Brexit, Italien … – EU im Krisenmodus – und die Linke?

Tobi Hansen, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Aktuell wird die EU von „zwei“ Krisen herausgefordert. Zum einen steht der Brexit-Vertrag mit der Regierung May auf wackeligen Beinen, zum anderen hat die „Schuldenkrise“ die EU wieder eingeholt. Während die britische Regierungschefin kurz vor einer Niederlage im Unterhaussteht, wird gegen Italien ein sog. Defizitverfahren eröffnet. Bis zu 3,2 Mrd. Euro Bußgeld drohen.

Auch ansonsten stehen die Zeichen auf Sturm. Der letzte EU-Haushaltsentwurfwurde zunächst abgelehnt. Viele Konservative und Liberale fürchteten Mehrausgaben und „Umverteilung“ durch den von Frankreich und Deutschland vereinbarten Investitionsfonds, welcher jährlich mit zweistelligen Milliardenbeträgen gefüttert werden soll. Selbst die Minimalforderungen, die Macron der Bundesregierung abringen konnte, wurde noch beschnitten – von den „großen“ Budgetplänen, die eine/n europäischen FinanzministerIn vorsahen, blieb nichts übrig.

Die führenden imperialistischen Mächte Deutschland und Frankreich wollen natürlich den Kontinent in ihrem Interesse reorganisieren – über eine klare „Europastrategie“ verfügen sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie sind selbst von inneren Gegensätzen zerrissen und ihre Regierungen angeschlagen. Während sich die Große Koalition „nur“ katastrophalen Umfrageergebnissen, ständiger innerer Konflikte bis zur Regierungskrise gegenübersieht, droht Macron, von einer populistischen Bewegung zu Fall gebracht zu werden. Umso härter treffen die EU die eigentlichen „europäischen“ Krisenmomente.

Italien geht ins Risiko

Nachdem die italienische rechtspopulistische Regierung ihren Haushaltsentwurf der EU-Kommission vorgelegt hatte, folgte die Abmahnung. Nun droht das Defizitverfahren, auch wenn die Verhandlungen zwischen Brüssel und Rom derzeit noch weitergeführt werden. Der Haushalt der Regierung aus 5-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen Lega sieht eine Neuverschuldung von 2,4 % des BIP vor. Dies verstößt zwar nicht gegen die sog. Maastricht-Kriterien, die maximal 3 % vorsehen, weswegen die damalige BRD-Regierung Schröder mal „blaue Briefe“ bekam, wohl aber gegen die verschärften Bestimmungen des ESM/ESFS, der „Sicherungsschirme“.

Diese setzen quasi eine Art „Schuldenbremse“ für den Euro-Raum fest, wobei letztlich die EU- Kommission entscheidet, welche Schulden vertretbar und welche abzulehnen sind, z. B. jene für Transferleistungen der Sozialkassen. Die von der Demokratischen Partei (PD) gestellte Vorgängerregierung hatte mit der EU eine Neuverschuldung von 0,8 % vereinbart, um längerfristig irgendwann einmal die Gesamtschuldensumme unter 60 % des BIP zu drücken. Während sich Deutschland durch die „schwarze Null“ und durch jahrelange Niedrigstzinsen (teilweise bei 0%) inzwischen den 60 % nähert, liegt die Euro-Zone im Durchschnitt bei 80 %,Italien als drittgrößte Volkswirtschaft des Währungsraums bei 133 %. Realistisch betrachtet, wird daher keine der jetzt handelnden Personen jemals die Erfüllung des 60 %-Ziels erleben.

Ein Teil der Neuverschuldung geht auf die Senkung des Renteneintrittsalters unter der neuen Regierung zurück. Damit soll ein zentrales Wahlversprechen erfüllt werden, diese „Reform“ der PD-Regierung rückgängig zu machen. Ein anderer Teil wird für das sog. „Bürgereinkommen“ veranschlagt, welches de facto die Sozialrente und die Arbeitslosenunterstützung ersetzen soll, aber nur bei „freiwilligen“ Arbeitsdiensten – also für eine italienische Version von Hartz IV. Hinzu kommen Mehrausgaben für Polizei und Repression, damit Lega-Chef Salvini weiterhin seine Rolle als Europas Führerlein der Rechten spielen kann. Als „krönender“ Abschluss folgt eine Steuerreform, die vor allem Kleinunternehmen, aber auch Aktiengesellschaften entlasten soll und sicherlich den größten Teil der Neuverschuldung ausmacht.

Stimmungsmacher

Im Konflikt zwischen italienischer Regierung und „Brüssel“ haben vor allem deutsche Medien und PolitikerInnen den Konflikt zusätzlich befeuert. Seit dem Herbst wird regelmäßig Stimmung gegen die Populistenregierung gemacht, aber natürlich nicht wegen ihrer rassistischen Politik, sondern weil wieder die „Schuldensau“ durch die EU getrieben wird. Besonders deutsche gutbezahlte EU-ParlamentarierInnen machten sich Sorgen, dass „wir“ für das unzuverlässige Italien zahlen müssten. Überhaupt stelle es eine Katastrophe dar, wenn sich eine Regierung nicht an die durch Brüssel vermittelten Vorgaben aus Berlin halte.

Umgehrt will auch ein Teil der italienischen Bourgeoisie, der sich mit der neuen Regierung arrangiert hat, testen, wie diese in der EU ihre Interessen durchsetzen kann – oder ob sie sich als imperialistisches Land Spardiktate ähnlich wie Griechenland gefallen lassen muss. Deutschland will umgekehrt zeigen, dass es doch Führungsmacht der EU ist – und sich daher auch eine italienische Regierung seinen Finanzdiktaten nicht entziehen kann.

Akut ist jedenfalls eine „Umschuldung“ von 250 Mrd. Euro fällig – ein Hebel, mit dem der deutsche Imperialismus den schwächeren „Partner“ gefügigmachen kann. Auch wenn ein „Kompromiss“ durch eine Umschuldung via EZB die wahrscheinlichste Lösung darstellt, so wird die Regierung Conte dafür wahrscheinlich einen Preis in Form einer niedrigeren Neuverschuldung für die nächsten Jahre zahlen müssen.

Für die italienische ArbeiterInnenbewegung wird es entscheidend sein, sich weder dem EU-Diktat zu beugen noch sich vor den Karren von Conte, Di Maio und Salvini spannen zu lassen. Letztlich wird auch diese Regierung ihr „geliebtes Volk“ schneller verraten, sobald ein Kompromiss angeboten wird – schützen wird sie zweifellos das italienische Finanzkapital, sicher jedoch nicht die Massen.

Großbritannien: die noch größere Krise

Regierungschefin May handelte mit der EU-Kommission einen Brexit-Vertrag aus, der zumindest den freien Waren- und Kapitalverkehr regelt. Die EU-Grenze zwischen Nordirland und Irland soll zunächst für Waren, Kapital und Arbeitskräfte durchlässig bleiben. De facto würde Großbritannien ein privilegiertes Mitglied einer EU-Freihandelszone, allerdings ohne jegliches formalisierte Mitspracherecht.

Mit dem Brexit ging der EU die zweitgrößte Ökonomie, der stärkste Börsenplatz verloren. Auch wenn Britannien weitreichende Zugeständnisse gemacht würden, so müsste es sich politisch „eigenständig“ verorten. Die größte Hoffnung der „Brexiteers“ (der harten AustrittsbefürworterInnnen) auf eine neue„vertiefte“ Partnerschaft mit den USA wurde von Präsident Trump aber schon mal ausgeschlossen. Selbst wenn ein „Deal“ zustande käme, würde dieser in jedem Fall nach seinem Geschmack diktiert werden und sicherlich weitaus ungünstiger für Britannien ausfallen als die Mitgliedschaft in der EU.

Entscheidend wird aber sein, dass May für das Abkommen mit der EU im Unterhaus keine Mehrheit bekommen wird. Etwa 90 Abgeordnete der Tories haben angekündigt, dagegen zu stimmen. Ähnliches war auch von der nordirischen DUP, den schottischen NationalistInnen der SNP, den LiberaldemokratInnen (LibDem) und vor allem von Labour zu vernehmen. Es käme fast einem Wunder gleich, wenn May die Abstimmung gewinnen könnte. Selbst ihre Hoffnungen darauf, dass der rechte Flügel der Labour-Fraktion für sie stimmt, kommen wohl eher einem Verzweiflungsakt gleich. Schließlich möchte kaum jemand auf ein sinkendes politisches Schiff springen. Auch die Hoffnung, dass sie den rechten Flügel der eigenen Fraktion mit dem größtmöglichen Totschlagargument „There is no otherBrexit“ noch umstimmen könne, ist wohl eher gering.

Sollte May am 11. Dezember eine Niederlage erleiden, so scheint ihre Regierung am Ende. Schon jetzt wird darüber diskutiert, ob die Brexiteers ein „eigenes“ Kabinett bilden könnten, ob Boris Johnson eine Mehrheit auf einem Sonderparteitag organisieren könnte, als Premier anträte und ob er gemeinsammit Rees-Mogg und dessen Fraktion das Kabinett übernehmen würde.

Letzterer steht für einen „harten“ Brexit ohne Abkommen mit der EU. Ähnlich wie May würde auch er über keine verlässliche parlamentarische Mehrheit verfügen. In jedem Fall stehen die Tories vor einer inneren Zerreißprobe, die in den nächsten Monaten zur Parteispaltung führen kann.

Klar ist nur, dass der Brexit zu einer Verschärfung des rassistischen Grenzregimes führen wird. Offen wäre nur die Frage, wie drastisch die Verschärfungen sein werden, sollte Britannien aus der EU austreten. Für alle UnterstützerInnen des Brexit ist jedenfalls klar, dass die Arbeitsmigration nach Großbritannien weiter beschränkt werden soll. Schließlich war Rassismus auch das ausschlagende Motiv für die Mehrzahl der reaktionären und nationalistischen AustrittsbefürworterInnen. Diese will keine konservative Regierung „enttäuschen“ – und auch die Labour-Führung will sie nicht verprellen. Eine Vertiefung der innenpolitischen Krise ist daher unvermeidlich. Bei einem „harten Brexit“ wird diese rasch auch mit einer ökonomischen verbunden sein, die auch die EU, vor allem aber Britannien treffen wird.

Rechtsruck in der ArbeiterInnenbewegung

Mit dem politischen Rechtsruck orientieren sich immer stärkere Kontingente der ArbeiterInnenbewegung auf den Nationalstaat und entfernen sich von einer europäischen Perspektive. Aus der Ablehnung des imperialistischen EU-Projekts folgt für sie ein reaktionärer Rückzug auf das nationale Terrain, de facto die Ablehnung eines europäischen Klassenkampfes. Dieser solle vielmehr „zuerst“ im „eigenen“ Nationalstaat geführt werden.

Zusätzlich verschärft wird diese Rechtsentwicklung durch den Übergang etlicher ReformistInnen ins Lager des Linkspopulismus. In Frankreich gründete Mélenchon eine neue „Volksbewegung“, France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), die bei den EU-Wahlen 2019 gemeinsam mit Podemos und anderen antreten wird – natürlich ohne eine antikapitalistische oder gar sozialistische Kampfperspektive aufzuwerfen. Dafür sollen „linker“ Nationalismus und Patriotismus salonfähig gemacht werden, die den Ruf nach staatlicher Umverteilung zugunsten der Lohnabhängigen und kleineren Unternehmen mit Protektionismus des nationalen Kapitals, Stärkung der Nation und einer„realistischen“ Migrationspolitik, also Sozialchauvinismus, verbinden, der sich gegen die „nicht-französischen“ Lohnabhängigen richtet. Wagenknecht und Lafontaine folgen diesem Beispiel in Deutschland.

Diese nationalistische Wende stellt nicht nur eine reaktionäre und illusorische Vorstellung dar, den Kampf gegen Austerität und Sozialabbau im nationalen Rahmen besser führen zu können, sie vertieft notwendigerweise die Spaltung der Lohnabhängigen entlang nationaler Linien, verstärkt das Gift des Nationalismus in der ArbeiterInnenklasse.

Kein Wunder, dass es derzeit kaum eine gemeinsame europäische Aktivität der Organisationen der Klasse, kaum Widerstand gegen den Rechtsruck, gegen die rassistische und neoliberale EU-Politik gibt. Stattdessen versucht die Europäische Linkspartei, mit ihrem biederen Reformismus gegen den Populismus von Mélenchon und Wagenknecht anzugehen. Der ehemalige griechische Finanzminister und „Glücksritter“ Varoufakis gründete obendrein eine dritte „linke“ Liste für die EU-Wahlen 2019 (DiEM 25), die einfach eine „radikale“ Demokratisierung der EU will. Sie spricht sich (immerhin) auch gegen den Rechtsruck aus – verbindet nur kleinbürgerlich-demokratische mit keynesianischen Träumen.

Welche Perspektive?

Weltweit sind die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten mit einer reaktionären Offensive konfrontiert, einem Rechtsruck, der aufgrund von Niederlagen und Ausverkauf durch die reformistischen, zumeist sozialdemokratischen und bürokratischen Führungen der ArbeiterInnenklasse, ihre Parteien und Gewerkschaften Rechtspopulismus, Autoritarismus und Nationalismusgestärkt hat.

Die Perspektive eines europaweiten Abwehrkampfes ging auch deshalb verloren. Für große Teile der ArbeiterInnenklasse, der linken ReformistInnen und selbst der „radikalen“ Linken erscheint sie allenfalls als „langfristige“ Option. Diese Entwicklung stellt selbst einen Ausdruck des Rechtsrucks dar. Er muss in der ArbeiterInnenbewegung politisch bekämpft werden – unabhängig von den konkreten Wahlergebnissen bei der EU-Wahl 2019.

Dabei sollte es eigentlich auf der Hand liegen, dass die zentralen Aufgaben des Klassenkampfes in Europa national nicht beantwortet werden können, dabei allenfalls Scheinlösungen rauskommen. Ein Kampf gegen die Austerität, gegen das Ausspielen nationaler Standorte kann nur europaweit, ja international erfolgreich geführt werden – ansonsten droht nur eine verstärkte Bindung der Lohnabhängigen in der Konkurrenz an „ihre“ nationalen UnternehmerInnen, an dieStandortpolitik. Was für soziale und gewerkschaftliche Fragen zutrifft, gilt erst recht für die des Militarismus, der Aufrüstung, von Auslandsinterventionen, den Kampf gegen Rassismus und Nationalismus, gegen die Festung Europa und für offene Grenzen, gegen die drohende ökologische Katastrophe.

Die Krise der EU offenbart nicht nur, dass die Einigung des Kontinents durch die Bourgeoisien Deutschlands, Frankreichs und ihrer Verbündeten nur auf imperialistische Weise, durch Unterordnung und Unterdrückung voranschreiten kann. Sie geht daher nicht nur mit der Unterjochung der Schwächeren einher, sie trägt auch den Keim des Zerfalls und der nationalistischen Gegensätze in sich. Die Konkurrenz zwischen den europäischen Staaten wie die imperialistische Dominanzdurch die stärkeren kapitalistischen Mächte würden jedoch durch einen Zerfall der EU nicht aufgehoben, sie nähmen nur andere, zum Teil womöglich noch aggressivere, weil verzweifeltere Formen an. In jedem Fall würden sie mit einer Welle von Nationalismus, Patriotismus, Rassismus einhergehen – also allen Zutaten der Unterdrückung im Inneren und der Aggression nach Außen.

Das Gegenmodell zum Europa des Kapitals kann jedoch nicht in der Rückkehr zum„eigenen“ Nationalstaat liegen. Diese Lösung wäre in der Tat reaktionär, würde neue Grenzen auf dem Kontinent errichten und die Entwicklung derProduktivkräfte zurückwerfen. Die einzig fortschrittliche Antwort auf die Kriseder EU besteht im Kampf für ein Europa der ArbeiterInnenklasse, für VereinigteSozialistische Staaten Europas.

Europaweiter Abwehrkampf!

Der gemeinsame europäische Abwehrkampf gegen Austerität, Militarismus, Rassismus wäre der nächste unerlässliche Schritt in diese Richtung. Die ArbeiterInnenbewegung muss als europäische Bewegung neu konstituiert werden.

Gegenüber dem aktuellen Zustand war selbst das „Europäische Sozialforum“ einen enormen Schritt vorwärts, weil es eine reale Hinwendung zu einer europaweit koordinierten Bewegung darstellte. Wir dürfen freilich seine zentrale Schwäche nicht vergessen, nämlich, dass es nur als Forum des Austausches fungieren wollte und keine verbindlichen Beschlüsse zur gemeinsamen Aktion fasste.

Genau dies bräuchten wir jedoch – eine europaweite Aktionskonferenz der gesamten Linken und ArbeiterInnenbewegung, der Gewerkschaften, von MigrantInnen, unterdrückten Minderheiten, Frauenorganisationen usw.

Klassenkämpferische, antikapitalistische, sozialistische und kommunistische Kräfte müssten eine solche Aktionskonferenz nicht nur einfordern, sondern selbst erste Schritte in diese Richtung setzen, um so die größeren Apparate der Gewerkschaften und reformistischen Parteien unter Druck zu setzen.

Aktionstage gegen Rassismus und für Solidarität können in Deutschland unter dem Motto #unteilbar mehr als 240.000 Menschen mobilisieren. Das Potenzial ist also durchaus vorhanden. Die ArbeiterInnenbewegung und die Linke müssen aber auch in der Lage sein einzugreifen.

Auf einer Aktionskonferenz könnte auch die Diskussion über einen europaweiten Generalstreik geführt werden, z. B. gegen Schuldenpolitik, Erpressung, Kürzungen und Privatisierungen. Ebenfalls müssten wir die dringende Frage des Rassismus, der „Festung Europa“, der Migration diskutieren und klären – wir brauchen eine klare Scheidung der InternationalistInnen nicht nur gegen rechts, sondern auch einen politischen Kampf gegen nationalbornierten Teile der Führung und der Apparate beispielsweise in den Gewerkschaften und reformistischen Parteien.

All das könnte und müsste zugleich auch den Rahmen bilden für die Diskussion um die Formierung einer revolutionären Alternative zum Reformismus auf Grundlage eines europäischen Aktionsprogramms und des Kampfes für ein sozialistisches Europa.




Aktionskonferenz gegen den Pflegenotstand notwendig!

Anne Moll/Helga Müller/Jürgen Roth, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ (KsF) hatte für den 19.-21. Oktober 2018 zu einer Konferenz gegen die Politik der „,Ökonomisierung‘ des Gesundheitswesens und welche Alternative gibt es zum Fallpauschalensystem?“ eingeladen. Es waren ca. 80 TeilnehmerInnen aus den lokalen Bündnissen, aber auch hauptamtliche wie ehrenamtliche ver.di FunktionärInnen aus den Krankenhäusern vor allem aus Baden-Württemberg vertreten. An politischen Organisationen waren IL (vor allem aus dem regionalen Bündnis) und SAV (Charité Berlin) stark repräsentiert.

Stuttgart

Organisiert und politisch dominiert war das Ganze vom linken ver.di-Apparat aus Baden-Württemberg, ÄrztInnen aus Marburger Bund und VdÄÄ (Verein demokratischer Ärzte und Ärztinnen). KsF versteht sich offensichtlich als eine Art Lobby, um Druck auf die Entscheidungsträger ausüben zu können. Ihm geht es nicht um größere Aktionen, sondern um richtige Analysen und Argumente. Das lässt der linke Apparat noch zu und auf dieser Ebene kommt man mit ihm auch nicht in Konflikt!

Von den Aktionen her orientiert man sich sehr stark an den bereits „gesetzten“ Terminen. Auf dem Abschlussplenum gab es dann eine längere Diskussion um die Frage  einer Großdemo mit den Forderungen „verbindliche Personalbemessung, weg mit DRGs, gegen Privatisierung“ am besten am Wochenende, um auch die arbeitende Bevölkerung miteinbeziehen zu können, oder anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) in Leipzig, die durch VertreterInnen von ISO und Gruppe ArbeiterInnenmacht in einer Arbeitsgruppe eingebracht worden waren. Dieser Vorschlag wurde zunächst vom Präsidium gar nicht aufgenommen, dann von diversen ver.di-FunktionärInnenabgelehnt und ins Lächerliche gezogen. Diese richtige Initiative, um auch die Notwendigkeit zu betonen, einen politischen Kampf gegen Privatisierung und Fallpauschalen zu beginnen, wurde nur von wenigen verteidigt. Die SAV z. B. nahm lediglich eine Zwischenposition ein und versuchte, zwischen den beiden Polen zu vermitteln, damit der Konflikt nicht zu sehr eskalierte.

Hamburg

Das Hamburger Bündnisfür mehr Personal im Krankenhaus hatte für den 10./11. November bundesweit alle gleichartigen Initiativen eingeladen. Der Einladung zum 3. Treffen überhaupt folgten ca. 60 Menschen aus 12 Städten, deutlich mehr als zuvor. Die ModeratorInnen sagten, es gäbe jetzt 20 solcher Bündnisse in Deutschland.

Die TeilnehmerInnen waren überwiegend gewerkschaftlich bzw. politisch erfahren. Anwesend waren außer uns die IL, SAV, ISO, ver.di-Hauptamtliche, DIE LINKE, einige (ehemalige) Betriebsräte, DKP, DIDF. Am 10.11. gab es eine gute inhaltliche, recht kontroverse Diskussion über die Ziele der Bewegung, und wie wir besser Druckaufbauen können. Hier brachten ISO und wir die Notwendigkeit einer Aktionskonferenz zwecks Vorbereitung einer zentralen Großdemonstration ein. Das führte dann auch erwartungsgemäß dazu, dass die LinksreformistInnen dagegen hielten – ähnlich wie in Stuttgart. Die Diskussion wurde jedoch nicht abgebrochen und einige mehr sprachen sich dann doch noch für eine zentrale Aktion aus. Allerdings haben sich alle RednerInnen gegen eine Aktionskonferenz gewandt.

 Zu vier Punkten wurden Vereinbarungen getroffen:

  • Die „Bremer“ Resolution wird aktualisiert und soll dann beim nächsten Bündnistreffen verabschiedet werden.
  • Nächste Treffen: im Rahmen der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Braunschweig vom 15.-17. 02. 2019, nächstes „richtiges“ Treffen im April in Düsseldorf.
  • Eine bundesweite Struktur für Öffentlichkeitsarbeit und bessere Vernetzung soll entstehen.
  • Aktionen: Fest stehen 8. März, 1. Mai, 12. Mai. Zur GMK am 5./6. Juni in Leipzig soll es einen „olympischen Brief“ geben, der von Krankenhaus zu Krankenhaus weiterläuft, wobei die Unterschriften kumuliert werden. Start ist mit entsprechender Pressemitteilung der 1.1.2019. Präsentation bei der GMK mit Pressekonferenz zusammen mit einer Bilanz der „Personaluntergrenzen“. Der Vorschlag einer vorbereitenden Aktionskonferenz für eine zentrale Großdemo soll wenigstens im Protokoll genannt werden  – als Möglichkeit in weiter Zukunft.

Fazit

Insbesondere das Hamburger Treffen ist ein Schritt vorwärts in der Bewegung – trotz des widersprüchlichen Agierens durch ver.di. Sie bleibt aber doch sehr schwach, was durch die Fokussierung vieler lokaler Bündnisse auf Volksbegehren – weg von Streiks – eher verstärkt wird. Sie schrecken davor zurück, weil die Strukturen vor Ort schwach sind und einige nicht wissen, wie das zu überwinden ist, andere aber genau diese Schwäche nicht überwinden wollen (GewerkschaftsfunktionärInnen, LinksparteivertreterInnen). Es fehlt an Kampfmaßnahmen, die reale Fortschritte erzwingen können – wie die jüngsten Streiks an den Unikliniken Düsseldorf und Essen – statt zahmer Bettelbriefe und Pressekonferenzen!

Unsere ausführliche Perspektive für die Bewegung haben wir zuletzt in einem vierseitigen Flugblatt veröffentlicht, das auf beiden Konferenzen verteilt wurde, sowie im Artikel „Kampf gegen Pflegenotstand – Welche Perspektive?“. Der nächste Schritt, um aus Lobby- und Bittstellerpolitik herauszukommen, muss eine Aktionskonferenz aller Parteien, politischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, Gewerkschaften, ihrer Careorganisationen (ASB, AWO) sowie den auf beiden Konferenzen vertretenen Kräften sein.




Tarifauseinandersetzung Öffentlicher Dienst Länder 2019: Ritual oder Kampf?

Helga Müller, Neue Internationale 234, Dezember2018/Januar 2019

Die ver.di-Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst hat am 4. 10. 2018 die Kündigung der Entgelttabellen zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zum 31. 12. 2018 beschlossen. Ab 1. Januar 2019 wären ver.di und die Belegschaften in diesem Bereich nicht mehr an die sog. Friedenspflicht gebunden. Die Gewerkschaft könnte zu Warnstreiks und nach Scheitern der Verhandlungen und anschließender Urabstimmung zu Durchsetzungsstreiks aufrufen.

Forderungen

In der jetzigen Phase geht es nun darum, in den Dienststellen und Betrieben, die unter den Geltungsbereich des TV-L fallen – z.B. gehören Landesverwaltungen, Unikliniken, Straßenmeistereien, Staatstheater etc. dazu -, die Forderungen zu diskutieren und an die Bundestarifkommission weiterzugeben. Diese wird am 20.12. die Forderungen für die Entgelttarifrunde festlegen und beschließen.

Die Bundestarifkommission gibt auch gleich Empfehlungen für die anstehende Diskussion in den Betrieben und Dienststellen mit:

  • eine Tariferhöhung der Entgelte um 6 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten;
  • eine Verbesserung der Entgeltordnung und deren Inkraftsetzung (nachdem die Tarifgemeinschaft der Länder die Verhandlungen dazu im Sommer aufgrund der Auseinandersetzung an den Unikliniken zur Entlastung ausgesetzt hatte!);
  • stärkere Anhebung der Ausbildungs- und Praktikumsvergütungen;
  • Anhebung des Urlaubs auf 30 Arbeitstage für Azubis;
  • Übertragung des Ergebnisses zeit- und wirkungsgleich auf die BeamtInnen sowie VersorgungsempfängerInnen der Länder und Kommunen.

Sicherlich ist die Prozenterhöhung von 6 % angemessen, aber es fällt gleich auf, dass eine sogenannte Festgeldforderung, die in den letzten Tarifrunden auch erhoben wurde, um die Schere zwischen den unteren und oberen Einkommen nicht zu groß werden zu lassen, diesmal völlig fehlt. Ebenso fällt ins Auge, dass auch dieses Mal wieder nur drei Verhandlungsrunden – kurz hintereinander – festgelegt wurden, die letzte am 28. Febr./1. März 2019 mit offenem Ende (!). Dies lässt mal wieder darauf schließen, dass die Bundestarifkommission ein möglichst rasches Ende des Tarifkampfes mit einem Ergebnis anpeilt, das der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL – öffentliche Arbeit„geber“Innen) nicht zu sehr weh tut – ganz wie auch schon in den letzten Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst, nicht zuletzt in der der Länder von 2016.

Ausgangsbedingungen

Auf der anderen Seite erklärt die Bundestarifkommission zwar in ihren Veröffentlichungen und Aufrufen zur Diskussion über die Forderungen, dass auch diese Gehaltsverhandlungen nicht einfach werden. Da die TdL auch 2019 keine Geschenke verteilen und es von daher notwendig sein wird, dass alle zusammen in die Auseinandersetzung um die Forderungen gehen müssen, stellt sie auch klar, dass die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen gut sind:

  • Die Steuereinnahmen sprudeln weiter: Die Ländererzielten 2017 einen Überschuss von 12,1 Milliarden Euro, im ersten Halbjahr 2018 sind es 13,1 Milliarden Euro und nach aktuellen Prognosen wird für 2018 und 2019 jeweils ein Wachstum von rund zwei Prozent erwartet.
  • Parallel ist aber ein Anstieg der Verbraucherpreise zu verzeichnen und zu erwarten.

Alles in allem handelt es sich also um eine klassische Konstellation für Gewerkschaften, einen stärkeren „Schluck aus der Pulle“ zu fordern.

Gleichzeitig gibt es bei den Beschäftigten der Bundesländer auch einen Nachholbedarf: Hier sind die Entgelte vom öffentlichen Dienst insgesamt die niedrigsten. Und gegenüber der Tarifentwicklung der Gesamtwirtschaft hinken alle Staatsangestellten hinterher: Der Abstand beträgt hier 3,5 Prozentpunkte! Gleichzeitig wird die Arbeitsbelastung immer höher, Personalabbau und Befristungen, d. h. prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen auch hier zu.

Lage der Beschäftigten

Probleme gibt es also genügend im öffentlichen Dienst,
die angegangen werden müssen. Auch wenn die Diskussion in den Betrieben und
Dienststellen noch aussteht, steht jetzt schon fest, dass die Forderungen vollständig
gegen den Widerstand der Tarifgemeinschaft der Länder, der sicher nicht auf
sich warten lassen wird, durchgesetzt werden müssen.

Den Kolleginnen und Kollegen muss klar werden, dass auch in diesem Arbeitskampf eine Niederlage bereits droht, wenn dieser nach dem üblichen Ritual – ein paar Warnstreiks, um dann in der dritten und letzten Verhandlungsrunde „einzuparken“ – geführt wird, wie sich das ganz offensichtlich die Bundestarifkommission mal wieder vorstellt. Diese übliche Vorgehensweise deutet sich auch mit der gewohnten Argumentationslinie an, mittels derer man die öffentlichen Arbeit„geber“Innen davon zu überzeugen versucht, dass eine Gehaltssteigerung gesamtwirtschaftlich sinnvoll sei , da sie doch der Stärkung der Kaufkraft und damit auch des Binnenmarktes nütze.

Demokratische Kampfstrukturen

Damit der Tarifkonflikt erfolgreich geführt und alle Beschäftigten in den Kampf einbezogen werden können – z. B. auch die KollegInnen in den Krankenhäusern, die für eine personelle Entlastung kämpfen-, müssen sie für folgende zentrale Forderungen und basisdemokratische Organisierung eintreten:

  • Aufbau von lokalen Streikkomitees, die bundesweit koordiniert werden müssen, damit der Kampf unter Kontrolle der Beschäftigten geführt werden kann.
  • Aufbau von Solidaritätskomitees in den Stadtteilen.
  • Zügige Urabstimmung über den Beginn eines Vollstreiks.
  • Volle Durchsetzung der Lohnforderung und der anderen Forderungen.
  • Der Tarifkampf muss politisch geführt werden, um den Beschäftigten bewusst zu machen, dass es um einen Kampf Klasse gegen Klasse geht: z. B. dass die Haushalte – auch wenn derzeit die Steuereinnahmen sprudeln – durch die jahrzehntelange Umverteilungspolitik von unten nach oben zugunstender UnternehmerInnen immer wieder in Gefahr stehen, finanziell ausgeblutet zuwerden. Gegenforderungen wie z. B. die Abschaffung der gesetzlichen Schuldenbremse, Wiedereinführung der Vermögenssteuer und Erhöhung der Kapitalsteuern müssen aufgestellt werden.
  • Um zukünftig eine gemeinsame Verhandlungsrunde wenigstens aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst wieder zu ermöglichen, soll die Laufzeit des Vertrages auf 1 Jahr verkürzt werden. 2020 endet auch die Friedenspflicht für die Bund- und Gemeindebediensteten.
  • Auch die Forderung nach einem endgültigen Aus mit Privatisierungen und für ihre Rücknahme im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge muss mit aufgenommen werden. Gerade diese haben z. B. im Krankenhausbereich zu der eklatanten Pflegemisere geführt. Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge sind gesellschaftliche und dürfen nicht privaten Konzernen überlassen werden, deren alleiniges Ziel ist, Profite zu machen.

Zugegebenermaßen ist der Organisationsgrad und damit die Kampfkraft der Länderbeschäftigten nicht sehr hoch, aber zum einen spielte der öffentliche Dienst schon immer eine gewisse Vorreiterrolle für alle Bereiche auch in der sog. Privatwirtschaft, zum anderen geht es dort tatsächlich auch um gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Somit drängt sich geradezu auf, den anstehenden Arbeitskonflikt zum Ausgangspunkt zu nehmen, um auch erstere mit in die Auseinandersetzungen einzubeziehen. So stehen z. B. die KollegInnen aus der Zeitungs- und Druckbranche vor einem Generalangriff ihrer Unternehmerverbände, die gerade versuchen, ihre Krise auf die Belegschaften abzuwälzen und jahrzehntelang erkämpfte Errungenschaften anzugreifen. Ebenso müssten auch DIE LINKE und die SPD aufgefordert werden, die Arbeitskampfmaßnahmen bedingungslos zu unterstützen.




Kampf gegen Unterdrückung: Frauenstreik – ja bitte!

Katharina Wagner, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Am 10. November fand in Göttingen das erste Vernetzungstreffen zur Planung eines internationalen Frauenstreiks am 8. März 2019 statt. Rund 300 Teilnehmerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet versammelten sich. Neben Organisationen wie der IL und der FAU waren auch zahlreiche lokale feministische Gruppen, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und das kurdische Frauenbüro vertreten. Als Rednerinnen waren Gäste aus Spanien, Großbritannien und Thailand eingeladen, die hauptsächlich über Erfahrungen und Lehren bisheriger Frauenstreiks sprachen. Ziel war zum einen die Erstellung eines gemeinsamen Aufrufes, zum anderen die weitere Planung der erforderlichen Organisationsstrukturen, um auch in Deutschland einen Frauenstreik durchführen zu können.

Historische Vorbilder

Vorbilder für einen Frauenstreik gibt es einige. So legten am 24. Oktober 1975 anlässlich des Internationalen Jahres der Frau etwa 90 % der weiblichen Bevölkerung Islands ihre Arbeit nieder, um für Gleichberechtigung, gerechtere Bezahlung und bessere Betreuungsangebote für Kinder zu kämpfen. Organisiert wurde der Protesttag von einem Komitee verschiedener Frauenorganisationen unter dem Namen „Frauen-Ruhetag“. Auch Hausfrauen waren dazu aufgerufen, ihre häuslichen Arbeiten niederzulegen und sich ebenfalls zu beteiligen. An der Demonstration in Reykjavík beteiligten sich neben rund 25.000 Frauen auch einige Männer. Die Protestaktion wurde absichtlich nicht als Streik bezeichnet, da es im Vorfeld heftige Diskussionen darüber gab. Die radikalfeministische Rote-Socken-Bewegung, auch Teil des Komitees, forderte bereits seit einigen Jahren einen Streik. Sie wurde allerdings von den anderen Organisationen überstimmt, die aus Angst vor den Folgen eines „politischen Streiks“ die Protestaktion lieber als „Ruhetag“ bezeichnen wollten.

Auch die Schweiz ist ein gutes Beispiel. Eine Million Schweizerinnen beteiligte sich am14. Juni 1991 an einem Frauenstreik, der unter dem Motto „Wenn Frau will, steht alles still“ durchgeführt wurde und sich hauptsächlich gegen ungerechte Löhnerichtete. Diesmal war es der schweizerische Gewerkschaftsbund, der zum Streik aufrief. Unterstützung kam von diversen Frauenorganisationen.

Frauenstreik 1994

In Deutschland selbst fand am 8. März 1994 ein großer Frauenstreik mit knapp einer Million Teilnehmerinnen statt. Sie kämpften gegen schlechte Arbeitsbedingungen und ungleiche Löhne, gegen den Abbau von Sozialleistungen ebenso wie für das Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung. Im Aufruf von 1994 heißt es: „Jetzt streiken wir! Frauen werden die Hausarbeit niederlegen, betriebliche Aktionen bis zum Streik durchführen, nicht einkaufen, nicht mehr höflich lächeln, nicht nett sein, keinen Kaffee kochen und die Kinder den Männern mit auf die Arbeit geben.“ Aber auch hier gab es im Vorfeld heftige Kontroversen um die Frage der Protestform. Innerhalb der autonomen Frauenbewegung war Streik als altes Kampfmittel der ArbeiterInnenklasse umstritten. Auch die Gewerkschaften konnten nur zur Unterstützung eines „Frauenprotesttages“ und nicht zum Aufruf für betriebliche Streiks gewonnen werden, auch wenn sie größtenteils die Forderungen unterstützten. Zu groß war die (vorgeschobene) Angst vor den Folgen eines politischen Streiks, der in Deutschland de facto als illegal eingestuft wird.

In den beiden letzten Jahren nahm die Frauenbewegung in zahlreichen Ländern massenhaften Umfang an. Hunderttausende oder gar Millionen beteiligten sich anden Aktionen wie von „Ni una menos“ (Nicht eine Frau weniger) in Argentinien, gegen sexuelle Gewalt in Indien, gegen Trump in den USA oder unter dem Motto „Ele nao“ (Er nicht) gegen den Rechtsextremen Bolsonaro in Brasilien.

Das stärkste Vorbild für einen Frauenstreik stellt aber die Protestaktion in Spanien anlässlich des 8. März 2018 dar. 6 Millionen Frauen – und Männer – traten in 300 spanischen Städten für 2 Stunden in den Streik, einige sogar den ganzen Tag lang. Neben Betrieben wurden auch Universitäten und Schulen bestreikt. Dass 40 % aller Lohnabhängigen Spaniens die Arbeit niederlegten, ist vor allem auf die Gewinnung der Gewerkschaftsbasis zurückzuführen. Zwar traten auch in diesem Fall die GewerkschaftsfunktionärInnen aus Angst vor einem politischen Streik nicht offen für eine Aufforderung dazu ein, allerdings stellte sich die Basis ihrer Führung entgegen und organisierte selbstständigdie betrieblichen Streiks.

Lehren und
Perspektiven

Welche Lehren können wir aus den vergangenen Frauenstreiks ziehen und was bedeutet dies für die weitere Arbeit? Zum einen ist es aus unserer Sicht notwendig, die Gewerkschaften in die Mobilisierung mit einzubeziehen, um darüber ihre Basis in den verschiedenen Betrieben zu erreichen. Vor allem der spanische Frauenstreik zeigt das enorme Mobilisierungspotential, welches von ihr ausgeht. Aber nicht nur die Betriebe, auch Universitäten und andere Bereiche, in denen Frauen vertreten sind, sollten in die Mobilisierung mit einbezogen werden. Um auch Frauen eine Beteiligung am Frauenstreik zu ermöglichen, die z. B. aufgrund der Pflege von Familienangehörigen nicht aktiv dazu in der Lage sind, können auch solidarische Streikformen integriert werden, welche ein Bewusstsein schaffen für die spezifischen Situationen, in denen sich viele Frauen befinden. Beim spanischen Frauenstreik waren dies weiße Schürzen oder lilafarbene Fahnen, welche in Fenster von Häusern gehängt wurden, in denen sich Frauen der Kinderbetreuung oder der Pflege widmeten und nicht selbst am Streik teilnehmenkonnten.

Nichtsdestotrotz muss es sich bei dem Frauenstreik um einen politischen Streik handeln, der neben zahlreichen Forderungen wie etwa der nach sexueller und körperlicher Selbstbestimmung oder nach gleichen Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen für Frauen auch antikapitalistische und antiimperialistische Positionen aufgreift. Da aus unserer Sicht die Frauenunterdrückung eng mit dem Bestehen von Klassengesellschaften verbunden ist, muss der Kampf zur Frauenbefreiung mit dem Klassenkampf und somit dem Sturz des Kapitalismus verbunden werden. Daher treten wir auch dafür ein, unter den männlichen Arbeitern ein Bewusstsein für die Forderungen der Frauen zu schaffen und sie ebenfalls für den Streik zu mobilisieren. Denn nur ein gemeinsamer Kampf unter Führung der Frauen kann einen starken Druck auf die herrschende Klasse ausüben und Streikbruch seitens der Männer verhindern.

Gemeinsamer Aufruf und zahlreiche Forderungen

Am Ende des zweitägigen Vernetzungstreffens in Göttingen waren sich die Teilnehmerinnen darüber einig, dass die Gewerkschaften aktiv dazu aufgefordert werden sollten, zum Frauenstreik aufzurufen und die Forderungen zu unterstützen. Auch wurde ein gemeinsamer Aufruf unter dem Titel „Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still“ verabschiedet, welcher zahlreiche Forderungen enthält, die wir unterstützen.

  • Gleiche Rechte, unabhängig von Geschlecht oder Herkunft
  • Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung
  • Kampf gegen jede Art von Gewalt gegen Frauen oder Queers
  • Gleiches Recht auf bezahlbaren Wohnraum, Bildung und Gesundheitsvorsorge
  • Gleicher Lohn und bessere Arbeitsbedingungen
  • Ende der Rüstungsexporte, Stopp von Abschiebungen und Lagerunterbringung
  • Beendigung des Pflegenotstands und Schaffung ausreichender kostenloser Kinderbetreuung

Darüberhinaus haben sich Anfang Dezember Ortsgruppen in 18 Städten gebildet, darunter in Hamburg, Berlin, Leipzig und Augsburg Streikversammlungen gegründet.

 Aktuelle Infos: https://frauenstreik.org




Deutsche Bahn: Unpünktlichkeit und Bahnreform

Leo Drais, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Am 1. Januar 2019 wird sich die Umsetzung der Bahnreform zum 25. Mal jähren. Zum Jahresbeginn 1994 wurde durch Inkrafttreten des Eisenbahnneuordnungsgesetzes aus der Deutschen Bundesbahn die Deutsche Bahn AG. Zu feiern gibt es dabei freilich nichts. Heute bestimmen vor allem Unpünktlichkeit, Ineffizienz und Unzuverlässigkeit das Bild der Eisenbahn – trotz neuer Fahrgastrekorde (11,5 Mrd. Fahrgäste 2017). Wie kommt es dazu?

Von der Behörde zur AG

Die parlamentarische Debatteum eine Reform der Deutschen Bundesbahn, welche nach dem Mauerfall auch die Deutsche Reichsbahn (DDR) aufgenommen hatte, begann 1989. Als Grund wurden mehrere Aspekte benannt:

  • Die Bundesbahn galt als ineffiziente, bürokratische Behörde, die unfähig sei, auf die „dynamischen Anforderungen des Marktes“, also die Konkurrenz durch Straßen- und Luftverkehr, angemessen zu reagieren. Der Anteil der Eisenbahn an der Verkehrsleistung fiel zwischen 1950 und 1990 im Güterverkehr von 56 auf 21 Prozent, im Personenverkehr von 36 auf 6 Prozent.

  • Weiterhin hatte die Staatsbahn zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Bahnbetriebs massiveSchulden angehäuft (1993: 66 Milliarden D-Mark), obwohl sie mit dem Aufstieg des Individualverkehrs seit den 1970er Jahren eine massive Stilllegung „unwirtschaftlicher“ Nebenbahnen betrieb. Trotzdem fuhren Bundesbahn und Reichsbahn 1993 einen Verlust von rund 16 Milliarden D-Mark (etwa 8,2 Milliarden Euro) ein. Demgegenüber wurde im Rahmen der Bahnreform vorgegeben, gewinnbringend oder zumindest selbstfinanzierend Eisenbahnverkehr zu betreiben. Als neoliberales Allheilmittel wurde auch hierfür der Wettbewerb angepriesen.

  • Die Bahnreform sollte Vorgaben der EU zur Schaffung eines europäischen Eisenbahnmarktes erfüllen. Dieser beinhaltete zwar auch fortschrittliche Projekte wie die langfristige Herstellung einer technischen Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Bahnsystemen, indem bspw. ein einheitlicher europäischer Zugfunk eingeführt wurde. Zugleich verschärften sie jedoch die neoliberale Öffnung der Eisenbahnen für die Märkte, so dass diese in erster Linie nicht zur Beförderung der Fahrgäste, sondern dem Einfahren von Profit dienen sollten.

Die Umsetzung dieser Motive erfolgte durch drei wesentliche Punkte. Erstens, die Umwandlung der vormaligen Staatsbahnen in die neue, privatwirtschaftlich ausgerichtete Deutsche Bahn AG, welche sich jedoch weiterhin ganz oder mehrheitlich (je nach Gesellschaft) im Besitz des Staates befindet. Die Schulden der Bundes- und Reichsbahn wurden dem neuen Unternehmen zwecks „Marktfähigkeit“ erlassen. Zweitens wurden die Netze unter dem Begriff „diskriminierungsfreier Netzzugang“ für private Transportunternehmen geöffnet. Das DB-Tochterunternehmen DB Netze muss also z. B. DB Cargo (Tochterunternehmen Güterverkehr) genauso behandeln wie alle anderen Unternehmen, die Güter auf der Schiene befördern wollen. Somit sind die Netze dem Privatkapital zum Befahren geöffnet worden. Drittens wurde die Finanzierung des Nahverkehrs auf der Schiene zur Aufgabe der Bundesländer erklärt, die seitdem die Erbringung der Verkehrsleistung ausschreiben und an den billigsten Anbieter vergeben.

Konkurrenz

Heute sagen selbst bürgerliche Medien (z. B. FAZ, Welt) und VertreterInnen (vor allem die Grünen), die die Bahnreform einst als Befreiung von einer Haushaltslast gefeiert hatten, dass diese gescheitert sei – was sogleich dazu führt, nach einer neuen Zerschlagung der DB und einer Bahnreform 2.0 zu rufen (Anton Hofreiter, Grüne). Zu groß sind die Ausfallquoten, Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit. Laut Stand November 2018 sind nur 20 % aller Fernverkehrszüge der DB ohne Mängel einsetzbar, die Pünktlichkeit liegt bei 71,8 %, an manchen Orten sogar beiunter 60 %. Das liegt weit unter den angepeilten 82 %, die ohnedies keinen Gipfel der Pünktlichkeit darstellen. Die Ursachen für diese Entwicklung sind unmittelbar mit der Bahnreform und dem Kapitalismus verbunden.

Die neoliberale Auffassungder Verkehrsfrage ist, dass die verschiedenen Verkehrsträger (Straße, Schiene, Luft, Wasser) in Wettbewerb zueinander treten und daraus das bestmöglichste Angebot erwachse. Gleichzeitig sollen sich die Verkehrsträger bestmöglichergänzen. Dass die Beschwörung des freien Wettbewerbs noch nicht mal die neoliberalen InteressensvertreterInnen im Verkehrsministerium zufriedenstellt, zeigt sich an vermehrten, halbherzigen Eingriffen in eben diesen Wettbewerb seitens der Politik. So gründete z. B. der Verkehrsminister Scheuer (CSU) am 9. Oktober 2018 das Zukunftsbündnis Schiene mit Lobbygruppen aus der Bahnbranche.

Die kapitalistische Realitätverhält sich anders als die neoliberale Wunschvorstellung von einer durch Konkurrenz angetriebenen, gut funktionierenden Bahn. Die unterschiedlichen Verkehrsträger ergänzen sich unter den Vorzeichen des kapitalistischen Marktes allenfalls teilweise, z. B. im Containerverkehr Schiff-Eisenbahn-Lkw. In manchen Bereichen stehen sie fast gänzlich außer Konkurrenz, wie z. B. das Flugzeug im Interkontinentalverkehr. Das System Eisenbahn steht im Kapitalismus vor einem strukturellen Problem, was letztlich dazu führt, sich nur schwer gegen andere Verkehrsmittel behaupten zu können: Die Infrastruktur ist betrieblich die aufwendigste (finanzieller Nachteil gegenüber Auto und Flugzeug), es gibt kaum Haustüranbindungen (Nachteil gegenüber Auto) und auf den meisten Strecken ist der Zug zu langsam (Nachteil gegenüber Flugzeug). Zudem begünstigt der Staat den Flugverkehr (keine Mehrwertsteuer auf Auslandsflüge, vergleichsweise niedrige Kerosinsteuer). Der Straßenverkehr wird dank einer Autoindustrie als Kernelement des deutschen Kapitals bevorzugt. Die Konkurrenz wurde hier durch Liberalisierung des Fernbusmarktes und niedriger Lkw-Maut gestärkt. Soviel zur Konkurrenz zwischen den Verkehrswegen.

Wenn von der „Bahn“ gesprochen wird, so wird dieses Wort zumeist als Synonym für die DB AG verwendet. Tatsächlich führte die Bahnreform jedoch dazu, dass heute über 300 unterschiedliche Unternehmen Züge fahren lassen (darunter auch viele Tochtergesellschaften der DB AG). Doch auch die anderen Unternehmen sind oft Teil großer Monopole wie Netinera Deutschland GmbH (Tochter der italienischen Staatsbahn) oder Eigentum der Bundesländer. Es gibt dementsprechend auch eine massive Konkurrenz auf der Schiene selbst, die ihrerseits vor allem im Nahverkehr zu massiven Qualitätseinbußen geführt hat. Da die Bundesländer und Kommunen – ihrerseits getrieben von klammen Kassen und Schuldenbremse – den Betrieb an den billigsten Anbieter vergeben, versucht dieser, seinen Profit durch Einsparungen, also Kostenreduktion bei Personal, Wartung, Service etc. zu sichern. Sehr häufig sind die Wechsel der Nahverkehrsanbieter mitentsprechenden Startschwierigkeiten verbunden (Bsp: vlexx auf der Strecke Frankfurt-Saarbrücken, DB Hamburg-Sylt, NEB Berlin-Küstrin/ Kostrzyn, …).

Mehdorns Erbe

Alle oben genannten Konkurrenzfaktoren führen letztlich zum Niedergang des Systems Bahn. Einer, deres mit dem profitgerechten Zurechtstutzen der DB besonders ernst meinte, war Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der AG von 1999 bis 2009.

Das Erbringen von Verkehrsleistungen wirft im Vergleich zur industriellen Güterproduktiongenerell wenig Profit ab. Daher versuchte die DB AG, den Gewinn herbeizusparen. Auch wenn sie zum Großteil (noch) Staatseigentum ist, so ist sie zur„Eigenfinanzierung“ verpflichtet (heute wächst freilich wieder der Schuldenberg, bis 2023 wohl auf bis zu 25 Mrd. Euro). Um die „Bahn“ durch einen Börsengang finanzieren zu können, wurde sie unter dieser Zielsetzung börsenreif gespart. Die Gewinnerwartungen stiegen, die Zuverlässigkeit brach ein. Erst die Krise von 2008 setzte den Börsenbestrebungen ein jähes Ende. Nichtsdestotrotz wirken die Folgen bis heute nach:

  • Über 10 Jahre wurde kaum betriebliches Personal ausgebildet, MitarbeiterInnen wurden aus der Bahnherausgedrängt. Heute fehlen über 5.000 Fachkräfte allein im Bahnbetrieb selbst, ein Rückstand der aufgrund des hohen Durchschnittsalters kaum aufholbar ist.

  • Von 1994 bis 2006 wurde das Streckennetz der DB von 40.385 Kilometer auf 34.128 Kilometer verkleinert (vor allem im ländlichen Bereich) und wurden etwa 13.847 Kilometer Gleise sowie 58.616 Weichen und Kreuzungen abgebaut. Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur sind unzureichend erfolgt. Der einzige wirklich große, aber dennoch unzureichende Ausbau findet seither im Schnellfahrnetz statt oder es wird massiv Geld in bahntechnische Unsinnigkeiten wie das Prestigeobjekt Stuttgart 21 gepumpt, das sogar der aktuelle Vorstand mittlerweile als Fehler bezeichnet.

  • Subventionen wurden und werden dazu verwendet, die DB AG zum Global Player aufzustellen, statt diese indas Netz hierzulande zu leiten: Regionalverkehr in England, Güterzüge in der Wüste und, um Deutschlands imperialistischen Platz auf der Welt zu vertreten, auch fleißige Mitarbeit bei Chinas „Neuer Seidenstraße“.

  • Zudem ist der Eisenbahnbetrieb in Deutschland ineffizient organisiert. So verschlingen die Vergabeverfahren im Regionalverkehr massive Ressourcen durch Gerichte und Ämter. Die Bundesnetzagentur und das Eisenbahnbundesamt stehen in ihrer Bürokratie in nichts der Bundesbahn nach. Das Schaffen unterschiedlicher Unternehmen innerhalb der DB erzeugt einen riesigen, sinnlosen Verschiebebahnhof von Mitteln innerhalb des Konzerns selbst – Mittel, die im Betrieb fehlen.

Proletariat und Verkehr

Die Aufzählung ließe sich gewiss noch fortsetzen, zeigt aber bereits, wo die grundlegenden Probleme der„Bahn“ heute ganz direkt herkommen. Dementsprechend braucht es anstelle von noch mehr Wettbewerb und Konkurrenz mehr Personal, Infrastruktur, Fahrzeuge und zwar deutlich besser ausgebildet bzw. gewartet als heute. Das aber ist unter den Vorzeichen eines kapitalistischen Staates und einer privatwirtschaftlichen, bürokratischen Ausrichtung trotz verstärkter Investitionen eine Aufgabe von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, die zudem aufgrund der strukturellen Stellung der Bahn im deutschen Verkehrswesen nur zu weiteren Schulden führen wird. Auch eine Bahnreform 2.0, das Programm DB 2020 oder das Zukunftsbündnis Schiene werden wohl kaum zu durchschlagenden Erfolgen in puncto Zuverlässigkeit führen.

Eine dauerhafte Zuverlässigkeit im hiesigen Bahnsystem kann nur durch eine gesellschaftliche Neuorganisation des Verkehrssystems gewährleistet werden, die den Ressourcen verschwendenden und umweltzerstörerischen Individualverkehr (Personen wie Fracht) sowie Kurz- und Mittelstreckenflüge zurückdrängen und sicher eine Ausweitung des Bahnverkehrs vorantreiben würde.

Den Kampf um gute Betriebsqualität und damit auch um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zuführen, das wäre dringende Aufgabe der Gewerkschaften bei der Bahn und im Transportwesen. Doch die GdL und EVG führen diesen Kampf allenfalls durch Appelle an die Konzernspitze und die Politik. Aufgrund dieses bürokratisch festgefahrenen Verhaltens ergibt sich die strategische Notwendigkeit des Kampfes um eine Branchengewerkschaft Transport/Logistik, die die Beschäftigten der gesamten Branche und aller Verkehrswege und Anbieter umfassen muss. Sie muss nicht nur demokratisch vereinheitlicht aufgebaut sein, um die ganze Branche zu erfassen, sie braucht vor allem eine politische Neuausrichtung, eine klassenkämpferische Politik und klare politische, gesellschaftliche Zielsetzungen.

Das würde erstens dazu dienen, gegenseitigen Streikbruch zu verhindern, zweitens aber vor allem, einkoordiniertes, gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen – in Deutschland, aber und vor allem auch europaweit. Solch eine Branchengewerkschaft müsste also auch international mit anderen Gewerkschaften vereint werden. Sie müsste für die entschädigungslose Rückverstaatlichung der gesamten Eisenbahn wie aller anderen privatisierten Transportunternehmen unter demokratischer ArbeiterInnenkontrolle eintreten. Diese ArbeiterInnenkontrolle kann dann in die Richtung eines gesellschaftlichen, nach einem demokratischen Plan organisiert Verkehrs weisen, in dem der Spruch „Pünktlich wie die Eisenbahn“ wieder ohne Ironie gilt.




1 Jahr Schwarz-Blau: Der Kampf geht weiter! Erfolgreich?

Michael Märzen, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Vor einem Jahr, am 15. Dezember 2017, wurde die aktuelle ÖVP-FPÖ-Regierung angelobt. Kanzler und Vizekanzler nahmen das und ihre bisherigen Reformen vor kurzem zum Anlass für einträchtiges Eigenlob. Doch Reformen sind nicht immer gut – immer und überall lautet die Frage: „Wem nützt das?“

Dass die schwarz-blaue Politik zugunsten der Reichen und KapitalistInnen und auf Kosten der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und sozial Schwächeren betrieben wird, haben wir in unseren Analysen zum Regierungsprogramm ausreichend dargelegt (zuletzt in der jüngsten Ausgabe unseres Theoriejournals „Revolutionärer Marxismus“ Nr. 50).

So ist das zentrale Vorhaben der Senkung der Abgabenquote in letzter Konsequenz eine große Umverteilung von unten nach oben, wie eines der wichtigsten Projekte, der Familienbonus, zeigt. Das wird natürlich begleitet von Einsparungen, die vor allem jene treffen, die sich schlechterdagegen wehren können: die Arbeitslosen (AMS-Budgets), die Frauen (Förderungvon Frauenvereinen), die Geflüchteten („Integrationsmaßnahmen”, Mindestsicherung), die Lehrlinge (Ausbildungsbeihilfe), etc. Zusätzliche Maßnahmen zur „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ treffen direkt die Kernschichten der ArbeiterInnenklasse, hier besonders die Ausweitung der Höchstarbeitszeit auf täglich 12/wöchentlich 60 Stunden. Auch muss man festhalten, dass diese Politik unter kontinuierlichen rassistischen Vorstößen gegen Geflüchtete betrieben wird und die Möglichkeiten staatlicher Repression, insbesondere der Überwachung, ausgebaut werden.

Weitere Angriffe

„Der rot-weiß-rote Reformzug wird 2019 mit demselben Tempo unterwegs sein“, verkündet Sebastian Kurz feierlich. Dabei rückter natürlich vor allem eines seiner „Prestigeprojekte“ in den Vordergrund – die Steuerreform. Dazu soll es Mitte Jänner eine Regierungsklausur geben, im April ein passender Budgetrahmen geschaffen und im Oktober das entsprechende Doppelbudget beschlossen werden. Diese Steuerreform, geplant für 2020, muss als wesentlicher Teil der Abgabenquotensenkung verstanden werden. Auch wenn Kurz hier die Entlastung für kleinere und mittlere Einkommen ankündigt, sollte man sich keine Illusionen darüber machen, wem diese Reform tatsächlich nützen soll. Vermutlich wird sich innerhalb eines Gesamtpakets die schon angekündigte Halbierung der Körperschaftssteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) auf nicht entnommene Gewinne finden. Nicht unwahrscheinlich wäre auch eine Senkung des Höchststeuersatzes oder eine Reduktion der Steuerprogression.

Auf eine endgültige Umsetzung wartet auch das „Arbeitslosengeldneu“, das die Arbeitslosenversicherung auf ein Hartz-IV-Modell umstellen soll. Dispute zwischen ÖVP und FPÖ über das Ausmaß des Angriffs haben das Projekt bisher verzögert. Wird die Notstandshilfe tatsächlich abgeschafft, um Arbeitslose nach einiger Zeit, wenn ihr „Vermögen“ aufgebraucht ist, in die Mindestsicherung zu schicken, dann wäre das ein bedeutender Angriff nicht nur auf die Arbeitslosen, sondern auch auf die ArbeiterInnenklasse, auf die dadurch ein stärkerer Druck zur Hinnahme schlechterer Arbeitsbedingungen ausgeübt würde.

Politische Konfrontationen

Es stehen also durchaus noch bedeutende politische Auseinandersetzungen bevor und weitere sind zu erwarten. Immerhin stellt sich die Frage, wie die Regierung ihr Ziel eines anhaltenden Nulldefizitsgarantieren möchte. Für das Budget 2018/19 war es vor allem die gute Konjunktur, die trotz Einsparungen mehr Einnahmen brachte. Aber die Spielräume für 2020/21 werden sich deutlich verengen. In ihrer gesamtwirtschaftlichen Prognose 2018 hatte die Österreichische Nationalbank schon ein Abflauen des Wachstums von +3,1 % (2018) auf +2,1 % (2019) und +1,7 % (2020) konstatiert. Nun wurde aufgrund einiger Revisionen innerhalb der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung jenes für 2018 auf +2,8 % korrigiert. Im kommenden Doppelbudget wird die Regierung also wohl auch zu zusätzlichen relevanten Sparmaßnahmengreifen, noch dazu, da für Ende 2019 eine Pflegereform zur langfristigen Finanzierung angekündigt wurde – und die wird vermutlich nicht billig. Womöglich wird deshalb, obwohl noch nicht angekündigt, das Pensionssystem zur neuen Zielscheibe erklärt.

Kräfteverhältnis

Trotz der offen unsozialen, neoliberalen, rassistischen und autoritären Regierungspolitik scheint das politische Kräfteverhältnis in Österreich seit Anfang der Legislaturperiode zwar nicht gänzlich unverändert, aber auf jeden Fall unerschüttert. In den regelmäßigen Wahlumfragen zeigt sich, dass die Stimmenverhältnisse von ÖVP, SPÖ und FPÖ seit den Wahlen ungefähr gleichgeblieben sind, der rechtskonservative Block also durchaus in der Lage ist, einen großen Anteil der österreichischen Bevölkerung ideologisch für seine politische Agenda zu gewinnen.

Das bedeutet auch, dass der Widerstand einen langen Atem haben muss. Vor allem braucht er aber ein politisches Programm, mit dessen Hilfe der Charakter dieser Regierung entlarvt werden, das die Spaltungsmechanismen unter den Arbeitenden überwinden kann und das eine Alternative zum scheinbar alternativlosen Kapitalismus aufzeigt. Von entscheidender Bedeutung wird es dabei sein, die Gewerkschaftsmitglieder und die sozialdemokratischen ArbeiterInnen zu mobilisieren und im Kampf der politischen Kontrolle durch die Bürokratie zu entreißen. Daher müssen die kämpferischen Elemente der ArbeiterInnenklasse und die Linke gegenüber ÖGB und SPÖ Kritik und Aufforderung zur Aktion verbinden. Nur durch ein solches entschlossenes Handeln können wir den gesellschaftlichen Rechtsruck an seinen Wurzeln bekämpfen!




Frankreich: Gelbe Westen, aber keine roten Fahnen

Marc Lassalle/Martin Suchanek, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Erneut erschüttert eine Massenbewegung Frankreich. Die Proteste der „Gilet Jaunes“ (gelben Westen“)  richten sich gegen den immer unbeliebteren Präsidenten Emmanuel Macron und seine angebliche Ökosteuer auf Erdölprodukte. In Frankreich sind die Dieselpreise 2018 um 16 Prozentgestiegen. Diese Erhöhungen haben einen großen Aufruhr in der Bevölkerungausgelöst.

Am 17. November wurden landesweit über 2.000 Straßensperren organisiert und mehr als 280.000 Menschen mobilisiert. An beiden folgenden Wochenenden wurde die Aktion mit Blockaden und Demonstrationen inParis und vielen Städten mit rund 100.000 TeilnehmerInnen wiederholt. Auf der Prachtstraße Champs-Élysées kam es zu größeren Unruhen.

Gilets Jaunes

Die Bewegung der Gilets Jaunes (GJ) drückteindeutig die weit verbreitete Wut von Millionen von Menschen über steigende Preise und Steuern aus. Diese treffen große Teile der Bevölkerung hart. Dazugehören ArbeiterInnen aus den Vororten und der Peripherie der Großstädte, die sich die Mieten in den Innenstädten nicht mehr leisten können und somit aufihre Autos angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen. Die Schließung von öffentlichen Nahverkehrsverbindungen in den Vororten trägt dazu ihr Übriges bei. Das Gleiche gilt für Selbstständige und FreiberuflerInnen sowie für kleine KapitalistInnen, deren Gewinne durch steigende Preise geschmälert werden.

Die Bewegung organisiert sich hauptsächlich übersoziale Medien und überraschte nicht nur Macron und die Regierung, sondern auch die meisten politischen Parteien und Gewerkschaften. Diese unterscheidet sich jedoch deutlich von denen während der Präsidentschaft des „Sozialisten“ François Hollande und dann unter Macron, die sich gegen dessen „Arbeitsgesetzreformen“und andere soziale Angriffe richteten. Damals waren es die ArbeiterInnenklasseund die Gewerkschaften, vor allem die CGT (Confédération Générale du Travail; Allgemeiner Gewerkschaftsbund), die die Führung übernahmen und von einer Reihe Universitätsbesetzungen begleitet wurden.

Diese Mobilisierungen zeigten das Potenzial der französischen ArbeiterInnenklasse und Jugend, einen erfolgreichen Kampf gegen die verhasste Kombination aus strenger Sparpolitik, Liberalismus und Autoritarismus der Macron-Regierung zu führen. Bei der Gilet Jaunes-Bewegung besteht jedoch die Gefahr, dass die rechtsextreme Rassemblement National (RN;Nationale Sammlungsbewegung) von Marine Le Pen und die GaullistInnen Les Républicains (LR; Die Republikaner) an Boden gewinnen.

Die Partei Le Pens hat Macrons zentristische La République En Marche (LREM; Die Republik in Bewegung) in den letzten Umfragenzu den Europawahlen 2019 überholt. Die IFOP-Umfrage vom 4. November ergab, dass LREM auf 19 Prozent gefallen war, während die RN, ehemals Front National (Nationale Front), auf 21 Prozent stieg.

Die ArbeiterInnenklasse

Die GJ-Bewegung entstand im Gegensatz zu o. a.Bewegungen nicht aus den Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Obwohl eindeutig eine große Zahl von Lohnabhängigen beteiligt ist, handelt es sich umeine, die eher typisch für die Anti-Steuerbewegungen der unteren Mittelschicht ist. Dies spiegelt sich in ihrem Verbot der Beteiligung von Gewerkschaften und politischen Parteien wider, ja in ihrer Behauptung, dass sie „unpolitisch“ sei.

Dennoch haben rechtsbürgerliche Parteien wie LR und rechtsextreme rassistische PopulistInnen wie RN und sogar ausgesprochen faschistische Gruppen sie ohne großen Widerstand infiltriert. Dies ist in hohem Maße darauf zurückzuführen, dass die Bewegung gegen Macrons „Reformen“ des Sommers und Herbstes nicht wirklich an Fahrt gewann. Es ist ein Zeugnis für die Krise der französischen Linken im Allgemeinen.

FührerInnen der ArbeiterInnenklasse, vor allem linke PopulistInnen wie Mélenchon, haben sich der Herausforderung nicht gestellt. Seine Bewegung France Insoumise (FI; Unbeugsames Frankreich) war bereits Ausdruck ihrer Krise mit ihrer schändlichen Anpassung an den „republikanischen Patriotismus“, der Ersetzung der roten Fahne durch die Trikolore. Er präsentiert eine ökonomisch-nationalistische und keynesianische Antwort auf die Misere und spielt mit Vorurteilen gegenüber der EU, verteidigt zugleich die französische Außenpolitik, militärische Stärke und die Abschottung der EU gegenüber MigrantInnen. Die konservativeren und moderateren Gewerkschaften wie Force Ouvrière (FO; ArbeiterInnenstärke) und CFDT (Confédération FrançaiseDémocratique du Travail; Französischer Demokratischer Gewerkschaftsbund) sabotierten den Kampf gegen Macron mehr oder weniger offen.

Die CGT, die dem allgemeinen Kampf und insbesondere dem der militanten EisenbahnerInnen eine Führungsrolle gab, führte den Widerstand jedoch in eine Sackgasse, indem sie die Streiks auf eine Reihe von geplanten eintägigen Stillständen beschränkte. Sie tat dies, als es einer umfassenden Streikbewegung bedurfte, die den Widerstand zu einer direkten politischen Herausforderung für die Regierung Macron hätte ausweiten können.

Initiative

Dieses Scheitern bedeutete nicht nur, dass Macron mit seinen Angriffen erfolgreich war, sondern vor allem, dass die ArbeiterInnenklasse die Initiative auf diejenigen übergehen ließ, dieversuchen, die Unorganisierten, die politisch rückständigeren oder inaktiven ArbeiterInnen sowie die unteren Teile der Kleinbourgeoisie um ihre begrenztenAnti-Steuerforderungen zu sammeln.

Es gibt natürlich eine enorme und berechtigte Wut unter „dem Volk“ über die sozialen Angriffe der Macron-Regierung, steigende Preise und gescheiterte Versprechungen. Dabei spielt auch die totale Arroganzseines selbsternannten „jupiterianischen“ Stils eine Rolle. Er präsentiert sichals Speerspitze einer „Bewegung“ für die nationale, ja europäische Erneuerung, d. h. der neoliberalen Reformen, die die wirtschaftliche und politische Elite Frankreichs seit Jahrzehnten durchzusetzen versucht. Er versprach außerdem – im Gegensatz zu früheren Präsidenten -, nie dem Druck der Straße nachzugeben.

Die Steuererhöhungen für Benzin sind mit Steuervergünstigungen für die Reichen einhergegangen. Diese sollen das UnternehmerInnentum ermuntern, während seine Arbeitsrechtsreformen es ihm ermöglichen sollen, die unsicheren Niedriglohnarbeitsplätze der „Gig Economy“ (Wirtschaft für Kleinaufträge an unabhängige Freiberuflerinnen bzw. geringfügig Beschäftigte) zu reproduzieren und damit die Arbeitslosenquote zu senken. Kein Wunder, dasser als „Präsident der Reichen“ sowohl auf der populistischen rechten als auch auf der linken Seite stigmatisiert wird.

Die Bewegung der gelben Westen ist eindeutigAusdruck dieser weit verbreiteten, allzu verständlichen Wut und Frustration. Dies beantwortet jedoch nicht die Frage nach ihrem politischen Charakter oder der Richtung, die sie voraussichtlich einschlagen wird.

Tatsächlich ist sie, wie viele andere heute inEuropa und darüber hinaus, nicht nur eine Bewegung gegen etablierte Regierungen, sondern auch gegen die „politische Klasse“, die „Elite“. Siesignalisiert auch den Verlust der sozialen und politischen Initiative derArbeiterInnenklasse. Es handelt sich, kurz gesagt, um eine kleinbürgerliche,klassenübergreifende Bewegung.

Damit soll nicht die Anwesenheit einer großen Zahl von ArbeiterInnen auf den Blockaden und Märschen geleugnet werden,insbesondere von GeringverdienerInnen, welche gezwungen sind, weit weg von denStädten, in denen sie arbeiten, zu leben. Viele Berichte deuten darauf hin, dass die meisten noch nie zuvor in einer sozialen Bewegung aktiv waren und zumersten Mal an militanten direkten Aktionen teilnehmen.

Charakter der Bewegung

Die Frage der politischen Führung und Richtungist jedoch keine soziologische. Sie ist eine der sozialen Ziele einer solchen Bewegung, ihrer Beziehung zur ArbeiterInnenbewegung und ihres Bewusstseins. Allein sie als „spontan“ zu loben, löst nichts. Während die GJ (noch) nichtvollständig vom „oppositionellen“ bürgerlichen Mainstream oder rechtsextremen Kräften dominiert werden, verfügen diese über einen sehr sichtbaren Einfluss inihnen. In der ersten Periode waren die sichtbarsten aktiven Kräfte in der Bewegung LR, die gaullistische Partei von Sarkozy, und die RN. Die RN hat verdeckter gehandelt, aber ihre Kader greifen eindeutig national und lokal indie Bewegung ein. Marine Le Pen hat sie lautstark unterstützt und ihre AnhängerInnen ermutigt, sich der Demonstration auf der Champs-Élyseés am 24.November anzuschließen. In gewissem Maße ähnelt die Bewegung den Protesten, diebei der Gründung der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien oder der rechtspopulistischen Bewegung von Pierre Poujade in Frankreich in den 1950er Jahren zu sehen waren.

Die wichtigsten Forderungen gegen die Besteuerung von Benzin und Diesel und für niedrigere Preise stammen eindeutigaus dem kleinbürgerlichen und populistischen Arsenal. Die Parolen der ArbeiterInnenbewegung gegen regressive indirekte Verbrauchssteuern wie dieMehrwertsteuer und für eine progressive direkte Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen bieten die wirkliche Antwort darauf, wie der Staat notwendige Einkünfte auftreiben soll. Der ausschließliche Fokus auf Preis- und Steuersenkungen macht es jedoch viel einfacher, verschiedene, ja antagonistische Klassen zusammenzubringen, da jedeR „BürgerIn“ davon zu profitieren scheint.

Offensichtlich ist die Bewegung keinefaschistische, aber sie wird vom Rechtspopulismus dominiert. Die Tatsache, dassein Teil davon auch soziale Fragen aufwirft und höhere Löhne fordert, widerlegt dies nicht. Gleichzeitig gab es Fälle von offenem Rassismus und Homophobie. Solche offen reaktionären und rassistischen Ausbrüche, wenn auch noch nichtweit verbreitet, zeigen, dass implizit die Menschen, die die Bewegung zusammeln versucht, „das weiße französische Volk“ sind – nicht die gesamte arbeitende Bevölkerung, einschließlich der in den Banlieues (Vororten), muslimischen und immigrierten ArbeiterInnen.

Die „spontane“ Tendenz zum rechten Flügel wurdebei der Demonstration am 24. November in Paris offenbart. Bis zu 10.000 – etwa 10 Prozent der geschätzten landesweiten Mobilisierung – stießen auf derChamps-Élysées mit der Polizei zusammen und die Kämpfe wurden von der „extremen Rechten“ angeführt, d. h. von faschistischen und halbfaschistischen Kräften rechts von der RN. Während die meisten DemonstrantInnen wahrscheinlich selbst keine FaschistInnen waren, zeigten sie sich eindeutig bereit, deren Führung an diesem Tag zu akzeptieren. Die „Bewegung“ und die damit verbundenen Hauptkräfte haben keinen klaren Bruch mit faschistischen Elementen wie Les Identitaires (BI; Identitärer Block – Die Europäische Sozialbewegung) gefordert oderversucht, sie zu vertreiben. Am 1. Dezember kam es jedoch zu einzelnen Zusammenstößen zwischen Rechten und Linken – aber dies stellt leider noch immer eher eine Ausnahme dar.

Forderungen

Vielmehr offenbaren nicht zuletzt auch die am 3. Dezember veröffentlichten 42 Forderungen der Bewegung ihren kleinbürgerlich-populistischen Charakter. Diese lesen sich wie ein politischer Gemischtwarenladen, spiegeln die Heterogenität der Bewegung wider. So stehen solche nach Mindestlohn, sicheren Renten, Kindergartenplätzen für alle und andere soziale neben Steuersenkungsforderungen und dem Ruf nach Begünstigung der (französischen) KleinunternehmerInnen. Über wichtige Gesetzesvorhaben verlangt sie Volksabstimmungen, zugleich aber auch die Verlängerung der Präsidentschaft aufsieben Jahre (statt bisher fünf). Außerdem treten die GJ für „erhebliche Mittelfür Justiz, Polizei, Gendarmerie und Armee“, einen starken Staat ein und erheben auch rassistische Forderungen nach „sofortiger Abschiebung“ abgelehnterAsylbewerberInnen und an MigrantInnen, „französisch zu werden“, inklusive verpflichtender Tests auf ihre „Tauglichkeit“ zur StaatsbürgerInnenschaft.

Wie Bernhard Schmid in einer Analyse der politischen Orientierung der SprecherInnen der GJ hervorhebt, muss die Mehrheitihrer ExponentInnen zur politischen Rechten gezählt werden. Einer ihrer acht SprecherInnen trat 2014 für den Front National an. Der LKW-Fahrer Eric Drouet,eines der „Gesichter der Bewegung“, fiel bis vor kurzem eher durch rechtslastigeSprüche im Netz auf und unterhält einen Blog, in dem er Macron auffordert, „die Milliardenkosten der Einwanderung“ zu senken, und unterstützte im Juli diesen Jahres migrantenfeindliche Aufrufe in Calais. Auch wenn es gemäßigte VertreterInnen unter den SprecherInnen gibt – darunter die ökologischorientierte, aus der Karibik stammende Therapeutin und Verkäuferin PriscilliaLudosky – so ändert das nichts am insgesamt kleinbürgerlich-populistischenCharakter der Bewegung und am Einfluss Rechter.

Ein Großteil der Linken hat jedoch die Bedeutung und Rolle des Rechtspopulismus oder Rechtsextremer heruntergespielt oder sogar ihren reaktionären Charakter geleugnet. Natürlich wird niemand überrascht sein, dass RN und Marine Le Pen mit solchen Kräften zusammenarbeiten oder RepublikanerInnen und Sarkozy sich mit den wütenden Kleinbürgerlichenverbünden. Aber auch Mélenchon und sein FI ignorieren vorsätzlich den Einflussund die Gefahr der extremen Rechten.

Zu diesem Ergebnis führen „linker“ Populismusund Patriotismus: einer Anpassung an den realen Chauvinismus einer der ältesten kolonialistischen und imperialistischen Bourgeoisien der Welt und den Rassismusdes reaktionären KleinbürgerInnentums. Diese Einflüsse und den populistischenCharakter der Bewegung – und damit auch ihrer Gefahren – herunterzuspielen, beschränkt sich leider nicht nur auf die linken PopulistInnen. Auch Teile derradikalen Linken haben sich ohne jegliche Kritik an die Bewegung angepasst.

Eingreifen

Wenn die Organisationen der ArbeiterInnenklasse, die Gewerkschaften und die extreme Linke die politische Initiativewiedererlangen wollen, müssen sie in die politische Krise eingreifen. Aber nicht durch die Anpassung an kleinbürgerliche Kräfte, ihre populistischeIdeologie und sogar ihre Methoden des Kampfes, sondern indem sie gegen das wirkliche Elend mobilisieren, den Kampf gegen steigende Preise mit einem gegenstaatliche Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse und die Armen verbinden. Die ArbeiterInnenklasse muss in Aktion beweisen, dass sie eine soziale Kraft ist, die Macron wirksam herausfordern und die Massen, einschließlich der verarmten und unteren Teile des KleinbürgerInnentums und der mittleren Schichten, mobilisieren kann.

Natürlich kann es durchaus sein, dass einigelokale „Gelbwesten“ unter den Tausenden im ganzen Land diesem Beispiel folgen und zu „roten Westen“ werden. Dies wird jedoch für die gesamte Bewegung unmöglich sein; sie muss entlang Klassenlinien gespalten werden, nicht nur sozial, sondern auch politisch. Es darf keine Zusammenarbeit mit den faschistischen oder rassistischen Kräften wie BI, der RN oder mit der bürgerlichen LR geben. Ein klarer Bruch mit ihnen muss Voraussetzung für jede Zusammenarbeit mit den Gelbwesten sein. Der Ausschluss politischer Parteien der Linken und der Gewerkschaften muss bekämpft werden.

Die CGT ruft – sicher auch durch die GJgetrieben – zu einem Aktionstag für den 14. Dezember auf, an dem die Regierungauch über die etwaige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns berät. Die Gewerkschaft fordert einen Mindestlohn von 1800,- Euro mit ähnlichen Erhöhungenfür Renten und Sozialleistungen und eine auf 5,5 Prozent für wesentliche Güterund Dienstleistungen wie Gas und Strom begrenzte Mehrwertsteuer. Sie warnt auchvor fremdenfeindlichen, rassistischen und homophoben Ideen.

Außerdem haben sich im Zuge der sozialen undpolitischen Krise auch hunderte Schulen in Aktion gesetzt, eine kämpferische, dynamische Jugendbewegung könnte entstehen.

Die entscheidende Frage wird aber sein, ob die
ArbeiterInnenbewegung, die Gewerkschaften, die SchülerInnen die Initiative
ergreifen können oder ob sich Einfluss und Stärke der Rechten unter den GJ
konsolidieren.

Aktion

Dazu müssen sie und vor allem die Gewerkschafteneine Bewegung aufbauen, deren Zentrum die Betriebe, Belegschaftsversammlungen, gewählte Aktionskomitees darstellen, die die proletarischen Teile der Gelbwesten auf ihre Seite ziehen können. Dazu braucht es ein politisches Aktionsprogramm. Zu dessen wichtigsten Forderungen sollten gehören:

  • Rücknahme aller von Macron und Hollandeeingeführten arbeiterInnenfeindlichen Gesetze: Schwächung des Arbeitsrechts,Angriffe auf Rentenansprüche, Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor usw.
  • Mindestlohn von insgesamt 1800  Euro pro Monat für alle.
  • Abschaffung der Mehrwertsteuer und allerMassensteuern; Erhöhung der Vermögens- und Körperschaftssteuern.
  • Gleiche Rechte für alle, die in Frankreichleben; offene Grenzen und volle StaatsbürgerInnenrechte für alle MigrantInnen,Flüchtlinge und Sans Papiers!
  • Die entschädigungslose Verstaatlichung desÖlkonzerns Total sowie des gesamten Energiesektors unter Kontrolle derArbeiterInnen.
  • Ein Programm sozial nützlicher Arbeiten zumWiederaufbau des öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur, zum sozialenWohnungsbau und zur Lösung der Umweltkrise unter der Kontrolle derArbeiterInnen, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen.



Gegen jede Unterstützung der rechtsextremen Bolsonaro-Regierung durch deutsche Unternehmen! Solidarität mit den brasilianischen KollegInnen!

Aufruf linker GewerkschafterInnen, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Am 28. Oktober wurde der rechtsextreme Kandidat und Ex-Militär Jair Bolsonaro in der Stichwahl in das Amt des Präsidenten von Brasilien gewählt, das er Anfang Januar 2019 antreten wird. Die Wahl selbst wurde überschattet durch den Ausschluss des bis dahin in den Umfragen führenden Kandidaten Lula da Silva, des ehemaligen Präsidenten und historischen Führers des CUT-Gewerkschaftsverbandes, dessen Mitglieder maßgeblich zum Ende der Militärdiktatur beigetragen hatten.

Die scharfe Hetze gegen „linke Politik“ und die sozialdemokratische ArbeiterInnenpartei (PT) in den dominierenden Medien und die Gewaltakte gegenüber „Linken“ oder anderen „Verdächtigen“, die in über 50 Morden an Linken, Indigenen und Homosexuellen gipfelten, lassen Schlimmes befürchten.

Jair Bolsonaro vertritt auf allen Gebieten – Wirtschaft, soziale Rechte, Gleichberechtigung von Frauen, Homosexualität, Schutz des Regenwaldes – die reaktionärsten Positionen. Darüber hinaus verteidigte er offen die Militärdiktatur in Brasilien, die von 1964 bis 1985 das Land mit Terror und über 1.000 Morden überzogen hatte. Er bedauerte, dass die Militärs damals leider 30.000 Menschen zu wenig „gesäubert“ hätten.

Konkret sind folgende Maßnahmen zu erwarten:

  • Im Rahmen von „Antiterror“-Gesetzen sollen bestimmte soziale Bewegungen, vor allem diejenigen der landlosen ArbeiterInnen oder von Favela-BewohnerInnen, verboten werden (MST, MTST). Diese Verbote werden sicher auch auf linke Organisationen und Gewerkschaften ausgeweitet werden.
  • Sonderrechte für bestimmte Polizeieinheiten, die Folter und willkürliche Erschießungen erlauben.
  • Ausweitung neo-liberaler „Reformen“ bei Rente und Arbeitsrecht sowie Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Petrobras.
  • Beseitigung wesentlicher Umweltauflagen durch die Auflösung des Umweltministeriums und Überführung von dessen Aufgaben in das vom Agro-Businesskontrollierte Landwirtschaftsministerium.
  • Umgestaltung von Lehr- und Studienplänen durch eine „Bildungsrevolution“ unter Kontrolle evangelikaler Kirchen. Unter anderem soll Genderforschung abgeschafft werden.
  • Angriffe auf die Rechte von Frauen und LGBT-Menschen, Stärkung reaktionärer Geschlechterrollen – einschließlich einer Verharmlosung sexistischer Übergriffe und von Gewalt, der schon jetzt jährlich tausende Frauen und sexuell Unterdrückte zum Opfer fallen.
  • Kritische Presseorgane wie die bekannteste liberale Zeitung des Landes, die„Folha de Sao Paulo“, werden mit Anzeigenboykotts und Ausschluss von Pressekonferenzen bedroht, weil sie es gewagt hatten, illegale Spendenpraktiken des Bolsonaro-Wahlkampfes aufzudecken.

Angesichts dieser massiven Bedrohungen von Demokratie, Menschen- und Gewerkschaftsrechten ist es besonders empörend, dass führende VertreterInnen deutscher Unternehmenin Brasilien ihre volle Unterstützung für diese rechtsextremistische Politik erklärt haben. Einerseits spielen deutsche Investitionen eine bedeutende Rolle in Brasilien. Die über 12.000 deutschen Unternehmen verantworten bis zu 10 % des BIP. Andererseits sind gerade erst die Verwicklungen deutscher Unternehmen in schreckliche Aktionen der alten Militärdiktatur aufgearbeitet worden. Der VW-Konzern musste auf Veranlassung der brasilianischen „Wahrheitskommission“ eine wissenschaftliche Studie finanzieren, in der nachgewiesen wurde, dass VW-ManagerInnen an der Denunzierung und Auslieferung von missliebigen GewerkschafterInnen beteiligt waren, die in Folge verschwanden oder ihr Lebenverloren.(http://www.volkswagenag.com/presence/konzern/documents/Historische_Studie_Christopher_Kopper_VW_B_DoBrasil_14_12_2017_DEUTSCH.pdf).

Umso empörender ist es, dass ein Vorstandsmitglied des VW-Konzerns, der Nutzfahrzeugspartenchef Andreas Renschler, sich positiv zur Perspektive der Machtübernahme von Bolsonaro geäußert hat (Der Spiegel, 2.11.2018: „Stramm nach rechts“). Auch der Vorsitzende der deutsch-brasilianischen Außenhandelskammer, Dr. Wolfram Anders, hatte Bolsonaro schon im Wahlkampf unterstützt, um „venezolanische Verhältnisse“ zu verhindern (ebd.). Als Bolsonaro vor der einflussreichen Wirtschaftsvereinigung von Sao Paulo seine Hasstiraden auf seine politischen GegnerInnen losließ, erhielt er dort stehende Ovationen – ein beträchtlicher Teil der dortigen VertreterInnen wird von deutschen Unternehmen entsandt. Roberto Cortes, Chef von VW Trucks and Busses in Brasilien, und Philipp Schiemer, Präsident von Mercedes-Benz in Brasilien, stellten sich öffentlich lobend hinter Bolsonaro (Neue Züricher Zeitung, 14.11.2018: „Keine Angst bei Unternehmen“). Nicht nur aus der Industrie kam Unterstützung für den rechtsextremen Kurs von Bolsonaro. Auch die „Deutsche Bank“ und in ihrem Gefolge die „Commerzbank“ hatten in ihren Tweets zur Wahl betont, dass Bolsonaro der „Wunschkandidat der Märkte“ sei (Frankfurter Rundschau, 25.11.2018, http://www.fr.de/kultur/netz-tv-kritik-medien/netz/jair-bolsonaro-deutsche-bank-nennt-bolsonaro-wunschkandidat-der-maerkte-a-1610928).

All dies zeigt: Deutsche Unternehmen sind eine wesentliche Stütze für einen rechtsextremen Politiker, von dem Maßnahmen zu erwarten sind, die stark an eine faschistische Diktatur erinnern. Statt aus den von ihnen selbst herausgegebenen Studien zu ihrer Verwicklung in die alte Diktatur gelernt zu haben, werden sie wieder zum Steigbügelhalter einer entstehenden Diktatur, die wiederum mit allen Mitteln GewerkschafterInnen in ihren Unternehmen bekämpfen wird.

Alle, die wir Kontakte mit brasilianischen Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen hatten oder sich mit der dortigen Situation beschäftigt haben, müssen befürchten, dass erneut diese Kolleginnen und Kollegen Opfer von staatlicher Willkür oder gar ermordet werden. Brasilien war über fast dreißig Jahre Schauplatz und Beispiel für eine wachsende Gewerkschaftsbewegung, ohne die alle demokratischen Veränderungen und Fortschritte undenkbar gewesen wären. Diese Solidarität muss gerade jetzt verstärkt werden!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB sofortige, entschiedene Positionierung gegen die Unterstützung von VW, Daimler, der Deutschen Bank und anderen deutschen Unternehmen oder deren SprecherInnen in Brasilien für den rechtsextremen Jair Bolsonaro!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB wirksame und spürbare Unterstützung für die brasilianischen Gewerkschaften, insbesondere in ihrem Kampf gegen die Rentenreform und die Privatisierung von Petrobras! Protestaktionen und Streiks der brasilianischen KollegInnen müssen durch entsprechende Solidaritätsaktionen unterstützt werden!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB, die zu erwartenden anti-demokratischen, menschenverachtenden Maßnahmen der Bolsonaro-Regierung mit Boykottaufrufen und Sanktionsmaßnahmen zu beantworten! Insbesondere muss die sofortige Freilassung des widerrechtlich in Gefangenschaft gehaltenen Lula da Silva ein Ziel der internationalen Gewerkschaftsbewegung werden! Als GewerkschafterInnen aus Deutschland unterstützen wir die Kampagne „Lula Livre“ (Freiheit für Lula!) und fordern den DGB zur Teilnahme an dieser Bewegung auf!

Wir fordern von der IG Metall, ver.di und dem DGB, die internationalen Proteste gegen die Inauguration vom Bolsonaro im Januar zu unterstützen und sich daran zu beteiligen!

ErstunterzeichnerInnen

Matthias Fritz, IG Metall, BR und VKL Mahle Stuttgart

Christa Hourani, IG Metall, Frauenausschüsse IGM und DGB, ehem. BR und VKL Daimler Zentrale

Niels Clasen, IG Metall, ehem. BR und VKL Roto Frank Leinfelden

Sybille Stamm, ver.di,

Mag Wompel, ver.di, Labournet

Laurenz Nurk, ver.di, Mitherausgeber gewerkschaftsforum-do.de

Fritz Stahl, IG Metall, ehem. Vertrauensmann Mercedes Benz Werk Mannheim

Angela
Hidding, IG Metall, Delegierte, ehem. Betriebsrätin Mercedes Benz Werk Mannheim

Walter Hofmann, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzender und VKL Saurer-Allma, Kempten

Klaus-Peter Löwen, IG Metall, ehem. stv. GBR-Vorsitzender Alcatel-Lucent Deutschland AG

Jakob Schäfer, IG Metall, Mitgl. der Delegiertenversammlung der IGMWiesbaden-Limburg, ehem. BR

Helmut Born, ver.di Düsseldorf, Mitglied im Landesbezirksvorstand ver.di NRW

Tom Adler, IG Metall, ehem. BR Daimler Untertürkheim und Mitglied Tarifkommission, Stadtrat LINKE Stuttgart

Christiaan Boissevain, IG Metall, ehem. BR, Sekretariat Initiative zur Vernetzung derGewerkschaftslinken

Helga Schmid, ver.di, Vorstandsmitglied der ver.di-Betriebsgruppe des SüddeutschenVerlags-München

Sascha Ebbinghaus, BR-Vors., Beisitzer Ortsvorstand IGM Waiblingen/Ludwigsburg

Markus Dahms, GBR IBM B&TS, ver.di LBZ Berlin-Brandenburg FB9

Reinhold Riedel, Kreisrat, LINKE Esslingen

Mehmet Sahin, IG Metall, Mahle-Behr, Stuttgart

Michael Clauss, IG Metall, BR Daimler Untertürkheim und Große Tarifkommission Baden-Württemberg

André Halfenberg, IG Metall, ehem. BR Daimler Untertürkheim

Olaf Harms, ver.di, G/BR-Vorsitzender,
Vors. LBV verdi-hamburg

Peter Oberdorf, IG Metall, ehem. BR Coperion Stuttgart

Gerd Rathgeb, IG Metall, ehem.
BR Daimler Untertürkheim

Andreas Grüninger, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzender MWK Renningen GmbH

Günther Klein, ver.di, PR, Vorsitzender Ver.di Fachbereich 5 Stuttgart

Erika Rossade, ver.di

Manfred Jansen, IG Metall, ehem. BR-Vorsitzende KBA-MetalPrint

Jürgen Stamm, IG Metall, ehem. 1. Bevollmächtigter IG Metall Stuttgart

Sebastian Förster, ver.di, Fachkommission Soziales ver.di Nordhessen

Angelika Teweleit, Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di

Jörg Nowak, Researcher, Univ of Nottingham

Fritz Hofmann IG BCE, Ludwigshafen, Rentner

Heinrich Brinker, Sprecher KV Die Linke Esslingen

Michael Becker, Offenbach, GEW, ehem. Regionssekr. DGB Nordbaden,

Dr Eva Hartmann, lecturer Sociology of Education, Univ of Cambridge

Dr Dario Azzellini, Developement Sociology, Verdi, Cornell Univ, Ithaka

Uwe Elsaßer, IG Metall, VKL Mahle, Stuttgart

Wenn ihr den Aufruf unterstützen wollt:

M.Fritz, matthias.fritz.stuttgart@t-online.de




100 Jahre KPD-Gründung: Schwere Geburt

Bruno Tesch, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Im November 1918 brach in Deutschland die Revolution aus. Nicht nur das morsche monarchistische System hatte sich überlebt. Der Kapitalismus selbst stand zur Disposition.

Die traditionelle ArbeiterInnenführung, die SPD, hatte 1914 Klassenverrat
begangen und den imperialistischen Krieg unterstützt. Im Verlauf des Krieges
spaltete sie sich in Mehrheitspartei und Unabhängige SozialistInnen (USPD).

Revolutionäre Krise

Die ArbeiterInnenmassen waren ausgehungert und aufrührerisch. Die
politischen und gesellschaftlichen Strukturen befanden sich in Auflösung. Am
Ende des Ersten Weltkrieges steckte Deutschland in einer revolutionären Krise.

Spontan bildeten sich in vielen Orten Räte aus ArbeiterInnen und
heimkehrenden Frontsoldaten, die den Machtfreiraum – die Bourgeoisie war wie
gelähmt – zunächst ausfüllten. RevolutionärInnen waren in ihnen jedoch klar in
der Minderheit.

Anders als die Bolschewiki, die in Russland vor der Revolution 1917 schon
einen jahrzehntelangen unerbittlichen Fraktionskampf gegen den reformistischen
Menschewismus geführt hatten, setzte sich die deutsche revolutionäre Linke aus
einer Vielzahl von Strömungen und Gruppen zusammen, deren kleinster gemeinsamer
Nenner in der Absetzung von der Sozialdemokratie bestand. Einige von ihnen wie
z. B. der Lichtstrahlen-Kreis aus Berlin entstand außerhalb der
Sozialdemokratie, während die bedeutendste Formation, der Spartakusbund um
Luxemburg und Liebknecht, sich erst 1918 von der zentristischen USPD abgespalten
hatte.

Diese Gruppen standen in mehr oder minder engem Zusammenhang und stimmten auf dem Rätekongress Mitte Dezember 1918, der über das weitere Schicksal der Räteorgane und der politischen Zukunft des Landes befinden sollte, oft gemeinsam ab, vor allem in der Frage der Macht im künftigen Staatswesen. Sie traten für eine Räterepublik ein. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Mehrheit der Delegierten dafür zu gewinnen. Hier setzte sich klar die Linie des Gewerkschaftsbundes ADGB durch, der die Macht dem Regierungsprovisorium unter Ebert (SPD) übertragen wollte.

Ebert war der letzte Trumpf, den die Bourgeoisie ausspielen konnte, um ihre
Herrschaft abzusichern, denn sie selbst war damals nicht in der Lage, die
Revolution zu bremsen. Ebert hatte einen klaren Fahrplan für die demokratische
Konterrevolution im Visier. Er orientierte auf die Durchsetzung demokratischer
Rechte, parlamentarische Wahlen und eine neue bürgerlich-demokratische
verfassunggebende Versammlung. Dies vertrug sich natürlich nicht mit der Aufrechterhaltung
der Doppelmachtsituation zwischen Regierung und Räten.

Obleute

Ein entscheidender Faktor für die weitere Weichenstellung waren die
revolutionären Obleute, die während des Krieges FührerInnen von Massenstreiks
waren und eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Räte spielten. Sie waren
größtenteils in der USPD organisiert und hatten in wichtigen Fragen mit der
alten SPD-Politik gebrochen. Doch in der entscheidenden Frage der Errichtung
einer Räterepublik, d. h. der Übernahme der ganzen Staatsmacht und der
Zerschlagung des bürgerlichen Staates, nahmen sie eine zögerliche Haltung ein.

Statt den provisorischen Rat der Volksbeauftragten unter Ebert zu
kontrollieren und ihm klare Weisungen zu erteilen, ließen sich die Angeordneten
der Räte oft vor vollendete Tatsachen stellen. Ebert und seine
HelfershelferInnen nutzten derweil ihre alten Verbindungen mit dem
Herrschaftsapparat in Verwaltung und Militär aus, bauten die angeschlagene alte
Machtmaschinerie wieder auf und ermöglichten und ermunterten schließlich die
Offensive der Konterrevolution und den Terror der reaktionären Freikorps, dem
bald auch Luxemburg und Liebknecht zum Opfer fallen sollten.

Der Rätekongress entmachtete sich durch sein mehrheitliches Votum für den
Kurs auf eine Nationalversammlung praktisch selbst. Damit war die einmalige
Chance vertan, die ArbeiterInnenrevolution in Deutschland in einem Zug zum Sieg
zu führen.

Kinderkrankheiten

Erst nach diesem herben Rückschlag für die Revolution, dem Scheitern der
Rätebewegung, erfolgte zur Jahreswende 1918/1919 die Gründung einer Partei, die
sich die sozialistische Revolution auf die Fahnen geschrieben hatte: der KPD.
Der Schärfe des Klassenkampfes entsprach die, mit der die unterschiedlichen
Strömungen, die an der Parteigründung beteiligt waren, aufeinanderprallten und
an der die junge Partei fast schon gescheitert wäre, noch ehe sie gegründet
war.

Die KPD kam mit einigen Geburtsfehlern zur Welt. Die Notwendigkeit der
Revolution zwang die RevolutionärInnen zum Hissen einer revolutionären Parteifahne,
aber diese war ein Flickenteppich. Der Diskussions- und Klärungsprozess vor der
Parteigründung war oft unzureichend. Vor allem gelang es nicht, die
revolutionären Obleute dabei einzubeziehen und für die KPD zu gewinnen.

Das Parteiprogramm, vor allem aber die politische Praxis ließen
Einheitlichkeit und klare Linie vermissen. Selbst der Spartakusbund war
keineswegs homogen. Dies schlug sich in Form der Parteistrukturen nieder. Die
KPD blieb zunächst eher föderalistisch organisiert, wirklichen demokratischen
Zentralismus gab es nicht.

Die widerstrebenden Interessen brachten es mit sich, dass sich in der
Organisation eher Strömungen durchsetzten, die eine antibolschewistische
Ausrichtung verfolgten und einen nationalen Sonderweg bevorzugten. Auch in der
Frage, ob in den Gewerkschaften oder nur bei den revolutionäre Obleuten
interveniert werden sollte, wurde keine Einigkeit erzielt. Das taktische
Eingehen auf eine Nationalversammlung, wie Rosa Luxemburg es vertrat, lehnte
die Mehrheit ab. Stattdessen ließ sie sich unter Führung von Liebknecht im
Januar 1919 in ein militärisches Abenteuer ziehen, den sog. Spartakus-Aufstand
in Berlin.

Die Konterrevolution ermordete noch vor den Wahlen zudem mit Luxemburg und
Liebknecht sowie im März mit Jogiches die wichtigsten FührerInnen der jungen
KPD. Von diesem Schlag erholte sich die Partei erst allmählich.

Trotz aller Unreife war ihre Gründung ein historisch notwendiger und
bedeutender Schritt, um eine eigenständige politische Entwicklung und
Organisierung von revolutionären MarxistInnen zu ermöglichen. Nur eine solche
eigenständige Partei konnte überhaupt einen politischen und organisatorischen
Attraktionspol für die ArbeiterInnenklasse verkörpern. Trotz vieler Fehler und
Schwankungen der KPD in den Jahren bis 1933 erwies sich, dass sie für die
Vorhut der Klasse, für die kämpferischsten Teile durchaus eine Alternative zu
Reformismus und Zentrismus darstellte.

Möglichkeiten

Nach 1918 gab es mehrere revolutionäre Situationen, zunächst der
Kapp-Putsch 1920, der darauf folgende Generalstreik und die Kämpfe der Roten
Ruhrarmee. Auch der von der jungen Sowjetunion gewonnene Bürgerkrieg und die
Festigung der Sowjetmacht hatten international große Anziehungskraft auf die
ArbeiterInnenmassen. In vielen Ländern entstanden danach revolutionäre
Parteien.

Der Durchbruch der KPD zur ArbeiterInnenmassenpartei erfolgte aber erst,
als die zentristische USPD zerfiel und sich Ende 1920 immerhin 300.000
USPDlerInnen mit der KPD vereinigten (VKPD). Die KPD verfügte bis dahin
höchstens über ein Fünftel dieser Mitgliedschaft – auch als Folge zahlreicher
innerparteilicher Konflikte, Ausschlüsse und Austritte.

Der politische, aber auch zahlenmäßige Niedergang begann nach den
politischen Fehlern von 1923, als die KPD (und die Komintern) die tiefe
revolutionäre Krise im Sommer viel zu spät erkannt hatten und dann einen
inkonsequenten Kurs auf den Aufstand verfolgten.

Die blutige Festigung der bürgerlichen Herrschaft nach 1923 in Deutschland
– Sturz der „ArbeiterInnenregierungen“ in Sachsen und Thüringen durch die
Armee, Niederschlagung des Hamburger Aufstandes – sowie der Aufstieg Stalins,
die Machtübernahme durch die Bürokratie und die Beseitigung der
innerparteilichen ArbeiterInnendemokratie in der Sowjetunion waren dabei
weitere wesentliche Faktoren. Selbst 1932 zählte die KPD immer noch nicht mehr
als 320.000 Mitglieder!

Doch noch viel stärker wirkte sich aus, dass sie unter Thälmann endgültig
eine stalinistische Organisation geworden war: zunächst zentristisch, ab 1935 –
mit der Annahme der Volksfrontstrategie – sogar reformistisch.

Sie war aufgrund ihrer von Moskau aufgezwungenen Doktrin außerstande, eine
ArbeiterInneneinheitsfront gegen den Faschismus zu schaffen und unterlag ihm
schließlich – kampflos. Bei aller Kritik dürfen wir allerdings nicht den
revolutionären Opfermut, den Willen und die Tatkraft der KPD-GenossInnen
vergessen – aus ihren, oft bitteren, Erfahrungen müssen wir lernen!

Lehren

Momentan gibt es in Deutschland keine revolutionäre Situation. Aber der
Kapitalismus ist weltweit in einer tiefen strukturellen Krise. Deshalb werden
die Klassenkämpfe zunehmen.

Die Geschichte zeigt, dass sich gerade in zugespitzten Situationen die
Sozialdemokratie als völlig unbrauchbar erwiesen hat – nicht nur für die
Überwindung des Kapitalismus, sondern auch bei der Verteidigung grundlegender
Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse. Doch auch der linke Reformismus oder
der Zentrismus stellten keine Alternative zur SPD dar, wie das Schicksal der
USPD und gegenwärtig die Linkspartei zeigen.

Die KPD war insofern ein notwendiges, ein logisches Resultat des Versagens
von SPD und USPD. Doch zugleich zeigte sich, dass die KPD im Unterschied zu den
Bolschewiki in Russland angesichts großer historischer Chancen und deutlich
besserer objektiver Bedingungen zum Aufbau des Sozialismus nicht in der Lage
war, die Führung der Klasse im Kampf zu erringen und den Kapitalismus zu
stürzen.

Was waren die entscheidenden Unterschiede zwischen der Entstehung der KPD
und jener der Bolschewiki?

Die MarxistInnen um Lenin führten schon frühzeitig einen kompromisslosen
politischen Kampf innerhalb der russischen Sozialdemokratie um Fragen der
Perspektive der Revolution und des Parteiaufbaus. Was damals viele, darunter
auch Trotzki, als überspitzte, sektiererische Manöver ansahen, erwies sich 1917
als entscheidend. Lenins bolschewistische Partei erwarb in diesen fraktionellen
Kämpfen gerade jene Eigenschaften, die den Bolschewiki in der Revolution den
Erfolg brachten: eine Beharrlichkeit in programmatischen Grundfragen, die
zugleich mit der Flexibilität verbunden war, die eigene Politik an der Praxis
zu messen und, wenn nötig, zu verändern, und einen geschulten, gestählten
Kaderkern, der im Feuer der Revolution standhielt.

Anders als Lenin versäumte es Rosa Luxemburg aber viel zu lange, ihren
politischen Kampf gegen den aufkommenden Reformismus in der SPD – den sie viel
eher und klarer sah als Lenin – mit entsprechenden organisatorischen Schritten
zu verbinden. Indem sie einen Fraktionskampf ablehnte, erschwerte sie nicht nur
die politische und organisatorische Polarisierung in der SPD, sie verzögerte
damit auch entscheidend die politisch-programmatische Klärung innerhalb der
revolutionären Kräfte. Als die Revolution dann auf der Tagesordnung stand, gab
es keine dieser Aufgabe gewachsene kommunistische Partei.

Luxemburgs Fehler und Schwächen – so tragisch sie vielfach waren – tun dem
revolutionären Charakter ihrer Politik aber keinen Abbruch. Sie gehört ganz
ohne Zweifel zu den wichtigsten kommunistischen TheorikerInnen und
PolitikerInnen.

Die Geburtsschwächen der KPD müssen uns jedoch heute eine politische Lehre
sein. Der Kampf für eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und die Entwicklung
einer kommunistischen Programmatik dürfen nicht leichtfertig auf die Zukunft
verschoben werden. Er muss hier und jetzt geführt werden.




Freiheit für Jiand Baloch! Solidarität mit allen vermissten BelutschInnen!

Solidaritätsaufruf der Liga für die Fünfte Internationale, der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION, Revolutionary Socialist Movement (Pakistan), Baloch Student Organisation (BSO, Pakistan), National Student Federation (Pakistan), Brazilian Women Against Fascism UK, Infomail 1032, 2. Dezember 2018

Am Morgen des 30. November um 3 Uhr morgens wurde Jiand Baloch, ein Soziologiestudent der Multan University, zusammen mit seinem Vater Abdul Qayyum Baloch und seinem zehnjährigen Bruder Hasnain Baloch vom Sicherheitsdienst entführt. Sie ergänzen eine lange Liste von gewaltsam „Verschwundenen“ in ganz Pakistan, insbesondere aber in Belutschistan. Die Situation ist äußerst beunruhigend. Folterungen von Häftlingen sind an der Tagesordnung, und ihre Leben sind ernsthaft in Gefahr.

Es ist klar, dass es sich bei den Entführungen nicht um Einzelfälle handelt. Über Jahrzehnte hinweg sind Tausende von BelutschInnen und Angehörigen anderer Minderheiten „verschwunden“, d. h. sie wurden entführt, weil sie sich für ihre nationalen und demokratischen Rechte und gegen Diskriminierung eingesetzt haben.

Jiand Baloch selbst ist ein solcher Aktivist für demokratische und studentische Rechte. Er ist Doktorand an der Bahauddin Zakariya Universität (BZU) in Multan im südlichen Pandschab und wurde zum Sekretär der Belutschischen Studierendenorganisation (BSO) gewählt. Als Student und demokratischer Aktivist hat er sich in zahlreichen Aktionen engagiert, insbesondere im Kampf gegen die rassische und soziale Diskriminierung von belutschischen paschtunischen StudentInnen und an seiner Universität. Viele von ihnen wurden von der Universitätsleitung oder rechtsgerichteten StudentInnenorganisationen diskriminiert oder belästigt.

Seine Entführung richtet sich eindeutig nicht nur gegen seinen Aktivismus und seine friedlichen, außerparlamentarischen Aktivitäten, unabhängig und kritisch gegenüber bürgerlichen, nationalistischen Parteien und der parlamentarischen Politik. Sie ist auch als eine Bedrohung und eine Warnung für andere zu interpretieren.

In Pakistan werden aktuell die demokratischen Rechte permanent angegriffen – sei es gegen nationale Minderheiten wie die BelutschInnen, BloggerInnen, JournalistInnen oder MedienaktivistInnen. Entführungen, Verschwinden, Folter und Mord waren schon immer Teil der Aktivitäten des Staates hinter den Kulissen. Angesichts der Wirtschaftskrise, der Auferlegung neoliberaler IWF-Programme und der Auswirkungen des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridorprogramms (CPEC) auf das Leben der einfachen Menschen sowie der Spannungen zwischen China und den USA, die um Einfluss in Pakistan kämpfen, wird der Staat immer autoritärer und setzt zunehmend auf völlige Unterdrückung und Gewalt.

Wir solidarisieren uns voll und ganz mit Jiand Baloch, seiner Familie und den vielen anderen, die sowohl in Belutschistan als auch in anderen Provinzen Pakistans Opfer von Zwangsentführungen geworden sind. Wir können uns nur vorstellen, mit welchen Sorgen und Ängsten ihre Familien, FreundInnen und GenossInnen konfrontiert sind. Am ersten Tag nach der Entführung wurden bereits Proteste in Quetta, Lahore und anderen Städten organisiert.

In Quetta gab es im letzten Monat ein friedliches Sit-in- und Protestcamp von Frauen und Kindern, das von Seema Baloch nach der Entführung ihres Bruders Shabir Baloch und anderer Baloch-AktivistInnen organisiert wurde. Ihr Anliegen hat auch die Unterstützung vieler paschtunischer StudentInnen gefunden, die mit ähnlicher Diskriminierung konfrontiert sind. Auch die Bewegung für den Schutz der PaschtunInnen (PTM), hat ihre Mitglieder und UnterstützerInnen aufgerufen, an den Demos in Quetta, Lahore und anderen Städten teilzunehmen. Die BSO und Jiand Baloch selbst standen an vorderster Front bei der Organisation der Solidarität mit dem paschtunischen Volk, dessen AktivistInnen ebenfalls entführt wurden.

Dies sind die Aktionsformen, die von linken Organisationen, Gewerkschaften, StudentInnenorganisationen und anderen demokratischen Kräften im Land massenhaft verbreitet und unterstützt werden müssen, um den Schikanen, Entführungen und Einschüchterungen entgegenzuwirken. Auf diese Weise können Angst und Wut in Taten umgesetzt werden und zu einer Kraft zur Verteidigung der demokratischen Rechte von Millionen Menschen werden. Es lebe die internationale Solidarität!

Wir rufen die internationale ArbeiterInnenbewegung, alle sozialistischen, kommunistischen und demokratischen Kräfte dazu auf, sich mit den vermissten Personen zu solidarisieren und ihre sofortige Freilassung zu fordern!