Tendenzen der Weltwirtschaft

Markus Lehner, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Die lange Phase der Stagnation nach der großen Rezession 2008/2009 und der Krise in der Eurozone 2011/2012 scheint 2017 beendet worden zu sein. Während es im Jahr 2015/2016 sogar möglich schien, dass die Weltwirtschaft in eine weitere Rezession geriet, wendete sich die Kurve – auch zur Überraschung vieler professioneller WirtschaftsanalystInnen – nach oben. 2017 lag das Weltwirtschaftswachstum laut IWF-Statistik bei 3,8 % und wird nach dem IWF-Bericht „World Economic Outlook“ auch in diesem und im nächsten Jahr auf diesem Niveau (3,9 %) bleiben.

Zyklische Erholung

Wir müssen dies als eine echte zyklische Erholung beurteilen, da sie nicht nur in einigen Regionen oder Ländern einen Aufschwung zum Ausdruck bringt, sondern auch ein globaleres Muster aufweist. Es enthält eine durchschnittliche Zunahme von 0,6 % in den „fortgeschrittenen Volkswirtschaften“ (in den üblichen Statistiken wird dies für imperialistische Länder ohne China und Russland verwendet) auf Wachstumsraten um 2 % (alle für 2017) und eine Zunahme von 0,4 % in den Schwellen- und Entwicklungsländern auf Wachstumsraten um 5 %.

Die Erholung wird durch eine unerwartete Investitionstätigkeit (sowohl in den exportorientierten Volkswirtschaften als auch in den sich berappelnden Rohstoffexportländern) mit einem entsprechenden Anstieg des Verbrauchs und der Lagerbestände in den Schwellenländern getrieben. Auch der Abwärtseffekt der Restrukturierung der Anlageinvestitionen in China und Indien scheint beendet zu sein. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist die lange Phase seit 2008/09, in der fast keine realen (und nicht nur Ersatzinvestitionen) Nettoinvestitionen getätigt wurden, definitiv zu Ende gegangen. Die realen Nettoinvestitionen stiegen 2017 in den Industrieländern um 5 %.

In China ist das Investitionswachstum, das nach den Initiativen nach der globalen Krise bei 10 % lag, auf 5 % gesunken – scheint aber nun den Tiefpunkt der Investitionsrestrukturierungsprogramme erreicht zu haben. Chinas BIP-Wachstumsrate hat sich in diesem Jahr wieder bei 6,6 % stabilisiert.

Die allgemeine Erholung hat auch die Wachstumsraten des Welthandels wieder stabilisiert. Zusammen mit der Industrieproduktion (+6 %) stieg auch die Zunahmequote des Welthandels im Jahr 2017 von 4 % auf 10 %. Davon profitierten vor allem die großen Exportwirtschaften wie China, Deutschland, Japan und die USA. Andererseits drückte die Erholung der Industrieproduktion auch die Rohstoffpreise, insbesondere für Öl und Metalle, nach oben. Der IWF-Primärrohstoffpreisindex stieg zwischen August 2017 und Februar 2018 um 16,9 Punkte. Die Ölpreise kletterten (von einem Tiefstand von 30 US-Dollar pro Barrel) auf 65 US-Dollar pro Barrel ab Beginn dieses Jahres. Der Erdgaspreisindex stieg deutlich um 45 Prozent, während die Metallpreise (insbesondere Aluminium!) sich um 8,3 Prozent erhöhten. All dies gab den rohstoffexportierenden Ländern in der Tat wieder einen Handlungsspielraum und sie zeigten sich erneut als starke KonsumentInnen und ImporteurInnen von Waren auf den Weltmärkten (z. B. Brasilien).

Offensichtlich wurde der Aufschwung durch eine lange Zeit der Umstrukturierung, von Aufnahme neuer Schulden (auf der Grundlage von nahezu Nullzinsen in bestimmten imperialistischen Ländern) und einigen weiteren Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse (Verbesserung der „Arbeitsproduktivität“) vorbereitet. Während es sicherlich eine Ausweitung der Produktion und in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften einen Rückgang der Arbeitslosigkeit gibt, steigen die Löhne nicht oder bleiben einfach hinter den Produktivitätssteigerungen zurück. Dies zeigt sich auch daran, dass die Inflation in den entwickelten Volkswirtschaften nicht nennenswert zunimmt (d. h. unter oder um 2 % bleibt). Niedrige Arbeitslosenquoten und ein wachsender Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften bedeuten dagegen, dass sich die Verhandlungsmacht der ArbeiterInnenklasse wie in allen Höhepunkten des Zyklus verbessert. Dies lässt sich bereits an den moderaten Erfolgen gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen in Deutschland und einigen seiner osteuropäischen Lieferketten ablesen.

Wie lange wird der Zyklus dauern?

AnalystInnen erklären, dass das aktuelle Wachstum über dem „Potenzial“ liegt. D. h. wenn es keine Veränderungen in der Arbeitsproduktivität oder strukturelle Gründe für die Nachfrageausweitung gibt, muss der Zyklus in übliche Beschränkungen (Überkapazitäten, erweiterter Preiswettbewerb usw.) geraten. So erwarten die KommentatorInnen die Gefahr eines konjunkturellen Abschwungs für 2019/20, während für die USA die Sondereffekte der Steuerreform bis Ende 2020 anhalten könnten (wann sie, insbesondere im Hinblick auf Schuldenprobleme, den Abschwung dann schärfer als anderswo machen werden). AnalystInnen weisen auch darauf hin, dass keine der entwickelten Volkswirtschaften gut auf den Abschwung vorbereitet ist, da ihre Schuldenprobleme weitaus mehr als bisher Gegenmaßnahmen verhindern werden.

Es gibt in der Tat auch weitere Risiken für den Aufschwung, die ihn viel schneller zunichte machen könnten. Der erste dieser Faktoren ist ein unerwarteter Nebeneffekt aus dem Auftauchen aus der Stagnationsphase: Durch die Erholung der Investitionen und Zinsen im imperialistischen Kern kommt es zu einem nachhaltigen Kapitalrückfluss dorthin. Mehrere „Schwellenländer“ befanden sich in einer unerwarteten Geschwindigkeit vom Kapitalabfluss ergriffen. In unterschiedlichem Ausmaß waren die folgenden Länder von der Wende der Ereignisse stark betroffen: Argentinien, Türkei, Ägypten, Brasilien, Mexiko, Peru, Südafrika. Besonders Argentinien brauchte die Unterstützung des IWF, die Türkei und Ägypten befinden sich in heftigen Turbulenzen. Brasilien mag sich leicht erholt haben, aber wegen der politischen Instabilität kann es schnell zur IWF-Überwachung zurückkehren. Offensichtlich sind Lateinamerika und Afrika als Ganzes die (Halb-)Kontinente, die sich auf der Gegenseite des Erholungszyklus befinden. Angesichts der Unbeständigkeit der Finanzmärkte hätte jeder Zahlungsausfall eines dieser „Schwellenländer“ in der Art Argentiniens in den Jahren 2000/2001 heute weitaus schwerwiegendere Auswirkungen.

Der zweite Risikofaktor ist die Krise der Europäischen Union. Eine mögliche Schuldenkrise Italiens hinterließe einen weitaus heftigeren Einschlag als die Griechenland-Krise 2012-2015. Während die größten Teile der Staatsschulden im Besitz italienischer Banken sind, gehören diese zum Rückgrat des europäischen Bankensystems. Ein Ausfall einer der großen italienischen Banken (z. B. Unicredit) entspräche einem Lehman-2.0. Auch wenn die drittgrößte Volkswirtschaft der verbleibenden EU (nach Großbritanniens Austritt) den Euro verlassen würde, würde dies das gesamte EU-Projekt sicherlich erheblich verändern. Es würde wahrscheinlich einen endgültigen Rückfall Europas und Deutschlands/Frankreichs in der internationalen Konkurrenz weit hinter die großen imperialistischen Mächte bedeuten. Auch die Auswirkungen des Brexit werden die britische wie auch die EU-Restwirtschaft in bisher nicht absehbarer Weise schwächen. Insbesondere ein ungeregelter Ausstieg Anfang 2019 könnte zu Turbulenzen mit Abschwächungseffekten auf den Aufschwungszyklus führen.

Drohender Handelskrieg

Neben diesen eher regionalen Unsicherheiten gibt es eine konstante Volatilität (Unbeständigkeit) der Finanzmärkte im Allgemeinen. Die Kurs-Gewinn-Beziehungen an den Aktienmärkten sind nach wie vor jenseits jeglicher wirtschaftlicher Vernunft, d. h. Ausdruck einer Vermögenswerteinflation. Hierzu zählt auch die Preisinflation in anderen Immobilienwerten, z. B. Mieten und Immobilienpreisen. Während die Bankregulierungsbestimmungen aus der Zeit nach 2009 teilweise abgeschafft werden (z. B. durch die Gesetzgebung der Trump-Regierung), werden sie ohnehin durch die Entwicklung alternativer Möglichkeiten der Kreditbereitstellung umgangen. So haben z. B. Vermögensverwaltungsgesellschaften wie BlackRock die Investmentbanken als die wichtigsten Akteurinnen bei der finanziellen Unterfütterung großer Deals ohne viel Regulierung in den Schatten gestellt. Wie die Turbulenzen an den Finanzmärkten im Februar und März um mehrere politische und wirtschaftliche Ereignisse herum zeigten, haben die Schwankungen an den Finanzmärkten und die Stressindikatoren (z. B. spezifische Zinsdifferenzen) wieder zugenommen. Die Möglichkeit einer neuen Finanzkrise, insbesondere am Ende des Zyklus, ist also nicht geringer geworden.

Eine der wichtigsten Fragen für die weitere Entwicklung ist die Klärung des Welthandelsregimes oder allgemeiner die der künftigen Weltwirtschaftsordnung. Die Ankündigung von Zöllen auf Stahl und Aluminium für Importe in die USA durch die Regierung Trump hat die Möglichkeit eines erweiterten Handelskrieges und der Abschaffung des WTO-basierten Handelsregimes eröffnet. Im Gegensatz zu dem, was Trump der Welt erzählt, hatten die USA tatsächlich lange Zeit von der bestehenden Handelsordnung profitiert (sogar von den enormen Handelsdefiziten seit einigen Jahrzehnten). Das Problem ist in der Tat, dass die Ursachen, die die USA vom System profitieren ließen, die Konkurrenz zu den USA gestärkt und auch die Position des US-Kapitals geschwächt haben, um diese Vormachtstellung in der Zukunft sehr lange halten zu können. Dies ist der wahre Grund für die Bestrebungen einiger Teile der US-Bourgeoisie (die hinter der Trump-Administration stehen), das bestehende Handelsregime in Frage zu stellen. Ihr Hauptangriffsziel ist in der Tat China, gefolgt von einem möglichen EU/Russland-Block unter deutscher Führung als zweitem Kandidaten.

Es stimmt zwar, dass die USA im Moment ein jährliches Handelsbilanzdefizit von 800 Mrd. Dollar einfahren, doch wird dieses andererseits aufgewogen durch einen Überschuss im Dienstleistungssektor (250 Mrd.), einen Nettoeinkommenszufluss (v. a. Profite) von 150 Mrd. und einen Nettokapitalinvestitionszustrom (400 Mrd.). Die beiden letzten Phänomene bedeuten, dass auf der einen Seite „die Welt“ (besonders China, Japan und Deutschland) gewillt ist, zur Finanzierung der US-Importe (ihrer Exporte) massiv Kredit zu gewähren. Zum anderen sind die USA gleichzeitig eine/r der wenigen BorgerInnen, der/die zugleich eine/n der größten EmpfängerInnen von Profiten und Zinseinkünften aus dem Ausland darstellen. In gewissem Sinn funktioniert das US-Modell wie eine gigantische Investmentbank: zu niedrigem Zinsfuß borgen und zu viel höherem ausleihen.

Internationales Währungssystem und Konkurrenz

Offensichtlich basiert diese profitable Position des US-Kapitals auf seiner Rolle als Welthegemon, als Zentrum der Finanzmärkte, als Dominator des auf Regeln beruhenden Welthandels und nicht zuletzt als Eigentümer der zentralen Weltreservewährung Dollar. Mit dem Zusammenbruch von Bretton-Woods in den frühen 70er Jahren kann man pointiert sagen, dass das Weltwährungssystem endlich vom Goldstandard zum System einer „US-Goldkreditkarte“ übergegangen ist. Ausgehend von den großen Auslands-Dollar-Vermögenswerten der Rohstoffexporteure („Petrodollars“) entwickelte sich das Währungssystem zu einer Beziehung, in der ein wachsender Anteil des Dollars durch US-Auslandsverschuldung gestützt wird. Auf diese Weise beruht das ganze System auf dem Vertrauen in die große „Kreditkarte“ der USA, indem es die Geldexpansion auf Weltebene auf die steigenden Defizite der USA aufbaut (nicht nur die Handelsdefizite; die USA sind mit Abstand die größte Schuldnerin mit mehr als 8 Billionen Dollar) und schließlich auf das Vertrauen, dass das amerikanische Finanzsystem bei Bedarf auch liquide sein wird.

Die HauptgläubigerInnen der USA sind China, Japan und mehrere EU-Staaten. Die berühmten 3 Billionen Dollar, die China als Währungsreserve hält, sind für das Land nicht nur positiv. Tatsächlich wird ein großer Teil des Überschusses, den China erzielt, unproduktiv in diesen Reserven angesammelt. Einer der wichtigsten positiven Effekte für China besteht darin, die Währung stabil zu halten und sie gegen Kapitalabflüsse sowie gegen Aufwertungsdruck zu verteidigen. Für viele Länder ist die riesige Menge an Dollarreserven, die sie halten müssen, eine große Belastung für ihre Entwicklung, die sie zum Zwecke der Stabilität in Kauf nehmen müssen. Man sieht die Auswirkungen daran, dass aus politischen Gründen Länder wie die Türkei und Argentinien ihre Dollarreserven viel stärker reduziert haben als andere – und das Problem sofort in ihrer neuen Wirtschaftslage spüren.

Kein Wunder, dass es mehrere Gründe und verschiedene Bestrebungen gibt, die „US-Goldkreditkarte“ loszuwerden. Seit einiger Zeit sind der Euro und der Yen in der Tat zu Ersatzwährungen aufgerückt und erhalten einen stetig steigenden Anteil. Nicht nur im Zusammenhang mit Abkommen mit der Initiative Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) versucht auch China, den Yuan (Renminbi) als Ersatzwährung zu fördern und damit die unproduktive Masse an Dollarreserven abzustoßen. Der Trend ist hier sehr deutlich und beängstigend für die US-Vorherrschaft: Während in den 1990er Jahren noch drei Viertel der Weltreserven in US-Dollars bestanden, ist dieser Anteil heute auf unter 65 % gefallen, mit einem klaren Trend zum Ende der Dollar-Dominanz.

Aber nicht nur der Dollar ist in Gefahr. Die angenehme Rolle eines größten Weltschuldners und Herrschers der Finanzmärkte hat die US-Dominanz in wichtigen Industriesektoren untergraben. D. h. die Verlagerung vieler Branchen nach China, Japan oder Europa birgt in der Tat die Gefahr, dass sich diese WettbewerberInnen in der „Wertschöpfungskette“ auch in Wirtschaftszweigen klettern, die den USA vorbehalten schienen.

Aufholen der Konkurrenz

Auch in der IT- und Hightechbranche spüren US-Unternehmen inzwischen den Atem des Drachen – Bedrohung für die nationale Sicherheit! Eine der gewinnbringendsten Maßnahmen der Globalisierungsphase war die Entwicklung großer internationaler Liefer-/Produktions-/Handelsketten, der so genannten Wertschöpfungsketten. Der Welthandel hat Produktions-/Logistik-/Entwicklungskapazitäten intensiv über die Grenzen hinweg vernetzt, nicht nur extensiv. Die deutsche Automobilindustrie hat ihre Hauptproduktionsstandorte in den osteuropäischen Ländern und verbindet sie eng und zeitnah (just in time) mit den zentralen Werken in Deutschland selbst. Die Krise von 2008/2009 konnte einige dieser Wertschöpfungsketten nur kurz unterbrechen. Insbesondere die deutschen und chinesischen Industriekomplexe haben diese Wertschöpfungsketten in den letzten Jahren erweitert. Mit dem chinesischen Projekt der neuen „Seidenstraße“ besteht sogar eine strategische Möglichkeit, die Lieferketten dieser beiden regionalen Blöcke zu verbinden. Ein weiteres Element besteht im Potenzial der russischen Energiekomplexe als wichtigem Lieferanten von Gas und Öl für diese beiden Blöcke (siehe die Sorgen der USA über die neuen Gasleitungen von Russland nach Deutschland).

Die US-Industrie ist in diesem Wettbewerb um das Knüpfen effektiver Wertschöpfungsketten zurückgefallen. Ihr bisheriges Hauptprojekt war der NAFTA-Block. Da dies seine Grenzen im Hinblick auf die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem China- und dem deutschen Block zeigt, versucht die Trump-Administration offensichtlich, Kanada und Mexiko zu Abkommen mit weiter verschlechterten Bedingungen zu zwingen. Ein weiteres Ziel der US-Bourgeoisie ist die Aufhebung der Beschränkungen, direkt in China zu investieren und das Land mit US-Investitionen zu durchdringen. Das würde es ihr ermöglichen, ihre bereits bestehenden Lieferketten, z. B. in der IT-Branche, unter ihrer direkteren Kontrolle auszubauen. Beide Projekte können nur unter hohem politischen Druck erreicht werden.

All diese Faktoren erklären, warum das US-Kapital derzeit offen als aggressiver Imperialist agieren muss, wobei Trump als Präsident die geeignetste Figur ist, diese Rolle zu verkörpern. Es muss auch einen enormen inneren Widerstand überwinden. Der Handelskrieg, den Trump jetzt führt, trifft auch die US-Industrie stark. Die Zölle auf Aluminium wirken wie eine Steuer auf eine große Menge von Produkten (97 % der Aluminiumindustrie in den USA verarbeitet tatsächlich importiertes Aluminium). Die Vergeltungszölle werden ebenfalls wehtun. Ein vollständig ausgeweiteter Handelskrieg wird in der Tat bald den Welthandel verringern und die gegenwärtige Erholung treffen, wobei der IWF eine um 1 % geringere Wachstumsrate erwartet. D. h. die Maßnahmen könnten bald zu einem Zusammenbruch des Zyklus und zu einer neuen Rezession führen. Das wird die Teile der US-Bourgeoisie, die hinter der aggressiven Politik stehen, nicht einschüchtern: Sie werden dies als ein notwendiges Übel betrachten, das die US-KonkurrentInnen am meisten treffen und die USA wieder in eine Position bringen wird, in der sie die Regeln des Welthandels und der Kapitalströme diktieren können.

Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Die Katastrophe des G7-Gipfels in Kanada, das Fehlen eines Kompromisses bei den Zollstreitigkeiten sowie die internationalen Turbulenzen um den Ausstieg aus dem Iran-Atomabkommen (das zu schweren Wirtschaftssanktionen z. B. gegen europäische Unternehmen wie Airbus führen könnte) – all dies bedeutet, dass wir in eine heiße Phase politisch/wirtschaftlich scharfer Kontroversen zwischen den USA und dem Rest der Welt eintreten. Im Moment ist nicht klar, ob, wie und bis zu welchem Grad die anderen ImperialistInnen zusammenarbeiten werden, um der US-Aggression zu begegnen. Es könnte einige geben, die versuchen, den Konflikt zu beruhigen und spezielle Vereinbarungen zu treffen (wie es Australien bereits getan hat). Deutschland versucht nach wie vor zu verhandeln und die aggressivere französische Linie zu mäßigen (Angst vor Zöllen auf deutsche Autos). Auch China und Japan scheinen einen offenen Konflikt noch zu vermeiden. Kanada und Mexiko werden an vorderster Front stehen, da sie unmittelbar vom NAFTA-Streit betroffen sind. So könnte es Trump am Ende gelingen, seine Agenda durchzusetzen, indem er alle anderen spaltet, bevor der Handelskrieg wirklich eskaliert. Auf der anderen Seite war Trumps Umkippen des G7-Gipfels keine kluge Tat. Zusammen mit dem Treffen der SOZ könnten sich die USA einer weitaus größeren Anti-US-Front gegenübersehen, als sie vielleicht gedacht haben. Vielleicht sind wir Zeugen des Anfangs des Endes der US-Hegemonie, mit Trump als ähnlichem Sinnbild wie ein dekadenter römischer Kaiser.




EU-Gipfel – Einigung auf dem Rücken der Geflüchteten

Tobi Hansen, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Im Vormonat des jüngsten EU-Gipfels vom 28./29. Juni hatte sich der Konflikt zwischen CDU und CSU, insbesondere zwischen Innenminister Seehofer und Chefin Merkel, massiv verschärft. Er spitzte sich zu einem Ultimatum der CSU-Spitze gegenüber Merkel zu. Innerhalb von 14 Tagen sollte diese eine „europäische Lösung“ für die sog. „Sekundärmigration“ vorlegen.

Dabei geht es um Geflüchtete, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurden oder dort einen Asylantrag gestellt haben. Diese Menschen wollte Seehofer direkt an der deutschen Grenze abweisen. Merkel wiederum wollte dafür Abkommen mit den EU-Staaten aushandeln. Ausweisen und den Zuzug von Geflüchteten und MigrantInnen beschränken wollte und will natürlich auch die CDU. Grenzkontrollen auch, aber durch Vereinbarungen mit jenen Staaten, in die dann die Flüchtenden zurückgeschickt werden sollen. Die CDU vertritt einen eher pragmatischen staatlichen Rassismus im Gegensatz zu den irrationalen nationalen Alleingängen, die sich Seehofer zu eigen gemacht hat.

Die Ergebnisse des EU-Gipfels

Im Vorfeld des Gipfels charakterisierte Merkel Flucht und Migration als eine „Schicksalsfrage“ für die EU, gewissermaßen auch für ihre eigene Rolle in dieser.

Der Gipfel selbst verabschiedete eine Menge rassistischer Beschlüsse und Verschärfungen der Festung Europa, so dass auch die österreichische und die neue italienische Regierung zufrieden waren. Kanzler Kurz, der im Bündnis mit der rassistischen FPÖ regiert, der italienische Ministerpräsident Conte sowie dessen Innenminister Salvini, Vorsitzender der rechts-extremen Lega, zeigten sich mit der „Wende“ in der „Flüchtlingspolitik“ zufrieden. Viele ihrer Forderungen wurden aufgenommen.

Schwerpunkt für Italien war und bleibt die Überwindung der sog. Dublin-III-Verordnung vom 26. Juni 2013, welche vorsieht, dass die Erstaufnahmestaaten für die Geflüchteten verantwortlich sind. Diese ist de facto außer Kraft gesetzt, genau wie das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS). Stattdessen steht nun die gemeinsame europäische Bekämpfung der Geflüchteten fest. Diese Praxis ist zwar nicht wirklich neu, nur wird sie jetzt nicht mehr mit „humanitären“ Floskeln verkleidet.

Heute geben RassistInnen wie der österreichische Innenminister Kickl (FPÖ) auch ideologisch und begrifflich den Takt vor, wenn sie von „Konzentrationsräumen“ sprechen. Die EU will „kontrollierte Zentren“ innerhalb ihrer Grenzen schaffen und „Ausschiffungsplattformen“ außerhalb der Gemeinschaft. In Deutschland war dieses Konzept unter dem Arbeitstitel „AnKERzentren“ bekannt, dieses wird jetzt ausgeweitet.

Dabei geht es ganz einfach um geschlossene Lager für Geflüchtete, in denen über ihre Asylberechtigung entschieden wird. Abschiebebehörden, RichterInnen und Polizeikräfte sollen gleich vor Ort ansässig sein, damit die Flüchtlinge direkt außer Landes geschafft werden können. Diese Abschiebelager – und um nichts anderes handelt es sich – will Kanzlerin Merkel nach UN-Regularien mit Hilfe des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) aufbauen und kontrollieren. Doch selbst dieses – aktuell mitverantwortlich für die katastrophale Lage in den Flüchtlingslagern rund um Syrien (Türkei, Libanon, Jordanien) – verweigert die Mitarbeit bei diesen „Zentren“, da dort Schutz und Asylzugang nicht gewährleistet seien.

Abschottung und Militarisierung

Außerdem hat Merkel bilaterale Abkommen zur Rückführung von Geflüchteten mit Spanien und Griechenland ausgehandelt. Diese hätten bislang nach Dublin III in einem relativ komplizierten bürokratischen Verfahren beantragt werden müssen. Nun folgen die Sozialdemokraten Sánchez und Tsipras faktisch den Wünschen von Seehofer, um Merkel einen Erfolg zu bescheren. Mit Italien hingegen gibt es kein Abkommen. Dabei ist dieses Land für die „Rückführung“ entscheidend, da dort die meisten Refugees derzeit Richtung Österreich und Deutschland geschickt werden. Die Lösung dieser Frage wollte Merkel der Ministerebene überlassen. Dort können sich die Rassisten Seehofer und Salvini gegenseitig unter Druck setzen und „Kompromisse“ auf Kosten der Geflüchteten suchen.

Ebenfalls Einigkeit herrschte bezüglich der weiteren Aufrüstung und Aufstockung des EU-Grenzschutzes Frontex, einer „Polizei“, die sich seit Jahren darum bemüht, möglichst viele Flüchtende nicht nach Europa kommen zu lassen, und die für den Tod Zehntausender verantwortlich ist. Diese wird jetzt die „Küstenwache“ von Libyen übernehmen, einem kaum noch existenten Staat, in dem sich islamistische Milizen wie der Islamische Staat mit von der EU unterstützten Vasallen wie der Misrata-Regierung einen blutigen Bürgerkrieg liefern. Dort sollen die außereuropäischen Zentren und Plattformen aufgebaut werden wie dereinst unter Gaddafi. Damals sicherte der brutale Diktator mit seinem Staatsapparat die EU-Außengrenzen, nun wird zumindest die Küste Libyens zum Protektorat der Frontex-Truppen. Der EU-Arbeitstitel dafür lautet „Aurora“. Darunter fällt nicht nur der „Küstenschutz“, sondern auch die Leitstelle für „Seenotrettung“. Was die EU-Staaten und speziell Italien darunter verstehen, konnten wir beobachten, als Rettungsschiffen wie der „Lifeline“, die hunderte Geflüchtete vor dem Ertrinken retteten, das Anlegen an den europäischen Küsten (nicht nur von Italien) verweigert wurde.

Der Kapitän der „Lifeline“, Claus-Peter Reisch, warf zurecht die Frage auf, in welcher Welt wir eigentlichen leben, „in der stärker gegen das Retten als gegen das Sterben vorgegangen wird.“ Der kaum noch verhüllte barbarische Charakter der EU-Beschlüsse, die Offenheit, mit der die „Abschreckung“ der Flüchtlinge geradezu gefeiert wird, verdeutlichen den Rechtsruck und das Anwachsen des Rassismus in den vergangenen Jahren. Auch vor der sog. „Flüchtlingskrise“ nahm die EU das Sterben Tausender im Mittelmeer in Kauf – aber die politische Elite gab sich entsetzt, als das grauenhafte Schicksal von Geflüchteten z. B. auf Lampedusa öffentlich wurde. Heute werden solche Nachrichten stolz ausposaunt.

Während die Abschottung zum EU-Hauptziel erhoben wird, beruhen die Aufnahme und Verteilung von Refugees weiter auf „Freiwilligkeit“. Die „Visegrad“-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei und ihre erz-reaktionären Regierungen konnten sich durchsetzen. Insgesamt war der Gipfel zweifellos ein Erfolg für die europäischen Rechten. Unter dem Vorsitz Österreichs kann sicherlich mit einem zügigen Voranschreiten der Militarisierung der Außengrenzen, des Ausbaus von Aufnahmelagern und mit rascherer Abschiebung gerechnet werden.

Das Problem dieser nationalistischen Kräfte besteht freilich darin, dass sie ihrerseits auch gegensätzliche Interessen verfolgen. Selbst der deutsche „Kompromiss“ wird von den Rechten in Österreich (einschließlich rechter SozialdemokratInnen) als Angriff auf österreichische Interessen gewertet. Vor allem aber kollidieren die Interessen der Regierungen in Wien und Rom.

Die europäische Rechte ist sich zwar gegen Merkel und alle, die ihren Kurs unterstützen, einigermaßen einig – auf dem Boden der Überhöhung nationaler Sonderinteressen kann jedoch keine gemeinsame Europapolitik erwachsen.

Daher wie auch aus ökonomischen Gründen scheuen dieser Kräfte vor einem totalen Bruch mit Merkel oder Macron zurück. Das „Zentrum“ der EU hat somit etwas Zeit gewonnen – aber auch nicht viel mehr.

Weitere Beschlüsse

Gegenüber den rassistischen Maßnahmen sind die anderen Themen des Gipfels wenig diskutiert worden. Einzig die Drohung des Italienischen Ministerpräsidenten Conte, alles zu blockieren, wenn Italiens Forderungen in der Flüchtlingspolitik nicht berücksichtigt würden, verursachte Aufregung.

Beschlossen wurde jedenfalls ein Investitionsfonds im Rahmen des EU-Haushaltes. Dieser geht auf die Initiative Macrons zurück und stellt ein kleines Entgegenkommen der Bundesregierung dar. Ab dem nächsten EU-Haushaltsjahr sollen 10-15 Mrd. Euro für Investitionen in „Innovation“ (z. B. Internet, Integration) ausgegeben werden. Diese Summe könnte auch erhöht werden, aber das ist noch umstritten. Dieser neue Haushaltsposten galt auch als „Köder“ in Richtung Integration. Zumindest vermutete der bayrische Ministerpräsident Söder, dass damit die osteuropäischen Staaten eingekauft werden sollten, um Geflüchtete zu übernehmen. Gleichzeitig sprachen sich auch einige national-konservative VertreterInnen gegen mögliche Erhöhungen des EU-Haushaltes aus. Das steht gegen die Vorschläge von Macron, welcher über mehr Investitionen die französische Wirtschaft und die Führungsrolle des Landes stärken will.

Zum 2019 nahenden Brexit gab es eher Verlautbarungen als Beschlüsse. In dieser Frage ist derzeit weder von Großbritannien noch von der EU Substanzielles zu erwarten. Klar scheint nur, dass der Brexit vor allem auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse in Britannien ausgetragen wird.

Zur weiteren Militarisierung und Aufrüstung wurde beschlossen, dass die gemeinsamen Anstrengungen Richtung EU-Armee, EU-Rüstungsprojekte und von der NATO unabhängige Kommandostrukturen vorangetrieben werden sollen. Vor allem der Europäische Verteidigungsfonds wird aufgestockt. Die Verwendung dieser Mittel steht auch im Gegensatz zu den NATO-„Zielen“, 2 Prozent des jeweiligen BIP für gemeinsame Verteidigungsausgaben aufzuwenden, was zu weiteren Spannungen speziell mit den USA führen wird.

EU-Block perspektivlos zwischen USA und China

Inmitten des heftiger werdenden Handelskrieges der USA gegen China und die EU droht letztere in der imperialistischen Konkurrenz immer weiter zurückzufallen. Die deutsch-französische Führung ist sich in zentralen Fragen uneinig, z. B. in der Finanz und Schuldenpolitik. Die Vorschläge von Macron zur gemeinsamen Schuldenpolitik bspw. hätten eine strategische Komponente für das EU-Projekt. Diese schränken aber direkt die bisherigen Vorteile des deutschen Imperialismus ein, vor allem die kurzfristigen Profitinteressen des deutschen Großkapitals.

Die aggressive Orientierung des US-Imperialismus sorgt zudem für Risse in der EU wie in den nationalen herrschenden Klassen selbst. Während Teile des deutschen Kapital aufgrund ihrer Profitinteressen auf dem US-Markt am Ausgleich interessiert sind, wenden sich nicht nur die rechtspopulistischen Kräfte vom transatlantischen Bündnis ab. Auch hier gibt es keine gemeinsame Orientierung, vielmehr treten die unterschiedlichen nationalen Interessen wie auch jene verschiedener Kapitalgruppen zutage. Kein Plan scheint derzeit durchsetzungsfähig. Innerhalb des bürgerlichen Lagers in der EU tun sich Risse zwischen den „multilateralen“ und den „unilateralen“ Interessen auf. Diese reichen bis in die CDU/CSU hinein, die dominierende bürgerliche Partei in Deutschland. Während das Großkapital eine politisch vereinigtere EU braucht, welche auch in der Lage ist, die eigenen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen gegen die USA zu verteidigen, gibt es gegen die EU von Seiten der „mittelständischen“ UnternehmerInnen immer mehr Widerstand. Diese lehnen eine „Transferunion“ ab und fürchten, dass ihre Profitinteressen dabei zurückbleiben. Darunter fallen auch bürgerliche Interessengruppen, welche die AfD unterstützen.

Die EU steht vor der Zerreißprobe. Ihre inneren Widersprüche treten mehr und mehr zutage. Die EU verfügt zwar über den Euro, die Währung der meisten Staaten der Gemeinschaft und einen riesigen Binnenmarkt. Aber sie ist kein Staat, sondern nach wie vor ein Staatenbündnis aus dominierenden imperialistischen und einer Reihe halb-kolonialer Staaten. So wenig die EU zu einem Staat geworden ist, so wenig hat sich in den letzten Jahrzehnten eine europäische Bourgeoisie herausgebildet. Das deutsche Kapital, das französische oder italienische sind nach vie vor zuerst nationale Kapitale – und dieser Gegensatz droht die EU zu zerreißen. Die Alternative zum europäischen Block unter Führung des deutschen und französischen Imperialismus wäre dann dessen Zerfall – und die Ersetzung gemeinsamer imperialistischer Projekte durch nicht minder reaktionäre nationale.

Die europäischen Bourgeoisien sind unfähig, die Krise des Kontinents zu lösen. Nur die ArbeiterInnenklasse ist in der Lage, Europa durch den gemeinsamen Kampf auf einer fortschrittlichen Basis zu einen. Die Sozialdemokratie oder europäische Linksparteien wie Syriza haben sich als politischer Wurmfortsatz des „pro-europäischen“ Flügels des Kapitals erwiesen, andere wie Wagenknecht oder Mélenchon in Frankreich liebäugeln mit nationaler – und das heißt immer auch nationalistischer – „Reformpolitik“.

Diese politische Krise und der Rechtsruck können nur überwunden werden, wenn die ArbeiterInnenklasse europaweit gemeinsam für ihre Interessen und gegen die rassistische Abschottung den Kampf aufnimmt – und damit den Grundstein legt für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa.




Neues Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen: Angriff auf alle

Flo Wasser, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Seit dem G20-Gipfel wettern Polizei und Justiz gegen die angebliche linksradikale Bedrohung – mag sie auch noch so sehr an den Haaren herbeigezogen sein. Jeder wirklich oder vermeintlich geplante terroristische Anschlag liefert Munition zur Forderung nach der Ausweitung der Repression. Derzeit laufen in vielen Bundesländern Initiativen zur Einführung neuer Polizeigesetze.

Im September soll es auch in Nordrhein-Westfalen soweit sein: Der Landtag soll auf Initiative der schwarz-gelben Regierung über ein neues Polizeigesetz (PolG) abstimmen, das es in sich hat.

Ähnlich den neuen Polizeigesetzen in Sachsen und Bayern wird auch dieses als das strengste und härteste seit dem Nationalsozialismus bezeichnet. Das Vorhaben zielt auf eine massive Einschränkung der demokratischen Rechte und ist ein deutlicher Angriff gegen alle unliebsamen Elemente.

Gefahrenbegriff

Zentral im neuen PolG ist die Einführung des Begriffes der „drohenden Gefahr“. Diese soll von sogenannten GefährderInnen ausgehen, die zwar weder eine Straftat begangen haben noch direkt dabei sind, bei denen es aber möglich ist, dass sie eine Straftat verüben könnten. Konkret werden hierdurch muslimische Flüchtlinge besonders unter den Verdacht gestellt, islamistische Terroranschläge zu planen. Auch Linke sind von geplanten Verschärfungen betroffen, denn es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, dass die Polizei vor neuen Großdemonstrationen auf die Auseinandersetzungen während des G20-Gipfels hinweist und linke AktivistInnen als GefährderInnen einstuft. Im neuen Gesetz fehlt auch eine Definition der Begriffe. Von wem eine drohende Gefahr ausgeht und wie diese aussieht, entscheiden also die BeamtInnen bzw. die Polizeibehörden selbst. Auch der Einsatz von Fußfesseln zur Kontrolle und Überwachung sog. GefährderInnen soll möglich werden.

Unterbindungsgewahrsam

Ein weiteres Schmankerl ist die Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams. Dieser ermöglicht die präventive Festnahme einer Person und ist bislang auf 48 Stunden beschränkt. Mit dem neuen Gesetz wird diese Frist auf einen Monat verlängert. Hiermit wird es möglich, wichtige AktivistInnen und OrganisatorInnen von Demonstrationen und Aktionen unter dem Vorwand drohender Gefahr wegzusperren. Auch hier gilt: Es muss keine konkrete Tat, ja nicht einmal ein Tatverdacht vorliegen, sondern nur eine Einschätzung durch die Polizeibehörden. Es reicht, dass jemandem/r unterstellt wird, dass er/sie eine bestimmte Tat begehen könnte.

Überwachung

Ein ganz massiver Punkt im neuen PolG ist die Ausweitung der öffentlichen Überwachung.

Durch den Einsatz von Hacking-Software (Bundes-Trojaner) soll unbemerkt auf die Daten bestimmter Zielpersonen auf deren Handy und PC zugegriffen werden können. Zu Beginn war noch die Rede davon, dass alle Daten durchsucht werden dürften. Mittlerweile gab es hier ein leichtes Zurückrudern und „nur“ Messengerdienste wie E-Mail, Anrufe, SMS oder Whats-App sollen durchsucht werden dürfen. Damit erhält der Staat die Möglichkeit, in privates Terrain einzudringen und BürgerInnen nur auf Verdacht hin zu überwachen, ohne dass die es merken können.

Strategische Fahndung

Unter dem Label der „strategischen Fahndung“ erhält die Polizei nun auch die Möglichkeit, verstärkt und flächendeckend Kontrollen an Personen und Autos durchzuführen. Dies ist als Teil der Abschottungsoffensive zu sehen, da NRW an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden liegt und durch diese Reform die mit dem Schengener-Abkommen abgeschafften Grenzkontrollen nun de facto wieder eingeführt werden.

Schließlich will sich die Polizei auch materiell verstärken. Zusätzlich zu Pfefferspray und Knüppel soll nun auch dem Einsatz von Elektropistolen, also Tasern der Weg geebnet werden.

Die massiven Einschränkungen demokratischer Rechte bleiben nicht unbemerkt und es formiert sich wie auch in Bayern großer Protest gegen das neue Gesetz.




Ein Jahr nach dem G20-Gipfel: Unite against reaction

Martin Suchanek, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Imperialismus war und ist immer Scheiße. Doch im letzten Jahr hat sich die Welt so dramatisch verändert wie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der letzten großen Krise nicht mehr.

In Hamburg konnten sich die 20 mächtigsten Staaten der Erde noch auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verständigen. Trump brüskierte zwar Merkel und stellte sich gegen das Pariser Klimaabkommen – aber sie standen noch am Beginn vom Ende einer langen Freundschaft unter den Großmächten.

Beim G7-Gipfel in Kanada, bei dem die HauptrivalInnen des Westens ohnehin fehlten, konnten sich die „traditionellen“ imperialistischen Mächte nicht einmal auf eine Abschlusserklärung verständigen. Per Tweet entzog Trump dem Papier die Zustimmung, das ohnedies schon inhaltsleerer als frühere Formelkompromisse war.

Im letzten Jahr hat die Zuspitzung der innerimperialistischen Konkurrenz einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Welthandelskrieg zeichnet sich nicht am fernen Horizont ab – er steht, sollten die großen RivalInnen nicht doch noch zurückrudern, kurz vor seinem Ausbruch.

Kein Wunder, dass seit dem G20-Gipfel Militarisierung, Aufrüstung, Rassismus und Autoritarismus die Welt noch mehr prägen. Sie ist ein Pulverfass geworden – und jeden Tag wird nicht nur eifrig gezündelt, sondern auch neue Pulverfässer werden herangeschafft.

Die Erinnerung an die „humanitären“ Versprechen der G20, allen voran der „Plan für Afrika“, sind heute schon so verblasst, als wären sie nie gemacht worden. Ernst waren sie ohnedies nie gemeint, ernst genommen wurden sie offenkundig auch nicht.

Im Sommer 2017 wurden noch die „Zusammenarbeit“, der Welthandel, sogar die „Verantwortung für das Weltklima“ beschworen. Ab nimmt die Temperatur seither allerdings nur bei den Zusammenkünften der großen Mächte. Dort geht es frostig zu, während das Eis an den Polkappen schmilzt.

Neue Qualität der Repression

Der Hamburger Gipfel sollte, wäre es nach Merkel und der deutschen Bundesregierung gegangen, zu einer Inszenierung der Zusammenarbeit, einer gemeinschaftlichen, fürsorglichen und rationalen Weltbeherrschung werden, zur Tagung einer informellen Weltregierung. Das Vorhaben scheiterte nicht nur im Konferenzsaal.

Die innenpolitischen Erfordernisse, die mit verschärfter globaler Konkurrenz einhergehen, machten sich auch auf den Straßen und in den Protestcamps Hamburgs bemerkbar. Die bürgerlich-demokratischen Rechte wurden für eine Woche weitgehend außer Kraft gesetzt – nicht nur für die G20-GegnerInnen, sondern auch für die Bevölkerung, deren Wohnbezirke in unterschiedlich intensiv überwachte „Zonen“ aufgeteilt wurden.

Ein großes Protestcamp wurde geräumt, ein anderes wurde zur Tortur mit Schlafentzug, Sperren von Wasseranschlüssen und Polizeirazzien. Die Demonstration „Welcome to Hell“ wurde nach wenigen Metern brutal zerschlagen, wobei die Bullen schwere Verletzungen billigend in Kauf nahmen. Nur zufällig wurde niemand getötet. Auch bei den Blockadeversuchen ging die Polizei besonders brutal vor. Brennende Autos waren die Antwort von Ohnmacht und Verzweiflung, die wenigstens zeigen sollten, dass die Menschen sich noch wehren können. Politisch und taktisch waren sie zwar sinnlos – aber die Hetze der bürgerlichen Presse stellte die Realität auf den Kopf wie selten zuvor. „Terror“ drohe in Hamburg, titelte nicht nur die Springerpresse. Gemeint waren ganz normale DemonstrantInnen. Gleichzeitig wurden der staatliche Terror, die Aufhebung demokratischer Rechte, das Verletzen hunderter und die Einschüchterung tausender AktivistInnen unter den Teppich gekehrt und gerechtfertigt. Nicht nur die Hardliner aus Polizei und den rechten Parteien, auch der rot-grüne Senat unter Olaf Scholz stellten sich ohne Wenn und Aber auf Seiten der bezahlten SchlägerInnen. Schließlich liefen auch nicht nur einzelne Bullen oder Polizeieinheiten Amok. Die systematische Terrorisierung der G20-GegnerInnen, deren Einschüchterung und Erniedrigung war Ziel der „Maßnahmen“. Hamburg war nicht das Ende, sondern der Beginn einer Entwicklung zu mehr Autoritarismus und innerer Aufrüstung.

Seither hat Bayern ein neues Polizeiaufgabengesetz erlassen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen werden folgen. Die Befugnisse der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts wurden ausgeweitet, die Budgetmittel für die Repressionskräfte aufgestockt.

Die sog. „Sonderkommission Schwarzer Block“ hat hunderte Verfahren angestrengt und lässt bis heute willkürlich Hausdurchsuchungen vermeintlicher „GewalttäterInnen“ durchführen. Rund 3000 Ermittlungsverfahren laufen bis heute.

Was bleibt von einer Zäsur?

Trotz der massiven Repression, Vorkontrollen und medialer Hetze demonstrierten am 8. Juli 76.000 Menschen gegen die G20 – ein beachtlicher Erfolg.

Auch während des letzten Jahres sowie in diesem konnten gegen das Bayrische Polizeiaufgabengesetz oder gegen den Berliner AfD-Aufmarsch Zehntausende mobilisiert werden. An den Warnstreiks der Tarifrunden beteiligten sich hunderttausende KollegInnen, die auch bereit gewesen waren, für bessere Abschlüsse zu kämpfen.

Trotz Rechtsrucks zeigt sich das vorhandene Kampfpotenzial in der ArbeiterInnenklasse, unter der Jugend, unter all jenen, die demokratische Rechte verteidigen oder RassistInnen entgegentreten wollen.

Doch diese Ansätze von Widerstand sind so zersplittert wie vor der Mobilisierung in Hamburg. Zur Vernetzung und Koordinierung wurde exakt nichts getan. Weder vor noch nach den Gipfelprotesten wurde ein Plan entworfen oder auch nur diskutiert, wie aus einer bundesweiten, einmaligen Aktionswoche und Demonstration eine dauerhafte Struktur des Widerstandes werden könnte. Verantwortlich dafür sind nicht die Massen und auch nicht jene kleineren Gruppierungen und Organisationen, die nicht über die Mittel verfügen, eine breite Einheitsfront zu tragen oder zu erzwingen. Im Gegenteil. Gruppen wie ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION haben das ihnen Mögliche getan, diese Vorschläge zu verbreitern und zu propagieren.

Vielmehr haben die „großen Player“ der G20-Mobilisierung – die Linkspartei und ihre Gliederungen, attac, linkere Gewerkschaften und die Interventionistische Linke, die das post-autonome Spektrum anführte – nichts getan, um auch nur einen Schritt weiterzukommen. Am ersten Juliwochenende finden in Hamburg zwar Veranstaltungen, Konzerte, Filmvorführungen und eine Demonstration statt. Das ganze Programm gleicht aber eher einer Gedenkveranstaltung als einer Versammlung von AktivistInnen, die für eine bessere Zukunft kämpfen wollen.

Besser koordiniert ist heute die Gegenseite, die ohnedies schon in der Vorhand war. Das liegt aber nicht nur daran, dass der Widerstand nicht organisiert wird.

Auch der Ernst der Situation wird unterschätzt. Während der barbarische Charakter des globalen Systems immer deutlicher hervortritt und die inneren Widersprüche des Kapitalismus weiter zum offenen Ausbruch, also einer nächsten Krise drängen, will die Linke vom Imperialismus immer weniger wissen. Das ist keine terminologische Frage. Es geht vielmehr darum, dass den reformistischen wie auch den „linksradikalen“ Gruppierungen durchaus bewusst ist, dass eine realistische Analyse der aktuellen Situation auf die Verschärfung der Krise und die unvermeidliche Zuspitzung der imperialistischen Konkurrenz verweist.

Das allein entzieht allen Hoffnungen auf eine „friedliche“, parlamentarische Transformation des Kapitalismus, auf eine mehr oder weniger langwierige reformistische Strategie den Boden. Sie waren und sind nämlich allesamt unrealistisch.

Realistisch ist nur der Klassenkampf – realistisch ist nur eine Strategie, die das imperialistische System in seiner Gesamtheit und international bekämpft. Natürlich werden die reformistischen Kräfte und ihre TheoretikerInnen diese Sicht zurückweisen und ideologisch bekämpfen. Aber ihre Weigerung, auch nur den Kampf für demokratische und soziale Rechte, also den Kampf für Reformen zu führen, ihre Weigerung, den Schwung der G20-Mobilisierung für ein Aktionsbündnis gegen die Regierung und die Rechte zu nutzen, weisen darauf hin, dass auch sie eine grundlegende Veränderung der Lage wahrnehmen.

Ihnen kommt durchaus zu Bewusstsein, dass jede bedeutende Verbesserung oder die Abwehr jedes größeren Angriffs nur durch einen entschlossenen Kampf, durch Massenaktionen und Streiks möglich ist. In Hamburg hat unser Feind selbst Demonstrationen und Blockaden, die letztlich einen symbolischen Charakter hatten, niedergeschlagen, als handle es sich um einen Aufstand. Das zeigt, wozu der Klassenfeind bereit ist – und wovor und warum die ReformistInnen zurückschrecken. Das zeigt aber auch, worauf wir uns vorbereiten müssen.




6.000 demonstrieren gegen AfD-Parteitag: Wie weiter im Kampf gegen die Rechten?

Robert Teller, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Am 31. Juni und 01. Juli traf sich die AfD in Augsburg zum Bundesparteitag. Noch deutlich mehr versammelten sich aber, um den ReaktionärInnen den passenden Empfang zu bereiten. Etwa 6.000 DemonstrantInnen nahmen an zwei Protestzügen teil, die sich auf dem Weg zum Rathausplatz vereinigten. An Organisationen waren v. a. die Grünen, die Jusos, [’solid] und diverse Antifa-Gruppen vertreten. Die meisten TeilnehmerInnen dürften aber unorganisierte AktivistInnen gewesen sein, vor allem auch viele Jugendliche. Viele AntirassistInnen und AntifaschistInnen wurden bei „Vorkontrollen“ durch die Polizei aufgehalten, nachdem bereits in den Tagen zuvor durch Hetze gegen „gewaltbereite DemonstrantInnen“ ein Klima geschaffen wurde, das das Aufgebot von 2.000 Bullen rechtfertigen sollte.

Schon vier Tage vor Beginn des Parteitags wurde ein Aktivist auf Grundlage des neuen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in Präventivgewahrsam genommen, um seine Teilnahme an den Protesten zu verhindern. Im Vorfeld wurden Räume des Projekts „Solidarische Stadt“ in Augsburg durchsucht und Material beschlagnahmt. Eine Verkäuferin der „Neuen Internationale“ wurde über eine Stunde kontrolliert, weil die Zeitung und das Impressum überprüft werden müssten. All das zeigt, dass die weitreichenden Befugnisse des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes ganz real gegen Linke eingesetzt werden.

Ergebnisse des Parteitags

Größere interne Flügelkämpfe wie auf den Parteitagen der vergangenen drei Jahre gab es in Augsburg nicht, auch wenn es dazu durchaus Anlass gegeben hätte. Die AfD zog es jedoch vor, sich lieber ausgiebig der Krise der anderen zu widmen – also dem Beinahe-Bruch zwischen CDU und CSU. Darüber hinaus gab es die übliche deutschnationale Soße – nichts Neues also.

Die AfD möchte Deutschland wieder groß machen, indem sie an Rhein und Oder wieder Schlagbäume aufstellt. Das deutsche Kapital hat im Moment aber wenig Interesse an solchen Rezepten, weil es sich dessen bewusst ist, dass vor allem der Export von Autos und Maschinen, die tagtäglich über diese Grenzen rollen, den deutschen Imperialismus „groß“ gemacht hat. Doch wenn die AfD in Zukunft weitere Wahlerfolge feiern wird, so wird es für sie nicht mehr ausreichen, bloß die reaktionäre Dreckschleuder der Nation zu spielen. Sie wird auch gezwungen sein, „echte“ Politik fürs Kapital zu machen. Spätestens dann wird der bestehende Konflikt zwischen dem ultra-rechten und dem nationalliberalen Flügel wieder aufbrechen. Die Diskussion zur Rente, wo Björn Höcke mit seiner „Nationalrente“ einen völkischen Gegenentwurf zum völligen Kahlschlag des staatlichen Rentensystems – wie von Jörg Meuthen gefordert – vorstellte, kam auf dem Parteitag am Rande zur Sprache.

Auswertung der Demonstrationen

Unter vielen TeilnehmerInnen war die Stimmung kämpferisch. Angeführt wurde die Demonstration von einem großen Jugendblock. Ziel der Aktionen war aber nicht, den Parteitag zu stören oder zu verhindern, sondern lediglich ein politisches Signal zu setzen. Dies zeigte sich auch daran, dass keine Kundgebung in unmittelbarer Nähe des Parteitags abgehalten und am Morgen kein ernsthafter Versuch unternommen wurde, die TeilnehmerInnen des Parteitags an der Anreise zu hindern. Ob dies angesichts des großen Polizeiaufgebots, zu dem auch staatliche Schlägertrupps wie das USK gehörten, realistisch gewesen wäre, sei dahingestellt. Ohne Zweifel wäre aber mehr als nur eine volksfestartige Veranstaltung möglich gewesen, wie sie von der Initiative „Zeig dich AUX“ von Anfang an beabsichtigt war.

Die Auftakt- und Abschlusskundgebung war dominiert von eher unpolitischen kulturellen Beiträgen sowie von den Reden offen bürgerlicher Parteien wie den Grünen und der CSU. „Zeig dich AUX“ hatte noch nicht einmal einen politischen Aufruf zu den Aktionen verfasst. Auf den Auftritt des CSU-Oberbürgermeisters Kurt Gribl, der zu Recht von vielen TeilnehmerInnen ausgebuht wurde, folgte die Rede von Claudia Roth, die die Politik der AfD als „Angriff auf die Grundlagen unserer Demokratie, auf Moral und Ethik und politischen Anstand“ beschrieb.

Nach dieser Sichtweise ist Rassismus vor allem ein Problem individueller Einstellungen von Menschen. Politisch ist er nur insofern ein Problem, als dass er „unsere“ Demokratie schwächt und in Frage stellt – wohlgemerkt jene Demokratie, die aktuell die Außerkraftsetzung von Grundrechten durch Einrichtung von „Transitzentren“ plant, aus denen Geflüchtete ohne Prüfung ihres Asylantrags abgeschoben werden sollen, wenn sie bis zu 30 Kilometer hinter der Grenze aufgegriffen werden.

Das Problem mit diesem bürgerlichen Antifaschismus ist, dass diese Demokratie nicht „unsere“ ist, sondern die des deutschen Kapitals. Der bürgerliche Antifaschismus stellt dem „völkischen“ Patriotismus, dem Chauvinismus hinsichtlich kultureller Identität oder ethnischer Abstammung, einen „guten“ Patriotismus entgegen, dessen Nationalstolz sich über die Errungenschaften „demokratischer Institutionen“, Menschenrechte etc. legitimiert und der insofern auch den „gut integrierten“ MigrantInnen offensteht. Aber auch dieser „aufgeklärte Patriotismus“ verfolgt den Zweck, unterschiedliche gesellschaftliche Klassen in einem scheinbar über den Klassen stehenden gesellschaftlichen Gesamtinteresse zu vereinen – eben zur Verteidigung der „Demokratie“.

Wie kämpfen?

Wenn auch die AfD insgesamt keine faschistische Partei und aktuell nicht zu größeren Straßenmobilisierungen in der Lage ist, so beherbergt sie eindeutig einen Flügel, der in diese Richtung geht und mit FaschistInnen vernetzt ist. Angesichts dieser Entwicklung so zu tun, als bestünde das Hauptproblem darin, dass die RassistInnen die „demokratische Kultur“ verunreinigen, kann man nur als Pfeifen im Walde bezeichnen. In der allgemeinen Rechtsentwicklung der vergangenen Jahre ist die extreme Rechte dabei, sich in der AfD als parlamentarischem Arm zu etablieren. Dies ist eine Gefahr für die gesamte Linke – auch wenn nicht nur Augsburg gezeigt hat, dass eine weit größere Zahl von Menschen bereit ist, gegen den Rechtsruck aktiv zu werden. Dass das Erstarken der Rechten keineswegs eine zwangsläufige Folge der massenhaften Flucht von Menschen nach Europa war, zeigen auch die Zigtausende, die in lokalen Supporter-Initiativen seit 2015 aktiv waren oder sind.

Um dieses Potenzial zu einer politischen Kraft werden zu lassen, ist jedoch ein politisches Konzept erforderlich, das Antirassismus als Teil des Kampfes gegen soziale und politische Angriffe begreift. Dazu ist es zunächst einmal notwendig, Rassismus überhaupt als politische Kategorie zu benennen, als soziale und politische Unterdrückung von Menschen – und nicht als ethisches und moralisches Problem, wie es in dem Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zum Ausdruck kommt. Rassismus ist letztlich ein notwendiges Element der herrschenden Ideologie im imperialistischen Weltsystem, zumal in einer Zeit, in der sich globale Konflikte massiv zuspitzen. Daher lässt er sich auch nicht allein durch Aufklärung oder „Gegenkultur“ bekämpfen. Die Orientierung auf „breite Bündnisse“ – die faktisch immer von offen bürgerlichen Parteien, Kirchen usw. dominiert werden – geht zwangsläufig mit dem Verzicht auf die Kritik am staatlichen Rassismus und seinen Ursachen an sich einher.

Einheitsfront

Die reformistischen Massenorganisationen leisten ungewollt ihren Beitrag zum Rechtsruck in Deutschland. Die SPD, indem sie als einzig verlässliche Stütze der Regierung jede Asylrechtsverschärfung mitträgt und damit diese Politik als gesellschaftliche Normalität stehenlässt. Die Linkspartei dagegen positioniert sich zwar mehrheitlich klar gegen die Asylpolitik der Regierung, setzt aber gleichzeitig in den von ihr mitregierten Ländern die Abschiebepolitik mit um – und verfügt auch über keine Analyse und Kritik des Rassismus, die an dessen Wurzeln gehen würde. Stattdessen beruht ihr Programm auf der Hoffnung, eine „soziale Offensive“ würde den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wiederherstellen. Dabei lässt sie eine offene Flanke für rechte QuerschlägerInnen wie Wagenknecht, die behauptet, ebendieser Zusammenhalt werde durch „Einwanderung in die Sozialsysteme“ gefährdet.

Im Kampf gegen die AfD und den Rechtsruck halten wir eine Einheitsfront für erforderlich, die alle linken und ArbeiterInnenorganisationen einbezieht. Eine solche Einheitsfront würde sich insbesondere auch an Linkspartei und SPD wenden und diese auffordern, einen ernsthaften Kampf gegen den zunehmenden Rassismus zu führen. Ebenso ist es vonnöten, innerhalb der Linken zu diskutieren, welche Aktionen und Strategien für diesen Kampf notwendig sind. Die Aktivenkonferenz von „Aufstehen gegen Rassismus“ am 1. und 2. September in Frankfurt sollte genau diese Fragen in den Mittelpunkt stellen.




GesundheitsarbeiterInnen demonstrieren für mehr Personal – Gegen leere Versprechen!

Anne Moll, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Am 20.6.2018 beteiligten sich laut Angaben der Gewerkschaft ver.di 4000 Beschäftigte an einer Kundgebung in Düsseldorf anlässlich eines Treffens der GesundheitsministerInnen aus Bund und Ländern zu den Themen Organspenden, Patientenorientierung und Pflegeberufsreform. Laut Berechnungen ver.dis fehlen bundesweit 80.000 Pflegekräfte, allein in Nordrhein-Westfalen (NRW) rund 18.000. Die Beschäftigten gingen für die Forderungen ihrer Gewerkschaft im Rahmen der Kampagne „Entlastung“ auf die Straße.

Ver.di hatte selbst nur mit 1.500 TeilnehmerInnen gerechnet. Doch es kamen mehr als doppelt so viele aus allen Bundesländern. Die Stimmung war kämpferisch, es beteiligten sich außer Pflege- und Servicekräften auch PhysiotherapeutInnen, Hebammen und auffällig viele Azubis. Die Gewerkschaftsjugend rollte einen roten Teppich aus, als die MinisterInnen ihr Erscheinen ankündigten. Doch die Jugendlichen liefen selbst darüber. Er wurde bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahns Erscheinen demonstrativ eingerollt – eine herrliche Aktion!

An politischen Gruppen waren vertreten: DIE LINKE, SAV, DKP, SDAJ, ArbeiterInnenmacht u. a. Die Linkspartei machte gut Stimmung mit Megaphonen: keine Profite mit unserer Gesundheit! Ihr Vorsitzender Riexinger hielt eine Rede an die DemonstrantInnen. Aufs Podium war er nicht geladen, obwohl seine Partei zum Thema Pflege ein für ihre Verhältnisse ordentliches Engagement an den Tag legt. Zuletzt erschienen z. B. am 29. Juni 2018 mehr als 100 GewerkschafterInnen und PflegeaktivistInnen zu einer entsprechenden Thementagung der Bundestagsfraktion in Berlin. Offenkundig wollte ver.di „ihre“ SPD nicht brüskieren.

Von der Bühne sprachen u. a. Spahn und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (beide CDU). Spahn betonte, er könne die Fehler der letzten Jahre nicht von heute auf morgen ändern, er habe aber ein Personalbemessungsgesetz in der Schublade, worüber jetzt verhandelt werden solle. Auch Laumann forderte eine Erhöhung des Personalschlüssels, bemängelte die besonders schlechte Bezahlung der AltenpflegerInnen und besaß die Dreistigkeit, die Kundgebung als Unterstützung für die GesundheitsministerInnen auszulegen. Wie viele zusätzliche Pflegekräfte nach Ansicht der beiden Politiker finanziert werden sollen, darüber schwiegen sie. Die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung gehandelten Zahlen belaufen sich auf 8.000 – weniger als ein Zehntel der benötigten Stellen!

Wie sich ver.di Gegenwehr denkt

Hauptrednerin Sylvia Bühler, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands und Leiterin des Fachbereichs 13 „Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen“ betonte immer wieder die Situation der Pflege, dass alle Verständnis hätten und sich jetzt etwas verbessern müsste. Doch konkrete Schritte gab sie nicht an. Wen wundert’s angesichts der vom ver.di-Apparat nur auf Sparflamme betriebenen Kampagne „Entlastung“. Wir berichteten über die Brems- und Lobbypolitik der Gewerkschaftsführung in mehreren Ausgaben dieser Zeitung. Doch die Kampagne ist bis jetzt trotz aller Untätigkeit und sozialpartnerschaftlichen Kompromisslerei der Gewerkschaftsspitzen, trotz ihrerseits gebremst geführter oder zugunsten von Verhandlungen abgewürgter (Warn-)Streiks nicht zum Erliegen gekommen. Dies ist dem Druck der Mitgliederbasis zu verdanken, der sich auch in Düsseldorf klar zeigte und auf den selbst Politikerinnen vom Schlage Laumanns und Spahns reagieren müssen. Im Vergleich zu viel größeren Demonstrationen wie im September 2007 in Berlin hat diese einen Schritt heraus aus der Sozialpartnerschaft getan. Damals wurde im Schulterschluss mit den Arbeit„geberInnen“ demonstriert, für mehr Geld für die Krankenhäuser gebettelt. Es gab damals nur einen winzigen oppositionellen Block mit Beteiligung einiger Betriebsgruppen und oppositionellen Vertrauensleuten, der damals klar auf die Gefahren eines Schulterschlusses mit den Krankenhausträgern hinwies: Kein Schulterschluss mit den Arbeit„geberInnen“! Die Demonstration in Düsseldorf wurde von ihnen nicht unterstützt, auch wenn die Gewerkschaftsspitze sich ungebrochen an die Sozialpartnerschaft klammert.

Noch wichtiger: zeitgleich mit der Aktion der Beschäftigten streikten ihre KollegInnen in Essen, im Saarland und an den Düsseldorfer Unikliniken. Dort beteiligten sich rund 500 MitarbeiterInnen an einem 48-stündigen Warnstreik. Zwei Drittel der geplanten Operationen in diesem Zeitraum mussten ausfallen, Küche und Patiententransport arbeiteten ebenfalls höchstens für Notfälle. Ver.di drohte mit einem unbefristeten Streik – dies ist die einzige Sprache, die auch die Arbeit„geberInnen“ verstehen!




CDU/CSU-Vereinbarung: Einreise als Fiktion – Rassismus als Kompromiss

Martin Suchanek, Infomail 1009, 3. Juli 2018

Die Union bleibt ganz, wahrscheinlich auch die Bundesregierung. Die Geflüchteten, die es zukünftig trotz EU-Grenzschutz und Lagern lebend übers Mittelmeer oder gar nach Deutschland schaffen, sollen nicht „im Alleingang“ abgewiesen werden. Stattdessen werden sie in „Transitzentren“ festgehalten und zurückgeschickt. Offiziell sind sie somit nie eingereist und werden damit auch nicht ausgewiesen. Seehofers „Abweisung“ heißt jetzt im Merkel-Deutsch „Zurückweisung auf Grundlage einer fiktiven Nichteinreise“.

Abkommen zwischen CDU und CSU

„Wir richten dafür Transitzentren ein, aus denen die Asylbewerber direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden (Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise). Dafür wollen wir nicht unabgestimmt handeln, sondern mit den betroffenen Ländern Verwaltungsabkommen abschließen oder das Benehmen herstellen.“ (Punkt 2 der Vereinbarung von CDU und CSU)

So viel zur „europäischen Lösung“, die offenkundig darin besteht, Rassismus nicht „einseitig“ durch die Errichtung nationaler Schlagbäume, sondern überall und per Verwaltungsabkommen umzusetzen – mit minimaler Störung für Handel und Verkehr. Einreise wird zu Fiktion erklärt – mit leider alles anderen als fiktiven rechtlichen Konsequenzen, also einer weiteren Entrechtung von Geflüchteten, mit geschlossenen Lagern usw.

Für die Rettung der Fraktionsgemeinschaft und der Regierung gehen CDU und CSU eben über Leichen. Das beweisen nicht nur Seehofer und andere Hardliner, die im Gleichklang mit der AfD von „rechtlosen Zuständen“ an Bayerns Grenzen schwadronieren. Das tun längst auch Merkel und ihre „humanistischen“ FreundInnen, die von Gipfel zu Gipfel noch drakonischere Maßnahmen gegen die Geflüchteten beschließen und umsetzen. Rassismus stört Europas „humanitäre“ und „demokratische“ Mitte nur, sobald er geschäfts- und Image schädigend daherkommt.

Der „Dreischritt“ zur weiteren Abschottung Europas umfasst den militarisierten „Genz“schutz Frontex, die Errichtung von geschlossenen „Zentren“ in Nordafrika, die sich nicht nur terminologisch mehr und mehr Konzentrationslagern annähern, und einen sog. „Marshallplan“ für Afrika, der den europäischen, also vor allem deutschen Kapitalexport beflügeln soll.

Die SPD?

Die SPD hat wie immer, wenn es noch weiter nach rechts gehen soll, „Diskussionsbedarf“. Das Einkicken ist vorprogrammiert und von CDU/CSU schon eingepreist. Noch ein, zwei „Koalitionsgipfel“, vielleicht noch ein, zwei kosmetische Zugeständnisse – und die SPD macht wahrscheinlich mit. Rassistischen Maßnahmen und einem ebensolchen Grenzregime kann und will sich eine Partei, die seit 1914 fest auf der Seite des deutschen Imperialismus steht, nicht verschließen. Ein Bruch der Koalition und etwaige Neuwahlen würden womöglich für die Sozialdemokratie noch katastrophalere Folgen als für die Unionsparteien haben. Das will eine SPD-Spitze, deren eigene Zukunft ohnedies untrennbar mit der Großen Koalition verbunden ist, nicht riskieren. Schließlich können Nahles und Scholz „nicht allen helfen“.

Umso mehr freut sich das Duo darüber, dass die Regierung nach den „Chaostagen“ endlich zur Sachpolitik zurückkehren könne. Die CSU habe Deutschland, die EU und die Regierung an den Abgrund getrieben – diesen Vorwurf will sich die SPD auf keinen Fall einhandeln. Während Seehofer für seine Mischung aus Egomanie, Nationalismus und Rassismus, die er selbstgefällig „Überzeugung“ nennt, ganz im Stile der populistischen Welle hoch pokerte, versucht sich die Sozialdemokratie als Verteidigerin einer politischen Vernunft und Normalität zu inszenieren, die doch ohne ihre Erbärmlichkeit nicht auskommen könne.

Seehofers „Masterplan“ und dem „Kompromiss“ von CDU und CSU setzt sie einen 5-Punkte-Plan entgegen – die EU-Politik von gestern. Angesichts größerer politischer Instabilität und tiefgehender Differenzen über die Europapolitik des Kapitals unter den verschiedenen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Fraktionen fällt es der Sozialdemokratie schwer, Schritt zu halten. Die SPD, wie immer willfährige Erfüllungsgehilfin des Kapitals, wartet lieber ab, ruft zur „Ordnung“ – eine eigene Politik entwickelt sie möglichst erst gar nicht.

Das trifft im Grunde auch auf die „linken“ Oppositionsparteien im Bundestag zu. Es ist daher kein Wunder, dass die ultra-reaktionäre, rechtspopulistische AfD als einzige „radikale“ Opposition erscheint. An dieser Stelle wollen wir uns aber weder mit der FDP aufhalten, die zwischen Union und AfD oszilliert, noch mit den Grünen, die mehr und mehr zur Öko-CDU werden.

Und die Linkspartei?

Auch die Linkspartei bietet angesichts der Krise der Regierung ein erbärmliches Bild. Die Stellungnahmen konzentrieren sich einerseits darauf, das Chaos, die Selbstinszenierung und den Rechtsruck Seehofers sowie die inhumanen Beschlüsse von EU und Unionsparteien anzuprangern. Andererseits wird der Regierung vorgeworfen, dass sie sich nicht um die „wirklichen Probleme“ wie Armut, Renten, Mieten kümmere.

Hier erhebt sich doch unwillkürlich die Frage, ob Rassismus – staatlicher wie jener von Rechts-PopulistInnen, Nazis und der „bürgerlichen“ Mitte – nicht zu den „wirklichen Problemen“ gehört! Dass es sich dabei nicht nur um ein verbales „Versäumnis“ der Linkspartei handelt, belegen der unverhüllte Sozialchauvinismus einer Sahra Wagenknecht oder eines Oskar Lafontaine ebenso wie die Abschiebepolitik der von der Linkspartei mitregierten Länder. Die Sprachregelung von Fraktions- wie Parteispitze verweist aber auch darauf. Dass Bartsch und Wagenknecht – selbst VertreterInnen einer „regulierten“ Migration und GegnerInnen offener Grenzen – der Regierung vor allem falsche Prioritäten vorwerfen, sollte daher nicht verwundern. Doch auch Kipping und Riexinger, die wenigstens die Entlassung Seehofers forderten, kommt das Wort Rassismus nicht über die Lippen, wenn sie die Politik von Merkel, Nahles oder anderer VertreterInnen der bürgerlichen Mitte kritisieren. Schließlich will die Partei nicht nur die „Brücken“ zur SPD erhalten, sondern auch die „vernünftigen“ Teile des Bürgertums im Kampf für den „Humanismus“ gewinnen.

Wie so oft sitzt der Reformismus dabei – ob gewollt oder ungewollt spielt keine große Rolle – der Oberflächenerscheinung der bürgerlichen Demokratie auf. Der Konflikt zwischen Merkel und Seehofer, zwischen CDU und CSU erscheint als einer zwischen Nationalismus und Rassismus auf der einen Seite und wankenden „DemokratInnen“ auf der anderen. Letzteren müsste „die Linke“ beispringen, um Schlimmeres zu verhüten – und zwar durch eine Art Pakt für Humanität.

In Wirklichkeit gerät die Linkspartei damit noch mehr in das Schlepptau der „Mitte“. Deren eigener Rassismus – ganz zu schweigen von ihren bürgerlichen Klasseninteressen und ihrer imperialistischen Strategie – verschwindet aus dem Blickfeld. Die Bundesregierung wird nicht als Regierung des Kapitals kritisiert, gegen die mit aller Entschiedenheit zu kämpfen wäre. Vielmehr wird den politischen VertreterInnen der herrschenden Klasse vorgeworfen, sich zu wenig um die Armen und Ausgebeuteten zu kümmern. Der Verrat der SPD an der ArbeiterInnenklasse wird nicht benannt, vielmehr wird ihr vorgeworfen, sich nicht für eine „echte“ Reform des deutschen und europäischen Kapitalismus – vorzugsweise durch einen „Politikwechsel“ Hand in Hand mit Linkspartei und Grünen – einzubringen.

Die „Kritik“ der Linkspartei läuft letztlich darauf hinaus, dem Kapital die „einseitige“ oder gar radikale Verfolgung seiner Interessen vorzuwerfen. Sie appelliert an die herrschende Klasse, ihre eigenen Interessen zurückzustellen und sich mit aller Kraft den „Problemen der Menschen“ zuzuwenden.

Doch was sollen „die Menschen“, was sollen die Lohnabhängigen von den Zuwendungen einer Regierung erwarten, die Millionen den Zugang zur EU, zum Arbeitsmarkt, zu Wohnungen, zu StaatsbürgerInnenrechten verweigert, sie in und außerhalb der EU in Lagern „sammelt“ und möglichst schnell zurückschickt? Die Frage zu stellen, heißt sie zu beantworten! Fragt sich nur, was die Lohnabhängigen von den Spitzen „linker“ Parteien zu erwarten haben, die auf Sozialpartnerschaft, Zusammenarbeit zwischen ArbeiterInnenorganisationen mit Kapital, Regierung und Staat sowie „Mäßigung“ statt auf Klassenkampf setzen.




Österreich: 100.000 demonstrieren gegen Arbeitszeitverlängerung

Michael Märzen, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Der 30. Juni 2018 war ein bedeutsamer Kampftag und eine Machtdemonstration für die österreichische ArbeiterInnenbewegung. Über 100.000 Menschen gingen in Wien auf die Demonstration des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) gegen den 12-Stundentag. Im Vorfeld der Demonstration fanden in allen Bundesländern Betriebsrätekonferenzen und Betriebsversammlungen statt, davon alleine bei den Privatangestellten über 700. In den Betrieben wurde mobilisiert und aus den Bundesländern wurden Busse nach Wien organisiert. Der ArbeiterInnenstandpunkt hatte sich zusammen mit der Jugendorganisation REVOLUTION mit einem gemeinsamen Block an der Demonstration beteiligt.

Angriffe der Regierung

Die Regierung von ÖVP und FPÖ plant die Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden bzw. 60 Stunden pro Woche. Die gesetzliche Normalarbeitszeit von 40 Wochenstunden soll dabei nicht formell abgeschafft, sondern nur flexibler gestaltet, also de facto außer Kraft gesetzt werden. Schon heute ist sie für viele arbeitende Menschen aufgrund zahlreicher (auch unbezahlter) Überstunden und entsprechender Betriebsvereinbarungen längst nicht mehr Realität. Die Reform der Regierung wird diese Tatsache verschlimmern, insbesondere indem sie sogar formell die gesetzlich zulässige Anzahl an Überstunden ausweiten soll und die Betriebsräte entmachtet. Trotzdem beteuert die Regierung die Freiwilligkeit zur Mehrarbeit, was angesichts der Machtverhältnisse im Betrieb ein Hohn ist.

Der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds Wolfgang Katzian erklärte auf der Abschlusskundgebung, dass man „mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen“ Widerstand leisten werde. Einen Aufruf für Streikaktionen vom ÖGB bzw. von den Teilgewerkschaften gab es aber nicht. Auf der Demonstration war die Forderung nach Streiks hingegen weit und breit zu sehen. Tatsächlich wäre eine koordinierte, allgemeine Arbeitsniederlegung, ein Generalstreik, die einzige realistische Möglichkeit, um den Angriff der Regierung abzuwenden. Zugleich wäre das auch eine Möglichkeit, um in die Offensive zu gehen, um für eine Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen und die Regierung der Reichen und KapitalistInnen zu Fall zu bringen. Letzteres hat sogar der Chef der Postgewerkschaft in den Raum gestellt, worauf der ÖGB-Chef Katzian seine Achtung vor der demokratisch gewählten Regierung betonte. Dass die Gewerkschaft auf Streiks setzen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Das Gesetz soll schon kommende Woche beschlossen werden und danach ist das Parlament in Sommerpause. Das ist zwar kein Hindernis, aber wäre es der Gewerkschaftsführung ernst gewesen, hätte sie schon früher gegen die Arbeitszeitflexibilisierung mobilgemacht und spätestens jetzt Streiks vorbereitet. Stattdessen forderte Katzian nun eine Volksabstimmung. Die Gewerkschaftsführungen scheinen dagegen lieber auf Kämpfe um die Arbeitszeiten im Rahmen der Kollektivverträge zu setzen. Tatsächlich ist beides ein Verrat an der Bewegung, denn die ArbeiterInnenklasse ist jetzt in der Offensive. Eine Volksabstimmung, der Gesetzesbeschluss und die längeren Zeiten bis zu den nächsten Verhandlungen werden demobilisierend und resignierend wirken. Zusätzlich bedeutet ein Kampf im Rahmen von KV-Verhandlungen, ihn nicht allgemein als gesamte Klasse zu führen, sondern zersplittert und ungleichzeitig in den verschiedenen Branchen. Und schlussendlich würde man die Vorstöße der KapitalistInnen bei jeder Verhandlungsrunde aufs Neue abwehren müssen. Die Orientierung auf Kollektivvertragsverhandlungen ist also ein Rückzug auf einen geschwächten Posten und damit schon eine mehr als halbe Kapitulation. Das ist nicht verwunderlich, immerhin denkt die sozialdemokratische Gewerkschaftsführung nach wie vor in den Kategorien der SozialpartnerInnenschaft mit dem Ziel, Verhandlungen statt Klassenkämpfe zu führen. Dadurch möchte sich die Gewerkschaftsbürokratie eine Konfrontation mit der Regierung ersparen, um der Sozialdemokratie auf dem Rücken der ArbeiterInnen (am besten mit einem Kompromiss) die nächste Regierungsbeteiligung zu ermöglichen.

Die Frage nach einer Streikbewegung gegen den 12-Stundentag ist also tief verbunden mit der Perspektive des politischen Kampfes gegen die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie durch eine gewerkschaftliche Basisbewegung. In den nächsten Tagen und Wochen wird es also auf den Druck von unten auf die Gewerkschaftsspitzen ankommen. Dafür sind derzeit schon weiterhin geplante Betriebsversammlungen ein guter Anknüpfungspunkt, z. B. bei der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB), aber auch in zahlreichen anderen Betrieben der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida sowie auch in etlichen Betrieben der Produktionsgewerkschaft PRO-GE (Metall, Textil, Nahrung, Chemie). Auf diesen Betriebsversammlungen muss man die Perspektiven eines Arbeitskampfes diskutieren, die Wahl von Streikkomitees durchführen und eine Koordination für einen Generalstreik in Gang setzen, der den 12-Stundentag zu Fall bringen kann. Das würde der gesamten ArbeiterInnenbewegung in Österreich eine gewaltige Stärkung verleihen und den ArbeiterInnen aller Länder ein Beispiel liefern, wie sich die weltweiten neoliberalen Angriffe verhindern lassen!




Wahlen in der Türkei: Schrecken ohne Ende oder Napoleon heißt auf Türkisch „Napolyon“

Svenja Spunck, Infomail 1008, 25. Juni 2018

Erdogan gewinnt die Präsidentschaftswahlen und das Wahlbündnis aus AKP und MHP sichert sich die Mehrheit im Parlament. Die HDP kann sich erneut über den Einzug ins Parlament freuen, während die CHP Stimmenverluste verzeichnet. Zum ersten Mal zieht die neu gegründete Iyi Parti ins Parlament ein. So weit das Ergebnis in Kurzform.

Wäre das Ergebnis aus dem Gefängnis in Edirne repräsentativ für die Türkei, würde sie ab heute von einem kemalistischen Staatspräsidenten und ihr Parlament von einer absoluten Mehrheit der HDP kontrolliert werden. In der Haftanstalt, die seit anderthalb Jahren die permanente Adresse von Selahattin Demirtaş ist, haben Erdogan und seine AKP keine einzige Stimme bekommen.

Doch nach der Auszählung von 99 Prozent der Stimmen zeichnet sich im „Rest“ der Türkei ein enttäuschendes Ergebnis für diejenigen ab, die noch Hoffnung auf so etwas wie einen demokratischen Wandel hatten. Obwohl die AKP keine alleinige Mehrheit im Parlament erringen konnte, schafft sie es, zusammen mit der MHP rund 53,6 Prozent der Stimmen für ihr Wahlbündnis zu erringen, wobei 42,5 Prozent auf die AKP und 11,1 Prozent auf die MHP entfallen. Damit steht zwar fest, dass Erdogans AKP sich die Regierungsmacht gesichert hat, doch im Vergleich zu den Wahlen im November 2015 hat sie acht Prozentpunkte verloren.

Dass die MHP ihren Stimmenanteil im zweistelligen Bereich halten konnte, war eine der großen Überraschungen des Wahlabends und bot AnhängerInnen der Opposition Anlass, über Wahlfälschung zu spekulieren. In den Umfragen der letzten Wochen lag die MHP immer deutlich unter der 10-Prozent-Hürde und hätte nur durch ihr Bündnis mit der AKP ihre Sitze im Parlament verteidigen können. Doch da anscheinend einige traditionelle AKP-WählerInnen ihre Stimme der MHP liehen, konnte sie ihre rund 11 Prozent konstant halten. In erster Linie wurde ein Stimmenverlust an die Iyi Parti von Meral Akşener befürchtet, die sich vor kurzem aus der MHP abgespalten hatte. Mit genau zehn Prozent zieht diese zwar ins Parlament ein, bleibt jedoch weit unter den in Umfragen prognostizierten Ergebnissen. Somit vereinen die drei rechtesten Parteien des neuen türkischen Parlaments rund 63 Prozent der Stimmen auf sich.

Manipulationen

Nachdem die ersten Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi (AA) am 24. Juni um 18 Uhr MESZ veröffentlicht wurden, sprachen VertreterInnen der CHP und HDP bereits von massiver Manipulation der Ergebnisse. Noch während die Wahlurnen geöffnet waren, wurde von Wahlbetrug mit gefälschten Stimmzetteln und gewalttätigen Auseinandersetzungen in einigen Wahllokalen berichtet. Internationalen WahlbeobachterInnen wie Andrej Hunko von der hiesigen Linkspartei wurde die Einreise in die Türkei verwehrt, eine Genossin und Beobachterin aus den Reihen der Interventionistischen Linken wurde sogar vor Ort kurzzeitig verhaftet.

Solche Vorkommnisse sind leider nichts Neues bei Wahlen in der Türkei. Bereits beim Referendum im April 2017 wurden Stimmen für Erdogan gefälscht und oppositionelle WählerInnen bedroht. Doch der eigentliche Betrug findet nicht am Wahltag statt, sondern setzt sich zusammen aus den unfairen Bedingungen, unter denen beispielsweise die HDP ihren Wahlkampf führen musste: Keine Sendezeit für ihren Präsidentschaftskandidaten in irgendeinem der staatlichen Fernsehsender, tägliche Verhaftungen von Parteimitgliedern und permanente Hetze der Regierung gegenüber der Partei sind nur ein Ausschnitt deren. Die Forderung nach einer Aufklärung der Ereignisse am Wahltag sollte dennoch von zumindest denjenigen aufgestellt werden, die sich als Oppositionspartei verstehen.

Über den Abend hinweg bestand dann eine große Differenz zwischen den Ergebnissen von AA, die einen klaren Sieg Erdogans in den Präsidentschaftswahlen anzeigte, und den offiziellen Zahlen des Hohen Wahlausschusses (YSK). Laut der Onlineplattform Adil Seçim, die von Oppositionsparteien gegründet wurde, wäre es sogar zur Stichwahl zwischen Erdogan und Muharrem İnce gekommen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind die Wahlergebnisse zwar noch nicht offiziell bestätigt, doch Erdogan verkündete bereits um Mitternacht seinen Sieg und auch İnce erklärte gegenüber dem Journalisten İsmail Küçükkaya, dass „der Mann gewonnen“ habe. Er zerschlug damit die Hoffnung der WählerInnen, die auf eine Anfechtung der Wahlen oder zumindest auf eine ernsthafte Untersuchung der Vorwürfe von Wahlfälschung gewartet hatten. Böse gesagt erspart der Sieg Erdogans im ersten Wahlgang zumindest vielen Linken die Farce, im zweiten Wahlgang für Ince zu stimmen, die bisher der falschen Überzeugung waren, er sei das kleinere Übel und die Rückkehr zum kemalistischen Staat berge die Möglichkeit zu echter Demokratie.

Ergebnis der HDP

Ein Sieger des Abends ist die HDP. Trotz aller Repressionen, denen die Partei in den letzten Jahren ausgesetzt war, schaffte sie es erneut, die 10-Prozent-Hürde zu überwinden. Sie ist mit 11,2 Prozent die drittstärkste Partei im Parlament und auch ihr Präsidentschaftskandidat Demirtaş erkämpfte sich im Laufe des Abends den dritten Platz. Vor allem traditionelle WählerInnen der CHP liehen ihre Stimme an die Demokratische Partei der Völker, um die Parlamentssitze der AKP zu verringern und zu verhindern, dass die HDP an der 10-Prozent-Hürde scheitert. Dies trug zum Verlust der CHP bei, erklärt diesen aber nur zum Teil. Während İnce mit 30 Prozent in der Präsidentschaftswahl abschnitt, erreichte seine Partei gerade einmal 23 Prozent im Parlament. Sie fällt damit sogar noch hinter ihr damals schon enttäuschendes Ergebnis vom November 2015 (25,32 Prozent) zurück. Ihr Ergebnis in den Parlamentswahlen sowie die unerfüllte Hoffnung, İnce könnte zum Herausforderer Erdogans in einer Stichwahl bei der Präsidentschaftskandidatur werden, werden zu einer grundlegenden Debatte um die Neuausrichtung der Partei führen.

Die Bestätigung Erdogans im Amt als Präsident mit nun noch größeren Befugnissen, die Verteidigung der Parlamentssitze der HDP trotz eines Wahlkampfs unter schwierigsten Bedingungen und der Stimmenverlust der CHP drücken die extreme Spaltung der Gesellschaft in der Türkei aus. Die AKP ist eine der wenigen Parteien, die nicht die Aufhebung des Ausnahmezustandes zum Wahlversprechen machte, sondern deren politisches Programm diesen auf Dauer fordert. Mit dem Sieg der AKP steht weder eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Türkei in Aussicht, noch hat die Opposition, die für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie warb, einen Anlass zur Hoffnung. Diese Ziele zu verteidigen, sagte Pervin Buldan, Co-Vorsitzende der HDP, sei jedoch die Aufgabe ihrer Partei für die kommende Periode und dafür werde sie weiterhin kämpfen.

Doch die Lage in der Türkei wird sich zunehmend verschärfen und die wirtschaftliche Krise, die auf sie zurollt, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Gerade junge Menschen, die mit der #Tamam-Bewegung (deutsch: „Zustimmung“, auch: „genug“, „es reicht“) vor einigen Wochen in den sozialen Medien millionenfach ihre Unzufriedenheit mit der Regierung ausdrückten und auf die Straße zogen, sehen keine Perspektive in der Politik der AKP. Mit dieser Wahl sind keineswegs alle Hoffnungen zerstört und auch der Faschismus zieht damit noch nicht automatisch in der Türkei ein, wie einige besonders „Radikale“ wieder einmal behaupten, aber die Bedingungen, unter denen Linke, SozialistInnen und unterdrückte Minderheiten kämpfen, sind noch einmal schwerer geworden.

Mit dem Wahlsieg hat Erdogan die Macht weiter in den Hände des Staatspräsidenten konzentriert. Er wird sie gegen die kurdische Nation, gegen die HDP, gegen Widerstand aus der ArbeiterInnenklasse, der Jugend und von allen anderen einsetzen, die von der kommenden Wirtschaftskrise durch Entlassungen, Verarmung, Entwertung ihrer Ersparnisse bedroht sind. Von der rechten und nationalistischen Opposition, İyi Parti und CHP ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten. Die Aufgaben der sozialistischen Linken, kämpferischer GewerkschafterInnen und der HPD bestehen vielmehr darin, den Kampf gegen die sozialen Angriffe, für demokratische Rechte und nationale Unterdrückung gemeinsam zu organisieren. Erdogan hat zwar – mit welchen Mitteln auch immer – die Wahlen gewonnen, doch die unvermeidliche Krise seines „Erfolgsmodells“ kann auch die Bedingungen für einen gemeinsamen Klassenkampf schaffen, um den türkischen Napolyon zu Fall zu bringen.




Schulstreiks überall – wie kann es weiter gehen?

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION, Infoamail 1008, 23. Juni 2018

Am 21. Juni sind in Berlin 400 SchülerInnen auf die Straße gegangen, um gegen die drohende Schulprivatisierung zu demonstrieren, die der Berliner Senat hinter verschlossenen Türen plant. Am 22. Juni gingen in Nürnberg, Kassel, Dresden, Würzburg und 3 weiteren Städten Jugendliche auf die Straße, um gegen Abschiebungen zu demonstrieren – auf Initiative des Bündnisses „Jugendaktion Bildung gegen Abschiebung“. Zuvor haben in München SchülerInnen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz gestreikt. Dort haben rund 2000 Jugendliche gezeigt, dass sie die Verschärfung der Repression aufhalten wollen. Doch was folgt aus diesen zahlreichen Protesten?

Potenzial bündeln

In den letzten Jahren haben wir in Deutschland und sonst wo auf der Welt einen Rechtsruck erlebt.

Der früher als rechter Rand betitelte Teil der Gesellschaft ist mittlerweile im Alltag aufzufinden. Die AfD hetzt im Bundestag und nebenbei erlässt die Regierung die rassistischen Gesetze und versucht mehr und mehr, Geflüchtete in Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit abzuschieben. Aber der Rechtsruck bedeutet nicht nur, dass der Rassismus im Alltag immer mehr Gestalt annimmt.

Er hat auch andere Formen: Ein Jahr nach dem G20-Gipfel im Hamburg sehen wir eine Zunahme von Repression und Gesetzesverschärfungen. Denn nicht nur in Bayern ist ein neues Polizeiaufgabengesetz geplant – auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen will man die Rechte der Polizei ausweiten. Zusätzlich können wir beobachten, wie der Etat für innere Sicherheit und die Bundeswehr massiv angehoben wurde und beispielsweise in Bayern die Polizei unter dem Namen „Baytex18“ muntere Krisenübungen zusammen mit SoldatInnen der Bundeswehr durchführt.

Während in diesem Bereich mehr Geld ausgegeben wird, lesen wir zeitgleich in den Nachrichten von der „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt, bei dem die Ausgaben die Einahmen nicht übersteigen sollen. Um diese Ziel zu erreichen, muss gespart werden, wenn die Ausgaben für innere Sicherheit und Militär massiv ansteigen – und zwar an der Gesundheit, an Bildung, beim öffentlichen Dienst, an der Infrastruktur.

Ab 2019 tritt zusätzlich die sog. „Schuldenbremse“ in Kraft, die die „schwarze Null“ allen Ländern und Kommunen vorschreibt. Diese trifft vor allem jene Gemeinden und Länder, die ohnedies schon verschuldet sind oder deren Bevölkerung arm ist, also auch weniger Steuern zahlen kann/muss. Daher können sie wenig oder nichts investieren, müssen weiter an Infrastruktur, kommunalen Einrichtungen, Schulen, Jugendzentren, Freizeiteinrichtungen sparen – oder diese an InvestorInnen verscherbeln, die nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung interessiert sind, sondern an ihren Profiten.

Wir sehen: Es gibt viel, was falsch läuft. Doch während der Großteil der Gesellschaft mittlerweile darin versinkt zu diskutieren, ob man nicht am besten gleich alle Geflüchteten, die hier ankommen, abschiebt und wie viele Menschen man im Mittelmeer ertrinken lässt, gibt es auch jene, die etwas verändern wollen. Die Jugendlichen, die gegen die Privatisierung der Schulen, das Polizeiaufgabengesetz und vor allem gegen Rassismus auf die Straße gegangen sind, wollen aktiv werden. Sie alle sind unzufrieden mit der aktuellen Situation und wollen dies nicht stillschweigend hinnehmen. Deswegen gilt es, dieses Potenzial zu bündeln – die Frage ist nur: wie?

Wie?

Es bedarf einer klaren Perspektive. Es muss heißen: Wir belassen es nicht bei einer Aktion, sondern wir wollen unseren Protest ausweiten. Wir wollen größer werden und mehr Jugendliche ansprechen. Daher sollten wir weiter aufeinander positiv Bezug nehmen, die verschiedenen Aktionen bekannt machen, so dass die Jugendlichen wissen, dass es nicht nur in „ihrer“ Stadt oder an „ihrer“ Schule Protest gibt. Doch wir müssen auch weitergehen und die AktivistInnen aus den unterschiedlichen Städten miteinander vernetzen. Dazu müssen wir uns treffen und gemeinsam diskutieren, wie wir die unterschiedlichen Kämpfe miteinander verbinden können, wann wir eine neue Aktion planen und welche Forderungen wir ins Zentrum stellen wollen – quasi eine selbstorganisierte Aktionskonferenz. Das sind erste Schritte in die richtige Richtung, die getan werden müssen, damit es erfolgreich weitergeht. Doch damit wir wachsen, müssen wir uns fragen, was braucht es, damit nicht nur Hunderte oder Tausende, sondern die Masse an Jugendliche auf die Straße gehen?

Eine Bewegung entsteht selten im luftleeren Raum. Es bedarf Menschen bzw. Organisationen, die diese bewusst mit aufbauen.

Wenn wir eine Jugendbewegung aufbauen wollen, die sich gegen Rassismus, Militarismus und Spaßmaßnahmen richtet, um der Regierung Dampf zu machen, müssen sich auch andere Organisationen beteiligen. Das betrifft vor allem die Gewerkschaftsjugend, aber auch Studierenden- und SchülerInnenvertretungen. Außerdem sollten wir Jugendorganisationen von MigrantInnen, antirassistische, antisexistische und andere Initiativen junger Menschen einbeziehen. Und natürlich müssen auch alle linken Jugendorganisation – seien es die Linksjugend [‚solid], der SDS, die SDAJ, die Falken oder auch die Jusos aufgefordert werden, aktiv gegen die Angriffe der Regierungen, der UnternehmerInnen und der Rechten zu kämpfen und sich zu einem Aktionsbündnis zusammenzuschließen – nicht nur lokal, sondern als Bundesorganisationen. Schließlich sind die Probleme, die wir haben, nicht nur auf eine Stadt begrenzt, sondern betreffen uns überall.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass eine Bewegung nicht nur darauf basiert, dass man die Führungen von Organisationen zum Widerstand auffordert oder gemeinsame Aktionen verabredet. Wer Erfolg will, der muss sich auch lokal verankern und die Mobilisierung nutzen, um Basisarbeit an den Orten anzufangen, an denen wir uns bewegen müssen. Für uns Jugendliche sind das in erster Linie die Schulen, aber auch Berufsschulen, Betriebe und Universitäten. Dort müssen wir mit den AktivistInnen, die Interesse haben, sich an der Bewegung zu beteiligen und diese aufzubauen, diskutieren und Aktionen durchführen. Wir von REVOLUTION treten für den Aufbau von Streik- und Aktionskomitees ein, die Informationsveranstaltungen, Vollversammlungen und Widerstand organisieren. Warum? Weil auf diesem Wege auch Menschen erreicht werden, die bisher nicht politisch aktiv waren. Zusätzlich politisiert und polarisiert man an den Orten, an denen wir lernen, studieren, arbeiten oder eine Ausbildung machen müssen – und wirft Fragen im Alltag der Menschen auf.

Als REVOLUTION denken wir, dass eine Jugendbewegung notwendig ist, um gegen die aktuellen Missstände in diesem Land erfolgreich zu kämpfen. Deswegen wollen wir den Aufbau einer solchen Bewegung unterstützen und hoffen, dass dies auch andere Organisationen tun. Denn wenn wir flächendeckend gegen Abschiebungen und Rassismus, gegen die Zunahme der Repression und gegen die Sparmaßnahmen kämpfen wollen, braucht es mehr als ein paar kleine linke Organisationen, die ein paar Kampagnen zu diesen Themen machen.

In solch einer Bewegung treten wir als Organisation für Kritik- und Propagandafreiheit ein. Das heißt, dass alle beteiligten Organisationen auch untereinander Kritik üben und diskutieren können sowie ihre eigenen Materialien verteilen dürfen. Daneben wollen wir in so einer Bewegung für unser Programm eintreten. Das heißt, dass wir dafür sind, nicht nur gegen Abschiebungen zu kämpfen, sondern für offene Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle. Wir fordern nicht nur Abrüstung, sondern lehnen jede Finanzierung des staatlichen Gewaltmonopols, also der Polizei und Bundeswehr, nach dem Motto „Keinen Cent für Militarismus und Repression“ ab. Auch sind wir nicht nur gegen die zahlreichen Sparmaßnahmen, sondern für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, die Enteignung der WohnungsspekulantInnen, der großen Banken und Konzerne ein, für die Finanzierung unseres Gesundheits- und Bildungssystems durch Besteuerung der Reichen und Profite – unter Kontrolle der ArbeiterInnen, der MieterInnen und der Lernenden.

Dazu brauchen wir nicht nur eine breite Bewegung, sondern auch eine revolutionäre Jugendorganisation – one solution – REVOLUTION!