann es die Perspektive sein, dass die Bevölkerung einen ständigen Hilfsbetrieb dafür leistet, dass Staat, Kommunen usw. nicht ausreichend Mittel zur Versorgung der Geflüchteten bereitstellen. Die Bewegungen der UnterstützerInnen wie der Refugees müssen daher zu einer Bewegung um Forderungen wie Bleiberechte, volle demokratische Rechte, offene Grenzen, Bewegungsfreiheit, ausreichende finanzielle Ausstattung, Recht auf Arbeit und Wohnraum freier Wahl werden, zu einer Kraft, die für reale Verbesserungen kämpft und diese durchsetzen kann.

Mit ihrer Vorstellung, dass ohnedies schon die „europäische Kommune“ wachsen würde, versagt die IL vollkommen darin, der Bewegung eine Perspektive zu weisen. Ihr spontaneistisches Konzept ist letztlich die pseudo-radikale Kehrseite ihrer realen Nachtrabpolitik hinter der Linkspartei.

Ums Ganze – zwischen Antifa und breitem Bündnis

Das anti-national und anti-deutsch ausgerichtete Bündnis „Ums Ganze“ (UG) ist bei seinem Kampagnentext „Nationalismus ist keine Alternative“ (20) schon vorsichtiger als die große post-autonome Schwester, die IL.

Wie wir und alle Anti-RassistInnen erkennt UG den Erfolg der Geflüchteten an, als sie im Sommer 2015 die Mauern der Festung Europa zeitweilig durchbrechen konnten:

„Zwar sind so viele Menschen wie nie in der Geflüchtetenunterstützung und bei antirassistischen Aktionen aktiv. Gleichzeitig greifen aber RassistInnen und Nazis fast täglich Flüchtlingsunterkünfte an, feiern rechte Parteien ungeahnte Erfolge, verschärfen die bürgerlichen Parteien das Asylrecht, steht Europa im Zeichen einer umfassenden nationalen Abschottung.“ (21)

Weit mehr als die IL verbindet der Text tatsächlich die sog. „Flüchtlingskrise“ mit jener des Kapitalismus: „Die sogenannte Flüchtlingskrise ist die Folge eines allmählichen Zusammenbruchs der vom globalen Kapitalismus politisch oder ökonomisch verwüsteten Peripherie der kapitalistischen Welt ist.“ (22)

Freilich blendet UG die Verbindung der aktuellen Krise zu Imperialismus und imperialistischer Neuordnung der Welt aus. Wird auch viel vom Kapitalismus und der Wertform, von völkischem Denken und Nationalismus gesprochen, so mag das anti-nationale Bündnis vom Imperialismus bzw. von der imperialistischen Epoche nichts wissen. Daher bleibt der Zusammenhang von Expansion des Kapitals, Sicherung von Märkten und Investitionsgebieten mit der Frage der ArbeiterInnenaristokratie ebenso außen vor wie die Notwendigkeit der Unterstützung sozialer, demokratischer und nationaler Befreiungskämpfe in den vom Imperialismus beherrschten Ländern.

Überhaupt bleibt das Bündnis sehr dürftig, wenn es um die Frage der strategischen Ausrichtung geht.

Konkrete Forderungen, wie Geflüchtete, MigrantInnen, UnterstützerInnen zu einer Bewegung werden könnten, wie die Masse der Lohnabhängigen dafür gewonnen werden könnte, fehlen vollständig.

Die Kapitalismuskritik der UG speist sich theoretisch aus dem Fundus der sog. „Wertkritiker“. Bei aller mitunter auch recht treffenden Bemerkung über Fetischisierungsformen, über die Widerspiegelung der Krise im Bewusstsein der Gesellschaftsmitglieder, teilt UG die fundamentale Schwäche der Wertkritiker. Sie kennt kein revolutionäres Subjekt der Veränderung, keine ArbeiterInnenklasse. Allenfalls kommt sie als „prekäre Arbeiterschaft“ vor, die vor der verrohten Bürgerlichkeit bei der AfD ihre neue politische Heimat suche. In der Nation ist die ArbeiterInnenklasse längst untergegangen. Das Subjekt der Veränderung sind hier allenfalls die Individuen in den Helfergruppen:

„Die Aufgabe linksradikaler antirassistischer Gruppen muss sein, nach dem initialen Moment des humanistischen Helfens das Engagement mittels einer kritischen Analyse zu politisieren und praktisch zuzuspitzen. Der Übergang von Charity zu Solidarity wäre, wo die Helfenden ein Interesse entwickeln, nicht mehr nur Symptomlinderung zu betreiben, sondern die Bedingungen zu überwinden, welche die gegenwärtige Situation der Mangelverwaltung überhaupt erst produziert haben.“ (23)

Bei aller Unterschiedlichkeit im Jargon enden die beiden „post-autonomen“ Strömungen, IL und UG, beim gleichen Subjekt der Veränderung. Wenn die Klassen schon längst passé sind, bleibt nur noch das (bürgerliche) Individuum. Der Linksradikale entpuppt sich als liberales Schaf im Wolfspelz.

Daher endet der Aufruf auch mit einer Mischung aus autonomen Standards und pragmatischer Befürwortung klassenübergreifender „breiter“ Bündnisse.

„Den Rechtsruck zur Renovierung der Festung Europa und den Wiederaufbau nationaler Grenzen in ihrem Inneren wollen wir stoppen. Dafür braucht es eine Menge unterschiedlicher Aktivitäten. Die sozialen Auseinandersetzungen um Wohnraum und den Zugang zur öffentlichen Infrastruktur mit denjenigen, die schon hier sind, gemeinsam aufzunehmen, und breite Bündnisse gegen rassistische Anschläge und Aufmärsche gehören bestimmt dazu. Doch für sich genommen bleibt es zu wenig, wenn es nicht bald gelingt, den Einpeitschern der Abschottung am rechten Rand wie ihren technokratischen Organisatoren in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ aktiv in die Parade zu fahren. Zufälligerweise hat die radikale Linke aber einige politische und kreative Methoden im Angebot, um den Preis für die Abschottung und die Entrechtung der ‚Anderen‘, egal ob aus völkischen oder ökonomischen Gründen, in die Höhe zu treiben. Und das könnte auch eine gute Gelegenheit sein, um Anlaufpunkte für die vielen Leute zu schaffen, die sich jetzt politisiert haben und die nach Gelegenheiten suchen, sich antirassistisch einzubringen.“ (24)

Das UG-Bündnis redet hier einer Arbeitsteilung das Wort, die das ganze Elend der autonomen Politik sichtbar macht. Gegen Anschläge und große Aufmärsche sollen „breite Bündnisse“ mit Gott und der Welt, mit allen möglichen Parteien und Kirchen her. Ein Klassenbezug fehlt natürlich. Wenn es um die „Masse“ geht, kennt auch UG die „Einheit der Demokraten“.

Gegen den staatlichen Rassismus wird aber erst gar keine Massenbewegung angestrebt. Dafür sollen „politische und kreative Methoden“, also individuelle Kleingruppenaktivität, „den Preis für die Abschottung und die  Entrechtung (…) in die Höhe treiben.“ Hier tritt uns der elitäre Charakter des autonomen „Kämpfertums“ entgegen.

In beiden Fällen geht es nicht darum, wie die Lohnabhängigen überzeugt und politisch gewonnen werden können. Einmal wird es hingenommen, dass sie in breiten Bündnissen mit allen möglichen bürgerlichen Parteien marschieren und im demokratischen Einheitsbrei der Nation aufgehen, wo jeder Unterschied zwischen jenen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, und den offen bürgerlichen verschwindet. Für die „radikalen“ Aktionen ist anderseits die „radikale Linke“ zuständig. Organisierte Militanz, politisches Vorgehen, Selbstverteidigung kann für diese Gruppierung offenkundig überhaupt keine Bindung zu einer Massenbewegung haben. Genau das müsste das Ziel von revolutionären KommunistInnen sein. Natürlich sind z. B. zur Verhinderung von Abschiebungen militante Aktionen notwendig. Unser Ziel ist es jedoch, diese als Aktivitäten zu konzipieren, die von einer Masse getragen werden, die z. B. mit Mitteln des Streiks im Transportsektor geführt werden. Zur Durchführung solcher Aktionen ist daher vor allem eine politische Vorbereitung und die politische Gewinnung der Aktiven wie auch größerer Teile der Klasse notwendig.

Dieser Gedanke taucht beim post-autonomen Flügel der Bewegung allerdings gar nicht erst auf. Wer von der Existenz einer ArbeiterInnenklasse nichts wissen will, braucht sich folgerichtig auch nicht den Kopf zu zerbrechen, wie deren Bewusstsein erhöht, wie sie zum Subjekt gesellschaftlicher Veränderung werden kann.

Die Frage der „offenen Grenzen“

Immerhin treten IL und UG und auch andere Teile der radikalen Linken für offene Grenzen ein, sprechen sich gegen alle Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für MigrantInnen aus.

Umgekehrt erscheint diese Forderung großen Teilen der reformistischen und gewerkschaftlichen Linken, aber auch einigen zentristischen Organisationen oder Teilen der DKP als „utopisch“ oder „kleinbürgerlich.

Linksparteimitglieder wie Sahra Wagenknecht bringen das ganz offen zum Ausdruck. So erklärte sie am 27. Juli 2016 in einer Pressemitteilung: „Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“

Hier ruft sie ganz unverhohlen zur vermehrten polizeilichen Überwachung der Flüchtlinge auf. Wer sich hier „illegal“ aufhält, der muss um sein „Gastrecht“ bangen. Wagenknecht macht kein Hehl daraus, dass sie für die Begrenzung der Zahl von Flüchtlingen, für kontrollierte Migration ist.

Bei aller Distanzierung, die aus der Linkspartei kommt, drückt die Partei selbst sich um die Frage der „offenen Grenzen“ herum. Sie ist gegen Beschränkungen für Geflüchtete. Aber sie stellt nicht die Forderung nach einer Abschaffung aller Zuzugsbeschränkungen auf. Eine „grenzenlose“ Gesellschaft vertritt sie keinesfalls. Sie will Gleichberechtung für MigrantInnen, sie stellt aber keinesfalls die Forderung nach Abschaffung aller „Ausländergesetze“ auf, die den selektiven Zuzug von ArbeitsmigrantInnen regulieren. Damit reproduziert sie letztlich die Trennung von politischen und „Wirtschaftsflüchtlingen“.

Die Frage der Selektion ist aber unwillkürlich mit jeder Form der Beschränkung von Zuzug verbunden. Wer nicht für offene Grenzen für alle ist, muss logisch auch Kriterien angeben, nach denen Menschen ins Land gelassen und abgewiesen werden, nach denen Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel wieder abgeschoben werden. Das ist die unvermeidliche Logik der Ablehnung von offenen Grenzen für alle.

Dabei werden gegen offene Grenzen eine Reihe von letztlich sozialchauvinistischen oder staatstragenden Argumenten vorgetragen, die wir teilweise schon im ersten Teil behandelt haben.

1. Behauptung: „Offene Grenzen“, unkontrollierte Migrationsströme würden die Arbeitslöhne drücken. Oft wird das noch damit ergänzt, dass die Kapitalisten für mehr Zuzug wären.

Diese These ist politisch kurzsichtig und in mehrfacher Hinsicht falsch. Erstens unterstellt sie einen direkten Zusammenhang von Migration und Höhe des Arbeitslohns, der so nicht existiert, selbst wenn wir nur den nationalen Arbeitsmarkt betrachten. Wenn wir annehmen, dass er stimmen würde, so müssten umgekehrt bei einer Abschottung des nationalen Arbeitsmarktes die Arbeitslöhne auch steigen. Das verkennt erstens die Ursachen für Arbeitslosigkeit, zweitens aber auch, dass Arbeitslohn letztlich eben nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern durch den Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt wird – und der steigt natürlich nicht, weil es weniger ArbeiterInnen gibt.

Zweitens geht diese Argumentation gänzlich von einer nationalen Sicht der Interessen der ArbeiterInnenklasse aus. Sie übersieht, dass nationalstaatliche Grenzen selbst immer schon Mittel zur Selektion sind, dass die Entrechtung und Benachteiligung der migrantischen Arbeit bis hin dazu, dass sie in die Illegalität gezwungen werden, gerade ein Mittel zur Spaltung der Klasse sind.

Die Befürwortung von Einreise- und Arbeitsbeschränkungen ist daher eine Zustimmung zu einem Mittel der Spaltung der Klasse und der ideologischen und politischen Rechtfertigung jener Grenzen, die die v. a. die imperialistischen Staaten der Welt auferlegen.

Schließlich hat die Ausschließung von migrantischen ArbeiterInnen vom Arbeitsmarkt im Namen der „etablierten ArbeiterInnen“ immer einen chauvinistischen Kern, ähnlich der Ausschließung von Frauen vom Arbeitsmarkt im 19. Jahrhundert.

Das trifft auch auf alle anderen Behauptungen zu wie, dass MigrantInnen weniger Klassenbewusstsein hätten, womöglich reaktionäre Kräfte wie die Islamisten stärker würden. All das unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den chauvinistischen Argumenten männlicher Arbeiter im 19. Jahrhundert, die befürchteten, dass die proletarischen Frauen konservativer wählen würden als der Durchschnitt.

Einem bestimmten Teil der ArbeiterInnenklasse wird damit wie bei allen chauvinistischen oder rassistischen Ideologien unterstellt, dass sie „von Natur“ aus rückständiger wären.

2. Behauptung: Es können nicht „unbegrenzt viele“ aufgenommen werden.

Erstens wird hier immer gern mit Phantasiezahlen hantiert. Die meisten Geflüchteten sind Flüchtlinge, die von einem Land der „Dritten Welt“ in ein anderes fliehen, oder Binnenflüchtlinge.

Zweitens steht dahinter immer auch eine Entschuldung des Imperialismus, zumal der eigenen herrschenden Klasse. Dieses System bringt durch Überausbeutung, direkte Plünderung, Unterstützung von Despotien, Krieg und Interventionen jene Bedingungen hervor, die Millionen und Abermillionen zur Flucht zwingen. Einreisekontrollen, bedeuten, dass die Staaten der imperialistischen Bourgeoisien und ihrer Verbündeten festlegen, wie viele der von ihr Ruinierten, zur Flucht Getriebenen in ein Kernland der Weltbeherrschung dürfen oder nicht.

In der gegenwärtigen Lage wäre es sogar recht leicht möglich, die Flüchtlinge in Europa in die hiesigen Gesellschaften zu integrieren. Ob die Integration realiter klappen kann, ist aber eine Frage des Klassenkampfes. Die herrschende Klasse und die Regierungen organisieren die „Flüchtlingspolitik“ und die Migrationspolitik bewusst so, dass sie Geflüchtete und MigrantInnen gegen die anderen Lohnabhängigen ausspielen und in einem permanenten Zustand der Unterdrückung und Benachteiligung halten. Essentielle Momente von Integration – wie gleicher Zugang zu Arbeit, Wohnen und Bildung – werden ihnen vorenthalten.

Die Integration auf dem Arbeitsmarkt wäre natürlich rasch möglich durch ein Beschäftigungsprogramm gesellschaftlich nützlicher Arbeit und Arbeitszeitverkürzung auf 30 oder weniger Stunden pro Woche. Wäre das mit einer sofortigen Anhebung des Mindestlohns auf 12,- Euro netto kombiniert, wären wenigstens die Reproduktionskosten aller gedeckt.

Auch hier zeigt sich, dass Migration und Flucht, Grenzen usw. eine Klassenfrage sind.

3. Behauptung: Offene Grenzen sind blauäugig und gehen mit einer Verharmlosung reaktionärer Eigenschaften von MigrantInnen einher

Dieser Konnex ist eine reine Konstruktion und in sich überhaupt nicht logisch. Natürlich gibt es unter MigrantInnen auch Reaktionäre, Menschen, die sexistisch, homophob, nationalistisch usw. sind. Das trifft aber auch auf die Deutschen zu. Der Kampf für volle StaatsbürgerInnenrechte bedeutet überhaupt nicht, dass die ArbeiterInnenbewegung oder die politische Linke reaktionäre Einstellungen von MigrantInnen nicht bekämpfen sollten.

In Wirklichkeit ist es jedoch die bürgerliche Politik, die bewusst reaktionäre Kräfte unter MigrantInnen fördert, beispielsweise um den Einfluss fortschrittlicher zu bekämpfen. Wenn heute Bürgerliche über Erdogans Einfluss unter türkischen MigrantInnen jammern, so sollten wir wenigstens nicht vergessen, dass bürgerliche, nationalistische und auch islamische Vereine unterstützt wurden, um den Einfluss von kurdischen und türkischen Linken zu schwächen.

All das zeigt, dass die Kritik, dass InternationalistInnen „blauäugig“ gegenüber reaktionären Tendenzen wären, verlogen ist. Es geht bei dieser Kritik auch nicht darum, ob diese Tendenz bekämpft werden soll. Vielmehr soll der Kampf gegen die rassistische Unterdrückung von MigrantInnen, für deren uneingeschränktes Bleiberecht, für volle StaatsbürgerInnenrechte, gegen Bespitzelung und Überwachung usw. delegitimiert und staatlicher Rassismus relativiert und gerechtfertigt werden.

Schließlich verkennen diese KritikerInnen der „offenen Grenzen“ und des konsequenten Anti-Rassismus die grundlegend fortschrittlichen Tendenzen der Arbeitsmigration. Die ArbeiterInnenklasse ist ihrem Wesen nach eine internationale, keine nationale Klasse. Die KapitalistInnen werden natürlich versuchen, neue Schichten, die zur ArbeiterInnenklasse stoßen, gegen andere auszuspielen. Gelingt es jedoch, diese Spaltung zu durchkreuzen, so zeigt sich immer wieder, dass das Infragestellen von „Selbstverständlichkeiten“ der ansässigen ArbeiterInnen, das Kennenlernen und Verschmelzen zu einer Bewegung ein extrem befruchtender Prozess ist, weil er neue Kampf- und Lebenserfahrungen bringt und auch „kulturelle Gewissheiten“, die oft einen konservativen Charakter tragen, in Frage stellt.

4. Behauptung: Das ist der ArbeiterInnenklasse nicht vermittelbar.

Das ist eigentlich kein Argument, sondern eine politische Kapitulationserklärung vor dem (vermeintlich) vorherrschenden Bewusstsein. Es ist letztlich eine Ausrede von vorgeblichen InternationalistInnen, gegen den vorherrschenden Chauvinismus in der Klasse zu argumentieren.

Das treibt nicht nur reformistische Organisationen um, sondern auch zentristische. So schreibt Hannah Sell von der Socialist Party (England und Wales) auf der Webseite der SAV:

„Gleichzeitig ist es aufgrund des Bewusstseins in der Arbeiterklasse nicht möglich, einfach eine simple Parole ‚für offene Grenzen‘ oder ‚für Abschaffung der Kontrollen bei der Einwanderung‘ aufzustellen. Das würde es nur erschweren, ArbeiterInnen für ein sozialistisches Programm zu gewinnen – sowohl was die Frage der Einwanderung als auch andere Punkte angeht. Eine solche Forderung würde die große Mehrheit der Arbeiterklasse zunächst abschrecken. Das gilt auch für viele bereits seit Jahren im Land lebende EinwandererInnen, die das als Bedrohung für ihre Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen verstehen würden.“ (25)

Der Verzicht auf eine klare, anti-rassistische Losung erleichtert mitnichten, die ArbeiterInnen für ein sozialistisches Programm zu gewinnen, weil er das Programm selbst kompromittieren und ein Abgleiten zur staatlichen rassistischen Selektionspolitik bedeuten würde. Wer gegen offene Grenzen ist, ist letztlich für Obergrenzen der Migration. Darum kommt auch die SAV nicht rum.

Dass die Losung der offenen Grenzen größere Teile der ArbeiterInnenklasse abschreckt, mag zutreffen. Umgekehrt gibt es sehr wohl Situationen, wo ganze Schichten der Klasse und v. a. der Jugend in diese Richtung tendieren oder sogar offen dafür eintreten. Das trifft auf die Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten in Griechenland zu, aber auch die UnterstützerInnen der Geflüchteten im letzten Jahr gingen teilweise in diese Richtung. Genau diese Kräfte sind es, die zu einer bewussten Vorhut werden können, wenn es RevolutionärInnen schaffen, ihnen Argumente zu Hand zu geben und sie zu einer Bewegung zu formieren, die Bewusstsein in die ArbeiterInnenklasse trägt.

Die Position, dass die ArbeiterInnenklasse für die Forderung der „offenen Grenzen“ nicht gewonnen werden könnte, ist daher nicht nur eine Anpassung an die rückständigeren „weißen“, oft arbeiteraristokratischen Teile der Klasse. Sie führt auch dazu, dass jene Teile, die in diese Richtung drängen, politisch zurückgezerrt werden.

An der Frage der „offenen Grenzen“ zeigen sich freilich grundlegende Fragen zur Haltung zu unserer Gesellschaft. Erstens markiert sie eine Scheidlinie zwischen jenen, die den bestehenden bürgerlichen Staat bekämpfen, die in der eigenen Bourgeoisie ihren Hauptfeind erblicken – und ihr daher auch jedes Recht absprechen, darüber zu entscheiden, welche Menschen hier leben dürfen oder nicht, und den anderen „Linken“.

Zweitens markiert sie eine Scheidelinie zwischen Internationalismus oder einer nationalen Perspektive sozialer Veränderung. Vom Standpunkt einer sozialen Transformation in einem Land hin zu einem reformierten, sozialen Kapitalismus oder zu einem nationalen Weg zum Sozialismus hat die Befürwortung eines mehr oder minder selektiven Grenzregimes logisch Sinn. Vom Standpunkt der internationalen Revolution stellt es nur ein Hindernis für die Einheit der ArbeiterInnenklasse dar.

Schluss

MigrantInnen sind ein zentraler Bestandteil der Arbeiterklasse. In etlichen Betrieben sind sie Teil der kämpfenden Vorhut. In der Gesellschaft – oft auch in den ArbeiterInnenorganisationen – sind sie jedoch BürgerInnen zweiter und dritter Klasse. Vielen von ihnen werden elementare demokratische Rechte vorenthalten, z. B. das Wahlrecht. An Schulen, Unis, in der Ausbildung werden sie benachteiligt. Auch bei gleicher Qualifikation sind sie härter von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht.

Hinzu kommt rassistische Hetze nicht nur von Faschisten und Rechtsextremen, sondern auch aus der „Mitte“ der Gesellschaft von Hetzern wie Sarrazin und vom bürgerlichen Staat.

Die Frage eines Verständnisses der Wurzeln des Rassismus, seines Verhältnisses zum Klassenkampf und der notwendigen Taktiken zu seiner Bekämpfung sind daher heute Schlüsselfragen für die ArbeiterInnenbewegung und die radikale Linke. Die Einheit in der Aktion und der Aufbau einer bundesweiten antirassischen Massenbewegung sind heute zentrale Aufgaben, um den Rechtsruck zu bekämpfen und die Angriffe der Regierung zurückzuschlagen. Wie wir gezeigt haben, versteht sich das jedoch nicht von selbst. Ein richtiges Verständnis der Bewegung, die wir aufbauen wollen, erfordert auch eine Kritik an den Fehlern von ReformistInnen, Post-Autonomen, ZentristInnen. Nur auf Grundlage einer solchen Klärung wird es möglich sein, den anti-rassistischen Kampf mit dem gegen den Kapitalismus zu verbindenl.

 

Endnoten

(1) Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 472, Berlin 1964

(2) https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten

(3) https://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/magdeburger-parteitag-2016/ beschluesse-und-resolutionen/fuer-demokratie-und-solidaritaet-gegen-den-rechtsruck/

(4) Ebenda

(5) Ebenda

(6) Ebenda

(7) Ebenda

(8) Ebenda

(9) https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/3-september/

(10) Ebenda

(11) Ebenda

(12) https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/aktuelles/train-the-trainer-seminar-nord-ost/

(13) Ebenda

(14) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/grenzenlos-feministisch

(15) Ebenda

(16) Pegida – schon wieda?, http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/pegida-schon-wieda

(17) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/grenzenlos-feministisch

(18) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/die-soziale-frage-ist-offen-lassen-wir-sie-nicht-rechts-liegen

(19) Ebenda

(20) https://umsganze.org/kampagnentext-2016/

(21) Ebenda

(22) Ebenda

(23) Ebenda

(24) Ebenda

(25) https://www.sozialismus.info/2013/01/kapitalismus-globalisierung-und-migration/




Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa

Die Krise der EU und die „Flüchtlingsfrage“

Resolution von ArbeiterInnenmacht und Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 873, 26. März 2016

Ein EU-Gipfel jagt den anderen. Die Staats- und Regierungschefs, AußenministerInnen und die EU-Kommission verhandeln fast täglich das  sog. „Flüchtlingsproblem“, das vor allem ein Problem für die Geflüchteten ist.

Sinnbildlich für Millionen Opfer von Krieg, Unterdrückung und Vertreibung sitzen tausende Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan unter unmenschlichen Bedingungen an der griechisch-mazedonischen Grenze fest. Die „Balkanroute“ wurde für sie längst polizeilich-militärisch abriegelt. Mithilfe der türkischen Regierung, von Kriegsschiffen der NATO-Staaten unter Führung der deutschen Marine sollen die Flüchtlinge am Grenzübergang in das EU-Gebiet gehindert und in die Türkei zurückgeschickt werden. Jene, die es doch schaffen, haben sich an sog. „Hot Spots“ einzufinden, um dort der „zügigen“ Behandlung ihrer Asylgesuche zu harren und möglichst schnell abgeschoben zu werden.

Auf dem Rücken der Geflüchteten wird unter den europäischen Regierungen ein menschenverachtender Streit ausgetragen. Auf der einen Seite geben sich die deutsche Regierung unter Kanzlerin Merkel im Verbund mit EU-Kommissionschef Juncker als VertreterInnen der „europäischen Lösung“. Darunter verstehen sie eine Abriegelung der EU-Außengrenzen, gezielte, regulierte Zuwanderung, Verteilung von AsylbewerberInnen auf alle europäischen Staaten und die raschest mögliche Aufhebung von Grenzkontrollen im EU-Raum. Für diese Zielsetzung sind Abkommen mit der Türkei sowie den nordafrikanischen Staaten unerlässlich, die letztlich darauf hinauslaufen, dass der Staats- und Repressionsapparat dieser Länder als vorgelagerter EU-Grenzschutz eingesetzt wird.

Der vorgebliche „Humanismus“ dieser „europäischen Lösung“ besteht vor allem darin, dass das polizeiliche und militärische Abfangen der Flüchtlinge auf Territorien außerhalb der EU verlagert wird. Dabei wird nicht nur großzügig über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, den Krieg gegen das kurdische Volk und Aushebelung der Meinungsfreiheit hinweggesehen. Wer wissen will, wie es zukünftig bei der „europäischen Lösung“ aussehen soll, der soll an die Grenzen Nordafrikas zu Spanien blicken. Dort haben Zäune und Grenzschutz die Zahlen der Flüchtlinge deutlich reduziert. Wer solche Hindernisse dennoch überwinden will, muss das Risiko in Kauf nehmen, bei Grenzübertritt beschossen zu werden oder im Mittelmeer elendig zu ersaufen. Auch wenn es niemand sagt: gerade das Mittelmeer, in dem allein 2015 fast 4.000 Geflüchtete ertrunken sind, soll abschrecken. Nicht „großzügige“ Rettung, sondern gezieltes Absaufen sollen die Geflüchteten stoppen.

Während Merkel und Co. ihre menschenverachtende Politik mit leerem Gerede von der „humanitären Verantwortung“, von der „Verpflichtung zur Menschlichkeit“ ideologisch verkleistern, verzichten die Gegenspieler aus Osteuropa, die österreichische Bundesregierung und ihre GesinnungsgenossInnen in anderen Ländern längst auf solche Floskeln. Für Leute wie Orban, die polnische Regierung, Rechts-Konservative wie Seehofer und erst recht offen rassistische Parteien (FPÖ, AfD, FN, …) gilt es als Markenzeichen, sich durch besonders inhumane, menschenverachtende Vorschläge hervorzutun. Gewendete Sozialdemokraten wie Faymann ziehen sich auf die Position eines vorgeblichen „Realismus“ zurück, demzufolge die „Aufnahmekapazität“ und eine sog. „Belastungsgrenze“ zur weiteren „Integration“ erreicht seien. Wer jetzt noch nach Europa fliehen wolle, der müsse v.a. abgeschreckt werden – auch wenn’s schwer falle.

Dass die Zahl der Flüchtlinge in die EU reduziert und „unter Kontrolle“ gebracht wird – darin bestehen grundlegend keine Differenzen. Wohl aber darüber, wie dieses „Problem“ in den Griff zu kriegen und wer dafür verantwortlich sei.

Das ist einerseits ein Kampf darum, wer die Kosten der sog. „Flüchtlingskrise“ zu übernehmen hätte. Deutschland drängt zur Zeit auf eine „europäische Lösung“, um einen Teil der Kosten auf andere EU-Staaten abzuwälzen und um die Schengen-Verträge im Sinne der exportorientierten Wirtschaft zu wahren. Natürlich geht es dabei ohne Zynismus und Doppelbödigkeit nicht ab. Jahrelang hatte die Berliner Koalition die Forderungen Italiens nach Übernahme von Flüchtlingen aus Afrika durch andere EU-Staaten mit dem Verweis auf die Dublin-Verordnungen kategorisch abgelehnt. Nachdem jetzt die Balkanroute dicht ist, weigert sich „natürlich“ auch die deutsche Regierung, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen und so das Land zu entlasten. Im Gegenteil: bei aller Kritik an Faymann, Orban und Co. nehmen Merkel, Steinmeier und Schulz unmittelbare Auswirkungen von deren rassistischer Politik gerne mit. Dass es nur noch wenige Flüchtlinge nach Deutschland schaffen, soll schließlich auch die Berliner Regierung „entlasten“.

Die Frage der „Kostenverteilung“ ist jedoch nur eine Frage, die die EU entzweit. Es zeigt sich hier auch, wie fragil die „europäische Einigung“ selbst ist und wie provisorisch letztlich die „europäischen Institutionen“ sind. In den letzten Jahren konnte der deutsche Imperialismus v.a. den südeuropäischen Ländern seine Politik im Zuge der sog. „Schuldenkrise“ diktieren. Griechenland wurde weitgehend unter Kontrolle Brüssels und Berlins gestellt. Diese Gewaltakte waren Resultat der ökonomischen Vormacht Deutschlands im EU-Raum und v.a. in der Euro-Zone. Aber diese Politik trieb schon damals die EU an ihre Grenzen – nicht zuletzt weil sie v.a. dem französischen und italienischen Imperialismus nur allzu schmerzlich die dominante Rolle Deutschlands offenbarte.

Die „Flüchtlingskrise“ offenbart auch die Grenzen dieser Vormachtstellung. Die EU selbst ist kein Staat, sondern ein Staatenbund. Die politische Macht in der EU liegt nicht in Brüssel, aber sie liegt auch nur zum Teil in Berlin. Die Nationalstaaten verfügen über die Möglichkeiten, ihr „Recht“ geltend zu machen – und tun das auch. Dabei sieht sich die deutsche Regierung einer durchaus heterogenen gegnerischen Koalition im Inneren wie im Äußeren gegenüber, die aus unterschiedlichen Motiven handelt. Das trifft nebenbei auch auf ihre verbliebenen Verbündeten zu. Die „Flüchtlingsfrage“ ist dabei oft genug nur ein Vorwand.

a) Die neben Deutschland wichtigsten imperialistischen Länder – Frankreich, Britannien, Italien – lehnen die Berliner Politik in unterschiedlichem Ausmaß ab. Cameron will wegen der Abstimmung über den Verbleib Britanniens in der EU und der drohenden Niederlage gegen die nationalistische, rechte Mobilisierung nicht auch noch als „Grenzöffner“ dastehen. Aber zugleich ist die britische Regierung auf Zugeständnisse aus Berlin und Brüssel angewiesen, um im eigenen Land für den Verbleib in der EU werben zu können. Da Britannien nicht Teil des Schengen-Raums ist, nimmt es ohnedies nicht an der Freizügigkeit der EU im vollem Umfang teil. Mehr als für jede andere Regierung ist für die britische die Flüchtlingsfrage eine, mit der in anderen Belangen politisches Kleingeld gemacht wird. Anders als jede andere imperialistische Macht Europas jedoch hat Britannien kein Interesse daran, die kapitalistische Integration hin zu einem Supra-Staat voranschreiten zu lassen.

Frankreich, oder auch die Niederlande, befürworten zwar verbal eine „europäische Lösung“ – nennenswert Flüchtlinge aufnehmen wollen sie aber nicht. Andere wie Schweden haben ihre Grenzen mehr oder weniger dicht gemacht.

b) Italien, Spanien und generell die Länder Südeuropas haben ein Interesse an einer „europäischen Lösung“. Sie können noch am ehesten als Verbündete von Merkel und Co. gelten. Erstens richtet sich die Politik der osteuropäischen und Balkanländer direkt gegen Griechenland und Italien. Zweitens tragen im österreichisch-osteuropäischen „Modell“ im Zweifelsfall Griechenland, Italien, Spanien und Malta die Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen, die Abriegelung ihrer Grenzen und müssen obendrein auch die „humanitäre“ Verantwortung für die mörderische Drecksarbeit übernehmen.

c) Die EU-Mitgliedsstaaten Osteuropas haben im Kurs gegen Merkel lange Zeit eine „Vorreiterrolle“ übernommen, obwohl in die meisten von ihnen nur die wenigsten migrieren möchten. Schon die Übernahme einiger Zehntausend erschien Warschau, Prag oder den baltischen Staaten eine „Zumutung“. Hier mischt sich unverhohlener Rassismus mit dem „Gerechtigkeitsempfinden“ der selbst brutal Erniedrigten. Im Zuge der Restauration des Kapitalismus wurden große Teile der Industrie, ja der Ökonomie dieser Länder zerstört. Die Migration von Millionen Lohnabhängigen nach Westeuropa und Britannien ist nur die Kehrseite eines Überangebots an Arbeitskräften infolge des wirtschaftlichen Niedergangs. Die Bevölkerung musste durch Jahrzehnte von Spar- und Strukturanpassungsmaßnahmen. Wenn „wir“ schon bluten mussten, so soll anderen, so das Credo der osteuropäischen Regierungen, auch nichts geschenkt werden. Daraus speist sich in der Schulden-Frage ihre Unterstützung des eisernen Finanzministers Schäuble gegen die „faulen Griechen“. Jetzt soll auch den Flüchtlingen nichts geschenkt werden. Jüngst hat sich die österreichische Bundesregierung an die Spitze dieser Allianz gestellt. Sie hat jedoch durchaus andere Interessen als die Balkanstaaten, Ungarn usw. Die „Flüchtlingsfrage“ ist für den schwachbrüstigen österreichischen Imperialismus auch ein, noch dazu recht kostengünstiges Mittel, sich als „Führungsnation“ und „Schutzmacht“ der „armen Völker“ anzupreisen. Geht es gegen die Geflüchteten, schickt das „neutrale Österreich“ schon mal Grenzschützer nach Mazedonien.

(d) In einigen Ländern haben sich als Antwort auf die kapitalistische Krise links-reformistische oder links-populistische Parteien mit Massenanhang gebildet. Aber das blieb im Wesentlichen auf Südeuropa beschränkt. In der Regel ging die Bewegung nach rechts. Die Krise trifft oder bedroht nicht nur die ArbeiterInnenklasse, sondern auch das KleinbürgerInnentum, die Mittelschichten, ja auch die schwächeren Teile der Bourgeoisie. „Existenzangst“ macht sich breit. Die Konkurrenz nimmt real zu. Flüchtlinge und MigrantInnen werden als unmittelbare KonkurrentInnen, als Bedrohung des „eigenen“ Arbeitsplatzes, des Wohnraums, der „eigenen“ Kultur usw. in Stellung gebracht. Aufgrund der politischen Schwäche der reformistischen Parteien (ob nun Sozialdemokratie oder Linksparteien) und der Gewerkschaften, ihrer Klassenkollaboration und Politik des immer prekärer werdenden „sozialen Ausgleichs“ erscheinen die RechtspopulistInnen, RassistInnen bis hin zu offenen FaschistInnen als „radikaler“. Die Masse gesellschaftlicher Verzweiflung und Depression wird so zu einer reaktionären Kraft formiert. In vielen Ländern Osteuropas befinden sich die Kräfte längst an der Regierung. In praktisch allen anderen haben sie sich zu Parteien mit einer Millionenmasse von WählerInnen formiert (FPÖ, FN, AfD, UKIP, …). Auch wenn die meisten von ihnen schon seit Jahren im Aufstieg sind, so haben sie sich gerade durch ihren Rassismus und Nationalismus weiter gestärkt. Die bürgerlichen Parteien haben teilweise deren Forderungen selbst übernommen; die SozialdemokratInnen schwanken zwischen Übernahme (Faymann, Hollande) oder einem Kurs auf den „vernünftigen“, „humanistischen“ Teil des Kapitals bzw. seiner VertreterInnen. Das ist auch der Grund, warum in Deutschland die SPD verlässlicher hinter Merkel steht als weite Teile der CDU/CSU.

Kern des Konflikts

Um die Geflüchteten geht es dabei im Grunde nicht. Dass die Festung Europa „geschützt“ werden muss, darin besteht kein Dissens. In den wichtigsten Staaten der EU herrscht zweifellos auch Einigkeit, dass Massenmigration aus den halb-kolonialen Ländern außerhalb der EU auch in Zukunft notwendig sein wird. Es geht nur darum, dass die so selektiert wird, dass sie den (erwarteten) Anforderungen des Arbeitsmarktes entspricht, es geht also um kontrollierte Migration.

Der eigentliche Konflikt dreht sich um eine andere Frage. Es geht darum, was die EU sein oder, genauer, werden soll. Die Regierung und auch die EU-Kommission wollen, dass die EU in der Flüchtlingsfrage handele als wäre sie ein Staat. Das ist vom Standpunkt des deutschen Imperialismus, genau genommen seines vorherrschenden Flügels, aus auch folgerichtig. Wenn die EU zu einem weltmachtfähigen Block unter deutscher Führung werden soll, der es mit den USA und China aufnehmen kann, muss sie handeln wie ein Staat, muss ihre kapitalistische Integration nicht nur auf ökonomischer, sondern vor allem auch auf politischer Ebene voranschreiten. Daraus erklärt sich auch die Tiefe der aktuellen Konflikte, des Gegensatzes zwischen der deutschen Regierung und eines größeren Teils der EU-„Partner“.

Die Tatsache, dass sich die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten dem verweigert, zeigt, dass der deutsche Imperialismus nicht nur in der Flüchtlingsfrage eine Niederlage erlitten hat. Das wird letztlich auch durch ein Abkommen mit der Türkei nicht zu übertünchen sein, auch wenn Merkel das als „Erfolg“ gemeinsamer Anstrengung verkaufen wird. So lässt das jüngste Abkommen mit der Türkei Merkel das Gesicht wahren, doch gab es massiven Unmut gegen das Vorpreschen Berlins im bilateralen Gipfel mit der Türkei. Die EU verpflichtet sich, die lächerlich geringe Obergrenze von 72000 syrischen Flüchtlingen aus der Türkei legal aufzunehmen. Zugleich winken der Türkei schnellere Auszahlung der bereits vor langem vereinbarten Finanzhilfe von 3 Milliarden Euro, die Aussicht auf weitere 3 Milliarden sowie Erleichterungen beim Visaverfahren für türkische StaatsbürgerInnen. Ferner soll ein Modus für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gefunden werden, der das Veto Zyperns umgeht. Im Gegenzug soll die Türkei alle „illegal“ nach Griechenland Geflüchteten zurücknehmen und darf sie nicht einfach abschieben, sondern soll die Genfer Flüchtlingskonvention beachten. Die 72000 Aufzunehmenden dürfen allerdings innerhalb der EU nur auf freiwillig zur Aufnahme bereite Länder verteilt werden.

Das ist auch die Ursache dafür, warum in Deutschland nicht nur (oder nicht einmal so sehr) der Aufstieg der AfD die CDU herumtreibt. Mit dieser rassistischen Partei gäbe es rein wahltaktisch betrachtet für die Konservativen sogar eine Alternative zur Großen Koalition und ein zusätzliches Disziplinierungsinstrument gegenüber SPD (und auch den Gewerkschaften). Aber der Konflikt um die „Zukunft Europas“ wird nicht nur von der deutschen Regierung mit den osteuropäischen oder der österreichischen ausgetragen, er zieht sich auch durch die herrschende Klasse in Deutschland und ihre Parteien.

In der Flüchtlingsfrage spitzt sich die Frage nach der Zukunft Europas, die Frage, ob eine kapitalistische Einigung möglich ist oder nicht, zu. Für die Gegner Merkels läuft die Frage letztlich darauf hinaus, dass die EU ein Bund von Nationalstaaten zu bleiben habe, der allenfalls durch einen gemeinsamen Markt und eine gemeinsame Währung verbunden sein solle. Die Einführung von Grenzkontrollen im Inneren der EU stellt auf Dauer freilich selbst das in Frage. Ohne Freizügigkeit des Verkehrs von Waren und Arbeitskräften fällt von der EU als „Wirtschaftsraum“ schon vieles weg; die Kosten für den wirtschaftlichen Austausch werden größer, die Tendenz zu einer „Renationalisierung“ wird stärker werden.

Umgekehrt hat aber die Krise der letzten Jahre gezeigt, dass selbst die aktuelle wirtschaftliche Konstruktion der EU und des Euro unter anderem an der fehlenden politischen Einheit leidet, dass das ungleichzeitige politische und wirtschaftliche Voranschreiten die inneren Widersprüche der EU vertieft, dass also ihr Auseinanderbrechen wahrscheinlicher wird. Ob das nun der Form eines „Endes“ der EU bedarf, sei dahingestellt. Es mag aber sehr wohl so sein, dass sie als eine, weniger wichtige Institution weiter existiert – aber an ihre Stelle andere Entwicklungen treten, um die sich die dominierenden imperialistischen Staaten formieren (z.B. Kerneuropa, Europa der zwei Geschwindigkeiten, ….).

Mit der Krise der EU um die Flüchtlingsfrage droht Merkels Politik zu scheitern, die EU in einen quasi-staatlichen, imperialistischen Block unter deutscher Führung zu manövriere. Daher (und letztlich nur daher) ist die aktuelle Krise auch eine, die ihre eigene politische Zukunft in Frage stellt. In jedem Fall aber verdeutlicht sie, dass es in der EU und v.a. mit der „Strategie“ des deutschen Imperialismus nicht mehr so weiter gehen kann wie bisher. Alles muss früher oder später auf den Prüfstand. Die aktuelle Krise und gerade die Rolle des österreichischen Imperialismus zeigen, dass auch auf einen langjährigen Verbündeten wie Österreich nicht immer und unbedingt Verlass ist, dass auch solche Länder früher oder später diszipliniert werden müssen. Ebenfalls teilen die anderen EU-Mächte nicht die geostrategische Ausrichtung der BRD auf das Schlüsselland Türkei.

Ob die aktuelle Krise mithilfe der Türkei „gelöst“ werden kann, ob sich eher die Vorstellungen der deutschen Regierung oder ihrer Gegner kurzfristig durchsetzen – in jedem Fall würde das zwei Entwicklungen mit sich bringen. Erstens würde es die Krise der EU verschärfen, deutlicher zu Tage treten lassen und damit auch die Notwendigkeit, deren Auseinanderbrechen oder die Neuformierung beispielsweise in Form eines Kerneuropas auf die Tagesordnung setzen. Zweitens gehen alle auf Kosten der Geflüchteten und MigrantInnen – und somit auf Kosten eines großen Teils der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten. In dieser Hinsicht sind beide Lösungen gleichermaßen reaktionär.

Die Führungen der ArbeiterInnenklasse – ob sozialdemokratische Parteien, Gewerkschaften, aber auch die „Linksparteien“, allen voran Syriza in Griechenland – haben sich in den Dienst ihres „eigenen“ nationalen Interesses gestellt. Die einen tun dies auf national-bornierte, rückwärtsgewandte Weise, indem sie sich vor den Karren des eigenen Kapitals und längst zur Utopie gewordener „nationaler wirtschaftlicher Unabhängigkeit“ spannen. Die anderen, indem sie sich mehr oder weniger der deutschen Variante einer Festung Europa mit „menschlichem Antlitz“, also der üblichen Verlogenheit anschließen. Eine eigenständige Klassenpolitik kann so nicht entwickelt werden.

Damit werden letztlich auch die zahlreichen HelferInnen, die seit dem Sommer 2015 viel Zeit, Energie und Enthusiasmus aufwandten, um angesichts behördlichen Versagens für die Notversorgung von Refugees zu sorgen, letztlich ausgelaugt, demoralisiert. So wichtig und richtig es ist, dass sie zu Zehn- wenn nicht Hunderttausenden geholfen haben und helfen, so lassen sich die unzureichende Versorgung der Geflüchteten, das mehr oder weniger bewusst in Kauf genommene „Chaos“ bei deren Unterbringung und die endlosen Hindernisse für ihre reale Integration in die Gesellschaft nicht im permanenten, selbstorganisierten Notbetrieb wettmachen.

Zentrale Forderungen

Entscheidend ist, dass es einer politischen Kampagne und Kämpfen der gesamten ArbeiterInnenklasse bedarf, um zentrale politische Forderungen landes- wie europaweit durchzusetzen:

1. Öffnung der EU-Außengrenzen, Aufhebung der Grenzkontrollen und Öffnung der Balkanroute! Aufhebung aller Einschränkungen des Asylrechts! Keine Abschiebungen! Kein Abkommen mit der Türkei, Nein zu Hot-Spots und dem Einsatz von Polizei und Armee zum Grenzschutz, Auflösung von Frontex und den EU-Sondereinheiten! Volle StaatsbürgerInnenrechte, für alle die in der EU leben!

2. Volle Freizügigkeit der Geflüchteten und MigrantInnen in ganz Europa! Weg mit allen nationalen wie europaweiten Einschränkungen der Freizügigkeit (z.B. Residenzpflicht in einigen Staaten, Kontigentlösungen zwischen europäischen Staaten)! Legalisierung des Status aller Menschen, die in Europa leben (wie der Sans Papiers)! Alle Refugees und MigrantInnen sollen – wie die BürgerInnen der EU – das Recht auf freie Wahl ihres Wohnortes haben.

3. Wohnraum für alle! Statt des Lagersystems treten wir für die Unterbringung der Geflüchteten in Wohnungen ein. Um ausreichend Wohnraum für die Geflüchteten wie für wohnungssuchende Jugendliche und Lohnabhängige, Arme und Obdachlose zur Verfügung zu haben, soll erstens zu Spekulations- und Profitzwecken leer stehender Wohnraum entschädigungslos enteignet werden. Zweitens kämpfen wir für ein staatliches Wohnungsbauprogramm unter Kontrolle der MieterInnen und Gewerkschaften, finanziert aus der Besteuerung von Unternehmensgewinne, großen Privatvermögen und Großgrundbesitz.

4. Wenn die „Integration“ kein leeres Gerede sein soll und Geflüchtete nicht gegen andere Arbeitssuchende ausgespielt werden sollen, müssen wir für das Recht auf Arbeit eintreten. Alle Zugangsbeschränkungen aufgrund von Flucht oder Nationalität müssen abgeschafft werden. Alle MigrantInnen und Flüchtlinge müssen zu den gleichen Mindestbedingungen eingestellt werden wie andere Lohnabhängige: zu einem Mindestlohn, der von der jeweiligen ArbeiterInnenbewegung festgelegt wird; zweitens zu tariflichen Verträgen mit Gesundheitsvorsorge, Urlaub und Rentenansprüchen. Drittens muss die Arbeitszeit auf 35 Stunden als Schritt zur Aufteilung der Arbeit auf alle Arbeitssuchenden verringert werden. Zusätzlich treten wir für ein Programm öffentlicher, gesellschaftlich nützlicher Arbeiten (im Gesundheits- und Bildungsbereich, für den Ausbau des Verkehrssystems und den ökologischen Umbau der Ökonomie) unter ArbeiterInnenkontrolle ein, um nicht „nur“ für Geflüchtete, sondern für alle Arbeitslosen und „Unterbeschäftigten“ Arbeit zu schaffen. Schließlich muss dieser Kampf angesichts weiterer drohender wirtschaftlicher Verwerfungen mit dem gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen verbunden werden.

5. Die „soziale Frage“ und der Kampf gegen jede Einschränkung demokratischer Rechte für die Flüchtlinge und MigrantInnen sind der Schlüssel, um der Spaltung der Lohnabhängigen entlang ihrer Nationalität oder ethnischen Herkunft wirksam entgegentreten zu können. Es braucht ein Aktionsprogramm, das die gesamte ArbeiterInnenklasse gegen Rassismus, Abschiebungen, rechte Hetze und Anschläge mobilisieren kann und das letztlich mit dem Kampf für eine Neuaufteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit verbunden ist. Die Forderung nach offenen Grenzen muss mit der Mobilisierung gegen Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und Billigjobs verzahnt werden.

6. Gegen die zunehmende rassistische Hetze, Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte wie auch auf UnterstützerInnen braucht es effektiven Schutz. Die Polizei, der bürgerliche Staat haben sich hier wiederholt als „blind“ auf dem rechten Auge erwiesen. Wer sich auf diese verlässt, wird nur allzu leicht ganz verlassen. Es braucht vielmehr organisierte Selbstverteidigungsstrukturen von Geflüchteten, MigrantInnen, der Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Nur so können diese eine Massenunterstützung erhalten, die z.B. aus Betrieben kurzfristig mobilisiert werden kann.

7. Der Kampf gegen Rassismus bedeutet auch, alle sprachlichen und sonstigen Barrieren für die Geflüchteten und MigrantInnen abzuschaffen. Vor Behörden, bei Arbeits- und Mietverträgen müssen sie ihre eigene Sprache sprechen können und Dokumente und ÜbersetzerInnen müssen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Für alle Geflüchteten muss es ausreichend Sprachkurse in der jeweiligen Landessprache geben, für die Kinder und Jugendlichen das Recht auf muttersprachlichen Unterricht verwirklicht werden. Vom Standpunkt des gemeinsamen Kampfes aus wichtig ist die Öffnung der Gewerkschaften wie der gesamten ArbeiterInnenbewegung für die Geflüchteten. Ob und wie viele von ihnen in den Herkunftsländern LohnarbeiterInnen waren oder „besser gestellt“, ist letztlich nebensächlich. Entscheidend ist vielmehr, dass vielen von ihnen in Europa nur eine Perspektive als zukünftige Lohnabhängige offensteht. Die ArbeiterInnenklasse hat sowohl eine politische und moralische Verpflichtung, diesen Menschen beizustehen, wie auch ein Eigeninteresse, die Verbindung zwischen diesen (zukünftigen, oft durch rechtliche Diskriminierung vom Arbeitsmarkt ferngehaltenen KollegInnen) möglichst rasch herzustellen.

8. Der antirassistische Kampf beschränkt sich nicht auf die Solidarität und den gemeinsamen Kampf mit den Flüchtlingen und MigrantInnen, den Opfern der Überausbeutung (halb)kolonialer Unterdrückung durch den Imperialismus, Despotien, reaktionäre Regime, von Krieg und Bürgerkrieg. Bekämpfen der „Fluchtursachen“ bedeutet nichts weniger als der Kampf gegen die imperialistischen Interventionen der „eigenen“ herrschenden Klasse und ihrer Verbündeten. Es bedeutet auch die Unterstützung der Kämpfe gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Diktatur – so z.B. die Solidarität mit der syrischen Revolution, dem kurdischen und palästinensischen Widerstand.

ArbeiterInneneinheitsfront gegen Rassismus!

Diese Forderungen, diese acht Punkte stellen für uns Schlüsselaspekte des Kampfes gegen Rassismus und für die demokratischen Rechte der Refugees und MigrantInnen dar. Um diese Forderungen in der gegenwärtigen Lage durchzusetzen, wird letztlich die Systemfrage, die Frage der gesellschaftlichen Ordnung aufgeworfen. Wer vom Kapitalismus, nicht reden will, dessen Anti-Rassismus wird letztlich hohl und rein moralisch, bürgerlich-humanitär bleiben müssen.

Aber wir wollen keinesfalls die Zustimmung zur Gesamtheit dieser Forderungen und ihrer inneren Verbindung mit der Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus zu einer Voraussetzung für den gemeinsamen Kampf machen – für offene Grenzen, Schutz und Selbstverteidigung gegen RassistInnen und FaschistInnen, für Wohnraum oder das Recht aus Arbeit.

Wir kämpfen für eine europaweite anti-rassistische Bewegung, die sich diese Schlüsselforderungen zu eigen macht. Wir gehen aber davon aus, dass das nicht bloß oder in erster Linie durch Konferenzen oder Diskussionen um Forderungen zustande kommt. Oft mag es „nur“ möglich sein, eine solche Bewegung um einzelne dieser Forderungen oder auch nur um eine Aktionseinheit, eine Einheitsfront von Linken, MigrantInnen und ArbeiterInnenorganisationen herum aufzubauen.

Um die aktuelle rechte und rassistische Welle zu stoppen, ist es nicht nur notwendig, ein Aktionsprogramm zu erarbeiten und dieses zu verbreiten. Es geht vor allem darum, jene Kraft zu formieren, zu gewinnen, die sich wirksam entgegenstellen kann. Das ist die multi-nationale ArbeiterInnenklasse in ganz Europa, ob nun „InländerInnen“ oder MigrantInnen. Nur sie verfügt über die gesellschaftliche Kraft, ein solches Programm durch Massenmobilisieren, Demonstrationen, Streiks, Formierung und Unterstützung von Schutzgruppen gegen rechte Angriffe auch durchzusetzen.

Um die Klasse zu gewinnen, braucht es aber nicht nur die Kritik an der Politik ihrer bestehenden Organisationen und ihrer zumeist reformistischen Führungen. Es ist unerlässlich, die bestehenden Massenorganisationen immer wieder zum Kampf um ein solches Programm oder einzelne Forderungen aufzufordern. Natürlich wollen diese Führungen das in der Regel nicht; große Teile des Apparates dieser Parteien und Gewerkschaften sind hin und her gerissen, ob sie gegen Rassismus kämpfen oder selbst Sozialchauvinismus mit demokratischen Phrasen praktizieren sollen. Die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen „ArbeiterInnenführerInnen“ ziehen es vor, dass es zu keiner gemeinsamen Aktion kommt oder wollen am liebsten möglichst große Teile der bürgerlichen Klasse dabei haben. Sie ziehen eine Staatsaktion dem Kampf vor.

Daraus darf aber nicht der falsche ultra-linke Schluss gezogen werden, dass sich Forderungen an sozialdemokratische Parteien, an „Linksparteien“ oder sozialdemokratisch geführte Massengewerkschaften „erübrigt“ hätten oder, dass diese nur an jene reformistischen Organisationen zu richten wären, die schon erklärt haben, dass sie gegen Rassismus kämpfen wollten. Im Gegenteil, der massive staatliche Rassismus, die Entstehung von landesweiten rassistischen Parteien, der Zulauf für offene FaschistInnen zeigen, dass sich ein tödlicher Gegner für die gesamte ArbeiterInnenklasse formiert, der, selbst wenn man wollte, durch die „Einheit“ der radikalen, anti-kapitalistischen Linken an den meisten Orten schon gar nicht mehr gestoppt werden kann.

Die „radikale Linke“, MigrantInnenorganisationen, der linke Flügel reformistischer Parteien, radikalere Teile des Kleinbürgertums (z.B. vom linken Flügel der Grünen) mögen für die notwendige Aktionseinheit leichter zu gewinnen sein, an vielen Orten deren „Kern“ bilden. Allein der Kampf gegen die Einreisebeschränkungen, für ausreichenden Wohnraum, für Arbeitsplätze für alle wird nur gewinnbar sein, wenn es gelingt, die organisierten ArbeiterInnen und, wo immer möglich, deren Organisationen in den Kampf zu ziehen. Auf Forderungen an die Sozialdemokratie, die Linksparteien, die Gewerkschaften, also alle Massenorganisationen, die historisch in der ArbeiterInnenklasse gewachsen und in dieser verankert sind, zu verzichten, heißt nicht, besonders radikal zu sein, sondern nur die eigene Passivität angesichts der Aufgabe, eine gemeinsame Kampffront zu bilden, pseudo-radikal zu verbrämen.

Genauso falsch ist es andererseits, die Bereitschaft der FührerInnen von Massenorganisationen zur gemeinsamen Aktion zur Vorbedingung für jedes reale Handeln zu machen. Initiativen von linken, radikalen Gruppierungen wie z.B. „Jugend gegen Rassismus“, die aus einem Schulstreik mehrerer tausend SchülerInnen erwachsen sind, stellen einen richtigen Ansatzpunkt dar, eine bundesweite Koordinierung und Bündelung der Kräfte wenigstens unter Jugendlichen zu schaffen. Niemand stellt in Frage, dass „Jugend gegen Rassismus“ heute noch keine Masseneinheitsfront darstellt. Deswegen aber fernzubleiben, wie es SAV und SDAJ tun, hat nichts mit dem konsequenten Eintreten für eine „Einheitsfront“ zu tun, sondern ist nur eine sektiererische Ausrede für die Ablehnung der gleichberechtigten Zusammenarbeit mit anderen Kräften der „radikalen“ Linken.

Schändlicher freilich als diese sektiererische Passivität von kleinen „linken“ Gruppierungen ist natürlich allemal die Passivität der Gewerkschaften oder die Weigerung ganzer „Spektren“ der mehr oder weniger „radikalen“ Linken, bundesweite und letztlich europaweite Bündnisse auf Basis klarer, einfacher Forderungen und der Verständigung zur Massenmobilisierung zu bilden. Diese Politik kann nur in den Ruin führen.

Die Einheitsfront für die wir eintreten, soll um klare Absprachen zur Aktion und konkrete Forderungen herum geschlossen werden. Gemeinsame Propaganda und „Welterklärungen“ sind dabei weder notwendig noch nützlich. Jede Gruppierung sollte das Recht auf Kritik der „BündnispartnerInnen“ auch bei der gemeinsamen Aktion haben. Die einzige Verpflichtung, die mit Bündnissen einhergehen sollte, ist jene der konsequenten Mobilisierung und der Umsetzung verpflichtender Absprachen. Bündnisse sollten auf das Praktische, auf den gemeinsamen Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner beschränkt sein. Deshalb können und sollen sie auch an des „Teufels Großmutter“, also auch an verräterische, bürgerliche ArbeiterInnenführerInnen, an reformistische, bürgerliche ArbeiterInnenparteien und verbürokratisierte Gewerkschaften gerichtet werden.

Die Einheitsfront ist nicht nur notwendig, um die Massen im Kampf zu mobilisieren, ohne den Bruch mit „ihren“ Führungen zur Vorbedingung für gemeinsame Aktionen zu machen. Sie ist auch ein Mittel, den AnhängerInnen reformistischer Parteien zu helfen, ihre Vorstände, Abgeordneten, VertreterInnen, ja ihre MinisterInnen in der Praxis zu testen. Die Aufforderung zu einem Bruch mit den bürgerlichen Parteien, zu einem „Richtungswechsel“ ist dabei ein unerlässliches Mittel – weil so den AnhängerInnen dieser Parteien vor Augen geführt werden kann, dass sie für konsequente demokratische und soziale Forderungen gar nicht kämpfen wollen, zum Kampf regelrecht getragen werden müssen.

Das heißt, die Einheitsfronttaktik, wie sie vom Marxismus und vor allem von der Kommunistischen Internationale auf den ersten vier Kongressen entwickelt wurde, ist nicht nur ein Mittel zur Herstellung möglichst großer Einheit der Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen Kapital, Staat oder reaktionäre Mobilisierungen. Sie ist auch ein Mittel, das Kräfteverhältnis innerhalb der ArbeiterInnenklasse zu ändern. Sie kann helfen, den Lohnabhängigen und zuerst wohl deren politisch aktivsten und bewusstesten Teilen klarzumachen, dass ihre politischen und gewerkschaftlichen Führungen dem Kampf ausweichen, selbst für die von ihnen proklamierten Versprechungen nicht kämpfen wollen.

Zweitens eröffnet sie aber auch ein Feld dafür, diesen Lohnabhängigen deutlich zu machen, dass der Verrat, die Kapitulation, die Klassenzusammenarbeit ihrer „VertreterInnen“ nicht nur deren Einbindung und Privilegien, nicht nur deren Verrat oder Feigheit zu verdanken ist. Die reformistische Strategie, den Sozialismus oder wenigstens Verbesserungen für die Massen über eine Serie staatlicher Reformen Schritt für Schritt einzuführen, den Kapitalismus immer mehr zu „humanisieren“ und zu „bändigen“, ist letztlich eine Utopie.

Gerade die Frage der Migration, der Flucht zeigt, auf welche Widerstände schon der Kampf für grundlegende demokratische Rechte von ein oder zwei Millionen Menschen in Europa stößt. Angesichts von fast einer halben Milliarde EinwohnerInnen in der EU, angesichts gigantischer Profite der großen Monopole wären die Summen für die Integration von ein paar Millionen Flüchtlingen kein großes Problem. Verglichen mit den Milliarden, die zur Rettung von Banken und Konzernprofiten verballert wurden, sprechen wir von geringen Summen.

Doch in der „europäischen Politik“ wird um die Interessen der imperialistischen Mächte wie die der nationalen KapitalistInnenklassen der halb-kolonialen Länder der EU gerungen. Für die Lohnabhängigen gibt es allenfalls schöne Worte. Die Realität sind jedoch weitere Kürzungsprogramme wie z.B. die Angriffe auf die Renten in Griechenland oder die französische „Agenda“, die Hollande gerade durchsetzen will. „Umverteilung“, „sozialer Ausgleich“ waren gestern. Allenfalls gibt es sie noch für einen kleineren Teil der „besser gestellten“ Lohnabhängigen. Für die Geflüchteten gibt es keine Demokratie, sondern Selektion. Entweder ab in ihre „sicheren Herkunftsländer“ oder eine „Zukunft“ als billige, rassistisch diskriminierte Arbeitskräfte.

Die Herstellung der Einheit der Klasse gegen diese Spaltungen bedeutet zugleich die Erhöhung ihrer Kampfkraft. Sie bedeutet aber auch, dass v.a. die bewusstesten ArbeiterInnen, die Avantgarde, für ein Programm gewonnen werden müssen, das davon ausgeht, dass der Kampf gegen Rassismus, für die elementaren sozialen Forderungen der ArbeiterInnenklasse, untrennbar mit dem Kampf um die Überwindung der Nationalstaaten und des Kapitalismus in Europa verbunden ist. In dem Sinne ist die Einheitsfront auch ein Mittel, diese politische Klärung unter den Lohnabhängigen voranzubringen, ihr Bewusstsein für die Tatsache zu schärfen, dass ihre Interessen letztlich im Rahmen des Kapitalismus nicht dauerhaft gesichert werden können. Der Alternative zwischen einer weiteren kapitalistischen Einigung Europas unter Führung der großen imperialistischen Staaten, allen voran Deutschlands, einem „Europa verschiedener Geschwindigkeiten oder dem Zerfall in „unabhängige“ Nationalstaaten mit ihren eigenen Währungen, Grenzen, der „Balkanisierung“ des Kontinents müssen sie die einzig fortschrittliche Alternative entgegenstellen: den Kampf für ArbeiterInnenregierungen und die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!




Altes Spiel trotz “neuem Stil” – der Niedergang der SPÖ

Michael Märzen, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Bundespräsidentschaftswahlen 2016 in Österreich waren ein tiefer Rückschlag für die traditionellen Großparteien, insbesondere für die SPÖ. Ihr Kandidat, der bis dahin amtierende Sozialminister und ehemalige Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Rudolf Hundstorfer, erreichte gerade einmal 11,28 % der Stimmen und landete damit an vierter Stelle. Diese Niederlage war der Auslöser eines innerparteilichen Konfliktes, bei dem Teile der Partei zur offenen Rebellion gegen den SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Werner Faymann übergingen. Zugrunde lag eine weit verbreitete Unzufriedenheit in der Partei nach einem starken Rechtsschwenk Faymanns in der Asylpolitik. Am 1. Mai wurde der SPÖ-Chef bei seiner üblichen Festtagsrede ausgepfiffen, auf Schildern wurde sein Rücktritt gefordert, während der rechte Parteiflügel mit dem Slogan „Werner, der Kurs stimmt!“ gegensteuerte. Eine starke Polarisierung prägte die Partei und offenbarte eine tiefgehende Krise in der österreichischen Sozialdemokratie, die mit dem Rücktritt Faymanns – trotz allgemeiner Aufbruchstimmung – keineswegs überwunden ist.

Wir wollen die derzeitige Entwicklung der SPÖ untersuchen, den Ursachen ihres Niedergangs auf den Grund gehen und dessen Bedeutung für den österreichischen Klassenkampf erfassen. Darin liegt keineswegs ein rein akademisches Interesse. Die SPÖ ist die traditionelle ArbeiterInnenpartei in Österreich, sie ist seit über einem halben Jahrhundert der einzige relevante politische Ausdruck der österreichischen ArbeiterInnenbewegung und dominiert bis heute unangefochten den Gewerkschaftsbund. Sie bestimmt organisatorisch, politisch und ideologisch unangefochten jenen Teil der Klasse der die Notwendigkeit einer eigenständigen politischen Organisierung der ArbeiterInnen anerkennt. Wer in Österreich Politik für und mit der ArbeiterInnenklasse machen möchte, kommt deshalb um eine Auseinandersetzung mit der SPÖ nicht herum. Ihre Krise muss als Chance begriffen werden, eine wahrhaftig sozialistische Alternative zu schaffen und die dazu notwendige Vorbedingung, die Überwindung der reformistischen Dominanz über die Klasse, zu erfüllen. In dieser Auseinandersetzung ist es die Aufgabe von MarxistInnen die Lehren aus den Fehlern der Sozialdemokratie zu ziehen, die politischen Verschiebungen in der ArbeiterInnenklasse und ihren Organisationen richtig einzuschätzen und daraus Perspektiven für die klassenbewusstesten Elemente in der Gesellschaft aufzuzeigen.

Die Krise der SPÖ

Wenn von einer Krise der österreichischen Sozialdemokratie gesprochen wird, dann drängt sich die Vorstellung einer akuten Existenzbedrohung für die SPÖ auf, ausgelöst durch ein Ereignis oder durch eine Aufeinanderfolge von Ereignissen, welche die Partei in ihren Grundfesten erschüttern. Eine solche akute Existenzkrise können wir in Österreich (noch) nicht beobachten. Allerdings hat die Polarisierung der Partei in der Haltung zur Asylpolitik des Kabinetts Faymann II gezeigt, was für grundlegende Differenzen in der Parteibasis existieren und wie schnell solche Widersprüche zu einer Zuspitzung führen können.

Unter einer Krise der Sozialdemokratie ist an dieser Stelle aber weder eine Existenzkrise noch eine vergangene oder zukünftige konkrete Zuspitzung innerhalb der Partei gemeint. Die Krise der Sozialdemokratie ist nichts anderes als der Zustand ihres fortgeschrittenen Niedergangs bei gleichzeitigem Unvermögen, diesen umzukehren. So wie dieser Niedergang ein historisch langwieriger Prozess ist, so ist die Krise der SPÖ weder vollkommen neu noch unvermittelt. Ihre Anfänge reichen schon in die 1970er Jahre zurück. Am Ende dieses Jahrzehnts erreichte die SPÖ mit 721.262 Mitgliedern ihren historischen Höchststand (1). Seither ist die Mitgliedszahl rückläufig und auch die 51 % der WählerInnenstimmen bei den Nationalratswahlen 1979 blieben nicht nur unübertroffen, mit zwei relativen Ausnahmen verlor die Partei von Wahl zu Wahl jedes Mal weiter an Stimmen (2). Heute kann man davon ausgehen, dass die SPÖ jährlich 10.000 Mitglieder verliert und die zahlende Mitgliedschaft (bei angegebenen 3.589 Sektionen) bereits unter 200.000 liegt (3).

Der Klassencharakter der Sozialdemokratie

Wer die Krise der österreichischen Sozialdemokratie verstehen will, muss zuerst einmal begreifen, was die Sozialdemokratie ausmacht, welche Kräfte in der Partei wirken und welche Dynamik daraus entsteht. Wir charakterisieren die SPÖ als eine reformistische Partei, genauer ausgedrückt als eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei (4). Für eine solche Charakterisierung steht an erster Stelle die Frage, welche Eigentumsverhältnisse die Partei verteidigt und in diesem Zusammenhang die Macht welcher Klasse. Die SPÖ hat sich längst mit dem Kapitalismus und dem Privateigentum an Produktionsmitteln abgefunden und verteidigt die herrschende Ordnung – daher ist sie bürgerlich. Aber die alleinige Einschätzung einer Partei aufgrund ihrer Haltung zu den Eigentumsverhältnissen ist unzureichend, wenn man ihre eigentliche politische Rolle begreifen möchte. Es stellt sich auch die Frage, wie die Partei zusammengesetzt ist und welche Klasseninteressen in ihr existieren. Die SPÖ stützt sich aus ihrer Geschichte als die Partei der ArbeiterInnenklasse sehr stark auf ArbeiterInnen und Angestellte (das österreichische Gesetz unterscheidet LohnarbeiterInnen in Arbeitende und Angestellte), das spiegelt sich auch heute noch im Wahlverhalten, in der Parteimitgliedschaft, aber insbesondere in der Beziehung der Partei zum Gewerkschaftsbund ÖGB wider – in diesem Sinn ist sie proletarisch.

Eine solche historisch gewachsene Verbindung zur ArbeiterInnenklasse und ihren sonstigen Organisationen ist eine innewohnende Eigenschaft einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei. Wir bezeichnen sie als „organische Verbindung“, weil die Partei und die ArbeiterInnenklasse in einem für beide notwendigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, indem sie aufeinander eine bestimmende gegenseitige Wirkung ausüben. Die bürgerliche ArbeiterInnenpartei ist von zwei gegensätzlichen Klasseninteressen durchzogen, die in der reformistischen Politik vereint werden sollen. Eine solche Politik ist kein Zufall, sondern das Resultat des Drangs einer eigenständigen politischen Organisierung der ArbeiterInnenklasse, die sich nicht gegen den Druck der Bourgeoisie behaupten kann. Die instabile organisatorische Einheit des Klassenwiderspruchs ist für eine reformistische Partei charakteristisch und lässt sich wie folgt beschreiben: Die Parteibasis und die sozialdemokratische WählerInnenschaft wollen die Partei als Instrument zur Verteidigung oder Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse nutzen. Die Parteibürokratie strebt gut bezahlte Posten in der Partei und im Staatsapparat oder, nach einer politischen Karriere, Spitzenjobs in der Wirtschaft an. Diese „ArbeiterInnenbürokratie“ lebt auf Kosten der ArbeiterInnenbewegung, nährt sich von den in sie bestehenden Hoffnungen und Illusionen in die Partei und ordnet sie den Kapitalinteressen unter. Die SPÖ versucht den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in der Partei zu vereinen und über Reformen mittels des bürgerlichen Staatsapparats zu entschärfen. Das befriedigt die Interessen weiter Teile der der sogenannten „ArbeiterInnenaristokratie“, also jener Schichten der ArbeiterInnenklasse, die aufgrund besonderer Errungenschaften oder wichtiger Funktionen im Produktionsprozess Privilegien gegenüber dem großen Rest der Klasse erhalten und deshalb für die Ideologie der Klassenversöhnung empfänglicher sind.

Dass die Charakterisierung der sozialdemokratischen Politik als bürgerlich korrekt ist, muss wegen ihrer Offenkundigkeit aus jahrzehntelanger Praxis – darunter 22 Regierungsbeteiligungen und vier Alleinregierungen in der II. Republik – kaum weiter untermauert werden. Zusätzlich sei auf das Selbstverständnis der Sozialdemokratie verwiesen. In ihrem aktuellen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 1998 bekennt man sich zwar gleich im ersten Absatz zu einer Gesellschaft, „in der Klassengegensätze überwunden sind“. Diese ist aber keineswegs als eine nicht-kapitalistische gemeint, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln in Gemeineigentum überführt wäre. Für eine solche Perspektive gibt es im gesamten Programm keinen Hinweis. Stattdessen will man „diese Interessengegensätze (zwischen „Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern und Unternehmerinnen/Unternehmern; Anm. d. A.) partnerschaftlich überwinden“ und misst Märkten „einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Wohlstands“ bei (5). Das Programm der Sozialdemokratie bekennt sich also unzweideutig zur sogenannten „sozialen Marktwirtschaft“, in welcher die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zwangsweise weiter bestehen aber der Interessensgegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital angeblich praktisch überwunden wäre. Spätestens seit der Veröffentlichung von Marx‘ „Kapital“ ist aber klar, dass der Klassengegensatz zwischen KapitalistInnen und Proletariat unüberbrückbar ist, selbst wenn eine zeitlich beschränkte Befriedung der Klassen in einem Land durch besondere Umstände möglich ist.

Die besondere Verbindung der SPÖ zur ArbeiterInnenklasse ist historisch gewachsen, in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen, aber keineswegs gebrochen. Eine „organische Verbindung“ zwischen der österreichischen Sozialdemokratie und der ArbeiterInnenklasse drückt sich aus in der unerschütterten Dominanz der „Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen“ (FSG) über den eine Millionen Mitglieder zählenden Gewerkschaftsbund ÖGB, die Kontrolle über die Arbeiterkammer (57,16 % bei den Wahlen 2014) sowie dem immer noch vorhandenen Rückhalt bei einem großen Teil der ArbeiterInnenklasse (6). Die Feststellung des versuchten Schwenks in der sozialen Zusammensetzung und in der ideologischen Ausrichtung der SPÖ zu einer Volkspartei ist in diesem Zusammenhang trotzdem bemerkenswert, wobei das im allgemeinen sozialdemokratischen Verständnis keine Abwendung von den „Arbeitern“, sondern eine zusätzliche Hinwendung zu anderen Schichten der Bevölkerung, besonders zu „Angestellten“, kleinen Selbständigen (z. B. „Ein-Personen-Unternehmen“) oder der großen Klientel an PensionistInnen bedeutet. In diesem Sinn stellt die SPÖ in ihrem Grundsatzprogramm die eigene Entwicklung „von einer Partei der Arbeiter zu einer Partei aller arbeitenden Menschen“ fest und tritt für eine „wirksame Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch starke und überparteiliche GEWERKSCHAFTEN“ ein (7).

Historisch können wir eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses in der SPÖ beobachten, die wir als „Verbürgerlichung“ der sozialdemokratischen Partei bezeichnen. Mit diesem Prozess geht die Aufweichung der organischen Verbindung zur ArbeiterInnenklasse und eine zunehmende Abwendung von Teilen des Proletariats von der Partei einher. Schaffen sich die ArbeiterInnen keinen alternativen politischen Ausdruck, muss die fortschreitende Verbürgerlichung der reformistischen Partei als Spiegelbild der fortschreitenden Schwächung der ArbeiterInnenbewegung als solcher verstanden werden. Die bürgerliche ArbeiterInnenpartei hört auf, eine reformistische Partei zu sein, wenn die besondere organische Verbindung zur ArbeiterInnenklasse abbricht und zur Nebensache wird, wenn die quantitative also in eine qualitative Veränderung umschlägt. Trotz ihrer historischen Schwäche und ihrer Versuche einer soziologischen Verbreiterung scheint uns, dass dieser Punkt in der Entwicklung der SPÖ noch nicht eingetreten ist. Wir glauben auch nicht, dass eine solche qualitative Veränderung vollkommen bruchlos vollzogen werden kann oder das österreichische Großbürgertum an einer offen bürgerlichen SPÖ besonders interessiert wäre, wenn diese ihre Funktion als Transmissionsriemen bürgerlicher Politik in die organisierte ArbeiterInnenbewegung hinein dadurch einbüßt. Auf jeden Fall bedroht der fortgeschrittene Verbürgerlichungsprozess die Existenz der SPÖ als bürgerliche ArbeiterInnenpartei selbst. Eine Umkehr dieses Prozesses, das heißt eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zur proletarischen Basis, wird nicht ohne weiteres, sondern – wenn überhaupt – nur unter dem Eindruck heftiger Klassenkämpfe geschehen können.

Historischer Abriss des Niedergangs

Der schleichende Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Entwicklung des österreichischen Kapitalismus. Umgekehrt konnte sich die SPÖ nach dem Zweiten Weltkrieg drei Jahrzehnte lang stärken. Dabei profitierte sie von der großen Bedeutung der verstaatlichten Industrie und dem Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg, der eben bis in die 1970er Jahre anhielt. Vor diesem ökonomischen Hintergrund konnte die Sozialdemokratie bedeutende Reformen zur Verbesserung der Lage der ArbeiterInnenklasse durchsetzen und den Großteil der Klasse selbst für die sozialdemokratische Politik gewinnen. Sie integrierte die österreichische ArbeiterInnenbewegung vollständig in das System der Sozialpartnerschaft, in dem der offene Klassenkampf einer institutionalisierten Klassenkollaboration Platz machte. Die reformistische Bürokratie suchte die Aussöhnung mit der KapitalistInnenklasse, die sich wiederum durch ihre ökonomische und politische Schwäche nach dem Krieg auf Kompromisslösungen einlassen musste. Noch heute, obwohl die KapitalistInnen kaum mehr zu Kompromissen bereit sind, versucht die SPÖ an ihrem sozialpartnerschaftlichen Kurs festzuhalten. Immerhin war die Politik der Sozialpartnerschaft ganz im Sinne der sozialdemokratischen Funktionärskaste: Die Bürokratie sollte sich um Lösungen kümmern, ungestört von der passivierten Partei- und Gewerkschaftsbasis. Die Aktivität in den Ortsgruppen wurde langsam ausgetrocknet, die Repräsentationswahlen zur staatlichen und betrieblichen Mitbestimmung wurden zum Höhepunkt des politischen Engagements und das niedrige Ausmaß an Streikmaßnahmen wurde als Erfolg gefeiert – nun lastet diese eingeübte politische Unkultur wie ein Alp auf dem Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse.

Ab Mitte der 1970er Jahre glitt auch die österreichische Wirtschaft in eine Phase der Stagnation. Konnten die Regierungen Kreiskys (1970 – 83) Anfang der 1970er Jahre in der Beschäftigungspolitik noch stark von der guten Konjunktur profitieren, musste Kreisky ganz im Sinne keynesianistischer Wirtschaftspolitik das staatliche Defizit ausbauen. Seit Anfang der 1980er Jahre kann man ein stetiges Sinken der bereinigten Lohnquote (8) feststellen (9). 1982 geriet die verstaatliche Industrie in die Krise, der Staat brauchte Geld und ein Jahr darauf verlor die SPÖ die absolute Mehrheit. Nachfolger Fred Sinowatz begründete daraufhin sogar die „kleine Koalition“ mit der FPÖ unter Norbert Steger, die erst mit der Parteiübernahme durch Jörg Haider ihr Ende fand. In der 1980er-Bewegung schuf die SPÖ-Politik, zum Beispiel beim geplanten Kernkraftwerk in Zwentendorf oder dem Kraftwerksbau in der Hainburger Au, neue FeindInnen: die wachsende Ökologie-Bewegung. Wenig später fuhr der oberösterreichische staatliche Stahlkonzern VOEST mit der internationalen Stahlkrise und durch Spekulationsgeschäfte einen Rekordverlust von 25 Milliarden Schilling ein. Der Konzern wurde in weiterer Folge umstrukturiert, das Personal reduziert und bis 1995 teilprivatisiert. Auch der „Glykolwein“-Skandal und die Korruption rund um den Neubau des Wiener AKH erschütterten Mitte der 1980er Jahre die SPÖ. Nicht zuletzt der Anstieg der Arbeitslosigkeit und die gestiegene Unsicherheit unter frustrierten ArbeiterInnen ermöglichte der demagogischen und offen rassistischen FPÖ einen Einbruch in die Kernschichten der Klasse.

Mit der Jahrtausendwende stand die SPÖ mit einem Drittel der Stimmen an einem historischen Tiefpunkt. Das Kapital, politisch in erster Linie repräsentiert durch die ÖVP, nutzte die Gelegenheit, um die Sozialdemokratie von der politischen Macht auszuschließen. Da der Koalitionskompromiss mit der SPÖ nicht mehr notwendig war, versuchte sich die Regierung von den einengenden Institutionen der Sozialpartnerschaft zu befreien. Die bisher so wichtige Paritätische Kommission (10) verlor ihre praktische Bedeutung. Mit dem Tag der Angelobung der FPÖ-ÖVP-Regierung rollten Massenproteste gegen die sogenannte Bürgerblockregierung durch Österreich. Nun wurden staatliche Unternehmen (teil-)privatisiert, Studiengebühren eingeführt, die Pensionen massiv gekürzt und korrupte Geschäfte geführt. Erst durch diese Phase der Opposition gegen eine Reihe von Angriffen auf Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse konnte die SPÖ einen bescheidenen Wiederaufstieg hinlegen.

Die baldige Fortsetzung des Niedergangs war allerdings wenig verwunderlich als die Sozialdemokratische Partei unter Alfred Gusenbauer eine neue Koalition mit der ÖVP einging und darin alle ihre Wahlversprechen brach, insbesondere die geforderte Abschaffung der Studiengebühren und den Ausstieg aus dem Eurofighter-Kaufvertrag. In diese Zeit fällt ebenso die Aufhebung der bis heute nicht wieder eingeführten Erbschaftssteuer durch den Verfassungsgerichtshof.

Seit Mitte der 1970er Jahre war der österreichische Kapitalismus von schwachem Wachstum und Stagnation geplagt. In den 1980er Jahren hat sich mit den neoliberalen Offensiven in Großbritannien und den USA die Konkurrenz am Weltmarkt verschärft. Dieser Trend beschleunigte sich ab den 1990er Jahren durch eine umfassende Phase der Globalisierung. Diese Faktoren, durch die der Spielraum für Kompromisse mit dem Kapital immer geringer wurde, sind die Ursachen für den langsamen Niedergang der Sozialdemokratie. Sie bedeuten immer geringere Möglichkeiten, mittels reformistischer Politik die ArbeiterInnenklasse in das kapitalistische System zu integrieren. Stattdessen tritt in den fruchtlosen Regierungsbeteiligungen immer offener politisches Versagen oder direkter Klassenverrat hervor, gerechtfertigt mit neoliberalen, nationalistischen und sogar rassistischen Argumenten . Teile der ArbeiterInnenklasse, insbesondere die gewerkschaftlich unorganisierten, fühlen sich nicht mehr von der Sozialdemokratischen Partei vertreten, die noch dazu als Repräsentantin des herrschenden Systems betrachtet wird. Dieser politische Bruch findet aber nicht aus einer klassenbewussten Kritik am Reformismus statt, das Gegenteil ist der Fall. Das Fehlen einer glaubhaften politischen und sozialen Perspektive für die ArbeiterInnenklasse bis hinein in ihre Kernschichten hat zu Demoralisierung und einem Rückgang des Klassenbewusstseins geführt – auch innerhalb der Partei, wo sich der bürgerliche Einfluss stärken konnte.

Die Ära Faymann

Werner Faymann wird der österreichischen Geschichte als der Kanzler in Erinnerung bleiben, der das Land durch die für Österreich schwersten Jahre der Weltwirtschaftskrise führte, nämlich 2009 und 2010. Von bürgerlicher Seite wird man ihm dabei auch viel Gutes nachsagen, von proletarischer Seite wird er jener SPÖ-Chef sein, der die traditionelle ArbeiterInnenpartei in ihre größte Krise in der II. Republik führte und der aus „zu geringem Rückhalt“ in der eigenen Partei zurücktreten musste (11). Er ist das Aushängeschild einer Politik, die die SPÖ so weit in die Krise führte, dass in den Medien sogar die Frage einer Parteispaltung gestellt wurde. Wie hat diese Politik also ausgesehen und wie unterscheidet sie sich von der jetzigen?

Nachdem Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) die Koalition unter Alfred Gusenbauer (SPÖ) aufkündigte, kam es 2008 zu Neuwahlen, in denen der vormalige Infrastrukturminister Faymann den ersten Platz der SPÖ, mit 6 Prozentpunkten Stimmverlusten, verteidigte und eine Neuauflage der Großen Koalition einleitete. Zu dieser Zeit profitierte die Sozialdemokratie noch von dem gestiegenen Klassenbewusstsein aus der Zeit der schwarz-blauen Koalition 2000 – 2006, die für eine Welle an Privatisierungen, Korruptionsskandalen und für Sozialabbau steht. Im Wahlkampf versuchte sich Faymann mit einem Fünf-Punkte-Programm zum Teuerungsausgleich zu profilieren. Vier Maßnahmen konnte er im Parlament durchsetzen: Teilabschaffung der Studiengebühren, Erhöhung des Pflegegeldes, Verlängerung der „Hackler“regelung (12) und die Erhöhung der Familienbeihilfe durch eine 13. Auszahlung. Die geforderte Halbierung der Mehrwertsteuer wurde nur in Bezug auf Medikamente angenommen, in Bezug auf Lebensmittel wurde der Antrag der SPÖ mit den Stimmen von ÖVP, BZÖ und Grünen dem Finanzausschuss zugewiesen (13). Darüber hinaus sprach sich Faymann wiederholt für Vermögenssteuern aus, insbesondere für die Wiedereinführung der Erbschafts- und der Schenkungssteuer. Dementsprechend wurde der neue Kurs nach Gusenbauer durchaus als Linksruck der SPÖ interpretiert. Auch integrierte Faymann mit Rudolf Hundstorfer als Sozialminister wieder die Gewerkschaften in die Regierung, von denen sich Alfred Gusenbauer abheben wollte.

Aber die weitere Entwicklung zeigt, in welchem Interesse eine Regierung im Kapitalismus tatsächlich handeln muss. Das Kabinett Faymann I war von der Weltwirtschaftskrise gebeutelt. Nach der Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers schlitterte die österreichische Wirtschaft im Jahr 2009 in die Rezession. Betriebe fuhren die Produktion zurück, viele LeiharbeiterInnen wurden entlassen, eine Kreditklemme drohte. Faymann versuchte mit Konjunkturpaketen und Bankenrettung die Wirtschaft am Laufen zu halten, die Integration der Gewerkschaften sicherte ihm unter „Abwendung der Härtefälle“ die Unterstützung dieser Politik auf Kosten der ArbeiterInnenklasse. Die Regierung reagierte mit einer Kurzarbeitregelung, die zwar den Anstieg der Arbeitslosigkeit dämpfte, aber einen Teil der Lohnkosten von den Unternehmen auf den Staat und somit auf die Gesamtbevölkerung übertrug. Mit dem Konjunkturpaket I („Mittelstandmilliarde“) sollten kleine und mittlere Unternehmen an billige Kredite kommen, das Konjunkturpaket II, mit einem Volumen von zwei Milliarden Euro, sah im Wesentlichen Investitionsanreize und Infrastrukturinvestitionen vor (14). Schon 2008, vor der Neuauflage der Koalition, wurde ein Bankenhilfspaket im Umfang von 100 Mrd. Euro geschnürt und in weiterer Folge von allen großen Banken in Anspruch genommen. Kommunalkredit und Hypo Alpe Adria mussten notverstaatlicht werden und die ÖVAG (Volksbank) zum Teil (15). Durch diese wirtschaftlichen Rettungsmaßnahmen schnellte die Staatsverschuldung bedrohlich in die Höhe. Als Reaktion folgten zwei Sparpakete. Für das Jahr 2011 wurden Einsparungen in der Höhe von 1,4 Mrd. Euro und Steuererhöhungen von 1,2 Mrd. Euro beschlossen (16). Anfang 2012 folgte die nächste Sparrunde, diesmal ging es um 26,5 Mrd. Euro durch 70 % weniger Ausgaben und 30 % neue Steuern bis ins Jahr 2016 (17).

Bei den Nationalratswahlen im September 2013 musste die SPÖ weitere Verluste von 2,44 Prozentpunkten hinnehmen, blieb aber weiterhin die stärkste Kraft. Trotz der historisch schlechtesten Ergebnisse für die traditionellen Großparteien konnten Rot und Schwarz die Mandatsmehrheit im Nationalrat halten. In ihrem Wahlkampf titulierte sich die SPÖ als „Partei der Arbeit“ und setzte auf die Themen leistbares Wohnen, faire Löhne und Verteilungsgerechtigkeit.

Bei der Weiterführung der Großen Koalition erzeugte die Eingliederung des Wissenschaftsministeriums in das Wirtschaftsministerium besonders unter Studierenden Unmut, die SPÖ nahm das Manöver der ÖVP allerdings widerspruchslos hin. Unmut gab es auch über das „Auftauchen“ eines Budgetlochs in der Höhe von 24 Milliarden Euro bis 2018. Die Ministerien sollten nun 500 Millionen einsparen, trotzdem gab es eine Erhöhung der Familienbeihilfe und die Gratis-Kinderzahnspange. Die weitere Feststellung, dass die Notverstaatlichung der Hypo Alpe Adria den Staat bis zu 18 Milliarden Euro kosten könnte, bestimmte daraufhin die öffentliche Debatte (18).

Das größte Projekt der Regierung Faymann II war wohl die Steuerreform. Mit der Kampagne „Lohnsteuer runter!“ erarbeitete der ÖGB ein Lohnsteuerreform-Konzept im Ausmaß von sechs Milliarden Euro Entlastung, welches die SPÖ aufgriff. Mit der Kampagne bewies die Gewerkschaft, wozu sie eigentlich in der Lage ist, wenn sie ansatzweise für die Anliegen der Arbeitenden mobilisiert. Für die Lohnsteuersenkung hatte sie beinahe 900.000 Unterschriften gesammelt und eine Konferenz von BelegschaftsvertreterInnen mit 5.000 Teilnehmenden organisiert. Zusätzlich positionierte sie sich mit einer Gegenfinanzierung durch vermögensbezogene Steuern. Das von der Regierung erzielte Ergebnis war hingegen ernüchternd. Der Kompromiss der ÖVP sah eine Entlastung um 4,9 Milliarden Euro vor, sowie die Senkung des Eingangssteuersatzes auf 25 %, vermögensbezogene Steuern waren de facto nicht enthalten. Die Entlastung stieg mit höherem Einkommen bis zur Grenze von 117.000 Euro, entlastete also durchaus so manche Reiche. Mit der Registrierkassenpflicht wurden vor allem kleine Betriebe belastet und die Gegenfinanzierung der gesamten Reform wurde zu einer Augenwischerei, die sich letztlich die Arbeitenden zu einem guten Teil selbst zahlen müssen (19). Die Steuerreform war also nicht nur ein Beweis der gewerkschaftlichen Stärke, sondern auch der Hemmung der gewerkschaftlichen Aktivität durch die bürokratische Kontrolle der SPÖ und der Unmöglichkeit, in der Koalition mit der ÖVP eine Politik im Interesse der ArbeiterInnen zu betreiben.

Insgesamt musste die Partei bei 18 von 20 Wahlen (die letzte Präsidentschaftswahl nicht mitgezählt) Stimmenverluste hinnehmen (20). Schon unter Alfred Gusenbauer hatte die Sozialdemokratie sechs Prozentpunkte abgebaut, Verluste im selben Ausmaß gehen nun auf das Konto Werner Faymanns. Dieser Niedergang ging deutlich langsamer vor sich. Einerseits hatte Gusenbauer ja so gut wie alle Wahlversprechen gebrochen, andererseits vollzog sich die Abwendung von der Sozialdemokratie bei Faymann wohl in stärkerem Ausmaß unter StammwählerInnen als noch bei Gusenbauer.

Der Rechtsruck in der Partei

In Faymanns Amtszeit fällt mit dem Jahr 2015 auch die sogenannte „Flüchtlingskrise“, eine größere Fluchtbewegung, bei der mehr als eine Millionen Menschen, fast die Hälfte davon aus Syrien, über das Mittelmeer in die Europäische Union kamen. Während Faymann noch unter dem Eindruck einer überwältigenden Flüchtlings-Solidaritätsbewegung über den Sommer Hilfsbereitschaft signalisierte und sich für gesamteuropäische statt nationalistische Maßnahmen einsetzte, änderte sich seine Haltung gegen Ende des Jahres. Der Reihe nach griff ÖVP-Innenministerin Mikl-Leitner Forderungen der FPÖ auf, Faymann gab nicht nur nach, sondern änderte seine Haltung selbst. Immer weiter wurden Grenzkontrollen eingeführt und ausgebaut. In Spielfeld, beim Grenzübergang zu Slowenien, wurde das Tabu „Grenzzaun“ gebrochen, aus den vorgeschlagenen 25 Kilometern Länge wurde allerdings ein unsinniger Kompromiss mit 3,7 Kilometern und offenem Übergang, allein die Anmietung des Zauns kostet pro Halbjahr 330.000 Euro (21). Der islamistische Terroranschlag mit 130 Toten am 13. November 2015 und die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln, an denen mehrheitlich Männer mit nordafrikanischem und arabischem Hintergrund beteiligt waren, führte zu einem breiten, rassistischen Diskurs in der Flüchtlingsfrage. In weiterer Folge wurde die Kandidatur von Sozialminister Hundstorfer für das Präsidentschaftsamt im Jänner zum Anlass einer Regierungsumbildung genommen, bei der Verteidigungsminister Gerald Klug, der sich über den Grenzzaun skeptisch geäußert hatte, durch den burgenländischen Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil ersetzt wurde – ein klarer Repräsentant des rechten Parteiflügels. Nicht zu Unrecht bezeichnete die Tageszeitung „Profil“ den neuen Verteidigungsminister als „rote Mikl-Leitner“: Immer wieder kritisierte er die Bundesregierung von rechts, forderte raschere Abschiebungen, den Ausbau von Grenzkontrollen (z. B. am Brenner), propagierte „Rückführungen“ von Flüchtlingen in Militärmaschinen und schlug vor, dass Asylanträge nur noch außerhalb der EU gestellt werden sollen („Asylzentren in Nordafrika“). Ende Jänner einigte sich die SPÖ dann mit der ÖVP auf eine Obergrenze von 37.500 Asylanträgen für das Jahr 2016. In weiterer Folge einigten sich die Regierungsparteien auf eine Asylnovelle, mit der das Aufenthaltsrecht auf drei Jahre befristet („Asyl auf Zeit“), der Familiennachzug erschwert und eine „Notfallverordnung“ beschlossen wurde (22). Mit diesem Gesetz kann die Regierung, wenn sie die „öffentliche Sicherheit und innere Ordnung“ bedroht sieht, das Asylrecht de facto aushebeln und Flüchtlinge an der Grenze abweisen (23).

Dieser Rechtsruck in der Asylpolitik stieß bei vielen SPÖ-Mitgliedern, Mitgliedern der Jugendorganisationen (VSSTÖ, SJ) und WählerInnen auf starke Ablehnung. Schließlich führte das am 1. Mai, nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, zum offenen Ausbruch des Konflikts zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen des Faymann-Kurses.

Das Verhältnis zur FPÖ

Der Streit um den Parteikurs drehte sich nicht ausschließlich um die Haltung in der Asylpolitik, auch wenn diese eindeutig im Vordergrund stand. Ausgelöst wurde der Konflikt allerdings durch den Wahlsieg Norbert Hofers in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, während Rudolf Hundstorfer auf dem vorletzten Platz landete. Dieses Ergebnis war für die SPÖ nicht nur schockierend, es strafte den Rechtsruck Lügen: Die Parteiführung hatte sich angesichts der nach rechts gehenden Stimmung in der Bevölkerung mit einer verschärften Asylpolitik größere Zustimmung erwartet, das Wahlergebnis zeigte aber, dass die FPÖ-WählerInnen lieber das rassistische Original wählten, während sich AntirassistInnen abgestoßen fühlten und sich dem Grünen Van der Bellen zuwandten. Die SPÖ hatte sich also in der Flüchtlingsthematik zwischen die Stühle gesetzt und war dadurch hart am Boden der Realität aufgeschlagen.

Hinter dem Rechtsruck der SPÖ steckt aber nicht nur eine opportunistische Anbiederung an die verschärfte rassistische Grundstimmung. Die SPÖ möchte sich die Option einer Zusammenarbeit mit der FPÖ gegen die ÖVP offenhalten und versucht die politische Kluft zu den Blauen zu verkleinern. Die Taktik ist aus reformistischer Logik nur folgerichtig: Wer die Koalition mit bürgerlichen Parteien zum Bestandteil der politischen Strategie zählt, ist gezwungen zwischen diesen zu taktieren oder sich unterzuordnen. Nachdem die SPÖ weder in der Lage ist eine Alleinregierung noch eine Minderheitsregierung zu bilden, muss sie sich die Frage stellen, wie sie der Erpressung der ÖVP mit der Option Schwarz-Blau entgehen kann. Die richtige Antwort wäre natürlich die Änderung der Strategie vom parlamentarischem Koalitionskurs hin zu der des oppositionellen Klassenkampfs. Für die SPÖ lautet die Antwort aber Rot-Blau, auch wenn das bisher nur Teile der Partei, wie etwa der burgenländische Landeshauptmann Hans Niessl oder ÖGB-Präsident Erich Foglar, offen ansprechen.

Der sozialchauvinistische Asylkurs

MarxistInnen, AntirassistInnen und linke SozialdemokratInnen sollten aber nicht ihre Augen vor dem Ausmaß der Zustimmung zu dem rechts-sozialdemokratischen Kurs innerhalb der Partei verschließen. Anfang Februar gab der SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid das Ergebnis einer partei-internen Umfrage bekannt, in der sich (von 11.000 Befragten) 65,34 % für den sogenannten „Richtwert“ (Obergrenze) aussprachen (24). Zusätzlich gab es auch mehrheitlich Zustimmung zu weiteren diskriminierenden Maßnahmen wie etwa der Umstellung von Geld- auf Sachleistungen in der Grundversorgung von Flüchtlingen. Auch das ist typisch für reformistische Politik, für die Internationalismus (25) eine leere Tradition ist. Genau wie ein Betriebsrat Angriffe auf einen anderen Standort unter der Bedingung hinnehmen kann, dass die Beschäftigten des eigenen Standorts verschont bleiben, bedeutet diese Standortpolitik auf nationaler Ebene die Unterstützung des „eigenen“ Kapitals auf Kosten des ausländischen. Ähnlich ist es in der Flüchtlingspolitik, wenn die Solidarität mit den Geflüchteten, ihre Versorgung, Unterbringung und Integration in den Arbeitsmarkt nicht aus den Profiten der KapitalistInnen finanziert wird und der Reformismus die „heimische“ ArbeiterInnenklasse stattdessen in eine unheilige Allianz mit dem Kapital gegen die Geflüchteten führt.

MarxistInnen erkannten die fatalen Fehler einer solchen Politik sozialdemokratischer Parteien, die sie als „Sozialchauvinismus“ bezeichneten, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zeigten auf, wie diese Fehler, als logische Schlussfolgerung, zur Unterstützung der nationalen Kriegsbestrebungen im Ersten Weltkrieg führten. Die Bolschewiki, die in Russland schon früh mit dem opportunistischen Flügel der Sozialdemokratie gebrochen hatten, zählten sich zur äußersten Opposition gegen diesen Verrat an der internationalistischen ArbeiterInnenbewegung. Im Text „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale“ charakterisierte W. I. Lenin den Sozialchauvinismus wie folgt:

„Die Klassengrundlage des Sozialchauvinismus und des Opportunismus ist dieselbe: das Bündnis einer kleinen bevorrechteten Arbeiterschicht mit ‚ihrer‘ nationalen Bourgeoisie gegen die Masse der Arbeiterklasse, das Bündnis der Lakaien der Bourgeoisie mit ihr gegen die von ihr ausgebeutete Klasse. Der politische Inhalt des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist derselbe: Zusammenarbeit der Klassen, Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, bedingungslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Misstrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber.“ (26)

Dass diese Charakterisierung auch auf die Asylpolitik der Sozialdemokratischen Partei zutrifft wird klar, wenn man die große Mehrheit der Flüchtenden im weiteren Sinn zur ArbeiterInnenklasse zählt. Nicht nur, dass viele von ihnen in ihren Herkunftsländern selbst LohnarbeiterInnen waren, zu ärmeren oder zu bäuerlichen Schichten der Bevölkerung gehörten, d. h. zu den unterdrückten Klassen, der Großteil von ihnen wird in den imperialistischen Zentren zu einer Tätigkeit in den unteren Reihen der ArbeiterInnenklasse gezwungen sein. Wann und in welcher Form Flüchtlinge ihre Ware Arbeitskraft am Arbeitsmarkt verkaufen müssen, hängt selbstverständlich von der spezifischen nationalen Gesetzeslage ab. Vom internationalistischen Standpunkt aus muss sich die ArbeiterInnenklasse im Fall scharfer sozialer Krisen auf die Solidarität der ArbeiterInnen aus anderen Ländern verlassen können. Umgekehrt müssen ArbeiterInnen alle Bestrebungen scharf zurückweisen, die Notleidende zu Sündenböcken machen. Dabei geht es nicht um abstrakte Menschenwürde, sondern um eine Absage an nationalistische Antworten auf Krisenerscheinungen des Kapitalismus in seinem imperialistischen (27) Stadium, die den Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat verschleiern. Um ökonomische Spaltungsmechanismen zu verhindern, kann eine Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt erstens keine ökonomisch sinnvolle Option sein, zweitens würde das zu einer entrechteten und ghettoisierten Bevölkerungsschicht führen. Flüchtlinge und MigrantInnen müssen also gegenteilig in die ArbeiterInnenbewegung integriert und am Arbeitsmarkt gleichgestellt werden. Die nationalistische und rassistische Gefahr einer verschärften ökonomischen Spaltung der Gesamtklasse durch die Bourgeoisie anhand von Migration macht die Flüchtlingsfrage zu einem Grundthema des ideologischen, politischen und ökonomischen Klassenkampfs. Migration und Flucht nicht vom Standpunkt der internationalen ArbeiterInnenklasse zu betrachten, sondern vom Standpunkt einer nationalen, ist das Einfallstor für sozialchauvinistische Fehler.

Ein linker Flügel?

In der Vergangenheit gab es schon mehrere Versuche einen organisierten linken Flügel in der SPÖ aufzubauen, bisher haben diese Projekte allerdings keinen nachhaltigen Erfolg verbuchen können. Seit einiger Zeit läuft ein solcher Versuch rund um den Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler. Gemeinsam mit Erich Fenninger (Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe), Julia Herr (Vorsitzende der Sozialistischen Jugend) und Christian Buchinger (Betriebsratsvorsitzender und selbst ernannter „Revoluzzer“ (28)) wurde die Plattform „Kompass“ gegründet. Mithilfe dieser soll die SPÖ wieder „auf Kurs“ gebracht werden, das heißt die „historische Aufgabe als Interessensvertretung arbeitender Menschen ( … ) in die Jetztzeit zu bringen“, dabei sei die Beseitigung sozialer Ungleichheit die „vorrangigste Aufgabe“. In der Migrations- und Asylpolitik wirft der „Kompass“ der eigenen sozialdemokratischen Bewegung vor, „vor lauter Angst unter dem Tisch“ zu sitzen und fordert eine Orientierung am Humanismus. Diese Floskeln zeigen vor allem, dass die Plattform keinen Bruch mit dem Reformismus der SPÖ einfordert und auch kein gemeinsames Programm für eine Veränderung der Partei bietet. Nach eineinhalb Monaten soll die Initiative zwar schon 1.000 UnterstützerInnen gesammelt haben (29), seither hat sie aber kaum etwas getan um diese zu organisieren und ihnen eine Perspektive zu geben. Fiona Kaiser (Vorsitzende der SJ-Oberösterreich), die den „Kompass“ ebenfalls unterstützt, bestätigt diese Einschätzung in einem Interview:

„Beim ‚SPÖ-Rettungskongress‘ ( … ) wurde diese Initiative gegründet – ohne klar und deutlich ihr Programm oder ihre Zusammensetzung definiert zu haben. ( … ) Wir haben also einfach einen ersten offenen Kompass-Kongress nach den Landtagswahlen organisiert (mit etwa 150 TeilnehmerInnen) und dort eine gemeinsame Stellungnahme zum Wahlergebnis und unseren Ableitungen für die SPÖ verabschiedet.“ (30)

In dem einen Jahr ihrer Existenz ist die Initiative „Kompass“ nicht über Oberösterreich hinausgekommen. Erst Anfang Juli 2016 wurde ein österreichweiter Kongress in Wien organisiert. Warum aber der „Kompass“ von nun an erfolgreicher sein soll als in der Vergangenheit, ist auch ein Monat nach diesem Kongress nicht klar.

Bei der Betrachtung der Initiative „Kompass“ drängt sich die Frage auf, welches Potential linksoppositionelle Politik in der SPÖ eigentlich bietet. Klar ist jedenfalls, dass wir zu den sozialdemokratischen Linken große Teile der Sozialistischen Jugend, des Verbands Sozialistischer StudentInnen und die UnterstützerInnen der Initiative „Kompass“ zählen können. Eine Presseaussendung (31) der Sozialistischen Jugend vom 25. Juni 2016 lässt darüber hinaus einen kleinen Einblick in die Zusammensetzung und in die Denkweise einiger dieser Leute aus der SPÖ selbst zu. Mehr als 100 Unterzeichnende – darunter Babler, Herr und Buchinger – stellen sich darin hinter die Argumente des neuen SPÖ-Vorsitzenden Christian Kern zu Arbeitszeitverkürzung, Wertschöpfungsabgabe und Integration und fordern eine Demokratisierung der Partei. Damit ist auch klar, dass sie sich vorerst hinter den neuen Parteichef stellen anstatt sich oppositionell zu positionieren. Julia Herr von der Sozialistischen Jugend macht diese Vorgehensweise in einer eigenen Presseaussendung (32) klar, in der sie sagt:

„Der Wechsel an der Parteispitze muss jetzt dringend dafür genutzt werden, die SPÖ inhaltlich und organisatorisch neu aufzustellen. ( … ) Wir brauchen Sofortmaßnahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit, Wohnkosten und die wachsende soziale Schieflage. Die Sozialdemokratie muss wieder glaubwürdig auf der Seite der arbeitenden Menschen stehen und eine Perspektive für eine andere Politik vermitteln.“

Die Politik Christian Kerns und die Haltung, die Partei-Linke zu ihm einnehmen sollten, wird an anderer Stelle noch untersucht werden, an dieser Stelle reicht es zu sagen, dass Kern keineswegs sonderlich links ist. Im Gegenteil, bisher hat er den Kurs von Faymann in den wesentlichen Aspekten mit einer anderen Rhetorik fortgesetzt. Angesichts dessen drängt sich SozialistInnen die berechtigte Frage auf, ob die sozialdemokratischen Linken überhaupt „wirklich links“ sind.

Hanna Lichtenberger und Martin Konecny, beide ehemals in sozialdemokratischen Jugendorganisationen aktiv und nun in der Initiative „Aufbruch“ (33), gehen sogar so weit, den innerparteilichen Konflikt als eine Auseinandersetzung zwischen einem liberalen und einem rechten Flügel zu charakterisieren. Natürlich drehte sich die Auseinandersetzung rund um Faymanns Politik vorrangig um das Ausmaß sozialchauvinistischer Ausrichtung und war keineswegs ein Kampf zwischen einem unverfälscht-internationalistischen Pol auf der einen und einem sozialchauvinistischen Pol auf der anderen Seite.

Dennoch können wir dem „rebellischen“ Teil der SPÖ nur bedingt eine klassisch bürgerlich-liberale Positionen unterstellen, würden Konecnys/Lichtenbergers Stellungnahmen in diesem Sinn als „sozial-liberal“ einschätzen. In der SPÖ existiert nicht in dem Sinne ein „linker Flügel“, dass Teile der Partei gegen die Klassenzusammenarbeit und um die Bundesführung kämpfen würden. Auch gibt es eher diffuse Netzwerke von „KritikerInnen“ als feste und schlagkräftige Strukturen; einer bürokratisierten Partei angemessen arbeiten diese in erster Linie über Absprachen und Interventionen im Parteiapparat, nicht über demokratische Instanzen, die die Parteibasis miteinbeziehen. Der Konflikt zwischen Faymann-KritikerInnen und der Parteispitze sowie den RechtsauslegerInnen (im Burgenland und an der ÖGB-Spitze) machten aber einen offenen Konflikt zwischen diffusen, aber sich gegenüberstehenden Polen sichtbar.

Regierungsneustart

Nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen und den Spannungen am 1. Mai war die Krise der SPÖ in aller Munde. Befeuert wurde das durch öffentliche Unmutsäußerungen aus der eigenen Partei. So äußerte sich Salzburgs SPÖ-Chef Walter Steidl „optimistisch, dass es in Wien beim Bundesparteivorstand eine Mehrheit für den Rücktritt von Werner Faymann geben wird“ (34). Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz und Nationalratsabgeordnete Josef Muchitsch sagte „Werner, bitte lass los!“ (35). Offenbar hatte der Kanzler versucht die Probleme auszusitzen, der Druck in der Öffentlichkeit, und damit in den eigenen Reihen, wurde aber zu groß.

Eine ernsthafte Debatte um die Ausrichtung der Partei wurde dennoch nicht geführt. Für die Nachfolge von Faymann wurden real nur zwei Personen gehandelt: Christian Kern und Gerhard Zeiler. Christian Kern startete als Wirtschaftsjournalist, machte es zum Büroleiter und Pressesprecher des SPÖ-Klubs und wechselte danach in die Privatwirtschaft zur Verbund AG, wo er Geschäftsführer und später Vorstandsmitglied wurde. Gerhard Zeiler war in den 1980er Jahren Pressesprecher von Fred Sinowatz und später von Franz Vranitzky. Danach wurde er Generalsekretär des ORF und von da an Geschäftsführer bei Tele5, dann RTL II, dann Generalintendant, wieder beim ORF, schließlich CEO der RTL Group und 2012 Präsident des Konzerns „Turner Broadcasting System International“ (Teil des Time-Warner-Konzerns). Neben den beiden Managern gab es keine Alternative, die diskutiert wurde, und erst recht keinen linken Kandidaten. Diese Tatsache zeigt. wie schwach die linken Kräfte in der SPÖ und besonders in der oberen Bürokratie sind. Es zeigt sich auch dass diejenigen, die sich als die „Parteilinken“ präsentieren, schnell Ruhe geben wenn ihnen ein Parteivorsitzender vorgelegt wird der sich zumindest als modern und linkliberal präsentiert.

Der neue SPÖ-Chef Christian Kern ist nichts anderes als ein klarer Kandidat des politischen Zentrums, ein scheinbarer Anti-Funktionär, der die Krise der SPÖ technokratisch überwinden soll. Er ist Kapitalist – aber aus dem verstaatlichten Bereich. Er ist kein Repräsentant des rechten Flügels, aber auch nicht besonders links. Er will keine Lobbypolitik betreiben, aber auch nicht gegen die Gewerkschaft regieren. Er will keine schlechten Kompromisse, aber auch keinen Stillstand in der Regierung. Die Asylpolitik Faymanns setzt er ungebrochen fort, aber er spricht sich für Menschlichkeit aus. Kern möchte die Investitionsbereitschaft und die Forschung stärken, aber auch die Kaufkraft. Er kündigt einen New Deal an, um Stagnation und Arbeitslosigkeit gleichzeitig zu überwinden. Kern sucht in allen wichtigen Fragen die Mitte, hat für alle Seiten etwas übrig – messen kann man ihn also nur an seinen Taten.

Auch wenn Christian Kern auf einen „neuen Stil“ setzt und sich pragmatisch und modern inszeniert, ist seine Politik, wie schon erwähnt, in den wesentlichen Aspekten schlichtweg die Fortsetzung des bisherigen Kurses. Das ist wenig verwunderlich, beispielsweise scheint die ÖVP die Fortsetzung des Asylkurses zur Bedingung für die weitere Zusammenarbeit gemacht zu haben. Dennoch versucht Kern gleichzeitig die Rechten und die Linken in der Partei zu befrieden, indem er beispielsweise in seiner Rhetorik die „Integration“ von AsylwerberInnen gegenüber Sanktionsmaßnahmen betont. In diesem Sinn einigte sich die Regierung auf ein „Integrationspaket“, mit dem man AsylwerberInnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert wolle (36). Öffentliche Akteure sollen nun Asylwerbende für maximal 110 Euro im Monat zu Hilfsjobs anstellen – eine Maßnahme, die AsylwerberInnen allerdings zu überausgebeuteten HilfsarbeiterInnen macht. Anfang Juli wurde im Nationalrat die sogenannte Ausbildungspflicht für Jugendliche beschlossen, laut der Jugendliche unter 18 Jahren eine Ausbildung über den Pflichtschulabschluss absolvieren müssen. Eine solche erweiterte „Schulpflicht“ ist prinzipiell positiv, fraglich ist natürlich ob eine Ausbildungsgarantie unter Wahlfreiheit gewährleistet werden kann. Das große Problem an der Ausbildungspflicht ist aber, dass die Regelung – auf Druck der ÖVP – nicht für AsylwerberInnen gilt. Ungelernte Arbeit wird somit zukünftig in erster Linie von MigrantInnen erledigt. Die Abtauschpolitik, als die sich Kerns „neuer Stil“ langsam entpuppt, ist im Fall der Bankenabgabe am offensichtlichsten. Statt 650 Millionen Euro zahlen die Banken ab 2017 jährlich nur mehr 100 Millionen. Zusätzlich zahlen sie einen einmaligen Abschlag in der Höhe von einer Milliarde Euro, von der 750 Millionen in den Ausbau von Ganztagsschulen und Schulen mit ganztägiger Betreuung fließen, 100 Millionen an Fachhochschulen und 150 Millionen an Forschungsstiftungen. Das heimische Bankkapital erhält seine Entlastung und die Budgetverluste werden als Sozialmaßnahme kaschiert. Um darüber hinaus eine „positive Stimmung für Wirtschaftstreibende in diesem Land“ zu schaffen hat der neue Bundeskanzler die Registrierkassenpflicht (37) entschärft und ein 185 Mio. Euro Paket (38) zur Förderung von Unternehmensgründungen („Start-ups“) für die nächsten drei Jahre beschlossen. Gemeinsam mit der ÖVP kann die SPÖ offenbar einfacher auf die „Volkspartei-Strategie“ setzen als auf die einer ArbeiterInnenpartei. Zwar ist es wohl richtig, das KleinbürgerInnentum unter Führung der ArbeiterInnenbewegung gegen das Großkapital zu verteidigen, die Start-up-Strategie zielt aber auf eine Erhöhung des kleinbürgerlichen Anteils an der Gesamtbevölkerung. Das ist einerseits altbekannter Bestandteil der ÖVP-Ideologie, die vorgibt alle Menschen zu kleinen EigentümerInnen machen zu können, andererseits ist die Erhöhung der Kleinunternehmensschaft der allgemeinen Kapitalentwicklung gegenläufig, ökonomisch ineffizient und kann kein Bestandteil proletarischer Strategie sein. Aber Kern geht es nicht nur um das KleinbürgerInnentum. Großer Wurf seines „New Deal“ soll ein Wirtschaftspaket (39) zur Senkung der Lohnnebenkosten um bis zu eine Milliarde Euro werden – ein Vorhaben, das Finanzminister Schelling bestimmt gerne mit Pensionskürzungen verbinden möchte. Gerechtfertigt wird das nach alter reformistischer, linkskeynesianischer Weise mit der Wunschvorstellung, eine Ankurbelung der Wirtschaft folge daraus, was eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit zur Folge haben solle. Anstatt die Arbeitszeit zu verkürzen und die notwendige Arbeit aufzuteilen, wird also auch hier die ArbeiterInnenklasse hinter die Kapitalinteressen gespannt – angeblich zum eigenen Wohl.

Die neue alte Einheit

Die Partei-Linke hat sich bisher, wie die Presseaussendung vom 25. Juni gezeigt hat, hinter den neuen SPÖ-Chef gestellt. Die dahinter stehende Haltung ist ähnlich jener der ausgetretenen „Parteirebellin“ Sonja Ablinger: Sie habe Kerns Problemanalyse der SPÖ „positiv wahrgenommen“, wisse allerdings auch: „Ein Vorsitzender alleine wird nicht die Dinge ändern können.“ Über dieses Wissen verfügen Herr, Babler usw. ebenso. Allerdings glauben diese offenbar, sie können ihrer eigenen Position mehr Gewicht verleihen, wenn sie die eine oder andere Aussage Kerns als Bestätigung ihres Kurses umdeuten. Das Problem ist aber, dass sie dabei auf eine eigenständige Oppositionspolitik weitgehend verzichten.

In einem Artikel (40) für den Mosaik-Blog problematisiert Fiona Kaiser gemeinsam mit Hanna Lichtenberger das Verschwinden jener kritischer Töne, die man unter Faymann noch laut hören konnte. Die Faymann-KritikerInnen ließen „Kern im Jubel vieles durchgehen, was sie Faymann zurecht vorgeworfen hatten“. Das lasse sich nur vor dem Hintergrund der jahrelangen schwarz-roten Lähmungspolitik verstehen, denn „einen wortgewandten Vorsitzenden mit Charisma, der der FPÖ Contra gibt und sich bei öffentlichen Auftritten nicht blamiert – so einen Vorsitzenden hat die SPÖ schon lange nicht mehr gehabt“. Dieser, fast schon psychologische, Erklärungsansatz für die erneute Geschlossenheit der Partei ist bestimmt gerechtfertigt, allerdings erscheint er uns weder ausreichend noch geeignet, denn er wirkt auf die ganze Angelegenheit entpolitisierend. Vielmehr scheint es, als hätten es die kritischen Kräfte in den krisenhaften Tagen nach Faymanns Abtritt mit der Angst zu tun bekommen – immerhin hat der Richtungsstreit kein vertrauenvolles Licht auf die Partei geworfen und der Koalitionsbruch mit schwarz-blauem Ausblick geisterte bedrohlich durch die sozialdemokratischen Köpfe. Mit dem Führungswechsel konnte die SPÖ ihr Image in der Öffentlichkeit wieder aufpolieren und in den Wahlumfragen gewann sie ein paar Prozentpunkte dazu. Diesen bescheidenen Erfolg wollen anscheinend auch die „Linkeren“ nicht zerstören. Unsere Analyse ist also, dass sich die linken Kräfte innerhalb der SPÖ vor der Konfrontation mittels einer eigenständigen Politik scheuen, denn damit könnten sie die neue Einheit stören und sich unbeliebt machen. Sie wollen erst einmal abwarten, denn entweder es komme wirklich zu Verbesserungen oder die Ausgangslage für eine klare Oppositionspolitik verbessere sich wieder. Diese Taktik ist selbst wieder opportunistisch, denn sie stellt vermeintlich kurzfristige Vorteile für die Partei über die Problematisierung von Problemen, die mittelfristig wieder zur akuten Parteikrise führen werden. Auf diese Weise spielen die „loyalen KritikerInnen“ der von Kern gerührten Illusion in die Hände, laut der eine pragmatische Politik abseits des Links-Rechts-Schemas eine Politik für alle sein könne. Letztendlich dürfte der „linke Flügel“ aus „Kompass“, Teilen der SJ, Linken aus dem VSSTÖ sowie einzelnen GemeinderätInnen und GewerkschafterInnen derzeit auch gar nicht in der Lage zu einer eigenständigen Oppositionspolitik gegenüber der Parteiführung sein, dazu müsste er sich als eigene Kraft auf einer gemeinsamen politischen Basis innerhalb der Partei organisieren.

Die neue Einheit ist brüchig und wird früher oder später wieder aufbrechen. Anlässe dafür sind auch schon absehbar. Wenn die Obergrenze für Asylanträge erreicht ist, wird die ÖVP gemeinsam mit dem rechten SPÖ-Parteiflügel auf die Umsetzung der Notverordnung drängen, um das Asylrecht auszuhebeln. Im Herbst oder Winter könnte es außerdem erneut zu einer Zuspitzung rund um das Thema Pensionsreform kommen und das Wirtschaftspaket könnte sich als Sanierungsmaßnahme auf Kosten der ArbeiterInnenklasse herausstellen. Das grundlegende Problem der SPÖ ist jedenfalls nicht behoben, denn es sitzt viel tiefer als das Problem eines unbeliebten Parteivorsitzenden: Die reformistische Politik der SPÖ zielt (im angeblichen Interesse der Arbeitenden) auf die Verwaltung des kapitalistischen Systems – zu diesem Zweck geht sie auch Koalitionsregierungen mit anderen bürgerlichen Parteien ein und opfert dafür die proletarischen Ambitionen der Parteibasis. Dieses Vorgehen hat die Sozialdemokratie zunehmend von der ArbeiterInnenklasse entfremdet und geschwächt, es hat die Partei so weit in die Macht- und Perspektivlosigkeit geführt, dass jedes ernsthafte Versagen die Frustration in den eigenen Reihen in Wut umwandeln kann, wodurch die Differenzen in der Partei wieder hochkochen würden.

Dass die Differenzen in der Partei eskalieren, bedeutet auf jeden Fall, dass die linken Teile der Partei wieder unter Zugzwang geraten. Das ist nach der prinzipienlosen Unterstützung des „Technokraten“ Kern ein notwendiger und begrüßenswerter Schritt, der die grundlegende Frage, wie lange man als SozialistIn oder nicht rückgratlose/r BetriebsrätIn in derselben Partei wie Faymann und Niessl bleiben kann, erneut aufwirft. Dass das Boot SPÖ unter dem Druck der politischen Krise in Österreich ins Wanken geraten ist, bedeutet aber nicht, dass es notwendigerweise kentern muss. Es gibt kein grundsätzliches Gesetz, dass eine erfolglose Bürokratie die Kontrolle über die Partei verlieren muss. Besonders nicht, wenn die Kräfte links der Sozialdemokratie sich in einem bemerkenswert schwachen Zustand befinden und wenig Anziehungskraft auf politisch aktive ArbeiterInnen und sozialdemokratische Basismitglieder ausüben können. Das gilt besonders, weil die rechten Teile, die „Mitte“ und die Personen um Kern herum die parteiinternen Manöver einer bürokratisierten Partei besser beherrschen als die eher versprengten linken Elemente. Die ungünstigen subjektiven Bedingungen für ein Eingreifen in die Krise der Sozialdemokratie entschuldigen aber auf keinen Fall, die objektiv notwendigen Maßnahmen nicht zu erkennen.

Notwendige Taktiken

MarxistInnen und andere Linke sollten sich von der scheinbaren Geschlossenheit um Christian Kern nicht täuschen lassen – die Einheit ist brüchig und kann sich schon bald wieder in ihr Gegenteil umkehren. Das bedeutet nicht unbedingt einen drohenden Zerfall der Partei. Auch in der Krise ist der bürokratische Griff auf die Strukturen fest und routiniert. Aber in die Umbrüche der dominanten ArbeiterInnenpartei in Österreich einzugreifen oder zumindest ein Verständnis zu haben, wie das zu erfolgen hätte, ist notwendig. Vorsicht ist hier besser als Nachsicht, daher sollte die Frage gestellt werden, wie ernsthafte Umbrüche in der Parteikrise für die Formierung einer neuen ArbeiterInnenpartei genutzt werden können, denn eine solche wird nur unter Einbeziehung der besten Elemente der jetzigen ArbeiterInnenbewegung entstehen können. Die „österreichische Linke“ war in der ganzen Zweiten Republik in kaum einer Situation, wo eine Neuformierung der ArbeiterInnenbewegung als solche realistisch erschien. Kein Wunder, dass sie von einem besonderen Pessimismus geplagt ist, der opportunistische und sektiererische Fehler begünstigt.

Die zentrale Aufgabe für RevolutionärInnen in Österreich ist der Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei und eine solche kann nur erfolgreich sein, wenn sie die Dominanz der Sozialdemokratie in der ArbeiterInnenklasse überwindet. Die tiefgreifende Krise der SPÖ macht es möglich, dass sich die ArbeiterInnenbewegung in den nächsten Jahren grundlegend verändern könnte. Gerade wegen der organischen Verbindung der SPÖ und FSG zur ArbeiterInnenklasse und gerade, weil ihre Dominanz ungebrochen ist, ist es notwendig für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei die fortschrittlicheren Teile der sozialdemokratischen Basis und linke BetriebsrätInnen zu gewinnen.

Ob so ein Vorhaben gelingt, wird nicht nur von der politisch-ökonomischen Entwicklung abhängen, sondern auch davon, ob die „österreichische Linke“ in Konflikte innerhalb der Partei hineinwirken kann. Die kommunistische Bewegung hat in ihrer Vergangenheit unter dem Begriff „Einheitsfront“ eine Reihe von Taktiken entwickelt, um die Führung der Sozialdemokratie über die ArbeiterInnenklasse zu brechen. Um die größtmögliche Einheit der ArbeiterInnen im Kampf zu gewährleisten, sah sie Absprachen und eine Zusammenarbeit unter den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung vor. Gleichzeitig wollte man damit die Fehler des Reformismus in der Praxis aufzeigen und die Gewinnung der Arbeitenden für den Kommunismus erleichtern.

Aus dem Arsenal der Einheitsfront stammt auch die ArbeiterInnenparteitaktik. Die Losung „Schafft eine neue ArbeiterInnenpartei!“ hat enorme Bedeutung, um die Klasse und ihre Gewerkschaften aus der Bindung an eine offen bürgerliche Partei loszulösen (z. B. in Argentinien weg vom Peronismus, in den USA Bruch mit der Demokratischen Partei). Trotzki schlug folgendes Vorgehen gegenüber den verschiedenen Initiativen zur Bildung einer ArbeiterInnen in den USA der 1930er Jahre vor:

„a) Revolutionäre müssen es ablehnen, die Forderung nach einer unabhängigen, auf die Gewerkschaften gestützten Partei und die begleitende Forderung an die Bürokratie, mit der Bourgeosie zu brechen, mit der Forderung nach einer reformistischen Laborparty zu identifizieren.

b) Das Übergangsprogramm als Programm für die Labor Party ist das Kampfmittel zur Gewährleistung einer revolutionären Entwicklung.

c) Für den unvermeidlichen Kampf mit der Bürokratie muss eine revolutionäre Organisation  auch innerhalb der Labor Party aufrechterhalten werden.

d) Perioden der Wirtschaftskrise und des sich verschärfenden Klassenkampfes sind am günstigsten für die Aufstellung der Losung einer Labor Party. Aber selbst in ‚ruhigen‘ Zeiten behält die Losung einen propagandistischen Wert und kann in lokalen Situationen oder bei Wahlen auch agitatorisch gehandhabt werden.. Revolutionäre würden z. B. von den Gewerkschaften statt der Wahlunterstützung für einen demokratischen Kandidaten die Aufstellung eines unabhängigen Kandidaten der Arbeiterklasse fordern.

e) Keineswegs ist eine Labor Party, die natürlich weniger darstellt als eine revolutionäre Partei, eine notwendige Entwicklungsstufe für die Arbeiterklasse in Ländern ohne Arbeiterparteien.

f) Noch einmal sei daran erinnert: Das Programm hat Vorrang.“ (41)

„Die Rechtsentwicklung der Sozialdemokratie oder stalinistischer Parteien hat heute in einigen Ländern die Möglichkeit geschaffen, dass die ArbeiterInnenparteitaktk auch angewandt werden kann, wenn es schon eine etablierte, reformistische Partei gibt (z. B. in Deutschland bei Formierung der WASG).“ (42)

Österreich befindet sich heute in einer ähnlichen Situation wie Deutschland 2003/2004!

Die Partei steht aber bei weitem noch nicht direkt vor einer Spaltung, geschweige denn vor einem gemeinsamen Austritt der linken Teile, die für ein sozialistisches Programm gewonnen werden könnten. Die öffentlich sichtbaren Teile der SPÖ, die in der Öffentlichkeit als der „linke Flügel“ dargestellt und von den linken Teilen der Basis zum größten Teil auch als ihre Führung respektiert werden, sind im besten Falle linke ReformistInnen oder sogar KarrieristInnen auf der Suche nach einer innerparteilichen Plattform, die kein Interesse an einer Spaltung haben.

Die drohende Existenzkrise der SPÖ und ihre weitere Rechtsentwicklung im Rahmen der Krise haben ihre Spuren nicht nur in der ArbeiterInnenklasse, sondern auch in den politischen Organisationen links von der SPÖ hinterlassen. Das Projekt „Aufbruch“ ist eine direkte Reaktion auf das Fehlen von zumindest selbsterklärt klassenbewusster Politik in Österreich und könnte aus der Parteikrise am ehesten Vorteile ziehen. Es geht dabei um eine Organisierungskampagne mit dem Ziel einer linken Vereinigung, die im Juni 2016 in Wien mit einer Aktionskonferenz ins Leben gerufen wurde. Die über 1000 Teilnehmenden auf der ersten Konferenz repräsentierten relevante Teile der organisierten und unorganisierten Linken sowie der „Zivilgesellschaft“ links der SPÖ. Mehrere hundert Personen beteiligten sich an den Vorbereitungen für verschiedene Schwerpunktkampagnen unter dem gemeinsamen Slogan „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ und an den lokalen Strukturen des „Aufbruch“. Das stellt einen quantitativen und angesichts des breiten Spektrums, das angesprochen wird, auch einen qualitativen Schritt nach vorne dar.

So gut auch die OrganisatorInnen des Projekts den richtigen Zeitpunkt damit getroffen haben, so schlecht ist aber die Aufbauperspektive. Statt einer Partei oder einer Vereinigung mit einem politischen Programm sollen die Kampagnen für den notwendigen Zusammenhalt und öffentliche Bekanntheit sorgen.

Die sehr schnell aufgebauten lokalen „Aufbruch“-Treffen, die auch Delegierte in die zentrale „Koordination“ schicken, sind zwar ein wichtiger Ansatz. Aber die Kampagnen, halb-bindenden Koordinationsgremien und unklaren politischen Grundlagen entsprechen mehr einem politischen Netzwerk, wie etwa der „Interventionistischen Linken“ in Deutschland, als dem einer neuen Partei. Inhaltliche Kampagnen und produktive Zusammenarbeit können aber nicht die notwendige neue Organisation der ArbeiterInnen, eine neue ArbeiterInnenpartei ersetzen.

Den Kampf für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei zu führen ist eine zentrale Aufgabe von RevolutionärInnen heute. Dazu ist es notwendig, einen Großteil der Kräfte links der etablierten, reformistischen SPÖ zusammenzubringen, wie es der „Aufbruch“ ermöglicht. Es gilt zum einen, eine kritische Masse an AktivistInnen und kämpferischen ArbeiterInnen in diesen Prozess einzubinden. Zum anderen ist es notwendig, eine politische Debatte um die programmatischen Grundlagen einer solchen neuen Partei offen, strukturiert und ergebnisorientiert zu führen. Dabei müssen KommunistInnen von Beginn an für ein revolutionäres, sozialistisches und antikapitalistisches Aktionsprogramm eintreten.

Darauf muss die Politik von RevolutionärInnen in Bezug auf solche linken Vereinigungsprojekte, wenn sie das Potential dazu haben, ausgerichtet sein. Es geht hierbei zentral darum, die Basis und das Umfeld des Projekts anzusprechen, um den Grundstein für die notwendige Verankerung in der ArbeiterInnenklasse legen zu können. Die Vorgehensweise, halb über Absprachen und halb über lokale Delegationen an die Spitze solch eines Projekts zu kommen statt eine demokratische und transparente Programmdiskussion durchzusetzen, führt zu einer Bürokratisierung, vor allem aber dazu, dass die politischen Kernfragen auf die lange Bank geschoben werden. So wird auch noch außerhalb der SPÖ die Politik der SPÖ-Linken nachgeahmt.

Dass viele politische Fragen – vor allem die brennende Debatte eine Positionierung bei den Präsidentschaftswahlen – ungeklärt sind und auch bleiben sollen, ist ein Problem des „Aufbruch“, das, wird es nicht überwunden, nur zu dessen Scheitern und Demoralisierung führen kann. Eine glaubhafte Alternative zur Tragödie des rechten Reformismus der SPÖ darf sich nicht als etwas linkere, etwas sozialere, aber weitgehend harmlose Alternative präsentieren, sondern muss klare politische Antworten auf die brennenden Probleme der ArbeiterInnen geben. Dazu braucht es auch einen transparenten und demokratischen Diskussionsprozess und letztendlich ein Aktionsprogramm, das über die thematisch beschränkten Slogans der einzelnen Kampagnen hinausgeht. Nur mit einer klaren Programmatik, demokratischen Strukturen und einer Politik, die sich auf die ArbeiterInnen statt auf das universitäre Umfeld der meisten linken Organisationen ausrichtet, kann der „Aufbruch“ erfolgreich sein.

Auch die Methode der im Aufbruch bestimmenden Kräfte – linken ReformistInnen aus SPÖ-Teilorganisationen oder NGOs, „Postautonomen“ und ZentristInnen aus dem trotzkistischen Spektrum – muss sich grundlegend ändern, wenn sie unorganisierte ArbeiterInnen oder die SPÖ-Basis erfolgreich ansprechen wollen. Sie haben es in den vergangenen Jahren nicht geschafft, sich in den kleinen und großen Klassenkämpfen nachhaltig einzubringen und sich eine ernstzunehmende Verankerung aufzubauen. Stattdessen hat sich der größte Teil der linken Politik auf die Universitäten konzentriert. Schritte über dieses Milieu hinaus blieben fast immer erfolglos. Auch bei der Intervention (oder sogar der Führung) von sozialen Bewegungen, zum Beispiel antifaschistischen und antirassistischen Protesten, ist es ihnen nicht gelungen, sich auf die an den Kämpfen beteiligten ArbeiterInnen auszurichten. Die Aktionen wurden vor allem auf Universitäten beworben, das Angebot auf Studierende und linke BildungsbürgerInnen ausgerichtet und es beteiligten sich vor allem diese Schichten. Wenn mit dieser Methode, Politik in der „Echokammer“ der „linken Szene“ unter Vernachlässigung politischer Kritik an den bestenfalls reformistischen Führungen zu machen, nicht gebrochen wird, bleibt der Aufbruch für die Mehrheit selbst der fortschrittlichsten SPÖ-Basis-Mitglieder und unteren Funktionärsebenen unattraktiv.

Das Fehlen von Programm und Perspektive ist nur die andere Seite davon, dass dem „Aufbruch“ ein angemessenes taktisches Verständnis gegenüber der Sozialdemokratie fehlt. Ein Ansatz zur Einheitsfront hier und heute sind zum Beispiel betriebliche und kollektivvertragliche Auseinandersetzungen, die im Herbst ohne Zweifel auf uns zukommen. Hier können AktivistInnen Solidaritäts- und Unterstützungskampagnen für die Beschäftigten starten, sie in den „Aufbruch“ einbinden, die Zusammenarbeit mit linken sozialdemokratischen BetriebsrätInnen suchen, die Gewerkschaften im Kampf unterstützen und zugleich die politischen Fehler der Führung kritisieren.

Ein anderer Ansatz ist der Kampf gegen weitere rassistische Verschärfungen, welche die Bundesregierung plant, wie etwa eine mögliche Notverordnung zum Stopp von Asylanträgen. Bündnisse mit sozialdemokratischen Jugendorganisationen und fortschrittlichen Teilen der Gewerkschaften gegen die Parteiführung sind nicht nur denkbar, sondern müssen offensiv eingefordert werden. Auf diese Weise kann der Konflikt um die Asylpolitik der Sozialdemokratie wieder aufgebrochen werden.

Zu guter Letzt kann der „Aufbruch“ der sozialdemokratischen Bewegung (oder realistisch zumindest ihren fortschrittlicheren Teilen) ein Angebot zur Mitarbeit in der Kampagne machen. Denkbar wären hier zum Beispiel Maßnahmen zur Verteidigung der Mindestsicherung vor den Kürzungsplänen der ÖVP. Das würde so einer Kampagne eine reale Stärke geben, Teile der sozialdemokratischen AnhängerInnenschaft aktivieren und Verbindungen zu sozialdemokratischen AkteurInnen schaffen, die zukünftig von Vorteil sein könnten.

Was aber für die Linken in der SPÖ gilt, gilt ebenso für die Aktiven im „Aufbruch“ – sie haben keine gemeinsame politische Basis. Außerdem gibt es im „Aufbruch“ kaum Leute, die sich eine eigenständige Taktik gegenüber der Sozialdemokratie vorstellen können. Einzelne AkteurInnen wie Fiona Kaiser oder „Der Funke“ scheinen keine Verbindung zwischen der Unterstützung des „Aufbruch“ und einem kritischen Engagement in der Sozialdemokratie herzustellen. Zusätzlich stellt der „Aufbruch“ kaum den Anspruch, auf politische Entwicklungen zu reagieren, er habe ja auf der Konferenz eine mittelfristige Aktionsperspektive beschlossen, die man nun ausschließlich umsetzen müsse. Aber auch wenn dieses Argument nicht existieren würde, gibt es keine legitime politische Führung. So mangelt es den Entscheidungen an Legitimität und den EntscheidungsträgerInnen an Rechenschaftspflicht. Zugleich können sie sich so der Aufgabe entziehen, grundlegende politische und taktische Entscheidungen für Plena oder Delegiertenkonferenzen vorzubereiten. Erst durch dieses Versäumnis erscheinen die alle paar Monate statt findenden Delegiertenkonferenzen zu schwerfällig, um taktische Entscheidungen zu treffen. Hier erweisen sich schon kurz nach der Gründung die Organisationsform („Kampagne“) und die politische Breite als hemmend, um auf notwendige Entwicklungen zu reagieren. Sollte es nicht bald gelingen, diese Herausforderungen zu bewältigen, droht die Möglichkeit, den Grundstein für eine neue Partei der ArbeiterInnen zu legen, ungenutzt vorüberzugehen.

Die heutige Situation, in der die Krisenentwicklung der österreichischen und der gesamteuropäischen politischen Ökonomie und die sich seit Jahrzehnten verschärfenden Niedergangstendenzen der Sozialdemokratie zeitlich mit dem Anspruch einer neuen, klassenbewussten linken Organisation zusammenfallen, bietet historische Möglichkeiten für RevolutionärInnen, ihre Verankerung in der ArbeiterInnenklasse zu vervielfachen und in weiterer, späterer Folge die Dominanz des Reformismus über die ArbeiterInnenbewegung anzugreifen. In dieser Situation sind klare Analysen, harte, aber zugleich solidarische Kritik und politische Auseinandersetzung unersetzlich. Dann können uns eine geschickte Anwendung revolutionär-kommunistischer Taktiken und der Kampf für ein revolutionär-kommunistisches Programm der Überwindung der Führungskrise der ArbeiterInnenklasse zumindest einen Schritt näherbringen.

 

Endnoten und Anmerkungen

(1) Sandner, Günther: Sozialdemokratie in Österreich, Von den Anfängen der Arbeiterbewegung zur modernen Sozialdemokratie, Wien, 2. Auflage, 2013, Karl-Renner-Institut, S. 59

(2) Eine Abbildung der Nationalratswahl-Ergebnisse in der II. Republik findet sich online unter: de.wikipedia.org/wiki/ Sozialdemokratische_Partei%C3%96sterreichs#/media/ File:Spoe_nationalratswahl.png (abgerufen am 31. Juli 2016)

(3) „Parteibuch bricht weg“, unter: www.orf.at/stories/2254885/2254886/ (abgerufen am 12. Juli 2016)

(4) Zum genaueren Verständnis der bürgerlichen ArbeiterInnenpartei verweisen wir auf „Thesen zum Reformismus – die bürgerliche Arbeiterpartei“ in:  „Revolutionärer Marxismus“ 44, Berlin, November 2012

(5) SPÖ-Grundsatzprogramm 1998, online unter: https://parteiderarbeit.spoe.at/das-spoe-parteiprogramm (abgerufen am 31. Juli 2016)

(6) Bei den Nationalratswahlen 2014 erhielt die SPÖ 24 % der Stimmen der ArbeiterInnen und 26 % der Stimmen der Angestellten, d. h. 26 % der lohnabhängigen Stimmen, s. SORA/ISA im Auftrag des ORF: Wahlanalyse Nationalratswahl 2013, online unter: www.sora.at/ fileadmin/downloads/wahlen/2013_NRW_Wahlanalyse.pdf (abgerufen am 31. Juli 2016)

(7) SPÖ-Grundsatzprogramm 1998, online unter: www.parteiderarbeit.spoe.at/das-spoe-parteiprogramm (abgerufen am 31. Juli 2016)

(8) Die bereinigte Lohnquote bezeichnet den Anteil des Einkommens der ArbeitnehmerInnen am Volkseinkommen, bereinigt durch die Veränderung der Erwerbstätigenstruktur.

(9) Guger, Marterbauer: Die langfristige Entwicklung der Einkommensverteilung in Österreich, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, S. 258, online unter: www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/5/3/8/CH2171/ CMS1218533993618/12_einkommen.pdf (abgerufen am 31. Juli 2016)

(10) Die Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen (PKPL) ist ein informelles Gremium zur Zusammenarbeit der „Sozialpartner“ (d. h. Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer) mit Unterausschüssen zu Lohn-, Preis-, Wirtschaftsfragen und internationalen Fragen. Die Kommission ist nicht gesetzlich verankert und kann daher auch keine verbindlichen Entscheidungen treffen.

(11) Ausschlaggebend für Faymanns Rücktritt waren die Streitigkeiten in der Partei über den Asylkurs der Regierung, den Faymann nicht nur mittrug, sondern mitgestaltete. Zum Rückhalt seines Kurses in den eigenen Reihen meinte er: „Die Mehrheit ist zu wenig“.

(12) Eine Sonderregelung der Pensionsversicherung für Langzeitversicherte und Schwerarbeitende.

(13) „SPÖ bringt vier von fünf Punkten gegen die Teuerung durch!“, unter: www.bezirkneunkirchen.spoe.at/artikel/spoe-bringt-vier-von-fuenf-punkten-gegen-die-teuerung-durch“ (abgerufen am 30. Mai 2016)

(14) „Das zweite Konjunkturpaket im Detail“, unter: http://diepresse.com/home/politik/ innenpolitik/439909/Das-zweite-Konjunkturpaket-im-Detail?direct=439847&_vl_backlink=/ home/wirtschaft/economist/439847/ index.do&selChannel=&from=articlemore (abgerufen am 30. Mai 2016)

(15) „Weitere Milliarden könnten folgen“, unter: „http://www.orf.at/stories/2198075/ 2198148/ (abgerufen am 30. Mai 2016)

(16) Die Details diese Sparpakets aus dem Jahr 2010 finden sich in: „Wo das Geld herkommen soll“, unter: http://www.orf.at/stories/2032510/2031300/ (abgerufen am 30. Mai 2016)

(17) Ein Überblick über die Eckpunkte des Sparpakets 2012 findet sich in: „Von Harmonisierung der Pensionen bis Halbierung der Bausparförderung“, unter: http://derstandard.at/ 1328507461488/Das-Sparpaket-im-Detail-Von-Harmonisierung-der-Pensionen-bis-Halbierung-der-Bausparfoerderung?_artikelIndex=1 (abgerufen am 30. Mai 2016)

(18) Baumann, Meret: Bilanz der österreichischen Regierung; Pleiten, Pech und Pannen, 26.3.2014, unter: http://www.nzz.ch/pleiten-pech-und-pannen-1.18270379 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(19) Eine ausführlichere Analyse der Steuerreform haben wir im Artikel „Steuerreform: Ja zur Entlastung, nein zu schlechten Kompromissen!“ erstellt, unter: http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=1627 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(20) „Die 18 Niederlagen der Ära Faymann und des Kanzlers Erklärungsversuche“: http://derstandard.at/2000036295227/Die-18-Niederlagen-der-Aera-Faymann-und-des-Kanzlers-Erklaerungsversuche (abgerufen am 6. Juni 2016)

(21) „Innenministerium hält an Zaunbau fest“, unter: http://orf.at/stories/2313997/2313999/ (abgerufen am 31. Juli 2016)

(22) „Asyl-Novelle: SPÖ und ÖVP stellen Kompromiss vor“, unter: http://www.krone.at/ oesterreich/asyl-novelle-spoe-und-oevp-stellen-kompromiss-vor-notfallverordnung-story-507199 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(23) „Kritik an Notfallverordnung im Asylgesetz“, unter: http://www.heute.at/news/politik/Kritik-an-Notfallverordnung-im-Asylgesetz;art23660,1282108 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(24) „SPÖ-Umfrage: Zwei Drittel für Asyl-Obergrenze“, unter: http://www.heute.at/news/ politik/SPOE-Umfrage-Zwei-Drittel-fuer-Asyl-Obergrenze;art23660,1255928 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(25) Internationalismus bedeutet in der ArbeiterInnenbewegung den Standpunkt der internationalen ArbeiterInnenklasse einzunehmen und ein spezifisch-nationales Interesse abzulehnen.

(26) Lenin, W. I.: Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale, in: LW 22, Berlin/O., 1972 (3. Auflage), S. 111

(27) Als Imperialismus bezeichnen wir das höchste Entwicklungsstadium des Kapitalismus, in dem die zunehmende Konzentration des Kapitals die freie Konkurrenz am Markt durch das Monopol ablöst und sie auf der Ebene des Weltmarkts verschärft. In diesem Stadium ist der Weltmarkt unter kapitalistische Großmächte aufgeteilt.

(28) „Buchinger-Clan: Schreiendes Rot und wahre Revoluzzer“, unter: http://diepresse.com/ home/politik/innenpolitik/544789/BuchingerClan_Schreiendes-Rot-und-wahre-Revoluzzer (abgerufen am 31. Juli 2016)

(29) „Reger Zuwachs für rote Rebellen“, unter: http://mobil.derstandard.at/2000020366733/ Reger-Zuwachs-fuer-rote-Rebellen (abgerufen am 31. Juli 2016)

(30) „Zustand der SPÖ ist dramatisch“, unter: http://www.derfunke.at/aktuelles/jugend/ 10378-zustand-der-spoe-ist-dramatisch (abgerufen am 31. Juli 2016)

(31) „Vorwärts GenossInnen, vorwärts!“, unter: http://www.ots.at/presseaussendung/ OTS_20160625_OTS0019/vorwaerts-genossinnen-vorwaerts (abgerufen am 31. Juli 2016)

(32) „SJ-Herr ad SPÖ: Politische Stärke und Einheit braucht demokratischen Neustart“, unter: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160509_OTS0133/sj-herr-ad-spoe-politische-staerke-und-einigkeit-braucht-demokratischen-neustart (abgerufen am 31. Juli 2016)

(33) Die Initiative „Aufbruch“ versteht sich als Organisierungskampage zu den Themen „Reichtum“, „Arbeit“ und „Gesundheit/Soziales“. Diese wurde mit einer Aktionskonferenz am 3. und 4. Juni 2016 in Wien mit bis zu 1.000 Teilnehmenden ins Leben gerufen und stellt den Anspruch einer neuen linken Organisierung.

(34) „Salzburgs SPÖ-Chef gegen Kanzler Faymann“, unter: http://salzburg.orf.at/news/stories/2772485/ (abgerufen am 31. Juli 2016)

(35) „Josef Muchitsch: Werner, bitte lass los!“, unter: http://www.profil.at/meinung/josef-muchitsch-werner-faymann-ruecktritt-kern-6352303 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(36) „Koalition will Asylwerber beschäftigen“ unter: http://derstandard.at/2000039465141/ Koalition-will-Asylwerber-beschaeftigen (abgerufen am 31. Juli 2016)

(37) „Registrierkassen: Unmut bleibt trotz Entschärfungen“, unter: http://kurier.at/politik/ inland/registrierkassen-unmut-bleibt-trotz-entschaerfungen/205.715.635 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(38) Steinschaden, Josef: Das neue Start-up-Paket: SPÖ und ÖVP einigen sich auf Maßnahmen im Rahmen von 185 Millionen Euro, unter: https://www.trendingtopics.at/start-up-paket-spoe-und-oevp-einigen-sich-auf-massnahmen-im-rahmen-von-184-millionen-euro/ (abgerufen am 31. Juli 2016)

(39) „Regierung will Wirtschaft ankurbeln“, unter: http://www.nachrichten.at/nachrichten/ politik/innenpolitik/Regierung-will-Wirtschaft-ankurbeln;art385,2279341 (abgerufen am 31. Juli 2016)

(40) Kaiser, Lichtenberger: Macht Kerns Coolness KritikerInnen blind?, unter: http://mosaik-blog.at/christian-kern-coolness-kritik-fiona-kaiser-hanna-lichtenberger/ (abgerufen am 31. Juli 2016)

(41) Bewegung für eine revolutionär-kommunistische Internationale (Vorläuferorganisation der Liga für die Fünfte Internationale: Thesen zum Reformismus, in: „Revolutionärer Marxismus“ 44, Berlin, November 2012, S. 176

(42) Suchanek, Martin: Krise, Klasse, Umgruppierung, Strategie und Taktik in der aktuellen Periode, in: „Revolutionärer Marxismus“ 47, Berlin, September 2015, S. 50 f.