Der Krise entgegen. Von der Krise der Globalisierung zur sozialistischen Revolution

Manifest der Liga für die Fünfte Internationale

Verabschiedet vom XII. Kongress, Juni 2023

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

2.2 Europa

2.3 Die Halbkolonien

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

2.5 Klimakatastrophe

2.6 Rezession

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

3.2 Krise der Führung

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

4.3 Militarismus und Krieg

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

4.4.1 Die Stadt umgestalten

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

4.5 Die digitale Revolution

4.6 Die Gewerkschaften

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

5.4 Rassismusbekämpfung – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

6.2 Der Aufstand

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

1. Einleitung

Die Welt steht vor einer tieferen und weiter reichenden Krise als vor der großen Rezession von 2008 – 2010. Auf den schwachen Aufschwung, der durch historisch niedrige Zinssätze gestützt wurde, folgte ein Jahrzehnt der Beinahe-Stagnation. Dies hat zu einem weltweiten Inflationsanstieg geführt, dessen Folgen eine Krise der Lebenshaltungskosten sind, die den Lebensstandard der Arbeiter:innenklasse dramatisch zu senken droht, sowie Not, Unterernährung und buchstäbliches Verhungern für Dutzende von Millionen Armen in der Welt bedeutet.

Die durch die Pandemie verursachte wirtschaftliche Verwerfung der globalen Produktions- und Handelsketten, die beispiellosen Kosten der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Sanktionen und Aufrüstungsprogramme und die sich beschleunigenden und vervielfachenden Folgen des Klimawandels – diese miteinander verknüpften Krisen konfrontieren die Menschheit mit einem starken Sturm, der nur eine Ursache hat: die kapitalistische Produktion und die imperialistische Weltordnung, die sie aufrechterhält.

Die wiederholten Wirtschaftskrisen, die sich verschärfende Rivalität der Großmächte, Überschwemmungen, Brände, Dürren und Hungersnöte spiegeln sich auch in der politischen Arena wider. Dies äußert sich im Erstarken populistischer und rechtsextremer Straßenbewegungen, im Wuchern reaktionärer, irrationalistischer Ideologien und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Militärputsche nutzen die Unfähigkeit der schwachen „demokratischen“ Regierungen in den Halbkolonien aus, die sich verschärfende soziale Krise zu bewältigen; die Wahl reaktionärer Demagog:innen, die sogenannte „Kulturkriege“ führen, dient dazu, den sozialen Fortschritt und die Rechte der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten zu untergraben.

Angesichts dieser sich vervielfachenden Krisen sind die traditionellen reformistischen Parteien der Arbeiter:innenklasse, ob „sozialistisch“ oder stalinistisch, angesichts ihrer Unfähigkeit, ihre Massenbasis zu verteidigen, verwelkt. Das „neue“ Modell der linkspopulistischen, neoreformistischen oder zentristischen Parteien, das an ihre Stelle treten sollte, hat entweder kapituliert oder sich aufgelöst. An ihre Stelle sind immer extremere rechtsradikale und sogar offen faschistische Parteien getreten, die religiöse, rassistische und nationale Vorurteile ausnutzen.

Spontaner Widerstand gegen diese Krisen flammt überall in der Welt auf und wirft die Notwendigkeit einer Führung der Arbeiter:innenklasse auf, die einen Weg zum Sieg bahnen kann. Die mal ausbrechende, mal schwelende Kette von Bevölkerungsaufständen vom Arabischen Frühling über die Antiausteritätsbewegungen der EU-Schuldenkrise bis hin zu den Frauen an vorderster Front der iranischen und sudanesischen Revolutionen zeigt: All diese Gelegenheiten, die das Potenzial für einen entscheidenden Bruch mit dem herrschenden System in sich trugen, verstrichen ungenutzt, wobei der Preis der Niederlage nicht überall der Abstieg in eine brutale Konterrevolution war.

In jedem Fall liegt gerade im Fehlen einer gefestigten und verankerten Organisation, die mit der Strategie und Taktik – dem Programm – bewaffnet ist, um die Arbeiter:innenklasse und ihre Verbündeten zur Machtergreifung zu führen, der elementare subjektive Faktor für die Ursache der Niederlage. Das Scheitern der revolutionären Ausbrüche in den Halbkolonien ist nur der lokale Ausdruck der Krise der Führung, einer Krise, die sich in den Gewerkschaften, den Parteien und den revolutionären Organisationen der Arbeiter:innenklasse insgesamt manifestiert.

Dieses Dilemma begründet sich nicht nur in der jeweiligen nationalen Situation. Es stellt sich weltweit in der Notwendigkeit einer neuen revolutionären Internationale dar, einer Nachfolgerin der vorherigen vier, die aus deren Fehlern und Erfolgen lernt. Die Menschen, die den Grundstein für eine neue Internationale legen können, finden sich bereits unter der Avantgarde der Massenkämpfe in aller Welt. Es ist von größter Dringlichkeit, sie sowohl international als auch in jedem Land zusammenzubringen. Vor allem müssen sie für ein revolutionäres Aktionsprogramm gewonnen werden, das weltweit gilt und die notwendige Antwort auf die Machtfrage gibt, die die strategische Lösung für die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems darstellt.

Die Liga für die Fünfte Internationale veröffentlicht dieses Programm als Beitrag zu einer Diskussion und Annäherung der revolutionären Kräfte in den kommenden Jahren, verbunden mit Vorschlägen für gemeinsame Aktionen und Kampagnen, neben einer ernsthaften Debatte über das Programm, das eine neue, revolutionäre Internationale entwickeln muss. Was wir vorschlagen ist weder vollständig noch umfassend, aber es wird als unser Angebot für gemeinsame Aktionen und ernsthafte Diskussionen mit denjenigen präsentiert, die die zwingende Notwendigkeit einer neuen Internationale akzeptieren, deren Organisation und Führung die Voraussetzung dafür ist, den Kreislauf von spontanem Widerstand und Niederlage zu durchbrechen.

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

Die Ursachen für die Systemkrisen des Kapitalismus liegen nicht im Mangel oder in der Unfähigkeit, das zu produzieren, was die Menschheit braucht. Die Fabriken, ihre Arbeitskräfte, die Produktions-, Logistik- und Kommunikationsmittel, neue und alte, sind im Überfluss vorhanden, ebenso wie die wissenschaftlichen und technologischen Mittel, um Pandemien und den Klimawandel zu bekämpfen. Die sozialen Mittel für eine globale Planung sind bereits in den multinationalen Konzernen und den riesigen Banken vorhanden, aber durch Privateigentum und interne Konkurrenz nur separat verfügbar. Dieser Widerspruch hat sich bei der Reaktion auf die Pandemie gezeigt: einerseits die rasche Entwicklung von Impfstoffen, andererseits deren ungleiche Verteilung an die Bevölkerungen unseres Planeten. Bis Juni 2023 haben 29,9 % von ihnen noch keine einzige Impfung erhalten.

Die grundlegende Ursache für die Krise des Systems liegt in der massiven Überakkumulation von Kapital, das nicht in der Lage ist, in gleichem oder höherem Maße als in der Boomphase der Globalisierung ausreichende Gewinne aus der Produktion zu erzielen. Dies ist der Grund dafür, dass der „Aufschwung“ nach der letzten Rezession schnell an Dynamik verloren hat und in weiten Teilen der Weltwirtschaft in Stagnation übergegangen ist. Da es nach der Großen Rezession nicht gelungen ist, dieses Problem auf die einzige Art zu lösen, die Kapitalist:innen immer anwenden, nämlich durch Kapitalvernichtung auf breiter Front, droht nun der Massenbankrott sogenannter Zombieunternehmen, die schätzungsweise 16 % bis 20 % aller Firmen in den USA ausmachen.

Da dies die Zerstörung großer Industrie- oder Handelszweige bedeuten würde, ist eine solche Entwicklung ein letzter Ausweg und eine riskante Option für das Kapital. Im Jahr 2008 hätte es die Spitzen des Finanzkapitals getroffen, die Investment-, Hypothekenbanken und multinationale Automobilhersteller wie General Motors und Chrysler, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft worden sind. Viele von ihnen wurden auf Kosten der Steuerzahler:innen aus der Arbeiter:innen- und Mittelschicht gerettet. Die Maßnahmen der Federal Reserve Bank der USA führten die Welt auch zu einer enormen Ausweitung der Geldmenge (Quantitative Easing), die es Unternehmen, Staaten und Einzelpersonen ermöglichte, noch mehr Schulden anzuhäufen und den Grundstein für einen zukünftigen Zusammenbruch zu legen.

Die von der neoliberalen und monetaristischen Theorie diktierte Lösung, die gigantische Kapitalvernichtung zur Wiederherstellung der Profitraten, kann nur zu enormen Kosten für die Arbeiter:innenschaft der ganzen Welt erfolgen. Natürlich besteht die Antwort darin, sich Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit entgegenzustellen, aber große Zugeständnisse seitens der Unternehmer:innen würden keine Rückkehr zum vorherigen Status quo bedeuten, sondern das Chaos eher noch vertiefen. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Produktion denjenigen anzuvertrauen, die die Arbeit verrichten, und die Staatsmacht in die Hände der arbeitenden Menschen zu legen, nicht in die der wenigen Ausbeuter:innen. Dies kann nur auf dem Weg der Revolution – der Zerstörung der Staatsmacht der Kapitalist:innenklasse – geschehen, nicht auf dem Weg der Reform.

Die Globalisierung erwies sich als eine vorübergehende Lösung für den Kapitalismus. Sicherlich hat sich der Grad der internationalen Integration zwischen den großen Zentren der Kapitalakkumulation unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer internationalen Finanzinstitutionen, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation, enorm erhöht. Sie beruhte in hohem Maße auf einer wohlwollenden Symbiose der USA und der EU mit China als Markt für Spitzentechnologie und als neue Produktionsstätte der Welt. Doch in der Epoche der vollen Reife des Kapitalismus, ja seiner Überreife, der Epoche des Imperialismus, musste eine schnell wachsende neue kapitalistische Macht wie China entweder der bestehenden hegemonialen Weltmacht untergeordnet werden und zu dem werden, was Marxist:innen eine Halbkolonie nennen, oder selbst zu einer imperialistischen „Großmacht“ emporsteigen.

Chinas Bereitschaft, in den exklusiven Klub der imperialistischen Mächte aufzusteigen, zeigte sich nach 2008, als es eine wichtige Rolle dabei spielte, die Weltwirtschaft aus der Großen Rezession herauszuziehen. Doch dann begann es, als Investor in Regionen zu expandieren, die bis dahin von den alten Imperialismen Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens beherrscht wurden. Dies führte unweigerlich zu einer Verschärfung der Rivalität und des Konflikts zwischen den alten und neuen Mächten. Die Fähigkeit der Kommunistischen Partei Chinas, mit Repressionen im Stil von Tian’anmen und Präsident Xi Jinpings Einführung eines Massenüberwachungsstaates zu drohen, beruht auf dem Aufstieg der chinesischen Bevölkerung aus der Armut und der Rolle des Landes als zweitstärkster Wirtschaft der Welt. Jeder ernsthafte oder anhaltende Rückzug von diesem Wohlstand, sei es durch wirtschaftlichen Abschwung oder militärische Abenteuer, wird diesen untergraben und das Gespenst der Revolution heraufbeschwören.

Im Gegensatz dazu fußte Russlands Fähigkeit, dem Schicksal der Unterordnung unter die Supermacht USA zu entgehen, eher auf der Rente aus seinen reichhaltigen natürlichen Ressourcen als auf dem industriellen Wachstum. Während der „Schocktherapie“, mit der Russland in den Kapitalismus eingeführt wurde, schrumpfte seine Wirtschaft um 40 Prozent, während die Inflation in die Höhe schoss. Engpässe bei den Grundnahrungsmitteln wurden zur Norm und ein Drittel der Bevölkerung fiel in Armut. Die sozialen Sicherungen der Sowjetära wurde dezimiert. Als unter Präsident Jelzin Russland 1992 in den IWF aufgenommen wurde, beschleunigte eine Reihe von Krediten mit harten Bedingungen (Kürzungen bei Sozialleistungen, Bildung usw.) den Abwärtstrend.

Präsident Putins Popularität war, zumindest anfangs, nicht das Ergebnis einer brutalen Unterdrückung der Opposition. Nach 2000 gelang es ihm, die schamlose Ausplünderung der Wirtschaft durch die Oligarch:innen und die Abzweigung des Reichtums in westliche Banken und Steuerparadiese zu unterbinden. Durch die Übernahme der Kontrolle über die Öl- und Gaskonzerne Lukoil, Rosneft usw. konnte er den wirtschaftlichen Niedergang aufhalten und den Lebensstandard in bescheidenem Maße wiederherstellen. Doch seine Versuche, den Westen dazu zu bewegen, Russland eine Einflusssphäre in den Staaten der ehemaligen UdSSR sowie in denen Afrikas und des Nahen Ostens, die früher enge Beziehungen zur UdSSR unterhielten, zuzugestehen, wurden wiederholt abgelehnt. Im Jahr 2005 bezeichnete er den Zusammenbruch der Sowjetunion (an dem er maßgeblich beteiligt war) als „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ und eine „echte Tragödie“ für das russische Volk, da sich „Dutzende Millionen“ von ihnen außerhalb des russischen Staatsgebiets wiederfanden.

Heute ist Russland wirtschaftlich nicht mit China gleichzusetzen. Es gehört nicht einmal zu den zehn größten Volkswirtschaften; sein Bruttoinlandsprodukt von 1,4 Billionen US-Dollar wird von dem der Vereinigten Staaten (20 Billionen US-Dollar) und Chinas (14 Billionen US-Dollar) in den Schatten gestellt. Es entspricht in etwa dem von Brasilien, liegt aber unter dem von Indien und sogar Südkorea. Seine technologischen Stärken finden sich in der Weltraumforschung, der Kernenergie und der militärischen Ausrüstung. Doch obwohl es ein wirtschaftlicher Zwerg ist, bleibt Russland ein militärischer Riese, der in Bezug auf die weltweite Feuerkraft und – zumindest vor dem Ukrainekrieg – auch in Bezug auf die militärischen Kapazitäten an zweiter Stelle hinter den USA stand. Dies war die Grundlage für Putins Fähigkeit, im Nahen Osten, in Afrika sowie im nahen Ausland als Friedensstörer aufzutreten.

2.2 Europa

Die beiden dominierenden Volkswirtschaften der Europäischen Union, Deutschland und Frankreich, sind seit langem bestrebt, die Unabhängigkeit des Blocks gegenüber den USA zu stärken und Europa als weltweiten Konkurrenten des chinesischen und amerikanischen Kapitals zu etablieren. Eine Reihe von Veränderungen in der internationalen Dynamik, beginnend mit Barack Obamas Hinwendung zu Asien, dem Austritt Großbritanniens, des engsten Verbündeten der USA, aus dem Block, der Förderung engerer Verbindungen mit Eurasien durch den Öl- und Gashandel und Chinas Seegürtel- und Straßeninitiative (Neue Seidenstraße) schienen eine zunehmend unabhängige Rolle für einen europäischen Imperialismus zu begünstigen. Doch der Ukrainekrieg hat mit einem Schlag die Vorherrschaft der USA auf dem Kontinent wiederhergestellt und die Pläne von Paris und Berlin zunichtegemacht.

Trotz Großbritanniens Austritt bleibt die EU einer der drei großen Blöcke des Kapitals. Während die Produktivkräfte des europäischen Kapitalismus längst über die Staatsgrenzen seiner Nationen hinausgewachsen sind, zeigt die anhaltende Krise, die die Union seit 2008 heimgesucht hat, dass die kapitalistischen Klassen Europas nicht in der Lage sind, die historisch fortschrittliche Aufgabe der Einigung des Kontinents zu erfüllen.

Die Europäische Union mit ihren Verträgen, ihrer Kommission, ihrer Europäischen Zentralbank und ihrer Währung ist ein Zwangsapparat zur Ausbeutung der Peripherie durch den imperialistischen Kern. Sie hat die südeuropäischen Staaten zum Schutz der imperialistischen Finanziers zu brutaler Sparpolitik gezwungen, stellt ein Reservoir an materieller und diplomatischer Hilfe für die Abenteuer des US-Imperialismus bereit und führt ihre Geschäfte hinter den Mauern der NATO und der Festung Europa. Diese imperialistische Architektur kann nicht umgestaltet werden, um sozialen Zielen zu dienen: Sie muss durch eine sozialistische Revolution abgeschafft werden, die in einem sozialistischen vereinigten Europa gipfelt.

Revolutionäre Kommunist:innen haben jedoch immer die Illusion zurückgewiesen, dass der Weg zur Vereinigung auf einer höheren, demokratischen, sozialistischen Grundlage notwendigerweise über die Zerlegung großer politischer oder wirtschaftlicher Einheiten in ihre Bestandteile führt. Wir versuchen vielmehr, sie so zu vergesellschaften und zu planen, dass sie die Menschheit voranbringen. Der Sozialismus erfordert einen kontinentalen, ja globalen Maßstab der integrierten Produktion. Die Perspektive des Sozialismus in einem Land ist heute noch reaktionärer, als sie es war, als Stalin sie vor einem Jahrhundert proklamierte.

Die Zurückdrängung der Produktivkräfte in 28 Nationalstaaten, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Zollschranken, die Unterbrechung des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs, die Behinderung der Entwicklung der Produktivkräfte, die Verschärfung der zwischenstaatlichen Rivalitäten, die weitere Spaltung der Arbeiter:innenklassen dieser Staaten im Namen einer vorgetäuschten wirtschaftlichen Souveränität können nur den nationalen Antagonismus, den wirtschaftlichen Niedergang und schließlich den Rückgriff auf einen imperialistischen Krieg fördern.

Die Aufgabe der Einigung Europas, die von den Kommunist:innen vor mehr als einem Jahrhundert vor dem Gemetzel zweier Weltkriege als notwendig erkannt wurde, fällt der Arbeiter:innenklasse zu, wenn sie einen Dritten Weltkrieg vermeiden will. Das Mittel, mit dem sie dies erreichen kann, ist die europaweite Revolution. Ausgehend von den heutigen Kämpfen gegen Sparhaushalte, Privatisierung, Krieg, Ungleichheit, Rassismus und Umweltzerstörung müssen die europäischen Arbeiter:innen ihre Kämpfe vereinen und ihnen ein gemeinsames Ziel geben – den Sozialismus im kontinentalen Maßstab.

2.3 Die Halbkolonien

Im globalen Süden hat die Illusion, dass die fortgeschrittenen halbkolonialen Länder den chinesischen Weg zur Entwicklung beschreiten, einen Todesstoß erhalten. In der Hochphase der Globalisierung wurden viele als „aufstrebende Volkswirtschaften“ bezeichnet, die für eine nachhaltige Entwicklung prädestiniert schienen – die asiatischen Tigerstaaten, die sogenannten BRICS-Länder, Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei. Aus diesem Optimismus heraus wurde im Jahr 2003 die G20-Gruppe gegründet. Doch in den folgenden zwei Jahrzehnten entkam mit Ausnahme von Russland und China keines dieser Länder der imperialistischen Vorherrschaft.

Die Situation der schwächeren Halbkolonien wurde nach der Krise von 2008 auf grausame Weise offengelegt. Die Dollarflucht machte die hohe Verschuldung deutlich; die von den Gläubiger:innen auferlegten Kürzungen der Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen lösten eine Kette von Ereignissen aus, die im Arabischen Frühling gipfelte.

Die Folgen der imperialistischen Missgeschicke im Irak und in Afghanistan (und später in Syrien und der Ukraine) haben die Verarmung und den Mangel an Sicherheit der Völker noch verstärkt. Beim Widerstand gegen die Wiedereinführung noch härterer autoritärer Regime in Algerien, im Sudan und in Rojava hat die Arbeiter:innenklasse oft eine wichtige, aber keine entscheidende Rolle gespielt; nirgendwo hat sie die Regime gestürzt.

In ganz Subsahara-Afrika behalten Großbritannien und Frankreich ihren Einflussbereich auf ihre ehemaligen Kolonialgebiete mit mehr oder weniger großem Nachdruck bei. Frankreich übt zwar immer noch die Kontrolle über die Währungspolitik der CFA (Cooperation Financière en Afrique) -Länder Zentralafrikas aus, doch seine Fähigkeit, Regierungen zu stützen oder zu ersetzen, wird durch den Rückgriff auf den Schutz durch russische Stellvertretertruppen zunehmend in Frage gestellt. Die Flut schwer bewaffneter islamistischer „Terrorist:innen“ in der Sahelzone war in hohem Maße das Ergebnis der US-Intervention in Libyen, obwohl sie auch mit der fortschreitenden Wüstenbildung in der Region zusammenhängt, die ein Produkt des Klimawandels ist und die Viehzüchter:innen gegen die sesshaften landwirtschaftlichen Gemeinschaften aufbringt.

In Lateinamerika haben die von Inflation, Arbeitslosigkeit und Schuldknechtschaft geplagten Volkswirtschaften einige rechte Regierungen zu Reformen herausgefordert, aber überall haben sich die Oppositionellen als unwillig erwiesen, die Arbeiter:innen und die Armen auf dem Land und in der Stadt gegen die Elite zu führen. Putsche und konterrevolutionäre Bewegungen waren der Preis dafür.

Die Europäische Union hat in den 2000er Jahren 13 Länder aufgenommen, darunter den größten Teil des ehemaligen Ostblocks. In allen Fällen waren diese an die imperialistischen Bedürfnisse Deutschlands und in geringerem Maße Frankreichs und Italiens als Quelle billiger Arbeitskräfte und Standort für die durch Produktionsauslagerung erzielten Superprofite gebunden. Autoritäre Regierungen neigen dazu, sich mit einer Mischung aus rechtem Nationalismus und neoliberalem „Wachstum“ auf dieses Pulverfass zu setzen.

Die halbkoloniale Abneigung gegen die westlich dominierte imperialistische Ordnung wurde von China geschickt durch die sogenannte „Schuldendiplomatie“ ausgenutzt, indem es Kredite ohne menschenrechtliche Auflagen anbot. Aber wie Sri Lanka zeigt, hat der Austausch eines imperialistischen Kredithais gegen einen anderen diese Länder weder vor den Verwüstungen der internationalen Märkte geschützt noch ihren neuen Gläubiger daran gehindert, seine Eigentumsrechte an seinen Investitionen geltend zu machen.

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

In den letzten zehn Jahren hat sich eine neue Phase der Rivalität zwischen den alten imperialistischen Mächten Europa, Nordamerika und Japan und den Neuankömmlingen China und Russland entwickelt, die ihren Platz an der Sonne einfordern. Früher oder später musste dies in einen offenen Konflikt münden. Die Ära der wohlwollenden Synergie zwischen den USA und China in den 1990er und frühen 2000er Jahren, die den Anspruch Washingtons untermauerte, eine neue Weltordnung geschaffen zu haben, ist längst vorbei. Russland, dessen kapitalistische Restauration sich endlich von den Nachwirkungen der „Schocktherapie“ erholt hatte, war der Ansicht, dass diese „Ordnung“ seinen Einflussbereich verkleinert hatte, und machte sich daran, ihn durch militärische und politische Interventionen wiederherzustellen – im Kaukasus, im Nahen Osten, in Afrika südlich der Sahara und in Osteuropa.

Jetzt erleben wir nicht nur einen Verdrängungswettbewerb, sondern auch Handelskriege, einen neuen Kalten Krieg und stellvertretende heiße Kriege. Libyen, Syrien, Jemen, Äthiopien, Sudan, Myanmar, Mali und andere sind Opfer einer neuen Periode der Großmachtrivalität, in der regionale und imperialistische Mächte Bürger:innenkriege schüren und die Bestrebungen nach Wirtschaftsentwicklung und Bekämpfung des Klimawandels zunichtemachen.

Darüber hinaus droht ein Krieg zwischen den Großmächten, deren Pulverfässer in Osteuropa, im Nahen und Fernen Osten liegen. Neue Allianzen werden ins Leben gerufen (AUKUS: Militärbündnis USA, Großbritannien mit Australien)) und alte aufgefrischt (NATO, Quad: Quatrilateraler Sicherheitsdialog; Block aus USA, Australien, Indien und Japan). Dazu gehören auch das Säbelrasseln im Südchinesischen Meer und der Versuch der westlichen imperialistischen Mächte, Putin durch massive Waffenlieferungen an die Ukraine und beispiellose Wirtschaftssanktionen zu demütigen und stürzen.

Das von den USA und dem Vereinigten Königreich geführte Sanktionsregime und die Aussetzung der russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa stellen einen großen Rückschlag für das deutsch-französische Projekt dar, die EU in einen unabhängigen imperialistischen Block zu verwandeln. Die Widersprüche innerhalb Europas werden immer größer, je länger der Krieg andauert. Europa ist das schwächste Glied in der imperialistischen Kette und trotz aller Niederlagen, die seine Arbeiter:innen im letzten Jahrzehnt erlitten haben, bleibt es der Kontinent mit den politisch erfahrensten Arbeiter:innenbewegungen, wenn auch mit den Führungen, die am routiniertesten darin sind, sie zu verraten.

Doch die Machthaber:innen in Washington, Berlin, Paris und London, auch in Peking und Moskau, spielen mit dem Feuer. Das Erbe von Donald Trumps Präsidentschaft und seine Umwandlung der Republikaner:innen in eine rechtspopulistische Partei, die demokratische Konventionen wie die Anerkennung von Wahlergebnissen verachtet, ist ein wichtiger Destabilisierungsfaktor, auch wenn sich Präsident Bidens Außenpolitik nur in den Schwerpunkten von der seines Vorgängers und potenziellen Nachfolgers unterscheidet. Schon jetzt setzt Trumps Oberster Gerichtshof eine reaktionäre Agenda gegen Frauen um (Aufhebung des Urteils Roe versus Wade, das Abtreibungen erlaubte) und ist bestrebt, Farbigen ihre hart erkämpften Bürger:innenrechte zu entziehen. Die giftigen Unterschiede zwischen liberalen und reaktionären US-Bundesstaaten und Wähler:innenblöcken bedrohen die Supermacht der Welt mit lähmenden internen Konflikten. Die Rolle der Vereinigten Staaten als Polizist einer „Weltordnung“ verkehrt sich in ihr Gegenteil, in die eines Brandstifters.

In Russlands vermeintlicher Einflusssphäre flammten im Kaukasus Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach und in Zentralasien zwischen Kirgistan und Tadschikistan um das Gebiet Batken auf. Das Vorhandensein mehrerer gemischter Ethnien ist eine Einladung an die despotischen Herrscher:innen dieser Gebiete, den internen Druck durch Kriege und ethnische Säuberungen zu lösen, wie sie in den 1990er Jahren Jugoslawien zerrissen haben.

Im Nahen Osten, in Syrien, wo die russischen Truppen noch immer präsent sind, und in Rojava, wo das US-Militär noch immer stationiert ist, sowie in der Türkei, die die kurdischen Streitkräfte auf beiden Seiten ihrer Grenze bedroht, schlummert ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann; trotz der chinesischen Vermittlung wird sich der Bürger:innenkrieg im Jemen wahrscheinlich als hartnäckiger Ausdruck der von den Großmächten angeheizten saudi-iranischen Regionalkonkurrenz erweisen. Unterdessen nutzt Israel den Krieg in Europa, um seine Besiedlung des Westjordanlands und Ostjerusalems zu verstärken. Seine westlichen Unterstützer:innen, ob sozialdemokratisch, liberal oder konservativ, arbeiten unermüdlich daran, die Palästinasolidaritätsbewegung mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Trump, Biden und Putin, die alle behaupteten, ihre Staaten seien „wieder da“, finden ihre Nachahmer:innen in Delhi, Ankara, Brasilia, Jerusalem und Riad. Jetzt tauchen solche „Störenfriede“ auch in Europa auf – in Ungarn, Polen und möglicherweise auch in Schweden, Italien oder Spanien.

Hinter diesen autoritären Führer:innen haben im letzten Jahrzehnt reaktionäre, oft rassistische Massenbewegungen zugenommen, die sich gegen Minderheiten richten und sich unter den Bedingungen einer tiefen und lang anhaltenden sozialen Krise zu vollwertigen faschistischen Bewegungen entwickeln können. All diese Prozesse stellen nach den Entwicklungen der vorangegangenen Jahre einen bedeutenden Rechtsruck dar; sie sind eine ernsthafte Herausforderung für die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten in der Welt, ihre Kampfkräfte zur Verteidigung der vergangenen Errungenschaften neu zu formieren. Aber der Erfolg erfordert die Vorbereitung der Mittel, um in die Offensive zu gehen, um die Gesellschaft dauerhaft von diesen Kräften zu befreien, die die Welt in die Katastrophe zu führen drohen.

Internationalist:innen auf der ganzen Welt müssen sich dagegen wehren, in eines der sich bekriegenden imperialistischen Lager hineingezogen zu werden, auch nicht durch deren Behauptung, Demokratie oder Antiimperialismus zu vertreten. Die USA und ihre NATO-Verbündeten sind nicht mehr das einzige imperialistische Lager, und China und Russland sind keine Antiimperialist:innen. In den alten „demokratischen“ imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas nutzen die herrschenden Klassen die berechtigte Empörung der Massen über Russlands Gräueltaten in der Ukraine oder Chinas Unterdrückung der Uigur:innen, der Tibeter:innen oder die Zerschlagung der demokratischen Rechte in Hongkong aus, um ihre kalten Kriege, ihre Aufrüstung und den Einsatz von Kriegen wie dem der Ukraine als Stellvertreterin zu rechtfertigen, um Russland zu schwächen. Ihre Behauptung, die Demokratie gegen die Autokratie zu verteidigen, ist lediglich eine Waffe, um fortschrittliche Menschen zu täuschen und rekrutieren.

Andererseits umwerben Moskau und Peking die Regierungen der halbkolonialen Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, indem sie die Heuchelei des Westens anprangern, seine wirtschaftliche Ausbeutung und Nötigung durch den IWF, die Auferlegung rücksichtsloser Sparmaßnahmen, seine brutalen Invasionen, die denen Russlands völlig gleichkommen, und seine Besetzungen, seine Wirtschaftsblockaden (Kuba, Venezuela, Iran, Nordkorea) beim Namen nennen und beschämen. Beide Lager können sich gegenseitig schwere ideologische Schläge versetzen, weil beide Anschuldigungen weitgehend wahr sind. Aber die Wahrheiten über die Verbrechen der einen Seite dürfen uns nicht blind machen für die ebenso entsetzlichen Verbrechen der anderen. Nichtsdestotrotz müssen Revolutionär:innen die Berechtigung derjenigen, die legitimen Widerstand gegen die Plünderungen einer der imperialistischen Mächte leisten, objektiv bewerten und anerkennen, während sie gleichzeitig den eigentlichen Grund der Gegner:innen aufdecken, sich für ihre Opfer einzusetzen, und damit das Gebot der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom und den Widerstand gegen den Imperialismus in Ost und West zu verteidigen.

So können wir uns für den Kampf der Ukraine um Selbstverteidigung oder für die von Peking bedrohten oder unterdrückten Völker einsetzen, ohne die Kriegsvorbereitungen und das Wettrüsten der NATO-Mächte zu unterstützen, geschweige denn direkt militärisch zu intervenieren. Gegenüber allen imperialistischen Mächten vertreten wir den striktesten revolutionären Defätismus: Mit den Methoden des Klassenkampfes, um ihre Kriegspläne zu vereiteln und zu besiegen, bereiten wir die revolutionären Kräfte und die objektive Grundlage für die soziale Revolution und den Sturz unserer eigenen Herrscher:innen vor. In den Ländern, die politisch und wirtschaftlich dem Imperialismus untergeordnet sind (Halbkolonien), verteidigen wir diese gegen den Imperialismus, wobei wir eine unbedingte politische Opposition und Unabhängigkeit von ihren bürgerlichen Führungen aufrechterhalten. In diesen Ländern ist unsere Perspektive die der permanenten Revolution: durch den Kampf, die Arbeiter:innenklasse an die Spitze eines legitimen Krieges zu bringen, den Weg zu einer sozialen Revolution unter ihrer Führung zu öffnen.

2.5 Klimakatastrophe

Die ungebremste Zerstörung der Umwelt, die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Ausstoß von Treibhausgasen, die den Planeten erwärmen, haben einen entscheidenden Wendepunkt erreicht, der eine tödliche Bedrohung für die natürlichen Lebensgrundlagen und die menschliche Zivilisation darstellt.

Die Zunahme extremer Wetterereignisse, Überschwemmungen, Brände, Hungersnöte und Dürren von nie dagewesener Intensität und das beschleunigte Abschmelzen des Polar- und Gletschereises mit der damit einhergehenden existenziellen Bedrohung für niedrig gelegene Länder sind alles Anzeichen dafür, dass der Klimawandel in eine tödliche und unkalkulierbare neue Phase eintritt.

Die Erwärmung des Klimas stellt die unmittelbarste Bedrohung dar, aber sie ist keineswegs die einzige. Die Versauerung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung der Nährstoffkreisläufe, die Erschöpfung des Grundwasserspiegels, die Dezimierung der biologischen Vielfalt und die Anhäufung giftiger Chemikalien in der Umwelt und den Nahrungsketten – all dies stellt eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit dar.

Angesichts der realen Auswirkungen, der apokalyptischen Modellierung der wahrscheinlichen Entwicklungen sind die Vorschläge zur Verlangsamung und Umkehrung der drohenden Katastrophe klar, aber die Großmächte der Welt weigern sich, echte Maßnahmen zu ergreifen. Der Wiedereintritt der USA in das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Emissionen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes Klimaabkommen lediglich die Weigerung der größten Umweltverschmutzer:innen und ihrer aufstrebenden Konkurrent:innen unterstreicht, die Profite ihrer Konzerne durch die Auferlegung echter Emissionsreduzierungen zu gefährden.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich zu einem globalen System des Umweltimperialismus entwickelt, das durch ungehemmte Weltmärkte gekennzeichnet ist, auf denen der Handel zugunsten der reichen imperialistischen Länder organisiert wird. Die Grundlage dafür ist die immer stärkere Konzentration des Kapitals und die Unterdrückung der halbkolonialen Länder durch die Kontrolle über kritische Technologien und Kapitalexporte.

Die Ausbeutung der halbkolonialen Länder durch den imperialistischen Kern wird ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert; die sozialökologischen Kosten der kapitalistischen Produktion werden systematisch auf die Halbkolonien übertragen. In den meisten Fällen können sich die monopolistischen Agrar-, Bergbau- und Energiekonzerne darauf verlassen, dass die lokalen Regierungen als willige Vollstreckerinnen gegen die Proteste der Bevölkerung auftreten. Währenddessen wird in den imperialistischen Zentren die räuberische und unhaltbare Ausbeutung des globalen Südens hinter der zynischen Vermarktung von „nachhaltiger“ Produktion und „fairem“ Handel verborgen – eine einfache, aber wirksame Propaganda im Dienste des „business as usual“ für Monsanto (Bayer), Glencore und Unilever.

Während die Nutzung und Veränderung der Umwelt zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse notwendig ist und im Sozialismus fortbestehen wird, sieht sich der Kapitalismus durch seinen grenzenlosen Drang zur Akkumulation in Richtung Zerstörung der Umwelt getrieben. Es ist das unersättliche Streben nach Profit, die Ausbeutung der Menschen und des Planeten, die die kapitalistische „Entwicklung“ unvereinbar mit den Bedürfnissen der Umwelt und dem Fortschritt der Menschheit machen. Die Tatsache, dass der Kapitalismus unaufhaltsam die natürlichen Grundlagen seiner eigenen Existenz untergräbt, beweist, dass er ein sterbendes System ist. Es stellt sich die Frage: Wird er mit der sozialistischen Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beendet oder wird die Menschheit auf dem Weg in die Barbarei weiterschlittern?

2.6 Rezession

Die Bemühungen der Zentralbanken der Großmächte, die Inflation zu bekämpfen, indem sie die Zinssätze nach einem Jahrzehnt mit historischen Tiefstständen von nahezu null anheben, führen zu einer neuen Rezession. Die unvermeidliche Folge ist ein Einbruch der Nachfrage, eine Zunahme der Insolvenzen und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Staatshaushalte sind bereits durch die enormen Schulden aus den Bankenrettungen von 2008 – 2010, die Stützung von Zombieunternehmen und die Aufrechterhaltung der beispiellosen staatlichen Aufwendungen durch die Pandemie überlastet. Hinzu kommt ein enormes Ausufern der unproduktiven Ausgaben für Aufrüstungsprogramme.

Die Inflation senkt den realen Wert der Löhne und der Ausgaben für Gesundheits-, Sozial- und Bildungsprogramme – ganz zu schweigen von den bereits unzureichenden Zusagen der Weltgipfel zur Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels. Angesichts dessen werden die Rufe nach Sozialabbau, Lohnzurückhaltung und Haushaltskürzungen immer lauter.

In den USA, dem reichsten Land der Welt, lag die offizielle Armutsquote im Jahr 2021 bei 11,6 Prozent, was 37,9 Millionen Menschen entspricht. Weltweit lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung von 5,50 US-Dollar pro Tag oder weniger. Etwa 2,6 Milliarden Menschen haben keine sanitäre Grundversorgung und 1,6 Milliarden leben ohne Strom. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung bewohnen Länder, in denen die Ungleichheit zunimmt.

Multinationale Konzerne nutzen Millionen und Abermillionen prekär Beschäftigter als Reservearmee, die ausgebeutet werden, wenn die Gewinne am höchsten sind, und die in Zeiten der Rezession oder Stagnation für sich selbst sorgen müssen. Angetrieben von der unerbittlichen Logik der kapitalistischen Konkurrenz verlagern sie ihre Fabriken, Banken und Büros dorthin, wo sie den größten Profit erzielen können. So wird die Arbeitslosigkeit, die seit der CoVid-Pandemie bereits fortschreitet und durch den Sanktionskrieg noch verschlimmert wurde, wie ein Tsunami über die Welt hereinbrechen. Die Lohnabhängigen werden auf die spärlichen Ressourcen der Familie zurückgeworfen – auf die Lebensmitteltafeln in den imperialistischen Ländern und in die Flüchtlingslager der abgehängten Halbkolonien.

Darüber hinaus droht eine weitere technologische Revolution, die künstliche Intelligenz (KI) und die Robotik, die lebendige Arbeit massiv zu ersetzen, um die Produktivität zu steigern, obwohl sie in Wirklichkeit langfristig die Profitrate senken und die Krise des Systems insgesamt verschärfen wird. Die Kapitalist:innen träumen nur davon, die Arbeitskosten zu senken und die Zahl ihrer Beschäftigten zu reduzieren, nicht aber die Zahl ihrer Arbeitsstunden. Nunmehr bedroht die KI die Arbeitsplätze von mittleren Angestellten, Bürokräften und Dienstleister:innen in enormem Ausmaß.

Die Arbeiter:innenklasse hat vor zwei Jahrhunderten gelernt, dass der Widerstand gegen die Einführung und Anwendung neuer Technologien, etwa durch Maschinenstürmerei, zwecklos ist. Die Antwort der Arbeiter:innen besteht darin, die neuen Technologien zu nutzen, um die Arbeitszeit zu verkürzen und die für Körper und Geist schädlichen Arbeitsformen abzuschaffen. Die Technologie selbst kann die Kontrolle der Menschheit über die Produktion und die Interaktion mit unserer natürlichen Umwelt enorm erleichtern. Damit dies zu einem gesellschaftlichen Ziel wird, müssen wir die Überwachung und Kontrolle durch die Arbeiter:innenschaft, die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit und die Anhebung der Löhne, Renten und Sozialleistungen auf ein angemessenes Lebensniveau durchsetzen, das mit dem Preisanstieg Schritt hält. In einer geplanten und vergesellschafteten Wirtschaft könnten KI und der Einsatz von Robotern einen starken Impuls für die Emanzipation der Arbeit geben, indem sie es ihr ermöglichen, kreativer zu werden und generell die Bereiche zu vergrößern, die die menschliche Intelligenz abdecken kann.

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

Die Große Rezession von 2008 löste eine Welle demokratischer Revolutionen im Nahen Osten aus, bei denen Arbeiter:innenstreiks wie in Ägypten und Tunesien eine entscheidende Rolle beim Sturz der alten Diktatoren spielten, aber nicht zu einer „dauerhaften“ Revolution in dem Sinne wurden, dass die Arbeiter:innenklasse die politische Führung übernahm und es zur Bildung von Arbeiter:innenregierungen kam. Selbst als demokratische Revolutionen scheiterten sie also, und islamistische und militärische Kräfte gelangten an die Macht.

Im gleichen Zeitraum verliehen die Massenproteste, Platzbesetzungen und Streiks gegen die Sparmaßnahmen in Europa, insbesondere in Spanien und Frankreich, den ersten Jahren des Jahrzehnts einen explosiven Charakter. Im Jahr 2010 kündigte die französische Regierung drastische Rentenkürzungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters an, was einen dreiwöchigen Generalstreik auslöste, der an Mobilisierungen wie die von 1995 und 2006 erinnerte, die die Regierung zum Rückzug zwangen. Dieses Mal blieb der Kampf trotz der seltenen Einigkeit zwischen den Gewerkschaftsverbänden, der starken Unterstützung durch die Öffentlichkeit und der regen Beteiligung vieler Teile der Arbeiter:innenbewegung letztlich erfolglos. In anderen Ländern, in denen „soziale Bewegungen“ wie der britische Rentenstreik und die Student:innenrevolte von 2010/2011 stattfanden, gelang es den Regierungen, die Unruhen ohne Zugeständnisse zu überstehen.

Doch nirgendwo war der Kampf so langwierig und intensiv wie in Griechenland. Ab 2009 durchlief das Land eine Finanz- und Industriekrise, die ein Viertel der Wirtschaft des Landes vernichtete. Als Reaktion auf eine Reihe brutaler Kürzungsprogramme, die – auf Geheiß der deutschen Regierung – von der „Troika“ aus EZB, EU-Kommission und IWF diktiert wurden, starteten die griechischen Gewerkschaften zwischen 2010 und 2015 eine Reihe von 28 verschiedenen Generalstreiks (20 von 24 Stunden und vier von 48 Stunden). Die Syriza-Regierung, die mit einem Programm gewählt wurde, in dem sie sich den Forderungen der Troika widersetzte, und die durch das überwältigende Mandat des „Oxi“-Referendums unterstützt wurde, brach bald zusammen und verhängte die geforderten Sparmaßnahmen.

Nach den Niederlagen der sozialen Bewegungen, den Enttäuschungen, dem Scheitern und Verrat durch verschiedene sozialdemokratische oder linkspopulistische Parteien und der Niederschlagung des Arabischen Frühlings durch die Konterrevolution kam es zu einem allgemeinen Rückgang des Niveaus der Klassenkämpfe, der in den Schließungen von CoVid-19 und der Rezession gipfelte.

Jetzt gibt es überall auf der Welt Anzeichen für eine Erholung des industriellen Widerstands und die Entwicklung neuer revolutionärer Möglichkeiten.

Die brisanteste Situation in der Zeit nach der Pandemie begann mit dem Aufstand gegen die klerikale Diktatur im Iran, der durch die Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die sogenannte Sittenpolizei ausgelöst wurde. Zwei Monate lang füllten Massenproteste unter den Slogans „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Nieder mit den Mullahs“ die Straßen. Die Proteste, zu denen auch Streiks und das symbolische Ablegen des Kopftuchs durch Frauen gehörten, waren eine der größten Herausforderungen für das Regime seit Jahren. Da es der Bewegung jedoch nicht gelang, den Protest in einen Aufstand in Form eines Generalstreiks und der Bildung von Schoras (Räten) zu verallgemeinern, hatte der Staatsapparat Zeit, seine Position zu stabilisieren und konnte ihn schließlich mit seinen Waffen – Massenverhaftungen, Folter und Mord – niederschlagen. Während das Fehlen einer revolutionären politischen Führung es dem Regime ermöglichte, dieses Mal die Initiative zu ergreifen, ist ein großer Teil der iranischen Massen dem herrschenden System nun endgültig entfremdet: Die nächste Explosion wird noch größer ausfallen.

In den USA gab es eine Welle von Streiks in Fabriken, Schulen und in der Logistik sowie gewerkschaftliche Aktionen in den neuen Online-Dienstleistungsunternehmen wie Amazon und der sogenannten Gig-Economy mit ihren befristeten Arbeitsverträgen. Zu den wichtigen Siegen und Zugeständnissen für die Beschäftigten zählen die einmonatigen Aktionen von 10.000 Mitgliedern der Automobilarbeiter:innengewerkschaft UAW bei John Deere und die gefeierten Lehrer:innenstreiks.

In Großbritannien führte der Inflationsanstieg zu einer Reihe von eintägigen Streiks der Beschäftigten im Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungswesen, wobei die Zahl der durch Streiks für die Kapitalist:innen verlorenen Tage so hoch war wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Während die Weigerung der Gewerkschaftsführer:innen, die Maßnahmen zu eskalieren und koordinieren, in einer Folge von Abschlüssen unterhalb der Inflationsrate endete, hat sich der Widerstand gegen diese Ausverkäufe zu den ersten Versuchen seit vielen Jahren verdichtet, eine Organisation der Basis aufzubauen.

Die entschlossene Offensive des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen das Rentensystem löste eine Welle von eintägigen Streiks und Mobilisierungen aus. Zum ersten Mal handelten alle großen Gewerkschaftsverbände gemeinsam – doch statt einer Eskalation kam es zu einer Abwiegelung, da die Gewerkschaften abwarteten, ob das Parlament, das keine Macron-freundliche Mehrheit hatte, das Gesetz blockieren würde. Macron vermied dieses Szenario, indem er auf die Verordnungsbefugnisse zurückgriff, die den Präsident:innen unter der bonapartistischen Verfassung der Fünften Republik zustehen. Die französischen Arbeiter:innen, die kämpferischsten in Europa, haben wieder einmal gezeigt, welchen Preis jede noch so militante Bewegung zahlt, der es an einer revolutionären Führung mangelt, die in der Lage ist, einen Kampf zum Sieg zu führen.

Im August 2022, als die Inflation bei über 70 Prozent lag, zwangen die argentinischen Gewerkschaften die Regierung und die Unternehmer:innen zu einer Erhöhung der Löhne und der Arbeitslosenunterstützung. Im selben Monat gingen 600.000 südafrikanische Lohnabhängige in allen neun Provinzen auf die Straße, um ein Grundeinkommen, einen existenzsichernden Mindestlohn und eine Begrenzung der Kraftstoffpreise und Zinssätze zu fordern. In Indien folgte auf den eintägigen Streik von 150 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Jahr 2016 im November 2020 ein weiterer 24-stündiger Streik, an dem sich 250 Millionen Beschäftigte beteiligten. In China ereignen sich in der riesigen Industriezone des Perlflussdeltas jedes Jahr bis zu 10.000 Arbeitskonflikte.

Kann diese neue Welle auf die große Zahl der derzeit nicht organisierten Proletarier:innen übergreifen? Können Aktivist:innn an der Basis dafür sorgen, dass diese neuen kämpferischen Arbeiter:innen sich Gehör verschaffen, ja, dass sie entscheidend sind? Wie alle Aufschwünge des Klassenkampfes zeigen, werden diese Gelegenheiten verpasst werden, wenn es keine alternative Führung zu reformistischen bzw. zentristischen Parteien und Gewerkschaftsbürokratien oder libertärem „spontanem“ Durcheinander gibt, und Gegenreform oder Konterrevolution werden den Sieg davontragen. Die Frage ist, wie kann eine revolutionäre Führung, eine Partei, aus der heutigen Verwirrung hervorgehen?

An diesem Punkt wird das politische Eingreifen in die Gewerkschaftskämpfe, um die Schaffung einer anderen politischen Führung voranzutreiben, die mit einer alternativen Strategie bewaffnet ist, die auf dem Klassenkampf basiert und auf den Sturz des Kapitalismus abzielt statt auf Verhandlungen und Kompromisse innerhalb seiner Grenzen, von größter Bedeutung. Die Entwicklungen innerhalb der Power Loom Workers‘ Union (Webereiarbeiter:innengewerkschaft) in Faisalabad, Pakistan, wo es Bestrebungen gibt, die Masse der Arbeiter:innen in Richtung einer solchen „klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung“ zu bewegen, sind nur ein Beispiel. Das Ziel dieses Ansatzes ist die Schaffung von Arbeiter:innenmassenparteien, die von allen bürgerlichen Kräften unabhängig sind und deren Organisation und Führung die Kampfkraft der gesamten Arbeiter:innenfront und der damit verbundenen Kämpfe der national, rassistisch und sozial Unterdrückten qualitativ verändern können.

Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse, kämpferische Aktion und Basisdemokratie sind entscheidende Fragen in der kommenden Periode. Sie können der Entwicklung von revolutionären Parteien auf internationaler Ebene und einer Fünften Internationale enorm helfen. Es ist daher die Pflicht der Vorhut-Elemente in den Gewerkschaften und revolutionären Organisationen, den Kampf zu verstärken, um das Gewerkschaftsbündnis mit bürgerlichen Parteien zu brechen – wie zum Beispiel zwischen der Demokratischen Partei und der AFL-CIO in den USA oder die Unterordnung der Gewerkschaft unter die Peronist:innen in Argentinien – mit dem Ziel, wirklich unabhängige Arbeiter:innenparteien zu gründen.

3.2 Krise der Führung

Sozialdemokratische, Labour- und kommunistische Parteien haben den Kapitalist:innen lange Zeit als alternative Regierungsparteien in den europäischen imperialistischen Staaten gedient. In Indien hat die Linksfront (CPI, CPI(M) [indische KPen] und andere) dies auf regionaler Ebene ebenfalls getan; ebenso die südafrikanische kommunistische Partei innerhalb des ANC (Partei Afrikanischer Nationalkongress) seit dem Ende der Apartheid; ein Weg, der wiederum von der brasilianischen Arbeiter:innenpartei (PT) im 21. Jahrhundert beschritten wurde.

Was diese Parteien gemeinsam haben, ist eine privilegierte Schicht professioneller Bürokrat:innen und Parlamentarier:innen, die in der Praxis den Kapitalismus als dauerhaftes System betrachten und den Bossen dienen, ob an der Regierung oder in der Opposition. Sie vereiteln die Versuche ihrer Mitglieder aus der Arbeiter:innenklasse, diese Parteien als wirksame Waffen des Kampfes einzusetzen. In Europa und Asien haben diese Organisationen, obwohl sie einst ihre Dienste für begrenzte soziale Reformen angeboten haben, in den letzten zwanzig Jahren die von der Kapitalist:innenklasse geforderte neoliberale, marktfreundliche Politik übernommen, und in der Zeit nach 2008 gerieten ihre „Reformen“ zu Sparpolitik, Privatisierung und Angriffen auf die Löhne.

Mit der Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion, Osteuropa und China sind auch die stalinistischen kommunistischen Parteien der Welt weit nach rechts gerückt. In West- und Mitteleuropa haben sie einen Teil des politischen Raums eingenommen, den die neoliberale Sozialdemokratie verlassen hat. In Worten haben sie den Neoliberalismus kritisiert, aber in der Praxis war selbst der kleinste Anteil an der Regierung ein ausreichender Preis, um die Kapitulation und Durchführung von Kürzungen und Privatisierungen durch Parteien wie Rifondazione Comunista (Italien), die französische kommunistische Partei und DIE LINKE in Deutschland zu erkaufen.

Das Regieren für den Kapitalismus führte dazu, dass die CPI-CPI(M)-Regierung in Westbengalen als Vollstreckerin für ausländisches und einheimisches Kapital gegen die dörfliche und Stammesbevölkerung auftrat, deren Land sie enteignen wollte. Die Unterdrückung der Dorfbewohner:innen von Nandigram in Westbengalen wurde weltweit berüchtigt. Ihr „Lohn“ war ein erdrutschartiger Wahlsieg im Jahr 2011 durch die bürgerliche Allianz aus Trinamool Congress und Indischem Nationalkongress, und bei den Wahlen im Mai 2019 wechselte fast ihre gesamte soziale Basis zur BJP, einer hindunationalistischen Partei.

In den 2010er Jahren gab es neue reformistische Formationen, Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, den Bloco de Esquerda in Portugal und die Corbyn-Bewegung in Großbritannien. In den USA führten die Vorwahlen der Demokratischen Partei mit der Kandidatur von Bernie Sanders 2016 und 2019 dazu, dass sich die Democratic Socialists of America, wenn von der zweiten Partei des US-Imperialismus halb abgesetzt hat.

Maoistische Parteien, insbesondere die in Nepal und Indien, haben ebenfalls eine radikalere Rolle gespielt. Die Kommunistische Partei Nepals (NCP) ist ein Zusammenschluss der CPN (Einheitliche Marxistisch-Leninistische Partei) und der CPN (Maoistisches Zentrum) aus dem Jahr 2018, dessen beide Parteien bei den Wahlen 2017 einen Erdrutschsieg errangen. Ihr Bekenntnis zur stalinistisch-maoistischen Strategie der „Revolution in Etappen“, die offen sozialistische Maßnahmen und Arbeiter:innenmacht ablehnt, stellt sicher, dass sie die Fehler und den Verrat ihrer Schwesterparteien anderswo wiederholen wird.

Die Kommunistische Partei Indiens (Maoist:innen) entstand als Guerillatruppe unter den landlosen und armen Bauern und Bäuerinnen und Adivasi (indigene Völker), die sich dagegen wehren, dass ihr Land von multinationalen Unternehmen oder indischen Milliardär:innen übernommen wird. Sie verfolgen die alte maoistische Strategie der „Umzingelung der Städte“, aber in einem Land mit einer riesigen und wachsenden Arbeiter:innenklasse, in dem die Grenzen der Etappentheorie und der Guerillastrategie immer deutlicher werden, können sie keine Strategie für eine sozialistische Revolution bieten.

Viele Linke, angeführt von der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat), sahen im raschen Aufstieg von Syriza eine Bestätigung ihrer Ablehnung des leninistischen Parteimodells zugunsten „breiter“ Bündnisse, die sowohl revolutionäre als auch reformistische Strömungen umfassen. Es ist zwar richtig, sich solchen Formationen wie Syriza anzuschließen, wo immer sie eine Abkehr einer ernstzunehmenden Zahl von Arbeiter:innen und Jugendlichen vom Liberalismus, der rechten Sozialdemokratie oder dem Populismus darstellen, aber die Kritik an den grundlegenden Schwächen des Syriza-Projekts zu unterdrücken, bedeutet, die revolutionäre Politik aufzugeben. Ebenso trugen die sogenannten Revolutionär:innen, die in Erwartung des Scheiterns beiseitestanden, nichts zur Vorbereitung der Arbeiter:innenklasse auf die bevorstehenden Schlachten bei.

In Lateinamerika haben die Regime und Bewegungen, die den von Hugo Chávez (Venezuela), Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador) und Lula (Brasilien) proklamierten „Sozialismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts“ vertraten, zahlreiche Niederlagen erlitten oder sind nach rechts gerückt. Nirgendwo war dies schockierender als im Fall von Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro, auch wenn diese Degeneration zum repressiven Bonapartismus durch die US-Blockade, die wirtschaftliche Sabotage der venezolanischen Bourgeoisie und Putschversuche begünstigt wurde. Der Höhepunkt der braunen Flut reaktionärer Siege war die Wahl von Jair Bolsonaro 2018.

Dennoch hat sich mit der Wahl von Andrés Manuel López Obrador (Mexiko, 2018), Alberto Fernández (Argentinien, 2019), Luis Arce (Bolivien, 2020), Pedro Castillo (Peru, 2021), Gustavo Petro (Kolumbien, 2022) und Gabriel Boric (Chile, 2022) eine Gegenströmung des gemäßigten Linkspopulismus entwickelt. Alle diese Vertreter der neuen „rosa Flut“ sehen sich jedoch mit einem schwierigeren Umfeld konfrontiert als ihre Vorgänger:innen zu Beginn des Jahrtausends in der Zeit der starken Globalisierung. Die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der rechtsextremen Oppositionskräfte bedeuten, dass der Spielraum für die Erfüllung der dringenden Bedürfnisse ihrer Anhänger:innen extrem eingeschränkt ist. Das Gleiche gilt für die kürzlich gewählte Lula-Koalition in Brasilien, die als linker Deckmantel für die reaktionäre Politik eines Teils der brasilianischen Kapitalist:innenklasse dient. Diese Koalition wird von Bolsonaros Unterstützer:innen herausgefordert, die noch offener faschistisch und besser bewaffnet sind als die Gefolgschaft des abgewählten US-Präsidenten Trump. Der jüngste Putschversuch als Reaktion auf die Wahl der Lula-Koalition erinnerte stark an die Erstürmung des US-Kapitols durch Trumpist:innen im Jahr 2021.

Obwohl einige „sozialistische“ Führer:innen der 2000er Jahre bedeutende soziale und demokratische Reformen durchführten, fielen die meisten von ihnen der Krise von 2008 zum Opfer und in jedem Fall enteigneten sie nie die entscheidenden Sektoren der Bourgeoisie oder der multinationalen Konzerne. Wenn sie mit Streiks und Besetzungen konfrontiert wurden, griffen sie meist zu Repressionen und Verhaftungen. In Brasilien ergriffen weder Lula noch seine Nachfolgerin Dilma nennenswerte Maßnahmen gegen den brasilianischen Kapitalismus, noch brachen sie endgültig mit dem Imperialismus oder seinen Agenturen wie dem IWF. Diese Koexistenz kam kaum überraschend, da die PT stets in Koalition mit offenen bürgerlichen Parteien regierte, und es waren diese Kräfte, die sich beim „Putsch“ 2015 gegen die PT wandten, als Dilma abgesetzt und durch ihren Stellvertreter Michel Temer von der bürgerlichen Partei Brasilianische Demokratische Bewegung (PMDB) ersetzt wurde.

Ihr Kompromiss zwischen sozialen Reformen und der Verteidigung des Kapitalismus war damals nicht tragbar und wird es auch in Zukunft nicht sein. Auf jeden Fall werden Maßnahmen wie Verstaatlichungen nur dann „sozialistisch“, wenn ein Arbeiter:innenstaat sie koordiniert und mit der Waffe in der Hand verteidigt. Nur mit Arbeiter:innenkontrolle am Arbeitsplatz und Arbeiter:innenmacht im Staat ist es möglich, eine Wirtschaft zu planen, die die Verschwendung und das Chaos des Marktes beseitigt. Erst wenn die bewaffnete Macht in den Händen der Arbeiter:innen liegt und der militärisch-bürokratische Apparat des bürgerlichen Staates zerschlagen ist, kann der Weg zum Sozialismus national und international geebnet werden.

Ältere lateinamerikanische Regime, die von linksreformistischen oder stalinistischen Kräften geführt werden, wie Kuba, Nicaragua und Venezuela, haben auf die US-Blockaden mit immer repressiveren Maßnahmen reagiert, anstatt die Entfaltung der Demokratie der Arbeiter:innen und Bäuer:innen zuzulassen, geschweige denn die Idee eines echten Antiimperialismus, der die Ausbreitung einer kontinentalen (permanenten) Revolution bedeuten würde.

In Afrika haben Militärputsche, bonapartistische Präsidentschaften, islamistische Aufstände und Terrorismus das Elend der imperialistischen Ausbeutung und Umweltzerstörung noch verschlimmert. Der Traum vom „afrikanischen Sozialismus“, der in der Ära der Entkolonialisierung aufkam, ist längst ausgeträumt und unter der Ausbeutung durch multinationale Konzerne und westliche Banken zerbrochen, die eng mit der enormen Schuldenlast und den vom imperialistisch kontrollierten IWF und der Weltbank auferlegten „Reformen“ verbunden ist.

Die Befreiungsbewegungen in Simbabwe, Tansania, Angola und Mosambik versanken schnell in der Korruption der neuen Eliten und Unterdrückung der Opposition. Die Hoffnungen auf soziale und wirtschaftliche Befreiung, die mit dem Ende der Apartheid in Südafrika verbunden waren, wurden grausam enttäuscht, während die alten weißen Geschäfts- und Grundbesitzeliten geschützt wurden.

Die Unfähigkeit radikaler kleinbürgerlicher Guerillabewegungen und einer „schwarzen Bourgeoisie“, entschieden mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus zu brechen, verdammte diese Länder dazu, sich weiterhin dem globalen Imperialismus unterzuordnen. Jetzt ist ein neues Gerangel um Afrika im Gange zwischen den alten Kolonialmächten, vor allem Frankreich und Großbritannien, die von den USA unterstützt werden, und China und Russland; Erstere bieten neue Investitionsquellen in Industrie und Infrastruktur, Letztere Waffenlieferungen und die zynische „Hilfe“ der Wagner-Söldner, die Militärregierungen stützen.

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

Zu lange zerfielen die Programme der Arbeiter:innenparteien in ein Minimalprogramm mit stückweisen Reformen, von denen jede von den Kapitalist:innen wieder weggenommen werden kann, solange sie die Macht im Staate haben, und ein Maximalprogramm – wenn es überhaupt auftaucht –, das zwar das Ziel des Sozialismus formuliert, es aber als eine ferne Utopie darstellt, die von den Erfordernissen der gegenwärtigen Auseinandersetzungen abgekoppelt ist.

Das Programm einer neuen Internationale muss mit diesem gescheiterten Modell brechen. Es muss eine Reihe integrierter Übergangsforderungen aufstellen, die die Losungen und Kampfformen, die zur Abwehr der kapitalistischen Offensive notwendig sind, mit den Methoden verbinden, die wir brauchen, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen, die Arbeiter:innenmacht zu errichten und einen sozialistischen Produktionsplan einzuführen.

Das Übergangsprogramm befasst sich mit den entscheidenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen der Zeit, einschließlich der unmittelbaren und demokratischen Forderungen, die vor dem Sturz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse erfüllt werden können, wie z. B. ein garantierter existenzsichernder Lohn, echte Lohngleichheit für Männer und Frauen, hohe Besteuerung der Reichen und der großen Unternehmen. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass der Kapitalismus in seiner historischen Krise solche Reformen nur dann zulassen wird, wenn er mit einer realen Bedrohung seiner Macht und seines Eigentums konfrontiert ist. Selbst dann werden die Kapitalist:innen versuchen, ihre Zugeständnisse rückgängig zu machen, sobald die unmittelbare Gefahr vorüber ist oder der Druck des Klassenkampfes nachlässt.

Die Vorstellung, dass wir den Sozialismus auf einem allmählichen und friedlichen Weg von Sozialreformen und Gewerkschaftsverhandlungen erreichen können, ist heute utopischer denn je. Ein Programm für den Sozialismus muss die grundlegenden „Rechte“ der Kapitalist:innen in Frage stellen: das Recht auf Ausbeutung, das Recht, den Profit über den Menschen zu stellen, das Recht, sich auf Kosten der Armen zu bereichern, das Recht, die Umwelt zu zerstören und unseren Kindern eine Zukunft zu verweigern.

Die Schlachten von heute zu gewinnen, heißt, mit Blick auf die Zukunft zu kämpfen. Eine Fünfte Internationale muss daher Forderungen aufstellen und Organisationsformen vorschlagen, die nicht nur den heutigen lebenswichtigen Bedürfnissen entsprechen, sondern auch die Arbeiter:innen so organisieren, dass sie die Macht ergreifen und ausüben können. Die Kombination dieser Elemente ist keine künstliche Übung; diese Elemente sind durch die realen Bedingungen des Klassenkampfes in dieser Periode des kapitalistischen Niedergangs miteinander verbunden.

Um das Tor zur zukünftigen Gesellschaft aufzustoßen, fordert unser Programm die Durchsetzung der Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion und ihre Ausweitung auf immer weitere Bereiche, von den Fabriken, Büros, Transportsystemen und Einzelhandelsketten bis hin zu den Banken und Finanzhäusern. Dies bedeutet die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses, ein Vetorecht der Beschäftigten gegen Entlassungen, die Inspektion und Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter:innen, eine automatische Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg zur Bekämpfung der Inflation und die entschädigungslose Verstaatlichung (Enteignung) der entscheidenden Wirtschaftssektoren.

Darüber hinaus erfordert der Kampf um diese Forderungen, um sie den Bossen aufzuzwingen, neue Formen der Organisation, die über die Grenzen der Gewerkschaftsbewegung oder der Parlamentswahlen hinausgehen. Auf jeder Ebene des Kampfes muss die Entscheidungsfindung durch demokratische Versammlungen aller Beteiligten zur Norm werden. Von diesen Versammlungen gewählte und abrufbare Delegierte sollten mit der Umsetzung von Beschlüssen und der Kampfleitung beauftragt werden. Von Streikkomitees, die von der gesamten Belegschaft gewählt werden, bis hin zu Preisüberwachungskomitees, die alle Arbeiter:innen in den Gemeinden umfassen, von Arbeiter::inneninspektionskollektiven, die die Geschäftsunterlagen von Firmen prüfen, bis hin zu Streikpostenverteidigungsverbänden, die die Streikenden schützen, sind solche Organisationen nicht nur notwendig, um die heutigen Klassenauseinandersetzungen zu gewinnen, sondern auch, um die Grundlage für die Kampforganisationen von morgen im Sturm auf die Staatsmacht und dann die zukünftigen Organe des Arbeiter:innenstaates zu bilden.

Arbeiter:innen, die sich heute gegen Sozialabbau und Sparprogramme zur Wehr setzen, können diese Forderungen einzeln und gemeinsam gegen spezifische Angriffe erheben, aber das sozialistische Ziel des Programms wird nur erreicht werden, wenn sie als ein zusammenhängendes System von Losungen für die Umgestaltung der Gesellschaft aufgegriffen und erkämpft werden. Das vollständige Übergangsprogramm ist eine Strategie für die Macht der Arbeiter:innenklasse. Aus diesem Grund sind unsere Forderungen keine passiven Appelle an Regierungen oder Unternehmer:innenschaft, sondern Kampfparolen für die Arbeiter:innenklasse, um die Kapitalist:innen zu stürzen und zu enteignen.

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

Gegen jeden Attacke der Kapitalist:innen auf unseren Lebensstandard ist unsere Politik die der Einheitsfront der Arbeiter:innen: die gemeinsame Aktion aller Kräfte der Arbeiter:innenklasse in jedem Land und über Grenzen und Ozeane hinweg.

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

  • Im Kampf gegen die Inflation, die die Einkommen der Arbeiterklasse entwertet, setzen wir uns für eine gleitende Lohnskala ein – eine Erhöhung von einem Prozent für jedes Prozent Anstieg der Lebenshaltungskosten. Ein Lebenshaltungskostenindex für Lohnabhängige sollte von Preisüberwachungsausschüssen etabliert werden, die sich aus Delegierten zusammensetzen, gewählt von den Betriebsversammlungen, den Arbeiter:innenorganisationen, den Armensiedlungen und den Organisationen von Frauen, Verbraucher:innen sowie Kleinerzeuger:innen und -händler:innen.

  • In Ländern, die mit Hyperinflation konfrontiert sind, werden eine gleitende Einkommensskala und Preisüberwachungsausschüsse nicht ausreichen. Die Verteilung lebenswichtiger Güter und der Zugang zu Nahrungsmitteln erfordern ein unmittelbares Eingreifen: Arbeiter:innenausschüsse müssen in engster Abstimmung mit den landwirtschaftlichen Erzeuger:innen die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung übernehmen.

  • Für einen landesweiten Mindestlohn, dessen Höhe von Arbeiter:innenausschüssen festgelegt wird, um ein angemessenes Leben für alle zu gewährleisten. Die Renten müssen an die Inflation angepasst, vom Staat garantiert und dürfen nicht der Gnade der Aktienmärkte überlassen werden.

  • Gegen alle Schließungen und Entlassungen kämpfen wir für Streiks und Besetzungen unter dem Motto: Abbau der Stunden, nicht der Arbeitsplätze! Wir setzen uns für eine gleitende Arbeitszeitskala ein, um den Arbeitstag zu verkürzen und die verfügbare Arbeit zu verteilen, ohne dass die Löhne oder Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.

  • Überall auf der Welt berufen sich staatliche und private Unternehmen auf Konkurs, Effizienz und Produktivität, um den Abbau von Arbeitsplätzen zu rechtfertigen. Unsere Antwort: Offenlegung aller Geschäftsunterlagen! Alle Konten, Datenbanken, Finanz-, Steuer- und Managementdaten müssen für die Einsichtnahme durch gewählte Arbeiter:innendelegierte geöffnet und geprüft werden.

  • Jedes Unternehmen, das Entlassungen vornimmt, die Produktion ins Ausland verlagert, gegen Mindestlohn-, Arbeitsschutz- oder Umweltvorschriften verstößt oder Steuern hinterzieht, ist ohne Entschädigung zu verstaatlichen. Die Produktion muss unter Kontrolle und Leitung der Arbeiter:innen fortgesetzt werden!

  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zur Verbesserung der sozialen Dienste, der Gesundheitsfürsorge, des Wohnungswesens, des Verkehrs und der Umwelt unter Kontrolle der Arbeiter:innen und ihrer Gemeinschaften.

  • Nein zu Produktionsausgliederung und -verlagerung in Billiglohnländer. Anstelle der Konkurrenz zwischen Arbeiter:innen verschiedener Nationen um dieselben Arbeitsplätze sollten internationale Zusammenschlüsse von Arbeiter:innen in denselben Unternehmen und Produktionszweigen gebildet werden, um eine Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen auf Höchststandard zu erstreiten. Tarifverträge und gesetzliche Rechte müssen auch für die Beschäftigten von Zulieferbetrieben gelten.

  • Für sichere Arbeitsplätze: Ablehnung aller Formen von unsicheren, informellen, prekären und Null-Stunden-Arbeitsverhältnissen. Alle Arbeiter:innen sollen mit unbefristeten Verträgen und garantierten Arbeitszeiten beschäftigt werden. Löhne und Arbeitsbedingungen müssen durch Tarifverträge geregelt werden, die von Gewerkschaften und betrieblichen Vertreter:innen kontrolliert werden.

  • Bekämpfung der Intensivierung der Arbeit durch Beschleunigung und „Effizienzsteigerungen“, die lediglich Maßnahmen zur Intensivierung der Ausbeutung und Steigerung der Profite sind und unsere Gesundheit, Sicherheit und unser Leben gefährden.

  • Gegen „Mitbestimmung“, „Sozialpartner:innenschaft“ oder andere Formen der Klassenzusammenarbeit, bei denen die Gewerkschaften die Politik der Kapitalist:innen verwalten, kämpfen wir für die Kontrolle durch die Arbeiter:innen. Das bedeutet das Recht auf ein Veto gegen Managemententscheidungen über Beschäftigung, Produktion, Einführung und Anwendung von Technologie.

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

Die erbarmungslose Reihe von zynisch als „Reformen“ bezeichneten Einschränkungen öffentlicher Dienstleistungen sind nichts anderes als Sparprogramme, mit denen die Kosten für den Niedergang der öffentlichen Dienstleistungen von den Reichen auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden sollen. Lebenswichtige Dienstleistungen und Ressourcen, von Wasser und Energie bis hin zu Gesundheit und Bildung, die über Generationen aus Steuerbeiträgen und Arbeit der Arbeiter:innenklasse und Mittelschichten bezahlt wurden, sind zu Schleuderpreisen an Kapitalist:innen weitergereicht worden, die sie für ihren privaten Profit ausbeuten, nicht für den öffentlichen Bedarf. Die Milliardär:innen, die einmal von unserer Arbeit profitieren, wollen zweifach auch noch aus unserer Kindheit, unserem Alter und unserer Gesundheit Profit scheffeln. Gleichzeitig besitzen sie die Frechheit zu fordern, dass Sozialhilfe und Renten gekürzt werden, um „Eigenverantwortung zu fördern“ und „die Kultur der Abhängigkeit zu verringern“!

Als Reaktion auf die schamlose Ausplünderung des öffentlichen Vermögens durch private Spekulant:innen fordern wir:

  • Keine einzige Kürzung, keine einzige Privatisierung mehr! Verstaatlichung der wesentlichen Infrastrukturen –Wasser, Energie, Verkehr und Kommunikation – ohne Entschädigung. Beendigung aller öffentlich-privaten Partner:innenschaften und Privatinvestor:innenförderungsprogramme.

  • Verstaatlichung und Ausweitung der besten Bildungs-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Sozialfürsorgesysteme auf die Milliarden von Menschen, die überhaupt nicht versorgt sind. Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge sollten der Kontrolle von Arbeiter:innen und Nutzer:innen unterstehen und für alle kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

  • Das Rentenalter sollte schrittweise gesenkt und nicht erhöht werden. Anhebung der Renten auf ein existenzsicherndes Minimum und Deckung auf allgemeingesellschaftlicher Grundlage, (also unter Einbezug der Reichen). Die privaten Rentensysteme sollten verstaatlicht und zu einer einzigen staatlich garantierten Rente zusammengefasst werden.

  • Öffentliche Dienstleistungen, die am Ort der Erbringung kostenlos sind und aus progressiven Steuern oder Versicherungen bezahlt werden, sind ein wichtiges Mittel, um einen Mindeststandard und einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und sozialer Sicherheit für Arbeiter:innen und Arme zu gewährleisten. Öffentliches Eigentum ist jedoch kein Sozialismus. Verstaatlichte Unternehmen und Dienstleistungen kaufen Vorleistungen von Kapitalist:innen, entschädigen frühere Eigentümer:innen, konkurrieren mit Privateigentümer:innen, wenden kapitalistische Managementtechniken an und arbeiten unter der ständigen Bedrohung durch Kürzungen und Privatisierung. Sie können der Zwangsjacke des Profitsystems nie entkommen. Die Arbeiter:innen müssen lernen, die kapitalistische Verstaatlichung von der Vergesellschaftung und Enteignung durch die Arbeiter:innenklasse zu unterscheiden, die dazu dient, die Bosse endgültig zu entmachten. Nur so können Dienstleistungen höchster Qualität von der Wiege bis zur Bahre geplant und erbracht werden, um die Not zu beseitigen und Gleichheit herzustellen.

  • In jedem Fall müssen die Arbeiter:innen- und Nutzer:innenorganisationen die Interessen der Arbeiter:innenklasse gegen die Besitzenden durchsetzen, indem sie sich gegen Rettungsaktionen wenden, die bankrotte Kapitalist:innen auf Kosten der Steuerzahler:innen schonen. Wir sagen: Vergesellschaftung der Vermögenswerte, nicht der Verluste! Die Verstaatlichung unter Arbeiter:innen- und Nutzer:innenkontrolle ist notwendig, um zu verhindern, dass die Regierungen die Verluste übernehmen und die profitablen Vermögenswerte reprivatisieren.

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

Zwischen 2016 und 2022 ist die Zahl der Milliardär:innen von 1810 auf 2668 gestiegen. Damit eine winzige Minderheit in unvorstellbarem Luxus leben kann, müssen Milliarden in unbeschreiblicher Armut existieren. Die Investitionsentscheidungen dieser Finanziers und Industriellen können ganze Länder in die Knie zwingen. Neben den Milliardär:innen leben Hunderttausende von Multimillionär:innen in schamlosem Luxus auf unsere Kosten, während 852 Millionen Menschen hungern und täglich mehr als 1.000 Kinder an den Folgen des Hungers sterben.

Diese Schmarotzerschicht lehnt jeden Versuch, ihren Reichtum zu besteuern und umzuverteilen, vehement ab. Sie versteckt ihr Geld in Steuerparadiesen und manipuliert ihre Staatsbürger:innenschaft und ihren Aufenthaltsstatus, um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Sie führt eine unaufhörliche Kampagne, damit die Arbeiter:innenklasse den Großteil der Steuerlast trägt, indem die indirekten Steuern auf Grundgüter wie Kraftstoff und Lebensmittel erhöht und die Steuern auf Unternehmen und Vermögen gesenkt werden.

Der Reichtum der Kapitalist:innen, der Finanziers und Industriellen stammt letztlich aus der Arbeit der Arbeiter:innen, Bauern, Bäuerinnen und Armen. Wir sagen:

  • Finanzierung eines massiven Ausbaus der öffentlichen Dienste und von Programmen zur Beseitigung der Armut durch Enteignung des Privatvermögens der Reichen. Abschaffung aller indirekten Steuern und Zerschlagung der Steuerhinterziehungsindustrie durch Schließung von steuerfreien Oasen, Verstaatlichung der vier großen Wirtschaftsprüfungskonzerne.

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

Anstelle eines Flickenteppichs aus staatlichem und privatem Eigentum, das nur durch die Anarchie des Marktes verbunden ist, erfordert die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit und der Natur einen demokratischen Produktionsplan, mittels dessen die Ressourcen der Welt, einschließlich der menschlichen Arbeitskraft, rational verteilt werden, entsprechend dem Willen der Menschen, die arbeiten, um alles zu produzieren, zu verteilen und zu bedienen. Nur wenn wir die Anarchie des Marktes durch die bewusste Planung einer Weltwirtschaft unter Gemeineigentum ersetzen, werden wir in der Lage sein, die Produktion zur Grundlage kollektiven Wohlstands anstelle der privaten Akkumulation zu machen. In jedem Fall verbinden revolutionäre Kommunist:innen den Kampf für die Enteignung dieses oder jenes Industriezweigs mit der Notwendigkeit, die Kapitalist:innenklasse als Ganzes zu expropriieren. Denn, wie Leo Trotzki es ausdrückte, wird das Staatseigentum nur dann zu günstigen Ergebnissen führen, „wenn die Staatsmacht selbst vollständig aus den Händen der Ausbeuter:innen in die Hände der Werktätigen übergeht“.

Genauso wie die großen Monopole der Welt ihre Produktions- und Vertriebssysteme international planen müssen, muss dies auch eine sozialisierte Wirtschaft tun. Sozialistische Planung bedeutet jedoch, die Wirtschaft nach einem Plan unter demokratischer Kontrolle der Produzent:innen und Verbraucher:innen zu führen und entfalten; sie ist nicht die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie, wie sie sich mit der Degeneration des ersten Arbeiter:innenstaates der Welt entwickelte und nach 1945 in anderen Staaten nachgeahmt wurde. Die Existenz einer Weltwirtschaft setzt eine internationale Planung voraus; die „Theorie“ des Sozialismus in einem Land ist eine Illusion. Die sozialistische Planung muss sich weltweit ausbreiten und den kapitalistischen Handel durch den internationalen Austausch von Produkten, Ressourcen und Arbeit ersetzen, um alle Länder und Völker auf das optimale Niveau der sozialen Entwicklung zu bringen. Eine internationale Planwirtschaft ist das zentrale Instrument nicht nur zur Beseitigung von Armut und Ungleichheit, sondern auch zur Verhinderung und Umkehrung der Klimakatastrophe.

Das einzige internationale Planungssystem, das der Kapitalismus vorweisen kann, ist das der imperialistisch dominierten Finanzinstitutionen – IWF, WTO und Weltbank. Die betrügerische Behauptung, sie würden die Schulden der imperialisierten Länder lindern und echte Entwicklungsziele verfolgen, wurde durch die Massenmobilisierungen der antikapitalistischen Bewegung von Seattle 1999 bis Genua 2001 entlarvt. Die darauf folgenden Welt- und Kontinentalsozialforen von 2002 bis 2006 haben ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen, nämlich ein globales Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen und Kämpfe der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Bauern, Bäuerinnen und indigenen Völker des globalen Nordens und Südens.

Die leeren Versprechen der Globalisierungsinstitutionen, ein „neues Paradigma“ für eine krisenfreie Welt zu schaffen, sind mit dem Crash 2008 endgültig geplatzt. Die Aufgabe von Entwicklungszielen und Kürzung der Entwicklungshilfehaushalte beschleunigten den Rückzug jener Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von der politischen Bühne, die mit der Illusion hausieren gegangen waren, dass sich diese Ausbeutungsinstrumente irgendwie reformieren ließen oder verschwinden würden. Als der Vorwand der Krisenbekämpfung den Sparprogrammen wich, griffen der IWF und seine Helfershelfer:innen wieder an. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, neue Bewegungen aufzubauen, die in der Arbeiter:innenklasse und der Bauern- und Bäuerinnenschaft verwurzelt sind und sich weder in die Institutionen der „liberalen Weltordnung“ noch in NGOs, staatliche „Hilfsprogramme“ oder milliardenschwere Wohltätigkeitsorganisationen Illusionen machen. Stattdessen müssen sie ein Programm vorantreiben, das auf der Zerschlagung der imperialistischen Institutionen, der Enteignung der Banken und Konzerne unter Arbeiter:innenkontrolle und der Umverteilung des Bodens an diejenigen, die ihn bearbeiten, beruht.

  • Unmittelbar bedeutet dies den bedingungslosen und vollständigen Erlass der Schulden aller halbkolonialen Länder, verbunden mit Maßnahmen, die die imperialistischen Mächte zwingen, die halbkoloniale Welt für die Ausplünderung ihrer natürlichen und menschlichen Ressourcen zu entschädigen. Das Eigentum und die Kontrolle über die Geschäfte der multinationalen Konzerne müssen an die Arbeiter:innen übergehen, die ihren Reichtum produzieren.

  • Beendigung des Protektionismus gegen die Produkte des globalen Südens. Schafft NAFTA (nordamerikanisches Freihandelsabkommen), die Gemeinsame Agrarpolitik und andere protektionistische Waffen der imperialistischen Staaten ab. Wir unterstützen jedoch das Recht der halbkolonialen Länder, ihre Märkte gegen Billigimporte aus imperialistischen Ländern zu verteidigen.

  • Abschaffung des IWF, der WTO, der Weltbank und aller Sonderwirtschaftszonen.

  • Verstaatlichung der Aktienmärkte. Entschädigungslose Enteignung der Großindustrie unter Arbeiter:innenkontrolle. Verstaatlichung und Fusion der Banken zu einer einzigen nationalen Bank unter Arbeiter:innenkontrolle.

4.3 Gegen Militarismus und Krieg

Als wichtigste Veränderung der Bedingungen, mit denen die Arbeiter:innenklasse seit 2008 konfrontiert ist, erweist sich das Entstehen von zwei neuen imperialistischen Großmächten, die möglicherweise einen strategischen Militärblock miteinander bilden, um die Vorherrschaft der USA und ihrer untergeordneten Verbündeten in Europa und Asien herauszufordern. Dies stellt die alten Weltanschauungen der Arbeiter:innenparteien und linkspopulistischen Bewegungen des globalen Nordens und Südens ernsthaft auf die Probe, die aus den vierzig Jahren des ersten Kalten Krieges stammen.

Die Sozialdemokratie und die Arbeiter:innenbewegung unterstützten weitgehend die „demokratischen“ Imperialismen gegen die „autoritären“ Regime (Russland, China usw.) und betrachteten den „Westen“ als eine fortschrittliche Kraft, die sie entweder an der Regierung oder in der Opposition unterstützen sollten, unabhängig von ihrem sozialen Charakter. Der linke Flügel dieser Parteien lehnte jedoch die kolonialen und halbkolonialen Kriege und Unterdrückungen ab, bezog Stellung aufseiten der blockfreien Länder im Kalten Krieg und beteiligte sich auch an Friedens- und antiimperialistischen Bewegungen.

Die stalinistischen kommunistischen Parteien hingegen unterstützten nicht nur die degenerierten Arbeiter:innenstaaten gegen die imperialistischen Mächte, sondern entschuldigten deren Diktatur über die Arbeiter:innenklasse und in vielen Fällen ihre brutale Repression (Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Tian’anmen). Sie traten auch für antiimperialistische Bewegungen und Befreiungskriege wie in Vietnam und Kuba ein. Obwohl die sehr deutliche und fast unbestreitbare Restauration des Kapitalismus in Russland dazu geführt hat, dass nur wenige KP-Anhänger:innen Putin unterstützen, ist dies in Bezug auf China nicht der Fall. Die meisten, die immer noch den Stalinismus als Hauptströmung des Sozialismus und Kommunismus ansehen, betrachten daher die USA/NATO als „die“ imperialistische Kraft schlechthin und jede/n, der/die sich ihr entgegenstellt, als das kleinere Übel.

In einer Zeit, in der sich der Konflikt zwischen Russland und China auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite entwickelt, neigt die stalinistische und linkssozialistische Linke dazu, sich auf die Seite der Erstgenannten zu stellen oder zumindest nicht gegen sie zu opponieren, während die der Mehrheit aus sozialdemokratischen und Labourtraditionen die Letzteren unterstützen. Eine wirklich revolutionäre Position, die von den beiden rivalisierenden imperialistischen Lagern unabhängig ist, verfolgt jedoch die von Lenin im Ersten Weltkrieg vertretene und von Trotzki im Zweiten Weltkrieg wiederholte Haltung gegenüber allen imperialistischen Ländern. Für sie war der Unterschied des politischen Regimes (Demokratie/Autokratie) nicht entscheidend. Was zählte, war ihr gemeinsamer Charakter als Ausplünderer und Unterdrücker kleinerer, schwächerer Nationen, die entweder ihre Kolonien oder Halbkolonien waren oder werden sollten.

Es waren und sind nur diese unterdrückten Nationen, die die Arbeiter:innenklasse verteidigen sollte, unabhängig vom Charakter ihrer politischen Regime. Das Ziel besteht nicht nur darin, die imperialistischen Herrscher:innen im In- und Ausland zu schwächen, sondern der Arbeiter:innenklasse der Länder, die von den imperialistischen Mächten blockiert, angegriffen oder unterdrückt werden, zu helfen, sich an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes zu setzen und die Macht zu übernehmen (Strategie der permanenten Revolution).

In den Kriegen zwischen den imperialistischen Mächten hingegen war und ist die Position der Revolutionär:innen, dass „der/die Hauptfeind:in im eigenen Land steht“ und dass die Revolutionär:innen in allen reaktionären Kriegen die Niederlage der Kriegführenden wünschen müssen, eine Niederlage, die dadurch erreicht wird, dass ihr Krieg in einen Bürger:innenkrieg, d. h. eine Revolution, umgewandelt wird.

Unter den heutigen Bedingungen eines intensiven zwischenimperialistischen Konflikts ist es wahrscheinlich, dass jeder halbkoloniale Widerstand gegen eine/n imperialistische/n Unterdrücker:in von seinen/ihren imperialistischen Rival:innen ausgenutzt werden wird. Solange eine solche Intervention ein untergeordneter Faktor bleibt, wird sie den Charakter des Krieges nicht ändern, und die internationale Arbeiter:innenklasse muss die unterdrückte Nation unterstützen, ungeachtet des Charakters ihrer Führung oder angegriffenen Regimes.

Aber wie wir im Fall des Krieges um die Ukraine sehen können, kann ein solcher zum Mittelpunkt des aktuellen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt werden. Obwohl die NATO nicht offiziell in den Krieg verwickelt ist, hat sich der zwischenimperialistische Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten als entscheidender Faktor in diesem Krieg entpuppt, wobei die westlichen Imperialist:innen Wirtschaftssanktionen von historischem Ausmaß gegen Russland verhängen und die Ukraine als Stellvertreterin bewaffnen und ausbilden.

Der Krieg um die Ukraine hat daher einen kombinierten Charakter angenommen. Auf der einen Seite gibt es den neuen Kalten Krieg zwischen den westlichen imperialistischen Mächten und auf der Gegenseite Russland (und seinem Unterstützer China), der auf dem Terrain der Ukraine ausgetragen wird. Auf der anderen Seite bedeutet dies jedoch nicht, dass die Selbstverteidigung des ukrainischen Volkes, auch wenn sie von einer reaktionären bürgerlichen und prowestlichen Regierung geführt wird, bisher zu einem untergeordneten Faktor geworden ist. Deshalb muss die Arbeiter:innenklasse weltweit das Recht der Ukrainer:innen auf Widerstand gegen die russische Invasion anerkennen und sich die dafür notwendigen Mittel aneignen. Gleichzeitig darf die nationalistische, prowestliche Selenskyj-Regierung keine politische Unterstützung erhalten. Ihre Bestrebungen, der NATO beizutreten oder ihre Wirtschaft der EU unterzuordnen sowie ein Regime auf der Krim zu errichten, deren Bevölkerung eindeutig nicht Teil der Ukraine sein will, müssen verurteilt werden.

In Russland müssen die Revolutionär:innen eine Politik des revolutionären Defätismus verfolgen und dafür kämpfen, Putins reaktionären Krieg in einen Klassenkrieg zu verwandeln, um sein Regime zu stürzen. In den NATO-Ländern müssen sie sich jeder westlichen Intervention widersetzen. Sie müssen sich den Kriegszielen der NATO, ihren Sanktionsmethoden, ihrer großen Aufrüstung und ihrer Ausdehnung auf bisher neutrale Staaten entgegenstellen. Es ist notwendig, sich gegen all diese Maßnahmen im Rahmen der Konfrontationspolitik des westlichen imperialistischen Blocks gegenüber dem russischen (und chinesischen) Imperialismus aufzulehnen. Dieser Beginn eines neuen Kalten Krieges bringt die Menschheit näher an einen Dritten Weltkrieg, der leicht ihr letzter sein könnte. Die gleichen Prinzipien würden gelten, wenn China in Taiwan einmarschierte. Xi Jinping und die parteiübergreifenden Kräfte im US-Kongress bewegen sich in diese Richtung. Es ist von entscheidender Bedeutung, sich dafür zu engagieren, dass die Arbeiter:innenbewegungen und antiimperialistischen Kräfte auf der ganzen Welt nicht in ein imperialistisches Lager eintreten.

Der Rüstungswettlauf und die zunehmende Stationierung von Kampftruppen, Militärstützpunkten und Flottillen auf der ganzen Welt sowie die Anheizung der Gegensätze durch eine Reihe von Stellvertreter:innenkriegen können bekämpft werden, wenn es eine Millionenbewegung gibt, wie sie dem katastrophalen Irakkrieg entgegenzutreten versuchte, aber mit größerem Durchhaltevermögen und größerer Bereitschaft, alles zu tun, um die Kriegstreiber:innen von der Macht zu vertreiben. Vor allem aber bedarf es einer Bewegung mit einer qualitativ besseren, d. h. revolutionären Führung. Eine solche Bewegung muss international sein, ja sie muss eine Internationale werden.

Wenn die Arbeiter:innenklasse es unwidersprochen lässt, dass unsere Herrscher:innen Sanktionen verhängen, die zu Hunger und Inflation, zu neuen Rüstungswettläufen, die die für die Gesundheit, die Bildung, die Abwendung von Klimakatastrophen benötigten Ressourcen verbrauchen und zu zerstörerischen Kriegen führen, dann ist es unser Schicksal, deren Opfer zu sein und gegeneinander aufgehetzt zu werden. Deshalb hat die Arbeiter:innenklasse, wie Karl Marx 1864 in der Gründungserklärung der Ersten Internationale schrieb, „die Pflicht, sich die Geheimnisse der internationalen Politik anzueignen, die diplomatischen Handlungen ihrer jeweiligen Regierungen zu beobachten und ihnen, wenn nötig, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken“.

Die große Antikriegsmobilisierung von 2003, die 20 Millionen Menschen in jeder größeren Stadt der Welt auf die Straße brachte, zeigte die potenzielle Kraft einer internationalen Koordination. Das Scheitern der vom Europäischen und Weltsozialforum initiierten Bewegung war darauf zurückzuführen, dass die Organisator:innen dieser Demonstrationen nicht willens und in der Lage waren, weitere Massenaktionen, einschließlich Generalstreiks und Meutereien, zu organisieren, um die Bewegung zu stoppen oder die Mobilisierungen in Revolutionen zu verwandeln. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer disziplinierteren Organisation mit entschlosseneren Zielen, einer Fünften Internationale.

Im Kapitalismus haben die Arbeiter:innen kein Vaterland. In den imperialistischen Ländern kann die Arbeiter:innenbewegung niemals die „nationale Verteidigung“ unterstützen und muss immer die Niederlage ihrer Herrscher:innen anstreben, sei es in den kolonialen Besatzungskriegen im Irak und in Afghanistan oder in jedem Zusammenstoß mit rivalisierenden imperialistischen Staaten wie Russland oder China. Es ist die Pflicht der Revolutionär:innen, den Krieg zu nutzen, wie es die Zweite Internationale 1907 beschlossen hatte, um das System zu stürzen.

In halbkolonialen Ländern ist es notwendig, die Nation gegen jeden Angriff einer imperialistischen Macht oder einer/s ihrer lokalen Stellvertreter:innen oder „Gendarm:innen“ zu verteidigen. Gleichzeitig unterstützen die Revolutionär:innen nicht die Kriegsführung der Bourgeoisie. Indem sie für eine Einheitsfront aller nationalen Kräfte gegen den Imperialismus kämpfen, die Schwäche, das Zaudern und die Zaghaftigkeit der besitzenden Klassen im antiimperialistischen Konflikt entlarven, streben Revolutionär:innen danach, unabhängige Kräfte der Arbeiter:innenklasse an die Spitze des Kampfes zu bringen, um die Nation vom Imperialismus zu befreien und den Weg zum Sozialismus zu bahnen. In geschwistermörderischen Auseinandersetzungen zwischen Halbkolonien um Territorien oder Ressourcen stellt die Niederlage des „eigenen“ Landes ein geringeres Übel dar als die Aussetzung des Klassenkampfes im eigenen Land; der Krieg muss in einen Aufstand für die Macht der Arbeiter:innenklasse und den Frieden verwandelt werden.

Die imperialistischen Großmächte USA, Großbritannien, China und die EU-Staaten geben Hunderte von Milliarden für ihre Kriegsmaschinerie aus. Sie geben heute vor, im humanitären Interesse zu handeln, aber das ist eine Tarnung für ihr eigentliches Ziel, nämlich die Durchsetzung und Aufrechterhaltung ihrer militärischen Vorherrschaft in der Welt. Auch in ärmeren Ländern werden riesige Teile des Staatshaushalts für die Armee aufgewandt. In Ländern wie Pakistan und der Türkei versucht das Militär, selbst eine direkte politische Rolle zu spielen.

  • Nein zu imperialistischen Kriegen, Sanktionen und Blockaden. Nieder mit allen imperialistischen Besatzungen wie der russischen in der Ukraine und zuvor in Tschetschenien, der Besatzung Afghanistans und des Irak durch die NATO-Mächte, der Besatzung Palästinas durch den zionistischen Staat, der US-Blockade Kubas, des Iran, Nordkoreas und Venezuelas. Wir stärken den Widerstand gegen all diese Besatzungen und Blockaden.

  • Für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen auf der ganzen Welt! Nein zu den Militärinterventionen der USA, der EU und anderer imperialistischer Staaten.

  • Für die Auflösung aller imperialistisch dominierten Militärbündnisse wie NATO, CSTO (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit; OVKS; Bündnis Russlands mit Zerfallsprodukten der ehemaligen Sowjetunion), AUKUS usw.

  • Keinen Pfennig und keinen Menschen für eine kapitalistische Armee, sei es eine Berufs- oder eine Wehrpflichtarmee. Die Arbeiter:innenvertretungen im Parlament müssen sich allen Militärausgaben der kapitalistischen Regierungen widersetzen.

  • Militärische Ausbildung für alle unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung.

  • Für volle bürgerliche und politische Rechte für Soldat:innen einschließlich Marine- und Luftwaffenangehörigen, die Einrichtung von Ausschüssen und Gewerkschaften in den Lagern und Kasernen und die Wahl von Offizier:innen. Verteidigt alle, die sich dem Befehl widersetzen, Zivilist:innen anzugreifen, zu vergewaltigen, zu foltern usw.!

  • In allen imperialistischen Kriegen oder Kriegen der Ausplünderung und Unterdrückung von nationalen Minderheiten (z. B. der kurdischen in der Türkei, der tamilischen in Sri Lanka, der Rohingya in Myanmar) befindet sich der/die Hauptfeind:in der Arbeiter:innenklasse im eigenen Land. Für die Niederlage der herrschenden Klassen, für den Sieg des Widerstands.

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur eingedämmt und rückgängig gemacht werden, wenn die Kontrolle über die Produktion aus den Händen der großen Kapitalformationen genommen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein starker Widerstand gegen die Umweltzerstörung und Bedrohung durch den Klimawandel entwickelt, der von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte über große Bewegungen gegen umweltschädigende Politik und Widerstand in Halbkolonien bis hin zu Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren reicht.

In Europa war es die Jugend, die mit weltweiten Student:innen- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiter:innenrolle übernommen hat. Die Arbeiter:innenbewegung, die zurückgeblieben ist, muss sich mit ihnen verbinden und ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und ausweiten, ohne zu versuchen, ihren kämpferischen Geist zu unterdrücken. Gleichzeitig muss sie die reformistische oder bürgerliche Ausrichtung der Führungen der Klimabewegung, wie die bürokratische von Fridays for Future, in Frage stellen und sich für eine Ausrichtung der Bewegung auf die Arbeiter:innenklasse starkmachen.

In bestimmten Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln von Großkonzernen und ihren Helfer:innen in Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge auf die soziale Kontrolle der sozialökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen auszuweiten. Es müssen demokratische Kontrollgremien aus Arbeiter:innen, Verbraucher:innen, Betroffenen von Großprojekten, jungen Menschen, die um ihre Zukunft ringen, etc. gebildet werden, die über Projekte, Risikostufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. entscheiden. Das Kapital muss systematisch mit einer sozialen Kontrolle hinsichtlich der sozialökologischen Auswirkungen seines Handelns konfrontiert werden.

Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den betroffenen Menschen und den globalen Interessen der Arbeiter:innenklasse, zentral auch Forderungen für den Kampf gegen den globalen ökologischen Raubbau, insbesondere auf Kosten der Halbkolonien, entwickeln.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht nur an die staatliche und Umweltpolitik über bestimmte Landesgrenzen hinweg, sondern sind dergestalt, dass sie nur von einer internationalen Bewegung umgesetzt werden können, die die zuvor beschriebene Form der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchführt.

  • Für einen Notfallplan zur Umstrukturierung der Energie- und Verkehrssysteme – für eine Perspektive zur Beendigung des weltweiten Verbrauchs fossiler Brennstoffe!

  • Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und EU müssen Reparationszahlungen für die Umweltzerstörung leisten, die sie im Rest der Welt verursacht haben, um den halbkolonialen Ländern zu helfen, den notwendigen ökologischen Wandel zu vollziehen.

  • Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in erneuerbare Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien.

  • Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der bestehenden naturnahen Ökosysteme der indigenen Völker!

  • Für die Unterstützung der Kämpfe der indigenen Völker und von der Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungsgruppen! Für ihren Schutz und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

  • Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in die Trinkwasserversorgung und Abwasserreinigung!

  • Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Abfallvermeidung und -bewirtschaftung.

  • Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung von Großgrundbesitz und die Verteilung von Land an die Menschen, die es bewirtschaften (wollen).

  • Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen Betrieben! Für die Intensivierung der Forschung zu nachhaltigen Anbausystemen unter Kontrolle der Bauern, Bäuerinnen und Arbeiter:innen! Wo nötig, verpflichtende Anwendung ökologisch nachhaltiger Anbaumethoden wie des ökologischen Landbaus, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Ernährungssicherung.

  • Der Konsum von tierischen Produkten (vor allem Fleisch) muss drastisch reduziert werden, einschließlich der Abschaffung von Subventionen, die den großen Viehzüchter:innen zugutekommen, aber gleichzeitig die Kleinbauern und -bäuerinnen nicht ruinieren. Auf Grundlage der Enteignung der großen Agrarkonzerne kann die Nahrungsmittelproduktion durch einen von der ländlichen und städtischen Arbeiter:innenklasse demokratisch erarbeiteten gesamtgesellschaftlichen Plan neu ausgerichtet werden, der den Ernährungsbedürfnissen der Menschen entspricht und dabei die Auswirkungen des Klimawandels bekämpft.

  • Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umstellung des Verkehrssystems auf den Schienenverkehr, sowohl für die Personen- als auch für die Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduzierung des PKW-, LKW- und Flugverkehrs!

Abschaffung der Geschäftsgeheimnisse! Abschaffung des Patentschutzes! Zusammenführung dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Hilfestellung für weniger entwickelte Länder durch Technologietransfer!

  • Verstaatlichung aller Umweltressourcen wie Böden, Wälder und Gewässer.

  • Verstaatlichung aller Energiekonzerne und Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie die Wasserwirtschaft, Agrarindustrie sowie alle Fluggesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Für eine restriktive Politik gegenüber chemischen Produkten nach dem Vorsorgeprinzip! Für ein Verbot von Chemikalien, die nachweislich oder wahrscheinlich gesundheits- und/oder umweltgefährdend sind wie z. B. Glyphosat! Grenzwerte bzw. Gefahrenstufen für den Einsatz von Chemikalien müssen durch Organe der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle festgelegt werden.

4.4.1 Die Stadt umgestalten

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die meisten von ihnen in Barackensiedlungen und Elendsvierteln ohne angemessene Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre nicht tragfähigen Strukturen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggefegt, wie wir in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht nur durch diese „natürlichen“ Ereignisse, sondern auch durch die verarmte menschliche Infrastruktur. Die Menschen strömen in die Städte, weil Kapitalismus, Großgrundbesitz und Agrarindustrie nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt auf dem Lande zu sichern.

Nur wenige Bewohner:innen dieser Quartiere haben einen festen oder sicheren Arbeitsplatz. Für ihre Kinder gibt es keine Kindergärten, Kliniken oder Schulen. Die Menschen werden von kriminellen Banden, Drogenhändler:innen und der Polizei gleichermaßen schikaniert und erpresst. Frauen und Jugendliche werden in die Prostitution, sexuelle Sklaverei oder in die Halbsklaverei in gefährlichen und gesundheitsschädlichen Klitschen getrieben. Tatsächliche Sklaverei und Menschenhandel sind wieder im Kommen. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit. Diese zunehmende Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben!

Dies kann nicht mit der spärlichen Hilfe der reichen Länder, den Millenniumszielen, NGOs oder den von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Kleinstkreditprogramme können so große Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung in den Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie bewiesen hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Durch Massenmobilisierung in Venezuela, Bolivien und Südafrika haben die Bewohner:innen der Barackensiedlungen bedeutende Reformen durchgesetzt. Aber nur durch eine soziale Revolution, im Bündnis mit der Arbeiter:innenklasse, können sie den repressiven Staat und die ausbeuterische Ökonomie der Kapitalist:innen zerschlagen und an ihrer Stelle eine Gesellschaft errichten, die auf Komitees und Räten der Arbeiter:innen und Armen beruht, als Instrument für die vollständige Umgestaltung der Städte.

  • Für Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Abfallentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die Bewohner:innen der riesigen und schnell wachsenden Armutsviertel, die alle großen Städte der „Entwicklungsländer“ von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo umgeben.

  • Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter Kontrolle der Arbeiter:innen und Armen. Für einen kostenlosen öffentlichen Nah- und Pendler:innenverkehr für die Arbeiter:innen!

  • Für massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnraum, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt.

  • Unterstützung der Kämpfe der Kleinbauern und -bäuerinnen, der Landarbeiter:innen und Landlosen auf dem Land und in der Industrie, um den Widerspruch zwischen Stadt und Land schrittweise zu beseitigen.

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

Etwa 43 Prozent der Menschheit leben noch auf dem Land, in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker, doch die Vereinten Nationen sagen voraus, dass dieser Anteil bis 2050 auf ein Drittel sinken wird. Der Grund für die Landflucht ist nicht nur der Reiz des Stadtlebens. Für die meisten Migrant:innen überwiegen dessen Nachteile durch das Leben in den Slums, die Kriminalität und die Überausbeutung. Vielmehr ist es das Versagen des Kapitalismus, auf dem Lande ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Scheitern der Landreformen hat die Arbeits- und Landlosigkeit dort verschärft. Die Kluft zwischen ihrem Einkommen, Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung und Kommunikation und den Möglichkeiten in den Städten ist oft enorm. Darüber hinaus sind sie mit der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzeinschlag und Bergbau sowie durch Monokulturen und Aktivitäten konfrontiert, die zu Überschwemmungen und Auslaugung des Bodens führen. Der Klimawandel beschleunigt diesen Prozess gewaltig.

Gleichzeitig konzentriert der Kapitalismus den Landbesitz unerbittlich in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern, Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften von den besten Böden vertrieben und gezwungen, in die Slums der Städte abzuwandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Kautschuk, Tabak und Bananen angebaut werden, weist viele Merkmale unfreier Vertragsverhältnisse oder der Leibeigenschaft auf. Die Plantagenarbeiter:innen werden oft in Schuldknechtschaft gehalten. Eine Revolution auf dem Lande, die vom Proletariat, den Landlosen oder Kleinbauern und -bäuerinnen angeführt wird, wäre eine mächtige Verbündete der städtischen Arbeiter:innen und Letztere wären ein unverzichtbarer Beistand für ihre Schwestern und Brüder auf dem Lande.

– Enteignung des Landes der Oligarch:innen, der ehemaligen kolonialen Plantagen und der multinationalen Agrarunternehmen, um es unter die Kontrolle der Arbeiter:innen, armen Bauern, Bäuerinnen und Landarbeiter:innen zu stellen.

  • Land für diejenigen, die es bearbeiten.

  • Abschaffung der Pacht und Erlass aller Schulden der armen Bauern und Bäuerinnen.

  • Freie Kredite für den Kauf von Maschinen und Düngemitteln; Anreize für Subsistenzlandwirt:innen, sich freiwillig Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften anzuschließen.

  • Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft.

  • Modernisierung des ländlichen Lebens. Vollständige Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.

  • Gegen die Armut auf dem Lande; Angleichung der Einkommen, des Zugangs zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte.

Indem wir diese Kämpfe in den Städten und auf dem Land miteinander verbinden, können wir die krankhafte Verstädterung des Kapitalismus, die Ausbeutung des Bodens und die Abholzung der Wälder rückgängig machen und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest formulierten Ziel freimachen: „Die Vereinigung der Arbeit auf dem Lande und in der Industrie, wodurch der Widerspruch zwischen Stadt und Land allmählich beseitigt wird.“

4.5 Die digitale Revolution

Seit den 1960er Jahren sind die Fortschritte in der Computertechnologie und der Vernetzung sowie deren Anwendung in vielen Bereichen der Produktion und des täglichen Lebens entscheidende Faktoren für die Entwicklung der Produktivkräfte. Mit dem Internet, der mobilen Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz (KI) wurden in den letzten Jahren in immer schnellerem Tempo neue Etappen dieser Entwicklung erreicht. Gemeinsamer Datenzugriff und andere Elemente der Personen übergreifenden Nutzung von Ressourcen, die immer engere Verknüpfung von Produktanforderungen und Produktbereitstellung, die sichere Abwicklung von Transaktionen und komplexen Logistikketten über Blockchain etc. haben große Potenziale für Produktivitätssteigerungen geschaffen. In all diesen Bereichen dominieren riesige Monopole (Amazon, Microsoft, Alphabet Inc., Facebook …), die den Zugewinn an Produktivität für ihre Monopolprofite nutzen.

Ein wesentlicher Faktor dabei ist ihre enorme Kontrolle über die Daten und Informationen der Nutzer:innen, aus deren Verkauf diese Datenkraken enorme Profite erzielen. Viele Unternehmen versuchen nun, Daten über alle Aspekte ihrer Mitarbeiter:innen zu sammeln, um sie besser kontrollieren und in einen Leistungswettbewerb treten lassen zu können. In ähnlicher Weise nutzen Staaten (nicht nur China und die USA) künstliche Intelligenz und ihren Zugang zu den Netzen, um immer umfassendere Informationen über ihre Bürger:innen zu sammeln, sie zu bewerten, identifizieren, lokalisieren und überwachen.

Diese Technologien werden von den Geheimdiensten der Welt eingesetzt, um eine allumfassende Überwachung zu realisieren. Die Enthüllungen über den Skandal der National Security Agency (NSA) im Jahr 2013 sind ein Beleg dafür. Seitdem hat sich die Ausweitung der Überwachung beschleunigt. Revolutionär:innen müssen sich bewusst sein, dass Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, trojanische Programme und die massenhafte Speicherung von Daten Teil des Klassenkampfes der Kapitalist:innen sind und massiv gegen sie und die Arbeiter:nnenbewegung eingesetzt werden und nicht für die „Sicherheit“ der Bevölkerung.

Die Datenschutzbestimmungen, mit denen Hasspostings kontrolliert werden sollen, sind kaum mehr als Feigenblattaktionen. Kaum ein/e private/r Nutzer:in kann sie wirklich verwenden, um seine/ihre Daten zu kontrollieren. Die Masse der Missbrauchsmöglichkeiten durch Staat, Konzerne und rechte Organisationen wächst in einem Tempo, dem all diese Maßnahmen nur hoffnungslos hinterherhinken.

Die alten Probleme des „Datenschutzes“ erscheinen heute klein im Vergleich zu denen der neuen Generation von Entwicklungsumgebungen der KI-Anwendungen. Mit den gesteigerten Fähigkeiten und dem viel einfacheren gemeinsamen Zugang zu Modulen für tiefes maschinelles Lernen, große Sprachmodelle, Texterzeugung und -umwandlung, Verarbeitung natürlicher Sprache usw. ist nicht nur die unkontrollierbare Anzahl von Datenbanken, auf die bei Suchvorgängen und Problemlösungen zugegriffen wird, explodiert, sondern KI-Anwendungen scheinen erweiterte Antworten auf jede Art von Fragen zu beinhalten. Diese Fähigkeit, Antworten in erstaunlicher sprachlicher und inhaltlicher Qualität zu generieren, basiert auf sehr einfachen statistischen Modellen. Während sie in erstaunlich vielen Fällen gute Ergebnisse liefert, erzeugt diese einfache statistische Interpolation in komplizierteren Fällen auch Unsinn und neigt dazu, weitverbreitete Vorurteile zu reproduzieren. Falsche Informationen, auf denen die Ableitungen beruhen, werden nicht erkannt usw.. Ein relevanter Anteil der Antworten besteht aus dem, was Expert:innen als „KI-Halluzinationen“ bezeichnen.

Auch wenn diese neuen KI-Anwendungen dazu beitragen können, viele Arbeiten im Zusammenhang mit der routinemäßigen Erstellung von Texten (im Journalismus, in Büros, Kontaktzentren usw.) zu erleichtern, ist das Bestreben des Kapitals, diese Techniken als Ersatz für menschliche Arbeitskräfte einzusetzen, sehr gefährlich: Jedes Produkt dieser Anwendungen muss immer noch von Menschen kontrolliert und nachbearbeitet werden, um grobe Fehler mit potenziell schädlichen Folgen zu vermeiden.

Wir kämpfen für:

  • Enteignung großer IT-Monopole unter Kontrolle von Beschäftigten und demokratisch legitimierten Nutzer:innenkomitees!

  • Für einen Plan zur gesellschaftlich sinnvollen Nutzung des produktiven Fortschritts der IT-Technologie.

  • Weg mit der Überwachung und Kontrolle von Bürger:innen und Arbeitskräften durch Privatunternehmen und Kapital wie Google, Facebook. Eine erste Forderung sollte sein, dass sie die Algorithmen und Systeme, die sie zum Sammeln von Informationen verwenden, öffentlich machen.

  • Für die gesellschaftliche Kontrolle (durch demokratisch legitimierte Nutzer:innenkomitees) der von Staat und Unternehmen erhobenen Daten und Verfahren zu deren Nutzung und Vernetzung.

  • Nein zu Überwachungsinstrumentarien, die das Netzverhalten von Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen ausspähen! Nein zu Anbieterfiltern für Dateien und anderen Methoden, die die freie Verfügung über die im Netz geteilten Inhalte verhindern und ihnen die Warenform aufzwingen wollen! Stattdessen wollen wir den Ausbau der Beteiligungsökonomie und die staatliche Finanzierung ihrer Basis (z. B. von offen zugänglichen Anwendungen unter Hersteller:innenkontrolle statt Abhängigkeit von den „Spenden“ der IT-Unternehmen)!

  • Die Anwendung oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt sollte nur dann erlaubt sein, wenn ihre Auswirkungen und die Generierung von Ergebnissen für die Arbeitenden selbst und die davon betroffenen sozialen Gemeinschaften kontrollierbar sind. Die Anwendungen müssen ein Protokoll liefern, das die Teile der Arbeit, die Ergebnis der KI-Verarbeitung sind, klar identifiziert und die Kette der Überlegungen enthält, die die KI in Bezug auf Daten und statistische Schlussfolgerungen verwendet.

  • Kontrollkommissionen von Arbeiter:innen und Gemeinden sollten diese Protokolle regelmäßig überprüfen und im Falle von Fehlern oder schädlichen Auswirkungen in der Lage sein, die Probleme in den Anwendungen zu lokalisieren und korrigieren. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf Datenschutzverletzungen und schädliche Schlussfolgerungen in Bezug auf Einzelpersonen oder soziale Gruppen, die sich aus den „autonomen“ Aktionen der KI ergeben. Solange solche Kontrollmechanismen nicht implementiert sind, sprechen wir uns für ein Einfrieren der Nutzung der neuen Generation von KI-Anwendungen aus.

4.6 Die Gewerkschaften

Überall auf der Welt werden unsere Gewerkschaften von den Kapitalist:innen angegriffen. Das größte Hindernis im Kampf gegen die Offensive der Kapitalist:innen ist der lähmende Einfluss der Bürokrat:innenkaste, die unsere Organisationen an das Kapital, ihre Regierungen und ihre Gesetze bindet. Die Vorstöße der Bosse sind unerbittlich und bösartig. In den schwächeren und weniger entwickelten Ländern, den Halbkolonien, haben diktatorische Regierungen die Gewerkschaften zu Werkzeugen des Staates gemacht, indem sie Streiks verboten und die freie Wahl der Gewerkschaftsführer:innen untersagt haben. Unabhängige Gewerkschaften und betriebliche Organisationen müssen in der Illegalität kämpfen und mit Verhaftungen, Folter und Ermordung rechnen.

In den letzten Jahrzehnten sind die Gewerkschaften im globalen Süden unter Beschuss geraten. Sehr große Teile der Arbeiter:innenklasse, selbst in den großen Industrien und den staatlichen Sektoren, sind infolge neoliberaler Angriffe und repressiver Gesetze überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Zersplitterung der Gewerkschaften spiegelt dies wider und verstärkt es noch, ebenso wie die Verwirrung, der Sektoralismus und der Verrat der Gewerkschaftsführungen. Revolutionär:innen müssen nicht nur die Organisierung der Unorganisierten fordern und für die Überwindung dieser Politik in den bestehenden Gewerkschaften streiten, sondern auch die Initiative zum Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung ergreifen.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien errangen jahrzehntelange Klassenkämpfe den Gewerkschaften gesetzliche Rechte, so dass der Staat anstelle der völligen Illegalität die Gewerkschaften einbezog, indem er ihren Führer:innen Privilegien gewährte und sie in die Strukturem der Klassenzusammenarbeit einband. Doch die Kapitalist:innen fuhren fort, die Rechte zu beschneiden und den Gewerkschaften immer stärkere gesetzliche Beschränkungen aufzuerlegen, was eine wirksame Gewerkschaftsarbeit und die Rekrutierung von Mitgliedermassen behinderte. Westliche Gerichte demonstrieren immer wieder den Klassencharakter des bürgerlichen Rechts, indem sie eingreifen, um Streikabstimmungen zu kippen, Gewerkschaftsgelder zu beschlagnahmen und gewerkschaftsfeindliche Unternehmen zu unterstützen.

Heute findet das Kapital unabhängige Gewerkschaften immer unerträglicher. Wir müssen unsere Gewerkschaften verteidigen, für ihre Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen und dem Staat kämpfen, den Kampf aufnehmen, um Millionen neuer Mitglieder aus bisher nicht organisierten Sektoren, aus den in unsicheren Verhältnissen beschäftigten und hochgradig ausgebeuteten Teilen der Arbeiter:innenschaft, viele von ihnen junge Menschen, Migrant:innen oder „Illegale“, zu rekrutieren. Dieser Kampf wird auf unnachgiebigen Widerstand von innen stoßen, von der hochbezahlten und undemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, die als ihre ewige Aufgabe das Aushandeln von Verträgen in einer ewigen kapitalistischen Wirtschaft ansieht. In Krisenzeiten werden diese Abmachungen zu „Rückzahlungen“ an die Bosse, Errungenschaften und erreichte Mindeststandards werden gegen Arbeitsplätze getauscht und umgekehrt.

Die Ideologie der bürokratischen Gewerkschaftsführer:innen ist Gift für das Klassenbewusstsein des Proletariats. Statt auf Internationalismus setzen sie in den imperialistischen Zentren vor allem auf eine unternehmenszentrierte Logik und verteidigen die Konkurrenzfähigkeit „ihres“ Unternehmens. Damit tragen die Gewerkschaftsbürokrat:innen zusammen mit dem sozialchauvinistischen Reformismus der Sozialdemokratie und den selbsternannten „Sozialist:innen“ die Verantwortung dafür, dass sich rassistische Ideologien und nationale Engstirnigkeit in Zeiten des Rechtsrucks auch in Teilen der Arbeiter:innenklasse einnisten können oder nicht wirksam bekämpft werden.

Die Bürokrat:innen agieren oft als Polizei für den Staat und die Unternehmen, schikanieren Aktivist:innen und helfen, sie aus dem Betrieb zu vertreiben. Revolutionär:innen organisieren sich innerhalb der Gewerkschaften, um ihren Einfluss zu vergrößern, bis hin zur Übernahme der Führung, wobei sie immer ehrlich gegenüber der Basis bleiben und so offen darüber sprechen, wie es staatliche Repression und Gewerkschaftsbürokratie erlauben. In den bürokratischen Gewerkschaften werden wir die Schaffung von Basisbewegungen anregen, die darauf abzielen, die Durchführung von Streiks und anderen Formen des Kampfes zu demokratisieren und die hauptamtliche und überbezahlte Kaste der Spitzenfunktionär:innen durch gewählte und jederzeit abrufbare Führer:innen zu ersetzen, die den gleichen Lohn erhalten wie ihre Mitglieder.

Aber selbst die demokratischste Gewerkschaftsbewegung reicht nicht aus. Die syndikalistische Idee, dass die Gewerkschaften nicht nur von den Bossen, sondern auch von den politischen Parteien der Arbeiter:innenklasse unabhängig sein sollten, kann den Widerstand der Arbeiter:innen und den Kampf um die Macht der Arbeiter:innenklasse nur schwächen. Stattdessen zielen Revolutionär:innen darauf ab, die Gewerkschaften so zu orientieren, dass sie nicht nur für die Interessen der einzelnen Branchen kämpfen, sondern für die Interessen der Gesamtklasse, über alle Industrie-, Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg, für befristete Arbeitskräfte ebenso wie für Stammpersonal, für die gegenwärtigen und zukünftigen Beschäftigten, nicht nur in einem Land, sondern international. Wir fördern das Klassenbewusstsein, nicht nur das enge Gewerkschaftsbewusstsein. Auf diese Weise können die Gewerkschaften wieder zu echten Schulen für den Sozialismus und zu einem massiven Stützpfeiler für eine neue revolutionäre Arbeiter:innenpartei werden.

Eine neue Arbeiter:inneninternationale und revolutionäre Parteien in jedem Land haben die Pflicht, sich für die Erneuerung der bestehenden Gewerkschaften einzusetzen, wo immer dies möglich ist, dürfen aber nicht vor einem formellen Bruch und der Gründung neuer Gewerkschaften zurückschrecken, wo die reformistische Bürokratie eine Einheit unmöglich macht. Unorganisierte prekär Beschäftigte können ebenso organisiert werden wie neue Hochtechnologieindustrien, trotz tyrannischer Firmenchef:innen oder Systeme, die kollektives Handeln durch Klassenzusammenarbeit am Arbeitsplatz verhindern. Wir brauchen Organisationen in den Betrieben, die sich weder dem Diktat noch den Schmeicheleien der Bosse beugen, sondern die Arbeiter:innen mit militanten Kampfmethoden wie Massenstreiks, Besetzungen und, wenn nötig, einem Generalstreik verteidigen. Die Gewerkschaften dürfen nicht bürokratisch von oben herab kontrolliert werden, sondern müssen demokratisch sein, wo Differenzen frei diskutiert werden können, wo die Führer:innen kontrolliert und, wenn nötig, unverzüglich abgewählt werden können.

Wir können nicht warten, bis die Gewerkschaften umgestaltet werden; wir müssen jetzt kämpfen. Wir fordern, dass die derzeitigen Gewerkschaftsführer:innen sich für die dringenden Bedürfnisse der Massen verwenden, und wir warnen die Basis, ihnen nicht zu vertrauen. Wir kämpfen für die Bildung von Basisbewegungen in den bestehenden Gewerkschaften, damit der Würgegriff der Funktionär:innen gebrochen werden kann und trotz allem Aktionen durchgeführt werden können. Während wir für eine politisch-fraktionelle Organisierung innerhalb der Gewerkschaften eintreten, lehnen wir politisch getrennte Gewerkschaften ab, weil dies nur dazu dient, die Arbeiter:innen zu spalten und viele unter den Einfluss reformistischer oder sogar klassenfremder Führungen zu stellen. Wir kämpfen für die Bildung von Industriegewerkschaften, die das kollektive Gewicht der Lohnabhängigen bei Verhandlungen mit den Unternehmer:innen maximieren. Dort, wo derzeit mehrere Gewerkschaften entweder innerhalb einer Branche, von Konzernen oder Betrieben existieren, setzen wir uns für ihren Zusammenschluss auf Grundlage des Klassenkampfes und für gemeinsame Ausschüsse unter Kontrolle der Basis für Verhandlungen und Aktionen ein.

Wir kämpfen für die gewerkschaftliche Organisierung der großen Zahl unserer Schwestern und Brüder, die noch nicht organisiert sind, für die Öffnung der Gewerkschaften für Jungarbeiter:innen und die rassistisch Unterdrückten. Wenn die Gewerkschaftsbürokrat:innen dies verhindern, dann müssen neue Gewerkschaften gegründet werden. Unsere Losung muss lauten: Zusammenarbeit mit den offiziellen Führer:innen, wo es möglich ist, aber ohne sie, sogar gegen sie, wo es nötig ist.

Wir brauchen Gewerkschaften und Massenorganisationen, die wirklich die Masse der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten vereinen können und nicht von männlichen Mitgliedern und Angehörigen bessergestellter Schichten dominiert werden, die ausschließlich aus der dominierenden nationalen oder anderweitig privilegierten Gruppe innerhalb eines bestimmten Landes stammen. Das bedeutet, dass wir den unteren Schichten der Arbeiter:innenklasse und den Armen, den Frauen, der Jugend, den Minderheiten und den Migrant:innen volle Rechte und volle Vertretung in ihren Führungsstrukturen zugestehen.

Deshalb kämpfen wir für:

  • Die Organisation der nicht organisierten Arbeiter:innen, einschließlich Frauen, Migrant:innen und befristeten Arbeitskräften.

  • Die Gewerkschaften müssen unter der Kontrolle ihrer Mitglieder stehen.

  • Für das Recht auf unabhängige Treffen (Caucusrecht) für alle sozial unterdrückten Gruppen: Frauen, ethnische Minderheiten, LGBTIA+-Menschen.

  • Einheit aller Gewerkschaften auf einer demokratischen und kämpferischen Basis, völlig unabhängig von den Bossen, ihren Parteien und Staaten.

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

Jede/r entschlossene Streikende weiß, dass Streikpostenketten notwendig sind, um Streikbrecher:innen abzuschrecken. Kein Wunder, dass die Kapitalist:innen überall auf drakonische gewerkschaftsfeindliche Gesetze drängen, die unsere Streikposten so schwach und unwirksam wie möglich machen sollen. Gleichzeitig dürfen die Bosse Sicherheitsleute und private Schläger:innentrupps anheuern, um die Arbeiter:innen einzuschüchtern. Von Angriffen auf Arbeiter:innenmärsche durch hoch gerüstete Polizei wie in Griechenland bis hin zur Verhaftung und Einkerkerung von Gewerkschafter:innen im Iran reicht die andauernde Verfolgung kämpferischer Arbeiter:innen. Wenn die Polizei und Schläger:innenbanden der Bosse zu offener Repression greifen, können sich selbst die militantesten Massenstreikposten als unzureichend erweisen, wie es beim historischen britischen Bergarbeiterstreik von 1984/1985 der Fall war.

Der berüchtigtste Fall dieses Jahrhunderts war das Massaker von Marikana, bei dem die südafrikanische Polizei auf Anweisung des heutigen Präsidenten und ehemaligen Bergarbeiterführers Cyril Ramaphosa 42 Streikende tötete. Jeder ernsthafte Kampf zeigt die Notwendigkeit eines disziplinierten Schutzes mit Waffen, die denen entsprechen, die gegen uns eingesetzt werden.

Wir sollten mit der organisierten Verteidigung von Demonstrationen, Streikposten, Gemeinden, die rassistischen und faschistischen Überfällen ausgesetzt sind, sowie mit der Selbstverteidigung der sexuell Unterdrückten beginnen. Unter ständiger Bekräftigung des demokratischen Rechts auf Selbstverteidigung sollten Militante eine öffentliche Kampagne für eine Arbeiter:innen- und Bevölkerungsverteidigungsgarde starten, die auf einer Massenbewegung fußt.

In Ländern, in denen das Recht besteht, Waffen zu tragen, sollte die Arbeiter:innenverteidigungsgarde dieses voll ausschöpfen. Wo die Kapitalist:innen und ihr Staat das Gewaltmonopol besitzen, sind alle Mittel gerechtfertigt, um dieses zu brechen. Revolutionär:innen müssen innerhalb der Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse und der Bauern und Bäuerinnen auf die Schaffung von Verteidigungskräften drängen, die diszipliniert, kampferprobt und mit den geeigneten Erfolg verheißenden Waffen ausgestattet sind. In Schlüsselmomenten des Klassenkampfes sind Massenstreikwellen, ein Generalstreik, die Schaffung einer Arbeiter:innenmassenmiliz unerlässlich, sonst wird die Bewegung in Blut ertränkt wie in Chile 1973 oder auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989. Wenn man sich der Herausforderung stellt, können die Mittel der Bevölkerungsverteidigung zum Instrument der Revolution werden.

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

Die kapitalistische Krise ruiniert die Mittelschichten und lässt sie krampfhaft nach Sündenböcken suchen, während die Langzeitarbeitslosen immer tiefer in die Verzweiflung sinken, was sie anfällig für religiöse Demagogie, rassistische, rechtsnationalistische, und unverhüllt faschistische Propaganda und Bewegungen macht. In den imperialistischen Ländern nimmt dies oft die Form des klassischen Faschismus an, der ethnische, nationale und religiöse Minderheiten, Migrant:innen und Roma als Zielscheibe ins Visier nimmt. Insbesondere in Europa ist die Islamophobie, der Hass auf Muslim:innen, eine schnell wachsende Bedrohung, mit Aufmärschen gegen Moscheen und Hetze gegen Hidschab und Burka, die sich unter dem Deckmantel der offiziellen Ideologie des „Antiterrorismus“ und der angeblichen Gefahr der „Islamisierung Europas“ ausbreitet. Auch der Antisemitismus ist nicht tot, denn die schnell wachsende ungarische Nazibewegung Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) vereint beides in einem giftigen Absud aus reaktionären Demagogien.

In der halbkolonialen Welt entstehen faschistische Kräfte oft aus Kommunalismus und religiösem Fanatismus, die die Emotionen der Massen gegen Minderheiten wie Muslim:innen in Indien, Tamil:innen in Sri Lanka, Hindus, Christ:innen, Ahmadiyyabewegung und Schiit:innen in Pakistan richten.

Der Faschismus ist ein Mittel des Bürger:innenkriegs gegen die Arbeiter:innenklasse. Indem er alten Hass aufrührt und irrationale Ängste schürt, mobilisiert er die kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, um die Organisationen der Arbeiter:innenklasse und demokratische zunächst zu spalten und dann zu zerstören. Danach konzentriert der Faschismus den gesamten staatlichen Kontrollapparat in seinen Händen, um den Arbeiter:innen ein Regime der Superausbeutung unter direkter Aufsicht der Polizei und ihrer Hilfstruppen aufzuzwingen. Die Bewunderung der Faschist:innen für Massenmörder wie Anders Breivik (Norwegen) und Brenton Tarrant (Neuseeland) belegt ihre brutalen Ziele.

Sein Wachstum als Massenbewegung zeugt von der Intensität der Krise, die Millionen von Menschen wütend macht und in die Verzweiflung treibt, sowie von dem Verrat und dem Versagen der Führung der Arbeiter:innenklasse. Er kann nur besiegt werden, indem die revolutionäre Bewegung der Arbeiter:innenklasse und ihrer Verbündeten entfesselt wird, indem zu einer Einheitsfront aller Arbeiter:innenorganisationen gegen den Faschismus und zu einer antifaschistischen Arbeiter:innenmiliz aufgerufen wird, um seine Attacken auf die Arbeiter:innenbewegung und auf unterdrückten Minderheiten abzuwehren. Wie Leo Trotzki sagte, ist der Sozialismus Ausdruck der revolutionären Hoffnung, während der Faschismus Ausdruck der konterrevolutionären Verzweiflung ist. Um ihn zu besiegen, muss sie in eine revolutionäre Klassenoffensive gegen den krisengeschüttelten Kapitalismus umgewandelt werden, das System, das den Faschismus immer aufs Neue gebiert. Da der Faschismus seine Kraft aus der Mobilisierung von Massen bezieht, deren Wut sich aus die Auswirkungen der kapitalistischen Krise speist, wird der Kampf gegen ihn erst dann vollendet sein, wenn seine Wurzel, der Kapitalismus, ausgerottet ist.

  • Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen die Faschist:innen.

  • Kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat und seinen Repressionsapparat.

  • Für die organisierte Selbstverteidigung von Arbeiter:innen, nationalen Minderheiten und Jugendlichen. Eine antifaschistische Miliz kann es schaffen, faschistische Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen aufzulösen und den rassistischen und faschistischen Demagog:innen jegliche offene Propagandaplattform zu entziehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten die faschistischen Kaderorganisationen die Taktik, Gruppierungen innerhalb der faschistischen Frontorganisationen, z. B. des Front National in Frankreich, aufzubauen. Solche Organisationen haben einen elektoralistischen Flügel, der mit reaktionärer rechter Politik an den politischen Aktivitäten des bürgerlichen Parlamentarismus teilnimmt und gleichzeitig mit faschistischen Gruppen innerhalb der Partei koexistiert. Im Zuge der Globalisierung haben solche Frontorganisationen stark zugenommen und konnten sich in vielen Ländern mit erheblichem Gewicht auf der politischen Bühne etablieren. Während offen faschistische Organisationen mit einer strikten „Keine Plattform“-Politik bekämpft und soweit wie möglich mit physischer Gegengewalt konfrontiert werden müssen, muss gegen faschistische Frontorganisationen eine flexiblere Form der Taktik angewendet werden. Soweit der faschistische Flügel in der Aktion dominiert, muss er wie jede faschistische Kraft behandelt werden. Andererseits werden wir dort, wo ihre nicht direkt faschistische Propaganda verzweifelte unterprivilegierte Schichten mit reaktionärer Wahlpropaganda erreicht, Taktiken anwenden, um diese Menschen durch Gegenpropaganda von den Demagog:innen zu lösen und ihnen echte Alternativen zur Bekämpfung ihrer sozialen Not aufzuzeigen.

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

In vielen Staaten der Welt, auch in nominell bürgerlichen Demokratien, gibt es mächtige Präsidialsysteme mit außerordentlichen Machtbefugnissen für ein Staatsoberhaupt, undemokratisch gewählte Senate und ernannte, nicht gewählte Richter:innen, die oft sehr lange, mitunter sogar auf Lebenszeit amtieren. Selbst in den ältesten Republiken, den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, herrschen viele dieser Einschränkungen – einschließlich der systematischen Blockierung der Registrierung von schwarzen und farbigen Wähler:innen, dem politischen Zuschnitt von Wahlbezirken usw. Als Resultat zeigt sich, dass die Verabschiedung wichtiger politischer Maßnahmen für Frauen, die organisierte Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten vereitelt wird, wie es der Oberste Gerichtshof der USA heute tut. Außerdem sind diese undemokratischen Strukturen oft in den Verfassungen verankert und lassen sich nur sehr schwer ändern. Sie aus der Welt zu schaffen, bildet eine wahrhaft revolutionäre Aufgabe.

In Ländern wie der Türkei sind die etablierten Parteien in der Lage, durch die Kontrolle der Medien und die Verhaftung von Aktivist:innen der Oppositionsparteien oder deren völlige Illegalisierung Wahlen in Plebiszite mit einem Slogan zu verwandeln – „entweder ich oder das Chaos“. In so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich und der Türkei haben solche bonapartistischen oder halbbonapartistischen Regime die Parlamente umgangen. In Afrika ist eine Epidemie von Präsidentschaften zu beobachten, die ihre Amtszeit verlängern, und im Nahen Osten und in Ostafrika hat das Militär wiederholt die Macht an sich gerissen. In diesen Ländern, in denen Arbeiter:innen, Frauen und Jugendliche wiederholt demokratische Massenbewegungen ins Leben gerufen haben, ist eine dauerhafte Lösung nicht möglich und wird es auch nie sein, solange die revolutionären Kräfte nicht die Basis der Streitkräfte für sich gewinnen und die Macht der Generalstäbe und Oberkommandos für immer brechen. Andernfalls werden schreckliche Ereignisse wie im Sudan auch weiterhin selbst die stärksten sozialen Bewegungen ausbremsen.

Im In- und Ausland geben sich die westlichen Imperialist:innen als Verteidiger:innen und Verfechter:innen der Demokratie aus. Das ist gelogen. Nach dem 11. September 2001 und den Terroranschlägen des Dschihads in Europa im letzten Jahrzehnt verhängten die nordamerikanischen und europäischen Regierungen Antiterrorgesetze, die eine Überwachungsgesellschaft geschaffen und die in jahrhundertelangen Kämpfen von der Bevölkerung errungenen Rechte eingeschränkt oder abgeschafft haben.

Im globalen Süden werden die demokratischen Rechte, die es der Arbeiter:innenklasse, den Bauern und Bäuerinnen, den städtischen und ländlichen Armen ermöglichen, sich zu organisieren und wehren, von den Gerichten, der Polizei und den Killerkommandos der Bosse untergraben. Auf den Philippinen hat Rodrigo Dutertes „Krieg gegen die Drogen“ innerhalb von zwei Jahren zu einer Flut von außergerichtlichen Tötungen durch die Polizei geführt, die auf 12.000 bis 20.000 geschätzt wird. Auch in Mexiko und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten forderte der Krieg gegen die Drogen Opfer von Morden durch Armee und Polizei, die vor allem Linke und Anführer:innen der Gewerkschaften und Bäuer:innenschaft aufs Korn nehmen.

In Palästina und insbesondere im blockierten und immer wieder bombardierten Gazastreifen sind die Palästinenser:innen ein ständiges Ziel des zionistischen Siedlers:innenstaates. In Israel und im Westjordanland herrscht ein Regime, das dem der Apartheid in Südafrika nicht unähnlich ist. Der unermüdliche und heldenhafte Kampf des palästinensischen Volkes verdient die vollste Unterstützung, einschließlich der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS). Unser Ziel muss das Recht auf Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge, die Zerschlagung des zionistischen Staates und die Schaffung eines einzigen Staates für zwei hebräisch und arabisch sprechende Nationen in Israel-Palästina sein. Ein solcher Staat kann den durch den Zionismus geschaffenen Antagonismus zwischen den beiden Völkern nur dadurch lösen, dass er ein sozialistischer Staat wird, in dem landwirtschaftliche Betriebe, Fabriken usw. sich in Gemeineigentum befinden und demokratisch geplant werden, um soziale Gleichheit zu gewährleisten.

Das Gift des Rassismus und der Pogrome gegen Minderheiten und Migrant:innengemeinschaften wird dazu benutzt, den Widerstand zu spalten und auszuhöhlen. Überall auf der Welt sind es die eigenen Organisationen der Massen, die den Kampf für den Schutz und die Ausweitung der demokratischen Rechte aufnehmen müssen. Unsere demokratischen Kampforganisationen sind das Fundament einer wirklichen „Herrschaft des Volkes“. Durch regelmäßige Wahlen, die Abwählbarkeit von Delegierten und Repräsentant:innen, durch Opposition gegen die Bürokratie und ihre Privilegien kann die Arbeiter:innenbewegung das Sprungbrett für eine neue Gesellschaft werden.

  • Verteidigung des Streikrechts, der Rede- und Versammlungsfreiheit, der Freiheit, sich politisch und gewerkschaftlich zu organisieren, der Presse- und Sendefreiheit.

  • Aufhebung aller gewerkschaftsfeindlichen Gesetze.

  • Abschaffung aller undemokratischen Elemente in kapitalistischen Verfassungen: Fort mit Monarchien, zweiten Parlamentskammern, Präsident:innen mit Befehlsgewalt, ungewählten Gerichtshöfen und Notstandsgesetzen.

  • Für das uneingeschränkte Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren und die Wahl der Richter:innen durch das Volk.

  • Weg mit der zunehmenden Überwachung unserer Gesellschaft, einschließlich des Internets, und der wachsenden Macht der Polizei und Sicherheitsdienste.

  • Auflösung des Repressionsapparates, der Polizei, der Sicherheitsdienste. Für deren Ersetzung durch Milizen, die aus der Arbeiter:innenschaft und Masse der Bevölkerung stammen und von ihnen kontrolliert werden. Ermutigung von Soldat:innen zum Bruch mit ihren Vorgesetzten, um Teile von ihnen für die Revolution zu gewinnen.

Überall dort, wo grundlegende Fragen der politischen Ordnung aufgeworfen werden, fordern wir eine verfassunggebende Versammlung, um demokratische Rechte neu festzuschreiben und tatsächlich über die gesellschaftliche Grundlage des Staates zu entscheiden. Die Arbeiter:innen sollten sich dafür starkmachen, dass die Abgeordneten der Versammlung auf die demokratischste Weise gewählt werden, unter Kontrolle ihrer Wähler:innen stehen und von diesen abberufen werden können. Die Versammlung muss gezwungen werden, sich mit allen grundlegenden Fragen der demokratischen Rechte und sozialen Gerechtigkeit zu befassen: Agrarrevolution, Verstaatlichung der Großindustrie und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle, Selbstbestimmungsrecht für nationale Minderheiten, Abschaffung der politischen und wirtschaftlichen Privilegien der Reichen.

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

Die kapitalistischen Demokratien versprachen den Frauen Gleichheit. Doch das galt nicht für alles, und vieles bleibt unerfüllt.. Im 20. Jahrhundert wurde den meisten Frauen das Wahlrecht zugestanden, auch dank der ersten Welle feministischer und sozialistischer Agitation vor dem Ersten Weltkrieg und der Notwendigkeit, Frauen in die Produktion und das öffentliche Leben einzubeziehen, weil die Kriegsanstrengungen der Großmächte es erforderte, Frauen in der Produktion zu beschäftigen. Das Frauenwahlrecht wurde zumeist parallel zum allgemeinen Stimmrecht eingeführt, das bis dahin auch den männlichen Arbeitern vorenthalten worden war. Das Wahlrecht bedeutete jedoch weder für die Frauen noch für die Arbeiter:innenklasse echte politische Macht. Der Zweite Weltkrieg zog noch mehr Frauen in die Produktion ebenso wie in die Planwirtschaft der UdSSR. Frauen traten in immer größerer Zahl den Gewerkschaften bei.

Die anhaltende Belastung durch Kinderbetreuung und Hausarbeit behinderte den Zugang von Frauen zu ebenso gut bezahlter Arbeit oder einer ununterbrochenen Berufslaufbahn. Die militante Arbeiter:innenbewegung und die zweite feministische Welle in den imperialistischen Ländern und die nationalen Befreiungsbewegungen in den Halbkolonien errangen eine Reihe wichtiger Siege für die Frauen: Selbstbestimmte Geburtenkontrolle und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in einigen Ländern ermöglichten es ihnen, über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburten zu entscheiden.

In dieser Zeit rückten auch die patriarchalische Ideologie und die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen in Bildung, Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft stärker ins Blickfeld. Auch gegen häusliche Gewalt in der Familie, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung wurde vorgegangen. Den Gesetzen zur Lohngleichheit zum Trotz entsprechen die Löhne für weibliche Arbeitskräfte in Europa und Nordamerika jedoch im Durchschnitt nur zu 70 Prozent denen ihrer männlichen Arbeitskollegen und liegen oft noch viel niedriger. Frauen tragen immer noch die Doppelbelastung der Kinderbetreuung, Altenpflege und Haushaltsführung „neben“ ihrer Berufstätigkeit. Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt sind nach wie vor weitverbreitet. Die reproduktiven Rechte der Frauen sind beschränkt und werden ständig angegriffen.

In den USA hat die Aufhebung des Urteils Roe versus Wade durch den Obersten Gerichtshof, das Frauen ein (wenn auch eingeschränktes) Recht auf Abtreibung zugestanden hat, die Kampagne zur Rücknahme des in den 1970er Jahren errungenen eingeschränkten Rechts auf Abtreibung auf Ebene der Bundesstaaten gefördert. Die Republikanische Partei verabschiedet Gesetze, um die Abtreibung zu verbieten und die für eine sichere Durchführung notwendigen Kliniken zu schließen. In vielen halbkolonialen Ländern droht der Aufstieg religiös-populistischer Parteien, die Frauen in das patriarchalische Heim zurückzudrängen, was in Afghanistan unter den Taliban bereits fast vollständig geschehen ist, wo sie aus dem Gesundheits-, Bildungswesen und dem öffentlichen kulturellen und politischen Leben verbannt werden.

Selbst die Teilerfolge der Frauenbefreiung ergeben im Weltmaßstab ein äußerst uneinheitliches Bild. Im globalen Süden verstärken die internationale Arbeitsteilung, alte patriarchalische Verhältnisse auf dem Land und religiöse Vorurteile, die von Fundamentalist:innen aller Glaubensrichtungen wiederbelebt werden, diese Ungleichheiten. Frauen wird das Recht verweigert, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, zu entscheiden, ob oder wie viele Kinder sie haben wollen. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Familie und sogar Mord (so genannte „Ehrenmorde“) bleiben oft weitgehend ungestraft.

Dennoch wurden in den letzten Jahrzehnten Millionen von Frauen in die Massenproduktion gezogen, vor allem in der verarbeitenden Industrie in den Städten Süd- und Ostasiens und Lateinamerikas. In Krisenzeiten sind sie in der Textil-, Elektronik- und Dienstleistungsindustrie, wo Frauen etwa 80 Prozent der Beschäftigten ausmachen, oft die Ersten, die entlassen werden, wobei die Unternehmen die Löhne nicht zahlen, die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht einhalten und die Regierungen und Gerichte ein Auge davor zudrücken. Am grausamsten ausgebeutet wird die große Zahl von Wanderarbeiterinnen, deren Familien in ihrer Heimat ohne ihre Überweisungen verhungern.

Heute mühen sich männlich dominierte Regierungen auf der ganzen Welt begierig, die Frauen bei der Wahl ihrer Kleidung zu kontrollieren. In Europa fordern Rassist:innen Einschränkungen für das Tragen des Hidschab (Kopftuch) oder Niqab (Gesichtsschleier) und verhängen Verbote für Frauen, die islamische Gesichtsbedeckungen tragen. In Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran hingegen setzt die Religionspolizei obligatorische islamische Kleidervorschriften durch. Radikale salafistische Gruppen und Dschihadisten haben versucht, Frauen alte und unterdrückerische Regeln wieder aufzuerlegen. Wir stehen für folgende Positionen:

  • Gegen alle Formen der gesetzlichen Diskriminierung von Frauen. Gleiches Recht für Frauen, zu wählen, zu arbeiten, sich zu bilden und an allen öffentlichen und sozialen Aktivitäten teilzunehmen.

  • Hilfe für Frauen, um der Beschränkung ihrer Beschäftigung auf den informellen Sektor und Familienunternehmen zu entkommen. Öffentliche Arbeitsprogramme zur Schaffung von Vollzeitstellen mit angemessenen Löhnen für Frauen.

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

  • Alle Frauen sollten unabhängig von ihrem Alter Zugang zu kostenloser Verhütung und Abtreibung haben.

  • Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in allen Formen. Ausbau von in öffentlichem Besitz befindlichen, selbstorganisierten Schutzräumen vor häuslicher Gewalt und Vergewaltigung. Selbstverteidigung gegen sexistische Gewalt, unter Kontrolle der Arbeiter:innen- und Frauenbewegung.

  • Nein zu Gesetzen, die Frauen dazu verpflichten, religiöse Kleidung zu tragen, oder es ihnen verbieten. Frauen sollten das verbriefte Recht haben, sich nach ihrem Belieben kleiden zu dürfen.

  • Für ein Verbot von Kinderehen und Zwangsverheiratung.

  • Beendigung der Doppelbelastung der Frauen durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für eine kostenlose 24-Stunden-Kinderbetreuung und einen massiven Ausbau von preisgünstigen, qualitativ hochwertigen öffentlichen Kantinen, Gemeinschaftsküchen, Restaurants und Wäschereien.

Wir können niemals eine Gesellschaft erreichen, in der alle Menschen gleich sind, wenn wir unsere Entschlossenheit zur Überwindung der sexuellen Ungleichheit nicht in unseren eigenen Widerstandsbewegungen zeigen. Wir müssen das Recht der Frauen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung einfordern, sich unabhängig zu treffen, um Diskriminierung zu erkennen und bekämpfen. Wir sind für das Recht von Frauen auf eine angemessene Vertretung in den Führungsstrukturen und auf die Bildung formeller eigener Strukturen in Parteien und Gewerkschaften.

Für eine internationale proletarische Frauenbewegung, um Frauen im Kampf für ihre Rechte zu mobilisieren, um die Klassenkämpfe überall zu stärken. Für die Verbindung des Kampfs gegen das Kapital mit dem für die Emanzipation der Frauen und eine neue Gesellschaftsordnung, die auf wirklicher Freiheit und Gleichheit beruht. Die Aufgabe kommunistischer Frauen ist es, eine solche Bewegung aufzubauen und sich dafür starkzumachen, sie auf den Weg der sozialen Revolution zu führen.

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

Die historische Ungleichheit der Geschlechter, die Jahrtausende zurückreicht bis zur Entstehung der Klassengesellschaft und des Staates als Instrument der Ausbeutenden gegenüber den Ausgebeuteten, führte zu repressiven Regeln und Gebräuchen in Bezug auf Sexualität und männliche und weibliche Geschlechterrollen. Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Gesellschaft wurden heterosexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe, der Familie oder des Kastensystems sowie Homosexualität streng bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Menschen, die gegen die binären Geschlechterrollen verstießen, wurden stigmatisiert, gemobbt, in den Selbstmord getrieben oder ermordet. Nur in einer Minderheit von Ländern sind sie rechtlich gleichgestellt. In Afrika wurden Lesben und Schwulen, als sie gleiche Bürger:innenrechte einforderten, mit einer Welle von Gewalt und Repression überzogen. Die meisten Religionen billigen diese hasserfüllte Unterdrückung.

In sogenannten „liberalen Demokratien“ wie den USA und Westeuropa stehen transsexuelle Menschen im Fadenkreuz der Reaktion. Die extreme Rechte wird bei diesen Attacken von einigen vermeintlich linken und feministischen oder gar „marxistischen“ Gruppen unterstützt, die behaupten, dass trans Rechte die der Frauen verletzten. Die Arbeiter:innenbewegung und die sozialistische Jugend müssen sich überall für LGBTQIA+-Menschen einsetzen.

  • Volle rechtliche Gleichheit für LGBTQIA+-Personen, einschließlich des Rechts auf Lebenspartner:innenschaften und Ehen.

  • Beendigung aller Verfolgungen durch den Staat, die Kirchen, Tempel und Moscheen: Respekt für jede Art von sexueller Orientierung. Jede einvernehmliche sexuelle Aktivität zwischen Erwachsenen sollte eine Frage der persönlichen Entscheidung sein.

  • Verbot jeglicher Diskriminierung und Hassverbrechen gegen LGBTQIA+-Personen.

  • Für das gesetzliche Recht von trans Personen, als das Geschlecht zu leben, sich so zu kleiden und sozialisieren, als das sie sich selbst identifizieren.

  • Für das Recht von trans Personen, sich selbst als das von ihnen gewählte Geschlecht zu identifizieren, einschließlich des Rechts, öffentliche Einrichtungen (einschließlich öffentlicher Toiletten usw.) entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu nutzen.

  • Keine Diskriminierung bei der Wohnungssuche, beim Zugang zu Lebensversicherungen, bei der medizinischen Behandlung, beim Zugang zur Arbeit oder zu Dienstleistungen.

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen, Kinder zu erziehen.

  • Für das Recht von trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu geschlechtsangleichender Behandlung unter ärztlicher Aufsicht, einschließlich des Rechts von vorpubertären trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu ihre Pubertät hemmenden Medikamenten.

  • Keine Verbote der Aufklärung über die sexuelle Orientierung von Menschen! Keine Einmischung in das Sexualleben von Erwachsenen in beiderseitigem Einvernehmen. Für den freien Ausdruck aller Formen von Sexualität und Beziehungen!

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen auf gesonderte Treffen und Gruppierung (Caucusrecht), um die Unterdrückung in den Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien zu bekämpfen.

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

Kapitalistische Krisen treffen Jugendliche besonders hart, weil sie der am wenigsten abgesicherte Teil der Arbeiter:innenschaft sind und am leichtesten entlassen werden können. In den Jahren nach der großen Krise 2008 lag die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so hoch wie die der Erwachsenen. Es gab weniger Arbeitsplätze für Schulabgänger:innen und Kürzungen von staatlichen Bildungsbudgets, die die Alternative eines Vollzeitstudiums an einer Hochschule stark einschränkten. In den halbkolonialen Slums hat die Verarmung der Familien die brutale Behandlung von Kindern verstärkt. Es ist sicher, dass die nächsten Krisen ähnliche Folgen haben werden.

Gleichzeitig tun die Gewerkschaftsbürokratie und reformistischen Apparate der Arbeiter:innenparteien in vielen Ländern so gut wie nichts, sich für die Jugend einzusetzen, beschneiden und unterdrücken vielmehr ihre Begeisterungsfähigkeit und Rechte. Kein Wunder: Die Jugend hat das Potenzial, in allen Ländern als mächtige revolutionäre Kraft zu wirken, erfüllt von Kampfgeist, frei von vielen Vorurteilen und konservativen Gewohnheiten, die von bürgerlichen und reformistischen Parteien sowie Gewerkschaften eingeimpft werden. Sie sind ein wesentliches Element der revolutionären Vorhut. Eine Fünfte Internationale muss es ihnen ermöglichen, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen und ihre eigenen Kämpfe zu führen, indem sie die Gründung einer Revolutionären Jugendinternationale fördert. Wir kämpfen für:

  • Arbeitsplätze für alle jungen Menschen zu gleichen Löhnen und Bedingungen wie für ältere Beschäftigte.

  • Abschaffung schlecht bezahlter Praktika, stattdessen Berufsausbildung bei voller Bezahlung mit anschließender Beschäftigungsgarantie.

  • Schluss mit jeder Kinderarbeit.

  • Kostenlose Bildung für alle vom Säuglingsalter bis zum 16. Lebensjahr sowie folgende Weiterbildung für alle, die es wollen, mit einem garantierten Lebensunterhalt. Erlass aller Schulden aus Studienkrediten.

  • Für das Wahlrecht ab 16 Jahren oder mit Eintritt ins Erwerbsalter, falls dieses früher beginnt.

  • Keine Ächtung von Kleidung, Musikstilen oder der Kultur der Jugend. Volle Freiheit der Meinungsäußerung.

  • – Beendigung des verlogenen „Kriegs gegen Drogen“. Legalisierung aller Drogen unter einem staatlichen Monopol, um die Reinheit zu garantieren und die Drogenbanden auszuschalten, mit Bildungs- und Gesundheitsdiensten zur Eindämmung und Beseitigung von Suchtabhängigkeit und gesundheitsgefährdendem Missbrauch.

  • Für Jugendzentren und angemessene menschenwürdige Unterkünfte, die vom Staat finanziert werden, aber unter der demokratischen Kontrolle der Jugendlichen stehen, die sie nutzen.

  • Stoppt die Kürzungen im Bildungswesen. Für massive Investitionen in das öffentliche Bildungssystem. Mehr Lehrpersonal und höhere Löhne. Bau von mehr staatlichen Schulen. Verstaatlichung von Privatschulen.

  • Gegen alle Beschränkungen des freien Zugangs zu allen Bildungseinrichtungen. Keine Schul- und Universitätsgebühren.

  • Nein zu jeglicher religiösen oder privaten Kontrolle über das Schulwesen und für weltliche, staatlich finanzierte Bildung.

  • In der Entwicklung ihres Sexuallebens sind junge Menschen Intoleranz, Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. Sexualerziehung muss in staatlichen Schulen ohne religiöse oder elterliche Einmischung möglich sein, damit die Jugendlichen ihre Sexualität so leben können, wie sie sich entwickelt, entsprechend ihrer sexuellen Orientierung und ihren eigenen Entscheidungen. Für den freien Zugang zu Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.

  • Keine polizeiliche Überwachung der Beziehungen und Sexualität junger Menschen! Für die freie Entfaltung der Sexualität junger Menschen, frei von Eingriffen des bürgerlichen Staates, religiöser Moral oder familiärer Unterdrückung!

  • Für strenge Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Belästigung in der Familie, zu Hause, an Schulen, in Kinderheimen und Waisenhäusern sowie am Arbeitsplatz. Schutz der Kinder vor Missbrauch, egal von wem er ausgeübt wird, von Geistlichen, Lehrkräften, Eltern.

  • Keine Kontrolle des Bildungssystems durch den bürgerlichen Staat! Schüler:innen, Lehrer:innen und Vertreter:innen der Arbeiter:innenbewegung sollten die Lehrpläne selbst festlegen und die Schulen demokratisch verwalten.

5.4 Rassismus bekämpfen – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

Rassismus ist eine der weitestgehenden und bösartigsten der vielen Formen der Unterdrückung, die der Kapitalismus hervorbringt. Seine Wurzeln liegen tief in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung. Der Weltmarkt und der Handel wuchsen unter der Vorherrschaft mächtiger kapitalistischer Staaten, die schwächere Gemeinwesen ausplünderten. Die Sklaverei in Amerika, die Früchte des britischen, holländischen und französischen Imperiums, die Eroberungskriege Deutschlands und Japans – sie alle erforderten, dass die Unterdrücker:innen jenen, die sie versklavten, ihre Eigenschaft als vollwertige Menschen absprachen. Die Afrikaner:innen, die Inder:innen, die Chines:innen, die Südostasiat:innen und das jüdische Volk wurden von den neuen imperialen Mächten als Untermenschen dargestellt, die der Rechte, die sie ihren Bevölkerungen im eigenen Land, wenn auch nur widerwillig, zugestanden, nicht würdig wären.

Durch die systematische Verbreitung der neuen Ideologie des Rassismus rechtfertigten die imperialen Mächte ihre Verbrechen in Übersee, banden ihre eigene Bevölkerung an die Unterstützung nationaler militärischer Abenteuer, wie kriminell diese auch sein mochten, schirmten ihre eigenen Arbeiter:innen vom rebellischen Geist ihrer kolonialen Geschwister ab und förderten tiefe Spaltungen zwischen einheimischen und zugewanderten Teilen der Arbeiterk:innenklasse im Heimatland.

Heute, nach der großen Bürger:innenrechtsbewegung in den USA und den siegreichen nationalen Bewegungen, die die Kolonialist:innen aus Indien, Algerien und Vietnam vertrieben und die Apartheid in Südafrika besiegten, schwört die Bourgeoisie der imperialistischen Mächte auf den Antirassismus. Dennoch diskriminieren dieselben Regierungen systematisch schwarze, afrikanische, asiatische und Migrant:innengemeinschaften in ihren Heimatländern, führen rassistische Einwanderungskontrollen durch und setzen nicht-weiße Minderheiten den schlechtesten Wohnverhältnissen, niedrigsten Löhnen und ständigen Drangsalierungen durch die Polizei aus. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Aufmerksamkeit auf die Tötung junger Afroamerikaner:innen durch bewaffnete Polizist:innen und ähnliche Verfolgungen gegenüber Asiat:innen und Latinos/as gelenkt. In Europa, im Osten wie im Westen, sind Roma und muslimische Gemeinschaften die Opfer von Polizeirazzien und Zwangsabschiebungen, angestachelt durch die unablässige abscheuliche rassistische Propaganda der millionenschweren Medien.

Die so genannte Flüchtlingskrise der EU hat dazu geführt, dass Syrer:innen, Afghan:innen, Iraker:innen und Jemenit:innen, die vor Krieg fliehen, sowie Afrikaner:innen aus Ländern südlich der Sahara auf der Flucht vor Armut und den Auswirkungen des Klimawandels an der Überquerung des Mittelmeers gehindert werden und ihnen Lagerhaft und Abschiebung drohen. Die Arbeiter:innenbewegung muss die Arbeitsmigrant:innen in einen gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus einbinden.

  • Öffnung der Grenzen. Gewährung des Asylrechts für alle, die vor Diktatur, brutalen Kriegen und Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Geschlechtsidentität fliehen.

  • Abschaffung der Kontrollen, die die Freizügigkeit von Arbeitssuchenden behindern, und Gewährung der vollen Staatsbürger:innenschaft, der Sozialhilfe, der Wohn- und Arbeitsrechte.

  • Schluss mit jeder Form der Diskriminierung von Migrant:innen.

  • Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Religion oder Staatsbürger:innenschaft. Volle Bürger:innenrechte für alle Migrant:innen, einschließlich des Wahlrechts!

  • Für das Recht muslimischer Frauen, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens religiöse Kleidung (Schleier, Niqab, Burka) zu tragen, wenn sie dies wünschen, und für das Recht von Frauen in muslimischen Ländern und Gemeinschaften, keine religiöse Kleidung zu tragen, frei von gesetzlichem, klerikalem oder familiärem Zwang.

  • Volles Asylrecht für alle Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut aus ihren Heimatländern fliehen.

  • Gegen Rassismus und alle Formen der Rassendiskriminierung. Dem Rassismus muss in allen Bereichen der Arbeiter:innenbewegung entgegengetreten werden. Nein zu Streiks gegen die Beschäftigung ausländischer oder migrantischer Arbeitskräfte.

  • Die Arbeiter:innenbewegung, insbesondere in den Medien tätige Gewerkschafter:innen, müssen eine Kampagne starten, begleitet von direkten Aktionen, um rassistische Hasspropaganda zu beantworten und zu stoppen.

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

Die Worte, die die Dritte Internationale der Ersten hinzufügte: „Arbeiter und unterdrückte Völker aller Länder, vereinigt euch“, spiegeln die Tatsache wider, dass eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur internationalen Befreiung der Arbeiter:innenklasse die nationale Unterdrückung ist: das Weltsystem, das auf der systematischen Unterdrückung der meisten Nationen durch eine Handvoll anderer beruht. Eine dauerhafte Einheit zwischen den Mehrheitsklassen aller Völker kann nicht erreicht werden, wenn eine Nation eine andere unterdrückt.

Heute wird ganzen Nationen – der palästinensischen, kurdischen, Rohingyas, uigurischen, belutschischen, Kaschmiris, tschetschenischen, tamilischen in Sri Lanka, tibetischen und vielen anderen – das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Das Gleiche gilt für viele indigene oder in Stämmen lebende Völkerschaften in Nord- und Südamerika, Südostasien und Afrika. Sie sind ethnischen Säuberungen, Einpferchungen in Konzentrationslagern, der Unterdrückung von Sprache und Kultur und sogar Völkermord ausgesetzt.

Die Arbeiter:innenklassen, insbesondere in den imperialistischen Staaten, deren herrschende Klassen für diese Unterdrückung verantwortlich sind, müssen dem Befreiungskampf der unterdrückten Nationen in vollem Umfang Beistand und praktische Hilfe leisten.

  • Für das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Völker, einschließlich ihres Rechts, einen eigenen Staat zu gründen, wenn sie dies wünschen, und ihres Rechts, ihren Willen frei von jeglichem Zwang und jeder Einschüchterung zu äußern.

  • Für das Recht der indigenen Völker, ihr Land zurückzuerhalten, frei von Siedlungen, die sie zu einer Minderheit machen sollen. Materielle Entschädigung (Wohnraum, Dienstleistungen, Infrastruktur) für das, was sie erlitten haben, bezahlt von den herrschenden Klassen, die ihnen das angetan haben.

  • Für gleiche Rechte und volle Staatsbürger:innenschaft für Angehörige nationaler Minderheiten.

  • Gegen alleingültige Amtssprachen. Gleiches Recht für nationale Minderheiten, ihre Sprachen an den Schulen, bei Gerichten, in Medien und im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung zu verwenden.

  • Für das Recht von Migrant:innengemeinschaften, ihre Muttersprache in der Schule zu gebrauchen.

In den halbkolonialen Ländern, die nur dem Namen nach unabhängig sind und der politischen Einmischung und wirtschaftlichen Kontrolle durch die imperialistischen Großmächte unterliegen, haben die Massen immer noch nicht viele der Grundrechte erlangt, die in den ersten kapitalistischen Ländern, in der Englischen Revolution der 1640er Jahre, der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 eingeführt wurden. Auch in der halbkolonialen Welt von heute sind viele grundlegende Aufgaben der kapitalistischen Entwicklung wie nationale Unabhängigkeit, Agrarrevolution, demokratische Rechte und die rechtliche Gleichstellung der Frauen noch nicht erfüllt.

Infolgedessen glauben heute viele nationalrevolutionäre Kräfte, die vom bürgerlich-demokratischen Denken und von der „Etappentheorie“ Stalins beeinflusst sind, wie sie immer noch von den offiziellen kommunistischen Parteien vertreten wird, dass die Lösung für die halbkoloniale Unterentwicklung darin besteht, die demokratische Revolution zu vollenden und eine echte nationale Unabhängigkeit und eine moderne Republik zu errichten, und zwar durch ein Bündnis aller Klassen, die sich der Fremdherrschaft widersetzen und die demokratische Entwicklung unterstützen.

Dieses Schema ist die gemeinsame Strategie unterschiedlicher Kräfte in der halbkolonialen Welt, von der Fatah und der PFLP in Palästina bis hin zur demokratischen Bewegung im Iran, der Kommunistischen Partei auf den Philippinen und den Maoist:innen in Nepal. Die Geschichte hat jedoch immer wieder gezeigt, dass die nationale Bourgeoisie in solchen Ländern zu schwach und zu eng mit dem ausländischen Kapital und den imperialistischen Mächten und Konzernen verbunden ist, um eine klassische bürgerliche Revolution zum Sieg zu führen.

Diese Aufgabe fällt der Arbeiter:innenklasse zu. Um die nationale Revolution im Bündnis mit den Bauern und Bäuerinnen anzuführen, müssen die Arbeiter:innen ihre strikte Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen bewahren und nicht nur die vollsten demokratischen Rechte durchsetzen, sondern auch die Beschränkungen des Kapitals überwinden; sie können die Macht nicht in den Händen einer bürgerlichen Klasse belassen, die von Natur aus unfähig ist, mit dem Imperialismus zu brechen und nur ihre eigenen Privilegien vor den Massen sichern will. Die Arbeiter:innen müssen unmittelbar die soziale Revolution ansteuern. Dies ist die Strategie der ununterbrochenen oder permanenten Revolution.

Die Arbeiter:innenklasse muss sich für die Durchsetzung voller demokratischer und nationaler Rechte in unterdrückten und halbkolonialen Nationen einsetzen. Sie muss sich an die Spitze des Kampfes gegen die imperialistische Herrschaft stellen, die sich entweder auf Verschuldung, Besetzung, Kontrolle durch multinationale Konzerne oder aufgezwungene und Marionettenregierungen gründet.

Die Organisationen der Arbeiter:innenklasse müssen zur Bildung einer antiimperialistischen Einheitsfront aller Bevölkerungsschichten unter Wahrung ihrer eigenen Unabhängigkeit aufrufen.

Keine Beteiligung der Arbeiter:innenorganisationen an einer bürgerlichen Regierung, wie radikal ihre antiimperialistische Rhetorik auch klingen mag.

  • Für Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Delegiertenräte.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung, die von der demokratischen zur sozialen Revolution übergeht, das Eigentum vergesellschaftet und die Kontrolle über Industrie und Landwirtschaft übernimmt, imperialistische Schulden streicht und die Revolution auf andere Länder ausweitet, regionale Föderationen von Arbeiter:innenstaaten und die sozialistische Entwicklung in Angriff nimmt.

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

Aus Wirtschaftskrisen und Kriegen und großen Aufschwüngen im Klassenkampf können sich leicht vorrevolutionäre oder tatsächlich revolutionäre Situationen ergeben, in denen die herrschende Klasse gespalten ist und die reformistischen Führer:innen die Kontrolle verlieren, was die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse vor die Notwendigkeit stellt, eine Regierungslösung in ihrem Interesse zu finden. Solche sozialen Krisen warten nicht darauf, dass die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Massenpartei schafft, die bereit ist, die Macht zu übernehmen. In Ermangelung einer solchen blickt die Klasse weiterhin auf ihre bestehenden Gewerkschafts- und reformistischen Parteiführungen. Wenn rechte Parteien an der Macht sind, wollen reformistische Arbeiter:innen vielleicht nicht erst die nächsten regulären Wahlen abwarten, sondern versuchen, eine rechte Regierung durch direkte Aktionen, Generalstreiks oder Fabrikbesetzungen aus dem Amt zu jagen, und so „ihre eigenen“ Parteien an die Macht zu bringen.

Revolutionär:innen müssen davor warnen, dass die reformistischen Führungen, selbst wenn sie durch Massenaktionen an die Macht gebracht werden, immer noch alles tun werden, um der Kapitalist:innenklasse diese Macht zurückzugeben, indem sie die kampfbereite Klasse demobilisieren. Es dabei zu belassen, die Reformist:innen nur anzuprangern, hieße jedoch, die Methode unseres Übergangsprogramms aufzugeben. Es stellt kein Ultimatum, verlangt nicht, dass die Arbeiter:innen zunächst ihre bestehenden Organisationen oder Führungen aufgeben müssten, bevor sie für die entscheidenden Forderungen und Losungen der Stunde tätig werden könnten, ja, bevor sie für die Machtübernahme kämpfen.

Unter diesen Umständen rufen wir alle bestehenden Arbeiter:innenführungen, sowohl Gewerkschaften als auch Parteien, dazu auf, mit den Kapitalist:innen zu brechen und eine Regierung zu bilden, die die Krise im Interesse der Arbeiter:innenklasse löst und sich gegenüber deren Massenorganisationen verantwortlich zeigt. Die Arbeiter:innenorganisationen sollten fordern, dass eine solche Regierung wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die kapitalistische Sabotage ergreift, ihre Industrien, Banken usw. enteignet und die Kontrolle der Arbeiter:innen über sie anerkennt und zulässt.

Wenn die Arbeiter:innenklasse eine Regierung erstrebt, die die ökonomischen, ökologischen und kriegerischen Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, löst, kann sich diese nicht auf die bestehenden Organe des bürgerlichen Staates stützen, seien sie politisch, repressiv oder ökonomisch, da diese untrennbar mit der Klasse verbunden sind, die die Probleme verursacht hat und ihre Lösung behindert und die auf ihren höchsten Ebenen mit deren Gefolgsleuten besetzt sind. Sie muss sich stattdessen auf die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse verlassen und bereit sein, dem Großkapital ihr Programm der Kontrolle und Enteignung aufzuzwingen. Diese Aufgabe erfordert eine andere Art von Staat als den demokratischsten kapitalistischen, oder, wie Lenin sagte, einen Halbstaat, der durch die Demokratie, Selbstverwaltung und Selbstverteidigung der Produzent:innen funktioniert.

Um die unvermeidliche Sabotage durch die Spitzen des öffentlichen Dienstes, polizeiliche Provokationen, militärische oder „verfassungskonforme“ Putsche zu verhindern, werden wir den Aufbau und die Bewaffnung einer Arbeiter:innenmiliz brauchen und die Kontrolle der Offizier:innenkaste über die einfachen Dienstgrade innerhalb der Armee brechen müssen.

In einer Phase, in der Revolutionär:innen eine wachsende Alternative zu den Reformist:innen darstellen, könnte eine solche Arbeiter:innenregierung als Brücke zur revolutionären Übernahme der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse dienen, wobei die gesamte Macht in die Hände direkt gewählter Räte aus jederzeit abrufbaren Arbeiter:innendelegierten (Sowjets) übergehen und sich so die Gründung eines revolutionären Staates vollziehen kann.

  • Bruch mit der Bourgeoisie: Alle Arbeiter:innenparteien müssen ihre strenge Unabhängigkeit bewahren und sich weigern, mit den Parteien der Kapitalist:innen auf lokaler oder nationaler Ebene Koalitionsregierungen einzugehen.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung: Enteignung der Kapitalist:innenklasse. Verstaatlichung aller Banken, Konzerne, des Großhandels, des Verkehrs, des Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kommunikationswesens und der Dienstleistungen ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle.

  • Die verstaatlichten Banken sollten zu einer einzigen staatlichen Bank unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter:innenklasse verschmolzen werden, wobei die Entscheidungen über Investitionen und Ressourcen demokratisch getroffen werden sollten, als Schritt zur Bildung eines zentralen Plans unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und zur Entfaltung einer sozialistischen Wirtschaft.

  • Einführung eines Außenhandelsmonopols und von Kontrolle der Kapitalbewegungen.

  • Die Machtbefugnis einer Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung sollte auf den Räten (Sowjets) und bewaffneten Milizen der Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen und der städtischen Armen gegründet sein.

  • Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz erreicht werden.

6.2 Der Aufstand

Unser Ziel ist die politische Macht, die Macht, die Welt für immer zu verändern, damit Ungleichheit, Krisen und Kriege, Ausbeutung und Klassen eine ferne Erinnerung werden. Aber Revolutionär:innen allein machen die Revolution nicht. Es braucht objektive Voraussetzungen: eine tiefe wirtschaftliche, politische und soziale Krise, die die herrschende Klasse nicht lösen kann, so dass sie selbst gespalten wird. Auch subjektive Bedingungen sind erforderlich: Die Arbeiter:innenklasse und die untere Mittelschicht dürfen nicht länger bereit sein, die alte Ordnung aufgrund des Leids und des Chaos, das die herrschende Klasse verursacht hat, weiterhin zu unterstützen. Unter diesen Bedingungen entstehen eine vorrevolutionäre oder revolutionäre Situation, und unter diesen Voraussetzungen kann eine beträchtliche Anzahl von revolutionären Avantgardekämpfer:innen die Mehrheit der Arbeiter:innenklasse für die Perspektive der Revolution gewinnen.

Revolutionär:innen müssen vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen erkennen und in ihnen die mutigsten Protagonist:innen des Umsturzes der Macht sein. Sie müssen durch entschlossene und richtige Propaganda und Agitation in Massenbewegungen, Aufständen oder Bürgerkriegen um die Führung kämpfen und zielstrebig den Weg weisen. Für revolutionäre Organisationen und Parteien bedeuten das Versäumen revolutionärer Situationen, passives Kommentieren, das Führen eigener Kämpfe getrennt von den Massen, Angst vor der revolutionären Bewegung oder gar Unterordnung unter nichtrevolutionäre Kräfte unverzeihliche zentristische Fehler, die in der Vergangenheit immer wieder zur Niederlage der Arbeiter:innen geführt haben.

Die Übertragung der Macht von einer Klasse auf die andere kann nur durch den Aufstand der ausgebeuteten Massen unter Führung einer revolutionären Partei mit ihrer kämpferischen Vorhut erreicht werden. Da der bürgerliche Staat ein bewaffnetes Unterdrückungsinstrument verkörpert, kann seine Macht nur gebrochen werden, indem man dem Oberkommando und dem Offizier:innenkorps die Kontrolle über diese Kräfte entzieht, die einfachen Soldat:innen für sich gewinnt und die der Konterrevolution treu gebliebenen Truppenteile gewaltsam auflöst.

Wir können den alten Staatsapparat nicht übernehmen; wir müssen ihn zerstören und durch einen völlig neuen Staat ersetzen, einen Staat, in dem die Arbeiter:innenklasse, die Bauern, Bäuerinnen und die städtischen Armen die Gesellschaft durch in den Betrieben, den Barrios, den Dörfern, den Schulen und Universitäten gewählte Delegiertenräte verwalten. Immer wieder sind solche Gremien in revolutionären Krisen entstanden, von der Pariser Kommune über die russischen Sowjets, die deutschen Räte, die chilenischen Cordones bis zu den iranischen Schoras. Sie entstehen als Kampforgane, Räte der Aktion, aber nur eine klare revolutionäre Führung kann sie befähigen, zu Organen des Aufstands und dann zu einer neuen Staatsmacht der Arbeiter:innenklasse zu werden.

Solange es noch eine alte herrschende Klasse gibt, die in der Lage ist, die Macht zurückzuerobern, muss die Arbeiter:innenklasse alles Notwendige tun, um dies zu verhindern. Ein Arbeiter:innenstaat wird zwar die umfassendste und freieste Demokratie für die ehemals ausgebeuteten Klassen sein, aber gleichzeitig eine Diktatur gegen diejenigen, die den Kapitalismus wiederherstellen wollen. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet die Diktatur des Proletariats in Wirklichkeit. Auf sie kann erst verzichtet werden, wenn die mächtigsten herrschenden Klassen unseres Planeten entwaffnet und enteignet worden sind.

Ein Arbeiter:innenstaat darf jedoch nicht zulassen, dass eine Kaste von Bürokrat:innen die Diktatur über die Arbeiter:innen ausübt, und er kann auch kein Staat sein, in dem nur eine Partei existieren darf. Die arbeitenden Massen müssen die Möglichkeit haben, ihre unterschiedlichen Ansichten in verschiedenen Parteien zum Ausdruck zu bringen, die auf demokratische Weise in Wettbewerb miteinander treten, um eine Mehrheit in den Arbeiter:innenräten zu gewinnen und behalten. Unser Sozialismus darf auch keiner sein, in dem ein Präsident, ein Caudillo oder ein lider maximo alle Initiative in seinen Händen konzentriert und sich mit einem Personenkult umgibt wie ein Stalin, ein Mao, ein Castro oder ein Chávez.

Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz selbst erreicht werden.

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

Der Sozialismus, für den wir kämpfen, braucht Produktionsmittel in großem Maßstab in den Händen der Arbeiter:innenklasse, die ihre Entwicklung demokratisch planen kann, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und Ungleichheit und soziale Klassen schrittweise zu beseitigen.

In einem revolutionären Arbeiter:innenstaat wird es keinen monströsen, bürokratischen Plan geben wie unterm Stalinismus, wo eine Kaste privilegierter Bürokrat:innen versuchte, alles zentral zu entscheiden. Nach der Revolution wird die Arbeiter:innenklasse die Banken, die wichtigsten Finanzinstitutionen, die Verkehrs- und Versorgungsunternehmen und alle wichtigen Industriezweige vergesellschaften. Dies wird die Grundlage für eine Reihe von ineinandergreifenden Plänen bilden, die von der lokalen über die regionale bis zur nationalen und internationalen Ebene integriert und koordiniert sind und jeweils nach einer Debatte von einer Arbeiter:innen- und Verbraucher:innendemokratie beschlossen werden.

Dies ist kein Traum, wie die bürgerlichen Propagandist:innen behaupten. Moderne Technologien machen es möglich, Bedürfnisse und Notwendigkeiten rund um den Erdball in Sekundenschnelle zu entdecken und zu kommunizieren und dann die Produktion und den Transport zu koordinieren, um sie zu erfüllen. Jeder moderne multinationale Konzern arbeitet bereits auf diese Weise. Aber im Gegensatz zu den kapitalistischen Konzernen werden wir die Errungenschaften der modernen Technologien nicht für den Profit einiger weniger, sondern zum Nutzen der gesamten Menschheit einsetzen.

Handwerker:innen, Ladenbesitzer:innen und Kleinbauern und -bäuerinnen werden ihre Familienbetriebe als Privateigentum behalten können, wenn sie dies wünschen. Gleichzeitig werden sie ermutigt, sich von der Unsicherheit des Marktes und der Verdrängungskonkurrenz zu befreien, indem sie ihre Produktion auf den gesamtgesellschaftlichen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung ausrichten. Die Vorstellung, dass der Sozialismus auf Privateigentum in kleinem Maßstab oder auf Genossenschaften beruhen kann, ist eine rückwärtsgewandte Utopie, die mit der Zeit nur die Bedingungen der Marktwirtschaft wiederherstellen und die Kapitalakkumulation erneut fördern kann.

Die Vergesellschaftung des bäuerlichen Kleinbesitzes, der kleinen Läden usw. muss jedoch schrittweise und freiwillig erfolgen und nicht zwangsweise wie unter Stalin.

Unabhängig davon, ob die Revolution zuerst in einem rückständigen, halbkolonialen oder in einem fortgeschrittenen, imperialistischen Land ausbricht und triumphiert, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie sich rasch über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus ausbreitet. Dies ist notwendig, um das Erreichte zu verteidigen und das volle Potenzial der sozialistischen Gesellschaft auszuschöpfen. Wo immer die Arbeiter:innen die Macht ergreifen, werden sie von ausländischen kapitalistischen Mächten angegriffen, v. a. von den imperialistischen Großmächten. Die wirksamste Form der Verteidigung ist daher die Ausbreitung der Revolution in diesen Ländern durch den vollen Einsatz für die dortigen Arbeiter:innenklassen im Machtkampf. Außerdem ist es unmöglich, den Aufbau des Sozialismus auf nationaler Ebene zu vollenden, wie der Niedergang und der endgültige Zusammenbruch der Sowjetunion bewiesen haben. Der „Sozialismus in einem Land“ bleibt eine reaktionäre Utopie.

Die vom Kapitalismus über Jahrhunderte entwickelten Produktivkräfte erfordern eine internationale Ordnung. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist der Nationalstaat selbst zu einem Hindernis für ihre Weiterentwicklung geworden. Die Notwendigkeit der Strategie der permanenten Revolution ergibt sich daher nicht nur aus der Notwendigkeit, den anhaltenden Widerstand der alten herrschenden Klassen zu bekämpfen, sondern aus dem Umstand, dass eine rationale und nachhaltige Entfaltung der Produktivkräfte der Menschheit letztlich nur auf Weltebene erfolgen kann.

Auf Grundlage einer weltumspannenden Planwirtschaft und einer Weltföderation sozialistischer Republiken können wir uns schließlich auf ein gemeinsames Wohlstandsniveau und die vollständige Gleichberechtigung der gesamten Menschheit zubewegen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden soziale Klassen und die repressiven Merkmale des Staates allmählich absterben – es wird das erreicht, was Marx, Engels und Lenin Kommunismus nannten. Aber zuerst müssen wir diesen Prozess ins Werk setzen. In einem Land nach dem anderen, das von der historischen Krise des Systems erschüttert wird, müssen wir den Kapitalismus in den Abgrund stürzen. Die Weltrevolution, und nichts anderes, ist die Aufgabe der kommenden Fünften Internationale.

  • Arbeiter:innen und unterdrückte Völker der Welt – vereinigt euch!

  • Vorwärts zu einer neuen, einer Fünften Internationale!

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

Es war Karl Marx, der zuerst erklärt hatte, dass die Befreiung der Arbeiter:innenklasse von der kapitalistischen Herrschaft nur das Werk der Arbeiter:innenklasse selbst sein könne und niemals durch „Retter:innen von oben“ erreicht werden könne. Im Gegensatz zu den Anarchist:innen stellte er jedoch nicht die Mystik der „Selbsttätigkeit“ oder des „Sozialismus von unten“ der politischen Aktion, sei sie „direkt“ oder „durch Wahlen“, entgegen, sondern die Notwendigkeit, eine von allen kapitalistischen Parteien oder Persönlichkeiten unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse aufzubauen. Eine solche Partei, so betonte er, muss internationalistisch sein, wie es der Kampfruf aus dem Kommunistischen Manifest und der Eröffnungsrede der Ersten Internationale „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ zum Ausdruck bringt.

Sie muss die revolutionäre Theorie mit der Praxis vereinen. Ausgangspunkt ist das Verständnis der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, des Charakters der Ausbeutung, der Wiederkehr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen, die die Bedingungen für die Befreiung nicht nur der Arbeiter:innen, sondern aller Unterdrückten schaffen. Die revolutionäre Theorie steht bereit, um angewendet zu werden und die Welt zu verändern. Im Gegenzug bereichert die Praxis einer solchen Partei ihrerseits die Theorie und entwickelt sie weiter.

Es war der russische Revolutionär Lenin, der diese Lehren zu einem praktischen Leitfaden für den Aufbau einer revolutionären Partei destillierte, einer Partei, deren Aufgabe es sein sollte, die Arbeiter:innenklasse in all ihren großen Kämpfen zum Angriff auf den kapitalistischen Staat und seine ausgeklügelten Instrumente der Unterdrückung und Täuschung sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch innerhalb der Arbeiter:innenbewegungen selbst (reformistische Parteien, Gewerkschaftsbürokratie) zu führen. Das Modell der Partei, das Lenin entwickelt hat, der Bolschewismus, kann nicht als fertige Formel, auf jede Situation aufgepfropft werden. Das Aussehen einer revolutionären Partei kann und wird sich je nach den historischen und nationalen Bedingungen ändern und anpassen.

Es gibt jedoch ausschlaggebende Grundprinzipien, die das Fundament jeder wirksamen revolutionären Partei bilden müssen. Diese wurden zuerst in Lenins klassischem Werk „Was tun?“ beschrieben. Darin findet sich auch die bis heute sehr umstrittene Aussage: „Klassenpolitisches Bewusstsein kann der Arbeiter:innenklasse nur von außen, d. h. nur von außerhalb des ökonomischen Kampfes vermittelt werden“. Damit wird weder geleugnet, dass Klassenbewusstsein im Kapitalismus oft in den alltäglichen Auseinandersetzungen mit den Kapitalist:innen und ihrem Staat seine Keimzelle hat, noch bedeutet es, dass die Arbeiter:innenklasse sich nicht selbst emanzipieren kann, dass die Arbeiter:innen von „Außenseiter:innen“ geführt werden müssten, von einer Elite von Intellektuellen aus der Mittelschicht oder „Berufsrevolutionär:innen“, die als Parteibürokratie missverstanden werden könnten. Es bedeutet ganz einfach, dass Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen, also ausschließlich wirtschaftliche Kämpfe, die von den Gewerkschaften allein geführt werden,sich nicht spontan zu einem Kampf für den Sozialismus entwickeln werden; sie werden nicht automatisch ein revolutionäres sozialistisches Bewusstsein schaffen.

Die „spontane“ Perspektivee der Gewerkschaften geht von der des jeweiligen Berufs oder der jeweiligen Branche aus, und ab einem bestimmten Punkt behindern diese Unterteilungen eine klassenumgreifende Sichtweise. Zweitens sind die Arbeiter:innen immer starken Einflüssen „von außen“ ausgesetzt, d. h. von einer Gesellschaft, in der die herrschenden Ideen die der herrschenden Klasse sind. Dies wird durch die unaufhörliche Propaganda in den Schulen, Medien, Kirchen, Moscheen und Tempeln erreicht, die alle betonen, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei.

Dieses propagandistische Trommelfeuer, das darauf abzielt, die Arbeiter:innenschaft zu spalten und von den Ideen der herrschenden Klasse beherrschen zu lassen, kann nur durch die Prinzipien des Sozialismus und der Revolution gekontert werden – und diese kommen „von außerhalb“ der Sphäre der reinen und einfachen Gewerkschaftsbewegung. Sie können systematisch nur von einer politischen Partei geschaffen und verbreitet werden, deren Ziel es ist, alle zersplitterten und sektoralen Kämpfe auf eine politische Dimension zu heben, auf der der Kapitalismus als Feind identifiziert werden kann. Natürlich kann diese Partei nicht „außerhalb“ der Kämpfe der Arbeiter:innenklasse stehen. In dieser Hinsicht muss sie sich radikal von den reformistischen parlamentarischen Parteien unterscheiden, die den Kampf in den Betrieben den Gewerkschaften oder vielmehr ihren Funktionär:innen überlassen, die Politik weitgehend auf Wahlen beschränken und deren Parteiprogramme die Ziele auf das verkürzen, was die Führer:innen für populär halten und ihnen „Macht“, d. h. ein Regierungsamt in der Zwangsjacke des kapitalistischen Staates, verschaffen wird.

Eine leninistische Partei braucht Mitglieder, die die unermüdlichsten und aufopferungsvollsten Aktivist:innen sind, die nicht nur richtungweisend in die gegenwärtigen Kämpfe eingreifen, sondern auch erklären können, dass der Kapitalismus die Ursache für Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit und Sozialkahlschlag und darüber hinaus auch für Rassismus, Sexismus und Krieg ist. Sie müssen an den gefährlichsten Orten des Klassenkampfes zu finden sein. Sie müssen sich die Anerkennung ihrer Kolleg:innen als die zuverlässigsten Anführer:innen, die Vorhut des Klassenkampfes, erarbeiten.

Laut Lenin müssen die Parteimitglieder Kader sein, eine militärische Analogie, die sich auf das Netzwerk von Unter- und Feldoffizier:innen einer Armee bezieht. Sie müssen Berufsrevolutionär:innen sein, Personen, die nicht nur ein paar freie Abende der Politik widmen, sondern sie zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Die große Mehrheit dieser Menschen muss aus Arbeiter:innen bestehen, wenn sie im Klassenkampf führend sein will. Eine revolutionäre Partei kann das Wachstum einer Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse, mit der sie untrennbar verschmolzen ist, sprunghaft ankurbeln. Das Beispiel der bolschewistischen Partei zeigt, warum sie in der Lage war, die „spontane“ Revolution vom Februar 1917 in die bewusste Machteroberung durch die Arbeiter:innenräte im Oktober zu verwandeln. Diese Schlüsselprinzipien revolutionärer Politik, des revolutionären Programms und des Internationalismus sind heute genauso ausschlaggebend wie zu der Zeit, als Lenin sie entwickelte, und es ist die brennende Aufgabe der revolutionären Sozialist:innen, sie in den gewaltigen Kämpfen, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen, in die Tat umzusetzen.

Nachdem sie gesehen hatten, dass die Massenparteien der Arbeiter:innenbewegung, sozialdemokratische, Labour und solche, die sich „kommunistisch“ nennen, allgemein ein Hindernis für die Entfaltung der Kampfkräfte darstellten, zogen leider viele junge Aktivist:innen während der Massenkämpfe von 2009 – 2015 daraus den Schluss, dass politische Parteien als solche den Kampf nicht voranbringen könnten. Sie setzten ihnen spontane soziale Bewegungen entgegen wie bei der Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo, der Wall Street in New York, der Puerta del Sol in Madrid oder des Syntagma-Platzes in Athen. Die Alternative sei, so dachten sie, sich auf eine direkte Massendemokratie zu beschränken. Aber das Leben hat bewiesen, dass die Demokratie eines einzigen Ortes oder eines kurzen Augenblicks, auch wenn sie manchmal zum Sturz von Regierungen oder Diktator:innen führt, diese nicht durch die Macht der einfachen arbeitenden Menschen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten ersetzen kann. Ein solcher tatsächlicher Machtwechsel innerhalb der Gesellschaft wird nur dann stattfinden, wenn sich eine politische Gegenformation zu den alten Parteien herausbildet, mit der Entschlossenheit und Fähigkeit, diesen auch zu verwirklichen.

Eine revolutionäre Partei muss mit dem Reformismus der alten Linken brechen. Ihre eigenen Mitglieder müssen sie demokratisch kontrollieren. Ihre Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin, Wahlen zu gewinnen, und deshalb sollte sie nicht von ihren Abgeordneten und örtlichen Funktionär:innen kontrolliert werden, die über die Mitgliedschaft herrschen, ihre eigene Politik machen und dafür Spitzengehälter und Spesen kassieren.

Im Gegensatz zu den kapitalistischen Parteien darf die revolutionäre Partei keine Versprechungen machen und dann, wenn sie an der Macht ist, das tun, was die Bosse und Bänker:innen diktieren. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Anhänger:innenschaft von Millionen von Menschen zu gewinnen, indem sie diese zum Handeln anleitet. Die Wahlen sollten dazu genutzt werden, ihr Programm für Massenaktionen bekanntzumachen, Propagandist:innen und Agitator:innen in die Räte und Versammlungen zu schicken, um die Vertreter:innen der Kapitalist:innen anzuprangern, aber vor allem, um in aller Öffentlichkeit zu den Massen zu sprechen. Ihre Aufgabe ist es nicht, vorgeblich populäre, in Wirklichkeit aber von den millionenschweren Medien diktierte Ideen zu propagieren. Wenn Parteiangehörige Mandate als Abgeordnete bzw. Ratsmitglieder gewinnen, dürfen nicht diese die Partei kontrollieren, sondern müssen umgekehrt der Kontrolle der Partei unterstehen.

Eine solche revolutionäre Partei könnte heute einen enormen Einfluss innerhalb der Widerstandsbewegungen ausüben, indem sie für Taktiken argumentiert, die die Bewegung voranbringen, allen Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme gibt, Rassismus, Sexismus und imperialistische Kriege ebenso bekämpft wie Ausbeutung und Armut. Es ist die Aufgabe einer revolutionären Partei, sich in jede Bewegung zu stürzen, sei es für höhere Löhne oder mehr Demokratie, für Gerechtigkeit zugunsten der national, rassistisch oder geschlechtlich Unterdrückten, und in jedem Fall die Praxis einer einheitlichen Kampffront zu verfechten, während sie geduldig ihre Politik und ihr Programm erklärt und die besten Kämpfer:innen in ihre Reihen holt. In den Gewerkschaften würde eine solche Partei die Basis organisieren, um die Führung zu übernehmen. Während die Gewerkschaftsspitzen zögern, wirksame Maßnahmen gegen die Kürzungen zu ergreifen, könnte eine revolutionäre Partei die Arbeiter:innen darauf orientieren, einen Generalstreik zu koordinieren, mit oder ohne die Gewerkschaftsführer.:innen. Nur mit den Erfahrungen solcher prinzipienfesten Kämpfe wird eine revolutionäre Partei, die diesen Namen verdient, auf eine revolutionäre Situation vorbereitet sein, in der der Kapitalismus gestürzt werden kann.

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

Die Arbeit zum Aufbau neuer revolutionärer Parteien in jedem Land muss von Anfang an mit dem Kampf für eine neue Internationale verbunden sein. Die objektive Notwendigkeit, die dies gebietet, sind die globalen Antworten, die zur Bekämpfung von Krieg, kapitalistischer Krise und Klimakatastrophe erforderlich sind. Das Programm zur Bekämpfung dieser und vieler anderer damit verbundener Gefahren muss auf einer internationalen Aktion und einer internationalen Organisation beruhen, die sich dafür starkmacht. Diese Organisation ist eine Fünfte Internationale, die an die Errungenschaften der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Internationale vor ihrem Zusammenbruch und ihrer Degeneration anknüpft und auf deren Programmen und Praxis aufbaut.

Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass es vor der Gründung einer Internationale zunächst eine Reihe von starken nationalen Parteien geben muss, die jeweils in „ihrer“ Arbeiter:innenklasse fest verankert sind. Diese Konzeption verkennt, dass alle Organisationen, wenn sie isoliert voneinander aufgebaut werden, dazu neigen werden, eine Politik zu verfolgen, die die Grenzen ihres spezifischen Milieus widerspiegelt, und Gefahr laufen, dem Druck und den Verzerrungen eines nationalen Charakters zu erliegen. Die Marx’sche Losung – Arbeiter:innen aller Länder, vereinigt euch – ist keine rhetorische Floskel.

Dieses Ziel für die Parteien der Arbeiter:innenklasse muss damit verbunden sein, alle bestehenden Massenorganisationen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu ermutigen, den gleichen Weg zu gehen, angefangen beim Aufbau organisierter ständiger Verbindungen der Solidarität und gemeinsamer Aktionen mit Gleichgesinnten in aller Welt. Der Aufbau einer neuen Internationale ist keine Aufgabe, die auf kleine revolutionäre Propagandagruppen beschränkt ist, und sie muss auch nicht auf deren Vereinigung oder die Lösung ihrer strategischen und taktischen Differenzen warten, so wichtig dies auch sein mag.

Die Aufgabe, eine Nachfolge der vier historischen Internationalen aufzubauen, muss der Massenvorhut der Arbeiter:innen gestellt werden, denjenigen, die heute an der Spitze der Kämpfe stehen. Es ist möglich, dass die Schicht der Arbeiter:innenmilitanten und die Aktivist:innen der vielen Bewegungen der sozial, ethnisch oder geschlechtlich Unterdrückten, die nicht von bürgerlichen Führungen dominiert werden, eine internationale Versammlung oder ein internationales Forum schaffen können, in denen dieser Aufbau – ähnlich wie bei der Internationalen Arbeiter:innenassoziation (der Ersten Internationale) oder der sogenannten antikapitalistischen Bewegung um die Wende zum 21.Jahrhundert – beginnen kann.

Das schließt jedoch nicht aus, dass kleine Tendenzen wertvolle Arbeit leisten, indem sie Propaganda betreiben und sich in begrenztem Umfang im Klassenkampf engagieren, internationale Organisationen aufbauen und gemeinsame Programme entwickeln. Trotzki war der Auffassung, dass revolutionäre Kommunist:innen schon in den frühesten Vorphasen der Partei Gesinnungsgenoss:innen auf der ganzen Welt suchen und die Strategie, Taktik und organisatorischen Grundlagen für eine „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ schaffen müssen. So gründeten er und seine Mitstreiter:innen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Vierte Internationale. Aufgrund der ungünstigen objektiven Bedingungen – der Zweite Weltkrieg und das Überleben und die Ausbreitung sowohl der bürgerlichen Demokratie als auch der degenerierten Arbeite:innenrstaaten – übten der Stalinismus und die Sozialdemokratie enormen Druck auf die winzigen Kaderkerne aus, und die Vierte Internationale machte eine zentristische Degeneration und Zersplitterung durch, lange bevor sie mit den revolutionären Massenvorhutkräften verschmelzen konnte.

Nichtsdestotrotz hat die trotzkistische Tradition in ihren verschiedenen Abspaltungen und innerhalb einer Vielzahl von internationalen Tendenzen oft einige wichtige Prinzipien ihres Gründers bewahrt. Ihr Fehler bestand und besteht darin zu glauben, dass sie mit ihren geringen Kräften immer noch die Vierte Internationale Trotzkis repräsentiere oder auch dass entweder durch einfaches Wachstum oder die Wiedervereinigung einiger oder aller ihrer entarteten Fragmente eine neue Internationale gegründet werden könnte. Es ist ein ähnlicher Irrtum zu glauben, dass kleine Propagandagesellschaften, die Dutzende oder gar Tausende zählen, in Wahrheit revolutionäre Parteien darstellen.

Die Revolution des 21. Jahrhunderts und eine erneuerte klassenbewusste Arbeiter:innenbewegung, die politisch unabhängig von allen bürgerlichen Kräften ist, muss von Anfang an auf dem Prinzip des Internationalismus aufbauen, d. h. im Hier und Jetzt die Aufgabe angehen, eine neue, proletarische internationale Kampforganisation aufzubauen.

Der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit, die Internationalisierung der Produktion, die Angriffe auf die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und Migrant:innen, die Bedrohung durch Handels- und heiße Kriege zwischen rivalisierenden imperialistischen Blöcken, um nur einige der Schlagzeilen unserer Agenda zu nennen, erfordern einen koordinierten gemeinsamen Kampf über Grenzen hinweg und revolutionäre Veränderungen im Weltmaßstab. Ein Rückzug auf nationale „Lösungen“ kann die Reaktion nur stärken, ja ist selbst ein Ausdruck des Erstarkens dieser Kräfte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelte die Antiglobalisierungsbewegung Foren des Austauschs und setzte auf ihrem Höhepunkt Massenaktionen in Gang oder verband sie miteinander, darunter Demonstrationen von Millionen gegen den Irakkrieg. Einige ihrer führenden Köpfe sprachen die Möglichkeit einer Fünften Internationale an, um sie dann wieder fallen zu lassen, als sich eine neue Krise, die Große Rezession, am Horizont abzeichnete. Letztlich scheiterte sie jedoch daran, dass ihre reformistische und kleinbürgerliche Führung nicht bereit war, in national verankerten Massenorganisationen, seien es Gewerkschaften oder politische Parteien, für verbindliche internationale Entscheidungen aufzutreten.

Die Große Rezession und die verheerenden Auswirkungen der Krise, die Massenbewegungen des Arabischen Frühlings, die Kämpfe in Griechenland und die Besetzung von Plätzen haben die Notwendigkeit einer Internationale erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Doch auch hier versagte die Linke auf globaler und kontinentaler Ebene. So ist die europäische reformistische, aber auch die radikale und antikapitalistische Linke an der Aufgabe, den Widerstand gegen den kapitalistischen Sozialraubzug europaweit zu vereinen, völlig gescheitert. Sie hat sich als unfähig erwiesen, auch nur ansatzweise ein europäisches Aktionsprogramm gegen Krise und Kapitalismus zu entwickeln. Trotz ihres populistischen Charakters hatten der Chávismus und die bolivarische Bewegung vorübergehend den gemeinsamen Kampf in Lateinamerika und darüber hinaus proklamiert. Doch dies erwies sich als Märchen.

Nach dem Beginn einer neuen globalen Krisenperiode, nach der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, hat sich die reformistische Arbeiter:innenbewegung auf das nationale Terrain zurückgezogen. Ihr „Internationalismus“ beschränkt sich im Wesentlichen auf Sonntagsreden und Grußadressen. Dies entspricht der Position der Arbeiter:innenbürokratie, deren „Verhandlungsmacht“ an ihre nationale Kapitalist:innenklasse gebunden ist und dabei hinter der Internationalisierung des Kapitals selbst zurückbleibt.

Auch die „radikale“ linksreformistische, zentristische, anarchistische oder libertäre Linke sucht heute ihr Heil in der Orientierung auf das nationale Rückzugsgebiet. Selbst den meisten „internationalen Organisationen“ gelingt es heute nicht mehr, ihre Politik auf ein internationales Programm, eine gemeinsame Strategie und Taktik zu gründen. Entweder sind sie national ausgerichtete Sekten, um die andere Sektionen wie Satelliten kreisen, oder sie sind zunehmend nur noch lose Netzwerke, die sich weigern, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Damit werfen sie nicht nur alle Lehren aus dem Scheitern der Antiglobalisierungsbewegung, sondern auch der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale über Bord.

Das bedeutet, dass der größte Teil der globalen Linken eine politisch passive, wenn nicht gar bremsende Haltung gegenüber den spontanen Tendenzen zur Bildung internationaler Bewegungen einnimmt. Dabei haben sich in den letzten Jahren internationale Kampagnen und Bewegungen über nationale Grenzen hinweg ausgebreitet wie die #MeToo-Frauenbewegung gegen sexistische Übergriffe, der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die Flüchtlingsbewegungen, die die Abgrenzungspolitik der EU und USA in Frage stellten.

Dann gab es Ansätze zur grenzüberschreitenden Koordinierung von Arbeiter:innenkämpfen, Solidaritätsbewegungen gegen imperialistische Interventionen und reaktionäre Putschversuche. All diese Mobilisierungen stellen Möglichkeiten für grenzüberschreitende, ja, Erdteile übergreifende Kämpfe und koordinierte Aktionen dar. Sie gehen jedoch noch nicht über die „Vernetzung“ eigenständiger nationaler Kampagnen hinaus, erst recht entwickeln sie kein internationales Programm für koordinierte Aktionen. Dies ist jedoch nicht die Schuld der Aktivist:innen, die sie in Gang gesetzt haben. Es ist vor allem das Versäumnis der organisierten Linken.

Viele von ihnen haben aus den Niederlagen die grundfalsche Schlussfolgerung gezogen, dass internationale Kämpfe und der Aufbau einer Internationale heute nicht auf der Tagesordnung stehen könnten, größere Organisationen und Bewegungen zunächst auf nationaler Ebene aufgebaut und entwickelt werden müssten. Nur auf dieser Grundlage sei eine grenzüberschreitende Koordination von Kämpfen und Organisationen möglich und sinnvoll. Dieses platonische Verhältnis zum internationalen Klassenkampf stellt ein grundsätzliches politisches Problem unserer Zeit dar, es ist selbst Ausdruck eines globalen Rechtsrucks, eines Erstarkens des Nationalismus, und so verschärft die nationalbornierte Politik das Problem.

Revolutionäre Marxist:innen, Internationalist:innen und Antikapitalist:innen müssen diese reaktionäre Tendenz unversöhnlich bekämpfen. Sie müssen sich den spontanen internationalistischen Tendenzen unter den Arbeiter:innen, in der Frauenbewegung, der Jugend, den Kämpfen gegen Imperialismus und Umweltzerstörung zuwenden. Nur so wird es möglich sein, diese Aktivist:innen und Kämpfer:innen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. So wie Revolutionär:innen für die Umgestaltung der Gewerkschaften auf internationaler Ebene kämpfen müssen, so müssen sie sich für länderübergreifende Aktionskonferenzen und eine demokratisch verantwortete Kampfkoordination einsetzen. Die Sozialforen, die sich Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts formierten, können als Modell dienen, ohne ihre Schwächen, das Fehlen verbindlicher Beschlüsse und gemeinsamer Aktionen, zu wiederholen.

In den entstehenden globalen Bewegungen der Unterdrückten wie auch in Erhebungen auf nationaler Ebene sollten Revolutionär:innen stets die Notwendigkeit einer neuen Internationale betonen. Die Gefahr eines imperialistischen Krieges, die uns jetzt droht, macht dies umso dringlicher. Wir treten zwar von Anfang an für ein revolutionäres Programm ein, aber wir können die Zustimmung zu diesem Programm nicht zur Vorbedingung für gemeinsame internationale Kampfstrukturen und echte Schritte zum Aufbau einer neuen Masseninternationale machen. Um wirksam und zielstrebig für eine solche Perspektive eintreten zu können, müssen Revolutionär:innen selbst auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms von Übergangsforderungen, eines Programms der sozialistischen Weltrevolution, kämpfen.

Wir rufen alle Genoss:innen, alle sozialistischen, kommunistischen und trotzkistischen Strömungen, die mit einer solchen Perspektive übereinstimmen, dazu auf, ein internationales Programm, das wir hier zur Diskussion stellen, als eine gemeinsame revolutionäre Antwort auf die bevorstehenden Angriffe zu erarbeiten.

LFI-Kongress, 25. Juni 2023




Oktober 1923: Die Debatte um die Arbeiter:innenregierung und ihre Anwendung

Bruno Tesch, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Wie ein roter Faden zog sich die Einheitsfrontpolitik als Leitgedanke durch die Tätigkeit der KPD und fand in dem Zusammenhang ihren Ausdruck in der besonderen Behandlung der Losung der Arbeiter:innenregierung. Ihre Bereicherung des taktischen Arsenals, aber auch ihre Grenzen kamen in der Situation der Aufstandsvorbereitung zum Vorschein.

Um diese taktische und strategische Kernfrage zu behandeln, kann nicht erst bei den Vorkommnissen des Jahres 1923 begonnen werden, sondern man muss weiter zurückgehen bis ins Jahr 1921, in dem die Thesen zur Taktik der Einheitsfront auf dem 3. Weltkongress der III. Internationale verabschiedet wurden.

Der Einheitsfrontgedanke entsprang der Situation, dass die kommunistischen Parteien sich bei ihrer Formierung außerhalb der Sowjetunion einer Mehrheit von reformistischen, in den meisten Ländern sozialdemokratischen Organisationen gegenübersahen, die entscheidenden Einfluss auf die Arbeiter:innenklasse ausübten. Sie mussten nach Wegen suchen, diesen Einfluss zurückzudrängen, um stärkeren Zugang zu den Massen zu finden. Dazu waren Angebote auch an andere Arbeiter:innenorganisationen zur Einheit in der Aktion als gemeinsame Front gegen die Klassenfeind:innen notwendig. Unumstrittene Grundbedingung für ein vereintes Handeln war allerdings die vollständige Wahrung der organisatorischen Unabhängigkeit und die Freiheit der Kritik an den Bündnispartner:innen. Die Einheitsfront als umfassendes taktisches Mittel konnte und sollte sich auch in verschiedenen Stufen ausdrücken, die in einer Form gipfelten, die in der kommunistischen Bewegung debattiert und entfaltet wurde: die Taktik der Arbeiter:innenregierung.

Die Jahre 1921 und 1922 waren prägend für die Ausarbeitung der Strategie und Taktik der KPD in Bezug auf Einheitsfront und deren besondere Form der Arbeiter:innenregierung. Im Folgenden sollen wichtige Stationen auf dem Weg der Präzisierung der Losung und ihrer Anwendung nachgezeichnet werden.

Duldung von sozialdemokratischen Regierungen

Zunächst ging es im Herbst 1921 um die Politik gegenüber „sozialistischen“ (gemeint waren sozialdemokratisch geführte) Arbeiter:innenregierungen, zu denen das neu gewählte Politbüro der KPD eine elastischere Haltung einnehmen wollte, um die Aktionseinheit zu fördern. Im Mittelpunkt standen dabei Abstimmungen über die Steuerfrage, in der die KPD es von der politischen Situation abhängig machte, ob diese Regierungen gestützt oder gestürzt werden sollten. Die Mehrheit der Parteimitglieder sprach sich auf jeden Fall gegen einen Eintritt in solche Regierungen aus.

Die Partei richtete nach dem Jenaer Parteitag (22. – 26.8.1921) eine parlamentarische Zentralstelle als besondere Abteilung des Politbüros ein, deren erste Stellungnahme zur Bildung einer „sozialistischen“ Regierung nach den thüringischen Landtagswahlen vom 11.9.1921 erfolgte. Die KPD, die sich zum ersten Mal nach den Märzkämpfen den Wähler:innen stellte, gewann 6 Mandate. Es entstand im Landtag eine sozialdemokratisch-kommunistische Sitzmehrheit. Eine Mehrzahl der SPD und USPD-Abgeordneten trat für Verhandlungen mit der KPD über eine Regierungsbildung ein. Das Politbüro der KPD lehnte dies zwar ab, wollte aber die Wahl eines Ministerpräsidenten aus den Reihen von SPD bzw. USPD ermöglichen und die Regierung bei „konsequent proletarischer Politik“ unterstützen.

Gegen den Widerstand der thüringischen Parteiorganisation setzte die Zentrale durch, auch im Interesse der Bewegung im Reich nichts unternehmen zu wollen, „was der SPD erleichtern könnte, eine Koalition nach rechts einzugehen“.

Auf dem Parteitag der SPD (24.9.1921) stimmten nach der politischen rechtsradikalen Bedrohung auch gegen bürgerlich-liberale Kreise (Ermordung von Erzberger) über 70 % der Delegierten für eine Erweiterung der Reichsregierungskoalition nach rechts unter Einschluss der Deutschen Volkspartei. Hingegen wurde eine Einheitsfront mit den Kommunist:innen abgelehnt. Das neue Parteiprogramm sagte sich vom Klassenkampf los hin zur Klassenkollaboration.

Im November 1921 legte der Zentralausschuss der KPD Thesen über das Verhältnis der Kommunistischen Partei zu den sogenannten sozialistischen Regierungen vor. Darin wurden die sozialdemokratischen Auffassungen von Arbeiter:innenregierungen als „Schutzwall der Bourgeoisie gegen die proletarischen Massen“ bezeichnet. Die Bildung solcher Regierungen ohne eigene Beteiligung sollte aber zugelassen werden, weil sie eine „revolutionierende“ Rolle „als klassische Schule zur Überwindung bürgerlich-demokratischer Illusionen“ spielen könnten. Aber die KPD sollte sich von solchen Regierungsbildungen fernhalten und stattdessen den Kampf für die Eroberung der Staatsmacht und Aufrichtung der proletarischen Diktatur durch die Räteordnung führen.

Erste Anzeichen veränderter Taktik

Die Erwartung einer Räterepublik in den Thesen wurde von Radek, dem Verbindungsmann zum EKKI, kritisiert, der die Arbeiter:innenregierung als derzeit günstigste Etappe bezeichnete. Da SPD und USPD nicht wirklich die Absicht hegten, eine „sozialistische“ Regierung zu bilden, müsse anders an die Sache herangegangen werden. Die Partei solle vielmehr die Massen für eine Arbeiter:innenregierung beeinflussen. Diese müsse auf parlamentarischem Wege „zum Ansatzpunkt zu neuen siegreichen revolutionären Kämpfen werden.“ Konkret könne eine Kampagne den Hebel bilden, die gemeinsame Forderung nach Erfassung der Sachwerte in Gold durchzusetzen und in einem Kampfabkommen die Massen gegen eine „Stinnes-Koalition“ (bürgerliche Rechtserweiterung) zu mobilisieren.

Der KPD-Zentralausschuss lehnte es ab, die Losung der Arbeiter:innenregierung in den Mittelpunkt einer Kampagne zu stellen, und hielt fest, dass die Aufstellung von sachlichen, politischen und wirtschaftlichen Zielen geeigneter sei, den Kampf der Massen zu entfesseln. Bendler, der „Erfinder“ des Begriffs „sozialistische Regierung“ hatte sie nicht als Einheitsfrontlosung gedacht, sondern meinte, das Angebot an die sozialdemokratischen Parteiführer:innen wäre „das Gefährlichste in der ganzen Taktik der sozialistischen Regierung“ und würde „sie ihres revolutionären Massencharakters entkleiden und zu einem parlamentarischen Gaukelspiel werden lassen.“

Jedoch zeigten sich verschiedene Auffassungen in der Partei über die Frage der Taktik gegenüber der Sozialdemokratie auf politisch parlamentarischer Ebene. Die Opposition wandte sich auch gegen die Unterstützung der sozialdemokratischen Länderregierungen und forderte, Steuern in den Landtagen abzulehnen und damit Regierungen stürzen zu lassen. Böttcher, der Mehrheit zuzurechnen, meinte: „Wir werden die sozialistische Regierung unterstützen, parlamentarisch und außerparlamentarisch, wenn sie sich gegenüber der Bourgeoisie im Angriff befindet“.

Thalheimer hob hervor, dass günstige Möglichkeiten durch die am 15.November 1921 aufgestellten zehn Mindestforderungen der Gewerkschaften (ADGB und Angestelltenbund) zur Steuer- und Wirtschaftspolitik geschaffen worden wären, worin sie ein Eingreifen der Regierung zur Kontrolle der Privatwirtschaft und Sozialisierung des Kohlebergbaus, Erfassung der Sachwerte, Exportdevisen und eine grundsätzliche Neuordnung der Steuerpolitik forderten. Die Zentrale schlug vor, eigene weitergehende Forderungen zugunsten einer gemeinsamen Kampffront zurückzustellen.

Konkretisierung und Paradigmenwechsel

Noch im November 1921 berieten die Landtagsfraktionen von Sachsen, Thüringen und Braunschweig, wo  sich die KPD in Opposition zu von SPD und USPD geführten Regierungen befand, über ein abgestimmtes Vorgehen, z. B. Abstimmung gegen ein Misstrauensvotum aus dem reaktionären Lager, was letztlich von der Zentrale gebilligt wurde.

Im Dezember traf die Parteiführung eine weiter reichende Entscheidung, indem sie nunmehr feststellte: „Der Drang nach der Einheitsfront muss seinen politischen Ausdruck in einer sozialistischen Arbeiter:innenregierung finden, die den Koalitionsregierungen gegenüberzustellen ist. (…) Die KPD muss den Arbeiter:innen sagen, dass sie bereit ist, das Zustandekommen einer sozialistischen Arbeiter:innenregierung mit allen parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln zu fördern, und dass sie bereit ist, in solch eine Regierung einzutreten, wenn sie die Gewähr haben wird, dass diese Regierung im Kampfe gegen die Bourgeoisie die Interessen und Forderungen der Arbeiter:innenschaft vertreten, die Sachwerte erfassen, die Kappverbrecher:innen verfolgen, die revolutionären Arbeiter:innen aus den Gefängnissen befreien wird …“. Alles sollte getan werden, um die linken Flügel der SPD und USPD, die sich gegen die Koalition (mit den bürgerlichen Parteien) wendeten, zu stärken.

Die Exekutive der KI riet der KPD, öffentlich ihre Bereitschaft zu erklären, in eine Arbeiter:innenregierung des Kampfes gegen die Bourgeoisie einzutreten, und verwies darauf, dass an einer Koalition der Arbeiter:innenorganisationen im Prinzip auch nichtsozialistische Parteien teilnehmen könnten. Die Terminologie müsse sich von „sozialistische Regierung“ in „Arbeiter:innenregierung“ ändern, um die sozialdemokratischen Parteien nicht fälschlicherweise als sozialistisch zu bezeichnen und zu zeigen, dass die ganze Klasse ohne Rücksicht auf politische und weltanschauliche Differenzen zusammengefasst werden sollte. 

Nach Einwänden wurde in den Brief eingefügt, dass der Eintritt der KPD in die Landesregierungen nicht als unmittelbar bevorstehender Schritt zu betrachten sei.

Die Zentralausschusssitzung der KP im Januar 1922 dämpfte vorschnelle Erwartungen über die Herstellung einer Einheitsfront. In der Auseinandersetzung mit der rechten Opposition KAG (Levi), die den Vorhutanspruch der Partei bestritt und in Gegensatz zum Einheitsfrontgedanken bringen wollte, wurde dies abgewiesen, denn erst die revolutionäre Partei könne der Einheitsfront die entscheidenden Kampfanstöße und -perspektiven verleihen.

Die linke Opposition bemängelte, dass die Einheitsfront zu starr und unbefristet ausgelegt werde, da sie als Taktik zu verstehen sei und ein Festhalten daran, wenn sich die Umstände ändern, eine ungünstige Wirkung haben könne und deshalb nicht zum Programm gemacht werden dürfe. Dies führe dazu, die revolutionären Ziele aufzugeben und das Hineinwachsen in den Reformismus zu fördern. Der Vorwurf ging auch an die Adresse des III. KI-Weltkongresses, der den Klärungsprozess in den Mitgliedschaften gehemmt habe. Die Linken stießen sich auch an dem Begriff „Arbeiter:innenregierung“ und wollten ihn durch „sozialistische Regierung“ ersetzt wissen. Rosenberg drückte die Position der Opposition so aus: „Der Begriff ‚Arbeiter:innenregierung‘ darf nicht mit der ‚rein sozialistischen‘ (d. h. sozialdemokratischen) vermengt werden. Unter ‚Arbeiter:innenregierung‘  verstehen wir eine solche Regierung von Vertrauensleuten des Proletariats, die sich nicht auf  eine parlamentarische Zufallsmehrheit, sondern auf die Arbeiterorganisationen außerhalb der Parlamente stützt.“ (zit. nach Reisberg, Arnold: An den Quellen der Einheitsfrontpolitik – Der Kampf der KPD um die Aktionseinheit in Deutschland 1921 bis 1922, Band II, S. 634)

Regierungseintritt als taktische Option

Aufgrund der Diskussionen in der Partei und Einlassungen der KI über den Charakter von Arbeiter:innenregierung und deren möglicher Dynamik zur Mobilisierung der Arbeiter:innenmassen wurde die Resolution „Zur politischen Lage und zur Politik der KPD“ im Punkt Arbeiter:innenregierung im Frühjahr 1922 nachgebessert und lautete nun: „In der Erkenntnis, dass eine Arbeiter:innenregierung gegenüber einer offenen oder verkappten Stinnes-Regierung die Möglichkeit einer politischen Machterweiterung des Proletariats bedeutet (z. B. durch Auflösung der legalen und illegalen gegenrevolutionären Verbände, Umwandlung der Polizei und Justiz zu Klassenorganen des Proletariats, Freilassung der verurteilten Revolutionär:innen, Erweiterung der Rechte der Betriebsräte usw.), ist die KPD bereit, unter bestimmten Voraussetzungen in eine Arbeiter:innenregierung, sei es im Reiche, sei es in den Ländern, einzutreten. Der Eintritt der Kommunist:innen in eine solche Arbeiter:innenregierung hängt ab von dem Kampfwillen der Arbeiter:innenmassen und der sich auf diese Massen stützenden Parteien sowie von den realen Möglichkeiten, die gegeben sind, um die Arbeiter:innenmacht zu befestigen und auszudehnen“.  Die Formulierung von der Arbeiter:innenregierung als Schutzwall der Bourgeoisie wurde fallengelassen.

Dieser Beschluss beseitigte jedoch nicht die Differenzen bei der konkreten Anwendung in den Landtagen, z. B. bei der Bewilligung von Haushaltsvorlagen. Im April 1922 musste eine weitere Parlamentarierbesprechung, diesmal aus dem ganzen Reich, einberufen werden, bei der „Richtlinien über ein gemeinsames Vorgehen in den Ländern mit sozialistischen Regierungen, auch unter dem Gesichtswinkel der Schaffung eines roten Blocks gegenüber der reaktionären Reichspolitik und gegenüber Bayern“ erarbeitet wurden. Zur Haushaltsfrage einigte man sich lediglich auf „schärfstes Vorgehen gegen die Entstaatlichung der Betriebe“.

Als die rechtskonservative DNVP ein Volksbegehren zur Auflösung des sächsischen Landtages einleiten wollte, setzten sich einige Parteivertreter:innen für den bedingungslosen Eintritt der Kommunist:innen in die sächsische Regierung ein, um den reaktionären Streich zu stoppen. Dem widersprach das Politbüro und bezeichnete es als „opportunistische Haltung“ ebenso wie denjenigen, die sich prinzipiell gegen jede Regierungsbeteiligung aussprachen, was als KAPD-Tendenz betrachtet wurde.

Zu ersten Verhandlungen zwischen den  drei Arbeiter:innenorganisationen kam es Ende April 1922 auf Vorschlag der KPD, durch Neuwahlen Voraussetzungen für „eine einheitliche Klassenfront herzustellen“, die jedoch scheiterten, wie auch weitere Anläufe,

die die KPD stets an Grundbedingungen knüpfte, erst recht nach der Fusion von SPD und USPD. Auf der ergebnislosen Berliner Konferenz der drei Internationalen im Februar war bereits absehbar gewesen, dass es auf großer Bühne keine verbindlichen Abmachungen zur Einheitsfront geben würde.

Aber die KP-Zentrale erklärte im Mai 1922: Der Schritt einer Regierungsbeteiligung, der in der ganzen Kommunistischen Internationale  noch nicht praktiziert worden war, sollte er umsetzbar sein, wäre dann auch wegweisend über Sachsen hinaus. Die Zentrale schlug deswegen vor, dass sich alle Länder mit Arbeiter:innenregierungen zu einem Block zusammenschließen, um gegen den reaktionären Kurs im Reich Stellung zu nehmen und ihn zu durchkreuzen. Die  Lösung der Aufgaben der proletarischen Revolution könne von einer Landesregierung nicht erwartet werden, sie könne aber ein Stützpunkt für die Revolution sein.

Internationale Diskussion

Vom 7. – 11.6.1922 trat die zweite Erweiterte Exekutive der Kommunistische Internationale mit Abordnungen aus allen Gliedsektionen zu Beratungen über Einheitsfront und Arbeiter:innenregierung zusammen.. Neben Deutschland stand dies auch in der Tschechoslowakei auf der Tagesordnung. Die tschechoslowakische KP bejahte  nicht nur die Frage der Bereitschaft zur Unterstützung, nach Teilnahme an  einer Arbeiter:innenregierung, sondern zur Verantwortungsübernahme sogar im Falle der Möglichkeit einer Minderheitsregierung, bei gegebener Lage von Arbeitermassenmobilisierung. Ihr Abgeordneter Smeral sagte, dass zwischen den Alltagsforderungen, von denen die Aktion der Partei ausgehe, und dem Endziel der Machteroberung des Proletariats die Notwendigkeit eines Bindeglieds in Form der Losung der Arbeiter:innenregierung bestehe. Dies verfehlte nicht seinen Einfluss auf die Diskussion in der deutschen Sektion. Die Losung der Arbeiter:innenregierung wurde bis auf die italienische und Teile der französischen Delegation einvernehmlich als Krönung der Einheitsfront betrachtet.

Kennzeichen einer ungenügenden Wahrnehmung der Frage der Arbeiter:innenregierung war es jedoch, dass im November 1922 die Entscheidung über den Eintritt in die sächsische Landesregierung, ob dies von der KP-Bedingung, Gesetze einer Betriebsrätekonferenz vorzulegen, abhängig gemacht werden sollte oder nicht, von der Exekutive der KI bzw. der KPD-Parteizentrale wieder auf den sächsischen Landesparteitag zurückverwiesen worden war, der dann an der Bedingung festhielt. Das Politbüro billigte dessen Beschluss, aber die Landtagsfraktion sollte auf jeden Fall den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten mitwählen.

Parteitag Januar 1923

Es herrschte weiter Uneinigkeit über die unterschiedlichen Konzeptionen in der Partei zur Einheitsfront und zur Arbeiter:innenregierung.  Der 8. Parteitag vom 28.1. – 1.2. 1923 war anberaumt worden, um eine Klärung herbeizuführen. In Brandlers Hauptreferat für den Parteivorstand über Einheitsfront wies er die Einheitsfront nur von unten als undialektisch zurück. Er erklärte: „Die Arbeiter:innenregierung ist weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlicher Aufstieg zu ihr. Sie ist ein Versuch der Arbeiter:innenklasse, im Rahmen und vorerst mit Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiter:innenpolitik zu treiben“. Zu den Anforderungen an eine Arbeiter:innenregierung gehörten neben wirtschaftlicher Existenzsicherung der arbeitenden Klassen auch die gewaltsame „Niederkämpfung der gesamten Widerstände der Bourgeoisie gegen die Arbeiter:innenregierung und ihr Programm. (…) In diesen Kämpfen (…) wird die Arbeiter:innenregierung gezwungen werden, den Rahmen der Demokratie zu überschreiten, zu diktatorischen Maßnahmen überzugehen“.

Auch die Beteiligung der Kommunist:innen an einer Arbeiter:innenregierung im Reich wurde prinzipiell bejaht. Länderregierungen sollten als Stützpunkte im Kampf darum dienen. Zur Arbeiter:innenregierung zählte er auch die Vereinigte Sozialdemokratische Partei, die bisher „der linke Flügel der Bourgeoisie war, jetzt der rechte Flügel der Arbeiter:innenregierung werden soll“.

Über diese Vorlage kam es zur Kampfabstimmung gegen die linke Opposition, die eine Arbeiter:innenregierung ohne vorherige Schaffung von ‚Räteorganen‘ und „ohne Aufrollen der Waffenfrage durch die Arbeiter:innenschaft“ verwarf. Die Abstimmung  ergab eine Zweidrittelmehrheit für den Thesenentwurf der Zentrale über die „Leitsätze zur Taktik der Einheitsfront und der Arbeiter:innenregierung“.

Im März 1923  schienen sich die günstigen Vorzeichen für die Kommunist:innen zu mehren, als sich linkere sozialdemokratische Landesregierungen in Sachsen und Thüringen formierten, die auch bewaffnete Organe wie die proletarischen Hundertschaften zuließen. Der tatsächliche Regierungseintritt der KPD im Oktober folgte spät, aber nicht überraschend. Dies und das nicht einmal zweiwöchiges Dasein der Landesregierungen führten nach dem Eklat erneut zu heftigen Diskussionen in Partei und Internationale.

Opportunistische und sektiererische Konzepte über Einheitsfrontpolitik und die Vorstellung von Arbeiter:innenregierung waren aber schon lange vorher aufeinandergeprallt und gingen eine verhängnisvolle kontraproduktive Wechselwirkung ein. Auf der einen Seite verfestigte sich aus der Erkenntnis, dass die Klasse eine Regierung aus Arbeiter:innenparteien als Errungenschaft betrachtet, der Glaube, sie für deren Verteidigung mobilisieren zu können und damit die Basis zu legen für einen allgemeinen Aufstand, ohne jedoch die entsprechend zentralisierten Klassenorgane ins Feld führen zu können, zugleich aber die Vorbereitung auf den Entscheidungskampf gegen den Klassenfeind unter Ausschluss der Massen und im Geheimen durchzuführen. Es war somit kein Zufall, dass die entscheidende Phase der Ereignisse 1923 in der Frage der Arbeiter:innenregierung kulminierte und auf tragische Weise die Niederlage der Revolution besiegelte.




Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe

Das Trotzkistische Manifest, Vorwort, März 1990

1989 wurden die Grundfesten der Weltordnung erschüttert. Das Ausmaß der Umwälzungen in Osteuropa und der Sowjetunion kann kaum überschätzt werden. Sie werden die Zukunft dieser Staaten und des Stalinismus als Kraft innerhalb der Weltarbeiterbewegung in hohem Grade bestimmen. Zwar ist das Zentrum der Erschütterung in Moskau zu finden, doch die Stoßwellen haben auch Washington, Tokio, Bonn und sogar Wien erreicht. Die Wucht der Krise des Stalinismus macht sich bemerkbar von Zentralamerika bis Südafrika.

Das Wahldebakel der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und die etwas spätere Selbstauflösung (im Wahrheit Spaltung) der ungarischen stalinistischen Partei setzten den Anfang dieser Entwicklung. Die neu gewonnenen bürgerlichen Freiheiten in diesen beiden Staaten entzündeten den Funken, der dann die latente Unzufriedenheit und den aufkeimenden Widerstand gegen die stalinistischen Regimes in der DDR und der CSSR zum Explodieren brachte.

In diesen Ländern ebneten die intellektuellen Dissidentenkreise den Weg für die millionenstarke Massenbewegung, die innerhalb von wenigen Wochen entstand. Nach und nach stürzten die Honeckers und Jakes‘ von ihren bürokratischen Podesten, und dies geschah zwar ohne direkte Unterstützung, aber unter wohlwollender Tolerierung durch den Kreml. Oppositionelle, die inhaftiert gewesen waren, wurden zu Gesprächen und zu Verhandlungen eingeladen. Man versprach eine Ära der Machtaufteilung, des Pluralismus und der freien Wahlen. Die Wahl Vaclav Havels zum tschechoslowakischen Präsidenten markierte am drastischsten die „Wende“ in Osteuropa.

Diese Ereignisse fanden auch ihren Widerhall im „Westen“. Der deutsche Imperialismus beeilte sich, seinen Plan eines vereinigten kapitalistischen Deutschlands zu verkünden. Der konservative Sieg bei den Parlamentswahlen in der DDR beschleunigt die Restaurations- und Vereinigungstendenzen erheblich. Die Währungsunion steht auf der Tagesordnung, und die kapitalistische Vereinigung ist nicht mehr weit.

Auch die US-Regierung und ihre britischen Gehilfen wurden von dem tiefen Wunsch erfaßt, den Kapitalismus in Osteuropa zu restaurieren. Sie sehen in Gorbatschow und den „Reformern“ bereitwillige Helfer, um die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse zu demontieren. Die Wahlen zu den Republiksowjets im März 1990 bedeuteten einen weiteren Schlag für den konservativen Apparat. Dennoch sind die Imperialisten tief verunsichert, wie weit sie mit ihrer Wirtschaftshilfe und mit der Auflösung von Bündnissen gehen sollen. Die westlichen Alliierten scheinen derzeit sogar die weitere Stationierung sowjetischer Truppen im Gebiet der jetzigen DDR zu befürworten, nicht zuletzt, um die sogenannte Stabilität zu schützen, dh. etwaige Massenproteste gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Restauration noch von den Stalinisten ersticken zu lassen.

In den 40er Jahren sicherte der US-Marshallplan den Kapitalismus in Westeuropa. Ähnlich große Mittel wären heute notwendig, um in den verfallenden degenerierten Arbeiterstaaten eine kapitalistische Klasse wiederaufzubauen. Der Weltimperialismus scheint derzeit nicht über das dazu notwendige investierbare Kapital zu verfügen, eine Rekapitalisierung Osteuropas wird – mit Ausnahme der DDR – Halbkolonien hervorbringen. Die Imperialisten hüten sich außerdem vor großzügigen Kreditvergaben, um die Vermarktwirtschaftlichungsprozesse nicht zu bremsen.

Genauso wagen sie es nicht, das Risiko auf sich zu nehmen, die NATO zu demontieren, selbst in einer Situation, in der die Rückkehr der „Hardliner“ mehr als unwahrscheinlich ist. Aber was wird mit den unvollständigen Marktplänen der „Reformer“ passieren, wenn die Imperialisten keine bedeutenden Zugeständnisse machen?

Aus diesen Gründen ist der erste Freudenschwall der imperialistischen Führer, die den neuen Kalten Krieg gestartet haben, in ein Gemurmel über die Gefahren der Instabilität umgeschlagen. Sie mahnen zur nötigen Vorsicht und zur Erhaltung der Bündnisse. Um ein mächtiges Gesamtdeutschland kontrollieren zu können, sollen alliierte Truppen in Deutschland stationiert und dieses Mitglied der NATO bleiben.

Die Regierungen Bush und Thatcher, Kohl und Mitterand fürchten klarerweise das Gespenst der Revolution, selbst wenn es die Möglichkeit der kapitalistischen Restauration in sich trägt. Warum wohl? Weil sie die Entfesselung des Klassenkampfes in diesen Ländern über alles fürchten: Denn in diesem Fall kann – wie in Rumänien – das Selbstbewußtsein der Massen erwachen, und die Arbeiter und Arbeiterinnen würden der kapitalistischen Restauration nicht ohnmächtig und demoralisiert, sondern organisiert und bewaffnet gegenüberstehen.

Die USA, Großbritannien und Frankreich befürchten andererseits, daß ihre vor vierzig Jahren besiegten Rivalen – die BRD und Japan – den Weg zu politischer und militärischer Unabhängigkeit und womöglich Überlegenheit beschreiten könnten. Für die anglo-sächsischen Mächte können sich aber grundlegende Änderungen nur schlecht auswirken, da sie am meisten von der Nachkriegsordnung profitiert haben.

Wenn also die Freude der Imperialisten durchaus nicht ungetrübt ist, so ist doch die Krise und Verwirrung bei den Stalinisten um ein vielfaches größer. Jene Kommunistischen Parteien, wie die Eurokommunisten, die sich in der Entspannungsperiode der 70er Jahre der Sozialdemokratie angenähert haben, begrüßen nicht nur den Zusammenbruch der brutalen bürokratischen Diktaturen, sondern auch den bevorstehenden Zusammenbruch der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Wie alle Bekehrten versuchen sie, die alten Gläubigen in ihrem Glauben an die „gemischte Wirtschaft“ und die Marktkräfte zu übertreffen, kurz gesagt in ihrer Ergebenheit gegenüber dem Kapitalismus. Es wird nicht mit falschen Anschuldigungen gespart. Es wird nicht spezifisch der Stalinismus kritisiert, sondern der Leninismus und die Oktoberrevolution selbst werden angefeindet und als Ursprung der Fehlentwicklungen gebrandmarkt. Das wichtigste Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts ist nun eine peinliche Angelegenheit für all jene, die am liebsten kopfüber in die Arme der Sozialdemokratie stürzen möchten.

Die ehemaligen stalinistischen Parteien Ost- und Westeuropas sammeln sich aufgeregt vor den Pforten der Sozialistischen Internationale. Das dramatischste und folgenreichste Beispiel für diese Entwicklung ist der Weg der millionenstarken Kommunistischen Partei Italiens (PCI). Die „Partei von Gramsci und Togliatti“ kann es kaum erwarten, sich in die italienische (sozial-) demokratische Partei zu verwandeln und die Symbole der Vergangenheit – den Hammer und die Sichel – zu begraben.

Die immer offeneren Bekenntnisse der KP-Führungen zum Opportunismus sollten die militanten Basismitglieder dieser Parteien aufrütteln und warnen. Ihre Bedenken werden von vielen linken Sozialdemokraten und subjektiven Revolutionären und Revolutionärinnen geteilt, die zwar die UdSSR und ihre Satelliten nie als sozialistischen Himmel auf Erden betrachteten, aber sie zumindest als Bastionen gegen die zügellose Herrschaft des Weltkapitalismus sahen. In den Halbkolonien verfolgen die nationalen Befreiungskämpfer und -kämpferinnen den Zusammenbruch der degenerierten Arbeiterstaaten mit großer Unruhe. Immerhin wurden sie von ihnen gelegentlich, wenn auch nie konsequent und uneigennützig, mit Waffenlieferungen, Ausbildung und einem Exilplatz versorgt.

Aber all diesen Kämpfern und Kämpferinnen möchten wir sagen: Es ist nicht der Sozialismus, der Kommunismus oder die Planwirtschaft, die versagt haben, sondern das ungeheuerliche Zerrbild – der Stalinismus. Ein halbes Jahrhundert lang schien er unerschütterlich. Dennoch gab es eine Stimme, die seinen Zusammenbruch voraussagte – jene von Leo Trotzki.

Trotzki analysierte die gewaltigen Widersprüche, die hinter der einheitlichen Fassade lagen. Er sagte deren Zerfall voraus, wenn auch in einem zu kurzen Zeitrahmen. Aber er irrte sich nur zeitmäßig, nicht inhaltsmäßig. Es war ein ähnlicher Fehler, den Marx, Engels, Lenin und all jene gemacht haben, für die Theorie ein Leitfaden ist für die revolutionäre Praxis war und nicht nur eine Art von intellektuellem Trost. Es war Trotzki, der erkannte, daß keine bürokratische Herrschaft, die auf nachkapitalistischen Eigentumsverhältnissen errichtet wird, überleben kann. Letztere können sich nur entwickeln ausdehnen und den Kapitalismus weltweit besiegen, wenn sie das Werkzeug einer bewußten und revolutionären Arbeiterklasse sind. Er betonte nachdrücklich gegenüber den vereinten Kräfte des Stalinismus und Imperialismus, gegenüber der Zweiten und der Dritten Internationale, daß Stalin nicht der Fortsetzer von Lenins Arbeit war, sondern ihr Zerstörer, nicht der große Führer der Weltrevolution, sondern ihr Totengräber.

Die Folge war, daß die Trotzkisten und Trotzkistinnen in der UdSSR vor fünfzig Jahren vernichtet werden mußten, da sie tatsächlich an die zehntausend Genossen und Genossinnen waren. Stalins mörderische Hand streckte sich auch nach den Führern der jungen und schwachen Vierten Internationale aus, und die GPU (Vorläufer des KGB) ermordete schließlich auch Trotzki selber. Aber die Geschichte, wie schmerzvoll und langsam sie manchmal auch immer zu arbeiten scheint, untergräbt und zerstört alles, was auf Gewalt und Betrug aufgebaut ist, egal wie mächtig und eindrucksvoll diese Herrschaft auch erscheinen mag. Der Stalinismus hat sich als unrechtmäßiger, vorübergehender Rückschlag im Befreiungskampf des Proletariats herausgestellt.

Inmitten dieses tosenden Zusammenbruchs haben wir als Trotzkisten und Trotzkistinnen den wenigsten Grund zu Pessimismus oder Trauer. Genausowenig werden wir uns der selbstgefälligen Selbstzufriedenheit der bestechlichen Führer der Sozialdemokratie hingeben. Wir wenden uns, voll von revolutionärem Optimismus, den Arbeitern und Arbeiterinnen der degenerierten Arbeiterstaaten zu. Sie sind wachgerüttelt, um für elementare bürgerliche Rechte zu kämpfen, für einen annehmbaren Lebensstandard, gegen die Obszönität der bürokratischen Privilegien, und sie werden voranschreiten, um eine lebendige Arbeiterklasse – Fabrikräte und Gewerkschaften – wiederaufzubauen. Wir wenden uns an diese Arbeiter, da wir wissen, daß ihre Führer, die sie zunächst finden werden, mehr oder weniger versteckte Agenten der Weltbourgeoisie sein werden. Aber wenn diese Bourgeoisie erfolgreich in die Arbeiterstaaten eindringt, dann hat sie keineswegs eine reiche Konsumgesellschaft anzubieten, sondern krasse Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Massenarmut. Das garantiert, daß der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie und seine Agenten weitergehen wird.

Hier und heute warnen wir eindringlichst vor der Preisgabe der verstaatlichten Wirtschaft, des Außenhandelsmonopols und des zentralen Plans. Mit ihnen schwindet auch die teilweise und unzulängliche Verpflichtung zur Vollzeitbeschäftigung und zum Recht auf Arbeit. Mit ihnen verschwinden die gleichfalls unzulänglichen sozialen Einrichtungen. Diese unzureichenden Errungenschaften, die durch die stalinistische Gleichsetzung dieser mit dem „real existierenden Sozialismus“ in Mißkredit gebracht wurden, müssen weiter entwickelt und dürfen nicht aufgegeben werden. Sie sind die Voraussetzungen für den Übergang zum wirklichen Sozialismus und können auch als solche benutzt werden, sobald sie aus dem Griff der Bürokratenherrschaft befreit werden. Denn der real existierende Kapitalismus ist für die Massen nicht der Konsumtraum, dieser ist nur in gewissem Ausmaß für die gehobenen Schichten des Kleinbürgertums und die Arbeiteraristokratie verwirklicht. Er bedeutet Armut, Ausbeutung und Hungertod für drei Viertel der Menschheit. Die Arbeiterklasse kann und wird sich zu dieser Aufgabe erheben, und es gibt nur ein Programm, das dieser entspricht, das Programm der Trotzkisten und Trotzkistinnen. Jedoch ist dieses Programm, so wie Trotzki es geschrieben hatte, von seinen sogenannten Nachfolgern schon längst verworfen worden. Dieses Programm – das Übergangsprogramm – scheint mittlerweile in den Regalen schon etwas verstaubt zu sein. Die Epigonen Trotzkis haben indessen jede politische Mode nachgeäfft: sei es der Stalinismus, Labourismus, Maoismus, Castroismus, Sandinismus, Feminismus oder die grüne Ideologie. Wie Chamäleons haben sie die Farben ihrer Umgebung angenommen. Innerhalb dieser vierzig Jahre konnte deshalb das Programm von Leo Trotzki keine entscheidenden Siege erringen. Diese Situation ist historisch erklärbar angesichts der zeitweisen Stärke des Stalinismus und der Sozialdemokratie und des Verrats der Epigonen wie Mandel, Lambert und Healy. Aber die historischen Veränderungen, die heute stattfinden, eröffnen den Weg für den Sieg des trotzkistischen Programms.

Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist die Weiterentwicklung dieses Programms, um jene Aufgaben zu erfüllen, die sich vor fünfzig Jahren noch nicht gestellt haben. Eine zweite ist das Vorhandensein international organisierter Kader, die für neue revolutionäre Parteien und eine neue Internationale kämpfen. Aber die wichtigste Voraussetzung ist, daß die Verteidiger dieses Programms und die Gründer dieser internationalen Partei nicht davor zurückweichen, ihre Ansichten und Ziele aufzuzeigen, und daß sie offen erklären, daß ihre Ziele nur durch den gewaltsamen Umsturz der existierenden sozialen Verhältnisse erreicht werden können.

Heute schließen diese Verhältnisse den imperialistischen Kapitalismus und den todkranken Stalinismus ein. Unser Manifest, unser Programm dient der Überwindung der langen Führungskrise, die der Stalinismus und die Sozialdemokratie der Weltarbeiterklasse aufgebürdet haben. Es ist das Programm für die revolutionäre Selbstemanzipation der Arbeiterklasse und für die Befreiung der ganzen ausgebeuteten und unterdrückten Menschheit.

  • Arbeiter und Arbeiterinnen – in den halbkolonialen, stalinistischen und imperialistischen Ländern:

  • Vorwärts zur sozialistischen Weltrevolution!



Einleitung zum Trotzkistischen Manifest

Das Trotzkistische Manifest, Einleitung, Sommer 1989

Das marxistische Programm basiert auf den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus. Es analysiert jede soziale und politische Entwicklung vom Standpunkt des dialektischen Materialismus. Dieser geht davon aus, daß der Klassenkampf der treibende Motor der Geschichte ist, und erkennt in der Arbeiterklasse die einzig durchgängig revolutionäre Klasse. Während jedoch das allgemeine marxistische Programm die theoretische Methode des dialektischen Materialismus und die strategischen Ziele des Sozialismus umfaßt, konzentrieren sich die großen programmatischen Beiträge in der Geschichte der marxistischen Bewegung auf die praktischen Aufgaben, die sich aus diesen grundlegenden Prinzipien ergeben. Sie beinhalten die Strategie und die Taktiken zur Erreichung der allgemeinen Ziele und trennen diese Fragen nicht vom Programm. Im marxistischen Programm besteht keine Mauer zwischen Strategie, Taktiken und Prinzipien. Dies ist vom Kommunistischen Manifest bis zum Übergangsprogramm von 1938 klar. Ausgehend von dieser Methode haben wir das Programm der LRKI entwickelt.

Die Sozialdemokratie geht noch immer mit dem Minimal-Maximal-Programm hausieren, das sich in der kapitalistischen Epoche des freien Wettbewerbs den Weg bahnte und durch die strikte Trennung von Minimalforderungen (wirtschaftlichen oder politischen Reformen, die im Rahmen des Kapitalismus erreichbar sind) und dem Maximalziels des Sozialismus gekennzeichnet war. Diese Trennung der zwei Elemente des Programms, niedergelegt im „Erfurter Programm“ der deutschen Sozialdemokratie, war die Grundlage seiner opportunistischen Auslegung und Anwendung durch den sich entwickelnden reformistischen Flügel der II. Internationale. Die heutige Sozialdemokratie unterscheidet sich von ihren klassischen Vorläufern nur in der immer größeren Schwächlichkeit ihrer Forderungen nach Minimalreformen und in den immer selteneren Sonntagsreden über das Fernziel des Sozialismus.

In der Epoche des Konkurrenzkapitalismus war die Arbeiterklasse, insbesondere in Europa, dazu gezwungen, für eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Rechten zu kämpfen, um eine organisierte Massenbewegung der Gewerkschaften und politischen Parteien aufzubauen. Im diesem Prozeß selbst bildete sich aus der Arbeiteraristokratie eine reformistische Bürokratie heraus, für die ausgewählte Elemente des Minimalprogramms, die durch rein friedliche, legale und parlamentarische Methoden erreicht werden sollten, bloßer Selbstzweck waren. Das stand in scharfem Widerspruch zu der Position Engels‘ und Lenins, die argumentierten, daß diese Reformen nur ein Mittel seien, um einen wirklichen Kampf für den Sozialismus zu entwickeln. Der Anbruch der imperialistischen Epoche stärkte die reformistische Bürokratie beträchtlich. Indem sie die methodische Schwäche des Minimal- Maximal-Programms ausbeutete, verstärkte sie die strikte Trennung des Kampfes um Reformen von jeder revolutionären Perspektive zum Sturz des Kapitalismus. Das strategische Ziel des Reformismus bestand also darin, sich selbst innerhalb des Kapitalismus eine einflußreiche Position zu sichern. Für diesen Zweck versuchten die Reformisten, Arbeiterkämpfe zurückzustellen, indem sie die parlamentarische Wahltaktik zu ihrer zentralen Strategie der Erreichung von Reformen im Kapitalismus umfunktionierten.

Andererseits führten auch der internationale Stalinismus und sogar Teile des kleinbürgerlichen Nationalismus die Massen mit einer Abart des Minimal-Maximal-Programms in die Irre: mit dem Programm der Etappen, das auf der Theorie des „Sozialismus in einem Lande“ aufbaut. Dieses Programm und diese Theorie wurden durch die konservative Bürokratie der UdSSR in den 20er Jahren während der Periode der politischen Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse entwickelt. Gemäß diesem Etappenprogramm bedeutet die Existenz der Sowjetunion, daß es für Revolutionen möglich sei, vor einer friedlichen Entwicklung zum Sozialismus eine demokratische Etappe zu durchlaufen. Dabei sei diese demokratische Etappe (verschiedenermaßen fortgeschrittene Demokratie, Volksdemokratie, antiimperialistische Demokratie genannt) streng von einer sozialistischen Etappe getrennt. Der Kapitalismus müsse während dieser demokratischen Etappe aufrechterhalten werden, und dann könne sich der Sozialismus schrittweise und friedlich entwickeln – gemäß den spezifischen Gesetzen, die in jedem Land wirken.

Dieser wiederaufgewärmte Menschewismus ist eine zynische Politik seitens der Bürokratie, um die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu beschränken und um für seine Dienste mit einer endlos langen Periode der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus belohnt zu werden. Diese Abart des Minimal-Maximal-Programms (und da bildet auch die „linkeste“ Form, welche behauptet, daß die Durchführung der demokratischen Etappe nicht der Bourgeoisie überlassen werden könne, sondern vom Proletariat geführt werden müsse, keine Ausnahme) ist eine Schlinge um den Hals des Proletariats und der Unterdrückten. Ihre Konsequenz war und ist immer die Konterrevolution, entweder von seiten einer Kapitalistenklasse, die imstande war, sich während der „demokratischen“ Etappe neu zu gruppieren (Chile, Portugal) oder seitens einer stalinistischen Bürokratie, die gezwungen ist, den Kapitalismus zu liquidieren, um sich selbst zu verteidigen, allerdings nur unter der Bedingung der erfolgreichen politischen Entmachtung der Arbeiterklasse wie in Osteuropa, China, Indochina und Kuba.

Das Minimal-Maximal-Programm, ob in seinem stalinistischen oder sozialdemokratischem Gewand, hat also seine fortschrittliche Rolle überlebt und hat sich in ein Hindernis verwandelt, nicht nur im Kampf um den Sozialismus, sondern sogar im Kampf um die Gewinnung oder Verteidigung erfolgreicher Reformen. Denn der Kapitalismus kann weder permanente systematische soziale Reformen schaffen, noch kann er für eine dauernde und selbständige bürgerliche Demokratie sorgen. Um seine wiederkehrenden Krisen zu lösen, ist die Bourgeoisie daher gezwungen, jede ernste ökonomische Errungenschaft mitsamt den politischen Rechten der Arbeiterklasse anzugreifen. Der Kampf der Bürokratie zur Anpassung an ein solches System kann daher nur die Opferung selbst des Minimalprogramms an die Bedürfnisse des Profitsystems heißen. Die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse erfordert aber ökonomische und politische Kriegsführung gegen den Kapitalismus – sogar zur Erzielung angemessener Löhne oder zur Sicherung der Arbeitsplätze.

Dabei sind die Grenzen des Minimal-Maximal-Programms in aller Welt erkennbar: Der Imperialismus ist unfähig, radikale und konsequente Agrarreformen zu sichern oder parlamentarische Demokratien in den meisten Halbkolonien aufrechtzuerhalten. Die offensichtliche Rechtfertigung des Minimalprogramms, daß mit Phasen des Aufschwungs die Gewährung von Reformen seitens des Kapitalismus an einige Teile der Arbeiterklasse verbunden sei, ist ebenfalls eine bloß oberflächliche. Selbst das Proletariat in den am höchsten entwickelten Ländern braucht immer mehr ein Programm, das die unmittelbarsten Verteidigungskämpfe mit der Hauptaufgabe der Epoche verbindet, nämlich dem Kampf um die Macht der Arbeiterklasse. Um den spontanen Klassenkampf zu sozialistischen Zielen weiterzuentwickeln, ist aber eine Brücke notwendig. Das Programm von Übergangsforderungen ist eine derartige Brücke.

Derartige Forderungen wurden erstmals systematisch in Trotzkis Übergangsprogramm dargelegt. Doch schon Marx und Engels hatten eine Reihe von Übergangsforderungen im Kommunistischen Manifest 1848 formuliert, später waren es Lenin und die Bolschewiki, gefolgt von der Kommunistischen Internationale (Komintern), die auf den ersten vier Kongressen zugespitzte Aktionsprogramme erarbeiteten. Doch Trotzkis Werk von 1938, die programmatische Grundlage der Vierten Internationale, war der klarste und vollständigste Ausdruck der programmatischen Entwicklung der vorangegangenen 90 Jahre des Marxismus. In jeder Phase wurden die programmatischen Erklärungen des Marxismus bereichert, da sich die kapitalistische Gesellschaft selbst entwickelte. Und in jedem Fall haben die Marxistinnen und Marxisten es für nötig empfunden, das Programm im Lichte der Erfahrung zu verfeinern und wiederzuerarbeiten. Diese ist – in Trotzkis Worten – das oberste Kriterium der Vernunft. 1938 erstellte Leo Trotzki ein scharf zugespitztes Aktionsprogramm, das die Schlüsselfragen des Tages ansprach und sie im Lichte der Erfahrung der vorangegangenen zwei Jahrzehnte des Kampfes und der weltweiten Krise beantwortete. Es verkörperte sowohl die Lehren aus dem Zusammenbuch der ersten drei Internationalen als auch die Weiterführung des Beitrags, den sie in ihren revolutionären Jahren geleistet hatten. Das Übergangsprogramm von 1938 war damit ein wiedererarbeitetes Programm des revolutionären Marxismus.

Mehr als fünf Jahrzehnte an tiefgreifenden Entwicklungen im Weltimperialismus und Weltstalinismus, in den Halbkolonien, den Kämpfen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten, all das verpflichtet uns, das Übergangsprogramm wiederzuerarbeiten. Dies haben wir geleistet, und unser Programm ist, wie das von 1938, eine Entwicklung der vorangegangenen Programme des revolutionären Marxismus bis zum heutigen Tag, kein Bruch mit ihnen. Es steht also auf den Schultern der vorangegangenen Errungenschaften des revolutionären Marxismus. Es baut selbst auf dieser Methode auf und schließt alle wesentlichen Merkmale, und ebenso viele ihrer Forderungen, mit ein. Wie die vorangegangenen Programme wird es zu Aktionsprogrammen für einzelne Länder, für bestimmte historische Situationen oder für die jeweiligen Schichten im Kampf aufgegliedert werden müssen. Derartige Aktionsprogramme werden, wie Trotzkis eigenes Aktionsprogramm für Frankreich, alle Schlüsselelemente des allgemeinen Programms selbst enthalten, werden sie jedoch scharf auf eine einzelne Situation oder das betreffende Land zuspitzen.

Unser Programm ist ein Weltprogramm für die Weltpartei der sozialistischen Revolution, zugespitzt auf die brennenden Probleme, die für die krisengeschüttelten Schlußjahre des 20. Jahrhunderts charakteristisch sein werden. Es ist ein Übergangsprogramm zur sozialistischen Revolution, und als solches besitzt es in gleichen Maßen für imperialistische und halbkoloniale Länder die volle Gültigkeit. Aber es ist gleichfalls ein Programm für den Übergang zum Sozialismus in den Arbeiterstaaten. Es spricht die brennenden Aufgaben an, denen sich die Arbeitenden in diesen Staaten gegenübersehen, in denen der Kapitalismus abgeschafft wurde, aber wo die stalinistische Bürokratie die Arbeiterklasse politisch enteignet hat und der eigentliche Übergang zum Sozialismus als Ergebnis dessen aufgehalten wurde. Es ist ein Aktionswegweiser für die Millionen, die um die Lösung der Probleme, denen die Menschheit gegenübersteht, kämpfen. Es ist ein Programm, das den Weg zu einer Gesellschaft, die auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse beruht, ebnet und im scharfen Gegensatz steht zu jenen Gesellschaften, die entweder auf der Gier nach Profit beruhen oder auf der Befriedigung der Bedürfnisse einer parasitären Bürokratie.

Während unser Programm in seinem Zentrum ähnlich dem Programm von 1938 ein zugespitztes Aktionsprogramm enthält, ist es heute aber auch notwendig, Probleme anzusprechen, die in diesem Dokument nicht behandelt wurden. Als wiedererarbeitetes Programm muß es der Tatsache ins Auge sehen, daß die Kontinuität der marxistischen Bewegung 1951 mit der Degeneration der Vierten Internationale in den Zentrismus unterbrochen wurde. Eine Periode von vier Jahrzehnten ist seit dieser Degeneration verstrichen. Die Fragen der Perspektiven, der Taktik und der Strategie wurden während dieser vierzig Jahre niemals in einer revolutionären Weise analysiert, geschweige denn in einem konsequent revolutionären Programm beantwortet. Die Lehren der zentralen Ereignisse in dieser Periode, die Schaffung degenerierter Arbeiterstaaten, der lange imperialistische Boom, die anti-imperialistischen Kämpfe, die zentralen Klassenkämpfe und revolutionären Situationen wurden nicht in einer Reihe von Programmen, Thesen und Dokumenten zusammengefaßt. Statt dessen besteht die Geschichte der aus der Vierten Internationale entstandenen Zentristen aus systematischen Irrtümern und verschiedenen opportunistischen oder sektiererischen Entstellungen des marxistischen Programms. Unser Programm basiert daher nicht auf einer ungebrochenen Vergangenheit revolutionärer Positionen und kann sich nicht wie das Programm von 1938 es noch vermochte, auf 15 Jahre von Dokumenten, Positionen, Thesen und Programmen (von der Linken Opposition bis zur Gründung der Vierten Internationale) stützen. Unser Programm ist daher notwendigerweise analytischer und umfassender, als das Programm von 1938 es sein mußte. Wenn Trotzki glaubte, daß es 1938 notwendig war, mehr Kommentare aufzunehmen, als es in einem Programm zweckmäßig ist, so mußten wir das in einem noch weit größeren Ausmaß tun. In diesem Sinne ist es ein Versuch, nicht nur den Kampf von Millionen anzuleiten, sondern ebenso die LRKI klar gegenüber den vielen Spielarten des Zentrismus, die sich auf den Trotzkismus berufen, zu definieren. Es muß auch den Militanten dieser Tendenzen, ebenso wie denen anderer Organisationen innerhalb der Weltarbeiterbewegung, zweierlei aufzeigen: die Lehren, die wir aus der vergangenen Periode ziehen müssen, und ebenso unsere Antworten, die wir auf die Krisen geben.

Klarerweise ist unser Programm weit davon entfernt, das letzte Wort zum internationalen Klassenkampf und zu Strategie und Taktik der Revolution zu sein. Seit 1984 hat die „Bewegung für eine Revolutionäre Internationale“ (jetzt die „Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale“ – LRKI) Resolutionen und Thesen zu den wichtigen Fragen des internationalen Klassenkampfs formuliert. Diese bilden eine Ergänzung zu diesem Programm. Zusätzlich erkennen wir an, daß die Diskussion mit Kämpfern aus Ländern, in denen die LRKI bislang nicht vertreten ist, uns zur Bereicherung und Entwicklung des internationalen Charakters unseres Programms weiter befähigen wird. Aber wir sind fest davon überzeugt, daß wir ein Programm erstellt haben, das als Grundstein für eine solche Entwicklung dient. Dieses Programm, das mit seiner Methode, seiner Analyse, seinen Forderungen und Taktiken und seiner Strategie den lebendigen Geist des revolutionären Marxismus verkörpert, legt die Grundlage für die Wiedererrichtung eines authentischen Trotzkismus auf Weltebene.




Die objektive Basis der sozialistischen Revolution

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 1, Sommer 1989

Das zwanzigste Jahrhundert wurde in einem Ausmaß Zeuge von Kriegen, Krisen und wirtschaftlicher Stagnation, das es in der Menschheitsgeschichte bisher nicht gegeben hat. Aber es hat auch ein noch nie dagewesenes Wachstum der Produktivkräfte gegeben. Diese herausstechenden Merkmale bezeugen alle die gleiche Tatsache: Der Kapitalismus ist in sein letztes Stadium eingetreten, die Epoche des Imperialismus. In dieser Epoche hat der Kapitalismus seine Zerstörung der Relikte früherer Produktionsweisen fortgesetzt und hat all die verschiedenen Ökonomien auf dem Erdball in einen großen Weltmarkt zusammengezogen. Gleichzeitig hat er jedoch die Unausgeglichenheit und Ungleichheit der Nationen zu ihrem höchsten vorstellbaren Punkt entwickelt. Eine Handvoll imperialistischer Mächte dominiert die große Mehrheit der kapitalistischen Länder und beutet sie aus. Diese sind daher in verschiedenem Ausmaß zu Rückständigkeit und Unterordnung verurteilt.

Auf seiner imperialistischen Stufe ist der Kapitalismus durch eine heftige, weltweite Konkurrenz zwischen den riesigen Monopolen gekennzeichnet. Dies drückt sich in der Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten aus, deren Wirtschaft von diesen Monopolen kontrolliert wird. Die historische Tendenz des Falls der Profitrate treibt jedes Monopol zur weiteren Konzentration von Kapital und in immer größerem Maßstab zum Kapitalexport. Diese Kräfte haben zur Schaffung einer weltweiten Arbeitsteilung und zur Integration des Weltmarktes geführt. Dennoch bleibt die Welt in eine Reihe von Nationalstaaten aufgeteilt. Ihre herrschenden Bourgeoisien versuchen andauernd, Vorteile auf Kosten ihrer Rivalen zu erreichen. Die Widersprüche zwischen diesen Tendenzen zur Integration und jenen zum Konflikt führen zu wirtschaftlichen Krisen, langen Perioden der Stagnation, Kriegen und Revolutionen. Dies demonstriert auf klarste Weise, daß, obwohl in den Produktivkräften selbst eine Kapazität für unbeschränkte Expansion steckt, die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse – Privateigentum und Produktion für Profit – wie eine Fessel auf diese Kräfte wirken.

In großen Gebieten auf unserem Planeten wurde der Kapitalismus gestürzt, andererseits kostet seine Erhaltung anderswo das Leben von dutzenden und sogar hunderten Millionen Menschen in lokalen oder Weltkriegen; der Hunger fordert weiterhin zahllose Opfer in einer Welt, in der Lebensmittel“überschüsse“ verbrannt werden. Dies bezeugt die Tatsache, daß der Kapitalismus schon lang von seiner frühen Entwicklungsphase, als er ein relativ progressives System war, in seine letzte Phase übergegangen ist, in der er absolut reaktionär wurde – kurz gesagt, in jene Epoche, in der sein Todeskampf stattfindet.

Die Frage, die sich der Menschheit stellt, ist, ob der Imperialismus alle Klassen in den gemeinsamen Ruin ziehen wird oder ob die Arbeiterklasse die Ausgebeuteten und Unterdrückten in eine neue gesellschaftliche Ordnung führen kann; eine Ordnung, in der die demokratisch geplante Produktion für den Bedarf, die auf dem Gemeineigentum aufbaut, die Aussicht auf eine klassen- und staatenlose Welt eröffnet. Die objektiven Vorbedingungen dafür gibt es schon lange: Technologie, Wissenschaft, die Produktionsmittel und ein Millionen zählendes Weltproletariat.

Zweimal in diesem Jahrhundert, 1914-23 und 1939-47, wurde der Kapitalismus in solch akute weltweite Erschütterungen gestoßen, daß sein Ende in greifbarer Nähe schien. Zweimal haben seine eigenen Rivalitäten und Widersprüche das Schreckgespenst seiner eigenen Vernichtung durch das Proletariats erweckt. Bei zahllosen anderen Gelegenheiten hat das Proletariat einzelner Länder versucht, die Rechnung mit ihren Ausbeutern zu begleichen.

Doch bis jetzt hat das Proletariat eine Führung, die fähig wäre, die Aufgabe der Weltrevolution zu vollenden, nicht gefunden oder war nicht in der Lage, sich diese zu erhalten. Vor 1914 versammelte die Sozialistische Internationale eine weltweite Massenbewegung der Arbeiterklasse um sich, doch erlitt sie Degeneration und Verrat, noch bevor sie eine zentralisierte Führung schaffen konnte, die notwendig für einen Sieg in den herannahenden revolutionären Krisen gewesen wäre. Nur kurz, und zwar zwischen 1917 und 1923, besaß die internationale Arbeiterklasse eine solche Führung in Gestalt des Weltzentrums der Kommunistischen Internationale (Komintern). Die bürokratische Degeneration der UdSSR und der Triumph des Stalinismus beraubten das Proletariat dieser Führung. Will das Proletariat von weiteren Krisen und einem dritten und möglicherweise letzten, weltweiten Holocaust verschont bleiben, muß es sich auf die Lehren aus den vergangenen Fehlern und Erfolgen stützen und wieder in die Offensive gehen. Auf seinem Erfolg beruht die Zukunft der Menschheit.

Nur dank des Verrats der Führung der Weltarbeiterklasse konnte die imperialistische Epoche in den 20er, 30er und 40er Jahren dem drohenden Untergang entgehen. Im Zweiten Weltkrieg führte die stalinistische und sozialdemokratische Irreführung, Obstruktion und sogar Unterdrückung der Arbeiterklasse im Gefolge der Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten zur Abschlachtung von mehr als fünfzig Millionen Menschen.

In den imperialistischen Kernländern wurde die Arbeiterbewegung im Namen der Erlangung der Demokratie und des Weltfriedens davon abgehalten, mit ihrem Klassenfeind die Rechnung zu begleichen. In den Halbkolonien hat die Bourgeoisie den Bewegungen der Arbeiter und armen Bauern die Notwendigkeit einer längeren Entwicklungsetappe unter der Hegemonie der nationalen kapitalistischen Klasse gepredigt.

Doch bald nach dem Zweiten Weltkrieg brach in Osteuropa, China und Südostasien die stalinistisch inspirierte, utopische Koexistenz mit dem vom Imperialismus unterstützten lokalen Kapitalismus zusammen. Das Ergebnis war die Schaffung von Arbeiterstaaten, in denen eine parasitäre Bürokratie, die unfähig und unwillig war, eine Planwirtschaft in Richtung Sozialismus zu entwickeln oder die sozialistische Revolution auf eine internationale Ebene auszuweiten, von Beginn an die politische Macht an sich gerissen hatte. Diese Niederlagen des Proletariats und seiner Verbündeten, die von deren eigenen (Irre-)Führern eingefädelt worden waren, eröffneten für den Imperialismus die Möglichkeit einer ganzen, neuen Periode der wirtschaftlichen Expansion, einer Periode, die in merklichem Kontrast zu den Widersprüchen der Zwischenkriegsperiode stand.

Die „Drei Welten“ der Nachkriegsära

Die weitreichende Neuaufteilung der Welt war das Ergebnis eines veränderten Kräfteverhältnisses. Die USA, die ökonomisch schon vor dem Ersten Weltkrieg die stärkste imperialistische Macht gewesen waren, erreichten endlich nicht nur über die geschlagenen Imperialismen, Deutschland und Japan, sondern auch über die alten Kolonialmächte, Britannien und Frankreich, die Welthegemonie. Der „Preis“ für diesen Sieg war jedoch der „Verlust“ von Osteuropa und später von China, Nordkorea und Vietnam.

Die rivalisierenden Kolonialreiche der ersten Phase der imperialistischen Epoche machten einer Dreiteilung der Welt Platz. Die USA dominierten die Welt der großen und kleinen imperialistischen Mächte; Nordamerika, Westeuropa und den westlichen Rand der pazifischen Staaten von Japan bis Australien. Hier gab es antikommunistische, bürgerlich-demokratische Regimes, gestützt auf eine Arbeiterbürokratie, die in der „aristokratischen“ Oberschicht des Proletariats verwurzelt war. Sie führten einen „Kalten Krieg“ gegen die UdSSR und ihre Verbündeten und kämpften um die Sicherung der imperialistischen Ausbeutung der halbkolonialen Welt.

Nachdem die Sowjetunion die Bildung von degenerierten Arbeiterstaaten in der Mehrheit ihrer Nachkriegsbesatzungszonen kontrolliert hatte, beherrschte sie einen Block, zu dem China und Nordkorea hinzukamen. In jedem dieser Länder führten stalinistische Fünfjahrespläne zu einem anfänglichen Wachstum des Proletariats und zu einer gewissen Verbesserung der schrecklichen Bedingungen, die der Imperialismus hervorgebracht hatte. Trotz des stalinistischen Schmarotzertums, der Mißwirtschaft und der bürokratischen Diktatur über Arbeiter und arme Bauern erhöhte der wirtschaftliche Fortschritt das Ansehen des Stalinismus, besonders in der kolonialen und halbkolonialen Welt. Spätere stalinistische Siege, wie Vietnam und Kuba, verstärkten diese Tendenz.

In der unterentwickelten „Dritten Welt“ erreichten antikoloniale, nationale Befreiungsbewegungen formale politische Unabhängigkeit ihrer Staaten von den alten Kolonialmächten, jedoch fanden sie ihre Länder der Hegemonie der USA unterworfen. Die abhängige, nationale Bourgeoisie versuchte, ob in Form militärischer Diktaturen oder konservativer demokratischer Regimes, die Bedingungen für die Überausbeutung zu erhalten. Manche halbkoloniale Regimes benutzten die wachsende ökonomische und politische Macht des „sowjetischen Blocks“ und, indem sie dessen Hilfe suchten, schufen sie sich Raum für Manöver mit den imperialistischen Mächten. Doch wurde solche Hilfe nur in Unterordnung unter die außenpolitischen Ziele der stalinistischen Bürokratien bei ihren eigenen Manövern mit dem Imperialismus gegeben. Eine Reihe von regional einflußreichen halbkolonialen Regimes wurde ökonomisch und militärisch vom Imperialismus aufgebaut, um als seine Gendarmen in jenen Gebieten zu handeln, wo eine direkte imperialistische Intervention zu gefährlich oder zu kostspielig gewesen wäre. So sind die Halbkolonien und ihre herrschenden Klassen von verschiedenen Graden der Unabhängigkeit oder Unterordnung gezeichnet, ebenso wie es in deren ökonomischer Entwicklung verschiedene Grade der Entwicklung oder Rückständigkeit gibt.

Trotzki bemerkte in seinem Übergangsprogramm, daß „die Produktivkräfte der Menschheit stagnieren“. Diese Aussage ist Teil einer richtigen, perspektivischen Analyse der 1930er Jahre, die in der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gipfelten. Doch hält keine konjunkturelle oder periodische Charakterisierung für einen unbegrenzten Zeitraum. Gerade die Katastrophe des Krieges setzte viele der explosiven Widersprüche, die zum Weltkrieg geführt hatten, frei und löste sie. Erstens entschärften die imperialistische Bourgeoisie und der Stalinismus die explosive Bedrohung ihrer eigenen Herrschaft in den Jahren 1943 bis 1947. Zweitens brachte die massive Zerstörung von Kapital und Arbeit im Krieg günstigere Ausbeutungsverhältnisse für den Kapitalismus mit sich. Tatsächlich diente der Ausbruch des Krieges als Katalysator für die Anwendung der wissenschaftlichen Entwicklungen der Vorkriegszeit, die dazu benutzt werden konnten, nach dem Krieg einen großen Markt für Konsumgüter zu schaffen. Atemberaubende Fortschritte in der Anwendung von Wissenschaft und Technologie erhöhten die Produktivität der Arbeit außerordentlich.

Die USA ging aus dem Krieg als die dominante Macht am Weltmarkt hervor. Die praktische Auflösung der kolonialen Reiche Frankreichs und Britanniens erlaubte ein Vorherrschen des Freihandels zum Vorteil der USA. Unter diesen Bedingungen war der US-Imperialismus fähig, eine ökonomische Weltordnung auf der Basis der Überlegenheit des Dollars und unter Kontrolle seiner Agenturen – IWF, Weltbank und GATT – herzustellen. Zusammengenommen bedeuteten diese Faktoren, daß für eine ganze Periode die nationale Aufsplitterung des Weltmarktes teilweise überwunden wurde. Die US-Kapitalexporte flossen in alle Ecken der kapitalistischen Welt und ermöglichten Superprofite in der neu entstehenden, halbkolonialen Welt, doch entwickelten sie auch die Produktivkräfte von neuem.

In einer Reihe von stärkeren und schwächeren imperialistischen Mächten kennzeichneten „Wirtschaftswunder“ den Boom der 50er und 60er Jahre. Selbstverständlich war das Gesetz der ungleichen und kombinierten Entwicklung weiterhin wirksam. Die lange Boomperiode, in der die zyklischen Krisen flach und die Aufschwünge stark und dauerhaft waren, wirkte sich auch auf die halbkoloniale Welt aus. Perioden fieberhafter Industrialisierung, extensiver Agrarreformen und Verstädterung, die von Stagnation und Krise gefolgt waren, haben die letzten vierzig Jahre gekennzeichnet. Doch mit Ausnahme von Südafrika hat diese stockende Entwicklung nicht zum Einholen der imperialistischen Länder geführt. Denn eigentlich war die Entwicklung einer komplexen, internationalen Arbeitsteilung untergeordnet, die von riesigen Monopolen diktiert wird. Deren groß angelegte produktive Investitionen folgten ihrem Verlangen nach Rohstoffen, Nahrungsmitteln und billigen Arbeitskräften. Diese Entwicklung eines in sich verknüpften Weltmarktes überwand regionale Isolation und Besonderheiten, indem das Schicksal weitgehend getrennter Ländern miteinander verbunden wurde. Gleichzeitig wurden die schreienden Ungleichheiten und das krasse Ungleichgewicht zwischen der imperialistischen und der imperialisierten Welt verschärft. Gewaltige Bevölkerungsverschiebungen ereigneten sich und schufen große Immigrantengemeinden in den imperialistischen Ländern. Die Schicksale der einzelnen Länder und der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen in ihnen ist stärker miteinander verbunden als je zuvor.

Die einseitige und äußerst abhängige wirtschaftliche Entwicklung der halbkolonialen Länder führte zwar zu Verstädterung, doch im allgemeinen nicht zu einer gleichzeitigen Industrialisierung. In Südamerika, Afrika und Asien übertreffen die sich ausweitenden Slumstädte in ihrer Größe die Industriestädte der imperialistischen Länder. Die Landwirtschaft, die vom westlichen Agrobusiness oder von reichen Farmern nur für ferne Märkte entwickelt wurde, vermag nicht, auch nur die grundlegenden Bedürfnisse der ländlichen und städtischen Massen zu befriedigen. Rücksichtslose Plünderungen der natürlichen Ressourcen und die skandalöse Vernachlässigung der ländlichen Infrastruktur und der Konsumbedürfnisse der Subsistenzbauern führten in Afrika und Asien zu schrecklichen Hungersnöten, Überschwemmungen und Seuchen, die nicht die Folge natürlicher Krisen sind, sondern der Unfähigkeit des Kapitalismus, auch nur die elementarsten Bedürfnisse von drei Vierteln der Weltbevölkerung zu erfüllen. Etwa 800 Millionen Menschen leben in kapitalistischen Nationen, die dabei versagen, die Produktion der lebensnotwendigen Güter dem Bevölkerungswachstum anzupassen.

Die meisten Halbkolonien waren nicht fähig, ein bürgerlich- demokratisches Regime zu stabilisieren, da ihre wirtschaftliche Entwicklung auf einem äußerst niedrigen Niveau verläuft und sie dem Imperialismus ein zermürbendes Tribut zahlen müssen. Die lokalen herrschenden Klassen und ihre bürokratischen und militärischen Büttel, die von den US-Botschaften und dem CIA unterstützt und begünstigt wurden, haben wiederholt Putsche organisiert, um blutige Militärdiktaturen zu errichten – Guatemala 1954, Indonesien 1965, Chile 1973 und Argentinien 1975.

Auf weltpolitischer Ebene machte die Struktur der interimperialistischen Rivalitäten, die für die Periode vor 1914 und die Zwischenkriegsjahre typisch war, nach 1947 einem Kampf zwischen drei Teilen der Welt Platz. Die degenerierten Arbeiterstaaten versuchten durch groß angelegte Bewaffnungsprogramme derBedrohung durch den Imperialismus, einschließlich der durch einen Atomkrieg, entgegenzutreten und ihre Existenz zu sichern. Dies lud den Planwirtschaften dieser bisher rückständigen Länder eine enorme Last auf. Außerdem versuchten die degenerierten Arbeiterstaaten verschiedene nationale Befreiungsbewegungen und halbkoloniale Regimes, die im Konflikt mit dem Imperialismus standen, im weltweiten Kräftegleichgewicht auf ihre Seite zu ziehen. Das Ziel dieser Politik war nicht der Sturz der imperialistische Herrschaft als Weltsystem, sondern dieses zu bremsen und zu zwingen, mit den stalinistischen Bürokratien auf Dauer zu koexistieren. In der Karibik und in Zentralamerika, im Nahen Osten, im südlichen Afrika und in Südostasien unterstützten die UdSSR und China stalinistisch oder auch nicht-stalinistisch geführte nationale Befreiungsbewegungen in der reaktionären und utopischen Absicht, sie in kapitalistischen Grenzen zu halten. Im Fall von Kuba, Kambodscha und Vietnam entstanden gegen den Willen von Moskau und Peking, wenn auch mit deren widerwilliger Hilfe, neue degenerierte Arbeiterstaaten. Trotz Perioden erhöhter Spannungen (der erste Kalte Krieg, die kubanische Raketenkrise und der neue Kalte Krieg in den 80er Jahren) brachen offene militärische Konflikte mit imperialistischen Kräften nur in der halbkolonialen Welt aus.

Während des langen Booms herrschte in den imperialistischen Ländern eine längere Periode relativen gesellschaftlichen Friedens. Dieser gründete sich auf steigende Reallöhne, beinahe Vollbeschäftigung und, zumindest in Europa, auf ein beispielloses Sozialleistungssystem. Die sozialdemokratischen und Labour-Bürokratien banden die proletarischen Massenorganisationen an den Imperialismus. Aufgrund der diktatorischen Regimes in den Arbeiterstaaten und der zutiefst reformistischen Politik der „kommunistischen Weltbewegung“ übte der Stalinismus in den meisten imperialistischen Ländern wenig Attraktivität auf das Proletariat aus. Das Ansehen des Kapitalismus schien unantastbar.

In der halbkolonialen Welt war die Lage anders. Die wirtschaftliche Entwicklung löste die alten Produktionsweisen auf und vermehrte die Klasse der sozialistischen Revolution – das Proletariat – gemeinsam mit seinen potentiell revolutionären Verbündeten anderer unterdrückter Klassen – den armen Bauern und Bäuerinnen, den städtischen Kleinbürgern und dem Subproletariat. Das Ansehen der UdSSR, Kubas, Chinas und Vietnams war immens. Der Stalinismus beeinflußte den bürgerlichen Nationalismus, den kleinbürgerlichen Populismus und die Arbeiterbewegungen der Halbkolonien enorm. Außerhalb der privilegierten Eliten und der militärischen Kasten dieser Länder hatte der Imperialismus wenig Ansehen.

In den stalinistischen Staaten konzentrierte sich die Opposition gegen die bürokratischen Diktaturen auf die Länder, in denen es ein Element der nationalen Unterdrückung – oder der Unterdrückung des Rechts dieser Länder auf Selbstbestimmung – gab: das heißt in Osteuropa, besonders auf Polen und Ungarn. In Ostdeutschland 1953, in Ungarn und Polen 1956, in der Tschechoslowakei 1968 und wiederum in Polen 1970 und 1980-81 entwickelten sich politisch revolutionäre Situationen, die entweder von der Polizei und Armee der heimischen Bürokratie oder unter Verwendung sowjetischer Panzer niedergeschmettert wurde.

Eine neue Krisenperiode

Die großteils unterschiedlichen Bedingungen in den „drei Welten“ verminderten zwei Jahrzehnte lang die Wechselwirkung von Kämpfen. Gegen Ende der 60er Jahre verschärften sich jedoch die Widersprüche des langen Booms und der US-Hegemonie, auf der dieser aufbaute. Die US- Kapitalexporte führten im eigenen Land zu Unterinvestition, was niedrige Produktivität und folglich einen Fall der Profitrate zur Folge hatte. Die Voraussetzungen, die den langen Boom ermöglicht hatten (der Dollar als unangefochtene internationale Währung, unbegrenzter Zugriff für die USA auf die halbkoloniale Welt, Unterkapitalisierung in Japan und Europa infolge des Krieges), erschöpften sich in zunehmendem Ausmaß. Die Goldreserven der USA fielen, und ihre Handelsbilanz wurde negativ. Die Last, den Dollar auf einer fixen Austauschrate mit Gold zu halten, wurde durch die enormen Ausgaben für den Vietnamkrieg vergrößert. Die gewaltigste Supermacht, die die Welt je gesehen hatte, wurde von der unbezwinglichen Bevölkerung einer kleinen Nation im Kampf zum Stillstand gebracht, wurde von ihr geschlagen.

Das Ende der Periode allgemeiner imperialistischer Stabilität und die größere Wechselwirkung von Kämpfen auf weltweiter Ebene wurde durch die ’68er-Bewegung signalisiert, in der in vielen Ländern die Kämpfe der Studenten und die Mobilisierungen der Arbeiterklasse zusammenflossen. Die Radikalisierungen der Studenten spiegelten das Sich-Zuspitzen des antiimperialistischen Kampfes in Asien und Lateinamerika, den Klassenkampf in den imperialistischen Nationen selbst und die wachsenden Widersprüche in den degenerierten Arbeiterstaaten (z.B. die Kulturrevolution in China, der Prager Frühling 1968) wider.

Die USA waren gezwungen, sich von den wirtschaftlichen Lasten zu befreien, das heißt, sie mußten die Last auf die Schultern der einst völlig untergeordneten Imperialismen abwälzen, die nun in ihre Märkte eindrangen. Deshalb mußten sie den Druck auf ihre Verbündeten erhöhen. Gleichzeitig waren sie gezwungen sich aus dem Sumpf des Indochina- Krieges zu befreien. Um das zu tun, mußten sie den Druck auf die Bürokratien der UdSSR und Chinas verringern und sogar deren Unterstützung suchen, um die Welle des Widerstandes gegen den Imperialismus zu beschränken. Die daraus folgende Ära der Detente (Entspannung) war eine Periode politischer Rückzieher der USA. Das Ergebnis dieser sichtbaren Schwächung des nordamerikanischen Kolosses war ein Aufschwung der antiimperialistischen Kämpfe gegen die Gendarmenregimes der USA im Fernen und Mittleren Osten, im südlichen Afrika und in Zentralamerika.

Außerdem brachten die 70er Jahre das Ende des langen Booms und den Beginn einer neuen Periode, in der die Rezessionen tiefer und synchronisierter waren und Auswirkungen hatten, die in den darauffolgenden Aufschwünge nicht wieder verschwanden. Die Krise von 1973-74 führte zum Auftreten von Massenarbeitslosigkeit, die es seit den 30er Jahren in diesem Ausmaß nicht mehr gegeben hatte. Der Aufschwung nach der Krise war von einer steilen Inflationsspirale begleitet, während keynesianischen Krisenmanagement und die Notwendigkeit, die Sozialstaatlichkeit zu erhalten, Stagnation und Reallohnverlust in vielen imperialistischen Länder verstärkten. Eine Eruption des Klassenkampfes ereignete sich. Reformerische, liberale und sozialdemokratische Regierungen waren diskreditiert und unfähig, mit Mitteln des keynesianischen Krisenmanagements in den nationalen Ökonomien oder der Weltwirtschaft ein Gleichgewicht wiederherzustellen.

In der gleichen Periode brach die iranische Revolution aus, die zum Sturz des Schah-Regimes führte, während gleichzeitig Somoza gestürzt wurde und die Sandinistas in Nicaragua siegten. Zusammen mit der russischen Intervention in Afghanistan untergruben all diese Ereignisse die Detente. In Britannien (1979) und den USA (1980) kamen deflationäre kalte Krieger und Kriegerinnen an die Macht, die entschlossen waren, die Fäulnis zu stoppen, indem sie die folgende Krise dazu benutzten, um die Nachkriegserrungenschaften der Arbeiterklasse im eigenen Land auszuhöhlen und außerhalb der Grenzen ihrer Länder das, wie sie es sahen, „Fortschreiten des Kommunismus“ zurückzudrängen. Thatcher und Reagan nahmen sich vor, die Hegemonie der USA wiederherzustellen und das Ansehen ihres britischen Schildknappen zu erhöhen.

Reagans und Thatchers „Liberalismus“ des freien Marktes wurde in verschiedenem Ausmaß von allen wesentlichen imperialistischen Ländern, sogar jenen mit sozialdemokratischen Regierungen, nachgeahmt. Privatisierung der staatlichen Industrien, Angriffe auf die Gewerkschaften, Verwässerung der Gesetze und Regelungen, die die Sicherheit am Arbeitsplatz betrafen, und eine Aushöhlung der Sozialstaatlichkeit waren die Themen der 80er Jahre.

Trotz Thatchers und Reagans Erfolg, das Tempo für eine neue, antistaatliche, freie Markt-Strategie für die herrschenden Klassen der Welt festzusetzen, schafften sie es nicht, eine stabile US- Hegemonie wiederherzustellen. Bestenfalls haben sie die Geschwindigkeit ihres Verfalls verlangsamt. In Europa verfestigte Westdeutschland seine Position als ökonomischer Motor der Europäischen Gemeinschaft (EG). Es verwendete die 80er Jahre, um seine wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit von seinem amerikanischen Verbündeten weiter zu stärken. Es gab kaum verhüllte transatlantische Handelsauseinandersetzungen und -differenzen darüber, wie auf die Möglichkeiten, die sich durch die Krise der Arbeiterstaaten ergaben, reagiert werden sollte.

Japan profitiert am meisten vom Verfall der US-Hegemonie. In den 80er Jahren wurde es zu einer entwickelten imperialistischen Macht und sogar zum Bankier der USA. Es stärkte seinen Einfluß in Ostasien und fordert Europa und die USA in wachsendem Ausmaß in deren eigenen Zentren und Einflußsphären heraus. Bis jetzt mangelt es ihm aber am politischen und militärischen Gegenstück zu seiner wachsenden ökonomischen Macht, doch hat es seine Entschlossenheit dazu bereits angekündigt.

Obwohl die USA weiterhin der bei weitem stärkste imperialistische Staat bleiben, können sie die kapitalistische Weltwirtschaft nicht mehr alleine regeln: Keine der imperialistischen Mächte ist absolut dominant. Eine Koordination der Politik und internationale Regelungen sind erforderlich, doch die verschiedenen Bedürfnisse und Ziele von Japan, der EG und den USA machen dies schwieriger als in den 50er und 60er Jahren. Ab den frühen 70er Jahren waren die USA gezwungen, die EG-Länder als Co-Manager der Weltwirtschaft anzuerkennen. Nun müssen sie Japan einbeziehen.

Während des Aufschwungs hat sich – unter dem Druck der Notwendigkeit, die Produktion zu rationalisieren und die Kosten zu reduzieren, um den Anforderungen der Weltmärkte und Unternehmungen gerecht zu werden – die Konzentration und Zentralisierung des transnationalen Kapitals verstärkt. Doch gleichzeitig haben sich in Nordamerika und Europa Entwicklungen in Richtung integrierter und liberalisierter regionaler Wirtschaftsblöcke beschleunigt. Während sich dies als wesentlicher Bestandteil des weltweiten Aufschwunges der 80er Jahre erwies, würde eine weltweite Krise diese regionalen Einheiten in protektionistische Blöcke verwandeln, die eine gefährliche Verkleinerung der Märkte für die weltweit orientierten transnationalen Unternehmen schaffen würden.

Eine Reihe halbkolonialer Länder erfuhr in den 70er Jahren ein starkes Wachstum und begann Kredite in großem Ausmaß aufzunehmen, um den „Aufstieg“ zu einer fortgeschrittenen Industrienation zu versuchen. In den 80er Jahren stolperten sie tiefer in die lähmende Verschuldung. Eine weltweite Schuldenkrise wurde aber durch eine Umschuldung vermieden. Die Banken bewahrten sich auf Kosten der lateinamerikanischen und subsaharischen afrikanischen Massen, denen eine massive Sparpolitik auferlegt wurde, den Großteil ihrer Guthaben. Doch ein Ausfall von zwei oder drei wesentlichen lateinamerikanischen Schuldnern (Mexiko, Brasilien, Argentinien) könnte noch immer das amerikanische oder europäische Bankensystem zum Einsturz bringen.

In den stalinistischen Staaten entwickelte sich in den 60er und 70er Jahren eine chronische Stagnation. In China diskreditierte sich die Mao- Fraktion zweimal mit voluntaristischen Kampagnen – mit dem „Großen Sprung nach vorne“ und der Kulturrevolution. Der Triumph von Deng Xiaoping über die „Viererbande“ bedeutete, daß China den Prozeß der politischen Entspannung (= Detente) und der ökonomischen Liberalisierung anführte. Dies schloß die Lockerung der zentralen Planungsmechanismen und die Öffnung der Wirtschaft für Investitionen der USA und Japans mit ein. Die UdSSR erfuhr eine Stagnation in den 70er Jahren, doch die Schwierigkeiten, denen der US-Imperialismus, der gute Beziehungen mit der UdSSR in der ersten Phase der Detente anstrebte, gegenüberstand, überdeckten das Problem. Breschnew zerschlug die Dissidenten daheim und schien fähig, die Sowjetmacht und den Einfluß in Afrika und der Karibik auszuweiten.

Vom kalten Krieg zur Krise des Stalinismus

Unter Reagan griff die USA auf eine erprobte Taktik zurück: Kalter Krieg und Aufrüstung – eine massive Runde von hochtechnologischen Waffensystemen. Sollte die UdSSR versuchen mitzuziehen, würde die bereits stagnierende Wirtschaft in eine Krise geraten. Die starke Ausbreitung der UdSSR und ihrer Verbündeten in Afghanistan, im südlichen Afrika, in Zentralamerika und Südostasien ermöglichte es den USA, sie, oder ihre Verbündeten, in kostspielige Kriege zu zwingen: Afghanistan, Kampuchea, Angola und Mozambique, Äthiopien und der Contra-Krieg in Nicaragua. Außerdem gab es durch die politisch revolutionäre Krise in Polen einen schmerzhaften Druckpunkt der USA auf den Kreml in dessen unmittelbarer Umgebung. Obwohl die Kalte- Kriegs-Rhetorik und die Bewaffnungsprogramme von Reagan und Thatcher auf sie selbst zurückfielen, indem sie in Westeuropa eine große Friedensbewegung hervorbrachten – durch deren Druck Konflikte in der NATO und zwischen der EG und den USA wegen anderer Schauplätze der Weltpolitik entstanden (besonders dem Nahen Osten und Zentralamerika) -, entwickelte sich die politische und ökonomische Krise der UdSSR noch schneller. Die sowjetische Bürokratie versuchte mit autoritärer Disziplin mit der Korruption aufzuräumen. Sie kam nicht weit. Die Krise intensivierte sich und brachte die radikalere Fraktion rund um Gorbatschow an die Macht. Diese ist entschlossen, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und mehr kapitalistische Marktmechanismen einzuführen.

Sowohl Glasnost Öffnung) und Perestroika (Umbau) sind drastische, in der Tat verzweifelte Mittel der Bürokratie, Mittel, die ihr ganzes System der Gefahr des Zerfalls aussetzen. Die größere Offenheit ermöglichte es nationalen Unzufriedenheiten und Widersprüchen, in der Form „sozialer Massenbewegungen“ der nationalen Minderheiten hervorzubrechen. Sie öffnete die sowjetischen Massen gegenüber dem westlichen bürgerlichen Einfluß, sei es nun Liberalismus, chauvinistischer Nationalismus oder verschiedene Formen von religiösem Obskurantismus. Dies erlaubte es, daß die soziale Konterrevolution zu einer realen Gefahr wurde. Die internationale Bourgeoisie setzt in eine solche Entwicklung große Hoffnungen und sieht darin die Möglichkeit eines langfristigen Auswegs aus den sich verschärfenden Widersprüchen des kapitalistischen Systems. Aber die anhaltende Schwächung der bürokratischen Kontrolle kann ebenso zu einem Wiederaufleben von subjektiv anti-kapitalistischen Strömungen, wie Anarchismus, Populismus, Sozialdemokratie führen und, allem voran, zu einer Wiedergeburt des revolutionären Kommunismus (Leninismus und Trotzkismus). Gorbatschow hat dabei versagt, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu verbessern. Gleichzeitig hat er ihre historischen Errungenschaften attackiert. Dies schafft die objektive Basis für die Wiederauferstehung der Arbeiterbewegung in der Sowjetunion. Wenn die politische Revolution beginnt, die Grundmauern des Kremls zu erschüttern, wird nicht nur die UdSSR, nicht nur die degenerierten Arbeiterstaaten, sondern die ganze Weltordnung zu wanken beginnen.

Die führenden imperialistischen Länder sind in Bezug auf die sozialistische Revolution immer noch am meisten zurückgeblieben. Historisch waren die niedergehenden, aber immer noch mächtigen USA fähig, das US-Proletariat durch nationale und rassische Gegensätzen zu spalten und dies mit ständigen und massiven Verbesserungen des Lebensstandards ihrer aufgeblähten Arbeiteraristokratie zu verbinden. Die politische Impotenz des Proletariats, die fehlenden politischen Organisationen, sogar in einer reformistischen Form, sind ein Beweis für den Erfolg des US-Imperialismus. In Japan hat der Imperialismus ebenso den klassenweiten Widerstand durch Betriebsgewerkschaften und eine an die großen Monopole gebundene Arbeitsplatzsicherheit gespalten und gebrochen. Sogar in Westeuropa wurde der Klassenkampf, trotz der explosiven und politischen Dimensionen von Kämpfen in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren im allgemeinen innerhalb der Grenzen des reinen Gewerkschaftlertums und des elektoralen, also auf Wahlen fixierten Reformismus gehalten.

Trotz des Triumphes des Rechtskonservatismus in vielen imperialistischen Ländern und trotz der Orientierungskrise der Sozialdemokratie und des Stalinismus liegt eine revolutionäre Wiederbelebung der Arbeiterbewegung noch vor uns. Aber die objektive Grundlage der sozialistischen Revolution liegt noch immer in der Arbeiterklasse, einer Klasse, die zahlenmäßig über die letzten 40 Jahre gewachsen ist und nun – als ein Ergebnis der Entwicklung der lateinamerikanischen und asiatischen Halbkolonien – weltweit gleichmäßiger verteilt ist. Eine Milliarde stark und von einem Kern aus über hundert Millionen Industriearbeitern geführt, ist sie die einzige Klasse mit einem objektiven Interesse an der Führung der sozialistischen Revolution.

Jetzt wo dieses Jahrhundert der Kriege und Revolutionen zu Ende geht, muß die Weltarbeiterklasse sowohl mit der Bourgeoisie als auch mit der Bürokratie abrechnen. Niemals zuvor war das Potential für die Emanzipation der Menschheit größer. In den Jahrzehnten der Krise, die vor uns liegen, muß die sozialistische Weltrevolution sowohl über den niedergehenden ausbeuterischen Imperialismus als auch über den verbrauchten Stalinismus triumphieren. Es gibt keinen anderen Weg, die Zukunft der Menschheit zu sichern.




Die Führungskrise des Proletariats

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 2, Sommer 1989

Sogar in seiner Todeskrise wird der Kapitalismus nicht von selbst verschwinden. Er muß bewußt durch die Arbeiterklasse gestürzt werden. Dazu ist die Bildung einer neuen revolutionären Vorhut notwendig, die einen bewußten strategischen Plan, ein Programm und eine proletarische Avantgardepartei braucht.

Auch heute ist das zentrale Problem der Menschheit: Wer führt die Arbeiterklasse? Am Vorabend des letzten Krieges zwischen den imperialistischen Mächten war der Kapitalismus von einer allgemeinen ökonomischen Depression erfaßt, die die ganze Welt unabänderlich in eine revolutionäre Krise stürzte. Trotzkis Übergangsprogramm, das in diesen Jahren geschrieben wurde, erklärte, daß die Krise der Menschheit auf die Führungskrise reduziert war. Heute wäre jedoch eine einfache Wiederholung der Feststellung, daß alle gegenwärtigen Krisen „auf eine Führungskrise reduziert“ seien, falsch.

Das Proletariat steht noch nicht weltweit vor der schroffen Alternative, entweder die Macht zu ergreifen oder bei der Zerstörung all seiner vergangenen Errungenschaften zuzusehen. Dennoch erreicht die Führungskrise in vielen Ländern, sogar ganzen Kontinenten, eine außerordentliche Schärfe. Sogar in Ländern, wo dies nicht der Fall ist, quält die Arbeiterorganisationen eine chronische Krise, die ihnen infolge des wiederholten Verrates durch die reformistischen Führer Niederlage, Stagnation und sogar Niedergang bringt. Die Unfähigkeit des Kapitalismus, die grundlegenden Bedürfnisse der Millionen zu befriedigen, macht die Umwandlung defensiver Kämpfe der Arbeiter und armen Bauern in den Kampf um die Macht sowohl möglich als auch notwendig. Doch ist keine der existierenden Führungen willens oder fähig, so einen Kampf durchzuführen. Sie sind entweder an die Interessen der Bourgeoisie oder der parasitären Bürokratie der stalinistischen Staaten gebunden.

Seit langem hat die imperialistische Bourgeoisie ihre Ressourcen dazu verwendet, Spaltungen im Proletariat zu fördern und sogar die Existenz einer privilegierten Schicht, der ‚Arbeiteraristokratie‘, deren Lebensstandard wesentlich höher als der der Arbeitermassen war, zu akzeptieren. Dieser Teil der Arbeiterklasse bildete die hauptsächliche Grundlage für eine ‚Arbeiterbürokratie‘, deren Rolle es war, mit dem Kapital zu verhandeln, und deren spontane politische Auffassung daher die Klassenzusammenarbeit war.

1914 wurden die proletarischen Massenparteien Europas bereits von der Politik der Kollaboratoren beherrscht. Dies stimmte sowohl für Parteien wie die britische Labour Party, die seit ihrer Gründung eine reformistische Partei war, als auch für die sozialdemokratischen Parteien, die formal am Marxismus festhielten. Im Verrat der Zweiten (Sozialistischen) Internationale an der Arbeiterklasse fand diese Entwicklung ihren Höhepunkt. 1914 rührten sie die Werbetrommel für den imperialistischen Krieg. Als dann die Welle von Revolutionen durch Europa fegte (1917-23), stellten sie sich offen auf die Seite der bürgerlichen Konterrevolution gegen die arbeitenden Massen.

So nahm die Sozialdemokratie ihre grundlegende Gestalt an. Sie wurde strategisch an die kapitalistische Ökonomie und den kapitalistischen Staat, wenn auch in den idealisierten Formen des Staatskapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, gebunden. Dies war sogar dort der Fall, wo der Kapitalismus noch keine voll entwickelten Arbeiteraristokratien und -bürokratien herausgebildet hatte. In Rußland zum Beispiel waren die Menschewiki, die für eine lange Periode der bürgerlichen Demokratie als einer notwendigen Entwicklungsstufe argumentierten, gegen die proletarische Revolution und ergriffen sogar die Waffen gegen sie. Direkte Aktion und militärische Gewalt waren für die Reformisten Mittel, die nur gegen die Gegner des bürgerlich-demokratischen Ziels verwendet werden konnten, niemals jedoch, um die Gegner der Arbeiterklasse zu schlagen.

Die Degeneration der Komintern

Die Komintern wurde von den konsequenten Kämpfern und Kämpferinnen gegen den Verrat der Sozialdemokratie in der revolutionären Periode nach 1917 gebildet. Ihre ersten vier Kongresse begannen, das revolutionäre Programm für die imperialistische Epoche wiederzuerarbeiten. Doch unter dem Einfluß der politischen Konterrevolution in der Sowjetunion degenerierte sie nach 1923 in den bürokratische Zentrismus. Das Ziel der Weltrevolution wurde durch die reaktionäre Utopie des „Sozialismus in einem Lande“ ersetzt. Die zentristisch-kommunistischen Parteien führten die Arbeiterklasse in China (1927) und Deutschland (1933) in blutige und unnötige Niederlagen.

Nach der Niederlage der deutschen Massen 1933 betrachtete Trotzki die Komintern als nicht mehr reformierbar. Später im gleichen Jahr erklärte er die Komintern, obgleich sie noch bürokratisch zentristisch war, für nicht reformierbar und „tot für die Ziele der Revolution“, nachdem sie sich als unfähig erwies, ihre Fehler zu erkennen und aus den Niederlagen zu lernen. Daher forderte er zuerst den Aufbau einer neuen Partei in Deutschland und dann einer neuen weltweiten Internationale, obwohl die Stalinisten noch nicht endgültig ins Lager der Konterrevolution übergegangen waren.

1934-1935 vervollständigte die Komintern ihre Verwandlung in eine konterrevolutionäre Internationale mit dem Ziel einer strategischen Allianz mit der Bourgeoisie der sogenannten „demokratischen“ Imperialismen im Namen einer neuen „Strategie“, der Volksfront. Diese klassenkollaborationistische Politik wurde den Sektionen der Komintern von der Kreml-Bürokratie auferlegt, um deren diplomatischen Interessen zu dienen. Die stalinistische Bürokratie versuchte, eine utopische „friedliche Koexistenz“ mit den „demokratischen“ Imperialismen und deren Verbündeten zu errichten und verwandelte die kommunistischen Parteien dieser Länder in reformistische Parteien, die die Zusammenarbeit und die „friedliche Koexistenz“ der Klassen predigten. Sie empfahl den Massen, ihre eigenen Imperialismen zu verteidigen, und folgte so der Sozialdemokratie ins Lager der Konterrevolution. Die Wende zum Sozialpatriotismus fiel mit der Liquidierung der alten bolschewistischen Vorhut in den Moskauer Schauprozessen zusammen. In der zweiten Phase des Zweiten Weltkrieges, nach dem Einmarsch der Nazis in der UdSSR, wurden die Stalinisten in den Staaten, die nicht zu den Achsenmächten gehörten, zu Superpatrioten, und in jenen, die von den Nazis besetzt waren oder gegen diese Krieg führten, gewannen die Stalinisten einen neuen Massenanhang.

Heute stehen diese Parteien der proletarischen Revolution, der Emanzipation der Arbeiterklasse und der Diktatur des Proletariats, die sich auf Sowjets stützt, feindlich gegenüber. Trotz des gestohlenen Banners des Kommunismus bleiben sie dem Ziel des Kommunismus, d.h. einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft, feindlich gesinnt. Als solche sind sie kein Gegenstück zur Sozialdemokratie, sondern deren Zwilling, der mit ihr die Ideologie des Sozialpatriotismus und des Reformismus teilt. Die Loyalität der stalinistischen Parteien gegenüber ihren eigenen Bourgeoisien kann aufgrund der Unterstützung, die sie der Bürokratie der degenerierten Arbeiterstaaten geben und die sie von dieser erhalten, nicht so vollkommen sein wie die der Sozialdemokraten. Trotz der fortgeschrittenen Tendenzen in Richtung „Sozialdemokratisierung“, die gewisse Parteien vorweisen, können sie sich nicht einfach ohne Bruch in eine Sozialdemokratie verwandeln. Sogar dort, wo die stalinistischen Parteien ihre sozialdemokratischen Rivalen als dominierende Kraft der Arbeiterklasse praktisch in den Schatten gestellt haben und sie eine politische Praxis verfolgen, die im wesentlichen der der Sozialdemokraten anderer Länder gleicht, unterscheiden sie verschiedene Herkunft, Struktur und Tradition sowohl in den Augen der Arbeiterklasse als auch in denen der Bourgeoisie.

Dennoch ist die Unterscheidung zwischen Sozialdemokratie und Stalinismus eine Unterscheidung innerhalb des Reformismus. Von beiden ist es unvorstellbar, daß sie sich ohne interne Spaltungen in rein bürgerliche Parteien verwandeln, bloß weil sie ideologisch die programmatische Verpflichtung auf „gesellschaftliches Eigentum“ oder die „proletarische Diktatur“ aufgegeben haben. Dazu wäre ein Bruch mit ihren organischen Verbindungen mit dem Proletariat notwendig. Sogar der Faschismus konnte den sozialdemokratischen und den stalinistischen Reformismus nicht vollständig ausrotten. Deren Existenz kann nur dann beendet werden, wenn Revolutionäre die politische Vorherrschaft in der Klasse gewonnen haben.

Sowohl die stalinistischen als auch die sozialdemokratischen Parteien sind Diener der bürgerlichen Weltordnung, doch sind sie beide in den Organisationen, die das Proletariat zum Kampf für seine Klasseninteressen geschaffen hat, verwurzelt. Beide werden sie von einer privilegierten Bürokratie dominiert, die der imperialistischen Bourgeoisie dient. Die grundlegenden Wurzeln der Sozialdemokratie liegen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, die historischen Wurzeln des Stalinismus aber in der bürokratischen Degeneration der Sowjetunion und daher in nach-kapitalistischen Eigentumsverhältnissen. Doch ist der Stalinismus um nichts weniger Diener der Bourgeoisie als die Sozialdemokratie. Durch seine politische Diktatur, die er in der Sowjetunion und den anderen degenerierten Arbeiterstaaten ausübt, blockiert er das Fortschreiten zum Sozialismus und diskreditiert gerade das Ziel einer klassenlosen, staatenlosen Gesellschaft – den Kommunismus. Durch die Verbreitung von Chauvinismus und Klassenkollaboration hemmt er die Internationalisierung der Revolution. Objektiv fördert er das Potential für kapitalistische Restauration in den Arbeiterstaaten, und in einer entscheidenden Krise wird er aus seinen oberen Kreisen die Kader für die gesellschaftliche Konterrevolution stellen.

Der widersprüchliche Charakter, den Stalinismus und Sozialdemokratie teilen, kann am besten durch ihre Charakterisierung als bürgerliche Arbeiterparteien zusammengefaßt werden. Keine von beiden ist qualitativ besser oder schlechter. Dabei muß eines klar sein: Die Tatsache, daß eine Partei eine sozialdemokratische oder stalinistische Ideologie besitzt, beweist für sich nicht, daß sie eine bürgerliche Arbeiterpartei ist. Eine bedeutende Anzahl von Parteien in der Sozialistischen Internationale sind bürgerlich-nationalistische Parteien ohne irgendwelche entscheidenden organischen Verbindungen zu ihrem eigenen Proletariat. Andererseits gibt es stalinistische Parteien, deren soziale Basis die Bauernschaft oder das städtische oder ländliche Kleinbürgertum ist. Doch als weltweite Strömungen behalten beide den Charakter von bürgerlichen Arbeiterparteien.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelten sich in gewissen Ländern revolutionäre Kämpfe (z.B. in Italien, am Balkan und in Frankreich). Doch die vereinten Kräfte von Sozialdemokratie und Stalinismus zerstreuten entschieden den spontanen Willen der Massen, mit ihren diskreditierten Bourgeoisien die Rechnungen zu begleichen. Nachdem die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien ihre Rolle als Agenten der demokratischen Konterrevolution gespielt hatten, wurden sie von den Kapitalisten beiseite gestoßen, die dann, wo immer dies möglich war, in den blühenden Wirtschaften der 1950er und 60er Jahre offen bürgerliche Parteien ans Ruder brachten.

In den imperialistischen Kernländern leiteten die späten 1960er Jahre eine neue Periode heftigen Klassenkampfes ein, der beständig von unten durch eine selbstbewußte und gut organisierte Arbeiterklasse begann. In ganz Europa bemühten sich die stalinistischen und sozialdemokratischen Führer und ihre Verbündeten in den Gewerkschaften erfolgreich, diese Kämpfe zu zügeln und in den Grenzen der Legalität und der offiziellen Organisationen zu halten. In Frankreich, Portugal und Spanien wurde dem Stalinismus und der Sozialdemokratie Gelegenheit gegeben, ihre konterrevolutionäre Loyalität gegenüber dem Kapitalismus einmal mehr zu demonstrieren. Durch schwere Niederlagen in vielen Ländern Westeuropas bis Mitte der 1970er Jahre wurde die europäische Arbeiterbewegung zurückgeworfen und für die nächste Periode ruhiggestellt.

Am Anfang der zweiten großen Krise, der von 1979 bis 1982, hatten die bestehenden Führungen den Widerstand der Arbeiterklasse bereits erfolgreich demobilisiert und das Proletariat der imperialistischen Länder für ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Sparpolitik (der Austerity-Programme), der Anti-Gewerkschaftsgesetze und der Angriffe auf demokratische Rechte geöffnet. In der Regierung waren die Verräter nur zu glücklich, diese Angriffe zu initiieren und anzuführen. So nimmt in den 1980ern in den imperialistischen Kernländern die Führungskrise die Form der Unfähigkeit der Arbeiterklasse an, mit ihren eigenen bestehenden Parteien, Gewerkschaften und Strategien gegen die Attacken von Wirtschaftsliberalen a‘ la Thatcher und Reagan erfolgreichen Widerstand zu leisten.

Indem sich die keynesianische, sozial-liberale Sozialstaatlichkeit, mit ihrer „gemischten Wirtschaft“ und der Staatsintervention in die Wirtschaft diskreditiert hat, werden die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien in eine ideologische und politische Krise gestürzt. Die Bourgeoisie will deren altes Programm nicht, und gleichzeitig ist dieses Programm für die Bedürfnisse der von Austerität und Arbeitslosigkeit getroffenen Arbeiterklasse denkbar unzureichend. Die Gewerkschaftsbürokratie kann keinen effektiven Widerstand gegen die Angriffe organisieren. Die zentristischen Kräfte der 70er Jahre sind geschrumpft und demoralisiert. Dennoch hat die Arbeiterklasse gegen ihre Feinde zurückgeschlagen. Massive und erbitterte Arbeiterkämpfe haben die 80er Jahre gekennzeichnet, doch in keinem Fall gelang es, einen entscheidenden Sieg zu erringen. Nur mit einer neuen Führung und einem neuen Programm kann die chronische Krise in der Arbeiterbewegung in den imperialistischen Kernländern gelöst werden.

In den degenerierten Arbeiterstaaten hat es die stalinistische Bürokratie geschafft, gerade die Idee des Sozialismus und des Kommunismus in den Augen der Arbeiterklasse zu diskreditieren. Den herrschenden Kasten gelang es nicht, ihre Rolle in diesen Gesellschaften zu legitimieren, sie haben versagt, den grundlegenden Einwand bezüglich ihrer eigenen Existenz zu entkräften: sie sind für das System der geplanten Eigentumsverhältnisse unnötig – und stellen tatsächlich eine Belastung für das System dar.

In den Nachkriegsjahrzehnten hat diese Kaste versucht, ihre Herrschaft durch ein Schwanken zwischen Marktexperimenten (um die Stagnation zu überwinden) und einer Straffung des bürokratischen Kommandos in der Wirtschaft abzusichern. Diese Erfahrung hat zu einem Fraktionskampf in den Bürokratien und sogar zu politischen Möglichkeiten für eine Opposition von unten geführt.

Die Arbeiterklasse der degenerierten Arbeiterstaaten hat sich wiederholt als die entschiedenste Kraft in dieser Opposition erwiesen. Mehr als einmal hat sie gegen bürokratische Privilegien und politische Unterdrückung gekämpft. In der Nachkriegszeit hat dieser Kampf die Arbeiter und Arbeiterinnen fast zur proletarischen politischen Revolution geführt. Dies hat sich durch die Schaffung von Sowjets (Ungarn 1956) und von Vorformen von Arbeiterräten (wie den fabrikübergreifenden Komitees in Polen 1980 und China 1989) gezeigt.

Doch in Abwesenheit einer politisch-revolutionären Strategie wurden die Arbeiter und Arbeiterinnen in jeder wesentlichen politisch-revolutionären Krise geschlagen. Ihre spontanen Kämpfe haben Vorstellungen hervorgerufen, die sowohl dazu dienten, die Macht der Bürokratie zu erhalten, als auch – unter bestimmten Bedingungen – die Kräfte der kapitalistischen Restauration zu stärken.

1956 führten in Ungarn und Polen falsche Hoffnungen in einen Teil der Bürokratie die Arbeiterklassen schließlich in die Niederlage. Syndikalismus und bloßes Gewerkschaftsdenken, wie bei Solidarnosc in Polen, führten den Kampf weg vom Ziel der politischen Macht und leiteten ihn um in einen utopischen Kampf für unabhängige Gewerkschaften, die gemeinsam mit bürokratischer Herrschaft existieren. Sogar der linke Flügel von Solidarnosc verbreitete die Illusion, daß selbstverwaltete Betriebe und nicht Arbeiterverwaltung über die zentralisierten Planmechanismen die Krise der Kommandowirtschaft überwinden könnte.

In der UdSSR stärkt der Nationalismus die Kräfte der bürgerlichen und klerikalen Restauration. In Osteuropa und China ersehnen sich die Arbeiter und Arbeiterinnen parlamentarische Demokratie – ein Gefühl, das aus der Erfahrung mit einer erdrückenden Autokratie ersteht. Das blutige Massaker an den mutigen Kräften der chinesischen „Demokratiebewegung“ durch die Tyrannen der Chinesischen Kommunistischen Partei führte lediglich zur Stärkung der bürgerlich-demokratischen Strömung in der Oppositionsbewegung.

Doch diese Hoffnungen in „Demokratie“, entleert von ihrem proletarischen Klasseninhalt, sind ein grausamer Betrug, der vom Imperialismus gefördert wird, um das Übergehen der Massen dieser Länder in das Lager der kapitalistischen Ausbeutung zu erleichtern. Ohne eine revolutionäre Führung und ein revolutionäres Programm wird das Zerbrechen des Stalinismus in seinen Kernländern nur für eine herrschende Minderheit in diesen Staaten von Nutzen sein. Im Gegensatz dazu wird eine Mehrheit der multinationalen Konzerne in den imperialistischen Ländern einen Aufschwung erleben.

Ohne eine revolutionäre Führung können die Möglichkeiten für eine politische Revolution, die in den Ereignissen von Ungarn 1956 und China 1989 beinhaltet waren, nicht verwirklicht werden. Ohne eine solche Führung werden die herrschenden stalinistischen Parteien weiterhin entweder die Handlanger der kapitalistischen Restauration oder die Vorboten einer militärisch-bürokratischen Vergeltung sein.

Stalinismus versus permanente Revolution

Der konterrevolutionäre Charakter des Stalinismus zeigt sich auch in seiner gewalttätigen Opposition gegen die Perspektive und das Programm der permanenten Revolution in den Halbkolonien und überall dort, wo bürgerlich-demokratische Fragen eine revolutionäre Bedeutung erlangen. Die Sozialdemokratie ist in den Halbkolonien weniger ausdauernd. In diesen Ländern ist die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsbürokratie aufgrund des unterentwickelten Charakters des Kapitalismus weniger fest etabliert. Auch hat der noch feigere Legalismus und Parlamentarismus der Sozialdemokratie dazu geführt, daß sie vollständiger als der Stalinismus verschwindet, wenn Demokratie und Parlament selbst Opfer von Bonapartismus und Diktatur werden.

Von Indonesien über Chile bis zu Südafrika heute hat der Stalinismus an der Perspektive einer demokratischen Etappe, die den Kampf um die Arbeitermacht ausschließt, jedoch alle möglichen bürgerlichen, kleinbürgerlichen, klerikalen und militärisch-bonapartistischen Verbündeten einschließt, festgehalten. Diese Volksfrontstrategie, die die demokratische Konterrevolution nach 1945 einleitete, hat seither zu blutigen und entscheidenden Niederlagen in revolutionären Schlüsselsituationen geführt.

Die Kommunistische Partei in Indonesien, die größte stalinistische Partei der kapitalistischen Welt, trat in die linksnationalistische Regierung von Sukarno 1965 ein und behauptete, daß sie an der Spitze eines „Volksstaates“ stünde. Unbewaffnet und nicht gewarnt durch ihre Führer wurden die Massen der PKI durch das Militär dahingemetzelt. Dieses Desaster ist direkt vergleichbar mit den Ereignissen in China 1927 und Deutschland 1933.

In Chile führten der Stalinismus und die sozialdemokratische Sozialistische Partei die Arbeiter und armen Bauern ins Unglück. Die Regierung Allende, die 1970 installiert wurde, war eine Volksfront, deren Programm auf bestimmte Reformen beschränkt war. Von Beginn an lehnte Allende die Bewaffnung der Arbeiter und Arbeiterinnen ab und garantierte dem reaktionären Oberkommando ein Monopol über die Armee. Dennoch führte die spontane Militanz der Arbeiterklasse zur Schaffung von „cordones industrial“, Vorformen von Sowjets, und sogar von schlecht bewaffneten Milizen. Sie führte zur Forderung nach Enteignung, gegen die sich Allende entschieden stellte. Die ökonomische Krise und Sabotage schafften das Klima für einen Staatsstreich durch Pinochet im September 1973, der Tausende in den Tod, die Folter oder die Gefangenschaft führte und Hunderttausende zur Flucht aus dem Land zwang.

Im Iran nahm die stalinistische Tudeh Partei am Sturz des Schahs durch die Massen teil, nur um danach die Durchsetzung von Khomeinis Islamischer Republik zu unterstützen. Im Namen der revolutionären Loyalität stand Tudeh der islamischen Reaktion beim Niedermetzeln der Arbeitermassen, der Linken und der kurdischen Rebellen bei. Im Gegenzug dafür entfesselte Khomeini seinen repressiven Apparat gegen Tudeh selbst.

Als führende Kraft im African National Congress (ANC) verschwendete die Südafrikanische Kommunistische Partei eine revolutionäre Gelegenheit durch ihre Politik, die Revolten in den Townships zur Erreichung von Verhandlungen mit dem „aufgeklärten“ Flügel des südafrikanischen Imperialismus zu verwenden. Nun zieht sie sich im Interesse der „weltweiten Stabilität“, die der Kreml anstrebt, von allen Formen der revolutionären Aktivität zurück.

Der Bankrott des Stalinismus und der Sozialdemokratie hat das Leben des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalismus in weiten Teilen der halbkolonialen Arbeiterklasse verlängert. Trotz ihrer gelegentlichen Fähigkeit, radikaler zu sprechen und zu handeln als die Arbeiterparteien, bleiben die nationalistischen Massenbewegungen und -parteien unfähig, die Misere der Arbeiter und Bauern zu lösen. Garcias APRA in Peru, die mexikanische PRI, die FSLN in Nicaragua, die PLO in Palästina und Sinn Fein in Irland bleiben alle strategisch an den Kapitalismus gebunden. Ihre Widerstandsaktionen werden nur so lange durchgeführt, als die Arbeiterklasse als unabhängige Kraft vom Kampf fern bleibt. Einmal herausgefordert durch die ausgeprägten Forderungen der Ausgebeuteten, werden diese „Antiimperialisten“ zu getreuen Verteidigern des Imperialismus.

Sofern nicht eine revolutionäre Partei all diese Kräfte aus der Führung der Arbeiterklasse hinauswerfen kann, drohen sie, ihre Fehler in den mächtigen Klassenkämpfen, die vor uns liegen, zu wiederholen. Um dies zu verhindern, ist es entscheidend, daß sich die bewußte Avantgarde der Arbeiter und armen Bauern in dem Zeitraum, der vom zwanzigsten Jahrhundert noch übrig bleibt, weltweit um ein internationales Übergangsprogramm neugruppiert.




Ein Programm von Übergangsforderungen

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 3, Sommer 1989

Die gegenwärtige Periode ist durch defensive ökonomische Massenkämpfe in den imperialistischen Ländern, durch aktuelle oder latente politisch- revolutionäre Krisen in den degenerierten Arbeiterstaaten und durch vorrevolutionäre und revolutionäre Krisen in den halbkolonialen Ländern gekennzeichnet. Diese fortdauernde Ungleichheit macht es unmöglich, wie Trotzki 1938 von einer weltweit vorrevolutionären Situation zu sprechen. Aber dies ändert nichts an der Dringlichkeit, die Arbeiterbewegung mit einem Übergangsprogramm zu bewaffnen.

Nur ein solches Programm kann absichern, daß die Fortschritte, die die Massen in diesem oder jenem Teilkampf erreicht haben, aufeinander aufgebaut und konsolidiert werden und daß ihnen diese nicht bei der ersten Gelegenheit von den Kräften der Reaktion wieder gestohlen werden. Nur ein solches Programm kann den fundamentalen Widerspruch, an dem die internationale Arbeiterbewegung krankt, lösen: einerseits sind die Massen bereit, ihre Errungenschaften zu verteidigen und auch die revolutionäre Offensive zu wählen; andererseits aber sind die etablierten Führungen immer noch in der Lage, eben diese Kämpfe zu demobilisieren und zu verraten.

Ein Übergangsprogramm bemüht sich, diese subjektive Schwäche anzusprechen, indem es für die Massen eine Brücke zwischen ihren unmittelbaren Verteidigungskämpfen und dem Kampf für die sozialistische Revolution baut. Diese Brücke hat die Form einer Reihe miteinander verbundener Forderungen, die in ihrer Gesamtheit eine offene und direkte Herausforderung an die kapitalistische Herrschaft darstellen. Aber Revolutionäre sind keine Sektierer. Sie kämpfen für Mindestforderungen und sind in jedem Teilkampf die gründlichsten und gewissenhaftesten Taktiker und Organisatoren. Wir stehen bei allen Kämpfen der Arbeiterklasse an vorderster Front, egal wie partiell sie sind. Aus diesem Grund wäre es falsch, das Übergangsprogramm den existierenden Massenkämpfen als Ultimatum entgegenzustellen.

Aber es ist eine zentristische Verzerrung des Übergangsprogramms, einzelne Forderungen vollständig aus dem in sich verketteten System herauszutrennen und sie als dürftig maskierte und isolierte Gewerkschaftsforderungen zu präsentieren. Ebenso sind alle Versuche, Übergangsforderungen als strukturelle Reformen des Kapitalismus darzustellen, äußerst opportunistisch. Der eigentliche Zweck von Übergangsforderungen ist, die Massen gegen den Kapitalismus zu mobilisieren. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde ist es deshalb, in den unmittelbaren Massenkämpfen einzelne Forderungen im Kontext eines Kampfes für das Programm als ganzes zu verwenden.

In der Praxis wird dies bedeuten, innerhalb eines Einzelkampfes für zugespitzte, relevante Übergangsforderungen zu agitieren, während Propaganda für das Programm als ganzes gemacht wird, indem erklärt wird, was die Realisierung dieser oder jener Forderung für die nächste Phase des Kampfes bedeuten wird. Wie muß dieser Fortschritt gefestigt werden, wie können wir einen Gegenangriff der Herrschenden verhindern? Das Verhältnis zwischen solcher Agitation und Propaganda, der Punkt, von dem an die Massenagitation die Propaganda ersetzt, wird vom Umfang, Tempo und der Intensität des Kampfes bestimmt.

Der Übergangscharakter des Systems von Forderungen wird durch verschiedene Merkmale ausgedrückt. An erster Stelle sprechen solche Forderungen die fundamentalen ökonomischen und politischen Bedürfnisse der Massen, wie sie durch die objektive Situation bestimmt werden, an. Die Forderungen hängen in ihrer Richtigkeit nicht davon ab, ob sie für das reformistische Massenbewußtsein annehmbar sind; auch werden sie nicht entwertet, wenn die kapitalistischen oder stalinistischen Bürokraten dazu gezwungen sind, solchen Forderungen zu entsprechen. Zweitens versuchen Übergangsforderungen, die Massen unabhängig von den offenen politischen Repräsentanten der Bourgeoisie und deren reformistischen Agenten innerhalb der Arbeiterbürokratie zu organisieren. Dies wollen wir durch Gewerkschaften, Fabrikkomitees, Arbeiterräte und die revolutionäre Partei erreichen.

Rund um diese Forderungen mobilisiert, stellt die Arbeiterklasse in solchen Organisationen die Herrschaft der Kapitalisten in Frage. Sie beeinträchtigt die bürgerliche Herrschaft in Fabrik, Büro und Schule, durch Streikpostenketten und Straßenaktionen, ja sogar auf Regierungsebene. Zu diesem Zweck verkörpert jede Übergangsforderung einen Kampf für irgendein Element direkter Arbeiterkontrolle über die Kapitalisten. Indem im Kampf für die Erhaltung von Arbeitsplätzen elementare Formen von Arbeiterkontrolle über die Produktion errichtet werden, wird die Auseinandersetzung auf eine höhere Ebene gebracht. Die Frage ist aufgeworfen: Wer hat die Macht in der Fabrik, die Arbeiter oder die Bosse? Ein erfolgreicher Kampf auf Fabrikebene stellt die Arbeiter in der Folge vor neue Herausforderungen, sowohl in Beziehung zu anderen Industriezweigen als auch zur Gesellschaft als ganzer.

Zusätzlich üben sich die Massen durch das System der Arbeiterkontrolle im Führen der Fabrik und bereiten sich so auf die kommenden Aufgaben unter der Diktatur des Proletariats vor. Daher sind Übergangsforderungen einerseits das Mittel zum Übergang von den heutigen, unmittelbaren Kämpfen zu einem revolutionären Angriff auf das gesamte kapitalistische Regime und andererseits eine Schule, ein Mittel, die Arbeiter für die Aufgaben des Übergangs zum Sozialismus selbst zu erziehen.

Gegen die kapitalistische Offensive

Die vereinte Offensive der Kapitalisten zur Lösung ihrer Krisen und zur Herbeiführung eines Konjunkturaufschwunges hat einen schweren Tribut auf die Lebensbedingungen der Weltarbeiterklasse und der unterdrückten Bauernschaft gefordert. Steigende Preise, die in einigen Halbkolonien sogar das Niveau der Hyperinflation erreichten, und Massenarbeitslosigkeit sind der Preis zeitweiser Stabilisierung. Um ihre Kampfkraft zu erhalten, muß die Arbeiterklasse ihr Recht auf Arbeit verteidigen und einen ausreichenden Lohn verdienen. Sie ist dazu gezwungen, das von der Bourgeoisie zugestandene Wohlfahrtssystem – den sogenannten Soziallohn – zu verteidigen und auszudehnen. Es ist notwendig, Forderungen voranzutreiben, die den Überlebenskampf zu beenden versuchen.

In jedem Land kämpfen wir für einen gesetzlich garantierten Mindestlohn in einer Höhe, die von der Arbeiterbewegung und nicht von den Herrschenden bestimmt wird. Das soll natürlich keinesfalls heißen, daß sich Kollektivverträge auf ein solches Minimum beschränken. Die Arbeiterklasse muß sich ständig bemühen, über den Mindestlohn, der einfach nur ein Sicherheitsnetz gegen niedere Löhne und die Armut des unterdrücktesten Teils der Arbeiter ist, hinausgehen.

Kampf der Inflation

Unter Bedingungen, unter denen die Herrschenden steigende Preise dazu benutzen, die Arbeiter zu verarmen, kämpfen wir für den Schutz kollektiver Abkommen gegen jede Preissteigerung durch die Unternehmer. Zu diesem Zweck kämpfen wir für eine gleitende Lohnskala, die Lohnsteigerungen zum Ausgleich für steigende Lebenshaltungskosten garantiert. Natürlich werden die Herrschenden mit gefälschten Indizes zu beweisen versuchen, daß die Lebenshaltungskosten nicht steigen, und dadurch die Massen zu hintergehen. Um dieser Gaunerei zu begegnen, kämpfen wir für einen Lebensmittelindex der Arbeiterklasse, erstellt und bestimmt durch Preiskontrollkomitees, bestehend aus gewählten Delegierten von den Arbeitsplätzen und den Arbeiterbezirken: den Wohnsilos, den Arbeitervierteln, den Barrios und Slums, den Organisationen der Frauen der Arbeiterklasse und den proletarischen Konsumenten. Unter der Bedingung der Hyperinflation werden darüber hinausgehende Maßnahmen erforderlich, um die Ausgebeuteten und Unterdrückten vor dem Hunger, der Zerstörung ihrer Sicherheit und ihrer dürftigen Ersparnisse zu schützen. Sie müssen um die Kontrolle über die lebensnotwendigen Güter kämpfen. Dies bedeutet Arbeiterkontrolle über die Lebensmittelindustrie, die großen landwirtschaftlichen Betriebe, die verarbeitende Industrie, das Transportwesen und die Supermarktketten. Weiters bedeutet dies, direkte Handelsbeziehungen zwischen den Arbeitern und den Bauern durch den Austausch von Gütern einzuführen. Dies führt zum Aufbau von Arbeiter- und Bauernkomitees, um die Lebensmittelpreise und deren Verteilung zu kontrollieren.

Aber um die Hyperinflation zu stoppen, müssen die Arbeiter die Kontrolle über die Banken erlangen und ihre vollständige Nationalisierung erzwingen, einschließlich der Konfiszierung der Einlagen der Bourgeoisie und der ausländischen Multis. Wir fordern Aktionen zur Verhinderung der Kapitalflucht ins Ausland, zur sofortigen Nichtanerkennung der Auslandsschuld und zur Einstellung aller Zinsenzahlungen. Die Ersparnisse der Arbeiter, Bauern und Kleinbürger sollten zu ihrem vorhyperinflationären Wert gesichert werden.

Alle diese Maßnahmen verweisen auf die Notwendigkeit eines Staatsmonopols über den Außenhandel und auf die Einführung demokratischer Planung durch die Produzenten. Um ein Arbeiter- und Bauernprogramm gegen die Inflation durchzusetzen, ist eine Regierung eben dieser Klassen ein unerläßliches Instrument. Ohne dieses wird die Bourgeoisie die Hyperinflation dazu benutzen, die Arbeiter zu demoralisieren und die Bauernschaft und das Kleinbürgertum gegen sie aufzuhetzen (Bolivien 1985 – 1986). Sie wird versuchen, die inflationäre Krise zu lösen, indem sie die Arbeiter niederknüppelt und ihnen brutale deflationäre Maßnahmen aufzwingt: Kürzung des Staatsbudgets für Gesundheits- und Erziehungswesen, Lohnkürzungen und Schließungen von Fabriken und Bergwerken. Inflation und Deflation sind beides Waffen der Bourgeoisie, um das revolutionäre Moment der Arbeiterklasse zu brechen. Gegen beides vereinigen wir die Massen um ein Programm, das darauf besteht: „Laßt die Reichen zahlen!“

Die Geissel der Arbeitslosigkeit

Massenarbeitslosigkeit ist heute ein beständiges Merkmal eines jeden kapitalistischen Landes. In den Halbkolonien führt der Zusammenbruch der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt zur Zerstörung ganzer Industrien, während die Landwirtschaft Millionen von landlosen Bauern in die Städte getrieben hat, wo sie keine Arbeit finden und in die Reihen des Lumpenproletariats hinabgedrückt werden. In den imperialistischen Kernländern ließ die kapitalistische Umstrukturierung Millionen Menschen am Schrotthaufen der Arbeitslosigkeit landen. Gegen diese Geißel bringt unser Programm die Forderung für das Recht auf Arbeit für alle, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter, Glaubensbekenntnis oder sexueller Orientierung, vor. Diese Forderung ist nur verwirklichbar auf der Basis von militanten, direkten Aktionen – Streiks gegen Entlassungen, Besetzungen gegen Betriebsschließungen, militante Proteste durch die Organisationen der Arbeitslosen. Solche Kämpfe müssen sich die Erreichung einer gleitenden Arbeitszeitskala zum Ziel setzen. Unter der Herrschaft der Arbeiterkontrolle soll die Arbeit unter allen Arbeitenden eines Unternehmens aufgeteilt und die Arbeitswoche verkürzt werden, um diese Arbeitsaufteilung zu erleichtern. Unter keinen Umständen sollen bei weniger Arbeitsstunden die Löhne gekürzt werden. Dies ist eine bewußte Verallgemeinerung und revolutionäre Ausdehnung von Forderungen, die spontan von den Arbeitern für die „35-Stunden-Woche ohne Lohnverlust“ (Britannien, BRD) oder von „30 für 40“ (USA) aufgestellt wurden.

Für jene, die die Kapitalisten in der Arbeitslosenschlange stehen lassen, kämpfen wir für Arbeit oder vollen Lohn. Wenn die Kapitalisten keine Arbeit zur Verfügung stellen, fordern wir staatliche Arbeitslosenunterstützung in einer Höhe, die von der Arbeiterbewegung festgelegt werden soll. Wenn der Kapitalismus unfähig ist, soziale Betreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, und Frauen daran gehindert werden, ganztägig zu arbeiten, dann fordern wir volle Unterstützungsleistungen. Aber diese Forderung muß mit dem Kampf für soziale Einrichtungen für Kinder, Kranke und Behinderte verbunden werden, sodaß es Frauen möglich ist zu arbeiten.

Volle Unterstützungszahlungen sollten für all jene gefordert werden, die der Kapitalismus aufgrund ihres Alters, ihrer Behinderung oder Krankheit aus der gesellschaftlichen Produktion ausschließt. Für die Älteren verlangen wir das Recht, in einem Alter in Pension zu gehen, das von der Arbeiterbewegung eines jeden Landes festgelegt wird. Inflationsgesicherte Pensionen müssen vom Staat in einer von der Arbeiterklasse festgesetzten Höhe, die den Lebensstandard der Älteren erhält, bezahlt werden. Für jene über dem Pensionsalter, die weiterarbeiten wollen, muß dies zu vollen von den Gewerkschaften ausgehandelten Löhnen möglich sein.

Die Arbeitslosen selber dürfen nicht als Zuschauer im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit stehengelassen werden. Kommunisten und Kommunistinnen streben nach dem gemeinsamen Kampf von Arbeitslosen und Arbeitenden. Wir sind für das Recht der Arbeitslosen, sich in den Gewerkschaften mit vollen Rechten, aber reduzierten Beiträgen zu organisieren. Wir sind auch für den Aufbau von demokratischen Massenarbeitslosenbewegungen, die durch die Arbeiterbewegung beträchtliche finanzielle Unterstützung erhalten, ohne daß Bedingungen an diese Zahlungen geknüpft werden. Sie sollen volle Vertretungsrechte innerhalb der Arbeiterbewegung haben. Solche Organisationen werden eine entscheidende Rolle spielen, um zu verhindern, daß die Arbeitslosen der Ideologie des Faschismus (oder anderen reaktionären Ideologien und Bewegungen), der Kriminalisierung und der Verlumpung zum Opfer fallen. Sie sind ein wichtiges Druckmittel gegenüber den beschäftigten Arbeitern, um einen aktiven Kampf zur Verteidigung ihrer arbeitslosen Kollegen und Kolleginnen aufzunehmen.

Um alle Arbeitslosen in den Produktionsprozeß zu integrieren und es ihnen zu ermöglichen, sozial nützliche Arbeit zu verrichten, kämpfen wir unermüdlich für ein Programm von öffentlichen Arbeiten unter Arbeiterkontrolle, bezahlt durch den kapitalistischen Staat. Die Notwendigkeit für ein solches Programm ist unübersehbar. In den imperialistischen Kernländern sind alle Arten von öffentlichen Einrichtungen verbesserungs- oder renovierungsbedürftig. In den Halbkolonien leben die Massen im Elend und müssen die grundsätzlichsten Annehmlichkeiten des Lebens (Wohnen, Wasser, sanitäre Anlagen und Heizung, Erziehung und Gesundheitsversorgung) entbehren. Das Programm für öffentliche Arbeiten versucht sowohl diese brennenden Bedürfnisse, wie den Bau von Wohnungen, Spitälern, Schulen und sonstigen Einrichtungen, zu befriedigen, als auch Arbeitsplätze für Millionen Menschen bereitzustellen. Weiters schult es die Arbeiterklasse, die Wirtschaft in einer Art und Weise zu führen, die ihre Bedürfnisse befriedigt. Es ist eine Schule für die Planwirtschaft selbst.

Verbunden mit einem solchen Programm für öffentliche Arbeit ist der Kampf für soziale Einrichtungen oder für deren Verteidigung und Ausbau. Diese dienen in gewisser Weise dazu, die Arbeiterklasse vor den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung zu schützen. Der Kapitalismus ist nicht nur bereit, unseren Lebensstandard seinem Lechzen nach Profit zu opfern, er ist dies auch in Bezug auf unser Recht auf Bildung, auf das Recht, die uns verbleibende Freizeit zu genießen und in Bezug auf das Recht auf Krankenversorgung. Was für ein besseres Zeugnis für den Bankrott des Kapitalismus kann erwartet werden als das Faktum, daß die USA als reichstes und mächtigstes Land der Welt eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten aller industrialisierten Länder aufweisen. Um solche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, kämpfen wir für kostenlose Bildung, freie öffentliche Einrichtungen und Freizeitmöglichkeiten und ein kostenloses Gesundheitswesen für alle. Diese Rechte müssen durch staatliche Subventionen in einer von den Massen selbst bestimmten Höhe garantiert werden. Diese Einrichtungen dürfen nicht von kapitalistischen Managern geleitet werden, sondern durch eine Arbeiterkontrolle über die öffentlichen Dienste.

Die habgierige Suche nach Profit degradiert und zerstört die Individuen weit über die Fabrik und das Büro hinaus. Im Kapitalismus treibt der Gebrauch von Drogen Hunderttausende über die Grenzen von Genuß und Stimulation hinaus in die Unproduktivität von Abhängigkeit und Knechtschaft: Alkoholismus und Drogenabhängigkeit zerstören das Leben von vielen potentiellen Klassenkämpfern gegen das System, das solche Abhängigkeiten verursacht. Wir fordern die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und die Beschlagnahme der enormen Profite, die die Rauschgiftmagnaten aus dem illegalen Import und Export von Drogen ziehen. Wir sind für ein staatliches Monopol, das von einem Arbeiter- und Bauern-Preiskomitee überwacht wird, für den Verkauf von Drogen für den pharmazeutischen und nicht-pharmazeutischen Gebrauch. Wir fordern wissenschaftlich fundierte Erziehung und Information über die Gefahren des Gebrauchs von manchen Drogen für nicht-medizinische Zwecke.

Es wird keinen Mangel an Kapitalisten, bürgerlichen Politikern, wirtschaftlichen „Experten“ und reformistischen Apologeten des Kapitalismus geben, welche „beweisen“ werden, daß unsere Forderungen für Löhne, Arbeitsplätze und Dienstleistungen nicht realisierbar seien und sicher nicht geleistet werden können. Darauf antworten wir, daß wir es uns nicht leisten können, ohne die Erreichung unserer Forderungen zu leben. Wir gehen nicht davon aus, was das kapitalistische System behauptet, sich leisten zu können. Die ganze Geschichte hindurch traf jede unserer Forderungen auf den Aufschrei, daß unsere Herrscher sie nicht verkraften könnten. Dennoch haben wir sie gewonnen, denn was leistbar ist, wird durch den Kampf entschieden; in Summe sind Reformen das Nebenprodukt des revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. Wenn der bürgerliche Staat die Forderungen der Massen nach Löhnen, Arbeit oder Sozialleistungen mit dem Argument ablehnt, daß das zu einem Budgetdefizit führen würde, dann schlagen wir ein revolutionäres Programm der Besteuerung vor.

Die Arbeiter in den Fabriken und Banken sollen das veranlagte und flüssige Vermögen der Arbeitgeber berechnen. Auf der Grundlage dieses Kapitals und anderen Besitzes soll eine stark progressive Vermögenssteuer von ihnen eingehoben werden. Mit diesen Einnahmen wird es möglich sein, mit der Finanzierung der Bedürfnisse der Massen anzufangen. Andererseits soll die indirekte Besteuerung von Gütern des Massenkonsums und die Einkommensteuer der besitzlosen Massen über Bord geworfen werden. Die progressive Einkommens- und Vermögenssteuer für die Kapitalisten muß durch Arbeiter kontrolliert werden, um die Umgehung und Korruption durch Finanzexperten aufzudecken. Auch muß jeder Versuch, die Sonderbesteuerung der Kapitalisten auf die Preise der Massenkonsumgüter abzuladen, durch die Arbeiterkontrolle verhindert werden. Wenn die Kapitalisten sich weigern, ihre Steuern zu zahlen, diese zu hinterziehen versuchen oder Zahlungsunfähigkeit vorgeben, dann muß ihr Vermögen konfisziert werden.

Die Gewerkschaften

In vielen Teilen der Welt sind die Gewerkschaften dauerhafte Massenorganisationen des Proletariats geworden. Revolutionäre und Revolutionärinnen müssen daher eine zentrale Ausrichtung auf die Gewerkschaften haben, trotz deren reaktionärer Führungen. Eine richtige revolutionäre Intervention in die Gewerkschaften erfordert ein klares Verständnis ihres Charakters, ihrer Grenzen im Kapitalismus sowie eine systematische Strategie für deren Umwandlung in Instrumente des revolutionären Kampfes.

Reines Gewerkschaftertum verkörpert Klassenkampf in den Grenzen des Kapitalismus. Im allgemeinen haben sich die Gewerkschaften als elementare Organisationen zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen die Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung, zur Erlangung der Mittel für den Lebensunterhalt und zur Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter und ihrer Familien herausgebildet. Auf diese Weise anerkennt das reine Gewerkschaftertum das Lohnsystem, das System der Lohnsklaverei. Als eine Form des Bewußtseins verbleibt es auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft. Rein gewerkschaftliches Bewußtsein ist daher eine Form des reformistischen, bürgerlichen Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse.

Das System der kapitalistischen Ausbeutung erzeugt jedoch den Klassenkampf selbst, wenn auch zumindest anfangs rein ökonomisch und zersplittert. Dies geschieht deswegen, weil die Bourgeoisie durch die Konkurrenz gezwungen ist, die Arbeitskosten zu senken und damit entweder die Intensität zu steigern oder den Arbeitstag zu verlängern. Dieser Klassenkampf schafft die objektiven Bedingungen für die Überwindung der reformistischen Beschränkungen des reinen Gewerkschaftertums. Die Arbeiterklasse wird zur Anwendung von Klassenkampfmethoden getrieben, die drohen, über die Grenzen reformistischer gewerkschaftlicher Lösungen hinauszugehen. Diese objektive Tatsache gibt Gewerkschaftsorganisationen einen widersprüchlichen Charakter. Auf der einen Seite widerspiegeln sie den selbstbeschränkenden Reformismus eines reinen gewerkschaftlichen Bewußtseins. Andererseits verkörpern sie episodenweise das revolutionäre Potential einer Arbeiterklasse, die zur Anwendung von Streiks, Besetzungen und Streikposten gezwungen ist. Sie können daher als „Kriegsschulen“ der Arbeiterklasse dienen.

Dieser widersprüchliche Charakter der Gewerkschaftsorganisationen offenbart sich auf mannigfaltige Weise. Selbst mit der Ausdehnung des Proletariats in die halbkoloniale Welt organisieren die Gewerkschaften weiterhin nur eine Minderheit der internationalen Arbeiterklasse. Die etablierten Bürokratien sind bei der Integration neuer Arbeiterschichten durch konservative Trägheit gekennzeichnet. Sie sind ängstlich besorgt, daß der Zustrom solcher Arbeiter ihre Privilegien und ihr ruhiges Leben gefährden könnte. Tendenziell organisieren die Gewerkschaften die Arbeiteraristokratie, die besser ausgebildeten und privilegierten Teile der Klasse. Sie widerspiegeln den Gruppenegoismus und das enge handwerklerische Bewußtsein dieser Schichten. Sie neigen im Namen der Neutralität zu einer selbstschädigenden Enthaltsamkeit in der Politik, obwohl die Gewerkschaftsführung oft gleichzeitig bei Wahlen die Stärke der Gewerkschaften reformistischen oder liberalen bürgerlichen Parteien ausliefert.

Im wesentlichen werden Gewerkschaften von einer reformistischen Bürokratie dominiert, die sich in den imperialistischen Ländern während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus der Arbeiteraristokratie entwickelte und sich vor allem auf die organisierten Facharbeiter stützte. In vielen Halbkolonien entstand ebenfalls eine Bürokratie, auch hier aus der Arbeiteraristokratie. Doch ist sie kleiner und genießt weniger materielle Privilegien als die der imperialistischen Länder. Sie wurde von bürgerlich- nationalistischen oder reformistischen Kräften gefördert, die sich so eine soziale Basis zu sichern hofften (wie in Mexiko und Argentinien). In anderen Ländern, wo sich entweder noch keine Arbeiteraristokratie entwickelt hat oder diese noch zu schwach ist, um die Gewerkschaften oder reformistische bzw. nationalistische Parteien zu beeinflussen, entstand eine reformistische Bürokratie oft durch Verbindungen mit der internationalen Gewerkschaftsbewegung und durch die materielle Hilfe der Bürokratien in den imperialistischen Ländern.

Die Gewerkschaftsbürokratie ist eine besondere Kaste, die ihre Position und ihre materiellen Privilegien (wie gering sie auch immer sein mögen) ihrer Rolle als Unterhändler im Klassenkampf zwischen den Arbeitern und ihren Bossen verdankt. Ihre privilegierte Position geht oft einher mit ihrer Einbindung in untere Ebenen des kapitalistischen Staates. Um diese Positionen aufrechtzuerhalten, hat sie ein objektives Interesse an der Erhaltung des Systems der Klassenausbeutung und beschränkt und verrät daher die Klassenkämpfe. Sie handelt also als Feldwebel der Kapitalisten in der Arbeiterklasse und ist ein verschworener Feind des militanten Klassenkampfes und einer echten Arbeiterdemokratie.

Im Gegensatz dazu hat die Gewerkschaftsbasis kein objektives Interesse an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung. In den Momenten verschärften oder verallgemeinerten Klassenkampfes erweisen sich die Bestrebungen der Arbeiter an der Basis als das genaue Gegenteil der Methoden der Bürokratie. Im Angesicht der Attacken von seiten ihrer Bosse greifen die Arbeiter zu direkten Aktionen zur Verteidigung ihrer Interessen. Sie versuchen, die sektoralen Verschiedenheiten in ihren Reihen zu überwinden, die Unorganisierten zu organisieren und sich mit Arbeitern anderer Industrien und Gewerkschaften zu vereinigen. Im Gegensatz zur notorischen „Neutralität“ ihrer Bürokratie gibt es unzählige Beispiele, wo Arbeiter an der Basis ihre Organisationen für eindeutig politische Ziele zu nutzen versuchten. Die grundlegenden Interessen der Gewerkschaftsbasis sind daher nicht einfach verschieden von denen der Bürokratie, sondern ihr genaues Gegenteil.

Um dieses elementare Klassenbewußtsein der Gewerkschaftsbasis zu revolutionärem Bewußtsein zu entwickeln, ist es notwendig, für eine revolutionäre Umwandlung der Gewerkschaften zu kämpfen. Entweder werden Gewerkschaften zu Instrumenten der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Interessen des Kapitals, oder sie werden zu Instrumenten des revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. So etwas wie Neutralität der Gewerkschaften im Klassenkampf kann es nicht geben. Das Ergebnis des Kampfes für die Umwandlung der Gewerkschaften hängt in erster Linie von der organisierten Stärke des revolutionären Kommunismus in ihnen ab. Wir sind bestrebt, kommunistische Fraktionen in den Gewerkschaften aufzubauen, die von Mitgliedern und Sympathisanten der revolutionären Partei gebildet werden und auf der Grundlage eines revolutionären Programms offen um die Gewerkschaftsführung kämpfen.

Um unser Ziel der Entmachtung der Bürokratie zu erreichen, befürworten wir oppositionelle Basisbewegungen, die der Basisdemokratie, der jederzeitigen (Ab-)Wählbarkeit und Verantwortlichkeit aller Funktionäre und einem Klassenkampfprogramm verpflichtet sind. Wir bekämpfen alle Beschränkungen der Basisdemokratie, jede von der Bürokratie erzwungene Spaltung, alle Versuche, die Gewerkschaften politisch „neutral“ zu halten oder genauer, sie von revolutionärem Einfluß freizuhalten. Wir leisten Widerstand gegen alle Versuche, Revolutionäre und Militante mit bürokratischen Mitteln aus Gewerkschaftsorganen zu jagen. Wir bekämpfen alle Bemühungen, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu verraten beziehungsweise sie um ihren Erfolg zu bringen. Wir verteidigen die Rechte der gesellschaftlich Unterdrückten (Frauen, Jugendliche, sexuelle und rassische Minderheiten) auf eigene getrennte Treffen. Wir treten für die Einheit der Gewerkschaften auf einer demokratischen und klassenkämpferischen Basis und für Industriegewerkschaften ein.

Die Taktik der oppositionellen Basisbewegung (nach dem Modell des „Minority Movement“ 1920 in Britannien) widerspricht nicht dem Ziel, eine kommunistische Gewerkschaftsfraktion zu bilden. Sie ist eine Bewegung, in der die Kommunisten eine Fraktion bilden, aber durch die sie gleichzeitig versuchen, eine Massenkraft zu werden und auf der Grundlage eines Aktionsprogramms von Übergangsforderungen die Führung der Gewerkschaften zu übernehmen. Sie ist eine Form der Einheitsfront, die dort notwendig ist, wo Kommunisten eine Minderheit darstellen, aber gleichzeitig die Möglichkeit der Mobilisierung nicht-kommunistischer Arbeiter besitzen.

Die Geschichte des reformistischen Verrats und die Einbindung einiger Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat hat viele Sektierer dazu geführt, die Massenorganisationen preiszugeben und „saubere“Gewerkschaften oder „rote Gewerkschaften“ aufzubauen, die weder die Massen noch irgendwelche bedeutenden Teile der Arbeiterklasse miteinschließen. Diese Politik der ‚Doppelgewerkschaften‘ ist in Wirklichkeit eine Form der feigen Enthaltung. Sie überläßt die Massen der verräterischen Bürokratie. Sie beläßt sie unter deren Einfluß und damit zur Niederlage verdammt. Unsere Politik ist es daher nicht, uns von den reformistischen Massengewerkschaften abzuspalten anstatt darin für eine revolutionäre Führung zu kämpfen. Wir kämpfen in ihnen für die volle politische und organisatorische Unabhängigkeit vom Staat und den Unternehmern. Arbeitermilitante sollten sogar in vom Management oder vom Staat kontrollierten Gewerkschaften arbeiten, wenn diese die Masse der Arbeiter organisieren; und zwar mit dem Ziel, die Massen zum Bruch mit diesen Gewerkschaften zu führen und tatsächliche Arbeitergewerkschaften zu bilden. Wir sind andererseits keine Fetischisten der Gewerkschaftseinheit. Wir sind sehr wohl bereit, Gewerkschaften zu spalten, die tatsächlich Streikbrecherorganisationen geworden sind. Insbesondere lehnen wir jede Verbindung mit Gangster-Syndikaten oder Politikern offen bürgerlicher Parteien ab, die sich als „Freunde der Arbeiter“ darstellen wollen.

Auch sind wir keine Gewerkschaftsfetischisten. Gewerkschaftsorganisationen vereinigen notwendigerweise breite Schichten. Sie sind uneinheitlich und umfassen sowohl fortgeschrittene als auch noch wenig entwickelte Teile der Arbeiterklasse. Sie können daher nicht die politisch geschulte Avantgarde ersetzen – die revolutionäre Partei. Im Gegensatz zu den Syndikalisten und Trade- Unionisten sehen wir in Gewerkschaften keinen Selbstzweck und keinen Ersatz für die Partei und die Arbeiterräte. Denn nur die Partei kann die strategischen Interessen des Proletariats in seiner Gesamtheit vertreten. Und nur die Partei kann die vielen Bewegungen des Klassenkampfes zur Niederlage des kapitalistischen Systems selbst hinführen. Gewerkschaften, selbst wenn sie von Revolutionären geführt werden, stellen für uns nur ein Instrument unter vielen dar, um unser Ziel zu erreichen – die sozialistische Revolution. Nur der Sieg der Partei und ihres Programms in den Gewerkschaften, genauso wie in allen anderen Organisationen des Massenkampfes, garantiert einen bleibenden Sieg des Proletariats über das Profitsystem.

Arbeiterkontrolle und Fabrikkomitees

Das kapitalistische Ausbeutungssystem erfordert, daß die Bosse jeden Aspekt des Produktionsprozesses kontrollieren. Die Suche nach höherer Produktivität und höheren Profiten gefährdet die Sicherheit, ruiniert die Gesundheit und intensiviert die Ausbeutung. Die Arbeiterklasse ist daher zunehmend gezwungen, auf die kapitalistische Kontrolle mit Arbeiterkontrolle zu antworten, um selbst grundlegende und begrenzte Forderungen durchzusetzen. Aus diesem Grund stellt die revolutionäre Avantgarde den Kampf für Arbeiterkontrolle in den Mittelpunkt ihrer Propaganda und Agitation. Gegen die kapitalistische Ausbeutung kämpfen wir für die Arbeiterkontrolle über die Produktion. Kurz gesagt heißt das, daß wir uns ein Vetorecht über die Pläne und Aktionen der Bosse in jedem Teil der Produktion vorbehalten, von den grundlegendsten Dingen (Arbeitstempo, Recht auf Pausen) bis auf die Ebene der Verwaltung der Fabrik (Zahl der Beschäftigten, Bezahlung der Löhne, Art der Produktion). Wir lehnen aber die tausendundein Schemata von Arbeitermitbestimmung kategorisch ab. Diese sind nur dazu entwickelt worden, um die Arbeiterklasse zu täuschen und in die Mechanismen des Kapitalismus zu integrieren, und sie versuchen, die Arbeiter dazu zu verführen, Verantwortung für das Versagen der kapitalistischen Produktion zu übernehmen. Sie sind darauf ausgerichtet, Absprachen für Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen abzusichern.

Die Arbeiterkontrolle auf der Ebene der Fabrik ist unvollständig, wenn sie nicht auf die gesamte kapitalistische Produktion ausgeweitet wird. Die Kapitalisten halten ihre Geschäftsbücher und Konten streng geheim vor den Arbeitern (wenngleich nicht untereinander). Dadurch täuschen und manipulieren sie die Arbeiterklasse. Wir kämpfen daher gegen den Schwindel des Geschäftsgeheimnisses, für die Öffnung aller Geschäftsbücher der Kapitalistenklasse – ihrer Firmen, ihrer Gesellschaften, ihrer Banken und ihres Staates – und für die Untersuchung durch die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst. Das Ziel dieser Kontrolle ist nicht, eine Niederlage zuzugestehen, falls sich dieses oder jenes Unternehmen tatsächlich als bankrott erweist. Der Ruin individueller Kapitalisten ist nicht unsere Schuld. Und auch nicht unsere Sorge. Nein: Die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses ist darauf ausgerichtet, den Bankrott des gesamten kapitalistischen Systems darzulegen, seinen Betrug und sein Mißmanagement der Wirtschaft, seinen Parasitismus, seine Tendenz, den Reichtum zu vergeuden, den die Arbeiter schaffen, und seine extrem ungerechten Methoden der Verteilung dieses Reichtums.

Aber die seit 1945 stark ausgeweitete Anwendung von Wissenschaft und Technik in der Produktion verlangt immer weiter reichende Formen der Arbeiterkontrolle. Da Wissenschaft und Technik vom Kapital organisiert werden, werden Ziel und Auswirkung der Einführung neuer Technologien immer mehr vor den Arbeitskräften verborgen. Sie erlangen davon nur bei Rationalisierungen, durch Sicherheitsrisiken, bei der Intensivierung der Arbeit und durch die verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt Kenntnis. Die Frage der Arbeiterkontrolle über die technische und wissenschaftliche Planung des Staats und der Unternehmer kann sogar eine Frage des Überlebens werden – nicht nur für die Arbeitskräfte, sondern auch für die umliegenden Gemeinden. Das zeigte sich immer wieder, sei es nun in Bhopal oder Tschernobyl. Die Arbeiterkontrolle über den technischen und wissenschaftlichen Apparat bedeutet auch, daß die Arbeiter die Trennung von Hand- und Kopfarbeit überwinden. Ein diesbezüglicher Erfolg wird es ermöglichen, daß technische und wissenschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen dafür gewonnen werden, mit den Fabrikarbeitern in Arbeiterkontrollkomitees zusammenzuarbeiten.

In der imperialistischen Epoche haben die Tendenzen zur verstärkten staatlichen Regulation der Industrie verschiedene Reformisten und Zentristen dazu geführt, alternative Produktionsschemata innerhalb des Kapitalismus zu entwickeln. Die Arbeiter und Arbeiterinnen wurden sogar aufgerufen, unter der Aufsicht reformistischer oder nationalistischer Regierungen bestimmte Unternehmen zu „managen“. Die alternative Planung im Kapitalismus ist aber eine Utopie. Natürlich entwickeln wir in Zeiten tiefer ökonomischer und sozialer Krisen einen Aktionsplan für eine revolutionäre Arbeiterregierung zur Lösung dieser Krisen. Aber selbst der elementarste Plan muß auf der Arbeiterkontrolle über die Produktion im nationalen Maßstab basieren, wenn er einen Fortschritt gegenüber kapitalistischem Chaos und Sabotage bringen soll. Es bedeutet, die Rolle frommer Berater des bankrotten kapitalistischen Systems zu spielen, solch einen Plan vom revolutionären Kampf für Arbeiterkontrolle zu trennen und ein Arbeitermanagement auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft zu befürworten. Die Arbeiterkontrolle ist kein Mittel, eine sozialistische Planwirtschaft durch die Hintertür einzuführen. Sie muß vielmehr den revolutionären Kampf um die Macht in der ganzen Gesellschaft beflügeln und dient so als Voraussetzung des Arbeitermanagements für die Zeit nach dem Sieg der Revolution.

Die reformistisch geführten Gewerkschaften sind bestenfalls nur teilweise dazu geeignet, die Arbeiterkontrolle über die Produktion auszuüben. Die Berufsgruppentrennung in den Fabriken, die oft durch auf dieser Trennung basierende Gewerkschaftsorganisationen wiedergespiegelt und befestigt wird, begrenzt die Fähigkeit dieser Gewerkschaften, die Kontrolle über die Produktion auszuüben. Abgesehen von speziellen Kontrollkommissionen, die ad hoc für bestimmte Ziele eingerichtet werden, ist das Fabrikkomitee die beste Organisationsform, um den Kampf für die Arbeiterkontrolle zu führen. Das Fabrikkomitee ist in der Lage, alle Arbeitskräfte zu vereinigen, diese auf den täglichen Kampf um Kontrolle zu orientieren und die Macht des Managements herauszufordern, indem darin alle Arbeiter und Arbeiterinnen einer Fabrik – unabhängig von Beruf, Abteilung und Gewerkschaftsmitgliedschaft – organisiert werden. Weiters kann das Fabrikkomitee im Kampf für die Umformung der Gewerkschaften in klassenkämpferische Industriegewerkschaften eine Rolle spielen. Das Fabrikkomitee muß direkt-demokratisch aufgebaut sein, das heißt, daß die Delegierten, die auf Abteilungs- und Massenversammlungen gewählt werden, jederzeit abwählbar sind und in täglichem Kontakt mit den Arbeitern und Arbeiterinnen stehen.

Als „inoffizielle“ Organe werden die Fabrikkomitees gleichermaßen von den Bossen und Bürokraten angegriffen und sabotiert werden. Der Grund dieser Feindschaft ist ihre Möglichkeit, Kampforgane des Proletariats zu sein. Die Fabrikkomitees sind (so wie die Fabriksbesetzung) eine Herausforderung für das Recht des Managements auf Leitung, die unantastbare Natur des Privateigentums und für die Macht der Gewerkschaftsbürokratie über die Arbeitenden. Sie etablieren eine Doppelmachtsituation in der Fabrik, und ihre Existenz stellt die Frage: Wer herrscht in der Fabrik – die Arbeitenden oder die Bosse? Daher sind sie für Perioden intensiven Klassenkampfes charakteristisch. Und genauso wie die Doppelmacht in der Gesellschaft nicht für längere Zeit aufrechterhalten werden kann, kann sie dies auch in der Fabrik nicht. Das Fabrikkomitee ist gezwungen, den Kampf für Arbeiterkontrolle immer kühner voranzutreiben. Wenn das nicht der Fall ist, riskiert es seinen Zerfall oder seine Vereinnahmung.

In Österreich und Deutschland entstanden nach dem ersten Weltkrieg Fabrikkomitees als Kampforgane. Aber die Niederlage der Revolution führte zur Umwandlung dieser Komitees in Organe der Kollaboration mit den Bossen. Diese Komitees werden von der Gewerkschaftsbürokratie und der Bourgeoisie als Stützen des sozialen Friedens verwendet. Diese Erfahrung zeigt gerade die Gefahr der Vereinnahmung auf, wenn sich das Fabrikkomitee nicht in revolutionäre Richtung entwickelt. Wo keine Fabrikkomitees existieren, müssen sie von Anfang an als Kontrollorgane der Arbeiterinnen und Arbeiter aufgebaut werden. Wo sie als Organ bürokratischer Kontrolle existieren, müssen sie zur Gänze transformiert werden, um die Rolle von Arbeiterkontrollorganen zu spielen.

Verteidigt die Umwelt durch Arbeiterkontrolle

Alle Produktionsweisen haben zur Störung der Umwelt geführt. Der Kapitalismus aber hat in der imperialistischen Epoche eine Zerstörung auf einer qualitativ neuen Stufe möglich gemacht. Die kapitalistische Produktionsweise hat ein Umweltproblem hervorgebracht, das sowohl physische Beschädigungen (an lebenden Organismen, Ökosystemen und der Ozonschicht) als auch die daraus folgenden sozialen und psychischen Auswirkungen für die Menschen einschießt (Krankheit, Hunger, psychischer Streß). Die Verbindung von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt hat die Möglichkeit von Überfluß für die gesamte Menschheit hervorgebracht. Aber das nach wie vor bestehende Privateigentum an den Produktionsmitteln führte im Kontext einer von den imperialistischen Mächten beherrschten Welt zu einer vierfachen Bedrohung der Menschheit: Sie wird durch einen möglichen Nuklearkrieg von ihrer vollständigen Ausrottung bedroht; das Regenerationsvermögen der natürlichen Umwelt wird durch die rücksichtslose Zerstörung lebenswichtiger Teile des Ökosystems aufs Spiel gesetzt; die Bevölkerung wird durch die unzureichende Kontrolle der Anwendung gefährlicher Substanzen und Prozesse gefährdet; die sozialen Folgen der weltweiten Arbeitsteilung des Imperialismus trieben Millionen in den Hungertod und machten die Verstädterung zur ökologischen Gefahr.

In den degenerierten Arbeiterstaaten hat die Herrschaft der Bürokratie zu ähnlichen Konsequenzen geführt. Diese Kaste greift auf Produktionsmethoden zurück, die auf eine kurzfristige Maximierung des Outputs ausgerichtet sind. Die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt bleiben unberücksichtigt. Ähnlich der Bourgeoisie hat auch die Bürokratie die Wissenschaften weiterentwickelt. Aber sie steht ihren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Massen und den Folgen ihrer Anwendung auf die Produktion gleichgültig gegenüber. Auch in den degenerierten Arbeiterstaaten erfordert ein grundlegender Fortschritt auf diesem Gebiet den Sturz der herrschenden Macht.

Obwohl das Proletariat und die kleinen Bauern am meisten unter den zerstörerischen Folgen des Kapitalismus litten und leiden, waren es Teile des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz in den imperialistischen Ländern, die die gegenwärtige Gefahr als erste in größerem Maßstab erkannten. Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre vervielfachte sich die Anzahl von Ein- Punkt-Kampagnen beispielsweise in der BRD und in Österreich, aber später auch in Frankreich und Italien. Diese mündeten schließlich in eine breite Ökologiebewegung. Diese Bewegungen waren vorwiegend vom Kleinbürgertum getragen. Erstmals wurden ihre Wohngegenden, ihre Kinder und ihre Gesundheit bedroht. Aufgrund ihrer sozial und kulturell privilegierten Position waren sie in der Lage, die Umwelt zum politischen Thema zu machen. Einige von ihnen beleuchteten sogar die Folgen für die halbkolonialen Ländern. Die Politik dieser kleinbürgerlichen Schicht war zwar begrenzt, aber fortschrittlich, da sie das Problem der Umweltzerstörung in einer systematischen Form stellte. Sie führte Massenmobilisierungen durch und die Ökologie-Frage gewann als deren Folge erstmals Einfluß auf das öffentliche Bewußtsein. Außerdem gelang es ihnen, eine bedeutende Anzahl von qualifizierten und gut bezahlten Arbeitern und Arbeiterinnen einzubeziehen. Die großteils utopischen, sogar offen reaktionären Antworten dieser Bewegungen ändern nichts an der fortschrittlichen Rolle, die sie angesichts reformistisch dominierter Arbeiterorganisationen spielten, die in dieser Frage selbstzufrieden an der Seite ihrer Bourgeoisie standen.

Die von den Umweltschützern vorgeschlagenen Lösungen griffen weder die Herrschaft des Privateigentums an Produktionsmitteln noch die des bürgerlichen Staates an. Das spiegelt die soziale Lage des Kleinbürgertums und der Intelligenz wider. Die von ihnen vorgeschlagenen Strategien und Taktiken waren – abgesehen von ihrer häufigen Ineffektivität – auch Ablenkungen von der notwendigen Aufgabe, die soziale und ökonomische Macht der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Aber wo diese Bewegungen Mobilisierungen initiierten, die die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen oder vorantreiben, dort sind gemeinsame Aktionen der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen mit diesen kleinbürgerlichen Bewegungen notwendig. Unser Ziel ist, deren fortgeschrittenste Elemente für eine proletarische Orientierung zu gewinnen und folglich die kleinbürgerliche Bewegung zu spalten.

Die Arbeiterklasse hat ein lebendiges Interesse daran, die Gefährdung der Umwelt durch den Imperialismus zu bekämpfen. Während seiner ganzen Geschichte hat das Proletariat für den Stopp gefährlicher Produktionsmethoden und den Kapitalisten die Einführung von Sicherheitsstandards aufgezwungen. Die Arbeiterklasse hat dadurch in diesen Bereichen Ziele verwirklicht, die zur Schaffung einer bewohnbaren Umwelt für die Lohnabhängigen führte. Wiewohl dieser Kampf fortgesetzt und intensiviert werden muß, kann er niemals dauerhaft gewonnen werden, ohne den Kapitalismus selbst zu stürzen. Die erfolgreichsten Kampfmethoden – selbst für unmittelbare Verbesserungen – sind die Methoden des Klassenkampfes, sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Trotz der häufigen Gleichgültigkeit der momentanen Gewerkschaftsführung ist es entscheidend, daß der Kampf für eine proletarische Antwort auf die Umweltfrage in die Massenorganisationen der Arbeiterklasse getragen wird. Das ist ein integraler Bestandteil des Kampfes, den Reformisten die Gewerkschaftsführung zu entreißen. Um sicherzustellen, das die Arbeiter und Arbeiterinnen Zugang zur Beratung mit unabhängigen Experten und Expertinnen haben, fordern wir die Bildung von Beratungskommissionen für Umweltschutz- und Sicherheitsbelange in den Gewerkschaften.

Gegen gefährliche Prozesse und Praktiken in den Werken kämpfen wir dafür, daß Fabrikkomitees und Gewerkschaften ein Veto einlegen und die Einführung von sichereren Technologien oder Arbeitsbedingungen auf Kosten des Profits überwachen. Wo die Gefahr über das Unternehmen hinausgeht, treten wir für die direkte Aktion der Arbeiter und Arbeiterinnen des Werks und der örtlichen Gemeinde mit dem Ziel ein, die Regierung zu zwingen, die Verwendung sichererer Methoden und Materialien vorzuschreiben. Wo die Bosse oder ihr Staat die Gefahr leugnen oder wirtschaftliche Rentabilität zur Verteidigung gefährlicher Fabriken ins Treffen führen, rufen wir zur Offenlegung aller relevanten Geschäftsbücher und Protokolle für eine Arbeiteruntersuchung auf. Wir weisen die Forderung nach unmittelbarer Schließung aller Atomkraftwerke zurück. Das heißt aber nicht, daß wir die Gefahren ignorieren, die Atomkraftwerke verursachen. Der Forderung nach unmittelbarer Schließung stellen wir die nach einer Untersuchung durch die Arbeiter oder durch von ihnen ausgewählte Repräsentanten gegenüber. Die revolutionäre Partei präjudiziert die Entscheidung einer solchen wissenschaftlichen Untersuchung nicht. Wir unterstützen die Mobilisierung der Arbeiterklasse zur Forderung und Durchsetzung der Schließung, wo eine Arbeiteruntersuchung oder eine Kommission der Arbeiterbewegung die Schließung empfiehlt oder wo akute und unmittelbare Gefahr gegeben ist. In diesen Fällen fordern wir die Erhaltung des Lebensstandards der dortigen Arbeitskräfte durch den Staat.

Wir kämpfen für Arbeiterkontrolle über Forschung und Planung der wissenschaftlich-technischen Institutionen der Unternehmen und des Staates. Das beinhaltet die Offenlegung der Art der Forschungs- und Entwicklungsprojekte und die Formulierung von darauf bezüglichen Gesundheits- und Sicherheitsforderungen. Weiters kann es auch bedeuten, im Zusammenhang mit einem Programm gesellschaftlich nützlicher, öffentlicher Arbeiten andere Forschungsziele durchzusetzen.

Für das Proletariat erschöpft sich die Ökologiefrage nicht in einem Kampf um vorbeugende Maßnahmen. Vieles wurde bereits zerstört und muß wiederhergestellt werden. Wir fordern daher, daß die Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt einen zentralen Platz im Rahmen eines Programms gesellschaftlich nützlicher gesellschaftlicher Arbeiten einnimmt. So ist die Gewährleistung angemessene sanitärer Anlagen und sauberen Trinkwassers eine brennende Notwendigkeit für Millionen Slumbewohner. Integrierte regionale Wiederherstellungsprogramme sind in großen Teilen Afrikas, die in den letzten Jahren in Wüsten verwandelt wurden, dringend notwendig. Große Mittel müssen für die Konstruktion von Hochwasserdämmen in den Monsungebieten der Erde verwendet werden. Die Bourgeoisie muß gezwungen werden, die in diesen Programmen vorgesehenen notwendigen Reparaturen durchzuführen.

Zahlreiche Gefahren können nicht auf der Ebene der Veränderung oder Schließung einzelner Produktionsstätten gelöst werden. Luft- und Wasserverschmutzung, Zerstörung ganzer Ökosysteme durch Abholzung oder Monokulturen oder die vollständige Auslaugung natürlicher Ressourcen sind oft internationale Erscheinungen, auch wenn ihre Auswirkungen anfangs meist in einzelnen Ländern bemerkbar sind. Auf nationaler und internationaler Ebene treten wir für die Einführung gesetzlicher Sicherheitsstandards für die Umwelt ein – aber wir kämpfen für diese mit den Methoden des proletarischen Klassenkampfes und wir vertrauen den internationalen Agenturen des Imperialismus in keiner Weise, wenn es darum geht, diese Standards, selbst wenn sie eingeführt würden, durchzusetzen. Keine dieser Forderungen kann dauerhaft verwirklicht werden, ohne daß das Proletariat die politische und ökonomische Macht von den Kapitalisten errungen und eine demokratische internationale Planung etabliert hat. Nur auf diesem Weg kann der Gegensatz von Stadt und Land aufgehoben und die menschliche Produktion mit der Natur ausgesöhnt werden.

Enteignung und Nationalisierung

Das sozialistische Programm tritt für die vollständige Enteignung der Kapitalistenklasse, die Zerschlagung ihres Staates und die Etablierung der Arbeitermacht ein. In der imperialistischen Epoche wurde eine ganze Reihe staatskapitalistischer Verstaatlichungen entweder durch „konsensuale“ konservative und reformistische Regierungen in den imperialistischen Nationen oder durch nationalistische Regierungen in den Halbkolonien durchgeführt.

Im ersten Fall sind die staatskapitalistischen Nationalisierungen generell im Interesse der gesamten Kapitalistenklasse. Sie gewährleisten die Fortführung notwendiger wirtschaftlicher Bereiche, die für die individuellen Kapitalisten zu wenig profitabel sind. Diese stellen anderen Teilen der Wirtschaft üblicherweise Produkte und Leistungen zu geringen Kosten zur Verfügung. Sie sind auch eine Möglichkeit, bankrotte und schlechte Manager, die für ihre Inkompetenz mit ungeheuren Entschädigungen bezahlt werden, abzusichern.

In den Halbkolonien war die Verstaatlichung eine Methode, durch die eine schwache oder embryonale Bourgeoisie die Mittel zur Kapitalakkumulation, die zuvor in den Händen des Imperialismus waren, konzentrierte. Das war für das Wachstum der nationalen Bourgeoisie notwendig.

Obwohl diese oder jene Verstaatlichung einen Schlag gegen den Imperialismus bedeuten mag (Nasser in Ägypten, die Verstaatlichungen der Kupferminen in Chile unter Allende) oder Zugeständnisse an die Massen darstellen können, so führen sie keineswegs zur Enteignung des Kapitalismus. Vielmehr wird die Herrschaft der Kapitalistenklasse in einem bestimmten Sektor oder mehreren Sektoren der Wirtschaft durch den kapitalistischen Staat ausgeübt. Die Verstaatlichungen verführen die Massen zu dem Glauben, daß ihnen dieser oder jener Teil der Ökonomie „gehört“, obwohl diese Nationalisierungen nur eine betrügerische Methode der Verwaltung des Kapitalismus, nicht aber seines Sturzes ist. Gleichzeitig werden die Arbeiter und Arbeiterinnen staatlicher Unternehmen daran gehindert, irgendeine Kontrolle über die Produktion auszuüben.

Wo die Arbeiter und Arbeiterinnen aufgerufen werden mitzuverwalten, dient dies generell dazu, den Fortbestand der Unternehmen zu sichern oder das bürgerliche Regime zu retten, das die Verstaatlichungen durchgeführt hat, und sich in einem, wenngleich nur zeitweiligen Konflikt mit dem Imperialismus befindet (Mexiko in den 30er Jahren, Bolivien in den 50er Jahren). Dasselbe gilt für Managementbeteiligungen der Arbeiter und Arbeiterinnen in den kränkelnden Industrien und Werken. Dabei beuten sie sich oft unter der Maske von „Kooperativen“ selbst aus; sie werden gezwungen, beständig Lohnforderungen zurückzunehmen und Lohneinbußen hinzunehmen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Sobald diese verstaatlichten Sektoren wieder profitabel sind, kennt der kapitalistische Staat keine Gewissensbisse, wenn er die einst nationalisierten Unternehmen zu Schleuderpreisen an Privatkapitalisten zurückgibt (Ägypten unter Sadat, Britannien unter Thatcher). Die Reformisten und Nationalisten werden keinerlei ernsthafte Aktion setzen, um diese Übergaben zu verhindern.

Trotz unserer Kritik an bürgerlichen Verstaatlichungen, stellt die Privatisierung, wie sie immer wieder von den Bossen versucht wird, einen Rückschritt dar, der auf Kosten der Arbeiterklasse durchgeführt wird. Das Proletariat wird dabei gezwungen, die Kosten der Privatisierung durch Arbeitslosigkeit und Lohneinbussen direkt zu bezahlen. Im allgemeinen gehen sie auf Kosten von Sozialleistungen, gewerkschaftlicher Organisations- und Mitspracherechte. Die Arbeiterklasse zahlt die Privatisierungen auch indirekt durch die Steuern, die ursprünglich für die Verstaatlichungen aufgewandt wurden. Wenn diese Unternehmen wieder verkauft werden, erhält die Arbeiterklasse im Gegensatz zu den ehemaligen Eigentümern, die für die Nationalisierung Entschädigungen erhielten, keine solchen von den neuen Bossen. Schließlich wird, allgemein gesprochen, die Aufgabe des Übergangs zum Sozialismus durch die Existenz privater Unternehmen erschwert.

Obwohl wir diese verstaatlichten Industrien nicht als sozialistische betrachten, bedeutet die Zentralisation in den Händen des Staates einen klaren Vorteil für einen Arbeiterstaat in der Übergangsepoche. Wir fordern daher von den Reformisten und Nationalisten in der Regierung, die behaupten, daß sie gegen Kapitalismus und Imperialismus seien, daß sie alle privaten Industrien ohne Entschädigung und unter Arbeiterkontrolle wieder verstaatlichen.

Im Gegensatz zu den Reformisten und Nationalisten und ihren Sonntagsreden treten wir für die Enteignung ein. Die Arbeiterklasse benötigt die politische Macht, um die ökonomische Herrschaft der Kapitalistenklasse zu zerstören. Trotzdem argumentieren wir schon heute für die unmittelbare Enteignung unter Arbeiterkontrolle und ohne Entschädigung für die Bosse, wo sie ein Werk oder eine ganze Industrie schließen wollen. Eine Verstaatlichung, die auf dieser Basis durchgeführt wird, zwingt alle Unternehmer, vermittelst des Staates, für die Krise ihres Systems zu zahlen. Wir schrecken auch nicht davor zurück, zur Enteignung ganzer Sektoren der Industrie oder der Infrastruktur (Transport, Energie und Trinkwasseraufbereitung) aufzurufen, um die Anarchie der kapitalistischen Produktion zu bekämpfen. Jeder Erfolg, den die Arbeiter durch das Erzwingen solcher Enteignungen machen, stellt sie vor die Notwendigkeit der Enteignung weiterer Teile der Wirtschaft, um die kapitalistische Sabotage der von den Arbeitern kontrollierten Industrien zu verhindern. Um das Monopol des Großkapitals über Information und Propaganda durch die sogenannte ‚freie Presse‘ zu brechen, stellen wir die Losung der Verstaatlichung der Zeitungs- und Fernsehgesellschaften und der anderen Medien unter Arbeiterkontrolle und ohne Entschädigung für die Medienbarone auf. Diese Maßnahme ist weit davon entfernt, eine freie Presse zu verhindern. Im Gegenteil: Sie ermöglicht den Arbeitern, die Kapitalisten am Verbreiten von Lügen, von Attacken auf Kämpfe der Arbeiter und von ekelhafter sexistischer, rassistischer und homosexuellenfeindlicher Propaganda zu hindern. Gleichzeitig verteidigen wir das Recht der Arbeiterorganisationen und ihrer politischen Parteien, ihre eigene Presse unabhängig von staatlicher Kontrolle zu organisieren.

Obwohl die Enteignung des gesamten Kapitals das strategische Ziel der Arbeiterklasse ist, muß das Proletariat der taktischen Wichtigkeit der Neutralisierung bestimmter Kleinkapitalisten und kleinbürgerlicher Eigentümer Rechnung tragen. Daher soll diese Schicht, die in den Halbkolonien oft zahlenmäßig sehr bedeutend ist, von ihren drückenden Schulden ans Finanzkapital befreit werden. Das Maß der Enteignung großer und kleiner Kapitale wird in einem jungen Arbeiterstaat einerseits durch den Rhythmus des Klassenkampfs im Land und international bestimmt und andererseits durch den Grad der Enteignungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Brechen des kapitalistischen Widerstands und zur Sicherung der ökonomischen Entwicklung notwendig sind. Analog dazu und vorausgesetzt, daß es möglich ist, können Entschädigungen an Kleinkapitalisten und kleinbürgerliche Investoren bezahlt werden, wenn das dazu beiträgt, diese Schichten zu neutralisieren.

Die Enteignung eines Teils der Industrie bringt die Arbeiter und Arbeiterinnen in Konflikt mit den Banken und Finanzhäusern, die den Geld- und Kreditfluß kontrollieren. Das wirtschaftliche Regime dieser Parasiten ruiniert nicht nur die Arbeiter, sondern auch Teile des städtischen Kleinbürgertums und der Bauern. Gegen ihre Sabotage treten wir für die Enteignung der Banken und Finanzhäuser ein. Nur dadurch können die Kredite für die Bauern und Bäuerinnen billiger gemacht werden. Nur dadurch können die bedeutendsten Rechnungsbücher der Gesellschaft für die aufmerksamen Augen der Arbeiter und Arbeiterinnen geöffnet werden. Nur so können die in zahlreichen unterdrückten Ländern angehäuften Schulden gestrichen werden, ohne eine plötzliche wirtschaftliche Erschütterung zu riskieren. Nur so können die Massen Schritte ergreifen, um die Plage der Hyperinflation zu beenden. Die Arbeiterkontrolle über die Banken und Finanzhäuser wird auch gewährleisten, daß die kleinen Sparer, die proletarischen Eigenheimbesitzer und die kleinen Bauern von den gierigen Finanziers nicht ausgepreßt werden.

Die Enteignung von Industriesektoren, der Banken und Finanzhäuser stellt einen Übergang zur vollständigen wirtschaftlichen Vernichtung der Kapitalistenklasse dar. Nur dann wird wirkliche Planung möglich sein, d.h. Produktion für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und nicht für den Profit. Die Ungleichgewichte zwischen einzelnen Teilen der Industrie, die für das System des Privateigentums charakteristisch sind, werden auf fortschrittliche Weise überwunden. Dasselbe gilt für die Gesellschaft, in der ständige Überproduktion mit unbefriedigten Bedürfnissen einhergeht, da nützliche Güter unverkauft bleiben, wenn sie keinen Profit erzielen. Doch die Enteignung der Kapitalistenklasse wird nur dann die Grundlage für eine sozialistische Planung sein können, wenn die Staatsmacht vollständig von den Händen der Kapitalisten und der stalinistischen Bürokratie in die der Arbeiter und Arbeiterinnen übergeht.

Von der Verteidigung der Streikposten zur Arbeitermiliz

Alle entscheidenden Konflikte in der Geschichte wurden letztendlich mit Waffengewalt entschieden. Die Reformisten, die über einen friedlichen Weg zum Sozialismus blöken, sind entweder naive Narren, die sich nicht bewußt sind, wie Geschichte „gemacht“ wird, oder zynische Diener der Bourgeoisie. Keine herrschende Klasse ist jemals kampflos von der Bühne der Geschichte abgetreten. Das Proletariat ist die einzige Klasse in der Geschichte, die ein Interesse an der Abschaffung aller Klassen hat. Um dies zu erreichen, muß es durch einen bewaffneten Aufstand seine Diktatur über die Ausbeuter errichten. Die Vorbereitung der Arbeiterklasse für den Aufstand durchläuft eine Reihe von Forderungen und Aktionen, die sich alle auf die Verteidigung der Arbeiterkämpfe und die Destabilisierung und Zerstörung der bürgerlichen Staatsgewalt konzentrieren.

Seit Beginn der kapitalistischen Gesellschaft wurde der Arbeiterklasse mit Gewalt entgegengetreten, wenn sie versuchte, für ihre Rechte am Arbeitsplatz zu kämpfen. Angesichts solcher Angriffe entwickelte sie ihr eigenes Mittel zur Verteidigung: die Streikpostenkette. Aus diesem Grund versucht der bürgerliche Staat diese auf einen ineffektiven Protest zu beschränken. Andererseits haben Arbeiter, die ernsthaft siegen wollen, versucht, aus den Streikposten eine Massenkraft zu machen, welche in der Lage ist, Streikbrecher, Firmengangster und ebenso die Staatspolizei zu verjagen. Aber egal wie groß sie ist, die Streikpostenkette ist unzureichend, sowohl um ihre unmittelbaren Ziele gänzlich durchzusetzen, als auch für die ausreichende Verteidigung der kämpfenden Arbeiter. Die Arbeiter müssen in jedem Kampf ihre eigene Verteidigung organisieren und so die Basis für die Arbeitermiliz zu schaffen.

Der erste Schritt dazu ist die Verteidigung der Streikpostenkette und der Fabriks- oder Landbesetzung. Jedesmal, wenn Arbeiter oder arme Bauern versuchen, ihren Willen durchzusetzen, wird ihnen mit Repression entgegengetreten. Die Agenten solch einer Repression variieren je nach Ort und Umständen. Aber gleichgültig, ob die Streikbrecher und ihre Drahtzieher die Polizei (wie in Westeuropa), die Armee (wie in vielen Halbkolonien) oder bezahlte Gangster und „Nationalgardisten“ (wie in den USA) sind, ihre Funktion ist die physische Zerschlagung der Streikpostenkette der Arbeiter und Arbeiterinnen. Unter Bedingungen extremer Krisen wird die Bourgeoisie Zuflucht zu faschistischen Banden nach dem Modell der „Schwarzhemden“ Mussolinis oder der „Braunhemden“ Hitlers nehmen oder zu geheimen „Todesschwadronen“, die mit den Streitkräften verbündet sind, um nach und nach die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu brechen.

Die Streikbrecher lassen sich selbstbewußt auf diese Auseinandersetzung ein, weil sie wissen, daß sie das ganze Gewicht des bürgerlichen Staates hinter sich haben. Jedoch stehen ihre Erfolge in direktem Verhältnis zum Mangel an Organisation innerhalb der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft. Besondere Einheiten von Streikenden, unterstützt von den Massen, aber speziell zum Zweck des bewaffneten Kampfes ausgebildet, können das Selbstvertrauen der Streikbrecher zerstören und diesen Mob in die Flucht schlagen. So kann die Streikpostenkette von einer bloßen Scheingeste oder einer schlecht organisierten Demonstration in eine disziplinierte und effektive Abteilung der proletarischen Armee umgewandelt werden. Damit können auch die ersten Elemente einer Arbeitermiliz versammelt werden. In allen Phasen dieses Kampfes sind wir für die Mobilisierung und Ausbildung von proletarischen Frauen, so daß jene eine vollwertige Rolle in den militärischen Organisationen der Arbeiterklasse spielen können.

Natürlich muß der Aufbau einer solchen Organisation mit der gebührenden Rücksichtnahme auf das vorhandene Bewußtsein der Massen und ihr erreichtes Niveau der Organisierung durchgeführt werden. Im Falle eines Streikes oder einer Besetzung sind Verteidigungstrupps notwendig. Sogar in „friedlichen“ Perioden des Klassenkampfes erkennen wir die Notwendigkeit, junge Kämpfer der Arbeiterklasse für die zukünftigen Auseinandersetzungen zu trainieren, und benutzen dazu alle möglichen Mittel und Organisationen. Aber unter keinen Umständen darf diese Aufgabe aufgeschoben werden. Verzögerung führt zur Niederlage – und die Niederlage zum Weiterbestand der Klassengesellschaft.

Für die Zerschlagung der bewaffneten Staatsmacht

Allein wird die Arbeitermiliz nicht in der Lage sein, die Macht des bürgerlichen Staates zu zerschlagen. Die bewaffneten Streitkräfte der herrschenden Klasse müssen sowohl von innen als auch von außen gebrochen werden. Jede revolutionäre Situation hat gezeigt, daß in einer entscheidenden Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse Teile der bewaffneten Streitkräfte (Polizei, Armee, Marine, Luftwaffe) schwankten und mit ihren kapitalistischen Auftraggebern brachen.

Das Wesen der Streitkräfte und Polizeiorganisationen ist in vielen Teilen der Welt unterschiedlich. Normalerweise bilden die Polizeikräfte den alltäglichen Repressionsapparat des kapitalistischen Staates. In Notfällen, in Situationen von Kriegsrecht und unter Militärregierungen wird auch die Armee die direkt repressive Rolle spielen. Deshalb stellen wir uns überall jener utopischen Idee entgegen, daß diese Organe bewaffneter Männer und Frauen demokratisiert, in eine neutrale Kraft oder in einen Verbündeten der Arbeiterklasse umgewandelt werden können. Sie müssen zerschlagen und durch eine Volksmassenmiliz auf der Grundlage der Arbeiter und armen Bauern ersetzt werden.

Jedoch erfordert die Verschiedenheit in Zusammensetzung und Organisation der Streitkräfte (Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht, arme bäuerliche oder proletarische Rekruten) verschiedene Taktiken, um sie zu zerbrechen. Aber alle diese Taktiken zielen darauf ab, die Kette zwischen Kommando und Gehorsam zu destabilisieren und zu sprengen. Zu diesem Zweck treiben wir den Klassenkampf innerhalb des Militärs voran. Das Offizierscorps bildet eine absolut unreformierbare und hingebungsvolle Vorhut der herrschenden Klasse gegen das Proletariat. Die Arbeiter müssen dafür kämpfen, die niederrangigen Soldaten und Unteroffiziere gegen die Autorität, die Privilegien und die Korruption dieser Kaste zu organisieren. Um diese Arbeit anzuleiten, bemühen wir uns, (geheime) kommunistische Zellen in den Streitkräften aufzubauen, welche an die einfachen Soldaten gerichtete Bulletins herausgeben.

Genauso wichtig wie die Untergrabung der Disziplin ist, daß Kommunisten und Kommunistinnen den berechtigten Groll der einfachen Soldaten unterstützen. Nur auf einer solchen Basis können wir hoffen, die repressive Rolle der Streitkräfte zu unterminieren und die einfachen Soldaten dazu zu gewinnen, sich mit der Arbeiterklasse zu solidarisieren, indem sie zum Beispiel ablehnen, Demonstrationen und Streikposten anzugreifen, oder sich weigern, Gefangene zu foltern. Deshalb fordern wir das Recht für die einfachen Soldaten und Polizisten, Gewerkschaften und politische Organisationen zu gründen, politische Literatur in Umlauf zu bringen und zu streiken.

Obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, höhere Löhne oder bessere Bedingungen für die Armee oder Polizei des kapitalistischen Staates zu verfechten, unterstützen wir die Kämpfe der unteren Ränge, wo diese sie in einen fortschrittlichen Konflikt mit dem kapitalistischen Staat bringen. Zu diesem Zweck kämpfen wir für das Ende des Kasernierungssystems und für die Wahl aller Offiziere durch die niederen Ränge. Wir kämpfen für Tribunale dieser unteren Ränge, um Offiziere vor Gericht zu stellen, die der Brutalität, der Korruption, der Verschwörung und reaktionärer Anschläge bezichtigt werden. In vorrevolutionären Situationen agitieren wir dafür, daß die Soldaten Räte bilden und Delegierte zu den lokalen, regionalen und nationalen Räten der Arbeiter und Bauern schicken.

Solange jedoch die Polizei, die Gefängniswärter und die Armee unter dem ungebrochenen Kommando des bürgerlichen Staates bleiben, kommt es überhaupt nicht in Frage, ihren Gewerkschaften oder Organisationen Zutritt in die Reihen der Arbeiterbewegung einschließlich ihrer nationalen oder lokalen Gewerkschaftsverbände zu gewähren.

Im Kampf um die Zerstörung der bürgerlichen Streitkräfte gehen wir vom Grundsatz aus: Keinen Groschen, keine Person für dieses System! Wir verurteilen alle Arbeitervertreter, die für Militärbudgets oder Kriegskredite unter dem Vorwand der Verteidigung der Nation stimmen. Daraus folgt, daß wir gegen die Einberufung junger Arbeiter in das Heer der Bourgeoisie sind. Wir sind gegen die Einführung der Wehrpflicht und ihre Existenz. Aber wir sind dies nicht vom Standpunkt des Pazifismus aus. Wir sind für das Recht und die Möglichkeit aller, militärische Fertigkeiten zu lernen und Waffen zu tragen. Dies schließt das Recht der Frauen auf militärische Ausbildung in bürgerlichen Armeen ein. Nieder mit dem Monopol der Kapitalisten auf Gewaltmittel! Militärische Ausbildung sollte am Arbeitsplatz und in Gemeinschaften der Arbeiterklasse organisiert werden, unter Gewerkschaftskontrolle und in Verbindung mit Soldatenkomitees.

Wir unterstützen das Recht von einzelnen, sich zu weigern, zu den Streitkräften einberufen zu werden, aber solch einen Schritt zu propagieren, ist ein Akt von kleinbürgerlichem Pazifismus. Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen gehen in die Armeen, wo auch die Arbeiter zu finden sind, und arbeiten für die Revolution von innen her. Wo es Massenbewegungen gegen einen reaktionären imperialistischen Krieg gibt, die unter pazifistischer oder reformistischer Führung stehen, geben wir diesen kritische Unterstützung, insofern sie die Kriegsbemühungen behindern oder sabotieren. Aber wir betonen, daß Militärdienstverweigerungen die Bourgeoisie niemals ihrer bewaffneten Macht berauben werden.

Gegen bürgerlichen Militarismus, gegen imperialistischen Krieg!

Das Proletariat ist eine internationale Klasse, die keinerlei Interesse an der Verteidigung des bürgerlichen Nationalstaates hat. Deshalb müssen die Arbeiter und Arbeiterinnen in den imperialistischen Ländern in ihrem Defätismus unerschütterlich sein. Die leninistische Position, die zwischen 1914 und 1918 entwickelt wurde, behält vollständig ihre Gültigkeit. Revolutionärer Defätismus basiert auf dem Prinzip, daß der Hauptfeind der Arbeiterklasse die Bourgeoisie des eigenen Landes ist. Die Niederlage der „eigenen“ imperialistischen Bourgeoisie infolge des revolutionären Kampfs der Arbeiterklasse um die Macht ist ein geringeres Übel als ihr Sieg infolge von Klassenkollaboration und des Verzichts auf die proletarische Unabhängigkeit während des Krieges. Die Sozialchauvinisten, die Partei für den sozialen Frieden ergreifen, werden argumentieren, daß sich die Arbeiter und Arbeiterinnen während eines Krieges den Notwendigkeiten der „Nation“ beugen sollten, indem sie die Produktion beschleunigen und gesetzliche Beschränkungen des Streikrechts akzeptieren.

Wir müssen jedoch gegen eine Beteiligung der Arbeiterklasse an den Kriegsbemühungen kämpfen. Die Arbeiterorganisationen müssen den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg verwandeln. Angesichts eines Krieges gegen eine Halbkolonie oder einen Arbeiterstaat müssen die Arbeiter dem Feind des Imperialismus Solidarität und Hilfe geben. In einem Konflikt mit einem Arbeiterstaat, egal wie degeneriert dieser ist und welche militärischen Waffen in diesem Konflikt angewendet werden (nukleare, biologische, chemische oder konventionelle Waffen), müssen ihn die Arbeiter gegen den imperialistischen Angriff verteidigen.

Außerhalb der imperialistischen Länder ist verallgemeinerter Defätismus nicht in jedem Konfliktfall die richtige Methode. Die konkreten Bedingungen werden verschieden sein, und die revolutionäre Avantgarde wird entweder für Defätismus oder für Verteidigung kämpfen müssen, was primär vom Charakter der kriegführenden Staaten abhängig ist. Innerhalb von Halbkolonien oder degenerierten Arbeiterstaaten, welche sich in Konflikt mit dem Imperialismus befinden, muß das Proletariat eine Verteidigungsposition beziehen. In Anbetracht von Kriegen zwischen Halbkolonien (Indien-Pakistan) oder zwischen degenerierten Arbeiterstaaten (China-Vietnam) sollten die Arbeiter auf beiden Seiten generell eine defätistische Position einnehmen, außer es ist der Fall, daß eine Seite ein Handlanger des Imperialismus ist und daß das internationale Proletariat durch den Sieg einer Seite gestärkt würde.

Das Proletariat verteidigt die Halbkolonien und Arbeiterstaaten nicht mit den gleichen Methoden wie die Bourgeoisie oder die Bürokratie. Die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse ist notwendig, um internationale Solidarität und die Niederlage der Imperialisten zu sichern. Selbst wo sich eine imperialistische Macht in einem militärischen Bündnis mit einem Arbeiterstaat befindet, behält das Proletariat in jenem imperialistischen Land seine defätistische Position bei und sollte unter keinen Umständen den Klassenkampf aussetzen. Nur wo die Fortführung einer bestimmten Aktion im Klassenkampf die Kriegsbemühungen des Arbeiterstaates direkt behindert, würde das Proletariat seine Aktion unterbrechen. Aber keinesfalls würde solch ein Ausnahmefall einen Aufschub der Politik des Defätismus in Bezug auf den imperialistischen Krieg und die kapitalistische Klasse signalisieren.

Die Existenz riesiger Arsenale atomarer Sprengköpfe, biologischer und chemischer Waffen, die in der Lage sind, die Menschheit mehrfach zu vernichten, erzeugen berechtigte Angst im Herzen von Millionen. Angesichts dieser Bedrohung predigen die sozialdemokratischen und stalinistischen Reformisten der Arbeiterklasse von weltweiter Abrüstung und der Verbannung des Krieges von der Erde. Es geht aber nicht abstrakt um die Frage der Abrüstung, sondern darum, wer entwaffnet werden soll und mit welchen Mitteln. Die Bourgeoisie wird nie kampflos ihre Waffen aufgeben. Sie muß vom revolutionären Proletariat gewaltsam entwaffnet werden. Indem versucht wird, die Arbeiter und Teile eben jener Bourgeoisie in einer Abrüstungskampagne zu vereinigen, wird die Illusion geschürt, daß die Herrschenden überzeugt werden könnten, jene Waffen aufzugeben, die sie zur Verteidigung ihres Monopols auf die Produktionsmittel besitzen. Tatsächlich gehen die ausgehandelten Abkommen zwischen den Imperialisten und den degenerierten Arbeiterstaaten, bestimmte Waffentypen zu reduzieren, Hand in Hand mit neuen Aufrüstungsrunden. Wie vor den beiden Weltkriegen können internationale Friedenskonferenzen ein Vorspiel des Krieges sein, indem sich jede Seite damit beschäftigt, propagandistische Schliche auszuarbeiten, welche die gegnerische Seite als den Feind des Friedens darstellen.

Wo immer jedoch die Pazifisten Teile der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums in direkte Auseinandersetzungen führen, die das Militärprogramm der herrschenden Klasse untergraben, nehmen Revolutionäre und Revolutionärinnen an solchen Aktionen teil, während sie aber ihre vollständige Opposition gegen die utopische Politik der Pazifisten klarlegen und unser Übergangsprogramm mit Forderungen zu Krieg und Militarismus vorbringen.

Die Kriegsindustrie ist für die herrschende Klasse sehr profitabel. Wir kämpfen für die Veröffentlichung ihrer Geschäftsgeheimnisse, für die Beschlagnahme ihrer Militärprofite und für ihre Enteignung und Stellung der Produktionsmittel unter Arbeiterkontrolle. Indem die Bourgeoisie Kriegsvorbereitungen trifft, werden Geld und Leute in die Streitkräfte gepumpt. In Opposition zu ihren Rüstungsprogrammen fordern wir ein Programm nützlicher öffentlicher Arbeiten.

Sogar in Zeiten, in denen es keinen globalen Konflikt gibt, konstruieren die Imperialisten Pakte und Verträge zur Verteidigung ihrer Interessen und unterstützen sie durch die Androhung militärischer Intervention. Wir fordern die Auflösung aller imperialistischen Pakte und Verträge und ein Ende der Geheimdiplomatie. Alle Verträge und Abkommen sollten offengelegt und veröffentlicht werden.

Wir stellen die Forderung an die reformistischen bürgerlichen Arbeiterparteien, daß sie, wenn sie in der Regierung sind, Forderungen durchsetzen, die im Interesse jener Klasse sind, die sie zu vertreten beanspruchen. Wir verlangen den Rückzug aus NATO, ANZUS, SEATO, die Ablehnung der Militärbudgets und die Weigerung, Waffengewalt gegen die Arbeiter und unterdrückten Völker anzuwenden. Sie müssen die Forderung nach vollen demokratischen Rechten für Soldaten unterstützen, das Recht auf Gründung von Soldatenkomitees und -gewerkschaften anerkennen und Arbeiterinspektionen und -kontrollen der Kasernen unterstützen, die allgemeine Wehrpflicht abschaffen und das Recht der Arbeiter auf Bildung von Selbstverteidigungsorganisationen befürworten. Wir müssen den progressiven Wunsch der Arbeiter nach Frieden verwenden, um für solche Forderungen innerhalb der Arbeiterbewegung zu kämpfen, zugleich aber beharrlich vor der bankrotten Strategie des Pazifismus warnen. Der einzige Weg, die schreckliche Barbarei eines Atomkriegs zu verhindern, ist die internationale sozialistische Revolution.

Bürgerliche Demokratie und demokratischen Forderungen

Solange die soziale und politische Stabilität aufrechterhalten werden kann, ist die bürgerliche Demokratie die bevorzugte Herrschaftsform in den imperialistischen Ländern. Sie ist die spezifische Herrschaftsform, welche die Bourgeoisie in ihrer revolutionären Epoche als Mittel zur Gewinnung der Massen im Kampf gegen den Feudalismus, und um sich selbst politisch gegen die feudalen Stände zu konsolidieren, entwickelte. Mit dem Parlament wird eine demokratische Fassade errichtet, um die tatsächliche Diktatur der Bourgeoisie zu verbergen. Mittels der parlamentarischen Demokratie wirft die Bourgeoisie der Arbeiterklasse kleine Brocken hin, gewährt ihr das Recht, von Zeit zu Zeit zu wählen, und gliedert ihre Führung in die Verwaltung des bürgerlichen Staates ein. Durch die Medien und die Presse haben die Kapitalisten eine mächtige Propagandamaschinerie zur Verfügung, die imstande ist, für ganze Perioden die Massen zu täuschen und sie an die Illusion zu binden, daß unter diesem System das Volk herrsche.

Aber hinter der Fassade liegt die Realität der kapitalistischen Staatsmacht – die Exekutive: die ungewählte (oder, wenn sie gewählt ist, die nicht rechenschaftspflichtige) Richterschaft und Bürokratie, die Polizei und die Streitkräfte. Sobald die Kapitalisten meinen, daß ihr Eigentum oder ihre Herrschaft durch die Arbeiterklasse streitig gemacht wird, wird die volle Wucht des Repressionsapparats ins Spiel gebracht. Die Reformisten in der parlamentarischen Quatschbude sehen ohnmächtig zu, wenn Polizei und Armee Streikpostenketten durchbrechen und die Richter Gewerkschafter inhaftieren. Selbst wenn eine reformistische Mehrheit im Parlament versucht, die schwächlichsten Reformen im Interesse der Arbeiter und Arbeiterinnen durchzusetzen, wird sie von der Staatsbürokratie sabotiert, verwenden die Wirtschaftsmagnaten ihre finanzielle Kontrolle, um die Reformisten zu bescheidenem Gehorsam zu zwingen, und warten die Sicherheitsdienste und Streitkräfte jederzeit hinter den Kulissen, bereit einzugreifen, sollten die Dinge außer Kontrolle der Herrschenden geraten. Und in jeder bürgerlichen Demokratie werden in der Gestalt von Monarchen oder Präsidenten die potentiellen Instrumente einer bonapartistischen Herrschaft bewahrt.

Im imperialistischen Südafrika existiert die parlamentarische Herrschaftsform nur für die weiße Minderheit. Der Masse der Bevölkerung, den Schwarzen, werden die meisten elementaren demokratischen Rechte verweigert, und sie werden von einer unbarmherzigen Diktatur beherrscht. Unter Umständen wie diesen kann der Kampf der Arbeiterklasse für demokratische Rechte, selbst wenn diese an die bürgerliche Demokratie angeschlossen sind, als Sprengsatz für den revolutionären Kampf dienen. Aber während eine solche Revolution als demokratische beginnen kann, erfordert ihr Sieg ihre Umwandlung in eine sozialistische Revolution.

Die strategische Aufgabe der revolutionären Avantgarde besteht in der Zerstörung aller Formen bürgerlicher Herrschaft, einschließlich ihrer demokratischen Form. Zu diesem Zweck bemühen wir uns, die parlamentarische Attrappe vor der Arbeiterklasse zu entlarven und Organisationen proletarischer Demokratie zu schaffen. Allerdings wurden die gesetzlichen Rechte, welche die Arbeiterklasse in der bürgerlichen Demokratie erreichen konnte, den Herrschenden in Kämpfen abgerungen und stellen Errungenschaften dar, die gegenüber Angriffen von seiten der Kapitalistenklasse verteidigt werden müssen. Die wiederkehrenden Krisen der gegenwärtigen Periode zwingen die Kapitalisten, die von den Arbeitern erreichten demokratischen Rechte in Frage zu stellen. In der imperialistischen Epoche besteht immer eine Tendenz zur Negation der bürgerlichen Demokratie und ihrer Ersetzung durch bonapartistische, offen diktatorische Herrschaftsformen.

Diese Tendenz wird in allen imperialistischen Kernländern heftiger. Gewerkschaftsfeindliche Gesetze, die Beschneidung der Redefreiheit, die Fähigkeit, Gesetze mittels einer völligen Umgehung des Parlaments einzuführen, die Stärkung des Repressionsapparates; all dies stellt eine embryonale Form des Bonapartismus dar. In allen solchen Fällen kämpfen Revolutionäre für die Verteidigung der von der Arbeiterbewegung erreichten grundlegenden Rechte in der bürgerlichen Demokratie: das Streikrecht, die Redefreiheit, Zugang zu den Medien, das Recht auf Versammlung und Bildung von Vereinigungen. Mehr noch, wir verteidigen die parlamentarische Demokratie, wenn sie vom Bonapartismus bedroht wird und wo wir sie noch nicht durch proletarische Demokratie ersetzen können. Wir machen das nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, die gesetzlichen Rechte der Arbeiterklasse auf Organisierung zu bewahren und ihren Kampf gegen die Ausbeuter fortzusetzen.

Wir bekämpfen die „Mini-Apartheid“-artigen Beschränkungen der demokratischen Rechte, die überall in der Welt den immigrierten Arbeiter und Arbeiterinnen auferlegt werden. Diese Beschränkungen sind Mittel, um die Überausbeutung dieser Immigranten und die Spaltung der Arbeiterklasse eines Landes entlang rassischer oder nationaler Linien zu erleichtern. Indem wir uns auf die Prinzipien des revolutionären Internationalismus stellen, kämpfen wir für das Recht auf völlige Bewegungsfreiheit der Arbeiterschaft – gegen alle von den imperialistischen Ländern auferlegten Einwanderungs- und Auswanderungskontrollen, für das Recht aller Arbeiter und Arbeiterinnen auf volle demokratische Rechte, einschließlich des Wahlrechtes in dem Land, in dem sie leben und arbeiten. In den Halbkolonien sind wir gegen alle Einwanderungskontrollen und kämpfen für diese demokratischen Rechte, außer im Falle kolonialer Ansiedelungen. Wir sind gegen jegliche Nationalitätengesetzgebung, welche als Mittel zur Verfolgung und Unterdrückung der immigrierten Arbeiter und Arbeiterinnen dient.

Im Kampf um die Erreichung oder Verteidigung demokratischer Rechte wendet das Proletariat die Methoden des Klassenkampfes an. Das Streikrecht zum Beispiel wird in jenem Ausmaß erreicht und verteidigt, als die Arbeiterklasse bereit ist, die Waffe des Streiks im Kampf zu verwenden. Der Widerstand gegen die Einschränkung unserer Rechte, die Weigerung, sich vor dem kapitalistischen Klassengesetz zu beugen, die Bereitschaft zur Verwendung aller proletarischen Kampforganisationen und Kampfmethoden auf politischem Gebiet, das den Kampf für Wahlrecht einschließt; dies sind die nötigen Methoden, welche sicherstellen, daß die Arbeiterklasse aus dem Kampf für demokratische Rechte profitiert. Wie in allen Kämpfen wird die Opferung der unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse im Interesse einer Einheit mit „progressiven“ oder „demokratischen“ bürgerlichen Kräften fatal für das Proletariat und seinen Kampf für die sozialistische Revolution sein.

Unter Bedingungen einer tiefen sozialen Krise kann sich die Bourgeoisie, um ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse zu erhalten, einer faschistischen Bewegung zuwenden. Faschismus, eine reaktionäre Massenbewegung, welche sich hauptsächlich aus den Reihen des durch die Krisen des Kapitalismus zur Verzweiflung gebrachten Kleinbürgertums und Lumpenproletariats rekrutiert, hat die Zerstörung der unabhängigen Arbeiterbewegung und die Errichtung der durch keinerlei Elemente bürgerlicher Demokratie gehemmten Herrschaft des Finanzkapitals zum Ziel. Er ist der letzte Ausweg für die Bourgeoisie, nachdem sie in die Abschaffung ihrer eigenen parlamentarischen Vertretungen verwickelt wurde. Trotzdem, wie Nazi-Deutschland und Mussolini-Italien zeigen, ist er eine Maßnahme, die ergriffen wird, wenn die Situation es erfordert.

In den halbkolonialen Ländern kann sich der Faschismus als eine Bewegung entwickeln, die aus kommunalen Konflikten oder reaktionären klerikalen Bewegungen entsteht. Die Phraseologie solcher Bewegungen kann zeitweise antiimperialistisch sein. Aber dies sollte uns gegenüber dem antikommunistischen und arbeiterfeindlichen Charakter solcher Bewegungen nicht täuschen. Diese Rhetorik ist von derselben Beschaffenheit wie der demagogische Antikapitalismus der Nazis. Durch den Triumph eines Kommunalismus oder klerikalen Faschismus in den Halbkolonien wird die Herrschaft des Imperialismus aufrechterhalten oder sogar gestärkt werden.

Vom Augenblick des Entstehens dieses Faschismus an muß die Arbeiterklasse einen unbarmherzigen Kampf führen, um ihn zu zerschlagen. Auch wenn er seine allgemeineren Ziele verbirgt und sich darauf konzentriert, die giftigen Dämpfe des Rassenhasses zu verbreiten, muß zu seiner Bekämpfung die Arbeitereinheitsfront organisiert werden. Den Faschisten können keine demokratischen Rechte (wie z.B. Rede-, Presse- und Organisationsfreiheit) zugestanden werden. Indessen stellen wir nicht die Forderung auf, sie durch den bürgerlichen Staat verbieten zu lassen. Da die Bourgeoisie die eigentliche Stütze der Faschisten ist, kann ihr diese Aufgabe nicht anvertraut werden. Der Staat würde in Wirklichkeit die Verbote zur Entwaffnung und Behinderung des antifaschistischen Widerstandes verwenden. Die revolutionäre Avantgarde mobilisiert die Arbeiterklasse um die Slogans: Keine Plattform für Faschisten, werft die Faschisten aus den Arbeiterorganisationen hinaus. Wir setzen uns für eine physische Bekämpfung aller ihrer Mobilisierungen ein und organisieren Arbeiterverteidigungseinheiten, um faschistische Angriffe auf rassisch Unterdrückte und die Arbeiterbewegung zurückzuschlagen.

Der Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte der Arbeiter und gegen den Faschismus bildet in keiner Weise eine vom gesamten Übergangsprogramm abgesonderte und getrennte Reihe von Aufgaben. Der Kampf gegen Bonapartismus und Faschismus kann schließlich nur gewonnen werden durch die Verwirklichung des Programms von Übergangsforderungen in ihrer Gesamtheit.

Wahltaktik

Die Arbeiterklasse kann die Macht nicht durch Parlamente und Wahlen erreichen. Es ist die Pflicht der Revolutionäre, den parlamentarischen Kretinismus erbarmungslos zu entlarven ohne dem wahlfeindlichen Kretinismus der Anarchisten nachzugeben. Revolutionäre benützen Parlamente als Tribünen, um die Massen anzusprechen. Diese bieten die Gelegenheit, wesentliche Punkte des kommunistischen Aktionsprogramms in Form allgemeiner Propaganda zu präsentieren.

Die beste Methode, diese Propagandamöglichkeit zu nutzen, ist es, Kandidaten der revolutionären Partei auf Basis ihres Programms aufzustellen. Wenn eine revolutionäre Kandidatur unmöglich ist, ist es zulässig, einer reformistischen oder zentristischen Partei, die organisch mit einem großen Teil der proletarischen Avantgarde oder der Volksmassen im allgemeinen verbunden ist, kritische Wahlunterstützung zu gewähren. Das Ziel der Wahl ist es, diesen Schichten zu sagen: Wir werden für eure Partei stimmen, trotz unseres völligen Fehlens an Vertrauen in ihre Führer und in ihr Programm, um euch zu helfen, ihre Handlungen, in und außerhalb der Regierung, zu testen. Wir fordern euch auf dafür zu kämpfen, daß eure Führer Maßnahmen setzen, die eindeutig im Interesse der Arbeiter sind, und daß sie mit der Bourgeoisie brechen. Diese Taktik erfordert es von Revolutionären und Revolutionärinnen, vollständige Kritik an Reformismus und Zentrismus, am Parlamentarismus, aber auch an der verräterischen Vergangenheit der jeweiligen Partei zu üben.

Wo nur klassenfremde Parteien oder hoffnungslos unbedeutende, reformistische oder zentristische Sekten bei den Wahlen antreten, sind wir verpflichtet, klassenbewußte Arbeiter dazu aufzurufen, „weiß“ zu wählen. Dies darf nicht mit einem Wahlboykott verwechselt werden, der als Taktik nur zulässig ist, wenn der revolutionäre Kampf der Arbeitermassen die Frage des Umsturzes des Parlaments als unmittelbare Perspektive stellt.

Die Arbeiter- und Bauernregierung und die Diktatur des Proletariats

Das strategische Ziel des Kampfes des Proletariats ist der Übergang zum Kommunismus. Um diesen Übergang zu verwirklichen, muß das Proletariat seine eigene Diktatur errichten. Wenn das Proletariat einmal die Staatsmacht errungen hat, kann es, wie es Anarchisten anstreben, nicht sofort auf diese verzichten. Auf nationaler und internationaler Ebene wird sich die Bourgeoisie verschwören und versuchen, die Konterrevolution zu organisieren. Die Arbeiterklasse ist verpflichtet, ihren Willen der ganzen Gesellschaft aufzuzwingen, um die Revolution zu verteidigen und den Widerstand der Bourgeoisie zu brechen. Sie übt ihre Klassendiktatur auf Basis ihrer eigenen – eindeutig proletarischen – Demokratie (Arbeiterräte, Fabrikkomitees, Arbeitermilizen) offen aus. Sie zentralisiert diese Demokratie in einer nationalen Regierung, einer revolutionären Arbeiter- oder Arbeiter- und Bauernregierung. Die einzige konsequent revolutionäre Arbeiter- oder Arbeiter- und Bauernregierung ist die, welche die Diktatur des Proletariats ausübt.

Dennoch treten in der Übergangsperiode Krisen auf, welche die Machtfrage für das Proletariat stellen, bevor seine Mehrheit für die revolutionäre Partei gewonnen wurde. In diesen Situationen erwartet die Arbeiterklasse selbstverständlich von ihrer aktuellen Führung, falls diese an der Regierung ist, die Erlassung eines Programms in ihrem Interesse.

Unter solchen Umständen benutzten die Bolschewiki – und entwickelte die Komintern – die Losung der Arbeiter- sowie Arbeiter- und Bauernregierung. Das wesentliche an der Taktik der Bolschewiki in Bezug auf die provisorische Regierung war es, von den kleinbürgerlichen Führern der Arbeiter (Menschewiki) und der Bauern (Sozialrevolutionäre) zu verlangen, mit der Bourgeoisie zu brechen und in den Kampf für eine wirkliche Arbeiter- und Bauernregierung einzutreten.

Revolutionäre und Revolutionärinnen verlangen nicht nur einen formalen Bruch mit den bürgerlichen Parteien, die an der Regierung sind, sondern auch, daß die Führer der Arbeiter und Arbeiterinnen sofortige Maßnahmen zur Lösung der Krise auf Kosten der Bourgeoisie durchführen. Dies muß die sofortige Enteignung von imperialistischem Besitz und der großen Kapitalisten unter Arbeiterkontrolle einschließen, ebenso wie die Beschlagnahmung des Großgrundbesitzes, die sofortige Bewaffnung der Arbeiterorganisationen und die Entwaffnung der bürgerlichen Konterrevolution. Es muß der gesamte staatliche Repressionsapparat, der gegen Arbeiter- und Bauernorganisationen eingesetzt wird, aufgelöst und die Autorität aller Organisationen der Arbeiter- und Bauerndemokratie anerkannt werden. Auf dem Weg zu solch einer Regierung bietet die Arbeiterklasse allen ihre revolutionäre Hilfe gegen Angriffe der Imperialisten und der Bourgeoisie unter Beibehaltung ihrer Unabhängigkeit an, ohne jedoch politische Verantwortung für solch eine Regierung zu übernehmen, deren Mehrheit nicht aus Revolutionären besteht.

Die Erfahrung von 1917 hat gezeigt, daß die Weigerung der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, einem solchen Weg zu folgen, keine Ausnahme war. Alle späteren Erfahrungen bestätigen dies. Die heutigen Führer der Arbeiter und der Bauern tun ihr möglichstes, um – entweder durch Volksfronten oder durch bürgerliche Arbeiterregierungen – den Kapitalismus vor dem Untergang zu retten. Die Ereignisse in Frankreich und Spanien in den dreißiger, in Bolivien in den fünfziger und achtziger Jahren und heute in Nicaragua bezeugen diese Tatsache.

Die heutigen Zentristen haben sich den Stalinisten in deren opportunistischer Entstellung der Losung der Arbeiter- und Bauernregierung angeschlossen. Während die Stalinisten Lenins aufgegebene Formel von der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ in den zwanziger Jahren wiederbelebten, indem sie diese zu einer notwendigen bürgerlichen Stufe der Revolution erklärten, tat das heutige Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale (VS) dasselbe mit Trotzkis Formel der „Arbeiter- und Bauernregierung“. In Algerien und Nicargua wurden kleinbürgerlich-nationalistische Regierungen, die nicht einen Schritt zum Bruch mit der Bourgeoisie getan hatten, zu „revolutionären Arbeiter- und Bauernregierungen“ erklärt, die der politischen Unterstützung wert seien.

Verschiedenartige Strömungen des zentristischen „Trotzkismus“ (z.B. die Lambertisten in Frankreich und Portugal in den siebziger und achtziger Jahren) bezeichnen Regierungen, die von Arbeiterparteien (Sozialdemokraten und Stalinisten) gebildet werden, als „Arbeiterregierungen“. Das ist ein betrügerischer und opportunistischer Gebrauch dieser Losung. Nur wenn eine Regierung von Arbeiterparteien durch die Massen in einen wirklichen Kampf gegen die bürgerliche Ordnung getrieben wird und gezwungen ist, sich auf die Massenorganisationen auf eine Art und Weise zu stützen, sodaß dies deren Bewaffnung beinhaltet, kann sie als revolutionäre Arbeiterregierung gesehen werden.

Trotz der opportunistischen Verzerrung der Arbeiter- und Bauern- Regierungslosung bleibt sie eine entscheidende Waffe bei der Erziehung und die Vorbereitung der Massen für bzw. auf die Macht. Wir benutzen sie, um Forderungen an die Führung der Arbeiterklasse zu stellen und um den Anhängern dieser Führung zu zeigen, daß diese es ablehnt, mit der Kapitalistenklasse zu brechen. Diese Losung beinhaltet die Möglichkeit, die reformistischen und kleinbürgerlich-nationalistischen Parteien zu spalten, die Basis und die besten Führer für einen wirklichen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zu gewinnen.

Diese Losung ist notwendigerweise abstrakt, da jede Krisensituation von der anderen verschieden ist und unterschiedliche Führungen an die Macht bringt. Das heißt, daß die tatsächliche Zusammensetzung solch einer Regierung nicht vor dem konkreten Kampf fixiert werden kann. Wenn eine Arbeiterregierung entsteht, die nicht die direkte Diktatur des Proletariats darstellt, wäre sie lediglich eine Regierung des Bürgerkrieges gegen die Kapitalistenklasse. In Konfrontation mit der Bourgeoisie muß sie entweder zurücktreten oder sich als zeitlich begrenzte Brücke zu dieser Diktatur erweisen. Auf keinen Fall ist die Arbeiterregierung, in Einheitsfrontform, eine historisch notwendige Stufe, die vor der Errichtung der Diktatur des Proletariats durchlaufen werden muß.

Trotzki postulierte im Übergangsprogramm die theoretische Möglichkeit, daß in einer außergewöhnlichen revolutionären Krise die traditionellen Führungen dazu gezwungen werden, weiter zu gehen, als sie eigentlich wollten, das heißt, mit der Bourgeoisie zu brechen und eine Arbeiterregierung zu etablieren. In der Geschichte hat sich diese Möglichkeit mehrere Male praktisch bewiesen, allerdings immer mit konterrevolutionärem Ergebnis.

Die Stalinisten stürzten unter außergewöhnlichen Umständen in Osteuropa, China, Indochina und Cuba den Kapitalismus. Die Werkzeuge dieser sozialen Umstürze waren bürokratische Arbeiterregierungen. Diese hatten nichts gemeinsam mit einer revolutionären Arbeiterregierung, welche den Weg zum Kampf für den Sozialismus öffnet. Obwohl die bürokratischen Arbeiterregierungen den Kapitalismus beseitigten, geschah dies in konterrevolutionärer Form. Bevor die Bourgeoisie enteignet wurde, erstickten die Stalinisten alle unabhängigen Organe der Arbeiterdemokratie, um die Etablierung ihrer eigenen bürokratischen Kastenherrschaft zu sichern.

Die Pflicht des Proletariats unter solchen Umständen ist es, nicht die Enteignung der Kapitalisten aufzuhalten, sondern die bürokratische Form der Durchführung zu bekämpfen. Indem der Kampf für proletarische Demokratie in den Vordergrund gestellt und die Forderung an die Stalinisten gerichtet wird, das Regime der Arbeiterkontrolle in den Fabriken anzuerkennen, und indem weiters die Bewaffnung der Massen und die Auflösung der stalinistisch kontrollierten Sicherheitskräfte gefordert wird, können die Massen dazu organisiert werden, den Prozeß der Enteignung fortzusetzen und gleichzeitig das geplante konterrevolutionäre Resultat zunichtezumachen: nämlich die Entstehung eines degenerierten Arbeiterstaates, der den Weg zum Sozialismus versperrt.

Arbeiterräte und der Kampf für die Macht der Arbeiterklasse

Die krönende Losung des Übergangsprogramms ist die Forderung nach Sowjets – oder auf Deutsch nach Arbeiterräten. Ist das Fabrikkomitee das Organ der Doppelmacht in der Fabrik, so ist der Arbeiterrat, koordiniert auf nationaler Ebene, das Organ der Doppelmacht in der ganzen Gesellschaft. Solche wirklichen Arbeiterräte entstehen auf lokaler und nationaler Ebene, wenn die Gesellschaft in eine revolutionäre Krise eintritt, wenn die Massen über die Grenzen ihrer traditionellen Organisationen hinauswachsen und revolutionäre Organisations- und Kampfformen anwenden. Eine revolutionäre Krise entsteht, wenn die Gesellschaft eine Sackgasse erreicht: Die Bourgeoisie ist gespalten und von Regierungskrisen heimgesucht, die Massen sind nicht mehr bereit das alte Regime zu tolerieren, und demonstrieren wiederholt ihren Willen und die Bereitschaft, alles zu opfern, um den Kapitalismus zu besiegen.

In der Geschichte des Kapitalismus hat es eine Reihe von revolutionären Perioden gegeben, bestehend aus einer ausgedehnten Kette von ökonomischen und politischen Krisen, die nur durch die grundlegende Niederlage einer der konkurrierenden Klassen gelöst hatten werden können. Danach erlaubten radikal neue ökonomische und politische Kräfteverhältnisse eine Stabilisierung und die weitere Entwicklung des Kapitalismus. Perioden revolutionärer Krisen erfassen ein Land, einen Kontinent oder die ganze Welt. Sie sind verschieden in Länge und Tiefe, wobei die tiefgreifendsten mit Kriegen, erfolgreichen Revolutionen oder Konterrevolutionen verbunden sind.

Eine revolutionäre Situation kann aus mehreren kürzeren Phasen oder Situationen bestehen. Eine vorrevolutionäre Situation besteht, wenn eine tiefgehende ökonomische Krise massive Inflation (oder Deflation), Arbeitslosigkeit und Bankrotte nach sich zieht. Durch diese Katastrophen zeigt sich der todkranke Charakter des kapitalistischen Systems für Millionen. Eine vorrevolutionäre Situation kann auch durch eine militärische Niederlage, wie in Rußland 1905, entstehen. Solche Krisensituationen tendieren dazu, politische Krisen zu produzieren, die die Bourgeoisie dazu zwingen, entweder zu autoritäreren Regierungsmethoden Zuflucht zu nehmen oder die Führer der Arbeiter darin einzubinden, die Krise auf Kosten der Arbeiterklasse zu lösen. Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse darüber, welcher Kurs einzuschlagen sei, geben dem Proletariat einen zusätzlichen Impuls, im allgemeinen und in den politischen Formen des Kampfes immer militanter zu werden. Eine revolutionäre Situation ist die Folge.

In einer vorrevolutionären Situation ist es die zentrale Aufgabe der revolutionären Partei, die allgemeinsten Losungen des politischen Klassenkampfes (Generalstreik, Arbeiterselbstverteidigung, der Aufbau von embryonalen Arbeiterräten, wie z.B. Aktions-, Streik- oder Einheitsfrontkomitees) aufzustellen. In einer revolutionären Situation ist es zentral, all diese Organe in voll ausgeformte Arbeiterräte umzuwandeln: Der direkte Kampf um die Macht kann nicht mehr länger verschoben werden. Wenn die Arbeiterklasse darin versagt, eine erfolgreiche Revolution durchzuführen, wird die Konterrevolution entweder in Form einer Diktatur (faschistisch oder bonapartistisch) über die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten oder in der mehr beschränkten Form der „demokratischen Konterrevolution“ triumphieren. Letztere beläßt eine bürgerlich-demokratische Verfassung mehr oder weniger in Kraft und überläßt die revolutionäre Avantgarde dem Terror von Militär, Polizei und Justiz.

Diese Konterrevolutionen beenden eindeutig die revolutionäre Periode. Was folgt, kann sich als langandauernde Periode der Konterrevolution herausstellen, wie sie etwa den Niederlagen der Arbeiter in Deutschland 1933 oder der chilenischen Arbeiter 1973 folgte. Auf der anderen Seite kann eine nichtrevolutionäre Periode auftreten, eine Periode sozialer Stabilisierung, wenn eine tiefgreifende Erholung von der ökonomischen und politischen Krise auftritt. Trotzdem: Wo fundamentale Widersprüche, die die Revolution haben aufbrechen lassen, fortdauern und wo die Arbeiterklasse nicht eine Niederlage von historischem Ausmaß erlitten hat, kann eine zwischenrevolutionäre Periode auftreten, bevor der Kampf zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie erneut losbricht. Das Erkennen dieser Änderungen von Perioden kann entscheidend sein für das Wachstum oder gar das Überleben einer revolutionären Partei. Es ist lebenswichtig, die geeigneten legalen oder illegalen Taktiken und Methoden der Organisation zu ergreifen und zum richtigen Zeitpunkt in die Defensive oder in die Offensive zu gehen.

Rußland im Februar 1917, Deutschland 1918, Spanien in den dreißiger Jahren und viele andere Beispiele zeigen deutlich auf, daß, falls das Proletariat es schafft, seine eigenen bewaffneten Kräfte aufzubauen, ohne gleichzeitig die bewaffneten Kräfte der Bourgeoisie total zu zerstören, es zu einer Situation der Doppelmacht kommt, in welcher sich zwei Regime verschiedener Klassen gegenüberstehen. Diese Situation der Doppelmacht ist in ihrem Wesen instabil. Sie kann nur – egal für welchen Zeitraum – existieren, wenn die bewaffneten Kräfte der Arbeiter stark sind und die Bourgeoise die Kontrolle über wesentliche Sektoren ihrer bewaffneten Kräfte verloren und Angst vor der endgültigen Konfrontation hat.

Ansonsten kann Doppelmacht nur für längere Zeit andauern, wenn die reformistische oder zentristische Führung des Proletariats zaudert und schwankt, wenn sie mit der Aufgabe der Führung des Kampfes, der auf die endgültige Entscheidung hinsteuert, konfrontiert ist. Solche Kräfte innerhalb der Arbeiterbewegung versuchen, entweder die Doppelmacht im Sinne eines „legitimen“ (bürgerlichen) Staates zu lösen oder einen Staat mit dauerhaftem Doppelmachtcharakter zu begründen. Dieses Konzept, welches dahin strebt, einen „Zwitterstaat“ mit Parlament parallel zu Arbeiterräten zu etablieren, ist immer zum Scheitern verurteilt (Deutschland 1918-23), da es das Unvereinbare zu vereinigen versucht. Die Versuche von linken Reformisten oder Zentristen, Arbeiterräte mit parlamentarischer Demokratie zu „kombinieren“, laufen einfach darauf hinaus, den revolutionären Kampf der Massen zu demobilisieren.

Wenn eine Situation der Doppelmacht auch ein enormer Schritt vorwärts ist, verglichen mit der unbestrittenen Ordnung der Bourgeoisie, so ist sie dennoch weder eine unvermeidliche Phase noch ein strategisches Ziel für sich selbst. Unser Ziel ist die vollständige Vernichtung des bürgerlichen Staates, und wir streben danach, die Doppelmacht durch die Diktatur des Proletariats als Ergebnis einer bewaffneten Erhebung zu ersetzen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die revolutionäre Partei die Führung in den Arbeiterräten erringt. Nur dann kann die Losung „Alle Macht den Arbeiterräten!“ tatsächlich verwirklicht und die Konterrevolution besiegt werden.

Embryonale Arbeiterräte können sich aus verschiedenen Organisationsformen entwickeln – aus revolutionierten Gewerkschaften, aus Fabrikkomitees oder aus Aktionskomitees, die um Teilkämpfe herum aufgebaut wurden. Obwohl wir der Frage der Form keine übergroße Bedeutung zumessen, bestehen wir darauf, daß es keinen Ersatz für jene Kampforgane gibt, die das Wesen der Arbeiterräte zum Ausdruck bringen. Wir trachten danach, die verschiedenen embryonalen Formen von Arbeiterräten so weiterzuentwickeln und anzuleiten, daß sie zu tatsächlichen Arbeiterräten werden. Fabrikkomitees und -gewerkschaften, egal wie radikal sie sind, können aus sich selbst heraus nicht als Arbeiterräte dienen. Die Gründe dafür sind im Charakter der Arbeiterräte selbst angelegt.

Arbeiterräte sind nicht fabrik- oder industriespezifisch. Tatsächlich sind sie zentrale Mittel, um Teile der Gesellschaft, wie etwa die arme Landbevölkerung und die einfachen Soldaten, für die Sache des Proletariats zu organisieren und zu gewinnen. Alle, die sich im Kampf befinden, sind in diesen Räten vertreten. Sie setzen sich aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, von allen Arbeitsplätzen, Arbeiterbezirken, von Bauernkomitees und den Arbeiterparteien zusammen. Sie durchbrechen sektorale Barrieren und ersetzen diese durch eine klassenweite kämpferische Einheit. Sie haben territorialen Charakter, durch welchen alle Ausgebeuteten und Unterdrückten in einer Stadt oder einer Region einbezogen werden. Durch regelmäßige Wahlen und die jederzeitige Abberufbarkeit wird die demokratischste Form repräsentativer Organisation der Arbeiter, die die Geschichte je gesehen hat, erzeugt. Frei von vorher bestehenden bürokratischen Apparaten, sind sie unmittelbar empfänglich für die Änderungen in der Stimmung, die politischen Ansichten und die Militanz der Massen. Arbeiterräte sind das sicherste Entscheidungsmittel über den tatsächlichen, momentanen Willen des kämpfenden Proletariats.

Aufgrund dieser Eigenschaften eignen sich Arbeiterräte außergewöhnlich gut für den revolutionären Kampf. In Perioden sozialen Friedens aber kann ein Arbeiterrat keine dauerhafte Organisation sein. Er lebt und atmet durch den täglichen Kampf mit der Bourgeoisie, beobachtet jede ihrer Bewegungen, organisiert Widerstand gegen jede ihrer Attacken, kämpft für die Interessen der Massen, die er vertritt, und hebt das kämpferische Selbstvertrauen der Massen mit jedem Sieg. Keine andere Organisationsform ist im Durchführen der notwendigen taktischen Manöver im revolutionären Kampf mit der Bourgeoisie so flexibel wie der Arbeiterrat.

Zuletzt, aber keinesfalls am unwichtigsten, sind Arbeiterräte die Basis für die Verwaltung des zukünftigen Arbeiterstaates. Sie sind Organe der Macht der Arbeiterklasse. Ebenso wird die Arbeitermiliz vom Werkzeug des Aufstandes in die Bastion zur Verteidigung des Arbeiterstaates gegen die Konterrevolution verwandelt. Jede revolutionäre Situation hat bewiesen, daß die Arbeiterklasse nicht einfach die existierende Staatsmaschinerie beibehalten und dazu benützen kann, um den Sozialismus aufzubauen. Neue proletarische Organisationen müssen den Platz des kapitalistischen Staates einnehmen. Die Arbeiterräte, welche in Situationen der Doppelmacht dazu gezwungen sind, die Kontrolle über Produktion, öffentliches Leben und Verteilung auszuüben, sind ideal dafür geeignet, die Leitung des Arbeiterstaates zu übernehmen. Sie sind beides: revolutionäre Werkzeuge im Kampf um die Macht und revolutionäre Organe der Machtausübung. Bis jetzt hat niemand eine Form der Organisation gefunden, die sich besser für diese Zwecke eignen würde. Versuche, Ersatz für Arbeiterräte zu finden, führten ausnahmslos zu opportunistischen Fehlern.

Der Aufstand

Die Aufgabe der revolutionären Partei in den Arbeiterräten ist es, alle Kämpfe auf das Ziel der Zerschlagung des kapitalistischen Staates hin zu vereinigen. Der Generalstreik und der bewaffnete Aufstand sind Schlüsselwaffen, um dieses Ziel zu erreichen. Aufstände haben sich auch ohne Generalstreik als erfolgreich erwiesen (wie in Petrograd, Oktober 1917), aber der Generalstreik ist unter vielen Umständen eine revolutionäre Schlüsselmethode des Kampfes, da er die gesamte Maschinerie des kapitalistischen Feindes und seines Staates lähmt. Er stellt die Frage: Wer regiert die Gesellschaft, die Kapitalisten, die die Produktionsmittel besitzen, oder die Arbeiter, die sie am Laufen erhalten? Er setzt den Kampf um die Macht auf die Tagesordnung. Aber aus sich selbst heraus kann eine massenhafte Arbeitsniederlegung die Frage, wer regiert, nicht beantworten. Daher muß ein Generalstreik den Weg zum bewaffneten Aufstand vorbereiten.

Die Geschichte hat gezeigt, daß das Proletariat der Bourgeoisie die Staatsmacht nur durch gewaltsame Mittel entreißen kann. Natürlich wird das notwendige Ausmaß an Gewalt, abhängig von der Verteilung der Kräfte am Vorabend des Aufstandes, verschieden sein. Es wird teilweise davon abhängen, in welchem Ausmaß die bewaffneten Kräfte für die Sache des Proletariats gewonnen werden konnten. Wie auch immer: Die Arbeiterklasse muß damit rechnen, dem maximalen Widerstand der Kapitalisten zu begegnen, und sie muß deshalb auch ihre eigenen Kräfte zu maximieren versuchen, um dem Widerstand entgegenwirken und ihn zerstören zu können. Ohne revolutionäre Situation, in welcher die Massen vollständig hinter der revolutionären Partei stehen, wird ein Aufstand, der von einer revolutionären Minderheit geführt wird, ein abenteuerlicher Putsch sein und zu Rückschlägen für den revolutionären Kampf führen. Wenn das neue Regime, das durch den Aufstand geschaffen wird, stabil und dauerhaft sein soll, muß die Partei bereits die Mehrheit der organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen der großen Städte und der Ortschaften gewonnen haben.

Aufstände hat es, historisch gesehen, in zwei Formen gegeben. Die eine ist die „Februarrevolution“ (Frankreich 1848, Rußland 1917), in der spontane Massenerhebungen gegen ein diktatorisches Regime stattfinden und wo keine dominante bewußt-revolutionäre Partei die Massen führt. Hier kann das Resultat ein demokratisch-bürgerliches Regime sein, eine Situation der Doppelmacht oder, in seltenen und nur ausnahmsweisen Umständen, ein Triumph der Arbeiter und Arbeiterinnen, wie etwa die Pariser Kommune, unter einer Führung, die entweder nicht die Führung behalten will oder nicht weiß, wie sie diese festigen beziehungsweise ausweiten kann. Der Standpunkt der revolutionären Minderheit zu solch einer spontanen Erhebung ist es, voll daran teilzunehmen, danach zu streben, ihr eine bewußte Führung zu geben, im speziellen durch den Kampf für Arbeiterräte und eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung, die auf letzteren aufbaut.

Die andere Form des Aufstandes ist die bewußte, geplante, gewaltsame Übertragung der Staatsmacht an das Proletariat nach dem Modell der Oktoberrevolution in Rußland. Das Durchführen des Aufstandes ist eine technische Aufgabe, welche heimliche Planung erfordert. Die Arbeiterräte müssen für das Ziel des Aufstandes gewonnen werden, und die Arbeitermiliz und diejenigen Regimenter, die auf der Seite der Arbeiterklasse stehen, sind die Mittel zur Durchführung der Erhebung. Nur die revolutionäre Partei alleine kann den allgemeinen Führungsstab zur Leitung der Erhebung zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Partei die Hilfe von Offizieren, die aus den einfacheren Mannschaftsgraden kommen, zunutze machen kann, muß deren Kommando immer auf die militärische Handlungen beschränkt bleiben, kontrolliert durch gewählte Kompanie- und Regimentskomitees. Die Inbesitznahme der Schlüsseleinrichtungen, die Organisation der Verteidigung des neuen Regimes, die Verteilung von Waffen und die Zuteilung von proletarischen Aufständischen kann nicht der Spontaneität der Massen oder „aufgeklärten Offizieren“ überlassen werden. Die Partei ist entscheidend für die Koordination dieser Tätigkeiten. Aber am Tag nach einem erfolgreichen Aufstand wird die Belohnung für diese Vorbereitung klar sein: die Zerschlagung des kapitalistischen Staates und die Etablierung der Diktatur des Proletariats auf Basis der Macht der Arbeiterräte.




Strategie und Taktik in den halbkolonialen Ländern

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 4, Sommer 1989

Seit 1945 hat der Kapitalismus seine Aufgabe, die Reste früherer Produktionsweisen zu zerstören oder völlig zu unterwerfen, erfüllt. Aber obwohl er jeden Winkel der früheren Kolonialsphäre durchdrungen hat, haben sich in der Regel keine stabilen nationalen Bourgeoisien entwickelt. Obschon der Imperialismus eine halbkoloniale Bourgeoisie innerhalb formal unabhängiger Staaten gewährt, ja sogar geschaffen hat, ließ er sich seine ökonomische sowie politische Vormachtstellung in diesen Staaten nicht entreißen.

Zu Anfang der imperialistischen Epoche erfuhren die noch jungen und unterentwickelten nationalen Bourgeoisien in den Kolonialländern nationale Unterdrückung. Koloniale und später imperialistische Mächte zwangen ihr Großkapital den unterdrückten Nationen auf und zerstörten dabei viele kleine lokale, unabhängige Unternehmen. Dadurch wurde die nationale Bourgeoisie nach und nach jedes ernstzunehmenden politischen Einflusses auf die Kolonialverwaltung beraubt. Unter diesen Umständen war die koloniale Bourgeoisie gezwungen, eine wichtige Rolle im Kampf gegen die imperialistische Herrschaft zu spielen. Indem sie irreführende Phrasen und falsche Versprechungen benutzten, konnten Bewegungen wie der Indian National Congress und die Kuomintang in China eine Massengefolgschaft aller plebejischen Klassen in ihrem Interesse mobilisieren.

Doch diese „national-revolutionären Bewegungen“, wie die Komintern sie beschrieb, blieben unter der Führung einer Klasse (der Bourgeoisie), die sich immer wieder unwillig zeigen sollte, einen beharrlichen Kampf gegen den Imperialismus zu verfolgen. Die Furcht vor dem revolutionären Potential der Arbeiterklasse und einer landhungrigen Bauernschaft machte die Bourgeoisie zu einer wankelmütigen und verräterischen Führung der antiimperialistischen Kämpfe. Sie zeigte sich bei erstbester Gelegenheit willens zum Kompromiß und zum Ausverkauf an die Imperialisten und ertränkte ihre „eigene“ revolutionäre Bewegung oft in Blut (Shanghai 1927).

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden unter der Aufsicht des US- Imperialismus die alten Kolonialreiche demontiert und schrittweise durch das heute gängige halbkoloniale System ersetzt. Überall in ihrem Herrschaftsgebiet waren die alten, geschwächten imperialistischen Mächte – Britannien, Frankreich, Holland und Portugal – gezwungen, ihren Kolonien politische Unabhängigkeit zu gewähren. Außer episodisch, war die nationale Bourgeoisie nie imstande, über die Strategie des friedlichen Drucks zum Rückzug der Imperialisten hinauszugehen. In einer Kolonie nach der anderen wurde der Unabhängigkeitskampf von den kleinbürgerlichen Nationalisten, oft im Bund mit den Stalinisten, angeführt. Wo immer die Imperialisten bis zum letzten Moment ausharrten (Algerien, Malaysia, Vietnam, Südjemen, Mozambique, Angola, Zimbabwe), griffen die kleinbürgerlichen Nationalisten zu revolutionär- nationalistischen Kampfmethoden.

Obwohl sie den Massen versprochen hatten, die drückende Last der imperialistischen Herrschaft zu erleichtern, haben dieselben „Revolutionäre“, kaum daß sie an die Macht gekommen waren, diese Macht dazu benutzt, das Proletariat und die armen Bauern zu unterdrücken, den Kapitalismus zu unterstützen und zu entwickeln und die Interessen der Imperialisten zu verteidigen. Bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalisten zeigten sich beide unfähig zur Erfüllung selbst der elementarsten bürgerlich-demokratischen Aufgaben der Revolution gegen den Imperialismus. Nationale Unabhängigkeit blieb eine Illusion, solange die Wirtschaft dieser Länder vom Imperialismus dominiert war. Einige der neuen herrschenden Klassen – z.B. in Taiwan, Südkorea, auf den Philippinen, im Iran und in Kenia – verließen sich auf die offene Kollaboration mit den imperialistischen Mächten, um ihre Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln. Diese Staaten bildeten Ökonomien heraus, die völlig an die imperialistische Weltarbeitsteilung gebunden waren. Sie boten vom Polizeistaat kontrollierte Arbeiterbewegungen und stellten ein Arbeitskräftereservoir zur Verfügung, das überausgebeutet werden konnte und damit zu imperialistischen Investitionen ermutigte.

Das andere Extrem stellen einige Halbkolonien mit national isolierten Entwicklungsversuchen dar, die mehr oder minder konsequent ihre Bindungen an den Imperialismus lockerten, oft durch den Aufbau ökonomischer Verbindungen zum Sowjetblock. Diese Regimes nahmen oft einen linksbonapartistischen Charakter an und vollführten eine Gratwanderung zwischen Imperialismus einerseits und genau kontrollierten Massenmobilisierungen andererseits. Indem sie ihre Wirtschaftsentwicklung bewußt nach der Erfahrung der stalinistischen Industrialisierungspolitik ausrichteten, verfolgten sie größere „staatskapitalistische“ Projekte und etablierten ausgedehnte Staatsbürokratien als wichtige soziale Stütze. Durch diese Methoden suchten solche Regimes einen Weg zu „unabhängiger kapitalistischer Entwicklung“, tatsächlich aber einen Weg zur Aufnahme in den erlesenen Klub der imperialistischen Nationen. Diese Strategie erwies sich Land für Land als eine wirtschaftliche Katastrophe. Stagnation und imperialistischer Druck erzwangen den Zusammenbruch und den Weg zurück in die Arme des Imperialismus.

Perons Argentinien, Nassers Ägypten, Bandaranaikes Sri Lanka und Nyereres Tansania sind nur einige Beispiele für das Fehlschlagen dieser Strategie. Die Krisen in Burma, Algerien und Angola in den späten 80er Jahren zeigen, daß andere staatskapitalistische Regimes sich auf demselben Weg befinden. Autarkie ist eine Utopie und es sind immer die Massen, welche die Zeche für ihr Scheitern zahlen. Welche Strategien die halbkolonialen Bourgeoisien auch immer verfolgt haben – und einige, wie z.B. Indien, haben eine Kombination aus beidem versucht, d.h. offene Kollaboration mit dem Imperialismus und national isolierte Entwicklung – das Resultat war das gleiche: chronisch abhängige Ökonomien, ungeheure Massenarmut, Stagnation und wachsende Verschuldung gegenüber dem Imperialismus. Nur unter den außergewöhnlichen Umständen Südafrikas war es für eine halbkoloniale Macht möglich, aus diesem Kreislauf auszubrechen und sich dem Imperialismus als Juniorpartner anzuschließen.

Der bürgerliche Nationalismus war unfähig, wirkliche Unabhängigkeit zu erreichen und politische Demokratie aufrechtzuerhalten. Während die Imperialisten heuchlerisch die Tugenden der „parlamentarischen Demokratie“ priesen und den neuen Nationalstaaten sogar ihre Verfassungen nach dem Modell von Westminster oder Washington vermachten, drückten sie bei deren Sturz hocherfreut beide Augen zu, wenn diese demokratisch gewählten Regierungen ihre ökonomischen Interessen bedrohten. Nur eine Minderheit der am höchsten entwickelten Halbkolonien war in der Lage, parlamentarische Regimes für einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Und sogar hier, wie im Falle Chiles 1973, hat der Imperialismus direkt interveniert, um jene demokratischen Regimes zu stürzen, von denen er seine Interessen gefährdet sah.

Konfrontiert mit den Forderungen der Bauernschaft nach einer umfassenden Lösung der Landfrage, waren die bürgerlichen Nationalisten zu keinerlei radikalen Maßnahmen bereit, die ihr Bündnis mit den halbfeudalen Grundbesitzern oder den kapitalistischen Großbauern gefährden konnten. Wo sie gezwungen waren, größere Landreformen durchzuführen – in Bolivien, Peru oder im indischen Pandschab -, geschah dies nur, um eine revolutionäre Lösung zu vermeiden. Eine von oben aufgezwungene reformistische Lösung stillte zwar vorübergehend den Landhunger der Bauern, führte aber bloß zur Entstehung einer neuen Klasse von Kleinbauern, knapp an Krediten und Maschinen, und lieferte sie den Wucherern, Banken und reichen Farmern aus.

Um die Ausbeutung durchzuführen und beizubehalten, gehörte es immer auch zur Strategie des Imperialismus, zu teilen und zu herrschen. In vielen Fällen wurde eine solche Spaltung durch imperialistische Mächte durchgesetzt, welche mit Absicht eine bestimmte Minderheit der Bevölkerung in ihrem kolonialen Apparat bevorzugten, wie in Sri Lanka oder Zypern. In anderen Fällen, wo Überreste vorkapitalistischer und religiöser Spaltungen noch existierten, bemächtigte man sich ihrer und kultivierte und bewahrte sie im Interesse des Imperialismus. Zum Beispiel wurde die vererbte Arbeitsteilung, auf der das indische Kastensystem beruht, vom britischen Kolonialismus institutionalisiert und trug dazu bei, jenes große Maß an Fügsamkeit auf dem Lande aufrechtzuerhalten. Einheimischer Grundbesitz und Kapitalismus waren in der Lage, dieses System zu ihrem Vorteil auszubeuten. Trotz der Entwicklung des modernen Kapitalismus in Indien ist bis heute die systematische Diskriminierung und institutionalisierte Ungleichheit des Kastensystems noch stark. Auch hier war die „unabhängige“ Bourgeoisie nicht dazu fähig, ihre Nation auf der Basis der Gleichheit der Rechte zu vereinheitlichen.

Trotz der Behauptungen von „Dritte-Welt-“ und Abhängigkeitstheoretikern, daß eine umfassende kapitalistische Entwicklung in der imperialisierten Welt nicht möglich sei, hat der Imperialismus gerade dies erreicht und im Verlauf seiner Geschichte Millionen von neuen Lohnarbeitern und -arbeiterinnen hervorgebracht. In den letzten beiden Jahrzehnten hat diese halbkoloniale Arbeiterklasse den Weg unabhängiger Klassenaktionen betreten, ist dort allerdings an die Grenzen ihrer syndikalistischen, stalinistischen und kleinbürgerlichen Führungen gestoßen. Es gibt eine Führungskrise in der halbkolonialen Arbeiterklasse. In den meisten Ländern fehlt sogar der Keim einer revolutionären kommunistischen Partei. Das erlaubte es kleinbürgerlichen politischen Formationen aller Schattierungen, an die Spitze antiimperialistischer Massenaktionen zu gelangen und sie unvermeidlich zu verraten.

Im Kampf gegen die Ausbeutung in den Fabriken, Bergwerken und Plantagen des heimischen wie imperialistischen Kapitals muß die Weltarbeiterklasse die volle Spanne an Übergangsforderungen und Taktiken anwenden. Außerdem muß die Arbeiterklasse einen Kampf für die Vollendung der verbliebenen bürgerlich-demokratischen Aufgaben führen. Nationale Einheit und Unabhängigkeit, Agrarrevolution und politische Demokratie sind die brennenden Forderungen von Millionen Arbeitern, Bauern und Halbproletariern. Die Arbeiterklasse muß an den Kampf um ihre vollständige Verwirklichung vom Standpunkt der permanenten Revolution herangehen.

Die nationalen, agrarischen und demokratischen Forderungen sind an und für sich historisch bürgerliche Fragen. Aber in der imperialistischen Epoche ist es nicht mehr möglich, diese Probleme im Kapitalismus vollständig zu Lösen. Die militärische, politische und ökonomische Abhängigkeit der Halbkolonien, ihre Rückständigkeit und wirtschaftliche Unausgewogenheit sind grundlegend für die imperialistische Weltordnung. Es kann kein abgesondertes Stadium der Revolution geben, in dem die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse weiterbestehen, während die bürgerlich-demokratischen Aufgaben voll erfüllt werden. Die gesamte Geschichte des antiimperialistischen Kampfes nach 1945 bestätigt diese grundlegende These von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution. Die „Siege“ der antiimperialistischen Massenbewegungen illustrieren dies sogar deutlicher als die zahlreichen Niederlagen.

Mit ihrer Weigerung, die Firmen und Banken sowohl der nationalen als auch der imperialistischen Bourgeoisie zu enteignen und die Forderungen der armen und landlosen Bauern zu befriedigen, besiegelten die Revolutionsführer in Nicaragua, Zimbabwe und im Iran den fortdauernden Nutzen für den Imperialismus. Selbst wo militärisch-bonapartistische Regimes wie in Burma, Ägypten und Libyen dazu gezwungen waren, die Wirtschaft zu verstaatlichen und eine staatseigene Infrastruktur zu schaffen, ist es ihnen nicht gelungen, die ökonomischen Ketten zu brechen, welche diese Länder an den Imperialismus binden. Stagnation, das Ergebnis der Autarkiebestrebungen, Verschuldung, das Wiederaufleben einer nationalen Bourgeoisie außerhalb des staatlichen Sektors: dies ist das Muster für jene Länder, wo der Bonapartismus sich festgesetzt hat.

Nur wo der Kapitalismus völlig ausgerottet worden ist (China, Kuba, Vietnam, Kambodscha), hatten halbkoloniale Revolutionen die Möglichkeit, sich dem Griff der imperialistischen Weltwirtschaft nach ihren Ländern zu entwinden. Aber sogar hier haben die Stalinisten die permanente Revolution verkümmern lassen und das Erbe der imperialistischen Dominanz nicht erfolgreich überwunden. In vielen dieser Staaten hat sich die Unterdrückung nationaler Minderheiten verstärkt, zum Beispiel die der Chinesen in Vietnam oder die Tibetaner in China.

Die Kombination aus bürokratischer Planung und „nationalem Weg zum Sozialismus“ hat das Potential nachkapitalistischer Eigentumsverhältnisse erwürgt und somit die früheren Halbkolonien zu den schwächsten Gliedern in der Kette der degenerierten Arbeiterstaaten gemacht. Sie bleiben von der Bereitschaft der Sowjetbürokratie, ihre Ökonomien zu unterstützen, stark abhängig. Der wachsende Widerwille der Moskauer Bürokratie dazu vergrößert den internen restaurativen Druck und stärkt jene Teile der Stalinisten, welche die Ökonomien für imperialistische Durchdringung unter dem Mantel des „Marktsozialismus“ öffnen wollen. In diesen Ländern kann nur eine politische Revolution, welche die stalinistische Bürokratie zerstört und wirkliche Sowjetdemokratie errichtet, für die Arbeiter und armen Bauern einen Weg vorwärts weisen und sie befähigen, endgültig mit dem Imperialismus abzurechnen.

Die Enteignung der Schlüsselindustrien, der Banken und Finanzhäuser, die Errichtung eines Staatsmonopols auf den Außenhandel und die Internationalisierung der Revolution müßten die ersten Schritte einer jeden siegreichen halbkolonialen Revolution sein. Aber nur das Proletariat, mobilisiert in Arbeiterräten und Arbeitermilizen kann diese Aufgaben in wirklich progressiver Weise durchführen. Im Verlauf einer solchen Revolution muß die Arbeiterklasse die bäuerlichen und halbproletarischen Massen über die komplette Verwirklichung der nationalen, agrarischen und demokratischen Anliegen an sich ziehen.

Die Agrarrevolution in den Halbkolonien

Insgesamt stellt heute die Bauernschaft, trotz des Wachstums des Industrieproletariats, in den Halbkolonien die absolute Mehrheit der Bevölkerung. Das Proletariat muß sich die Unzufriedenheit und die Bedürfnisse der armen und landlosen Bauern und Bäuerinnen zu eigen machen, wenn die Revolution eine wirklich umfassende sein soll. In der gesamten imperialistischen Epoche hat sich die Agrarfrage als eine der wesentlichsten und explosivsten der unerfüllten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution erwiesen. Der Kampf der Bauernschaft um Land war und ist die Triebfeder im Kampf um nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus. Dies zeigte sich z.B. in China in den 30-er und 40-er Jahren, sowie in Indochina in den 50-er und 60-er Jahren dieses Jahrhunderts. Weiters erwies sich die agrarische Revolution in Rußland 1917 als eine gewaltige gesellschaftliche Kraft für politische Demokratie gegen die zaristische Selbstherrschaft. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist sie ein zentraler Sprengsatz in Aufständen gegen die verhaßten herrschenden Oligarchien in den Halbkolonien (z.B. Nicaragua 1979, Philippinen 1985). Wo auch immer der Kampf der Bauern und Bäuerinnen um Land bewußt vom Kampf für nationale Unabhängigkeit (wie z.B. in Irland 1880-1921) oder für politische Demokratie (z.B. in Spanien 1931-1939) getrennt wurde, konnte keine der bürgerlich- demokratischen Aufgaben vollendet werden.

In der imperialistischen Epoche gab sowohl die imperialistische als auch die halbkoloniale Bourgeoisie jeden Anspruch auf einen revolutionären Kampf gegen den vorkapitalistischen Großgrundbesitz auf. Der Imperialismus versuchte das Proletariat und die Bauernschaft durch Allianzen mit den feudalen Grundbesitzern im Zaum zu halten. Auf diese Weise hielt der Imperialismus die Halbkolonien in ihrer Rückständigkeit und unterwarf die Landwirtschaft durch Handel oder Kolonialherrschaft unter seine Herrschaft.

Mit der Auflösung der alten Kolonialreiche und der Etablierung der US- Welthegemonie fiel der Kampf gegen die Überreste des Semi-Feudalismus in den (Halb-)Kolonien mit dem Kampf gegen die Auswirkungen des tiefen Eindringens des Finanzkapitals in die Landwirtschaft zusammen. Um einen profitablen Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte zu schaffen, drängte das Finanzkapital zu Beginn auf eine Konzentration und Zentralisation des Landes. Große Landstriche wurden für den Export von „Cash-crops“ kultiviert. Auf der einen Seite half das Finanzkapital, die halbfeudalen Grundbesitzer abzufinden, oder verwandelte sie in Agrarkapitalisten, während es auf der anderen Seite Millionen von Bauern und Bäuerinnen verjagte, betrog und ausbeutete. Als Ergebnis müssen Länder, die ehemals genügend Nahrung für den Binnenmarkt produzierten, heute die Grundnahrungsmittel einführen, was der Landoligarchie und der multinationalen Konzerne riesige Profite einbringt. Die Hauptdynamik der agrarischen Revolution liegt heute im Widerspruch zwischen den Massen der Bauern und Bäuerinnen, die auf immer kleinere Parzellen unfruchtbaren Landes zusammengedrängt werden, und den mächtigen kapitalistischen Plantagenbesitzern, welche für den Export produzieren.

In den Nachkriegsjahrzehnten wurde mittels Agrarreformen von oben versucht, eine revolutionäre Lösung der Landfrage von unten abzuwenden, indem eine stabile Schicht von konservativen Mittelbauern geschaffen wurde. Während diese Reformen in einzelnen Ländern für eine gewisse Zeit – wenn auch nur zum Teil – erfolgreich waren, Lösten sie nicht das grundlegende Problem (und konnten dies auch nicht), dem sich die halbkoloniale Bourgeoisie gegenübersieht. Denn deren Abhängigkeit vom Imperialismus sorgt dafür, daß sie unfähig ist, entweder die überschüssigen landhungrigen Bauern und Bäuerinnen in Werktätige im Industrie- oder Dienstleistungssektor in den Ballungszentren zu verwandeln, oder ausreichende Hilfe den kleinen Landbesitzer zukommen zu lassen, um deren Abstieg in die Armut zu verhindern. Die überlebenden halbfeudalen Großgrundbesitzer verbünden sich daher mit dem Finanzkapital, um die bäuerliche Ökonomie den Bedürfnissen der Massenproduktion des ländlichen Kapitalismus unterzuordnen. Dies hat zur Folge, daß die Lösung des Landhungers der Bauern und Bäuerinnen, das Ende der hohen Pachtzinsen, der bäuerlichen Verschuldung und der primitiven Technik nur erreicht werden kann durch ein Bündnis mit der Arbeiterklasse und den revolutionären Sturz des Kapitalismus und Imperialismus – durch die permanente Revolution.

Natürlich werden nicht alle ländlichen Klassen enge Verbündete auf diesem Weg sein. Die Bauernschaft ist keine moderne Klasse mit einer einheitlichen Stellung zu den Produktionsmitteln. Je weiter sie sich von Gemeineigentum an Land und einer dementsprechenden Arbeitsweise Löst, umso mehr differenziert sie sich in reiche Agrarkapitalisten auf der einen und ländliche Proletarier auf der anderen Seite. Wo die Bauernschaft sich eine stabile Grundlage an kleinem Privatbesitz schaffen konnte, war und ist es immer möglich, diese als Massenbasis zur Unterstützung reaktionärer bonapartistischer Regimes zu mobilisieren. Diese Regimes stellten im Angesicht einer Konfrontation die Arbeiterklasse demagogisch als Feinde der Kleinbauern dar.

Auf dem Weg der Revolution wird sich die städtische Arbeiterklasse zuerst dem wachsenden ländlichen Proletariat zuwenden, welches auf den Plantagen, Farmen, Höfen und in den verarbeitenden Betrieben ganztägig arbeitet. Diese Arbeiter und Arbeiterinnen, die zwar von geringer Anzahl, aber großer gesellschaftlicher Macht sind, haben immer wieder gezeigt, daß sie als erste stabile Organisationen (wie Gewerkschaften und Komitees) für den Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aufbauen. Von den Zuckerarbeitern in Kuba bis zu den Kaffeearbeitern in Nicaragua ist es diese Klasse, die oftmals durch ihre Aktivitäten das Kräfteverhältnis zuungunsten verhaßter Diktatoren veränderten. Sie müssen für unmittelbare ökonomische Forderungen ebenso wie für Übergangsforderungen kämpfen und ein Regime der Arbeiterkontrolle und der gewerkschaftlichen Organisation in den Fabriken und auf den Plantagen errichten. Die Geschichte dieser Epoche hat auch gezeigt, daß es für diese Schicht lebensnotwendig ist, die Verteidigung ihrer Interessen gegen die Todesschwadronen der Großgrundbesitzer durch die Bildung von Arbeitermilizen in die eigenen Hände zu nehmen.

In seiner Bedeutung steht das Halb-Proletariat dieser Schicht am nächsten: die saisonalen Farmarbeiter und -arbeiterinnen, welche sich in der verbleibenden Zeit ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit zusammenscharren; oder die Kleinbauern, deren Familien auf dem kargen Stück Land nicht überleben können und Arbeit in der Stadt annehmen müssen. Diese Klasse ist in Lateinamerika, Afrika und in Teilen von Asien groß, oftmals so groß, daß sie die Anzahl des ländlichen Proletariats um das Zehnfache übertrifft. Der Kontakt mit den Plantagen hat ihnen die Möglichkeit gegeben, den üblichen Horizont der armen Bauern zu erweitern und so den Kampfgeist und die Organisation des Proletariats zu übernehmen. Die Saisonarbeit und ihr Leben als Wanderarbeiter führt dazu, daß sie u.a. die zentrale Basis für die Guerillaarmeen in Zentralamerika sind. Wesentlich für sie ist der Kampf für gleiche Bezahlung und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen und für unbefristete Verträge für jene, die dies wollen, bzw. für Landvergabe an diejenigen, die aufgrund des Landhungers zum Wandern gezwungen sind.

Die verzweifeltste Klasse auf dem Land ist die der landlosen Bauern und Bäuerinnen, welche ihres Erbes durch die Oligarchie, die kolonialen Plantagenbesitzer oder durch die „Grüne Revolution“ beraubt wurden. Heute gibt es über 600 Millionen landlose Bauern in den Halbkolonien. In Pakistan, Indien und Bangladesh sind zwischen einem Viertel und der Hälfte aller Bauern und Bäuerinnen ohne Land, in Zentralamerika ist es mehr als die Hälfte der bäuerlichen Bevölkerung. Die meisten nagen am Hungertuch – ein Leben, das nur gelegentlich durch Tages- oder Saisonarbeit erleichtert wird. In der hoffnungslosen Suche nach Arbeit wandern viele in die Städte ab. Diese Klasse, die die größte ist, stellt einen notwendigen Bündnispartner des Proletariats dar. Die dauernde Unterstützung durch diese Klasse muß gewonnen werden, selbst wenn dies die Aufteilung der größeren Güter bedeutet. Ihr gegenüber muß sich die revolutionäre Arbeiterklasse verpflichten, für die Verwirklichung folgender Forderungen zu kämpfen: Land für diejenigen, die es bearbeiten; Besetzung des brachliegenden und ungenügend genutzten Bodens; Verteidigung der Besetzung von Plantagen im Kampf für den Lebensunterhalt; für Komitees und Milizen der landlosen Bauern und Bäuerinnen.

Trotzkisten und Trotzkistinnen müssen an der Spitze des Kampfes der Landhungrigen für Landbesetzungen stehen – unabhängig davon, ob diese gegen halb-feudale oder gegen kapitalistische Großgrundbesitzer gerichtet sind. Aber es ist zentral, für die ehest mögliche Bildung von Kooperativen als Übergangsmaßnahme einzutreten. Für jene, die bereits in die Slums der großen Städte abgedrängt wurden, müssen wir für ein Programm öffentlicher Arbeiten kämpfen, um ihnen nützliche Arbeit und lebensermöglichenden Lohn zu geben. Dies muß Hand in Hand mit der Organisierung der Arbeitslosen geschehen.

Die armen Bauern und Bäuerinnen wehren sich verzweifelt gegen ihren Abstieg in die Legion der Landlosen. Ihr kleiner Landbesitz wird von den gewaltigen Zinsen erdrückt oder ist von hohen Schulden belastet, welche das Resultat der harten Zahlungsbedingungen sind. Zu diesen Schulden kommen noch Kredite für den Kauf von Ausrüstung und Düngemitteln. Dieser Schritt wird ihnen aufgezwungen, weil die Kleinheit der Parzellen nicht das Überleben für die armen bäuerlichen Familien garantieren kann. Die armen Bauern und Bäuerinnen können dadurch von den großen Ländereien und den Großbauern unterdrückt werden. Hier müssen die zentralen unmittelbaren Forderungen ansetzen: Abschaffung der Pacht und Streichung aller Schulden bei ländlichen Wucherern und städtischen Händlern; für staatliche Kredite zum Erwerb von Maschinen und Düngemittel; für die Schaffung von Anreizen, um die Subsistenzbauern und -bäuerinnen zum freiwilligen Eintritt in Produktions- und zu Absatzgenossenschaften zu ermutigen.

Viele Bauern und Bäuerinnen glauben, daß der einzige Weg zum Überleben der Anbau von Pflanzen für die Drogenindustrie ist. Sie werden unbarmherzig von den Drogenbaronen ausgebeutet und von den imperialistischen „Anti-Drogen“-Einheiten verfolgt. Wir fordern daher das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf freien und legalen Anbau von Pflanzen, die zur Drogenherstellung verwendet werden können. Weiters verlangen wir den staatlichen Ankauf solcher Pflanzen zu Preisen, die von Preiskomitees der Arbeiter und Bauern festgelegt werden.

Die mittlere Bauernschaft, normalerweise eine kleine Schicht, ist dem Proletariat gegenüber mißtrauisch, da sie eine geplante Abschaffung ihres Privateigentums befürchtet. Gewöhnlich verfügen diese Bauern über genügend Überschüsse, um diese in den Städten mit Gewinn verkaufen zu können. Dennoch werden auch sie oft durch Zwischenhändler ausgebeutet. In allen Auseinandersetzungen über Löhne und Arbeitsbedingungen, die zwischen diesen Bauern und den von ihnen ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen stattfinden, muß das Proletariat auf der Seite letzterer stehen. Der Forderung der kleinen und mittleren Bauern nach höheren Preisen für ihre Produkte (eine Forderung, die vor allem dann aufkommt, wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen die Regierung zu Preiskontrollen bei den Grundnahrungsmitteln zwingen) stellen wir eine andere Losung gegenüber: Laßt die Bosse und Großgrundbesitzer zahlen – und nicht die Arbeiter! Wir verlangen die Streichung der Schulden, die Ausweitung von Krediten, die Förderung von Kooperativen und den Aufbau gemeinsamer Preiskomitees der Arbeiter und Bauern, um die Erzeugung ihrer jeweiligen Produkte zu planen und deren Austausch zu regeln.

Dort, wo der Halb-Feudalismus zerstört wurde und der Imperialismus in Allianz mit den halbkolonialen Staaten die reichen Bauern in den Weltmarkt integriert hat, stellen sich die reichen und ausbeuterischen Bauern im allgemeinen auf die Seite der Bourgeoisie. Revolutionäre und Revolutionärinnen stellen sich daher auf die Seite der armen Bauern und Bäuerinnen, um das Land der reichen Bauern zu enteignen. Doch wo auch immer die halbfeudalen Fesseln bestehen blieben, die sowohl die reichen als auch die armen Bauern und Bäuerinnen unterdrücken, ist auch ein gemeinsamer Kampf zur Beendigung dieser Unterdrückung möglich.

Das imperialistische Agrobusiness, die kapitalistischen Großbauern und die in den Städten oder im Ausland lebenden Großgrundbesitzer werden jedoch in der Arbeiterklasse einen unerbittlichen Feind finden. Ihr Eigentum stellt in den Augen der Arbeiter und armen Bauern den Mechanismus der Verarmung dar. Wir müssen der nationalen Bourgeoisie bzw. dem Kleinbürgertum, die gegen die Landoligarchie kämpfen, zur Durchsetzung folgender Forderungen zwingen: entschädigungslose Verstaatlichung ihres Großgrundbesitzes; Verstaatlichung der imperialistischen Plantagen und ihre Stellung unter Arbeiter- und Bauernkontrolle; für ein breit angelegtes Programm öffentlicher Arbeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der ländlichen Massen – zur Elektrifizierung, Bewässerung des Bodens, für Maßnahmen zur Schaffung reinen Wassers und ausreichender sanitärer Möglichkeiten oder von kulturelle Einrichtung.

Nur so ein Programm kann die massenhafte Landflucht der Bauern und Bäuerinnen, die vom Hunger getrieben werden, verhindern. Die Umgestaltung und Planung der landwirtschaftlichen Produktion wird die Abhängigkeit von den nur für den Export bestimmten Ernten verringern, die Produktivität des Bodens erhöhen und die vorhandene Menge an Lebensmitteln für den heimischen Verbrauch steigern.

Solche Maßnahmen werden dazu beitragen, die Belastung der ländlichen Umwelt zu verringern. Mit der tiefgreifenden Umwandlung der ländlichen Gebiete hat der Kapitalismus die ökologische Krise auf immer neue Regionen der Erde ausgeweitet. Die Abholzung, die Zerstörung der traditionellen Bewässerungssysteme, die Verschmutzung der Flüsse durch industrielle Abwässer und chemische Düngemittel bewirken eine wirkliche ökologische Katastrophe in vielen Teilen der „Dritten Welt“. Der Kampf des Proletariats und der armen Bauernschaft muß ein Programm für sofortige Maßnahmen zur Verhinderung einer ökologischen Katastrophe beinhalten – die Beendigung massiver Abholzungen ebenso wie Projekte zur Wiederaufforstung und Bewässerung.

Die Jahre seit 1945 haben gezeigt, daß die einzige wirkliche Lösung des Landhungers und der Knechtschaft der armen Bauern der Sturz des Kapitalismus selbst ist. Die revolutionäre Partei muß den Klassenkampf auf dem Land zu seinem Höhepunkt führen. Wir stellen ein Programm für die revolutionäre und entschädigungslose Enteignung aller kapitalistischen Plantagen und die Landwirtschaften reicher Bauern durch Räte der Arbeiter und armen Bauern auf. Wir kämpfen für eine Politik der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe sowie für freiwillige Genossenschaften der Klein- und Mittelbauern als Programm des sozialistischen Übergangs in der Landwirtschaft.

Die Nationale Frage in den Halbkolonien

Wenngleich nationale Einheit und Unabhängigkeit politische Ziele der Bourgeoisie waren, hatten sie einen gesellschaftlichen und ökonomischen Zweck: die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, auf dem das heimische Kapital vor ausländischer Konkurrenz geschützt war und sich entfalten konnte. Ungeachtet der formellen nationalen Unabhängigkeit sind heute die ehemaligen imperialistischen Kolonien und Mandatsgebiete von einer echten wirtschaftlichen Unabhängigkeit genauso weit entfernt wie am Beginn der imperialistischen Epoche. Sie blieben unterdrückte Nationen. Rückständigkeit und im besten Fall eine einseitige, abhängige Industrialisierung blieben in den Halbkolonien die Norm. Kein noch so hoher Grad formeller politischer Unabhängigkeit kann das ausgleichen.

Die Ketten der ökonomischen Abhängigkeit werden durch die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus geschmiedet und können nur durch die Enteignung des Kapitals selbst zerrissen werden. Gerade aus diesem Grunde hat nur die Arbeiterklasse das Interesse und die Fähigkeit, die nationale Unterdrückung der Halbkolonien vollständig aufzuheben. Das Proletariat muß daher für folgende Ziele kämpfen:

• Die Vertreibung aller bewaffneten Kräfte des Imperialismus, seiner Gendarmen, einschließlich der UNO, seiner Berater und Sicherheitseinrichtungen.

• Die Abschaffung der stehenden Armeen, die durch den Imperialismus ausgebildet werden und ihm gegenüber loyal sind, und deren Ersetzung durch bewaffnete Arbeiter- und Bauernmilizen.

• Die Streichung aller Schulden und Zinsen gegenüber den imperialistischen Banken. Die Imperialisten wünschen keine Tilgung der Schulden, da dies das Ende ihrer daraus erzielten Extra- Profite und den Verlust einer ihrer Waffen zur Ausübung politischer, militärischer und ökonomischer Kontrolle über die Halbkolonien bedeuten würde. Diese Schulden wurden unter Bedingungen vereinbart, die vom Imperialismus festgesetzt wurden. Die engen Grenzen, die der halbkolonialen Bourgeoisie gesetzt sind, wenn sie den Imperialismus herausfordert, zeigen sich durch die Hinnahme dieser Bedingungen. Die praktischen Auswirkungen dieser Feigheit sind Sparmaßnahmen auf Kosten der Massen, Arbeitslosigkeit, Beschränkungen politischer und gewerkschaftlicher Tätigkeit, exportorientierte Produktion und – als Folge davon – Hunger.

• Gegen die Strategie, die Schuldenrückzahlung auf einen bestimmten Anteil der Exporte oder des Bruttonationalproduktes zu begrenzen. Gegen ein Moratorium der Auslandsschulden, das tatsächlich nur einen Zahlungsaufschub bedeuten würde. Diese Schuld wurde schon zig-mal durch erpresserische Zinslasten und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Halbkolonien getilgt.

• Die Rückführung aller geleisteten Zahlungen und die Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen. Für die Rückgabe des unbezahlbaren archäologischen Erbes, das Jahre hindurch von den imperialistischen Plünderern gestohlen wurde.

• Die entschädigungslose Nationalisierung der Banken, Finanzhäuser und der bedeutendsten Industrien und die Streichung aller Sonderabkommen und Joint-Ventures zwischen Staatsbetrieben und Finanzkapital.

Das Proletariat muß sowohl dafür kämpfen, den imperialistischen Würgegriff über die Wirtschaft der Halbkolonien zu durchbrechen, als auch den Kampf für nationale Einheit und das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationalitäten führen. In den Jahren 1880, 1919 und 1945 zog der Imperialismus bei seinen Aufteilungen und Wiederaufteilungen der Welt willkürliche Grenzen, die viele Nationalitäten und Völker auseinanderrissen und nationale Minderheiten in den kolonialen und halbkolonialen Ländern schufen. Sofern sich der Nationalismus der sich entwickelnden kolonialen Bourgeoisien in seinen Kämpfen gegen feudale Überreste oder gegen den Imperialismus richtete, hatte er einen relativ fortschrittlichen Inhalt. Dieser Nationalismus verwandelte sich jedoch in eine Waffe gegen unterdrückte nationale Minderheiten, sobald er die politische Macht erlangte (z.B. in der Türkei oder in Burma).

Die halbkoloniale Bourgeoisie ist aber weit davon entfernt, die vielen nationalen Probleme zu Lösen, die durch die imperialistische Teilung der Welt verursacht oder verschärft wurden. Ihre Unfähigkeit, die Nation zu vereinen oder ökonomisch zu entwickeln, führt vielmehr zur Verschärfung der regionalen ökonomischen Unterschiede, zur Reaktivierung alter nationaler Widersprüche und zur Schaffung neuer (beispielsweise in Indien).

Wo immer eine wirkliche nationale Bewegung vorhanden ist, die in Bewußtsein, Sprache, Kultur und einem bestimmten Gebiet verankert ist, muß das Proletariat das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nation unterstützen. Diese Unterstützung ist bedingungslos: Das heißt, daß wir von den Nationalisten nicht verlangen, kommunistische Kampfmethoden anzuwenden, bevor wir sie unterstützen. Genauso wie wir den Zielen der Nationalisten kritisch gegenüberstehen, kritisieren wir ihre Methoden, die den nationalen Kampf häufig auf bewaffnete Aktionen einiger weniger reduzieren. Doch besteht kein Recht auf Eigenstaatlichkeit, wo die Selbstbestimmung auf der nationalen Unterdrückung eines anderen Volkes beruht (Israel, Nordirland).

Das Proletariat ist eine internationalistische Klasse, die auf sozialistischer Grundlage versucht, die Völker und Nationen durch freiwillige Vereinigung und Föderation zu einen. Unser allgemeines Programm sieht weder die Schaffung einer immer größeren Anzahl getrennter Nationalstaaten noch die Zerschlagung großer „multinationaler“ Staaten in ihre Bestandteile als Mittel, solche Länder vom imperialistischen bzw. kapitalistischen Joch zu befreien. Obwohl Kommunisten und Kommunistinnen gegen diese falschen Lösungen auftreten, anerkennen sie, daß sich Revolutionäre und Revolutionärinnen an die Spitze eines Kampfes für die Errichtung eines eigenen Staates stellen müssen, sobald die Forderung von den Massen der Arbeiter und Bauern aufgegriffen wurde und sich dies zum Beispiel in Referenden, bewaffneten Kämpfen der Massen oder einem Bürgerkrieg (wie in Bangladesh) äußert. Kommunisten und Kommunistinnen stellen diese Forderung sowohl in der Unterdrückernation als auch in den nach Abtrennung strebenden Gebieten. Doch sie warnen weiterhin, daß nur die sozialistische Revolution, nicht die Lostrennung, den Massen eine dauerhafte Lösung bieten wird.

Obwohl die Arbeiterklasse die legitimen nationalen Rechte der unterdrückten Nationen verteidigen muß, bedeutet aber deren internationalistische Strategie, daß sie alle nationalistischen Ideologien bekämpft, auch die der unterdrückten Nationen. Solcher Nationalismus gerät unvermeidlich in Widerspruch mit der Entwicklung der Arbeiterklasse zu einer selbstbewußten Kraft, die fähig ist, ihre Klasseninteressen zu verteidigen, und wird daher reaktionär werden. Während wir die Kämpfe für Selbstbestimmung bis hin zur Abtrennung z.B. in Kurdistan, Euskadi, Kashmir oder Tamil Eelam unterstützen, weisen wir gleichzeitig auf den Utopismus des nationalistischen Projekts hin, in diesen Gebieten wirklich unabhängige bürgerliche Staaten aufbauen zu wollen.

Das Proletariat muß gleichzeitig für die Enteignung der Kapitalisten und für die größtmögliche Ausweitung der demokratischen Planung kämpfen. Ein Rückzug hinter noch engere ökonomische Grenzen bietet für die unterdrückten Nationen keine Lösung ihrer ökonomischen Grundbedürfnisse.

Gegenüber der bewußten imperialistischen Politik der „Balkanisierung“, die die Spaltung und Beherrschung der schwachen und instabilen Nationalstaaten zum Ziel hat, propagieren Kommunistinnen und Kommunisten für diese Länder, die durch Sprache, Kultur, Handel usw. geschichtlich verbunden sind, die Alternative einer echten Föderation von sozialistischen Staaten. Solche Übergangslosungen können eine mächtige Mobilisierungskraft auf die Massen haben, so etwa in Lateinamerika, im Nahen Osten oder auf dem indischen Subkontinent, wo sie vom Imperialismus geschaffene Spaltungen und die bürgerlich- und kleinbürgerlich-nationalistischen Vorurteile überwinden können.

Der Kampf gegen Militärdiktatur und Bonapartismus in den Halbkolonien

Vom Imperialismus in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung aufgehalten, sind die Halbkolonien nicht in der Lage gewesen, eine stabile bürgerliche Demokratie aufrechtzuerhalten. Wahlen und Parlamente sind vorübergehend oder generell durch verschiedene Restriktionen im Wahlrecht, durch die Einführung von Lese- und Sprachqualifikationen und durch eine Unzahl von Hindernissen bei der Wählerregistrierung eingeschränkt worden.

Folglich waren verschiedene Arten des Bonapartismus die Norm. Obwohl solche Regimes entschlossene Verteidiger des Kapitalismus gewesen sind, haben sie durch ihre Kontrolle der Armee und des Staatsapparates einen gewissen Grad von Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse erreicht. Sie haben die Kapitalistenklasse von ihrer eigenen politischen Herrschaft ausgeschlossen, ebenso wie sie die ausgebeuteten Klassen im Zaum gehalten oder unterdrückt haben.

Die bonapartistische Herrschaft in den Halbkolonien variierte zwischen „antiimperialistischen“ und proimperialistischen Formen. Die „linke“ Form des Bonapartismus hat oft die Form nationalistischer Offiziersbewegungen angenommen, die aus der kleinbürgerlichen Mittelschicht kamen und den Standpunkt dieser Klasse widerspiegelten. Diese Schicht, die ihre Zukunft durch wirtschaftliche Stagnation, Korruption und die Abhängigkeit ihrer eigenen Bourgeoisie vom Imperialismus zunichte gemacht sieht, hat seit dem zweiten Weltkrieg in zahlreichen Ländern die Macht erlangt – wie z.B. in Argentinien, Peru, Libyen, Ägypten und Burma. Ihre Ideologien haben Elemente vom Stalinismus und gelegentlich vom Faschismus entlehnt und haben typischerweise einen „dritten“ Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus proklamiert. Diese Regimes haben versucht, mit dem Scheitern der wirtschaftlichen Entwicklung fertig zu werden, indem sie die imperialistische Durchdringung einschränkten. Sie haben alles daran gesetzt, eine „unabhängige kapitalistische Entwicklung“ zu fördern, indem sie von Handelsbarrieren, staatskapitalistischer Industrialisierung und Landreformen Gebrauch machten. Sie haben oft einen bösartigen Antikommunismus mit Versuchen verbunden, die Gewerkschaftsbewegung und Bauernorganisationen als eine Stütze für ihre Regimes gegen den imperialistischen Druck von außen und innen heranzuziehen.

Aber nirgendwo haben solche Regimes den Weg zum Sozialismus eröffnet, noch wären sie aufgrund ihres eigentlichen Wesens dazu überhaupt in der Lage. Tatsächlich haben sie den kapitalistischen Staat und die kapitalistische Wirtschaft durch Angriffe auf die Arbeiter und Arbeiterinnen wieder bestärkt und haben weder vor vollständiger Unterdrückung noch vor Massakern haltgemacht.

Im Falle eines ernsthaften Zusammenstoßes zwischen diesen Regimes und dem Imperialismus bzw. seinen reaktionärsten Agenten wäre das Proletariat dazu verpflichtet, an der Seite der nationalistischen und demokratischen militärischen Einheiten zu kämpfen. Aber zu jeder Zeit müßten die Arbeiter und Arbeiterinnen die entschlossenste Klassenunabhängigkeit und die Opposition zu diesen vorübergehenden Verbündungen bewahren. Das Proletariat braucht keine militärischen Retter oder Führer. Es kann nur durch seinen eigenen Aufstand die Macht erlangen, nicht durch Militärcoups.

Es ist der schwerste Fehler, strategische Blöcke mit Teilen der Offiziere zu bilden oder Illusionen in deren Fähigkeit, das Proletariat zu bewaffnen und zu führen, zu säen. Dies führt zu Klassenkollaboration und programmatischen Zugeständnissen und kann nichts anderes, als den Drang des Proletariats schwächen, unabhängige Abeitermilizen einzurichten und die einfachen Soldaten zu organisieren.

Das zwangsläufige Scheitern dieser ökonomischen und politischen Strategie, die wiederholten Zugeständnisse an die Imperialisten und die daraus resultierende Desillusionierung der Massen, ebnen den Weg für den Sturz dieser Regimes und deren Ersetzung durch fügsamere, proimperialistische. Millionen von Arbeitern und Bauern auf der ganzen Welt leiden unter der Herrschaft solcher bösartiger rechts-bonapartistischer Regimes. Diese sind oft entweder aus dem Scheitern des linken Bonapartismus (Indonesien 1965, Argentinien 1955 und Peru 1975) oder, wie in Chile 1973 und Bolivien nach 1971, aus dem Niederschmettern revolutionärer Situationen entstanden. Diese Regimes sind durch ihre Abhängigkeit vom Imperialismus, ihre Versuche, Arbeiter- und Bauernorganisationen zu zerschlagen und ihre Anwendung von Todesschwadronen, Folter und weitreichenden Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet.

Die wiederholte Ausnützung solcher Diktaturen durch die Imperialisten und ihre Agenten bedeutet, daß die Forderung nach politischer Demokratie ein brennendes Anliegen für Millionen von Proletariern und Nicht- Proletariern auf der ganzen Welt von Indonesien bis Paraguay bleibt. Wo immer das Proletariat an der Seite kleinbürgerlicher und bürgerlicher Kräfte für demokratische Rechte kämpft, muß es dies vom Standpunkt seines eigenen strategischen Zieles tun: die Macht der Arbeiterräte. Was es im wesentlichen innerhalb bürgerlicher Demokratie verteidigt, sind seine Kampforganisationen, die der Bourgeoisie abgerungenen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Zugeständnisse und jene Formen der bürgerlichen Demokratie (Parlamente, etc.), welche die Arbeiterklasse als eine Tribüne dafür benützt, die Massen zu mobilisieren und in ihnen zu agitieren. Aber die Macht der Arbeiterräte ist die demokratischste Form der Klassenherrschaft in der Geschichte und ersetzt die demokratische Republik als ein strategisches Ziel in der imperialistischen Epoche.

Trotzdem wir es zurückweisen, die Revolution auf eine besondere demokratische Stufe zu beschränken, können wir nicht – wie die Sektierer – daraus schließen, daß demokratische Losungen unnötig seien. Brutale Diktaturen geben ständig Anlaß zu demokratischen Bestrebungen und zu Illusionen in bürgerlich-demokratische Institutionen. Nur verhärtete Sektierer, welche die Notwendigkeit unterschätzen, sich auf die fortschrittlichen Elemente in den demokratischen Illusionen der Massen zu beziehen, können glauben, daß es möglich sei, das Bewußtsein der Massen zu „überspringen“. Wenn diese Illusionen überwunden werden sollen, ist in der Praxis mehr als nur die Forderung nach Sozialismus nötig.

Dort, wo die herrschenden Klassen versuchen, den Massen die vollen demokratischen Rechte zu verweigern, mobilisieren wir rund um demokratische Losungen, einschließlich jener der souveränen, verfassungsgebenden Versammlung. Wir müssen für einen Wahlablauf kämpfen, in dem es keine vorausgehenden Beschränkungen oder Geheimabkommen gibt, d.h. für einen für die Massen wirklich demokratischen: allgemeines, direktes, geheimes und gleiches Wahlrecht ohne Voraussetzung von Eigentum oder der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Es sollte Publikations- und Versammlungsfreiheit für alle Parteien der Arbeiter und Bauern existieren und von einer bewaffneten Miliz verteidigt werden. Wir müssen auch die proportionale Vertretung aller Parteien in der Versammlung, entsprechend den Stimmen, die sie erhalten haben, fordern, ohne irgendeine Mindestgrenze.

Daß man jedoch die Wichtigkeit solcher Forderungen erkennt, bedeutet nicht, die opportunistischen Methoden der Zentristen anzunehmen, die den Kampf für eine verfassungsgebende Versammlung in eine demokratische Stufe verwandelt haben, durch welche die Massen gehen müssen. Der Zentrismus trotzkistischen Ursprungs (Lambertismus, Morenoismus, das Vereinigte Sektretariat der IV. Internationale) ist immer den Stalinisten oder den kleinbürgerlichen Nationalisten nachgeschwänzelt, indem er die Losung der verfassungsgebenden Versammlung in einer Art verwendet hat, die den Kampf für Arbeiterräte und Arbeitermacht in eine Zeit, nach der eine solche Versammlung gewonnen wurde, verbannte. Gleichzeitig haben die Zentristen Illusionen in das „sozialistische“ Potential gesät, das solche Versammlungen hätten. Die „antiimperialistischen“ linken Bonapartisten haben sich gleichfalls sehr geschickt darin gezeigt. Sei es der Derg in Äthiopien, Mugabes „Einparteienstaat“, Ortegas machtlose „Volkskomitees“ oder Ghadhafis Volkskomitees, diese Organisationen werden in Wahrheit dazu benutzt, den Arbeitern und Bauern ihre Organisationsfreiheit abzuerkennen.

Die verfassungsgebende Versammlung enthält deshalb keinen ihr innewohnenden progressiven Kern. Sie kann nur – und in neunundneunzig von hundert Fällen war sie dies – ein bürgerliches Parlament sein, das damit beauftragt ist, eine Verfassung zu installieren. Schlimmer noch, in halbkolonialen Ländern (Brasilien 1982) und sogar in einigen imperialistischen Ländern (Portugal 1975) wird sie nur unter militärbonapartistischen Beschränkungen ihrer Macht einberufen. Gleichzeitig wird bereits zuvor zwischen den reformistischen Parteien und dem Militär ein Pakt darüber abgeschlossen, wie die Verfassung aussehen soll. Oft haben sich verfassungsgebende Versammlungen als reaktionäre Körperschaften erwiesen, die den revolutionären Organen des Kampfes und der Macht der Arbeiter und Bauern entgegengestellt sind. Dies kann in den Halbkolonien geschehen, wo das enorme Gewicht der Bauernschaft von der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse benützt werden kann. Die Kapitalisten und Kapitalistinnen benützen das gleiche Wahlrecht aller „Bürger“ als Bremse für die Revolution. Deshalb ist es unabdingbar für die verfassungsgebende Versammlung mittels der Schaffung von Räten der Arbeiter, Soldaten und armen Bauern zu kämpfen. Nur dann kann die Versammlung eine Waffe revolutionärer Demokratie und nicht ein Werkzeug des Bonapartismus sein, nur dann kann die Versammlung von den Räten der Arbeiter und armen Bauern beseitigt werden, wenn ihre Rolle erschöpft ist.

Selbst unter verfassungsmäßigen Regimes in den Halbkolonien existieren massive Elemente des Bonapartismus, die regelmäßig gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden: das Präsidentenamt mit seiner Macht, den Ausnahmezustand zu erklären; der Senat, mit seiner Fähigkeit, die Gesetzgebung zu beschränken; die nichtgewählte Richterschaft und vor allem die paramilitärische Polizei und die stehende Armee. Alle diese Ämter und Kräfte reduzieren wiederholt die „Demokratie“ auf eine völlig leere Hülle. Gegen diese Angriffe auf die demokratischen Rechte sollte die Arbeiterklasse die Abschaffung des Präsidentenamt und des Senates und die Schaffung eines Einkammersystems, in dem mindestens alle zwei Jahre gewählt wird und die Wähler und Wählerinnen ihre Abgeordneten abwählen können, in ihr Aktionsprogramm aufnehmen. Dem sollten wir die Forderung nach Auflösung der paramilitärischen Truppen, der Polizei und der stehenden Armee und die Schaffung einer bewaffneten Volksmiliz hinzufügen.

Stalinismus, kleinbürgerlicher Nationalismus und bürgerlich-demokratische Aufgaben

Der Stalinismus ist in all seinen Erscheinungsformen ein unversöhnlicher Gegner der Theorie und Strategie der permanenten Revolution geblieben. Der Triumph des Stalinismus wurde durch die offizielle Annahme der Doktrin vom Sozialismus in einem Land durch die kommunistische Partei der Sowjetunion markiert. Der Gedanke eines nationalen Weges zum Sozialismus entspringt dieser Theorie. In den halbkolonialen und kolonialen Ländern bedeutete dies das Durchlaufen besonderer und getrennter politischer Stadien: zuerst die Etappe des Kampfes für politische Demokratie und unabhängige kapitalistische Entwicklung – im Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie -; danach, wenn der Stand der Produktivkräfte reif für diese Etappe befunden wird, die Entwicklung Richtung Sozialismus. In der imperialistischen Epoche kann diese Strategie nur bedeuten, daß die Stalinisten die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse überall dort leugnen, wo diese in der demokratischen Etappe mit den bürgerlich-nationalen Interessen in Konflikt geraten. Angesichts der Unmöglichkeit einer unabhängigen Industrialisierung hat der Stalinismus nach dem Zweiten Weltkrieg oft jeden Anspruch aufgegeben, daß die zweite Etappe für die Halbkolonien möglich wäre.

Wir schließen nicht aus, daß „Stadien“ im lebendigen Kampf um die Arbeitermacht auftreten können. Aber es können niemals abgeschlossene, auf einer jeweils getrennten Strategie für eine getrennte Periode basierende Stadien sein. Die verschiedenen Aufgaben, bürgerlich- demokratische und proletarische, sind miteinander verknüpft, und zu jedem Zeitpunkt muß offen dafür gekämpft werden, und zwar mit dem einzigen strategischen Ziel der Arbeitermacht. Aber die Arbeiterklasse muß das städtische und ländliche Kleinbürgertum im Kampf um die demokratischen Aufgaben führen. Die ganze Nachkriegsentwicklung beweist, daß die vollständige Erfüllung der noch offenen demokratischen Aufgaben nur unter der Diktatur des Proletariats, das heißt auf Grundlage der Zerstörung des kapitalistischen Privateigentums und seines Systems der Nationalstaaten, erfüllt werden kann.

Der Stalinismus ist so voll auf die „demokratische Etappe“ orientiert, daß er sich sogar mit kleinbürgerlich-nationalistischen Formationen fusioniert, um so besser – wie Trotzki sagte – „die Schlinge um den Hals des Proletariats zuziehen zu können“. Wo auch immer die Arbeiterklasse spontan aus den vom Stalinismus vorgezeichneten Grenzen des revolutionären Prozesses ausgebrochen ist, sind die Stalinisten die eifrigsten Befürworter der Niederschlagung der Arbeiter und Arbeiterinnen und deren Zurückpressung in diese Grenzen gewesen. Die bittere Konsequenz dessen war oft nicht eine Realisierung der demokratischen Etappe, sondern eine blutige Konterrevolution und Diktatur (Indonesien, Chile, Iran).

Der kleinbürgerliche Nationalismus hat im Laufe der imperialistischen Epoche zunehmend unter dem Mantel des „nationalrevolutionären Kampfes“ in der halbkolonialen Ära agiert. Er übernahm im Streben nach nationaler Unabhängigkeit oft revolutionäre Kampfmethoden (Aufstände, Guerillakriegsführung). Bei manchen Gelegenheiten haben kleinbürgerliche Kräfte Methoden des Klassenkampfes (Streiks, Besetzungen, Landnahme), auch wenn sie diese nicht organisiert haben, zugelassen. Nichtsdestotrotz bleibt das angestrebte Ziel des kleinbürgerlichen Nationalismus eine reaktionäre Utopie.

Der Kampf für einen „unabhängigen Kapitalismus“, der sich „soziale Gerechtigkeit“ im Inneren und „Paktungebundenheit“ nach außen zu eigen macht, ist im Zeitalter des Imperialismus eine Illusion. Diese kleinbürgerlichen Parteien – normalerweise von Angehörigen gehobener städtischer Berufe, Mitgliedern der Intelligenz und desillusionierten Söhnen und Töchtern der herrschenden Oligarchien geführt – sind unfähig, mit dem Kapitalismus zu brechen. Nur in Ausnahmesituationen kann es die Hilfe der existierenden stalinistischen Staaten solchen Parteien ermöglichen, den Kapitalismus auf bürokratische Art und Weise zu überwinden. Ein solcher Verlauf hat allerdings nur dann stattgefunden, wenn er ihnen im Konflikt mit dem Imperialismus als einziges Mittel ihres Überlebens aufgezwungen wurde. In diesem Prozeß verschmelzen sie mit stalinistischen Parteien oder verwandeln sich in solche. Dort, wo solche Parteien eine zeitlang regieren, ohne den Kapitalismus zu stürzen (Nicaragua), rauben sie den Arbeitern und Bauern – durch den Versuch, sich mit einer „patriotischen“ Kapitalistenklasse zu versöhnen – die Früchte ihres Kampfes. Das endet unausweichlich mit einer konservativen Konterrevolution innerhalb des Regimes (Ägypten, Algerien, Iran) und mit dem Aufstieg der Bourgeoisie oder dem Sturz der kleinbürgerlichen Regierung durch proimperialistische Kräfte (Guatemala, Grenada).

Die offiziellen kommunistischen pro-Moskau-Parteien haben sich seit ihrer stalinistischen Degeneration nicht nur immer wieder selbst diskreditiert, sondern durch die Unterstützung reaktionärer Diktaturen – im Interesse der diplomatischen Manöver des Kremls – auch den Gedanken einer proletarischen Führung in Mißkredit gebracht. Der bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalismus hat seine Stärke aus diesem Verrat bezogen. Aber als diese Kräfte an der Reihe waren, haben auch sie die Arbeiter und Bauern in die Niederlage geführt. Eine der Folgen ist, daß sich die Massen der Religion zuwenden, um Trost und Anregung für den Kampf zu erhalten. Ideologien, die sich am Beginn des Kapitalismus – angesichts einer emporkommenden Bourgeoisie voller Selbstvertrauen und begleitet von Rationalismus und Säkularismus – auf dem Rückzug befanden, erfahren nun in der reaktionären Epoche des Kapitalismus eine Stärkung.

Religiöse Institutionen spielen im Kampf der Unterdrückten generell eine konterrevolutionäre Rolle. Die meiste Zeit verbreiten sie eine Ideologie der Unterwürfigkeit oder der friedlichen Reform. Aber wenn sie an der Spitze einer Massenrevolte stehen, dann mit dem Ziel, die Massen davon abzuhalten, die kapitalistische Ordnung selbst zu attackieren. Meistens haben sie als führende Kirchenhierarchie agiert, um den Widerstand zu zügeln und die Gehirne der Arbeiter und Bauern zu vernebeln. In gewissen Ländern (z.B. in Zentralamerika) haben Geistliche niedrigen Kirchenranges oder Laienpriester den Bauern und Landarbeitern gelegentlich geholfen, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren, bzw. sie zur Alphabestisierung, politischen Bewußtseinsbildung und Überwindung der Passivität ermuntern. Die reformistischen und klassenversöhnlerischen Anliegen, die dieser Tätigkeit zugrunde lagen, wurden von den Arbeitern und Bauern ihrerseits oft beiseite geschoben; woraufhin sich dieselben Priester und Nonnen gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen stellten. Das schließt natürlich nicht aus, daß individuelle Mitglieder des Klerus – umso mehr die Masse der Gläubigen – in den militanten oder sogar revolutionären Kampf involviert werden. Aber die Aufgabe von Marxistinnen und Marxisten ist es trotzdem, sich entschlossen gegen den Einfluß aller religiösen Ideologien zu stellen.

Im Iran hegemonisierte eine solch reaktionäre Ideologie die Mehrheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten, sogar zu dem Zeitpunkt, als die Massenbewegung den proimperialistischen Schah stürzte. An die Macht gekommen, wurde der volle reaktionäre Inhalt der religiösen Ideologie deutlich: die Verweigerung demokratischer Rechte, die Verfolgung unabhängiger proletarischer Organisationen und die Unterdrückung der Frauen sind Kernbestandteil halbkolonialer kapitalistischer Staaten, die vom religiösen Dogma durchtränkt sind. Hier müssen Revolutionäre und Revolutionärinnen für den Schutz der proletarischen Demokratie gegen religiöse Kasten und für die Trennung von Kirche und Staat kämpfen.

Die antiimperialistische Einheitsfront

Trotz ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus bleibt die halbkoloniale Bourgeoisie eine nationale Klasse, die zu begrenzten Kämpfen gegen den Imperialismus fähig ist. Je mehr der Imperialismus seine Krise offen auf Kosten der herrschenden Klasse der Halbkolonie Löst, desto mehr neigt letztere zu rhetorischem und sogar tatsächlichem Widerstand.

Dies macht die nationale Bourgeoisie oder Teile von ihr keineswegs revolutionär. Aber solange bürgerliche oder kleinbürgerliche Kräfte über einen realen Masseneinfluß im antiimperialistischen Kampf verfügen, ist es notwendig, daß die Arbeiterklasse die Taktik der antiimperialistischen Einheitsfront anwendet. Das betrifft auch taktische Vereinbarungen mit nicht-proletarischen Kräften sowohl auf Führungsebene als auch an der Basis. Solche Absprachen können formale Bündnisse oder Komitees einschließen. Wo dies der Fall ist, sind die grundlegenden Voraussetzungen für die Teilnahme an einem solchen Block, daß die bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräfte tatsächlich einen Kampf gegen den Imperialismus oder seine Agenten führen, daß der politischen Unabhängigkeit der revolutionären Organisation innerhalb dieses Blocks keinerlei Beschränkungen auferlegt werden und daß keine bedeutenden Kräfte, die gegen den Imperialismus kämpfen, bürokratisch ausgeschlossen werden. Es ist sogar möglich, diese Einheitsfront im Rahmen von Basisstrukturen einer Massenorganisation mit Volksfrontcharakter, in der sich getrennte Klassenparteien noch nicht herausgebildet haben, zu bilden. Zentral ist dabei, daß diese Einheit auf die Mobilisierung breitester antiimperialistischer Kräfte für genau definierte gemeinsame Kampfziele, wie die Einführung demokratischer Rechte und die Vertreibung der Imperialisten, gerichtet ist.

Während die Kämpfe der halbkolonialen Bourgeoisie darauf abzielen, ihren eigenen Ausbeutungsradius zu erweitern, droht mit dem Eintritt der Arbeiterklasse in den Kampf, die Ausbeutung überhaupt abgeschafft zu werden. Deshalb gibt es nichts konsequent Antiimperialistisches oder Revolutionäres an der halbkolonialen Bourgeoisie, und es sollte für sie kein Dauerplatz in der antiimperialistischen Einheitsfront reserviert werden. Der Zweck der Aktionen der antiimperialistischen Einheitsfront muß die Unterstützung des Proletariats bei der Mobilisierung der Massen sein, so daß diese die – ihnen von ihren traditionellen Führungen und Organisationen auferlegten – Schranken durchbrechen. Deshalb muß das Proletariat die kühnsten Formen der direkten Massenaktion und Massenorganisation, Streikkomitees, Volksversammlungen, Massenveranstaltungen (cabildos) etc., die die Entwicklung von Arbeiter- und Bauernräten, Arbeitermilizen und Soldatenkomitees fördern, vorantreiben.

Das Proletariat darf „linke“ Regimes nie politisch unterstützen oder an deren Unterdrückung demokratischer Rechte mitwirken. Die Avantgarde der Arbeiterklasse soll, solange demokratische Freiheiten existieren und die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen ein solches Regime noch unterstützt, einen bewaffneten Aufstand gegen diese Regierungen unterlassen. Die einzig mögliche Unterstützung für diese Regimes besteht im gemeinsamen militärischen Vorgehen gegen einen reaktionären Putsch oder gegen eine imperialistische Intervention. Trotzkisten und Trotzkistinnen können demzufolge militärische Aktionen bürgerlicher Regierungen gegen den Imperialismus unterstützen. Aber wir werden zu keinem Zeitpunkt von unserem Kampf zum Sturz und zur Ersetzung dieser Regierung durch eine Arbeiter- und Bauernregierung ablassen.

Die Nationalisten und Reformisten wollen die Aktionsfront gegen den Imperialismus immer in einen strategischen Block zur Erreichung der politischen Macht (also in eine Volksfront) verwandeln. Sie versuchen die antiimperialistischen Kräfte in einer Regierungskoalition, die das Überleben des „nationalen Kapitals“ gegen die sozialistische Revolution garantiert, zusammenzufassen. Revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten kämpfen für die Errichtung von Regierungen, die sich auf Räte und Milizen der Arbeiter und Bauern stützen. Nur eine Regierung des Proletariats, im Bündnis mit der armen Bauernschaft, kann die unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution Lösen. Der Klasseninhalt einer solchen Regierung ist im vorhinein festgelegt. Die Losung lautet: Für eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung! Eine solche Regierung wird nicht, ja kann nicht die Revolution auf eine eigenständige demokratische Etappe beschränken, denn andernfalls wird sie unter dem Druck der Konterrevolution zusammenbrechen. Diese Perspektive befähigte die Bolschewiki, die radikalisierten Bewegungen des Kleinbürgertums, wie die linken Sozialrevolutionäre und die Volksparteien Zentralasiens, auf ihre Seite zu ziehen. Die Gründung eines strategischen Blocks mit diversen linken Kräften ohne dieses Kampfziel wird nur den Weg zur Diktatur des Proletariats versperren. Der Eintritt in eine Regierung oder Regierungskoalition, die die Aufrechterhaltung des Privateigentums und dessen Armee und Staat zur Grundlage hat, ist die höchste Form des Verrats am Proletariat.

Die Arbeiterklasse und die Guerillastrategie

Trotzkistinnen und Trotzkisten stehen in Opposition zur Strategie des Guerillakrieges, gleichgültig, ob in einer „Focus“- oder „Volkskriegsvariante“. Der kleinbürgerliche Guerillaismus widersetzt sich dem Aufbau einer Arbeiterpartei, von Arbeiterräten und der Organisierung des bolschewistischen Aufstandes. Durch ein klassenübergreifendes Programm will er die proletarischen Interessen dem Kleinbürgertum unterordnen. Der Guerillaismus möchte bürokratische Organisationen durchsetzen und die Entwicklung von Arbeiterräten und unabhängigen, demokratischen Arbeitermilizen umgehen. Sogar dort, wo es ihm gelingt, verfaulte Diktaturen wie in Kuba und Nicaragua zu Fall zu bringen, eröffnet er den Weg für eine bonapartistische Lösung. Egal ob die Siege der Guerilla – ausnahmsweise – bürokratische soziale Umstürze oder – wie meist – militärisch-bonapartistische Regime mit sich brachten: Sie waren immer von der Zerschlagung der unabhängigen Organisationen des Proletariats begleitet.

Hinter ihrer ultralinken Phraseologie und Methode versteckt sich in der Tat ein starkes Mißtrauen in die Arbeiterklasse und eine Neigung zu Abkommen mit Teilen der Bourgeoisie. Diese Politik beinhaltet, daß die politische Führung der städtischen Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum überlassen wird. Insoweit der Guerillaismus eine Massenbasis für seine Aktionen (wie im „Volkskrieg“) sucht, ordnet er die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse dem Kleinbürgertum unter. In diesem Sinne hat der Guerillaismus als Strategie immer die Tendenz, eine bewaffnete Volksfront zu verkörpern.

Der Guerillaismus entwertet den politischen und ökonomischen Kampf zu Gunsten gelegentlicher und oft willkürlicher militärischer Aktionen. Der individuelle Terror, die Zerstörung von Fabriken (Zentren der proletarischen Konzentration) und spektakuläre Militäraktionen sind Methoden, die der Strategie der Arbeiterklasse entgegengesetzt sind. Entgegen dem Marx’schen Postulat, daß die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein könne, glaubt der Guerillaismus, daß die Befreiung das Werk außenstehender Retter sein wird. Durch ihre undemokratische und elitäre Haltung gegenüber den Massen, die sie zu vertreten vorgeben, können Guerillaführer diese angesichts überlegener staatlicher Militärkräfte und Wachmannschaften häufig schutzlos zurücklassen. Das Abziehen der furchtlosesten und kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeiter von den Fabriken, den Stadtzentren, den dicht besiedelten ländlichen Gebiet bedeutet, daß den Arbeiter- und Bauernorganisationen ihre Kader und Führer entzogen werden. Wie im Fall von ‚Sendero Luminoso‘ in Peru können Guerilleros auch die Arbeiterorganisationen selbst angreifen .

Für Trotzkistinnen und Trotzkisten ist der Guerilla-Kampf aber eine Taktik, die im antiimperialistischen Kampf angewendet werden kann. Wir lehnen die militärische Einheitsfront mit Guerilla-Armeen nicht ab, weder in der Form von eigenen Bataillonen noch in der Form von kommunistischer Zellenarbeit innerhalb von bürgerlich oder stalinistisch geführten Armeen. Das Ziel dieser militärischen Einheitsfront ist jedoch die Vorbereitung einer weitverzweigten und unabhängigen Bewaffnung der Arbeiterklasse und der armen Bauern. Über diesen Weg kämpfen Kommunistinnen und Kommunisten darum, die Guerilla-Armeen und deren politische Apparate zu zwingen, die Plantagenbesitzungen zu enteignen, die Landbesetzungen zu unterstützen und die Unabhängigkeit der Arbeiter- und Bauernräte und deren Milizen anzuerkennen.

Das bleibt jedoch eine untergeordnete Taktik gegenüber einer Strategie, deren zentrale Vorkämpferin die Arbeiterklasse selbst ist. Das Programm der permanenten Revolution ordnet jede militärische Aktion den politischen Notwendigkeiten unter, die vom vorhandenen Niveau des Klassenkampfes und dem revolutionären Bewußtsein der Arbeiter und der armen Bauern bestimmt werden. Eine breite militärische Aktion der bewaffneten Miliz in Stadt und Land sollte im allgemeinen nur dann unternommen werden, wenn eine Doppelmacht besteht und eine weitreichende Arbeiterkontrolle die Organisierung des Aufstandes zur unmittelbaren Notwendigkeit macht. Wir lehnen alle breiten Militäraktionen mit ausdrücklich nicht-defensivem Charakter kategorisch ab, die die Massen politisch passiv lassen. Unter allen Umständen hat die Arbeiterklasse ihre Unabhängigkeit und ihre Opposition gegenüber dem Guerillaismus zu behaupten. Sie muß alle Aktionen, die ihren Perspektiven entgegengesetzt sind, kritisieren und in extremen Fällen verurteilen.

In den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kleinbürgerlichen Guerillaarmeen und dem bürgerlichen Staat verteidigen wir sie immer gegen die staatliche Repression. Wir sprechen dem Staat das Recht ab, diejenigen zu verurteilen, die gegen ihn kämpfen. Wir kämpfen für die Anerkennung des Kriegsgefangenenstatus der gefangengenommenen Guerilleros und für deren Befreiung. Wenn Guerilleros Arbeiterorganisationen angreifen, rufen wir zu deren Verteidigung nicht um die Hilfe des kapitalistischen Staates. Wir verlangen, daß die Arbeiterbewegung selbst, in Versammlungen und in den Gewerkschaften, ein Urteil ausspricht, indem die Arbeiter und Bauern eigene Verteidigungskommandos gegen diese Guerilla-Angriffe organisieren. Wir weichen vor der unvermeidlichen militärischen Konfrontation mit den bürgerlichen und stalinistischen Kommandeuren nicht zurück, die das Ergebnis voneinander abweichender Programme des Proletariats und des Kleinbürgertums ist.




Gegen die kapitalistische Restauration! Für die proletarische politische Revolution!

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 5, Neufassung angenommen am 3. Kongress der LRKI, Sommer 1994

Trotz der schon fast ein halbes Jahrhundert alten Rivalität zwischen UdSSR und USA fungierte die Sowjetunion als eine der beiden Zentralsäulen der imperialistischen Weltordnung.

Von 1945 bis 1991 haben sich der Kreml, seine Satelliten und tatsächlich auch seine stalinistischen Nebenbuhler als Agenten zur Verhinderung und Ablenkung der Entwicklung einer weltrevolutionären Woge betätigt, die in der Lage gewesen wäre, den Imperialismus zu isolieren und schließlich zu besiegen. Die begrenzten Kriege mit dem Imperialismus in Korea und Vietnam, die logistische Unterstützung für verschiedene nationale Befreiungskämpfe durch stalinistische Staaten und insbesondere der Sturz des Kapitalismus von China bis Kuba durch stalinistische Parteien verbargen die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus vor Millionen Menschen. Heute erscheint der Zusammenbruch der UdSSR vielen, die weltweit gegen Imperialismus und Kapitalismus kämpfen, als eine absolute Katastrophe.

Der Kollaps der UdSSR und anderer degenerierter Arbeiterstaaten stellt einen enormen materiellen und moralischen Sieg für den Imperialismus dar. Aber der Sieg ist voller Widersprüche. Ihm wohnt nicht nur die Fast-Vernichtung der historischen ökonomischen Errungenschaft der Oktoberrevolution inne, sondern auch die Zerstörung einer konterrevolutionären Agentur des Imperialismus in den Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf dem Erdball. Die konterrevolutionären Konsequenzen des imperialistischen Sieges sind unmittelbar und augenfällig. Im kommenden Jahrzehnt aber wird er sich gnadenlos als Pyrrhussieg erweisen. Die Krise, die wir gerade im Prozeß der Restauration des Kapitalismus erfahren, trägt stark zur Vertiefung der allgemeinen Krisenperiode bei, die das Ende des 20.Jahrhunderts charakterisiert.

Nach 1945 stieg das Ansehen des Kreml durch seinen Sieg über den deutschen Imperialismus und seine darauffolgende territoriale Ausweitung nach Ost- und Zentraleuropa enorm an. Die wesentliche Rolle der Planwirtschaft – einer Schlüsselerrungenschaft der Oktoberrevolution – beim Erringen des Sieges der UdSSR als auch beim Überleben und Wiederaufbau nach dem Krieg waren die materiellen Vorbedingungen für die Schaffung einer Reihe von neuen degenerierten Arbeiterstaaten, von politischen und ökonomischen Abbildern der Sowjetunion. Die bloße Existenz der UdSSR und die Verteidigungsmanöver der stalinistischen Bürokratie gegen den Imperialismus in der ersten Periode des Kalten Krieges führten zur Niederlage und zum Sturz einer Reihe von geschwächten Kapitalistenklassen in Osteuropa und später in der kolonialen und halbkolonialen Welt.

Dieser Sturz des Kapitalismus wurde entweder herbeigeführt durch die Agentur der Sowjet-Streitkräfte oder durch stalinistische Parteien bzw. Guerrillatruppen unter ihrer Führung. Im Fall Kubas assimilierte sich eine kleinbürgerlich nationalistische Bewegung an den Stalinismus und verwandelte die Insel in einen degenerierten Arbeiterstaat. Unter stalinistischer Kontrolle führten diese Siege über den Kapitalismus nicht in einer internationalen Ausbreitung der proletarischen Revolution, sondern vielmehr zur Etablierung eines relativ stabilen Kräftegleichgewichts zwischen UdSSR und Imperialismus. Die stalinistischen Parteien waren der Garant dafür, daß alle Elemente unabhängiger Arbeiterklassenorganisierung noch vor der Zerstörung des Kapitalismus liquidiert wurden. Für das Weltproletariat waren die Konsequenzen der sozialen Umbrüche im gesamten konterrevolutionär.

Tempo und Umstände dieser bürokratischen gesellschaftlichen Umwälzungen variierten notwendigerweise, doch trugen sie eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen: Jedesmal kamen stalinistische Parteien oder proto-stalinistische nationale Befreiungsbewegungen an die Führung mächtiger Streitkräfte im Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Die Waffenträger des bürgerlichen Staates wurden besiegt und durch die stalinistischen Kräfte aufgelöst. Die Bourgeoisie wurde ihrer politischen Macht völlig oder größtenteils beraubt.

Nach der Machtübernahme schritten die Stalinisten zur Zerschlagung aller unabhängiger Arbeiterorganisationen und verhinderten die Bildung von gesunden Arbeiterstaaten, die auf Arbeiterdemokratie fußen. Damit sicherten sie die Etablierung politischer Regimes, die mit der bürokratischen Tyrannei Stalins in der UdSSR ident waren.

Trotz weitreichender Nationalisierungen der Industrie und Enteignungen des halbfeudalen Grundbesitzes fand ursprünglich keine systematische Enteignung der gesamten Bourgeoisie statt. Getreu ihrem konterre volutionären Etappenprogramm hegten die Stalinisten ursprünglich nicht die Absicht, den Kapitalismus zu stürzen, sondern gedachten ihn über die offene oder versteckte Volksfront – einem Bündnis mit der nationalen oder lokalen Bourgeoisie – und durch den Versuch, Bündnisse mit den imperialistischen Mächten aufrecht zu halten. Die ‚Volksdemokratien‘ waren keineswegs als ’sozialistische‘ Staaten angelegt.

Während dieser Phase verhinderten die Stalinisten aktiv jeden Versuch der Arbeiterklasse selbst, der tatsächlich daniederliegenden Bourgeoisie die Macht zu entreißen. In Osteuropa liquidierten die sowjetischen Besatzungsbehörden systematisch die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse und wirklich alle unabhängigen politischen Parteien, Gewerkschaften Fabrikkomitees oder sowjetähnlichen Organe. Sie verteidigten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und versuchten sie andererseits durch Nationalisierungen, gemischte Unternehmen usw. für den Wiederaufbau der Sowjetwirtschaft auszunützen.

Die Armee des bürgerlichen Staates wurde von den stalinistischen Kräften besiegt und zerschlagen. Dennoch waren die Folgestaaten ursprünglich keine Arbeiterstaaten. Es lag in der Absicht des Stalinismus, weiter die Existenz des Kapitalismus zu bewahren und das taten sie auch. Stalins Ziel war die absolute Unterordnung dieser Staaten unter die UdSSR und sie als Pufferzone oder eine Art Verteidigungsglacis zu verwenden. Die stalinistische Bürokratie führte vorbeugend eine bürokratische Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft durch und erstickte die heraufziehende revolutionäre Situation, die der Zusammenbruch der Nazi-Macht schuf. Hierbei konnten sich die Stalinisten der aktiven Assistenz der einheimischen Bourgeoisie und der imperialistischen Mächte gewiß sein. Auf die Art etablierte sich eine Form von Doppelmacht, wobei der bewaffnete Arm der Stalinisten die der Bourgeoisie ersetzte.

Diese Situation war nicht von langer Dauer und konnte es auch nicht sein. Die Brechung der revolutionären Nachkriegswelle und die Zerschlagung jeglicher unabhängiger proletarischer Klassenkräfte durch die Stalinisten mußte den Imperialismus und die verbliebenen bürgerlichen Kräfte in Osteuropa zur neuerlichen Offensive ermuntern. Der fortwährende Druck der stalinistischen Verbände auf dem Balkan (ohne Stalins Billigung) und die Unfähigkeit des britischen Imperialismus, sie ohne Beistand zu bekämpfen, lieferte der neuen US-Administration einen Vorwand für eine ökonomische und militärische Kampagne zur Stärkung der bürgerlichen Staaten des Kontinents.

Truman setzte den Marshall-Plan als Zuckerbrot und die Rückkehr großer US-Truppenteile als Peitsche ein, um jeden weiteren Erfolg der Stalinisten zu verhindern und eine Gegenoffensive in Mittel- und Osteuropa zu begünstigen. Aber die ersten Versuche der lokalen bürgerlichen Kräfte Osteuropas, die Widersprüche von Doppelmacht und Volksfrontregierungen zu nutzen, um Druck auf die Stalinisten zu machen, die Marshall-Hilfe anzunehmen oder ihren Zugriff auf die Armee zu lockern, rief einen Defensivreflex hervor, der sich fatal auf das Schicksal des Kapitalismus in Osteuropa auswirkte.

Nun nutzten die Stalinisten ihre Kontrolle über den staatlichen Unterdrückungsapparat und beseitigten die Gefahr von Imperialismus und dessen einheimischen bürgerlichen Agenten. Sie warfen die bürgerlichen Vertreter aus der Regierung und enteigneten die ganze Kapitalistenklasse. Die stalinistischenÜbergangsregierungen, die die bürokratischen Gesellschaftsumwandlungen dürchführten, können am besten als „bürokratisch-antikapitalistische“ Varianten der „Arbeiterregierung“-Kategorie bezeichtnet werden, wie sie von der Komintern beschrieben wurden. Durch eine Anzahl bürokratischer und militärischer Maßnahmen wurde das kapitalistische System entwurzelt. Industrie und Land wurden nationalisiert und ein System bürokratischer Befehlsplanung nach dem Vorbild der UdSSR wurde eingeführt.

Diese bürokratische Umwälzung zerstörte den Kapitalismus, mündete aber nicht in der Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates, weil die Arbeiterklasse als unabhängige und bewußte Kraft von der Revolution der Eigentumsverhältnisse ausgeschlossen wurde. Für wirklich revolutionäre Kommunisten (Trotzkisten) sind das Bewußtsein, die Kampfkraft und die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selbst entscheidend für die Durchführung der echten proletarischen Revolutionen. Hätte es die Möglichkeit gegeben, so wären begrenzte Einheitsfronten der revolutionären proletarischen Kräfte mit den stalinistischen Parteien und Regimen im Verlauf der bürokratischen Revolutionen erlaubt gewesen. Doch das strategische Ziel von Trotzkisten hätte die Brechung der stalinistischen Kontrolle über die Zerstörung des Kapitalismus, der Kampf für echte Organe der Arbeiterdemokratie und die Erzwingung des Abzugs der Roten Armee aus Osteuropa sein müssen. Nur so hätte der Weg zum sozialistischen Übergang geöffnet werden können, anstatt von Beginn an blockiert zu sein.

Die bürokratische Sozialrevolution war trotz der Enteignung der Produktionsmittel der Bourgeoisie in der Essenz ein konterrevolutionärer Akt. Sie spielte sich gegen den Rhythmus und Strom des Klassenkampfs ab. Sie konnte nur stattfinden, weil Arbeiterklasse und Bourgeoisie zuvor entwaffnet worden waren und die Staatsgewalt in Händen der Stalinisten lag. Nichtsdestotrotz bedeutete die Enteignung der gesamten Kapitalistenklasse und die Unterdrückung der Wirkweise des Wertgesetzes, daß der Staat proletarische Eigentumsverhältnisse verteidigte, obschon von einer totalitären Bürokratie kontrolliert. So waren diese Staaten wie die UdSSR, von deren Agenten sie direkt oder indirekt geschaffen worden waren, degenerierte Arbeiterstaaten. Im Gegensatz zur UdSSR waren sie nie gesunde Arbeiterstaaten, gestützt auf die Macht von Arbeiterräten. Sie hatten keinen Degenerationsprozeß aus einem einstmals gesunden Arbeiterstaat durchlaufen – sie waren von Beginn an degeneriert.

Während der Etablierungsphase dieser Staaten verhinderten die stalinistischen Regierungen unabhängige Arbeitermobilisierungen. Diese hätten den Schwung des Siegs über die Bourgeoisie ausnützen können, um die politische Diktatur und die schmarotzerhaften Privilegien der Stalinisten anzugreifen und damit eine politisch revolutionäre Krise heraufzubeschwören, in der die Staatsmacht der Arbeiterräte als Alternative zur totalitären Diktatur aufgeworfen worden wäre. Die Umstürze wurden von den stalinistischen Kräften durchgeführt als Schutzreaktion gegen den Imperialismus und als vorbeugende Maßnahme gegen eine proletarische soziale Revolution. So gesehen waren die bürokratischen sozialen Umwälzungen zugleich politische Konterrevolutionen gegen das Proletariat. Ihr Ergebnis war die Blockade des Übergangs zum Sozialismus, der Versuch, die reaktionäre Utopie vom ‚Sozialismus in einem Land‘ anstelle einer internationalen Revolution zu verwirklichen. Dies war konterrevolutionär vom Standpunkt der historischen und strategischen Ziele des Proletariats.

In Kuba spielte die Bewegung des 26.Juli um die Caudillofigur F. Castro die Schlüsselrolle in einem im wesentlichen ähnlichen, bürokratischen Sturz des Kapitalismus. Sie war eine Volksfront mit bürgerlich nationalistischem und linksstalinistischem Flügel. Auf dem Weg zur Macht und im ersten Regierungsstadium blieben ihre allgemeine Taktik und Programm die eines kleinbürgerlich revolutionären Nationalismus. Die unerbitterliche Feindschaft der USA gegenüber ihrem Sieg und ihren Angriffen auf US-Investitionen in Kuba leiteten Mitte 1960 eine Gegenoffensive der kubanischen Bourgeoisie ein. Dies zwang Castro an die Seite der Linksstalinisten in der Bewegung, zum Versuch, sich mit der kubanischen kommunistischen Partei zu verbünden und später zu verschmelzen und massive Wirtschafts- und Militärhilfe von der Kremlbürokratie zu erhalten. Diese unterstützte die Entwicklung aus ihren eigenen militärstrategischen Erwägungen (Stationierung von Nuklearraketen) als auch um ihren ideologischen Einfluß in der Dritten Welt auszudehnen. Von Mitte 1960 bis Anfang 1962 enteignete eine bürokratisch-antikapitalistische Arbeiterregierung die einheimisch-kubanische Bourgeoisie und die imperialistischen Liegenschaften, institutionalisierte einen bürokratischen Plan und errichtete einen degenerierten Arbeiterstaat.

Obwohl die degenerierten Arbeiterstaaten den konterrevolutionären Charakter der UdSSR tragen, sind sie nicht in gleicher Weise entstanden. In der UdSSR wuchsen die anfänglichen bürokratischen Deformationen in einem gesunden Arbeiterstaat, bis ein qualitativer Sprung, der Sowjet-Thermidor (politische Konterrevolution), den Staat in einen degenerierten Arbeiterstaat umwandelte. Die anderen Staaten wurden demgegenüber als Duplikate der UdSSR gebildet, sie waren von Beginn an degeneriert. Das Programm der politischen Revolution, wie es von trotzki als die einzige proletarische Strategie gegen die bürokratische Diktatur Stalins entwickelt worden war, war demzufolge auf diese Staaten schon seit ihrer Errichtung anwendbar. Wie in der UdSSR haben die Bürokratien dieser Staaten beständig und überall im Sinne einer Zurückhaltung und Ablenkung von antikapitalistischen und antiimperialistischen Kämpfen gehandelt. Ihr strategisches Ziel war die friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus.

Der Stalinismus engte die Planwirtschaft auf die jeweiligen Landesgrenzen ein. Er verhinderte aktiv die Ausbreitung der proletarischen Revolution auf wirtschaftlich entwickeltere Regionen. Er schnitt die Ökonomien der degenerierten Arbeiterstaaten von den Vorteilen eines Zugangs zur höchsten Konzentration an Produktionsmitteln und von der Integration in die internationale Arbeitsteilung ab. Das Außenhandelsmonopol gewährt einen unverzichtbaren Schutz für den Arbeiterstaat gegen Konkurrenz durch billigere kapitalistische Güter. Aber das Ziel dieses Monopols ist nicht, alle agrarischen und industriellen Sektoren innerhalb der Grenzen eines jeden Arbeiterstaats einzurichten, die es im Rest der Welt gibt. Dieser Weg erwies sich als utopisch (z.B. Nordkorea und Albanien) und führte zu unnötigen und unnützen Opfern, die von der Arbeiterklasse in diesen Ländern mit einer Planwirtschaft erbracht wurden. Nur die Ausbreitung der sozialen Revolution in die Metropolen des Weltkapitalismus wird einen entscheidenden Durchbruch zum Aufbau des Sozialismus und einer globalen Planwirtschaft bringen. Das beschränkte, nationalistische Programm des „Sozialismus in einem Land“ ließ die Entwicklung der Produktivkräfte zurückbleiben – zuerst relativ, doch schließlich absolut.

Gerade die Unterdrückung der Arbeiterdemokratie sorgte dafür, daß der Plan der stalinistischen Bürokratie schlecht informiert war und die Bedürfnisse der Gesellschaft und der tatsächlichen Wirtschaft ignorierte. Die bürokratische Planung erzielte in den ersten Jahrzehnten einige Erfolge, als sie v.a. eine Angelegenheit der industriellen Ausweitung war. Zunehmend aber überstiegen Innovation und ständige technologische Erneuerung die Fähigkeiten bürokratischer Planung. Die herrschende Kaste hatte den dynamischen Quell der Konkurrenz abgeschafft und war zugleich unfähig und nicht bereit, die unmittelbaren Produzenten mit ihrem schöpferischen Eigeninteresse am Planungsprozeß teilnehmen zu lassen. Das Ergebnis war ein unvermeidbarer Fall der Arbeitsproduktivität und ein weiteres verheerendes Zurückbleiben hinter dem imperialistischen Kapitalismus.

Die Bürokratien verstanden es, wirtschaftliche Ressourcen für den eigenen üppigen Konsumbedarf und zur Absicherung ihrer Tyrannei einzusetzen. Je weiter Produktions- und Verteilungssektoren von diesen Prioritäten entfernt waren, desto mehr wurden Mängel und schlechtere Warenqualität zur Norm. Der Militär- und Verteidigungssektor einschließlich des riesigen Polizeiapparates genossen absoluten Vorrang, was Ausgaben anbelangte, und arbeiteten relativ effizient. Aber betreffs der Konsumbedürfnisse der Massen erwiesen sich die bürokratischen Planmechanismen als unfähig, hochwertige und massenhafte Güter herzustellen, die Arbeit zuhause oder in der Produktion zu erleichtern oder zu verkürzen und das Ausmaß und die Qualität der Freizeit zu steigern. Nach erstaunlichen Anfangserfolgen in Erziehung und Wohlfahrt wurden selbst sie Opfer der Stagnation bürokratischer Planung. Die Erfahrung von Versagen und Niedergang untergrub letztenendes national wie international selbst die Idee der ‚geplanten‘ Produktion im Bewußtsein der Arbeiterklasse. Die bürgerliche Propaganda konnte immer erfolgreicher die ‚Lehre‘ verbreiten, daß dies das notwendige Resultat aller Versuche, eine Wirtschaft zu planen, sei.

Aber die stalinistische Bürokratie war und ist kein Ausdruck der Planlogik selbst. Effektive Planung setzt die Kontrolle über die Produktion durch den zentralisierten und bewußten Willen der Produzenten selber voraus. Die Ziele der stalinistischen Kommandoplanung wurden durch einen winzigen Kern von Planern abgesteckt, die ihnen wiederum von einer bonapartistischen Clique von Spitzenbürokraten vorgeschrieben wurden. Die Wirkweise des Plans wurde wiederholt aus dem Gleichgewicht gebracht und unterbrochen durch rivalisierende Schichten von Partei und Wirtschaftsbürokratie. Die atomisierten und entfremdeten Arbeitskräfte, die weder über die Planziele entschieden noch sie verstanden, traten der Produktion zusehends mit Apathie entgegen. Eine chronische Stagnation steuerte in den 1980er Jahren auf eine kritische Lage zu und stürzte die herrschenden Bürokratien in immer tiefere politische Krisen.

Von Moskau bis Peking, von Belgrad bis Hanoi war die herrschende Kaste in einander befehdende Fraktionen gespalten. Alle Versuche, ihr System durch Beimengungen von ‚Marktelementen‘ und den sogenannten Marktsozialismus wiederzubeleben, waren zum Scheitern verurteilt; diese Maßnahmen zerrissen und desorganisierten den bürokratischen Plan, ohne ihn durch eine wirklich kapitalisische Ökonomie zu ersetzen, zunächst in Ungarn und Jugoslawien, am spektakulärsten dann unter Gorbatschow in der UdSSR. Die Zersetzung und der Zusammenbruch der Produktion, ein blühender Schwarzmarkt und Korruption, gigantische Budgetdefizite und Unternehmensbankrotte, aufgeschoben nur durch Hyperinflation, markieren die schreckliche und letzte Todesagonie der bürokratischen Planwirtschaft.

Für die Arbeiterklasse ist der Zweck der postkapitalistischen Eigentumsverhältnisse der Übergang zu einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Sie ermöglichen die Planung der Produktion nach menschlichen Bedürfnissen, das Ende von Unterdrückung und die fortschreitende Beseitigung von Ungleichheiten. Dies zu erreichen erfordert die aktive und bewußte Teilnahme der Arbeiter als Produzenten und Konsumenten. Planung erfordert die Souveränität der unmittelbaren Produzenten, die – erstmals in der Geschichte – ein eigenes unmittelbares Interesse sowohl an der Entwicklung der Produktivkräfte als auch an deren schöpferischer Anwendung haben.

Arbeiterstaaten müssen einen Weg zunehmender ökonomischer Integration und gemeinsamer Planung einschlagen, um von der internationalen Arbeitsteilung, die selbst für eine sozialistische Ökonomie notwendig ist, den effektivsten Gebrauch zu machen. Die stalinistischen Bürokratien waren nicht fähig, diese Vorteile zu nutzen. Der erste Schritt eines gesunden Arbeiterstaats in diese Richtung würde die Errichtung von gemeinsamen Planungseinrichtungen für wichtige Branchen und gemeinsame Pläne für eine Gruppe von Staaten verbunden mit einer gemeinsamen Währung. Ein solches System kann nur durch die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selber, die ihre Ziele bewußt verfolgt, ins Werk gesetzt werden. Obwohl sich die bürokratische Planung überall im Todeskampf befindet, hat der Kapitalismus des ausgehenden 20.Jahrhunderts keine Fähhigkeit gezeigt, schnell einzuspringen und den Restaurationsprozeß zu finanzieren. Eine ausgedehnte Krisenperiode, in der das todgeweihte, seiner zentralen Schaltstelle beraubte Plansystem den endgültigen Triumph des Wertgesetzes behindert, eröffnet der Arbeiterklasse die Möglichkeit, die Illusionen in den Markt abzustreifen und das Programm des demokratischen Plans und der Rätedemokratie wiederzuentdecken.

Die stalinistischen Bürokratien sind historisch illegitime Kasten ohne Anrecht auf Privilegien. Von ihrer Entstehung an neigten sie zur Herausbildung von Fraktionen und Flügeln als Antwort auf den langfristigen Druck seitens des Imperialismus und der Arbeiterklasse. In UdSSR, Ungarn, Jugoslawien und China entwickelten sich Fraktionen, die allmählich dominanter wurden, und den Plan insgesamt demontieren und Preise, Löhne und Produktion durch ‚Marktmechanismen‘ bestimmen lassen wollten. Sie versuchten, den Soziallohn in Form der subventionierten Lebensmittel, Sozialdienste und Annehmlichkeiten, die den Arbeitern als Ergebnis der Beseitigung des Kapitalismus zugute kamen, abzuschaffen.

Diese Anwälte der Dezentralisierung, des freien Marktes und der Öffnung ihrer Ökonomien für die imperialistischen multinationalen Konzerne legten eine immer offener restaurationistische Haltung an den Tag und verzweifelten nicht nur an der bürokratischen Zentralplanung, sondern auch an der Fähigkeit ihrer Kaste, sich an der Macht zu halten.

Diese Fraktion war mit der Direktorenschicht eng verwoben und erhoffte sich eine Etablierung als direkte Agenten, wenn nicht gar Mitglieder einer neuen Kapitalistenklasse. Solche bewußten Restaurationisten waren, wie die Ereignisse in der UdSSR nach 1990-1991 zeigten, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit imstande, ihr stalinistisches Hemd gegen sozialdemokratische, liberale, christdemokratische oder protofaschistische Farben einzutauschen.

In den späten 30er Jahren erwartete Trotzki, ein kleiner revolutionärer Kern würde aus den Reihen der Bürokratie kommen und sich mit der Arbeiterklasse in einer politischen Revolution verbünden. Er traute dieser Fraktion aber keine unabhängige geschweige denn führende Rolle in der Revolution zu. Fünfzig Jahre später in der Todeskrise des Stalinismus ist diese Fraktion nicht aufgetaucht; ihr Entstehen war und ist auch nicht zwingend.

1938 konnte Trotzki auf Ignaz Reiß verweisen, der 1937 vom KGB zur 4. Internationale gestoßen war. Für Trotzki repräsentierte Reiß einen solche Flügel der Bürokratie. Als anderes Extrem konnte er Fjodor Butenko als Repräsentanten des faschistisch-restaurationistischen Flügel der Bürokratie anführen, einen Sowjetdiplomaten bei der Botschaft in Rumänien, der 1938 zu Mussolini überlief. Trotzki sah bei der Mehrheit der Bürokratie unter Stalin den Versuch, durch immer wildere totalitäre Maßnahmen einer Zerschmetterung durch Restauration oder proletarische politische Revolution zu entgehen. Während sich Stalin seiner Einschätzung nach immer näher auf das restaurative Lager (in seiner faschistischen Form) zubewegte, schloß Trotzki nicht aus, daß Stalin und seine Fraktion einem offen restaurationistischen Angriff widerstehen könnten, Unter solchen Bedingungen sah Trotzki eine Notwendigkeit für revolutionäre Kommunisten, eine beschränkte militärische Einheitsfront zur Verteidigung der UdSSR zu bilden.

Die letztgenannte Perspektive erwies sich als richtig. Nach Trotzkis Ermordung wurde die defensive Einheitsfront zur Notwendigkeit, als der deutsche Inperialismus im Zweiten Weltkrieg in der UdSSR einmarschierte.

Durch den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg wurde die Todesagonie des Stalinismus um 40 Jahre hinausgeschoben. Die fraktionellen Konstellationen in der Kremlbürokratie und den anderen Arbeiterstaaten änderten sich in dieser Periode von Grund auf.

Der Triumph der imperialistischen Demokratien im Krieg und die nach dem Krieg stattfindende, drei Jahrzehnte andauernde Ausdehnung der Produktivkräfte hauchte dem liberalen freien Marktkapitalismus neues Leben ein. Dies übte wiederum einen veränderten Druck auf die Bürokratien der UdSSR und der neuen degenerierten Arbeiterstaaten aus. Das Verstreichen vieler Jahre und die Zerstörung der revolutionären Generation 1917-1923, die revolutionäre Führungskrise und die Zerstörung von Trotzkis 4. Internatio nale Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre trugen zum Verschwinden der „Reiß-Fraktion“ bei. Nur eine teifgehende Entwicklung von unabhängigen Klassenorganisationen in einer revolutionären Krise und das Wiedererstehen einer bedeutenden internationalen revolutionären Kraft könnten zum Wiederauftauchen eines solchen Flügels in der Bürokratie führen, aber eine solche Entwicklung ist nicht, und war es auch für Trotzki nicht, ein wesentlicher Bestandteil von Perspektiven oder Programm der politischen Revolution.

Die mehrheitliche Fraktion der Bürokratie in der Todeskrise des Stalinismus nach 1985 wurde vom marktsozialistischen Flügel gestellt. Zur gleichen Zeit wurden offen restaurationistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Bürokratie immer stärker. Gorbatschow, der Elemente des Bucharinismus wiederholte, strebte nicht die Restauration des Kapitalismus an. Vielmehr versuchte er am Beginn, die Marktmechanismen zu benutzen, um die Diktatur der Bürokratenkaste auf der Grundlage der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse abzustützen. Aber seine Maßnahmen und die Allianz mit offen restaurationistischen Kräften zerbrachen letztenendes die bürokratische Diktatur und schuf eine Doppelmachtsituation mit der alten Bürokratie. In den letzten beiden Jahren war Gorbatschow gezwungen, sich immer mehr über die gespaltenen Lager zu erheben und einer schwachen Form von Bonapartismus Raum zu geben. Da er nur über ein utopisches, undurchführbares wirtschaftliches und politisches Programm verfügte, wand sich Gorbatschows Bonapartismus zwischen den beiden Lagern und verwendete die Stärke des einen Lagers, um den Druck des anderen aushalten zu können.

Schließlich begingen die Spitzen der KPdSU-Parteibürokratie und der inneren Sicherheit im August 1991 einen mißlungenen Putschversuch, um den Aufstieg der offen pro-imperialistischen und zur Auflösung der UdSSR bereiten Kompradorenkräfte unter Jelzin zu vereiteln. Der fehlgeschlagene Putsch enthüllte deutlich den Mangel an einer soliden sozialen Basis für die konservative Bürokratie in der Bevölkerung, aber ebenso einen mangelnden Glauben an die eigene Mission auf Seiten der Hardliner in der Bürokratie. Als Folge dieses Fehlschlags beerbte Jelzin die Gorbatschowsche Exekutiv- und Präsidialmaschinerie, stärkte deren Macht und benutzte sie im Dienst einer restaurativen Wirtschaftspolitik mit Blitzschocktherapie. Aber das Scheitern des Putschversuches und Jelzins Übernahme der Exekutive lösten die Doppelmacht zwischen den rivalisierenden Sektionen der Bürokratie nicht auf, sondern verschärften den Widerspruch nur und brachten die Fraktionen in direkten Konflikt miteinander ohne die Bremsung durch Gorbatschows Bonapartismus.

In den degenerierten Arbeiterstaaten Osteuropas wirkte die Gorbatschow-Politik nach 1985 wie ein Katalysator und beschleunigte die Entwicklungen in der Ökonomie und brachte die entscheidende Auseinandersetzung zwischen konservativen Bürokraten und bürgerlichen Restaurationisten immer näher. 1989 signalisierte Gorbatschow, daß die in Osteuropa stationierten, sowjetischen Streitkräfte die nationalen Bürokratien nicht vor heimischem Protest und Forderungen nach radikalen Reformen schützen würde. Der rasche Aufschwung der undifferenzierten „demokratischen“ Massenbewegungen stellte eine solide Grundlage für die demokratische Intelligenz und den Marktflügel der Bürokratie her – soziale Schichten, die in Osteuropa weit größer waren als in der UdSSR. 1989/1990 zerbröckelten der Parteiapparat, die Geheimpolizei und die Streitkräfte in ganz Osteuropa angesichts des Massenprotests. Zwischen 1989 und 1991 brachten Parlamentswahlen Regierungen an die Macht, die sich aus bürgerlichen Kräften oder Parteien, klassenübergreifenden Volksfrontregierungen oder Reformflügeln der stalinistischen Parteien (wie in Rumänien oder Bulgarien) zusammensetzten. Dieser Prozeß schloß die Lostrennung der baltischen Republiken von der UdSSR mit ein. Die einzige Ausnahme bildete Serbien. Im Gegensatz zu Rußland war die Doppelmacht und der Zerfall des staatlichen Überbaus nicht von langer Dauer. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lag der Grund für den sich länger hinziehenden Restaurationsprozeß ausschließlich in den objektiven ökonomischen Schwierigkeiten bei der Umwandlung der wesentlichen Produktionsmittel in Kapital.

In China hat Deng Xiaoping – im Gegensatz zu Gorbatschows Strategie, Umstrukturierung (Perestroika) mit Öffnung (Glasnost) und schließlich Demokratisierung zu verbinden – versucht, radikale Marktreformen mit entschiedener Verteidigung der Parteidiktatur zu verbinden und dabei zu blutiger Unterdrückung am Platz des himmlischen Friedens gegriffen. Die chinesische Bürokratie hat eine kurzfristige Chance für dieses Amalgam; Polizeidiktatur für die Arbeiter und die städtische Intelligenz einerseits, ein fast freier Markt für die Bauernschaft sowie enorme Zugeständnisse an den Kapitalismus in besonderen Wirtschaftszonen andererseits. Die historische Gegebenheit, die diese Chance hervorbrachte, ist die Riesengröße und das soziale Gewicht von Chinas Bauernschaft und ihre Rolle nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Kasernen. Deng hat einen fast völlige Marktwirtschaft gestattet, um das Land zu entwickeln. Seine Fraktion hat für eine begrenzte Zeit die passive oder sogar aktive Unterstützung der Bauern erkauft und dadurch den historischen Grundstein für den Bonapartismus gelegt. Aber die ganze Logik des raschen Wachstums der Marktkräfte im ländlichen China und in den Sonderzonen wird auf die chinesische Bürokratie Druck ausüben und sie entzweien. Wenn sie sich spaltet und gezwungen ist, ihren gegenseitigen Vernichtungskrieg auf der Straße auszutragen (wie in den 60er und 70er und dann wieder Ende der 80er Jahre), wird China vor der krassen Alternative soziale Konterrevolution oder proletarische politische Revolution stehen. Auch in China wird die revolutionäre Führung der entscheidende Faktor sein, der den Ausgang der Krise bestimmt.

Die Erfahrungen von China, Rußland und den anderen degenerierten Arbeiterstaaten bestätigen, daß nicht alle Befürworter von Schocktherapien und rascher Restauration, die aus der stalinistischen Bürokratie kamen, bürgerliche Demokraten oder Liberalisierer sind.

Ebenso wenig sind die meisten der autoritären bürokratischen Konservativen der Verteidigung der bürokratisch geplanten Eigentumsverhältnisse verbunden. In der UdSSR zum Beispiel hat sich der konservative Flügel der Bürokratie schnell zur großrussisch-chauvinistischen und antisemitischen Kraft gemausert und benutzt populistische und nationalistische Parolen, um die rückständigste Teile der Gesellschaft gegen die demokratischen Rechte der Arbeiter und unterdrückten Minderheiten aufzuwiegeln. Faschistische und vorfaschistische Gruppen mit direkten Verbindungen zum früheren KGB und zur Armee sind entstanden. Gruppen wie Naschi und Schirinowskis Liberal Demokratischen Partei lehnen die Zusammenarbeit mit dem westlichen Imperialismus ab, aber nur deshalb, weil ihr Programm auf die Restauration eines spezifisch russischen Imperialismus abzielt.

Die autoritärsten Elemente in der Bürokratie erkennen in solchem Proto-Faschismus ein Bollwerk gegen die Bedrohung einer proletarischen politischen Revolution und eine mögliche Alternative zur zukünftigen Beherrschung durch ausländisches Kapital. Das Wachstum von faschistischen und halb-faschistischen Kräften spiegelte sich am klarsten im Sieg von Schirinowski bei der Dumawahl vom Dezember 1993 wider. Die zukünftige Entwicklung des Faschismus hängt zum Teil vom Ausmaß der Belebung der Arbeiterbewegung in den kommenden Jahren ab. Wenn der Widerstand der Arbeiterklasse den ökonomischen und politischen Angriffen der Restaurationisten gewachsen ist, steigt die Gefahr einer faschistischen Massenbewegung, die diesen Widerstand zerschlagen könnte. Ein weiterer Faktor, der diese Entwicklung fördert wäre ein Anhalten der Schwäche der russischen embryonalen Bourgeoisie und eine fortdauernde Stagnation des Restaurationsprozesses selbst. Dies könnte jenen Flügel in der Bürokratie fördern, der einen staatskapitalistischen Weg zum Kapitalismus einschlagen will. Um sich eine Massenbasis zu verschaffen, könnten sich diese Kräfte einer Mobilisierung von lumpenproletarischen und kleinbürgerlichen Massen durch chauvinistischen und faschistische Parolen bedienen und sie zur Zerschlagung ihrer Rivalen in der Bürokratie und der Drohung einer Explosion von Widerstand der Arbeiterklasse zu verwenden.

Die restaurationistischen Regierungen erwarten alle Beistand vom Imperialismus. Aber dieser, obwohl er die endgültige und völlige Wiederherstellung des Kapitalismus in den degenerierten Arbeiterstaaten sehnlichst herbeiwünscht, besitzt einfach nicht die Ressourcen, eine rasche Umwandlung frei von revolutionären Krisen zu gewährleisten. Nur in einem Staat, der DDR, war eine solche rapide Restauration möglich, was die stärkste europäische imperialistische Macht gewaltig belastet. Trotz der Errichtung von restaurativen Regierungen gibt es eine ausgedehnte Periode, in dem das Programm der politischen Revolution mit einem antikapitalistischen, antirestaurationistischen Programm verbunden werden kann und muß.

Die verbliebenen Errungenschaften der Arbeiterstaaten müssen bis zum bitteren Ende verteidigt werden, wie schon Leo Trotzki sagte. Nur jene, die fähig sind, die alte Errungenschaften zu verteidigen, werden auch neue schaffen können. Nicht nur die Arbeiterklasse der degenerierten Arbeiterstaaten, sondern die der ganzen Welt wird unter deren völligen Zerstörung leiden. Global würde dies die Arbeiterklasse mindestens für einen bestimmten Zeitraum desorientieren und ideologisch entwaffnen. Außerdem verlieren die anti-imperialistischen Kämpfe der Halbkolonien einen wesentliche, wenn auch letztenendes unzureichende Quelle von Waffen- und Hilfsgüterlieferungen. Der unbeschränkte imperialistische Zugang zu Rohstoffen, billiger Arbeitskraft und Märkten der degenerierten Arbeiterstaaten könnte den Weg für eine neue, wenngleich beschränkte Expansionsperiode in der imperialistischen Epoche eröffnen. Dies könnte nichtsdestotrotz den innerimperialistischen Konkurrenzkampf weiter anheizen und eine Neuaufteilung der Welt beschleunigen. Dieser Prozeß wäre konfliktreich und würde das Gespenst von interimperialistischem Krieg und Revolution aufs Neue heraufbeschwören.

Während sich der bürokratische Plan auflöst. kann nur die proletarische politische Revolution die geplanten Eigentumsverhältnisse verteidigen, wiederherstellen und dann ausdehnen und hierdurch das Wiedererstarken des Imperialismus verhindern.

Das Weltproletariat muß seinen Geschwistern in den degenerierten Arbeiterstaaten Beistand leisten zur Verteidigung der verbliebenen geplanten Eigentumsverhältnisse. Das staatliche Außenhandelsmonopol, die Vergesellschaftung der Industrie und das Planprinzip müssen gegen innere Restauration und imperialistischen Angriff verteidigt werden. Mit diesen wirtschaftlichen Errungenschaften verteidigen wir die Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, nicht die über sie herrschende Bürokratie.

Gegenwärtig verlassen sich die Imperialisten vornehmlich auf die ökonomischen Hebel für die Durchführung der Restauration des Kapitalismus. Aber jeder Halt, jede ernsthaft Umkehr des Vorgangs der sozialen Konterrevolution könnte zu einer direkten militärischen Intervention führen, um diese Restauration gegen den Widerstand der Arbeiterklasse zu vollenden. Das Weltproletariat muß weiterhin für die bedingungslose Verteidigung der degenerierten Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus und seine Agenten eintreten. Deshalb sind wir gegen jede Einschränkung der militärischen Schlagkraft der degenerierten Arbeiterstaaten sowohl atomar wie konventionell, was diese Staaten militärisch oder diplomatisch erpreßbarer machen würde.

Für die Arbeiterklasse ist die beste Verteidigung der geplanten Eigentumsverhältnisse immer noch der Angriff auf die stalinistischen Bürokratien, die sie in den Ruin getrieben haben und dies noch weiter tun. Das Programm für die proletarische politische Revolution, ebenso wie das für den Kampf gegen den Imperialismus, ist keines für die bloße „Demokratisierung“ des existierenden Staates. Es darf auch nicht auf klassenunspezifische Forderungen nach „Volksmacht“ verkürzt werden, die nicht klarstellt, welche Klasse die Macht innehaben soll. Es ist ein Revolutionsprogramm, für die Errichtung einer vollen proletarischen Diktatur und gegen Bürokratie, restaurationistische „Demokraten“ und Imperialisten.

Für eine politische Revolution!

Das Wesen des Programms der politischen Revolution, gleich dem Programm der sozialen Revolution in den kapitalistischen Staaten, liegt in der Verbindung der stattfinden Kämpfe für die unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeiterklasse mit dem Kampf um die politische Macht. Durch die Verzahnung der unnachgiebigen Verteidigung von Arbeiterinteressen mit den Taktiken der Massenmobilisierung, unabhängiger politischer Organisierung und der Installierung von Arbeiterkontrolle können Revolutionäre die Arbeiterklasse auf die Machtergreifung vorbereiten. In allen Kampfbahnen muß sich das Proletariat seiner besonderen Interessen und Identität bewußt werden, muß zur Klasse für sich werden.

Für unabhängige Organisierung am Arbeitsplatz!

Aufgrund des Wesens der degenerierten Arbeiterstaaten muß jede unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unmittelbar mit der Macht der bürokratischen Staatsmaschine zusammenstoßen. Gleichgültig, welcher Grund für die Mobilisierung vorliegt, diese Kollision stellt die Arbeiterklasse vor die Notwendigkeit, das Recht auf Organisierung zu erringen. Unabhängige Klassenorganisation und -bewußtsein sind eine Vorbedingung für den Auftritt der Arbeiterinnen und Arbeiter als unabhängige Kraft in den breiten oppositionellen Massenbewegungen gegen den Stalinismus.

Die gesellschaftliche Macht des Proletariats ruht in der Produktion, und die Klasse muß hier organisiert werden. In jedem Betrieb müssen demokratische Massenversammlungen höchste Autorität erhalten. Auf diesen Versammlungen gewählte und abwählbare Arbeiterkomitees müssen sich für Arbeiterkontrolle in jeder betrieblichen Angelegenheit, einschließlich des Streikrechts und des Vetorechts gegen Direktoren- und staatliche Pläne engagieren.

Für freie Gewerkschaften!

Überbetrieblich braucht das Proletariat von den Stalinisten unabhängige Gewerkschaften als zentrales Element bei seiner Organisation als Klasse. Gleich ob sich diese im Gefolge einer durchgreifenden Säuberung der bestehenden ‚Staats’gewerkschaften oder im Kampf neu formieren, sie müssen verantwortlich vor und kontrollierbar von ihren Mitgliedern sein. Alle Gewerkschaftsfunktionäre müssen gewählt und abwählbar sein, frei von der „führenden Rolle der Partei“, und müssen nach dem Durchschnittsverdienst ihrer Mitglieder entlohnt werden.

Von demokratischen Rechten zu einer wahren Arbeiterdemokratie

In den Auseinandersetzungen, die die Todeskrise des Stalinismus einleiteten, traten die Massen den Kampf gegen die Bürokratie hinter Forderungen nach zentralren demokratischen Rechten an. Die Aufgabe des Aufbaus der revolutionären Partei beinhaltet, die Arbeiterklasse zu drängen, an der Front dieses Kampfes zu stehen, ihn zu führen und revolutionäre und proletarische Organisationsformen zur Durchsetzung der Ziele zu benutzen. Die Arbeiter dürfen der Bürokratie oder einem Flügel davon in diesem Kampf nicht erlauben zu entscheiden, wer Nutznießer demokratischer Rechte sein darf und wer nicht. Die Bürokratie hat sich teilweise oder ganz als Hauptagent der Restauration erwiesen und scheidet auf jeden Fall als vertrauenswürdiger Wächter über die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse aus. Die Bürokratie ist nur so weitan demokratischen Zugeständnissen interessiert als sie selbst braucht, um Koalitionen mit anderen Kräften eingehen und eine neue Ausbeuterklasse werden zu können. Die Arbeiterklasse hat alles Interesse an der vollsten und revolutionärsten Ausweitung der demokratischen Rechte, um obiges Vorhaben zu vereiteln und um die Entfaltung ihres eigenen Klassenbewußtseins zu beschleunigen, d.h. um sie zum Erkennen von Freund und Feind zu befähigen.

Wo die Kommunistischen Parteien immer noch die Medien und die Wahlvorgänge monopolisieren, kämpfen wir dagegen an.

• Nieder mit den Zensurgesetzen der Bürokratie. Die Arbeiter selber sollen darüber entscheiden, was veröffentlicht und gesendet wird.

• Für den Zugang aller Arbeiterorganisationen zu Presse, Rundfunk und Fernsehen unter Arbeiterkontrolle. Die Arbeiter müssen faschistischer, pogromistischer und rassistischer Propaganda ihren eigenen Bann auferlegen. Genausowenig darf es Pressefreiheit oder Zugang zu den Medien für die prorestaurativen Kräfte geben, die den gewaltsamen Sturz des Arbeiterstaates vorbereiten.

• Alle Wahlkandidaten müssen eine Rechenlegung ihrer Wahlkampffinanzierung geben. Die Massen sollten ein Veto einlegen gegen Kandidaten, die heimlich Gelder vom Regime oder konterrevolutionären Agenturen wie CIA, den Kirchen oder reaktionären nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) erhalten.

• Jedes neue Gesetz, das der „reformistische“ Flügel der Bürokratie vorschlägt, muß in freier Aussprache von den Arbeitern diskutiert werden. Jedes Gesetz muß eine gewählte Arbeitergerichte in den Mittelpunkt der Rechtsmaschinerie stellen. Für die Freilassung aller politischen Gefangenen und Vorführung vor ein Arbeitergericht, das darüber entscheidet, was weiter mit ihnen zu geschehen hat.

• Für das Recht, Parteien zu gründen, außer für Faschisten, Pogromisten, Rassisten, jene Restaurationisten (auch jene, die aus der Nomenklatura stammen), die einen Bürgerkrieg organisieren wollen, und jene, denen aus anderen Gründen ein Verbot von der Arbeiterbewegung erteilt worden ist. Wir verteidigen diese Parteien nicht gegen die Verfolgung seitens konservativ stalinistischer Regimes oder bürgerlich restaurativer Regierungen. Aber gleichzeitig sprechen wir solchen Regierungen das Recht ab, darüber zu urteilen, wer konterrevolutionär ist und wer nicht. Nur eine revolutionäre Arbeiterregierung kann das tun. Die Arbeiter selber, nicht die Bürokratie, müssen entscheiden, welche Parteien sie als loyal zur eigenen Staatsmacht anerkennen.

• Wir treten für die Bloßstellung von arbeiterfeindlichen Programmen verwirrten oder versteckt restaurativer Parteien ein und dafür, ihnen durch politischen Kampf eine Massenbasis zu entziehen. Wir sollten für sorgsame Überwachung ihrer Aktivitäten und strenge Vorkehrungen gegen jeden Umsturzversuch wider die proletarische Diktatur eintreten. Für das Recht jeder Gruppe von Arbeitern und Kleinbauern, Kandidaten bei allen Wahlen aufzustellen.

• Für die Zerschlagung des repressiven Staatsapparat der Bürokratie, dem Werkzeug von Tyrannei gegen die Arbeiterklasse und dem Werkzeug, das die Stalinisten zur kapitalistischen Restauration benützen. Dieser Apparat wurde von der Bürokratie nach dem Bild der kapitalistischen Staatsmaschine entworfen. Die politische Revolution muß ihn auf dem Weg zur Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates zerschlagen. Für volle politische Rechte von Soldaten, das Recht auf Abhaltung von Versammlungen in den Kasernen, Soldatenräte ohne Kontrolle durch Offiziere und Befehlshaber zu wählen. Für ihr Recht, Zeitungen herauszugeben sowie das Recht auf Zugang zu den Medien. Außerdem sollen alle einfachen Soldaten und Seeleute das Recht auf freie Wahl der Offiziere haben. Für das Recht aller von ihrer Stationierung im Ausland zurückkehrenden Soldaten auf annehmbare, erschwingliche Wohnungen für sich und ihre Familien und auf Umschulung und eine neue Arbeitsstelle nach ihrer Demobilisierung haben.

• Für die Auflösung der Geheimpolizei und die Bestrafung aller, die Verbrechen an der Arbeiterklasse begangen haben. Ein demokratischer Arbeiterstaat braucht keine Geheimpolizei. Den Komplotten der konterrevolutionären Kräfte kann durch Arbeitersicherheitsausschüsse entlang der Linie der revolutionären Tscheka von 1917 begegnet werden. Für die Auflösung des stehenden Heers der Bürokratie und dessen Ersetzung durch eine revolutionäre Arbeiterarmee, die mit den Territorialmilizen der Arbeiter verbunden ist.

Nieder mit Vorrechten und Ungleichheiten!

Eines der frühesten Anzeichen für den Sieg der stalinistischen politischen Konterrevolution in der UdSSR war die arrogante Verurteilung des Gleichheitsgedankens als kleinbürgerliche Abweichung. Aber im Gegenteil der Wunsch nach Gleichheit und der Haß auf Privilegien sind instinktive und grundlegende Bausteine des proletarischen Klassenbewußtseins, wie Trotzki vorhersagte. Auf dem Weg zur endgültige Ausschaltung der Bürokratenherrschaft müssen die Arbeiter für die sofortige Beendigung jeglicher Mißbräuchekämpfen. Sie müssen gegen den grotesk privilegierten Lebensstil der Bürokratie zu Felde ziehen.

• Die Spezialläden müssen schließen, und die bislang der Bürokratie vorbehaltenen Sanatorien, Heilstätten und Freizeitmöglichkeiten müssen den Arbeitern und armen Bauern offenstehen. Partei- oder Staatsfunktionen dürfen nicht länger Zugang zu Privilegien und Luxus bedeuten. Kein Partei- oder Staatsfunktionär darf mehr verdienen als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn. Im Betrieb muß ein Kampf für das Recht der Arbeiter zur Entlassung aller Funktionäre und Manager, die sich der Korruption oder der Verfolgung von Arbeitern schuldig gemacht haben, entfacht werden.

Arbeiterkontrolle über die Produktion und der Plan

Die ökonomischen Entscheidungen in einer Planwirtschaft sind nicht hinter einer Nebelwand von „Marktkräften“ wie unterm Kapitalismus verborgen. Sie sind politische Entscheidungen, die die Bürokratie fällt. Jedes Aufbegehren gegen die Entscheidungen der Bürokratie, egal in welchem Bereich, ist demzufolge zugleich ein Angriff auf das Recht der Bürokratie, den Wirtschaftsplan zu kontrollieren. Da diese Kontrolle Stagnation und Niedergang gebiert, versuchen der Marktflügel der Bürokratie und andere restaurationistische Kräfte, den Arbeiterkampf vom Staat abzulenken, indem die Arbeitern ermuntert werden, „Selbstverwaltung“ ihrer Unternehmen, frei von der bürokratischen Einmischung des Zentralplans zu fordern. Diese Doktrin des „Marktsozialismus“ ist eine reaktionäre Ablenkung, die dazu gedacht ist, die beschränktesten Formen der Betriebsisolationismus zu fördern, das Proletariat als Klassenkraft zu spalten und den Zentralplan selber auszuhebeln. Dagegen müssen Revolutionäre auftreten, damit durch die Forderung nach Arbeiterkontrolle über den Plan jeder Arbeiterkampf zu einem bewußten Affront gegen die Macht der Bürokraten wird.

• Dies muß auf Betriebsebene mit der Öffnung der Bücher für Arbeiterinspektionen beginnen und auf Orts-, Regional- und landesweiter Ebene fortgesetzt werden. Dieser Kampf muß die Arbeiter in den Planungsministerien einbeziehen, um die wirklichen Prioritäten der Sitzen der Bürokratie und ihren Betrug, ihre Korruption und schiere Unfähigkeit zu enthüllen.

Durch die Abwehr der bürokratischen Planung und die Einführung der Klassenprioritäten im Plan schützt die Arbeiterklasse nicht nur ihren Lebensstandard und ihre Lebensbedigungen, sondern bildet die Organisationen, die die Grundlage eines revolutionären Arbeiterstaates darstellen werden. Diese Organisationen sind der Mechanismus, durch den der Arbeiterstaat eine demokratisch zentralisierte Planwirtschaft erreichen wird. Ein isolierter revolutionärer Arbeiterstaat muß mit den Marktkräften leben und sie benützen, aber gleichzeitig danach streben, sie zu überwinden. Fraglos haben Elemente der stalinistischen bürokratischen Ausblendung des Marktes tatsächlich dazu gedient, die Entwicklung von Sektoren der Sowjetwirtschaft zu verzögern. Dies ist nirgends deutlicher geworden als in der Landwirtschaft und bei Massenkonsumgütern. In diesen Bereichen muß unser Programm auf folgenden Elementen aufbauen:

• Nieder mit der Sklaverei von Arbeitern auf staatlichen und kollektivierten landwirtschaftlichen Betrieben. Für kollektivierte Landwirtschaftsbetriebe, die von den Werktätigen selber bewirtschaftet werden. Keine Rückkehr zur privaten Familienklitsche.

• Für die demokratische Reorganisation der Landwirtschaftsbetriebe, die auf der Demokratie der in der Landwirtschaft Tätigen, nicht auf den Launen der Funktionären fußt. Für Landarbeiterräte, deren Repräsentanz nach Arbeitskolonnen festgelegt ist und ihnen unmittelbar verantwortlich sind. Die landwirtschaftliche Erzeugung muß in den landesweiten Produktionsplan eingebaut sein.

• Für eine massive Finanzspritze zur Angleichung des materiellen und kulturellen Niveaus des Landes an das der Städte und damit zur Überwindung der himmelschreienden Unterschiede der Lebensbedingungen von beiden Lebensräumen.

• Gegen alle Reformen, die den Einfluß des imperialistischen Finanzkapitals auf die Ökonomien der Arbeiterstaaten verstärken; gegen die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols, gegen Joint Ventures, wo die Arbeiterrechte im Vergleich zum Standard in den Staatsbetrieben gemindert werden. Wir treten der Unterwerfungspolitik der Bürokratie unter das Diktat des IWF entgegen. Deren verheerende Folgen sind am klarsten schon in Jugoslawien, Polen und Ungarn zu sehen.

• Wir fordern von der Bürokratie die Nichtigkeitserklärung aller Schulden an das internationale Finanzkapital. Ein revolutionäres Arbeiterregime wird entscheiden, welche Verpflichtungen vom Standpunkt revolutionärer Zweckmäßigkeit einzulösen sind. Ein Arbeiterrätestaat wird die ausgebeuteten Massen überall zur Mobilisierung für eine vollständige Zurückweisung aller Außenschulden und die Enteignung der imperialistischen multinationalen Konzerne aufrufen.

Parlamentswahlen und -versammlungen

Die Folge von Jahrzehnten politischer Unterdrückung und ökonomischer Inkompetenz seitens der Bürokratie haben sich weitreichende Illusionen in die bürgerlich parlamentarische Demokratie aufgebaut. Sowohl Bürokratie wie probürgerliche Opposition haben diese Illusionen genutzt, um die Selbstorganisierung der Arbeiterklasse abzublocken und insbesondere die Herausbildung solcher Arbeiterräte zu ersticken, wie sie während der ungarischen Revolution 1956 oder auf niedrigerem Niveau in Polen und Tschechoslowakei in den politisch revolutionären Situationen der 50er und 60er Jahre und 1980-1981 auftauchten. Nur in Rumänien im Aufstand 1989-1990 entstanden embryonale Arbeiterkomitees und spielten eine wichtige Rolle bei den Streiks, die die Ceaucescu-Regierung zu Fall bringen halfen. Anderswo wurden hastig Mehrparteien-Parlamentswahlen anberaumt, um den Weg für die Arbeiterselbstorganisation, direkte Demokratie und für die Beteiligung der Massen an der Politik zu blockeren.

Unser Programm zielt nicht auf die Errichtung bürgerlicher Parlamente in den Arbeiterstaaten. Gewählt durch eine atomisierte Wählerschaft, unfähig, ihre Vertreter zur Rechenschaftslegung anzuhalten, und getrennt von der vollziehenden Gewalt können Parlamente niemals ein angemessener Ausdruck von Arbeitermacht sein. Diese Einrichtungen assistieren direkt den restaurativen Plänen der Bürokratie oder aufkommenden Bourgeoisie. Die parlamentarischen Repräsentanten, die von ihren Wählern nicht abberufen werden können, sind eminent korrumpierbar von den Wohlstands- und Machtträgern. Wenn die herrschende Bürokratie versucht, ihre Herrschaft durch die Implementierung von Parlamentswahlen zu stabilisieren, setzen wir dem die proletarische Demokratie der Arbeiterräte entgegen. Wir wollen ihre Formation als Kampforgane gegen die Bürokratie und als Demokratieorgane eines revolutionären Arbeiterstaates durchsetzen.

Aber wo solche revolutionären Losungen noch keinen Widerhall im Bewußtsein oder Erfahrungsschatz der Massen finden, wäre es eine sektiererische Bankrotterklärung, wollte man sich damit zufrieden geben. Wir müssen jede Chance zur Organisierung der Arbeiterklasse ausloten, damit sie als politisch unabhängige Kraft in die jetzige politische Lage eingreifen kann. Und wenn es – im Gegensatz zu unseren Vorstellungen Parlamentswahlen sind, dann müssen die Arbeiter auch dort kämpfen.

• Wir sind gegen jeden Versuch der Bürokratie, den Wahlvorgang durch Verbote für Kandidatenlisten oder wählbare Parteien zu manipulieren oder zu beschränken. Wir bekämpfen Wahlmanipulationen der Bürokratie. Wir setzen uns für die Prinzipien und gewisse Formen der proletarischen Demokratie ein. Wir kämpfen dafür, daß Arbeiter ihre eigenen Kandidaten aufstellen, die auf Arbeiterversammlungen in Betrieben und Arbeiterbezirken gewählt worden sind. Wir kämpfen dafür daß sie auf einem Arbeiterprogramm stehen gegen Bürokratenherrschaft, Privilegien und alle Formen der Restauration. Dieses kämpferische Aktionsprogramm muß für die Verteidigung der Rechte nationaler Minderheiten, aller Arbeiterrechte und -errungenschaften aufgreifen. Wir kämpfen dafür, daß alle Kandidaten den Arbeiterversammlungen gegenüber Rechenschaft ablegen müssen und nur Bezüge in Höhe des Durchschnittslohn eines Facharbeiters erhalten.

Revolutionäre Kommunisten übernehmen keine Verantwortung für die Form eines bürgerlichen Parlaments in einem Arbeitsstaat. Die Volkskammer ebenso wie der Oberste Sowjet waren Schöpfungen der Stalinisten. Sie haben die eigentlichen Sowjets entweder zerstört oder nicht gewagt, derartiges zu schaffen. Dennoch müssen wir die demokratischen Illusionen der Massen ernsthaft aufgreifen, insbesondere wo die aufkeimenden bürgerlichen Kräfte die „Demokratisierung“ solcher Parlamente zur Schaffung eines permanenten und stabilen Instrumentes für die Restauration des Kapitalismus nutzen wollen. Unser Ziel ist die Verhinderung der Errichtung einer solchen stabilen parlamentarischen Regimes. Wenn die Restaurationisten eine legale und institutionelle Grundlage für die kapitalistische Herrschaft schaffen wollen, durch bonapartistische Plebiszite oder Abstimmungen in bestehenden undemokratischen Versammlungen, wo Arbeiter noch keine Erfahrung mit Sowjets haben oder die Erinnerung daran ausgelöscht worden ist, können und sollen Revolutionäre zur revolutionär demokratischen Forderung nach einer souveränen verfassunggebenden Versammlung zurückkehren. Das ist kein Ruf nach einem Parlament (d.h. permanentem Gesetzgeberorgan, Element der Gewaltenteilung der bürgerlichen Herrschaft), sondern der Versuch, eine Arena zu schaffen, in der sich die Vertretungen der widerstreitenden Klassen treffen und sich um die politische Form und den eigentlichen Klasseninhalt des Staates, wie in der Verfassung niedergelegt, kämpfen. Wir glauben natürlich nicht, daß die Schlacht zwischen Restauration und proletarischer Macht in einer Versammlung entschieden werden kann, aber die versteckten und offenen Agenten der Restauration können dort vor den Augen der Massen bloßgestellt werden.

Unter diesen Verhältnissen ist es die Aufgabe von revolutionäre Kommunisten, zur Vorhut im revolutionär demokratischen Kampf zu werden, um nach Möglichkeit diese Waffe der politischen Demokratie den inkonsequenten (halb-bonapartistischen) bürgerlichen Demokraten zu entwinden. Wir sollten die Losung der verfassungsgebenden Versammlung vorbringen, um die Restaurationisten zu überflügeln, die demokratische Slogans für sich monopolisieren wollen, in Wirklichkeit aber nichts anderes im Schilde führen, als die Macht des Parlaments extrem zu beschneiden und es mit bonapartistischen Kontrollen zu umgeben, falls diese Institution zu sehr unter den Druck der Massen geraten sollte. Wir können diese mit dem Kampf für das revolutionär demokratische Recht auf Abrufbarkeit tun.

• Jeder Abgeordnete muß der sofortigen Abwahl durch die Wählermehrheit unterworfen werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß der Großteil der Wahlkampagne auf Massenversammlungen in Betrieben stattfindet, wo die Kandidaten mit ihrem Programm auf Herz und Nieren geprüft werden können. Wir müssen für freien und gleichen Zugang zu den Medien für alle Kandidaten außer Faschisten oder gewaltsamen Umstürzlern der Planwirtschaft kämpfen.

Selbstredend kann jede verfassungsgebende Versammlung sich als Moment der Konterrevolution, der Zerstörung der geplanten Eigentumsverhältnisse im Arbeiterstaat entpuppen. In dem Fall müssen wir ihre Absichten vor den Augen der Massen demaskieren und die Arbeiter dazu mobilisieren, die verfassungsgebende Versammlung aufzulösen.

Für Demokratie der Arbeiterräte

Um die Diktatur der Bürokratie zu stürzen, muß sich die Arbeiterklasse eigene Mittel zur Ausübung der Staatmacht suchen. Die im Kampf gegen die Bürokratie entstandenen unabhängigen Organisationen müssen zu echten Arbeiterräten zusammengeschweißt werden. Diese Räte werden den massenhaften Aufstand der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, der ländlichen Armut, und die Zerschlagung der ganzen repressiven Maschinerie des stalinistischen Staatsapparats, dem Mittel zur Aufrechterhaltung der politischen Diktatur der Bürokratie über das Proletariat organisieren. Wie beim bürgerlichen Staat, nach dessen Vorbild er geformt ist, sind die wesentlichen Elemente der stalinistischen Staatsmaschine die ’spezialisierten bewaffneten Organe‘ und ihr Apparat von Spitzeln, Kerkermeistern und Folterknechten. Selbst wo die bürokratische Kaste intern gespalten ist, nutzt sie, solange die vorherrschende Fraktion diesen Apparat kontrolliert, ihn auch zur Verteidigung gegen die aufständischen Massen, wie das Massaker vom Tiananmen-Platz wieder einmal bestätigt hat. Die Speerspitze des Programms der politischen Revolution ist also die Bildung von Arbeiterräten und die Bewaffnung des Proletariats.

Wie die russische Revolution zeigte, ist der Arbeiterrat die Form zur Machtausübung der Arbeiterklasse in einem gesunden Arbeiterstaat. Verankert in den Fabriken, den Arbeiterwohnvierteln und den unterdrückten Schichten der Gesellschaft organisieren die Räte die großen Massen der ehemals Ausgebeuteten, um die Herrschaft im eigenen Staat anzutreten. Die Delegierten in den Arbeiterräten werden auf Arbeitermassenversammlungen direkt gewählt. Sie sind ihrer Wählerschaft verantwortlich und deshalb jederzeit von ihr abberufbar. Arbeiterräte sind Organe der Klassenmacht, d.h. Kapitalisten sind von den Wahlen ausgeschlossen. Den herrschenden Sektionen der Bürokratie muß ebenfalls das Stimmrecht entzogen werden. Wir bekämpfen politisch jene Vertreter der Bürokratie, in die die werktätigen Massen noch Illusionen haben. Die politische Revolution kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürokraten aus den Arbeiterräten verjagt sind.

Der Arbeiterrat vereint in sich vollziehende und gesetzgeberische Funktionen, was einer lebendigen Rätedemokratie ermöglicht, die Staatsbürokratie zu kontrollieren, zu reduzieren und sie langfristig vollkommen durch die Selbstverwaltung der Gesellschaft zu ersetzen. Solche Organe haben nichts gemein mit den Sowjets, dir in der UdSSR 1936 installiert wurden und eine pseudo-parlamentarische Form angenommen haben, oder den ‚Volkskomitees‘ auf Kuba, die nur dazu sind, die Beschlüsse der Bürokratie abzunicken.

Nieder mit der sozialen Unterdrückung!

Der Thermidor in der UdSSR markierte nicht nur die Errichtung der bürokratischen Tyrannei über Wirtschaft und Staat, sondern auch die Umkehr vieler Reformen nach 1917 zur Bekämpfung sozialer Unterdrückung. Die Wiedereinführung reaktionärer Gesetze und moralischer Normen hat seither als Vorbild für andere degenerierte Arbeiterstaaten gedient.

Die siegreichen Bürokratien haben alle danach getrachtet, die bürgerliche Familie zu stärken und ihre Größe nach Maßgabe der jeweiligen ökonomischen und militärischen Bedürfnisse festzulegen. Die bürokratische Planung gab das Ziel der Sozialisierung von Kinderbetreuung und Hausarbeit auf. Die Frauen blieben durch die Dreifachlast von Beruf, Haushalt und Kindererziehung preisgegeben. Die ‚Reformer‘ hegen natürlich auch keinesfalls die Absicht, die Auswirkungen des Stalinschen Thermidors auf die Familie zu beseitigen. Im Gegenteil stärkte Gorbatschows Perestroika-Politik ein reaktionäres Frauenbild. Die „Reformer“ wollen die Frau auf die Gattin- und Mutterrolle beschränken und sie aus gewissen Produktionszweigen vertreiben.

Der Jugend wird ihr ‚rechtmäßiger Platz‘ in den Bildungseinrichtungen gelehrt, sie wird verdummt mit der reaktionären Moral des Stalinismus, ihr wird ein freier kultureller Ausdruck verwehrt. Ebenso sind große Errungenschaften der Oktoberrevolution, in der gesetzliche Verteidigung der Rechte von Homosexuellen schon längst zerstört, und der Alltag für Lesben und Schwule von Kuba bis Osteuropa und GUS heißt Unterdrückung oder Verfolgung. Gegen Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität fordern wir:

• Gegen die Unterdrückung von Frauen – für wirkliche Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für einen Plan zur Bereitstellung von Kinderkrippen, die dies ermöglichen. Für ein massives Bauprogramm von Gastwirtschaften, Kantinen und sozialen Annehmlichkeiten, die Frauen von ihrer Bürde befreien.

• Für das Recht von Frauen auf Arbeit und Chancengleichheit in Berufen, die nicht Schutzgesetzen unterstehen. Zur Bekämpfung des Erbes von männlichem Chauvinismus und Unterdrückung, das von der Bürokratie konserviert wurde, verfechten wir eine unabhängige Frauenbewegung auf proletarischer Grundlage.

• Keine Einschränkung des Abtreibungsrechts. Freie Verhütungsmittel für alle, um Frauen wirkliche Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit zu geben. Nein zu jedem Zwang zu einer bestimmten Familiengröße durch die Bürokratie.

• Abschaffung der reaktionären Gesetze gegen Homosexualität. Freilassung aller in dieser Hinsicht Inhaftierten und in psychiatrische ‚Spitäler‘ Eingewiesenen. Beendigung aller Formen der Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Für die offene Anerkennung, daß es Aids auch in diesen Staaten gibt. Für ein staatlich finanziertes Programm zur Erforschung, Behandlung und Aufklärung über den Virus, um jene mit AIDS zu behandeln und die Verbreitung der Krankheit zu verhindern oder zu begrenzen.

• Weg mit der Unterdrückung der Jugend. Für Schüler-, Eltern- und Erzieherkontrolle über die Schulen. Für Jugendausschüsse zur Kontrolle ihrer eigenen Gestaltung von Unterhaltung, Sport, Kultur, Klubs usw. Weg mit der Zensur, die die Jugend nicht vor reaktionären Ideen schützt, sondern ihren Intellekt und Kampfgeist lähmt, und sie so erst für solche Ideen anfällig macht. Abschaffung aller die Jugend in Arbeit und Gesellschaft diskriminierenden Gesetze.

Gegen nationale Unterdrückung!

Seit seiner Gründung hatte der revolutionäre Sowjetstaat einen föderalen Charakter. Wie mit allen anderen Aspekten bolschewistischer politischer Praxis verfuhr der Stalinismus auch hier. Er wahrte die Form, entleerte sie aber ihres revolutionären Inhalt. Fernab jeder freiwilligen Föderation von Völkern wurde die UdSSR zum Gefängnis für Nationen.

Das Muster der Verweigerung von Rechten für nationale Minderheiten wurde in anderen degenerierten Arbeiterstaaten wiederholt, ungeachtet dessen, ob sie föderal strukturiert sind (wie in Jugoslawien), Einheitsstaaten mit angeblich ‚autonomen Regionen‘ (wie in China), oder ob sie die Existenz von Minderheiten verfassungsmäßig gar nicht anerkennen (wie in Rumänien). Der Kreml hat auch Nationen außerhalb der Grenzen der UdSSR unterdrückt und Invasionen veranstaltet, um proletarische Aufstände gegen die Bürokratenherrschaft zu zermalmen. Die Opposition gegen die herrschenden Bürokratien trägt daher oft einen nationalistischen Charakter. Unter diesen unterdrückten Völkern fordern Revolutionäre in vorderster Linie demokratische Rechte für Nationalitäten als Teil ihres Kampfes um die politische Revolution.

• Wir treten jeder Manifestation des großrussischen, chinesischen und serbischen Repressionsnationalismus entgegen. Wir unterstützen das Recht auf vollste kulturelle Selbstäußerung für alle unterdrückten Nationalitäten. Das bedeutet volle Unterstützung für das Recht auf eigene Sprache in allen öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten wie auch auf Unterricht in der eigenen Sprache. Wir sind gegen jede Diskriminierung im Beruf. Wir treten für das Recht unterdrückter Nationalitäten ein, ein Veto gegen die Einwanderungspolitik einlegen zu können, die von den Bürokratien von Unterdrückernationalitäten festgelegt wird. Umgekehrt sind wir auch gegen jede Diskriminierung ehemaliger nationaler Mehrheiten, die nun in neuen unabhängigen Staaten zu Minderheiten geworden sind (bspw. die Russen in den baltischen Staaten).

• Alle multinationalen Arbeiterstaaten sollten freie Föderationen von Arbeiterrepubliken sein. Allgemein streben wir nicht die Zerstückelung von degenerierten Arbeiterstaaten in ihre nationalen Bestandteile an, weil wir die größtmögliche territoriale Zusammengehörigkeit für günstig erachten, um die Entfaltung der Produktivkräfte voranzutreiben, und weil der Nationalismus die Arbeiterklasse spaltet und sie für die Einsicht in die Notwendigkeit der Vernichtung von Bürokratie und Imperialismus blendet. Es kann dazu führen, daß die Arbeiter gemeinsame Sache mit der ‚eigenen‘ nationalen Bürokratie machen, oder daß sie glauben, es sei möglich, ‚Unabhängigkeit‘ durch kapitalistische Restauration und mit Hilfe des Imperialismus zu erlangen.

Die kapitalistische Offensive trachtet danach, alle Elemente von Klassenidentität und kollektivistischem Bewußtsein zu zersetzen und an ihrer Statt individualistische, religiöse oder nationalistisch-ethnische Ideen in den Köpfen der Bevölkerung zu züchten. In verschiedenen Republiken, Regionen, kleineren Landstrichen oder gar Unternehmen versuchen die Restaurationisten die Idee zu verbreiten, daß nur völlige Unabhängigkeit vom offiziellen Staat ihnen einen besseren Zugang zum internationalen Markt, höheren Exportpreise und günstigeren Bedingungen für die Einfuhr von Gütern und das Anlocken von Investoren bietet.

Die UdSSR ist in fünfzehn unabhängige Republiken zerfallen, und es gibt viele weitere autonome Republiken und Regionen innerhalb dieser, die starke separatistische Tendenzen haben. Die Bürokraten und Nationalisten hinter diesen Unabhängigkeitsbewegungen versuchen bürgerliche Kleinst-Halbkolonien zu errichten. In den meisten von ihnen leiden andere ethnische Minderheiten unter Diskriminierung und Unterdrückung. In den baltischen Staaten zum Beispiel werden die slawischen Minderheiten nicht als Staatsbürger anerkannt und erleiden eine Art neue Apartheid. Im früheren Jugoslawien, im Kaukasus, Moldawien, Zentralasien und anderen ehemaligen ’sozialistischen Blockstaaten befinden sich Völkergruppen gegeneinander in blutigen und reaktionären Kriegen.

Eine wirkliche Unabhängigkeit für eine der gegenwärtig unterdrückten Nationalitäten in den Arbeiterstaaten ist allerdings nur erreichbar auf Grundlage von demokratisch geplanten proletarischen Eigentumsverhältnissen. ‚Unabhängigkeit‘ unter Führung von Restaurationisten kann nur in einer Unterwerfung jedes neu konstituierten Staates unter den Imperialismus als Halbkolonie enden. Damit wäre die Arbeiterklasse noch direkter durch den internationalen Kapitalismus ausgebeutet, und ihre demokratischen Bestrebungen würden im Namen des Profits brutal unterdrückt werden. Wir treten von uns aus nicht für Abtrennung ein, weil sie den Arbeiterstaat schwächt und die Entfaltung der Produktivkräfte behindert. Aber in einem konkreten Fall, wo innerhalb einer bestimmte unterdrückten Nation die große Mehrheit der Arbeiterklasse Illusion in die Abtrennung hat, stellen wir die Forderung nach einer unabhängigen Arbeiterräterepublik auf.

Auf wessen Seite sich die Arbeiter in einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Unabhängigkeitsbewegung einer unterdrückten Nation und dem zentralisierten stalinistischen Apparat stellen sollen, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Wenn diese Bewegung andere Minderheiten durch Pogrome verfolgt oder ein Waffenbündnis mit dem Imperialismus eingeht, um gegen den degenerierten Arbeiterstaat Krieg zu führen, wäre es notwendig, auf Seiten der stalinistischen Maschinerie zu stehen, ohne sie politisch zu unterstützen. Gleichzeitig würden wir die Losung nach einer unabhängigen oder autonomen Arbeiterräterepublik (wie in Aserbaidschan 1990) ausgeben.

Wenn wir andererseits eine legitime Bewegung mit Basis in der arbeitenden Bevölkerung antreffen, könnten wir auf deren Seite gegen militärische Unterdrückung durch die Stalinisten stehen, ohne ihre politischen Ziele oder ihre volksfrontartige Führung dabei zu unterstützen (wie in Litauen 1990/1991).

Die Entfremdung so vieler Nationalitäten vom degenerierten Arbeiterstaat ist das Produkt von Jahrzehnten grausamer nationaler Unterdrückung. Die Vorhut der politischen Revolution muß mit den energischsten Mitteln versuchen, diesen Völkern ihre Ängste zu nehmen und sie für die Seite der Erhaltung ihrer eigenen geplanten Eigentumsverhältnisse zu gewinnen. Das muß getan werden, indem ihr Recht auf Selbstbestimmung, die Lostrennung eingeschlossen, bedingungslos unterstützt wird.

Wo die Mehrheit eines Volkes in Massenkundgebungen, Arbeiterversammlungen, Wahlen oder Volksabstimmungen nach Unabhängigkeit ruft, unterstützen wir dieses Ziel rückhaltlos. Sonst würden wir uns von dem ausdrücklichen demokratischen Willen der Arbeitermassen isolieren und damit zulassen, daß sie der Führung reaktionärer Kräfte anheimfallen. Nur die proletarische politische Macht und die proletarischen Eigentumsverhältnisse können die Unabhängigkeit, nach der solche Mobilisierungen streben, gewährleisten. Aus dem Grund lautet unsere positive Losung unter diesen Gegebenheiten ‚Für einen unabhängigen Arbeiterrätestaat‘.

Selbst wo sich separatistische Bewegungen auf eine offen konterrevolutionäre Plattform begeben haben, verteidigen wir noch das Recht auf staatliche Unabhängigkeit, setzen aber den Kampf gegen die Restauration fort. Die Restauration des Kapitalismus läuft nicht simultan zur nationalen Unabhängigkeit. Die Beendigung nationaler Unterdrückung lockert die Bindungen zwischen der Arbeiterklasse und den Repräsentanten ihr entgegengesetzter Klasseninteressen. In den neuen, unabhängigen Staaten müssen revolutionäre Kommunisten die Arbeiter weiter für die bewaffnete Verteidigung der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse organisieren. Jedoch im Fall eines Krieges (Bürgerkrieg oder Krieg nach außen), in den ein Arbeiterstaat verwickelt sein könnte, könnten wir allerdings gezwungen sein, das Recht auf Abtrennung vorübergehend der Verteidigung des Arbeiterstaates gegen die Attacken der Kräfte des Imperialismus und der Konterrevolution unterzuordnen.

Als Ausdruck unserer Gegnerschaft zu der reaktionären Utopie des Aufbaus vom Sozialismus in einem Land stehen wir für die weitestgehende Föderation von Arbeiterstaaten beginnend mit Regionalverbünden. Die siegreiche politische Revolution wird die Republiken der ehemaligen UdSSR, Osteuropas und darüberhinaus auf einer freiwilligen und gleichen Grundlage neu vereinigen. In den Regionen, wo der Stalinismus und seine Erben nationale Antagonismen und Kriege gesät haben, kämpfen wir für Föderationen von Arbeiterstaaten (z.B. auf dem Balkan und in Indochina) als Schritt zur Integration in eine sozialistische Weltrepublik.

Für die Rückkehr zum proletarischen Internationalismus Lenins und Trotzkis

Die Stalinisten haben die Losung des proletarischen Internationalismus durch die Gleichsetzung mit der Unterordnung unter die staatlichen Interessen der Sowjetbürokratie befleckt. Die Außenpolitik eines revolutinären Arbeiterstaates zielt nicht zuallererst auf die eigene Verteidigung oder Schutz und Unterstützung anderer Arbeiterstaaten, sondern stellt die Interessen aller, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen, in den Mittelpunkt. Die Verteidigung eines einzelnen Arbeiterstaates oder einer Gruppierung solcher Staaten ist Teil der Weltrevolution und ihr untergeordnet. Das ist das unverfälschte Programm des proletarischen Internationalismus. Es ist das genaue Gegenteil zur Außenpolitik der degenerierten Arbeiterstaaten im letzten halben Jahrhundert, die dem stalinistischen Ziel einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus dienen sollte.

Die Stalinisten haben die Kämpfe der Arbeiterklasse und Kolonialvölker überall zynisch manipuliert und verraten. Seite an Seite mit der Stärkung der Marktmechanismen und der kapitalistischen Kräfte im Arbeiterstaat sind die verbleibenden herrschenden Bürokratien überall vor dem Imperialismus auf dem Rückzug. Der Stalinismus hat stets eine dem Wesen nach konterrevolutionäre Politik in und außerhalb der eigenen Grenzen betrieben. In den 80er Jahren hat die UdSSR in Afghanistan, Kambodscha, Mittelamerika und Südafrika eine konterrevolutionäre Rolle gespielt, sowohl in der Art, wie sie die fortschrittlichen Kräfte unterstützte, wie auch in ihrem beschämenden Abrücken von jenem Lager im Zuge seiner Kapitulation vor dem Imperialismus.

Die Geheimdiplomatie, mit der die stalinistische Bürokratie operierte, muß vollständig abgeschafft werden. Diese Politik war Teil des bürokratischen Informationsmonopols in den degenerierten Arbeiterstaaten und diente nur zur Desinformation und Täuschung der Arbeiterklasse. Verhandlungen zwischen Arbeiterstaaten und kapitalistischen Staaten oder anderen Arbeiterstaaten müssen vor den Augen der Arbeiterklasse durchgeführt werden. Die Forderungen beider Seiten sollten öffentlich gemacht werden. Verhandlungen müssen genützt werden, um revolutionäre Propaganda zu machen. Das Wesen der Verhandlungen muß den Massen aufgedeckt werden.

Beziehungen mit kapitalistischen Staaten müssen ebenso als Waffe für den Arbeiterstaat genützt werden. Diplomatische Verbindungen und Handelsbeziehungen zu jedem Land müssen sorgfältig untersucht werden. Die Stalinisten verwendeten diplomatische Verbindungen mit kapitalistischen Staaten, um das Ertränken der Arbeiterbewegung dieser Staaten in Blut zu entschuldigen und das Prestige der Schlächter zu erhöhen (z.B. China‘ s Beziehungen mit Pinochet). Das war eine übliche Praxis unter den Stalinisten. Handels- und diplomatische Beziehungen müssen dazu verwendet werden, den Aufbau eines Arbeiterstaats zu unterstützen und dürfen die Bildung von revolutionären Bewegungen nicht begrenzen oder schädigen.

Wenn ein Arbeiterstaat direkt militärisch angegriffen wird, egal ob in einer politisch revolutionären Krise oder nicht, ist es legitim, mit den Truppen eines anderen Arbeiterstaates eine bewaffnete Einheitsfront zu suchen. In dieser Einheitsfront darf die Arbeiterklasse ihre Verbände nicht denen ihrer Verbündeten unterordnen, sondern muß versuchen, Waffen und Hilfe unter die Kontrolle ihrer Organisationen zu bekommen, und muß unter den verbündeten Streitkräften der degenerierten Arbeiterstaaten die Idee der internationalen politischen Revolution verfechten.

Wir verteidigen das Recht der degenerierten Arbeiterstaaten auf Besitz von Atomwaffen und sie auch in Kriegen mit dem Imperialismus zur Verteidigung der Arbeiterstaaten einzusetzen, wenn es militärisch erforderlich ist. Aber wir stellen uns gegen die allgemeine Verteidigungs- und Militärpolitik der Bürokratie, deren Ziel die Verwirklichung des reaktionären Traums von der friedlichen Koexistenz mit dem Weltimperialismus ist.

Die Außenpolitik eines Arbeiterstaates muß einer revolutionären Internationale untergeordnet sein. Eine wirkliche Internationale kann die Außenpolitik eines Arbeiterstaates in den richtigen Zusammenhang im Kampf um die Weltrevolution stellen. Nur eine Internationale kann den Arbeiterstaat effektiv gegen eine imperialistische Intervention schützen, indem Mobilisierungen der Arbeiterklasse in den verschiedenen imperialistischen Ländern koordiniert werden.

Baut leninistisch-trotzkistische Parteien auf!

Das Programm der politischen Revolution, verknüpft ein Verbundsystem von Forderungen mit den strategischen und taktischen Mitteln zu ihrer Durchsetzung. Es kann nicht durch die spontanen Kämpfe der Arbeiterklasse in den degenerierten Arbeiterstaaten entwickelt werden. Die Erfahrung mit Ungarn, Polen und China zeigt auf tragische Weise, daß Spontaneität wie unterm Kapitalismus mit dem wissenschaftlichen Klassenbewußtsein in der organisatorischen Gestalt einer revolutionären Partei geharnischt sein muß. Der erste kleine Kern einer solchen Partei mag zwar der Intelligenz entspringen, die Prüfung für ihren ‚Kommunismus‘ wird aber die Anerkennung der Notwendigkeit, die im antibürokratischen Kampf erstandenen Arbeitervorhut zu gewinnen und zu organisieren, sein. Alle Regeln der Mitgliedschaft, Organisation, Innenleben und Außenaktivität sind wie von der leninistisch bolschewistischen Partei und später den linken Opposition und der Trotzkisten dargelegt anwendbar.

Wir weisen die ‚führende Rolle‘ der stalinistischen Parteien zurück. Es sind Parteien der Bürokratie, nicht der proletarischen Avantgarde. Die Erfahrung der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei 1968 und der ‚Horizontalbewegung‘ in der polnischen Arbeiterpartei auf dem Höhepunkt des Kampfes von Solidarnosc legen jedoch nahe, daß proletarische Mobilisierungen einen Widerschein in den herrschenden, kommunistischen Parteien finden und zwar deshalb, weil eine große Anzahl von Arbeitern Zwangsmitglieder dieser Parteien sind. Wir lehnen die Illusion ab, daß die herrscheden Parteien zu zentristischen Formationen reformiert werden oder sich friedlich dazu umbilden können. Diese Parteien müssen als Werkzeuge der Massenmobilisierung zugunsten der repressiven und privilegierten Bürokratie zerschlagen werden. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht vergessen, daß in einer sich zuspitzenden politisch revolutionären Situation die Führung unter den Druck von Teilen der Mitgliedschaft oder der Arbeiterklasse geraten kann. Die Einheitsfronttaktik, bezogen auf diese Kräfte und Oppositionsgruppen außerhalb der Partei, wird zentral sein, um die Massen von ihren alten und neuen falschen Führern loszubrechen. Wo wir Elemente der proletarischen Basis nicht direkt für den Trotzkismus gewinnen können angesichts dessen, daß eine solche Opposition oftmals der erste Ausdruck von politischer Unabhängigkeit für jene Arbeiter darstellt, sollten wir sie ermuntern, die Kommunistische Partei, in der sie bleiben, unter folgenden Forderungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen:

• Wahlen auf allen Ebenen, mit offenen Plattformen und politischer Wettstreit in offener Diskussion. Für die Aufhebung des Fraktions- und Plattformverbots, das lediglich als vorübergehende Maßnahme in der russischen kommunistischen Partei von Lenin und Trotzki 1921 verhängt worden war, unter Stalin aber zur repressiven Norm gemacht wurde.

• Die im Kampf neu geschmiedete revolutionäre Partei muß den Sturz der stalinistischen Diktatur, den Aufbau einer Arbeiterrätedemokratie, die Einsetzung eines demokratischen Plans und vor allem die internationale Ausdehnung der Revolution auf die Fahne schreiben. Wenn die Arbeiterstaaten eine revolutionäre Neugestaltung durchleben, dann wird die Todesglocke für Imperialismus und Klassenherrschaft auf der ganzen Welt läuten. Verwandelt die bürokratischen Gefängnisse wieder in Festungen der Weltrevolution!

Das Programm im Restaurationsprozess

Eine neue Form von Übergangsperiode, des Übergangs von degenerierten Arbeiterstaaten zum Kapitalismus, ist angebrochen, zurückzuführen auf den Berg von Verrat seitens der stalinistische Bürokratie und die verlängerte Krise der revolutionären Führung. Die Revolutionäre müssen nun ihr Programm umorientieren auf die Führung eines Kampfes gegen die Reste bürokratischer Tyrannei und Desorganisation sowie gegen die Restauration des Kapitalismus.

Die Tür zur Restauration ist in den meisten Fällen durch den Aufstieg einer Bürokratenfraktion aufgestoßen worden, die dann eine Reihe von Zugeständnissen an den Markt auf Schiene gesetzt hat. Diese marktorientierten Maßnahmen sind mit wachsendem Nachdruck von Wirtschaftsfachleuten aus den Reihen der Bürokratie seit den 60er Jahren befürwortet worden (Liberman, Ota Sik usw.). Sie wurden in bedeutsamem Umfang zunächst in Ungarn durchgeführt. Sie konzentrierten sich auf eine stufenweise Schwächung und Einengung des Planhorizonts, die Herstellung von realen oder simulierten Marktmechanismen zwischen Unternehmen, die Durchlöcherung des staatlichen Außenhandelsmonopols, auf den Beitritt zu ökonomischen Einrichtungen des Weltkapitalismus, wie dem IWF. Der utopische Aspekt dieses Programms war die Idee, daß es die Effizienz, das Niveau der technischen Erneuerung oder die stärkere Anpassung der Wirtschaft an die Wünsche der Verbraucher erhöhen würde. Stattdessen aber behinderte und störte es das Wirken der Planwirtschaft, während jene wiederum die Entwicklung eines echten Marktes behinderte, dafür aber eine breite ’schwarze Ökonomie‘ schuf. Das erzeugte eine große Klasse von Kriminellen, bevor es eine Bourgeoisie hervorbrachte.

Sowohl in Staaten, wo die Marktfraktion der Bürokratie versuchte, dieses Programm mit demokratischen Reformen durchzuführen, als auch wo sie ihre politische Diktatur aufrechterhalten wollte, war das Resultat jedesmal das gleiche – eine ernste politische Krise, in der sich drei fundamentale Alternativen stellten:

a) die Restauration der bürokratischen Diktatur und ein Stillstand oder Verlangsamung der Marktreformen

b) die Machtergreifung durch ein offen restauratives Regime, das sich anschickt, das zentrale Planungssystem zu zerstören und rasch zur Wertgesetzlichkeit als dominanter Kraft in der Ökonomie überzugehen.

c) die proletarische politische Revolution, die Arbeiterdemokratie und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Nur die beiden letzten Alternativen waren und sind grundsätzlich gangbar. Die bürokratische Diktatur kann niemals die Todeskrise der bürokratischen Planung lösen, auch wenn sie noch so blutig wiederhergestellt und aufrechterhalten wird. Sie entfremdet sich den Massen und treibt sie den demokratischen Restaurationisten in die Arme. Obwohl die Bürokratie in China, Korea, Vietnam und Kuba versucht, mit Unterdrückungsmethoden dem Schicksal Gorbatschows zu entgehen, ist die Entwicklung von vorrevolutionären und revolutionären Situationen unabwendlich. Das Ergebnis dieser Krisen wird eine Situation der Doppelmacht sein – von größerer oder geringerer Dauer – in der die Kräfte der alten Bürokratie zersplittern werden und in der die Kräfte der proletarischen politischen Revolution oder der bürgerlichen Konterrevolution einen Kampf um Leben oder Tod ausfechten müssen. Wenn die Kräfte der politischen Revolution es nicht schaffen, sich zu entwickeln und die Macht zu übernehmen, ist die Restauration früher oder später unausweichlich.

Bis heute sind jene Kräfte, die bewußt die Planwirtschaft und andere proletarische Errungenschaften verteidigen schwach. Das hatte zur Folge, daß eine Reihe von bürgerlich restaurativen Regierungen die Macht übernommmen hat. Diese haben sich als erstes daran gemacht, die Reste von Doppelherrschaft durch Säuberungen des Staatapparates zu beseitigen. Diese Säuberung wird je nach der politischen Geschlossenheit der Armee unterschiedlich ausfallen. Wo ein bedeutender Teil noch von der Lebensfähigkeit der bürokratischen Herrschaft überzeugt ist, kann die Auseinandersetzung gewaltsame Formen annehmen, selbst bis zum Bürgerkrieg.

Die Auflösung dieser Doppelmacht und die Verhinderung, daß die Arbeiterklasse eigene Machtorgane etabliert, sind wesentlich für einen erfolgreichen Restaurationsprozeß. Aber selbst die Errichtung eines zuverlässigen Staatsapparats, der nicht der Form eines bürgerlichen Staates ähnlich, sondern aktiv die wachsenden Elemente des Kapitalismus verteidigt und die sich zerfallenden Reste der Planwirtschaft attackiert, bedeutet nicht das Ende des Restaurationsprozesses. Erst die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus über die des bürokratischen Plans dominieren, erst wenn die wirtschaftliche Grundlage des Arbeiterstaates zerstört ist, kann man sagen, daß dieser Prozeß abgeschlossen und der Kapitalismus wiederhergestellt ist.

Die Wirtschaftsprogramme der kapitalistischen Restauration sind sehr verschieden. Der eine sofortige ‚Erfolg‘ war die Integration der DDR in den imperialistischen westdeutschen Staat durch eine verlängerte Verbindung von staatskapitalistischen und Privatisierungsmaßnahmen, nachdem die Zentralorgane der Planwirtschaft abgeschafft worden waren. In den anderen Staaten, wo die Ressourcen einer wesentlichen imperialistischen Macht nicht verfügbar waren, ist die neoliberale Schocktherapie angewandt worden. Das hieß Freigabe der Preise, Auflösung der zentralen Plan- und Rohstoffzuteilungsinstanzen, Abschaffung des alten Staatsbankmonopols und Ersetzung mittels eines durchkommerzialisierten Kreditsystems, in dem Verlustunternehmen bankrott gehen können und müssen und Umwandlung der Unternehmen in privat- und/oder staatskapitalistische Konzerne.

Der massive ökonomische Niedergang, der Ergebnis dieser Politik ist, schafft selber wiederholte politische Krisen und vorrevolutionäre Situationen. Nur eine Vertiefung des Klassenbewußtseins und der Militanz des Proletariats sowie das Erscheinen von antirestaurativen Verteidigern der Arbeiterdemokratie kann solche Krisen in eine voll entfaltete Revolution ummünzen. Diese Revolution wird einen kombinierten Charakter haben. Sie muß politische Revolution sein,insofern als sie die Enteignung einer sozialen Klasse – der Bourgeoisie – nicht zum zentralen Ziel hat. Dennoch hat eine solche Revolution enorme gesellschaftliche, d.h. antikapitalistische Aufgaben zu bewältigen. Als politische Revolution ist sie nichtsdestotrotz gegen ein bürgerliches Regime gerichtet, das die ganze oder Teile der Staatsmacht in Händen hält. Ihr bleibt die Aufgabe der Eroberung der Staatsmacht und der Gründung eines Arbeiterstaats, gestützt auf Sowjets.

In den todgeweihten degenerierten Arbeiterstaaten, wo restaurative Regierungen mit der Durchsetzung der Restauration des Kapitalismus befaßt sind, müssen revolutionäre Kommunisten Verfechter eines Programms von Sofort- und Übergangsforderungen sein, um die soziale Konterrevolution aufzuhalten und umzukehren; ein Programm, das in seiner Gesamtheit nur das Programm einer revolutionären Arbeiterregierung sein kann.

• Für einen Mindestlohn, der zum Leben ausreicht und den Kauf eines üblichen Güterkorbes gewährleistet und von Arbeiterbasisorganisationen festgelegt wird.

• Für eine gleitende Lohnskala, eine automatische angepaßte Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg, festgelegt von gewählten Komitees, bestehend aus Arbeitern, im besonderen Frauen und Rentnern, der jeden Preisanstieg kompensiert.

• Schluß mit allen Preiserhöhungen! Preise für Nahrungsmittel, Kleidung, Transport, Mieten und Brennstoff dürfen nicht steigen. Die einzige Währungsreform, die den Interessen der Werktätigen und nicht der Spekulanten dient, ist jene, die von einer Arbeiterregierung durchgeführt wird.

• Alle privaten und staatlichen Warenhäuser und Lebensmittelvorratslager unter Kontrolle von bewaffneten Arbeitereinheiten, unter Arbeiterinspektion und -verteilung. Beschlagnahme aller von Bürokraten, Schwarzmarkthändlern oder Privatgeschäften gehorteten Güter. Arbeiter müssen alle Hilfslieferungen aus imperialistischen Ländern kontrollieren und verteilen.

• Gewählte Arbeiterausschüsse müssen die Konten von Unternehmen und Planungsministerien, von Spezialläden für die Bürokratie und von neuen Spekulanten inspizieren. Nur dann wird das Ausmaß von Korruption, Aneignung und Diebstahl am Produkt des Arbeiterstaates aktenkundig, können die Schuldigen bestraft werden und kann ein neuer Produktions- und Verteilungsplan entstehen.

• Organisierung des unmittelbaren Austausches zwischen Stadt und Land. Die ländliche und städtische Arbeiterschaft sollen gemeinsam faire Austauschraten und sogar -preise zwischen Industrie- und Landwirtschaftsprodukten regeln.

• Wiederherstellung des Rechts auf Arbeit und der Gelegenheit dazu. Den gegenwärtig Arbeitslosen muß eine Arbeitsstelle angeboten oder der durchschnittliche Industrielohn bezahlt werden. Nein zu allen Entlassungen ohne gleichrangigen Ersatzarbeitsplatz bei gleicher Entlohnung. Besetzung aller Fabriken, Bergwerke, Läden und Büros, die Entlassungen verfügen oder schließen wollen. Die müßigen Angehörigen der Bürokratie, die Unternehmensmanager und die schmarotzenden Spekulanten sollen nützliche Arbeit in den Fabriken und auf dem Land zum Durchschnittsverdienst eines Arbeiters verrichten.

• Für Arbeiterverwaltung in jedem Unternehmen. Keine Privatisierung, auch nicht in Form von veräußerbaren Betriebsbeteiligungen, die ganz oder teilweise an die Belegschaft ausgegeben werden. In einem Arbeiterstaat gehören die Fabriken bereits per Gesetz den Arbeitern. Keine Enteignung von Arbeitereigentum.

• Keine Kürzungen im Sozialwesen. Für ein massives Programm zur Wohnungsinstandsetzung und zum Bau von neuen Wohnungen, Kinderkrippen, Schulen und Kliniken. Niemand sollte arbeitslos sein und niemand müßig sein, während es anderen am elementar Notwendigsten fehlt.

• Mindestlohn für alle, der zum Leben ausreicht; Renten, die nicht darunter liegen und geschützt durch eine gleitende Skala.

• Notmaßnahmen zur Linderung der Wohnungsknappheit. Beschlagnahme der Datschen und großen Appartements der Altbürokraten und Neureichen. Besetzung aller Staatsgebäude, die nicht dem Gemeinwohl der Arbeiterklasse dienen und Umwandlung in Unterkünfte für junge Familien und Arbeitslose.

• Arbeiterkomitees müssen eine Inventur des Staatseigentums nach dem Stand vor Regierungsantritt der restaurativen Regierung machen. Die Bereicherung und das Horten der früheren Bürokratie muß ans Licht, und alle Ressourcen des Arbeiterstaates in gemeinschaftliches Eigentum rückgeführt werden. Jede ‚Enteignung‘ von Staatseigentum muß rückgängig gemacht werden.

• Nieder mit dem nationalen Chauvinismus. Kollektive Hinrichtung der Organisatoren von Pogromen und ‚ethnischen Säuberungen‘. Gnadenlose Unterdrückung von Faschisten und Antisemiten, Rassisten und Chauvinisten, die Angriffe auf nationale Miderheiten, Frauen, Lesben und Schwule und die Arbeiterorganisationen anzetteln. Keine Plattform, keine ‚demokratischen Rechte‘ für dieses Ungeziefer.

• Respekt vor den Beschlüssen der minderheitlichen Nationalitäten für Unabhängigkeit, wenn es ihre Wahl ist. Bedingungslose Verteidigung der demokratischen Rechte aller Nationalitäten gegen die stalinistische Unterdrückung alten Stils oder die nationalistische oder religiöse Unterdrückung neuen Stils. Genauso wie wir die demokratischen Rechte aller Minderheiten in Jugoslawien, China oder den Staaten der früheren UdSSR verteidigen, gilt dies auch für alle großrussischen, serbischen oder han-chinesischen Arbeiter in Gegenden, wo sie nun die Minderheit darstellen und Unterdrückung erleiden könnten.

• Für Arbeitermiliz zum Schutz der Arbeiterkämpfe, zur Zerschlagung der Faschisten und Pogromorganisatoren und zur Niederwerfung der bewaffneten Aufstände der Konterrevolutionäre.

Um die Wiederherstellung des Kapitalismus zu verhindern, wartet auf die Arbeiter eine kombinierte Aufgabe, der Kampf gegen die bürgerlichen Vollzugsorgane und ein Kampf zur Rettung der Überbleibsel der geplanten staatseigenen Produktions- und Verteilungsmittel. Für diesen zweiten Teil müssen sie den Kampf zum Sturz der restaurativen Regierungen aufnehmen und Arbeiterregierungen, gestützt auf Arbeiterräte an die Macht bringen. Die restaurativen Kräfte können nicht durch friedliche Mittel allein aus dem Amt entfernt werden, doch je entschlossener und stärker die Arbeiter mobilisieren, desto weniger teuer wird ein solcher Sieg sein. Eine Arbeitermiliz muß die einfachen Soldaten für ihre Sache gewinnen.

Es besteht kein Mangel an Waffen oder an Gelegenheit, sie zu bekommen. Die meisten Arbeiter haben einen Militärdienst absolviert. Die Arbeiter können und müssen sich bewaffnen. Mit der Waffe in der Hand können Arbeiter die Flammen des nationalistischen Hasses ausblasen, alle Minderheiten, die Streiks und Besetzungen schützen. Sobald die Gelegenheit zur Machteroberung kommt, können bewaffneten Einheiten in Verbindung mit den Sowjets diese Aufgabe durchführen und ein Arbeiterregierung errichten. Die Arbeiterregierung müßte Wahlen für Arbeitertribunale organisieren, um alle Verbrecher gegen die arbeitende Bevölkerung aus der Zeit der stalinistischen Diktatur oder der restaurationistischen Regimes vor Gericht zu stellen.

Die zentrale Aufgabe einer Arbeiterräteregierung ist die Zerschlagung der restaurativen Pläne und die Organisierung der Weltarbeiterbewegung zu seiner Verteidigung gegen unvermeidbaren imperialistischen Druck und Blockade. In der Ökonomie muß die Arbeiterregierung einen Notplan entwickeln und durchführen, um die Wirtschaft vor der völligen Auflösung zu retten. Er muß von den Arbeitervertretern aufgestellt und von der Arbeiterklasse selber in Gang gesetzt werden. Die dringendsten Maßnahmen eines solchen Plans sollten sein:

• Wiederherstellung des staatlichen Außenhandelsmonopols, Kontrolle des gesamten internationalen Handels durch gewählte Organe der Arbeiterinspektion. Die Hafen-, Flughafen-, Kommunikationsnetz- und Bankarbeiter können schnell entscheiden, welcher Handel im Interesse des Arbeiterstaats liegt und was Spekulation oder schädliche Profitmache ist. Druck auf die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern, ihre Regierungen zu zwingen, Handelsvereinbarungen zum Wohl des Notplans abzuschließen.

• Schluß mit allen Privatisierungen von großen Produktionsmitteln und Wiederverstaatlichung aller schon ausverkauften Wirtschaftszweige. Schließung der Aktien- und Warenbörsen. Untersuchung aller bisherigen Transaktionen und Bestrafung aller arbeiterfeindlichen Profiteure.

• Wiederherstellung des staatlichen Bankmonopols. Verstaatlichung aller Privatbanken unter Arbeiteraufsicht und -einsichtnahme. Beschlagnahme der Dollarberge der Spekulanten, joint ventures, Pseudo-Kooperativen und Privatkonten der Bürokraten durch den Arbeiterstaat.

• Nichtanerkennung der Auslandsschulden, Schluß mit allen Zahlungen und Bruch aller Ketten an IWF, Weltbank und europäische Bank der Restauration! Raus mit allen imperialistischen ‚Wirtschaftsberatern‘.

• Durchführung einer Geldreform im Interesse der Werktätigen. Geld als Wertmaß muß die für Industrie- und Landwirtschaftsprodukte aufgewendete Arbeitszeit so genau wie möglich messen. Die Inflation aus den letzten Jahren der bürokratischen Mißwirtschaft muß beendet werden, so daß die Arbeiterschaft eine rationelle Buchführung, ohne die Planung unmöglich ist, vornehmen kann.

• Umwandlung der kollektiven Agrarbetriebe in wirklich demokratische Kooperativen auf der Grundlage eine Arbeitskraft – eine Stimme. Errichtung von Arbeiterkontrolle auf den Kolchosen. Hilfestellung als Anreiz für kleine Höfe zu Kooperativ- Zusammenschlüssen durch Versorgung mit gemeinschaftlichen Ressourcen.

• Kleine Privatunternehmen im Bereich von industrieller Produktion, Verteilung, Einzelhandel und Dienstleistung sollten ihr Gewerbe betreiben und in Sphären zahlenmäßig sogar aufstocken können, wo Staat und Kooperativen die Nachfrage nicht abdecken können. Dieser Bereich von privatem Kleinkapital und Kleinbürgertum kann dem Arbeiterstaat sogar von Nutzen sein, vorausgesetzt, daß die dort Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind und ihre Arbeitsbedingungen und -zeit von den Ortssowjets reguliert werden, und vorausgesetzt, daß ihre Konten der Inspektion zugänglich sind und die Besteuerung zu Gunsten des Arbeiterstaates angesetzt ist.

• Reorganisierung eines Zentralausschusses zur Plankoordination und Aufbau ähnlicher Ausschüsse auf lokaler, regionaler und städtischer Ebene. Die Fachleute für Statistik, Wirtschaft und Verwaltung müssen zusammengezogen werden und unter Kontrolle von gewählten Arbeitervertretungen arbeiten. Es darf kein Wiederauftreten bürokratischer Privilegien geben. Kein Experte darf mehr verdienen als ein Facharbeiter, und alle Planungsorgane müssen die Beschlüsse der zuständigen Körperschaften der Arbeiterdemokratie ausführen.

• Der Notplan muß ein massives Bauprogramm zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur beginnen: Hausbau und Instandsetzungen, Kliniken und Krankenhäuser, Ausbau der Kindergärten, Schulen sowie höhere Schulen.

• Der Notplan muß das Kommunikations-, Verteilungs- und Transportsystem schnell verbessern. Militärfahrzeuge und Flugzeuge müssen in ein effektiviertes Frachtsystem eingebaut werden, so daß die Nahrungsmittel nicht verderben, bevor sie den Verbraucher erreicht haben. Ein längerfristiges Straßen- und Schienenbauprogramm, ein optimiertes Telekommunikationssystem, der Aufbau eines landesweiten Netzwerks von Warenhäusern, Kühlhäusern und Gefriertechnikanlagen können dafür sorgen, daß die Arbeit der Bauern nicht vergeudet ist.

• Der Notplan muß als ein zentrales Ziel die Einführung einer Reihe von Maßnahmen haben, die die Bedingungen der Frauen erleichtern. Verbesserungen bei der Qualität von Gütern, Verteilung und Einkaufsmöglichkeiten müssen den Frauen die erdrückende Bürde der Nahrungssuche und des endlosen Schlangestehens abnehmen. Fortschritte im Bereich Wohnungen, Kinderkrippen und Kinderbetreuungseinrichtungen, bei Kranken- und Altenpflege sollten dem Ringen um die Vergesellschaftung von Hausarbeit förderlich sein und die Frauen befreien, damit sie schließlich auch eine vollkommen gleichwertige Rolle im sozialen und öffentlichen Leben einnehmen können.

• Für das Recht der Frauen auf Arbeit bei gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit; Verteidigung des Mutterschaftsurlaubs mit Lohnfortzahlung und Schutz der Frauen vor gesundheitsschädigender Arbeit. Widerstand gegen Versuche, die Frauen zu Teilzeitarbeit mit Lohnverlust und schlechteren Arbeitsbedingungen zu zwingen – Wochenarbeitszeitverkürzung für alle Arbeiter. Verteidigung des Rechts der Frauen auf Abtreibung und Ausweitung des Zugangs zu Verhütungsmitteln.

• Die Kirchen, Tempel und Moscheen haben begonnen, Anspruch zu erheben auf die Einrichtung von Schulen sowie Kultur und Erziehung zu reglementieren. Sie dürfen keine Kontrolle über Schulen, Krankenhäuser oder Medien ausüben. Für wissenschaftliche und rationale Sexualerziehung ohne kirchlichen Aberglauben und Tabus.

Für internationale Solidarität

Die Arbeiterregierung muß entschieden, und das sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene, mit der konterrevolutionären Politik der Walesas, Jelzins oder Havels brechen. Die Verbündeten eines Arbeiterstaates können keine imperialistischen Welthaie und Ausbeuter des Proletariats der kapitalistischen Länder sein.

Die siegreiche politische Revolution muß sich an die Arbeiterbewegung der ganzen Welt und besonders an die Basis um Hilfe und Unterstützung wenden.

Die erfolgreiche russische Revolution 1917 hat massive Unterstützung in Europa, Asien und den Amerikas versammeln können, so daß der heldenhafte Widerstand der russischen Arbeiter die imperialistische Intervention abschütteln konnte. Die internationale Politik der siegreichen politischen Revolution muß im Gegenzug den Kämpfen der Arbeiter und unterdrückten Völker auf der ganzen Welt Wirtschafts- und Militärhilfe anbieten.

• Imperialisten, Hände weg von Kuba, Vietnam, Nordkorea und den anderen bürokratisch beherrschten Arbeiterstaaten. Militärischer und wirtschaftlicher Beistand gegen die US-Embargos, -Blockaden oder Interventionen. Für die sozialistische Wiedervereinigung von Korea, nein zu einer kapitalistischen Wiedervereinigung!

• Hilfestellung für die Arbeiter dieser Staaten zur Durchführung einer politischen Revolution. Nur revolutionäre Regierungen der Arbeiter- und Bauernräte werden imstande sein, diese Staaten zu retten. Für ein weltumspannendes Bündnis von Arbeiterstaaten, das in eine Föderation münden soll. Für die wirtschaftliche Koordination des Plans aller Arbeiterstaaten.

• Unterstützung für alle nationalen Befreiungskämpfe gegen den Imperialismus. Hilfe für alle Arbeiter und unterdrückten Völker, die gegen Austeritäts- und Privatisierungspläne kämpfen, die vom IWF angeordnet sind.

• Opposition gegen alle Ausverkaufsgeschäfte und Verrätereien im Nahen Osten, in Südafrika, Südostasien, Afghanistan und Mittelamerika.

• Unterstützung für alle Kämpfe der Arbeiter in Osteuropa gegen die kapitalistische Restauration.

• Unterstützung für die unmittelbaren und revolutionären Klassenkämpfe der Arbeiter in der gesamten kapitalistischen Welt.

• Für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken der ehemaligen UdSSR; für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken auf dem Balkan.

• Für eine sozialistische Weltföderation von Arbeiterräterepubliken.




Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 6, Sommer 1989

Alle ausgebeuteten Klassen sehen sich Unterdrückung gegenüber. Die systematische Verweigerung von wirklicher politischer und wirtschaftlicher Gleichheit und persönlicher Freiheit ist sowohl ein Ausdruck als auch eine Verstärkung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen der herrschenden Klasse und den direkten Produzenten. Zusätzlich zu dieser Klassenunterdrückung aber gibt es andere systematische wirtschaftliche, soziale, gesetzliche und politische Ungleichheiten, die speziell Frauen, Jugendliche, verschiedene rassistisch unterdrückte und nationale Gruppen sowie Lesben und Schwule betreffen.

Diese spezifischen Formen der sozialen Unterdrückung sind ein grundlegendes Merkmal der Klassengesellschaften und in den sozialen Strukturen der Familie und des Nationalstaates verwurzelt. Die Unterdrückung der Frauen war die erste Form systematischer Unterdrückung und entstand im Zusammenhang mit der Herausbildung von Klassen. Sie bleibt die grundlegendste Form der sozialen Unterdrückung. Aber die jeweiligen Formen der sozialen Unterdrückung wurden mit jeder Produktionsweise verändert. Sie erreichten ihre entwickeltste und in mancher Weise unverhüllteste Form in der imperialistischen Epoche.

Die gesellschaftlichen Strukturen, auf denen die soziale Unterdrückung aufbaut, sind für den Kapitalismus wesentlich. Ihre Funktionen sind innig und untrennbar mit dem Prozeß der Ausbeutung verbunden, aber sie schaffen eine Unterdrückung, die nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt ist. Frauen aller Klassen sehen sich Diskriminierung und Benachteiligung gegenüber, und zwar als Resultat der Rolle, die sie innerhalb der Familie ihrer Klasse einnehmen. Aber es sind die Frauen der Arbeiterklasse, und ebenso Jugendliche, Schwarze und Lesben und Schwule aus dem Proletariat, die sich der stärksten sozialen Unterdrückung gegenübersehen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse mit dem entscheidenden Interesse und der Kraft zur Überwindung jenes Systems, das alle diese Formen der Unterdrückung aufrechterhält. Nur unter der Führung der Arbeiterklasse können besonders unterdrückte Sektionen der ausgebeuteten Klassen in den Kampf für die Diktatur des Proletariats gezogen werden, der die Voraussetzung für eine Beendigung aller Unterdrückung ist. Die Arbeiterklasse muß daher jederzeit an der vordersten Front des Kampfes gegen alle Ungleichheiten, gegen Unterdrückung und Ausbeutung stehen.

Dennoch versagen die existierenden Arbeiterorganisationen, den Kampf gegen die soziale Unterdrückung aufzunehmen. Tatsächlich ist es häufig der Fall, daß die reformistischen Bürokraten, die die Arbeiterbewegung beherrschen, aktiv zu feindlicher Haltung unter den Massen gegenüber den Bedürfnissen und der Notlage der Unterdrückten ermutigen. Die Unterdrückten sind in einem solchen Ausmaß Opfer von Sexismus, Rassismus und Heterosexismus, daß ihre Teilnahme in Gewerkschaften und am politischen Leben blockiert wird. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde liegt in der Bekämpfung dieser Vorurteile und darin, die Massenorganisationen der Arbeiterklasse in die Vorderfront des Kampfes gegen Unterdrückung zu bringen.

Die Unterdrückten selbst sind nicht notwendigerweise schon allein deswegen, weil sie die unterdrücktesten Sektionen der Gesellschaft bilden, in der Avantgarde der Kämpfe. Die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung erzeugt nicht nur revolutionäre Kämpfer und Kämpferinnen, sondern auch rückständige und gehorsame Schichten. Vieles ist der Ausdruck reaktionärer Ideen oder des Rückzugs ins Privatleben. Nur die klassenbewußtesten Elemente der Unterdrückten werden in der Avantgarde der Kämpfe für ihre eigene Befreiung zu finden sein. Diese Teilnahme der Avantgarde innerhalb des gesamten Klassenkampfes gibt die Möglichkeit, daß ihre Interessen aktiv von der Arbeiterklasse aufgegriffen werden.

Spezielle Methoden der Agitation und der Propaganda sowie besondere Arbeitsformen müssen verwendet werden, um die sozial Unterdrückten für das kommunistische Programm zu gewinnen. Es können aber auch spezielle Organisationsformen notwendig sein, um die Unterdrückten sowohl dazu zu mobilisieren, ihre eigene Unterdrückung zu bekämpfen, als ihnen auch zu ermöglichen, auf einer gleichberechtigten Basis mit allen anderen Arbeitern und Arbeiterinnen in die Reihen der organisierten Arbeiterbewegung einzutreten. Innerhalb der Bewegung des Proletariats müssen Revolutionäre das Recht der Unterdrückten verteidigen, sich zu organisieren und sich gesondert zusammenzuschließen, um Druck dafür zu erzeugen, daß ihre Forderungen von der ganzen Klasse aufgegriffen werden. Unter bestimmten Bedingungen waren auch eigene Arbeiterorganisationen der Unterdrückten notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Solche speziellen Methoden und Organisationsformen haben nichts mit Separatismus gemeinsam. Sie sind ein Mittel, um die Kampfeinheit in der Arbeiterklasse zu erleichtern und abzusichern, daß die Arbeiterbewegung als ganzes den Kampf der Unterdrückten anführt.

An erster Stelle hat die revolutionäre Partei die Pflicht sicherzustellen, daß sie in ihrer Tagesarbeit und in ihrer internen Organisation gegenüber den Bedürfnissen der Unterdrückten aufgeschlossen ist. Wenn revolutionäre Massenparteien existieren, können für diese daher Parteisektionen oder parteigeführte Bewegungen gebildet werden. Diese Sektionen werden die Unterdrückten für den kommunistischen Kampf als Parteimitglieder organisieren und den Kampf gegen die Unterdrückung in das Herz der Arbeiterbewegung tragen.

Wenn revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten noch eine kleine Minderheit in der Arbeiterbewegung sind, müssen an die Stelle der Bildung von Massensektionen der Partei, die die Ausübung von speziellen Arbeitsformen organisiert, andere Formen der Einheitsfront treten. In vielen Ländern führte die gemeinsame Erfahrung der Unterdrückten zur Entwicklung von Bewegungen und Kampagnen unter Frauen, Lesben und Schwulen, Jugendlichen und rassistisch Unterdrückten. Die Partei kann nicht die Führung dieser Bewegungen den kleinbürgerlichen Utopisten, den Sozialdemokraten oder den Stalinisten überlassen.

Wir unterstützen die Bildung von kämpfenden Einheitsfronten gegen die Unterdrückung und argumentieren, daß sie sich auf das Proletariat stützen, von diesem geführt und auf der Verwendung der Methoden des Klassenkampfes aufbauen müssen. In bestimmten Fällen können diese Einheitsfronten die Form von vollständig entwickelten Bewegungen (mit regionalen Gruppen, Kongressen und Exekutivkomitees etc.) annehmen. Aber in jedem Fall muß die Organisationsform mit den konkreten Umständen in Verbindung gesetzt werden. Wie lange solche Organisationen benötigt werden, hängt vom Grad ab, in dem wir erfolgreich sind, die Arbeiterbewegung als ganzes für unser Programm zu gewinnen. Außerdem werden wir, wenn unsere zeitlich begrenzten Verbündeten den Kampf zu spalten oder auszuverkaufen versuchen, nicht davor zurückschrecken, auch selbst zum Mittel der Spaltung dieser Einheitsfronten zu greifen.

Wir stellen diese Taktik allen Formen der autonomen und klassenkollaborationistischen Bewegungen der Unterdrückten gegenüber. Wo bürgerliche Kräfte in Bewegungen der Unterdrückten involviert sind, versucht die revolutionäre Avantgarde die Arbeiterklasse und andere Unterdrückte von jedem Bündnis mit ihnen wegzubrechen. In der Tat bekämpfen wir durch den Aufbau von proletarischen Bewegungen und durch den schonungslosen Kampf für die kommunistische Führung innerhalb dieser die Tendenzen des Separatismus und der Volksfront, die unter den Unterdrückten auftreten. Unser Ziel ist der Aufbau kommunistischer Bewegungen, obwohl nicht alle an einer solchen Bewegung Teilnehmenden Mitglieder, und damit unter der Disziplin der revolutionär-kommunistischen Partei, sein werden.

Der Kampf gegen Diskriminierung

Andere Sektionen der Gesellschaft sind, auch wenn sie nicht sozial unterdrückt sind, trotzdem im Kapitalismus das Opfer von Diskriminierung. Die Alten, die Behinderten und die Kranken, die nicht die Voraussetzungen des Kapitalismus für die Lohnarbeit erfüllen, werden ausgestoßen und als Belastung für die Gesellschaft behandelt. Bedeutende Teile der Armen werden für Handlungen stigmatisiert und kriminalisiert, die sie nur unternehmen, um zu überleben. Andere werden als geistig krank bezeichnet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die bürgerliche Gesellschaft nutzt die Marginalisierung dieser Gruppen, um ihr Konzept von „Normalität“ und ihren moralischen Kodex der ganzen Arbeiterklasse aufzuerlegen und ihre Strategie des teile und herrsche fortzusetzen.

Zum Beispiel macht die erzwungene Isolation der Alten sie zu einer Beute des Konservativismus, die Menschen mit Behinderungen aufgezwungenen Beschränkungen erlauben es, sie als nicht gewerkschaftlich organisierte billige Arbeitskräfte zu verwenden. Revolutionärinnen und Revolutionäre müssen den Kampf der Alten, Kranken und Behinderten gegen die Diskriminierung, von der sie betroffen sind, unterstützen. Dies wird ihre Integration in die Arbeiterklasse erleichtern und damit den Kampf gegen den gemeinsamen Feind stärken. Revolutionäre sollen für die Sicherstellung kämpfen, daß die Arbeiterbewegung allen Mitgliedern der Arbeiterklasse den größtmöglichen Zugang zu ihren Organisationen, Treffen und zu ihrem sozialen Leben gewährleistet. Die revolutionäre Partei sollte dabei ein Beispiel für den Rest der Arbeiterbewegung geben.

Revolutionärinnen und Revolutionäre versuchen, die militanten Kämpfer und Kämpferinnen aus den Reihen jener, die von der Diskriminierung betroffen sind, zu gewinnen. Während sie alle Kämpfe für Reformen und Verbesserungen unter dem Kapitalismus unterstützen, versuchen Kommunistinnen und Kommunisten zu erklären, daß das Profitmotiv es dem Kapitalismus unmöglich macht, die Bedürfnisse jener zu erfüllen, die er auf den Müllhaufen wirft. Außerdem schafft sein gieriger Charakter Krankheit und Behinderung. Nur eine sozialisierte und geplante Produktion kann die notwendigen Ressourcen freisetzen, um diese Gruppen vollständig in die Gesellschaft zu integrieren und die Grundlage für ihre Befreiung zu legen.

Frauen

In der imperialistischen Epoche sind Millionen Frauen in der ganzen Welt dazu verurteilt, die Misere des Kinderaufziehens und der Haushaltsführung unter Bedingungen enormer Entbehrungen zu erleiden. Frauen tragen weltweit die Hauptlast unzulänglicher Wohnverhältnisse, ungenügender Lebensmittelversorgung und des Kampfes zur Abwehr bzw. der Bewältigung der Auswirkungen von Krankheiten. Für die Mehrheit von ihnen ist Überausbeutung in der Fabrik und auf den kapitalistischen oder kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetrieben ebenfalls die Norm.

Den Frauen aller Klassen wird die ökonomische, soziale, rechtliche und politische Gleichheit mit den Männern verwehrt. Der globale Charakter der Unterordnung der Frauen läßt diese als natürliche Folge ihrer Rolle in der Fortpflanzung erscheinen. Doch die systematische gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen begann erst mit der Geburt der Klassengesellschaft und der Schaffung der patriarchalen Familie als grundlegende Einheit, in der die Reproduktion, das Aufziehen der Kinder und der Kampf um das tagtägliche Überleben stattfinden. In den verschiedenen Formen der Klassengesellschaft veränderten sich zwar auch die speziellen Merkmale der Frauenunterdrückung, doch in ihrem Innersten beinhalteten sie alle die privatisierte Hausarbeit, also einen Lebensbereich, der die wesentlichste oder ausschließliche Verantwortung der Frauen ist.

In der imperialistischen Epoche verrichten Frauen einen großen Anteil der Arbeit am Land und in den Fabriken, doch bleibt ihre erste Verantwortung die gegenüber ihrem Haushalt und ihrer Familie. Das bedeutet, daß die Geschlechter ein ungleiches Verhältnis zur bezahlten Arbeit haben, was die Wurzel der fortgesetzten Frauenunterdrückung darstellt. In vielen Halbkolonien behält die Familie die Funktion einer produktiven Einheit, wobei Frauen und Kinder integraler Bestandteil der kollektiven Produktion sind. Doch noch immer sind Frauen hauptsächlich für Hausarbeit und Kinderaufziehen verantwortlich und nehmen daher eine den männlichen Haushaltsvorständen untergeordnete Position ein.

Der Kapitalismus hat sich als unfähig und unwillig erwiesen, die im Haushalt verrichtete Arbeit systematisch zu vergesellschaften. Er ist daher unfähig, die Unterdrückung der Frauen zu beenden. Die Bereitstellung vergesellschafteter Wäschereien, von Kinderbetreuungseinrichtungen und Kantinen hat sich als zu großer Abfluß vom Mehrwert der Bosse erwiesen, als daß sie es sich außer in der Ausnahmesituation eines Krieges leisten würden.

Für die Frauen, die nicht der Arbeiterklasse angehören, nimmt die Unterdrückung eine stark verschiedene Form an. Sogar in manchen herrschenden Klassen werden den Frauen die vollen Rechte über Eigentum und Erbe verweigert und sie werden von ihren Ehemännern als dekorative Besitztümer und Produzentinnen der Nachkommen gehalten. Auch wenn ihre fortgesetzte Unterdrückung weit von der Plackerei und dem Elend der Arbeiterinnen dieser Welt entfernt ist, ist sie doch ebenso eine Folge ihrer Rolle in der Familie. Die Produktion von Nachkommen bedarf der striktesten Beibehaltung der Monogamie der Ehefrauen. Die Frauen aus der herrschenden Klasse können jedoch viele der schlimmsten Aspekte ihrer Unterdrückung durch die Beschäftigung von Frauen aus der Arbeiterklasse ausgleichen, die deren Hausarbeit und das Aufziehen von deren Kindern verrichten. Außerdem können sie niemals wirkliche Verbündete der Frauen aus der Arbeiterklasse sein, da ihr Platz in der bürgerlichen Gesellschaft ihre vollständige Bindung an eben jene Gesellschaft bedeutet, die die materielle Grundlage der Frauenunterdrückung ist.

In den imperialistischen Ländern erhöhte sich seit dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Frauen, die in einem Lohnarbeitsverhältnis stehen, beträchtlich. In vielen Ländern geht nun die Mehrheit der verheirateten Frauen einer bezahlten Beschäftigung nach. Während diese Entwicklung Tendenzen in Richtung der Unterminierung der wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit der Frauen in sich trägt, erwiesen sich die Umstände, unter denen dies geschah, als zweischneidig. Nun müssen sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl die Arbeit in Büro oder Fabrik als auch die Hausarbeit verrichten. Da es nur einen kleinen Anstieg im Ausmaß der Hausarbeit, die von den Männer verrichtet wird, gab, müssen Frauen nun sogar mehr Stunden für die Errungenschaft, nun selbst lohnabhängig zu sein, arbeiten. Und da Frauen noch immer wesentlich geringere Löhne als Männer erhalten, bleibt auch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend eine Fiktion. In den meisten imperialistischen Ländern verstärken gesetzliche Beschränkungen die anhaltende Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern oder Vätern.

Zusätzlich zu ihrer Rolle im Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft hat die Familie auch eine wesentliche Funktion bei der Erhaltung der sozialen Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Familie handelt als Verstärkerin der vorherrschenden Ideen der herrschenden Klasse, indem sie die jeweiligen Rollen der Männer, Frauen und Kinder erhält sowie Gehorsam und Unterwürfigkeit einprägt. Sogar dann, wenn die Kernfamilie wie in vielen imperialistischen Ländern aufgehört hat, die häufigste Form des Haushalts zu sein, liegt ihre Stärke immer noch darin, als „Ideal“ jeden Aspekt des Lebens der Frauen zu beeinflussen. Angefangen von der Art der Ausbildung der Mädchen über die von Frauen ausgeübten Berufe bis zu den von ihnen angestrebten Beziehungen – all dem drückt die „Norm“ der bürgerlichen Familie ihren Stempel auf. Diese Familie baut auf Monogamie und Heterosexualität auf und übt einen starken Anpassungsdruck auf Frauen und Mädchen aus. Die Rollen von Frauen und Männern in der Familie beschränken die Entwicklung beider Geschlechter, doch haben sie besonders repressive Auswirkungen auf Frauen.

Die Familie führt zu einer Spaltung in der Arbeiterklasse, die durch die Ideologie des Sexismus erhalten wird. In der Arbeiterbewegung ist das nicht nur eine Frage von rückständigen Ideen über die Rolle von Frauen, sondern schließt ein, daß beim Ausschluß von Frauen aus vielen Gewerkschaften mitgewirkt oder dieser entschuldigt wird. Dieser Sexismus führt zu einem Versagen im Kampf für gleichen Lohn und zu einer Weigerung, Frauen im Kampf zu unterstützen. Obwohl die Frauenunterdrückung nicht durch die Einstellung männlicher Arbeiter verursacht wird, wird sie beständig durch ihren Sexismus befestigt. Dies zeigt sich oft in brutalster Form durch häusliche Gewalt und Mißbrauch.

Die männlichen Arbeiter genießen in Folge der Frauenunterdrückung wirkliche Vorteile. Sie haben einen höheren Status im Haushalt und im gesellschaftlichen Leben. Sie sichern sich bessere Jobs und Löhne und tragen eine geringere Last bei der Hausarbeit. Diese Privilegien helfen mit, sexistische Vorstellungen und Verhaltensweisen in der Arbeiterklasse zu bestärken. Jedoch werden die Männer der Arbeiterklasse bei weitem wichtigere Errungenschaften von der endgültigen Befreiung der Frauen erhalten – die kollektive Verantwortung für Wohlfahrt, Freiheit in den Beziehungen, sexuelle Befreiung und die wirtschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus. All dies bedeutet, daß – historisch betrachtet – die Männer der Arbeiterklasse keinen entscheidenden Nutzen aus der Frauenunterdrückung ziehen, sondern bei der Verwirklichung ihrer grundlegenden Klasseninteressen behindert werden. Denn es ist die herrschende Klasse, unterstützt von ihren Agenten in der Arbeiterbürokratie, die aus der zwischen Männern und Frauen geschaffenen Spaltung ihren Nutzen zieht.

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung in den Halbkolonien

Von frühester Kindheit an sind proletarische Frauen gezwungen, für erbärmliche Löhne zu arbeiten, und müssen nach einem extrem langen Arbeitstag die Hausarbeit erledigen oder noch zusätzliche Arbeit auf sich nehmen, um ein Auskommen für die Familie zu gewährleisten. Nicht besser ergeht es armen Bäuerinnen, die oft zusätzlich zur Hausarbeit das Land bearbeiten müssen, da ihre Männer gezwungen sind, in den Städten zu arbeiten. Armut, miserable Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit zwingen viele Frauen in die Prostitution.

Der Imperialismus untergrub zwar die ökonomische Grundlage für traditionelle, patriarchale Systeme in diesen Ländern, doch blieben alte Formen der Frauenunterdrückung, wie Mitgift, Brautpreis, Klitorisbeschneidung und Polygamie, erhalten. Die Witwenverbrennung in Indien ist ein brutales Bespiel dafür. Unter den Frauen in den Halbkolonien ist der Analphabetismus noch größer als unter den Männern. Trotz medizinischer Fortschritte hat die Masse der Frauen in den Halbkolonien keine Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. In Afrika und Asien sterben jedes Jahr eine halbe Million Kinder bei der Geburt. Nur eine sehr dünne gesellschaftliche Oberschicht kann Nutzen aus den Vorteilen des Kapitalismus, wie z.B. Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ziehen.

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, daß tausende Frauen an den antiimperialistischen Kämpfen in Vietnam, Nikaragua, Palästina und auf den Philippinen teilgenommen haben und einen hohen Preis, oft sogar mit ihrem Leben, bezahlen mußten. Doch ihre Interessen wurden immer verraten. Die kleinbürgerlichen und stalinistischen Bewegungen haben sich bei der Durchführung der Frauenbefreiung als völlig unfähig erwiesen. Die „Volksdemokratische Partei Afghanistans“ war zum Beispiel bereit, die Kampagne gegen den Analphabetismus unter den Frauen zu stoppen, um mit den islamischen Stammesfürsten zu einem Kompromiß zu kommen.

Gegen solchen Verrat setzen wir den Kampf für die Frauenbefreiung als untrennbaren Bestandteil der proletarisch-revolutionären Strategie. Proletarische und bäuerliche Frauen müssen um ökonomische Forderungen ebenso organisiert werden wie für Schutzmaßnahmen gegen Vergewaltigung, erzwungene Sterilisierung, Frauenhandel und für eine zwangsweise Beschränkung des Sextourismus.

Auch wenn Frauen aus den Halbkolonien dieser Misere entkommen, werden Millionen Immigrantinnen und Wanderarbeiterinnen in das Arbeitskräftepotential der imperialistischen Kernländer hineingezogen. Dort erfüllen sie die niedrigsten Aufgaben für sehr geringen Lohn und unter miserablen Arbeitsbedingungen.

Einwanderungskontrollen und Beschränkungen für Visa und Arbeitsbewilligungen stellen eine andauernde Bedrohung für Wanderarbeiterinnen dar. Insbesondere wird ihnen der Zugang zu vielen Arbeiten verwehrt, und sie werden so in Arbeitsbedingungen hineingezwungen, die sie von den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern, den Gewerkschaften, ja der Arbeiterbewegung überhaupt isolieren. Sie werden oft für häusliche Dienste bei reichen Familien eingestellt, wo sie unorganisiert bleiben und stark ausgebeutet werden. Oft haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung oder auf Schutz vor willkürlichen Entlassungen. Außerdem werden ihnen politische Rechte und Sozialleistungen verwehrt. In allen Ländern fordern wir das Recht der häuslichen Angestellten und Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter auf gewerkschaftliche Organisierung, einen Achtstundentag, einen Leben ermöglichenden Mindestlohn und das Recht auf Sozialleistungen. Von der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung fordern wir, daß sie spezielle Maßnahmen zur Organisierung dieses Teils der Arbeiterklasse setzt.

Für eine proletarische Frauenbewegung!

Um die Frauenunterdrückung zu beenden, muß die grundlegende Trennung der Hausarbeit von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Produktion abgeschafft werden. Nur wenn Frauen voll und gleich in die Produktion einbezogen sind und die Hausarbeit in einer sozialistischen Planwirtschaft kollektiv organisiert ist, können Frauen von Unterdrückung frei sein. Allein das sozialistische Programm garantiert die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kindererziehung. Doch können wir sogar unter dem Kapitalismus diesem Ziel näher kommen, indem wir für das Recht der Frauen auf Lohnarbeit kämpfen. Wo die Bosse behaupten, daß es keine Arbeit für Frauen gibt, argumentieren wir für eine gleitende Skala der Arbeitsstunden, also eine Aufteilung der vorhandenen Arbeit ohne Lohnverlust. Die Teilzeitarbeit für Frauen wird von den Bossen verwendet, die Ausbeutung von Arbeiterinnen durch niedrigen Lohn und mangelnde Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen, während diese Frauen ein flexibles Arbeitskräftepotential darstellen. Wir fordern volle Arbeitsplatzsicherheit für Teilzeitarbeit, verbunden mit einem Kampf für die Verringerung der Arbeitszeit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Lohnverlust. Wir fordern die Bereitstellung vergesellschafteter Betreuung von Kindern und anderen Abhängigen, um Frauen die gleiche Teilnahme mit den Männern an der gesellschaftlichen Produktion zu ermöglichen.

Sogar dort, wo Frauen in großem Ausmaß in die Lohnarbeit hineingezogen worden sind, wurden sie nicht ökonomisch unabhängig. Es muß ihnen gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit garantiert werden, um sie vor der gegenwärtig erlittenen Überausbeutung zu schützen. Dies ist im Interesse der gesamten Arbeiterklasse. Denn weit entfernt davon, einen Schutz für die Löhne der Männer darzustellen, wie es viele reformistische Gewerkschaftsführer behauptet haben, haben die niedrigen Löhne der Frauen eine Tendenz zur Untergrabung der Lohnraten der Männer und damit auch des Lebensstandards der gesamten Klasse. Für einen gleichen Mindestlohn für Männer und Frauen, dessen Höhe durch die Arbeiterklasse bestimmt wird. Das Einkommen der Frauen muß daher durch eine gleitende Lohnskala, durch die steigende Preise an steigende Löhne gekoppelt sind, geschützt werden. Die Frauen der Arbeiterklasse werden in den Komitees zur Festsetzung der Preissteigerungen und der Lohnforderungen wesentliche Teilnehmerinnen sein. Für die Frauen in den Halbkolonien gibt es ein zusätzliches dringendes Bedürfnis nach gleichen Rechten auf Landbesitz und -eigentum.

Die Ungleichheit, die Frauen und Mädchen in Erziehung und Ausbildung erfahren, verunmöglicht es ihnen, dieselben Arbeiten wie Männer zu bekommen. Frauen müssen aber durch Aus- und Weiterbildung gleiche Möglichkeiten erhalten – von den Bossen bezahlt und unter der Kontrolle der Gewerkschaften, der Arbeiterinnen und Lehrlinge. Mädchen müssen gleichen Zugang zur Bildung haben, und in Ländern mit weitverbreitetem weiblichen Analphabetismus müssen Alphabetisierungsprogramme für Frauen eingerichtet werden.

Da Frauen noch immer die Hauptverantwortung in der Kindererziehung tragen, ist eine kostenlose Kinderbetreuung für alle unter der Kontrolle der Arbeiterinnen und Gewerkschaften und voller Lohn für die Karenzzeit notwendig, damit Frauen die gleiche Möglichkeit haben, Lohnarbeit anzunehmen. Weiters sollte eine Karenzierung auch für Väter möglich sein. Wir fordern, daß der Staat volles Arbeitslosengeld in einer Höhe, die von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt wird, all den Frauen bezahlt, denen es aufgrund der Unfähigkeit des Kapitalismus, soziale Unterstützung für abhängige Kinder und andere Verwandte zu leisten, nicht möglich ist, eine entlohnte Arbeit anzunehmen. Diese Forderung muß mit dem Kampf der Arbeiterklasse für soziale Einrichtungen, die es Frauen mit Kindern, kranken oder behinderten Verwandten ermöglichen zu arbeiten, verbunden werden. Wir treten für die kollektive Bereitstellung von Wäschereien und Restaurants ein, subventioniert vom Staat und unter Arbeiterkontrolle.

Die reproduktive Rolle der Frauen bedeutet auch, daß es verschiedene Arten von Arbeit gibt, die ihre Gesundheit oder die ihrer Kinder gefährden. Um dadurch entstehenden Schaden zu verhindern, müssen Schutzbestimmungen eingeführt werden. Wo diese vom bürgerlichen Staat gewährt wurden, geschah das einerseits aufgrund des Drucks der Arbeiterklasse, andererseits aufgrund der Einsicht von Teilen der herrschenden Klasse, daß die ungezügelte Ausbeutung zwar kurzfristigen Profitinteressen dient, aber langfristig die Reproduktion der Arbeiterklasse – und somit die Basis der Profitwirtschaft selbst – gefährdet. Zusätzlich erkannten die großen Kapitalisten, daß diese Gesetze mithelfen, kleinere Konkurrenten aus dem Geschäft zu werfen. Die Arbeiterklasse muß jedoch die Einhaltung der Schutzgesetze überwachen, da sonst die Bosse das Proletariat betrügen und immer wieder Wege finden werden, die Gesetze zu umgehen, um die Ausbeutung der Frauen zu maximieren. Die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsführer haben die Idee einer Schutzgesetzgebung dazu verwendet, Frauen aus bestimmten qualifizierten Berufen auszuschließen, um die Standesinteressen in ihrem Bereich zu schützen. Frauen dürfen aus keinem Beruf oder Gewerbe ausgeschlossen werden. Arbeiterinnenkomitees, nicht die Gewerkschaftsbürokraten, müssen entscheiden, welche Aufgaben eines jeweiligen Berufs den Frauen schaden könnten.

Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigenen Körper systematisch verwehrt. Sie werden gezwungen, ungewollte Kinder zu gebären, oder gehindert, Kinder auf die Welt zu bringen, die sie wollen. Weiters werden Frauen zu arrangierten Eheschließungen gezwungen und an Scheidungen gehindert. Kurz gesagt: Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit verweigert. Die Frauen müssen wählen können, ob sie ein Kind gebären oder nicht, um gleichberechtigt mit den Männern in der Produktion, am sozialen und politischen Leben teilnehmen zu können. Die Bereitstellung von kostenloser Verhütung und Abtreibung für alle Frauen auf Wunsch ist unbedingt notwendig. In weiten Teilen der halbkolonialen Welt erleiden Frauen Unterdrückung, die das Ergebnis vorkapitalistischer Produktionsweisen und der Präsenz religiöser Ideologien ist. Wir sind gegen die Zwangsbeschneidung von Frauen, die ein Teil dieser Unterdrückung ist. Die Halbkolonien leiden auch unter dem Druck des Imperialismus, ihr sogenanntes „Bevölkerungsproblem“ auf Kosten der Rechte der Frauen zu lösen. Keine Frau darf zwangssterilisiert werden. Frauen werden von der Teilnahme am sozialen Leben durch rechtliche, soziale und religiöse Normen ausgeschlossen und werden oft psychisch und physisch mißbraucht. Zwangsheirat, Verkauf und Handel mit Frauen müssen gesetzlich verboten und diese Gesetze von der Arbeiterklasse durchgesetzt werden. Die vollen gesetzlichen Rechte und Sozialleistungen müssen für alle Frauen unabhängig von Alter und Familienstand zugänglich sein. Nieder mit dem Schleierzwang für Frauen und ihrem Ausschluß von jedem Teil des öffentlichen Lebens.

Die Frauen können nur befreit werden, wenn diese Forderungen für ihre unmittelbaren Interessen einen Teil des Programms für die proletarische Machtergreifung bilden. In den vereinten Kampf der Arbeiter für dieses Ziel können die proletarischen und bäuerlichen Frauen durch den Kampf für unmittelbare Ziele und Übergangsforderungen gezogen werden. Wenn die Frauen für diesen vereinten proletarischen Kampf nicht gewonnen werden, können sie ein passiver oder gar rückständiger Teil der Klasse bleiben, der für den Einfluß bürgerlicher Propaganda, im besonderen der Religion, offen ist. Werden Frauen jedoch für diese Aktionen gewonnen, können sie die männlichen Arbeiter von der sexistischen Ideologie, die die Arbeiterbewegung spaltet und schwächt, wegbrechen und gleichzeitig wirkliche Errungenschaften für sich auf dem Weg zu den Zielen der sozialistischen Revolution und der Frauenbefreiung sichern.

Die Frauen müssen für die Gewerkschaften gewonnen und dort organisiert werden, um ihren Forderungen gegenüber den Gewerkschaftsführern Nachdruck zu verleihen. In Industrien, wo Frauen mit Männern zusammenarbeiten, lehnen wir die Forderung nach einer eigenen Frauengewerkschaft ab, selbst wenn der Sexismus der Gewerkschaftsbürokraten die Teilnahme von Frauen sehr schwer macht. Der Kampf für die Vereinigung von Arbeiterinnen und Arbeitern muß geführt werden, während wir das Recht der Frauen auf gesonderte Treffen, auf Organisierung in den Gewerkschaften und auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung verteidigen. Wir müssen fordern, daß die Gewerkschaftsführer Kampagnen für die Rekrutierung von Frauen (unter Einschluß der Teilzeitarbeiterinnen, die die vollen Mitgliedsrechte erhalten und reduzierte Mitgliedsbeiträge zahlen sollten) finanzieren und unterstützen.

Wir anerkennen, daß das Erbe der kapitalistischen Rolle der Frauen als die hauptsächlichen Pflegerinnen und Kindererzieherinnen bedeutet, daß viele Frauen durch die Organisierung der Versorgung in Zeiten scharfer Klassenkämpfe und revolutionärer Krisen in die Auseinandersetzung gezogen werden. Aber die revolutionäre Partei muß für spezielle Maßnahmen agitieren, die sicherstellen, daß Frauen eine vollwertige Rolle in allen Bereichen des Kampfes spielen und von keiner Art der politischen Betätigung wegen ihrer Versorgungsrolle zurückgehalten werden.

Eine proletarische Frauenbewegung ist von zentraler Bedeutung, wenn die Frauen eine positive und wesentliche Rolle im revolutionären Kampf spielen sollen. Sie muß außerdem von Revolutionärinnen geführt werden, die mit einem Programm für die proletarische Diktatur bewaffnet sind. Eine Bewegung, die breite Arbeiterinnenschichten umfaßt, ist ein unentbehrliches Mittel zur Organisierung jener Frauen, die von der Produktion ausgeschlossen sind, das heißt der Hausfrauen, der arbeitslosen und behinderten Frauen. Eine solche Bewegung, die auf den Frauen aufgebaut ist, die in Fabriken, in Büros, in der Landwirtschaft, in den Gemeinden und in den Gewerkschaften organisiert sind, kann gleichzeitig für die Interessen der Frauen, gegen die Vorurteile männlicher Arbeiter und für den revolutionären Sturz des Kapitalismus kämpfen. In entscheidenden Schlachten des Klassenkampfes organisieren sich Frauen oft in eigenen Komitees und Gruppen. Welche Form diese Frauenorganisationen anfänglich auch annehmen: Revolutionäre müssen für ihre Umwandlung in eine proletarische Bewegung eintreten, die die Frauen aller Schichten der Arbeiterinnen, der armen Bauernschaft und der unterdrückten Teile des Kleinbürgertums in die Bewegung hineinzieht.

In der gegenwärtigen Periode, wo Revolutionäre nicht die Führung der großen Masse der Arbeiterinnen stellen, stellt sich dennoch die Aufgabe eine solche Bewegung zu organisieren. Wir fordern von den sozialdemokratischen und stalinistischen Führerinnen und Führern des Proletariats, daß sie die Mittel und die Unterstützung für den Aufbau solch einer Bewegung zu Verfügung stellen. Auf diese Art können wir in eine Einheitsfront mit den militantesten Teilen der proletarischen Frauen eintreten und versuchen, diese durch gemeinsame Aktionen und kommunistische Propaganda von ihren falschen Führern loszureißen und schließlich zu gewinnen.

Die Frauen aus anderen Klassen, vor allem die Bäuerinnen, aber auch die städtischen Kleinbürgerinnen besonders der imperialisierten Länder, werden unter der Führung der proletarischen Frauen in diesen Kampf gezogen werden. Der feministischen Linie einer klassenübergreifenden Bewegung zu folgen, würde die Preisgabe der Interessen der Arbeiterinnen bedeuten. Ein zeitweiliges Bündnis mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung ist nur in einigen halbkolonialen Ländern möglich. Aber dazu müssen diese Bewegungen für zumindest bürgerlich-demokratische Rechte kämpfen und mobilisieren (z.B. der Kampf der Kongreß-Partei in Indien gegen die Witwenverbrennung). Weiters muß für eine Einheitsfront die Propaganda- und Organisationsfreiheit aller zum Kampf bereiten Tendenzen gegeben sein. Es darf keine Beschränkungen für Trotzkisten und Trotzkistinnen in ihrer revolutionären Arbeit geben.

Wir lehnen die Vorstellung einer „autonomen“ Frauenbewegung ab, da diese die Möglichkeit einer Gewinnung der Frauenbewegung für das revolutionäre Programm ausschließt und die Intervention kommunistischer Frauen als disziplinierte Mitglieder ihrer Organisation zu verhindern sucht. Kommunistinnen versuchen die Mehrheit der proletarischen Frauenbewegung dafür zu gewinnen, das revolutionäre Programm zu unterstützen und Kommunistinnen in ihre Führung zu wählen.

Die Losung der „Autonomie“ beinhaltet auch den Ausschluß der Männer von den Organisationen (und oft auch den Veranstaltungen) der Frauen. Die proletarischen Frauen können weder den Kapitalismus zerstören, noch ihre eigene Unterdrückung beenden, ohne sich im Kampf mit dem Rest ihrer Klasse, den Männern, zu vereinen. Der Ausschluß der Männer von den Aktivitäten einer Frauenbewegung erzeugt eine unnötige Barriere auf dem Weg des Kampfes gegen den Sexismus, der auch die Erziehung der Arbeiter im Prozeß des gemeinsamen Kampfes mit den Frauen beinhalten muß.

Kinder und Jugendliche

Die Söhne und Töchter der Arbeiter und Bauern erfahren die schärfsten Formen der kapitalistischen Ausbeutung und des Mißbrauchs. Den Jugendlichen werden die elementarsten Rechte auf Unabhängigkeit verwehrt. Die Jugendlichen haben keine gesetzlich garantierten Rechte, über ihre Löhne zu verfügen, keinen unabhängigen Zugang zu staatlichen Unterstützungen und de facto kein Recht zu wählen, wo und wie sie ihr Leben leben wollen. Trotzdem werden Jugendlich für reif genug gehalten, in die bewaffneten Streitkräfte zwangseingezogen zu werden, um dort zu Millionen für die militärische Verteidigung der bürgerlichen Ordnung geopfert zu werden.

Die soziale Struktur, die die Unterdrückung der Jugend erzeugt und aufrechterhält, ist die Familie. Diese Unterordnung ist wie bei der Unterdrückung der Frauen kein Kennzeichen des menschlichen Lebens schlechthin, sondern ein Produkt der Klassengesellschaft. In den einzelnen Familien werden die Kinder und Jugendlichen aufgezogen und grundlegende Kenntnisse erlernt. Zusätzlich dient sie dazu, den Jugendlichen jene Regeln einzuimpfen, mit denen sie sich im Erwachsenenalter halten sollen. Die proletarischen Kinder werden aufgezogen, um gehorsame Arbeiter zu sein. Die männlichen Kinder der Bourgeoisie werden gelehrt, erfolgreiche Industriekapitäne und Generäle der Streitkräfte zu sein, und die Mädchen dazu herangezogen, gehorsame Hausfrauen oder Produzentinnen zukünftiger Erben zu sein.

Die Jugendlichen der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft sind der schärfsten Unterdrückung ausgesetzt: Die Unterdrückung in der Familie geht mit der Überausbeutung in der Produktion und einem geringen Bildungsniveau einher. Diese Jugendlichen sind das Rückgrat der Billiglohnindustrien. Das spiegelt die Lage der Jugend in der Familie wider: Bei ihren Löhnen ist generell die Zugehörigkeit zu einer größeren ökonomischen Einheit vorausgesetzt. Das verstärkt umgekehrt die Abhängigkeit der Jugendlichen von den Eltern. Die proletarischen Jugendlichen an den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen erhalten wenig oder kein Einkommen, eine qualitativ schlechte Ausbildung und eine Erziehung, die bestimmt ist, den Interessen der Bourgeoisie zu dienen.

In ihrer extremsten Form ist die Stellung der Jugend- und Kinderarbeit eine Form der Sklaverei, bei der alle Löhne an das Familienoberhaupt, normalerweise den Vater, bezahlt werden. Wo die Kinderarbeit üblich ist, wie in vielen Halbkolonien, kümmern sich die Bosse überhaupt nicht um das Wohl der heranwachsenden Kinder, sondern treiben sie in Krankheit und frühen Tod. Die Armut der Eltern ist so drückend, daß sie keine Alternative dazu sehen, ihre Kinder in die Hölle der Überausbeutung zu schicken. Die Gesetze zum Schutz der Kinder werden sowohl von den Unternehmern als auch von den Eltern ignoriert. Das bestätigt die Marx’sche Erkenntnis, daß das Recht in einer Gesellschaft niemals höher als ihre ökonomische Basis sein kann.

Eine andere Konsequenz dieser wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit ist die Unterdrückung des Sexuallebens der jungen Menschen. In der Klassengesellschaft ist das ein notwendiger Ausgangspunkt, um den Jugendlichen Konformität und Unterordnung einzuimpfen. Den Kindern wird die Bildung eines rationalen Verständnisses ihrer sexuellen Gefühle bzw. deren Verbindung mit sozialer Verantwortung nicht gestattet. Der kindlichen Sexualität wird jeder freie Ausdruck verwehrt; selbst jene Gefühle werden unterdrückt, die mit der heterosexuellen Norm, die die bürgerliche Gesellschaft vorschreibt, nicht widersprechen. Statt dessen werden die jungen Leute moralischen und religiösen Tabus unterworfen, die zur Vernebelung ihres Bewußtseins mit irrationalen Ängsten dienen. Das ganze Seelenleben des Kindes wird dazu gezwungen, sich um seine Eltern zu konzentrieren und an diese zu binden. Dadurch werden die bürgerlichen Vorstellungen des Individuums und der Privatheit gegen jedes kooperative und kollektive Ideal anerzogen.

Um die Jugendlichen von ihrer ökonomischen, sozialen, rechtlichen und sexuellen Unterordnung zu befreien, bedarf es der Umwälzung der Gesellschaft, um sicherzustellen, daß der individuelle Familienhaushalt nicht länger der ausschließliche Ort zur Durchführung der Hausarbeit und der Kindererziehung bleibt. Dies würde es zugleich mit der Herausbildung der Bedingungen für die Frauenbefreiung auch den Jugendlichen ermöglichen, unabhängig von ihren Eltern zu sein, mit soviel oder sowenig Kontakt zu ihnen, wie sie wollen, aber mit von der Gesellschaft bereitgestellter Wohnung, Reinigungsdienst, Nahrung, Kleidung, Freizeiteinrichtung und Kinderbetreuung für alle.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit, angemessene Ausbildung und Freiheit von Überausbeutung sind Schlüsselforderungen für die Jugend. Für all jene in Lohnarbeitsverhältnissen muß gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit unter Arbeiterkontrolle erreicht werden, um die gewaltigen Lohndifferenzen zwischen jugendlichen und erwachsenen Arbeitern zu überwinden. Jugendliche, die erstmals ins Erwerbsleben eintreten, sollten nur eine verringerte Stundenzahl arbeiten und das Recht auf längeren Urlaub als erwachsene Arbeiter haben. Bis zum Ende der Schulpflicht müssen für Jugendliche und Kinder die Arbeitsstunden streng begrenzt und die Arbeitsbedingungen durch die Arbeiterklasse und Komitees von jugendlichen Arbeitern überwacht werden. Schutzgesetze sind notwendig, die Nachtarbeit, lange Arbeitszeit und andere Tätigkeiten, die für die Entwicklung und Gesundheit der Jugendlichen schädlich sein könnten, verbieten. Diese müssen von den Arbeitern und Jugendlichen kontrolliert werden.

Erziehung und Ausbildung der Jugend ist eine Sache der ganzen Arbeiterklasse. Die Bosse müssen gezwungen werden, Ganztagsschulen und finanzielle Unterstützung, zuerst für die Familien und dann für die Schüler selbst, bereitzustellen. Bildung muß kostenlos sein, alle Ausgaben sollen vom Staat bezahlt werden. Es sollte eine allen zugängliche Gesamtschule sein, die bis zu einem von der Arbeiterbewegung festgesetzten Alter verpflichtend zu besuchen ist. Wir kämpfen für die Abschaffung von Tests und Prüfungen, die zur Aufnahmebeschränkung in den Bildungsinstitutionen geschaffen wurden. Allen, die nach dem schulpflichtigen Alter in Ausbildung stehen, muß ein ausreichendes Stipendium in einer Höhe, die von Komitees der Studenten, Arbeiter und Lehrer festgesetzt und gegen die Inflation geschützt ist, gezahlt werden.

Bildung muß für Mädchen und Buben gleichermaßen zugänglich sein, und die Arbeiterbewegung muß für die Integration der schulischen Ausbildung (Koedukation) der Buben und Mädchen kämpfen. Diese muß weltlich sein – keine religiöse Propaganda in Schulen, keine staatlichen Mittel für religiöse Schulen! Wir kämpfen gegen bürgerliche Vorurteile in den Lehrplänen, für Unterricht über die Geschichte der Arbeiterbewegung und das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. In den Schulen und anderen Bildungsstätten kämpfen wir für die Integration von Schulbildung und Erfahrung in der Produktion, und zwar mit dem Ziel, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit – ein Kennzeichen bürgerlicher Erziehung – zu überwinden. Gleichzeitig muß die Arbeiterbewegung dagegen kämpfen, daß die Kapitalisten Studenten und Lehrlinge als billige Arbeitskräfte verwenden. Wir kämpfen für angemessene kulturelle und sportliche Ausstattung und für eine freie Diskussion über sexuelle, soziale und politische Fragen an den Schulen. Wir fordern die Ausbildung der Jugendlichen im Gebrauch von Waffen, wobei wir jedoch jede Anwesenheit der Polizei oder der Armee an den Schulen, Fachschulen und Universitäten ablehnen.

Wir kämpfen dafür, alle Erziehungsmittel unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, der Studenten und Schüler zu stellen. Während wir gegen private Ausbildungsinstitutionen und für die Nationalisierung der Universitäten kämpfen, kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Erziehungsinstitutionen vom kapitalistischen Staat. Die Führung der Ausbildungsinstitutionen muß unter die direkte Kontrolle der dortigen Arbeiter, Studenten und Lehrer und der Vertreter der Arbeiterbewegung gestellt werden. Diese müssen auf Massenversammlungen aller Beteiligten nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ gewählt werden. Wir treten für das Recht der Schüler und Studenten ein, Gewerkschaften und politische Organisationen zu bilden, und für das Zutrittsrecht von Arbeitervertretern zu Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Vertreibt die Faschisten von den Schulen, Fachschulen und Universitäten! Die Kontrollorgane der Arbeiter, Studenten und Schüler müssen für das Recht kämpfen, ein Veto gegen die Ernennung reaktionärer Lehrer aussprechen zu können.

Die Studenten und Studentinnen als ganzes sind nicht automatisch natürliche Verbündete der Arbeiterklasse. Viele Studenten kommen aus den höheren und mittleren Klassen. Studenten, die nicht arbeiten müssen, sind in einer privilegierten Position, da sie nicht dem Tagesablauf der Arbeiterklasse unterworfen sind. Weiters haben viele Studenten und Studentinnen aufgrund ihrer Ausbildung Privilegien. Trotzdem können und müssen viele Studenten – zukünftige Wissenschafter, Techniker, Rechtsanwälte und Künstler – auf die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung gewonnen werden und sie dadurch stärken. Seit der Zeit von Marx und Engels wurden die besten Elemente der Intelligenz jeder Generation für die Sache des Proletariats gewonnen. Die Massenkämpfe der Studenten und Studentinnen zeigen – in den degenerierten Arbeiterstaaten ebenso wie in den kapitalistischen Ländern -, daß die Studenten und Studentinnen im Kampf für den Sozialismus, Schulter an Schulter mit der proletarischen Avantgarde, eine wichtige Rolle spielen.

Wir kämpfen daher für die Einheit der Arbeiter und Studenten, ausgedrückt in permanenten Verbindungen zwischen der Arbeiterbewegung und den Studentenorganisationen. Dadurch können Studenten und Studentinnen auf die Seite der Arbeiterklasse gewonnen werden. Der Enthusiasmus und Idealismus der Studenten und Studentinnen wiederum können den Arbeitermilitanten helfen, ihre bürokratischen und konservativen Führer zu vertreiben. Die Studenten sollten sich der Taktiken des Klassenkampfes bedienen – Streik und Besetzung -, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie sollten für die Kontrolle der Studentengewerkschaften durch die Basis und gegen staatliche Einmischung und Kontrolle kämpfen. In einigen Ländern existiert eine Studentenbürokratie, die, obwohl sie kein Teil der Gewerkschaftsbürokratie ist, aktiv dieselbe Ideologie und politische Methode wie diese propagiert. Diese Führungen müssen gestürzt und die Studentenorganisationen für die Unterstützung der wirklichen Kämpfe der Arbeiter gewonnen werden.

Arbeitslose Jugendliche müssen für eine gründliche Bildung und Ausbildung, volle wirtschaftliche Unterstützung und für eine gleitende Arbeitszeitskala zur Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle kämpfen. All jene, die aus den Bildungsinstitutionen entlassen werden und keine Arbeit finden, müssen volle Arbeitslosenunterstützung erhalten, um sicherzustellen, daß die Arbeitslosigkeit nicht zur vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Familie führt.

In der Familie sind es die Eltern, die für die Unterdrückung ihrer Kinder unmittelbar verantwortlich sind. Das trifft selbst dort zu, wo die Eltern fortschrittliche Ideen vertreten. Öfter allerdings unterdrücken die Eltern ihre Kinder auf brutale Art, bestrafen Ungehorsam mit Gewalt und Mißbrauch. Die Jugend benötigt daher volle gesetzliche und politische Rechte in der Familie und anderswo als Hilfe zur Brechung der Herrschaft und Macht, die die Eltern über sie ausüben. Die sozialen Einschränkungen, die die Familie auf die Jugendlichen oft in Verbindung mit der Religion ausüben, unterdrücken viele junge Männer und Frauen aufs Schärfste. Da ihnen die Familie das Recht auf die Ausübung der von ihnen gewählten sozialen und sexuellen Aktivitäten verwehrt, müssen soziale Zentren zur Verfügung gestellt werden, wo alle Einrichtungen für diese Aktivitäten frei zugänglich sind. In diesen sozialen Zentren sollten Information und Aufklärung über Sexualität zusammen mit kostenlosen Verhütungsmitteln und Hinweisen auf Abtreibungsmöglichkeiten erhältlich und zugänglich sein. Das gesetzliche (sexuelle) Mündigkeitsalter leistet nichts, um Jugendliche vor sexuellem Mißbrauch zu schützen. Es straft nur beidseitig gewollte sexuelle Beziehungen von Individuen unter einem bestimmten Alter. Schafft daher das (sexuelle) „Mündigkeitsalter“ ab!

Die Jugendlichen müssen volle politische und gesetzliche Rechte auch in der öffentlichen Sphäre erlangen. Wenn die Jugend reif genug ist, in die Armee der Bosse zwangseingezogen zu werden, um deren Ausbeutungssystem zu verteidigen, dann sind sie auch reif genug, um verantwortliche Entscheidungen in Friedenszeiten zu treffen. Das Wahlrecht sollte bei einem gesetzlichen Minimum von maximal 16 fixiert werden und darunter von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt werden. Das Recht, gesetzlich bindende Entscheidungen in finanziellen und öffentlichen Angelegenheiten zu treffen, muß ab demselben Alter garantiert werden.

Die Jugend, vor allem die männliche, ist das Kanonenfutter der bürgerlichen Armeen. Hunderttausende Jugendliche beiderlei Geschlechts wurden im Dienste der Reaktion zynisch geopfert, sei es für den US-Imperialismus in Vietnam oder durch das Fortführen eines Ablenkungskrieges im Iran. Es ist notwendig, die Jugend im Geist des proletarischen Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus zu erziehen. Der Pazifismus stumpft nur den Geist ab und bereitet zukünftigen Schlächtereien den Weg. Die Jugend muß unter Anleitung der Arbeiterbewegung in militärischen Techniken trainiert werden. Sie wird das Rückgrat der Verteidigungseinheiten der Streikposten und den Kern der zukünftigen Arbeitermilizen darstellen.

In Zeiten akuter Krisen und Klassenkämpfe können arbeitslose Jugendliche, die keinerlei Erfahrung in der Produktion und mit Solidarität haben, zur Unterstützung faschistischer Banden oder als Streikbrecher mobilisiert werden. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß die organisierte Arbeiterklasse die Jugend in die Gewerkschaften ziehen. Für junge Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich den Gewerkschaften anschließen, muß es reduzierte Mitgliedsbeiträge, aber vollständige Mitgliedsrechte geben. Die Jugendlichen müssen eigene Gewerkschaftssektionen organisieren, um ihre Forderungen voranzutreiben, sich zu schulen und andere junge Arbeiter und Arbeiterinnen zu rekrutieren.

Es gibt sehr große Möglichkeiten zur Gewinnung der Jugend für die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse. Da sie natürlich mehr als jede andere Generation um die Zukunft besorgt ist, kann sie schnell für einen revolutionären bzw. sozialistischen Standpunkt gewonnen werden. Die Jugend ist in der Regel frei von dem Konservatismus, der den Geist von so manchem älteren Arbeiter gebrochen hat. Sie wurde nicht durch die jahrelange Erfahrung der reformistischen (Irre-) Führung und des Verrats zermürbt.

Eine revolutionäre Jugendbewegung muß aufgebaut werden. Sie ist ein Schlüssel zur Organisation des Kampfes für die Macht der Arbeiterklasse und die Befreiung der Jugend. Bewaffnet mit dem revolutionären Übergangsprogramm, wird diese Bewegung die Jugendlichen anderer Klassen, besonders der armen Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie, in sich hineinziehen. Die revolutionäre Jugendbewegung sollte auf jeder Ebene der Arbeiterbewegung repräsentiert sein. Dieses Prinzip gilt mit doppelter Kraft auch für die revolutionäre Partei, die damit der gesamten Arbeiterbewegung ein Beispiel geben soll.

Lesben und Schwule

Sexuelle Unterdrückung ist ein Merkmal aller Klassengesellschaften. Die Durchsetzung der Monogamie für die Frauen begleitete die Entstehung von Privateigentum und Klassen bzw. war wesentlich mit ihr verbunden. Im Kapitalismus existiert noch immer eine allgemeine sexuelle Unterdrückung, insbesondere der Frauen und Jugendlichen. Der Kapitalismus hat aber auch die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen hervorgerufen. Welcher liberalen Gesten sich die kapitalistische Gesellschaft auch immer in Zeiten des Aufschwungs fähig gezeigt hat, sie bleibt doch an sich anti-homosexuell.

Da die Familie für den Kapitalismus ideologisch und wirtschaftlich sehr zentral ist, wird jede Gruppe, die die monogame, heterosexuelle „Norm“ der bürgerlichen Familie unterwandert, als äußerste Gefahr für die Gesellschaft gesehen und dementsprechend gebrandmarkt. Lesben und Schwule stellen eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie und für ihre ideale Kernstruktur dar, indem sie aufzeigen, daß Sexualität weder eine bloß auf die Schaffung von Nachwuchs gerichtete Aktivität, noch ein Mittel zur Zementierung der monogamen heterosexuellen Ehe ist. Sie bezeugen die Tatsache, daß Sexualität selbst ein Vergnügen darstellt. Das Faktum, daß lesbische und schwule Sexualität eindeutig nicht-reproduktiv ist, stellt eine Bedrohung für die Legitimität der bürgerlichen Familie dar.

Im Kapitalismus werden Lesben und Schwule systematisch denunziert, mißbraucht und kriminalisiert. Dies führt zu sexuellem Elend für Millionen Individuen und schürt schädliche Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse. Durch die Manipulation von Erziehung, Medien, Religion und Rechtssystem und durch die stillschweigende Duldung der Gewerkschaftsbürokratie, fördert die Bourgeoisie die Idee, daß Homosexualität „unnatürlich“ sei.

In den 80er Jahren verwendete die Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern die Entwicklung der AIDS-Epidemie zur Verfolgung der Homosexuellen, insbesondere der Schwulen, die beschuldigt wurden, die Überträger der Krankheit zu sein. Innerhalb der Arbeiterklasse sind diese Argumente allgemein akzeptiert worden, und eine tief verwurzelte Angst vor Homosexualität (Homophobie) ist die Norm. Diese Homophobie schafft oft die Grundlage für einen aktiven, häufig gewaltsamen, Fanatismus gegen Lesben und Schwule in der Arbeiterklasse. Dennoch hat das Proletariat kein materielles oder fundamentales Interesse an der Aufrechterhaltung der lesbischen oder schwulen Unterdrückung oder in der Verewigung des anti-lesbischen und anti- schwulen Fanatismus.

Lesben und Schwule erleiden Unterdrückung in allen Bereichen, bis hin zu gesetzlichen Sanktionen. Während Lesben und Schwule aller gesellschaftlichen Klassen von ihr betroffen sind, ist sie doch für die Angehörigen der Arbeiterklasse am stärksten. Die Unterdrückung hat ihre Auswirkung auf die beruflichen Möglichkeiten. Männer und Frauen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, bekommen schwerer Arbeit, werden am Arbeitsplatz isoliert und mißbraucht und verlieren leichter ihre Arbeit, ihre Unterkunft und ihre Kinder. Im Gegensatz zu unterdrückten Mitgliedern der herrschenden Klasse haben aber Lesben und Schwule der Arbeiterklasse keine andere Alternative, als Arbeit zu suchen. Folglich sind sie oft gezwungen, ihre Sexualität zu verleugnen und erleiden durch diese Verleugnung und Unterdrückung psychischen Schaden.

Die Arbeiterklasse muß für die Beendigung jeglicher Diskriminierung von Lesben und Schwulen kämpfen. Die Homosexualität ist ein grundlegendes demokratisches Recht. Der Staat soll keine Rechte haben, dort in die Sexualität von Menschen einzugreifen, wo eine freiwillige Zustimmung der Beteiligten besteht. Die Abschaffung des Mündigkeitsalters ist notwendig, um der Polizei und den Gerichten eine weitere Waffe, junge Lesben und Schwule zu schikanieren, aus der Hand zu schlagen. Die Diskriminierung muß in jedem Bereich, einschließlich des Arbeitsplatzes, der Unterkünfte und des Sorgerechtes für Kinder, bekämpft werden. Gesetzlich verankerte Rechte sollen von der Arbeiterklasse erkämpft und verteidigt werden. Der Staat muß gezwungen werden, in den Schulen Aufklärung über Sexualität anzubieten, ohne die Homosexualität zu verurteilen, wie es heute gang und gäbe ist. Die religiöse, anti- homosexuelle Engstirnigkeit muß aus den Klassenräumen verbannt werden.

Millionen von Lesben und Schwulen sind Teil der Arbeiterklasse. Die große Mehrheit bekennt sich nicht zu ihrer Sexualität – aus Angst vor Schikanen und Verfolgung. Jene, die es getan haben, erlitten infolge ihrer Offenheit Nachteile. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen für die Unterstützung der Rechte aller Homosexuellen – offen zu ihrer Sexualität stehen zu können, Widerstand gegen polizeiliche Schikanen oder faschistischen Terror zu leisten, das Recht auf Arbeit zu verteidigen und einen Mindestlohn zu erhalten – gewonnen werden. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts für Leute mit verschiedenen sexuellen Orientierungen muß die sexistische und heterosexistische Engstirnigkeit, die momentan in der Arbeiterklasse der ganzen Welt vorherrscht, ersetzen.

Die Lesben und Schwulen der Arbeiterklasse müssen das Recht auf eigene Treffen innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse haben, um gegen die Homophobie und für volle politische und soziale Gleichheit zu kämpfen. Um den Kampf über bestimmte Anliegen des eigenen Bereichs oder der unmittelbaren Umgebung hinauszutragen, müssen solche Zirkel mit denjenigen Einheitsfronten und Kampagnen verbunden werden, die ein Teil der proletarischen Bewegung für eine lesbische und schwule Befreiung sein könnten. Revolutionäre und Revolutionärinnen werden um die politische Führung in solchen Einheitsfrontorganisationen kämpfen, um Lesben und Schwule für ein Programm ihrer Befreiung und für den revolutionären Sozialismus zu gewinnen.

Die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen wird nicht aufhören, solange die bürgerliche Familie als Modell für das gesellschaftliche Leben gefördert und verteidigt wird. Das ist ein Grund, warum der Kampf für die Beendigung dieser Form der Unterdrückung mit dem Programm für die Macht der Arbeiterklasse verbunden werden muß. Eine solche Revolution wird fähig sein, die lesbischen und schwulen Proletarier von den materiellen Entbehrungen, die ihnen als direktes Ergebnis ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch den Kapitalismus auferlegt sind, zu befreien. Und sie kann auch dem sexuellen Elend, das das Leben von Millionen zunichte macht, ein Ende bereiten.

Rassistische Unterdrückung

Moderne Nationen können nicht mit sogenannten Rassen gleichgesetzt werden. Rassistische Unterdrückung ist das Produkt des Entstehens der bürgerlichen Nation. In der merkantilistischen Periode des frühen Kapitalismus war in gewissen Ländern die Sklaverei eine Grundlage für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Die Ausdehnung der kapitalistischen Kolonialreiche brachte für die Eingeborenenbevölkerung die systematische Verweigerung einfacher Menschenrechte und sogar Völkermord mit sich. Aber der Rassismus nahm in der imperialistischen Epoche seine gehässigste Form an: Wirtschaftliche Katastrophen, Revolutionen und Kriege haben einen modernen, pseudo-wissenschaftlichen Rassismus ins Leben gerufen. Er existiert sowohl als fieberhaftes Hirngespinst des Kleinbürgertums als auch als bewußtes Werkzeug der imperialistischen Bourgeoisie.

In unserem Jahrhundert ist das „Rassen“-Problem nicht ein Problem angeblicher rassischer Unterschiede, sondern es ist eine Funktion des Rassismus: die Unterdrückung von Menschen ihrer (angeblichen) „Rasse“ wegen. Die Opfer dieses systematischen Rassismus sind zahlreich. An vorderster Front stehen die Juden, die im Zweiten Weltkrieg einen Völkermord erleiden mußten, und die Schwarzen aus Afrika, aus der Karibik, aus den USA und die, die nach Europa emigriert sind. In Südafrika schuftet die schwarze Mehrheit schon lange unter der barbarischen Unterdrückung durch die Apartheid. Zusätzlich sog der Nachkriegsboom Millionen von Arbeitern aus den Halbkolonien in die imperialistischen Kernländer, aus einer Halbkolonie in die andere und aus weniger entwickelten in höher entwickelte imperialistische Länder. Diese Wanderarbeiter und eingewanderten Arbeiter sind auch rassisch unterdrückt.

Den Opfern rassistischer Unterdrückung werden systematisch demokratische Rechte verweigert. Der Rassismus von Polizei und Staat stürzen auf sie ein. Dies dient im weiteren dazu, gewalttätige Angriffe von einzelnen Rassisten, von Banden und organisierten Faschisten zu ermutigen. Die rassistisch Unterdrückten erleiden Diskriminierung in der Ausbildung und in allen Bereichen der sozialen Vorsorge. Sie sind bei der Arbeit einer Überausbeutung ausgesetzt. Wann immer der Kapitalismus in die Rezession gerät, leiden rassistische unterdrückte Minderheiten am meisten unter Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen.

Für die arbeitenden Massen der rassistisch Unterdrückten gibt es keine kapitalistische Lösung für ihre Unterdrückung. Die Tendenz des Kapitalismus, Immigrantengemeinden zu integrieren und in verschiedene Schichten zu spalten, begünstigt immer die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten auf Kosten der ärmsten Massen. Und selbst diese Tendenz wurde wiederholt in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Kapitalismus in seinen Krisenperioden auf ungeschminkten Rassismus und Nationalchauvinismus zurückgreift. Die Schlachtung von sechs Millionen Juden unter Hitler zeigt das barbarische Potential der Epoche. Egal welches Niveau von „Chancengleichheit“ oder „bejahendem Handeln“ erreicht ist, die scharfen Wendungen des Imperialismus in Politik und Wirtschaft machen die Unterdrückten potentiell zu Opfern der völkermordenden „Endlösung“ des verzweifelten Finanzkapitals.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen betreiben innerhalb der unterdrückten Gemeinden Agitation und Propaganda für die strikteste Trennung der Klasseninteressen der Arbeiter von denen der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und den Interessen des Klerus. Zu diesem Zweck kann die revolutionäre Partei spezielle Organisationen schaffen, aber sie wendet sich entschieden gegen den Ruf nach einer separaten politischen Partei irgendeiner rassistischen Gruppe, egal welchen ultra-radikalen politischen Inhalt sie hat. Separatismus und Nationalismus führen vom Gesichtspunkt des Kampfes zur Beendigung der Unterdrückung in eine Sackgasse.

Die Erfahrungen der Kämpfe der Schwarzen in den USA zeigen sowohl die Fallgruben als auch das revolutionäre Potential der Kämpfe gegen rassistische Unterdrückung auf. Während des langen Nachkriegsbooms lebten die Schwarzen unter einer „demokratischen“ Verfassung, und die formale Abschaffung der Sklaverei lag ein Jahrhundert hinter ihnen. Doch sogar in diesen Jahrzehnten des „Wohlstandes“ wurden die Schwarzen massiv entrechtet, überausgebeutet und in den Südstaaten einer Form von Apartheid ausgesetzt. Ausgehend vom passiven Protest, der von schwarzen Geistlichen und der Intelligenz geführt wurde, entwickelte sich der Widerstand der Schwarzen zu einer Massenrevolte und zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei und der National Guard.

Aber der Massenaufstand war mit einer massiven Führungskrise gekoppelt. Auf der einen Seite war das integrationistische Kleinbürgertum dazu bereit, zugunsten von Reformen und größerem Zugang zu lokalen und bundesstaatlichen Regierungen die Massenrevolte zu demobilisieren. Andererseits war die radikale Opposition zu diesem Ausverkauf – die Black Panthers, Malcolm X – nicht in der Lage, einen kompletten Bruch mit Separatismus und Guerillaismus zu vollziehen. Von der Masse der weißen Arbeiter und den Massen der schwarzen Gemeinden abgeschnitten, wurde die Avantgarde vom US-Staat zermalmt. Nachdem der US-Imperialismus diesen Sieg errungen hatte, verleibte er sich eine schwarze Bourgeoisie und eine Kaste professioneller Politiker ein und ließ die erdrückende Mehrheit in Amerikas zerrütteten Innenstädten verkommen.

Nur die Überwindung des Imperialismus, die Befreiung der Produktivkräfte von den Ketten des nationalen Kapitalismus, kann die materiellen Wurzeln der rassischen Unterdrückung beseitigen. Der Kampf gegen Rassismus muß daher einen integralen Bestandteil des Programms und der Aktivität der revolutionären Partei in jeder Periode bilden. Diese muß ihr Übergangsaktionsprogramm um die alltäglichen Kämpfe der rassistisch Unterdrückten konzentrieren, die sich gegen die Diskriminierung in Ausbildung, Löhnen, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen wenden. Die Partei kann und muß unter den Männern, Frauen und Jugendlichen der rassistisch Unterdrückten Massen heldenhafter Kämpfer und Kämpferinnen finden und um dieses Programm versammeln.

Weil sie von Klassenkollaborateuren und Sozialchauvinisten geführt werden, spiegeln die offiziellen Arbeiterbewegungen der imperialistischen Kernländer den Rassismus und Chauvinismus der herrschenden Klasse wider und sind häufig ein Instrument der Herrschenden. Aber es gibt für die Unterdrückten keinen anderen Weg zur Befreiung, als durch einen Kampf die Mehrheit der Arbeiterklasse für gemeinsame Aktionen gegen den Rassismus zu gewinnen.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen kämpfen innerhalb der Arbeiterbewegung für gemeinsame Aktionen gegen alle rassistischen Angriffe und Gesetze, sowie für Arbeiterverteidigungstrupps gegen rassistische und faschistische Attacken. Wir kämpfen für volle Staatsbürgerschaft und demokratische Rechte für alle rassistisch unterdrückten und nationalen Minderheiten, für alle Immigranten- und Wanderarbeiter. Wir kämpfen für die Abschaffung aller Einwanderungskontrollen in den imperialistischen Ländern. In den Halbkolonien gilt unser Kampf den kolonialen Niederlassungen, und wir unterstützen die Einführung von zeitlichen und anderen Einschränkungen der Staatsbürgerschaft für weiße Siedler. Wir sind gegen alle neuen kolonialen Niederlassungen von Kapitalisten und reichen Farmern. Dies ist die einzige Ausnahme, die wir, und zwar in halbkolonialen Ländern, von unserer allgemeinen Opposition gegenüber Einwanderungskontrollen machen.

Es ist skandalös vorzuschlagen, daß die rassistisch Unterdrückten passiv ausharren und den Rassismus geduldig ertragen sollten, bis die Masse der weißen Arbeiter und ihre Organisationen für eine anti-rassistische Perspektive gewonnen worden sind. Wir fordern Unterstützung der Arbeiterbewegung für die Selbstverteidigung gegen rassische Angriffe. Um den rassistisch Unterdrückten zu helfen, sich innerhalb der Arbeiterbewegung gegen den Rassismus zu organisieren und vollständig an den Kämpfen der ganzen Arbeiterklasse teilzunehmen, sind wir für das Recht der Unterdrückten auf eigene Treffen und auf ihre Vertretung auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung; das gilt auch für die revolutionären Partei selbst.

Der Klassenkampf und das vollständige System von Übergangsforderungen werden innerhalb der unterdrückten Gemeinschaften nicht außer Kraft gesetzt, egal unter welcher akuten gemeinsamen Unterdrückung sie auch leiden. Während die Möglichkeit besteht, mit nicht-proletarischen Organisationen innerhalb der Gemeinschaften begrenzte taktische Übereinkommen zu schließen, müssen diese auf gemeinsamer Aktion und striktester Trennung der Programme basieren. Zu jeder Zeit muß die Arbeiterklasse der unterdrückten Gemeinschaften gegen ihre eigenen Unterdrücker, welcher Nationalität oder ethnischer Herkunft auch immer, und für die Befreiung der Frauen, der Jugendlichen, der Lesben und der Schwulen mobilisiert werden.