Die Offensive des Imperialismus und die Führungskrise der Arbeiterbewegung

Resolution des 7. Kongresses der Liga für die Fünfte Internationale zu den internationalen Perspektiven (Juli 2006) (1); Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

Die Weltlage ist von einer permanenten ökonomischen, politischen und militärischen Offensive der imperialistischen Bourgeoisie und einer zunehmenden Tendenz zum Massenwiderstand dagegen geprägt.

Soziale und politische Krisen und Explosionen bahnen sich an. Sie zeigen, dass die Globalisierung weit entfernt davon ist, in eine neue Periode von Stabilität, Wachstum und sozialem Frieden für den Kapitalismus einzutreten. Tatsächlich ist die Globalisierung nur die jüngste Phase des Imperialismus: der Herrschaft des Monopolkapitals. Unsere Epoche bleibt eine von Kriegen und Revolutionen. Die Periode, in der wir leben, steckt voll revolutionärer Möglichkeiten.

Die zentrale Frage ist aber, ob die am Massenwiderstand beteiligten Kräfte eine Strategie und Organisationsformen entwickeln können, um diese Offensive zu stoppen, ehe sie die Welt in den nächsten Jahrzehnten in ökonomische, militärische und Umweltkatastrophen stürzt.

Der imperialistische Vorstoß weist zwei Grundeigenschaften auf:

1. Krieg in Mittelost um die Kontrolle über die Ölzufuhr; um eine eventuelle Opposition gegen die neue Weltordnung einzuschüchtern; um die Position der USA im Vergleich zu ihren möglichen Rivalen in den kommenden Jahrzehnten zu stärken und eine Ideologie für die US-Vorherrschaft und die Globalisierung zu etablieren (Krieg gegen den Terror, für „Demokratie“ und „westliche Zivilisation“).

2. Ein Generalangriff gegen die ArbeiterInnen einschließlich Attacken auf Renten und Reallöhne, Anschlägen auf den „Sozialstaat“, Vorstöße zur Verlängerung der Arbeitswoche und der Verdichtung der Arbeit, zum Abbau von Arbeitsplätzen und der Verlagerung von Firmen in Gebiete mit Niedriglöhnen und weniger oder ohne demokratischen Arbeitsrechten sowie der Ersetzung von Festanstellungen durch sozial und rechtlich prekäre Jobs. Auch der Staat übt Druck auf die Lohnabhängigen aus. „Reform“wellen unterspülen immer mehr soziale Errungenschaften, privatisieren oder vermarkten öffentliche Einrichtungen, Verkehr, Wohnungen, Ausbildung, Gesundheitsfürsorge.

Unaufhörlich wird dazu die neoliberale Ideologie über die milliardenschweren Privat- und Staatsmedien verbreitet. Sie will uns einhämmern, dass es keine Alternative zum Markt als Beherrscher des gesellschaftlichen Lebens gäbe. Trotz ihrer demagogischen Ausfälle gegen „den Staat“ weiten auch die neoliberalen Regierungen dessen Kernfunktionen Überwachung und Unterdrückung aus. Der Staat wird nur insoweit „abgebaut“, als er von der Arbeiterbewegung dazu benutzt wird, die schlimmsten Härten des Kapitalismus abzumildern. Stabilität und Kontinuität von Ausbeutung und Unterdrückung sollen ungefährdet bleiben. Das reale Ziel ist nicht der minimale „Nachtwächterstaat“ der neoliberalen Traumwelt. Der Staat, der mit einer immer hohleren Demokratie verbunden ist, rückt vielmehr den visionären Albträumen des 20. Jahrhunderts näher, wie sie in Samjatins „Wir“ oder Orwells „1984“ beschrieben sind.

Der US-Imperialismus bleibt seiner Strategie treu und setzt seine aktuelle wirtschaftliche, politische und militärische Hegemonie dafür ein, Ressourcen, v.a. Öl und Gas, sowie Märkte für die nächsten 20 bis 30 Jahre zu sichern. Der Vierjahresbericht des Pentagons 2006 nimmt Erhöhungen im Militärhaushalt vorweg, aber auch einen politischen Taktikwechsel: weg von Invasionen und Besatzungen (im Gefolge seiner Niederlage im Irak und in Afghanistan) hin zu Stellvertreterkriegen und verdeckten Operationen. Die Aufrüstung Indiens und Israels Invasion im Südlibanon sind Beispiele dafür (2).

Die Strategie der USA besteht darin, sich entlang des „Bogens der Instabilität,“ der sich von Somalia durch den Mittleren Osten, Südasien und Indonesien erstreckt, befreundete Regime zu erhalten oder einzuverleiben. Sie zielt darauf, Amerikas imperialistische Konkurrenten und halbkoloniale Möchtegern-Herausforderer zerstritten und schwach zu halten.

Die EU und Japan verbleiben in zu schwacher Position, dieses Konzept der USA offen zu hinterfragen. Die EU ächzt unter teuren Sozialsystemen. Die europäische Bourgeoisie muss ihre Volkswirtschaften dringend neoliberaler umgestalten, um mit den USA mitzuhalten. Das ist ihr Hauptanliegen, nachdem die Dynamik der Bildung eines neuen europäischen Superstaats durch die Niederlage bei der französischen Volksabstimmung einen heftigen Dämpfer erhielt. Dieses neoliberale Programm wird sowohl auf kontinentaler (Bolkestein, Bildung) Ebene wie national verfolgt (Angriffe auf Renten, Gewerkschaftsrechte, Sozialfürsorge). Erst im Gefolge bedeutender Niederlagen der Lohnabhängigen kann sie hoffen, ihr Hauptprojekt einer politisch-militärische Union und die Schaffung eines paneuropäischen imperialistischen Staates wieder zu forcieren.

Die europäische Bourgeoisie hat das große Problem, dass sich das Vereinigte Königreich dem verweigert. Es wird weiter den Spielverderber mimen – wenigstens, bis den USA eine Rezession ins Haus steht. Bis dahin werden Frankreich, Britannien und Deutschland weiter um die Aufrechterhaltung der Kontrolle über ihre speziellen Einflusssphären ringen – sowohl untereinander wie gegen die USA. Japan steht vor der scharfen Herausforderung durch China, die es zwingt es, ein Bündnis als Juniorpartner mit den USA einzugehen.

Diese neoliberale Offensive hat in den vergangenen Jahren eine Welle von Widerstand ausgelöst: millionenfacher Protest gegen Krieg (3), Generalstreiks, vorrevolutionäre (4) sowie revolutionäre (5) Situationen, als Jugendliche, ArbeiterInnen und Bauern Präsidenten gestürzt, neoliberale Programme blockiert und „Reformen“ durchkreuzt haben.

Kurz: die neoliberale Offensive und der massenhafte Widerstand führen zu einer Wiederbelebung von Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Erdteilen. Aber das geschieht nicht gleichmäßig und nur erfolgreich, sondern ist mit Zusammenbrüchen, Spaltungen und Krisen der etablierten Arbeiter- und Volksorganisationen, Gewerkschaften und Parteien verbunden. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass viele Traditionsparteien und -bewegungen der Arbeiterschaft und der Armut von neoliberalen Politikern übernommen worden sind. Das umfasst die meisten sozialdemokratischen Parteien, viele des traditionellen „Drittwelt“nationalismus und -populismus und einige „Kommunistische Parteien (6).”

Das erzeugt große Spannungen mit den damit verbundenen Teilen der Gewerkschaftsbürokratie. In Britannien und Deutschland z.B. weigern sich die Gewerkschaftsführungen, mit der Sozialdemokratie zu brechen, auch wenn sie von jenen selbst unter Beschuss geraten. Die Zerreißproben nehmen noch zu, wenn ihre Mitgliedschaft schrumpft und der „Sozialstaat“ angegriffen wird.

Dieser Prozess hat Platz links von der Sozialdemokratie geschaffen. Dieser wird zunehmend von den „gewendeten“ stalinistischen Parteien besetzt. Diese traditionellen „Kommunistischen“ Parteien und deren zahlreiche Abspaltungen versuchen nun, als Vorreiter für eine Rückkehr zum klassischen Linksreformismus zu punkten. Die Verbreitung von lateinamerikanischem Neopopulismus und „Indigenismus“, das Auftauchen neuer Arbeiterparteien bzw. von Strömungen, solche zu gründen, können nur im Zusammenhang einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse verstanden werden (7).

Doch der Eindruck, alle Massenmobilisierungen gegen Neoliberalismus und Imperialismus seien im Sinne von Arbeiter-, Demokratie-, Minderheiten-, Frauen- oder Jugendrechten usw., ist gefährlich: auch starke reaktionäre Massenkräfte sind auf dem Vormarsch.

Rassistische, volkstümelnde und offen faschistische Parteien wachsen in den imperialistischen Ländern und Halbkolonien gleichermaßen. Religiöse und nationale Minderheiten, Einwanderer und Flüchtlinge sind ihre Hauptziele. Oft attackieren sie „Globalisierung“ und Modernisierung, die Rechte von Frauen und Homosexuellen im Namen von Religion, ethnischen oder „rassischen“ Traditionen. Die Medienmilliardäre steigern diese Wirkung und ermuntern den Staat, darauf zu reagieren. Sie fordern Repressionen und Abschiebung von Einwanderern, Einführung von Religionsgesetzen, Abtreibungsverbote und Verbote bestimmter Formen religiösen Gehorsams (Kopftücher) (8).

Diese Entwicklungen zeigen die ideologische Schmelze nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten, dem in Misskredit geratenen weltlichen bürgerlichen Nationalismus und den Sünden der Sozialdemokratie unter Konsorten wie Blair, Schröder und Jospin.

Sie geben aber auch Aufschluss über die Tiefe der Führungskrise bei den Kräften des Widerstands. Sie sind die Hefe, aus der neue Lösungen kommen können – wenn RevolutionärInnen kühne und überzeugende Antworten für die gegenwärtigen Massenkämpfe geben und sie in Agitation wie Propaganda umsetzen können, die auf die militanten Kader solcher Kämpfe zielen.

Die Klassenkampfentwicklung dieser Periode war kein geradliniger Prozess, in dem die Radikalisierung stets zunimmt. Sie war durch Auf- und Abschwünge gekennzeichnet. So gab es von Ende 1999 bis 2001 einen rasanten Anstieg an Auseinandersetzungen mit den globalen Finanzinstitutionen: die „Gipfelbelagerungen“ in Seattle, Prag, Quebec, Göteborg und Genua, die Revolutionstage in Argentinien, die Massenkämpfe auf dem Land in Indien und Brasilien. Doch nach dem Höhepunkt der Antikriegsmobilisierungen im Februar 2003 stieß die Bewegung an ihre Grenzen, war unfähig, den Kriegsausbruch und die Besetzung des Irak abzuwenden.

Das war ein weltweiter Rückschlag für den Widerstand gegen die kapitalistische und imperialistische Offensive. Das fand seinen Niederschlag in nachlassender Lebendigkeit und Dynamik bei Weltsozialforum und Kontinentalsozialforen wie dem europäischen, in Stärkung der reformistischen Kräfte in der Bewegung (der Europäischen Linkspartei, Lulas Arbeiterpartei PT in Brasilien).

Doch seit Sommer 2005 sind wir Zeugen eines neuen globalen Klassenkampfaufschwungs. Dabei ist nicht die numerische Steigerung maßgeblich, sondern die Tatsache, dass die Bourgeoisien Europas und der USA eine Reihe empfindlicher Niederlagen oder Rückschläge hinnehmen mussten: das Nein im französischen Referendum, die Aufgabe der französischen Unternehmeroffensive CPE, die Unfähigkeit der US-Besatzer im Irak, den Widerstand zu brechen und das Land zu „befrieden“, die Revolution in Bolivien, die Wahl Morales‘ und der Linksruck in Venezuela (9).

Diese Erfolge zeigen, dass die Attacken aufgehalten werden können, dass die Massen nicht nur in den Kampf gezogen werden, sondern sie auch gegen vermeintlich überlegene Gegner siegen können. Die herrschenden Klassen in den Halbkolonien und imperialistischen Ländern sind beunruhigt über die Massenbewegungen von 1999 bis 2006. Sie suchen eifrig nach Unterstützung unter den rückständigeren Schichten der Massen, weil sie eine soziale Kraft brauchen, welche die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft in Schach halten und spalten kann. In allen Perioden einer fortschreitenden Krise nehmen auch die Kräfte der Reaktion auf dem Gegenpol von Gegenwehr und Revolution zu.

Deshalb werden die Frage von Strategie und Taktik, d.h. des Programms, und die Notwendigkeit einer bewussten revolutionären politischen Alternative – einer Partei- immer brennender! Dies ist eine Frage der Massenbewegung und ihrer Avantgarde, nicht nur eine für winzige marxistische Propagandazirkel!

Wir durchleben also eine Periode zunehmenden politischen Ungleichgewichts auf nationaler wie internationaler Ebene, eine Periode von Kriegen und ansteigenden Klassenkämpfen. Wir kennzeichnen sie als vorrevolutionäre Periode, weil die neoliberale Offensive, weil die „permanenten Kriege“ zunehmend Massenbewegungen in verschiedenen Ländern hervorrufen, die die Macht der herrschenden Klasse bedrohen (vorrevolutionäre oder sogar revolutionäre Situationen).

Die Gleichförmigkeit und Tiefe der sozialen Krise kann aber erst dann objektive Schranken überwinden, wenn eine wirklich synchronisierte und massive Wirtschaftskrise der Globalisierungsphase einsetzt.

Subjektiv stößt die Verschärfung der Krise an ihre Grenzen durch die Schwäche und Unfähigkeit der bestehenden Führungen der Massen, die immer wieder eine zusammenhängende und wirkungsvolle Gegenbewegung vereiteln. Ein zunehmender Ausbruch der Widersprüche im Kapitalismus, insbesondere eine weltweite Wirtschaftsrezession, würde den Grundstein für ein Überschreiten dieser Grenzen legen.

Globalisierung: Eine neue Weltunordnung

Die Analyse der L5I in Bezug auf die Globalisierung in den vergangenen sieben Jahren hat ihre Prüfung bestanden (10). Wir haben die geschichtlichen Hintergründe, die zur Entwicklung der neoliberalen Globalisierung geführt haben, durchleuchtet. Wir haben die Triebfeder für diesen Prozess, der durch die Überakkumulation des Kapitals in den imperialistischen Metropolen, d.h. eine sinkende Profitrate in Gang gesetzt worden ist, analysiert. Wir haben die zu Tage tretenden Tendenzen zu Stagnation und Schmarotzertum und genauso die Chancen, diese Dynamik durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Wiederherstellung des Kapitalismus in China zu bremsen, benannt.

Der lange Aufschwung in den 50er und 60er Jahren war außergewöhnlich in der Epoche des Imperialismus. Der tendenzielle Fall der Profitrate, der aus der Überakkumulation von Kapital herrührt, wurde für eine ganze Periode überwunden. Die massive kapitalistische Ausdehnung während dieser Zeit und die heftige Ausweitung der Industrieerzeugung in den stalinistischen Staaten bedeuteten, dass es eine außerordentliche Entwicklung der  Produktivkräfte der Menschheit gab. Mit Einsetzen der Krise Anfang der 1970er normalisierten sich die Verhaltensmuster der imperialistischen Epoche, die Tendenz zu Stagnation setzte sich wieder durch. Ursache dafür war das klassische Problem des Kapitalismus: Überproduktion und Überakkumulation von Kapital schlugen in eine Krise der profitablen Investitionen um.

Aber wie schon Marx zeigte: der Kapitalismus hält nicht nur den unerbittlichen Fall der Profitrate aus, sondern diesem wirken unterschiedliche Kräfte entgegen (11). Die Mehrwertrate lässt sich durch Verlängerung des Arbeitstages, Lohnsenkungen, größere Arbeitshetze, durch Ausdehnung der kapitalistischen Ausbeutung auf neue, nichtkapitalistische oder unterkapitalisierte Gebiete sowie durch Verbilligung der Kosten für Anlagen und Maschinen, Verstärkung des Welthandels usw. hochtreiben. Die Globalisierung ist insofern im Wesen ein Bündel gegenläufiger Tendenzen, um das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate aufzuhalten und umzukehren.

In den USA wurden in der Globalisierungsphase ständig die Reallöhne gedrückt und das Arbeitsjahr verlängert. Das hat in den letzten beiden Jahren zu einem Profitwachstum geführt, welches vergleichbar mit dem Niveau Mitte der 90er Jahre ist. Produktionsstätten wurden aus Gebieten verlagert, wo die Arbeiterschaft gut organisiert war, hin zu Regionen mit unorganisierter Belegschaft: erst innerhalb der USA, dann nach Lateinamerika, schließlich in die asiatischen „Tiger“staaten.

Vor gab es eine enorme Freisetzung von internationalem Finanzkapital durch Abschaffung aller Kontrollen, was ihm erlaubte, sich aus den Fesseln nationaler Produktions- und Handelshemmnisse zu lösen und seine Reichweite auf die halbkoloniale Welt und die ehemaligen Arbeiterstaaten auszudehnen. Das sozialdemokratische Staatsmodell wurde angegriffen, um große Teile der Wirtschaft für die Kapitalakkumulation zu öffnen und unprofitable Sektoren zugunsten von profitablen auszumerzen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank schlüpften aus der Rolle von Wächtern über stabile Handels- und Währungsbeziehungen in die Funktion von Instrumenten zur Zwangsöffnung der Halbkolonien für den Einfluss des US-Kapitals. Hierbei wurde die Verschuldung der Halbkolonien seit den 70er Jahren als Haupthebel benutzt.

Die Aufrechterhaltung der Profitraten durch neoliberale Maßnahmen, besondere durch die zügelloser Aufblähung von stark schmarotzenden Sektoren, gestattete dem Imperialismus, den Wachstumsschwund beim Bruttoinlandsprodukt in einzelnen Ländern aufzuhalten. Der beeindruckende Anstieg des BIP in Halbkolonien straft scheinbar ihre Abhängigkeit von imperialistischer Kapitalinvestition und dem Rückfluss von Mehrwert in die imperialistischen Metropolen Lügen. Doch seit 1997 ist mehr Kapital aus den halbkolonialen Staaten zurück in die imperialistischen Kernländer geflossen als umgekehrt. 2005 erreichte der Nettotransfer mit 483 Mrd. US-Dollar seinen vorläufigen Höhepunkt. Der größte Anteil stammt aus den „aufstrebenden“ Märkten, die als Hätschelkinder des Imperialismus im Globalisierungsprozess gelten.

Die Schwankungen bei den Auslandsdirektinvestitionen (FDI) bringen auch den parasitären Charakter des Imperialismus zum Ausdruck. Sie erreichten im Jahr 2000 1,4 Billionen US-Dollar und stürzten dann bis 2003/04 um 60 Prozent ab, um letztes Jahr wieder auf beinahe 900 Milliarden zuzulegen. Aber diese setzten sich mehr aus Fusionen und Aufkäufen durch immer weniger Einzelkapitale aus als Investitionen auf der „grünen Wiese“ zusammen.

Das Wachstum des Kapitalismus in China

Bis zum Krach von 1997 waren die „Tiger“ Südostasiens das Hauptziel der FDI-Ströme in Entwicklungsländer. Diese Region schluckte 20 Prozent des Weltaufkommens (12). Der Krach von 1997 veranschaulichte, dass die Globalisierung außerstande war, das strukturelle Grundproblem von Überakkumulation, Überproduktion und tendenziellem Fall der Profitrate zu überwinden, wie  noch im langen Boom nach dem 2. Weltkrieg durch die große Erweiterung der Produktivkräfte. Nach der 40%igen Währungsabwertung 1994 demonstrierte Chinas Exportsteigerung – von Januar bis September 1997 um atemberaubende 25% – die Anfälligkeit der „Tigerökonomien,“ Deren exportgestütztes Wachstum war durch kurzfristige Auslandsanleihen finanziert worden, die mittels hohen Zinsfußes und fester Wechselkurse zum US-Dollar angelockt wurden.

Das Ausbleiben von Leihkapital und gigantische Devisenspekulationen führten Währungszusammenbrüche herbei, beginnend mit dem thailändischen Baht. Anschließend folgte die unvermeidliche Rezession. Die Erholung 2002 fußte v.a. auf einer Umorientierung der Erzeugung in Richtung Belieferung des chinesischen Marktes mit Agrarprodukten, Rohstoffen und Komponenten.

Der Schwenk der chinesischen Bürokratie zu tieferen Marktreformen, der Schwächung und schließlich dem Bruch mit dem zentralen Plan, der Zusammenbruch der sowjetischen und osteuropäischen degenerierten Arbeiterstaaten eröffneten neue Chancen für Globalisierung und Neoliberalismus. Die Integration der UdSSR in die kapitalistische Weltökonomie hatte hingegen nur eine begrenzte Wirkung. Bedeutsamer war indes die ideologische Untermauerung der aggressiven Ausdehnung der Vorherrschaft und Macht des US-Kapitalismus und dessen neoliberaler Wirtschaftspolitik in den Halbkolonien.

In den 90er Jahren sorgte dies a) auch für die beschleunigte Herausbildung des Weltfinanzmarktes, worin die USA und Britannien strukturelle Vorteile genossen und b) für erhöhte geographische Beweglichkeit des Kapitals führte, was wiederum die Konkurrenz zwischen Monopolen und Staaten antrieb und die Bedingungen für die Globalisierung schuf.

Zwischen 1996 und 2004 betrugen die Auslandsdirektinvestitionen nach China im Jahresschnitt 47 Mrd. US-Dollar, 2004/05 landeten sie bei einer Marke von 60 Milliarden (13). Damit erreichte China Platz 3 nach den USA und Britannien. Wegen der gewaltigen Schwankungen der FDI in der vergangenen Dekade – von 1,4 Billionen US-Dollar 2000 auf 632 Milliarden 2003 – pendelten die Anteile Chinas am globalen FDI-Zufluss zwischen 2 und 10%. Mehr noch: ganz Süd-, Südost und Ostasien (inkl. China) erhält immer noch etwa 20% oder weniger aller Zuströme (vergleichbar dem Prozentanteil in den 1990ern).

Das Modell der chinesischen KP zur kapitalistischen Restauration beruhte auf einer starken staatlichen Entwicklungsstrategie und war wirtschaftlich weitaus erfolgreicher als die „Schocktherapie“ des anderen großen ehemaligen Arbeiterstaats Russland. Dort tobte ein Jahrzehnt wilder Zerstörung von Produktivkräften, von der nur die Konzerne profitierten, die die Naturreichtümer verscherbelten und eine herrschende Schmarotzerbourgeoisie hervor brachte.

Im Gegensatz dazu haben sich aber die Produktivkräfte in China trotz Umstrukturierung, Trustgründungen und Privatisierungen in der alten Schwerindustrie des degenerierten Arbeiterstaates mächtig ausgeweitet. Das hat zwar heftige innere Klassenwidersprüche (14) erzeugt, jedoch den Weltimperialismus wirklich herausgefordert, der China braucht, aber auch fürchtet. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Landes – verbunden mit seiner erheblichen Militärmacht, gestützt auf Atomwaffen und mit Sitz im UN-Sicherheitsrat – verschaffen China eine herausragende Stellung unter den halbkolonialen Staaten.

Trotz und wegen des unerhörten Aufschwungs durchziehen China ungeheure soziale, ökonomische und politische Widersprüche. Es ist hochgradig abhängig vom Weltmarkt. Der Außenhandel hat einen wachsenden Anteil an der Wirtschaft, wie am BIP abzulesen ist. Der Exportanteil am BIP wuchs von 18% (1990) auf 32% (2003). Der größere Teil von Wirtschaftsentwicklung und -wachstum ist also außenorientiert. Der größte Teil von Chinas Handel wird von internationalen Konzernen beherrscht, die Einzelteile nach China zur dortigen Endfertigung schaffen und diese wieder ausführen. Das Ausmaß dieser Geschäfte ist nunmehr so groß, dass es bereits als grundlegend für das Gleichgewicht der mächtigsten Wirtschaft der Welt, der USA, angesehen wird. Die erste ernsthafte Krise in den USA wird also auch eine größere Krise in China hervorrufen. Wenn sein größter Absatzmarkt schrumpft, wird dies in China zu Entlassungen und Bankrotten führen.

Auch der chinesische Kapitalismus weist scharfe innere Widersprüche auf. An erster Stelle ist die klassische Überakkumulation von Kapital zu nennen. Die Fixkapitalbildung macht 26% des jährlichen BIP aus, 2002 waren es noch 21%. Irgendwann wird die Profitrate ins Trudeln kommen, ausgedrückt in Überproduktion und Pleiten. Außerdem hat das Reformprogramm die Klassenwidersprüche in der chinesischen Gesellschaft erheblich zugespitzt. Die Wanderungsströme vom Land in die Stadt und das Wachstum haben die Arbeiterklasse schätzungsweise auf 350 Millionen anschwellen lassen. Doch dies geschieht gleichzeitig mit der Vernichtung von 30% aller Arbeitsplätze in der Staatsindustrie mit anschließender Arbeitslosigkeit von Millionen Angehörigen der „alten“ Arbeiterklasse.

Flexibilisierung, Überausbeutung und unsichere Arbeitsplätze sind die Basis für die chinesische Expansion. Die LohnarbeiterInnen sehen sich konfrontiert mit der Abschaffung gesellschaftlicher Rechte und sozialer Standards, mit der Privatisierung von Wohnungen und der Gesundheitsfürsorge und sehr begrenzter staatlicher Armenhilfe.

In kaum mehr als einem Jahrzehnt hat Chinas Entwicklung die weltweiten Strukturen von Produktion und Handel verändert. Obwohl oft als riesiger potenzieller Markt beschrieben, ist Chinas Rolle in der Weltwirtschaft heute und in naher Zukunft von der Versorgung mit billiger Arbeitskraft in einem stabilen globalen Umfeld abhängig. Diese Entwicklung ist notwendigerweise widersprüchlich. Die Profitraten für die Weltkonzerne steigen, die Kosten zur Reproduktion der Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern sinken. Die Zinsen bleiben niedrig durch massive Käufe von US-Pfandbriefen. Aber China lockt auch Kapitalinvestition aus anderen Teilen der Welt an, untergräbt die Fertigungsindustrien in vielen Ländern und lässt die Warenpreise besonders für Energie und industrielle Rohstoffe hoch schnellen.

Die USA und die Weltwirtschaft

Globalisierung und Neoliberalismus konnten die strukturellen Probleme des Weltimperialismus seit den 70er Jahren nicht beseitigen – trotz seiner historischen Erfolge in den 1980ern und 90ern durch die Restauration des Kapitalismus in den Arbeiterstaaten und strategischer Niederlagen für Kernsektoren der Arbeiterklasse in den USA, Britannien, Bolivien usw. oder der „Öffnung“ von China und Indien. Das starke Konjunkturwachstum der 90er Jahre hat keine Rückkehr zu Wirtschaft oder Politik des „goldenen Zeitalters“ nach dem 2. Weltkrieg eingeläutet. Die Arbeitslosigkeit in den G 7-Ländern ist zwar niedriger als vor 15 Jahren, jedoch noch wesentlich höher als in den Nachkriegsjahrzehnten. Die Früchte des gegenwärtigen Wachstums fallen v.a. den Aktionären und Banken zu. Im Unterschied zur Periode 1945-1970 wird heute eine unbarmherzige Attacke gegen die industrielle, soziale und regulative Rolle des Staates geritten. Das Kapital versucht, immer größere Sektoren (Medien, Wohlfahrt, Bildung, öffentliche Versorgung, Wohnungen) in den Prozess der Kapitalakkumulation zu ziehen. Zugleich fließen immer weniger Mittel in jene Bereiche, wo sich Widerstand gegen Privatisierung regt oder wo die Profitabilität zu gering ist.

Außerdem ist die Rolle von Schulden und Defizitfinanzierung entscheidend, wenn in den imperialistischen Kernstaaten die Produktion kaum noch ausgeweitet wird. Das US-Finanzministerium ist gezwungen, Kapital aus der übrigen Welt anzusaugen, um seinen militärischen Keynesianismus und Steuergeschenke für die Reichen zu bezahlen – beides ist für die ökonomische Stabilität wichtig.

In der US-Binnenwirtschaft waren Schulden ein Mittel, um die Nachfrage trotz stagnierender Reallöhne anzufachen – eine Aufgabe, die für das Gleichgewicht der Weltwirtschaft entscheidend ist. Doch das kann nicht ewig so weiter gehen!

Die herrschende Klasse der USA ist gespalten darüber, wie sie auf Chinas Aufstieg reagieren soll. Bisher gab es erstaunliche „Harmonie“, eine von neoliberalen Ideologen erträumte Gewinnersituation auf beiden Seiten. Aber die Ahnung von Chinas Aufstieg in den Rang einer wirtschaftlichen Supermacht hat die US-Politik entzweit. Einige befürworten Schutzzölle und Militärbündnisse, um China aufzuhalten, sowie die Förderung einer bürgerlichen „Demokratiebewegung“ dort, um über eine „Volksrevolution“ die chinesische KP durch eine offen bürgerliche Regierung zu ersetzen. Aber die Hauptkräfte des US-Kapitals sind vorerst zu befangen von den goldenen Investitionsaussichten, als dass sie eine Destabilisierung Chinas wünschten. Die Bush-Regierung will deshalb zweigleisig zu fahren. Sie ist pragmatisch genug, zu erkennen, dass ein Protektionismus Gegenmaßnahmen auslösen könnte mit der Folge der „Entglobalisierung“ und gravierender Destabilisierung der Weltwirtschaft und der beherrschenden Rolle der USA.

Grob gesagt, war nach 2002 erneut die US-Wirtschaft die Lokomotive, um die Weltwirtschaft aus der Rezession zu ziehen (wie schon in den letzten drei Zyklen seit Mitte der 70er). Die EU und v.a. Japan litten länger unter der Rezession und kamen später aus ihr heraus. Der zyklische Aufschwung in den USA nach 2001 beruhte auf einer Verbindung von massiven staatskapitalistischen Maßnahmen, insbesondere Rüstungsprogrammen (Militärkeynesianismus) und Steuersenkungen. Die USA stehen vor einer Aufblähung der Haushaltsschulden, die nicht durch inländische Spar-guthaben gedeckt sind (diese sind mit nur 13,7% des BIP auf einem geschichtlichen Tiefstand), und einem historisch beispiellos hohen Minus auf den Girokonten (fast 8% des BIP). Der US-Aufschwung ist also großteils mit der Erhöhung privater und öffentlicher Schulden und den Zu-strom von Fremdkapital erkauft – und schafft so weltweit riesige Widersprüche und Ungleichgewichte.

Das Schicksal der USA ist gegenwärtig eng mit der Weltwirtschaft als Ergebnis der 30jährigen zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung verkettet. Die „herausragende Isolation“ ist Schnee von gestern. Das macht die USA zu einem ausgesprochenen Schmarotzerkapitalismus. Ohne den Zustrom von mehr als 2 Milliarden Dollar täglich (!) könnte es seine Produktion und den Schuldendienst nicht mehr bezahlen. Die Hälfte der Profite der US-Konzerne kmmt entweder unmittelbar aus den Auslandsinvestitionen oder aus dem Finanzsektor, der höchst abhängig ist vom Weltfinanzmarkt. Deswegen muss die herrschende Klasse der USA einen ständigen Krieg führen, um sich vom Rest der Welt diese Abhängigkeit bezahlen zu lassen. Ihre wirtschaftliche Stellung ist gegenüber ihren imperialistischen Konkurrenten zwar stärker als in vergangenen Jahrzehnten, doch zugleich immer angespannter und deshalbanfällig für scharfe und „unerwartete“ Einbrüche.

Wenn sich die wirtschaftliche Stellung der USA weiter abschwächt, während ihre Rivalen wirtschaftlich empor kommen, wird dies die Rolle der USA als Welt-Hegemon untergraben und zu verschärften Konflikten zwischen den Großmächten führen. Die Verbindung von steigender Rohstoffnachfrage, v.a. nach Öl und Gas, mit der politischen Instabilität in Schlüsselgebieten der Weltpolitik wie Mittelost oder Venezuela kann eine weitere Verteuerung des Öls mit ernsten Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zeitigen.

Es ist möglich, dass Europa und Japan nach langer und tiefer Rezession sich in den nächsten beiden Jahren zu neuen Höhepunkten ihrer Zyklen aufschwingen. Dies kann eine weltweite Rezession kurzfristig aufschieben, wird aber die Widersprüche des Weltkapitalismus zugleich vertiefen. Gegenwärtig ist jedoch der EU-Block der „kranke Mann“ des Imperialismus. Sein Hauptmotor Deutschland stottert trotz der derzeitigen zyklischen Aufschwungphase und steigenden Profiten für die Schlüsselunternehmen.

Dies drückt sich v.a. durch die Nullwachstumsrate in der Fertigungsindustrie, der Hauptquelle der Mehrwertschöpfung aus. Nach 2001 fiel dort der Index in allen Triadenländern. Setzen wir das Jahr 2000 auf den Index 100, so hat Deutschland dieses Niveau 2004 mit 103,5 übertroffen. 2005 liegt die Zahl nur unwesentlich höher. In anderen  Ländern wie USA und Britannien war der Abfall sogar noch krasser. Der Handel mit Fertigungsgütern ist weiterhin geprägt durch Überkapazität und Überproduktion für die globale Nachfrage. Im Ergebnis dessen verschärft sich die internationale Konkurrenz.

Das Nachlassen der Investitionstätigkeit, d.h. die Verlangsamung der Akkumulationsrate, zeigt ein noch klareres Bild. Hier ist Deutschland auf dem Niveau eines Index von 90 verglichen mit 2000, d.h. es gab einen klaren Rückgang von Investitionen. Davon sind die meisten zudem Ersatzinvestitionen und nur 10% echte Neuinvestitionen. Der parasitäre Charakter der heutigen Akkumulationsform, dominiert vom Finanzkapital, zeigt sich darin, dass neben sinkenden Unternehmenssteuern ein immer größerer Teil des Profits vom Finanzkapital vereinnahmt wird. Etwa ein Drittel der verfügbaren Gelder wird bei größeren Firmen in Zinszahlungen, Wertpapierkäufe, Optionen usw. gesteckt, während Investition zunehmend in kurzfristig profitable Bereiche fließen. Entlang dieser Linie gibt es für das Kapital keinen Ausweg aus dem Teufelskreis von Überakkumulation und Stagnation.

Kurz: seit Ende der 1990er hat sich die Globalisierung als unfähig erwiesen, die Stagnationstendenzen des Kapitalismus zu überwinden. Ihre Erfolge – die Erhöhung der Ausbeutungsrate, die Durchdringung und Auspressung der halbkolonialen Welt – vermochten nicht, die Überakkumulation des Kapitalismus zu überwinden. Erfolge galten nur für bestimmte Länder und eine bestimmte Zeitspanne. Die allgemeine Stagnationstendenz hat sich im Grunde beschleunigt.

Der stagnative Trend der Produktivkräfte führt zu wachsender Verwandlung in Destruktivkräfte, wie z.B. vermehrte Umweltkrisen zeigen (Rekorde bei der globalen Erwärmung, steigende Zahl von Katastrophen mit 100.000en Toten, Gefahr weltweiter Seuchen usw.). Die zerstörerischen Aspekte des Kapitalismus werden immer bedeutender und immer stärker zu sozialen und politischen Krisen beitragen.

Da der Kapitalismus nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales und politisches System ist, führt die Zuspitzung der Krisen auch zu verschärfter Rivalität zwischen Staaten, imperialistischen wie halbkolonialen, zu mehr Kriegen, „Terrorismus“, Verelendung und Zerstörung. Wir befinden uns trotz zyklischen Wirtschaftsaufschwungs in einer Periode sich verschärfender sozialer Krisen, in der die imperialistische Bourgeoisie gezwungen ist, die Arbeiterklasse und die Unterdrückten global anzugreifen, um ihr System zu stützen. Wenn das sich während eines Aufschwungs abspielt, kann man sich vorstellen, was ein Wirtschaftstief, geschweige denn eine Weltrezession, mit sich brächte.

Europa: vor größeren Konflikten

Wir haben oft gesagt, dass die Alternative für den europäischen Kapitalismus „Amerikanisierung oder Bankrott“ lautet. Der Hintergrund dafür ist die sich zuspitzende Konkurrenz zwischen den imperialistischen Blöcken. Europa ist augenblicklich das schwächste Glied des Imperialismus – dank Arbeiteraktionen und politischer Widersprüche, die dem Versuch zur Formierung eines einheitlichen Superstaates in einer Periode des Stillstands und sozialen Rückschritts entgegenstehen. Zusätzlich hat der Beitritt von ost- und mitteleuropäischen Staaten – eine Politik, die von Britannien und den USA mit dem Ziel, die Bildung eines EU-Superstaates zu blockieren, gefördert wird – größere Hindernisse aufgebaut (Haushalts-, Steuer-, politische Schwierigkeiten).

Trotz der aktuellen Lähmung bleibt die EU die stärkste und gefährlichste Nebenbuhlerin der USA und spielt in deren strategischen Überlegungen die Hauptrolle. Die USA versuchen, die europäische Rivalität durch Zusammenarbeit einzudämmen und einige der Lasten aus der Regulierung des Weltmarktes auf die europäische Konkurrenz abzuwälzen. Die EU, d.h. die wichtigsten Kontinentalmächte Deutschland und Frankreich, möchten wiederum jede offene Konfrontation mit den USA vermeiden, teils weil die USA noch als Weltpolizist im imperialistischen Interesse auch die-ser Mächte handelt; teils weil die EU noch zu schwach ist, den offenen Konkurrenzkampf militärisch und politisch bestehen zu können.

Mit der „Lissabonner Agenda“ von 2000 haben sich die Herrschenden in Europa ein Programm gegeben – mit dem Ziel, die EU zum stärksten und dynamischsten Wirtschaftsgebiet unter deutsch-französischer Herrschaft zu formen und langfristig eine politisch-militärische Macht zu errichten, die es mit den USA aufnehmen kann. Dazu müssen jedoch noch große innere Widersprüche gelöst werden.

Die herrschende Klasse muss eine Arbeiterklasse mit der militantesten Tradition und den größten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen in der imperialistischen Welt in die Knie zwingen. Die EU muss die nationalen Gräben überwinden, um zum ernsthaften Konkurrenten von USA (und Japan) zu werden. Doch wie der Fehlschlag um die Verfassung zeigt, war sie bisher nicht imstande, Begeisterung für eine kapitalistische EU zu erzeugen. Das überrascht nicht, weil dieser Versuch mit der Lissabonner Agenda und den Angriffen auf die Einkommen und sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnen und Kleinbauern gekoppelt war.

Deshalb gab es mehrere erfolgreiche Widerstandswellen. Die letzte hat in Belgien zwei eintägige Generalstreiks, den Sturm der HafenarbeiterInnen auf das EU-Paparlament und die so erzwungene Rücknahme der Richtlinie zur Hafenarbeit (Port package) bewirkt; sie hat gewaltigen Aufruhr in Frankreich und Griechenland gebracht; sie war mit wichtigen Teilkämpfen und dem politischen Bruch bedeutender Arbeiterschichten mit der SPD in Deutschland verbunden.

2005 lebte der Klassenkampf in Frankreich wieder auf. Die Arbeitslosenquote betrug im Januar über 10%, die höchsten Zahlen seit fünf Jahren. Im Privatsektor setzten die Bosse Jobflexibilisierung durch und forderten die Erhöhung der Arbeitswoche von 35 auf 40 Stunden. Zwischen Februar und März fand eine Reihe von Aktionstagen statt, die von den großen Gewerkschaftsverbänden mit machtvollen Demonstrationen und Streiks organisiert worden waren. Am 8. März protestierten 200.000 SchülerInnen und Studierende landesweit gegen die Fillon-Reformen zu den Lehrplänen an Universitäten und Gymnasien und erzwangen die Rücknahme.

Der Volksentscheid über die EU-Verfassung und die Nein-Kampagne der Linken führten die Mobilisierungen des Frühjahrs fort. Es gab Großkundgebungen in den Zentren und vielen Kleinstädten. Die ArbeiterInnen, die daran teilnahmen, sahen in den neoliberalen „Reformen“ den Hauptfeind. Das Abstimmungsresultat brachte den großen Parteien, die den Verfassungsentwurf befürworteten, eine deftige Niederlage durch die von LCR und PCF geführte Gegenkampagne.

Im Herbst brachen sich dann Wut, Frustration und Entrüstung der arbeitslosen Einwandererjugendlichen aus den Vorstädten in einem Aufstand gegen die Polizeiunterdrückung Bahn. Binnen weniger Tage – und angeheizt durch rassistische Stellungnahmen des reaktionären Innenministers Sarkozy – griffen die Proteste auf 250 Städte über. Erst nach über zwei Wochen bekamen die Behörden durch ein gewaltiges Polizeiaufgebot und die Ausrufung des Ausnahmezustandes – zum ersten Mal seit den 50er Jahren – die Lage wieder in Griff. Diese Ereignisse deuteten an, dass Frankreich in eine vorrevolutionäre Lage schlitterte.

In der Massenbewegung vom März und April 2006 erlebten wir dann die vollständige Entfaltung einer vorrevolutionären Situation (16). Drei Millionen folgten dem Aufruf zu zwei Aktionstagen. Hunderte Universitäten und Schulen wurden besetzt und fast tägliche Massendemonstrationen durchgeführt, bis die Regierung den CPE zurückzog. Die schrittweise Einführung von neoliberalen Reformen ist damit praktisch zum Erliegen gekommen. Die Hoffnung der Rechten ruht nun auf der Wahl des hartgesottenen Neoliberalen Sarkozy zum Präsidenten 2007. Um zu gewinnen, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach wie schon 2005 die rassistische Karte spielen.

Auch Italien erlebte im Herbst 2005 eine Welle von Kämpfen, als StudentInnen und Arbeiterjugendliche gegen eine neoliberale „Bildungsreform“ demonstrierten, was zu Ausschreitungen vor dem Parlament führte. Am 25.10. riefen die größten Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL einen halbtägigen Generalstreik gegen die Kürzungen der Berlusconi-Regierung aus, die für 2006 vorgesehen waren. Das war bereits der 6. Halb- oder Ganztagsstreik seit Berlusconis Amtsantritt.

In Italien ist Berlusconi nun abgewählt und eine Regierung in einer „Volksfront“koalition unter Führung des neoliberalen Romano Prodi amtiert. Seine Unterstützung für die Politik der Lissabonner Agenda, der Bolkestein-Regelung und für einen verzögerten Abzug italienischer Truppen aus Afghanistan hat erste Risse in Rifondazione Comunista (RC) verursacht. Die RC hat sowohl Ministerposten erhalten und ihren Vorsitzenden Bertinotti als Sprecher der italienischen Parlamentskammer durchbekommen. Wenn die italienische Regierung ihre prokapitalistische und proimperialistische Politik durchzieht, stehen die starken linken und antikapitalistischen Kräfte des Landes vor der Aufgabe, Bertinotti zu bekämpfen. Sie werden gezwungen sein, sich zu fragen, ob die RC eine Partei ist oder dazu umgewandelt werden kann, welche die Lohnarbeiterklasse für den Feldzug gegen den neoliberalen Angriff braucht.

In Deutschland gewann Schröder 2002 unerwartet die Wahlen – dank eines demagogischen Nein zum Irakkrieg (hinter den Kulissen half er den USA bei ihren Kriegsanstrengungen). Der SPD-Kanzler legte als erste Maßnahme die neoliberale Agenda 2010 auf. Besonders das Hartz IV-Gesetz war der härteste Einschnitt in das deutsche Netz der sozialen Sicherung seit dem 2. Weltkrieg. In den beiden Folgejahren verließen daher nicht weniger als 100.000 Mitglieder die Regierungspartei SPD.

Die Bundestagswahlen verdeutlichten eine stärkere Polarisierung. Das Kapital wollte die Koalition aus SPD und Grünen durch eine CDU/FDP-Regierung ersetzen. Im Wahlkampf übten sich die offen bürgerlichen Parteien in angriffslustiger neoliberaler Rhetorik, die sich wohl für die FDP auszahlte, aber die CDU/CSU Stimmen kostete. Zudem agierten Schröder und die SPD, als seien sie die Opposition. So konnte die SPD ihre Verluste begrenzen. Die Große Koalition war geboren, eine Regierung zwischen SPD und CDU unter Kanzlerin Angela Merkel.

In den ersten Monaten agierte die Regierung wenig selbstbewusst, doch die Unternehmer preschten auf wirtschaftlichem Gebiet vor (angedrohte Massenentlassungen usw.). Die Gewerkschaftsspitzen verrieten bedeutende Kämpfe und vereitelten so im Herbst 2005 das Aufkommen einer politischen Bewegung gegen die Regierung. Ende des Jahres holte diese zum Schlag aus mit der Ankündigung satter Steuererhöhungen. Diese Offensive verschärft sich: Arbeitslose, Gesundheits- und Bildungssektor (Universitäten) werden in die Mangel genommen, zusätzlich öffentliche Unternehmen verkauft; gleichzeitig steigt der Drang zu Militärinterventionen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) rief nicht zu Streiks gegen die Agenda auf. Ihre Spitzen redeten sich damit heraus, dass politische Streiks ja von der Verfassung verboten seien. Einige Demonstrationen wurden von den Gewerkschaften organisiert, die größten zeitgleich am 3.4.04 in Köln, Berlin und Stuttgart, die 500.000 auf die Beine brachten. Während des Sommers 2004 fanden in Berlin, Leipzig und anderen großen Städten, v.a. im Osten jede Woche die Montagsdemonstrationen mit Tausenden Teilnehmern statt.

Diese Bewegung förderte den organisatorischen Bruch mit der SPD und die Gründung der Wahlalternative (WASG) durch langjährige Regionalfunktionäre der SPD und GewerkschaftsaktivistInnen. Die WASG wuchs schnell auf 11.000 Mitglieder. Sie steht fest auf reformistischer Grundlage, richtet sich jedoch gegen die Agenda 2010. Bei ihrer ersten Wahlkandidatur in Nordrhein-Westfalen gewann sie 2,2%. Bei den Wahlen zum Europaparlament 2004 sackte die SPD auf den Nachkriegstiefstand von 21%, 2005 verlor sie bei den Landtagswahlen ihre Hochburg Nordrhein-Westfalen. Am 10.6.2005 bildeten WASG und PDS ein Wahlbündnis für die Bundestagswahlen im September 2005 und gewannen dort 54 Sitze bei 8,7% Stimmanteil. Die Widersprüche zwischen WASG und PDS bleiben bestehen und kreisen um die Regierungskoalitionen der PDS mit der SPD in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo neoliberale Politik gemacht wird.

Griechenland steht gleichfalls in der ersten Reihe der Arbeitermilitanz in der EU 2005 und 2006. 2005 gab es zwei eintägige Generalstreiks. Am 15.3. legten der Öffentliche Dienst und viele Privatbetriebe die Arbeit nieder. Der Seeleutestreik vom 16.-23.2. war eine ernsthafte Streikaktion. Leider endete er durch den Verrat der gesamten linken wie rechten Bürokratie und der Parteien (PASOK, Synaspismos, KKE) (16) in einer Niederlage, weil sie sich weigerten, einen Generalstreik zu organisieren, als die Regierung die Streikenden an die Arbeit zurück rief.

Aber größere Kämpfe stehen bevor. Premierminister Karamanlis von der Neuen Demokratie-Partei will Eisenbahn, Post, Stromversorgung privatisieren und staatliche Gelder in private Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen fließen lassen. Er will die Macht des Öffentlichen Dienstes durch Beendigung der Arbeitsplatzsicherheit zerschlagen. Eintägige Generalstreiks sind angesichts dieser Angriffe unzureichend. Nur ein unbefristeter Generalstreik, ausgehend von den ArbeiterInnen des Öffentlichen Dienstes und der Jugend unter Einbezug des privaten Sektors, kann Karamanlis stürzen oder ihn zwingen, sein Programm fallen zu lassen. Eine vorrevolutionäre Krise wie in Frankreich oder Italien ist in den nächsten beiden Jahren möglich.

In Britannien haben eine Rekordkonjunktur und gewaltige Profite für die Ölmagnaten und Banken zu keiner nennenswerten Verbesserung für das Gros der Lohnabhängigen geführt. Der Lebensstandard ärmerer Arbeiterschichten sank sogar. Beträchtliche Teile der Arbeiteraristokratie und der Mittelschichten haben aber Nutzen aus Labours neoliberaler Politik gezogen; die Statistiken weisen größere Einkommensunterschiede aus als je zuvor. Einschnitte bei sozialem Wohnungswesen, öffentlichen Gemeindediensten, Gesundheitssektor und Ausbildung haben Durchschnittsverdiener und Arme am härtesten getroffen. Deregulierte Arbeitsmärkte, Ersatz von gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen durch prekäre, unorganisierte und niedrig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse hatten vergleichbare Auswirkungen. Arbeitende Frauen leiden unter verhältnismäßig schlechterer Bezahlung als 1997.

Vor dem Irakkrieg veranstaltete die Antikriegsbewegung die größte Demonstration in der britischen Geschichte. Doch sie scheiterte dabei, den Krieg zu verhindern, weil ihre Führung – die Generalsekretäre der Gewerkschaften und Labour-Parlamentsabgeordneten wie auch die Stalinisten und Zentristen, die sich weigerten, Forderungen an diese zu stellen – nicht zu Streikaktionen und Blockaden aufrief. So flutete die antikapitalistische Bewegung zurück. Der Staat nutzte seinen Vorteil aus, brach den „Krieg gegen den Terror“ vom Zaum, schoss zwei ImmigrantInnen nieder, setzte mittels Hausarresten, Verhaftungen ohne Urteil und Beschränkungen von Protest und freier Rede demokratische Rechte außer Kraft. Der Staat versucht, die antikapitalistische Stimmung zu entmutigen, schürt Hetzkampagnen gegen asiatische Jugendliche und versucht, innerhalb asiatischer und muslimischer Gemeinden zu polarisieren. Die Jugend wird mit Knebelgesetzen verfolgt, eine Hexenjagd gegen radikale Moslems ist in vollem Gang.

In vielen Gewerkschaften haben Mitglieder für neue Anführer gestimmt, die sich von der Labour-Regierung distanziert und militante Gegenwehr versprochen haben. Trotz einer Delle im Wahljahr 2005 hat die Streikaktivität seit 2000 ständig zugenommen. Im März 2006 legten über eine Million die Arbeit in Verteidigung der Renten im Öffentlichen Dienst nieder. Doch der Streik wurde anschließend mit verblüffender Leichtigkeit von der Gewerkschaftsbürokratie ausverkauft; das spricht Bände über das erbärmliche Niveau der Organisiertheit an der Basis.

Die Vorstände der größeren Gewerkschaften bleiben sklavisch an Labour gekettet. Sie haben trotz zunehmenden Unmuts über Labour und populärer Antikriegs- und antineoliberaler Stimmungen im Sinne der Ruhigstellung des Klassenkampfs gehandelt. Eine breite Arbeitervorhut – nach Hunderttausenden zählend – hat mit Labour gebrochen; das zeigen Labours dramatische Stimmenverluste und anschwellende Opposition in den Gewerkschaften, in Labours Parteikasse zu zahlen. Zwei der kämpferischsten Gewerkschaften (FBU und RMT) haben Labour verlassen. Letztere begann eine Debatte über die politische Vertretung der Arbeiterklasse. Die Aufgabe besteht jetzt darin, dieser Avantgarde beizustehen, eine neue Arbeiterpartei aus der Taufe zu heben.

Wie lautet das Fazit? Trotz des Nein in Frankreich, trotz Chiracs und de Villepins Niederlage beim Entwurf für ein Ersteinstellungsgesetz (CPE), trotz der Ungewissheit des Schicksals der großen Koalition in Deutschland und der „linken“ Prodi-Koalition in Italien bleibt die europäische Bourgeoisie gezwungen, die Lissabonner Agenda durchzusetzen Die Konkurrenz aus USA und Fernost bedeutet, dass die europäischen Konzerne ihre Attacken auf das Lohnniveau und die Arbeitsbedin-gungen weiterführen und sie sogar verschärfen müssen. 2006 und 2007 stehen weitere Großoffensiven auf Kernschichten der Arbeiterklasse und die organisierte Arbeiterbewegung an. Gleichzeitig wird die europaweite Offensive v.a. Bildungs- und Gesundheitswesen sowie öffentliche Daseinsfürsorge betreffen. Die Abwehrkämpfe werden voran schreiten und damit auch die Spannungen zwischen Gewerkschaften und sozialistischen, sozialdemokratischen und Labour-Parteien, wo diese sich an der Regierung befinden.

Die Europäische Linke (EL) in Kontinentaleuropa schart um sich Kritiker der Mehrheitssozialdemokratie wie die KP Frankreichs (KPF), Rifondazione Comunista (RC), die deutsche L.PDS und die griechische Synaspismos. Sie sind innerhalb des ESF aktiv und spielen sich als antineoliberale Systemgegner auf. Doch ihnen geht es nur darum, Posten zu erobern oder sich an ihre Ämter zu klammern. Das gelingt aber gemäß Wahlarithmetik nur in Koalitionen mit großen rechtsreformistischen Parteien wie der DS in Italien, der SPD in Deutschland oder der französischen Sozialistischen Partei (PS). Diese wird als Preis die Unterstützung für ein völlig „sozialliberales“ Programm verlangen, eines neoliberalen in Taten und sozialreformerischen in Worten. Die linksreformistischen Kräfte in Europa werden so in den kommenden Jahren vor einer ähnlichen Krise stehen wie das ESF, das sie dominieren.

Zunehmende Spannungen in den USA

Die neokonservative Präsidentschaft Bush-Cheney wird ihren „Anti-Terror-Krieg“ bis zum Ende ihrer Amtszeit verfolgen. Aber das passiert gegen eine ansteigende Welle des Widerstands: sowohl daheim wie dort, wo sie direkt Krieg führt. Das Ziel ist, wirtschaftlich wertvolle Länder einzuschüchtern und zu plündern sowie strategische Militärstützpunkte zu errichten. Parallel dazu dient die „Terrorgefahr“ als Vorwand für eine „Strategie der Spannung“ im Heimatland: Angriffe auf demokratische Freiheiten, Gewerkschaftsrechte, das Anfachen rassistischer und reaktionärer Strömungen, Pogrome usw. eingeschlossen.

Der Konflikt bei Delphi stellt den schlimmsten dieser Angriffe dar und ist schon bezüglich seiner Bedeutung für die amerikanischen Bosse mit dem Patco-Streik von 1981 verglichen worden. Jener ist jedoch nicht der einzige Streik, der jüngst in der US-Industrie stattgefunden hat; auch endeten nicht alle diese Streiks in Niederlagen.

Unter dem Druck der Unternehmeroffensive und nach einer Gärung innerhalb der Gewerkschaften spaltete sich 2005 die US-Arbeiterbewegung – ein historisches Ereignis an sich. Die zwei Gewerkschaftsverbände Change to Win (Wandel fürs Gewinnen) und AFL-CIO verkörpern einerseits eine prinzipienlose bürokratische Spaltung, die die Klasse schwächt, weil sie zum Streikbruch bei Kämpfen der jeweils anderen Seite geführt hat. Andererseits aber repräsentiert sie das Ringen von Teilen der US-Arbeiterschaft, effektivere Instrumente zu ihrer Selbstverteidigung, ja Selbsterhaltung zu finden.

Der organisierende Flügel (CTW, angeführt von Andy Stern von der SEIU) versucht, den Dienstleistungsbereich gewerkschaftlich zu organisieren und die Löhne zu heben. Er wird militante Kampagnen führen und dabei Methoden des Stadtteil-Gewerkschaftertums anwenden. Er ist dennoch in seiner Arbeitsweise bürokratisch, d.h. feindlich gegenüber der Basisorganisierung. Allerdings versucht er, die örtliche Bevölkerung und studentische Organisatoren einzubeziehen.

Verknüpft damit, aber eigenständig, ist die Selbstorganisation der eingewanderten Latino-ArbeiterInnen. Eine neue Bewegung ist erwacht, die das Potenzial hat, die US-Arbeiterbewegung zu stärken. Sie fällt zusammen mit dem Beschluss der Bush-Administration, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich der Aufruf „Für einen 10. März ohne Latinos“. Es war ein Streik, der die Unersetzlichkeit der eingewanderten Lohnabhängigen für die US-Wirtschaft demonstrierte. Eine halbe Million (inkl. KoreanerInnen, PolInnen, IrIn-nen usw.) folgte diesem Aufruf. Auch Kleinhändler, SchülerInnen, RentnerInnen schlossen sich an.

Diese Massenbewegung brachte darüber hinaus die größte Demonstration in der Geschichte von Los Angeles auf die Beine: 1.000.000 am Samstag, dem 25. März. Am 10. April waren bundesweit zwei Millionen auf den Straßen (wochentags und darum tw. ein politischer Generalstreik). Für den 1. Mai rief man zu einem „Großen Amerikanischen Boykott 2006“ auf: kein Einkauf, keine Schule, keine Arbeit.“

Diese Bewegung ist deshalb im Kern eine proletarische, verwurzelt in Arbeitergemeinden, Klassenkampfmethoden anwendend und Klassenforderungen aufstellend. Sie verfügt über massive Unterstützung unter der Jugend. 40.000 SchülerInnen verließen in Solidarität mit ihren Eltern in Los Angeles am 27. März den Unterricht – trotz heftiger Polizeirepressalien. Gewerkschaftsführer – besonders Andy Stern und die SEIU – mischten kräftig mit. Doch die Latino-Gemeinde ist wie alle klassenübergreifend. Sie besteht auch aus anderen, teils unterdrückten Klassen: Kleinbauern (die in Solidarität mit der LA-Demo vom 26. März an die Öffentlichkeit gingen), Ladenbesitzer etc. Die Demokratische Partei und die katholische Kirche sind auch mit dabei und versuchen, die Kraft der  Bewegung auf die Mühlen bürgerlicher Politik zu lenken, d.h. in Stimmen für die DP umzumünzen.

Die Gewerkschaften der AFL-CIO wie die der Automobilarbeiter UAW sind waren in die Defensive geraten, so dass sich dort eine Basisopposition formiert hat. Der besonders arbeiterfeindliche Charakter der amerikanischen Demokratie kann an der Behandlung ermessen werden, die dem New Yorker Verkehrsstreik im Dezember 2005 zuteil wurde. Der  TWU Ortsverein 100 (U-Bahn) wurde für den Streik vom 21.-23. Dezember 2005 mit 2,5 Mio. Dollar bestraft. Deren Vorsitzender Roger Toussaint mit 1000 Dollar, zusätzlich wurden gegen ihn 10 Tage Gefängnisstrafe wegen Rädelsführerschaft verhängt (beachte: alle Streiks im Öffentlichen Dienst New Yorks sind illegal). Es besteht eine echte Möglichkeit, dass es weitere Spaltungen und Brüche in der AFL-CIO gibt und diese sogar der CTW und den Latino-Teilen der Arbeiterbewegung einen neuen demokratischen und kämpferischen Impuls verleihen.

Um zu vermeiden, dass die Arbeiterbewegung auf den Holzweg geführt wird, die großbürgerlichen Demokraten zu unterstützen, müssen aktive ArbeiterInnen und sozialistische Organisationen eine Kampagne für die Bildung einer Arbeiterpartei führen – nicht als reformistische, sondern als Massenarbeiterpartei, die in den Gewerkschaften und Arbeitervierteln, bei den rassistisch Unterdrückten und Einwanderern verankert ist und ihr Programm demokratisch debattiert. Dabei sollten RevolutionärInnen versuchen, sie für ein revolutionäres Übergangsprogramm und eine neue Internationale zu gewinnen. Jeder größere Schritt in Richtung Klassenunabhängigkeit und Internationalismus seitens der Lohnabhängigen wird die Weltherrscher erzittern lassen!

Nah- und Mittelost in Flammen

Die Situation in Mittelost ist gekennzeichnet durch die Besatzung des Irak und Fortführung der von USA und Britannien befehligten Invasion und die Versuche der Zionisten, den letzten Widerstand gegen ihr Projekt Großisrael aus dem Weg zu räumen. Diese Situation wird in zunehmende, v.a. antiimperialistische Kämpfe münden. Um die Kontrolle dieser Widerstandsbewegungen gegen Unterdrückung und Imperialismus konkurrieren verschiedene Klassenkräfte. Dabei muss das Proletariat zum Führer dieser Bewegung werden.

Der prägende Widerspruch in der Region ist der zwischen der zunehmenden antiimperialistischen Radikalisierung der Massen und dem Verlangen der diktatorischen arabischen Regime, den US-Imperialismus zu besänftigen, eine Annäherung oder einen Kompromiss zu erreichen. Die Staatsführer werden vor die fatale Wahl gestellt, die USA zu unterstützen oder in der „Achse des Bösen“ und auf der Fahndungsliste des Pentagon zu landen. Selbst Iran und Syrien, prominente „Schurkenstaaten,“ haben ihre Bereitschaft zum Verhandeln und zum Manövrieren zwischen EU und USA bewiesen, zugleich pflegen sie ihre antiimperialistische Rhetorik.

Kurzfristig ist es wahrscheinlicher, dass die USA ihre Okkupationskräfte in Irak und Afghanistan verstärken werden, als den Iran anzugreifen. Ein Angriff ist aber nicht ausgeschlossen und ein Rückzug wäre höchstens vorübergehend, weil es unter den aktuellen Umständen der US-Herrscherklasse unmöglich ist, Vereinbarungen mit ausdrücklich islamistischen und rhetorisch antiwestlichen Regimes zu treffen.

Im Irak flaut die Gegenwehr gegen die Besatzung nicht ab. Der April 2006 war einer der blutigsten Monate für die Besatzer. Das gilt auch für die Briten in Basra, die eine kämpferische Massendemonstration, welche in Ausschreitungen gegen die Besatzung überging, niederwerfen mussten. Die USA betrachten die Wahl der Regierung als Schritt auf dem Weg zur „Stabilisierung“ des Konflikts. Die Unfähigkeit der Verbündeten, die Widerstandsbewegung vollständig auszurotten, bedeutet aber, dass diesem politischen Übergang Instabilität und Probleme auf dem Fuß folgen. Die Widerstandsbewegung selbst ist jedoch damit gescheitert, die Besatzungsstreitkräfte wirklich zu besiegen. Die zunehmend sektiererischeren Überfälle seitens einer Minderheit der Bewegung und die Anfänge einer tiefen und materiell bedingten Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten könnten mittelfristig zum offenen Bürgerkrieg.

In diesem Falle wird die US-gelenkte Koalition auf den Ölfeldern im Süden präsent bleiben und den Rest des Landes sich selbst überlassen. Das würde dazu führen, sich zunehmend auf andere Golf-Öl-Staaten verlassen zu müssen, denn die Pipelines durch den Norden des Landes können unmöglich beschützt werden. Nur der Rauswurf der imperialistischen Mächte durch den Widerstand und eine Arbeiterschaft an dessen Spitze kann eine fortschrittliche Lösung einleiten.

Der militaristische Grundcharakter des Siedlerstaats Israel ist bei seinen Handlungen im Gazastreifen und im Libanon im Juni 2006 erneut offenbar geworden. Die angebliche Provokation durch Hisbollah und Hamas wurde erfunden, um die wahren Aggressoren in der Region vor Kritik abzuschirmen. Die Taten der Guerillabewegung münden stets in prompte und ausschweifende Vergeltung durch die überlegene Militärkraft der israelischen Armee. Das Ausmaß der Zerstörungen im Libanon und die anhaltende Besatzung im Gazastreifen verdeutlichen, dass der israelische Staat die echte Bedrohung für die Stabilität in der Region ist.

Die Imperialisten können ihre israelischen Verbündeten nicht zügeln (17), obwohl ihre Machenschaften eine prowestliche, antisyrische Regierung in Beirut zu stürzen drohten. Das zeigte, dass es innerisraelischen Druck in die Richtung hin gibt, seine Militärmacht wieder zu festigen, um jeglichen „Gesichtsverlust“, den es beim Abzug aus dem Gazastreifen 2005 erlitten haben mag, wettzumachen.

Die Aktionen der Israelis waren geplant. Wie Washington einen permanenten weltweiten Krieg braucht, um seine Weltherrschaft durchzusetzen, so braucht Israel permanenten Krieg, um seine regionale Dominanz zu behaupten.

Das Finale der Intifada wird gerade eingeläutet. Mangels einer kohärenten Führung wird die ehedem radikale islamistische Hamas-Bewegung zunehmend zwischen ihrer Basis unter der Stadtarmut im Gazastreifen und den Wünschen und Ansprüchen ihrer parlamentarischen Spitzenvertreter zerrieben. Die klassische Falle für kleinbürgerliche Bewegungen, die schon bei Sinn Fein und der PLO funktionierte, ist auch in Nahost aufgestellt. Hamas könnte infolge ihrer gesellschaftlichen Position wohl gezwungen sein, ihre radikaleren Forderungen (z.B. Nichtanerkennung Israels) aufzugeben und sich mit den Imperialisten zu arrangieren. Das könnte ihre Unterstützerbasis gründlich durchschütteln (18).

Der Bau der Apartheid-Mauer und das Ende des Traums von einem starken, lebensfähigen Palästinenserstaat bedeutet zunehmend Armut und Elend für die Mehrheit der auf dem Westufer lebenden PalästinenserInnen. Diese Albtraumexistenz – Israel hat palästinensischen Boden und die Infrastruktur zerstückelt – wird die völlige Unangemessenheit der „Zwei-Staaten-Lösung“ für Palästina enthüllen.

Nun steht Iran im Fadenkreuz des US-Imperialismus. Die Entfernung des Regimes, seine Ersetzung durch eine beugsame, prowestliche Regierung ist für die nachhaltige Ordnung der Region für die USA und ihre Verbündeten wichtig. Iran ist ein höchst instabiles Regime, das als Organisator für den politischen Islam fungiert. Gleichzeitig sieht es sich einer erstarkenden Regimeopposition seitens der Lohnarbeiterklasse gegenüber. Iran hat eine junge Bevölkerung, ein sehr verfestigtes reaktionäres Regime und zunehmende Sozialprobleme. Über 12 Millionen leben in Armut. Gewaltige Polizeiunterdrückung selbst der grundlegendsten Arbeiterforderungen stellt den politischen Islam als Feind der Arbeiterschaft in einem seiner Kernländer bloß.

Veranstaltungen am 1. Mai zogen viele ArbeiterInnen an, die im Kampf standen. Jüngste Massenarreste streikender Busfahrer und von GewerkschafterInnen hat internationale Kampagnen auf den Plan gerufen, die die Freilassung der meisten von ihnen erreichen konnten.

Eine Unterschriftenliste für höheren Mindestlohn kursierte ist in vielen Städten des Landes. Der Busfahrerstreik wurde so brutal von der Polizei niedergeknüppelt, dass er internationale Aufmerksamkeit erregte. Kurz: seit vielen Jahren macht die iranische Arbeiterschaft wieder auf sich aufmerksam. Doch weil der Stalinismus in den 1970er und 80ern daran scheiterte, eine alternative Klassenführung zu den Islamisten aufzubauen, wurde das Gros der Arbeitervorhut im Iran von der reaktionären Diktatur nach der Revolution zerstört.

Es besteht die Gefahr, dass die neue Arbeiterbewegung dabei versagt, nicht nur in Opposition zu Unternehmern und dem Regime zu treten, sondern auch zu den Plänen des US-Imperialismus für die Region. Das würde Ahmadinedschad mit seiner antiimperialistischen verbalen Kraftmeierei gestatten, sich als Kopf der antiimperialistischen Bewegung in Mittelost zu posieren. Statt die Politik des „Dritten Lagers“ einzuschlagen, sich aus dem antiimperialistischen Kampf herauszuhalten, muss die Arbeiterbewegung im Iran, ja in ganz Nah- und Mittelost, danach trachten, zur Speerspitze des Kampfs gegen den Imperialismus zu werden und mit dem gegen Kapital und Reaktion daheim zu verknüpfen.

Die Diktatur in Ägypten zeigt sich weiterhin in der Lage, ihre pro-imperialistische Linie mittels der Staatsgewalt durchzusetzen. Sie ist praktisch kompromittiert durch ihre Unterstützung für den Irakeinmarsch und ihre Verträge mit Israel. Das hat zu einem Wiederaufflammen der Protestbewegungen von ArbeiterInnen und BürgerrechtlerInnen gegen das Regime geführt. Die anhaltende Bedeutung der regelmäßigen Konferenzen in Kairo hat sich als Anziehungspol für antiimperialistische Kräfte international entpuppt.

Angesichts massiver Repression existiert die Demokratiebewegung „Kifaya“ weiter. Ihre Mitgliedsbasis innerhalb von Teilen der Intelligenz und der Anfang neuer Entwicklungen in der Arbeiterbewegung verweisen darauf, dass es ein Potenzial für eine Massenbewegung in Ägypten gibt, die mittelfristig die Regierung stürzen könnte. Doch gegenwärtig hat sie keinen Massencharakter und wird von Nasser-Anhängern, der Moslembruderschaft und verstreuten subjektiv sozialistischen AktivistInnen dominiert.

Lateinamerika: Ein Kontinent in Aufruhr

Es existiert eine „Einheitsfront“ aus bürgerlich-populistischen und Volksfrontregimes in Lateinamerika. Sie ist aber weit von einem vereinten radikalen Bündnis entfernt. Viele darunter – Kirchner in Argentinien, Lula in Brasilien, Tabare Vasquez in Uruguay, sogar Morales in Bolivien – verfolgen eine „sozialliberale“ Politik. Sie machen sich daran, Schulden an den IWF zurückzuzahlen unter dem Vorwand, das würde den IWF davon abhalten, ihre versprochenen (aber kaum ein-gehaltenen) Sozialprogramme zu blockieren, die auf Linderung der Armut zielen.

Der IWF vertraut Kirchner in Argentinien noch aus zwei Gründen: weil seine peronistische Ideologie eine Form konservativer bürgerlicher Volkstümelei bleibt und der IWF erhebliche Zugeständnisse machte, um Argentinien aus der vorrevolutionären Situation 2001/2002 herauszulotsen. Kirchners „Sozialreformen“ sind so teils ein Produkt des Neustarts der argentinischen Wirtschaft nach ihrem Kollaps und teils der Tatsache geschuldet, dass der IWF keine weitere Krisenherd will. Trotzdem haben auch in dieser Aufschwungphase Schichten argentinischer Lohnabhängiger gestreikt, um wieder Lohnniveaus zu erlangen, die 2000-2003 verloren gegangen waren.

In Brasilien und Uruguay stehen Lula und Tabare Vasquez an der Spitze von Administrationen, die eher klassische Volksfronten darstellen als dass sie nur populistisch sind. Sie umfassen die Mehrzahl der Arbeiterorganisationen, halten somit den Arbeiterwiderstand nieder. „Bürgerliche Minister“ bleiben voll zuständig für Finanz- und Industriepolitik. Deshalb ihre neoliberale Politik und die Mitleid erweckend geringen Ressourcen für die Bedürfnisse der Armen.

Da ist die Außenpolitik eine einfachere Sphäre, um gegen den Imperialismus anzutreten. Die OAS-Treffen im Sommer 2005 weigerten, Venezuela zu „isolieren“ oder den USA irgendeinen Vorwand zur Intervention zu geben, „wenn die Demokratie bedroht würde,“ Die Freihandelsära beider Amerikas sollte angeblich am 1. Januar 2005 unterzeichnet werden. Aber auf dem Amerikagipfel in Mar del Plata, umringt von einer riesigen Protestmobilisierung, war es selbst für George Bush offensichtlich, dass das eine Totgeburt war.

Aber Venezuela unter Hugo Chavez agiert weiterhin als enorm radikalisierendes Element in Zentral- und Südamerika, ja darüber hinaus. Auf dem ganzen Kontinent möchten populistische Führer als Lokalausgaben von Chavez betrachtet werden und möglichst dessen Segen erhalten. Chavez‘ Radikalität ist Folge einer tief gehenden und anhaltenden revolutionären Periode in Venezuela, kein Charakterzug einer Einzelperson. Mehrmals musste er die Massen mobilisieren: bei seiner Wahl 1998 und 2000, am spektakulärsten bei der Niederschlagung des Putsches 2002 und jüngst beim Abberufungs-Volksentscheid der Rechten 2004.

Unmittelbar nach seiner Wahl folgte ein harter Konflikt mit den Eliteinstitutionen, dem Kongress und der Geschäftsführung der Ölindustrie. Das erforderte eine Verfassunggebende Versammlung und den Bruch des „Streiks“ seitens der Manager- und Arbeiteraristokratie„gewerkschaften“ und die Gründung neuer. Die Allianz mit Castro ist für beide vorteilhaft: Ärzte und Militärberater aus Kuba, Öl aus Venezuela – ein offener Bruch des US-Embargos gegen Kuba. Die Wut der USA über das Bündnis hat Chavez enormes Renommee als „Revolutionär“ trotz des sozialdemokratischen Kernes seines bolivarianischen Programms verschafft. Die augenscheinlichen sozialen Errungenschaften wurden v.a. durch die Öleinkünfte des Landes möglich – und weil das Proletariat und die Bauernschaft Druck auf ihn ausüben.

Chavez genießt immense Autorität als bonapartistischer Caudillo. Die „Bolivarianischen Missionen“ stellen auch eine Massenmobilisierung dar, doch unter Kontrolle radikaler Chavistas. Sie ersetzen folglich die „amtlichen“ Abteilungen der Staatsmaschine bei der Umsetzung bedeutender Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Alphabetisierung,, den Eingeborenenrech-ten, der Landreform und Dorfentwicklung. Unter diesem Druck bewegt sich Chavez sich nach links – von Sozialismus schwätzend – und trotzt verächtlich den aggressiven Tönen des US-Imperialismus.

Anfang 2005 gab es eine Reihe von Landbesetzungen in Venezuela, die bemerkenswerteste darunter auf den 130 km2 großen Latifundien, die der britischen Vestey Gruppe gehörten. Chavez verkündete ein Dekret zur Beschleunigung der Landreform. Es gab auch eine Reihe Fabrikbesetzungen sowie Anerkennungen von Arbeiterselbstverwaltung seitens der Regierung. Die Chavista-Gewerkschaften sind schnell gewachsen und zu wirklichen Verbänden geworden, nicht einfach zu Marionetten von Chavez. 2005 rekrutierte er die 1,5 Millionen starke „Militärreservemission“.

Auf dem Weltsozialforum (WSF) 2005 und dem WSF 2006 in Caracas bewarb sich Chavez um die ideologische Führerschaft der weltweiten antikapitalistischen Bewegung. Er erklärte, sie müsse eine „Strategie für die Macht entwickeln“ und es sei „notwendig, den Kapitalismus zu überschreiten“. Sicher, sein „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und „Internationalismus“ besitzen einen reformistischen/populistischen Grundzug, wirken aber als Sammelpunkt für Kräfte, die vom sozial-liberalen Lula und von der brasilianischen PT enttäuscht sind. Sein Europabesuch könnte diesen Einfluss ausweiten.

Die Beanspruchung der USA durch Afghanistan/Irak/Iran und den „Krieg gegen den Terror“ macht jede ernsthafte Intervention gegen Chavez in der nächsten Periode unwahrscheinlich. Solange das Konjunkturhoch anhält und die Ölpreise hoch bleiben, gerät Chavez wahrscheinlich auch nicht in eine innenpolitische Krise, die vom Bürgertum ausgelöst wird. Doch ein Weltwirtschaftseinbruch könnte das ändern.

Wir wurden Zeugen der am schärfsten zum Ausdruck gekommenen revolutionären Situation Mitte 2005 in Bolivien. Boliviens Präsident Carlos Mesa wurde am 6. Juni nach einem Monat von Generalstreiks, Massendemonstrationen und Straßenblockaden zur Abdankung gezwungen. Die Bewegung entsprang in El Alto und wurde von Volksversammlungen organisiert, die sich in einer räteähnlichen Körperschaft aus Delegierten der ArbeiterInnen und Armen konzentrierten: der Föderation von Nachbarschaftskomitees (Fejuve). Sie verlangte die vollständige Verstaatlichung der Gas- und Ölvorkommen des Landes, die Ende der 1990er privatisiert worden waren. Im Mai rief die Fejuve, unterstützt vom bolivianischen Gewerkschaftsdachverband COB, einen unbefristeten Generalstreik für diese Forderung aus.

Anfang Juni waren La Paz und die meisten anderen Großstädte von Streik und Straßensperren gelähmt und der Präsident reichte seinen Rücktritt ein. Der Kongress ernannte Eduardo Rodriguez als Nachfolger, der die Situation entspannen sollte. Die Großgrundbesitzer und Spitzengeschäftsleute aus der reichen Provinz Santa Cruz erwogen, ihre Region, in der fast alle Öl- und Gaslvorkommen liegen, als unabhängig zu erklären und einen Kuhhandel mit den imperialistischen Ölgesellschaften abzuschließen, wichen aber dann davor zurück.

Der Präsident und Lückenbüßer, dessen Aufgabe es war, neue Präsidialwahlen zu arrangieren, hat seine Arbeit erledigt. Bei allem revolutionären Gerede konnten die Führungen der Gewerkschaften, der Fejuve und der mannigfaltigen Volksversammlungen keine Alternative anbieten, weil sie über kein Programm und kein politisches Instrument, d.h. eine Partei, zur Machtergreifung verfügten. Evo Morales war so bei aller Kritik an ihm, seinem Reformismus, seinem Verrat des Kampfes von 2003, seiner Doppelzüngigkeit bezüglich der Nationalisierung, der einzige „populäre“ Kandidat. So wurde er Präsident. Obwohl die Hauptorganisationen, die den Generalstreik leiteten, der COB und die Fejuve, ihm misstrauten, schafften sie nicht, eine Arbeiterpartei oder ein Bündnis zwischen Lohnarbeitern, Armen, Bauern und Eingeborenenkommunen zu schmieden, die allein den revolutionären Kampf fortführen können.

Morales scheint dem Imperialismus, der ihn beharrlich hofiert, Zugeständnisse zu machen, ebenso den Grundeigentümern in Cruzeno, denen er eine Volksabstimmung über Autonomie versprochen hat, bevor sich die Konstituierende Versammlung trifft – ein verräterischer Betrug an den Forderungen der Massen. Ein heikler Punkt ist die Einberufung einer souveränen Konstituante, die wirklich über das Eigentum an Öl, Gas und anderen Naturschätzen entscheiden kann, aber auch über das an Grund und Boden sowie Fabriken. Um souverän, d.h. unter Kontrolle der Massen, nicht des Obersten Gerichts, der Armee oder „autonomer“ bürgerlich kontrollierter Regionen zu stehen, muss die Massenorganisation, die den Generalstreik ins Leben rief, die Kontrolle der Wahlen zur Konstituante in die Hand nehmen. Doch wenn die revolutionäre Periode in Bolivien anhält, wird sich Morales bald Massenaktivitäten der ArbeiterInnen, Bauern und der Stadtarmut gegenüber sehen.

Mehrere Populisten stehen vor einem Wahlsiegs: am bemerkenswertesten Ollanto Humala in Peru und Lopez Obrador (19) in Mexiko, beide wahrscheinlich Morales oder sogar Lula näher stehend als Chavez. Die lateinamerikanische Linke ist alles andere als eine vernachlässigbare Kraft. „Trotzkistische“ Gruppen haben wichtige Rollen in der Arbeitervorhut in einer Reihe bedeutender Länder gespielt (Argentinien, Bolivien und Mexiko). In Brasilien und Venezuela haben die Ereig-nisse zu einem Anwachsen zentristischer Parteien geführt, die Militante aus verschiedenen „trotzkistischen“ Strömungen sammeln. Sektiererische Verdammung von und Heraushalten aus volks-tümlichen Auseinandersetzungen mit dem US-Imperialismus und seinen Handlangern in den nationalen Establishments ist genauso verhängnisvoll wie die Anpassung an Chavez und Co. Aber die Notwendigkeit, die Strategie für die permanente Revolution konsequent zu vertreten und Über-gangsforderungen anzuwenden, erfordert den Aufbau unabhängiger Klassenparteien auf einem revolutionären Programm.

Asien: ansteigende Welle von Klassenkämpfen

Die unerwartete Wahl der von der Kongress-Partei angeführten UPA-Koalitionsregierung von Ministerpräsident Manmohan Singh 2004 änderte nichts daran, dass die Bourgeoisie und ihre Regierung ein Programm neoliberaler Reformen umsetzen. Indiens beschleunigte Wirtschaftsentwicklung mit hohen Jahreswachstumsraten und florierenden Exporten hat das Handelsbilanzdefizit des Landes massiv verbessert, obwohl es Nettoimporteur bleibt. Die Auslandsdirektinvestitionen sind angestiegen, aber die „Liberalisierung“ muss vom Bürgertum noch weiter voran gebracht werden wegen des noch bestehenden hohen Niveaus an Arbeitsschutz, Staatseigentum und staatlicher Kontrolle der Arbeitsmärkte, Einschränkungen durch Planung, Zölle und hohe Besteuerung.

Die neue Regierung versicherte den Investoren sofort, dass sie das neoliberale Reformprogramm energisch durchziehen würde. Die KP Indiens (M) hat keinen systematischen Widerstand gegen Privatisierungen und andere neoliberale Maßnahmen geleistet – und hat das auch nie versucht. Wo sie in einer Provinzregierung herrscht – in Westbengalen und Kerala – hat sie tatsächlich die Angriffe selbst durchgeführt. Singh will eine noch größere neoliberale „Gegenreform“ und bietet den Gemeinden 11 Mrd. Dollar für „Investitionen“ an – als Ausgleich für ein Paket struktureller Anpassungsprogrammen.

Dieses beinhaltet den Wegfall der Mietobergrenzen, Privatisierung und Verteuerung öffentlicher Servicedienste (Wasser), Abschaffung der Einschränkungen für Großgrundbesitz, Senkung der Unternehmenssteuern usw. In einem Land mit entsetzlicher Armut, mit amtlich 10% Arbeitslosen und Hunderten Millionen, die in absolutem Elend in den wachsenden Slums der Großstädte leben, werden Singhs Deformen die Leiden der Massen noch verschlimmern und Abwehrkämpfe provozieren.

Die USA haben natürlich Ambitionen zur Bildung eines starken Bündnisses mit Südasiens wirtschaftlich und militärisch dynamischster Regionalmacht. Die USA betrachten Indien als ihren potenziell effektivsten und verlässlichsten Gendarm in der Region. Mit seiner gewaltigen Armee und 19 Mrd. £ Militärbudget erlangt Indien für die USA immer größere Bedeutung. Washington sieht es als wirtschaftliches und militärisches Gegengewicht zu China und als Aufpasser gegen die potenziell destabilisierende Radikalisierung in Pakistan, Nepal und Sri Lanka.

Aber in Indien sind auch die gegen die neoliberale Globalisierung gerichteten Kräfte riesig. Außer in den äußersten nordöstlichen Berggegenden provozierte Bushs Staatsbesuch gewaltige Demonstrationen in jedem Staat. Von Kaschmir bis Tamil Nadu protestierten die Arbeiterbewegung, Bauernorganisationen und Muslime unter Parolen wie „Teufel Bush, geh nach Hause“. Attacken gegen die Eisenbahnarbeiter und die ständigen Bestrebungen der Regierung, ihrem Privatisierungsprogramm neues Leben einzuhauchen, lösten im September 2005 einen Generalstreik (hartal) aus. Die Bauern beteiligen sich permanent an Kämpfen um Land gegen die Zamindari-Landbesitzer (z.B. Aufstände in Bihar, s.u.) wie auch gegen globale Agrarkonzerne wie Monsanto (Kampagne „Ä-schert Monsanto ein!“).

Die Führungskrise des indischen Proletariats ist zugespitzt. Die KPI (M) – die größte indische Arbeiterpartei – gewann 2004 über 22 Millionen Stimmen, obwohl sie nur für 69 der 543 Sitze antrat. Ihre 43 Unterhausabgeordneten (Lok Sabha) unterstützen die UPA-Regierung, obwohl die KPI (M) formell nicht an der Koalition teilnimmt.

Die Maoisten profitieren vom Zorn der Bauern und den Auswirkungen des Bauernkrieges in Nepal. 2004 fusionierte die Gruppe Volkskrieg mit dem „Marxistischen Koordinationszentrum“ zu einer neuen Partei: der KPI (Maoisten). Sie blockierten Wahlen, waren aber unfähig, eine nennenswerte proletarische Gefolgschaft zu organisieren. Die Maoisten führten Guerillaüberfälle gegen die Privatarmee der Grundbesitzer, das Heer und die Polizei durch. Sie wollen eine an der Grenze zu Nepal gelegene Zone für Militäroperationen, besonders in Bihar, und in Andhra Pradesh einrichten.

Das Risiko kommunalistischer Gewalt bleibt hoch. Obwohl die Kaschmir-Krise nachgelassen hat, bleiben die Spannungen. Die provokative Unterstützung der hindu-chauvinistischen Hauptoppositionspartei BJP für den Bush-Besuch, Bombenexplosionen an heiligen Hindu-Plätzen in Varanasi in Uttar Pradesh und die Kontrolle des Hindu-Kommunalisten Shiv Sena über Mumbais Stadtregierung sind extrem gefährliche Entwicklungen.

Wenn MarxistInnen sich dieser Führungskrise zuwenden, müssen sie hauptsächlich die KPI (M) entlarven. Angesichts ihrer enormen Stimmenanzahl, ihrer Präsenz selbst in verstreuten kleinsten Dörfern, ihrer Massenmitgliedschaft von über 800.000, ihrer Kontrolle über die Hauptgewerkschaftsföderation CITU und ihrer Frauen- und Jugendmassenorganisationen bleibt diese bürgerliche Arbeiterpartei sowohl die Hauptpartei der indischen ArbeiterInnen wie das Haupthindernis für die Herausbildung einer revolutionären Partei. Die Existenz kleinerer, aber immer noch vergleichsweise großer „alternativer kommunistischer“ Parteien wie der RSP und ihrer Jugendbewegung RYF verkompliziert die Aufgabe. Jede Wiederbelebung des Leninismus-Trotzkismus in Indien müsste Politik und Programme solcher Parteien einer rigorosen Kritik unterziehen.

In Pakistan verliert die Diktatur des Generals Pervez Musharraf sechs Jahre nach dem Militärputsch schnell an Rückhalt in der Bevölkerung. Seit dem Putsch versuchte er, sich Unterstützung auf Grundlage seines Images als „starker Mann“ gegen Korruption zu sichern. Aber dann kam der „Krieg gegen den Terror“ und die Besatzung Afghanistans.

Da die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Muslime sind und angesichts der Nähe zu Afghanistan, hat Musharrafs sklavische Unterstützung für Bush und die US-Bombenangriffe auf die pakistanische Seite der afghanischen Grenze weit verbreiteten Hass auf die USA und das Musharraf-Regime provoziert.

Was ist die entscheidende Herausforderung für die pakistanische Arbeiterbewegung? Sie besteht darin, die antiimperialistische Massenstimmung und ihre Forderungen mit dem revolutionären Programm der Befreiung der arbeitenden Klasse zu verbinden – gegen das reaktionäre Programm des Islamismus.

Die Herangehensweise der Arbeiterpartei Pakistans (LPP) ist dabei nutzlos. Ihre Neutralität in der Schlacht zwischen national-islamischen Kräften und den imperialistischen Besatzern (wie im Afghanistankrieg vertreten) stärkt nur die Hegemonie der Islamisten über die antiimperialistische Jugend. Der erbärmliche Block der LPP mit der Nationalpartei und anderen nichtproletarischen Kräften in ihrer neuen AJT – der „Demokratischen Volksbewegung“ – ist ein nichts als furchtbarer pseudopopulistischer Wahlkretinismus, der den Kampf für Unabhängigkeit der Arbeiterklasse in Pakistan zurückwirft.

Der Weg vorwärts für die revolutionären ArbeiterInnen liegt darin, antiimperialistische mit wirtschaftlichen, innenpolitischen und Umweltkämpfen zu verknüpfen, um gegen die reaktionären Islamisten um die Führerschaft des antiimperialistischen Volkes zu kämpfen. Trotz des niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrades in Pakistan existieren wichtige Ausgangspunkte für revolutionäre Agitation und Propaganda im wachsenden Proletariat. 2005 kämpften 65.000 Postbedienstete gegen die Privatisierung. Demonstrationen mit Hunderttausenden von Dezember 2005 bis Januar 2006 zwangen Musharraf, seine Pläne zum Bau eines gigantischen Staudamms am Indus aufzugeben. Im Februar setzten sich 15.000 LehrerInnen in Lahore mit der Polizei auseinander und forderten unbefristete Einstellung sowie höhere Bezahlung. 2006 wurde die gesamtpakistanische Bewegung „Stoppt den Krieg!“ gegründet. Eine islamistische Rebellion ist die wahrscheinlichste nächste Entwicklung in den vor uns liegenden Monaten und Jahren. Wenn die ArbeiterInnen beim Aufbau einer alternativen revolutionär-sozialistischen Führung der Volksmassen Erfolg haben wollen, wird eine revolutionäre marxistische Kaderorganisation dringend gebraucht.

Die Revolution in Nepal ist für die Bauern- und Arbeitermassenbewegungen in der Region weiterhin Ansporn. Schon vor der revolutionären Krise von 2006 hatten die nepalesischen Maoisten die indischen ermutigt, sich zu vereinigen und einen neuerlichen Krieg auf dem Lande zu starten. Aber der Aufstand in Kathmandu vom April 2006 liefert eine dramatische Bekräftigung der Tatsache, dass selbst in Ländern mit zahlenmäßig kleinem Proletariat, die städtischen Massen während der Revolution in den Vordergrund treten, während das feige Bürgertum den Kampf gegen den Absolutismus verrät.

Die nepalesischen Ereignisse können deshalb ein gutes Beispiel für eine gemeinverständliche Darstellung fundamentaler strategischer und taktischer Lektionen des Trotzkismus-Leninismus unter der Vorhut der südasiatischen Arbeiterklasse sein. Die Radikalisierung der Jugend, die Existenz zahlreicher kleiner „kommunistischer“ Gruppen und Strömungen, die Ablehnung von Tradition und Hinduvergötterung des Souveräns seitens der neuen Generation sind mächtige revolutionäre Entwicklungen. Die Annahme leninistisch-trotzkistischer Perspektiven und Programme durch nur eine dieser kleinen Gruppen könnte massiven Eindruck in der Massenbewegung erzeugen.

In China verschärfen sich die sozialen Widersprüche weiter. Der bedeutendste ist der zwischen politischem Überbau und ökonomischer Basis. Die stalinistische Parteidiktatur, die mehr denn je ihrem politischen Zwilling, der faschistischen Diktatur, gleicht, wird für die entscheidenden Klassen im chinesischen Kapitalismus immer lästiger.

Obwohl einzigartig in Ausmaß wie sozialem Inhalt, weil es soziale, politische und ökonomische Überbleibsel des degenerierten Arbeiterstaats mit den verstärkenden und umwälzenden Auswirkungen der einheimischen Kapitalakkumulation, dem Import imperialistischen Kapitals kombiniert, weist auch China – wie die klassischen Fälle des 20. Jahrhunderts – das explosive Potenzial der kombinierten und ungleichmäßigen Entwicklung auf.

20 Jahre nach der Auflösung der Volkskommunen ist der anfängliche Schub für die ländlichen Einkommen, bedingt durch die Rückkehr zur Familienlandwirtschaft, längst verpufft. Von Unzufriedenheit, die sich oft in bewaffneten Zusammenstößen mit Polizei und paramilitärischen Einheiten entlädt, wird praktisch aus allen Gegenden berichtet. Allein 2005 wurden über 80.000 Fälle von Volksaufruhr in Stadt und Land registriert.

Bauernvertreibungen und die Zerstörung ländlicher Gemeinschaften waren dabei genauso wichtige Anlässe, wie Misshandlungen von ArbeiterInnen, Nichtzahlung von Löhnen an Arbeitsimmigranten oder Angriffe auf Rentenansprüche. Die Weiterentwicklung kapitalistischer Agrikultur durch Konzentration von Pachthöfen und Mechanisierung wird nicht nur durch das Staatseigentum an Grund und Boden, sondern auch durch Traditionen von Landumverteilung und die 30jährige Erbpacht von Familienland blockiert. Obwohl noch die Bevölkerungsmehrheit, wird die Bauernschaft unfähig sein, als unabhängige politische Kraft zu handeln. Sie kann nicht ewig eine soziale Stütze der Parteidiktatur sein und wird sich entweder mit dem Bürgertum oder dem Proletariat verbünden müssen.

Die Restauration des Kapitalismus hat eine neue Bourgeoisie in China geschaffen, aber diese hat sich noch nicht auf die Höhe einer Klasse für sich erhoben. Ihr Reifeprozess als Klasse wird durch ihre eigene Zersplitterung in Einheimische, wie unter die „Auslandschinesen“ Taiwans, Hongkongs, Südostasiens und weiter weg in den USA und Europa behindert. Sie alle sind aber momentan auf die Parteidiktatur angewiesen, damit die gesellschaftliche Ordnung gewahrt bleibt. Parallel dazu wächst ihr Verdruss über bürokratische Privilegien und die Hilfe für staatskapitalistische Trusts. Wie die Entwicklung jeder halbkolonialen Bourgeoisie ist auch ihre beschränkt durch die Durchdringung mit imperialistischem Kapital, das sehr wohl in der Lage ist, mit ihr um Arbeitskräfte zu konkurrieren und Anteile am Binnenmärkte zu besetzen. Obwohl sich Teile des chinesischen Bürgertums, besonders ihre Ideologen, mit der Sache demokratischer Reform identifizieren und für sie einsetzen, wird ihre begründete Furcht vor gesellschaftlicher „Unordnung“ immer dafür sorgen, dass sie unzuverlässige Verbündete der geknechteten Mehrheitsklassen sind.

Bezüglich ihrer Zahl und ihres objektiven sozialen Gewichts für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ist das chinesische Proletariat durch die kapitalistische Entwicklung gestärkt worden. Doch die Dynamik des Wandels hat zu beträchtlicher Ungleichheit innerhalb der Klasse geführt. Die Aufhebung des Plans und der Monopolstellung der Staatsindustrie führte zu enormen Entlassungswellen und Pauperisierung etablierter Schichten der Arbeiterklasse, besonders in der Schwer-industrie. Gleichzeitig hat die Entstehung der Kleinindustrie in ländlichen Gebieten und der Großproduktion in den Küstenprovinzen gänzlich neue Sektoren der Klasse geschaffen, die nach Zig-millionen zählen. Diese städtische Arbeiterklasse, die jetzt etwa 350 Millionen zählt, vergrößert sich kontinuierlich durch die Ankunft neuer Wanderarbeiter vom Land, wo etwa 200 Millionen ein riesiges Reservoir billiger Arbeitskraft stellen.

Nichtsdestoweniger drängen die Lebensbedingungen die ArbeiterInnen in Richtung gemeinschaftlicher Lösungen. Ob in der hochprofitablen Ölindustrie, in den umstrukturierten Eisen- und Stahlbetrieben, den kriminell gefährlichen Kohlebergwerken oder den streng beaufsichtigten Ausbeuterbetrieben der Küstenprovinzen – die Berichte über gemeinsame und Gewerkschaftsaktionen nehmen ständig zu. Das Bestehen effizienter Formen von Koordination und Solidarität wird sowohl durch koordinierte Arbeitsniederlegungen wie in der Ölbranche als auch durch den konstanten Informationsfluss, der über Streiks und Demonstrationen im ganzen Land berichtet, bewiesen. Immer wenden sich solche Ereignisse gegen die Unterjochung durch die Diktatur der Staatspartei, die immer bemüht ist, direkte Aktionen zu unterbinden und die Anführer zu entfernen. Doch die Geschichte des Klassenkampfes zeigt, dass Repression nur die Feindseligkeit anheizt und die Lohnabhängigen zwingt, ihre Politik zu verfeinern, ihre Handlungen zu verallgemeinern und neue ArbeiterführerInnen hervorzubringen.

Die großen Spannungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft werden weiter zunehmen. Aufgrund von Jahrzehnten Repression unter einem „kommunistischen“ Regime, werden jene Kräfte, die auf eine demokratische Revolution zusteuern, mindestens so vielfältig und politisch unentwickelt sein wie wir es in Osteuropa oder Zentralasien erlebten. Es ist sicher, dass der Imperialismus, wenn er es für angemessen hält, nicht nur für reaktionäre neokonfuzianische Bewegungen wie die Untergrundvereinigungen Falun Gong und „Qigong“, sondern auch für prokapitalistische „Arbeiter“führer und -parteien Hilfe bereit stellen wird.

Wachstum des Proletariats an Breite und Ausmaß, Zunahme sozialer Ungleichheit und steigendes Widerstandsniveau lassen nur einen Schluss zu: dass die Klassenwidersprüche in China sich verschärfen. Das 21. Jahrhundert wird Schauplatz eine der umfangreichsten Schlachten der bisherigen Geschichte sein: einer dritten chinesischen Revolution; einer Revolution, die diesmal voll und be-wusst eine permanente Revolution werden kann, in der das Proletariat selbst die ganze Macht erringt.

Der Schlüssel für die Wiedergründung einer revolutionär-kommunistischen Bewegung in China wird der Kampf für eine politisch unabhängige Führung der Arbeiterklasse in einem Prozess sein, der zuerst als demokratische Revolution gegen den Einparteienstaat wie auch die Raubzüge der Restauration und des aufsteigenden Kapitalismus in Auslandsbesitz beginnen wird. Sie muss sich auf die Bildung von Kampforganen für Arbeitermacht, ein Programm für die Enteignung des Großkapitals und die Unterwerfung der Produktion in Land und Stadt unter einen Plan stützen. Eine Partei für den Kampf um dieses Programm ist von zentraler Bedeutung!

In Anbetracht der Rolle Chinas in der regionalen und Weltwirtschaft wird eine Revolution in China den tiefsten Eindruck auf Politik und Wirtschaft der ganzen Welt hinterlassen und wird auf die Notwendigkeit einer internationalen Lösung verweisen: einer globalen Planökonomie als einzigem fortschrittlichen Ausweg aus der globalen Krise.

Afrika südlich der Sahara

In dieser Dekade war Afrika südlich der Sahara von blutigen Konflikten geprägt. Es gab einen brüchigen Frieden zur Beendigung des Krieges in der Demokratischen Republik Kongo. Dort waren neuen Staaten einmarschiert, es gab Millionen Tote und Millionen Flüchtlinge. Bürgerkriege sind in Westafrika (Liberia, Sierra Leone, Guinea) sporadisch wieder aufgeflammt, aber nicht in einem so blutigen Ausmaß wie in den 1990ern.

Die BIP-Wachstumsraten haben zugenommen, aber in geringerem Maße als woanders auf der Welt: die Kluft zwischen Afrika und dem Rest ist größer geworden. Einige Volkswirtschaften wie Kenia, Südafrika und Ghana scheinen Weltmarktnischen für sich entdeckt zu haben und wachsen. Aber andere Länder können es nicht mit den Billiggütern aufnehmen, die ihre Märkte überschwemmen. Es drohen zudem auch Umweltkatastrophen und Wasserverknappung (Austrocknung des Tschadsees), die Aids-Ausbreitung dauert an.

In letzten Jahren haben Kampagnen für fairen Handel und gegen Verschuldung – ein Höhepunkt war 2005 „Macht Armut zur Geschichte!“ – weltweit Aufmerksamkeit auf den Kontinent gelenkt und eine neue Schicht AktivistInnen radikalisiert. Aber unter der Ägide des IWF, der Weltbank und der G 8 ist diese Bewegung dazu verkommen, die afrikanischen Länder zu belehren, wie „gute Regierungsführung“ auszusehen habe. Strukturelle Anpassungsprogramme wurden bei wenig geänderten Inhalten, d.h. Privatisierungen und Marktöffnungen für die Handelsströme imperialistischer Länder, umgetauft.  Selbst winzigste Hilfen wie Browns G 8-Abkommen und die Abschreibung einiger Schulden Nigerais durch die britische Regierung waren an verschärfte Auflagen gekoppelt. Jede wirkliche Verbesserung für den afrikanischen Kontinent blieb Illusion.

In den letzten Jahren gab es einige chinesische Investitionen, gewöhnlich für Rohstoffe wie Öl.  China führt jetzt ein Viertel der angolanischen Ölerzeugung ein, kaufte 2004 die Hälfte des sudanesischen Öls auf und importierte Erdöl aus Gabun und Nigeria. 2005 ist der chinesische Handel mit Afrika – im allgemeinen Öl und sonstige Rohstoffe im Tausch gegen Billigwaren und Waffen – auf 30 Mrd. $ gestiegen. Das schafft aber keine Veränderung in diesen Ökonomien. Einen Eindruck davon kann man in Simbabwe bekommen, das weiter ins Unglück schlittert, und im Kongo, wo die Belegschaft der weltgrößten Kupfermine in der Provinz Kinshasa auf wenige tausend Halbwüchsige heruntergefahren wurde, die das Erz mit Spitzhacke und Spaten schürfen und an chinesische Schmelzen verkaufen. Zehn Jahre davor beschäftigte die Mine noch 20.000 Arbeiter bei kostenloser Gesundheitsfürsorge und Schulbildung für sie und ihre Familien. Doch der zunehmende chinesische Einfluss wird in Konflikte mit den imperialistischen Mächten münden.

Doch der Kontinent hat mehr zu bieten als Krankheiten, Auslandsschulden und Tod. Er hat auch kampfstarke Arbeiterklassen wie in Südafrika und Nigeria, wo die Arbeiterbewegung die Gesellschaft mittels Sozialforen hegemonisiert, welche Generalstreiks organisierten und leiteten. Auf ihm wurden erfolgreich Unterveranstaltungen des WSF abgehalten – das zeigt, dass auch dieser Kontinent für antikapitalistische und Antiglobalisierungsideen fruchtbar ist. Es existiert dort eine Geschichte von Kampagnen und Bewegungen in Auflehnung gegen diktatorische und bestechliche Staatsführungen, die normalerweise vom Westen ausgehalten werden, wie die letzten Ereignisse in Äthiopien und Uganda zeigen. Das Problem ist, dass diese Kampagnen und Arbeiterbewegungen – wie MDC und die Gewerkschaften Simbabwes – oft von bürgerlichen Demokraten gesteuert, von liberalen oder sozialdemokratischen NGOs beeinflusst oder westlichen Regierungen genötigt werden. Zweifellos existiert ein Potenzial für ernste Gesellschaftskrisen und plötzliche Umgestaltungen, für ein Eingreifen auf Basis eines revolutionär-marxistischen Programms.

Krise der proletarischen Führung

Mit der Globalisierung und der Neuzusammensetzung des Kapitals entstand in einem Maße, wie seit Beginn der Nachkriegsperiode nicht mehr gesehen, eine neu zusammengesetzte Arbeiterklasse. Ihre wichtigsten Merkmale sind: Schaffung neuer Arbeiterschichten aus der Landbevölkerung insbesondere in China und Indien, die Proletarisierung lohnabhängiger Mittelschichten und ArbeitsmigrantInnen aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Osteuropa, die niedrig bezahlte Arbeit in den Metropolen annehmen. Im Gegensatz dazu sehen wir in den imperialistischen Metropolen und in den meisten Halbkolonien ein Schrumpfen des Industrieproletariats und allgemein der produktiven Abteilungen der Klasse sowie die Ausdehnung unproduktiver Sektoren. Gleichzeitig hat die Globalisierung Teile der Klasse geschaffen, die in den internationalen Konzernen arbeiten und über enormes Potenzial verfügen, weltweit integrierte Produktionsketten zum Stillstand zu bringen.

Wir beobachten auch einen Schwund bedeutender Schichten der „traditionellen“ Arbeiteraristokratie. Wir erleben eine größere Differenzierung innerhalb der Klasse der LohnarbeiterInnen und eine massive Aushöhlung ihrer „gesicherten Errungenschaften.“

Die Katastrophe von New Orleans, die Stärkung der Einwandererbewegung in den USA und die Unruhen in Frankreich haben dazu beigetragen, ein breites und rasch anschwellendes Bevölkerungssegment zu beleuchten – die unteren Arbeiterschichten, die verarmten Kleinbürgerschichten, die dauernd an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Ganz offensichtlich betrifft rassisch Unterdrückte dieses Schicksal am meisten. Somit können wir mehr solche „Aufstände“ erwarten, wie sie in Britannien in den frühen 2000ern und in Frankreich 2006 stattfanden.

Ebenfalls dramatisch ist die Entwicklung in weiten Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Dort werden immer größere Bevölkerungsteile aus der gesellschaftlichen Produktion als solcher vertrieben. Hier hat die Integration in das imperialistische Weltsystem zur Verwüstung ganzer Gesellschaften geführt. Ökologische Schädigungen, Verbreitung von Krankheiten wie Aids, die Bedrohung durch Epidemien, Trockenheit und Wüstenausdehnung wegen des Klimawandels, von rivalisierenden lokalen Eliten ausgefochtene Kriege um Naturreichtümer haben ganze Staaten in den Zusammenbruch getrieben. Wir erleben ihren „Rückzug“ auf überholte Strukturen, die von vorkapitalistischen Gesellschaften geerbt wurden.

Gesteigerte imperialistische Ausbeutung, direkte Militärintervention und immer mehr auf den Weltmarkt ausgerichtete Kapitalaktivität führten auch zu massiver Zunahme von Flüchtlingsströmen und Arbeitsmigration sowohl von Land zu Land wie innerhalb von Staaten. Gleichzeitig schotten sich imperialistische Metropolenländer mittels immer strenger rassistischer Einwanderungskontrollen ab. Die Bewegung unter ArbeitsmigrantInnen in den USA 2006 zeigt, dass auch dies Massenwiderstand hervorruft.

Mehr als je zuvor in der Geschichte werden Lebens- und Arbeitsbedingungen vom Weltmarkt diktiert. Diese „Kommerzialisierung von allem“ erwächst besonders aus der bestimmenden Rolle, die die Finanzmärkte in der aktuellen kapitalistischen Wirtschaft spielen, und dem Zwang, immer mehr Branchen und Länder für den Markt und seine Akkumulation zu erschließen.

Das bedeutet, dass die internationale Einheit zwischen den Arbeiterklassen und mit den verarmten Kleinbauern als Verbündeten zur Vorbedingung für wirklich konsequente Abwehrkämpfe gegen die Übergriffe von Kapital und Imperialismus geworden ist. Das ist der fruchtbare Boden, aus dem nationale und internationale Strukturen für Abwehrkämpfe und letztlich die Bildung einer neuen Arbeiterinternationale erwachsen können.

Das WSF, das ESF und andere kontinentale Foren traten als Ausdruck dieses Widerstands gegen Neoliberalismus und Krieg auf die Bühne. Doch ihre Entwicklung verläuft vor dem Hintergrund bedeutender politisch-ideologischer Tendenzen innerhalb der Arbeiterschaft und der Unterdrückten. Sie ist geprägt von weiterem Niedergang und einer Rechtsverschiebung der traditionellen reformistischen Arbeiterorganisationen, Gewerkschaften und bürgerlicher Arbeiterparteien – während sich gleichzeitig einer Periode der Umgruppierung und Neuformierung der Avantgarde der Klasse abspielt.

Die Parteien der II. Internationale, also die althergebrachten sozialdemokratischen und Labour-Parteien, vollführten in den 1990ern einen politischen und ideologischen Rechtsschwenk. Die Ideologie der „Neuen Mitte“ oder des „Dritten Wegs“ drückt das Streben einer Abteilung der Arbeiterbürokratie aus, sich auf eine neue Allianz aus Teilen der lohnabhängigen Mittelschichten, gewissen Elementen der „alten“ Arbeiteraristokratie und neu entstandenen arbeiteraristokratischen Schichten zu stützen. Diese Strategie verfolgt auch eine Fraktion der Gewerkschaftsbürokratie und ihres Apparats.

Dieses Szenario fußt auf einer Anerkennung des Wandels im Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Ihr Ziel besteht darin, die Haut schwächer gewordener und neu zusammengesetzter Arbeiteraristokratien und Mittelschichten auf Kosten der Mehrheit der Klasse und der verschärften Ausbeutung der Bevölkerung der „Dritten Welt“ zu retten.

Doch es existiert immer weniger Spielraum für die soziale und politische Integration der Arbeiterklasse oder eine darauf beruhende neue Spielart von keynesianischem Reformismus. Wenn überhaupt, gibt es einen solchen nur für eine schwindende Fraktion der Arbeiteraristokratie und der Mittelschichten. Exakt darauf ist aber die Politik der meisten sozialdemokratischen und Labour-Parteien ausgerichtet.

Besonders da, wo die Reformisten sich an der Regierung befinden oder waren, hat diese Politik zu Spaltungen, Verlusten, Gründung neuer Parteien, Rissen in den Gewerkschaften, Bildung oppositioneller Strömungen und einer Orientierung dieser Fraktionen der reformistischen Arbeiterbewegung auf die antikapitalistische oder Antiglobalisierungsbewegung geführt.

Diese Entwicklung verläuft aber ungleichmäßig und hat nicht in allen Ländern gleichen Umfang erreicht; es gibt einige bedeutsame Ausnahmen. Besonders in einigen Ländern, wo es wirtschaftlich relativ stabil war und Wachstum erfolgte, verleiht dies der Sozialdemokratie eine gewissen Spielraum, um wichtige Arbeitererrungenschaften zu konservieren. Zusammen mit starkem Einsatz für die Idee des „Sozialstaats“ erklärt es die immer noch starke, gefestigte sozialdemokratische Stellung innerhalb der Arbeiterbewegung.

In den nordischen Ländern Europas stellen Illusionen in die Sozialdemokratie sowohl in der Gesamtklasse wie unter ihren fortschrittlichsten Elementen den vorherrschenden Trend dar. In anderen Ländern hat die starke Tradition der Unterstützung für diese Parteien zu einem Aufschwung bei Wahlen geführt, als Ausweg offen bürgerliche Regierungen zu schlagen und Arbeiterstandpunkte einzubringen – selbst nach vorherigen starken Stimmenverlusten. Dies ist bei den letzten Wahlen in Spanien der Fall gewesen und wir werden es wahrscheinlich 2007 in Frankreich erneut erleben.

Diese erneute Unterstützung für die bürgerlichen Arbeiterparteien der II. Internationale in manchen Ländern ist natürlich nicht bloß wegen der politischen Tradition möglich gewesen, sondern ebenso Folge des Mangels an radikalen Alternativen. Es demonstriert, dass der Bruch mit dem Reformismus und seinen Organisationen kein automatischer Vorgang ist, sondern revolutionäres Eingreifen erfordert.

Wo sich Oppositionsströmungen als Reaktion auf die neoliberale Politik der Parteien der II. Internationale herausgebildet oder an Stärke zugenommen haben, hat die Doktrin dieses Flügels in einer Rückkehr zu einem keynesianischen Wirtschaftsprogramm bestanden. Diese Politik teilen Ge-werkschaften, Abspaltungen von den Sozialdemokraten und die ehemals stalinistischen Parteien. Ausgesuchte Mittel zur Umsetzung des grundlegend reformistischen Programms sind Beteiligungen an Regierungen mit dem „anti-neoliberalen“ Flügel des Bürgertums. In Wahrheit bedeutet das aber Beteiligung an oder Deckung für Volksfrontregierungen (Brasilien) bzw. deren Vorbereitung (Italien).

In den letzten Jahren sind die internationalen Sozialforen immer mehr von den Reformisten vereinnahmt und in politische Foren unter ihrer Kontrolle verwandelt worden. In unterschiedlichem Maß trifft dies auch auf nationale Strömungen und Bündnisse zu (die Nein-Kampagne in Frankreich gegen den EU-Verfassungsentwurf, die Antikriegsbewegung, die Bestrebungen gegen Sozialabbau). Die Gründe für diese „Übernahme“ liegen teils im größeren Engagement der reformistisch beherrschten Arbeiterbewegung in der Antiglobalisierungsbewegung und darum mehr politischen Einfluss des Reformismus. Das hat sicher einen fortschrittlichen Aspekt: dass nämlich die Bewegung nun einen stärkeren sozialen Kontakt mit der Arbeiterschaft hat. Andererseits hegt die reformistische Bürokratie in den Gewerkschaften und früheren stalinistischen Parteien auch ihre eigenen Absichten für diese Bewegungen und trägt diese bewusst in sie herein.

Die Aufgabe für RevolutionärInnen besteht im Aufbau eines machtvollen linken Flügels innerhalb dieser Bewegung, der für koordinierten, militanten Klassenkampf gegen die neoliberale Offensive eintritt, die Angriffe auf demokratische und Gewerkschaftsrechte, staatsrassistische Politik und faschistische Strömungen, nicht nur für Antikriegsprotest, sondern Aktionen aus offen bekundeter Solidarität mit allen, die die Besatzungs- bzw. Invasionstruppen bekämpfen. Dieser linke Flügel muss auch die dringende Notwendigkeit neuer revolutionärer Parteien und einer neuen Internationalen ansprechen.

Die Zentristen wie die Vierte Internationale (in Deutschland RSB, isl) und die IST (in Deutschland Linksruck) stellen die Hauptkräfte auf der Linken der Antiglobalisierungsbewegung. Aber sie folgen einer Methode, die glaubt, der “objektive Prozess“ werde die in der Antikriegsbewegung, in den Sozialforen und Bewegungen wie der „Nein-Kampagne“ in Frankreich aktive Massen radikalisieren. Sie betrachten den vorherrschenden „anti-neoliberalen“ Reformismus als notwendiges Durchgangsstadium in der Entwicklung des Klassenbewusstseins. Die Vierte Internationale geht sogar so weit, selbst diese Ideologien in ihrer eigenen Propaganda zu verbreiten. Die IST verteidigt die reformistischen Führer gegen „voreilige“ Kritik und Aufforderung zu wirksamem Handeln. Sie baut gemeinsame Parteien auf einer für die Reformisten akzeptablen Programmplattform auf.

Andere linke Strömungen wieder stehen ganz abseits von diesen neuen Bewegungen. Sie kritisieren diese ob ihrer kleinbürgerlichen Politik, führen einen Kampf in Wort und Schrift, ohne aber praktisch in die Bewegung einzugreifen.

In Wirklichkeit blockieren aktuell jene, die in Distanz von einer Konfrontation mit den Führern der Bewegung bleiben und jene, die deren existierendes Bewusstsein beschönigen, die positive Transformation der Bewegung und behindern den politischen Kampf gegen die dominanten reformistischen Tendenzen auf.

Instinktiv sind Bürokraten und Populisten flott dabei, ihren eigenen Linksreformismus und Keynesianismus als den „Ausdruck“ des Massenwillens und den einzig „realistischen“ Weg vorwärts zu kredenzen, um die Bewegung gegen revolutionäre Kritik zu impfen. Es sind die echten Klassenkämpfe, wie sie sich z.B. in Bolivien oder dem Irak abspielen, die die Hoffnungslosigkeit, ja den konterrevolutionären Zug an der Suche nach einem „akzeptablen“ neuen Gesellschaftskompromiss aufzeigen. Ganz im Gegenteil: die soziale Revolution und der bewaffnete Befreiungskampf kehren in das Zentrum des Weltgeschehens zurück.

Die reformistische Bürokratie sucht eine sichere Zukunft im konservativen Bündnis mit alten und neuen Arbeiteraristokratien, der schrumpfenden Facharbeiterstände und neuen Angestelltenschichten, die aus der Proletarisierung akademischer Arbeit stammen und Risiken gegenüber abgeneigt sind. KommunistInnen müssen das Gegenteil anstreben: die politische Vereinigung jener Lohnabhängigen, die sich gegen neoliberale Übergriffe stemmen mit den am meisten ausgebeuteten und geknechteten Regimentern der Arbeiterklasse, den Einwanderern, der Jugend, dem nicht abgesicherten Armutssektor der Niedriglohn- und Gelegenheitstätigkeiten. Das sind jene, die von kämpferischen Auseinandersetzungen mit Bossen, Regierung, Kriegstreibern und Polizei am meisten zu gewinnen und am wenigsten zu verlieren haben. Eine politische Vorhut, die diese Schichten rekrutiert, kann die überwältigende Masse der Arbeiterschaft organisieren und radikalisieren. Deren Lebensbedingungen und -sicherheit verbessern sich nicht. In der nächsten Wirtschaftskrise werden sie heftige Übergriffe auf ihren Lebensstandard erfahren. Diese Aufgabe kann keine Gewerkschaft, kein Netzwerk oder Forum bewältigen; dafür ist nur eine revolutionäre politische Partei ein brauchbares und unverzichtbares Instrument.

Der Charakter der gegenwärtigen Periode und unsere politischen Aufgaben

Wir befinden uns am Beginn einer ganzen Periode heftiger Klassenkämpfe, einer vorrevolutionären Periode, an deren Ende entweder der Ausbruch einer offen revolutionären Periode oder eine konterrevolutionäre Stabilisierung des Weltkapitalismus auf der Basis einer Reihe schlimmer Niederlage der Unterdrüchten und einer gewaltigen Vernichtung überflüssigen Kapitals stehen wird.

Die Dauer dieser Übergangsperiode hängt wesentlich vom Klassenkampf selbst und diesbezüglich von zwei miteinander verknüpften  Faktoren ab: erstens davon, inwieweit es möglich ist, die Offensive der imperialistischen Bourgeoisien, v.a. der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu unterbrechen bzw. aufzuhalten; zweitens vom Grad, bis zu welchem die Arbeiterbewegung fähig ist, einen Vorteil aus der Neuzusammensetzung der Klasse, der Radikalisierung der Jugend und der Destabilisierung des althergebrachten Reformismus zu ziehen, um eine international zusammenwirkende politische Organisation zu gründen – eine Weltpartei der sozialistischen Revolution.

In der vor uns liegenden Periode erfordert das kühne, aber flexible Taktiken: den Aufruf zum Aufbau neuer Arbeiterparteien auf einem revolutionären Programm in Ländern wie Deutschland oder Britannien oder revolutionäre Fraktionen in Ländern wie Italien ins Leben zu rufen, die vorbereitet sind, aufzustehen und dem Verrat der Vorstände solcher Parteien wie Rifondazione Comunista die Stirn zu bieten. In Ländern wie Brasilien oder Frankreich, wo einflussreiche zentristische und linksreformistische oder stalinistische Kräfte Parteien oder Bündnisse bilden, mag es für RevolutionärInnen nötig sein, in sie einzutreten und für ein revolutionäres Programm und das leninistische Parteimodell zu fechten. Solche Taktiken müssen in verschiedenen Ländern je nach Situation konkret entschieden werden. Sie müssen sich aber immer auf das Ringen um eine neue, Fünfte Internationale beziehen.

Globalisierung und Neoliberalismus haben nicht nur Massenwiderstand provoziert, sondern unter einer Massenavantgarde von AktivistInnen sowohl in imperialistischen wie halbkolonialen Ländern ein Gewahrwerden der gegenseitigen Bedeutung der Kämpfe anderer und ein mächtiges Verlangen, diese zu vernetzen, erzeugt. Die „Freihandels“agenda der USA, der EU und Japans, über die WTO, regionale Freihandelszonen, multilaterale Abkommen und „Reform“programme, von IWF/Weltbank durchgedrückt, wird weiterhin Widerstand auf den Plan gerufen, ob er sich nun antikapitalistisch oder anti-neoliberal nennt.

Der Kampf für die 5. Internationale muss in internationale Versammlungen wie die kontinentalen und Weltsozialforen hineingetragen werden. Das muss trotz des Übergewichts der Kräfte für Klassenzusammenarbeit darin unternommen werden: reformistischer und populistischer Parteien, Gewerkschaftsbürokraten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zentristische Tendenzen – die Vierte Internationale, die IST – werden dabei wenig Beistand leisten und sind stattdessen selbst ein ernstes Hindernis für diese Aufgabe, betrachten sie doch oben erwähnte Führungen als legitimen Ausdruck des aktuellen Massenbewusstseins.

In der halbkolonialen Welt einschließlich China und Indien führt der Drang, demokratische Rechte durchzusetzen bzw. zu verteidigen wie auch der Kampf gegen Überausbeutung zu einem beschleunigten Klassenkampftempo. Das gilt auch für jene Halbkolonien, die dank der Auslandsschulden und der Umlenkung der Investitionen in ein paar große Länder unter völligem Kapitalmangel leiden. So sind trotz weit ungünstigerer politischer und wirtschaftlicher Bedingungen als in den imperialistischen Kernländern die Signale von Gegenwehr der ArbeiterInnen und Bauern allgegenwärtig und zunehmend.

In den Halbkolonien bringen der Kampf gegen den Imperialismus, die Existenz des bürgerlichen Nationalismus in volkstümlicher Verkleidung, das Maß demokratischer Aufgaben in einem Land wie China, der anhaltende Einfluss verschiedener Strömungen von Stalinismus, Castroismus und Maoismus mit sich, dass das Problem des Etappenprogramms sich erneut stellt. Dieses beschränkt das aktuelle Kampfziel auf die Errichtung eines demokratischen, kapitalistischen Regimes. Der Kampf um Klassenunabhängigkeit für die Arbeiterschaft, für ihre Hegemonie innerhalb der anti-imperialistischen und demokratischen Auseinandersetzungen muss bewusst auf der Theorie der permanenten Revolution fußen. Diese betont, dass die Arbeiterklasse sich an die Spitze des demokratischen Kampfs setzt. Sie tritt dafür ein, dass sie die Macht ergreift statt gemeinsam mit der Bürgerklasse zu regieren. Sie begreift die Notwendigkeit, dass die Lohnabhängigen direkt von der Eroberung der Staatsmacht zur Vergesellschaftung des Wirtschaftslebens fortschreiten müssen. Die Theorie der Permanenten Revolution muss von zentristischen falschen Auslegungen und Verdrehungen gereinigt werden. Sie darf nicht als automatischer Vorgang verstanden werden, währenddessen die Lohnempfänger nur für demokratische Ziele eintreten sollen, während die Entwicklung „spontan“ in den Sozialismus „hinüber wächst“. Sie ist vielmehr eine Strategie, für die bewusst gegen die Bestrebungen von Populismus und Stalinismus gestritten werden muss, Arbeiterkämpfe nur auf bürgerlich-demokratische Ziele zu beschränken.

Eine spontane und halbbewusste Anerkennung des Gebots neuer und militanterer Taktiken und Organisationen hat den Weg für bedeutende Änderungen, Entwicklungen, Spaltungen und Fusionen in den Arbeiterorganisationen gebahnt, politischen wie gewerkschaftlichen, in den „Gemeinde“organisationen der Bauern und armen Stadtbewohner, der rassisch Unterjochten, Frauen und Jugendlichen. Aber diese Schritte erfolgen nicht im luftleeren Raum – sie sind mit den Erfahrungen  des 20. Jahrhunderts beladen – im Guten wie im Schlechten.

In den Betrieben bildet eine kämpferischere Schicht, bestehend aus Jungarbeitern, die unter Niedriglöhnen, Unsicherheit und auch häufig rassistischer Unterdrückung ächzen, die Grundlage für aktivistische Basisbewegungen, Massenrekrutierung oder sogar neue Kampfgewerkschaften. Wir sehen auf der ganzen Welt, von Nordamerika und Europa bis Indien, Indonesien und auch China, diese jungen AktivistInnen in Aktion oder werden es demnächst. Es ist Aufgabe von RevolutionärInnen, ein mutiges Programm aus Sofort- und Übergangsforderungen vorzuschlagen, die für die Bedingungen der Globalisierung und den Kampf innerhalb der und gegen die Multis um Arbeiterkontrolle und Enteignung/Vergesellschaftung neu ausgearbeitet werden.

Die anti-neoliberale Bewegung hat ein Ausmaß transnationaler Organisation geschaffen, das fähig ist, die Globalisierungsoffensive zurückzuschlagen. Ausdruck dessen ist eine Vielzahl internationaler Foren, Versammlungen und Treffen. Diese stellen eine dringliche Priorität für Interventionen von Revolutionären dar, nicht nur in ihren nationalen Sektionen, sondern auch als internationale Organisation.

Die existierenden Spitzen – von Chavez oder Morales in Lateinamerika bis zu Bertinotti von der RC und den Europäischen Linksparteien, von der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) bis zu den Leitungen der kampfbereiteren Gewerkschaften und der Antiglobalisierungsbewegung – führen die Bewegung in die Irre und letztlich den Kampf verraten.

Unsere zentrale Aufgabe, die sich aus der globalen kapitalistischen Offensive, den anschwellenden Verteidigungsmaßnahmen durch ArbeiterInnen und ihre Verbündeten und der Führungskrise herleitet, bleibt, in der Arbeitervorhut, die begonnen hat, die Notwendigkeit einer neuen internationalen Organisation und neuer Arbeiterparteien anzuerkennen, Kräfte zu sammeln und sie für den Aufbau einer neuen Weltpartei für die soziale Revolution, eine Fünfte Internationale auf einem kommunistischen Programm, zu gewinnen.

Fußnoten:

(1) Diese Resolution wurde auf dem 7. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale im Juli 2006 angenommen. Sie ist für die Veröffentlichung redaktionell überarbeitet worden. Die ursprüngliche, nicht redigierte Version, wie vom Kongress abgeändert und verabschiedet, kann im englischsprachigen Original herunter geladen werden unter www.fifthinternational.org.

(2) Der israelische Überfall auf Libanon hatte gerade begonnen, als der LFI-Kongress zusammentrat. Diese Entschließung ist deshalb keine detaillierte Untersuchung dieses Ereignisses. Die Stellungnahmen der Liga über den Krieg Israels gegen Hisbollah sind in FIFTH INTERNATIONAL VOLUME 2, Ausgabe 1, S. 10-18 abgedruckt.

Außerdem finden sich in dieser Ausgabe zwei Artikel zu Situation im Libanon bzw. zur Haltung der Linken im Krieg.

(3) Besonders die 20 Millionen umfassende weltweite Mobilisierung gegen den Irakkrieg vom Februar 2003.

(4) Die Massenmobilisierungen in Italien als Reaktion auf die Unterdrückung der Anti-G 8-Proteste in Genua 2001, die örtliche Sozialforen im ganzen Land ins Leben riefen; die nach vielen Millionen zählenden Mobilisierungen in Frankreich als Antwort auf den Angriff auf Rechte junger Arbeitender in Form des CPE-Gesetzes, gepaart mit kollektivem Unterrichtsboykott an Schulen und mit Arbeiteraktionen einschließlich Streiks und Blockaden. So geriet ein neoliberales Hauptprojekt der Kapitalistenklasse unter die Räder.

(5) In Argentinien, Bolivien, Venezuela und Nepal.

(6) Wie die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) – KPI(M).

(7) Beispiele für solche Parteien schließen die P-Sol in Brasilien und Linkspartei/WASG in Deutschland ein.

(8) Die Propagandakampagne gegen den Islam in Europa ist ein besonders hasserfüllter Ausdruck dieser Strömung.

(9) Seit dem Kongress können wir die Niederlage der zionistischen Invasion im Libanon dazurechnen.

(10) Vgl. die ersten drei Ausgaben des Journals FIFTH INTERNATIONAL (2003-05), „Anti-Capitalism: A Rough Guide to the Anticapitalist Movement” (2004) und „Globalisierung, Antikapitalismus und Krieg” (De-zember 2001).

(11) „Das Kapital, Bd. III“, Kap. 14, in: MEW 25, S. 242-250, Berlin/O., 1969.

(12) Quelle: UNCTAD

(13) a.a.O.

(14) Mit über 80.000 Unruhen in China, die allein für 2005 berichtet wurden.

(15) Eine vorrevolutionäre Lage ist eine politische Krise, in der die herrschende Klasse die Interessen der Massen derart verletzt, dass sie Millionen schockiert, die Gesellschaft polarisiert und eine Massenreaktion provoziert: Massenmobilisierungen finden statt, das Überleben der Regierung ist bedroht; um vorwärts zu gehen, steht die Massenbewegung vor Aufgaben, die – richtig angepackt – die Machtfrage aufwerfen. Darum sind Revolutionäre in vorrevolutionären Situationen verpflichtet, Losungen zur direkten Aktion auszugeben wie den Generalstreik, die Organisation von Arbeiterdelegiertenräten etc. Wenn solche Maßnahmen von den Massen aufgegriffen werden, verwandelt sich die Krise in eine revolutionäre Situation. Die Krise der proletarischen Führung ist entscheidend verantwortlich, ob die vorrevolutionäre Situation verebbt oder in eine revolutionäre Lage umschlägt. Im Zusammenhang mit jüngsten entstellenden Interpretationen der Analyse der L5I ist wichtig zu betonen, dass die L5I nicht behauptet, die Welt befinde sich aktuell in einer vorrevolutionären Situation. Wir sprechen von einer längeren vorrevolutionären Periode, die 1999 begonnen hat, in der vorrevolutionäre Situationen häufiger stattfinden als in der vorhergehenden reaktionären Weltperiode von 1991-1999. Es würde erdbebenartige Ereignisse erfordern, z.B. einen Sieg der sozialen Revolution in einem Land, eine weltweite Depression und/oder einen neuen imperialistischen Krieg, um eine neue weltrevolutionäre Periode wie zwischen 1914 und 1921 zu eröffnen.

(16) PASOK (Panhellenistische Sozialistische Bewegung): eine volkstümlerische, nationalistische Partei mit sozialdemokratischem Anstrich; Synaspismos: eurokommunistische Abspaltung von der Griechischen Kommunistischen Partei, die sich in sozialdemokratische und grüne Richtung entwickelt hat; KKE: Griechische Kommunistische Partei.

(17) Doch die Israelis wurden schnell an die Kandare genommen, als sie von der Hisbollah eine Niederlage verpasst bekommen hatten. Diese Entwicklung war im Dokument nicht vorhergesehen, sondern erst in nachfolgenden Stellungnahmen analysiert worden.

(18) Wieder führt der Sieg der Hisbollah eine wichtige Änderung der Situation herbei, mit der Hamas konfrontiert ist.

(19) Ollanta Humala verlor die peruanischen Wahlen am 4. Juni an Alan Garcia mit 44,5% zu 55,5%. Obradors knappe ‚Niederlage“ bei den Wahlen wurde von der Arbeiterklasse als Schiebung abgelehnt. Daraus entstand eine tiefe vorrevolutionäre, politische Krise, die mit Massenmobilisierungen, Straßenblockaden und Repression einherging.




Frankreich in der Krise: Linker Elektoralismus blockiert den Weg vorwärts

Marco Zito, Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

Im März und April 2006 rüttelte die Bewegung gegen eine neoliberale Reform – den Ersteinstellungsvertrag (contrat premier embauche, CPE) – Frankreich auf und zwang die Regierung zum Rückzug. Sie erschütterte die gesamte EU, das Europa von Maastricht, des Abkommens von Nizza und der Lissabon-Agenda. Junge Leute, SchülerInnen und Studierende, zeigten, dass es möglich ist zu siegen, wenn gemeinsam entschlossen gekämpft wird.

Mit einer demokratischen Leitung ausgestattet, auf Massenmobilisierungen an praktisch allen Universitäten und Hunderten von Schulen gestützt und mittels radikaler Kampfmethoden bewies die Anti-CPE-Bewegung, wie Erfolge möglich sind. Durch ihren Sieg veränderten sie das Kräfteverhältnis und erschütterte die Regierung Dominique Villepins in ihren Grundfesten.

Im vor uns liegenden Jahr müssen wir auf diesem Erfolg aufbauen und die Regierung noch härter treffen. Aber wie, auf welcher Grundlage sollen wir uns organisieren? Wie können wir absichern, dass die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahlen 2007 nicht den Klassenkampf in Betrieben und auf den Strassen in den Hintergrund drängen, wie so oft in der Vergangenheit? Wie können wir die Funktionäre der Sozialistischen (PS) und Kommunistischen Partei (PCF) daran hindern, die Kämpfe abzuwürgen, um Ämter zu erlangen, um danach selbst neoliberale Politik zu machen? Kurz: wie können wir eine Strategie finden, mit der dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann?

Dieser Artikel will versuchen, diese grundlegenden Fragen zu beantworten.

Zuerst untersuchen wir die Klassenkämpfe in Frankreich seit 2002, besonders die von 2005 und 2006, und ziehen Lehren aus unseren Niederlagen und Siegen.

Im zweiten Teil richten wir das Augenmerk auf die vom Bürgertum geplanten Angriffe und die gegenwärtige Führungskrise innerhalb der Arbeiterbewegung.

Zum Schluss treten wir für eine breite, demokratische Debatte über ein Klassenkampfaktionsprogramm ein, die sich vom Ende der Sommerferien bis zu den Wahlen 2007 erstreckt. Das bedeutet v.a., eine neue Arbeiterpartei zu schaffen, eine wirkliche Alternative zum Reformismus, die mit einer revolutionären Strategie bewaffnet ist.

2002 – 2006: Niederlagen und Siege

Der gegenwärtige Klassenkampfzyklus begann mit den Präsidialwahlen 2002. Lionel Jospin, Kandidat der PS, hoffte auf ein gutes Ergebnis im ersten Wahlgang, das auf der Arbeit der Regierung der Gauche Plurielle (der pluralistischen Linken) basierte, die seit 1997 im Amt war. Seine Hoffnungen wurden grausam zunichte gemacht. Millionen ArbeiterInnen weigerten sich, ihn zu wählen. In der ersten Runde wurde er Dritter hinter Amtsinhaber Jaques Chirac und dem alten faschistischen Führer der Front Nationale (FN) Jean Marie Le Pen. Chirac gewann schließlich klar mit über 82 Prozent.

Wie hatte Jospin so viele seiner StammwählerInnen verprellt?

Zuerst und v.a. entfremdete sein – selbst gegenüber den vorherigen Rechtsregierungen – Einsatz für weitere Privatisierungen die ArbeiterInnen im Öffentlichen Dienst von der PS. Auch die einzige ernsthafte „positive“ Reform, jene für die 35-Stundenwoche, ging nur auf Kosten eines Lohnstopps und der Einführung „flexibler Arbeit“. Die andere bedeutende Reform, das „Jugendarbeits-Schema“ lief lediglich auf jämmerlich bezahlte, niedrig qualifizierte Arbeit ohne Aussicht auf Dauerbeschäftigung hinaus.

Kurz: all diese Reformen enttäuschten die Erwartungen von ArbeiterInnen und Jugendlichen. Viele zeigten das durch Stimmabgabe für KandidatInnen der extremen Linken. Arlette Laguiller von Lutte Ouvrière (LO) erhielt 1.630.244 Stimmen (5,72 Prozent) und Olivier Besancenot von der Ligue Communiste Révolutionaire (LCR) 4,25 – zusammen also nahezu 10 Prozent! Beide übertrumpften damit die 960.757 Stimmen (3,37 Prozent) für den Kandidaten der PCF, Robert Hue – auch deshalb, weil die PCF durch ihre Rolle in Jospins Administration kompromittiert war. In dieser Periode verlor sie ihre halbe Mitgliedschaft und viele ihrer kommunalen Bastionen.

Natürlich war die Bloßstellung der beiden reformistischen Hauptparteien durch ihre Regierungspolitik eine große Chance für die extremen Linken. Doch diese vergeudeten sie durch ihre opportunistischen und sektiererischen Zickzacks. Zwischen den beiden Präsidentschaftswahlrunden versäumte es die Linke, die durch die Massendemonstrationen gegen Le Pen entstandene Gelegenheit beim Schopf zu greifen und die ArbeiterInnen auf die Attacken vorzubereiten, die folgen sollten. Schlimmer noch, die LCR sprach davon, „Le Pen auf der Straße und an der Urne“ zu bekämpfen; mit anderen Worten, sie rief zur Stimmabgabe für Chirac, den Kandidaten der Bourgeoisie, auf und trug so zu dessen gewaltigem Erfolg bei.

Ohne zu zögern nutzte Chirac sein Mandat, um eine ganze Serie von Angriffen auf die Arbeiterklasse, die Jugend und auf ImmigrantInnen vorzutragen. Innenminister Nicolas Sarkozy initiierte eine Polizeipolitik der Unterdrückung Jugendlicher und Einwanderer, die bis auf den heutigen Tag mit dem rassistischen CESEDA (Einwanderungs- und Aufenthaltskodex für Ausländer und Asylrecht) anhält und auf verstärkte Repressionen gegen ImmigrantInnen ohne Ausweispapiere (sans papiers) hinauslaufen könnte. Ähnlich offen regierte Chiracs erster Ministerpräsident Jean Pierre Raffarin zugunsten der Reichen (Senkung der privaten Vermögensabgabe für die Sozialversicherung und anderer Steuern) und nahm die öffentlich Beschäftigten ins Visier.

Anfangs verwirrte das Ausmaß von Chiracs Sieg die LohnarbeiterInnen und lähmte jeden unmittelbaren Widerstand. Erst 2003 gab es wieder eine merkliche Bewegung  gegen die Regierung. Von Beginn an war sie von zwei wichtigen Merkmalen geprägt, die auch in den folgenden Jahren zentral waren: einerseits radikale Massenaktionen der Basis, andererseits Passivität und Schwäche – und sogar offene Kumpanei mit der Administration – auf Seiten der politischen und Gewerkschaftsführungen.

2003 führte eine gut organisierte und entschlossene Abteilung, die LehrerInnen, einen sehr kämpferischen Streik gegen die Pensionsreform, der über zwei Monate dauerte. Die Gewerkschaftsspitzen beschränkten sich darauf, mit der üblichen Taktik von „Aktionstagen“ Dampf bei der einfachen Mitgliedschaft abzulassen. Diese waren oft sehr eindrucksvoll – über eine Million Beschäftigte war im Mai 2003 auf den Straßen – doch sie waren zeitlich begrenzt und es gab keine weiterführende Dynamik des Kampfes. So wurden die LehrerInnen isoliert, verbittert mussten sie sich mit einer Niederlage abfinden, die noch heute nachwirkt. Natürlich änderten die reformistischen Bonzen ihre fatale Strategie nicht und hofften lediglich darauf, bei einer Niederlage der Rechten bei den Regionalwahlen 2004 Nutzen ziehen zu können.

Ebenfalls 2003 gab es eine weitere Chance, eine große Bewegung aufzubauen: mit dem Kampf gegen die Privatisierungen von Électricité de France (EDF) und Gaz de France (GDF) und die Reform der Sozialversicherung. Die ArbeiterInnen der Elektrizitäts- und Gaswerke zeigten, dass sie bereit waren zu kämpfen. Beschäftigte aus privatem und öffentlichem Sektor wurden massenhaft mobilisiert. Zusammen hätten sie die Privatisierungen leicht verhindern können, aber die Confédération Générale du Travail (CGT), die stärkste Gewerkschaft in diesen Bereichen, setzte auf Verhandlungen und erzielte einen schäbigen Kompromiss mit Sarkozy. Dieser akzeptierte eine „Rechtsformänderung“ von EDF und GDF im Gegenzug für vage Versprechen, dass diese nicht Privatisierung bedeute. Heute können wir bei der angekündigten Privatisierung der GDF sehen, wie viel diese Abmachung wert war.

2005 gab es eine Verschärfung des Klassenkampfs. Zuerst trat die Arbeiterbewegung für Lohnerhöhungen ein, dann demonstrierten SchülerInnen von Februar bis Mai gegen die Erziehungsreform Fillons. Obwohl diese beiden Mobilisierungen zeitgleich liefen, stellten ihre Führungen, besonders jene der Gewerkschaften, sicher, dass sie nicht vereinigt und koordiniert wurden. So versandeten beide Bewegungen ohne spürbaren Erfolg.

Diesem Kräftemessen folgte die kämpferische Kampagne für das NEIN bei der Volksabstimmung über die neoliberale EU-Verfassung. Diese brachte nicht nur die Unzufriedenheit der Lohnabhängigen zum Ausdruck; der Sieg der NON-Kampagne versetzte den Plänen der europäischen Bourgeoisie einen ernsten Schlag. Doch erneut wurde die Gelegenheit vergeben, diese Dynamik für eine generelle Offensive gegen alle neoliberalen Reformen zu nutzen. Tatsächlich führte die Regierung im Sommer eine weitere Arbeitsrechtsreform ein, den contrat nouvel embauche (CNE); sie war die Spitze einer Reihe von Angriffen auf das Kündigungsrecht.

Die Gewerkschaften taten so gut wie nichts. Deshalb machte die Bewegung erst im Herbst einen entscheidenden Schritt vorwärts. Im September und Oktober gab es einen sehr energischen zweiwöchigen Streik auf den Korsika-Fähren (SNCM) und bei den Marseiller Nahverkehrsbetrieben sowie eine große Demonstration gegen die Angriffe auf den Öffentlichen Dienst. Doch wiede sabotierten die Gewerkschaftsvorstände diese Bestrebungen. Tatsächlich war es die Jugend der Vorstädte, zumeist Kinder nordafrikanischer zugewanderter LohnarbeiterInnen, die ihre aufgestaute Wut und Enttäuschung austrugen. Das war keine unpolitische Revolte; die Aktionen der Jugendlichen drückten deren radikale Ablehnung eines Systems aus, das ihnen nichts als Arbeitslosigkeit, mieseste Arbeitsverhältnisse und brutalen Polizeirassismus zu bieten hat.

Doch wie zu erwarten, verurteilte die reformistische Linke die Jugend wegen ihres Aufruhrs, d.h. wegen ihres Abwehrkampfes gegen den Rassismus. Noch schändlicher verdammte LO die Jugendlichen und ihre Taten und belehrte sie, wie notwendig eine Annäherung an die Arbeiterklasse sei. Tatsächlich unternahm die Arbeiterbewegung aber wenig oder nichts, um gegen den Ausnahmezustand zu opponieren, den die Administration am 8. November erließ; einige PS-BürgermeisterInnen forderten sogar die Entsendung der Armee.

Die LCR und andere linke Organisationen veranstalteten jedoch Demos gegen Polizeirepression und Ausnahmezustand. Diese Massenrevolte der am meisten unterdrückten und ausgebeuteten Schichten junger Menschen in Frankreich hob die Klassenkampfsituation auf eine höhere Ebene – in Richtung einer vorrevolutionären Situation, die sich dann im Februar und März 2006 mit der Anti-CPE-Bewegung entfaltete.

Diese Bewegung war deshalb außergewöhnlich, weil sie einen bedeutenden Erfolg errang und Umfang und die Kampfkraft der Jugend und der ArbeiterInnen demonstrierte. Das Ringen gegen das CPE war aus mehreren Gründen erfolgreich. Erstens mobilisierten die StudentInnen massenhaft, besetzten die Universitäten und schlossen sich mit den Aktionen an den Schulen zusammen. Sie bildeten eine Einheitsfront auf Grundlage der Forderung nach Rücknahme des CPE und des gesamten Gesetzeswerks, das auf die Zerstörung der Rechte am Arbeitsplatz zielte (zynisch „Chancengleichheit“ genannt). Noch wichtiger war, dass die StudentInnen und SchülerInnen neue Formen demokratischer Organisation und Entscheidung schufen: die assemblée générale oder AG (Vollversammlung), die Studierenden- und Schülerkoordinationen und die Kampfverbindungskollektive. Einheit in der Aktion, Basismobilisierung, ein klares Ziel und eine rechenschaftspflichtige, demokratische Leitung waren die Qualitäten der Bewegung, die sie befähigten, die Regierung zu schlagen.

Wäre es ihnen möglich gewesen, die Regierung zu stürzen? Ja, wenn die Beschäftigten, die sich auf Solidaritätsaktionstagen mit den Studierenden in Marsch gesetzt hatten, in der Lage gewesen wären, die ihnen von ihren reformistischen Gewerkschaftsbonzen auferlegten Fesseln zu durchbrechen und wenn es einen wirklichen Generalstreik gegeben hätte. Aber dazu hätte es des bewussten Eingreifens von RevolutionärInnen auf Basis eines Aktionsprogramms bedurft.

Die aus den Jahren zu ziehende Lehre ist der schreiende Widerspruch zwischen der radikalen Natur der Bewegungen, der Kampfbereitschaft der Basis einerseits und der offensichtlichen Gier der Gewerkschaftsfunktionäre, diese Tendenzen zu beschränken, zu kontrollieren, zu schwächen und sogar zu sabotieren andererseits.

Die Massenbewegungen hätten sehr wohl das Funktionieren der Gesellschaft blockieren können – wenn sie sich der von den Gewerkschaftsspitzen auferlegten Fesseln hätten entledigen können. Doch die Gewerkschaftsbürokratie ist stets entschlossen, die Bewegung zu kanalisieren und zu beschränken, sie nur zur Aufwertung ihrer Vermittlungs- und Verhandlungsposition gegenüber dem Staat zu nutzen.

Darum ist die Lösung der Führungskrise der sozialen Bewegung und der Arbeiterklasse zentral. So notwendig Selbstorganisation und demokratische Strukturen für die kommenden Konflikte auch sind – sie lösen die Frage der Führung noch nicht. Dafür bedarf es der Umwandlung der Gewerkschaften aus bürokratischen Werkzeugen des Reformismus in Instrumente des Klassenkampfes. Dazu bedarf es absoluter Klarheit, wohin die Bewegung gehen und was ihr Ziel sein soll. Eine neue politische Ausrichtung für die Arbeiterbewegung zu erarbeiten, wirft die Frage der Notwendigkeit des Aufbaus einer neuen Arbeiterpartei auf: einer revolutionären Alternative zu PS und PCF.

Neue Angriffe – alte Führungskrise

Der Wahlausgang 2007 ist ungewiss. Aber eines ist sicher: Wer auch immer gewinnt, wird die Attacken gegen die Arbeiterklasse noch verschärfen! Warum?

Europa und besonders Frankreich sind Ausnahmen innerhalb des globalen Imperialismus, weil dort noch relativ viele der von den Werktätigen im Laufe des letzten Jahrhunderts erreichten Errungenschaften intakt sind. Jahrelang haben die Industriekapitäne radikale ‚Reformen‘ verlangt, besonders bezüglich des Arbeitsrechts, im Öffentlichen Dienst, der Anzahl, der Entlohnung und der Stellung der Staatsbediensteten. Der CPE war ein Vorgeschmack dessen, was zu erwarten ist: verallgemeinerte Tagelöhnerei, ein allgemeines Bestreben, das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zugunsten des Kapitals zu verschieben. Das würde den Bossen erlauben, noch mehr Druck auf Löhne und Gehälter zu erzeugen, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und so ihre Profite zu steigern. Die „Liberalisierung“ von Gesundheits-, Bildungs-, Sozialversicherungswesen und der Renten würde den Unternehmern gewaltige und einträgliche Märkte zuschanzen.

Auf Weltebene müssen und wollen die europäischen und besonders die französischen KapitalistInnen erhebliche Summen, die momentan sozialen Zwecken dienen, in Kontroll-, Unterdrückungsmaßnahmen und v.a. in die Streitkräfte umleiten. Nur  so können sie mit dem US-Imperialismus konkurrieren, der den Planeten beherrscht und sich den Löwenanteil der Beute sichert. Mit anderen Worten, die Angriffe auf unsere Rechte stellen keine „Verirrung“ eines Systems dar, das genauso gut friedlich funktionieren und unsere sozialen Errungenschaften bewahren könnte. Die Angriffe gegen die Lohnarbeiterschaft und der Aufbau einer europäischen imperialistischen Supermacht sind zwei Seiten derselben Medaille: Imperialismus im Zeitalter der Globalisierung.

Es ist klar, dass Sarkozy als Galionsfigur der bürgerlichen UMP (Union pour un Mouvement Populaire) sich auf diese Angriffe vorbereitet. Ungezügelte freie Marktwirtschaft und Unterdrückung sind die beiden Schlüsselkomponenten seiner Politik, die schon in seinen Jahren als Innen- und Finanzminister und bei seiner Rolle als Provokateur der Aufstände in den Vorstädten deutlich sichtbar wurde. Kurz: Er will der französische Thatcher sein.

Den potenziellen KandidatInnen der PS ist eine Gemeinsamkeit eigen: Ob Jack Lang, Dominique Strauss-Kahn, Ségolène Royale, Lionel Jospin oder Laurent Fabius – sie alle profilierten sich unter Mitterand. Jenseits der Querelen und Manöver, die sie entzweien, ist ihnen gemeinsam, dass sie das Land im Interesse der Bosse zu lenken lernten und dabei ihre Attacken mit einem zunehmend dünneren Firnis reformistischer Rhetorik übertünchten. Wie alle sozialdemokratischen Parteien steuerte auch die PS unter Mitterand einen Rechtskurs und entfernte sich immer weiter von der Arbeiterklasse.

Momentan scheint Ségolène Royale das Kandidatenrennen in der PS gewonnen zu haben. Sie erklärt sich selbst als Anhängerin Blairs und versucht, Sarkozy auf dem Feld von Recht und Ordnung auszustechen. So forderte sie, jugendliche Delinquenten unter quasi militärische Kontrolle zu stellen. Einwanderer, die verurteilt sind, sollen nach Verbüßung ihrer Strafe ausgewiesen werden. So ist klar, dass auch dann, wenn die Präsidentschaft von der PS gestellt wird, weiter neoliberale Politik umgesetzt und die Arbeiterklasse angegriffen wird.

Könnte die PCF, die sich nach 2002 in ihrer Todeskrise zu befinden schien, den Kern einer ‚Umgruppierung‘ der anti-neoliberalen, ja sogar antikapitalistischen Linken bilden, wie viele glauben? Eindeutig: nein! Seit 1935, als die PCF ihre von Moskau verordnete, klassenversöhnlerische Volksfrontpolitik verfolgte und die bürgerliche Laval-Regierung unterstützte, dient die PCF-Politik nur einem Ziel: die Arbeiterklasse organisieren – um der Bourgeoisie zu dienen. In jedem kritischen Augenblick während des vergangenen Jahrhunderts, von 1936 über 1944 bis 1968, erwies sich die PCF als verlässliches Werkzeug der Bourgeoisie. Immer rettete sie den Kapitalismus gerade dann, als die ArbeiterInnen und die Jugend ihn hätten stürzen können.

Die PCF ist heute auf den Status einer Kleinpartei mit 134.000 Mitgliedern geschrumpft, von denen im Februar 2006 nur 99.281 überhaupt Mitgliedsbeiträge zahlten. Diesen Niedergang verdankt die Partei v.a. ihrer treuen Unterstützung für die Mitterand-Regierungen zwischen 1981 und 1995. Die PCF war Teil der Jospin-Regierung und segnete deren neoliberale Politik ab. Die historische Rolle der PCF hat darin bestanden, den reformistischen Regierungen eine linke Flankendeckung zu verleihen, um die Arbeiterbewegung in den Reformismus – und damit in den Kapitalismus – zu integrieren. Daran hat sich nichts geändert, außer dass die PCF in Anbetracht ihres fast völligen Verschwindens bei der Wahl 2002 versucht hat, sich selbst ein ‚radikales‘ und modernes Antlitz zuzulegen.

Marie-George Buffet, ihre nationale Sekretärin, kündigte nach Jospins Debakel 2002 das ständige Bündnis mit der PS auf. Sie führte die PCF an die Seite der Antiglobalisierungsbewegung und war die verantwortliche Kraft hinter der Unterstützung für das Europäische Sozialforum (ESF) in Saint Denis. Danach warf sie all ihre Kräfte in die Kampagne für das NON. Sie hat mit der LCR geliebäugelt und dadurch deren Hoffnungen Mut gemacht, sie könne vielleicht einer Art Wahlblock für 2007 zustimmen. Doch sie hat trotzdem nie ihr strategisches Ziel widerrufen, mit der PS zusammen an die Regierung zurückzukehren. Weit von einem wirklichen Politikwechsel entfernt, diesen diese Manöver, die der PCF wenig gekostet haben, nur dazu, den Preis für ihre zukünftige Unterstützung einer PS-Regierung hochzutreiben.

Wegen ihrer Hoffnung auf ein Wahl-Bündnis mit der PCF versucht die LCR auch, die Kritik an ihr unter dem Deckel zu halten. Doch dieser Opportunismus nützt letztlich immer nur den Rechten und Reformisten und ist nur ein Belügen der Massen über die wirkliche Rolle der PCF als linkes Feigenblatt der regierenden neoliberalen PS.

Der Preis der PCF für ihre Politik war hoch. Sie wandelte sich von einer Partei, die 15-20 Prozent der Stimmen erhielt, zu einer, die 2-4 erreicht! Die LCR, welche die PCF in den Wahlen 2002 übertrumpfte, hat nichts von einem Flirt mit der PCF zu erwarten. Was soll ein Bündnis mit einer Partei, die Jahrzehnte ohne Murren eine reformistische Linie verfolgt hat, für den Aufbau einer größeren und besseren radikalen Linken in Frankreich bringen?!

Natürlich ist die PCF noch eine Massenpartei und kontrolliert de facto die CGT. Revolutionäre, die eine revolutionäre Massenpartei aufzubauen anstreben, sollten keine Debatte mit ihren AktivistInnen meiden, von denen manche ernsthafte KämpferInnen sind, und noch weniger mit den Hunderttausenden Lohnabhängigen und GewerkschaftsaktivistInnen, die sie lenkt. Aber zu behaupten, die Scheidelinie zwischen den „zwei Linken“, den Sozialliberalen und AntikapitalistInnen, verlaufe durch die PCF, wie es die LCR tut, bringt uns nicht weiter. Es gibt keinen organisierten antikapitalistischen Sektor in der PCF. Wenn BasisaktivistInnen echte Fragen stellen, müssen wir mit ihnen diskutieren und gemeinsam kämpfen, um Wege zu finden, sie ihren Vorständen abspenstig zu machen. Aber das wird nicht durch private Unterredungen, Verhandlungen und Manöver mit ihren Führern erreicht.

Welches Programm, welche Partei?

Ein Wahlblock auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner – das kennzeichnet das Herangehen der LCR und ihres Kandidaten Olivier Besancenot. So glaubt man, die Zustimmung der PCF sichern zu können. Doch das Herangehen an Wahlen muss dadurch bestimmt sein, wie der Klassenkampf, wie Aktionsniveau und Bewusstsein der Klasse gehoben werden können. Die LCR ordnet diese Ziele auf opportunistische Weise der Schaffung eines linksreformistischen Wahlblockes unter.

In den kommenden Monaten stehen die Werktätigen und die Jugend vor bedeutenden Auseinandersetzungen. Zweifellos werden jene Jungen und Arbeitermilitanten, die in der Anti-CPE-Bewegung aktiv waren, verstärkt nach einer Partei Ausschau halten, die ihre Ablehnung von Neoliberalismus und Rassismus am besten verkörpert.

RevolutionärInnen stehen deshalb in der Pflicht, ihnen etwas Besseres anzubieten als die blasse Perspektive einer gemeinsamen Kandidatur mit Zentristen und Reformisten wie Marie George, Besancenot oder José Bové. Sie verdienen etwas Besseres als die Selbstproklamation von LO zur neuen Arbeiterpartei. Stattdessen geht es jetzt um die Schaffung einer Aktionseinheit, um die neoliberale Regierungsoffensive zu stoppen. Jede Zurückhaltung dabei zugunsten von parlamentarischem Erfolg ist schlicht Wahlkretinismus. Tatsächlich wird sie den umgekehrten Effekt erzielen, weil sie einen Umschwung nach rechts in Gang setzt.

Es gibt eine elementare Lektion, die wir aus der Anti-CPE-Bewegung lernen müssen: die Bedeutung der Demokratie in ihr und die enge Beziehung zwischen Basis und Führung. Wenn das in der Aktion funktioniert – warum nicht damit fortfahren? Warum nicht in der Bewegung den besten Weg für die Wahlkampagne offen diskutieren, statt ihr ein Projekt zu diktieren? Warum nicht diskutieren, welche Partei die Bewegung für den Sieg braucht? Warum sollen die Zehntausenden Jugendlichen, GewerkschafterInnen und BasisaktivistInnen ausschließen – zum Wohl eines Abkommens einer Handvoll reformistischer und zentristischer Häuptlinge?

Eine offene, demokratische Massendebatte wäre der beste Weg, sicher zu stellen, dass diese neuen Kräfte sich einbringen – Kräfte, die nicht nur für den Kampf gegen den Kapitalismus gebraucht werden, sondern ganz konkret zum Aufbau einer neuen Arbeitermassenpartei.

In diese Debatte würden wir einbringen, was wir für Hauptbestandteile eines Aktionsprogramms halten, das die ArbeiterInnen befähigt, sich zu organisieren und die Angriffe abzuwehren. Ein solches Programm muss die direkte Aktion der Massen in Betrieben, Schulen, Unis und auf den Straßen betonen. So müssen wir für ein „Verbot“ von Entlassungen die Notwendigkeit von Arbeiteraktionen klar machen. Das bedeutet: Besetzung bedrohter Betriebe und Ausdehnung auf die ganze Branche; Schutz vor der Aufstandspolizei CRS mittels Arbeiterverteidigungseinheiten; Aufbau von Organisationen, Aktions- und Solidaritätskomitees und Mobilisierung der gesamten Arbeiterschaft für einen unbegrenzten und vollständigen Generalstreik!

Hier gibt es tiefe Differenzen zu LCR und LO. Bei diesen Organisationen werden die Forderungen nach einem Notstandsplan großenteils dadurch entschärft, dass zentrale Losungen, welche die Machtfrage aufwerfen, über den Kapitalismus hinausweisen und mit der Unterordnung der Klasse unter die Bourgeoisie (und den Reformismus) brechen, entweder weggelassen oder aber unvermittelt in einen reformistischen Rahmen gestellt werden. Das Ausklammern dieser Übergangsforderungen (Arbeiterregierung, Räte, Milizen, Arbeiterkontrolle usw.) bedeutet aber, die Klasse – und besonders ihre Vorhut – über den Weg und die Methoden zum Sturz des Kapitalismus im Unklaren zu lassen. Dieses „Weglassen“ ist der Preis dafür, einen prinzipienlosen Block mit den Reformisten zu ermöglichen.

So enthält z.B. der „Notplan,“ den sie vorbringen, Forderungen nach einem „Gesetz“, das Entlassungen verbietet. Ausgezeichnet! Aber wie auch LCR und LO wissen, müssen wir das Kräfteverhältnis zwischen Industriekapitänen und Belegschaften radikal ändern, um ersteren eine solche Politik aufzuzwingen. Das erfordert, dass letztere den Kampf gegen Entlassungen in den Betrieben beginnen. Nicht eine Parlamentsmehrheit wird ein solches Gesetz verabschieden und durchsetzen, sondern nur eine Arbeiterregierung, eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, die in der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen verankert ist.

LO und LCR wissen das, aber wenn sie es überhaupt erwähnen, tun sie es halbherzig, um nicht ehemalige PCF-WählerInnen aufzuschrecken. Wenn aber RevolutionärInnen nicht laut und klar aussprechen, welche Politik wir brauchen – wer dann? Tatsächlich sind jene, die das nicht ansprechen wollen, nicht Revolutionäre, sondern Zentristen, die unsicher zwischen Reform und Revolution schwanken.

Für uns gibt es keinen gesellschaftlichen Waffenstillstand beim Aufwärmen zu den Wahlen. Die beste Methode für die Arbeiterklasse, sich auf die Zeit nach 2007 vorzubereiten, ist, jetzt den Kampf zu organisieren! Mit dem Ende der Sommerpause müssen wir Belegschaftsversammlungen in jenen Firmen organisieren, die von Freisetzungen und Privatisierungen bedroht sind oder wo sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern. An Universitäten und Schulen, die durch Sparkurs und Personalmangel gebeutelt sind, in den Bezirken, wo Jugendliche täglich von den Bullen belästigt werden, müssen wir Aktionstreffen einberufen, um den Abwehrkampf zu organisieren. Dabei sollten wir auch mit der Debatte darüber anfangen, welche KandidatInnen wir brauchen und auf welchem Programm diese stehen sollen.

Unabhängig vom Wahlkampf ist klar: die ArbeiterInnen brauchen eine neue Partei! Angesichts der Situation verstehen immer mehr AktivistInnen die Notwendigkeit der Formierung einer neuen Arbeiterpartei. Schon 1995 rief Arlette Laguiller zu einer „großen Partei der Arbeiter“ auf, die LO mit einer Reihe von Treffen gründen wollte. Und diese stießen durchaus auf Widerhall. Doch als LO ein Licht aufging, was das bedeuten könnte, nämlich aus ihrem alten Trott herauszukommen, nur abgehobene Propaganda für den Sozialismus zu machen, sondern ArbeiterInnen im politischen Massenkampf zu führen, zog LO die Notbremse und behauptete, dies alles sei „schlicht eine Frage von Propaganda“ gewesen!

Jahrelang hat die LCR die Frage nach der „politischen Umsetzung“ der Bewegungen, sogar einer „neuen antikapitalistischen Kraft“ herausgestellt. Wenn ihr Abschneiden 2002 ihr nicht nur Verantwortung auferlegte, sondern auch die Gelegenheit bescherte, Gehör bei den Massen zu finden, so war ihre Reaktion darauf leider von Passivität geprägt. Die Bewegung von 2003, das Pariser Sozialforum, die Bewegung gegen den CPE – sie alle waren Gelegenheiten, den Ruf nach Gründung einer neuen Partei zu verbreiten und dafür Resonanz bei der kämpferischen Vorhut zu finden. Aber die LCR zog es vor, zu einem Wahlverein zu mutieren und alles auf den Ausgang der bürgerlichen Demokratie statt auf Klassenkampf zu setzen. Sie glaubte, auf der Woge ihrer Popularität reiten zu können und als vollwertige Partnerin der reformistischen Massenparteien anerkannt zu werden. Das Ergebnis? Die politische Vorherrschaft der PCF wurde nie offen attackiert und so konnte sie sich wieder erholen.

Nach dem enttäuschenden Stimmenverlust von 2004 favorisierte es die LCR, um die PCF zu werben und die Leute im Glauben zu lassen, eine neue Kraft könne aus einer Vermählung mit dieser reformistischen Partei hervorgehen.

Obwohl die Zentristen sich als unfähig erwiesen haben, auf die Rufe der Massen zu reagieren, bleibt die Frage einer neuen Arbeiterpartei immer noch zentral. PS und PCF haben die ArbeiterInnen immer verraten und werden es weiter tun, so lange sie existieren und ihren Einfluss auf die Arbeiterklasse behalten.

LO und LCR haben die zahlreichen Chancen und Erfolge der letzten Jahre nicht dazu genutzt, ernsthaft den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei auf die Tagesordnung zu setzen und praktisch damit zu beginnen. Dazu hätten LO und LCR die jeweils andere Organisation, aber auch die kämpferische Vorhut und jene großen Teile der Bewegung, die von PCF, PS und den reformistischen Gewerkschaftsführungen enttäuscht sind, auffordern müssen, die Frage der Arbeiterpartei offen und massenhaft zu diskutieren. Sie hätten z.B. versuchen können und müssen, die NON-Komitees oder auch die Aktionskomitees gegen das CPE in Initiativen für eine neue Arbeiterpartei zu verwandeln. Doch das taten sie nicht und verharrten stattdessen einerseits in ihrer sektiererischen Pose als die „wahren Trotzkisten“ bzw. opferten die Perspektive einer neuen Arbeiterpartei einem perspektiv- und prinzipienlosen Wahlbündnis mit der PCF. So wurden etliche Chancen, der Vorhut der Bewegung und sogar größeren Massen, konkrete Ansatzpunkte für den Aufbau einer Arbeiterpartei zu bieten, vergeudet.

Die Schlüsselfrage für jede Partei, ihre Daseinsberechtigung, ist die des Programms, ihre Machtstrategie. Welchen Typ Partei benötigt die Klasse? Eine reformistische Partei? Eine „klassenkämpferische“ Partei, die aber nicht sagt, dass und wie der Kapitalismus abgeschafft werden kann? Oder aber eine revolutionäre Partei?

Für uns muss eine Partei ein Programm haben, welches ausgehend von der Lage der lohnabhängigen Klasse heute Lösungen vorschlägt, die sowohl gestatten, Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen als auch die Massen zu organisieren, neue Kampforganisationen an den Arbeitsplätzen, in den Gemeinden, Industrie- und Dienstleistungszweigen, wo wir arbeiten, zu entwickeln.

Es muss ein unverfälschtes Übergangsprogramm sein, leicht verständlich, frei von Standessprache und vagen Phrasen, das entschlossen die Interessen der Unterdrückten ökonomisch, politisch und ideologisch verteidigt. Es muss die Massen von den heutigen Debatten zur gewaltsamen Zerschlagung des kapitalistischen Staats, zum Zerbrechen von Armee und Polizei und der Bildung einer Regierung, die auf Arbeiterräten und einer Arbeitermiliz fußt, leiten: einer neuen französischen Revolution, die die arbeitende Klasse an die Macht bringt.




Kleinbürgerliche Linke als verkleidete Diener des Imperialismus

Europäischen Linkspartei, CWI und der Libanon-Krieg

Michael Pröbsting, Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

Der barbarische Angriffskrieg Israels gegen das palästinensische und libanesische Volk war eines der einschneidenden internationalen Klassenkampfereignisse des letzten Jahres. Wie alle Kriege und zugespitzten Klassenkämpfe stellte er einen zentralen Test für jede Organisation der Arbeiterbewegung dar. Jeder Kampf lichtet unbarmherzig den Nebel der unverbindlichen Allgemeinplätze und verlangt nach einer klaren Positionierung. In einem Krieg der Reichen gegen die Armen, der Mächtigen gegen die Schwachen, der Unterdrücker gegen die Unterdrückten drängt sich unausweichlich die Frage auf: Auf welcher Seite stehst du?

Für marxistische RevolutionärInnen liegt die Antwort auf diese Frage auf der Hand. Wir stehen auf Seiten der Unterdrückten, d.h. der palästinensischen und libanesischen ArbeiterInnen, Jugendlichen und Bauern. Deswegen trat die Liga für die Fünfte Internationale in diesem Krieg für die militärische Niederlage Israels und seiner Armee und für den Sieg des palästinensischen und libanesischen Widerstandes ein.

Israel repräsentiert den mächtigsten und brutalsten Gendarmen des Imperialismus im Nahen Osten, wie der Angriff auf das palästinensische Wohngebiet in Gaza Anfang November 2006 wieder eindeutig demonstriert hat. Israel ist eine tagtägliche Bedrohung für die PalästinenserInnen, die der Zionismus aus ihrer Heimat vertrieb, in Flüchtlingslager pferchte und hungern lässt und bei jedem Zeichen des Widerstandes mit seiner Killermaschinerie zuschlägt.

Israel ist eine Gefahr für den Libanon, von dem es noch immer Teile besetzt hält. Israel ist mit seinen von bürgerlichen Militärexperten geschätzten 200 Atomraketen eine Gefahr für jedes Land im Nahen Osten (1)! Israel ist auch eine Gefahr für die eigene, jüdische Bevölkerung. Die herrschende Klasse führt nicht nur einen permanenten Unterdrückungskrieg gegen das palästinensische Volk, sondern plündert auch große Teile der jüdisch-israelischen Arbeiterklasse durch einen neoliberalen Feldzug aus.

Jeder Schlag gegen diesen mächtigen, hochgerüsteten Staat ist ein Schlag gegen den wichtigsten Statthalter der kapitalistischen Großmächte und gegen die imperialistische Ordnung im Nahen Osten und verbessert somit die Kampfbedingungen sowohl für die arabischen Massen als auch einen gewaltigen Impuls für die weltweite Antikriegsbewegung dar.

Das gleiche gilt für die anderen Konflikte im Nahen Osten, wo der Imperialismus seine Finger direkt im Spiel hat. Der Kampf der Aufständischen im Irak oder in Afghanistan gegen die Besatzer ist ein gerechter, nationaler Befreiungskrieg. Ohne die islamistischen oder nationalistischen Führungen politisch zu unterstützen, solidarisieren wir uns mit dem Widerstandskampf, hinter dem große Teile der ArbeiterInnen und Bauern stehen.

Deswegen verteidigen wir marxistische RevolutionärInnen – trotz unserer scharfen politischen Opposition zu ihnen – Hamas, Fatah, Hisbollah, den syrischen oder den iranischen Staat gegen alle Angriffe und Vernichtungsschläge durch die imperialistischen Großmächte und deren Handlanger wie Israel.

Aber wir unterstützen keineswegs ihre politischen Programme, ihre Herrschaft oder ihre Ideologien und Strategien, die zwischen kleinbürgerlich Utopien und das Suchen nach einem Arrangement mit dem Imperialismus bzw. Israel schwanken. Letztlich sind diese Organisationen ein reaktionäres islamistisches oder bürgerlich-nationalistisches Hindernis für die nationale und soziale Befreiung der arabischen ArbeiterInnen und Bauern.

Exkurs: Kampf gegen den Zionismus und für die Befreiung der jüdisch-israelischen Arbeiterklasse

Gleichzeitig kämpfen wir dafür, die jüdisch-israelische Arbeiterklasse für den gemeinsamen Kampf mit den arabischen Klassenbrüdern und -schwestern zu gewinnen. Dabei stehen marxistische RevolutionärInnen vor enormen Herausforderungen. Um diese Frage näher zu behandeln, müssen wir zuerst den Charakter des Klassenkampfes in Israel einschätzen. Tatsächlich gibt es wohl kaum ein besseres Beispiel für die Irrungen des Ökonomismus – also den Glauben, dass sich das politische Bewusstsein der Arbeiterklasse spontan aus Klassenkämpfen zu ökonomischen Fragen in eine politische, revolutionäre Richtung entwickeln könne. Tatsache ist, dass die israelische Arbeiterklasse massiv gegen ökonomische Angriffe kämpft und gleichzeitig den Angriffskrieg gegen den Libanon sowie die Apartheidmauer mehrheitlich billigt.

Wie kann man das erklären? Natürlich liegt die letztendliche Ursache im Fehlen einer revolutionären Arbeiterpartei. Aber das darf nicht den Blick für die enormen Hindernisse verwehren, die einer Revolutionierung der jüdisch-israelischen Arbeiterklasse im Weg stehen – die politische und materielle Integrationskraft des Zionismus. Diese materiellen Hindernisse sind die historischen Fundamente des Staates Israel selbst: die Vertreibung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes.

Eine Aufhebung dieser würde durch das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge das Ende des zionistischen Charakters Israels und das Ende vieler Privilegien bedeuten. Man darf nicht den extrem privilegierten Status der israelischen Arbeiterklasse – trotz aller sozialen Angriffe – im Vergleich zu den arabischen Klassenbrüder und -schwestern vergessen. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ein Land – und damit die nationale Arbeiterklasse – mit einem allgemeinen „Wohlstand“ wie in Israel oder in Europa existiert oder im Nahen Osten. In Europa wäre dieser Lebensstandard „normal“ – den allgemeinen, historischen Bedingungen des Kontinents (oder besser gesagt seiner westlichen Hälfte) entsprechend. Im Nahen Osten, wo alle anderen Staaten weitaus ärmer sind, erscheint Israel seiner Bevölkerung als zivilisierte Insel der Seligen in einem Meer von Barbaren.

Die nationale Frage – die nationale Unterdrückung der PalästinenserInnen – ist die Bleikugel am Fuße der jüdischen Arbeiterklasse. Ohne eine Sprengung dieser ist die Befreiung der jüdischen Arbeiterklasse von der Ausbeutung und Klassenunterdrückung nicht möglich. Solange sich die jüdische Arbeiterklasse nicht politisch von den Ideen des zionistischen Völkergefängnisses gelöst hat, solange wird sie auch im Kerker des israelischen Kapitalismus schmachten.

Diese politische Lösung der jüdischen Arbeiterklasse vom Zionismus ist aller Wahrscheinlichkeit nach nur dann möglich, wenn im Bewusstsein der jüdischen ArbeiterInnen die Gefahren des Zionismus und Kapitalismus seine materiellen Vorteile überwiegen. Mit anderen Worten, wenn die nationale Befreiungsbewegung und der Klassenkampf allgemein der arabischen ArbeiterInnen und Bauern so kraftvoll und mächtig wird, dass Israel als zionistischer Staat der Untergang droht, oder das Land von einem tiefen ökonomischen Zusammenbruch erschüttert wird.

Diese strategischen Erwägungen machen eine konkrete Parteinahme für die Verteidigung der jüdischen Arbeiterklasse gegen die Angriffe der neoliberalen Bourgeoisie keineswegs überflüssig. Im Gegenteil: dies ist essentiell für marxistische Revolutionäre, um die Vorraussetzungen für eine Verankerung zu schaffen. Ebenso notwendig ist die beharrliche Propaganda in den Reihen des palästinensischen Widerstandes und der arabischen Massen allgemein, dass zur Abschüttelung der nationalen Unterdrückung die Unterstützung der jüdischen Arbeiterklasse für den Zionismus beendet werden muss.

Eine endgültige Überwindung der nationalen Unterdrückung und der kapitalistisch verursachten Armut ist nur durch eine permanente Revolution in der gesamten Region, der Zerschlagung des Staates Israels und deren Ersetzung durch einen gemeinsamen arabisch-jüdischen Arbeiterstaat und eine sozialistische Föderation im gesamten Nahen Osten möglich. Die marxistische Strategie der permanenten Revolution bedeutet im Nahen Osten, dass die nationale Befreiung der arabischen Völker nicht in einem Land isoliert vor sich gehen kann, sondern nur durch die Ausbreitung der Revolution und dem erfolgreichen Kampf gegen Imperialismus und Zionismus. Sie bedeutet weiter, dass die nationale Befreiung nicht erreicht werden kann, solange die Macht der herrschenden Klassen – also der imperialistischen Großmächte und der nationalen Bourgeoisien – ungebrochen bleibt. Mit anderen Worten: es gibt keine nationale Befreiung ohne Sturz der Kapitalismus und der Errichtung der sozialistischen Diktatur des Proletariats.

Natürlich verfügen heute weder die arabischen noch die jüdischen ArbeiterInnen über ein sozialistisch-internationalistisches Bewusstsein. Aber ein solches Bewusstsein entwickelt sich auch nicht von selbst oder durch bloße Aufklärung, sondern nur, wenn die Massen einschneidende Erfahrungen in großen gesellschaftlichen Umbrüchen und Kämpfen machen und eine revolutionäre Partei diese Erfahrungen mit sozialistischen Schlussfolgerungen verbindet und durch beharrliche Propaganda und Agitation in die Klasse hineinträgt.

Aber der Kampf für die permanente Revolution und den Sozialismus ist dem gegenwärtigen Kampf für die nationale Befreiung, für die Vertreibung der israelischen Armee aus dem Gaza, der Westbank und dem Libanon und die Schwächung dieses Monsters nicht entgegengesetzt, sondern damit eng verbunden. Der Kampf für den Sozialismus ist die notwendige Fortsetzung des Kampfes für die nationale Befreiung.

Es gibt keinen Sozialismus, wenn man nicht schon jetzt mit dem Kampf um die unmittelbaren Tagesbedürfnisse beginnt und zu diesen Tagesbedürfnissen gehören nicht nur Brot, Wasser und Elektrizität, sondern auch die Abschüttelung der Besatzung.

Und umgekehrt: Der Kampf für die sozialistische Revolution ist keine ideale Zugabe des Kampfes für die unmittelbaren Bedürfnisse der Massen. Vielmehr bedeutet jeder Tag fortdauernder Herrschaft der kapitalistischen Klasse Fortdauer des Elends der Massen. Denn die imperialistische Weltordnung erstickt zunehmend an den ihr innewohnenden Widersprüchen und treibt die herrschenden Klasse zum permanenten Krieg – nach Außen unter dem Schlagwort des „Krieg gegen den Terror“; nach Innen gegen die eigene Arbeiterklasse unter den Schlagwörtern der Sparprogramme und der neoliberalen „Reformen“. „Sozialismus oder Barbarei“ ist keine Phrase, sondern die konkrete Alternative der Menschheit. Der Aufbau einer Kampfpartei zwecks Vorbereitung und Organisierung der Revolution für den Sozialismus entspricht daher nicht einfach dem Wunsch der Revolutionäre, sondern ist historische Notwendigkeit.

Der Standpunkt der marxistischen Theoretiker zum Krieg

MarxistInnen gehen vom Grundsatz des preußischen Militärtheoretikers Clausewitz aus: „Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (2)“. Unsere Haltung gegenüber dem Ziel eines Kampfes wird also nicht davon beeinflußt, ob es nun mit friedlichen oder mit militärischen Mitteln verfolgt wird. Reaktionäre Ziele sind reaktionär unabhängig davon, ob sie mit politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Mitteln durchgesetzt werden. Das gleiche gilt umgekehrt für fortschrittliche Klasseninteressen.

Kriege sind im Kapitalismus – v.a. in seinem letzten Stadium des Niedergangs, der Epoche des Imperialismus – unvermeidlich. Solange Klassen und somit Klassengegensätze existieren, wird es auch Kriege geben. Im Zeitalter des Imperialismus – in dem wir uns nun schon seit mehr als 100 Jahren befinden – verschärft sich die Konkurrenz zwischen den Konzernen und zwischen den kapitalistischen Staaten immer mehr und daher nimmt auch die Auspressung und Unterwerfung sowohl der Arbeiterklasse als auch der unterdrückten Völker zu. Es kommt daher unausweichlich immer wieder zu Krisen und Kriegen. Der marxistische Theoretiker und Führer der russischen Oktoberrevolution 1917 Wladimir Illich Lenin hielt dazu fest:

„….das sind Ergebnisse des modernen Monopolkapitalismus im Weltmaßstab. Und diese Ergebnisse zeigen, daß auf einer solchen wirtschaftlichen Grundlage, solange das Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht, imperialistische Kriege absolut unvermeidlich sind (3).“

„Im Kapitalismus, und besonders in seinem imperialistischen Stadium, sind Kriege unvermeidlich (4).“

MarxistInnen waren daher niemals grundsätzlich gegen Kriege, sondern haben zwischen Kriegen unterschieden, die den Interessen der unterdrückten Klassen dienen und jenen, die nur den herrschenden Klassen dienen. Deswegen war der Sklavenaufstand von Spartakus gegen die Römer fortschrittlich, ebenso wie die Bauernaufstände eines Thomas Münzer oder der Hussiten. Aus dem gleichen Grund unterstützen Marx und Engels 1861-65 die amerikanischen Nordstaaten gegen die Sklavenhalter im Süden oder die Aufstände der Polen gegen die russische Zarenherrschaft 1830, 1846 und 1863. Lenin schrieb dazu:

„Es hat in der Geschichte manche Kriege gegeben, die trotz aller Gräuel, Bestialitäten, Leiden und Qualen, die mit jedem Krieg unvermeidlich verknüpft sind, fortschrittlich waren, d.h. der Entwicklung der Menschheit Nutzen brachten, da sie halfen, besonders schädliche und reaktionäre Einrichtungen (z.B. den Absolutismus oder die Leibeigenschaft) und die barbarischsten Despotien Europas (die türkische und die russische) zu untergraben (5).“

Dies trifft auch auf Kriege unterdrückter Nationen zu, die sich gegen die imperialistische Großmächte und ihre Handlanger zur Wehr setzen. Lenin dazu: „Nationale Kriege der Kolonien und Halbkolonien sind in der Epoche des Imperialismus nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich. In den Kolonien und Halbkolonien (China, Türkei, Persien) leben annähernd 1.000 Millionen Menschen, d.h. über die Hälfte der gesamten Bevölkerung der Erde. Nationale Befreiungsbewegungen sind hier entweder schon sehr stark, oder sie wachsen und reifen heran. Jeder Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln. Die Fortsetzung der Politik der nationalen Befreiung in den Kolonien werden zwangsläufig nationale Kriege der Kolonien gegen den Imperialismus sein (6).“

Lenin spricht sich ebenso eindeutig für eine klare Parteinahme eines jeden Sozialisten aus:

„Die Sozialisten verstanden unter einem ‚Verteidigungs’krieg stets einen in diesem Sinne ‚gerechten‘ Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte). Nur in diesem Sinne erkannten und erkennen jetzt noch die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der ‚Vaterlandsverteidigung‘ oder des ‚Verteidigungs’krieges an. Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg erklärten, so wären das gerechte Kriege, Verteidigungskriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die ‚Groß’mächte – sympathisieren (7).“

Daher machte die Kommunistische Internationale 1920 die aktive Unterstützung des nationalen Befreiungskampfs zur Pflicht eines jeden Revolutionärs in den imperialistischen Staaten:

„Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet, die Kniffe ‚ihrer‘ Imperialisten in den Kolonien zu entlarven, jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur in Worten, sondern durch Taten zu unterstützen, die Verjagung der einheimischen Imperialisten aus diesen Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres Landes ein wirklich brüderliches Verhältnis zu der arbeitenden Bevölkerung der Kolonien und der unterdrückten Nationen zu erziehen und in den Truppen ihres Landes eine systematische Agitation gegen jegliche Unterdrückung der kolonialen Völker zu führen (8).

Leo Trotzki, der neben Lenin wichtigste Führer der Oktoberrevolution und spätere Begründer der IV. Internationale, unterstrich diesen Grundsatz des revolutionären Antiimperialismus:

„Der Kampf gegen Krieg und seinen sozialen Ursprung, den Kapitalismus, setzt direkte, aktive und unzweideutige Unterstützung für die unterdrückten kolonialen Völker in ihren Kämpfen und Kriegen gegen den Imperialismus voraus. Eine ’neutrale‘ Position ist gleichbedeutend mit einer Unterstützung des Imperialismus (9).“

Ebenso legte er unmissverständlich dar, dass marxistische RevolutionärInnen ihre Haltung im Krieg nicht von oberflächlichen Erscheinungen auf der Ebene des politischen Überbaus abhängig machen dürfen, sondern auf den objektiven Klassencharakter der beteiligten Kriegsparteien stützen müssen:

„In Brasilien regiert nun ein halbfaschistisches Regime, dem jeder Revolutionär nur mit Hass begegnen kann. Nehmen wir an, daß England morgen in einen militärischen Konflikt mit Brasilien eintritt. Ich frage, auf wessen Seite des Konflikts wird die Arbeiterklasse sein? (…) In diesem Fall werde ich auf Seiten des „faschistischen“ Brasiliens gegen das „demokratische“ Großbritannien stehen. Warum? Weil der Konflikt zwischen ihnen nicht eine Frage der Demokratie oder des Faschismus ist. Sollte England siegreich sein, wird es einen anderen Faschisten in Rio de Janeiro einsetzen und Brasilien doppelte Ketten anlegen. Sollte Brasilien als Sieger hervorgehen, wird es ihm einen starken Impuls für nationales und demokratisches Bewußtsein im Land geben und den Sturz der Diktatur Vargas einleiten. Die Niederlage Englands wäre auch ein Schlag für den britischen Imperialismus und gäbe der revolutionären Bewegung des britischen Proletariats einen Anstoß. In Wirklichkeit muß man schon sehr engstirnig sein, um die Widersprüche und Konflikte der Welt auf den Kampf zwischen Faschismus und Demokratie zu reduzieren. Unter all den Masken muß man zwischen Ausbeutern, Sklavenbesitzern und Räubern unterschieden können (10)!“

Die Kommunistische Internationale entwickelte auf ihrem IV. Weltkongreß 1922 die Taktik der antiimperialistischen Einheitsfront, die seitdem ein zentraler Eckpunkt der revolutionären Programmatik ist. Die antiimperialistische Einheitsfronttaktik beinhaltet das Eintreten für gemeinsame praktische Aktionen mit reformistischen, kleinbürgerlichen und in bestimmten Fällen sogar bürgerlichen Kräften gegen den Imperialismus. Gleichzeitig schließt dies jegliche politische Unterstützung für solche Kräfte aus und erfordert die vollständige Propagandafreiheit für RevolutionärInnen.

Diese marxistische Tradition wendet die Liga für die Fünfte Internationale (LFI) heute auf den reaktionären Angriffskrieg Israels gegen Palästina und Libanon an, wie wir das auch schon bei den vergangenen Kriegen gegen Afghanistan (2001) und den Irak (1991 und 2003) getan haben. Verschiedene Organisationen, die sich in Worten ebenfalls auf den Marxismus berufen, haben jedoch sowohl in der Praxis als auch ihren Erklärungen den Marxismus in eine allgemeine Phrase verwandelt, ihn seines antiimperialistischen Gehalts entleert und gegen den Pazifismus eingetauscht.

Europäische Linkspartei/Linkspartei.PDS/KPÖ: Versteckte Sympathie für Israel unter dem Deckmantel des Pazifismus

Eine besondere Rolle in der pazifistischen Prostituierung spielte hierbei die Europäische Linkspartei (ELP). Die ELP ist der internationale Dachverband diverser ehemaliger stalinistischer Parteien, die nach dem Zusammenbruch ihrer diktatorisch herrschenden Bruderparteien in Osteuropa 1989 einen rasanten Wandel in Richtung Sozialdemokratisierung durchgemacht haben. Ihre wichtigsten Komponenten sind die italienische Rifundazione Communista von Fausto Bertinotti, der auch Vorsitzender der ELP ist, die französische PCF, die Linkspartei.PDS in Deutschland. Auch die österreichische KPÖ gehört dazu. Die Parteien der ELP spielen aufgrund ihres Apparates und ihrer Geldmittel auch eine führende Rolle im Europäischen Sozialforum.

Doch faktisch mit dem ersten Schuß im Krieg zwischen Israel und dem Libanon erwies sich die ELP als eine durch und durch feige, pazifistische und pro-imperialistische Kraft. Ihre Haltung im Krieg entsprach ihrer allgemeinen politischen Position. Die ELP steht für die reformistische Unterordnung eines Teils der Arbeiterbürokratie – also der Kaste von Funktionären in Partei und Gewerkschaften – unter die herrschende Klasse. Ihr Ziel ist es daher, einen politischen Spagat zu schaffen.

Einerseits will sie ihre Basis und ihren Wählerzuspruch nach Möglichkeit durch linke Programme, Stellungnahmen und – wenn der Druck von unten allzu groß wird – auch Aktionen halten. Andererseits jedoch ist diese „linke“ Taktik dem strategischen Ziel der Vermehrung ihrer Posten und Privilegien innerhalb des kapitalistischen Systems untergeordnet und darf daher diesem nicht im Wege stehen.

Im Falle des Libanon-Krieges bedeutete dies, daß die ELP sich standhaft weigerte, Partei zwischen dem Aggressorstaat Israel und dem libanesischen Widerstand zu beziehen. Vielmehr betonten sie immer wieder ihre Unterstützung für den Zionismus, also das Existenzrecht des rassistischen Apartheidstaats Israels und machen diese Unterstützung für den Zionismus zur Bedingung für eine Teilnahme an den Antikriegsdemonstrationen, so sie überhaupt an solchen teilnahmen (11). Einzelne Elemente in ihren Reihen wie z.B. der antinationale Flügel in der KPÖ unterstützten sogar unverhohlen den israelischen Angriffskrieg (12)!

Da ist es nur logisch, dass die ELP-Bürokraten offen die militärische Vormachtstellung des zionistischen Staates im Nahen Osten begrüßen. So sagte Gregor Gysi von der Linkspartei.PDS in einer Rede vor dem Bundestag:

„Nun gibt es den Vorwurf, dass derjenige, der gegen Waffenlieferungen an Israel ist, das Existenzrecht dieses Staates gefährde. Ich halte das für Unsinn. Seit Jahrzehnten ist Israel den arabischen Nachbarländern militärisch überlegen. Zum Frieden hat das nicht geführt. Die umgekehrte Situation hätte allerdings verheerendere Folgen gehabt. Wären die Nachbarländer Israel militärisch überlegen gewesen, hätten sie versucht, dieses Land zu vernichten. Trotzdem, sage ich, ist die weitere Aufrüstung Israels ein Fehler. Wenn Waffenlieferungen an die Hisbollah verhindert und an Israel eingestellt würden, änderte sich nichts an der militärischen Überlegenheit Israels – sie nähme nur nicht mehr zu. Das ist doch das Mindeste, was man erwarten darf (13).“

Könnte es ein besseres Beispiel für die Anbiederung an den Imperialismus geben?!

In ihrem schamlosen Kampf gegen MarxistInnen und AntiimperialistInnen gehen die ELP-Bürokraten aber noch weiter. Immer wieder verleumden sie die Befürworter der klassisch marxistischen Position, wonach es eine Lösung des Konflikts nur durch einen gemeinsamen, sozialistischen arabisch-jüdischen Staat in Palästina geben kann, als „Antisemiten.“ So entblödete sich der langjährige Vorsitzende der österreichischen KPÖ, Walter Baier, nicht, einen Artikel über den angeblichen Antisemitismus der Linken zu veröffentlichen. Darin denunziert er den Verfasser dieser Zeilen folgendermaßen:

„Ein anderer Wortführer der ‚anti-imperialistischen‘ Szene in Wien, Michael Pröbsting, nimmt sich nun auch kein Blatt mehr vor den Mund und fordert in einer Rede die endgültige Lösung des Problems: ‚Frieden kann es nur dann geben, wenn ein für alle Mal (!) Schluss gemacht wird mit dieser staatlichen Unterdrückungsmaschinerie namens Israel.‘ Was mit den Menschen, die diese „Maschine“ bilden, zu geschehen habe, soll gemäß der ‚anti-zionistischen‘ Logik offenbar Hamas und Hisbollah überlassen werden. Meine also niemand, man könne nicht wissen, wo der Diskurs hinzielt. Begreiflich ob derartiger Tiraden ist die Befriedigung darüber am rechten Rand (14).“

Es spricht für sich, dass dieser Artikel auch in der bürgerlichen österreichischen Zeitung „Die Presse“ veröffentlicht wurde. Die „Theorien“ des Walter Baier werden also auch von bürgerlicher Seite eingesetzt, um gegen den linken Antiimperialismus zu hetzen. Der Klassenstandpunkt des Walter Baier wird dadurch von selbst beantwortet.

Lösung mit Hilfe der imperialistischen Großmächte?

Folgerichtig lehnten diese Funktionäre während des Krieges die internationale Solidarität mit dem Widerstand gegen den israelischen Staatsterrorismus ab und verbreiteten stattdessen unterwürfige Hilferufe an die Regierungen des EU-Imperialismus. So forderte die Europäische Linkspartei:

„Europa sollte vor allem auf folgende politische Schritte hinarbeiten: (…)

– die Einrichtung einer von der UNO kontrollierten Pufferzone zwischen Israel und Libanon, den Einsatz einer internationalen Friedenstruppe mit UNO-Mandat… (15)“

Ebenso sind die imperialistischen Großmächte – und nicht die internationale Arbeiterklasse und die unterdrückten Völker – der Adressat für die ELP-Reformisten, um der fortgesetzten israelischen Aggression gegen des palästinensischen Volkes im Gaza ein Ende zu bereiten:

„Es ist Aufgabe der österreichischen Regierung, auf die EU und die UNO einzuwirken, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu ergreifen, um den völkerrechtswidrigen israelischen Angriff sofort zu beenden und dafür zu sorgen, dass die zerstörte Infrastruktur raschest wiederhergestellt und den Menschen unbürokratisch das Überleben gesichert wird (16).“

Aber die Orientierung auf die imperialistischen Großmächte – als deren Hülle die UNO dient – blieb keineswegs nur auf Forderungen in Stellungnahmen beschränkt. Als die Großmächte dann tatsächlich einen von der EU-Imperialismus geführten Militäreinsatz im südlichen Libanon im Rahmen der UNO-Resolution 1701 beschlossen, jubelten die ELP-Reformisten. So begrüßte Wolfgang Gehrcke in einer Pressemitteilung der Linkspartei.PDS den Beschluss der imperialistischen Besatzung des Libanons mit den Worten: „Die Resolution des Weltsicherheitsrates könnte ein erster Schritt zur Beendigung des Libanonkrieges sein (17).“ Noch expliziter unterstützte Gregor Gysi den imperialistischen Militäreinsatz:

„In diesem Zusammenhang macht es Sinn, UN-Truppen zu entsenden, um einen weiteren militärischen Konflikt zu verhindern (18).“

Mehr noch: In Italien hilft die ELP sogar als Regierungspartei tatkräftig bei der Verwirklichung eines der größten Militäreinsätze der imperialistischen EU mit. Bekanntlich ist die Rifundazione Communista von Fausto Bertinotti Teil der neoliberalen Regierung unter dem ehemaligen EU-Kommissionpräsident Prodi. Der italienische Imperialismus stellt mit voraussichtlich 2.450 Soldaten die meisten Soldaten des UNO-Kontingents und ist somit die Speerspitze beim Militäreinsatz. Die Regierung Prodi-Bertinotti verteidigt ebenso die imperialistische Weltordnung – Seite an Seite mit Washington, Berlin und London in Afghanistan.

Somit werden die ganze Heuchelei und der Verrat der reformistischen ELP offenkundig. Wer den antiimperialistischen Widerstand gegen die Großmächte unterstützt … ist ein „Antisemit.“ Wer hingegen den imperialistischen Militäreinsatz im Libanon unterstützt und mitbeschließt, ist hingegen … ein Pazifist! Die ELP-Bürokraten sind nur dann Pazifisten – also für Gewaltlosigkeit – wenn es gegen die Gewalt des anti-imperialistischen Widerstandes geht. Dann lehnen sie Gewalt voller Empörung ab und appellieren an die quasi-religiösen Werte des Friedens (19).

Dass dieser „Frieden“ heute, unter den Bedingungen des real existierenden Krieges der herrschenden Klasse, nichts anderes als die Ideologie der unterwürfigen Wehrlosigkeit des Unterdrückten ist, die Ideologie der Sklaven im Interesse der Sklavenhalter, all das verschweigen natürlich diese Friedenstauben. Wenn jedoch die imperialistische Staatsmaschinerie in Gang gesetzt wird, wenn die Großmächte ihre schwerbewaffneten Truppen in den Libanon entsenden und zur Besatzungsmacht zum Schutze des Apartheidstaates Israel werden, dann ist es vorbei mit der Beweihräucherung der Gewaltlosigkeit, dann entpuppen sich die Friedenstauben als literarische Helfer des EU-Imperialismus und seines Besatzungsregimes im südlichen Libanon! Fürwahr: die ELP lieferte seit dem 12. Juli einen überzeugenden Beleg für Lenins Einschätzung, daß der kleinbürgerliche Pazifismus der nützliche Idiot des Imperialismus ist.

CWI/SAV/SLP: Sozialistischer Zionismus führt zu Pazifismus und zum Abseitsstehen

Während für die LFI und alle ernsthaften Antiimperialisten der Libanon-Krieg im Sommer 2006 im Zentrum der politischen Arbeit stand, spielte dieser für das CWI bloß eine Nebenrolle. Zwar veröffentlichten sie verschiedene wortreiche Artikel und Resolutionen, in denen sie sich gegen den Krieg aussprachen. Doch in der Praxis verstand das CWI nicht die zentrale weltpolitische Bedeutung den Kampf gegen den israelischen Angriffskrieg. In Österreich hatte dies sogar zur Konsequenz, dass die dortige CWI-Sektion (Sozialistische Linkspartei – SLP) sich faktisch an keiner einzigen Protestaktion gegen den Krieg beteiligte.

Für uns ist Marxismus die Einheit von Theorie und Praxis. Wir verbinden revolutionäre Standpunkte mit praktischen Aktionen. Trotzki verurteilte das Verhalten von Gruppen wie dem CWI als zentristisch – als zwischen revolutionären Erklärungen und reformistischer Alltagspolitik hin und her schwankend:

„Die Übereinstimmung von Worten und Taten ist ein charakteristisches Merkmal einer ernst zu nehmenden revolutionären Organisation. Für eine ernsthafte revolutionäre Organisation sind die Resolutionen, die sie auf ihren Versammlungen annimmt, nicht bloß Formalitäten, sondern das schriftlich festgehaltene Ergebnis in der Aktion erworbener Erfahrungen und ein Führer ihrer Aktionen in der Zukunft. Für die Zentristen haben ‚revolutionäre‘ Thesen, die sie bei feierlichen Gelegenheiten annehmen, die Bedeutung, als betrügerische Dekoration, als Deckmantel für unvereinbare Differenzen in ihren eigenen Reihen, als Vorwand für ihre nicht-revolutionären Taten in der vorhergegangenen Periode sowie auch in der kommenden Periode zu dienen (20).“

Unterstützung für den libanesischen Widerstand?

Warum nahm ein so zentrales weltpolitisches Ereignis wie der Libanon-Krieg einen so relativ geringen Stellenwert in der politischen Arbeit der CWI-GenossInnen ein? Tatsächlich liegen dem ein grundlegend falsches Verständnis und eine damit korrespondierende falsche Herangehensweise zugrunde. Dies wird bereits selbst bei einem flüchtigen Blick auf die Artikel und Resolutionen des CWI zu diesem Thema offensichtlich.

In einem Brief des österreichischen CWI (SLP) an die österreichische LFI-Sektion ArbeiterInnenstandpunkt – in welchem sie gegen unsere Kritik protestierten – behaupten sie: „Wir unterstützen im übrigen sehr wohl den libanesischen Widerstand; allerdings nehmen wir uns heraus, nach Klassenlinien und politisch zwischen reaktionären und fortschrittlichen Kräften im Widerstand zu unterscheiden.“

In Wirklichkeit verweigert das CWI in der Praxis ihre Unterstützung für den real stattfindenden antiimperialistischen Kampf gegen den wichtigsten Statthalter der imperialistischen Großmächte im Nahen Osten – dem zionistischen Staat Israel. Die Behauptung der SLP („Wir unterstützen im übrigen sehr wohl den libanesischen Widerstand; allerdings nehmen wir uns heraus, nach Klassenlinien und politisch zwischen reaktionären und fortschrittlichen Kräften im Widerstand zu unterscheiden.“) ist nichts anderes als ein politischer Trick. Denn gerade jene Kräfte, die den libanesischen Widerstand gegen den israelischen Angriffskrieg verkörpern – allen voran die Hauptkraft des Kampfes, Hisbollah – zählt die SLP zu den „reaktionären Kräften im Widerstand“, denen sie eben jegliche Unterstützung verweigert (21).

Als marxistische RevolutionärInnen halten wir eine klare politische Abgrenzung von nicht-revolutionären oder gar reaktionären Kräften – seien es kleinbürgerliche Islamisten oder die Sozialdemokratie – für absolut notwendig. Aber gleichzeitig würde es von völliger Blindheit zeugen, würden wir die Tatsache ignorieren, dass die Hisbollah an der Spitze des gerechtfertigten libanesischen Widerstandskampfes gegen die israelische Armee stand. Wie wir bereits an anderer Stelle schrieben:

„… im Klassenkampf ist es oft der Fall, daß RevolutionärInnen in einem Konflikt die Seite von Kräften einnehmen müssen, zu deren Führung und Politik wir völlig im völligen Gegensatz stehen. Das bedeutet nicht, daß wir deren Politik auf irgendeine Weise unterstützen oder idealisieren.

Wenn die Gewerkschaftsbürokratie einen Streik gegen neoliberalen Sozialabbau ausruft, dann werden wir diesen vorbehaltlos unterstützten, ohne deswegen dem reformistischen Programm der Sozialpartnerschaft, dem Mitverwalten des Kapitalismus, dem Fehlen von Demokratie innerhalb des ÖGB’s oder gar dem korrupten Privilegienrittertum der Gewerkschaftsbonzen irgendeine politische Unterstützung auszusprechen. Das gleiche gilt auch bei den Protesten von moslemischen Jugendlichen gegen Rassismus in den europäischen Staaten, die wir unterstützen ohne deswegen politische Zugeständnisse an den Islamismus zu machen.

Der Grund, warum wir verpflichtet sind, Position zu beziehen, ist die reale, objektive Situation und was sie in Bezug auf den weltweiten Konflikt zwischen den Klassen bedeutet. Der Krieg im Nahen Osten ist keine grundlegende Wahl zwischen der bürgerlichen Demokratie a la Israel und dem Islamismus der Hamas und Hisbollah, sondern zwischen dem Recht des rassistischen Siedlerstaates Israel und den hinter ihm stehenden Großmächten – allen voran den USA -, gegen jeden Opponenten Krieg zu führen und dem Recht der unterdrückten Völker, dieser imperialistischen Aggression Widerstand zu leisten (22).“

Selbst ein Mitglied des CWI, das sich während des Krieges in Beirut aufhielt, mußte eingestehen, daß Hisbollah den Widerstandskampf der libanesischen Massen verkörpert und anführt:

„Die Hisbollah-Organisation wird nicht nur als die Kraft gesehen, welche die Lücke der schwachen und gespaltenen Regierung und der nicht-existenten libanesischen Armee füllt und der militärischen Macht des israelischen Bombardements widersteht. Sie wird auch als die Kraft gesehen, die den Armen und vom Krieg Betroffenen Schutz und Hilfe bietet. Es gibt natürlich Unzufriedenheit, dass die iranischen und syrischen Regime ihre Unterstützung für die Hisbollah mit eigenen Interessen in der Region verknüpfen, aber ohne Zweifel ist Hisbollah eine Kraft, die Widerstand leistet angesichts einer Supermacht, die uns in die Steinzeit zurückbombt. (…) Hisbollah hat jetzt mehrheitliche Unterstützung im Libanon, jüngste Umfragen haben eine Zustimmung von 80% während des jetzigen Krieges ergeben (23).“

Aber diese empirische Anerkennung der Tatsachen hinderte das CWI nicht daran, eben jener Hisbollah die Unterstützung in ihrem Kampf gegen die israelische Armee zu versagen. Sie weigert sich, die von der Kommunistischen Internationale entwickelte antiimperialistische Einheitsfronttaktik anzuwenden. Diese anti-revolutionäre Verweigerung der internationalen Solidarität kombiniert das CWI mit einer umso lauter vorgetragenen Abgrenzung von eben diesen kleinbürgerlichen Kräften: „Der Kampf gegen den Einfluss fundamentalistischer Schein-‚Anti-Imperialisten‘ ist ein wichtiger Bestandteil (einer internationalistischen Politik a la SLP, d. A.) dabei (24).“ Der notwendige politische Kampf gegen den kleinbürgerlichen Islamismus verkommt so zu einer Ausrede für das politische Abseitsstehen in einem der wichtigsten weltpolitischen Ereignisse der Gegenwart.

In einer Aussendung schrieb die österreichische CWI-Sektion: „Die SLP und das ‚Komitee für eine ArbeiterInnen-Interantionale‘ (CWI) vertritt im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen in der Anti-Kriegsbewegung einen Standpunkt, der nicht auf der Unterstützung der einen oder anderen reaktionären Organisation oder Regierung im Nahen Osten aufbaut, sondern den Aufbau einer von den gegenwärtigen Machtstrukturen unabhängigen und multi-ethnischen ArbeiterInnen-Bewegung zum Ziel hat (25).“

Israel und Hisbollah werden hier auf ein und dieselbe Stufe gestellt, indem diese beide unter „der einen oder anderen reaktionären Organisation oder Regierung im Nahen Osten“ subsumiert werden. Diese faktisch neutrale Haltung des CWI in diesem Krieg durchzieht all ihre Artikel und Resolutionen. Im Vordergrund steht das kleinbürgerliche Gejammer, dass doch beide Seiten nur bürgerliche Ziele hätten und außerdem Krieg immer etwas Furchtbares sei. Beispielhaft dafür ist folgendes Statement eines CWI-Mitglieds in Israel:

„Yasha, Mitglied von Ma’avak Sotzialisti (Schwesterpartei der SAV und Sektion des CWI in Israel), dessen Familie in Haifa lebt, sagte:

‚Die israelische Regierung schickt sich an, die alte Sichtweise auf die Armee wieder herzustellen, welche bereits zwei Mal arg gelitten hat: Einmal im Gazastreifen, wo ein Soldat gefangen genommen wurde und ein weiteres Mal, als zwei Soldaten in Gefangenschaft der libanesischen Hisbollah gerieten. Aus diesem Grund muss der israelische Ministerpräsident Olmert etwas tun, um das Ansehen der Truppe wieder herzustellen und dem gesamten Nahen Osten zu zeigen, wer die Macht inne hat, wer mit der stärksten Armee aufwarten kann.

Die Hisbollah versucht den LibanesInnen zu zeigen, dass sie den Schneid und die Kraft haben, Israel zu treffen und darüber politische Ziele zu erreichen.

Der momentane Konflikt ist daher auch ein Weg, über den deutlich gemacht werden soll, wer die höherwertigeren Ziele in Bezug auf Geltung und politisches Ansehen erreichen kann. Die Verliererin dabei wird die Arbeiterklasse beider Seiten sein (26).“

Geht es also nach dem CWI, dann wollen beide Seiten nur zeigen, wer der Stärkere ist und leidtragend dabei ist die Arbeiterklasse. Welch kleinbürgerliche, pazifistische Haltung – eine Schande für eine Gruppe, die sich als marxistisch und antiimperialistisch versteht! Tatsächlich ist der Kampf zwischen Israel und dem libanesischen Widerstand eine Schlacht im imperialistischen „Krieg gegen den Terror.“

Selbstverständlich bringt ein Krieg immer Opfer mit sich – dies wird auch in jedem von einer Roten Armee angeführten Bürgerkrieg oder bewaffneten Aufstand der Fall sein. Und das war natürlich auch diesmal im nationalen Befreiungskrieg im Libanon der Fall. Aber das entbindet MarxistInnen nicht der Aufgabe, Schwarz von Weiß zu unterscheiden, Angreifer von Verteidiger, zionistisch-imperialistischen Angriffskrieg vom gerechten libanesischen Widerstandskampf. Ebensowenig entbindet dies MarxistInnen der Aufgabe, nicht in Pazifistenmanier über die Tatsache zu jammern, daß es im Kapitalismus unausweichlich zu Kriegen kommt, sondern vielmehr eine Perspektive zu weisen, wie diese Kriege zum Vorteil der internationalen Arbeiterklasse und zum Nachteil der herrschenden Klasse geführt werden können. Doch genau davon findet man in allen Artikeln der SLP kein Wort. Kein Wunder, daß sie den Antikriegsprotesten den Rücken zukehrten: Wofür soll man sich in einem Krieg engagieren, wo doch sowieso alle nur für reaktionäre Ziele kämpfen?!

Die Aussage, dass die Arbeiterklasse im Krieg zwischen Israel und dem Libanon unabhängig vom Kriegsausgang Verlierer wäre, ist schlichtweg falsch. Die Niederlage Israels hat – wenn auch nur vorübergehend – den Imperialismus und seinen Staathalter geschwächt, sie hat den Massen, nicht nur im Libanon, gezeigt, dass Widerstand und bewaffneter Kampf erfolgreich sein können. Sie erschwert ein weiteres Roll-Back der Region.

Gerade weil das CWI nicht zwischen gerechterfertigtem nationalen Befreiungskampf und imperialistischer Aggression zu unterscheiden weiß, bleibt auch der vorgebliche Kampf gegen den „den Einfluss fundamentalistischer Schein-‚Anti-Imperialisten“ in Wirklichkeit abstrakt und leer.

Im gesamten Nahen Osten haben wir es damit zu tun, dass die Linke und in vielen Fällen die bürgerlichen Nationalisten die politische Vorherrschaft im Kampf gegen Besatzung und imperialistische Aggression verloren, dass sich reaktionäre, islamistische Kräfte in manchen Fällen an dessen Spitze stellen. Doch wichtig ist: Der Charakter der Führung ändert nichts am gerechtfertigten Charakter des Widerstandes (wie im übrigen auch die bürgerlich-nationalistischen Führungen nichts daran geändert hatten).

Eine politische Kraft, die sich weigert, einen solchen Kampf wegen seiner reaktionären Führung zu unterstützen, festigt in Wirklichkeit die Stellung ebendieser Führung, die vorgeblich bekämpft werden soll, weil diese damit zurecht KommunistInnen des Fernbleibens vom anti-imperialistischen Kampf bezichtigen können und werden.

Der „sozialistische“ Zionismus des CWI

Genauso wie das CWI neutral im Krieg zwischen dem zionistischen Staat und dem libanesischen Widerstand ist, passt die SLP ihr politisches Programm für Palästina an den Zionismus an. In ihrem Brief an den ArbeiterInnenstandpunkt weisen sie zwar unsere Kritik zurück:

„Ebenso sind wir keine ‚sozialistischen Zionisten‘, wenn wir für eine Zweistatten-Lösung auf Basis von ArbeiterInnenstaaten als Übergangslösung eintreten, um in Zukunft die israelische ArbeiterInnenklasse von der herrschenden Klasse loszubrechen.“

Doch in Wirklichkeit ist die Losung eines „sozialistischen Israel neben einem sozialistischen Palästina“ nichts anderes als ein hoffnungsloser Versuch, eine Versöhnung zwischen dem Kolonialismus und dem Sozialismus herbeizuführen. Der Staat Israel ist das Resultat des imperialistischen Kolonialismus. Der Staat Israel konnte nur entstehen durch die Vertreibung des palästinensischen Volks. Und er kann nur bestehen bleiben, solange dem palästinensischen Volk die Rückkehr in seine Heimat verweigert wird. Diese Vertreibung wird auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, indem diesen Zustände ein sozialistischer Mantel umgehängt wird.

Aufgrund der historischen Entwicklung in der Region besteht ein extremes Wohlstandgefälle zwischen Israel und der Westbank und Gaza – also jenem Territorium, das das CWI für ein „sozialistisches Palästina“ vorsieht. Israels Brutto-Nationaleinkommen pro Kopf liegt mehr als 15 Mal über jenem der palästinensischen Bevölkerung in Westbank und Gaza (27). Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Über Jahrzehnte hinweg bis zum heutigen Tag genießt Israel die uneingeschränkte finanzielle, politische und militärische Unterstützung durch alle imperialistischen Großmächte. Daher die moderne Entwicklung des israelischen Kapitalismus. Die arabischen Staaten hingegen wurden von der imperialistischen Weltordnung – in Zusammenarbeit mit den heimischen arabischen herrschenden Klassen – in Rückständigkeit gehalten. Das imperialistische Kapital beutet die Rohstoffvorkommen der arabischen Länder aus, doch außer einer Handvoll Scheichs und lokaler Kapitalisten profitiert in den arabischen Ländern niemand davon.

Diese extreme ökonomische Ungleichheit ist eine zentrale materielle Basis für die Vorherrschaft Israels in der Region. Als MarxistInnen und AntiimperialistInnen wollen wir diese materielle Basis der Vorherrschaft aus der Welt schaffen, indem wir für einen gemeinsamen jüdisch-arabischen, sozialistischen Staat in Palästina eintreten, wo alle palästinensischen Flüchtlinge das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat haben. Wir verteidigen aber auch das Recht der jüdischen Bevölkerung Israels, in Palästina zu leben.

Aber dies kann nur dann ohne Konflikte und Ungerechtigkeiten vonstatten gehen, wenn zum einen das Recht der PalästinenserInnen auf Rückkehr in ihr Land bedingungslos und ohne Einschränkungen anerkannt wird. Das bedeutet, dass es keinen Staat in Palästina mehr geben darf, der den nationalen Charakter der kolonialistischen Siedler trägt. Es bedeutet auch, dass die Frage der nationalen Befreiung unmittelbar mit jener der ökonomischen Umwälzung verbunden ist, denn natürlich wird eine partnerschaftliche Austeilung der Ressourcen des Landes unter kapitalistischen Bedingungen nicht möglich sein. Mit anderen Worten, der Staat Israel, der als jüdisch-nationaler, zionistischer Staat existiert, muss beseitigt und durch eine bi-nationale Arbeiterrepublik ersetzt werden.

Die Perspektive des CWI hingegen impliziert de facto die Aufrechterhaltung der enormen ökonomischen und sozialen Privilegien der jüdischen Bevölkerung auf Kosten der PalästinenserInnen. Nichts anderes bedeutet die Losung der Aufrechterhaltung des (sozialistischen) Staates Israel in seinem heutigen Gebiet neben einem (sozialistischen) Staat Palästina in den verarmten Gebieten der Westbank und des Gaza in der Praxis. Die CWI-Politik ist in ihrem Kern eine Verteidigung der Resultate des Kolonialismus, ist ein „sozialistischer“ Zionismus.

Das CWI irrt sich, wenn sie ihre Zwei-Staaten-Losung für eine „Übergangslösung“ hält. Ihre Zwei-Staaten-Losung verkörpert vielmehr den „Übergang“ der SLP vom Sozialismus hin zum reformistischen Etappenkonzept, laut der es zuerst als Minimalprogramm für zwei Staaten gibt – ein reiches „sozialistisches“ Israel neben einem armen „sozialistischen Palästina“ – und als Maximalprogramm zu einem späteren, unbestimmten Zeitpunkt den wunderschönen Sozialismus ohne Staat und Grenzen.

Das Leninsche Recht auf Selbstbestimmung ist ein Recht für unterdrückte, aber nicht für herrschende Völker!

Das CWI entleert Lenins Strategie in der nationalen Frage ihres revolutionären Gehalts. Für Lenin und damit auch für uns marxistische RevolutionärInnen ist das Recht auf Selbstbestimmung eine revolutionäre Antwort im Kampf gegen eine die bestehende nationale Unterdrückung eines Volkes durch eine herrschende Nation. Sie ist unabdingbarer Bestandteil der Gesamtstrategie der sozialistischen Revolution.

Die nationale Unterdrückung ist eine zentrale Frage in der Epoche in der wir leben: der Epoche des Imperialismus. Eine Partei, die in dieser Frage keine korrekte Position einnimmt – insbesondere wenn sie in Deutschland oder in Österreich, zwei imperialistischen also herrschenden Staaten, arbeitet – ist zu einer falschen, nicht-revolutionären Politik verdammt. Für MarxistInnen „muß die Einteilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte den Zentralpunkt in den (…) Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten (…) verlogenerweise umgangen wird. Diese Einteilung ist nicht wesentlich vom Standpunkt des bürgerlichen Pazifismus oder der kleinbürgerlichen Utopie der friedlichen Konkurrenz der unabhängigen Nationen unter dem Kapitalismus, aber sie eben das Wesentliche vom Standpunkt des revolutionären Kampfes gegen den Imperialismus. Aus dieser Einteilung folgt unsere konsequent demokratische, revolutionäre, der allgemeinen Aufgabe des sofortigen Kampfes für den Sozialismus entsprechende Auffassung vom ‚Selbstbestimmungsrecht der Nationen (28).’“

Das CWI versteht eben diese Kernfrage der revolutionären Strategie gegen den Imperialismus nicht. Bei der SLP verkommt die Leninsche Losung des Selbstbestimmungsrechts von einer revolutionären Kampflosung zu einer humanistischen Allerweltslosung, die ja gut gemeint für alle Völker dieser Welt gilt. Wer kann schon gegen das Selbstbestimmungsrecht für Alle sein?! Genau in diesem kleinbürgerlich-humanistischen Geiste ist die Propaganda des CWI zu Palästina verfasst. So fordert die SLP in einem Flugblatt unter der Überschrift „Selbstbestimmungsrecht für Alle“:

„Gleichzeitig muss die sozialistische Bewegung in Israel das Recht der palästinensischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung verteidigen. Dies muss den sofortigen Abzug der isarelischen Truppen aus dem Libanon und den besetzten palästinensischen Gebieten umfassen. Auch braucht es eine Politik, dem Sicherheitsbedürfnis der Israelis (egal ob JüdInnen, AraberInnen etc.) Rechnung zu tragen. Die israelische Schwesterorganisation der SLP, Maavak Sozialisti, tritt daher für ein unabhängiges sozialistisches Palästina neben einem unabhängigen sozialistischen Israel als Teil einer freiwilligen Föderation des Nahen Osten ein. Daran zu arbeiten ist der einzige Ausweg aus dem Teufelskreis von Krieg, Vertreibung, rassistischen Vorurteilen und Terror (29).“

In der Praxis geht das CWI damit nicht über das Selbstbestimmungsrecht hinaus, wie es schon von der – in Lenins Worten – imperialistischen Räuberhöhle UNO in ihrer Resolution 242 aus dem Jahre 1967 formuliert wurde. Selbstbestimmungsrecht für die PalästinenserInnen heißt für die UNO und das CWI, dass die vertriebenen PalästinenserInnen nicht in ihre historische Heimat zurückkehren, sich jedoch dafür in den verarmten Gebieten der Westbank und Gaza zu einem eigenen Staat konstituieren dürfen.

Gerechtfertigt wird dies mit dem Verweis auf das „Sicherheitsbedürfnis der Israelis (egal ob JüdInnen, AraberInnen etc.)“ Eine äußerst seltsame Behauptung angesichts der Tatsache, daß es doch höchst fraglich ist, ob sich die arabischen Bewohner in Israel wirklich sicherer fühlen im zionistischen Staat Israel als in einem gemeinsamen bi-nationalen Staat. Und ist das „Sicherheitsbedürfnis der Israelis“ tatsächlich besser aufgehoben in einem rein jüdischen Staat, der auf der Vertreibung eines anderen Volkes beruht und der daher mit der Wut und dem Haß der arabischen Völker zu rechnen hat?!

In Wirklichkeit beruht die CWI-Position auf der zentristischen Logik, welche die Leninsche Losung des Selbstbestimmungsrechts ihres revolutionären Gehalts beraubt. Für das CWI ist das Selbstbestimmungsrecht eine Losung für alle Völker. Für Lenin und uns MarxistInnen hingegen ist sie eine Kampflosung für unterdrückte Völker, die von nationaler Unterjochung betroffen sind!

„Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen bedeutet ausschließlich das Recht auf Unabhängigkeit im politischen Sinne, auf die Freiheit der politischen Abtrennung von der unterdrückenden Nation. (…) Sie ist nur ein folgerichtiger Ausdruck für den Kampf gegen jegliche nationale Unterjochung (30).“

Das CWI hingegen – wie auch viele andere Pazifisten – bevorzugt es, ohne Unterscheidung von unterdrückten und unterdrückenden Nationen vom „Selbstbestimmungsrecht für Alle“ zu sprechen. Das heißt, das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes wird auf eine Stufe mit dem Selbstbestimmungsrecht der jüdisch-israelischen Nation in Israel gestellt. Mit anderen Worten: die herrschende Nation hat das gleiche Selbstbestimmungsrecht wie die unterdrückte! (Vielleicht wegen des – von der imperialistisch-zionistischen Propaganda herbeigeredeten – angeblichen „Sicherheitsbedürfnis`“?!)

Das Recht auf Selbstbestimmung im marxistischen Sinne fußt auf der realen Unterdrückung heute und nicht auf angeblichen, theoretisch möglichen Unterdrückungsszenarien in einer unbestimmten Zukunft! Diese Gleichstellung einer herrschenden und einer unterdrückten Nation bedeutet in Wirklichkeit die Gleichbehandlung von Mächtigen und Schwachen, von Täter und Opfer und ist somit eine Verhöhnung des unterdrückten palästinensischen Volkes.

Warum lehnen wir das Selbstbestimmungsrecht der jüdisch-israelischen Nation in Israel ab? Sind wir etwa dagegen, dass die jüdischen Israelis in Palästina leben? Natürlich nicht. Aber wir sind gegen ihr „Recht“ auf Unterdrückung der PalästinenserInnen, wir sind gegen ihr „Recht“ auf nationale Privilegien und Vorherrschaft. Nichts anderes bedeutet jedoch das Selbstbestimmungsrecht der jüdisch-israelischen Nation in der Praxis. Laut Lenin schließt das Selbstbestimmungsrecht einer Nation das Recht auf einen eigenen Staat mit ein. Unter den Bedingungen der Vertreibung der PalästinenserInnen bilden die jüdischen Israelis heute die Mehrheit in jenen Gebieten, die den heutigen Staat Israel ausmachen. Das Recht auf einen eigenen Staat würde daher darauf hinauslaufen, dass die jüdischen Israelis einen eigenen Staat in den ökonomisch am weitesten entwickelten Gebieten haben und die vertriebenen PalästinenserInnen in den verarmten Gebieten der Westbank und dem Gaza ihren Bantustan-Staat errichten dürfen. Kurz: In der Praxis schließt das Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Israelis das Selbstbestimmungsrecht der PalästinenserInnen aus. Nur die revolutionäre Zerschlagung des Staates Israel kann den Weg zur Rückkehr aller PalästinenserInnen und einem gleichberechtigten Zusammenleben im Rahmen eines arabisch-jüdischen sozialistischen Staates in Palästina ebnen.

Das CWI kann sich jedoch nicht zu einer solchen revolutionären Perspektive durchringen, denn die beschränkten Parameter ihres sozialistischen Zionismus grenzen ihren politischen Horizont ein und lassen sie nicht über den Tellerrand des Reformismus hinausblicken. Daher ihre neutrale Haltung im Libanon-Krieg, daher ihr Abseitsstehen im praktischen Kampf gegen den imperialistischen Krieg, daher ihre Anpassung an den Zionismus. Doch Pazifismus und Abseitsstehen hat nichts mit Sozialismus zu tun!

Widerstand bedeutet: Arbeit für die Revolution!

Der israelische Aggressionskrieg und die fortgesetzte Offensive des US-Imperialismus sind heute eine der Hauptfragen der Weltpolitik und somit auch der Politik von internationalistisch denkenden MarxistInnen. In ihrer Haltung zu diesen brennenden Fragen zeigt sich, wer auf welcher Seite der Barrikade steht und wer eine fortschrittliche Rolle in der ArbeiterInnen- und Jugendbewegung spielt. Große Teile der Linken waren unfähig und unwillig, während des Kriegs eine internationalistische, antiimperialistische Haltung einzunehmen. Sie lehnen eine konsequente Ablehnung des Zionismus ab und solidarisieren sich nicht mit dem Kampf der Unterdrückten.

Krieg und Widerstand in Libanon und Palästina unterstreichen einmal mehr, daß sich die Widersprüche der imperialistischen Weltordnung massiv zuspitzen. Die herrschende Klasse greift immer offener zu Krieg, Terror und Unterdrückung, um ihren Drang nach Extra-Profiten und Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen. Die Menschheit steht vor der Alternative: Sozialismus oder Barbarei. Wir leben in einer welthistorisch vor-revolutionären Periode. Wir gehen einer Periode entgegen, in der Revolution und Konterrevolution auf der Tagesordnung stehen und in der es unsere Aufgabe sein wird, den Kampf gegen die bürgerliche Herrschaft zu organisieren und bis zum Aufstand und zur Machteroberung durch die Arbeiterklasse zu führen.

Vor dieser Herausforderung stehen die marxistischen RevolutionärInnen nicht nur weltweit, sondern auch hier in Deutschland und Österreich. Und diese Frage ist von höchster Dringlichkeit, denn nur durch eine sozialistische Weltrevolution können wir ein Absinken der Menschheit in eine endlose Abfolge von Krisen und Kriege verhindern. Ohne den rechtzeitigen Aufbau einer organisierten revolutionären Kraft werden wir nicht in der Lage sein, den mächtigen kapitalistischen Staatsapparat zu stürzen und die Revolution zum Sieg zu führen. Deswegen haben wir uns in der Liga für die 5. Internationale zusammengeschlossen, um eine revolutionäre Partei in Deutschland und Österreich und anderen Ländern als Teil der künftigen 5. Internationale aufzubauen.

Fußnoten:

(1) Laut Angaben des israelische Nuklearwissenschaftlers Mordechai Vanunu, der für die Bekanntgabe dieser Information in Rom entführt und in Israel ins Gefängnis geworfen wurde. Siehe: Eine besondere Beziehung. Wie Israel zur Bombe kam; in: Le Monde diplomatique, Nr 04/10. Jg – April 2004

(2) Carl von Clausewitz: Vom Kriege, S. 22

(3) W. I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: LW 22, S. 194

(4) W. I. Lenin: Die Konferenz der Auslandssektionen der SDAPR; in: LW Bd. 21, S. 152

(5) W. I. Lenin: Sozialismus und Krieg, in: LW 21, S. 299

(6) W. I. Lenin: Über die Junius-Broschüre, in: LW 22, S. 315

(7) Lenin: Sozialismus und Krieg, in: LW 21, S. 301

(8) Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale, II. Weltkongreß der Kommunistische Internationale, in: Die Kommunistische Internationale, Manifeste, Thesen und Resolutionen, Band I, Köln 1984, S. 164

(9) Leo Trotzki: Resolution zum Anti-Kriegs-Kongress des Londoner Büros, Juli 1936, in: Leo Trotzki: Schriften zum imperialistischen Krieg, S. 105

(10) Leo Trotzki: Antiimperialistischer Kampf ist der Schlüssel zur Befreiung, 23. September 1938, in: Writings 1938-39, S. 34; unsere Übersetzung

(11) So erzwang die Linkspartei.PDS die explizite Anerkennung des Staates Israel in den Aufruf für die Demonstration am 12. August 2006.

(12) „Die Israel Defense Forces machen in diesen Tagen nur das, was sie immer tun, tun müssen und was ihr Name schon sagt: sie verteidigen Israel.“ Abgedruckt auf http://god.kpoe.at/news/article.php

(13) Gregor Gysi: Krieg ist eine Höchstform von Terror, 19.09.2006

(14) Walter Baier: Können Linke antisemitisch sein? Antiintellektualistische und antisemitische Ressentiments haben auch in der Linken eine lange Geschichte; 30. 8. 2006

(15) Europäische Linkspartei: Appell der Europäischen Linken an die Staatschefs in Europa, 1. August 2006

(16) Resolution der KPÖ-Parteikonferenz zum Nahen Osten vom 1. Juli 2006

(17) Wolfgang Gehrcke: UN-Resolution könnte erster Schritt zur Beendigung des Krieges sein; Pressemitteilung der Linkspartei-Fraktion vom 12.08.2006

(18) Gregor Gysi: Krieg ist eine Höchstform von Terror, 19.09.2006

(19) Siehe dazu auch den programmatischen Text von Walter Baier, dem ehemalige Parteivorsitzende der KPÖ, in dem er das KPÖ-Konzept der pluralistischen Beliebigkeit theoretisch zu begründen versucht und erklärt: „Frieden ist ein unverhandelbarer Grundwert des Kommunismus. (…) Ziel der KommunistInnen ist die Abrüstung aller Waffen und die Abschaffung des Krieges. Wir verfolgen unsere Ziele gewaltfrei. (…) KommunistInnen sind in dem Sinn PazifistInnen, als sie Befreiungskriege als unvermeidbare bewaffnete Konfrontationen anerkennen, gleichzeitig aber in jedem Krieg das Scheitern der Politik und ein Krisensymptom der Zeit erkennen.“ (Walter Baier: Sozialismus – Feminismus – Pazifismus – Freiheit. Vier Grundwerte eines neuen Kommunismus.) Zur marxistischen Kritik des Pazifismus siehe u.a. Roman Birke: Marxismus, Pazifismus und Reformismus; in: ArbeiterInnenstandpunkt, Zeitung Nr. 145 (September 2006)

(20) Leo Trotzki: Resolution zum Anti-Kriegs-Kongress des Londoner Büros, Juli 1936, in: Leo Trotzki: Schriften zum imperialistischen Krieg, S. 105f.

(21) Gerade mal in einem einzigen Satz in einer einzigen Resolution konnte sich das CWI zu der Formulierung durchringen: „Die Hisbollah hat das Recht, sich gegen die israelische Aggression zur Wehr zu setzen.“ (Kevin Simpson, CWI: Luftangriffe der israelischen Regierung auf den Libanon – regionaler Krieg droht; 18.07.2006) Bei dieser einmaligen großzügigen Gewährung des Rechts auf Selbstverteidigung blieb es dann auch und nirgendwo sprach sich das CWI für den Sieg des libanesischen Widerstandes und die Niederlage Israels aus.

(22) Die Position des ArbeiterInnenstandpunkt zum israelischen Terrorkrieg gegen das libanesische und palästinensische Volk – Fragen und Antworten, http://arbeiterinnenstandpunkt.net/

(23) SLP: Augenzeugenbericht einer/s SozialistIn aus dem Libanon: „Libanon: wieder vom Krieg verwüstet, slp.at, 14.8.2006

(24) Flugblatt der SLP gegen den Krieg im Libanon: Dieser Krieg gefährdet ALLE Menschen im Nahen Osten!

(25) slp-info vom 27. Juli 2006

(26) SLP: Naher Osten: Augenzeugenberichte aus Beirut und Haifa, 13.07.2006

(27) Angaben der World Bank im „World Development Report 2006, S. 292f.

(28) W. I. Lenin: Das revolutionäre Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, 1915, in: Lenin-Werke, Band 21, S., 416

(29) Flugblatt der SLP gegen den Krieg im Libanon: Dieser Krieg gefährdet ALLE Menschen im Nahen Osten!

(30) W. I. Lenin: Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen – Thesen, 1916, in: Lenin-Werke, Band 22, S. 147




Die Taktik der anti-imperialistischen Einheitsfront

Thesen der Bewegung für eine revolutionär-kommunistische Internationale (BRKI), 1986

Angenommen von der BRKI -Delegiertenkonferenz (Juli 1986)

Zuerst veröffentlicht in: ARBEITERMACHT-ZEITSCHRIFT 6, FRÜHJAHR 1987; Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

1. Die Taktik der Kommunisten in Bezug auf bürgerlich und kleinbürgerlich geführte Bewegungen, die in Konflikt mit dem Imperialismus geraten, wurde im Wesentlichen auf dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale herausgearbeitet. Lenins Thesen brachten die Möglichkeit zum Ausdruck, eine ‚Allianz‘ mit diesen Kräften unter zwei Bedingungen zu schließen. Die erste war, dass diese Kräfte in der Praxis einen Kampf gegen den Imperialismus anführten, und die zweite, dass eine solche Allianz keine Einschränkungen für die auf die Organisierung der Arbeiter und Bauern gerichtete unabhängige Aktivität der Kommunisten mit sich bringe. Die Thesen nährten keine Illusionen – weder über den Willen noch in die Fähigkeit der ’nationalrevolutionären‘ Bewegungen, d.h. der Bourgeoisie, den Kampf auch zu Ende zu führen, dem Würgegriff des Imperialismus zu entkommen. Sie betonten, dass ein ‚entschlossener Kampf‘ dagegen geführt werden müsse, diese Bewegungen in kommunistische Gewand erscheinen zu lassen. Die Unabhängigkeit von Propaganda, Organisation und Aktion war notwendig, gerade weil die nationale Bourgeoisie zögern und Kompromisse im Kampf gegen den Imperialismus schließen würde.

2. Die Taktik der Einheitsfront in der kolonialen und halbkolonialen Welt wurde vollständiger auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale ausgebaut. Ihre Entwicklung war Teil der Diskussion und Ausarbeitung der Einheitsfronttaktik, die zwischen dem III. und IV. Kongress vor sich gegangen war, insbesondere mit Bezug auf die sozialdemokratischen Parteien und ihre Gewerkschaften in Europa. In der Periode direkt nach der russischen Revolution und während der revolutionären Krise, die Europa nach dem Ersten Weltkrieg ergriff, gab es wenig Antrieb, die Praxis der Bolschewiki von 1917 in eine allgemein anwendbare Taktik für die Komintern weiterzuentwickeln, da der Masseneinfluss der sozialdemokratischen Führungen auf dem Punkt des Zusammenbruchs angelangt zu sein schien. Wie Trotzki sagte: „Wenn wir annehmen, dass die Partei am Vorabend der Machteroberung steht und die Arbeiterklasse ihr folgen wird, dann taucht die Frage der Einheitsfront nicht auf.“ In der Komintern waren die Schaffung von Kommunistischen Parteien, der Aufbau von Sowjets und der bewaffnete Aufstand die zentralen Aufgaben einer revolutionären Situation. 1921 wurde es dann offenbar, dass diese revolutionäre Situation vorbei war. Der Kapitalismus hatte, unterstützt von den verräterischen sozialdemokratischen und Labour-Führern, eine zeitweilige Stabilisierung erreicht. Indem sie die veränderte Situation und die Stärke des Reformismus in Westeuropa erkannte, lancierte die Komintern auf dem III. Kongress unter der Losung „Heran an die Massen!“ die EInheitsfronttaktik. Nach diesem Kongress entwickelte das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) die Taktiken, die als Einheitsfront bekanntgeworden sind.

Die Formen der Einheitsfront

3. Die Arbeitereinheitsfront war eine Taktik – oder eine Reihe von aufeinander bezogenen Taktiken, die darauf abzielte(n), die Masse der Arbeiterklasse für den revolutionären Kommunismus, für das Programm der revolutionären Partei und für die Diktatur des Proletariats zu gewinnen – nicht durch Propaganda allein, sondern durch die Aktion und im Kampf. „Nur indem sie die konkreten Kämpfe des Proletariats führen und indem sie sie vorantreiben, werden die Kommunisten wirklich fähig sein, die breiten proletarischen Massen für den Kampf um die Diktatur zu gewinnen“ (Thesen zur Taktik, III. Komintern-Kongress). Als eine Taktik war die Einheitsfront diesem strategischen Ziel untergeordnet. Die Einheitsfront von einer Taktik zur Strategie zu machen, wenn ihr Zustandebringen (oder ihr Weiterbestehen, ist sie einmal erreicht) das dauernde langfristige Ziel wird, das kann nur zur Liquidation des revolutionären Programms führen. Letzteres wäre die notwendige Konsequenz, wollte man das Fortbestehen einer langfristigen Allianz mit nichtrevolutionären Parteien oder Organisationen absichern.

4. Ungeachtet der einheitlichen Methode der Einheitsfront, die der Arbeitereinheitsfront und der Antiimperialistischen Einheitsfront zugrunde liegt, existieren dennoch wichtige Unterschiede zwischen diesen beiden Formen. Die Arbeitereinheitsfront in den imperialistischen Ländern basiert auf der Einheit der Arbeiterorganisationen und ihrer Parteien in der Aktion. Die Kommunisten kämpfen in solchen Einheitsfronten, wie beschränkt diese auch immer sein mögen, um die Forderungen und Ziele des gemeinsamen Kampfes zu entwickeln und zu erweitern. Sie tun dies durch die Handhabung der Übergangsforderungen in Richtung auf einen Kampf zur Überwindung des Kapitalismus. Das erfordert in Perioden des verschärften Klassenkampfes den Kampf zur Weiterentwicklung der Einheitsfront in Arbeiterräte und den Kampf für eine Arbeiterregierung. Die Anti-imperialistische Einheitsfront wiederum entwickelt sich auf dem Boden von Minimal- bzw. demokratischen Forderungen: Kampf gegen die imperialistische Herrschaft, für nationale Unabhängigkeit und Einheit, für Demokratie und demokratische Rechte. Hier liegt das Anliegen darin, in diesen Kampf nicht allein die Arbeiterorganisationen einzubeziehen, sondern auch die des Kleinbürgertums – die Organisationen speziell der Bauernschaft, der städtischen Kleineigentümer, der Freiberuflichen, der Akademiker etc. – ja sogar Sektionen oder Elemente der nationalen Bourgeoisie, wo immer letztere durch den Druck der Massen gezwungen wird, sich dem Imperialismus zu widersetzen. Der Kampf der Kommunisten zur Gewinnung der Arbeiter, armen Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie für die Perspektive der sozialistischen Revolution, also dafür, den Kampf für Demokratie und gegen Imperialismus in einen Kampf gegen den Kapitalismus und für die Diktatur des Proletariats zu verwandeln, muss die anti-imperialistische Einheitsfront aufbrechen und ersetzen, soll er bis zu diesem Grad erfolgreich sein. Der Kampf zur Gewinnung der Massen von den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern und ihren Parteien, die Anstrengungen, Arbeiterräte in den Städten und Räte der armen Bauern und agrarischen Arbeiter auf dem Lande zu schaffen, sind beide Teile des Kampfes für eine Arbeiter- und Bauernregierung: eine Regierung, wo die Bauern mit ihren bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führern gebrochen haben und zur Unterstützung der Diktatur des Proletariats gewonnen wurden.

5.  Die Einheitsfront ist ihrem eigentlichen Wesen nach eine zeitlich begrenzte Übereinkunft. In neun von zehn Fällen, wenn kein besonders günstiges Kräfteverhältnis oder keine günstige politische Situation besteht, werden die reformistischen Führer sie zurückweisen und ihr Äußerstes tun, um ihre Basis von einer Teilnahme abzuhalten. Wo sie erreicht ist, wird sie um klare, präzise und begrenzte Ziele des wirklichen Kampfes geschlossen werden. Ihr primäres Ziel ist nicht, gemeinsame Propaganda zu machen (falls es so wäre, würde sie ein Propagandablock und keine Einheitsfront sein), sondern Agitation um die Aktionsziele der Einheitsfront.

6. Die Komintern machte deutlich, dass die Einheitsfront nicht bloß ein ‚Appell an die Führer‘, sei – geschweige denn ein Vorschlag für eine rein parlamentarische Kombination oder einen Block. „Die Einheitsfront bedeutet den Zusammenschluss aller Arbeiter, ob Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten, Unabhängige oder Parteilose, ja sogar christliche Arbeiter, gegen die Bourgeoisie. Mit den Führern, wenn sie wollen, ohne die Führer, wenn sie gleichgültig daneben stehen, und in. Herausforderung und gegen die Führer, wenn sie die Arbeitereinheitsfront sabotieren“ (EKKI, April 1922). So erfolgte der Aufruf zur Einheitsfront zugleich von ‚oben und unten‘. Aber: „Der wirkliche Erfolg der Einheitsfronttaktik hängt von einer Bewegung ‚von unten‘, von der Basis der arbeitenden Massen, ab“ (Thesen zur Taktik, IV. Weltkongress der Komintern).

7. Das Schmieden einer Einheitsfront bedeutet nicht einen Augenblick lang, der Beendigung der Kritik zuzustimmen. Für die Komintern gab es kein diplomatisches Verschweigen oder Vertuschen vergangenen oder gegenwärtigen Schwankens und Verrates seitens der  reformistischen Führer. Kommunisten innerhalb der Einheitsfront, „während sie eine Aktionsgrundlage akzeptieren, müssen das bedingungslose Recht und die Möglichkeit, ihre Meinung über die Politik aller Arbeiterorganisationen ohne Ausnahme auszudrücken, behaupten – nicht nur bevor und nachdem eine Aktion unternommen wurde, sondern auch, wenn notwendig, während ihres Verlaufs. Unter keinen Umständen können diese Rechte aufgegeben werden“ (EKKI, Dezember 1921). Darüber hinaus würde es bedeuten, die Einheitsfront in einem Block mit reformistischen Führern während oder nach einem Betrug in der Aktion noch weiterhin aufrechtzuerhalten, selbst zum Komplizen ihres Verrats zu werden. Wenn es wichtig ist zu wissen, wann man eine Einheitsfront machen kann, dann ist es gleichermaßen wichtig zu wissen, wann man sie wieder brechen muss und dementsprechend eine sofortige Warnung den Arbeitern an der Basis zukommen zu lassen, dass der Verrat bevorsteht.

8. Der der Einheitsfront angemessene Organisationstyp ist ein Kampforgan, nicht eines für Propaganda für ein Programm. Als solches ist eine Gewerkschaft in einem bestimmten Sinn eine Einheitsfront. Passender aber schafft eine Einheitsfront aus dem Augenblick heraus kämpfende Körperschaften, entsprechend den auf der Hand liegenden Aufgaben. Das können Streikkomitees, Aktionsräte und, auf der höchsten Ebene, Sowjets sein. Solche für den Kampf lebensnotwendige Organe verstärken den Druck auf die reformistischen Führer, mit der Bourgeoisie zu brechen. Die Einheitsfront kann daher viele Formen annehmen. Sie kann äußerst kurzfristig sein – für eine einzige Demonstration, Versammlung oder einen Streik; oder sie kann eine ‚höhere‘ Form annehmen, was eine Reihe von Aktionen und Übereinkommen mit einschließt – einen militärischen Block, eine Basisopposition in den Gewerkschaften, wie das britische ‚Minority Movement‘. Welche Form auch immer sie annimmt, sie ist ein Block zur Verteidigung der Arbeiterinteressen, in dem die Kommunisten weder ihr eigenes Programm boykottieren noch verschwinden lassen; sie „marschieren getrennt, aber schlagen gemeinsam“.

9. Die Einheitsfront ist nicht auf defensive gewerkschaftliche oder außerparlamentarische Kämpfe beschränkt. Sie gerät in die Arena des Wahlkampfes, wo reformistische Parteien die Arbeiterklasse dominieren (siehe Resolution der BRKI zur Wahltaktik). Sie erhebt auch die Frage der Regierung und der Regierungslosung. Die Resolution zur Taktik auf dem IV. Kongress machte klar, dass die Losung für eine Arbeiterregierung die unvermeidliche Konsequenz der Einheitsfronttaktik ist Die Teilkämpfe der Arbeiterklasse stoßen unvermeidlich mit den Strukturen des kapitalistischen Staates zusammen, mit der jeweiligen Regierung und ihrer Politik. Die Kommunisten haben gesellschaftsweite Antworten auf die Probleme, mit denen die Arbeiter konfrontiert sind, bereitzustellen. Sie richten Forderungen an die Arbeiterführer, stellen ein Programm für eine Arbeiterregierung auf. Aber das alles verbleibt nicht bloße Forderung; für die Durchsetzung wird in der Basis der Arbeiterklasse, die allen Parteien und keiner gehört, in einem Einheitsfrontkampf, durch die Arbeiterkontrolle in den Fabriken und durch Sowjets, durch den Generalstreik etc. gekämpft.

Die anti-imperialistische Einheitsfront

10. Die Grundlage der Anti-imperialistischen Einheitsfront beruht auf dem Zusammenstoß der Interessen der imperialisierten Länder mit denen der imperialistischen Bourgeoisie. Der Imperialismus fördert die industrielle Entwicklung in den imperialisierten Ländern, aber in einer verkümmerten und verzerrten Weise. Die imperialistischen Banken und Monopole beherrschen deren Wirtschaft, indem sie Superprofite (wieder in die Metropolen zurück überführte Profite und Wucherzinsen für Darlehen …) abziehen. Sie setzen ihre Einschränkungen für die Wirtschaft durch imperialistische Agenturen, wie den Internationalen Währungsfond, die Weltbank etc. durch; und zwar – aufgrund der Unmöglichkeit, solche Plünderungen über eine längere Periode demokratisch durchführen zu können – unvermeidlicher Weise in Allianz mit den reaktionärsten mit dem Imperialismus verbundenen Elementen – der Militärhierarchie und der Agraroligarchie. Die Forderung nach „unabhängiger wirtschaftlicher Entwicklung“, für Schuldenerleichterung, für staatskapitalistische Industrialisierung, Protektionismus, Landreform und eine konstitutionelle Demokratie spiegelt die Bedürfnisse jener Teile der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums, die am stärksten unter der Zwangsjacke imperialistischer Beherrschung leiden, wider. Diese Forderungen können zu episodischen Zusammenstößen zwischen der Bourgeoisie der Halbkolonie und der imperialistischen Bourgeoisie (oder mit deren Agenten im Land) führen – wie im Falle des Kampfes gegen Somoza in Nicaragua.

11. Aufgrund der Schwäche der Bourgeoisie in der halbkolonialen Welt, dem Ausmaß, in dem wichtige Teile wirtschaftlich mit dem imperialistischen Kapital selbst verbunden sind, und – am wichtigsten – aufgrund ihrer Furcht vor einer revolutionären Mobilisierung der Massen, die deren eigene Herrschaft ebensogut wie die der Imperialisten bedroht, führt die „nationale Bourgeoisie“ nur in Einzelfällen oder wirft ihr Gewicht nur ausnahmsweise in ernsthafte Kämpfe gegen den Imperialismus. Als Resultat ist in vielen Ländern im 20. Jahrhundert die Führung der antiimperialistischen Bewegungen dem Kleinbürger¬tum zugefallen. Aber in der großen Mehrheit der Fälle ist das Programm dem der Bourgeoisie treu geblieben, trotz der Versuche, die Arbeiter zu täuschen, indem das Programm in sozialistische oder kommunistische Farben gekleidet wird – Beispiele wären Nyereres „Afrikanischer Sozialismus, Mugabes „Marxismus-Leninismus“ genauso wie der des äthiopischen Derg, der Sandinismus der FSLN etc.

12. Wenn die Bourgeoisie (oder‘ Teile von ihr) oder das Kleinbürgertum in den Kampf mit dem Imperialismus eintreten, werden sie genötigt, die Masse der Arbeiter und Bauern einzubeziehen und sich auf sie zu stützen. In solchen Fällen ist es die Pflicht der Kommunisten, neben diesen. Kräften in den Kampf zu treten. Die Anti-imperialistische Einheitsfront zielt darauf ab, den Einfluss der bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Nationalisten auf die Massen im Kampf zu zerbrechen. Weder stehen die Kommunisten in sektiererischer Manier abseits, noch verbergen sie ihre Kritik an diesen Führungen oder die Ziele, wofür sie kämpfen. Im Unterschied zur Volksfront, die eine Koalition entgegengesetzter Klassen ist und die die Interessen der Arbeiterklasse dem Programm der Bourgeoisie unterordnet, beschränkt sich die Arti-imperialistische Einheitsfront auf konkrete gemeinsame Aktionen und spezifische Abkommen, die den Kampf gegen den Imperialismus vorantreiben, in denen aber die Kommunisten die Freiheit der Kritik und der Propaganda bewahren. Solche Einheitsfronten, die kompromisslerische Rolle der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Naionalisten vorausgesetzt, sind gewöhnlich äußerst episodisch und zeitlich begrenzt. Es ist keine Frage, dass man die Kampfloungen im anderen Falle so weit zurechtstutzen müsste;.bis sie für die Bourgeoisie akzeptabel wären – ganz abgesehen davon dass man ihr ‚einen Sitz in der Einheitsfront‘ reservieren müsste.

13. Die Schlüsse, die Trotzki für die Internationale Linksopposition aus der chinesischen Revolution von 1923 bis 1927 zog, waren nicht die, dass die Taktik der Anti-imperialistischen Einheitsfront aufgegeben werden sollte, sondern dass ihr opportunistischer Gebrauch zur Katastrophe geführt hatte. Unter der Führung von Bucharin und Stalin war die Taktik ihres revolutionären Gehalts beraubt worden. Die chinesische KP gab ihre Unabhängigkeit auf und tauchte in der bürgerlichen Kuomintang unter. Sie hatte unter Anleitung der Komintern die Kuomintangführung als kommunistisch hochstilisiert, indem sie ihre anti-imperialistischen Bezeugungen lobte und jegliche Kritik an ihr aufgab. Sie hatte die Forderungen der Arbeiter und Bauern, die die Allianz mit der Bourgeoisie zu zerbrechen drohten, boykottiert. Sie hatte die Anti-imperialistische Einheitsfront in eine Volksfront verwandelt, die das chinesische Proletariat der Konterrevolution auslieferte.

14. Stalin und Bucharin kam dabei die Unklarheit der von der Komintern in ihren Diskussionen um die Taktik der Anti-imperialistischen Einheitsfront aufgestellten ‚Regierungslosungen zu Hilfe. Die chinesische Revolution bewies, dass die Losung der „Demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ nicht nur überflüssig war, sondern, dass sie geeignet war, zu einem Ruf für eine separate bürgerliche Etappe der Revolution pervertiert zu werden. In diesem Sinne war – in Trotzkis Worten – die Losung zu einer Schlinge um den Hals des Proletariats geworden. Diese, Losung implizierte, dass eine bürgerliche Lösung des Kampfes gegen den Imperialismus das Ziel, für das das Proletariat in der ‚Einheitsfront‘ zu kämpfen hätte, sei. Die chinesischen Ereignisse bestätigten erneut die Notwendigkeit der Perspektive der permanenten Revolution, des Kampfes für Sowjets und für die Arbeiter- und Bauernregierung. Eine solche Perspektive bedeutet nicht, dass die Anti-imperialistische Einheitsfront nur um solche Forderungen geschlossen werden kann. In Perioden der Niederlage oder wenn die Massen aus langen Perioden der Diktatur hervortreten, kann die Einheitsfront ebensogut um demokratische Forderungen, die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Demonstration oder für die Freilassung aller politischen Gefangenen etc. eingegangen werden. Der Kampf für eine demokratische konstituierende Versammlung kann ein wichtiges Ziel einer Anti-imperialistischen Einheitsfront werden, und zwar dort, wo dieser ein. Teil des Kampfes zur überwindung einer vom Imperialismus gestützten Diktatur ist. Der Kampf für die Enteignung der Großgrundbesitzer und für eine Agrarrevolution würde eine zentrale Stellung im Kampf für eine solche konstituierende Versammlung in den meisten Teilen der imperialisierten Welt einnehmen. Der Kampf um diese Forderungen wird vor allem geführt, um die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen neben denen der Bauern zu stärken – mit den Mitteln von Demonstrationen, Streiks, Kampfkomitees, sowjetähnlichen Organisationen usw.

15. Die Anti-imperialistische Einheitsfront impliziert in keiner Weise, sogenannten ‚anti-imperialistischen Regierungen‘ Unterstützung zu gewähren. Kommunisten geben bürgerlichen Regierungen keine wie auch immer geartete Unterstützung. Wir unterstützen aber jede ernsthafte Aktion solcher Regierungen, die gegen imperialistische Interessen unternommen wird, z.B. die Verstaatlichung oder Enteignung imperialistischer Besitzungen. Kommunisten würden an militärischen Aktionen, die gegen den Imperialismus unternommen werden, teilnehmen und sie unterstützen, d.h. in Nicaragua gegen die Contras und die US-Berater, in Argentinien gegen Großbritannien auf den Malvinen, um in einer solchen Auseinandersetzung für die Bewaffnung der Arbeiter, für demokratisch kontrollierte Arbeitermilizen zu kämpfen. Auf ähnliche Weise könnten Kommunisten, wo der politische Kampf das Stadium des Bürgerkriegs gegen eine Diktatur erreicht hat, in eine militärische Einheitsfront eintreten – wo immer möglich als unabhängige bewaffnete Kraft, die aber eine gemeinsame militärische Disziplin akzeptiert und Abkommen schließt zur Erringung von gemeinschaftlichen Kampfzielen – sofortige Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung, Legalisierung der Gewerkschaften und von Streiks etc. Wir gehen davon aus, dass militärische Blöcke eine Form der Einheitsfront sind – eine Form, die nicht qualitativ unterschiedlich ist zu Einheitsaktionen für politische Ziele – denn: „Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Wenn wir für den Sieg von Bewegungen wie der FMLN, FSLN etc. eintreten, die gegen den Imperialimus, seine Agenten oder eine Diktatur kämpfen, so tun wir das vor dem Hintergrund, dass ein solcher Slogan in der Regel dann zu erheben ist, wenn der Bürgerkrieg oder eine revolutionäre Krise ein entscheidendes Stadium erreicht hat. Wir heißen aber nicht den Sieg ihres politischen Programmes gut. Innerhalb einer solchen Einheitsfront würden wir für unser Programm kämpfen, um die Arbeiter und Bauern von den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führungen loszubrechen und den Weg zum Kampf für eine Arbeiter- und Bauernregierung freizumachen.

16. Es ist daher nicht gestattet, der Anti-imperialistischen Einheitsfront eine gemeinsame Regierungsform zu geben, da das Proletariat mit den bürgerlichen Kräften das Ziel einer gemeinsamen Regierung nicht teilen kann. Während wir also einen gemeinsamen Kampf für. die Einberufung einer konstituierenden Versammlung an der Seite mit kleinbürgerlichen und sogar bürgerlichen Kräften führen können, kann unsere Regierungslosung nur die der Arbeiter- und Bauernregierung sein. Keine Bourgeoisie wird eine wirkliche Arbeiterregierung, d.h. eine, die sich auf die bewaffneten Arbeiter stützt und den gegenwärtigen und historischen Interessen des Proletariats dient, tolerieren. Andererseits darf die Arbeiterklasse unter keinen Umständen eine Regierung seiner eigenen Ausbeuter unterstützen. Jede Regierung, die vorgibt, ‚über den Klassen‘ zu stehen oder das Volk insgesamt zu vertreten, ist ein Betrug. Das Proletariat kann aber ein demokratisches Regime verteidigen oder versuchen, ein solches zu erreichen, indem es demokratische Losungen, insoweit sie für den Kampf gegen die Diktatur und für die Rechte der Arbeiter, armen Bauern und des unterdrückten Kleinbürgertums mobilisieren, verwendet. Aber solche Kämpfe und Losungen dürfen niemals in einem sich selbst beschränkenden Bereich aufgestellt werden. Sowjets müssen das freieste Parlament ersetzen und die Diktatur der Arbeiter die demokratische Republik. Von dem Moment an, ab dem die demokratischen Freiheiten erreicht sind – de facto ebenso wie nach dem Gesetz – werden sie zur Arena für den Kampf des Proletariats um die Macht.




Neue Sozialdemokratie oder neue Arbeiterpartei?

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 36, Dezember 2006

Vorbemerkung

Die Vereinigung von PDS und WASG schreitet voran. Die beiden Parteitage haben im November 2006 die Weichen für einen Zusammenschluss auf reformistischer und bürokratischer Grundlage gelegt. Im kommenden Jahr wird eine zweite, linkere sozialdemokratische und staatstragende bundesweite Apparatpartei formiert werden.

Jene Linken, die den weiteren Verlauf und die Form der Vereinigung noch als „offen“ bezeichnen, täuschen mit solchen Einschätzungen nur sich selbst.

In der Gründungsphase und dann v.a. während und nach dem Bundestagswahlkampf schlossen sich viele AktivistInnen an, die bei den Demos gegen die Hartz-Gesetze dabei waren und direkt Betroffene der Armutsgesetze der Regierung waren und sind. Darin zeigt sich das Potential, das in der WASG trotz der reformistischen Führung zur Formierung einer neuen Arbeiterpartei der Klasse lag, die gegen die Angriffe des Kapitals kämpft und die zu einer revolutionären, anti-kapitalistischen Organisation hätte werden können.

Freilich war das keineswegs ein Selbstläufer. Um dieses Potential zu realisieren und – was schon ein großer Fortschritt und erster Schritt gewesen wäre – eine politisch-oppositionelle klassenkämpferische Strömung zu schaffen, war immer ein scharfer politischer Kampf gegen die vorherrschende Bürokratie und bürgerlich-reformistische Ideologie der Partei notwendig.

Dieses Potential ist in der WASG – von der PDS ganz zu schweigen – erdrückt worden. Die Arbeitslosen aus den Anti-Hartz-Protesten sind am Weg aus der Partei oder haben diese schon in den letzten Monaten verlassen. Die WASG hat schon seit geraumer Zeit aufgehört, AktivistInnen aus jeder Form sozialer Bewegung anzuziehen.

Sollte es nicht zu einer dramatischen Wendung im Klassenkampf und einer daraus resultierenden massenhaften Zuwendung radikalisierter Lohnabhängiger und Jugendlicher zu Partei kommen, so wird sich die Konsolidierung und Festigung einer reformistischen Partei, die die bornierten Sonderinteressen von Teilen der Arbeiteraristokratie, der Gewerkschaftsbürokratie und lohnabhängiger Mittelschichten zum Ausdruck bringt, die eine Partei der Vermittlung der Interessen des deutschen Imperialismus in Sektoren der Arbeiterklasse und der Mittelschichten sein wird, nicht verhindern lassen.

Daher ist unserer Meinung nach die zentrale Frage der nächsten Monate für den Kampf in der WASG jener gegen eine zunehmend verfestigte reformistische Bürokratie und die Sammlung all jener AktivistInnen, die sich von der WASG eine kämpferische Partei zur Vertretung ihrer Interessen und keinen zweite SPD erhofften.

Die Schaffung einer solchen Arbeiterpartei, die letztlich ein revolutionäre sein muss und nicht einfach irgendeine sozialdemokratische, also auf bürgerlicher Grundlage „Vereinigte Linke“, ist eine, wenn nicht die Schlüsselfrage für den Klassenkampf in Deutschland!

Die Frage einer weiteren Arbeit in der WASG und oder in der Vereinigten Linken muss deshalb danach beurteilt werden, ob sie zum Aufbau einer solchen Arbeiterpartei beiträgt oder ob sie diesen nicht vielmehr erschwert.

Die Entwicklung der letzten Monate – sowohl des Programms, der „Aktionen“ und v.a. der Taten der PDS und der WASG – zeigen, dass dieses Potential praktisch erloschen ist. Dass jene Schichten, die in der WASG eine Massenbasis für eine neue Arbeiterpartei hätten darstellen können, aus der Partei gedrängt wurden.

Dabei haben wir durchaus keine Ebbe im Klassenkampf zu konstatieren. Der Generalangriff von Oben läuft unvermindert weiter. In den großen Konzernen jagt eine Entlassungs- und Schließungswelle die nächste.

Diese Schichten drängen jedoch nicht die Vereinigte Linke – und werden es wohl auch in den nächsten Monaten und Jahren nicht tun. Aber sie brauchen eine politische Organisation, um ihre Kämpfe zu bündeln und um das Rückgrad einer klassenkämpferischen Bewegung in den Betrieben und Gewerkschaften zu schaffen. Die Arbeitslosenproteste und die Bewegung der StudentInnen und Jugendlichen gegen den Bildungsabbau brauchen eine Aktionspartei! Das wird die Vereinigte Linke nicht sein.

Daher gilt es jetzt, alle jene Elemente politisch/organisatorisch zu sammeln und den Bruch mit PDS/WASG vorzubreiten. Es hilft überhaupt nichts, um diesen Punkt herumzureden und ihn aus „taktischen“ Gründen zu verschweigen. Das würde nur jene desorientieren, die nach einer politischen Orientierung im Kampf gegen das Kapital und gegen die Führungen von PDS/WASG suchen und dazu eine klassenkämpferische und politische Alternative aufbauen wollen.

Natürlich wird das von der Parteiführung, aber auch von linken Fußabtretern wie Linksruck als „Spaltung“ bezeichnet werden. Die Spaltung und Ausgrenzung geht jedoch von der Parteispitze aus. Die „Offenheit“ gegenüber Kommunismus und Anti-Kapitalismus war bei ihnen immer nur eine Phrase und galt und gilt nur dann, wenn diese das reformistische Programm der Führung verteidigen.

Die Marginalisierung der Linken und das Hinausdrängen „unsicherer“, nicht-kontrollierter BasisgenossInnen waren vom Standpunkt der Ziele der Parteiführung nachvollziehbar und folgerichtig. Lafontaine, Gysi, Ernst und Konsorten geht es darum, eine Partei zu schaffen, die im Interesse des deutschen Imperialismus mitregieren kann – natürlich auf Grundlage eines „Politikwechsels“. Was Lafontaine schon mit der SPD als Finanzminister machte, soll in Zukunft von der Linken betrieben werden (und dann natürlich klappen).

Daraus erklärt sich auch, warum die WASG-Führung mit allen möglichen Mitteln den eigenständigen Antritt der WASG in Berlin bekämpfen musste – auch wenn die Politik der Berliner PDS ganz und gar nicht zum sozialen Image der Neuen Linken passt.

Es ist aber klar, dass die Angriffe des Berliner Senats auf die Lohnabhängigen nur kleine Fische sind im Vergleich zu den politischen und ökonomischen Angriffen, die von der „linken“ Regierung des deutschen Kapitals gefahren werden müssen. Daher kommt auch der Kampf gegen mehr oder weniger unnachgiebige Linke und kämpferische ArbeiterInnen und Arbeitslose.

Das Programm der Bürokratie

Die Linke ist wohl eine der ersten Parteien in Deutschland, die lange, bevor sie formell verschmolzen war, schon eine politische Führung hat: die Bundestagsfraktion unter Gysi, Lafontaine, Bisky und Ernst. Ihre Vorstellung einer „neuen Partei“ birgt kein großes Geheimnis in sich und war schon lange vor den jüngsten Parteitagen, spätestens zum Zeitpunkt der Bundestagskandidatur klar.

Die inneren Kämpfe zwischen verschiedenen Flügeln der PDS und WASG-Vorstände müssen daher immer schon als Kämpfe um die Dominanz in dieser vereinten reformistischen Partei und nicht als grundsätzliche politische Konflikte verstanden werden, auch wenn sie – wie wir weiter unten zeigen werden – verschiedene soziale Schichten widerspiegeln, auf die sich verschiedene Flügel von PDS/WASG stützen bzw. zu stützen versuchen.

Im folgenden Artikel wollen wir zuerst die politisch-programmatischen Eckpunkte der Fusion sowie die Differenzen innerhalb der zukünftigen Parteispitze näher untersuchen. Danach gehen wir auf die soziale Basis der jeweiligen Fraktionen in der „Vereinigten Linken“ sowie auf ihre Funktion für den deutschen Imperialismus ein.

Schließlich werden wir die Politik der „sozialistischen“ Linken einer kritischen Überprüfung unterziehen sowie unsere Schlussfolgerungen für den Aufbau des „Netzwerks Linke Opposition“ darstellen.

Kritik der Eckpunkte

Zur Vereinigung hat sich eine Kommission (1) aus beiden Parteien auf ein „Eckpunkteprogramm“ verständigt, das als „Programmatische Eckpunkte auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei in Deutschland (2)“ auf der gemeinsamen Sitzung der Parteivorstände von Linkspartei.PDS und WASG am 22.10.2006 in Erfurt verabschiedet wurde.

In den „Entwurf“ sollen von den Vorständen und AutorInnen „Anregungen“ aus den innerparteilichen Debatten oder von der Parteitagen eingearbeitet werden – ein demokratischer Prozess, bei dem die lokalen Gliederungen eigene Änderungen oder gar alternative Entwürfe einbringen könnten, ist erst gar nicht vorgesehen.

Dasselbe gilt für das Statut der Partei und alle anderen grundlegenden Fragen.

Um sich gegen die ohnedies höchst unwahrscheinliche Gefahr, dass auf den Parteitagen bedeutende Minderheiten gegen diesen Kurs aufbegehren, zusätzlich abzusichern, sollen Fusion, Programm und Statut auch noch durch eine Urabstimmung unter den Mitgliedern plebiszitär legitimiert werden, so dass jedem aufmüpfigen Parteitagsdelegierten der manipulativ hergestellte „Wille der Mitgliedschaft“ um die Ohren gehauen werden kann.

Globalisierung, Finanzmärkte und Neoliberalismus

Die Eckpunkte gehen wie viele andere Texte aus PDS oder WASG von einem bestimmten Bild der aktuellen Weltlage aus, aus dem dann die politischen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Sie skizzieren eine verschärfte, v.a. ökonomische Krisenhaftigkeit des Kapitalismus seit den sechziger und siebziger Jahren. Diese führten zu Gegenbewegungen und Kämpfen, die aber schließlich mit Niederlagen endeten.

„Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten Marktes immer mehr entfalten. Heute bestimmen transnationale Konzerne und die Kapital- und Finanzmärkte zunehmend die gesellschaftliche Entwicklung.

Der Neoliberalismus tritt im Namen von mehr Freiheit an, doch werden alle Lebensbereiche der Kapitalverwertung und insbesondere der Steigerung der Aktienkurse auf den Finanzmärkten unterworfen. Neoliberale Kräfte fordern weniger Staat und bauen den Sozialstaat zugunsten eines repressiven Wettbewerbsstaats ab. Sie berufen sich auf die Demokratie und setzen die Schwächung der Gewerkschaften und anderer demokratischer Organisationen und Bewegungen durch. Sie verfolgen eine unsolidarische Politik der Privatisierung, Deregulierung und Unterordnung aller Lebenssphären unter die Märkte. Sie lösen neue imperiale Kriege aus und verschärfen die Terrorgefahren. Statt Chancengleichheit zu fördern, vergrößern sie die Kluft zwischen Oben und Unten. Niedriglohnsektoren breiten sich aus. Steigende Gewinne gehen einher mit anhaltender Massenarbeitslosigkeit. Große Teile der Bevölkerung wenden sich von der Teilnahme an der demokratischen Willensbildung ab (3).“

Die AutorInnen konstatieren eine dramatische Veränderung der Lebensverhältnisse, der eine veränderte Kräftekonstellation zwischen den Klasse sowie innerhalb des Kapitals – zugunsten der transnationalen Konzerne, Kapital- und Finanzmärkte – zugrunde liegt. Lassen wir einmal diverse Ideologismen weg (der Bezug auf den Sozialstaat, die unhinterfragte Verwendung der „Terrorgefahr“), so ist die Darstellung als empirischer Befund in vielen Aspekten zutreffend.

Die Crux der Analyse und Politik der neuen Linken besteht nun aber darin, dass sie unterstellt, dass sich diese Folgen verschärfter struktureller Krise des Kapitalismus – letztlich einer Überakkumulationskrise – auf dem Boden der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und mit dem bürgerlichen Staat zum Wohle aller – besonders natürlich der Lohnabhängigen – lösen ließen.

Wir revolutionäre MarxistInnen erkennen an, dass sich die Klassengegensätze unvermeidlich verschärfen müssen, dass die herrschenden Klassen mehr und mehr in einem verschärften Konkurrenzkampf und Kampf um die imperialistische Vorherrschaft verstrickt werden, die zu einem Generalangriff auf die Klasse in den Metropolen wie zur verschärften Ausbeutung, Ausplünderung und zum permanenten Krieg in den Halbkolonien führen müssen.

Wir folgern daraus, dass die Unterdrückten und Ausgebeuteten ihrerseits den Widerstand verschärfen und zu entschlosseneren und bewussteren Formen des Kampfes greifen müssen, dass sie mehr und mehr vor der Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ stehen, dass die Abwehr der immer aggressiveren Angriffe der herrschenden Klassen letztlich nur durch die sozialistische Revolution möglich ist, dass nur so die Befreiung der Arbeiterklasse, ja der gesamten Menschheit erfolgen kann.

Die entscheidende Aufgabe von MarxistInnen besteht darin, der Klasse einen Weg zu weisen, diesen Kampf erfolgreich zu führen: das heißt natürlich, als zentrale Frage den Aufbau eines Instrumentes, das diesen Kampf führen kann – einer revolutionären Klassenpartei und Internationale – zu betonen.

Hier erheben alle Führungsfraktionen der L.PDS und der WASG entschieden Einspruch. Haben sie zuerst noch eine Krisenhaftigkeit, eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses und eine immer aggressivere Politik der herrschenden Klasse konstatiert, so destillieren sie die„zivilisatorischen Momente“ der bürgerlichen Gesellschaft als die „transformatorischen Potentiale“ heraus, die den schlechten Seiten ebendieser Gesellschaft gegenübergestellt werden.

Die sich immer mehr verschärfenden Widersprüche des Kapitalismus bedürfen ihrer Auffassung nach nicht einer gewaltsamen, revolutionären Aufhebung, sondern bloß einer Veränderung des Kräfteverhältnisses im „inneren Rahmen“ der bürgerlichen Gesellschaft, der Erringung der „Hegemonie“, um dann evolutionär zur „Transformation“ überzugehen.

Um eine solche Auffassung zu begründen, wird der Kapitalismus – zumal in seinem imperialistischen Entwicklungsstadium – nicht als eine Totalität aufgefasst, sondern vielmehr als eine Summe von Einzelerscheinung, von „positiven“ und „negative“ Seiten.

So gibt es eben „gute“ (mehr Produkte, Reisefreiheit) und „schlechte“ (verschärfte Konkurrenz …) Seiten der Globalisierung, „gute“ (mehr Selbstbestimmung) und „schlechte“ (Flexibilisierung, Arbeitslosigkeit, Prekarisierung …) Aspekte neuer Formen kapitalistischer Arbeitsteilung.

Diese Erscheinungen werden nicht im Rahmen der Entwicklungslogik des Kapitalismus und ihres Gesamtzusammenhangs gefasst. Es fehlt auch jede marxistische oder leninistische Vorstellung des Imperialismus als einer bestimmten Epoche der kapitalistischen Entwicklung, in der die kapitalistische Produktionsweise reaktionär geworden und eine sozialistischen Umwälzung erforderlich ist, um die vorhandenen Entwicklungspotentiale der Menschheit zu realisieren.

Für die „Eckpunkte“ gibt es vielmehr einen Weg jenseits von Widerstand und Revolution: die „soziale, demokratische und friedensstiftende Transformation statt Entfesselung des Kapitalismus,“ der auch gleich ein ganzes Kapitel des Textes gewidmet ist.

„Die neue Linke legt programmatische Grundzüge einer umfassenden gesellschaftlichen Umgestaltung vor, um die Vorherrschaft der Kapitalverwertung über Wirtschaft und Gesellschaft zu beenden und den Herausforderungen der Gegenwart mit einem alternativen Entwicklungsweg zu begegnen. Es ist ein Programm des Richtungswechsels der Politik und der Erneuerung der Demokratie.“ (4)

Verteilungsgerechtigkeit, Demokratie und Staat

„Der Kampf gegen den Abbau sozialer Rechte, für eine gerechte Verteilung der Arbeit in einer humanisierten Arbeitswelt und für einen erneuerten solidarischen Sozialstaat ist der im Gründungsprogramm formulierte Ausgangspunkt der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit.“ (5)

Diesen reformistischen Plunder bringt die WASG-Spitze stolz in die Vereinigung. Es geht keinesfalls um die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln, sondern nur um die „gerechte Verteilung“ auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise.

Der Realisierung solch nobler Ziele steht dann auch nicht die kapitalistische Marktwirtschaft, sondern der „Neoliberalismus“ entgegen, wo das „Primat der Politik über die Wirtschaft“ verschütt gegangen sei.

„Die Linke tritt für das Primat demokratischer Politik über die Wirtschaft sowie für einen sozialen und ökologischen Wandel in der Europäschen Union ein. Alternative Wirtschaftspolitik ist gestaltende Politik. Sie zielt auf ein starkes Gewicht sozialstaatlicher Politik anstelle von deren Unterordnung unter Marktzwänge. Sie misst längerfristiger Struktur-, Wissenschafts- und Technologiepolitik erhebliches Gewicht bei. Sie betrachtet gewinnorientiertes unternehmerisches Handeln als wichtig für Innovation und betriebswirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Doch sie strebt eine neue sozial-ökologische Rahmensetzung für die Marktmechanismen an, weil ohne Mitbestimmung, gewerkschaftliche Gegenmacht und sozialstaatliche Regulierung private Unternehmerinteressen zu volkswirtschaftlich, sozial und ökologisch verlustreichen Fehlentwicklungen führen. Für mehr Investitionen und die Sicherung des Sozialstaats braucht der Staat Geld. Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten. Durch höhere Einnahmen kann auch die Verschuldung sozial gerecht abgebaut werden (6).“

Derart reguliert, hätten alle Klassen Vorteile von der Politik der Linken; der Kapitalismus würde nicht nur sozialer, sondern auch ökonomisch erfolgreicher werden, die Krisen könnte man in keynesianischer Manier abfedern und immer mehr würde das ganze System „transformiert“ werden – wären da nicht eine kleine Minderheit aus der führenden Kapitalfraktion, die Multis und das Finanzkapital, die dem entgegenstehen.

Auch dazu hat „die LINKE“ auch eigene, wenn auch nicht allzu originelle Rezepte zur Hand: “Die kapitalistische Wirtschaftsordnung führt zur Konzentration des Vermögens in den Händen einer Minderheit. Fünfhundert Konzerne kontrollieren die Hälfte des Weltsozialproduktes. Die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht gefährdet die Demokratie. Macht, die demokratisch nicht legitimiert ist, darf die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bestimmen. DIE LINKE will das Primat der Politik. Stark konzentrierte Wirtschaftsbereiche müssen entflochten werden. Aus diesem Grund wollen wir die Kartellgesetzgebung verschärfen. Nur dann können Markt und Wettbewerb ihre Wirkung entfalten und den gesellschaftlichen Wohlstand steigern. Markt und Wettbewerb führen nicht nur zu einer effizienten Wirtschaft, sondern ebenso zur Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen und damit zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht. DIE LINKE setzt daher vorrangig auf die Förderung der 2,9 Millionen Unternehmen, die weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen, und der über eine Million Kleinbetriebe, die in Deutschland weniger als zehn Beschäftigte haben (7)

Die zukünftige Linke erkennt zwar an, dass Kapitalismus zur Konzentration führt. Doch statt daraus den Schluss zu ziehen, dass der Kapitalismus selbst bekämpft und überwunden werden muss, um die Macht des Kapitalmonopols zu brechen, werden über hundert Jahre alte Forderungen wie nach „Entflechtung“ und „Verschärfung des Kartellrechts“ aus der Mottenkiste der Anti-Trust-Bewegung geholt.

Der deutsche „Mittelstand“, diese mittelmäßigste aller Klassen, um die sich jede mittelmäßige Partei des Landes drängt, will natürlich auch von der Linken bedient werden. Statt sich zum Vorreiter des gesellschaftlich Notwendigen und Möglichen zu machen – der Überwindung des Kapitalismus durch die Enteignung der Monopole, Kontrolle durch Beschäftigte und KonsumentInnen und die planwirtschaftliche Umgestaltung gemäß den gesellschaftlichen Bedürfnissen, offerieren sich Lafontaine und Co. als reaktionäre Verteidiger der kleinen Kapitalisten.

Noch positiver als „Innovationsfähigkeit“ und „freier Wettbewerb“ firmieren bei der Linken „die“ Demokratie und „der“ Staat. Während in etlichen Formulierungen noch auf die Entwicklungslogik des Kapitalismus, auf den permanenten Kampf um dessen „Bändigung“ hingewiesen wird, so erscheinen bürgerliche „Demokratie“ und „Staat“ als ungebrochene, zivilisatorische Errungenschaften, als zentrale Mittel zur „Zivilisierung“ des „freien Wettbewerbs“, die vom Neo-Liberalismus zerstört oder unbotmäßig in Beschlag genommen werden.

Die „Demokratie“ ist hier keine Herrschaftsform der Bourgeoisie, der Staat ist nicht der Staat des Kapitals. Nein, sie müssen nur wieder richtig in Besitz genommen und z.B. zur Wirtschaftdemokratie ausgebaut werden, „die alle Formen des Eigentums sozialen Kriterien unterwirft (8).“

Die vorgeschlagenen Mittel dafür sind dann aber äußerst bescheiden. Sie sind nicht dem Kampfarsenal um wirklich Kontroll- und Machtorgane der Arbeiterklasse – Fabrikkomitees, Räte etc. – entnommen, sondern den sozialpartnerschaftlichen Institutionen der BRD:

„Wirtschaftsdemokratie: Wir streben die Demokratisierung der Verfügungsgewalt über alle Formen von Wirtschaftsmacht an. Durch paritätische Mitbestimmung der Beschäftigten, ihrer Gewerkschaften sowie Vertreterinnen und Vertreter der Regionen und Verbraucher soll die Macht des Kapitals demokratischen Interessen untergeordnet werden (9).“

Die Montanmitbestimmung hatten wir allerdings schon. Sicherlich wäre eine Ausweitung solcher Rechte heute dem Kapital zuwider, dass damit jedoch die „Verfügungsgewalt über alle Formen von Wirtschaftsmacht“ gebrochen werden könnte, glauben wohl die AutorInnen der Eckpunkte selbst nicht.

Hier verwundert es nicht, dass der „Sozialstaat“ überhaupt nicht mehr als Ideologie denunziert wird. Der Staat der 60er und 70er Jahre erscheint nachträglich nicht als imperialistisches und kapitalistisches Herrschaftsinstrument, sondern wird als Phase imaginiert, als die Politik sich noch „die Wirtschaft“ untergeordnet hätte.

Kein Wunder, dass insbesondere bei Lafontaine bei jeder unpassenden Gelegenheit das Sprüchlein auftaucht, dass „die Schwachen einen starken Staat bräuchten“. Von dessen leider allzu realen Stärke dürfen sich übrigens täglich die Menschen in Afghanistan und anderen von deutschen Truppen besetzte Länder überzeugen; davon erfahren die Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU täglich – und auch ALG-II-EmpfängerInnen können sich davon überzeugen, dass der „schwache“ Staat beim Bespitzeln und Beschnüffeln der Lebensverhältnisse der Arbeitslosen sehr aktiv ist.

Dahinter steht die naive, kleinbürgerliche Vorstellung, dass der Staat nicht geschäftsführender Ausschuss der herrschenden Klasse, sondern eine über der Gesellschaft stehende, neutrale Instanz wäre.

Klassenübergreifende Politik

Das Programm der neuen Linken endet mit den Mitteln zur „Umsetzung“ der eigenen Politik. Dazu strebt sie an:

1. Brechen der neoliberalen Hegemonie in der Öffentlichkeit.

“Der Neoliberalismus, ursprünglich nur eine Wirtschaftstheorie, wurde zur Ersatzreligion. Er korrumpiert die Sprache und damit auch das Denken (10).”

Wir wollen hier die Macht des kapitalistischen Meinungsmonopols über die Medien etc. nicht bestreiten. Allerdings bleibt auch hier das Denken auf halbem Weg stecken. Wer von der Verdummung durch Staat und Demokratie nicht reden will, möge auch über die Blödheiten des Neoliberalismus schweigen.

Vor allem aber hat das Gerede über das „Brechen der neoliberalen Hegemonie“ in den Köpfen einen praktischen Zweck. Solange ein solcher Bewusstseinswandel nicht vollzogen ist, könne die Linke eben nichts machen.

So erklärt sich dann die PDS auch das Ende der Montagsdemonstrationen oder anderer spontaner Bewegungsansätze. Nicht das eigene Bremsen, nicht die Politik von PDS, Gewerkschaftsbürokratie und anderer reformistischer oder kleinbürgerlicher Führungen tragen Schuld am Niedergang oder daran, dass betriebliche Kämpfe und jene der Arbeitslosen nicht zusammengeführt wurden.

„Natürlich“ hatte auch der DGB keine Schuld und keine politische Verantwortung dafür, dass die Demonstrationen vom 3. April 2004 ins Leere liefen, statt zu Streiks und einer Zuspitzung des Kampfes zu führen. Schließlich hatte man ja noch nicht „die Hegemonie“ im gesellschaftlichen Diskurs errungen, noch kein „anti-neoliberales Bündnis“ geschmiedet, dass diesen Kampf um Hegemonie hätte tragen können.

In der Praxis entpuppt sich der Hinweis auf die neoliberale Hegemonie als Anleitung zu Passivität und zum Abwarten – bestenfalls. In Ländern wie Berlin, wo die PDS mitregiert, werden selbst die Durchsetzung angeblich „sozialer gestalteter“ Kürzungen, Privatisierungen und anderer neoliberaler Sauereinen, als schmerzhafte Zwischenstationen auf dem Weg zur „Erringung der Hegemonie“ hingestellt.

2. Eng mit dem Kampf um die „Hegemonie“ verbunden ist die Herstellung eines „Bündnis gegen den Neoliberalismus: Seine Überwindung wird nur gelingen, wenn sich in der Gesellschaft ein breites Bündnis und eine politische Sammlungsbewegung für einen Richtungswechsel formieren. Wir gehen von den gemeinsamen Interessen abhängig Arbeitender in Deutschland und im europäischen und internationalen Maß- stab aus. Wir wollen zu einem sozialen Bündnis beitragen, das hochqualifizierte Beschäftigte und Kernbelegschaften wie auch in unsicheren und Teilzeitarbeitsverhältnissen Tätige sowie Erwerbslose, Selbständige und sozial orientierte Unternehmerinnen und Unternehmer, Beamtinnen und Beamte zusammenführt (11).“

Das „Bündnis gegen Neo-Liberalismus“ verdeutlicht, welcher Block für den „Kampf um Hegemonie“ zusammengestellt werden soll – eine Bündnis aller Klassen, am besten im EU-Rahmen.

Natürlich betonen WASG und PDS hier die „Lohnabhängigen.“ Doch jede/r weiß, dass ein solches Bündnis mit Teilen der Kapitalistenklasse nur dann möglich ist, wenn diese politische und soziale Garantien erhalten, d.h. wenn ihre Klasseninteressen nicht angegriffen und jene der Lohnabhängigen denen der „Selbständigen und sozial orientierten Unternehmerinnen und Unternehmer“ untergeordnet werden.

Ein Beispiel dafür ist die von Katja Kipping und anderen vorgeblich „Linken“ in der PDS geführte Kampagne um das bedingungslose Grundeinkommen – eine Forderung, um die sich dann auch Kapitalisten wie der Chef der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, sammeln.

In jedem Fall ist das Bündnis keines zur Schaffung von Widerstand und der Kampfeinheit der Arbeiterklasse und Unterdrückten. Es sich schon gar keines, das sich gegen die kapitalistische Ausbeutung oder den Imperialismus in seiner Gesamtheit richtet. Es ist v.a. ein „Bündnis“ zur Unterstützung der reformistischen Parlamentsarbeit der PDS und etwaiger Regierungsbeteiligungen.

3. Die „Regierungsbeteiligung ist für die Linke ein Mittel politischen Handelns und gesellschaftlicher Gestaltung, wenn dafür die notwendigen Bedingungen gegeben sind. Maßstäbe für Regierungsbeteiligungen sind die Verbesserung der Lage von Benachteiligten und die Verstärkung politischer Mitbestimmung, die Errichtung von Barrieren gegen die neoliberale Offensive, die Durchsetzung alternativer Projekte und Reformvorhaben. Sie muss die Veränderung der Kräfteverhältnisse nach links und die Einleitung eines Politikwechsels fördern (12).“

Deutlicher als in vielen bisherigen Dokumenten – v.a. der WASG, aber auch vieler Erklärungen in der PDS – gibt es hier keinen Zweifel mehr darüber, dass „die Linke“ nicht nur gewählt werden, sondern auch regieren will.

Dass beim Eintritt in Regierungen eine Politik in ihrem Sinn rauskommen soll, wird wohl jede Partei fordern. Viel mehr sagen die „notwendigen Bedingungen“ auch nicht aus. Die „Einleitung eines Politikwechsels“ z.B. kann auch wirklich alles sein. Und diese Unschärfe ist auch so gewollt.

Schließlich enden die Eckpunkte ja auch mit „Nachbetrachtungen“ darüber, was offen geblieben sei. Darunter diese Frage: „Können internationale Militäreinsätze im Auftrag und unter Kontrolle der UN in regionalen Kriegs- und Bürgerkriegskonstellationen zu einer Rückkehr zu einer friedlichen Entwicklung beitragen? Wäre diese Frage zu bejahen: Unter welchen Bedingungen? Wie verhalten wir uns dann dazu (13)?“

Einige aus der PDS/WASG-Führung haben diese schon bejaht und eine Beteiligung am Sudan-Einsatz der UN gefordert – ganz ohne unmittelbare Aussicht auf Regierungsbeteiligung.

Betrachtet man das Programm der Neuen Linken, so findet sich darin wider, was Marx schon im Kommunistischen Manifest als „Bourgeoissozialismus“ beschrieben hat:

„Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.

Es gehören hierher: Ökonomisten, Philantrophen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeitenden Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozialismus ausgearbeitet worden.

Als Beispiel führen wir Proudhons Philosophie de la misère an.

Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervor gehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoisie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, daß es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife (14).”

Konflikte unter der Spitze und deren soziale Basis

Trotz der gemeinsamen systemimmanenten Stoßrichtung aller Flügel in der WASG-Spitze hat sich im Zuge des Parteibildungsprozesses ein Richtungsstreit entwickelt. Das wurde öffentlich deutlich, als Lafontaine und andere VertreterInnen der WASG-Spitze aus der PDS wegen ihre „fundamentalistischen“ Haltung in Sachen Privatisierung angegriffen wurden.

Bekanntlich hatte Lafontaine jede Form der Privatisierung der Öffentlichen Daseinsvorsorge als unvereinbar mit linker Politik erklärt, nachdem die Dresdner PDS selbst aus der Opposition heraus der Privatisierung der städtischen Wohnbaugesellschaft an einen US-amerikanischen Investor zustimmte.

Anders als bei der PDS in Berlin oder Schwerin konnte diese Haltung nicht mehr als „unvermeidbares Zugeständnis“ einer ansonsten „sozialen“ Regierungspolitik, die angebliche oder wirkliche Schweinereien einer Großen Koalition von SPD und CDU auf Landesebene verhindert hätte, dargestellt werden.

In einem Kritikpapier an Lafontaine gingen wichtige PDS-Vorständler aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin mit dem Aushängeschild der „neuen Linken“ hart ins Gericht. Dieser hänge einem „veralteten“, staats-sozialistischen Verständnis an und sei außerdem nationalstaatlich fixiert. Obendrein wurden diese Kritiken noch damit garniert, dass der „Staatssozialismus“ von Lafontaine schon in der DDR gescheitert wäre und außerdem leicht mit anti-semitischen Vorstellungen zusammenzubringen sei.

Ein zweiter, nicht minder wichtiger Konfliktpunkt entbrannte um Forderungen wie jene des „bedingungslosen Grundeinkommens“, welche zur Zeit unter Führungs-VertreterInnen der PDS etliche AnhängerInnen hat, als bekannteste dabei wohl die als links geltende Katja Kipping.

Die AnhängerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens – wie es auch in Teilen der Arbeitslosenbewegung und der kleinbürgerlich-radikalen Linken vertreten wird – gehen davon aus, dass Vollbeschäftigung als politisches Ziel nicht mehr zu erreichen wäre. Sie unterstützen zwar auch die Forderung nach Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung, wollen diese jedoch mit der ihrer Ansicht nach zentralen Losung nach einem „garantierten und bedingungslosen Grundeinkommen“ für alle kombinieren. Wir haben eine ausführliche Kritik dieser Forderung schon an anderer Stelle geleistet (15) und müssen diese hier nicht mehr wiederholen.

Politisch führt die Losung jedenfalls zu einer Absage an den von linken GewerkschafterInnen wie auch von der linken Gewerkschaftsbürokratie vertretenen Kampf um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und um Vollbeschäftigung, da sich aufgrund der Produktivitätsentwicklung gezeigt hätte, dass es eben immer weniger Lohnarbeit gebe.

Die VertreterInnen des bedingungslosen Grundeinkommens akzeptieren diese Entwicklung im Grunde als unvermeidlich, ja sehen in diesem gesellschaftlichen Übel nicht ein Zeichen für die immer größere Freisetzung von Arbeitskraft im Kapitalismus, sondern auch ein Signal, dass sich die Lohnarbeit ohne Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln beseitigen ließe. Es ist kein Zufall, dass auch „soziale Unternehmer“ diese Forderung aufgreifen. Auch von ihrer Geschichte her ist sie alles anderes als links, entstammt sie doch ursprünglich dem neoliberalen Doktrinär Milton Friedman und heißt in der FDP-Variante auch Kombilohn.

Gegen diese utopischen und pseudo-linken politischen Zaubertricks polemisiert u.a. die sog. „Sozialistische Linke“ in der WASG. Sie bildet eine eigene, politische zentrale Strömung, ist offen keynesinanisch orientiert und eng mit Teilen des Gewerkschaftsapparats bis in die verdi-Vorstandsetagen verbunden.

Mit Forderungen wir Kippings „Grundeinkommen“ haben sie nichts am Hut. Sie stehen für „traditionelle“ linksreformistische Gewerkschaftspolitik, die zur Politik der bundesdeutschen WASG werden soll.

Die Bedeutung der „Sozialistischen Linken“ als Vorstandsfraktion wurde auch am Parteitag der WASG klar. Sie prägte – gemeinsam mit den Ernsts und Händels – das Bild. Sie hat mindestens sechs Positionen im Vorstand und sie dient den Gewerkschaftsbürokraten in der WASG (und zukünftig wohl auch in der Vereinten Linken) als Sprachrohr.

Ihr Kampf gilt den Advokaten des „Dritten Weges“ in der PDS. Dazu sind sie auch bereit, sich mit jenen Linken zu verbünden, die schon im voraus ihre Kapitulation vor der Parteiführung klar gemacht haben, v.a. der „Antikapitalistischen Linken“ um die Kommunistische Plattform (KPF), aber auch isl oder linksruck.

Hinter dem Konflikt zwischen WASG-Vorstand/Sozialistischer Linker inkl. Teilen des PDS-Apparates, der ihnen nahe steht, und den Rechten in der PDS verbirgt sich allerdings auch eine unterschiedliche soziale Basis verschiedener Fraktionen in WASG und PDS.

Soziale Basis der dominierenden WASG-Fraktion

Die dominierende WASG-Fraktion bringt sehr unmissverständlich die Interessen des linken, jahrzehntelang in der linken SPD beheimateten Gewerkschaftsapparates und der von ihr vertretenen und kontrollierten Schichten der Arbeiteraristokratie zum Ausdruck. Durch die Wendung zur „Neuen Mitte“, aufgrund des Angriffs von SPD-geführten oder mitgetragenen Regierungen auf die Arbeiterklasse wie auch der Ruhigstellung dieses Flügels in der Sozialdemokratie, hat er seinen politischen Arm in der SPD wohl unwiederbringlich verloren.

Er muss daher daran gehen, einen neuen aufzubauen – dazu diente von Beginn an die WASG und jetzt die „neue Linke.“ Die PDS allein wäre für ein solches Projekt nicht in Frage gekommen, da sie erstens nie über den Status einer ostdeutschen Regionalpartei hinauskam, deren Mitgliedschaft samt aller Karteileichen im Westen bis 2005 nie über 4.700 (2001) hinauskam (16).

Zweitens war sie von sich aus nicht in der Lage, Anziehungskraft für einen links-reformistischen Flügel aus den Gewerkschaften und darüber aus der SPD zu gewinnen. Selbst als unter Rot-Grün eine massive Austrittswelle aus der SPD stattfand und die Konflikte in und mit den Gewerkschaften zur Formierung der WASG beitrugen, zogen es die Gewerkschaftsbürokraten vor, zuerst eine eigene „originäre“ politische Formation zu gründen, statt direkt der PDS beizutreten, selbst wenn diese auch einen politischen Konflikt mit jenen Parteimitgliedern bedeutete, die aus der WASG mehr als nur den parlamentarischen Arm eines Flügels der Gewerkschaftsbürokratie machen wollten.

Letztlich wollen sie die L.PDS übernehmen und die Vereinigte Linke zu einer Partei des linken Gewerkschaftsapparates und der von ihr geführten und kontrollierten Lohnabhängigenschichten machen.

Neben den reformistischen Gewerkschaftern und sozialdemokratischen Funktionären hat die WASG – im Unterschied zur PDS! – in zwei Phasen ihrer Existenz (bei Gründung, v.a. um den Bundestagswahlkampf) auch massiv untere Schichten der Arbeiterklasse, v.a. Arbeitslose, HartzIV-EmpfängerInnen, die teilweise schon jahrelang politisch aktiv waren, ansonsten jedoch erst über die Anti-Hartz-Bewegung politisiert und mobilisiert wurden, erreicht.

Diese AktivistInnen kamen aus einer, wenn auch an ihre Grenzen gestoßenen, Bewegung. Sie wollten – wenn auch oft nicht bewusst artikuliert – mehr als eine weitere sozialdemokratische, staatstragende Partei, die den Protest und die Wut gegen das System nur elektoral kanalisiert. Dieses, teilweise wirklich, teilweise dem Vermögen nach eigenständige und widerspenstige Element musste in jedem Fall aus der WASG getrieben werden (und zwar auch ohne Fusion mit der PDS).

Gegen diesen Flügel richtete sich von Beginn an die Führung der WASG. Sie führte ihn als Kampf gegen die Linke, auf die Klaus Ernst als „Sektenkrieger“ losschlug. Dabei war ein Teil der Linken stramm auf Vorstandlinie (v.a. linksruck), die anderen Gruppierungen durchaus eher schwach. Abgesehen von unserer Organisation – der Gruppe Arbeitermacht – verzichten auch alle darauf, ein eigenes alternatives Programm zum Vorstandsentwurf vorzuschlagen.

Die Hetze gegen „die Linken“ drückte sich damals z.B. in Berichten von „Basismitgliedern“ aus, die entsetzt über WASG-Kreise und Bezirksgruppen der Partei als politisches Terrain „unzähliger“ linker Gruppen berichtete; von Orten und Parteitagen, an denen permanent linke Zeitungen angeboten würden und die Menschen durch „Kordone“ von Linken laufen müssten. Solche Berichte „von unten“ fanden sich schnell auf der Homepage der WASG etc., manche ihrer AutorInnen arbeiten heute für die Bundestagsfraktion …

All das hatte mit der Realität reichlich wenig zu tun. Das wusste der Vorstand als Initiator solcher Kampagnen am besten. Aber es galt damals, die organisierte Linke vor den politisch unerfahrenen neuen Mitgliedern zu isolieren, indem diese als sektiererische Hindernisse auf dem Weg zur „Sozialstaatspartei“ und den großen Massen dargestellt wurden.

Der eigentliche Grund bestand jedoch darin, dass die WASG-Spitzen durchaus den schwer steuerbaren Charakter der Massenmitgliedschaft aus dem Arbeitslosenmilieu erkannten. Das hatte nichts mit dem aktuellen Bewusstsein dieser AktivistInnen zu tun, wohl aber mit der Lebenslage des (Dauer)Erwerbslosen und der Tatsache, dass viele von ihnen in einer Bewegung politisiert worden waren.

Anders als die (noch) Beschäftigten und hier vor allem anders als langjährige Gewerkschaftsmitglieder, die über einen langen Zeitraum an eine „Politik der kleinen Schritte“, Rückschläge, faulen Kompromisse gewöhnt sind und die sich noch einigermaßen stabil reproduzieren können, ist die Lebenslage der Arbeitslosen viel direkter von drohendem Niedergang, Armut, Absturz, Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben geprägt. Die „Reformen“ der letzten Jahre haben außerdem dazu geführt, dass dieser Absturz viel rascher als noch vor 10 oder 15 Jahren vonstatten geht und dass auch kein einigermaßen politisch bewusster Arbeitsloser von einer Regierung Verbesserungen erhofft.

Kurz: die Arbeitslosen haben wenig Zeit vor sich. Sie sind daher sehr viel ungeduldiger als „Normalbeschäftigte“, sie wollen rasche Resultate, weil sie rasch Besserung brauchen, da sie ansonsten den kompletten Absturz befürchten.

Hinzu kommt, dass sie zur Sicherung ihres Einkommens permanente staatlichen Institutionen (Bundesagentur) sowie diversen Ämtern gegenüberstehen, während der Lohnarbeiter in der Regel mit dem Kapitalisten zu tun hat und den Staat eher als „dritte“ Partei wahrnimmt.

D.h. die Arbeitslosen müssen von jeder Partei, die Regierungsverantwortung übernimmt, direkt angegriffen werden. Und jede Partei, die wie WASG und PDS dereinst eine „Reformregierung“ für einen Politikwechsel haben wollen, trachtet natürlich danach, dass die Mitgliedschaft nicht von Arbeitslosen dominiert wird. Diese mögen wie bei jeder bürgerlichen Partei die Linke wählen, sonst aber von einer allzu aktiven Einmischung in interne Angelegenheiten der Partei ablassen.

Die Hetze gegen die organisierte Linke (KommunistInnen, SozialistInnen) hatte natürlich auch den Zweck, eine mögliche Verbindung zwischen diesen Gruppen – einer organisierten, radikalen, „zu ungeduldigen“ anti-kapitalistischen Linken – mit bislang unorganisieren, radikalen, ungeduldigen, wenn auch noch nicht anti-kapitalistischen Massenelementen zu verhindern.

Basis der PDS

Die PDS hatte dieses Problem erst gar nicht. Einen Zustrom von Arbeitslosen in die Mitgliedschaft gab es nicht. Die Mobilisierungen gegen die Regierung und Angriffe des Kapitals in den letzten Jahren haben in der PDS zu keinen Mitgliederzugewinnen geführt, selbst wenn sie auf elektoraler Ebene davon zuweilen profitieren konnte.

Anders als die bürgerliche Arbeiterpartei (17) SPD, in der bis vor einigen Jahren das Gros des Führungspersonals der WASG (tw. über den Umweg PDS) ihre politische Vertretung sah, stützt sich die PDS nur in geringem Maße auf die gewerkschaftliche organisierte Arbeiterklasse.

So sind 57 Prozent der SPD-Mitglieder in Gewerkschaften (18) aktiv, während es bei der PDS nur 37 Prozent sind (deutlich ist hier natürlich der Unterschied zu CDU/CSU mit 16 Prozent Gewerkschaftsmitgliedern). Allerdings ist die PDS durch diverse andere Vereine mit der Masse der lohnabhängigen Bevölkerung im Osten verbunden wie z.B. der Volkssolidarität.

Das hat nur zum Teil mit der Deindustrialisierung des Ostens zu tun. Von Beginn an hatte die PDS relativ wenig Verankerung in der industriellen Arbeiterklasse wie auch unter LohnarbeiterInnen, die im Handel tätig sind. Sie war – im Gefolge der SED – eine Partei, die v.a. auf die lohnabhängigen Schichten im Staatsapparat, in der Verwaltung bzw. in der Administration, also auf Mittelschichten oder Teile der DDR-Arbeiteraristokratie und natürlich der Bürokratie ausgerichtet war.

Diese machen auch noch heute den Kernbestand der PDS-Mitgliedschaft als Rentner aus. Von den rund 60.000 sind mehr als 70 Prozent älter als 60 Jahre.

Ein Blick auf die „junge“ Mitgliedschaft verdeutlicht auch die enge Bindung zwischen PDS und Staatsfunktionen. Ein großer Teil der „jüngeren“ Mitgliedschaft bekleidet eine Funktion auf kommunaler oder Kreisebene, in die die Mitglieder gerade in jungen Jahren rasch hineinwachsen, selbst, ja gerade wenn sie ursprünglich aus dem autonomen oder Antifa-Spektrum rekrutiert wurden.

Neben den Funktionen auf kommunaler oder Landesebene kommen noch hunderte Posten als parlamentarische Mitarbeiter sowie in den Stiftungen und im eigentlichen Parteiapparat.

Alles in allem leistet sich damit die PDS im Kern eine recht stabile und im Vergleich zur Mitgliedschaft sehr umfangreiche Funktionärs- und Apparatschicht, die sich auch innerparteilich als Delegierte zu den Parteitagen reproduziert.

Besonders hoch ist der Akademikeranteil unter den PDS-Mitgliedern mit 54 Prozent (verglichen mit 33 Prozent der SPD-Mitglieder). Während 40 Prozent der SPD-Mitglieder Hauptschulabschluss oder gar keinen haben, liegt der Anteil der PDS nur bei 30 Prozent (gegenüber 50 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Die PDS kann insgesamt sehr wohl als bürgerliche Arbeiterpartei charakterisiert werden, in der die gewerkschaftlich organisierten Kernschichten der industriellen Arbeiterschaft und die sich auf sie stützenden Gewerkschaften aber wenig Gewicht haben. Wie auch in der SPD (und vielen anderen bürgerlichen Parteien) wird das politische Personal zunehmen aus den lohnabhängigen Mittelschichten rekrutiert. In der PDS gibt es dazu sicher den „Sonderweg“, dass sie sich dabei auf RepräsentantInnen der ehemaligen DDR-Bürokratie stützt. Ansonsten zeigt sich auch in ihrem politischen Personal eine starke Dominanz von Staatsbediensten und Angestellten.

Beide, WASG und PDS, sind – sieht man von den vor der Säuberung stehenden Arbeitslosenschichten in der WASG ab – Parteien, die Partikularinteressen bestimmter Teile der Arbeiterklasse, der Arbeiteraristokratie sowie der lohnabhängigen Mittelschichten zum Ausdruck bringen. Der Konflikt innerhalb der zukünftigen Linkspartei über die genaue Ausgestaltung ihres Reformismus ist wesentlich ein Konflikt darüber, auf welche dieser Schichten oder Teilen einer Klasse sich die Linke zukünftig stellen soll.

Es ist auch kein Zufall, dass die VertreterInnen der Arbeiteraristokratie und Bürokratie hier als die Linkeren auftreten, weil sie real auch stärker unter dem Druck einer selbst vom Generalangriff des Kapitals massiv bedrohten und organisierten Schicht der Klasse stehen, während sich die ostdeutschen „Realpolitiker“ viel mehr vom organisierten Druck einer sozialen Basis freigespielt haben.

Funktion für den deutschen und europäischen Imperialismus

PDS und WASG sind reformistische, bürgerliche Arbeiterparteien und auch die neue Linke wird eine solche sein. Selbst wenn der formale Bezug zum „demokratischen Sozialismus“ im Programm auftauchen sollte, so hat das nichts mit einem auf wissenschaftliche, materialistische Analyse gestützten Programm zur Erringung des Sozialismus zu tun. Ein solches Programm von Übergangsforderungen müsste eben nicht bloß ein nebelhaftes, allgemeines Bekenntnis, sondern eine Strategie zur revolutionären Machtergreifung des Proletariats, zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Erringung der Räteherrschaft der Arbeiterklasse, zur Diktatur des Proletariats sein.

Das Programm von PDS und WASG hat damit nichts zu tun (ebenso wie das der SPD seit gut hundert Jahren). Es ist ein utopisch-reaktionäres Programm im Rahmen des bürgerlichen Staates, es ist nicht sozialistisch, sondern bürgerlich.

Mag es auch noch so gern Reformziele beschwören, so bedeutet die Regierungsbeteiligung dieser Parteien – wie jede Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung – Verantwortung für die Politik im Interesse der Bourgeoisie zu übernehmen und in Perioden verschärfter Klassenkämpfen natürlich die eigene Basis anzugreifen oder „bestenfalls“ Sektoren der Aristokratie kleine Zugeständnisse für massive Angriffe auf die unteren Schichten der Klasse zu bieten.

Eine bürgerliche Arbeiterpartei ist also eine Partei, die sich – in Trotzkis Worten – „auf die Arbeiter stützt, aber der Bourgeoisie dient.“

In der imperialistischen Epoche und in der parlamentarischen Demokratie sind diese Bedingung oft sehr eng, durch tausende Pöstchen, Gremien, zivilgesellschaftliche Institutionen, NGOs etc. vermittelt, wenn auch zunehmend instabiler.

Die Gründung der WASG hatte schließlich auch einen viel widersprüchlicheren Charakter als die Existenz der PDS, weil sie einerseits den Willen eines Teils der Klasse nach einer eigenständigen politischen Organisierung und einem Kampfinstrument ausdrückte und andererseits den Willen der Bürokratie, sich ein neues politisches reformistisches Instrument zu schaffen als Mittel, die SPD „wieder auf Kurs zu bringen“ bzw. die Sozialdemokratie außerhalb der SPD wieder zu beleben.

Die Funktion bestand und besteht also darin, eine staatstragende Partei zu schaffen, die aktuellen, v.a. aber zukünftig zu erwartenden Widerstand abfedert, integriert oder spaltet. In diesem Sinn ist die Linke nicht nur ein Instrument der Arbeiterbürokratie, bringt nicht nur das Interesse nach Abmilderung der Klassengegensätze zum Ausdruck; sie ist auch ein Instrument des imperialistischen Staatsapparates und der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse.

Das wird deutlich, wenn man die Rollen betrachtet, die PDS oder WASG in Kämpfen spielten – gerade dann, wenn sie als Unterstützer auftreten. Ob bei AEG in Nürnberg, Opel in Bochum oder bei BSH in Berlin: die Unterstützung war immer zuerst eine Unterstützung für den Kurs der Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokratie. Wo die Beschäftigten gegen den Kurs der Bürokratie ankämpften, stellte sich die PDS gegen die ArbeiterInnen und Angestellten.

Von der Forderung nach Abschaffung aller Hartz-Gesetze hört man natürlich nichts.

Selbst die Parlamentsfraktion, die für das Recht auf Generalstreik eintritt, hat es bisher nicht geschafft, Gesetzesanträge einzubringen, die die Einschränkung des Streikrechts in Deutschland aufheben sollen, und darum eine politische Kampagne zu entfachen.

Ebenso kündigt sich für die Mobilisierung zum G8-Gipfel an, dass die PDS im Gleichschritt mit attac und anderen versuchen wird, den Protest in kontrollierten Bahnen zu halten (19).

An allerdeutlichsten zeigt sich der staatstragende und pro-imperialistische Charakter des Reformismus aber in der Außenpolitik:

„Deutsche und europäische Außenpolitik muss Friedenspolitik werden: Die Bundeswehr darf nicht weiter für Militärinterventionen im Ausland eingesetzt werden. Die Nutzung von Militärbasen auf dem Boden Deutschlands und in der EU für Aggressionskriege und menschenrechtsfeindliche Verschleppungen muss beendet werden. Militärbündnisse wie die NATO wollen wir überwinden. (…)

Demokratisierung der UNO: Das Ziel der Charta der Vereinten Nationen, eine Welt des Friedens und der Wahrung der Menschenrechte zu erreichen, erfordert eine weitere Stärkung und Demokratisierung der UNO, mehr Rechte der Vollversammlung gegenüber den Ansprüchen der Welt- und Großmächte. Verschleppungen, geheime Gefängnisse und Folter sind weltweit zu ächten. Die Koordination der internationalen Anstrengungen für eine gerechte Weltwirtschafts- und Sozialordnung sollte bei einer demokratisierten und gestärkten UNO liegen. (…)

Wandel der Europäischen Union: Wir treten dafür ein, dass sich die EU von einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu einer europäischen Beschäftigungs-, Sozial-, Umwelt- und Friedensunion entwickelt (20).“

Der deutsche Imperialismus und der sich formierende europäische Imperialismus werden in utopischer Manier in einen potentiellen Friedensverein umgedichtet, der heute zwar „schmutzige“ Kriege führt, doch, richtig regiert, allemal echte „Friedenspolitik“ machen könne.

Die EU kann auch nicht zu einer „Beschäftigungs-, Sozial-, Umwelt- und Friedensunion“ umgestaltet werden – sie ist ein imperialistisches Staatenbündnis unter Führung von Deutschland und Frankreich, um mittel- und langfristig den USA als vorherrschende Weltmacht den Rang abzulaufen.

Das Gerede um die „soziale Union“ auf Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse hat hier allerdings auch einen politischen Zweck für die herrschenden Kapitalistenklassen in Deutschland und anderen EU-Ländern, nämlich die sich formierenden Bewegungen gegen den Generalangriff in Europa, gegen das rassistische Grenzregime, gegen die imperialistische Politik auf ein „anderes“, besseres – bürgerliches – Europa zu orientieren und so doch noch eine „andere“, d.h. mit mehr reformistischen und sozialen Phrasen versehene imperialistische Verfassung zu legitimieren.

Die linken Strömungen

Anders als die PDS war die WASG lange Zeit keine stabilisierte, gefestigte reformistische Apparatpartei. Ihre Bürokratie musste sich selbst erst formieren und ihre Kontrolle über die Partei immer wieder behaupten.

Am schärfsten trat dieser Konflikt sicher um die Eigenkandidatur der WASG-Berlin zutage, der gegen den Willen und alle möglichen medialen und juridischen Winkelzüge der WASG-Spitze durchgekämpft wurde.

Die Berliner WASG trat hier mit einer Reihe unterstützenswerter Teilforderungen an, wenn auch im Rahmen eines reformistischen Programms. Entscheidend war jedoch, dass sich in dieser Kandidatur der Wille einer großen Mehrheit der aktiven WASG-Mitglieder ausdrückte, gegen die neoliberale Senatspolitik der Berliner PDS anzukämpfen, und keine Fusion um jeden Preis einzugehen.

Dass die WASG letztlich doch unter Kontrolle des Vorstandes landete, ist durch eine Reihe von Faktoren bedingt.

Der zentrale ist sicherlich, dass es seit dem Niedergang der Montagsdemonstrationen auch zu einem Niedergang landesweiter Protestmobilisierungen von Teilen der Arbeiterklasse kam. Dadurch war der Druck durch reale Bewegungen auf die sich formierende WASG immer begrenzt.

Ein zweiter Faktor war jedoch die Politik der Linken in der WASG und außerhalb.

Bei allen Begrenzungen und Kritiken an der WASG war sie doch Resultat einer Erschütterung des sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Reformismus – insbesondere der Form seiner Reproduktion, wie es sie seit dem Niedergang und der politischen Ausschaltung der KPD im Westen nicht mehr gegeben hatte.

Es handelte sich tatsächlich um eine politische Neuformierung in der Klasse, die von Massen getragen oder zumindest mit Interesse und Sympathie verfolgt wurde. Die Gefahr, ja die Wahrscheinlichkeit, dass diese letztlich wieder unter die Fittiche der Bürokratie gerät, war immer da, ja immer groß.

Doch das macht die Haltung eines Teils der deutschen Linken außerhalb der WASG, mit dem Verweis auf die Wahrscheinlichkeit und Gefahr der Konsolidierung des Reformismus und Bürokratie erst gar nicht in dieser Formierung zu wirken oder zu kämpfen, nicht besser. Es war nur eine rechthaberische, passive Vorab-Kapitulation, die praktisch nur dazu führen kann, den soziademokratischen Reformisten das Feld zu überlassen.

Freilich wurden diese „Kritiken“ auch genährt durch das Verhalten der Linken in der WASG. Die DKP als eine der größten reformistischen Formationen links von der PDS zeichnete sich dadurch aus, dass zwar in etlichen WASG-Kreisen Mitglieder eintraten, dass sie aber insgesamt überhaupt keine klare politische Taktik oder Zielsetzung verfolgte. So unterstützte z.B. die Berliner DKP den eigenständigen Antritt der WASG Berlin, während sich noch kurz zuvor Führungsmitglieder derselben DKP als Kandidaten auf der PDS-Liste versucht hatten.

Im Zuge der Fusionsdiskussion hat sich eine WASG- und PDS-übergreifende „Oppositionsströmung“ gebildet, die von Kommunistischen Plattform (KPF) um die EU-Abgeordnete Sarah Wagenknecht, über Vertreter der „Sozialistischen Linken“ wie Sabine Lösing, Abgeordnete wie Nele Hirsch bis zu Thiess Gleiss (Bundesvorstand WASG und isl) reicht. Diese heterogene Mischung tritt für eine „sozialistische Programmatik“ ein, auch wenn diese positiv nicht näher definiert und ihre Forderungsplattform als links-reformistische zu charakterisieren ist.

Sie tritt außerdem dafür ein, dass die PDS in Berlin „unter diesen Bedingungen“ die Koalition mit der SPD nicht fortsetzt. Sie kritisiert die programmatischen Eckpunkte als „Schritt nach rechts“ (Wagenknecht) oder als „schwammig“ (Spilker).

Gemein ist dieser Opposition jedoch, dass sie es erstens ablehnt, sich gegen die Entscheidungen der Vorstände in der Praxis zu stellen. So haben alle namhaften VertreterInnen dieser „Opposition“ den eigenständigen Antritt der WASG Berlin abgelehnt und die Kandidatur der PDS unterstützt.

Und „natürlich“ lehnen sie es auch ab, einen organisierten, politischen Fraktionskampf in der PDS, der WASG oder der neuen Linken zu führen, um möglichst viele Mitglieder von der Partei zu brechen. Die KPF als Kern dieser Strömung hat das in der PDS 15 Jahre lang abgelehnt – und wird das wohl auch in den nächsten 15 Jahren tun (sofern sie dann noch existiert). Der „Aufruf zur Gründung einer neuen linken Partei (21)“ beginnt gleich mit einer politischen Lobhudelei und politischen Unterstützung von deren Ausrichtung:

“Der am 2. Juni 2006 von Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Felicitas Weck, Klaus Ernst, Katja Kipping und Lothar Bisky vorgestellte Aufruf zur Gründung einer neuen linken Partei ist für uns unterstützenswert, da er – gerade im Vergleich mit manchen anderen Veröffentlichungen in der bisherigen Programm- und Strategiedebatte – ein erster Schritt hin zu einer linken Politik und Praxis der neuen Partei sein kann (22).”

Darum will diese “Strömung” auch an der Politik des Vorstandes “anknüpfen” und lehnt diese nicht grundsätzlich ab. Das zeigt sich z.B. bei der Frage der “Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen:”

„Als Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen werden im Aufruf bisher drei Grundsätze genannt: Die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht privatisiert, der Personalabbau muss generell gestoppt und die Kürzung sozialer Leistungen verhindert werden. Diese Grundsätze sind richtig, aber reichen nicht aus. Notwendig ist aus unserer Sicht mindestens das klare Versprechen zu einer konsequenten Friedenspolitik. Eine Zustimmung der neuen linken Partei zu Militäreinsätzen würde ihre Glaubwürdigkeit schließlich ebenfalls massiv beschädigen.

Ferner muss festgehalten werden, dass DIE LINKE. in Regierungsbeteiligung keine Maßnahmen mit trägt, die Ausgrenzungen im Bildungswesen verschärfen oder Grund- und Freiheitsrechte aushöhlen. Dies ist gerade für Regierungsbeteiligungen auf Landesebene von Bedeutung, wo die Politik keine unwesentlichen Einflussmöglichkeiten besitzt. Entscheidend ist hier für den Bildungsbereich insbesondere, dass DIE LINKE. die Gebührenfreiheit von Bildung sichert bzw. ausweitet. In der Innenpolitik muss sie sich in Regierungsverantwortung unter anderem konsequent gegen Abschiebungen stellen und polizeirechtlichen Verschärfungen mit den damit einhergehenden Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten, beispielsweise in den Bereichen der Demonstrationsfreiheit und des Versammlungsrechtes, entgegentreten (23).“

All das gibt sich ganz „kritisch“ gegenüber der Praxis der PDS-Regierungen. Doch im Klartext heißt es nur eines: Die „anti-kapitalistische Linke“ steht zur Übernahme von Regierungsmacht im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft zur Verfügung.

Selbst wenn die oben angeführten „Bedingungen“ erfüllt würden, wäre die Regierung, an der sich die „anti-kapitalistische Linke“ beteiligen würde, selbstverständlich eine bürgerliche, eine imperialistische.

Auch wenn diese ein „klares Versprechen zu einer konsequenten Friedenspolitik“ abgeben würde, was wäre das wert? Nichts!

Eine solche „andere“ Politik ist für eine bürgerliche Regierung oder gar für ein einzelnes Ministerium von „Sozialisten“ einfach unmöglich. Der bürgerliche Staat ändert seinen Charakter als politisches Instrument der herrschenden Klasse zur Verteidigung und Reproduktion der herrschenden Verhältnisse selbstredend nicht durch diese oder jene Parteienzusammensetzung der Regierung. Wohl aber bedeutet eine Regierungsbeteiligung von SozialistInnen immer, für die Gesamtheit der bürgerlichen Politik Verantwortung zu übernehmen.

Damit wäre natürlich jede grundsätzliche Kritik am bürgerlichen Staat und Regierungssystem – am Staat als Staat des Kapitals – konterkariert und parodiert durch das eigene Regieren. Kurzum, auch bei der „sozialsten“ Regierung gewinnt die herrschende Klasse.

An diesem Beispiel zeigt sich, dass die „anti-kapitalistische Linke“ fest auf dem Boden der bürgerlichen Verhältnisse steht, in der Traditionslinie des „linken“ Reformismus, an der Seite der französischen Regierungssozialisten Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert gegen Rosa Luxemburg und alle anderen revolutionären MarxistInnen der Geschichte.

„Worin sich sozialistische Politik von der bürgerlichen unterscheidet, ist der Umstand, dass die Sozialisten Gegner der gesamten bestehenden Ordnung im bürgerlichen Parlament grundsätzlich auf Opposition angewiesen sind (24).

Wichtiger noch als die reformistischen Positionen der „anti-kapitalistischen“ Linken ist freilich deren Funktion für die Formierung der „neuen Linken“ – die Verhinderung einer politischen Opposition gegen die Vorstände, die im Parteibildungsprozess wirklich kämpft und willens und fähig wäre, eine neue politische sozialistische Arbeiterpartei auch außerhalb und gegen „die Linke“ aufzubauen.

Während sich die „anti-kapitalistische Linke“ wesentlich aus VertreterInnen speist, die prominent im Apparat und in der Bundestagsfraktion vertreten und in der „Kommunistischen Plattform“ eine nahezu ungebrochen Geschichte der Unterordnung unter die PDS-Führung hat, spielen die größeren zentristischen Organisationen in der WASG – linksruck, isl, SAV – eine fast noch tragischere Rolle.

Während die isl wesentlich eine Form linken Flügels in der anti-kapitalistischen Linken darstellt und gelegentlich, d.h. v.a. bei rechten Schwenks, mit der SAV paktiert und ihre VertreterInnen ansonsten als mehr oder weniger gut getarnte U-Boote in allen möglichen Strömungen zu finden sind, haben linksruck und SAV eine klarer sichtbare Politik.

Auch wenn wir uns hier mit der isl wenig beschäftigten, dann nicht deshalb, weil ihre Politik besser als jene der SAV wäre. Im Gegenteil: auf einen gemeinsame Begründungszusammenhang oder disziplinierte Umsetzung ihrer Politik verzichtet diese Strömung nur vorgeblich im „Dienste der Bewegung.“ In Wirklichkeit kann sie genau damit ihre politische Funktion – Scharnier und Integrationspunkt zwischen den verschiedenen „linken Strömungen“ im Kampf gegen deren Radikalisierung zu sein – besser erfüllen. Anders als der SAV, linksruck oder Arbeitermacht erscheint die isl als Gruppe, die gar kein „Eigeninteresse“, gar kein eigenes politisches Ziel verfolgen würde.

In der Politik, wo letztlich verschiedene Klassenstandpunkte aufscheinen, bedeutet solcher vorgebliche „Altruismus“ freilich nur, dass die jeweils schon vorherrschende Position oder Stimmung unterstützt wird. Daher läuft die Politik der isl, trotz mancher korrekter Teilkritik an WASG oder PDS immer auf Nachtrabpolitik hinter den Vorständen und vorzugsweise hinter deren „linken“ Flügel hinaus.

Linksruck

Linksruck kann für sich den zweifelhaften Ruhm reklamieren, immer stramm auf Vorstandslinie gestanden zu sein. Selbst verhaltene Kritik an den diversen reformistischen Programmen der WASG wurde geradezu euphorisch bekämpft und die „Formelkompromisse“ gefeiert.

„Linksruck setzt sich im Rahmen der Formierung einer Linkspartei für ein solches (von den Initiatoren der Wahlalternative vorgeschlagenes; Anm. der Redaktion) konsensfähiges Reformprogramm ein (25).“

Der „Kampf“ der Linskruckler beschränkt sich darauf, „innerhalb einer solchen Linkspartei um die Erkenntnis der Unreformierbarkeit des Kapitalismus zu streiten“ und „mittel- und langfristig“ dafür, dass „der Kampf für Reformen ein Kampf um die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sein wird (26).“

Eine solche Perspektive hat anno dazumal schon der linke Flügel in der Sozialdemokratie vertreten. Auch diese kämpften für Reformen und beschworen nach Feierabend die „Unreformierbarkeit des Kapitalismus“.

Wenn diese Formel für eine politische Strömung einen Wert haben soll, dann muss eine solche Partei den Kampf für Reformen bewusst nutzen, um die Arbeiterklasse zum Kampf um die Macht, zum Sturz der bürgerlichen Herrschaft, der Zerschlagung des Staatsapparates und die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse vorzubereiten.

Eine solche revolutionäre Strategie und Programmatik kann und darf den „Tageskampf“, den „Kampf um Reformen“ (also soziale und politische Forderungen) nicht unberührt lassen. Sie müssen sich beispielsweise in der Verbindung von Teilforderungen mit Forderungen nach Arbeiterkontrolle zeigen.

Darauf können und dürfen wir freilich nicht erst warten, bis eine akut revolutionäre Situation eingetreten ist. Eine neue Partei muss jetzt die Frage von „Reform und Revolution“ diskutieren – und nicht erst, wenn die „Situation reif ist“. Dann ist es nämlich meist zu spät, weil die Zeit fehlt, die notwendige Strategie zu erarbeiten und die Parteimitglieder und die Arbeiterklasse darauf vorzubereiten.

Hinzu kommt, dass die Frage von „Reform und Revolution“ viel aktueller ist, als Linksruck meint. Wir brauchen nur an die Kämpfe in Italien seit Genua zu denken. Diese waren knapp daran, die Machtfrage aufzuwerfen. Die italienischen Gewerkschaften, Rifondazione und die Sozialforen – genauer: deren Führungen – hätten den Sturz Berlusconis durch einen Generalstreik erzwingen können. Sie haben es bewusst nicht getan, weil sie die dadurch aufgeworfene Machtfrage – die Frage von Revolution und Konterrevolution – nicht stellen und beantworten wollten.

Im Fusionsprozess bestand und besteht die Aufgabe von Linksruck darin, der Bürokratie den Rücken freizuhalten. Am Bundesparteitag im November kritisierten diese „Sozialisten“ natürlich auch nicht die Rechte, sondern – die Linken.

Eine Reihe FunktionärInnen von linksruck hat diese Rolle als Kläffer des Parteivorstandes mit Posten versüßt bekommen, als politische MitarbeiterInnen der Parlamentsfraktion.

SAV

Im Gegensatz zu linksruck oder isl trat die “Sozialistische Alternative Voran” (SAV) am Beginn der WASG für ein sozialistisches Programm ein – zumindest versprach das der Untertitel ihrer Broschüre vom Oktober 2004.

Die SAV ging darin von der Unversöhnlichkeit der Interessen von Proletariat und Bourgeoisie und der Unmöglichkeit eines „sozialen, humanen und friedlichen Kapitalismus“ (27) aus.

Ein Programm, das wirklich sozialistischen Charakter hat, muss sich v.a. daran messen lassen, ob es einen Weg weist vom gegenwärtigen Abwehrkampf zum Kampf für die sozialistische Revolution. Das SAV-Programm enthält fraglos richtige Elemente, die gegenüber dem Programmentwurf des Bundesvorstandes der ASG einen Fortschritt darstellen:

„Parlamentarische Positionen werden wir vor allem als Plattform zur Verbreitung unserer politischen Alternative und zur Unterstützung außerparlamentarischer Bewegungen nutzen … Die WASG unterstützt gewerkschaftliche und betriebliche Kämpfe und wird helfen, diese zu vernetzen. Kämpferische Basisinitiativen auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene erhalten unsere Unterstützung und wir setzen uns in den gewerkschaftspolitischen Debatten für einen Kurswechsel der Gewerkschaften hin zu einer kämpferischen Politik ein … (28)“

Ihre in 6 Punkten zusammengefassten Ziele, von denen die meisten durchaus unterstützenswert sind, kulminieren denn auch in der Forderung nach „Überführung der Banken, Konzerne und Versicherungen in Gemeineigentum … Demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung (29)“.

Doch wie soll das bewerkstelligt werden? Soll der bürgerliche Staat das durchsetzen? Welche Stufe und Organisationsformen des Klassenkampfes wären dazu notwendig und wie dauerhaft wäre diese Doppelherrschaft zwischen Arbeiterräten und bürgerlichem Staat? Soll er zuvor zerschlagen werden oder soll er sich etwa friedlich – Kraft eines Beschlusses einer WASG-Parlamentsmehrheit – auflösen? Mehr Fragen als Antworten! Gerade in der Staatsfrage aber dürfen MarxistInnen gar nichts offen lassen! Die SAV macht aber gerade das!

Hier kommt die Methode der SAV klar heraus! „Zuerst“ den Weg mit Reformisten und ihren Vorstellungen gemeinsam gehen. „Danach“ – wenn sie durchgesetzt oder aber gescheitert sind – den Rechthaber spielen: Wir haben ja schon immer gesagt, dass es nicht genug ist! Erst dann trennen sich die Wege von SAV und WASG-Vorstand!

Die WASG-Spitze verballert mit ihrer utopischen Strategie der Rückkehr zu den „goldenen Zeiten“ der „Sozialpartnerschaft“ von Adenauer bis Schmidt das kostbare Potential einer politischen Alternative. Sie nimmt nicht den Kampf gegen den Neoliberalismus praktisch auf, um ihm eine Anleitung zu geben, sondern hofft passiv auf Mitgliedergewinne durch das Abbröckeln der SPD-Wählerbasis.

Das „Übergangsprogramm“ der SAV enthält zwar einige radikale Losungen, welche die ReformistInnen nicht auf ihrem Zettel haben, aber es schlägt eben nicht die Brücke vom heutigen Bewusstsein der Arbeiter(vorhut) zum Ufer der Diktatur des Proletariats, benennt keine unabhängigen Klassenorgane wie Fabrikkomitees, Arbeitermilizen und -räte, sondern will nur „einen“ Schritt weiter als das vorherrschende reformistische Bewusstsein derjenigen sein, die mit der SPD (einstweilen) organisatorisch gebrochen haben, ohne damit aber schon der sozialdemokratisch-reformistischen Ideologie den Laufpass gegeben zu haben.

Die revolutionäre Sprengkraft des Übergangsprogramms wird von der SAV – und nicht nur in ihrem WASG-Vorschlag, sondern immer! – doppelt entschärft:

1. werden einzelne Losungen aus dem Gesamtzusammenhang des Programms gerissen. Es gibt aber eben keine Einzellosungen, die für sich genommen mit wundersamer Sprengkraft den Kapitalismus zerstören könnten, wenn man nur heftig genug für sie kämpft! Alle Übergangslosungen müssen in eine Strategie für die Zerschlagung des Kapitalismus, die Diktatur des Proletariats eingebettet sein, sonst sind sie integrierbar und wirkungslos – selbst für die Entfaltung von Doppelherrschaft.

2. fehlen bei der SAV hier wie stets die eigentlich zentralen, die Frage der Macht betreffenden Losungen nach Räten, Arbeitermilizen, Arbeiterkontrolle und der Zerschlagung des bürgerlichen Staates.

Die Vorschläge der SAV hätten das WASG-Programm graduell verbessern – eine Anleitung zum Handeln im Klassenkampf oder gar sozialistisch wären sie aber nicht gewesen!

Doch die SAV ließ ihren WASG-Programm-Vorschlag ohnedies rasch fallen. In der Programmdebatte beschränkte sie sich auf die Formulierung einzelner Änderungen, darunter die Frage der Regierungsbeteiligung – was dazu führte, dass auch die SAV in der WASG dazu überging, vom „richtigen Gründungskonsens“ der Partei zu sprechen.

Prominent und zu einem zentralen Kern der oppositionellen Formierung in der WASG wurde die SAV durch den eigenständigen Wahlantritt in Berlin, den sie voll unterstützte und bei dem sie eine prominente Rolle spielte, während sich linksruck frontal entgegenstellte und die isl zwar für einen Antritt war, ihr Mitglied im Bundesvorstand der WASG, Thiess Gleiss, jedoch gegen die Kandidatur agitierte.

Insofern ist es ein Mythos, dass die SAV immer „konsequent“ oppositionell gewesen wäre. Sie hat sich der Programmatik der WASG über weite Strecken angepasst, statt diese offen als bürgerlich-reformistisch zu kritisieren.

Aber die Rolle der SAV war durchaus verschieden von jener von linksruck, da sie sich in einem zentralen politischen Konfliktpunkt eindeutig gegen den Bundesvorstand stellte – dem um die eigenständige Kandidatur der Berliner WASG.

Berliner Kandidatur

Die Bedeutung dieser Kandidatur für den Formierungsprozess der WASG geht dabei weit über Berlin hinaus und hat vor allem eine bundespolitische Bedeutung, weil sie ein realer Schritt war zu einem NEIN zur Politik der reformistischen Vorstände und ihrer politischen Zielsetzung.

Schließlich ging es in Berlin um weit mehr als einzelne politische „Ausrutscher“ oder eine besonders üble Politik von Wolf und Co. Die Koalitionen in Berlin und Schwerin zeigen, wohin eine Vereinigte Linkspartei auf reformistisch-keynesianischem Programm unwillkürlich gehen kann und muss.

Daher war der Berliner Wahlantritt trotz des bürgerlich-reformistischen Programms, auf dessen Grundlage er geführt wurde, ein Schritt vorwärts. Wenn auch ohne ausreichende Bewusstheit stellte der Kampf um die Eigenkandidatur den Kampf zwischen zwei sozialen Lagern – einerseits der bürgerlichen Arbeiterbürokratie und -aristokratie in der PDS/WASG und andererseits der unteren Schichten der Klasse dar, die gewissermaßen instinktiv den Kurs der Anpassung nicht mehr mitgehen wollten.

Das Problem war und ist jedoch, wie die Formierung der Opposition, die sich in den letzten Monaten ergab, bundespolitisch vorangetrieben werden kann; wie aus dem instinktiven Aufbegehren gegen den Kurs der Parteiführungen ein bewusstes und organisiertes Aufbegehren wird.

Auf Dauer ist nämlich eine Partei, die Reformstrategie und Revolutionsperspektive vereinen will, nicht möglich, da diese beiden Strategien auf unterschiedlichen Klassenstandpunkten – auf einem bürgerlichen bzw. einem proletarischen beruhen.

Eine längerfristige Existenz als klassenkämpferische oder gar revolutionär-kommunistische Opposition ist in einer reformistischen Partei nur in kurzen Phasen ihrer Krise oder inneren Bewegung (in der Regel nach links) möglich. Ansonsten ist das nur um den Preis der politischen Kapitulation und Marginalisierung möglich.

Die Phase der Konstituierung der Linkspartei geht jetzt dem Ende zu. Die Linke muss sich daher auch um den politischen Endkampf bemühen. Jetzt abzutauchen heißt, einfach den weiteren Exodus und die politische Zersplitterung enttäuschter, aber durchaus kampfwilliger Menschen hinzunehmen; es würde eine weitere Vertiefung der Spaltung von politischer und sozialer Protestbewegung bedeuten.

Wie schon bei der Frage des Programms rudert die SAV unter ihrem Bundessprecher Sascha Stancic nun auch in der Frage der bundespolitischen Formierung kräftig zurück.

Das Schema der SAV

„Wir treten dafür ein, den Kampf um die Ausrichtung und Programmatik der zu bildenden Partei ernsthaft bis zum Schluss zu führen. Das beinhaltet das Eintreten für ein Nein zu einem Zusammenschluss mit der LPDS, wenn die genannten inhaltlichen Mindestkriterien nicht erfüllt werden und der Parteibildungsprozess so undemokratisch verläuft, wie bisher.

Wir halten es für verfrüht und taktisch unklug zum jetzigen Zeitpunkt Festlegungen für den Fall zu treffen, dass dieser Kampf verloren geht und eine Mehrheit der WASG-Mitglieder einem Zusammenschluss mit der LPDS auf Basis der jetzigen L.PDS-Politik zustimmt (30).“

Einerseits will die SAV zwar anders als die anti-kapitalistische Linke gegen die Fusion mit der PDS und gegen die programmatischen Eckpunkte und Statutenvorschläge der Steuerungsgruppe der Vorstände stimmen (die nicht zufällig alle führungskonformen Strömungen aus PDS und WASG einschließen) und eine NEIN-Kampagne führen.

Andererseits drückt sie sich jedoch davor, sich und die MitstreiterInnen in der Linken Opposition für den Fall eines Scheiterns der eigenen Bemühungen vorzubereiten. Das muss aber einschließen, sich so weit zu formieren, dass auch außerhalb einer keynesianisch geeinten Linkspartei der Kampf weitergeführt werden kann.

Selbst die SAV gesteht zu, dass eine solche Partei wenig Anziehungskraft für AktivistInnen hat. „Ob sie selbst im Falle eines radikaleren Auftretens attraktiv zur Aktivierung einer größeren Zahl neuer Mitstreiterinnen und Mitstreiter wird, ist jedoch unwahrscheinlich (31).“

Aber bei zukünftigen Wahlen könnte sie – so wird spekuliert – viele Menschen anziehen. Hier wird erstens der Zustrom von WählerInnen mit der Organisierung und Gewinnung von AktivistInnen verwechselt. Zweitens wird hier ein Schema unterstellt, dass der SAV und ihrer internationalen Tendenz schon beim Entrismus in die Labour Party oder die SPD Pate stand: dass sich nämlich die Linksentwicklung der Massen über den Zustrom zu einer reformistischen Partei, zu einer bürgerlichen Arbeiterpartei vollziehen müsse.

Daher müssten die vorausschauenden „Revolutionäre“ eben schon in der reformistischen Partei sein, um die Massen, wenn sie dereinst vorbeikommen, „mitzunehmen.“

Dieses Schema war schon immer – wie jedes Schema – einseitig und damit falsch. Gerade in der aktuellen Situation führt es dazu, die Minderheit nach links gehender ArbeiterInnen und v.a. Arbeitsloser, in den Schoß einer bürokratisch-reformistischen Organisation zurück zu zerren, statt auf einen politischen und organisierten Bruch zu orientieren, wie er vom radikaleren Teil der WASG-Basis, wenn auch in einer oft unorganisierten Form, vollzogen wird.

Drittens aber wird eine Reihe von „Szenarien“ entwickelt, auf die die Linke zu reagieren hätte – eine aktive, vorwärts treibende Politik fehlt jedoch.

„Wir sehen, außerhalb von Berlin, zur Zeit kein Potenzial für eine erfolgreiche Gründung einer sogenannten ‚sechsten Partei‘ im Falle einer bedingungslosen Fusion von WASG und LPDS. In Berlin ist es eine Möglichkeit, dass eine Regionalpartei entstehen muss, um den Kampf, den der WASG Landesverband bisher erfolgreich geführt hat, fortzusetzen. Diese hätte aufgrund der spezifischen Situation in Berlin ein hohes soziales Gewicht und eine Verankerung in Teilen der Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Arbeiterklasse.

Weil ein solches soziales Gewicht und eine solche Verankerung bundesweit nicht existieren würde, warnen wir vor der Orientierung auf eine bundesweite Parteigründung bzw. Gründung einer parteiähnlichen Organisation. Das würde die Gefahr beinhalten, die beteiligten AktivistInnen an den Rand der politischen Auseinandersetzungen zu befördern und diese zu enttäuschen (32).“

Die SAV malt hier das Schreckgespenst einer isolierten „sechsten Partei“ an die Wand. In der Tat: wenn die „sechste Partei“ nur eine „ehrlichere“ Miniaturversion der keynesianischen WASG sein sollte, so hat sie keine Perspektive. Perspektive hat sie dann allerdings auch nicht in Berlin oder sonstwo als regionaler reformistischer Zwergenverein.

Der SAV kommt aber gar nicht in den Sinn, die Formierung der linken Opposition mit dem Kampf für eine politische Neuorientierung – weg vom Keynesianismus, weg von der Ausrichtung als „Wahlpartei“, hin zu einer revolutionären Kampfpartei der Arbeiterklasse zu verbinden. Die SAV betreibt hier eine Nachtrabpolitik – in diesem Fall in die PDS. Dieser Weg mag mit einigen „Regionallösungen“ wie in Berlin „versüßt“ werden. Er ist aber völlig hoffnungs- und perspektivlos. Im Grunde läuft aber alles darauf hinaus, dass die SAV ihrer Aufgabe, als sozialistische Organisation eine vorwärts treibende Perspektive zu weisen, nicht nachkommt. Stattdessen eiert sie rum und versucht, das Kernproblem der politischen Formierung der Linken Opposition und ihrer Perspektive auf bessere Zeiten nach dem Bundesparteitag zu vertagen.

Damit arbeitet sie – wenn auch entgegen ihrem eigenen Willen – den Vorständen in WASG und PDS zu, weil damit die notwendige Diskussion und Ausrichtung der Opposition weiter verschleppt wird.

Potential für eine Opposition

Statt darum zu ringen, eine Opposition zu formieren, die in der Lage ist, hunderte, ja tausende AktivistInnen anzuziehen, behauptet die SAV, es gäbe dafür außerhalb von Berlin kein Potential.

Das ist nicht nur kontraproduktiv, es verschenkt zugleich eine große Chance, die gerade aufgrund der objektiven Verschärfung der Klassenkämpfe von großer Bedeutung ist – bei einem erneuten Klassenkampfaufschwung schon von Anfang an den Kern einer politischen Führung, den Kern einer neuen Arbeiterpartei zur Verfügung zu haben und sie nicht im Nachhinein schaffen zu müssen.

Dabei ist es doch kein Zufall, dass viele AktivistInnen die WASG wegen deren reformistischer Politik verlassen haben und sich auf den Aufbau sozialer Bewegungen, lokaler Bündnisse oder Betriebsarbeit konzentrieren. Diese Entwicklung passt den FührerInnen der Linkspartei, weil damit rebellisches und widerspenstiges Potential aus der Partei getrieben wird.

Andererseits ist diese Entwicklung vom Standpunkt der Formierung einer neuen Kampfpartei der Arbeiterklasse, von Standpunkt der Herausbildung eines revolutionären Subjektes und einer dementsprechenden Organisation fatal.

Die Spaltung zwischen politischer und gewerkschaftlicher Organisierung, wie sie in der Arbeitsteilung zwischen SPD und Gewerkschaften im Nachkriegsdeutschland bürokratisch verfestigt und über Generationen reproduziert wurde, droht so, auf unterer Ebene erneut reproduziert zu werden – indem sich ein Teil der AktivistInnen in die „Bewegung“ zurückzieht, ein anderer in der PDS einen hoffnungslosen Kampf gegen bürokratische Windmühlen, noch dazu ohne klare politische Orientierung führt.

Gerade ein Kampf gegen die bürokratische Fusion und die Vorbereitung auf die politische Eigenständigkeit wäre ein Mittel, dieser Spaltung entgegenzuwirken. Nur eine „Partei neuen Typs“, also eine klassenkämpferische Arbeiterpartei, wäre das Mittel, die Spaltung von sozialer und politischer Bewegung zu überwinden, indem ein politisches Instrument geschaffen wird, das als Kampfinstrument in den Bewegungen agiert, diese vorantreibt und von ihnen gespeist wird; das als politisches Instrument eine Gesamtstrategie zur Verbindung der verschiedenen Abwehrkämpfe liefert: ein anti-kapitalistisches, revolutionäres Übergangsprogramm.

Netzwerk Linke Opposition

Das Schema der SAV ist umso fataler, als es – eingestandenermaßen – in der neuen Linken ein erdrückendes Innenleben ohne radikale AktivistInnen, ArbeiterInnen und sicher ohne Jugendliche und MigrantInnen geben wird; und weil es zugleich die Formierung jener kämpferischeren, vom Apparat nicht kontrollierten Schichten in der WASG gibt, die sich im “Netzwerk Linke Opposition” (NLO) formieren.

Anfang Oktober trafen sich rund 100 GenossInnen in Felsberg (bei Kassel) zum zweiten bundesweiten Treffen des Netzwerks. Im Mittelpunkt stand die Frage der weiteren Perspektive ihrer Arbeit in der WASG vor dem Hintergrund des bürokratischen Zusammenschlusses von PDS.Linkspartei und WASG auf einer reformistischen, keynesianischen Grundlage.

Einigkeit gab es darüber, dass es richtig war, in Berlin gegen diese Politik anzutreten und auch darüber, als NLO nicht nur dem bürokratischen Fusionsprozess entgegentreten, sondern selbst bei der Organisierung von Widerstand sichtbar aktiv zu werden. Dazu soll auch die Erarbeitung einer politischen und programmatischen Alternative, einer „sozialistischen Perspektive“ zum Reformismus des Bundesvorstandes organisiert werden. Bezüglich der Linkspartei-Fusion wurden fünf Mindestbedingungen (Rote Linien) angenommen:

„1. Die neue Partei entsteht durch eine Neugründung, nicht durch eine Fusion, in der die Mitgliederbestände automatisch übernommen werden und schon gar nicht, indem die WASG-Mitglieder der Linkspaprtei.PDS beitreten. Jedes Mitglied soll sich durch Beitritt für die neue Partei entscheiden, alle Ämter sind neu zu wählen.

2. In der neuen Partei gilt die Trennung von Amt und Mandat und von Amt und Beschäftigungsverhältnis bei der Partei, den Fraktionen, einzelnen Abgeordneten oder Tendenzbetrieben. Einzubeziehen in dieses Verbot sind nicht nur Vorstandsämter auf Landes- und Bundesebene sondern auch Delegiertenämter zu Parteitagen.

3. Die neue Partei verneint Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht nur in ihren Programmen, sondern beteiligt sich auch in der Praxis weder auf Landes- und Bundesebene noch in den Kommunen daran.

4. Die neue Partei tritt nicht in Regierungen ein, die Sozialabbau betreiben, tarifliche Standards oder Löhne im Öffentlichen Dienst absenken bzw. die Arbeitszeit der Beschäftigten erhöhen.

5. Die neue Partei stimmt Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht zu. Sie wendet sich auch strikt gegen Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der inneren Sicherheit (33).“

Differenzen

Die Probleme begannen jedoch bei der Diskussion der Konsequenzen dieser Forderungen für den Fall, dass sie nicht angenommen und die WASG aufgelöst würde. Hier standen sich zwei Linien gegenüber. Die eine wurde von SAV und isl vertreten, die meinten, die möglichen Konsequenzen einer solchen Entwicklung jetzt nicht genauer zu diskutieren und die Entscheidung darüber „offen zu lassen“ – um sich gegebenenfalls die Möglichkeit des Eintritt in die Vereinigte Linkspartei samt Regionallösung in Berlin zu erhalten.

Eine klare Antwort auf die Frage, was im Fall des Falles einer Verletzung der Roten Linien zu tun wäre, solle das Netzwerk nach SAV- und isl-Vorstellung nicht beziehen.

Der andere Pol des Netzwerks, der auch von arbeitermacht unterstützt wurde, sprach sich dafür aus, in diesem Fall auf den Aufbau einer eigenständigen politischen Kraft zu orientieren.

Diese Perspektive wurde u.a. von der SAV als „Proklamation“ einer weiteren, „sechsten Partei“ attackiert – als ob eine klassenkämpferische Arbeiterpartei einfach eine „sechste Partei“ neben anderen wäre! Im Gegenteil: sie wäre in ihrer Art die einzige!

Die UnterstützerInnen des Antrags stellten auch klar, dass es nicht einfach um die Proklamierung einer neuen Partei ginge. Sie machten deutlich, dass es jetzt darum geht, in der WASG das NLO als sichtbare, handlungsfähige Gruppierung aufzubauen.

Das wurde auch beim zweiten politischen Konflikt deutlich. Soll – wie SAV und isl meinten – die Opposition nur eine lose Koordinierung haben, die einen monatlichen Rundbrief herausgibt oder soll sie von unten, von Basisstrukturen her aufgebaut werden, die eine reale Organisierung der Opposition vor Ort und den Aufbau handlungsfähiger, in der Öffentlichkeit agierende Oppositionsgruppen erlauben, die auch für kämpferische Nicht-WASGlerInnen offen sind. Die GenossInnen von arbeitermacht haben auch diesen Antrag unterstützt.

Die Konferenz unterstützte mit deutlicher Mehrheit, dass mit den Mindestbedingungen (Rote Linien) Konsequenzen verbunden sein müssen. Sie beschloss, Basisstrukturen der Opposition auf lokaler und regionaler Ebene aufzubauen und diese in einer Delegiertenstruktur zu vernetzen.

Es ist klar, dass die Führungen von WASG und PDS – die jede Chance, Widerstand zu formieren und den Prozess zur Fusion einer Linkspartei zu einem Attraktionspool für Proteste und Kämpfe (z.B. zuletzt bei BSH in Berlin) zu machen, verschenkt haben – das NLO als „Spalter“ diffamieren.

Von ihrem Standpunkt macht das auch Sinn, denn die Spitzen von WASG und PDS streben nicht mehr und nicht weniger an, als ihr „Reformprogramm“ gemeinsam mit SPD und Grünen im Bund umzusetzen – eine Reformpolitik, die in der gegenwärtigen Periode nur als neo-liberaler Angriff exekutiert werden kann. Dabei stört eine linke Opposition natürlich.

Perspektive

Das Netzwerk Linke Opposition muss diesen Fehdehandschuh seinerseits aufgreifen und den Kampf zuspitzen – nicht nur für den Erhalt der WASG, sondern vor allem dafür, die Grundlagen, einen Ausgangspunkt dafür zu schaffen, um eine neue kämpferische Arbeiterpartei aufzubauen. Mit den Beschlüssen von Kassel hat sie durchaus einen Schritt in diese Richtung getan. Nun geht es v.a. darum,

• alle Kräfte, die gegen die Angriffe Widerstand leisten – in Gewerkschaft, im Betrieb, Linke, Jugendliche, Arbeitslose, soziale Bewegungen, ImmigrantInnen usw. – für den Aufbau einer bundesweiten, in der Basis verankerten Opposition zu gewinnen;

• ein Aktionsprogramm zu erarbeiten, das Ziele, Mittel und Wege angibt, wie in vorhandene Kämpfe und Bewegungen eingegriffen und der Widerstand voran gebracht werden kann; ein Aktionsprogramm, das die Ausverkaufspolitik von SPD, PDS und Gewerkschaftsführungen anprangert und Alternativen für die Organisierung und Führung des Kampfes aufzeigt.

Als arbeitermacht haben wir dazu einen Programmvorschlag erarbeitet und aktiv am Aufbau der WASG bzw. des NLO mitgewirkt. Wenn – und darauf deutet alles hin – die WASG und mit ihr ein erster Anlauf für eine neue Arbeiterpartei in einer „neuen“, in Wahrheit steinalten reformistischen Linkspartei „entsorgt“ wird, ist das nur eine Momentaufnahme.

Die Krise des Kapitalismus und die daraus resultierenden Angriffe von Kapital und Regierung werden neuen Widerstand provozieren und im Bewusstsein der Massen das Fehlen einer Arbeiterpartei als Kampfführung noch brennender zu Tage treten lassen. Zu deren Schaffung schon jetzt Potential zu sammeln und zum Kampf zu formieren, um zur gegeben Zeit nicht wieder Ernst und Co. die Initiative überlassen zu müssen, ist eine große Chance – eine Chance, hierzulande die erste revolutionäre Arbeiterpartei nach 1945 aufzubauen, statt einer dritten Sozialdemokratie!

Fußnoten:

(1) Der Steuerungsgruppe zum Programm gehören VertreterInnen aller wichtigen konformistischen Strömungen aus WASG und PDS.Linkspartei an: Joachim Bischoff, Ralf Krämer, Julia Müller, Alex Troost sowie Janine Wissler für die WASG. Für die L.PDS: Wolfgang Gehrke, Bernd Ihme, Dieter Klein, Konstanze Kriese, Katina Schubert und Harald Werner.

(2) Programmatische Eckpunkte, veröffentlicht auf der Homepage der WASG, www.w-asg.de

(3) Eckpunkte, S. 3

(4) Eckpunkte, S. 4

(5) Eckpunkte, S. 1

(6) Eckpunkte, S. 7

(7) „Aufruf zur Gründung der Neuen Linken“, vorgestellt von den geschäftsführenden Bundesvorständen der WASG Klaus Ernst und Felicitas Weck, sowie Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei.PDS, Katja Kipping, stellvertretende Parteivorsitzende und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion DIE LINKE Oskar Lafontaine und Gregor Gysi am 2. Juni 2006 in Berlin

(8) Eckpunkte, S. 5

(9) Eckpunkte, S. 10

(10) Aufruf zur Gründung der Neuen Linken

(11) Eckpunkte, S. 16

(12) Eckpunkte, S. 16

(13) Eckpunkte, S. 18

(14) Marx/Engels, Das kommunistische Manifest, MEW 4, S. 488

(15) Jürgen Roth, Bedingungsloses Grundeinkommen: Weg aus der Lohnarbeit? , in: Neue Internationale 115, November 2006; und, Markus Lehner, Allheilmittel Grundeinkommen, in: Neue Internationale 77, Februar 2003

(16) Entwicklung der Mitgliederzahlen der PDS, auf www.sozialisten.de

Das Anwachsen der PDS-Mitgliedschaft im Jahr 2005 auf fast 6.000 im Westen läst sich nicht durch gestiegene Attraktionskraft der PDS, sondern durch die Zunahme von Doppellmitgliedschaften mit der WASG im Zuge gemeinsamer Wahlkämpfe und einer Vorwegnahme der Fusion erklären.

(17) Unter bürgerlicher Arbeiterpartei verstehen wir eine Partei, die eine bürgerliche Politik verfolgt und von einer mit Staat und Kapital verbundenen Bürokratie beherrscht, die sich aber sozial auf die Arbeiterklasse stützt und mit der sie organisch (historisch, über Gewerkschaften, Verbände, …) verbunden ist.

(18) Roberto Heinrich, Malte Lübker und Heiko Biehl: Parteimitglieder im Vergleich: Partizipation und Repräsentation, Kurzfassung des Abschlussberichts zum gleichnamigen DFG-Projekt, Potsdam 2002; Diese und weiter Zahlen sind dem Projektbericht entnommen

(19) Arbeitermacht Infomail 286 (14. November 2006), Entschieden wird im kleinen Kreis, Bericht von der Aktionskonferenz in Rostock, auf: http://www.arbeitermacht.de/infomail/286/rostock.htm

(20) Eckpunkte, S. 14

(21) „Aufruf zur Gründung einer neuen linken Partei“, auf: http://www.antikapitalistische-linke.de/topic/2.aufruf.html

(22) Ebenda

(23) Ebenda

(24) Rosa Luxemburg, die sozialistische Krise in Frankreich, Werke, Bd. 1, S. 32

(25) Linksruck, 7 Thesen zur Diskussion um eine neue Linkspartei

(26) Ebenda

(27) SAV-Broschüre der Gruppe arbeitermacht, S. 7

(28) Ebenda, S. 7

(29) Ebenda, S. 10

(30) Stellungnahme der SAV zum Parteibildungsprozess und den Aufgaben des Netzwerks Linke Opposition

(31) Ebenda

(32) Ebenda

(33) Siehe www.linkezeitung.de