EU in der Krise – Soziales oder sozialistisches Europa?

Michael Pröbsting/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Das NON zur EU-Verfassung ist Ausdruck der Krise des Formierungsprozesses eines europäischen imperialistischen Blocks und hat diese zugleich vertieft. Das NON war ein schwerer politischer Rückschlag für die europäischen Bourgeoisien – vor allem für das französische und deutsche Kapital, die treibenden Kräfte hinter dem Vereinigungsprojekt.

Hinter dem NON stehen eine Reihe, miteinander verwobener krisenhafter Prozesse und bislang nicht überwundener innerer Widersprüche des Vereinigungsprozesses.

Ökonomische Krise

Die meisten kontinentaleuropäischen Ökonomien – insbesondere die deutsche – befinden sich seit Jahren in einer stagnativen Periode. Selbst die „Aufschwungsphasen“ der Konjunktur sind durch geringes Wachstum, Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gekennzeichnet So betrug das jährliche durchschnittliche Wirtschaftswachstum in der Eurozone 2001 1,6%, 2002 0,9%, 2003 0,5% und 2004 1,8%. Für 2005 wird ein BIP-Wachstum in den Euro-Ländern von 1,5% prognostiziert.

Hinter dieser Krise steckt ein strukturelles Problem der kapitalistischen Weltwirtschaft – die Überakkumulation von Kapital und langfristig fallende Profitraten.

Dies sind notwendige, aus dem Akkumulationsprozess des Kapitals selbst hervortretende innere Widersprüche. Vermittelt über die Konkurrenz sind die großen Kapitale zu einer ständigen Umwälzung ihrer eigenen technischen Grundlagen, zu Rationalisierungen, Steigerung von Produktivität usw. gezwungen. Damit steigt aber auch der Anteil, der von den Unternehmen für Maschinen, Rohstoffe usw. aufgewandt werden muss im Verhältnis zu den Aufwendungen für Arbeitskräfte.

Da jedoch nur die lebendige Arbeit Mehrwert für das Kapital schafft und damit Quelle des Profits ist, sinkt die Profitrate für das Kapital in seiner Gesamtheit.

Natürlich sind auch in solchen Perioden die größeren Kapitale in der Lage, ihre Profite zu steigern – weil sie als fortgeschrittenere Kapitale, aufgrund von Monopolstellungen oder der Ausplünderung der „Dritten Welt“ in der Lage sind, sich Extraprofite anzueignen.

Dieser Prozess ist im kapitalistischen System angelegt. Es hilft daher nichts, sich eine „Marktwirtschaft“ ohne Akkumulation, Zentralisation, verschärfte Konkurrenz usw. vorzustellen. Innerhalb des Kapitalismus ist eine solche Entwicklung unvermeidlich – und sie führt notwendig zu Krisen, die im Rahmen dieses Systems nur durch eine Erhöhung der Ausbeutungsrate, Kapitalvernichtung und Neuaufteilung der Weltmärkte unter den großen Kapitalen und imperialistischen Nationen gelöst werden kann.

Vor diesem Hintergrund zeichnen sich ohne Zweifel wichtige Neuformierungsprozesse des europäischen Monopolkapitals und die Schaffung deutsch-französische geprägter Unternehmen oder Allianzen ab.

Die Formierung eines europäischen Kapitals und Imperialismus, der den USA als führende Weltmacht Paroli bieten kann, ist und bleibt daher das strategische Ziele der deutschen und französischen Kapitalistenklassen und ihrer politischen Exekutiven.

Die Bedeutung der EU-Verfassung

Aber das NON in Frankreich hat deutlich gemacht, wie weit diese Bourgeoisien noch davon entfernt sind.

Auch wenn die Annahme oder Ablehnung der Verfassung an vielen realen Aktionen der EU, an deren sozialen und politischen Zielen nichts ändert, so sollten die Referenden in Frankreich und anderen Ländern dazu dienen, der Verfassung die höheren Weihen des „Volkswillens“ zu  verpassen.

Die Verfassung hätte ein bestimmtes, vorläufiges Stadium der imperialistischen Vereinigung kodifiziert. Ganz sicher wäre aber auch sie – man denke nur an die eher bizarren Entscheidungsstrukturen – nur eine vorläufiges Endprodukt gewesen.

Vorläufig vor allem, weil hinter der Verfassung immer auch das Problem steht, dass die EU aus lange etablierten imperialistischen Mächten besteht, die jeweils auch spezifische, schwer vereinbare Interessen haben. Während sich die deutsche und französische Bourgeoisie dem imperialistischen Vereinigungsprojekt verschrieben haben, versucht die britische Kapitalistenklasse als Juniorpartner der USA zwischen Vereinigten Staaten und EU zu manövrieren.

Angriff

Die ökonomische Krise und die europaweiten massiven Angriffe auf die Lohnabhängigen haben aber auch zu einer massiven Unzufriedenheit und einer Legitimitätskrise bürgerlicher Politik und des gesamten EU-Projekts geführt.

Gerade in Frankreich zeigt sich sehr deutlich, dass die Masse der Bevölkerung und hier vor allem die ArbeiterInnen, Angestellten und Erwerbslosen die EU-Verfassung als einen politischen Ausdruck der Angriffe auf das Bildungswesen, auf soziale Rechte, auf die 35-Stunden-Woche usw. betrachteten.

Die Massenstreiks vom Frühjahr 2005 hatten die Regierung Chirac/Raffarin in die Defensive gebracht und entscheidend zu einem Stimmungsumschwung gegen die EU-Verfassung beigetragen.

Auch wenn in anderen europäischen Ländern keine derartig beeindruckenden Kämpfe stattfanden, keine Massenbewegung gegen die Verfassung mit rund 1000 lokalen Komitees zu Aufklärung und  Mobilisierung der Bevölkerung existieren – so ist doch die Krise der Legitimität der EU allgemein.

Gleichzeitig steckt die Lissabon-Agenda selbst in der Krise. Ihr zufolge sollte die EU bis 2010 zur stärksten und dynamischsten wirtschaftlichen Macht auf der Erde werden. Davon ist sie heute genauso weit entfernt wie vor fünf Jahren.

Auch wenn Millionen Lohnabhängige, SchülerInnen, Studierende, RentnerInnen in den letzten Jahren massive Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen hinnehmen mussten – vom Standpunkt ihrer eigenen Zielsetzungen in der globalen Konkurrenz ist das für das europäische Kapital zu wenig.

Hinzu kommt, dass die Formierung eines europäischen Monopolkapitals eine aktive staatliche Intervention erfordert, die bisher v.a. von Frankreich und Deutschland kommt.

Schließlich zeigt das NON zur Verfassung aber auch, dass eine Art „europäisches Nationalbewusstsein“ bislang nicht existiert. Um einen europäischen imperialistischen Block zu formieren, muss aber auch eine vereinheitlichende Ideologie geschaffen werden, welche Mittelschichten, Kleinbürgertum und privilegierte Teile der Arbeiterklasse an das Projekt eines europäischen imperialistischen Blocks bindet.

Auswirkungen

Der Generalangriff auf die Lohnabhängigen wird in ganz Europa mit unverminderter, ja größerer Schärfe fortgeführt. Auch wenn es in einzelnen Ländern zu kurzfristigen taktischen Rückzügen der herrschenden Klasse aufgrund von Massenmobilisierungen kommen sollte, so nur, um bald noch heftigere Angriffe zu starten.

Ebenso werden die imperialistische Besatzungspolitik im Irak, am Balkan, in Afghanistan sowie die nationale und rassistische Unterdrückung in der EU bzw. an deren Außengrenzen fortgesetzt werden.

Die herrschenden Klassen werden bewusst einen neuen Anlauf zur Formierung eines imperialistischen Blocks nehmen. Auch wenn der genaue Modus (z.B. verstärktes Drängen auf ein „Kerneuropa“) offen ist, kann allgemein folgendes gesagt werden: Ähnlich wie bei bisherigen Krisen des kapitalistischen Vereinigungsprojektes (z.B. Krise des Wechselkurssystems 1992/93, auf die Maastricht und Einführung des Euro folgten) werden wir es auch hier nicht einfach mir einer Wiederholung des Verfassungsprojekts, sondern mit dem Versuch einer qualitativ weitergehenden Vereinheitlichung zu tun haben.

Dieses Geflecht an Widersprüchen und politischen Dynamiken stellt die klassenbewussten ArbeiterInnen und Jugendlichen Europas vor folgende Situation: Einerseits ist die europäische Bourgeoisie gezwungen, ihre schweren Angriffe fortzusetzen und andererseits ist diese fortgesetzte Offensive mit einem Aufschwung der Klassenkämpfe und einer verminderten politische Legitimität des imperialistischen EU-Projektes in den Augen der Unterdrückten konfrontiert. Daraus folgt ein enormes Politisierungspotential und eine gesellschaftliche Sprengkraft für die kommende Periode.

Die europäische Bourgeoisie bzw. die einzelnen Fraktionen können nur voranschreiten, indem sie den bestehenden, bisherigen Status quo der politischen Machtausübung in der EU über Bord werfen und ihre ideologische Rechtfertigung ändern. Bleibt die EU geeint und bleibt sie dabei, die EU-Verfassung oder ein ähnliches Projekt durchzupeitschen, nimmt sie massiven Widerstand der Massen und Risse im eigenen Lager in Kauf.

Macht sie einen Schritt zurück und unterlässt es, die Schritte der ökonomischen Integration durch entsprechende Maßnahmen auf der Ebene der politischen Integration zu begleiten, droht das Projekt der Herausbildung eines einheitlichen europäischen Blocks zu scheitern. Möglich ist auch der Weg, Teile der EU-Verfassung „durchzumogeln“ und ohne Referenden umzusetzen. Doch auch dieser Weg ist ohne ernsthafte öffentlich ausgetragene Konflikte innerhalb der Bourgeoisie und ohne Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend unwahrscheinlich.

Zerfällt die EU in zwei oder mehrere Blöcke – sagen wir einem unter deutsch-französischer Führung und einem pro-amerikanischen – wird dies mit Sicherheit zu enormen Spannungen innerhalb der Bourgeoisie führen und ebenso den Widerstand unter der Arbeiterklasse und der Jugend hervorrufen. In den kommenden Jahren sind daher in Europa massive politische Umbrüche und heftige Klassenkämpfe wahrscheinlich.

Die Legitimitätskrise der EU aufgrund der massiven Angriffe geht auch mit einer, vor allem in Westeuropa zu beobachtenden, Absetzbewegung der Arbeiterklasse von ihren „traditionellen“ Parteien – der Sozialdemokratie – einher. Auch wenn diese ArbeiterInnen und Angestellten nicht mit der reformistischen Ideologie an sich gebrochen haben, so stellt ihr Bruch eine massive Erschütterung lange etablierter Kontrollinstrumente über die Arbeiterklasse dar.

Neue Linke?

In vielen Ländern hat das auch zur Bildung neuer politischer Formationen geführt bzw. zur Schaffung europaweiter Allianzen. In Britannien zeigt sich das in der populistischen Wahlpartei RESPECT, in Deutschland in der Linkspartei.

Vor allem aber bildet sich in Frankreich und in vielen anderen europäischen Ländern um die „Europäische Linkspartei“, attac, Teile der Gewerkschaftsbewegung, Vertreter der Sozialforen sowie „revolutionärer“ Linker (LCR in Frankreich, VS in Europa) eine Bewegung für eine politische Alternative zum „neoliberalen Europa“ heraus.

Zweifellos bietet die Mobilisierung in Frankreich, bieten die „Komitees für das Nein“ eine große Chance, die Initiative in einem europaweiten Abwehrkampf gegen den Generalangriff zu ergreifen, dem Europa des Kapitals eine wirkliche politische Alternative – ein sozialistisches Europa – entgegenzusetzen. Sie bietet die Chance zur Formierung neuer Arbeiterparteien, in denen KommunistInnen und Anti-KapitalistInnen für eine revolutionäre, internationalistische Programmatik eintreten würden.

Die Pariser Versammlung

Eine ganz andere, diesem Ziele direkt entgegen gesetzte Stoßrichtung verfolgen jedoch die führenden politischen Kräfte der französischen NON-Kampagne. Für den 24. und 25. Juni traten in Paris auf Einladung der französischen Unterzeichner des „Aufrufs der 200“ rund 300 VertreterInnen europäischer linker Parteien, von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Kampagnen zusammen. Rund die Hälfte kam aus Frankreich, die andere Hälfte aus 19 europäischen Ländern.

Aus der Europäischen Linkspartei waren neben der KPF die italienische Rifondazione Comunista, die PDS aus Deutschland, die griechische Partei Synaspismos stark vertreten. Auch die KKE (Griechische Kommunistische Partei) tauchte kurz auf. Von der europäischen „antikapitalistischen Linken“ war neben der LCR auch die DKP anwesend.

Von den Gewerkschaften Europas waren aus Frankreich die CGT, G 10 Solidaires, SUD vertreten, aus Italien CGIL und Cobas, aus Deutschland auch die IG Metall sowie die mazedonische Metallergewerkschaft. Attac wurde neben einer starken französischen Delegation von VertreterInnen aus mehreren europäischen Ländern repräsentiert.

Die Versammlung beschloss im „Konsens“, d.h. mit der überwältigen Mehrheit der anwesenden reformistischen Parteien, Gewerkschaften, attac und anderer Linker die Erklärung „Ein neues Zeitalter kann in Europa beginnen“.

Diese Erklärung beinhaltet eine knappe Zusammenfassung der politischen Ziele und Stoßrichtung eines sich formierenden, europäischen „neuen“ Reformismus: Der Grundgedanke besteht darin, dem „neoliberalen“ Europa ein „soziales, demokratisches, friedliches, feministisches, ökologisches, solidarisches Europa“ entgegenzustellen.

Bewusst findet sich kein Wort über den imperialistischen Charakter des gegenwärtigen Europa. Nicht der Kapitalismus, nicht eine bestimmte Produktionsweise und Gesellschaftsordnung, sondern nur eine „falsche“, neoliberale Politik wird als das eigentliche Problem hingestellt.

Als Subjekt der Mobilisierung sieht man nicht die Arbeiterklasse – überhaupt kommen Klassen im Text ebenso wenig wie Kapitalismus und Imperialismus vor – sondern „die Bürger“, „das Volk“, kurz eine Allianz verschiedener Klassen. So heißt es in dem von verschwommenen Phrasen triefenden Text: „Gemeinsam wollen wir eine breite bürgerliche Bewegung auf europäischer Ebene ins Leben rufen, um in Solidarität mit allen Völkern der Erde eine politische und soziale Dynamik von der örtlichen bis zur europäischen Ebene für eine anderes Europa zu entfalten“.

Das „andere Europa“ soll ein Europa mit anderer, „gerechter“ Verteilung des Reichtums sein. Das Monopol der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln und der imperialistische Charakter des bestehenden Europa werden in keiner Weise angetastet.

Vielmehr ist der Forderungskatalog eine Mischung altbekannter keynesianischer Rezepte, die mit versteckten protektionistischen Phrasen zum Schutz europäischer Nahrungsmittelproduktion garniert werden („ein europäisches Handeln zugunsten der Nahrungsmittelhoheit als ein Grundrecht der Völker“).

Besonders deutlich wird das in der internationalen Politik. Statt sich auf eine gemeinsame Mobilisierung gegen Aufrüstung, Besetzung des Iraks, Afghanistans usw. zu verständigen, wird davon schwadroniert, die „Logik des Krieges und der Militarisierung der Europäischen Union abzulehnen, ein Europa zu schaffen, das zugunsten einer anderen Welt handelt.“

Solche Phrasen sind nichts als reaktionäre pazifistische Floskeln, die erstens zu nichts verpflichten (anders als z.B. eine Aktion gegen die Besetzung des Irak) und zweitens unterstellen, dass eine kapitalistische EU anders als imperialistisch sein und handeln könnte.

Wer wirklich ein Europa schaffen will, das zugunsten einer anderen Welt handelt, muss für ein sozialistisches Europa kämpfen, muss offen die Notwendigkeit einer europäischen Revolution, der Machtergreifung der Arbeiterklasse und der Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa aussprechen.

Niemand sollte sich irgendwelchen pazifistischen Illusionen hingeben: Europa hat nur dann eine sozialistische Zukunft, wenn der Kapitalismus durch eine europaweite proletarische Revolution zerstört wird. Eine solche Revolution ist weder ein Gesetzesantrag, noch kommt sie durch friedlichen Druck auf der Straße zustande. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Kette von scharfen, revolutionären Klassenkämpfen, bewaffneten Aufständen und der erfolgreichen politischen Machtergreifung der Arbeiterklasse. Das bewusste Ausstreuen von bzw. im Unklaren lassen über Illusionen in einen parlamentarischen, durch bloßes Druck ausüben auf die Herrschenden, friedlichen Weg zum Sozialismus ist nichts anderes als schädliches, gefährliches Treiben der Reformisten und ihrer zentristischen Helfershelfer.

Doch für die neuen europäischen ReformistInnen geht es nicht um den Klassenkampf gegen den weiter laufenden Generalangriff, sondern um eine Kampagne für einen „alternativen Verfassungsentwurf“.

Nachdem in Frankreich Hunderttausende gegen die Angriffe der Regierung gestreikt haben, Millionen über die Komitees mobilisiert wurden, schlägt die Pariser Versammlung keine Vertiefung und Erweiterung des Abwehrkampfes, keine Schaffung einer europäischen Koordinierung aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, sozialistischen, kommunistischen Organisationen vor – sondern „eine Petition (…), die eine grundlegende Änderung der europäischen Politik“ von Chirac, Schröder/Merkel und Blair fordert.

Diese Strategie soll, ausgehend von Paris, auch dem Europäischen Sozialforum verpasst werden. Sie wäre für die sozialen Bewegungen in Europa, für die Arbeiterkämpfe, für den Widerstand gegen Sozialraub, Entlassungen, Krieg und Rassismus fatal.

Diese Strategie entspricht den politischen Zielen und Bedürfnisse des „linken“ Flügels der Arbeiterbürokratie und eines Teils der Mittelschichten. Nachdem einem Teil der Gewerkschaftsapparate die „alte SP“ verloren ging, Teile der Sozialdemokratie mit den offen neoliberalen Angriffen ihrer Parteien unzufrieden sind, bemühen sich diese Strömungen und Formationen wie RC, KPF, PDS/WASG darum, nach links gehende ArbeiterInnen mit alten, im Grunde sozialdemokratischen Rezepten zu integrieren.

Dabei geht es ihnen nicht nur darum, die Ziele der Bewegung in das Korsett eines rein reformistischen Programms zu zwängen, sondern auch eine weitere Klassenmobilisierung zu hintertreiben.

Kein Wunder, denn viele dieser Helden eines „sozialen“ Europas bereiten sich auf die Regierungsbeteiligung in den Nationalstaaten des bestehenden Europas vor. In nächster Zukunft wird das vor allem auf die italienische Rifondazione zutreffen, die Teil des klassenübergreifenden, volksfrontartigen Olivenbaum-Bündnisses ist, dessen Spitzenmann der ehemalige EU-Kommissionspräsident Prodi ist, der für den Verfassungsentwurf und die Lissabon-Agenda mitverantwortlich war!

Hier zeigt sich auch, dass in der politischen Realität das Gezeter gegen das „neoliberale Europa“ oder die „Amerikanisierung“ des Kontinents nur als politische Rechtfertigung zum Eintritt in bürgerliche Regierungen dient, die vorgeblich ein anderes politisches „Modell“ vertreten würden.

Während solche politischen Konzepte durchaus in der politischen Tradition von KPF und anderen reformistischen Parteien stehen, spielen Organisationen wie die LCR eine besonders beschämende und schädliche Rolle, weil sie nicht gegen die reformistische Orientierung ankämpfen, sondern diese selbst euphorisch mittragen.

Die Aufgaben von RevolutionärInnen bestehen jedoch darin, der Strategie der ReformistInnen auf verschiedenen Ebenen entgegenzutreten:

• Der Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes

• Die Einigung Europas durch die Arbeiterklasse, also die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

• Die Notwendigkeit neuer Arbeiterparteien und einer neuen, Fünften Internationale.

Europaweiter Abwehrkampf

Die Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes gegen den fortgesetzten Generalangriff von EU, europäischen Kapitalisten und nationalen Regierungen; eines koordinierten Abwehrkampfes gegen die rassistische Spaltung in Europa, gegen die „Festung Europa“ wie gegen die imperialistische Aufrüstung und Besatzungspolitik ergibt sich zwingend aus den aktuellen und zu erwartenden Angriffen des Kapitals.

Wir dafür ein, dass eine europaweite Koordinierung für den Abwehrkampf auf allen Ebenen geschaffen wird. Diese Forderung richtet sich an alle Organisationen der Arbeiterbewegung, Parteien, die gegen Krieg und Neo-Liberalismus zu kämpfen vorgeben usw., alle Gruppierungen der Anti-Globalisierungsbewegung, die Anti-Kriegsbewegung, Immigrantenorganisationen, Jugendorganisationen, Schüler- und Studentenvertretungen, Antifa-Gruppen.

Zur Koordinierung dieser Aktionen treten wir für den Aufbau von Akionskomitees, Sozialforen- und Bündnissen auf allen Ebenen – lokal, regional, landesweit ein.

Diese Forderung muss auf den kommenden europäischen, nationalen wie lokalen Treffen, bei Sozialforen wie jenem vom 21.-24. Juli in Erfurt offensiv vertreten werden. Die reformistischen Führungen müssen dazu aufgefordert werden, einen solchen Abwehrkampf zu unterstützen und praktische Schritte zur Etablierung einer solchen Koordinierung zu schaffen.

Zweifellos wird die Möglichkeit, sie dazu zu zwingen, von der Mobilisierung der Basis, von der Militanz der AktivistInnen entscheidend abhängen. In jedem Fall kann und soll sie dazu dienen, die Notwendigkeit eigener Mobilisierungsstrukturen zu verdeutlichen.

Die Versammlung der Sozialen Bewegungen beim Sozialforum in Athen im Jahr 2006 müsste daher auch in den Mittelpunkt des Europäischen Sozialforums rücken, um dort verbindliche, gemeinsame Aktionen zu vereinbaren.

Abwehrkampf gegen die sozialen Angriffe!

Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut treffen Millionen und Abermillionen in Ost- und Westeuropa. Als vereinheitlichenden Schlüsselforderungen im Abwehrkampf schlagen wir vor:

• Europaweite Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

• Ein Mindestlohn, der von der Arbeiterbewegung des jeweiligen Landes festgelegt wird.

• Kampf gegen Privatisierung des Öffentlichen Dienstes und Massenlassungen!

• Für eine Programm gesellschaftliche nützlicher öffentliche Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigen, Arbeitslosen und KonsumentInnen!

• Progressive Besteuerung der Unternehmen und der Reichen zur Finanzierung diese Maßnahmen.

Der europaweite Aktionstag gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie der EU (auch als Bolkestein-Richtlinie bekannt) am 15.Oktober sollte als erster Schritt zur gemeinsamen koordinierten Aktion genutzt werden – für Massendemonstrationen und Streiks in allen größeren europäischen Städten! Das wäre auch ein Ausgangspunkt für europaweite politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen die Angriffe des Kapitals und der EU-Kommission.

Kampf dem Rassismus!

Die Spaltung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten entlang nationaler und ethnischer Linien ist ein zentrales Problem für einen gemeinsamen Abwehrkampf. Bewusst werden die Spaltungslinien durch die EU und die nationalen Bourgeoisien und Regierungen vertieft. ArbeiterInnen aus Osteuropa und aus den halb-kolonialen Ländern außerhalb der EU werden aus dem westlichen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, institutionalisiert als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt oder in die Illegalität gedrängt, wo sie als Billiglöhner zu miesesten Bedingungen schuften müssen.

In der EU werden nationalen und ethnischen Minderheiten wie den Basken oder den Roma ihre demokratischen Rechte verwehrt. Moslemische, türkische oder arabische MigrantInnen sind systematische Hetze und Unterdrückung ausgesetzt. Faschistische und rassistische Kräfte verbreiten das Gift des Anti-Semitismus.

Dagegen kämpfen wir für:

• Gleiche und volle soziale und politische Recht, für alle, die in Europa leben.

• Wir kämpfen gegen alle Einreisekontrollen.

• Für Selbstverteidungsorganisationen der rassistische oder national Unterdrückten gegen faschistische oder rassistische Angriffe auf!

• Weg mit allen reaktionären „Antiterrorgesetzen“!

Gegen Krieg und Besatzung!

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind offene oder verdeckte Unterstützer der Besetzung des Irak und der US-Kriegsdrohungen gegen andere „Schurkenstaaten“.

• Für den sofortigen Rückzug aller Truppen aus dem Irak!

• Wir unterstützen den legitimen Befreiungskampf des irakischen Widerstandes gegen die Besatzer und den Widerstand der PalästinenserInnen.

Die EU-Staaten sind nicht nur passive Unterstützer der USA. Bosnien, Kosovo, Mazedonien sind praktisch Kolonien der EU. Deutschland führt die Besatzung Afghanistans mit an, Frankreich interveniert regelmäßig in Afrika.

• Nein zu allen EU-Intervention – egal ob unter US-Führung, EU oder UN-Flagge.

• Abzug aller im Ausland stationierten Truppen!

Eine Bewegung gegen den Krieg darf sich dabei nicht auf symbolische Aktionen beschränken. Um die Kriegstreiber der imperialistischen EU zu stoppen und erfolgreich zu bekämpfen, sind Massenaktionen und Streiks notwendig, um die Kriegsmaschinerie und die Nachschublinien zu blockieren.

Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Die Alternative zur EU-Verfassung eines imperialistischen Europas ist weder die reaktionäre Rückkehr zum „unabhängigen“ Nationalstaat und die Wiedereinführung von DM, Franc und anderer nationaler Währungen, noch die eines „sozialen“, in Wirklichkeit sozialchauvinistischen Europa.

Die kapitalistische Vereinigung Europa, die Herausbildung europäischer Monopole und Unternehmensallianzen kann nicht bekämpft werden, indem man den reaktionären und utopischen Versuch unternimmt, das Rad der geschichtlichen Entwicklung zurückzudrehen.

Vielmehr geht es darum, die Formierung eines europäischen Imperialismus und europäischer Monopole zu bekämpfen, indem die Arbeiterklasse selbst eine politische Antwort auf das Problem europäischer Einigung auf allen Ebenen gibt. Das bedeutet den Kampf für eine Verfassungsgebende Versammlung, um die Empörung über den un-demokratischen Charakter der kapitalistischen Einigung zu bündeln, vor allem aber den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten, die für die Weltrevolution kämpfen.

Die Frage der EU-Verfassung ist eine demokratische Frage. Es geht dabei um die Verfasstheit einer zukünftigen Föderation. Bislang hat die herrschende Klasse das über eine undemokratische oder plebiszitäre Weise zu tun versucht.

Auch alle zukünftigen Versuche der herrschenden Klasse werden einen ähnlichen Charakter haben, ja aufgrund der inneren Gegensätze der nationalen Kapitalistenklassen haben müssen. Die Frage der Verfassung und der Demokratie kann und muss unter diesen Umständen zu einem Mittel der Mobilisierung der Massen gegen die herrschenden Klassen gemacht werden – nicht indem eine „andere“ bürgerliche Verfassung im luftleeren Raum reformistischer Tagträume entworfen wird, sondern indem eine konsequente demokratische Form des Vereinigungsprozesses eingefordert wird – eine Konstituierende Versammlung, von allen EinwohnerInnen der EU wie der Staaten, die einem Vereinigten Europa beitreten wollen, gewählt wird.

Eine solche Losung hat einen revolutionär-demokratischen Charakter, wenn sie als Mittel der Mobilisierung betrachtet wird, als Mittel, die bürgerlich-demokratischen Hoffnungen und Illusionen gegen die Herrschenden zu bündeln.

Keineswegs muss oder soll die Einberufung einer solchen Versammlung als notwendiger Schritt vor einer sozialen Revolution, vor der Machtergreifung der Arbeiterklasse oder gar als die Lösung der Frage verstanden werden, wie ein zukünftiges Europa gestaltet sein soll.

Sie muss vielmehr als Mittel zur Mobilisierung verstanden werden und als demokratische Forderung, die wahrscheinlich erst nach einer sozialen Revolution verwirklicht werden kann (ähnlich wie die Forderung der Konstituante in der russischen Revolution 1917 in der Mobilisierung der Massen lag und nicht darin, dass vor der Machteroberung durch die Sowjets stattgefunden hätte).

Sollte – wieder erwarten – eine Verfassungsgebende Versammlung vor eine sozialen Revolution einberufen werden, so wäre das nur durch den massiven Druck der Massen möglich und eine solche Versammlung der Kampf darum würden automatisch zum Austragungsort des Kampfes zwischen verschiedenen sozialen Perspektiven, jener des Kapitals und jener der Arbeiterklasse werden müssen.

Die fortschrittlichen Potenzen internationaler Produktion können nur in einer zukünftigen, sozialistischen Gesellschaft wirklich realisiert und gemäß den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden. Daher setzen wir der kapitalistischen EU die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen, die für die Weltrevolution kämpfen.

Wir treten bewusst für ein sozialistisches Europa ein und lehnen die Losung eines „sozialen Europas“ ab. Diese Formel lässt – bestenfalls – offen, welche Klasse in einem solchen Europa herrschen soll. Doch wer das offen lässt, belässt es im Grunde nur dabei, dass jene, die heute herrschen, auch zukünftig herrschen. Das „soziale“ Europa läuft also auf nichts anderes als auf ein sozialdemokratisches, das heißt bürgerliches und imperialistisches Europa hinaus.

Einem solchen Europa können KommunistInnen, können RevolutionärInnen nie ihre Zustimmung geben! Ein solches Europa wäre nur „sozial“ für eine mehr oder weniger große Minderheit der Mittelschichten und besser gestellten ArbeiterInnen, die auf Kosten der Masse der Lohnabhängigen in der EU und den Milliarden auf der Welt einen „Sozialkompromiss“ mit den Herrschenden aushandeln würden. Ein soziales Europa wäre ein sozialchauvinistisches Europa!

Die Formel des „sozialen“ Europa dient aber als Deckmantel für Reformisten und Gewerkschaftsführer, die den europäischen Imperialismus und Kapitalismus nicht in Frage stellen wollen. Statt das imperialistische Europa beim Namen zu nennen und dagegen zu kämpfen, wollen sie es mit sozialer, ökologischer und sonstiger Tünche streichen. Damit wird natürlich kein Kapitalist, kein bürgerlicher Ideologe getäuscht – wohl aber werden die Ausgebeuteten über den Charakter der EU und des Kapitalismus in die Irre geführt.

Ein kapitalistisches Europa ist imperialistisch oder gar nicht. Es kann nicht „sozial“, „ökologisch“, „friedlich“ oder gar „anti-rassistisch“ sein. Ein solches imperialistisches Staatsgebilde kann ebenso wenig wie der deutsche Staat wegreformiert werden. Es muss zerschlagen und durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ersetzt werden.

Diese würden die Voraussetzungen schaffen für eine ausgewogene Reorganisation der europäischen und Weltwirtschaft auf Grundlage demokratischer Planung.

Zentrale Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit können nur auf dieser Grundlage wirklich gelöst werden. Nur auf dieser Grundlage wäre auch die Überwindung langjähriger nationaler und rassistischer Unterdrückung möglich. Ein sozialistisches Europa würde z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Basken verwirklichen, es würde die Möglichkeiten einer Überwindung des nationalen Haders am Balkan schaffen, indem es einerseits den verschiedenen Nationen ihr Selbstbestimmungsrecht, andererseits die Möglichkeiten eines freiwilligen Zusammenschlusses schaffen würde, ohne dass die Profitinteressen der imperialistischen Kapitale wie der nationalen Bourgeoisien dazwischenkommen.

Dazu muss die Macht des europäischen Imperialismus und des Kapitals durch eine europaweite proletarische Revolution gebrochen und durch die Räteherrschaft der Arbeiterklasse ersetzt werden!

Dem Streben der Bourgeoisie, Europa unter ihrem Diktat zu einen, halten wir die Worte des marxistischen Revolutionärs Leo Trotzki entgegen

In der Person der Opposition (der trotzkistischen Opposition, d. Red.) erklärt die Avantgarde des europäischen Proletariats seinen gegenwärtigen Herrschern: Um Europa zu vereinigen, ist es zu aller erst notwendig, die Macht euren Händen zu entreißen. Wir werden das machen. Wir werden Europa vereinigen. Wir werden es gegen die feindliche kapitalistische Welt vereinigen. Wir werden es in eine machtvollen Exerzierplatz des militanten Sozialismus verwandeln. Wir werden es zu einem Eckpfeiler der Sozialistischen Weltföderation machen.“ (Leon Trotsky: Disarmament and The United States of Europe, October 4, 1929)

Neue, Fünfte Internationale

Eine revolutionäre Perspektive ist unmöglich durchzusetzen, ohne eine revolutionäre, kommunistische Partei.

Eine solche Partei kann jedoch nicht einfach proklamiert werden, noch wird sie durch das lineare Wachstum kleiner kämpfender Propagandagruppen entstehen. Dazu ist es notwendig, aktiv in den Ablösungsprozess einer Vorhutschicht der Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie, die wachsende Unzufriedenheit von GewerkschafterInnen und kämpfenden ArbeiterInnen, in die Mobilisierungen der Jugend aktiv einzugreifen. Aktiv eingreifen, heißt dabei vor allem mit einer Perspektive, mit einem Programm, einer Strategie von Übergangsforderungen und einer politischen Taktik zu intervenieren.

Auf ihre Art versuchen die PDS, WASG, KPF, RC, attac, der linke Flügel mancher „traditioneller“ Sozialdemokratie (SPÖ) eine politische Antwort auf dieses „Vakuum“ zu geben und die Radikalisierung der Basis einzufangen und zur Formierung eines „europäischen“ Reformismus zu nutzen.

Einem solchen Projekt loser „Vernetzung“ national-staatlich orientierter Parteien, deren wichtigstes politisches Ziel nach wie vor die Teilnahme an nationalen, bürgerlichen Regierungen ist, stellen wir die Losung einer neuen Internationale entgegen, die sich nicht als Pressuregroup für wiedergekäute, reformistische und sozialchauvinistische Konzepte, sondern als proletarische Kampforganisation gegen Imperialismus und Kapitalismus und für die sozialistische Weltrevolution versteht.

In Deutschland, Frankreich und Britannien bedeutet das, für den Aufbau neuer Arbeiterparteien der Klasse, die nicht Spielball reformistischer Apparate und populistischer Demagogen, sondern Kampfmittel der ArbeiterInnen, der Jugend, der sozialen Bewegungen im Kampf gegen den Kapitalismus sind, einzutreten.

In Ländern wie Italien bedeutet es für den Bruch „linker“ reformistischer Parteien wie RC mit allen Koalitionen mit bürgerlichen Parteien zu kämpfen.

In allen Fällen ist eine solche Taktik dazu da, dass sich RevolutionärInnen in der Aktion, in der politischen Auseinandersetzung mit jenen reformistischen ArbeiterInnen und Jugendlichen zusammenschließen können, die zwar die Notwendigkeit des Kampfes gegen die sozialen und politischen Angriffe, aber noch nicht die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus anerkannt haben.

Eine solche Taktik – egal ob die Beteiligung an einer sich neu-formierenden Partei oder die Arbeit in einer bestehenden reformistischen Partei wie RC – muss daher immer mit einem einhergehen: dem offen Kampf für ein revolutionäres Aktionsprogramms.




Europäisches Monopolkapital

Markus Lehner, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Was auch immer als Ziel der Herausbildung der EU genannt wird, eines ist klar: Für die großen Konzerne in Deutschland und Frankreich, sowie die mit ihnen verbundenen politischen „Eliten“ ist die EU ein wesentliches Instrument für die Umsetzung ihrer strategischen Interessen. Trotz aller radikal-liberaler Rhetorik von „Deregulierung“ und „Wettbewerb“ ist die EU für ihre treibenden Kräfte vor allem ein Projekt zur Stärkung und Entwicklung des europäischen Monopolkapitals.

In der „Lissabon-Agenda“ haben die Staatschefs der EU sich das Ziel gesetzt, den EU-Raum bis 2010 zum „dynamischsten und wettbewerbsfähigsten“ Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Zentrales Element dabei soll die Herausbildung von „europäischen Champions“ sein. Dabei handelt es sich um Gemeinschaftsunternehmen aus großen europäischen Konzernen, die über das Kapital, die Technologie, das Fachpersonal und den abgesicherten Heimatmarkt verfügen, um den großen US- und japanischen Konzernen in strategisch zentralen Bereichen die Stirn bieten zu können.

Vorbild EADS

Ein erfolgreiches Modell dafür stellt der Airbus-Konzern dar, an dem EADS zu 80% und die britische BAE zu 20% beteiligt sind. Dabei ist EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) selbst ein strategisches Konsortium aus Daimler-Chrysler, der halbstaatlichen französischen SOGEADE (französischer Staat, sowie der private Konzern Lagadere) und der staatlichen spanischen SEPI. Seit der Gründung im Jahr 2000 hat sich die EADS in den letzten beiden Jahren zu einem der größten Rüstungskonzerne der Welt und über Airbus sogar zum größten Luftfahrtunternehmen entwickelt.

Der erfolgreiche Start des A380 ist ein erster Triumph der neuen „europäischen Industriepolitik“ gegenüber solchen US-Giganten wie Boeing. Konsequenterweise ist der EBIT (Earnings before interest and Taxes = Gewinne vor Zinsen und Steuern) von EADS seit 2000 um 75% gestiegen. Auch die Entscheidung für das „Galileo“-Projekt ist ein Ausdruck der Verquickung von Politik und Konzernen in diesem Bereich. Die Monopolprofitrate beginnt hier also mehr und mehr abzuheben.

EADS ist sicher nur das auffälligste Beispiel für das Netz zwischen Großkonzernen, dem Finanzkapital und den verschiedenen Ebenen europäischer Politik und Rüstung. Diese Kombination entspricht genau dem Muster, das Lenin in seiner Imperialismustheorie vor 90 Jahren als charakteristisch für die Herrschaft des Finanzkapitals in der gegenwärtigen Epoche analysiert hat.

Konzentration und Zentralisation des Kapitals in seiner industriellen und finanzorientierten Form haben in unserer Epoche eine Qualität erreicht, die es den großen Konglomeraten aus Industrie und Finanz erlaubt, die immanenten Probleme der Kapitalakkumulation zumindest zeitweise zu neutralisieren – durch Marktbeherrschung, Ausplünderung unterlegener Kapitale und politische Absicherung der Monopole. Dies wird erkauft durch schärfere globale Konkurrenz, Aufrüstung und neue Kriegsgefahren, letztlich also mit umso schärferen Krisen.

Nach dem Muster von EADS soll demnächst auch ein „europäischer Werftverbund“ entstehen, oft als „maritimes EADS“ bezeichnet. Nachdem sich letztes Jahr in Deutschland aus den Resten der deutschen Werftindustrie der Super-Konzern Thyssen-Krupp-Marine-Systeme herausgebildet hat, die nunmehr auch HDW, Blohm+Voss sowie die Nordseewerke umfasst, wird an die Einbringung dieses deutschen Monopolisten in einen „europäischen Champion“ zusammen mit der französischen staatlichen DCS und der Marinesparte des französischen Rüstungskonzern Thales gesprochen. Damit würden deutsch-französische Konzerne vom U-Boot bis zum Flugzeugträger zur Weltspitze beim Bau von Marine-Schiffen zählen, nachdem sie dies bei Zivilflugzeugen schon sind.

Dabei erklären französische Regierungsvertreter (allen voran Nicolas Sarkozi, der neue Star der Regierungspartei UMP und ehemalige Industrie-Minister), dass der Zusammenschluss der Werften nur die Basis für eine weitergehende europäische Allianz ist. Sowohl was die Partner (speziell spanische und italienische Konzerne) als auch was den zivilen Schiffbau betrifft, ist die Herausbildung eines maritimen europäischen Monopolisten das Ziel.

Eine weitere von Sarkozi eröffnete Baustelle ist die Bildung eines „europäischen Champions“ auf dem Gebiet des Anlagenbaus für Energie-Erzeugung. Im Zusammenhang mit der Krise des Alstom-Konzerns 2004 und der Übernahme seiner Schulden durch den französischen Staat (in Verhinderung der Übernahme des Konzerns durch Siemens) wurde ein Konzept einer europäischen Neuordnung entwickelt. Einerseits soll die Partnerschaft zwischen Siemens und der französischen Atomindustrie (Areva-Konzern) im weltgrößten Atomkonzern Framatome-ANP weiter ausgebaut werden. Andererseits soll das konventionelle Kraftwerksgeschäft von Siemens und Alstom zusammengelegt werden, genauso wie die Hochgeschwindigkeits-Zugsparte beider Konzerne.

In diesem Zusammenhang steht auch die Übernahme der Kraftwerkssparte der ehemaligen österreichischen staatlichen Industrie, der VA Tech, durch Siemens an. Damit würde endgültig der größte Konzern der USA, General Electric, in seiner Kernsparte, dem Kraftwerksbau, herausgefordert. Der Kampf um den momentan besonders profitträchtigen chinesischen Markt ist tatsächlich schon längst zwischen diesen beiden Blöcken in aller Heftigkeit ausgebrochen.

Zu diesen Beispielen europäischer Konzern-Bildung könnten noch weitere hinzugefügt werden, besonders im Bereich der Pharma-Industrie (Sanofi/Aventis), der Gesundheitsversorgung, dem Energie- oder dem Finanzsektor.

Es sollen hier noch einige Charakteristika dieser neuen Erscheinung hervorgehoben werden:

(1) Es handelt sich im Kern zumeist um deutsch-französische Projekte, mit Minderheitsbeteiligungen anderer EU-Kapitale. Dies ist nicht überraschend. Einerseits kommen von den 100 größten Konzernen im EU-Raum 56 aus Deutschland oder Frankreich. In beiden Ländern ist ein wichtiger Teil der europäischen Industrie konzentriert. Andererseits ist das EU-Projekt von Anfang an stark durch die Allianz des französischen und deutschen Imperialismus bestimmt gewesen, die aus unterschiedlichen Gründen nach dem 2.Weltkrieg nur in dieser Allianz eine Basis für den Kampf um ihre verlorene Weltgeltung finden konnten.

(2) Das stärkere Gewicht des Finanzkapitals in Form der „internationalen Finanzmärkte“, wie es sich in den letzten zwei Jahrzehnten in den Vordergrund geschoben hat, führt zu einem verstärkten Zwang für Industrie-Konzerne, ihre Basis zu verbreitern. Insbesondere werden die europäischen Nationalstaaten als Heimatbasis zu klein, speziell in der Konkurrenzsituation zum übermächtigen US-Kapital. Die Größe der Finanzkapitale ebenso wie die Kapitalintensität von Gewinn versprechenden Hoch-Technologie-Projekten zwingen die Industrie-Konzerne in der EU zu verstärkter Kooperation, zu stark vertieften Allianzen als Vorstufe zu tatsächlichen europäischen Konzernen.

(3) Entgegen der offiziell verkündeten Ideologie der Marktradikalität wird in Bezug auf diese industriellen Allianzen massiver Staatsinterventionismus betrieben. Dies betrifft nicht nur reichlich Subventionen, Steuergeschenke und -vorteile, Nutzung von staatlicher Forschungsinfrastruktur etc. Es betrifft auch politische Intervention bei Auftragsvergaben, Aushebelung von Kartellgesetzen (insbesondere wegen der „speziellen“ Interessen in Bezug auf Rüstungsgüter), jede Menge Staatsaufträge etc. Insbesondere die französische Regierung setzt hier ihre traditionelle „Industriepolitik“ in neuer Dimension fort. Ähnlich wie die USA wird auch in der EU inzwischen tatsächlich eine Form von Rüstungs-Keynesianismus betrieben. Die „Deregulierungspolitik“ ist dabei oft ein Türöffner für den Zugriff der großen europäischen Monopole z.B. auf ehemalige Staatsunternehmen der eigenen, aber insbesondere auch der kleineren Länder (siehe das Beispiel „VA Tech“).

(4) Trotz aller europäischen Dimension ist diese Industriepolitik stark von nationalen Einzelinteressen bestimmt. Insbesondere bei der sehr aktiven Rolle des französischen Staates macht sich die strukturelle Unterlegenheit des französischen Kapitals spiegelbildlich deutlich. Im Unterschied zu den deutschen Konzernen in den jeweiligen vorhandenen oder angestrebten Partnerschaften haben die französischen Unternehmen zumeist wesentliche Prozesse der „Verschlankung“ und „Modernisierung“ noch nicht durchgemacht (d.h. sie haben nicht wie im Fall der deutschen Werftindustrie zehntausende ArbeiterInnen gnadenlos wegrationalisiert). Trotzdem wird zumeist eine führende Rolle für die französischen Teile angestrebt, wohl auch aus Angst, was die Übertragung des deutschen Modells für Angriffe auf die eigene Arbeiterklasse bedeuten würde – diese Angriffe wollen die französischen Manager lieber unter eigener Regie führen. Daher die große Rolle des französischen Staates in allen „europäischen Champions“.

(5) Auf jeden Fall bedeutet der Prozess der Herausbildung europäischer Konzerne eine Kette von Angriffen auf die europäische Arbeiterklasse. Einerseits dienen Deregulierung und Privatisierung der Ausplünderung durch die Monopole und der Verdrängung kleinerer Konkurrenten – Sozialabbau, Massenentlassungen, Verschlechterungen von bisher öffentlich angebotenen Leistungen sind notwendig damit verbunden. Andererseits werden die „Umstrukturierungen“ in den übernommenen Bereichen zu Rationalisierung, Verschlankung und Dumping von Arbeits- und Lohnbedingungen genutzt. Dies trifft die ArbeiterInnen in der französischen oder spanischen Wertindustrie ebenso, wie aktuell die Beschäftigten des Alstom-Konzerns in ganz Europa.

Beispiel Alstom

Das Beispiel Alstom zeigt aber auch, dass diese Attacke der europäischen Bourgeoisie im Rahmen der Bildung von „europäischen Champions“ auch eine Chance für die europäische Arbeiterklasse darstellt: Der Widerstand der Alstom-Beschäftigten ist international vernetzt und wird sich der politischen Dimension des Konfliktes immer mehr bewusst.

Seit einem halben Jahr wehren sich die Beschäftigen bei Alstom-Power in Mannheim gegen Massenentlassungen.

So glaubt dort wohl niemand, dass bei dem momentan boomenden Kraftwerksgeschäft die Frage der Nähe zum chinesischen Markt der Grund für Verlagerungen ist (wie das Management behauptet). Der Kampf gegen die Verlagerung jeder Maschine, allgemeiner gegen die angekündigten Entlassungen wird so zum Kampf dagegen, dass hier tausende von ArbeiterInnen als Schachfiguren auf dem Feld der „Neuordnung“ des europäischen Energie-Anlagenbaus durch Siemens, Alstom, Areva und die französischen und deutschen Politiker geopfert werden.

Dadurch, dass sich hier eine Belegschaft mit allen Mitteln gegen eine Massenentlassung zur Wehr setzt (z.B. durch tagelange „Betriebsversammlungen“) und in Verbindung steht mit den anderen von dem Manöver betroffenen Belegschaften in ganz Europa, wird hier ein Zeichen gesetzt, dass Widerstand möglich ist – wenn er denn gewollt und international koordiniert ist.

Es wird aber auch klar, dass die Politik der großen europäischen Konzerne, ihrer Allianzen und koordinierten Angriffe nur durch eine ebenso koordinierte internationale Gegenwehr der Arbeiterklasse als ganzes möglich ist, die nicht bei der betrieblichen Auseinandersetzung stehen bleibt. Die Angriffe auf Sozialsysteme, Arbeitslose, prekär Beschäftigte sind nur die andere Seite des Umbaus der EU zu einem monopolistischen Konkurrenzblock gegenüber den USA. Die Opfer dieses Umbaus, ob sie in den neuen Monopolen noch Arbeit haben, vom Rauswurf bedroht sind oder schon ausgegrenzt sind, müssen nun vereinigt werden.

Letztlich geht es darum, dass die gewaltigen Produktionsmittel dieser großen europäischen Konglomerate allen Menschen, ob inner- oder außerhalb Europas, gleichermaßen zum Nutzen und nicht zum Fluch werden. Nur Vergesellschaftung und internationale Arbeiterkontrolle kann gewährleisten, dass sie nicht zu Destruktivkräften in den Händen einer immer aggressiver werdenden europäischen Monopolbourgeoisie werden.




“Amerikanisierung” oder Niedergang

Widersprüche und Herausforderungen für das imperialistische Projekt der europäischen Vereinigung

Michael Pröbsting, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Die USA beherrschen die Welt politisch, ökonomisch und militärisch. Die herrschende Klasse der Europäischen Union ist zutiefst gespalten in der Frage, wie sie darauf reagieren soll. Die folgende Analyse behandelt die Frage, welche Faktoren die Herausbildung eines einheitlichen imperialistischen Blocks der EU begünstigen und welche dieser Entwicklung im Wege stehen.

Seit Jahrzehnten ist das Projekt der europäischen Vereinigung ein zentraler Gegenstand auf der Tagesordnung der herrschenden Klassen Europas. Während es in der Vergangenheit ein wichtiges Thema war, ist es heute – angesichts der wachsenden Dominanz Amerikas – zu einer Frage über Leben und Tod für den europäischen Imperialismus geworden.

Einerseits ist es erstaunlich, die enormen Veränderungen, die Westeuropa in den letzten zehn Jahren durchgemacht hat, zu beobachten. Heute zahlen wir nicht nur in den meisten EU-Ländern mit dem Euro und reisen ohne Beschränkung durch die Union, sondern mittlerweile unterliegen auch die meisten nationalen Gesetze den EU-Richtlinien. Und nun wurde die EU um verschiedene osteuropäische Länder vergrößert.

Nichtsdestotrotz sieht sich das imperialistische Projekt der europäischen Vereinigung großen und wachsenden Herausforderungen gegenüber. Tatsächlich steigt unter dem weltweiten Kapitalismus die ökonomische Konkurrenz und die imperialistische Rivalität.

Das trifft umso mehr in der Periode nach dem 11. September zu, seit die USA ihren Griff auf die ganze Welt verstärken. Der Druck auf die europäischen Mächte, einen homogenen Block zur Herausforderung der amerikanischen Übermacht zu bilden, wächst daher enorm. Aber genau hier begegnet die europäische Bourgeoisie massiven Hindernissen und sieht sich in Gefahr, hinter die „Hypermacht“ auf der anderen Seite des Atlantik wesentlich zurückzufallen.

Krise der Überakkumulation und der Profitrate

Die grundlegendste Erscheinung der heutigen kapitalistischen Weltwirtschaft ist die Tendenz zur Stagnation, die ihre Ursache in der Krise der Kapitalakkumulation, der Überproduktion und dem tendenziellen Fall der Profitrate hat.

Trotz einer Reihe von Erfolgen der Bourgeoisie in den letzten 20 Jahren als Konsequenz der Globalisierung und der rücksichtslosen neoliberalen Offensive (drastische Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse und Ausplünderung der Halbkolonien) und trotz einer Anzahl massiver technologischer Revolutionen konnte der Kapitalismus keine neue Wachstumsdynamik entwickeln. Das weltweite Wirtschaftswachstum geht seit den frühen 1970er Jahren laufend zurück (siehe Tabelle 1), die Ungleichheit sowohl zwischen den Klassen als auch den reichen und den armen Ländern wächst und Armut und Arbeitslosigkeit steigen. Der Kapitalismus ist im gegenwärtigen Stadium – Globalisierung – von einer Tendenz der Stagnation gekennzeichnet.

 

Tabelle 1: Wachstumsrate des Weltsozialprodukts pro Kopf in Prozent (1)

1960-1969: + 3,7%

1970-1979: + 2,1%

1980-1981: + 1,3%

1990-1999: + 1,1%

2000-2003: + 1,0%

 

Während die weltweite Produktivität – gemessen am BIP – zwischen 1950 und 1973 um 4,9% gewachsen ist, sank sie auf 3,0% zwischen 1973 und 1992 und auf 2,7% zwischen 1992 und 2001 (2).

Dieselbe Entwicklung entfaltete sich in der imperialistischen Welt (s. Tabelle 2).

 

Tabelle 2: Durchschnittliches BIP-Wachstum pro Kopf 1973-2003 in der imperialistischen Welt (Angaben in Prozent) (2)

Region………………………………………….Eurozone………USA…….Japan

BIP-Wachstum 1973-1990…………………….2,3……………3,0……….2,8

BIP-Wachstum 1990-2003…………………….2,1……………3,2……….1,1

BIP-Wachstum pro Kopf 1973-1990………. 2,0……………1,8……….3,0

BIP-Wachstum pro Kopf 2000-2003………..1,7……………1,6……….0,9

 

In den letzten zwei Jahrzehnten blieb die Kapitalakkumulation gedrückt – sie stieg nicht wieder auf die Höhen der 1950er- und 1960er-Jahre an und fiel am Ende des Jahrhunderts wieder tief. In den USA erlitten die Unternehmen außerhalb des Finanzsektors einen klaren Niedergang der Kapitalakkumulation. Während der 1960er- und 1970er-Jahre wuchs der Kapitalstock zwischen jährlich 3 bis 4%; seit den 1980ern ging dieses Wachstum auf rund +1.5% zurück und sogar weniger zur Jahrhundertwende (s. Grafik 1).

Grafik 1: Die Nettoersparnisse und Nettoinvestitionen im Verhältnis zum Netto-Inlandsprodukt (in Prozent): US-Gesamtwirtschaft (4)

 

Diese Entwicklung ist kein US-amerikanisches Ausnahmephänomen, sondern kann auch im imperialistischen Europa beobachtet werden. Die französischen marxistischen Ökonomen Gerard Duménil und Dominique Lévy zeigten vor kurzem eine ähnlichen Niedergang der Kapitalakkumulation in Frankreich (s. Grafik 2) und merkten an:

„Das Ausmaß des Falls ist bereits in den USA groß. In Frankreich war dieser Niedergang sogar noch spektakulärer. Sowohl die Profitrate als auch die Akkumulationsrate fielen von 8% 1960 auf 1 oder 2% oder weniger nach 2000. Die Welle struktureller Arbeitslosigkeit in Frankreich hat ihren Ursprung in diesem Zusammenbruch der Investitionen.“ (5)

 

Grafik 2: Profitrate und Akkumulationsrate (in Prozen) in Frankreich, in Unternehmen außerhalb des Finanzsektors (6)

 

Als Ergebnis nehmen die parasitären Charakterzüge des Imperialismus immer extremere Ausmaße an. Eine weit verbreitete Meinung unter linken (und bürgerlichen) AkademikerInnen besagt, daß der europäische Kapitalismus sich fundamental von seinem nordamerikanischen Gegenspieler unterscheidet (das sogenannte „Rhein-“ versus das „Angelsächsische Modell“). Während letzterer spekulativ, parasitär und überschuldet sei, sei der erstere produktiv und gesund. Wenngleich es offensichtliche Unterschiede zwischen der US-/britischen und der französisch/deutschen Ökonomie gibt, überwiegen doch bei Weitem die Ähnlichkeiten. Zum Beispiel ist der Anteil am Gewinn, den Unternehmen an ihre AktionärInnen als Dividende auszahlen, auf 90-100% gestiegen (in den USA und in Frankreich), d.h. der Anteil des einbehaltenen Gewinns tendiert gegen Null! Ein weiteres Element des wachsenden Parasitismus, der auf beiden Seiten des Atlantik besteht, ist die explodierende Verschuldung von Staat, Unternehmen und KonsumentInnen (7).

Zusammenfassend können wir die generelle Entwicklung des globalen Kapitalismus sowohl in den USA wie auch in Europa als eine in Richtung Stagnation und Parasitismus beschreiben.

Die EU fällt hinter das amerikanische Imperium zurück

Während diese grundlegenden Ähnlichkeiten in Rechnung gestellt werden müssen, ist es genauso wichtig, die Stärkung des US-Kapitals gegenüber seinem europäischen Konkurrenten im letzten Jahrzehnt zu sehen. Betrachten wir die wesentlichen Fakten. Die EU verfügte bereits vor der EU-Osterweiterung über eine größere Bevölkerung als die USA – ein Vorsprung, der mit dem Eintritt der zehn neuen Beitrittsländer noch mehr ausgebaut wurde -, doch ökonomisch ist sie schwächer (s. Tabelle 3 und 4).

 

Tabelle 3: Bevölkerung und Bruttoinlandsprodukt (BIP); USA und EU-15 (8)

Region………………………………………………….USA…………..EU-15

Bevölkerung (Jahr 2000, in Mil.)…………………282…………….388

BIP (2002, in Mrd. US-Dollar)………………….9,8937,4………7,874,8

BIP/Kopf (in US-Dollar)……………………………34,900………..20,800

Tabelle 4: Anteil an Weltbevölkerung u. -Bruttoinlandsprodukt, USA und EU-15 (9)

Region…………………………………………………USA…………….EU-15

Anteil an der Bevölkerung………………………..5%……………….6%

Anteil am Welt-BIP………………………………..31,2%……………25%

Wie aus den Zahlen zu ersehen ist, sind die USA nicht nur wirtschaftlich stärker als die erweiterte EU, sondern haben auch eine viel produktivere Ökonomie. 2001 – d.h. als sich die US-Wirtschaft in voller Rezession befand – war das BIP pro Kopf um 40% höher als das der EU-15! Dieser Vorteil wurde mit der Vergrößerung der EU um die zehn neuen Beitrittsländer substantiell größer, weil deren industrielle Entwicklung weit hinter jener der westeuropäischen imperialistischen Ökonomien nachhinkt.

In Bezug auf das Monopolkapital – die größten Konzerne der Welt – ist die Dominanz der USA noch eindrucksvoller. Unter den 100 größten Multis sind 57 US-amerikanischen Ursprungs, jedoch nur 30 aus Europa. Unter den Top Ten sind nur Platz 8 und 9 nicht in amerikanischer, sondern europäischer Hand (BP und Shell). Und von den größten 1000 Konzernen gehören 488 den USA, aber nur 273 der EU (davon 77 britische, 48 französische und 35 deutsche). (10)

Dieser Rückstand des EU-Kapitals hat sich im letzten Jahrzehnt noch verschärft. Aus Tabelle 2 erkennt man, daß das BIP-Wachstum in der EU 1973-1990 2,3% betrug und 1990-2003 2,1%, in den USA hingegen im gleichen Zeitraum 3.0% bzw. 3,2%.

Mit dem Blick auf Tabelle 5 sieht man, daß durch das Wachstum der Arbeitsproduktivität das US-Kapitals in den 1990ern die Ausbeutung der Arbeitskraft viel stärker ausweiten konnte als seine europäischen Kontrahenten.

 

Tabelle 5: Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität (BIP/ArbeiterInnen) in Prozent; USA und Eurozone 1969-2000 (11)

Jahr…………………………1969-79……………..1979-90…………..1990-2000

USA……………………………..1,3………………….1,15…………………..1,8

Eurozone………………………3,2…………………..1,9……………………1,6

 

Ein weiterer Indikator ist der wachsende Anteil der USA am Welthandel, wohingegen jener der EU im gleichen Zeitraum zurückging. 1991 hatte die EU einen Anteil von 15% an den Weltexporten und 17% bei den Weltimporten, doch dieser Anteil sank bis zum Jahr 2001 auf 14,8% bzw. 15%. Die USA hingegen konnten ihre Anteile an den Weltexporten von 14,7% auf 19% deutlich ausbauen und bei den Weltimporten knapp halten (12,5% bzw. 12,3%) (12).

Bekanntlich drückt sich diese wirtschaftliche Stärke der USA auch in politischer Macht aus – beginnend beim Einfluß in wichtigen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank bis hin zu den Vereinten Nationen.

Auf militärischem Gebiet ist die Vorherrschaft der USA verglichen mit seinem europäischen Konkurrenten noch deutlicher. Hier geben die USA 3-4mal mehr aus als die 15 EU-Staaten zusammen!

Zusammengefaßt konnte der US-Imperialismus in den 1990ern seine wirtschaftliche, politische und militärische Hegemonie im Vergleich zu seinen europäischen Konkurrenten ausweiten.

Ein zweiter Blick auf den ökonomischen Vorsprung der USA

Um die Gründe für Europas Rückstand auf ökonomischem Gebiet herauszufinden, ist es nötig, einen zweiten Blick darauf zu werfen. Wir haben gezeigt, daß der US-Imperialismus nicht nur wirtschaftlich stärker ist als die EU, sondern daß in den 1990ern auch seine Produktivität stärker zunahm. Doch an diesem Punkt müssen einige Relativierungen gemacht werden. Das US-BIP ist wie gesagt um 40% pro Kopf höher als das der EU-15. Doch wenn man die Produktivität pro Arbeitsstunde betrachtet, sieht die Sache anders aus. Das Niveau des BIP pro Arbeitsstunde in der Eurozone liegt bei 96% von dem der USA. Das Bild wird noch deutlicher, wenn man die einzelnen Staaten betrachtet.

Hinsichtlich der Wachstumsrate des BIP pro Arbeitsstunde liegt Europa sogar noch besser als die USA (s. Tabelle 7).

Eine Studie der Credit Suisse First Boston fand heraus, daß das Nettoinlandsprodukt pro Stunde zwischen 1992 und 2002 in den USA jährlich um durchschnittlich 1,1%, in der Eurozone hingegen um 1,4% wuchs (15).

Wir sehen also, daß das europäische Kapital in Bezug auf die effiziente Nutzung der Arbeitsstunden seiner Beschäftigten ganz klar nicht hinter den USA herhinkt. Aber – und das ist ein großes ABER – wie im folgenden Kapitel gezeigt wird, hat die US-Bourgeoisie mehr Erfolg in der massiven Steigerung der Ausbeutungsrate bei seiner ArbeiterInnenklasse.

 

Tabelle 6: BIP pro Arbeitsstunde in Prozentanteil am US-Niveau 2001 (13)

Belgien………………….107

Frankreich…………….. 106

Deutschland……………96 (inkl. Osten; Westdeutschland über US-Niveau)

Italien…………………….84

UK…………………………82

Tabelle 7: Durchschnittliches Jahreswachstum des Stundenproduktivität (in Prozen); USA und Eurozone 1973-2003 (14)

Region…………………………………………………Eurozone…………….USA

Stundenproduktivität 1973-1990………………….2,9%……………….1,2%

Stundenproduktivität 1973-1990………………….2,0%……………….1,8%

 

Höhere Ausbeutungsrate des US-Kapitals

Amerikanische ArbeiterInnen mögen gemessen an einem spezifischen Quantum Arbeitszeit nicht produktiver sein, doch sind sie gezwungen, länger für ihren Boss zu arbeiten. Und: viel mehr AmerikanerInnen sind gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen als das in Europa der Fall ist.

Schauen wir uns zuerst die Arbeitszeit an. Im Jahr 2000 verbrachten amerikanische ArbeiterInnen 1.877 Stunden in ihrem Job verglichen mit 1.480 Stunden ihrer deutschen KollegInnen (d.h. um 22% weniger), 1.562 ihrer französischer (d.h. um 17% weniger), 1.643 italienischer und 1.708 britischer KollegInnen. In fast allen imperialistischen Ländern konnten Werktätige in den letzten Jahrzehnten ihre jährliche Arbeitszeit verringern; nicht jedoch in den USA. Von 1979 bis 1999 verlängerte sich das durchschnittliche amerikanische Arbeitsjahr um 50 Stunden, d.h. um fast 3%. Das durchschnittliche deutsche Arbeitsjahr hingegen schrumpfte um 12%. Der linke US-Ökonom Richard B. Du Boff schreibt: „Tatsächlich verbringt der durchschnittliche Werktätige in den USA jetzt mehr Zeit in der Arbeit als 1950.“ (16)

Doch der/die einzelne amerikanische Beschäftigte arbeitet nicht nur länger. Er/sie bekommt auch weniger bezahlt als früher. Seit dem Höhepunkt 1973 sanken die realen Stundenlöhne für US-Arbeitskräfte – besonders dank des massiven Wachstums der Niedriglohnjobs im Dienstleistungssektor – bis in die späten 1990er um mehr als 15% (17). Im Produktionssektor stiegen die Realstundenlöhne zwischen 1984 und 1999 um magere 8%, während sie in Deutschland im selben Zeitraum um 35% stiegen! Wie Robert Brenner schreibt: „Sogar 2000 lagen die Realstundenlöhne in der Produktion und Jobs ohne Führungsaufgabe noch immer offenkundig unter – und die Armutsrate über – den Höchstraten von 1973.“ (18)

Tatsächlich lagen die durchschnittlichen Wochengehälter der ProduktionsarbeiterInnen bzw. der Angestellten ohne Führungsstellen außerhalb der Landwirtschaft im Jahr 2001 auf dem Niveau von 1962!

Dazu kommt das fehlende Sozialsystem der USA. Während in Europa – trotz aller Gegenreformen in der Vergangenheit – noch ein nennenswertes Pensions-, Gesundheits- und Arbeitslosensystem existiert, kann das von den USA nicht behauptet werden. Zum Beispiel hat die schlechter verdienende Hälfte aller Werktätigen keinen Pensionsanspruch. (19)

Kurz gesagt gelang es der amerikanischen Bourgeoisie, eine historische Umverteilung des Einkommens von Löhnen zu Profiten zu initiieren. Während zwischen 1947 und 1979 das Wachstum bei Familieneinkommen für alle Bevölkerungsgruppen relativ einheitlich war (zwischen +94% und +120%), fiel es zwischen 1977 und 1994 für die Mehrheit, hingegen wuchs es für das reichste Prozent dramatisch (+72%!). Heute verdient das reichste Prozent 40% des Wohlstands; nur einmal lag das seit dem Ersten Weltkrieg höher – 1929. (20)

Darüber hinaus gelang es der US-Bourgeoisie in den letzten Jahrzehnten, die Bevölkerung dazu zu zwingen, jedweden Job anzunehmen und gleichzeitig erst später in Ruhestand zu treten. „Zwischen 1973 und 1998 stieg der Prozentsatz der amerikanischen Bevölkerung in Beschäftigung von 41 auf 49%. Doch in Deutschland und Frankreich fiel dieser Prozentsatz bis auf 44 und 39%.“ (21).

Um es in die Sprache des Marxismus zu übersetzen: der US-Bourgeoisie mag es in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen sein, den relativen Mehrwert stärker als ihr europäischer Gegner zu steigern; aber sie brachte es zustande, die ArbeiterInnenklasse so zu schwächen, daß sie den absoluten Mehrwert viel mehr erhöhen konnte.

Außerdem ziehen die USA – als reichste Macht der Welt – jedes Jahr viele Millionen neuer, oft junger, ImmigrantInnen an, die massiv ausgebeutet werden können. Zwischen 1974 und 1998 wanderten 10,9 Millionen ImmigrantInnen nach Westeuropa, aber 16,7 Millionen in die USA – einem Land mit wesentlich geringerer Bevölkerung. Somit stieg der Anteil der US-EinwohnerInnen, die nicht im Land geboren sind, von 4,8% 1970 auf 9,7% 1999.

Man muss den großen demografischen Vorteil der USA bedenken. Eben weil es ein traditionelles Siedler- und Einwanderungsland ist, haben sie eine viel jüngere Bevölkerung als Europa. In der Eurozone waren im Jahr 2000 16,5% 65 oder mehr Jahre alt; der Anteil dieser Altersgruppe in den USA betrug jedoch nur 12,5%. Ganz anders hingegen in der EU: Dort soll Prognosen zufolge die arbeitsfähige Bevölkerung in den nächsten 25 Jahren um 5% zurückgehen.

Schließlich ist auch der Klassenkampf ein Faktor. Zwischen 1992 und 2001 befanden sich die US-amerikanischen Lohnabhängigen weniger als 50 Tage pro 1.000 Beschäftigten im Streik – in Dänemark, Italien, Finnland, Irland und Frankreich waren es dagegen zwischen 80 und 120 Tagen und in Spanien 271. Im Durchschnitt traten ArbeiterInnen in der EU um 150% mehr in Streik als ihre KollegInnen in den USA.

Dazu kommt die viel größere organisatorische Stärke der europäischen ArbeiterInnenbewegung. Natürlich unterscheidet sich in Europa diese organisatorische Stärke von Land zu Land. Außerdem muß man bedenken, daß die offizielle Anzahl an Gewerkschaftsmitgliedern nicht unbedingt alles über die aktuelle Stärke der ArbeiterInnenbewegung aussagt. Spanien und Frankreich sind dafür gute Beispiele – dort gibt es einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von nur 13,5% bzw. 12,2% (in den 1990er Jahren), aber eine sehr militante ArbeiterInnenklasse. Das hängt mit der spezifischen Rolle der Gewerkschaftsmitglieder in den Unternehmen zusammen. Dennoch sagt es einiges, daß trotz des Schwundes in den letzten Jahrzehnten im Durchschnitt noch immer mehr als 30% der europäischen ArbeiterInnen Gewerkschaftsmitglieder sind, während es in den USA nur 13,4% sind (und im privaten Sektor nur 9,4% – die geringste Rate seit 1902!) (22).

Mit den Worten eines führenden Ideologen der neoliberalen Konterrevolution, dem angelsächsischen Historiker Niall Ferguson, kann der Vorteil der US-Bourgeoisie im Vergleich zu den europäischen UnternehmerInnen folgendermaßen zusammengefaßt werden: „All das ist der wahre Grund, warum die amerikanische Wirtschaft sich in den letzten zwei Jahrzehnten über ihre europäischen Mitstreiter erhoben hat. Es geht nicht um Effizienz. Es ist einfach so, daß die Amerikaner mehr arbeiten. Europäer haben längeren Urlaub und gehen früher in Pension; und noch mehr Europäer sind entweder arbeitslos oder im Streik.“ (23)

In marxistischer Terminologie können wir den Vorteil des US-Kapitals dahingehend zusammenfassen, daß es in der Schwächung der ArbeiterInnenklasse und vice versa in der Steigerung der Ausbeutungsrate in der Periode des globalen Kapitalismus mehr Erfolg gehabt hat, als das in Europa der Fall war.

Die Herausbildung der Europäischen Union als Wirtschaftsblock

Als wir hier die europäische Wirtschaft mit den USA verglichen, behandelten wir sie als eine Einheit. Aber das ist nur bis zu einem gewissen Grad legitim, weil das europäische Kapital kein homogener Block ist. Weder politisch noch militärisch und nicht einmal ökonomisch.

Die Integration der EU-15 als ein wirtschaftlicher Block verlief langsamer als die weltweite Globalisierung. Als Ergebnis sank der Anteil des Binnenhandels der EU im Vergleich zum gesamten EU-Handel von 64.0% (1995) auf 61,6% (2002) bei den Exporten und von 65,2% (1995) auf 61,9% (2002) bei den Importen. (24)

Es wäre dennoch eine voreilige Schlussfolgerung zu sagen, daß die EU in ihrem Projekt der ökonomischen Integration einfach versagt. Denn wenn man den EU-Außenhandel betrachtet, wird klar, daß mehr als 15% der EU-Exporte und 13% der EU-Importe von bzw. an die Beitrittsländer kamen bzw. gingen. Nicht alle Beitrittsländer traten tatsächlich dieses Jahr in die EU ein, dennoch ist klar, daß ein wesentlicher Teil des EU-Außenhandels mit den osteuropäischen Ländern verlief, die im Sommer 2004 Teil der EU wurden. Daher hat die EU-Integration in den letzten Jahren sich nicht verlangsamt.

Gleichzeitig muß gesagt werden, daß der EU-Handel mit den USA in den letzten zehn Jahren von einem Anteil von 21,2% am EU-Export (1990) auf 24,3% (2001) gestiegen ist, während der Anteil der EU-Importe von 20,8% (1990) auf 19% (2001) leicht sank (25). Zusätzlich zu den USA haben auch Rußland und China an Bedeutung als Handelspartner für das europäische Kapital gewonnen – besonders für seine stärkste Nation Deutschland.

Die Herausforderung der Vereinigung eines imperialistischen Europa

Um den Charakter der Angriffe zu verstehen, denen die europäische ArbeiterInnenklasse in der kommenden Periode ausgesetzt sein wird, ist es notwendig, die Herausforderung für die UnternehmerInnen zu begreifen. Wir leben in der Periode des globalen Kapitalismus, in der sich die Merkmale der imperialistischen Epoche verschärfen. Das bedeutet, daß vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Stagnation der Wettbewerb zwischen monopolistischen Kapitalgruppen massiv zunimmt und damit einhergehend die Notwendigkeit der Bildung starker politischer und militärischer Blöcke zur Unterstützung ihrer Monopole. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind bis jetzt bei weitem die erfolgreichste Macht im Rennen um die Weltherrschaft. Und sie waren erfolgreich darin, andere imperialistische Staaten „auf Ration zu setzen“, um Trotzkis Formulierung aus seiner Schrift „Amerika und Europa“ zu verwenden. Das bedeutet, daß die USA sich ihre Konkurrenten (Europäische Mächte, Rußland oder China) entweder unterordnen oder ihre ablehnende Haltung zu einem irrelevanten Faktor degradieren (wie wir das an den Beispielen des Afghanistan- und Irak-Krieges sehen konnten).

Doch dieser Prozess ist sehr widersprüchlich. Die amerikanische Macht scheint auf militärischer Ebene omnipotent zu sein, doch obwohl die USA auch in der Weltwirtschaft eine Supermacht darstellen, sind sie keine „Hypermacht,“ um einen bekannten französischen Begriff zu verwenden. Die führenden europäischen Mächte – Deutschland und Frankreich – arbeiten beharrlich am Ziel der Errichtung der EU als einer alternativen Macht, unabhängig von den USA. Doch auf diesem Weg werden sie wiederholt gezwungen, Kompromisse sowohl mit Washington wie auch mit Rivalen innerhalb der EU einzugehen.

Die Arbeiterklasse besiegen

Die zentrale strategische Aufgabe der europäischen Bourgeoisie ist daher die verstärkte Entwicklung der EU als ein starker Herausforderer für die USA. Dazu muß sie einen qualitativen Schritt in Richtung einer ökonomisch wettbewerbsfähigen, politisch einheitlichen und militärisch (von den USA) unabhängigen Macht unternehmen und somit ein starker Mitspieler im globalen Spiel werden, der zur Herausforderung der USA fähig ist. Der Ausgang dieses Projekts des EU-Imperialismus, das in den nächsten paar Jahren umgesetzt werden soll, ist ausschlaggebend für die Herausbildung der EU als einem ernsthaften Konkurrenten für den US-Imperialismus.

Beginnen wir mit der wichtigsten Aufgabe der europäischen Bourgeoisie für ihr Projekt: der Niederringung der ArbeiterInnenklasse. Um gegen die USA zu bestehen, muß das europäische Kapital seiner ArbeiterInnenklasse eine strategische Niederlage zufügen, um so die Ausbeutungsrate substantiell zu erhöhen. Es muß die enormen Erfolge, die Reagan, Clinton und Bush in den letzten Jahre hatten, wiederholen. Damit sollen nicht die bisherigen– oft erfolgreichen – neoliberalen Angriffe der europäischen Bourgeoisie geleugnet werden. Aber sie sind bei weitem nicht genug, um den Vorsprung Amerikas aufzuholen.

Somit ist es die wesentlichste Aufgabe der europäischen Bourgeoisie, die Arbeitskosten extrem zu senken, um so den Mehrwert zu steigern. Das muß auf zwei Ebenen geschehen – erstens bei den real ausgezahlten Löhnen und zweitens bei den Sozialleistungen, die einen guten Teil des europäischen Lohnsystems ausmachen.

Da Europa der Kontinent mit der bestorganisierten und in diesem Sinne mächtigsten ArbeiterInnenklasse ist, werden die UnternehmerInnen es nicht schaffen, die Löhne und die sozialen Errungenschaften anzugreifen, ohne gleichzeitig die organisierte ArbeiterInnenbewegung – v.a. die Gewerkschaften – zu schwächen.

Die Schaffung eines pan-europäischen Kapitals

Die substantielle Erhöhung der Ausbeutung ist die Vorbedingung für jedwede Stärkung der europäischen Bourgeoisie auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet. Doch sie ist nur eine Vorbedingung und nicht an und für sich ausreichend.

Wie oben erwähnt, liegt das europäische Monopolkapital in der globalen Arena weit hinter seinem amerikanischen Mitstreiter. Zugegeben, es hat einen massiven Prozeß der Zentralisierung und Kapitalkonzentration in Europa gegeben. Als Resultat konnten die Monopole ihr Gewicht in der EU erhöhen. Darüber hinaus hat es einen Umverteilungsprozeß unter den großen Monopolen gegeben. Die deutschen und französischen Firmen konnten ihre Position auf Kosten der britischen und italienischen verbessern. Gemeinsam machen die deutschen und französischen Monopole mehr als 58% der Umsätze der Top 100 Konzerne aus. (26)

Dennoch ist das europäische Kapital viel schwächer als das der USA und es ist mit der Tatsache konfrontiert, daß es immer noch kein pan-europäisches Kapital gibt. Das europäische Kapital ist weiterhin national definiert, d.h. es spiegelt das Faktum wieder, daß die Überwindung der nationalen Grenzen noch nicht vollständig erfolgt ist.

Wir haben dieses Problem der europäischen Bourgeoisie bereits in den frühen 1990ern analysiert (27). Trotz zunehmender Anstrengungen Frankreichs und Deutschland ist hier noch kein durchschlagender Erfolg zu verzeichnen. Die einzige Ausnahme ist die europäische Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie – die imperialistischen Staaten haben sich auf eine Kooperation geeinigt und arbeiten gemeinsam an Airbus, Eurofightern und anderen Projekten.

Das deutet bereits auf eine wichtige Schlußfolgerung hin. Der Prozeß der europäischen Vereinigung kann kein spontaner sein – nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Es gibt kein organisches Erstarken eines pan-europäischen Kapitals. Wir leben nicht in der Periode des aufkommenden Kapitalismus, als Nationalstaaten geformt wurden und das Kapital sich darüber ausbreitete. Wenn ein Kapital nicht das Privileg hat, eines der ersten aufsteigenden kapitalistischen Mächte zu sein, braucht es massive staatliche Intervention, um sich eine entsprechende Position zu erkämpfen.

Heute in der imperialistischen Epoche, unter Bedingungen des globalen Kapitalismus mit seinem enormen Wettbewerb und Rivalität, ist jede organische Formierung transnationalen Kapitals eine Illusion. Wir dürfen nicht vergessen: die am meisten multinationalen, weltweit präsenten Kapitalien sind jene der führenden Weltmächte – der amerikanischen (und der britischen als früherer Weltmacht). Diese konnten die Märkte dank ihrer riesigen ökonomischen, politischen und militärischen Macht öffnen. Solch ein Prozeß ist innerhalb der EU unmöglich. Keine Macht ist stark genug, im Alleingang den anderen innerhalb der EU ihren Willen aufzuzwingen und sie zu unterwerfen.

Somit kann der Prozess der europäischen Vereinigung und die Schaffung eines pan-europäischen Kapitals nur das Ergebnis massiver, bewußter Intervention eines pan-europäischen imperialistischen Staatsapparats sein.

Die Bildung eines imperialistischen EU-Staatsapparats: Die neue Verfassung

Aus all diesen Gründen ist die europäische herrschende Klasse gezwungen – „bei Strafe des Untergangs“ (Marx) -, einen einheitlichen europäischen Staatsapparat zu schaffen, um die EU als eine alternative Supermacht zu formieren und ihre Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse durchzusetzen. Die neue EU-Verfassung ist ein wesentliches Werkzeug zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die dafür notwendigen Attacken des Kapitals.

Die Verfassung stellt klar, dass die neoliberale Doktrin maßgebend für die Wirtschaftspolitik der EU ist (28): „Die Mitgliedstaaten und die Union handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb…“ (Article III-70)

Sie bildet die gesetzliche Basis für eine sich über die Nationalstaaten erhebende europäische Staatsstruktur. Sie läßt keinen Zweifel daran, wo das neue Machtzentrum liegt. Artikel I-10 besagt: „Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der ihnen zugewiesenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“ Jede nationale Gesetzgebung und Verfassung, alle nationalen Arbeitsgesetze, Kollektivverträge etc. wären daher den EU-Richtlinien untergeordnet.

Außerdem wird jeder Mitgliedsstaat durch jedes internationale Abkommen, das von der EU unterzeichnet wird, gebunden (z.B. Internationaler Währungsfonds oder Welthandelsorganisation): „Die Union besitzt Rechtspersönlichkeit.“ (Artikel I-6)

Und auch in Artikel I-9 und I-10 erklärt die Verfassung als eines ihrer „fundamentalen Prinzipien“ das „Prinzip der Subsidiarität“. Das bedeutet: „ Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus der Verfassung oder aus Handlungen der Organe der Union ergeben.”

Was also ist die Kompetenz der EU und was jene der nationalen Mitgliedsstaaten? Es gibt eine im Verfassungsentwurf sogenannte „exklusive Kompetenz“ für die EU: „Weist die Verfassung der Union für einen bestimmten Bereich ausschließliche Zuständigkeit zu, so kann nur sie gesetzgeberisch tätig werden und rechtlich bindende Rechtsakte erlassen; die Mitgliedstaaten dürfen in einem solchen Fall nur dann tätig werden, wenn sie von der Union hierzu ermächtigt worden sind, oder um von ihr erlassene Rechtsakte durchzuführen.“ (Artikel I-11). Das betrifft “die Währungspolitik für die Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben, die gemeinsame Handelspolitik, die Zollunion, die Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik.” (Artikel I-12)

Dann gibt es die Kategorie der “geteilten Kompetenzen”, für welche gilt: “Die Union teilt ihre Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, wenn ihr die Verfassung außerhalb der in den Artikeln 12 und 16 genannten Bereiche eine Zuständigkeit zuweist.” Das betrifft den “Binnenmarkt, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Landwirtschaft und Fischerei, ausgenommen die Erhaltung der biologischen Meeresschätze, Verkehr und transeuropäische Netze, Energie, Sozialpolitik hinsichtlich der in Teil III genannten Aspekte, wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt, Umwelt, Verbraucherschutz, gemeinsame Sicherheitsanliegen im Bereich des Gesundheitswesens.” (Artikel I-13).

Dazu kommt die Aufgabe der EU der “Koordination der Sozial- und Beschäftigungspolitik” und der Außenpolitik und Verteidigung: “Die Zuständigkeit der Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt sich auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität und achten die Rechtsakte der Union in diesem Bereich. Sie enthalten sich jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer Wirksamkeit schaden könnte.” (Artikel I-15).

Was als Kompetenzgebiet der Mitgliedsstaaten bleibt, sind – wir zitieren Artikel I-5 – die “grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit.“ Mit anderen Worten, die Nationalstaaten beschränken sich auf die alleinige Funktion der inneren Unterdrückung.

Das Scheitern der Internationalen Regierungskonferenz  im Dezember 2003 hatte seine Ursache in den Differenzen über die Verteilung der Nationalstaaten im Ministerrat. Aber das lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit vom viel grundlegenderen politischen Vorhaben ab. Denn es handelt sich nicht nur um einen simplen Transfer der politischen Macht von den Nationalstaaten zu einer neuen europäischen Staatsstruktur. Der Verfassungsentwurf, der zur Zeit von den Mitgliedsstaaten diskutiert wird, repräsentiert de facto ein supranationales bonapartistisches Projekt.

Die neue Zentralmacht des EU-Staatsapparats soll die Europäische Kommission sein: „ Europäische Gesetze und Rahmengesetze werden nach den in Artikel III-302 festgelegten Einzelheiten des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens auf Vorschlag der Kommission vom Europäischen Parlament und vom Ministerrat gemeinsam erlassen.” (Artikel I-33). Artikel I-25 drückt es explizit aus: “Soweit in der Verfassung nichts anderes festgelegt ist, kann ein Gesetzgebungsakt der Union nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden.”

Um es klar zu sagen: es ist die Europäische Kommission und niemand sonst, der dazu befugt ist, Gesetzesentwürfe dem Europäischen Parlament zu präsentieren. Das lässt die Macht des Parlaments näher an die russische Duma unter dem Zar rücken als an ein modernes bürgerliches Parlament, das der Souverän des Volkes sein soll. Die einzige Ausnahme davon ist: „Mindestens eine Million Bürgerinnen und Bürger aus einer erheblichen Zahl von Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verfassung umzusetzen.”

In Wahrheit bedeutet das, daß es mit der neuen Verfassung eine massive Machtkonzentration in der Europäischen Kommission geben wird. Das Europäische „Parlament“ hat dann das Recht, dem zuzustimmen oder nicht. Doch hier muß der allgemeine Verfassungsrahmen in Betracht gezogen werden, der bereits die Umrisse für eine neoliberale, militaristische Politik vorgibt.

Wie wird diese Europäische Kommission gewählt? „Unter Berücksichtigung der Wahlen zum Europäischen Parlament schlägt der Europäische Rat diesem im Anschluß an entsprechende Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder.” (Artikel I-26). Dann ernennt (!) der Kommissionspräsident 13 Kommissäre, die er aus einer Liste von 75, die die Mitgliedsstaaten erarbeitet haben, auswählt, ebenso wie andere Kommissäre.

Unter wessen Kontrolle agiert die Europäische Kommission? „Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus. Die Europäischen Kommissare und die Kommissare dürfen bei der Erfüllung ihrer Pflichten Anweisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle weder anfordern noch entgegennehmen.” (Artikel I-25). Die Möglichkeiten der Absetzung der Kommission durch das vom Volk gewählte Parlament sind äußerst beschränkt: „Wird wegen der Tätigkeit der Kommission ein Mißtrauensantrag eingebracht, so darf das Europäische Parlament nicht vor Ablauf von drei Tagen nach seiner Einbringung und nur in offener Abstimmung darüber entscheiden. Wird der Mißtrauensantrag mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments angenommen, so muß die Kommission ihr Amt niederlegen.” (Artikel III-243).

So führt die neue Verfassung zur Herausbildung eines imperialistischen EU-Staatsapparat auf der Basis eines bürgerlichen Parlamentarismus mit starken bonapartistischen Elementen in Form der Europäischen Kommission.

Während die Verfassung und die neuen EU-Strukturen die Nationalstaaten nicht überwinden werden – innerhalb der Kommission, des Rats und des Parlaments gibt es weiterhin ein Tauziehen um nationale Interessen -, repräsentieren sie nichtsdestotrotz einen wesentlichen Schritt vorwärts in die Bildung eines supranationalen europäischen Staatsapparats.

Eine ähnlich fundamentale Änderung kann auf dem Gebiet der Außen- und Militärpolitik beobachtet werden: Chirac und Schröder waren nicht aus altruistischen Gründen gegen den Irak-Krieg, sondern weil er die weltpolitische Macht der USA stärkte. Tatsächlich sieht die herrschende Klasse Europas ihre Rolle ganz klar nicht als regionaler Spieler, der nur von den USA als Weltpolizist abhängt, sondern als unabhängiger „global player“.

Handeln wie die USA, um die USA zu schlagen: Militarisierung des europäischen Imperialismus

Der Kampf gegen den Terrorismus ist der ideale Vorwand dafür. Die neue Weltsicht der europäischen Herrschenden tritt offen zu Tage in der Rede des EU-Präsidenten Javier Solana vom Jänner 2004: „Verantwortung hat auch eine globale Dimension. Terroristische und kriminelle Netzwerke haben globale Reichweite. Wir können sie nur dann effektiv angreifen, wenn wir global denken und handeln. Der Großteil des in Europa verkauften Heroins stammt aus Afghanistan. Unsere innere und äußere Sicherheit sind unlösbar miteinander verbunden. Wenn wir unsere Bürger zu Hause schützen wollen, müssen wir darauf vorbereitet sein, im Ausland wirkungsvoll zu handeln. Vorbeugung ist der Kern dieses Zugangs.” (30)

Gegen die unilaterale Vorgangsweise der Regierung Bush sagte er in diplomatischen Worten: “Ich glaube, daß unsere zukünftige Sicherheit mehr – nicht weniger – von einem effektiven multilateralen System abhängen wird, einer regelgeleiteten internationalen Ordnung und gutfunktionierenden internationalen Institutionen. Multilateralismus ist kein Instrument der Schwachen. Es ist ein Instrument der Weisen.“

So ist es keine Überraschung, daß z.B. die neue Sicherheitsdoktrin Frankreichs sich das – einer früheren Kolonialmacht gebührende – Recht vorbehält, im Fall der Notwendigkeit „Präventivschläge“ zu setzen. Und die einflußreiche deutsche konservative „Konrad-Adenauer-Stiftung“ veröffentlichte neulich ein Dokument mit dem vielsagenden Titel „Vorbeugende Militäreinsätze“, in dem für die Notwendigkeit der Erkenntnis plädiert wird, daß neue Bedrohungen, eine neue militärische Doktrin in Form von „Präventivschlägen“ verlangen. (31)

Doch um eine Macht ähnlicher Größenordnung wie die USA zu werden, braucht Europa einen grundlegenden Wandel in seiner Militärpolitik. Während die USA mehr als 4% ihres Brutto-Inlandsprodukts für die Verteidigung ausgibt, verwendet Europa nur 1,5% seines (geringeren) Brutto-Inlandsprodukts. Es fehlt auch die notwendige Menge an professionellen Kräften sowie Interventionstaktiken. Außerdem gibt es in Europa viel mehr Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend gegen militärische Abenteuer.

Die neue Verfassung selber ist eindeutig bezüglich der Stärkung der militärischen Rolle und Fähigkeiten der EU. Militärische Aufrüstung wird zur verfassungsmäßigen Grundlage der Union erhoben: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ (Artikel I-40). Man kann sich in den kommenden Jahren auf eine Kombination aus massiven Kürzungen im Sozialbereich und einem enormen Anstieg der Militärausgaben gefasst machen.

Worum es geht, wird in der Verfassung unumwunden ausgesprochen: um die Fähigkeit des europäischen Imperialismus, rund um den Globus Krieg zu führen, um seine politischen und ökonomischen Interessen („Werte“) zu verteidigen.

So ermächtigt die Verfassung die Union zum Führen von Kriegen sowie zu Militärinterventionen in Drittstaaten um den „Terrorismus zu bekämpfen“: „Die in Artikel I-40 Absatz 1 vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ (Artikel III-210)

Und sie erlaubt den Gebrauch der europäischen Streitkräfte der Union „zur Wahrung der Werte der Union und im Dienste ihrer Interessen“ (!) (Artikel I-40). Und zwar sowohl weltweit als auch innerhalb der Europäischen Union. Mit anderen Worten: die neue Verfassung legitimiert die herrschende Klasse hochoffiziell, ihre Streitkräfte nicht nur zur Verfolgung ihrer strategischen Interessen gegen halb-koloniale Völker in der III. Welt einzusetzen, sondern auch als Bürgerkriegsarmee innerhalb der Europäischen Union!

Wie auf anderen Gebieten hat weder das Europäische noch irgendein nationales Parlament irgend etwas bei den militärischer Interventionen der EU mitzureden. Die Entscheidungen werden vom Ministerrat getroffen.

Die EU war sogar noch deutlicher in ihrer Resolution beim Gipfeltreffen in Athen im Sommer 2003. Dort wurde eine neue Militärdoktrin verabschiedet, die die europäische Version der Strategie des „Präventivschlags“ erlaubt.

Die Verfassung gebietet auch eine Zentralisierung der militärischen Anstrengungen. Konkret soll ein Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten eingerichtet werden, um Investitionen, Forschung und Technologie für die Verteidigung besser koordinieren zu können.

Doch bezüglich der Frage der militärischen Unabhängigkeit Europas von den USA repräsentiert die Verfassung eher einen Kompromiß zwischen dem deutsch-französischen Block und den pro-atlantischen Kräften. Sie bestätigt ausdrücklich die gemeinsame Verteidigungspolitik mit der NATO, doch gleichzeitig erlaubt sie den einzelnen Staaten, eigene Militärkörper zu bilden.

Klar ist, daß Deutschland und Frankreich entschlossen sind, die Bildung einer unabhängigen europäischen Militärpolitik voranzutreiben. Die Schaffung einer Interventionstruppe von 60.000 Soldaten, die innerhalb von 60 Tagen mobilisierbar ist, war ein erster Schritt in diese Richtung. Und die Operation Artemis im Kongo war ein Test der Operationsfähigkeit.

Teil dieser Neuorientierung ist die Abschaffung des Systems der Wehrpflicht in den meisten europäischen Ländern und der Aufbau einer Berufsarmee. Natürlich wäre eine solche für Auslandseinsätze besser ausgebildet und motiviert.

Europas herrschende Klasse hat verstanden, daß sie, wenn sie Amerika schlagen will, genauso werden muß und ihre bewaffneten Kräfte massiv erhöhen, sie in kriegsfähige Armeen umstrukturieren, seine Verteidigungsindustrie neu organisieren und die Militärdoktrin in Richtung „Präventivschlag“ ändern muß. Um Amerika zu schlagen, muß Europa wie Amerika handeln.

Die Bedeutung der EU-Osterweiterung

Der Beitritt von 10 neuen Staaten zur Europäischen Union stellt einen grundlegenden Einschnitt sowohl für die Herrschenden als auch für die Lohnabhängigen und Jugendlichen dar. Die Mächtigen in Staat und Wirtschaft wollen dadurch ihre Profite und ihren Einflußbereich steigern. Dies wird ihnen auch gelingen, wenn die ArbeiterInnenbewegung und die anti-kapitalistische Bewegung keine Abwehrstrategie dagegen entwickelt.

Worin liegt die Bedeutung der neuen – zumeist osteuropäischen – Beitrittsländer für die europäische Bourgeoisie? Wie wir oben gezeigt haben, besteht ein Vorteil des US-amerikanischen Kapitals darin, viele billige Arbeitskräfte zu haben (ImmigrantInnen, Mexiko als Haus- und Hof-Halbkolonie im Rahmen des NAFTA). Ebenso dringend braucht auch das europäische Kapital billige Arbeitskräfte. Die neuen Beitrittsländer mit ihren 67 Millionen EinwohnerInnen stellen für das westeuropäische Kapital ein großes Reservoir solch billiger Arbeitskräften dar. Damit können die UnternehmerInnen die Lohnkosten drücken und am Weltmarkt konkurrenzfähiger sein. Ein Blick auf die Unterschiede bei den Lohnkosten zeigt den Vorteil für das Kapital.

 

Tabelle 8: Arbeitskosten pro Stunde in EU-Beitrittsländern (außer Malta) in Euro (32)

EU-15……………………………………22,21

Estland…………………………………..3,03

Lettland………………………………….2,42

Litauen…………………………………..2,71

Polen…………………………………….4,48

Tschechische Republik……………..3,90

Slowakei…………………………………3,06

Ungarn…………………………………..3,83

Slowenien………………………………8,98

Zypern………………………………….10,74

Wie Tabelle 8 zeigt, sind die osteuropäischen ArbeiterInnen pro Stunde um das 6-10fache billiger als ihre KollegInnen in der alten EU! Dementsprechend groß ist natürlich der Anreiz für das EU-Kapital, seine Produktionsstätten in den Osten zu verlegen.

Es ist daher auch kein Zufall, daß in den letzten 15 Jahren – seit der Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa – das europäische Kapital große Investitionen in Osteuropa tätigte. Diese werden jetzt mit dem völligen Wegfall der Grenzen wohl noch zunehmen.

Hinzu kommt noch der Bedarf an billigeren Arbeitskräften in Westeuropa selber angesichts der zunehmenden Alterung der Bevölkerung. Laut einer EU-Studie soll die Zahl der arbeitsfähigen Bevölkerung in den kommenden 25 Jahren um 5% zurückgehen. Forderungen der österreichischen Industriellenvereinigung nach ausländischen ComputerexpertInnen oder die Diskussionen in Deutschland um die sogenannte „Green Card“ sind nur Beispiele für diese Entwicklung. Auf einer EU-Konferenz 2001 präsentierte der französische Innenminister eine Studie, laut der die EU in den nächsten 50 Jahren 50-70 Millionen ImmigrantInnen bräuchte.

Kurz und gut: So wie die USA mit Mexiko und Lateinamerika ihren Hinterhof haben, so verschafft sich das europäischen Monopolkapital durch die EU-Osterweiterung sein halb-koloniales Hinterland, wo es billig produzieren kann.

Kerneuropa und die USA als Stolperstein

Die gesamte Geschichte des Kapitalismus zeigt, dass Allianzen zwischen Staaten nur gebildet werden können, wenn es eine klare Führungsmacht gibt. Das stimmt noch mehr für neue Suprastaatstrukturen. In der Tat ist dies ein wichtiger Grund für die langsame Entwicklung der Integration der EU, die es nun schon seit fast fünf Jahrzehnten gibt. Im Gegensatz dazu hatte die NATO als ein von den USA dominiertes Militärbündnis oder die ebenso von Amerikas herrschender Klasse dominierte NAFTA nie derlei Probleme.

Für die Zukunft der EU als ein politisch, ökonomisch und militärisch einheitlicher imperialistischer Block gilt folgende Formel: das imperialistische Europa kann nur um Deutschland und Frankreich als Kern herum vereint werden oder es wird nie vereint sein. Deutschland und Frankreich sind die stärksten und europäischsten Kräfte. Während Britannien die dritte starke Macht ist – sowohl ökonomisch wie militärisch -, ist seine herrschende Klasse bezüglich ihrer Orientierung tief gespalten. Ein wesentlicher Sektor – die City und die großen Multis wie BP oder Shell – haben Interessen in Weltregionen, wo die EU keinen Einfluss besitzt, die USA hingegen umso mehr. Dieser Sektor favorisiert daher eine Allianz mit den USA anstatt mit Deutschland und Frankreich. Solange die britische Bourgeoisie diese Spaltung nicht gelöst hat – die keine einfache Meinungsverschiedenheit ist, sondern sehr materielle Interessen betrifft und daher sehr schwer zu lösen ist -, so lange kann sie den Integrationsprozess verlangsamen, aber keine treibende, führende Kraft werden.

Doch das Führungsproblem liegt nicht nur in einer mangelnden „natürlichen“ Vorherrschaft Deutschlands oder Frankreichs. Es wird verschärft durch die aktive und bewusste Intervention des US-Imperialismus. Die USA hat ein natürliches Interesse an sich vertiefenden Spaltungen innerhalb der EU und daran, die EU daran zu hindern, eine Herausforderung für sie zu werden, wie es auch in der Strategie der nationalen Sicherheit 2002 unter Bush formuliert wurde. Die tiefe Kluft innerhalb der EU hinsichtlich des Irak-Kriegs und der Teilnahme an der Besatzung zeigten das auf dramatische Weise.

Die politischen Auswirkungen des Bombenanschlags in Madrid am 11. März und des politischen Erdbebens, das dadurch in Spanien mit der Niederlage der spanischen Pudel Aznar und der Wahl der pro-europäischen Regierung PSOE hervorgerufen wurde, kann einen grundlegenden Effekt für die Beschleunigung der europäischen Einigung bewirken. Aber es ist zu früh um zu sagen, ob das eine dauerhafte Neuorientierung der spanischen Bourgeoisie weg von Washington und hin auf Berlin/Paris eröffnet.

Letztendlich stellt sich die einfache strategische Frage: Haben die USA genug, das sie mit anderen imperialistischen Verbündeten ausreichend teilen können? Ist der US-Imperialismus in der Position, dem italienischen, spanischen oder britischen Kapital mehr anbieten zu können als eine vereinte EU unter deutsch-französischen Führung mit der enormen ökonomischen Integration bewirken könnte?

Versuchen wir aus der bisherigen Analyse einigen Schlussfolgerungen abzuleiten. Wenn wir die Hauptstränge formulieren müssen, die über das Schicksal des Projekts der Schaffung eines vereinten imperialistischen Blocks EU entscheiden, so können wir folgende Punkte anführen:

• Der Erfolgsgrad der europäischen Herrschenden gegen ihre Arbeiterklasse – Privatisierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, Angriffe auf Pensions-, Gesundheits- und andere soziale Systeme… und eine allgemeine Schwächung der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung insgesamt.

• Der Charakter der künftigen europäischen Verfassung und ob sie den nötigen Grad an Zentralisierung ermöglicht, d.h. klare Dominanz der großen Mächte (hauptsächlich des deutsch-französischen Blocks) über den Rest.

• In Zusammenhang damit die Frage, wie weit es dem französisch-deutschen Block gelingt, das „neue“ Europa (Spanien, Italien, die neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten) zu re-integrieren, d.h. zu unterwerfen.

Das sind alles Fragen, die nicht im Vorhinein entschieden werden, sondern in der Arena des weltweiten Klassenkampfes ihren Ausgang finden werden.

Die EU-Bourgeoisie muss und wird die Arbeiterklasse massiv angreifen. Wie wir wiederholt hervorgehoben haben – die Erhöhung der Ausbeutungsrate ist die conditio sine qua non für jedwedes erfolgreiche imperialistische Projekt für die EU als globaler Herausforderer für die USA. Diese Angriffe, die einen strategischen Charakter haben, werden höchstwahrscheinlich Massenkämpfe bis hin zu vor-revolutionären Krisen in Europa hervorrufen. Um diesen Prozess grundlegend umzukehren, wäre ein größerer Schritt im Klassenkampf einschließlich der Herausforderung der politischen Macht der Bourgeoisie durch die Arbeiterklasse und die Jugend nötig – mit anderen Worten eine revolutionäre Krise.

Doch die Arbeiterbewegung steckt in einer fürchterlichen Führungskrise. Die Situation ist gekennzeichnet durch den Verrat der RechtsreformistInnen, die Ohnmacht und Feigheit der LinksreformistInnen und ZentristInnen sowie – und vor allem – das Fehlen einer starken revolutionären Partei. Somit ist der Aufbau eines ausreichenden Widerstands der Klasse in den nächsten Jahren eine wichtige, aber auch schwierige Aufgabe.

Doch massive Klassenkämpfe können die Angriffe und das Projekt der EU-Bonzen zumindest verlangsamen oder ändern.

Auch darf das Ausmaß der innerimperialistischen Konflikte der EU, im Besonderen zwischen Deutschland-Frankreich einerseits und Italien, Spanien, Britannien (wo ernstzunehmende Teile der herrschenden Klasse eine engere Allianz mit den USA bevorzugen) andererseits nicht unterschätzt werden.

Wir können das folgende „Gesetz“ aufstellen: Je erfolgreicher die europäische Bourgeoisie der Arbeiterklasse Angriffe und Niederlagen zufügt, umso leichter ist für sie die Schaffung eines vereinten imperialistischen europäischen Blocks und einer entsprechenden Staatsstruktur (unter französisch-deutscher Führung).

Oder umgekehrt: je stärker der Widerstand der Arbeiterklasse ist und die kapitalistischen Versuche fehlschlagen, die Ausbeutungsrate ausreichend zu erhöhen, umso geringer sind die Chancen des französisch-deutschen Blocks, den Rest Europas zu unterwerfen.

Aus all dem folgt auch, dass der Klassenkampf insbesondere der deutschen und der französischen Arbeiterklasse von strategischer Bedeutung ist, weil sie im Herzen der europäischen Bestie sitzen.

Eine Verlangsamung des Integrationsprozesses könnte zur Bildung eines „Europas der zwei Geschwindigkeiten“ führen, also einer Differenzierung innerhalb der EU mit der Formierung eines „Kerneuropas“ um Frankreich und Deutschland. Die anderen imperialistischen Mächte wie Britannien, Spanien und Italien würden sich dann als Junior-Mächte um die USA scharen.

Es versteht sich von selbst, dass wir hier zwei mögliche Pole skizzieren und dass es daher natürlich viele denkbare Zwischenvarianten und Kombinationen geben kann. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass wir hier von keinem kurzfristig fixierten Endzustand sprechen, sondern von einem Prozess, der die europäische Entwicklung in den kommenden Jahren mit Fortschritten und Rückfällen kennzeichnen wird.

Die Beziehung zwischen den USA und Europa wird in der kommenden Periode von Konflikten und Manövern gekennzeichnet sein, aber nicht von offenen militärischen Zusammenstößen. Die EU ist einfach zu schwach, um offen gegen den Konkurrenten auf der anderen Seite des Atlantik in die Schlacht zu ziehen. Je stärker die herrschende Klasse innerhalb der Union auf Kosten der Arbeiterklasse wird, umso selbstbewusster wird sie Washington gegenüberstehen.

Ein anderer Faktor in dieser Gleichung ist die Zukunft der nationalen Befreiungskämpfe besonders des irakischen und des palästinensischen Volks. Je mehr Schläge die USA und ihre zionistischen Verbündeten an dieser Front einstecken müssen, umso mehr wird sich die EU von den „gierigen und arroganten Yankees“ distanzieren.

Verschiedene Entwicklungen sind in der Beziehung zwischen dem US- und dem europäischen Imperialismus möglich. Doch in den nächsten paar Jahren wird die Hegemonie des US-Imperialismus ohne Herausforderung bleiben. Es gibt für ihn zwar enorme Widersprüche und Schwierigkeiten. Aber sie sind Ergebnis der allgemeinen Krise des weltweiten Kapitalismus und betreffen somit nicht nur die USA, sondern ebenso alle anderen kapitalistischen Mächte. Um in eine Position zu kommen, in der sie die USA herausfordern kann, muss die europäische Bourgeoisie erst ihre Arbeiterklasse zerschlagen und mit ihrem Vereinigungsprojekt fortfahren. Das kann Jahre dauern und wir müssen uns auf eine länger andauernde, von Widersprüchen gekennzeichnete Periode mit vielen Fortschritten und Rückschlägen, Kompromissen usw. einstellen. Wenn die europäischen UnternehmerInnen mit ihrem Projekt versagen, stehen wir einem imperialistischen Europa im Todeskampf gegenüber – ähnlich wie früher das niedergehende britische Kolonialreich.

Zusammengefasst: für die europäische Monopolbourgeoisie besteht das Problem darin, dass sie, um Amerika herausfordern zu können, Europa „amerikanisieren“ muss. Sie muss die gesellschaftlichen Beziehungen entsprechend dem neoliberalen Modell, das jenseits des Atlantiks verwirklicht wurde, transformieren. Sie muss sich eine aggressive militaristische Außenpolitik zu eigen machen. „Amerikanisierung oder Niedergang“ lautet die Alternative.

Aber im Gegensatz zu ihrem Widerpart ist die herrschende Klasse Europas mit einer viel stärkeren und politisierteren Arbeiterklasse und antikapitalistischen Bewegung konfrontiert und sie besitzt weder einen bereits vereinten Staatsapparat noch ein nennenswertes supranationales Kapital.

Was immer der Ausgang dieses Prozesses sein wird, eines ist klar: Europa wird in den kommenden Jahren gewaltige Veränderungen durchmachen. Auf die eine oder andere Weise wird das politische und soziale Gefüge Europas in 5 bis 10 Jahren völlig anders aussehen als jetzt. Für die europäische herrschende Klasse besteht eine ähnliche Herausforderung wie für die Weltbourgeoisie: in ihrem Bestreben, ihre Herrschaft zu stabilisieren und auszudehnen, muss sie die sozialen Strukturen erschüttern. Um die Profitrate grundlegend zu erhöhen, um neue Märkte zu gewinnen, um einen homogenen imperialistischen EU-Block zu schaffen, muss die herrschende Klasse die ganzen etablierten sozialen Strukturen der Gesellschaft umwälzen: sie muss die Ausbeutungsrate der Arbeiterklasse und der Halbkolonien radikal steigern. Doch auf diesem Weg der Zerstörung der sozialen und politischen Errungenschaften der Arbeiterklasse und der Unterdrückten provoziert die Bourgeoisie unweigerlich massiven Widerstand bei fast allen anderen Klassen und Schichten.

Nur wenn die europäische Arbeiterklasse sich mit aller Entschlossenheit gegen die Angriffe der Bourgeoisie wehrt, nur wenn sie Spaltung in west- und osteuropäische Werktätige überwindet, nur wenn sie die herrschende Klasse in einer erfolgreichen Revolution stürzt, kann sie ein für alle Mal Schluss machen mit dem System der Ausbeutung und Unterdrückung und Europa wirklich vereinigen: in Form der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

 

Fußnoten:

(1) ILO: A Fair Globalization: Creating Opportunities For All (2004), S. 36

(2) Minqi Li: After Neoliberalism: Empire, Socialdemocracy or Socialism? In: Monthly Review, Vol. 55, Number 8, January 2004, http://www.monthlyreview.org/0104li.htm

(3) Andrea Boltho: What‘s wrong with Europe? In: New Left Review, July-August 2003, S. 17

(4) Gérard Duménil and Dominique Lévy : The Economics of U.S. Imperialism at the Turn of the 21st Century (2004) http://www.cepremap.ens.fr/~levy/biblioa.htm

(5) Gérard Duménil and Dominique Lévy : Neoliberal Dynamics: A New Phase? (2004) http://www.cepremap.ens.fr/~levy/biblioa.htm

(6) Gérard Duménil and Dominique Lévy : Neoliberal Dynamics – Imperial Dynamics (2003) http://www.cepremap.ens.fr/~levy/biblioa.htm

(7) Siehe dazu: Gérard Duménil and Dominique Lévy : Neoliberal Dynamics – Imperial Dynamics (2003) http://www.cepremap.ens.fr/~levy/biblioa.htm

(8) EUROSTAT: Porträt der Wirtschaft der Europäischen Union 2002, S.57, http://europa.eu.int/comm/eurostat/Public/datashop/print-catalogue/DE?catalogue=Eurostat&product=KS-AI-02-001-__-N-DE; International Herald Tribune 4.3.2004, p.4; http://www.census.gov/

(9) EUROSTATAT: Die Europäische Union und ihre Stellung in der Welt, S.16; http://www.eu-datashop.de/

(10) The Business Week Global 1000; in: Business Week 14.7.2003

(11) Robert Brenner: The Boom and the Bubble. The US in the World Economy, London/New York 2002, S. 47

(12) UROSTATAT: Die Europäische Union und ihre Stellung in der Welt, S.26; http://www.eu-datashop.de/

(13) Richard B. Du Boff: Notes on the American Dream, 27 October, 2003, http://musictravel.free.fr/political/political41.htm

(14) Andrea Boltho: What‘s wrong with Europe? In: New Left Review, July-August 2003, S. 17

(15) Siehe Eva Belabed: Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen; in: Wirtschafts- und Sozialpolitische Zeitschrift WISO (Oktober 2003), S. 24

(16) Richard B. Du Boff: Notes on the American Dream, 27 October, 2003, http://musictravel.free.fr/political/political41.htm

(17) Fred Mosley: The United States Economy at the Turn of the Century: Entering a new Era of Prosperity? In: Capital&Class 67 (Spring 1999), S. 25f

(18) Robert Brenner: Towards the precipice; in: London Review of Books, February 6 2003, http://www.lrb.co.uk/v25/n03/bren01_.html

(19) See Gérard Duménil and Dominique Lévy: The Neoliberal (Counter-)Revolution (2004) http://www.cepremap.ens.fr/~levy/biblioa.htm

(20) Siehe: Kevin Phillips: Die amerikanische Geldaristorkratie (2003) S. 160 und S. 174

(21) Niall Ferguson: Why America Outpaces Europe (Clue: The God Factor), New York Times, June 8, 2003, http://www.econ.brown.edu/~asanz/global_03/culture_incentives.pdf

(22) Danielle Checci and Claudio Lucifora: Unions and Labour Market institutions in Europe (2002), S. 379; http://www.ires.ucl.ac.be/IRESnet/Research/Axe4/Checchi.pdf; die Zahlen für die USA: http://www.jil.go.jp/english/estatis/eshuyo/200312/e0702.htm, http://www.demographia.com/lm-unn99.htm

(23) Niall Ferguson: Why America Outpaces Europe (Clue: The God Factor), New York Times, June 8, 2003

(24) WTO: World trade developments in 2002 and prospects for 2003, S. 16, http://www.wto.org

(25) EUROSTAT: Porträt der Wirtschaft der Europäischen Union 2002, S. 71

(26) Siehe dazu Martin Suchanek: Der deutsche Imperialismus heute; in: Revolutionärer Marxismus, Nr.33 (März 2003), S. 74-80. Der Revolutionäre Marxismus ist das deutschsprachige theoretische Organ der Liga für die 5. Internationale und kann über unsere Kontaktadresse bezogen werden.

(27) Siehe Keith Harvey: Maastricht and beyond: a capitalist United States of Europe?; in: Trotskyist International Nr. 10 (1993). Der Trotskyist International war das frühere englisch-sprachige theoretische Organ der LRKI, der Vorläuferin der Liga für die 5. Internationale.

(28) Im folgenden zitieren wir den am 18. Juli 2003 veröffentlichten Verfassungsentwurf, da die endgültige Version der im Juni 2004 angenommenen Verfassung noch nicht vorliegt. In den für uns hier relevanten Punkten haben jedoch unseres Wissens nach keine bedeutenden Veränderungen stattgefunden.

(29) Alle Zitate aus: EUROPÄISCHER KONVENT: Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa (Entwurf 18.7), european-convention.eu.int/docs/Treaty/cv00850.de03.pdf; engl: THE EUROPEAN CONVENTION: Draft Treaty establishing a Constitution for Europe, http://register.consilium.eu.int/pdf/en/03/cv00/cv00850en03.pdf

(30) Kommentare von EU-Präsident Javier Solana auf den Europäischen Nationalforum, Dublin Castle am 8.Jänner 2004 – http://ue.eu.int/pressdata/EN/discours/78600.pdf

(31) Karl-Heinz Kamp: „Vorbeugende Militäreinsätze (Preemptive Strikes). Eine neue sicherheitspolitische Realität?“ Arbeitspapier Nr. 120/2004, herausgegeben von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Jänner 2004, http://www.kas.de/publikationen/2004/3830_dokument.html

(32) Enorme Unterschiede bei den Arbeitskosten in der EU, Wiener Zeitung 19.3.2004




Globalisierung: Das jüngste Stadium des Imperialismus

Keith Harvey, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Vorwort

Von Anfang an erkannte der Marxismus den inhärenten Drang des Kapitalismus zur Expansion. Im kommunistischen Manifest zeigt Marx die Hervorbringung des Weltmarktes und sah voraus, dass alle Nationen auf Gedeih oder Verderb gezwungen werden „die bürgerliche Produktionsweise zu übernehmen.“ In diesem Sinne ist „Globalisierung“, als der Zwang, die Ökonomien aller Länder in einen immer integrierteren Weltmarkt hinein zu ziehen, keine neue Entwicklung.

Doch war das Muster der Expansion, sein Tempo und das Kräfteverhältnis zwischen den Nationen, das sie bewirkt hat, niemals gradlinig oder einheitlich. Während der letzten 10 Jahre wurde „Globalisierung“ ganz speziell benutzt, um das Überstülpen seines „neoliberalen“ Wirtschaftsmodells durch die USA über immer größere Gebiete der Welt zu beschreiben, sowie die Ausdehnung ihrer Konzerne sogar auf dem Territorium seiner ehemaligen Gegner im Kalten Krieg. Dieser Artikel untersucht den Hintergrund dieser neuesten Phase der kapitalistischen Entwicklung.

Der Artikel versucht zu zeigen, dass die Expansion an ihrer Wurzel ein Ausdruck der Krise der Überakkumulation im US-Kapital ist, das seit den 1970ern in seinem Heimatmarkt durch zurückgehende Profitraten gekennzeichnet ist. Seine Antwort war, Barrieren für spekulative Investitionen auf internationaler Ebene zu beseitigen. Indem sie dazu die in Chile „erprobte“ Politik benutzten, drängten die US-Strategen in den 1980ern die ihnen fügsamen Regierungen, alle möglichen Handels- und die Investitionsbarrieren nicht nur zwischen den imperialistischen Mächten abzubauen, sondern wesentlicher auch in der immer verschuldeteren „Dritten Welt“.

Der Durchbruch jedoch kam erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus in China. Wie in früheren Perioden der globalen Integration, war eine einzelne  Hegemonialmacht notwendig, um eine einheitliche ökonomische Politik der ganzen Welt aufzuzwingen.

So dramatisch und destruktiv diese „Globalisierung“ bisher war,  so veränderte sie nicht die fundamentalen Widersprüche innerhalb der USA selbst. Heute sind die Grenzen der Globalisierungslösung zunehmend sichtbar als steigende Schuldenberge, fallende Profitraten, betrügerische zusammenbrechende Riesen-Unternehmen, riesige brachliegende industrielle Kapazitäten. Geht es mit der Globalisierung schon zu Ende?

Keith Harvey, London 2003

Einführung

Vor einigen Jahren konnten die Besucher der Expo 1992 in Sevilla bemerken, dass die USA sich auf ein kleines und unbedeutendes Ausstellungszelt beschränkten, verglichen mit den pompösen Selbstdarstellungen der meisten restlichen Welt-„Größen“. Durch Nachforschung kam heraus, dass die meisten der großen Namen der US-Konzernwelt entschieden hatten, keine Finanzen für das US-Zelt zu investieren. In dieser internationalen Veranstaltung wollten Coca Cola und Co. einfach nicht als US-Firmen erscheinen; sie wollten an erster Stelle als globale Unternehmen gesehen werden.

Phillip Condit, der Vorsitzende von Boing, sagte 1997, ein globales Unternehmen zu sein bedeutet, dass „die Leuten denken, dass du ein lokales Unternehmen bist, wo immer Du operierst“. Er versuchte BP nachzueifern, dem zehntgrößten Unternehmen der Welt, das britisch basiert, aber global omni-präsent ist. HSBC, eine unter den größten 4 Banken im US-Markt, vermarktet sich selbst als „die Lokal-Bank der Welt“, weil sie in den meisten Ländern präsent ist.

Natürlich gab es schon immer Gesellschaften mit internationaler Ausrichtung, seit die US-Firma Singer ihren ersten Überseebetrieb in Europa in den 1860er Jahren begann. Autoriesen, Elektronikfirmen und Ölgesellschaften hatten alle eine globale Ausrichtung schon während der meisten Zeit im letzten Jahrhundert. Aber bis vor kurzem beschränkten sie sich zumeist auf zweitrangige Niederlassungen in Überseemärkten, insbesondere was US-Multis betrifft.

Jetzt hat sich das alles geändert. Jetzt treten die meisten multinationalen Gesellschaften (MNC`s) auf dem Weltmarkt in den Wettbewerb, um zu überleben. General Electric – der US- Elektronikriese – ist der größte Multi mit einem Sachanlagevermögen, das 1999 405 Milliarden USD betrug, macht einen Umsatz von 111 Milliarden USD. Bis er sich 2002 zurückzog, war Jack Walsh der Vorstandsvorsitzende (CEO) von General Electrics. 1997 erklärte er, was multinationale Gesellschaften dazu treibt, immer mehr von den Überseemärkten abhängig werden:

„Es gibt einen globalen Kapazitätsüberschuss in fast jedem Sektor. Der Preisdruck ist Sektor für Sektor dramatisch. Eine Möglichkeit diesen Problemen zu entgegnen, ist es, den größtmöglichen Maßstab anzugehen – die Verteilung der Kosten und Einnahmen über die Welt.“

Inzwischen gibt es mehr Multis als je zuvor – 63.000 im Jahr 2000, verglichen mit 7.000 im Jahr 1970 – und sie kontrollieren einen größer werdenden Anteil an globalem Output und Verkäufen als je zuvor (1). Im Verlauf des letzten Jahrzehnts vergrößerte sich ihre Abhängigkeit von ausländischen Märkten, Anlagekapital und Beschäftigung im Vergleich zu ihrer Heimatbasis stetig (2).

Rund 30 % von General Electric`s Anlagen und Verkäufen sind überseeisch. Diese Zahl wächst mit jedem Jahr. Heute hängen mehr und mehr global players, wie IBM und ICI, mit über der Hälfte ihres Profits von Umsätzen im Ausland ab. Mehr als 98 % von Nestles Verkäufen finden außerhalb der Schweiz statt. Murdochs Medienimperium verkauft im Ausland 96 % seiner Produkte.

Diese multinationalen Konzerne – in der Produktion, im Bankwesen, in den Medien und Einzelhandel – machen zusammen 2/3 des ganzen Welthandels aus. Sie sind auch der Motor der Auslandsinvestitionen. Im Jahr 2000 stiegen die gesamten Auslandsdirektinvestitionen (Kapitalexport) um 18 % auf ein Rekordniveau von $ 1,3 Billionen an, 90 % davon ($ 1,1 Billionen) in der Form von Fusionen und Erwerbungen multinationaler Konzerne, um ihre globale Position zu konsolidieren.

Unter den 63.000 multinationalen Firmen sind es gerade 100, bloße 0,2 % – die Geldanlagen von 1,2 Billionen besitzen und im Jahr 1999 Verkäufe in derselben Größenordnung hatten. Diese größten 100 Firmen verfügen über 12 % der Geldanlagen aller multinationalen Firmen, tätigen 16 % ihrer Verkäufe und beschäftigen 15 % der dort tätigen Arbeitskräfte.

91 von ihnen haben ihre Firmensitze in einem der 17  „Triaden“-Länder (EU, USA, Japan), eine Zahl die die Bedeutung dieser Länder in der kapitalistischen Weltordnung zeigt.

Darüber hinaus hat sich während der letzten 10 Jahre ihr Anteil an den Top-100 vergrößert. Das sind die Länder, die die makro-ökonomische Tagesordnung festsetzen, die den Welt-Kapitalmarkt kontrollieren und die globalen multilateralen Institutionen wie Weltbank, IWF und WTO bestimmen.

Der Reichtum, die Macht und die Reichweite der größten kapitalistischen Konzerne sind unerreicht und historisch noch nie da gewesen. Die weite geografische Verteilung und gesellschaftliche Tiefe, die die weltkapitalistische Marktökonomie in den letzten 10 bis 20 Jahren erreichte, wird auch allgemein anerkannt. Dies alles wurde als „Globalisierung“ bezeichnet.

Während ein Großteil des „wir gewinnen den Kalten Krieg“-US-Triumphalismus hinter uns liegt, ist es nicht gut genug, das Phänomen einfach als „globale Sprechblase“ zu verharmlosen, als einfach „derselbe alte Imperialismus“ – so als ob sich nichts geändert hätte (3).

Der Zweck dieses Artikels ist es, die bestimmenden Ursachen der Globalisierung zu verstehen und sie präziser zu definieren. Was treibt sie voran und was sind ihre Komponenten? Wie hat sie sich entwickelt? Was ist die Beziehung zum Konzept des Imperialismus wie es von MarxistInnen seit dem frühen Teil des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde?

Um dies zu tun, können wir von Anfang an die einfache Erklärung ablehnen, dass „Globalisierung ein objektiver Faktor ist, eine Widerspiegelung der dramatischen technologischen Veränderung, und keine Politik.“ (4)  Dieser Standardrefrain von den Apologeten der 1990er war entworfen worden, um die Entpolitisierung der Globalisierung zu betreiben, von ihrer Geschichte und den nationalen und klassenmäßigen Beziehungen zu abstrahieren, innerhalb derer sie sich entwickelte.

Es bezweckte, die Gegenspieler des tatsächlich aus den Konzernzentralen bestimmten Prozesses zu entwaffnen mit der Idee, dass technologische Entwicklungen einen Trend zu wachsender internationaler Integration bewirkt hätten, der unvermeidlich und nicht zu stoppen war, und der die Gewerkschaften und die nationalstaatlichen Barrieren für die Bewegung des Kapitals beiseite fegt.

Die gegenwärtige Krise widerlegt diese Erklärung insoweit, wie die technischen Errungenschaften im Transport-  und Kommunikationsbereich, die die Wichtigkeit von Zeit und Raum in ökonomischen Transaktionen relativiert haben, weiter in Betrieb bleiben, aber sie haben nicht das Einsetzen einer globalen Rezession verhindern können.

Auf der anderen Seite haben diese ganz gleichen negativen ökonomischen Umstände die wichtige Einführung der nächsten Generation von Technologien (z.B. UMTS) verhindert, die für den Kommunikationsbereich viel versprachen.

In Wirklichkeit ist die Technologie die abhängige Variable in der Globalisierung, nicht die treibende.

Wie Robert Went gesagt hat:  „Die Wahrheit ist, dass technologische Veränderungen den Globalisierungsprozess nur erleichtert haben, der durch bewusste politische Entscheidungen in Bewegung gesetzt wurde (5)“. Wir könnten hinzufügen, dass diese „bewussten politischen Entscheidungen“ selbst tief sitzende Veränderungen in der US-Wirtschaft widerspiegelten, welche dem Rahmen der Politik und der etablierten Institutionen schon Jahrzehnte früher entwachsen war.

Um diese „Prozesse der Globalisierung“ zu verstehen, müssen wir tiefer auf die geschichtlichen und strukturellen Gründe eingehen, warum der Kapitalismus expandiert und die ökonomischen und politischen Barrieren untersuchen, die das Kapital zu überwinden sucht.

Dabei beginnen wir zunächst mit der Erkenntnis, dass es das Wesen des Kapitals ist, jede Barriere zu durchbrechen auf dem Weg seiner beständigen Expansion. Selbstausdehnung ist sein Wesen. Es kann nicht zufrieden sein mit bloß lokaler, regionaler oder sogar nationaler Herrschaft. „Die natürliche Tendenz unseres ökonomischen Systems ist es deshalb, die staatlichen Grenzen zu durchbrechen“, wie Trotzki es formulierte.

Wir haben als erstes zu erklären, welche historischen Formen diese Selbstausdehnung genommen hat, welche Barrieren er zu überwinden hatte und welche Bedingungen ihm dies jeweils erlaubten, zu dieser Zeit und eben keiner anderen. Warum z.B. regredierte der Kapitalismus zwischen 1914 und 1945 international? Was bestimmte das Muster des internationalen Kapitals im Nachkriegsboom (1950-1971)? Wie befreite sich das Kapital selbst von den Einschränkungen, die es durch die Nachkriegsregelung geerbt hatte, um sich in den 1970ern und 1980ern schnell zu verbreiten in den verschiedenartigsten Formen? Und endlich, was ändert sich in der Natur des Weltkapitalismus als Ergebnis des Sieges der USA im Kalten Krieg und dem darauf folgenden Boom in der US-Wirtschaft unter der Präsidentschaft von Clinton?

Imperialismus

Dies ist nicht das erste Mal, dass eine umfangreiche Debatte über die Bedeutung der großen Veränderungen in der kapitalistischen Weltökonomie stattfindet. Vor über 100 Jahren wurde der Terminus „Imperialismus“ geprägt, um die Entstehung der neuen Merkmale in der Organisierung der kapitalistischen Produktion und des Finanzwesens zu beschreiben.

Obwohl sie nicht die ersten waren, die diesen Terminus benutzten, begannen Marxisten, diese Merkmale in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu analysieren. Sie anerkannten, dass große qualitative Veränderungen in der Natur des Kapitalismus seit den 1870er Jahren stattgefunden hatten. Es waren Veränderungen, die sowohl die Organisation von inländischem Produktions- und Finanzwesen berührten, als auch die Struktur des internationalen Handel und der Investitionen veränderten.

Der erste und wichtigste Grund war der Aufstieg von großen Konzernen in den wichtigsten kapitalistischen Ländern, die ihre nationalen Märkte erobert hatten und begannen, sie zu dominieren. Ihre Entwicklung, die ein unvermeidliches Ergebnis des Wettbewerbs zwischen den früheren Generationen kleinerer Firmen war, führten die größeren Kapitalisten dazu, den Vorteil des Monopols zu sehen. Durch praktisches Verdrängen ihrer Inlandskonkurrenten konnten die Monopolisten nicht nur größere Profite im Boom ernten, sondern auch die Konjunktureinbrüche überstehen, die im Geschäftszyklus zu erwarten waren.

Der ursprüngliche Kleinbetrieb, die familieneigene Firma, überließ nun den großen Firmen das Feld, die Eigentümer über Aktien und Anteile bestimmten. In Deutschland wurde dies in großem Maßstab durch die horizontale Integration zwischen Firmen im selben Geschäftsbereich erreicht, die entweder fusionierten oder Preise und Marktanteile untereinander regelten (Kartelle).

In den USA wurde dies seit den 1880ern im Allgemeinen durch Gesetz verhindert und die Monopolisierung nahm mehr die Form einer vertikalen Integration an. Dabei schluckten die großen Firmen sowohl ihre Lieferanten als auch die Firmen, an die sie ihre Produkte verkauften, wodurch große Einsparungen an Transaktionskosten erzielt wurden und die Profite abgesichert werden konnten.

Diese Tendenz zur Konzentration war auch offenkundig innerhalb des Finanzkapitals. Die Banken entwickelten sich von bloßer „Mittlertätigkeit“, die Familienfirmen zur Abdeckung operativer Kostenspitzen dienten, zu machtvollen Monopolen mit eigenen Interessen. Nachdem sie immer mehr in die Bereitstellung von Anlagenfinanzierung involviert wurden, versuchten sie Einfluss auf die Monopole selbst zu bekommen, um den Wert ihrer Geldanlagen zu schützen. In einigen Fällen führte dies zur Besetzung von Posten in den Direktorien, in anderen zu direktem Anteileigentum.

Zur Zeit des ersten Weltkrieges konnte Lenin beobachten:

„Zum „Herrscher“ der Welt wurde nunmehr das Finanzkapital; es ist besonders beweglich und elastisch, national wie international besonders verflochten, besonders unpersönlich und von der direkten Produktion losgelöst; es eignet sich besonders leicht für die Konzentration und ist bereits besonders stark konzentriert, so dass buchstäblich einige hundert Milliardäre und Millionäre die Geschicke der ganzen Welt in ihren Händen halten (7).“

Nach dem relativ langen Boom am Ende des 19. Jahrhunderts (von 1895 an) und der Krise von 1900 – 1903, wurden Monopole und Kartelle anerkannt als „eine der Grundlagen des ökonomischen Lebens“ (Lenin). In den USA waren im Jahr 1904 1,1 % der Firmen verantwortlich für die Hälfte der Gesamtproduktion.

Ein zweiter damit zusammen hängender Faktor war eine massive internationale Expansion des Kapitalismus, als die Monopole nach den internationalen Märkten strebten und den Zugang zu Rohstoffen sichern wollten. Im Prozess der Monopolisierung erwies sich die nationale Ökonomie mehr und mehr als zu beschränkte Sphäre, um dort noch adäquate Profite zu machen.

Zwischen 1870 und 1914, aber speziell nach 1895, beschleunigte sich die internationale Ausdehnung von kapitalistischem Handel und Investitionen. Horst Köhler, der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) ging sogar soweit zu sagen: „Die globale Wirtschaft war tatsächlich am Ende des 19. Jahrhunderts integrierter als sie es heute ist (8).“

Ohne soweit zu gehen, nannte ein Bericht der Weltbank kürzlich die Periode von 1870 bis 1914 „die erste Welle der modernen Globalisierung (9)“.

„Warenfluss, Kapitalfluss und Arbeit, alles dieses wuchs dramatisch. Die Exporte als Anteil am Welteinkommen verdoppelten sich nahezu und zwar auf 8 %. Fremdes Kapital vergrößerte sich um mehr als das Dreifache im Vergleich zum Einkommen in den Entwicklungsländern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Die Auswanderung war sogar noch dramatischer. 60 Millionen wanderten aus Europa aus, meistens aus weniger entwickelten Teilen nach Nordamerika und andere Regionen der Neuen Welt. Zwischen südlichen Ländern war die Migration auch wesentlich. Der Bevölkerungsstrom aus den dicht besiedelten Ländern China und Indien in die weniger bevölkerten Ländern wie Sri Lanka, Burma, Thailand, die Philippinen, und Vietnam war wahrscheinlich von der selben Größenordnung wie der zwischen Europa und den Amerikas. Die ganze Arbeitsmigration während der ersten Welle der Globalisierung erfasste nahezu 10 % der Weltbevölkerung (10).“

In ähnlicher Weise hat Robert Went für das Jahr 1913 bemerkt, dass das Verhältnis von Export und Import der Waren zum BIP (Bruttoinlandsprodukt) für die sechs größten Mächte im Durchschnitt  42,6 % erreichte. Trotzdem war das wichtigste neue Merkmal, dass der Kapitalexport den Export von Waren zu übersteigen begann. Während dieser Periode, wurde z.B. etwa die Hälfte von allen britischen Ersparnissen und Profiten im Ausland angelegt. Um 1914 war der Anteil der fremden Kapitalanlagen in den halbkolonialen Ländern auf 32 % ihres Einkommens angestiegen.

Während dieser Periode vervollständigten die imperialistischen Staaten ihren Griff auf alle Territorien dieses Planeten. Dazu notierte Trotzki im Jahr 1914:

„Der ganze Erdball, das Festland wie das Meer, die Oberfläche wie die Tiefe, sind bereits zur Arena einer weltumfassenden Wirtschaft geworden, deren einzelne Teile voneinander unauflösbar abhängig sind. Diese Arbeit verrichtete der Kapitalismus (11).“

Aber diese Internationalisierung des Kapitals war kein friedvoller, linearer Prozess, von dem alle Klassen und alle Nationalstaaten gleichermaßen profitierten. Vielmehr war die Welt ganz zwischen einer Handvoll von „Großmächten“ aufgeteilt geworden. Alle von diesem Club ausgeschlossenen Länder wurden entweder formell Kolonien oder informell Bestandteil ihrer „Einflusssphäre“.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte mit Trotzkis Worten die Tatsache zum Ausdruck, dass „die Produktionskräfte, die der Kapitalismus entwickelt hatte, über die Grenzen des Nationalstaats hinaus gewachsen waren.“ Der Nationalstaat, die gegenwärtige Form von Politik, war zu eng geworden für die Ausbeutung und Ausdehnung dieser Produktivkräfte. Dies wiederum führte zu einem systematischen Ausbrechen von Kriegen und Revolutionen in der imperialistischen Epoche: Kriege für die gewaltsame Aufteilung der Welt, zur Absicherung von  „Einflusssphären“ und „Hinterhöfen“; Revolutionen, ausgelöst durch die Entbehrungen des Krieges, den Zusammenbruch des Regimes geschlagener, herrschenden Klassen und durch die Ungerechtigkeit nationaler Unterdrückung.

Der Erste Weltkrieg brachte jedoch keine Lösung der Frage imperialistischer Vorherrschaft in der Form eines klaren Siegers, der in der Lage gewesen wäre, seine eigene Wirtschaftexpansion auf Kosten seiner geschlagenen Gegner fortzuführen.

Stattdessen konzentrierten die imperialistischen Mächte ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Einflusssphären. Dadurch warfen sie die Weltwirtschaft um Jahrzehnte zurück und ließen viele Ergebnisse der ersten Phase der kapitalistischen Internationalisierung verkommen. Selbst Ende der 1940er lag der Handel als Anteil am BIP immer noch unter dem Level von 1870. Um 1950 hatte sich der Anteil fremder Kapitalanlagen der Entwicklungsländer auf nur noch 4 % des Volkseinkommens reduziert – weit hinter dem geringsten Anteil in den 1870er Jahren.

Internationalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg

Während es keine Frage ist, dass die Jahrzehnte seit dem Zweiten Weltkrieg wieder geprägt waren durch ein Wachstum internationalen Handels und von Investitionen, ist das Muster dieses Wachstums nicht gleichmäßig gewesen. Vier ziemlich verschiedene Perioden können identifiziert werden. Wie wir sehen werden, haben deren Wesenszüge zu tun mit unterschiedlichen Rollen, die das Finanzkapital vor dem Hintergrund eines sich ändernden internationalen Mächtegleichgewichts spielt.

Die Jahrzehnte nach 1945 sahen fast sofort ein Aufleben der Internationalisierung, ausgedrückt sowohl im Handel als auch in Auslandsdirektinvestitionen. Um 1970 hatte der Welthandel das Niveau der Phase vor 1914 übertroffen und seitdem haben dessen jährliche Wachstumsraten die Zuwachsraten der Produktion wesentlich übertroffen. Zur selben Zeit jedoch wuchsen die Auslandsdirektinvestitionen sogar schneller und man sah „ein jährliches Wachstum viermal größer als die Wachstumsrate des internationalen Handels (12).“

Die Formen der Investitionen waren auch vielfältiger als in der Phase vor 1914, als sie großteils auf Anleihen beschränkt waren. Nach 1950 wuchsen die Geldanlagen im Ausland direkt in Form von neuen Fabriken und Ausrüstungsinvestitionen. Die Impulse für diese Welle von Auslandsdirektinvestition, welche bis in die siebziger Jahre andauerte, waren hauptsächlich die Lagevorteile der Gastländer. Entweder besaßen die Länder unbewegliche natürlich Rohstoffe oder ihre Märkte waren durch Handelsbarrieren geschützt.

Während dieser Phase, welche die Weltbank „die zweite Welle der Globalisierung“ nennt, erklärt eben diese, dass „die meisten Entwicklungsländer auf primären Warenexport beschränkt blieben und im Großen und Ganzen am Rand der großen Kapitalflüsse blieben … Das Verhältnis des Auslandsdirektinvestitions-Bestands zum BIP des Südens war 1978 bei 11 % – noch immer weit unter den 1914 erreichten 32 % (13)“.

Dieser Trend bedeutete, dass die „zweite Welle der Globalisierung für die Entwicklungsländer keine goldene war“, wie es die Weltbank formulierte. „Die Lücke zwischen reichen und armen Ländern weitete sich aus. Die Anzahl der Armen fuhr fort zu wachsen … Es gab wenig Netto-Veränderung in der Verteilung des Einkommens zwischen und in den Entwicklungsländern (14).“

Die lange Expansion von Handels und Investitionen zwischen 1950 und 1971 fand  innerhalb eines genau umrissenen politischen Rahmens statt, der die Prioritäten ausdrückte, die die wichtigsten Architekten der Nachkriegswirtschaftsregeln bei der Bretton Woods – Konferenz im Jahr 1944 festgelegt hatten. Ihre Hauptsorge war die Aufrechterhaltung eines stabilen Systems für den internationalen Handel und die Vermeidung der Probleme der Zwischenkriegsjahre.

Um diese Zeit war die wichtigste Rolle des Finanzkapitals daher die Wiederaufrichtung des Welthandels. Das General Agreement on Tariffs and Trade (= Allgemeines Abkommen über Tarife und Handel) (GATT) wurde hauptsächlich zwischen den Triadenländern (= die drei großen imperialistische Böcke, USA/Kanada, Japan, europäische Imperialisten), das heißt zwischen den imperialistischen Mächten, zum Aushandeln von Zollabbau errichtet. Ähnlich existierte der IWF, um zu gewährleisten, dass für die Mitgliederstaaten die Finanzmittel zur Überbrückung von Währungsbilanzdefiziten vorhanden waren, die als Ergebnis von längerfristigen Export/Import-Ungleichgewichten entstanden. Auf diese Weise sollten Währungsturbulenzen als Störung des Welthandels vermieden werden.

Das wichtigste aber war ein System von festgelegten zwischenstaatlichen Wechselkursen, um das glatte und schnelle Wachstum im internationalen Handel zu erleichtern. Dieses System wurde gewährleistet durch die Vereinigten Staaten, welche den Großteil der Weltgoldreserven besaßen (angehäuft durch Lieferung von Waffen an die Alliierten in dem Krieg). Im Jahr 1944 garantierten sie, jeden Dollar zu einer festgelegten Rate gegen Gold umzutauschen.

Ergebnis dieser Politik war, dass die Richtung dieser Investitionen (die bis in die 1980er andauerte) derjenigen der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg entsprach; die meisten Auslandsinvestitionen hatten als Quelle und Ziel die Mitglieder der Triade. Dies zeigt, dass die wesentlich integrative Dynamik in der Weltökonomie in dieser Periode zwischen der Europäischen Union, den USA und Japan bestand, nicht zwischen ihnen und dem Süden. Und wir werden sehen, dass sich dies ändern sollte.

Auch wenn all dies die US-Herrschaft untermauerte, begann der große Erfolg der Ausdehnung des internationalen Kapitalismus nach 1945 unvermeidlich die Basis dieser finanziellen Macht zu untergraben. Investitionen und Anleihen führten dazu, dass in den späten 1960ern mehr Dollars im Ausland gehalten wurden, als dass sie gegen die US-Goldreserven entsprechend der zugesagten Rate umgetauscht werden konnten. Im Jahr 1972 lockerte Nixon das Bretton Woods Abkommen, um die US-Reserven zu sichern. Der Dollarkurs begann frei zu fluktuieren und bald wurden alle größeren Währungen frei gehandelt.

1972-82: Das Finanzkapital wird von Leine gelassen

Der Zusammenbruch des Bretton Woods Systems der finanziellen Kontrollen beseitigte eine Barriere für die Selbstausdehnung des Kapitals. Wenn bis dahin das Finanzkapital darauf beschränkt worden war, mehr oder weniger die Hausmagd der Handelsexpansion zu sein, befreite es die Aufhebung der Kontrollen zwischen den größeren OECD-Ländern nach 1974. Das Kapital war nun frei, seine Formen zu diversifizieren und sich die besten Erträge in aller Welt zu suchen.

Aber, auch wenn man die bürokratisch geplanten Ökonomien beiseite lässt, in die es wenige Einfallstore gab, gab es noch das Problem, wie die Nachfrage für solche neuen finanziellen Instrumente und Investitionen im Rest der Welt angeregt werden konnte. Die Triade sah sich immer noch Hindernissen in der Form von Kapitalfluss-Beschränkungen durch die ganze Dritte Welt, so wie Handelsbarrieren gegenüber. Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1974 – 76 und erneut in den Jahren 1979 – 82 machten solche Hindernisse für die größten multinationalem Konzerne noch ärgerlicher, die ungeduldig nach neuen Märkten und neuen Arbeitskräften zum Ausbeuten lechtzten. Das wurde alles für das Finanzkapital noch verschlechtert durch die inflationären Konsequenzen des nachfrage-orientierten keynesianistischen Krisen-Managements, das die meisten Regierungen als Antwort auf die Rezessionen durchführten.

Die 1980er Jahre: Die neo-liberale Offensive

Die 1980er, das Jahrzehnt von Reagan und Thatcher, sahen eine konzertierte politische Initiative der multinationalen Konzerne, der Regierungen und von IWF/Weltbank, um die Barrieren gegenüber dem Waren– und Kapitalexport in den Süden niederzureißen. Ihre Zielsetzung war es, die Investitionskosten zu senken, die „economies of scale“ zu vergrößern und Vorteile aus autoritären, arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Regierungen zu ziehen.

Dies war der Zeitpunkt, zu dem IWF und Weltbank ihre Arbeitsweise veränderten, um der erneuten Vormachtstellung des Finanzkapitals zu entsprechen. Sie gebrauchten die zunehmenden Schuldenbelastungen der Halbkolonien als eine Waffe gegen sie; im Austausch für kurzfristige Hilfe benützten sie Programm um Programm zur Handelsliberalisierung, Deregulierung und Privatisierung – alles, um neue, profitable Geschäftsfelder für die multinationalen Konzerne und Banken der Triade zu eröffnen.

Die Implementierung dieser Politik begann während des Jahrzehnts aufgrund von gewonnener Erfahrung und perfektionierter Techniken an Fahrt zu gewinnen. Trotzdem gab es noch Grenzen für den Zugriff des Finanzkapitals. Die ersten Brückenköpfe wurden innerhalb der bürokratischen geplanten Ökonomien errichtet, besonders in Chinas „Sonderwirtschaftszonen“. Aber darüber hinaus waren ihre Ökonomien im wesentlichen außer Reichweite und solange dieser Sachverhalt Bestand hatte, konnten andere Länder hoffen, zwischen den zwei großen Blöcken zu taktieren.

Der Triumph der Globalisierung

Der Durchbruch zum qualitativen Wechsel in der Periode kam mit dem Zusammenbruch des Sowjetblocks, der Rezession von 1989 – 91 und der Entscheidung in China zur Demontage der Planwirtschaft und der Öffnung des Landes für kapitalistische Investitionen (15).

Das Muster des Investitionsflusses wurde revolutioniert, indem die westlichen multinationalen Konzerne Betriebe aus ihren Hochlohn-Heimatländern weg verlagerten, staatliches Vermögen aufzukaufen begannen und zu Verleihern von Geld an ausländische Regierungen und Firmen für exportorientierte industrielle Projekte wurden. Im Ergebnis nahm der Anteil des produzierenden Gewerbes von weniger als ein Viertel an den Exporten von Entwicklungsländern im Jahre 1980 auf mehr als 80 % im Jahr 1998 zu.

In ähnlicher Weise nahm der Kapitalfluss in die Entwicklungsländer von weniger als $ 28 Milliarden in den 1970ern auf $ 306 Milliarden im Jahr 1997 zu. In diesem Prozess änderte sich seine Zusammensetzung entscheidend. Die staatlichen Zuflüsse wurden um mehr als die Hälfte beschnitten und private Zuflüsse wurden die große Kapitalquelle für eine Reihe von „Schwellenländern.“

Auch die Zusammensetzung dieser privaten Kapitalflüsse änderte sich beträchtlich. Auslandsdirektinvestitionen wuchsen fortwährend in den 1990er Jahren. Real wuchs der Netto-Portfoliofluss von $ 0,01 Milliarden im Jahr 1970 auf $ 103 Milliarden im Jahr 1996, als neue internationale Fonds und die Rentenfonds den Fluss von Anlagekapital in die Entwicklungsländer kanalisierten. Dagegen gingen die Bankkredite zurück.

Der größte Aufschwung der Auslandsdirektinvestitionen in Richtung Süden fand  in den 1990er Jahren statt, die das schnellste Wachstum von ausländischen Kapitalflüssen im ganzen Jahrhundert aufwiesen (16). Im Jahr 1990 standen Bankdarlehen, Auslandsinvestitionen, Anleihen und Anlageflüsse jeweils bei rund $ 50 Milliarden, bis der große Aufschwung begann und seinen Höhepunkt im Jahr 1997 erreichte.

Es war vor allem dieses Überfluten durch das US-Finanzkapital, das Kommentatoren dazu führte, den Begriff „Globalisierung“ zu prägen, um die offensichtlich plötzliche Fähigkeit der größten Weltkonzerne zu beschreiben, ihre Marken und ihre Logos überall auf der Welt einzubrennen, wo sie es wollen.

In der ersten Hälfte des Jahrzehnts wurde dieser Prozess angetrieben durch den Ausverkauf der staatlichen Firmen in Lateinamerika und Asien an die triaden-basierten multinationalen Konzerne, während die Kapitalkontrollen in der ganzen Dritten Welt gelockert wurden. Es gab 1.187 solcher Investitions-Liberalisierungsmaßnahmen zwischen 1991 – 2000. Vor allem in der Periode von 1994 –  97 führte dies zu einem massiven Anstieg von Bankkrediten an Firmen und lokale Banken aus der Dritten Welt. Dieser Sieg des Neoliberalismus wurde symbolisiert durch die Transformation des GATT in die WTO im Jahr 1995.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kamen ,speziell innerhalb der Triaden-Länder Fusionen und Aufkäufe hinzu, die für die Mehrzahl der Auslandsdirektinvestitionen verantwortlich waren – begleitet vom Boom der Aktienmärkte (da sie mehr Aktienkapital erhältlich machten). Schließlich führte die Asienkrise des Jahres 1997 zu einem Rückfluss des spekulativen Kapitals in die USA.

Der asiatische Crash von 1997 bewirkte auch eine andere Verschiebung im Weltkapitalismus: ein rasche Beschleunigung der kapitalistischen Entwicklung in China aufgrund imperialistischen, speziell US-amerikanischen Kapitalexports.

Nach dem Zusammenbruch im Jahr 1997 sank die Kapitalinvestition z.B. in Südkorea und Indonesien (17). Im Gegensatz dazu hat China seit 1997 einen massiven Zufluss erlebt, nachdem „wachsende Konkurrenz, fallende Transportkosten und nachlassende Nachfrage multinationale Firmen dazu zwingen, in die Region mit den niedrigsten Produktionskosten auszuweichen (18).“ Im Jahr 2002 erreichten Auslandsinvestitionen nach China die Höhe von $ 52,7 Milliarden – ein Rekord.

In seinem Gefolge hat der massive Zufluss von Investitionen den Anstoß zu einer riesigen und historisch beispiellosen Welle von Warenexporten von China in den Rest der Welt gegeben. Die Provinz Guangdong exportierte im Jahr 2002 alleine mehr als in den Jahren 1978-90 zusammen genommen! Die chinesischen Exporte als Ganzes haben sich in den Jahren seit der Asienkrise 1997 verdoppelt.

Im Gegensatz dazu brauchten Großbritannien, Deutschland und Japan jeweils 12, 10 und 7 Jahre um ihre Exporte zu verdoppeln, als sie auf der Höhe ihrer ökonomischen Macht im 19. und 20. Jahrhundert waren (19).

Heute werden sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis mehr Menschen der Weltbevölkerung durch den Kapitalismus ausgebeutet als zu irgendeiner anderen Zeit in der Geschichte. Die geografische Ausdehnung der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse war nie globaler.

Das Ausmaß der Integration der kapitalistischen Nationen – ausgedrückt im Verhältnis von Handel und Auslandsdirektinvestitionen zum Bruttoinlandsprodukt – erreichte neue Höhen, auch wenn dies die Form von größerer Regionalisierung annahm und ein Drittel der Nationen und Menschen durch diesen Prozess stärker als je zuvor marginalisiert wurden.

Schließlich ist dies die Periode des triumphierenden Finanzkapitals, in der die klassischen Eigenschaften des Imperialismus, so wie sie durch Lenin beschrieben worden waren, wieder erscheinen als die definierten Eigenschaften des ökonomischen Weltsystems.

Monopole wurden massiv konsolidiert als der Kern des ökonomischen Lebens und damit dehnte sich die Macht der Finanzkonglomerate mehr denn je aus; der Kapitalexport – mit seinem revolutionierendem Effekt in den Gegenden, die er erreicht – erreicht neue Höhen und die Welt wird wieder einmal neu aufgeteilt, indem die USA und Europa um die Märkte, die Arbeitskräfte und die natürlichen Ressourcen der ehemaligen degenerierten Arbeiterstaaten wetteifern.

Der Garant der Globalisierung: Der US-Imperialismus

Der Schlüsselfaktor für die Erklärung der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und die Rolle des Finanzkapitals dabei ist die Expansion und Entwicklung der US-Ökonomie. Am Anfang der Periode war die USA schon hegemonial gegenüber den anderen imperialistischen Mächten, ob Sieger oder Besiegter. Diese Überlegenheit ergab sich daraus, dass die Vereinigten Staaten im Jahr 1945 das Weltkapital, seine Goldreserven und die Schlüsselsektoren des industriellen Outputs monopolisierten.

Am Ende des Krieges gab es in Washington eine politische Entscheidung zum Wiederaufbau der anderen imperialistischen Mächte durch Kredite und Beihilfen, ob für Alliierte oder für Achsenmächte. Die Absicht war die ökonomische Stabilisierung in diesen Ländern, die Vermeidung einer Wiederholung der revolutionären Umwälzungen der Periode von 1918-21 und die Öffnung der Märkte für US-Waren und Kapital. Zu dieser Zeit wurde diesen am besten gedient mit einer Stimulierung des Handels durch Abbau von Zollschranken und durch festgesetzte Wechselkurse.

Nicht überraschend setzte die USA ihren Willen in den Debatten über Dimension und Funktion von IWF, Weltbank, GATT, NATO und die Vereinten Nationen in den Jahren 1944-48 durch. Sie förderten auch die Bildung der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) in den 1950er Jahren und bis 1971 stützten sie die internationale Finanzarchitektur und dadurch auch die Ausdehnung des internationalen Handels.

In den folgenden Jahrzehnten installierten die USA eine Kette von Militärbasen auf der ganzen Welt, um ihre Interessen zu verteidigen, diktatorische halbkoloniale kapitalistische Regime abzusichern und stalinistisch geführte nationale Befreiungsbewegungen in Asien und Afrika zu bekämpfen. Parallel unterstützten sie implizit den Prozess der Entkolonialisierung in Afrika und Asien gegen die alten europäischen imperialistischen Mächte, um diese Kontinente für den Einfluss von US-Konzernen und US-Politik stärker zu öffnen.

Kurz, sie überwanden die Trennungen zwischen politischer, ökonomischer und militärischer Macht, die hinter dem Fehlen einer imperialistischen Führung in den zwei Jahrzehnten vor 1940 lagen. Dieses erlaubte den USA das zu erreichen, was wir heute als Voraussetzung für die kapitalistische Globalisierung sehen können: dass eine große Macht, die gemäß ihrer eigenen Partikularinteressen handelt, dabei tatsächlich die allgemeinen Interessen des globalen kapitalistischen Systems befördert und die Bedingungen garantiert, die für seine Reproduktion notwendig sind.

Natürlich machten sie dies in den zwei oder drei Jahrzehnten nach 1945 unter Bedingungen von steigendem Profit, Produktivität und Output bei allen imperialistischen Mächten, einer Periode geringer konjunktureller Einbrüche und expandierenden Handels, in der die innerimperialistischen Widersprüche unterdrückt waren, auch wenn Konflikte über die Dekolonisierung vereinzelt aufflammten.

All das zeigt, dass die USA selbst während der Zwischenkriegszeit und im Krieg eine innere Entwicklung durchgemacht hatten, die sie dazu drängte, den Isolationismus aufzugeben und eine neue globale Rolle anzunehmen. Doch war diese interne Entwicklung nicht schon am Ende des Krieges beendet. Im Gegenteil, mehrere Jahrzehnte fortgesetzter Binnen-Ausdehnung und weiterer Reifung lagen noch vor dem neuen imperialistischen Hegemon, bevor er beginnen würde, sich seiner eigenen Nemesis zu stellen.

Seit den 1960ern wurde diese absolute Hegemonie aus verschiedenen Richtungen herausgefordert. Die USA hatten dabei versagt, die Lücke zu füllen, die der französische Imperialismus in Südostasien hinterlassen hatte und erlitten schließlich eine massive militärische Niederlage im Jahr 1973 (Vietnam). Dies bedeutete auch eine politische Niederlage zu Hause unter der Wirkung einer großen Antikriegsbewegung. Im Gefolge erlitten die USA eine Reihe von Rückschlägen während des Rests des Jahrzehnts von Iran bis Mittelamerika. Ihre Schwächephase zwang sie schließlich zur Entspannung mit China.

In den 1960ern und 1970ern begannen die USA, ihre Wettbewerbsvorteile in einer Anzahl von Märkten gegenüber der EG und Japan zu verlieren. Der Produktivitäts- und Innovationsvorsprung ging zurück, Marktanteile wurden von den US-multinationalen Konzernen verloren. Europa verbesserte sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 54 % des US-Niveaus im Jahr 1954 auf 75 % in den 1980ern.

Die Krise der ersten Hälfte der 1970er war das unvermeidliche Ergebnis dieser Faktoren und die USA beendeten die 1970er nur als erster unter Gleichen, nicht als ihr Oberherr. Durch diese Bedingungen und die zwei ernsten internationalen Rezessionen zwischen 1970 und 1979 tauchten innerimperialistische Spannungen und Rivalitäten auf, speziell mit Europa über Handel und Außenpolitik.

In den frühen 1980ern, während die USA darum kämpfte, verlorenen Boden wieder gutzumachen, kam Japan als dynamische ökonomische Supermacht hinzu und die USA schlitterten erstmals seit 1945 in einen Handelskonflikt mit dem japanischen Imperialismus und in finanzielle Abhängigkeit von ihm.

Trotz dieser ökonomischen Herausforderungen und der militärischen Rückschläge gegenüber nationalen Befreiungsbewegungen, verloren die Vereinigten Staaten nie ihre relative ökonomische Führung, ihren reaktionären Griff auf die südamerikanischen Regime oder ihre überwältigende militärische Überlegenheit in der NATO.

Die US-Kapitalistenklasse hat die letzten 20 Jahre damit verbracht, verlorenen Boden zurückzugewinnen. Sie sponserte erfolgreich heimliche und offene reaktionäre Kriege in Zentralamerika. Durch verschärfte Aufrüstung brach sie das Rückgrat der UdSSR im Jahr 1989. Dies wiederum brach die Front des zögerlichen Widerstandes gegenüber der US-gesponserten neoliberalen ökonomischen Agenda: das Ende der Kapitalflusskontrollen und Handelsbarrieren, Privatisierung der staatlichen Unternehmen, Deregulierung von Arbeits- wie von Umweltschutz. Letztlich waren es die 90er Jahre, die die dramatischsten Veränderungen in praktisch allen Aspekten der US-Wirtschaft und ihrer internationalen Rolle brachten.

Trotzdem wurden viele der Grundlagen für diesen Wandel  in den 1980ern gelegt. Im Inland begann die Reagan-Administration eine erfolgreiche Offensive gegen die Arbeiterbewegung im Jahr 1981, die in eine historische Schwächung derselben mündete. Das ebente den Weg für zwei Jahrzehnte von fallenden Arbeitskosten, größerer Flexibilisierung der Arbeit und längeren Arbeitsstunden. Dies wiederum gab den US-amerikanischen multinationalen Konzernen die Möglichkeit, die Profite wieder in die Höhe zu treiben, zu investieren und tatsächlich einen größeren Fortschritt in der Binnen-Produktivität und in Produktinnovationen in den 1990er Jahren zu machen.

Dies schuf die Voraussetzungen für eine massive Expansion von Investitionen, Profiten und Marktanteilen in den 1990ern. Die multinationalen Konzerne der Vereinigten Staaten haben den Anteil an den insgesamt auf der Welt gehaltenen Auslandsanlagen der 100 weltgrößten multinationalen Konzerne um etwa 6 % seit 1990 gesteigert. Im Vergleich dazu ist der Anteil der EU-multinationalen Konzerne leidlich stabil geblieben (20).

Die Anzahl von US-Konzern-Dependancen stagnierte in den 1980ern unter den Bedingungen der Schuldenkrise in Lateinamerika und der nur langsamen Demontage von Kapitalkontrollen in den meisten Ländern der Nicht-OECD-Welt (21). Ihre Zahl wuchs nur um etwa 6 %. Jedoch schossen sie in den 1990ern wie Pilze aus dem Boden, als die Kapitalkontrollen wegfielen, Russland, China und Osteuropa sich öffneten und Lateinamerika sich erholte. Zwischen 1989 und 1998 wuchs die Zahl der US-Konzernfilialen um 38 %.

In der Periode von 1989-97 gab es bei den mehrheitlich von US-Konzernen gehaltenen Auslandsfirmen eine Wachstumsrate von durchschnittlich 7,2 % pro Jahr. Dies übertraf bei weitem die Wachstumsrate der US-Ökonomie und von US-basierten Werken der Mutterkonzerne (22). Am Ende des Jahres 2000 hatte die gesamte auswärtige Kapitalanlage unter US-Kontrolle einen Wert $ 7,2 Billionen erreicht.

Zur selben Zeit breiteten sich die US-Konzerne über die OECD-Grenzen hinaus aus. Im Jahr 1989 beheimateten die OECD-Länder 71 % aller US-Konzerntöchter; sie umfassten 83 % aller Verkäufe von US-Konzernen, 80 % ihres Kapitals und 70 % ihrer Beschäftigung.

Um 1998, während die OECD-Länder noch 67 % aller Konzerntöchter beheimateten, gab es eine Verdopplung der Filialen im den nicht-OECD-Ländern Asiens. Der Anteil der OECD-Länder an der Kapitalanlage der US-Konzerne fiel von 80 % im Jahr 1989 auf 68 % im Jahr 1998. Ein beachtliches Wachstum im US-Investment in Südostasien und China und eine kleine, aber bedeutende Präsenz in Osteuropa waren die Hauptmerkmale des Jahrzehnts (23).

Trotz dieser Ausweitung der US-Konzerne in neue Gebiete muss festgestellt werden, dass im Jahr 2000 die Mehrzahl der US-Anlagen und jährlichen Auslandsdirektinvestitionen seinen Weg immer noch nach Europa (55 %) fand (24). Deshalb muss ein Unterschied gemacht werden zwischen dem entscheidenden Gewicht von US-Investitionen in den Triadenländern und dem schnellen Ausbreiten der Investition rund um die Welt, was die globalen geopolitischen Interessen des US-Imperialismus ausweitete.

Während der 1990er Jahre änderte sich auch das Profil der US-amerikanischen multinationalen Konzerne beträchtlich. Im Jahr 1982 waren die US-Ölunternehmen für 11 % aller Konzerntöchter verantwortlich, für 36 % des Handels und 43 % des Anlagevermögens. Im Jahr 1998 waren die jeweils vergleichbaren Zahlen 6, 11 und 25 %. Das Jahrzehnt zeigte auch eine größere Diversifikation hin zu anderen Industriesektoren. Zum dynamischsten Sektor auf diesem Gebiet wurde das Finanz- und Versicherungswesen mit 350 %igem Kapitalwachstum und Verdopplung des Umsatzes (25), wenn diese Entwicklung von einer niedrigen Basis startete. Die Investitionen der US-Finanzkonzerne wuchsen um 13 % pro Jahr im Zeitraum von 1982 – 98, dreimal so schnell wie jene der verarbeitenden Industrie.

Im Gefolge dieser Neubelebung zogen die US-Konzerne gegenüber ihren europäischen und japanischen Rivalen davon. Die Produktivität in der US-Ökonomie verbesserte sich in den 1990ern um einen jährlichen Durchschnitt von 2 %. Obwohl immer noch unter der Periode von 1957-73, war dies eine substanzielle Verbesserung gegenüber den 1970ern (mit 1,3 %) und den 1980ern (mit 1,5 %). Außerdem unterschied sich dies vom Wachstum der EU in der ersten Hälfte der 1990er. Dort war das Produktivitätswachstum zu einem großen Teil ein Ausdruck zunehmender Arbeitslosigkeit (1 % pro Jahr Abnahme in absoluten Arbeitsstunden), während in den USA die 1990er-Produktivitätsgewinne in einem Jahrzehnt kamen, das eine jährliche Erhöhung der geleisteten Arbeitsstunden von 1,6 % brachte.

Der lange US-Aufschwung von 1991 – 2000 kontrastiert mit der andauernden Stagnation des japanischen Kapitalismus und dem gedämpften  Wachstum der EU in derselben Periode. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wuchs in den USA zwischen 1995-2001 um 2,3 % pro Jahr verglichen mit der EU mit 1,4 %. Im Jahr 2001 lag das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der EU nur bei 67 % des BIP/Kopf der USA – ein Resultat höherer Produktivität, größeren Arbeitsvolumens und höherer Beschäftigungsquote.

Nirgendwo ist die US-Überlegenheit seit dem Zweiten Weltkrieg so offensichtlich wie in der militärischen Sphäre. Die USA hat das Geld, das Personal  und die Hardware, um den Rest der Welt in die Tasche zu stecken. Sie hat nun auch die politische Entschlossenheit, dass die Staatssouveränität der anderen Nationen entbehrlich ist und ein Hindernis zur Durchsetzung ihrer eigenen nationalen imperialistischen Interessen darstellt. Sie hat es nicht nötig, sich der Zustimmung ihrer Hauptalliierten zu versichern (noch weniger der von Agenturen wie der UNO), um Attacken gegen diejenigen, die sie für die Feinde der USA halten, durchzuführen.

Die „Financial Times“ schrieb im Februar 2002:

„In militärischen Begriffen gibt es keinen ernsten Gegner, der die USA an der Durchsetzung ihrer nationalen Interessen hindern könnte. Sogar bevor Präsident Bush an die Macht kam, übertrafen die Militärausgaben der USA auch die ihrer engsten Verbündeten innerhalb der NATO beträchtlich. Mit mehr als 118.000 Armeeangehörigen in Europa, etwa 92.000 in Ostasien und dem Pazifik, hat die USA eine unvergleichlich globale Reichweite – ganz zu schweigen von dem 1,3 Millionen aktivem Dienstpersonal auf ihrem Heimatterritorium. Der Abstand zum Rest der Welt wird sich weiter vergrößern, da die Bush-Administration die größte Anhebung in den Rüstungsausgaben seit der Reagan-Ära plant. In ihrer Budgetplanung hat die Administration vor, die jährlichen Ausgaben des Pentagon während der nächsten 5 Jahre um $ 120 Milliarden aufzublasen, dabei allein im nächsten Jahr um $ 48 Milliarden auf $ 379 Milliarden. Das überschreitet zufolge der Zahlen vom Stockholmer Institut für internationale Friedensforschung die kombinierten Militärausgaben der 14 Nationen mit den nächstengrößten Verteidigungsausgaben – darunter Japan, Westeuropa, Russland und China (26).“

Seit dem 11. September haben die USA ihren militärischen Griff auf der Welt gefestigt. Heute haben sie eine militärische Präsenz in 100 der 180 Länder in der Welt, beginnend bei einigen duzend „Beratern“ bis hin zu von Waffen strotzenden Riesen-Stützpunkten. Sie haben Stützpunkte in Schlüsselstaaten in der ehemaligen UdSSR wie Usbekistan und Kirgisien errichtet. Sie haben Marinesoldaten in Georgien eingesetzt zum Kampf gegen Tschetschenen und Sondertruppen in den Philippinen, um muslimische Guerilleros zu jagen. Seit dem 11. September ist die Anzahl der US-„Berater“ und ihre Rolle bei den Operationen gegen die FARC in Kolumbien enorm gestiegen.

Im Rückblick ist es leicht zu sagen, dass die Nachrufe auf den USA-Imperialismus in den 1970er und 1980er voreilig waren. Der USA-Imperialismus war nicht „verrottet und reif“ wie verschiedene imperialistische Mächte es am Vorabend des Ersten oder Zweiten Weltkrieges waren. Doch das Gesetz der ungleichzeitigen und kombinierten Entwicklung gilt mit gleicher Klarheit auch für die Vereinigten Staaten. Die US-Hegemonie innerhalb des imperialistischen Lagers war niemals größer als unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als Alliierte ebenso wie die Feinde am Boden lagen. Doch ein Sechstel des Globus war seiner Reichweite entzogen, indem dort der Kapitalismus überwunden war und sich dieser Teil der Welt vom kapitalistischen Weltmarkt abgekoppelt hatte. Die USA war auch paradoxerweise als eine kapitalistische Macht in einer gewissen Rückschau noch relativ unterentwickelt. Sie war noch stark abhängig in Akkumulation, Profiten und Nachfrage von ihrem Binnenmarkt.

Heute hat sich das Bild gewandelt. Durch den Zusammenbruch der Finanz-Nachkriegsarchitektur, durch die Herausforderung durch den europäischen und japanischen Imperialismus und das Ende des Nachkriegsbooms, der es erlaubte Profite und Löhne gleichzeitig zu steigern, wurde den Vereinigten Staaten die globale Ausrichtung aufgezwungen wie nie zuvor – ökonomisch, diplomatisch und militärisch. Daher sind heute ihre Konzerne diversifizierter, größer, zahlenmäßig stärker, haben ein größeres Gewicht verglichen mit ihren Rivalen und werden durch eine größere und stärkere technologisch überlegen bewaffnete Streitmacht als jemals zuvor unterstützt. Die USA sind seit dem Ende des Kalten Krieges beschäftigt mit einer präventiven Offensive gegen ihre imperialistischen Rivalen und solche Länder, wie China und Russland, die es werden könnten.

Seit dem 11. September hat der US-Imperialismus seinen reaktionären Versuch vertieft und beschleunigt, jeden Widerstand gegen die Spielregeln seiner Kapitalgesellschaften und gegen seine außenpolitischen Zielsetzungen zu zerschlagen. Er hat den Krieg in Afghanistan angezettelt, er fing einen anderen gegen den Irak an, er ermutigte Israel, die palästinensische Intifada zu zerschmettern, fuhr fort mit seiner militärischen Unterstützung für Kolumbiens Krieg gegen die FARC, und war in die Verschwörung in Venezuela verwickelt, um Chavez zu stürzen.

Die Bush-Administration versucht mit allen Mitteln, die Vorsitzenden der Organisation zum Verbot von chemischen Waffen (OPCW) und der internationalen Kommission über die Klima-Änderungen zu stürzen. Ersterer, Jose Bustani, forderte, dass es der OPCW erlaubt sein müsse, US-Fabriken mit demselben Recht zu inspizieren, das die USA in Bezug auf den Irak und den Rest der Welt mit aller Selbstverständlichkeit fordern; letzterer soll einfach ersetzt werden, weil die US-Ölgesellschaften die Beseitigung dieser kritischen Stimme gefordert hatten.

In Joseph Conrads Roman „Nostromo“ aus dem Jahr 1904,  sagt der US-Geschäftsmann Holroyd über die heraufziehende Herrschaft eines jungen US-Imperialismus: „Natürlich werden wir eines Tages die Verantwortung übernehmen. Wir sind dazu gezwungen. Wir werden die Weltgeschäfte führen, ob es der Welt passt oder nicht.“ 100 Jahre später, ob es der Welt nun gefällt oder nicht, arbeitet die Bush-Administration daran, Holroyds Traum zu verwirklichen.

Die Bedrohungen der US-Hegemonie

Für die Bush-Administration kommt die einzige Bedrohung der Globalisierung von jenen Kräften, die sich weiterer Handels- und Investitionslockerung widersetzen. Dazu können zählen: antikapitalistische AktivistInnen, kritische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie Regierungen von Ländern der Dritten Welt, die gegenüber einer weiteren Marktöffnung ihrer Länder für multinationale Konzerne (MNKs) aus der Triade argwöhnisch bleiben.

Seit Seattle 1999 sind die halbkolonialen Herrscher unter enormem Druck gestanden, die Zugeständnisse zurückzunehmen, die sie den MNKs in den 1990ern gewährten, welche in der Privatisierung ihres Industrie- und Bankbesitzes sowie, in einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mündeten. Im November 2001 starteten die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Mäzene eine riesige Gegenoffensive mit einem Versuch, eine neue internationale Handelsrunde in Gang zu bringen.

Formal waren sie erfolgreich, obwohl der Haupterfolg für die WTO in Dohar darin bestand, dass das Ministertreffen selbst nicht in völligem Kollaps endete. Wie es die Financial Times ausdrückte: „Übereinkunft wurde kraft schwammiger Formelkompromisse erzielt, die oft nur divergierende nationale Interessen überdeckten. Folge ist eine Verhandlungstagesordnung voller Zweideutigkeiten (27).“

Die Aussichten für eine neue internationale Handelsrunde, die die Wachstumsrate internationalen Austauschs und Investments massiv beschleunigen wird, sind höchst zweifelhaft (28). Die Länder der Südhalbkugel haben einer neuen Handelsliberalisierung nur bedingt Unterstützung erteilt; sie beharren auf Zugang zu geschützten Märkten für ihre Agrarprodukte in Triadenländern und Beendigung der Subventionen für das reiche Agrokapital des Nordens, die sich auf täglich eine Mrd. US-Dollar belaufen (29).

Oxfam schätzt, dass die EU und die USA beide „zu Preisen exportieren, die mehr als ein Drittel niedriger als die Produktionskosten liegen. Diese subventionierten Ausfuhren aus reichen Ländern treiben die Ausfuhrpreise der Entwicklungsländer nach unten (30).“

Da 70% halbkolonialer Exporte aus Landwirtschaftserzeugnissen und Textilien bestehen, ist dieser Zugang innerhalb des akzeptierten neoliberalen Modells entscheidend für deren Entwicklung. Auch frühere Abkommen werden von der EU und den USA nicht eingehalten. So verpflichteten sich beide, das Multifaserabkommen auslaufen zu lassen, das die Einfuhren von Textilien und Kleidung aus der 3. Welt einschränkt. Nun haben sie ihre Märkte für weniger als ein Viertel der Produkte geöffnet, auf die sie sich geeinigt hatten (31). Allgemein unterliegen Güter aus südlichen Ländern durchschnittlich vierfach höheren OECD-Zöllen als jene, die innerhalb der OECD gehandelt werden.

Klar ist, dass weder EU- noch US-Regierungen wegen der mächtigen Firmenlobbies in ihren eigenen Ländern diesen Forderungen nachgeben mögen. Selbst Pakistan hat keinen besseren Zutritt für seine Textilien erhalten, obwohl es sich ein Bein ausriss, um Washington im Krieg gegen Afghanistan zu helfen.

Zusätzlich ist der Handelskonflikt zwischen EU und USA lange Zeit nicht so hitzig gewesen wie jetzt. Als Vorbote des gegenwärtigen Streits weigerten sich die USA, vor einem WTO-Schiedsurteil in die Knie zu gehen, dass ihre Regierung US-MNK-Ausfuhren durch Steuererleichterungen unrechtmäßig subventioniert hätte. Im März 2002 verhängte die Bush-Amtsführung Schutzzölle von ca. 30% gegen Stahlimporte. Dies war ein bedeutender wirtschaftlicher Nasenstüber für eine Reihe 3. Welt-Länder und indirekt die Europäische Union, die vor einer Umlenkung der billigen, von den USA verweigerten Importe steht.

Die EU hat Vergeltung geübt und Abgaben auf US-Exporte in die EU im Wert von 400 Mio. $ aufgetischt. Beide Seiten bestehen darauf, die WTO-Regeln seien auf ihrer Seite; tatsächlich droht der ernsteste zwischenimperialistische Handelszwist seit Gründung der WTO 1995, deren Kontrolle zu entgleiten und zu gesteigertem Protektionismus zu führen.

Politisch ist die US-Entscheidung ein noch größerer Schlag gegen liberale Globalisierungsmodelle. Sie hat die hohle Rhetorik der Verpflichtung der USA zum „Freihandel“ entlarvt, die in Wahrheit davon abhängt, dass ihre MNKs am besten aufgestellt sind, um von der Offenheit zu profitieren. Ist das nicht so, – wie klar im Fall der weltweit konkurrenzunfähigen Stahlindustrie der USA – greift sie auf Schutzzollpolitik zurück.

Das wurde von Bushs größten Verbündeten im Ausland offen verdammt und schwächt den Einfluss der USA und anderer „FreihändlerInnen“, dem Süden mehr Zugeständnisse an Handels- und Investitionsliberalisierungen abzupressen. Bush hat schon länderübergreifende Institutionen wie die WTO geschwächt, deren Schiedssprüche er ignoriert hat.

Wenn die WTO aufhört, ein Versöhnungsforum für innerimperialistische Handelsdispute zu sein und zur Bühne wird, wo diese Differenzen nur angezeigt werden, bevor es zur einseitigen Aktion geht, sind die Aussichten für Globalisierung tatsächlich düster.

Der aktuelle Stahlhandelskrieg ist Ausdruck massiver, weltweiter Überkapazitäten (in der Größenordnung von 100 Mio. Jahrestonnen laut OECD) in der Industrie und folglich verschärften Ringens um Profitabilität mitten in einer Rezession. Anhaltende Stagnation, sehr niedriges Wachstum oder erneute Rezession in den nächsten Jahren, werden andere Bereiche ebenso entblößen und zum selben Resultat führen. Falls Bush außerdem scheitert, die Zustimmung des Kongresses in diesem Jahr für seine „Express“-Handelsunterredungen zu bekommen, wird die protektionistische Lobby in Washington buchstäblich alle bi- und multilateralen Handelsabkommen, die die Verwaltung geschlossen hat, kassieren und zerfleddern.

Seit dem Asien-GAU 1997 und dem Debakel von Seattle 1999 hat die Handelsglobalisierung konstant weiterer Regionalisierung das Feld geräumt. Besonders bilaterale Pakte zwischen zwei Ländern diskriminieren im Endeffekt andere und bilden zusammen keine Blöcke für die Globalisierung, sondern Hemmnisse dafür.

Auch regionale Handelsabsprachen (RTAs) gedeihen. 200 sind jetzt in Kraft und sie verbreiteten sich schnell in den späten 1990ern: „Die EU und, jüngeren Datums, lateinamerikanische Länder sind aktive Exemplare für RTAs und diese Mode hat nun auch Asien erfasst. Sie ist von Japan und Singapur eingeführt worden, einst solide Verfechterinnen des Multilateralismus (32).“

Sogar die Freihandelszone der Amerikas, selbst ein regionaler Handelspakt, ist natürlich von der Argentinienkrise angeschlagen und die Bush-Administration hat sie zugunsten einer engeren Freihandelszone mit Zentralamerika so gut wie verworfen (33).

Es stehen auch nicht nur globale Handelsflüsse unter Beschuss. Nach der Asienkrise gingen ausländische Investitionsströme in diese Region zurück und 2001 dann weltweit. Mehrere wichtige halbkoloniale Länder wie Indien und China haben die Bremsen beim Öffnungsvorgang ihrer Kapitalmärkte für ausländische MNKs angezogen, während sie sich für den Handel öffneten.

Selbst viele westliche WirtschaftswissenschaftlerInnen finden es schwierig, die malaysische Regierung für die Einführung von Kapitalkontrollen infolge der Asienkrise 1997 zu kritisieren. Sie erkannten an, dass diese das Land vor den schlimmsten Auswirkungen von Kapitalflucht retteten, welche offenere Volkswirtschaften wie Indonesien und Südkorea in Schließungs- und Massenentlassungsorgien tauchten. Viele Banken und PfandbriefbesitzerInnen sind auch jetzt risikoscheu und neues internationales Leihkapital für den Großteil des Südens ist versiegt (34).

Nicht nur weiteres internationales Handels- und Anlagenwachstum ist bedroht. Ein zahlreicher werdender Stimmenchor ist zu vernehmen, der argumentiert, ohne Maßnahmen zur einschneidenden Lockerung der Beweglichkeit von Arbeitskräften im laufenden Jahrzehnt würde das Wachstum schwer beeinträchtigt. Zwischen 1871 und 1915 verließen mehr als 36 Mio. Menschen Europa, die Mehrheit für die Neue Welt (35). Heute sind die Beschränkungen für internationale Wanderungsbewegungen drakonisch und schärfer werdend, wo doch zur Zeit auf den stagnierenden Arbeitsmärkten des Nordens Engpässe auftreten.

Ungeachtet, dass es ein Schlaglicht auf die pure Heuchelei der Ermutigung von freier Kapitalbeweglichkeit wirft, wenn die freie Beweglichkeit der Arbeitskraft auf der Suche nach höheren Löhnen und sichereren Arbeitsverhältnissen im Norden eingeschränkt wird, enthüllen solche Kontrollen einen wirklichen Widerspruch fürs imperialistische Kapital. Einerseits führen sie zu Qualifikationsverknappungen im Norden, andererseits sind sie notwendig, um das Überangebot an billiger Arbeitskraft, das grundlegend für profitable Anlage in der 3. Welt ist, beizubehalten (36).

Der Triumph des Finanzkapitals

Der Lauf der Wirtschaftsentwicklung während der letzten zwei Jahrzehnte hat das Gewicht des Finanzkapitals im Gesamtleben des Kapitalismus ungeheuer vergrößert. Wie wir schon gesehen haben, war Ende des 19. Jahrhunderts ein spezifisches „Finanzkapital“ als Ergebnis zunehmenden Zusammenrückens zwischen dem, was verhältnismäßig eigenständige Arten von Industrie- und Bankkapital gewesen waren, entstanden.

Während der letzten 100 Jahre hat der Stellenwert dieses Finanzkapitals immens zugenommen – obwohl nicht notwendigerweise in derselben institutionellen Form, in der es vor 100 Jahren existierte (v.a. in Deutschland) – aber in dem Sinne, dass nun finanzielle Operationen andere Geschäfte wie produzierend gewerbliche beherrschen.

Kurz, die spezielle Geschäftspalette wird im Vergleich zum Vorgang des Geldscheffelns immer zweitrangiger. Anders ausgedrückt: mit Heranreifen des Kapitalismus versucht der Tauschwert (Geld im Streben, sich zu vermehren), sich zunehmend von den Schranken zu befreien, in irgendeiner konkreten Kapitalform (Gebrauchswert) eine Zeitspanne gefangen zu sein. Als Beweis braucht man nicht weiter zu blicken, als zur Aufgewertung der Rolle der für Finanzen zuständigen Vorständsmitglieder innerhalb eines modernen Multis in den letzten 30 Jahren.

Während der Jahrzehnte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Vorrang der Finanzkapitals aus politischen Gründen untergeordnet. Der Nachkriegsaufschwung beruhte auf Neuanlagen und Ausweitung des Warenhandels innerhalb der Triade. In den letzten 30 Jahren aber  hat der Kapitalismus diese Grenzen zunehmend beiseite gerückt, und demzufolge ist die Erscheinungsform des Kapitals seinem Konzept immer näher gekommen.

Wie wir sahen, wurde das Kapital hauptsächlich in Europa und Japan in den frühen 70er Jahren von seiner Aufgabe als reine Dienstmagd einer kontrollierten Handelsexpansion und neuer fixer Investitionen „befreit“. Das Ende des Nachkriegswirtschaftswunders enthüllte, dass größere Bereiche multinationalen Kapitals vor wirklichen Problemen standen, profitable Akkumulation innerhalb existierender geographischer und sektoraler Grenzen aufrecht zu erhalten.

Kapital rebelliert nicht nur gegen nationale Schranken, sondern auch dagegen, auf nur ein oder zwei Daseinsweisen (z.B. „industrielles“, „kommerzielles“) zurechtgestutzt zu werden, die seiner Funktion strikte Scheidelinien auferlegen (37).

In den 1970ern und 1980ern fingen alle geographischen Grenzen zu fallen an und gleichzeitig die spezifischen Formen, in denen Kapital existieren konnte, zu verschwimmen. In einigen Fällen wurden die normalerweise mit einer Kapitalform in Verbindung gebrachten Funktionen (z.B. Bankwesen) von anderen (z.B. Industrie) aufgegriffen; in anderen begann eine Existenzweise von Kapital (z.B. Kredit), sich in eine Myriade neuer Formen zu vervielfältigen (z.B. Derivate, Risikoanleihen und Bonds).

Diese Vernichtung von Kontrollen und Restriktionen der Entwicklung neuer Kapitalformen erhielt teils ihren Anstoß aus der Not der MNKs heraus, neue Felder profitabler Ausbeutung zu finden. Ein weiterer Faktor lag am Druck, Investitionen als Versicherung gegen das sehr veränderte Geschäftsklima seit den 1970ern zu streuen. Bei traditionellen industriellen Investitionen waren die Gewinnmargen niedrig (und wiederkehrender heftiger Schwankung im Konjunkturzyklus unterworfen) und darüber hinaus für Jahrzehnte in diese Formen gegossen, während denen diese Anlagen sich amortisierten. Es machte für Großkonzerne Sinn, nach Anlageformen Ausschau zu halten, die größere Rendite abwerfen und schneller umschlagen konnten.

Das Ende der Devisen- und Kapitalkontrollen mag zusätzlich neue Möglichkeiten kreiert haben, brachte aber auch neue Risiken mit sich: was, wenn unerwartete Devisenkursänderungen plötzlich den Wert einer Investition ausradierten? Deshalb tauchten neue Arten an Kapital und Anlagen auf, – wie Hedgefonds – deren Bedeutung darin lag, sich zu verbreiten und deshalb Risiken zu minimieren.

Die andere größere finanzielle Entwicklung der Ära nach Brettln Woods war die Schuldenexplosion und folglich der Schuldtitelhandel („Securitisation“). Ohne Auflagen vermochten die Banken, Geld großzügig an souveräne Regierungen wie auch Firmen und VerbraucherInnen zu verleihen. Zögerlichen Kreditnehmern zwangen die Banken oft geliehenes Geld auf, womit infolge politischen Drucks von der Weltbank Bedingungen an die Kredite dieser „Entwicklungsfinanzierung“ geknüpft wurden.

1995 beliefen sich die privaten Schulden (Haushalte und Firmen) weltweit auf 31 Billionen $ und stiegen jährlich um 9%. Zunehmend beruhen die Profite des Finanzkapitals auf der Bildung fiktiven Kapitals (Schulden und Neuschulden); ein erwarteter zukünftiger Geldfluss wird in gegenwärtige Zahlungsfähigkeit verwandelt.

Alles in allem verschob die „finanzielle Revolution“ nach den 1970ern die Balance zwischen Auslandsdirektinvestitionen (FDI) und Handel einerseits und Finanzierungsinstrumenten andererseits zugunsten letzterer. Zwischen 1980 und 1990 nahmen die grenzüberschreitenden Transaktionen in Dividendenpapieren um jährlich 28% zu; zwischen 1993 und 2000 um mehr als 40% pro Jahr. Internationale Bankkredite erhöhten sich von 324 Mrd. $ 1980 auf 7,5 Bio. 10 Jahre später. Der internationale Anleihemarkt durchlebte in derselben Dekade eine Geschäftsausweitung um 537%.

Diese Zuwachsraten übertrafen die von Warenhandel und FDJ seit 1980 bei weitem (38). Zwischen 1982 und 1988 belief sich die Jahreszunahme des weltweiten Finanzvermögensstocks auf 3,8 Bio. $ verglichen mit 2,3 Bio. $ an Fixkapitalneubildung (39).

1971, am Ende der Ära stabiler Wechselkurse „verkörperten über 90% der Austauschtransaktionen auf der Welt eine Beziehung zur Finanzierung von Handel oder zukünftiger Investitionen, während weniger als 10% spekulativer Natur war. Heute sind die Zahlen umgedreht: über 90% aller Transaktionen sind spekulativ (40).”

Die Oberhand der Finanzen bedeutet, dass Gewinne nicht generell in neue Anlagen und Ausrüstungen zurückfließen. Stattdessen gehen sie entweder in kurzfristige Finanzmittel ein, die wenig mehr als eine Wette auf zukünftiges Geldeinkommen darstellen, oder in Aufkäufe und Fusionen. Obwohl diese im Grunde nur einen Eigentümerwechsel verkörpern, verheißen sie sofortige Erträge in Form gestiegener Börsenkurse und Anteilseignerdividenden, ganz zu schweigen von den Segnungen für DirektorInnen, die „Aktienoptionen“ halten. Die Diversifizierung des Finanzkapitals, um geringere Profitraten und die Unbilden des Konjunkturzyklus zu kompensieren, war eine gewichtige neue qualitative Entwicklung in der imperialistischen Epoche.

An der Spitze der Spekulationspyramide stehen Derivate wie die „Futters“, d.h. Abkommen, andere Finanzinstrumente zu einem vereinbarten Preis an einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt zu kaufen (Pfandbriefe oder Aktien). Enorm, die größte Firma, die jemals in den USA pleite gehen sollte, – und vermeintlich ihre siebtgrößte – war im Grunde ein Laden, der mit Derivaten auf die Bewegung von Energiepreisen Handel trieb. 2001 wurde geschätzt, dass der Gesamtwert aller Derivate im regulierten Handel ungefähr 20 Bio. $ betrug; aber der wilde „Ober he counter“-Markt (OTCs) wurde auf eine Größenordnung von 100 Bio. $ geschätzt und existierte vor 20 Jahren noch gar nicht!

Die Auswirkungen für die Ökonomie können an der Tatsache ersehen werden, dass nur ca. 5% des Kaufpreises von den ErwerberInnen sofort bezahlt und der Rest von den Banken geborgt wird. Die Stoßkraft einer Kette von Zahlungsverzug und Zusammenbrüchen auf die Realwirtschaft ist leicht vorzustellen.

Von all dem war in den Dekaden vor dem 1. Weltkrieg nichts in Sicht (41). Das Resultat ist die Konsolidierung der Herrschaft des Finanzkapitals gewesen. Während aber zu Lenins Zeit Bankhäuser die Szene beherrscht hatten, sind es heute Finanzkonglomerate. Dabei handelt es sich nicht einfach um die alten Banken unter neuem Markenzeichen, sondern einen richtigen Wandel in der Struktur des Finanzkapitals über die letzten 10 bis 20 Jahre hinweg.

Alle eingewurzelten Schranken im Bank- und Versicherungswesen sind verschwunden, und wieder einmal hat dieser Vorgang am meisten den Vereinten Staaten genutzt. 1992 betrieben europäische Banken eine breitere Aktivitätenpalette als ihre US-Gegenstücke, die durch den Glass-Steagall PT geknebelt wurden, zwischen Investmentbanking, Geschäftsbank oder Versicherung zu wählen. Clinton annullierte dieses Gesetz.

Das Ergebnis sollte während der 1990er das Antlitz des Finanzkapitals umgestalten. 1990 waren die acht ersten Finanzfirmen weltweit japanische Banken, angeführt von der japanischen Industriebank mit einem Vermögen von 57 Mrd. $ (42). 2001 hatten sich sieben der ersten acht ihren Sitz in den USA, angeführt von der Citigroup mit Bilanzwerten von 260 Mrd. $. Die Kauf- und Fusionswelle in den 1990ern half dies herbeizuführen und etablierte die führenden Firmen erstmals als wirklich weltweite Operateure. Bis zu den 1980ern waren besonders US-Firmen davon abgehalten, ihre Geschäfte im Ausland durch Übernahmen auszuweiten.

Natürlich verleiht diese Konzentration an Riesenvermögen in Verbindung mit Branchendiversifizierung und geographischer Verbreitung den gigantischen finanzkapitalistischen Firmen beträchtliche Reserven, mit denen sie solchen Schlägen wie dem Kollaps von Enorm standhalten können – der J. P. Morgen Chaise nicht das Rückgrat brach, trotz des Ausmaßes der dabei erzielten Verluste. Nichtsdestotrotz besteht wirklich die Möglichkeit angesichts der unablässigen Zunahme an Derivaten vom Enron-Typ – bis zu hunderten Billionen Dollar in den nächsten Jahrzehnten -,  dass diese Schuldenkette selbst die größten Finanzkonglomerate erdrosseln könnte.

Neues Akkumulationsmodell?

Das kombinierte Ergebnis des Entkoppeln der Finanzsphäre von ihrer Verankerung in der Produktion, die neoliberale Außerkraftsetzung der Kontrollen von Kapital und Handel und die Angriffe auf Löhne und Sozialleistungen sind erfolgt, um ein neues Modell von Kapitalakkumulation zu schaffen. Es ist einerseits gekennzeichnet durch verschärfte Ausbeutung und Kapitalüberakkumulation, andererseits durch Schulden, Deflation, Parasitismus und zunehmende Instabilität.

Auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Krieg, 1965, stand die Profitrate für nichtfinanzielle Korporationen in den G7-Ländern bei 22,5%. Danach verfiel sie ständig mit ernsterem Trudeln in den globalen Rezessionen der 1970er Jahre; sie erreichte ihren Tiefpunkt bei 14,3% 1982 in der Talsohle einer internationalen Rezession (43).

Die erste international koordinierte Reaktion auf die Rezession 1973-75 war, die Endnachfrage durch eine Geldspritze und mehr Regierungskredite zu stimulieren. Dies war das akzeptierte keynesianische Heilmittel gegen eine Rezession. Diese Auffassung wurde auf einem G 7-Gipfel 1978 in Bonn bekräftigt, der übereinkam, die Last für eine anhaltende Erholung von der Rezession auf Deutschland zu verlagern. Gleichzeitig suchten neoliberale Fraktionen durch Politikbeeinflussung eine alternative volkswirtschaftliche Antwort durchzusetzen, aber die Gewerkschaften waren stark und verhinderten die meisten nennenswerten Versuche, angesichts der Aufeinanderfolge von Wirtschaftskrisen nach 1973 die Arbeitsgeschwindigkeit zu beschleunigen, Löhne zu senken oder Sozialausgaben zu kürzen.

Wieder waren es die USA, die auf dem Weg zu einem imperialistischen Politikwechsel voranging, als sie den etablierten Konsens brach. Auslöser war die Inflationsbeschleunigung in der zweiten Hälfte der 1970er, Ergebnis sinkender Produktivität unter Bedingungen, wo die ArbeiterInnen erfolgreich ihre Reallöhne verteidigten und UnternehmerInnen steigende Kosten im Preis ihrer Halb- oder Verbraucherprodukte weiterreichten.

Angesichts zunehmender Oberhand der „Finanzoligarchie“ wurde die Inflation als Feind Nummer eins betrachtet. Steigende Inflation unterhöhlte den Wert der von Banken (und souveränen Verleihinstitutionen an die 3. Welt) gehaltenen Schuldentitel. Die Politik von IWF und Weltbank drehte sich, um sich diesem Standpunkt anzupassen, und sie stellten den Werterhalt des Leihkapitals über den des Industriekapitals (Fabriken, Arbeitsplätze usw.).

Am 6. Oktober 1979 drehte der US-Notenbankpräsident Paul Volker den Geldhahn zu und erhöhte die Zinssätze auf fast 20%. Andere G 7-Zentralbanken folgten auf dem Fuß. Die unmittelbare Auswirkung für die Industriekapitäne war ein gewaltiger Kostenanstieg des Schuldendienstes, der ohnehin schon schwierig genug war wegen der sinkenden Profite. Eine massive Talfahrt sowie eine große Bankrottwelle erfolgten in den Jahren 1980-82. Die 3. Welt-Schuldenkrise brach auch aus; Mexiko führte das Paket in die Zahlungseinstellung.

In den meisten Ländern resultierte Massenarbeitslosigkeit und damit eine Grundlage für einen Frontalangriff auf die Gewerkschaftsorganisationen in der industrialisierten Welt. Ein 10 Jahre währender Ablauf von Produktionsumstellungen folgte, der zu Flexibilisierung, Verlust von Gewerkschaftseinfluss und Lohnsenkungen führte. Parallel dazu gestattete ein Anschlag auf das soziale Netz gewaltige Gewinnsteuerersparnisse (44). Diese Umstrukturierung erfolgte vor dem Hintergrund einer sich herausbildenden neuen internationalen Arbeitsteilung, als die MNKs begannen, ihre gesamte Produktion oder Teile davon in die 3. Welt zu verlagern, um Vorteile aus niedrigeren Löhnen zu erzielen.

Zunehmende Globalisierung brachte auch mehr Konkurrenz für die halbkolonialen Märkte, was mit der Zeit sich in der Preissenkung für Rohstoffe und Energie niederschlug und somit in einer Produktionskostensenkung für die die MNKs, die Profitmargen der gigantischen multinationalen Groß- und Einzelhandelshäuser in der OECD steigerte (45).

China steht im Mittelpunkt dieses Deflationsprozesses. Gewaltige Kapitaleinströme seitens der großen MNKs haben im Verbund mit der Welt billigster Arbeitskraft Konkurrenz, verallgemeinertes Überangebot und fallende Preise angespornt. Es exportiert diese Deflation in den Rest der Welt, weil seine stets billigeren Ausfuhren den Erdball überfluten (46).

Eine verallgemeinerte, Jahrzehnte währende Abwärtspreisspirale (Deflation) ist aus verschärfter Konkurrenz, teilweiser Erholung der Produktivität, einem Absturz von Warenpreisen und an oder unter der Inflationsgrenze gehaltenen Lohnerhöhungen entsprungen (47). Zusammengenommen signalisierten diese Entwicklungen ein Ende des „fordistischen“ Regimes der Nachkriegsakkumulation, das in den G 7 auf dem „gleichzeitigen Wachstum von Produktion, Arbeitsproduktivität und Lebensstandard der Arbeiterklasse“ beruhte (48).

Nichts davon wurde ohne heftige Klassenschlachten durchgesetzt, aber im Allgemeinen waren die Ergebnisse dank der reformistischen Führung der Arbeiterbewegung überall die gleichen: gewaltige Niederlagen für die Arbeiterklasse.

Der Angriff auf die Löhne zum Zweck gesteigerter Ausbeutung sanierte die Profitraten. Vom Fußpunkt 1982 aus erholte sich die Profitrate. Am Ende der Erholungsphase stand sie bei 18,1%, leicht unterhalb dessen, wo sie sich am Vorabend der ersten internationalen Rezession 1973 befand (49). Während des langen zyklischen Wirtschaftsaufschwungs der 1990er stieg die Profitrate besonders in den USA weiter. Dort sprang die Profitmasse zwischen 1989 und 1997 um 82% und die Rate des Profits wuchs im gleichen Zeitraum um 28%, zurück auf das Niveau der späten 1960er und bis 15% unter die Nachkriegsrekordhöhe (50).

Der Erfolg war jedoch extrem einseitig, weil die Verbesserung der Ausbeutungsrate von einem Problem in der Realisierung dieser Profite begleitet war. Die Reallöhne der Arbeiterklasse stagnierten in vielen OECD-Ländern oder waren sogar gesunken, besonders in den USA. Die BIP-Sparquote war natürlich auch gesunken wegen des Zwangs, den laufenden Verbrauch inmitten stagnierender Reallöhne zu halten.

Das Absatzproblem hielt für den Kapitalismus eine handfeste „Lösung“ parat, jedoch in Form einer beträchtlichen Schuldenausweitung. Das Angebot leicht zugänglichen Kredits ist seit der Deregulierung der Finanzmärkte in den 1970ern unerbittlich angeschwollen. Die steigende Nachfrage ist eingesetzt als Folge dessen, dass Haushalte in einer Periode langsamer oder ausbleibender Lohnsteigerungen ihren Konsum aufrecht zu erhalten suchen und Firmen zu pumpen strebten, um zu investieren oder Aufkäufe zu finanzieren.

Zwischen 1945 und 1960 blieben die ausstehenden Schulden als Anteil am BIP gleichmäßig flach. Nach 1980 stiegen die Privatschulden viel schneller. „2000 betrug die ausstehende Privatschuld das Zweieinhalbfache des BIP (51).“ Und der Finanzsektor ist verantwortlich für eine zunehmende Proportion an den Schulden; seine Verbindlichkeiten machen 90% des BIP und 35% aller Nichtregierungsschulden aus.

In den 1990ern stiegen die gesamten Privatschulden in den USA um jährlich 6% und erreichten 2001 ein Rekordniveau. Im Vereinigten Königreich (UK) stiegen die Haushaltsschulden im gleichen Jahr auf das Rekordhoch von 118% des persönlich verfügbaren Einkommens (52).

Das Gleiche trifft auf Firmen in Europa und den USA zu; ihre Außenstände anteilig zu ihren Profiten oder zum BIP erreichten im 1990er-Boom Rekordhöhe.

Der Akkumulationsprozess verfiel besonders nach 1980 dem Schuldenmacher und ist abhängig davon (53). Jedoch untergräbt die Schuld die Akkumulation. Schulden in dieser Höhe können nicht endlos erhalten bleiben. Der Schuldendienst amerikanischer Haushalte belief sich 2002 auf 14% ihrer Einkünfte – eine größere Ziffer als am Vorabend der Rezession 1990-91. Was Firmen angeht, bestätigte The Economist, dass „Zinszahlungen von Firmen verschlucken einen Rekordanteil an ihren Profiten, doch sie borgten weiter das ganze Jahr hindurch (54).“

Die Fähigkeit zur Unterhaltung der Akkumulation unter der Bürde dieser Schulden hängt von erwarteten und tatsächlichen Profiten in den nächsten Jahren ab. Die große Schuldenzunahme in den 1990ern wurde hauptsächlich von Privathaushalten und Firmen im Glauben geschultert, dass die dicken Profite und Börsengewinne der zweiten Hälfte des Jahrzehnts (deutlich über 10% jährlich) unbegrenzt andauerten. Dies wie auch eine bemerkenswerte Zunahme an Löhnen und Gehältern sowie anderen Formen von Haushaltseinkommen ist extrem unwahrscheinlich.

Es ist nicht notwendig, sich vorzustellen, was passiert, wenn die Weltwirtschaft durch Schuldenanhäufung zu Boden gedrückt wird. Der japanische Kapitalismus durchlebt den Alptraum und steckt in seiner vierten Rezession binnen neun Jahren. Japans Banken verliehen an Firmen und Haushalte in den 1980ern Unsummen Gelder als Resultat der Liberalisierung der Finanzen.

Dies führte zu einem riesigen spekulativen Investitionsprogramm. Immobilien- und Grundstückspreise kletterten, ebenso die Börsenwerte. Als 1989 die Rezession ausbrach, brachen die Vermögenswerte ein, ebenso der Aktienmarkt (55). Ein größtenteils nicht rückzahlbarer Schuldenberg war aufgedeckt. Die Banken waren kräftig entblößt und vieles aus ihren Leihkapitalportfolios entpuppte sich als faul und unwiederbringlich. Schätzungen über das Ausmaß der nicht eintreibbaren Leihsummen an taumelnde oder gescheiterte Unternehmen beliefen sich auf zwischen 37-170 Bio. Yen im Jahr 2000. Die Banken waren aber unwillig, ihr „Vermögen“ abzuschreiben und bankrotte Firmen in den Konkurs zu treiben.

Eine Reihe von Regierungen hat jeweils die Banken mit öffentlichen Geldern in Anbetracht eines ausbleibenden von Neuanlagen getragenen Aufschwungs gestützt, Wachstum durch Steuer- und Zinssatzsenkungen sowie öffentliche Beschäftigungsprogramme zu unterhalten versucht. Alles was das bewirkt hat, war eine Injektion vorübergehenden Wachstums, während es die Staatsschuld in die Stratosphäre hochtrieb (130% des BIP) und eine Deflationsspirale schuf, weil niedrige Inflation sich in regelrecht fallende Preise während der letzten drei Jahre verwandelte.

Im Gegenzug lässt die Deflation die Konsumenten Ausgaben in der Hoffnung auf weitere Preissenkungen verschieben und das Verhältnis Schulden/BIP steigt weiter, weil das nominelle BIP parallel mit den Preisen sinkt. Deflation verteuert auch die Bedienung der Schuldenlast; somit scheuen Unternehmen, Profite für Investitionen zu verwenden, statt die „Bilanzen zu sanieren“, d.h. einiges an Schulden abzutragen.

Die Produktion auf erweiterter Stufenleiter kann in Japan ohne deutliche Umstrukturierung von Kapital, die tausende mehr Geschäfte – darunter große – schließen würde, indem die Geldhäuser erloschene Unternehmen als verfallen aus dem Verkehr ziehen, nicht wieder entfacht werden. Sie würde auch in einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit münden, die sich jedoch bereits auf einem Nachkriegshoch von 5,6% befindet. Das könnte die Profitraten wiederherstellen, die kollabiert sind, und die Kapitalanlage stimulieren. Aber solange die Regierungspartei LP und die Staatsbürokratie auf weiteren Runden öffentlicher Geldausgabe und Schuldenheckens bestehen, um ihre politischen UnterstützerInnen in verschiedenen Branchen zu „bedienen“, schaut dieser Handlungsverlauf unwahrscheinlich aus (56).

Falls und wenn eine Krise ausbricht und Firmen und Output einschneidend einbrechen, kann dies nicht umhin, internationalen Handels- und Investmentmustern seinen Stempel aufzudrücken. Japans Handelsüberschuss mit dem Rest der Welt schrumpfte 2001 um 40% hauptsächlich dank der US-Rezession. Nichtsdestotrotz bleibt Japan die zweitgrößte Volkswirtschaft weltweit und eine riesige Investorin und Handelspartnerin besonders in Asien. Ein Zusammenbruch würde anderswo in der Region eine rezessive Flutwelle auslösen sowie ein Zusammenschnüren des Welthandels und der Auslandsanlagen (57).

Seit 1982 sind alle größeren Wirtschaftskrisen des Kapitalismus durch Anhäufung von Schulden ausgelöst worden. In Mexiko konnte die Regierung in diesem Jahr den Auslandsschuldendienst nicht begleichen, als die Zinssätze in den Himmel hochgeschraubt wurden. 1989 begann Japans Konjunkturkrise, als ein Anstieg des Zinsfußes Firmenschulden unbesiegbar machte. In den 1990ern haben wir Mexiko (1994), Südostasien (1997) und Argentinien (2001) in die Knie gehen sehen, als die Schuldenhöhen sich als untragbar dank einer Rezession oder überbewerteten Währung entpuppten.

Die Schulden sind das über der Globalisierung schwebende Damoklesschwert. Wenn es herabsaust, könnte es die Sehnen des internationalen Handels und Investments für lange Zeit durchtrennen.

Das Untergraben der US-Vorherrschaft

Die Vereinigten Staaten sind ein politischer und militärischer Koloss, der auf der Welt herumreitet. Wirtschaftlich untermauern sie sowohl den Globalisierungsprozess, wie sie seine Hauptnutznießerinnen sind. Folglich sind sie durch dessen Widersprüche auch verwundbar.

Die US-Akkumulation in den 1990ern beruhte zentral auf einer Ausweitung von Schulden und Börsenerträgen, damit die VerbraucherInnen fortfahren konnten zu kaufen, obwohl selbst die Löhne stagnierten. Eine Menge des Geldes, das den Börsenboom anheizte, kam aus dem Ausland, nach 1997 zunehmend, weil AuslandsinvestorInnen vor dem Niederschlag des asiatischen Absturzes einen sicheren Zufluchtsort suchten.

Als der Welt einzige Supermacht spiegelte ihre starke Währung selbst nach dem Börsenkrach 2000 das Vertrauen wider, das die AnlegerInnen weltweit auf ihre Spannkraft hegten. Aber die ökonomische Struktur des US-Kapitalismus rechtfertigt solch blinden Glauben nicht. 2001 sackten die Unternehmensgewinne auf das Niveau der 1930er Jahre und die industrielle Kapazitätsauslastung liegt, obwohl verbessert, noch bei 75%. Das bezeugt die massive Überakkumulation von Kapital des Spätimperialismus.

Trotz eines in der Nachkriegszeit beispiellosen Niedergangs über drei aufeinander folgende Jahre (2000-2003) sind die Börsenmärkte in den USA immer noch überbewertet, weil sie zukünftige Gewinnerwartungen in Betracht ziehen; nach einem Jahr milder Rezession (2001) stieg die Schuldenmasse noch. Das Handelsbilanzdefizit ist riesig (5% des BIP), nimmt rapide zu und ist untragbar. Mittlerweile übertrifft der Auslandsbesitz in den USA das US-Vermögen im Ausland.

All das belastet den Dollar kräftig. Sein Außenwert gegen den Euro fiel im Jahr bis Februar 2003 um 20%. Doch der US-Kapitalismus ist entscheidend auf stetigen Zufluss fremder Fonds für seine anhaltende Blüte angewiesen. Gerade so wie die 14% der Weltbevölkerung, die in den USA leben, 40% des Weltenergieaufkommens verschlingen, saugen ihre Geschäfte der Welt Kapital auf, um ihr Wachstum und den Lebensstandard der Mittelklasse und besser gestellten Arbeiterschaft zu erhalten.

Sobald die globalen Pensionsfonds- und VermögensfondsinhaberInnen einen beständigen Dollarverfall vermuten, wird das Einfließen von Fonds versiegen. An diesem Punkt werden die Börsenbewertungen weiter zurückgehen, Kreditlinien aufgekündigt, wird der Schuldendienst verteuert und ein weiterer Spareffekt für die „Real“wirtschaft unvermeidlich. Der Motor der Weltwirtschaft würde abgewürgt oder schlimmer und die USA hörten auf, für viele andere Länder der „Markt der letzten Zuflucht“ zu sein. Eine lang hingezogene Konjunkturdelle oder Stagnation in den USA machte auch das US-Modell von Kapitalismus, nämlich Liberalisierung, Flexibilisierung und Schaffung von Niedriglohnarbeitsplätzen für die EU und Japan viel weniger attraktiv.

Anhaltende ökonomische Schwierigkeiten würde auf das Budget des Bundeshaushalts großen Druck ausüben einschließlich des Vermögens, sich in stets zunehmendem Maß der Aufrüstung kontinuierlich zu widmen, Truppen aufmarschieren zu lassen und neue Militärstützpunkte anzulegen. Einige Schätzungen für die Kosten des Kriegseinsatzes im Irak belaufen sich auf 1,9 Bio. $. Auslandsanleihen zwecks Fortführung dessen würden die Bereitwilligkeit der Finanzmärkte testen, immer mehr US-Schuldscheine zu halten. In jedem Fall würden sie die Einflussmöglichkeiten der Gläubigerländer auf die USA vergrößern. Weitere imperiale, militärische Expansion erforderte mindestens eine Rückkehr zu höheren Zinsraten, um die Nachfrage nach US-Staatsobligationen anzuziehen, was die peinliche Lage der von Schulden beladenen Firmen und Haushalte nur verschlimmern könnte. In diesem Szenario würden imperiale Bestrebungen und einheimische Zwänge gegeneinander arbeiten.

Politisch provozieren der anmaßende Charakter der US-Vorherrschaft, ihr heuchlerisches Gerede, ihre einschüchternde und befangene Diplomatie sowie ihre einseitigen Unterdrückungsakte Widerspruch aus allen Ecken – einschließlich anderer imperialistischer Mächte, deren eigene Regionalinteressen durch US-Aktionen bedroht werden.

Aber die Hauptopposition stammt von den Millionen Armer und Ausgebeuteter, die unter der von US-Konzernen angeführten Globalisierung leiden und den Hunderttausenden in der antikapitalistischen Bewegung Nordamerikas und Europas, die den Washington-Konsens abgelehnt haben und dafür kämpfen, die Herrschaft der MNKs über ihr Leben und das der BewohnerInnen des Südens zu beenden.

Kurzfristig werden wahrscheinlich die ersten Opfer dieses Widerstands die AgentInnen des US-Imperialismus in Lateinamerika, Nahost uns Asien werden – die verhassten Regenten der Golfmonarchien, jene in Argentinien, die das Regime des IWF in einem zerstörten Land wieder zu errichten suchen, Regierungen in Staaten der Ex-UdSSR, Indonesien oder den Philippinen, die US-Truppen und Stützpunkte hereinbitten.

Wenn diese regionalen oder lokalen KlientInnen des US-Imperialismus gestürzt oder entscheidend geschwächt wären, würde das Streben des Bush-Stabs, seine Hegemonie durch sie aufrechtzuerhalten, einen Rückschlag erleiden wie zwischen 1973 und 1979 in Südostasien, Zentralamerika, in der Karibik und im Iran.

Dann hörte die Fähigkeit der USA auf, für die jüngste Phase der imperialistischen Ausdehnung zu haften. Wenn die USA aus Schlüsselregionen ausgesperrt und Kapitalflüsse gründlich unterbrochen werden, würden Schutzzollautarkie und Regionalbündnisse an WTO und IWF vorbei zur Norm. Der Imperialismus träte in seine Todeskrise ein.

Fußnoten und Anmerkungen:

(1) Diese 63.000 Konzerne haben 800.000 Auslandstöchter.

(2) Weltinvestmentbericht 2001, UNCTAD, S.95.

(3) Dies ist die Tendenz in der Arbeiten von James Petras und Henry Veltmeyer, z.B. in: „Globalization Unmasked: Imperialism in the 21st Century“, Zed Books, 2001.

(4) ebd., S.1

(5) Robert Went, „Globalization: new-liberalism and new radicalism“, London 2000. Kapitel 2: Dies liefert eine gute Kritik am technologischen Determinismus. Er macht den Zusammenbruch von Bretton Woods in den frühen 70ern hauptverantwortlich für die Abschaffung von Kapitalkontrollen ab 1974, die schließlich Deregulierung und Liberalisierung herbeiführten. Technologische Innovationen machten sich dies dann zunutze.

(6) R. Hilferding, Finanzkapital, (1910), Bucharin, Imperialismus (1915) und W.I. Lenin, Imperialismus, die höchste Stufe des Kapitalismus, (1916).

(7) W.I. Lenin, Vorwort zu N. Bucharins Broschüre „Weltwirtschaft und Imperialismus“, LW 22, 101, 103.

(8) Horst Köhler, Ansprache auf der Konferenz über die Humanisierung der globalen Ökonomie. Washington, 28.Januar 2002, www.imf.org. Wie das möglich sein soll, wenn große Teile der Welt vor 100 Jahren nicht in den Kapitalismus „integriert“ worden wären, bleibt freilich sein Geheimnis.

(9) Globalization, growth and poverty, S. 3. Diese Charakterisierung übergeht geflissentlich den Übergang vom „Kapitalismus der freien Konkurrenz“ zum Imperialismus. Damit werden die Veränderungen des Kapitalismus sowohl in führenden kapitalistischen Ländern wie im Verhältnis zur den anderen Ländern heruntergespielt.

(10) Ebenda

(11) Leo Trotzi, Der Krieg und die Internationale (1914), S. 3, in: Trotzi, Schriften zum imperialistischen Krieg

(12) R. Went, op. cit., S. 12

(13) World Bank, op. cit., S. 30

(14) Ebenda

(15) Die Öffnung des Gebietes der ehemaligen Sowjetunion hat bis heute eine, verglichen mit China relative geringe Auswirkung auf die Weltwirtschaft.

(16) Globalization, Growth and Poverty, S. 42

(17) In Indonesien brachen sie allein 2002 um 35% ein, nachdem sie schon in vorhergehenden Jahren stetig gesunken waren. In Südkorea gingen die Auslandsdirektinvestitionen allem im vierten Quartal 2002 um 63% zurück.

(18) Financial Times, 4. Februar 2003

(19) Ebenda

(20) Der „Transnationalitätsindex“ der UN ist ein Indikator für die überseeischen Anteile multinationaler Unternehmen hinsichtlich Absatz und Beschäftigung. Der Index für US-Unternehmen stieg in den 1990er Jahren von 42 auf 46, während der für EU-Konzerne gleich blieb. Unter den größten 10 Unternehmen der Welt sind sechs US-Konzerne, unter den größten 100 26 aus den USA, auf die jedoch 35% Marktanteil fallen.

(21) 1982 gab es 14. 475 und 1989 15.381. Siehe: G. Hanson, M.Slaughter, Expansion Strategies of U.S. Multinational Firms, 2001, S. 38

(22) R J Mataloni, „U.S. Multinational companies operations in 1998“, Survey of current business, Bureau of Economic Analysis, July 2000, S. 32

(23) 1989 hielten US-Multis Kapitalanteile im Wert von weniger 10 Millionen Dollar in Osteuropa. 1998 betrug ihr Wert rund 7 Milliarden US-Dollar. Ebenda, S. 39

(24) Von diesem Gesamtwert von 76 Milliarden US-Dollar entfiel der Hauptanteil, 29 Milliarden oder mehr als 20% aller US-Auslandsdirektinvestionen auf Großbritannien. Im Vergleich dazu gingen nach ganz Lateinamerika 15% der Auslandsdirektinvestionen. Die Zahlen wurden vom Bureau of Economic Analysis zusammengestellt und finden sich unter: http://www.bea.doc.gov

(25) Globalization, Growth and Poverty, S. 40

(26) Richard Wolffe, Financial Times, 18.2.2002

(27) Financial Times 1. Februar 2002

(28) Die Weltbank legt großen Wert auf die Feststellung, eine „erfolgreiche“  neue Handelsrunde würde um 2015 1,5 Bio. $ zum BIP der 3. Welt hinzufügen.

(29) Das Sechsfache der gesamten Entwicklungshilfe des Nordens für den Süden.

(30) Oxfam, Rigged Rules and Double Standards; trade, globalisation and he fight against poverty, S. 11, London, 2002

(31) Ebenda

(32) FT a.a.O.

(33) Siehe: Economist, Globalisation special report, 2. Februar 2002

(34) Selbst der Economist war zu gestehen gezwungen: „Die

Überzeugung, mit der Banken und Fonds Ländern empfahlen oder abverlangten, Kapitalkontrollen abzuschaffen, schaut in vielen Fällen fehl am Platz aus.“ Survey of globalisation, 29. September 2001, S. 28

(35) Oxfam, a.a.O., S. 33

(36) Die PropagandistInnen für die Wohltaten der Globalisierung sind einzugestehen gezwungen, dass das Versagen bei der Internationalisierung der Arbeitsmärkte bedeutendste Ursache ist, dass die Armen nicht von der Globalisierung profitieren. Eine Schätzung besagt, eine Wanderungszunahme von Nord nach Süd würde halbkoloniale Länder um jährlich 300 Mrd. $ reicher machen (durch Rücküberweisungen von ImmigrantInnen), viel mehr als der Nutzen neuer Handelsrunden, die an erster Stelle UnternehmerInnen und korrupten RegierungsbeamtInnen zugute kämen.

(37) Dasselbe Einreißen von Unterscheidungen kann auch an der Entwicklung innerhalb der Arbeiterklasse abgelesen werden. Die Teilungslinie zwischen Hand- und Kopfarbeit ist dünn geworden, die Grenzen zwischen den Mittelschichten und der Arbeiterklasse sind unscharf.

(38) Ankie Hoogvelt, Globalisation and the post-colonial world, S. 78 f., London, 1997. Die Ausdehnung der FDJ ist noch geringer beeindruckend, wenn man anerkennt, dass zunehmend nach 1980 FDJ v.a. einen Wechsel in der Eigentumsform existierenden Kapitals darstellt (Fusionen und Aufkäufe) als neue Fabriken und Ausrüstung. 1999 bestand 90% der globalen FDJ in Höhe von 1,7 Bio. $ nur daraus.

(39) Ebenda, S. 80

(40) R. Went, a.a.O., S. 13. Die 1990 wiederum erlebten einen gewaltigen Spekulationsschub. 1990 belief sich der Tagesumsatz auf den internationalen Devisenmärkten auf 500 Mrd. $; 1998 war er das Dreifache.

(41) Vor 1914 gab es ein paar nationale Börsen, die mit einer relativ kleinen Anzahl Effekten handelten, sowie die Herausbildung eines internationalen (Regierungs-)Marktes für Obligationen, um Geld an andere Regierungen auszuleihen.

(42) The Economist, Capitalism and its troubles; a survey of international finance, 18. Mai 2002, S. 6

(43) Zahlen aus R. Went, a.a.O., S. 86

(44) Ebenda., S. 95

(45) Oxfam berichtet, dass zwischen 1997 und 2002 die Kaffeepreise um 70% fielen, was einem Devisenverlust für die ExporteurInnen von 8 Mrd. $ entsprach. Die GewinnerInnen sind die MNKs, die ein massives Überangebot ermutigten. „Diese MNKs wie Nestle konnten aus ruinös niedrigen Produzentenpreisen Nutzen ziehen, um hohe Profitraten zu genießen.“ a.a.O., S. 14

(46) Vgl. Financial Times 5. Februar 2003. Der Artikel weist darauf hin, dass der Deflationsdruck von der Bereitwilligkeit der chinesischen Banken verschlimmert wird, Kredite an chinesische Firmen zu gewähren, um in bereits übersättigte Märkte zu expandieren, und niedrige oder nicht existente Profite zu dulden.

(47) Ebenda

(48) Ebenda

(49) Ebenda, S. 99

(50) Vgl. Keith Harvey, „Markets in denial; American capitalism on the edge of a nervous breakdown“, Trotskyist International 25. Januar 1999, S. 29

(51) Hrsg., He New face of Capitalism; Slow Growth, Excess Capital and a Mountain of Debt, Monthly Review, April 2002

(52) The Economist, 26. Januar 2002, S. 23. Die deutsche Haushaltsverschuldung stieg zwischen 1991 und 2000 von 85% auf 115% des Einkommens, ein höherer Anstieg als in den USA. Japan führt mit 132% des Einkommens an Schulden die Liga an. Nur Frankreich „lebt mit seinen Mitteln.“

(53) Der Abhängigkeitsgrad kann an der Tatsache gesehen werden, dass im gegenwärtigen Konjunkturzyklus die Unterordnung unters Schuldenmachern im Verlauf der ersten Phase der Rezession nach 2000 gestiegen ist.

(54) The Economist, 26. Januar 2002, S. 24

(55) Der Nissan-Index verlor 75% an Wert zwischen 1989 und 2002

(56) Für eine ausführliche Darlegung der wichtigen politischen,

kulturellen und geschichtlichen Barrieren vor der Neustrukturierung des Kapitalismus in Japan siehe „Woran krankt Japan?“, Special survey, He Economist, 20. April 2002.

(57) Die Alternative zu einem merklichen Kollaps ist eine Injektion einer starken Dosis Inflation, um die Nachfrage anzukurbeln und den Schuldenwert auszuhöhlen. Aber die einzige Quelle einer solchen Inflation ist deren Import durch substantiellen Fall des Yen-Wechselkurses. Dagegen leisten die USA  wütenden Widerstand, weil das die US-Ausfuhren beeinträchtigen und einen Handelskrieg vom Zaum brechen würde – mit all dem, was das in Richtung Einschränkung des internationalen Handels mit sich brächte.




Prinzipien revolutionärer Jugendorganisation

Luke Cooper, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Lenin und Trotzki waren der Ansicht, dass revolutionäre Jugendorganisationen zwar in politischer Solidarität mit revolutionären kommunistischen Parteien und einer Internationale stehen, jedoch frei von jeglicher Bevormundung und Dominanz sein sollen. Unabhängigkeit mit voller Verantwortung für die eigenen Entscheidungen, Erfolge und Niederlagen erschien ihnen als bestmögliche Einführung Jugendlicher in Politik und Klassenkampf. Darüber hinaus sollten revolutionäre Jugendliche eine wesentliche Rolle darin spielen, Parteien und Gewerkschaften auf einem mutigen und revolutionären Kurs zu halten. Luke Cooper verschafft einen Einblick in diese Prinzipien und erläutert, wie wir sie heute, im Kampf für eine neue revolutionäre Jugendinternationale, anwenden können.

2003 sahen wir eine Welle von Jugendradikalisierungen. Millionen junger Leute nahmen den Kampf gegen Krieg, Imperialismus und Kapital auf. Dass die Jugend wieder an der Spitze der Massenbewegung steht, wurde während der Demonstrationen am 15. Februar 2003 deutlich, als mindestens 20 Millionen Menschen in jeder größeren Stadt weltweit auf die Straße gingen. In diesen Protesten zeigte sich das Entstehen einer neuen Generation, die ihre Ablehnung für den imperialistischen Krieg auf der Straße zum Ausdruck bringt. Etwas später, als der Krieg begann, wurde dies auch in einer Welle von Schülerstreiks quer durch Europa, die USA, Australien und den Nahen Osten deutlich.

Für Revolutionäre und Revolutionärinnen war lediglich das Ausmaß dieser Radikalisierung überraschend, keineswegs die Tatsache als solche. Denn selbst ein kurzer Blick in die Geschichte verdeutlicht, dass gerade junge Menschen empfänglich für radikale Ideen, militanten Kampf, sogar den revolutionären Kommunismus waren und sind. Warum teilen sie nicht die konservativere Haltung älterer ArbeiterInnen? Ganz einfach, sie waren noch nicht jahrelang der vollen Wucht bürgerlicher Ideologie, den entmutigenden Erlebnissen angehäufter Niederlagen und dem Einfluss des Reformismus innerhalb der organisierten Arbeiterbewegung ausgesetzt. All das trägt dazu bei, ArbeiterInnen vor der vermeintlichen Unmöglichkeit eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels resignieren zu lassen. Und dieser Radikalismus endet nicht, wenn sie die Schule verlassen. So haben etwa viele Journalisten auf die jungen italienischen MetallarbeiterInnen in FIOM hingewiesen, die aus Protest gegen den Mord an Carlo Giuliani (Genua) in den Streik traten, und dann, in den folgenden zwei Jahren, eine Reihe von Streiks für ihre eigenen Anliegen anführten.

Jugendliche sind naturgemäß um die Zukunft besorgt, sie reagieren empfindlich auf Ungerechtigkeit und Leid und ungeduldig auf die gähnende Kluft zwischen den hochtrabenden Versprechungen der Herrschenden, deren Gleichgültigkeit gegenüber Leid und deren schockierende Grausamkeit.

Doch die Jugend ist nicht nur für die Anliegen anderer zu begeistern, sie hat auch ihre eigenen Schlachten zu schlagen. Der Kapitalismus unterwirft sie einer systematischen Unterdrückung. Kaum Rechte, finanziell abhängig von der Familie, das Sexualleben ignoriert oder verleugnet, autoritäre Erziehung, überausgebeutet in perspektivlosen Niedriglohnjobs oder als Auszubildende (Lehrlinge) – dies alles stempelt Jugendliche zu BürgerInnen zweiter Klasse. Oft lassen ihre Jobs praktisch keine gewerkschaftliche Organisierung zu, und schaffen sie doch den Weg in die Gewerkschaften, werden sie auch dort diskriminiert. Das gilt selbst für politische Organisationen. Für die bürgerliche Gesellschaft ist dies die natürliche Last der Jugend, denn “auch wir mussten da durch, als wir jung waren” und außerdem “das geht vorbei”.

Die große Zahl junger Leute in der Anti-Kriegsbewegung spiegelt die Tatsache wider, dass Jugendliche ein direktes Interesse an der Ablehnung von Militarismus und Krieg haben: Unter ihnen sind die meisten Kriegsopfer zu beklagen. Viele Staaten ziehen sie mit 16 oder 18 zum Militärdienst ein, noch ehe sie von zivilen Rechten Gebrauch machen konnten: alt genug zum Sterben, aber zu jung zum Wählen. In den Bürgerkriegsregionen der südlichen Hemisphäre werden Kinder zum Militärdienst oder zum Einsatz als Paramilitärs gezwungen, sobald sie eine Waffe zu tragen können. Das Chaos dieser Kriege mit Vergewaltigungen, ethnischen Säuberungen und die Verantwortung für Kinder und Alte bürdet jungen Frauen eine große Last auf.

Es gibt vieles, gegen das es sich zu kämpfen lohnt, und junge Menschen kämpfen in stets wachsender Zahl und mit wachsendem Radikalismus. Dieses Engagement nützt nicht nur jungen Menschen, es kann auch die älteren Generationen nach schweren Niederlagen wieder motivieren, sie wieder zum Kampf ermutigen und das Vertrauen der Arbeiterklasse in ihre Fähigkeit, die Welt zu verändern, wieder herstellen.

Die revolutionäre Jugendorganisation

Die spezifischen Lebens-, Lern- und Kampfbedingungen schaffen Hindernisse für die Gewinnung junger AktivistInnen für die revolutionäre Partei. Spezielle Agitationsformen und Organisationsmethoden sind erforderlich, will die revolutionäre Organisation nicht immer ‘älter’ werden und weniger in der Lage sein, sich auf Leben und Nöte der Jugend zu beziehen. Deshalb entwickelte die revolutionäre Arbeiterbewegung bestimmte, auf die Jugend ausgerichtete Publikations- und Aktionsformen sowie spezielle Formen der Jugendorganisation und -bewegung. Der revolutionäre Flügel der Bewegung betrachtete diese Strukturen nicht einfach als Kopie der Partei, und auch nicht als streng untergeordnet, sondern als eigenständige Organisationen. Während die Jugendorganisationen organisatorisch von der Partei unabhängig sein sollten, kämpfen junge revolutionäre Parteikader in diesen Organisationen für die politische Solidarität mit revolutionären Parteien und internationalen Organisationen. Diese unabhängige Organisationsform sollte Jugendliche in das Umfeld der Partei führen und ihnen ermöglichen, unabhängig von den Erwachsenen zu lernen und Erfahrungen zu machen.

Die politische Theorie hinter der organisatorischen Unabhängigkeit wurde von den Bolschewiki am Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt. Die Bolschewiki selbst wiesen ein sehr junges Altersprofil auf. 1907 waren 60% ihrer Mitglieder unter 25 und ein Fünftel Teenager, während bei ihren politischen Rivalen, den Menschewiki, nur ein Drittel der Mitglieder unter 25 und nur 5% Teenager waren. Darüber beschwerten sich die Menschewiki auf sehr bevormundende Weise: Die Bolschewiki seien bloß unreife Jugendliche, meinten sie.

In seiner Verteidigung der Partei gegen die Anschuldigung, die Bolschewiki hätten keine erfahrenen Kader in ihren Reihen, verweist Lenin auf Engels:

“Larin beklagt sich darüber, daß in unserer Partei die Arbeiterjugend überwiegt, dass wir wenig verheiratete Arbeiter haben, daß sie die Partei meiden. Diese Klage eines russischen Opportunisten erinnert mich an eine Stelle bei Engels (wenn ich nicht irre, in ’Zur Wohnungsfrage’). Engels entgegnet einem trivialen bürgerlichen Professor, einem deutschen Kadetten, und schreibt: Ist es nicht natürlich, daß bei uns, in der Partei der Revolution, die Jugend überwiegt? Wir sind die Partei der Zukunft, die Zukunft gehört der Jugend (1)”.

Tatsächlich war es die jugendliche Zusammensetzung der Bolschewiki, die ihnen die Fähigkeit verlieh, mutig und selbstaufopfernd dem enormen Druck des bürgerlichen Patriotismus am Beginn des Ersten Weltkrieges zu widerstehen. Und diese junge Partei führte auch die Oktoberrevolution an. Quer durch Europa leiteten die Jungen den Kampf gegen die Verräter der Zweiten Internationale ein, als diese ihre Vorkriegsversprechen brachen und den imperialistischen Krieg unterstützten. Die Mehrheit der Sozialistischen Jugendinternationale brachte 1915/16 ihre patriotische Führung zu Fall und beteiligte sich an der Anti-Kriegsbewegung und der Bewegung für eine neue Internationale. Lenin und die Bolschewiki verteidigten und unterstützten diese Revolte. Eigentlich hatte diese Revolte gegen den Opportunismus in den Jugendorganisationen der Sozialistischen Internationale schon vor dem Krieg begonnen. In Belgien, Deutschland, Italien und Frankreich setzten sich junge Revolutionärinnen und Revolutionäre für die Unabhängigkeit der Jugendlichen von der bürokratischen Partei und den Gewerkschaftsführungen ein. Deren Führungen hassten die Unabhängigkeit und den Radikalismus der Jugendorganisationen und versuchten alles, um sie einer strengen Kontrolle zu unterwerfen. Lenin stellte sich auf die Seite der jugendlichen Rebellen und gegen die alten Bürokraten.

So beobachtete Lenin 1916: “Es kommt oft vor, daß Vertreter der Generation der Erwachsenen und Alten es nicht verstehen, in richtiger Weise an die Jugend heranzutreten, die sich zwangsläufig auf anderen Wegen dem Sozialismus nähert, nicht auf dem Wege, nicht in der Form, nicht in der Situation wie ihre Väter. Das ist einer der Gründe, warum wir unbedingt für die organisatorische Selbständigkeit des Jugendverbandes eintreten, nicht nur deshalb, weil die Opportunisten diese Selbständigkeit fürchten, sondern auch dem Wesen der Sache nach. Denn ohne vollständige Selbständigkeit wird die Jugend nicht imstande sein, sich zu guten Sozialisten zu entwickeln und sich darauf vorzubereiten, den Sozialismus vorwärts zu führen (2).”

So war organisatorische Unabhängigkeit für die Bolschewiki ein Prinzip, das nicht nur auf die Jugendsektionen der reformistischen Parteien zutraf, sondern auch auf jene zu gründenden der KommunistInnen. Sie hielten nicht nur das Recht der Jugendverbände der Zweiten Internationale auf Unabhängigkeit von der Kontrolle des zentristischen, reformistischen und sozialpatriotischen Internationalen Büros hoch, sondern propagierten es für die neue Internationale, die sie gerade gründen wollten. So pochte auch die Dritte (Kommunistische) Internationale  darauf, dass,  selbst wo ihre Jugendorganisationen freiwillig entschieden hatten, sich den kommunistischen Parteien anzuschließen, an deren politischen Diskussionen und Strukturen teilzunehmen und an deren demokratische Entscheidungen gebunden zu sein, die organisatorische Selbständigkeit erhalten bleiben müsse.

“Die Aufgabe der politischen Selbständigkeit bedeutet auf keinen Fall den Verzicht auf die organisatorische Selbständigkeit, die aus erzieherischen Gründen unerläßlich ist (3).

Dies bedeutet, dass die Jugendorganisationen selbst die Entscheidung treffen sollten, die Führung der Partei anzuerkennen. Stimmten sie diesen Entscheidungen nicht zu, so hatten sie das Recht, die formellen Verbindungen abzubrechen. Erst als die bürokratische ‘Bolschewisierungs’kampagne vom Fünften Kominternkongress lanciert wurde, wurde diese organisatorische Unabhängigkeit abgeschafft – mit katastrophalen Folgen für die revolutionäre Erziehung der jungen KommunistInnen und das Schicksal der Internationale.

Mit der organisatorischen Unabhängigkeit nicht verwechselt werden sollte die Frage, ob die Jugendorganisation sich der revolutionären Partei formal anschließen und an ihre politischen Beschlüsse gebunden sein sollte. Dies ist im Zusammenhang mit der Entwicklung der revolutionären Bewegung im jeweiligen Land zu beurteilen. Die kommunistische Internationale widmete sich dieser Frage zum ersten Mal auf ihrem zweiten Kongress im August 1920. Massenorganisationen der proletarischen Jugend hatten mit den sozialdemokratischen und zentristischen Parteien gebrochen und den Weg des Kampfes gegen den imperialistischen Ersten Weltkrieg und die Sozialverräter eingeschlagen. Sie sammelten sich um die Verteidigung der russischen Revolution.

So fand parallel zum zweiten Kongress ein Delegiertentreffen statt, das sich als neue Kommunistische Jugendinternationale konstituierte. Auf einem gemeinsamen Treffen mit JugendvertreterInnen wurden vom Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Thesen zur Jugendbewegung angenommen. Diese Thesen erläuterten das geeignete Verhältnis zwischen Jugendorganisation und revolutionärer Partei auf nationaler wie internationaler Ebene. Die Thesen beharrten abermals eindeutig auf der organisatorischen Unabhängigkeit der Jugendbewegungen:

“Die ganze Geschichte der proletarischen Jugendbewegung in jedem Land zeigt, dass nur unabhängige, d.h. sich selbst verwaltende Jugendorganisationen kühne und entschlossene revolutionäre KämpferInnen sowie schlaue OrganisatorInnen der proletarischen Revolution und Rätemacht entwickeln. Im Gegenteil dazu führt die Praxis der Vormundschaft der Sozialpatrioten über die Jugend zu einer opportunistischen, kleinbürgerlichen Entwicklung (4).”

Die Thesen befassten sich im Weiteren mit dem Punkt der politischen Unabhängigkeit. Sie legten dar, dass in Ländern, wo die Arbeiterklasse noch keine starke revolutionäre Partei aufgebaut hatte und “wo die Gründung kommunistischer Parteien immer noch im Fluss sei und die Jugendverbände gerade von den sozialpatriotischen und zentristischen Parteien wegbrechen, unsere Parole die der absoluten politischen Unabhängigkeit der Jugendbewegung ist. Unter solchen Bedingungen ist dieser Slogan objektiv revolutionär (5)!”

Die Bolschewiki erkannten, dass in Abwesenheit einer größeren revolutionären Partei die Jugend eine Vorreiterrolle beim Sammeln der Opposition gegen den Krieg und gegen die Organisationen des Verrats spielen konnte und spielte. Unabhängigkeit und Aktionsfreiheit der revolutionären und antiimperialistischen Jugend war für die Entwicklung einer starken, revolutionären, von Reformismus und Zentrismus unbelasteten Bewegung darum äußerst wichtig. Kurz gesagt, die politische Unabhängigkeit der Jugendbewegung erlaubte es den revolutionären Elementen in diesen, ihre Ansichten zu verbreiten und eine Kampagne um die Führung zu organisieren. Darüber hinaus konnte sie, zusammen mit Abspaltungen aus den reformistischen Organisationen, eine wesentliche Kraft in der Schaffung einer neuen, kommunistischen Partei darstellen.

In etlichen Ländern jedoch war die Arbeiterbewegung durch die Bemühungen des antiimperialistischen linken Flügels der Sozialdemokratie, durch den Einfluss der Kommunistischen Internationale, durch die Anziehungskraft der siegreichen russischen Revolution und die Anstrengungen der Jugend selbst erfolgreich in der Formierung starker revolutionär-kommunistischer Parteien. Unter solch günstigen Umständen fiel die Avantgardefunktion bei der Organisierung des Machtkampfes der Arbeiterklasse nicht mehr der Jugend zu, sondern der schon bestehenden Vorhutpartei der Arbeiterklasse. Also stellen die Thesen weiter fest: “Die Parole der absoluten Unabhängigkeit ist aber in Ländern falsch, wo es bereits starke kommunistische Parteien gibt und diese Losung von Sozialpatrioten und Zentristen gegen die kommunistische Jugend eingesetzt wird und um sie irrezuführen. Dort haben sich die kommunistischen Jugendverbände auf das Programm der kommunistischen Partei gestellt.”

War dies ein Beispiel für zweierlei Maß oder Zynismus? Nicht im geringsten. Erstens, wie wir gesehen haben, bestand die Komintern auf der fortgesetzten organisatorischen Unabhängigkeit der Jugend in jedem Land. Zweitens lehnte die Komintern die Bevormundung der Jugend, eine kommandierende und gönnerhafte Einstellung ab, die zwischen Partei und Jugendorganisation die Beziehung zwischen Schüler und Meister reproduziert, die typisch ist für bürgerliche Bildungsinstitutionen, die Situation am Arbeitsplatz oder in der Familie. Drittens sollten die Jugendlichen, anders als in reformistischen und zentristischen Parteien, als Gleiche an den internen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen in der Partei selbst teilhaben. Viertens sollte diese Bindung der organisatorisch unabhängigen Jugendbewegung zur Partei ein Produkt der freiwilligen Entscheidung der Jugendlichen selbst sein, die frei und demokratisch, und nicht durch Ausüben von Kommando oder Kontrolle, für Programm und Projekt der Partei gewonnen werden sollten:

“In allen Ländern, wo alte und aktive kommunistische Parteien existierten, wurde eine starke Beziehung zwischen der kommunistischen Partei und der kommunistischen Jugendorganisation begründet. Die dabei angenommene Form sah so aus, dass die kommunistische Jugendorganisation das Programm der kommunistischen Partei annahm und im Rahmen seiner politischen Positionen operierte. In diesen Fällen verfügten (1) die Jugendlichen über eine eigene zentralisierte Organisation; entschieden (2) selbst, wie sie ihre organisatorischen, agitatorischen und propagandistischen Aktivitäten ausführten; (3) welchen Platz sie im politischen Kampf einnahmen und die Formen ihrer Teilnahme; (4) diskutierten sie die wesentlichen politischen Fragen. Alle Jugendorganisationen müssen dieses Verhältnis zur kommunistischen Partei herstellen, aber nicht durch Zwang seitens der Partei, sondern durch Überzeugung und eigene freie Entscheidung.

Die Thesen legten auch fest, dass die Kommunistische Jugendinternationale (KJI), die alle kommunistischen Jugendverbände vereinigte, Bestandteil der Kommunistischen Internationale sein sollte. Die KJI und ihre nationalen Gruppen sollten “an den Kongressen der Kommunistischen Internationale teilnehmen. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) und die Jugendinternationale tauschen Repräsentanten mit Stimmrecht aus.”

Das Ziel der KJI war “die zentralisierte Führung der kommunistischen Jugendbewegung, Unterstützung der nationalen kommunistischen Jugendgruppen, die Bildung kommunistischer Jugendgruppen, wo noch keine existieren und internationale Agitation um die Ideen des Kommunismus und der Jugendbewegung herum.”

Als voll teilhabender “Bestandteil der Kommunistischen Internationale” mit allen Rechten “ordnet sich die KJI als solche den Entscheidungen der Kongresse der Kommunistischen Internationale und den politischen Richtlinien seines Exekutivkomitees unter”. Nichtsdestotrotz “setzt sie ihre Arbeit aus Führung, Organisation, Stärkung und Verbreiterung der Jugendinternationale selbstständig um”.

Das Verhältnis der Jugendorganisation zu revolutionären Gruppen heute

Ist die politische Unabhängigkeit nur für sich nach links entwickelnde Jugendliche anwendbar, die mit reformistischen oder zentristischen Parteien in Verbindung stehen? Ist politische Abhängigkeit immer das richtige Verhältnis einer Jugendorganisation, die mit einer revolutionären Gruppe verbunden ist, egal wir groß letztere ist und unabhängig von ihrer Entwicklung in eine wirkliche Partei der Arbeitervorhut? Dies anzunehmen wäre schematisch und falsch.

1938 riet Trotzki der SWP (US-Sektion der Vierten Internationale), einer Kaderorganisation mit guten proletarischen KämpferInnen aber keinesfalls eine Massenorganisation, dass im Frühstadium der Entwicklung einer revolutionären Jugendgruppe eine flexible Haltung eingenommen werden sollte. In seinen Worten spiegelt sich der Ansatz, den Lenin 1916 vertrat:

“…wenn wir an die jungen GenossInnen mit einem allgemeinen Konzept wie diesem herantreten: Jungen und Mädchen, ihr handeltet vortrefflich gegen die Sozialistische Partei, weil sie eine schlechte Partei war; aber wir sind eine gute Partei. Vergesst das nicht. Ihr dürft nicht gegen uns sein. Wie könnt ihr sie mit einem solches allgemeines Konzept überzeugen? Es ist sehr gefährlich. Ihr glaubt, es ist eine gute Partei, aber wir nicht! Ja, wir sind gegen Avangardismus, insoweit es gegen uns gerichtet ist. Dann werden sie antworten, ihr seid Bürokraten, nicht mehr und nicht weniger. Das ist sehr gefährlich. Theoretisch ist es korrekt wie die Disziplinfrage. Eiserne, stählerne Disziplin ist absolut notwendig, aber wenn der Apparat einer jungen Partei solch eiserne Disziplin am ersten Tag zu verlangen beginnt, kann er die Partei verlieren. Es ist nötig, Vertrauen in die Partei allgemein zu bilden, weil die Leitung nur ein Ausdruck der Partei ist…” (6)

Was können wir daraus für die heutige Situation lernen? In keinem Land hat bislang die Arbeiteravantgarde eine revolutionäre kommunistische Partei gegründet. In den letzten Jahren erleben wir zeitweilig eine Schwächung von Linksreformismus und Stalinismus als Massenkräfte. Auch der Anarchismus, der in den späten 1990ern und Anfang dieses Jahrtausends einen Aufschwung erfahren hatte, zeigt Anzeichen von Schwäche aufgrund seiner Unfähigkeit, reale Massenkämpfe anzuführen und den Reformismus zu bekämpfen. Die Erfahrungen der Jugend in der Antikriegsbewegung waren sehr wertvoll. Gerade diese Situation hat eine heterogene Massenbewegung gegen Krieg, Kapitalismus, Rassismus und Imperialismus hervorgerufen, mit Massenmobilisierungen der Jugend, die von keiner politischen Kraft hegemonisiert werden.

Die heutige Situation kommt jenen Verhältnissen in den Thesen des Zweiten Kongresses am nächsten, in denen eine Jugendradikalisierung und das Fehlen kommunistischer Massenparteien die Jugend in die Vorhut drängen. Unsere Aufgabe besteht deshalb darin, Massenorganisationen der revolutionären Jugend zu initiieren und aufzubauen, unabhängig von den Apparaten des Reformismus und Zentrismus, und ihnen zu helfen, den Weg zum revolutionären Kommunismus einzuschlagen.#

Dabei ist es zentral, die Jugendorganisationen für den revolutionären Kommunismus zu begeistern und diese Begeisterung aufrecht zu erhalten. Es ist daher die Aufgabe von Revolutionärinnen und Revolutionären in diesen Organisationen, für ihr Programm zu kämpfen, eine politische und praktische Führung im Kampf zu bieten und Respekt für die eigene Politik, Methode und Kampfkraft zu gewinnen. KommunistInnen müssen danach streben, die Jugendorganisation für die formale Zustimmung zu unserem Programm, für den Kampf für eine neue, Fünfte Internationale und für die Schaffung revolutionärer Parteien gestützt auf ein Übergangsprogramm für die sozialistische Revolution zu gewinnen.

Also stellt sich die Frage, sollten revolutionäre Jugendorganisationen heute den nationalen Sektionen der kommunistischen Gruppierungen angehören, auch wenn diese sich noch im Stadium kleiner kämpfender Propagandagruppen befinden? Nein, das wäre taktisch naiv. Revolutionärinnen und Revolutionäre sollten sich dafür einsetzen, dass die Jugendorganisationen die politische Solidarität mit den Aktionen und dem Programm der kommunistischen Kaderorganisation zum Ausdruck bringen, nicht aber dass diese sich den Entscheidungen solcher Gruppen unterordnen. Schließlich müssen wir breitere Kräfte für die revolutionäre Jugendbewegung gewinnen als jene, die schon zu Beginn die Anleitung durch kleine Propagandagesellschaften akzeptieren, wo sie noch keinen Teil der Massen anführen und die Überlegenheit ihres Programms gerade durch Führung von Sektoren der Arbeiterklasse in der Praxis nicht demonstrieren können. Die Solidarität der Jugendorganisation muss aber durch das Programm und den Kampf der revolutionär-kommunistischen Kräfte in der gemeinsamen Aktion und programmatischen Debatte gewonnen werden.

Gibt es in einem bestimmten Land keine revolutionäre Partei, so heißt dass nicht, dass die revolutionäre Jugendbewegung in keinem Bezug zum Aufbau einer revolutionären Partei stünde oder die Jugendbewegung lediglich ein Pool an zukünftigen Rekrutinnen und Rekruten wäre. Im Gegenteil, wo es keine revolutionäre Partei gibt, muss die revolutionäre Jugendorganisation zu einem Werkzeug für ihren Aufbau werden.

Die revolutionäre Jugendinternationale und die Fünfte Internationale

Durch die antikapitalistische und die Anti-Kriegsbewegung entstand eine Vorhut, vornehmlich junger AktivistInnen, die das Potential zur Schaffung einer neuen revolutionären Massenjugendinternationale hat. Diese könnte wiederum eine beschleunigende Wirkung auf die Herausbildung neuer revolutionärer Massenorganisationen der Arbeiterklasse haben. In bestimmten Ländern, etwa Italien, wo junge Arbeiterinnen und Arbeiter in den Kämpfen der Arbeiterklasse eine prominente Rolle eingenommen haben, könnten sie tatsächlich den Kern bilden, um den sich solche Parteien formieren. Doch der Charakter der “Bewegung der Bewegungen” ist derart, das diese Unzahl junger Menschen über keine internationale Organisation verfügt, die einen Attraktionspol für alle in der Bewegung aktiven Jugendlichen darstellt. So zeichnen sich gerade die beiden Bewegungen, die antikapitalistische und die gegen den Krieg, durch eine Masse nicht-organisierter Individuen aus, die bereit sind, sich an Aktionen gegen Neoliberalismus und Krieg zu beteiligen, aber noch nicht bewusst für die Politik einer der beteiligten Tendenzen eintreten möchten.

Das Fehlen einer Massenjugendorganisation auf internationaler Ebene, egal ob reformistisch, zentristisch oder revolutionär, hat dazu geführt, dass die jugendliche militante Mehrheit, die in den vergangenen Jahren bei den großen antikapitalistischen und Anti-Kriegsmobilisierungen auf die Straße ging, keine wahrnehmbare Stimme in jenen Foren hatte, in den die Bewegung sich mit Programm und Strategie auseinander setzte. Bei den Sozialforen in Porto Allegre, Florenz, Hyderabad, Paris und Mumbai dominierten zwar junge Leute in den Zuhörerreihen der Workshops, Seminare und großen Plena, auf den Podien jedoch fanden sich die traditionellen “alten” Akademiker, Journalisten und Politiker der Linken der Post-1960er-Generation. Das sind nicht jene Leute, die auf der Straße im Widerstand gegen die neoliberale Agenda ihre Haut riskierten. Darüber hinaus haben die meisten dieser “großen Namen” ein gemeinsames politisches Ziel: die Bewegung mit dem Kapitalismus zu versöhnen und über sie als Lobby für ein paar Vorzeigereformen einzusetzen.

Unter diesen Umständen müssen revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten dafür eintreten, dass junge Leute den Kampf anführen und die Richtung geben können. Dafür müssen die jungen AktivistInnen ihre eigenen Organisationen herausbilden.

Natürlich gibt es bereits viele Jugendorganisationen von Parteien, Gewerkschaften, NGOs und sogar Glaubensgemeinschaften, deren Mitglieder die Welt wirklich verändern wollen. Wir fangen nicht bei Null an. Deshalb halten wir einen Aufruf für eine neue revolutionäre Massenjugendinternationale für notwendig, die eine politische Struktur und eine Richtung für jene Avantgarde der Jugend angibt, die ihre Fähigkeit zur militanten Aktion bereits unter Beweis gestellt hat. Zum Aufbau einer solchen Jugendinternationale wird es notwendig sein, Einheitsfronten mit Gruppen zu bilden, die der Jugend ebenfalls eine organisatorische und politische Stimme verleihen wollen, vorerst aber noch nicht für das historische revolutionäre Programm gewonnen werden könnten. Die sofortige Zustimmung zum Programm zu einer Voraussetzung für die Bildung einer Internationale zu machen, wäre absurd und würde den oben skizzierten marxistischen Prinzipien der Jugendorganisation widersprechen.

Umgekehrt aber, würde die Frage der Schaffung einer Jugendinternationale in der programmatischen Diskussion und damit der Diskussion über die politische Strategie keine Rolle spielen oder gar unterdrückt, oder nur auf Einheitsfronten rund um bestimmte Kampagneninitiativen beschränkt, wäre dies ebenfalls eine Sackgasse für den Kampf gegen den Kapitalismus. Kommunistinnen und Kommunisten müssen daher im Zuge der Herausbildung einer neuen revolutionären Jugendinternationale drei zentrale Anliegen einbringen.

Erstens müssen wir im Aufbau der Organisation die Diskussion und Entscheidung über ein Programm ins Zentrum rücken, wobei KommunistInnen dabei für eine revolutionäre Strategie eintreten. Dabei soll nicht die Struktur der neuen Organisation in einem Konflikt zwischen verschiedenen Tendenzen paralysiert werden, sondern vielmehr die Diskussion über Programm, Strategie und Aktion zentralen Stellenwert erhalten. Zweitens ist eine demokratische Entscheidungsfindung über die unmittelbaren, brennenden Aufgaben wesentlich. Drittens müssen Entscheidungen, wenn sie einmal diskutiert und von der Mehrheit verabschiedet wurden, gemeinsam umgesetzt werden. Kurz gesagt, treten wir für ein System des demokratischen Zentralismus ein, völlige Freiheit in der Diskussion, aber loyale Einheit in der Umsetzung. So gesehen ist es kein Ruf nach einer matten “Einheit” auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern ein Aufruf für eine neue internationale politische Organisation der radikalen Jugend.

Heute und hier können bedeutende Schritte in Richtung Aufbau dieser neuen Organisation gesetzt werden. Kommunistinnen und Kommunisten müssen nach Bündnissen mit Jugendorganisationen zu jenen Anliegen suchen, in denen politische Übereinstimmung besteht. Dies können etwa gemeinsame Aktionstage gegen den Neoliberalismus oder gemeinsame Seminare und Workshops zu Themen sein, die Jugendliche betreffen. Durch diese gemeinsamen Initiativen können KommunistInnen das Vertrauen mit anderen zentralen Kräften aufbauen, die für eine neue Internationale gewonnen werden können, und gleichzeitig revolutionäre Politik einem breiteren Publikum nahe bringen.

So verkommt auch der Aufruf zu einer neuen Jugendinternationale nicht zu einer passiven Einladung an andere politische Tendenzen, sondern fordert gerade die großen zentristischen und reformistischen Gebilde innerhalb der sozialen Bewegungen heraus. Einfach ausgedrückt, wir müssen die Massen dieser Organisationen für unser revolutionäres Programm gewinnen und ihnen seine Überlegenheit im Kampf gegen den Kapitalismus und für dessen Sturz verdeutlichen. In diesem Sinne ist die Losung einer unabhängigen revolutionären Jugendinternationale, die alle jungen Leute in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus vereint, in gleicher Weise objektiv revolutionär, wie es die Losung einer unabhängigen Jugendorganisation im Jahre 1920 war. Sie eröffnet einen Weg, über den junge Leute massenweise für das historische Programm der Arbeiterklasse gewonnen und von den Irre-Führern der Bewegungen weggebracht werden können.

Eine neue Jugendinternationale könnte die notwendigen Massenaktionen organisieren, um den Kampf gegen den Kapitalismus auf eine höhere Stufe zu heben und ihm eine strategische, politische Orientierung auf eine andere, eine kommunistische Welt verleihen. Sie könnte das rechte, akademische Milieu links liegen lassen und ihm die Fähigkeit zur Irreführung nehmen. Indem sie massenweise junge Leute im politischen Kampf beflügelt, könnte sie die Führung für die gesamten Bewegung stellen.

So kann die Herausbildung einer revolutionären Jugendinternationale tatsächlich zur Entwicklung neuer revolutionärer Parteien führen. Durch die Gewinnung von erst Hunderten, dann Tausenden und ihre Orientierung auf eine neue internationale politische Organisation junger Leute im Kampf gegen den Kapitalismus können die revolutionären Jugendorganisationen Kongresse organisieren und die Zusammenarbeit mit anderen Kräften der Arbeiterklasse suchen, die das gleiche Ziel haben: die Gründung neuer revolutionärer Parteien und, schlussendlich, einer Fünften Internationale.

Dieses Modell verhilft uns nicht nur zu einem prinzipienfesten, dynamischen und historisch fundierten Verständnis des Verhältnisses zwischen Jugendorganisation und revolutionärer Partei: Es eröffnet auch die Perspektive zur Schaffung neuer Kampforganisationen und der neuen Weltpartei der sozialen Revolution, die wir heute so dringen brauchen, und einen Weg, den wir in der kommenden Periode realistischer Weise auch beschreiten können.

Fußnoten:

(1) Lenin, Die Krise des Menschewismus, LW11, S. 352

(2) Lenin, “Jugend-Internationale” (Notiz), in: LW 23,  S. 164

(3) Resolution über die Kommunistische Internationale und die Kommunistische Jugendbewegung, angenommen vom 3. Weltkongress der KI, 12. Juli 1921, in: Die Kommunistische Internationale, Thesen, Leitsätze, Resolutionen, Band II, interlit, S. 180

(4) Third International, Theses, Resolutions and Manifestos for the First Four Congresses, London 19835)

(5) Ebenda; alle weitere Zitate in diesem Abschnitt aus diesem Text.

(6) Toward a revolutionary youth organisation, Trotzki Writings 1938-39, S. 121 f.