Brasilien: Die Aufgaben der Linken

Erklärung der GenossInnen der Liga Socialista, 26. Mai 2018, Neue Internationale 229, Juni 2018

Diese Bewegung begann als Aussperrung der Transportunternehmen, diese verloren aber schließlich die Kontrolle über die ArbeiterInnen. Es wird heftig diskutiert, um was für eine Art „Streik“ es sich hier handelt. Es gibt auch Ablehnung der Bewegung, da sie Elemente der Anti-Dilma-Putsch-Bewegung in ihren Reihen hat, die heute eine militärische Intervention unterstützen und mit dem extrem rechten Kandidaten verbunden sind. Aber wir können nicht leugnen, dass sich die Mehrheit der FahrerInnen um eine legitime Forderung organisiert, die alle erreicht: die Senkung der hohen Treibstoffpreise.

Der Bewegung ist es effektiv gelungen, viele Bereiche der brasilianischen Ökonomie und des öffentlichen Lebens lahmzulegen und gleichzeitig große Unterstützung zu bekommen. Die Frage der Treibstoffpreise ist mit der allgemeinen Verteuerung des Alltagslebens verbunden. Der Protest verbindet sich für viele BrasilianerInnen mit der allgemeinen Unzufriedenheit über die soziale Lage: die Arbeitsmarktreformen, die Rentenreform, die Schuldenbremse bei den öffentlichen Haushalten, die Misere an Schulen und Universitäten, die hohe Arbeitslosigkeit, das dramatische Sinken der Reallöhne, die Einsparungen im Gesundheitsbereich etc. Die objektiven Gründe für die Ausweitung dieser sektoralen Aktionen zu einem Generalstreik liegen auf der Hand!

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was gerade passiert: Natürlich versuchen mehrere Sektoren der Rechten, die TransportarbeiterInnen-Bewegung zu nutzen, um ihre demagogischen Parolen gegen die „korrupten PolitikerInnen“ und für eine Militärdiktatur an die Streikenden zu bringen (bzw. das „Chaos“ zu nutzen, um das Militär zu rufen). Auf der anderen Seite hat sich der prekär beschäftigte Teil der LKW-FahrerInnen von den rechten Verbänden gelöst, akzeptierte das mit der Regierung ausgehandelte Abkommen nicht und hat begonnen, sich für die Fortsetzung der Blockaden selbst zu organisieren. Die Szenerie der Bewegung verändert sich beständig. Unternehmen und Regierung haben die Kontrolle über die Situation verloren. Die Regierung hat nun die Sicherheitskräfte zu gewaltsamen Aktionen autorisiert – Autobahnpolizei, Bundesarmee und Militärpolizei haben die Aufgabe, die Straßen zu räumen. Das heißt, jetzt beginnt die Bewegung, Repressionen zu erleiden – und kann für eine Radikalisierung in verschiedene Richtungen gewonnen werden.

Die Führung der ArbeiterInnenklasse muss jetzt dringend handeln.

Angesichts der Situation, in der wir uns befinden, muss sich die Bewegung der LKW-FahrerInnen in eine allgemeine Bewegung des Kampfes gegen die Krisenpolitik verwandeln. Auch wenn der Streik der ÖlarbeiterInnen am 30. Mai vorerst ausgesetzt wurde, ist die Vereinigung des Kampfes von LKW-FahrerInnen und Petrobras-Beschäftigten zentral für den Erfolg des Kampfes. Es ist dringend notwendig, eine Einheit aufzubauen. Der Generalstreik ist das Instrument, um Übergangsforderungen der ArbeiterInnenklasse in sich vereinigenden Kämpfen verankern zu können.

Es ist eine grundlegende Aufgabe der Führung der ArbeiterInnenklasse, insbesondere des CUT, der größten Gewerkschaft in Lateinamerika, alle Basisorganisationen aufzurufen, einen Generalstreik zu organisieren!

Wir dürfen uns nicht auf Fragen der Wahltaktik beschränken. Für uns ist es nicht genug, Temer zu stürzen und Lula zu wählen bzw. für dessen Freilassung einzutreten. Es ist notwendig, einen effektiven Kampf mit unseren Forderungen und unter unserer Flagge zu führen, um diese Angriffe abzuwehren und in die Offensive überzugehen.

Jede Bewegung der ArbeiterInnen muss als ein Funke verstanden werden, der den Kampf im ganzen Land verbreiten wird, um dieses System zu stürzen. Die Führungen der linken Parteien, der Gewerkschaftszentralen und der sozialen Bewegungen müssen die ArbeiterInnenklasse zum vereinten Kampf rufen.

Der CUT weigert sich jedoch, den Generalstreik auszurufen. Er unterstützt die Bewegung der Lkw-FahrerInnen, kritisiert die Politik von Temer/Parente bei Petrobras, fordert aber keinen Generalstreik. Ungeachtet des genauen Charakters der derzeitigen Bewegung ist sie ein Moment der Agitation und des sozialen Umbruchs, bei dem es auf das Eingreifen der großen ArbeiterInnenorganisationen ankommt.

Es ist von grundlegender Bedeutung, den durch den Streik der FernfahrerInnen eröffneten Raum zu besetzen, die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse zu organisieren, mit allen Sektoren zu diskutieren, die Diskussionen der ArbeiterInnen auf die Tagesordnung der Linken zu setzen! Wir müssen die vielen Kämpfe zur Abwehr der Sparmaßnahmen vereinen und ausweiten. Wir müssen Klarheit und Ruhe haben, um zu verstehen, dass das, was heute auf dem Spiel steht, alle ArbeiterInnen betrifft. Wir können uns nicht in Eitelkeiten und Rache verlieren. Es ist Zeit für den Kampf. Entweder wir handeln jetzt oder wir werden den Zug der Geschichte verpassen und eine riesige Chance, diese Putschregierung zu besiegen, die Verluste, die uns auferlegt wurden, zu überwinden und den Weg für den Aufbau einer gerechten, egalitären und demokratischen Gesellschaft, einer sozialistischen Gesellschaft zu öffnen!

  • Für die Einheit der ArbeiterInnenklasse!
  • Weg mit allen Angriffen der Putschregierung!
  • Verteidigung von Petrobras und Elektrobras, 100 % staatlich und unter Kontrolle der-ArbeiterInnen!
  • Weg mit Temer! Allgemeine Wahlen!
  • Generalstreik, jetzt!



Linkspartei und Migration – Status quo oder sozialistische Politik?

Tobi Hansen, Neue Internationale 229, Juni 2018

Die Linkspartei tagt vom 8.-10. Juni in Leipzig. Im Zentrum der Vordiskussionen stand ihre Haltung zur Migrationspolitik, die offenkundig nicht nur die Rechten und die Regierung, sondern auch die „sozialistische“ Opposition umtreibt. Verschiedene Gruppierungen haben dazu Positionspapiere vorgelegt, beim Parteitag stehen kleinere Anträge zur Abstimmung. Der Antrag des Vorstandes versucht dabei, einiges zu verbinden – gegenüber Wagenknecht & Co. will er sich abgrenzen, der Rest des Textes bleibt aber möglichst schwammig gehalten. Zu dem hauptsächlichen Streitpunkt offene Grenzen heißt es:

„Wir wollen das Sterben im Mittelmeer und an den europäischen Außengrenzen beenden. Dafür brauchen wir sichere, legale Fluchtwege, offene Grenzen und ein menschenwürdiges, faires System der Aufnahme von Geflüchteten und einen Lastenausgleich in Europa. Statt Abschiebung wollen wir Bleiberechte für Menschen und statt Familien auseinanderzureißen, wollen wir sie zusammenführen.“ (Antrag Parteivorstand)

Der Vorstand um Kipping und Riexinger versucht damit, zwei Flügel in der Partei hinter sich zu einen: einerseits die ostdeutschen Landesverbände mit und ohne Regierungsauftrag wie auch andererseits linkere Kreise um anti-rassistische GewerkschafterInnen, marx21 und Mitglieder, die als UnterstützerInnen in der Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten aktiv waren oder sind. So richtig es ist, den sozialchauvinistischen und nationalstaatsfixierten Argumentationen des Wagenknecht-Lagers eine Abfuhr zu erteilen, so entschlossen muss aber auch die bisherige Praxis der Landesregierungen bekämpft werden, an denen die Linkspartei beteiligt ist. Diese setzen seit Jahren die Abschiebungen um und zwar, wie das Beispiel Brandenburg zeigt, mitunter sogar konsequenter als andere Landesregierungen. Was nützen Beschlüsse zu „offenen Grenzen“ und „humanistischer Flüchtlingspolitik“, wenn die Landesregierungen, in denen DIE LINKE vertreten ist, weiter „Seehofer“-Politik umsetzen? Eine solche Politik ist unglaubwürdig und gegenüber den Geflüchteten, als deren Sachwalterin sich die Linke präsentiert, einfach nur zynisch.

Dies mag auch manchen in der Linkspartei unangenehm sein – getan wird freilich nichts. Statt ein konsequentes Ende dieses Doppelspiels zu fordern, drohen Formelkompromisse. Einige VertreterInnen der Landespolitik haben nun, um die Kluft zwischen schönen Worten und repressiven Taten zu verringern, eine Debatte über ein „linkes“ Einwanderungsgesetz angestoßen.

Dieses sieht vor, den Familiennachzug auszubauen. Anstelle von ökonomischer Verwertbarkeit soll das Vorweisen eines „sozialen Bezugspunkts“ und einer „Integrationsperspektive“ als Begründung für das Bleiberecht ausreichen. Sicherlich würde das eine weniger repressive Praxis darstellen als der staatliche Rassismus der Großen Koalition. Aber wie alle Vorschläge eines Einwanderungsgesetzes kommen auch diese nicht um Einschränkungen für die Migration bis hin zu staatlichen Sanktionsmaßnahmen, also Abschiebungen für Menschen, die es nach einem Jahr nicht geschafft haben, einen „Bezugspunkt“ zu finden, herum.

Einwanderungsgesetze haben – dies wird hier wieder einmal deutlich – immer einen grundsätzlich rassistischen Charakter, was immer bestimmte Kategorien zur Selektion beinhaltet, zu deren Umsetzung der bürgerliche Staat legitimiert wird. Eine sozialistische antirassistische Politik sieht eine Forderung nach offenen Grenzen vor allem nach dem Ende der „Festung Europa“ immer als Teil einer weitergehenden revolutionären Politik.

Sozial-chauvinistischer Vorstoß

Ganz anders am rechten Flügel der Linkspartei. Dort wird vielmehr die Forderung nach offenen Grenzen angegriffen. So wird – entgegen jeder realen Entwicklung – munter behauptet, dass auch das „globale Kapital“ offene Grenzen fordere. Diese würden genutzt werden, um die Arbeitskräfte z. B. in der EU, aber natürlich auch weltweit gegeneinander auszuspielen und in Konkurrenz zu setzen. Dabei unterschlagen die „KritikerInnen“ an den offenen Grenzen immer, dass es nirgendwo „offene Grenzen“ gibt, dass jede Einwanderungspolitik des „globalen Kapitals“ immer eine staatlich regulierte sein muss, die sich nach der erwarteten Nützlichkeit und den Bedürfnissen der Kapitalverwertung richtet.

Historisch gesehen hat die marxistische und revolutionäre ArbeiterInnenbewegung genau deswegen alle Einreisebeschränkungen bekämpft, um so zu verhindern, dass MigrantInnen gegen „einheimische“ ArbeiterInnen ausgespielt werden. Sie hat das auch getan, weil die nationalen Grenzen selbst schon die Lohnabhängigen spalten und ihrer Einheit entgegenstehen. Der Klassenkampf ist international, heißt es schon im „Kommunistischen Manifest“. Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll, so bedeutet er auch, dass die ArbeiterInnenklasse als eine internationale Klasse, nicht bloß als eine Summe nationaler Gruppen von Lohnabhängigen zu begreifen ist.

Ganz anders nicht nur bei Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, zwei traurigen Gestalten, denen der Sozialchauvinismus des sozialdemokratischen Reformismus und des Stalinismus offenbar zur zweiten Natur geworden ist.

Einige VertreterInnen der SL (Sozialistische Linke) wie MdB Fabio De Masi und Parteivorstandsmitglied Ralf Krämer versuchen, dieser Politik in einem Thesenpapier höhere „strategische“ Weihen zu verleihen und bringen dabei solche Aussagen zustande:

„Keine linke Einwanderungspolitik sollte eine Destabilisierung der Gesellschaft und eine Schwächung der Kampfbedingungen der ArbeiterInnenklasse durch Migration billigend in Kauf nehmen, geschweige denn mutwillig herbeiführen.

Migrationsprozesse sollen die größtmöglichen positiven und geringsten negativen Effekte für alle Beteiligten haben, das Wohl der Menschen in den Herkunftsstaaten, den Zielstaaten und der MigrantInnen ersichtlich befördern und nicht unterminieren. Eine linke Migrationspolitik muss darauf gerichtet sein, mit diesem Spannungsverhältnis produktiv umzugehen.“ (Thesenpapier zu einer human und sozial regulierenden linken Einwanderungspolitik unter Punkt 7)

Hier „lernen“ wir Erstaunliches, die nationalstaatlich begründete „Wagenknecht-Position“ wird ausformuliert. Anscheinend werden die Kampfbedingungen der Klasse dadurch bestimmt, wie viele der Klasse angehören und inwieweit sie unterschiedliche Sprachen sprechen, welche Politik die Klasse gegen das Kapital vertritt, scheint weniger wichtig zu sein. Diese Kampfbedingungen der Klasse hängen nämlich, besonders im Jahr des 200. Geburtstages von Karl Marx, von der Politik ab, die in die Klasse getragen wird. Das allein entscheidet darüber, wie „stark“ oder „schwach“ die Klasse kämpfen kann oder eben nicht. De Masi gehört auch den „Linken“ in der Linkspartei an, die meinten, einen „Brexit“ mit unterstützen zu müssen. Auch bei der EU war ihm der nationale Rahmen wichtiger als der gemeinsame Kampf gegen die kapitalistische EU auf europäischer Ebene.

Hier wird der Arbeitsmigration gleichzeitig viel Abstruses unterstellt. Für wen ist die „Einwanderung“ destabilisierend oder noch schlimmer, wer könnte denn so was „mutwillig herbeiführen? Hier sehen wir das Bewusstsein derjenigen, die am ehesten einer „linken Sammlungsbewegung“ folgen dürften, wenn es denn mittelfristig zum Bruch kommt. Schon 2015/16 hatte Lafontaine (für viele der „Stratege“ im Hintergrund dieses Flügels) dem US- Imperialismus böse Absichten im Nahen und Mittleren Osten unterstellt, aber nicht hauptsächlich gegen die dortigen Völker, sondern gegen die arme EU, welche dann die Geflüchteten aufnehmen müsste – inwieweit Russland auch diese Absichten hegt, wurde nie klar. Das ist aber mit „mutwillig“ gemeint.

Dass Migrationsprozesse die „größtmöglichen positiven Effekte“ haben sollen, ist ein wohlfeiler Wunsch, vor allem wenn anscheinend ausgeblendet wird, warum sich Menschen überhaupt zur Flucht aufmachen. Gleichzeitig wird aber mit unterstellt, dass diese nicht das „Wohl der Menschen“ in den „Zielländern“ unterminieren sollen. Das ist Sozialchauvinismus in reinster Form. Nach der Methode hätten auch die ostdeutschen ArbeitsmigrantInnen Anfang der 1990er Jahre nicht nach Westdeutschland gehen dürfen. Zum einen drohte ihnen nicht der Verlust ihrer Unversehrtheit im Osten, zum anderen wollten sie ja „nur“ ein höheres Einkommen erzielen. Solche Beweggründe sind nicht beliebt bei den Thesenschreibern:

„Unbegrenzte Schutzgewährung für Menschen in Not ist etwas anderes als eine unbegrenzte Einwanderung, die auch all diejenigen einschließen würde, die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen.

Im anderen Fall ist die Migration ein sozio-ökonomisch motivierter Akt, der weder alternativlos ist, noch den letzten Strohhalm darstellt, sondern bei dem eine Wahl unter verschiedenen möglichen Optionen getroffen wird. Hier haben die Aufnahmeländer ein Recht zur Regulierung der Migration.“ (Thesenpapier unter Punkt 2)

Hier wird unklar, ob wir in der gleichen Realität leben wie die Thesenschreiberlein. Nach unserer Ansicht wurde Deutschland 2015 eben nicht von einer Million SoftwareentwicklerInnen überrannt, die seitdem das WLAN lahmlegen, sondern diese Geflüchteten hatten existenzielle Nöte wie Bürgerkrieg, Hunger, Armut als Fluchtgründe. Gerade sog. „Arbeiterversteher“ unter den Autoren wie R. Krämer unterstellen hier Millionen Armutsflüchtlingen, dass sie sich ja etwas aussuchen könnten, dass sie „Optionen“ hätten.

Für Millionen weltweit, die selbst ihre Arbeitskraft aufgrund der kapitalistischen Verhältnisse nicht reproduzieren können, ist dies eine politische Kampfansage, die nicht weit von dem rassistischen Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ entfernt ist.

Hier wird bewusst die sog. „Arbeitsmigration“ den Asylsuchenden gegenübergestellt. Genauso pervers werden oftmals die Entscheidungen des BAMF auch getroffen. Ist jemand in Not, der keine Arbeit findet, der/die aufgrund von politischen, religiösen Gründen sozial diskriminiert wird und die Flucht nach Europa als letztes Mittel sieht, nur um dann dort oftmals in illegaler und ungesicherter Beschäftigung von Abschiebung bedroht zu sein – ist das jetzt Asylsuche oder „freiwillige“ Arbeitsmigration? Es ist zu befürchten, dass R. Krämer die Antwort kennt.

„In der UN-Menschenrechtscharta ist zwar ein universales Auswanderungsrecht verankert, jedoch kein entsprechendes universales Einwanderungsrecht. Ein Recht auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit gibt es also de facto nicht und wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Asylrecht und Einwanderungs,recht‘ prinzipiell gleichzusetzen, ist also sachlich, normativ und handlungstheoretisch unbegründet. In letzter Konsequenz würde damit das Asylrecht in seiner politischen und moralischen Geltungskraft geschwächt und durch ein Gesetz zur unbegrenzten Einwanderung entwertet und überflüssig gemacht.“ (Thesenpapier)

Es wird so getan, als ob das Asylrecht verteidigt wird, während man auf das Niveau bürgerlicher Phantasien zurückfällt. Nach diesen Ausführungen brauchen wir eigentlich keine Kämpfe um das Recht auf Bewegungsfreiheit einschließlich der Arbeitsmigration mehr zu führen, da ja schwer absehbar ist, wann dieser Kapitalismus endet. Zum anderen wird auf übelste Weise eine ungebremste Arbeitsmigration für eine de facto Aufhebung des Asylrechts verantwortlich gemacht. Bis dahin genügen Menschenrechtscharta, das Völkerrecht gegen Krieg und die sozialen Absichten des Grundgesetzes völlig – hier wird pure Sozialdemokratie geboten.

Es wäre auch mal wichtig zu klären, ob sozialistische Politik bei dem stehenbleiben soll, was so in „absehbarer“ Zeit umsetzbar ist. Dann können wahrscheinlich auch andere Ziele wie 100.000 neue Pflegekräfte, eine Mindestrente von 1050 Euro oder das Ende der Rüstungsexporte verworfen werden, zumindest wenn man das so angeht, wie die AutorInnen hier sich mit Migration und Flucht beschäftigen.

Sie bleiben brav in den bürgerlichen Kategorien der Einwanderung und der nationalstaatlichen Schutzsphäre. Mit dieser Einstellung sind auch Landesregierungen mit der CDU in Ostdeutschland denkbar. Interessant ist noch, dass einige von denen, die zuvor als „Linke“ in der Partei bekannt waren wie De Masi oder auch Sevim Dagdelen, diese Positionen unterstützen und somit in dieser Frage real rechts vom Vorstand stehen.

In manchen „Online-Diskussionen“ kommt die ganze „Tragik“ dieser Partei, der Basis und sicherlich vielen „ehrlichen“ SozialistInnen zum Ausdruck. Die Wagenknecht-„Fans“ sehen sich als „Linke“ in der Partei ähnlich wie früher die Frontfrau selber. Sie trauen Kipping und speziell den Landesregierungen nicht über den Weg. Diese tun ja nichts für die Hartzis und nichts gegen die existierende Armut in Deutschland, was leider auch stimmt. Bedauerlicherweise kommt dann häufig der Umkehrschluss, dass der Vorstand bzw. seine klare Mehrheit nur deswegen für z. B. offene Grenzen sind, um halt nichts für die armen Deutschen zu tun, und deswegen wird dann jeder neuen populistischen und sozialdemokratischen Fährte von Wagenknecht & Co. gefolgt.

Chauvinismus und Illusion

Es wird die Illusion verbreitet, dass der Nationalstaat den „Sozialstaat“ verteidigen könnte so ähnlich, wie gewisse Kapitalfraktionen „ihren“ Markt vor Konkurrenz schützen wollen. Dabei wird dann anscheinend ignoriert, dass z. B. Hartz IV wie die gesamte Agenda 2010 im nationalen Rahmen eingeführt wurden, um diese dann während der Austeritätspolitik auf ganz Europa auszudehnen. Unser Klassenkampf muss stets dem „Niveau“ der Gegenseite angemessen sein, Rückschritte helfen uns gar nichts. Revolutionärer Internationalismus, wie ihn schon Marx, Engels, Lenin, Liebknecht und Trotzki zur Migrationsfrage äußerten, ist hochaktuell wie die sozialdemokratische Illusion in den Nationalstaat leider auch. Die Gründung der I. Internationale (IAA) war u. a. geradezu eine mustergültige proletarisch-internationalistische Antwort auf die damalige Arbeitsmigration v. a. nach Großbritannien (gewerkschaftliche Organisierung der ArbeitsmigrantInnen statt Abschottung durch den britischen bürgerlichen Nationalstaat; siehe auch die Einlassungen zur irischen Frage wie die Agitation unter ausländischen Bauarbeitern auf der Londoner Weltausstellung!). Die Politik von IAA und obiger „Linker“ trennt fürwahr ein Klassengraben – er fließt zwischen zwischen proletarischem Internationalismus und national-liberaler bürgerlicher „ArbeiterInnen“politik, zwischen Karl Marx und Gustav Noske!

Für die antikapitalistische Linke in der Partei wird es wichtig werden, nicht allein als „Anhängsel“ des Vorstandes gegen diese Positionen zu kämpfen. So gut Stellungnahmen wie die von GewerkschafterInnen mit marx 21 zusammen auch sein mögen (https://www.marx21.de/klassenpolitik-gewerkschafter-gegen-obergrenzen/), so wenig prägen diese die aktuelle Praxis der Partei, auch der AktivistInnen in den Gewerkschaften.

Wenn also die Abstimmungen gegen Wagenknecht & Co. in Leipzig gewonnen werden, was derzeit gesichert zu sein scheint, so muss für die antikapitalistische, sozialistische Linke der Kampf danach weitergehen. Wagenknecht mag sozialchauvinistisch argumentieren, aber die Landesregierungen in Berlin, Brandenburg und Thüringen sind der tägliche Beweis für eine sozialdemokratische Praxis mit Abschiebungen, Duldung und Repressionen.

Wenn die antikapitalistische Linke sich danach an den Vorstand kettet, leistet sie gleichzeitig auch der Regierungspolitik der Linkspartei in o. a. Bundesländern Vorschub. So geht kein Bruch mit sozialdemokratischer Politik, so lässt man sich davon vereinnahmen, als „linkes“ aktives Fähnchen für einen durch und durch auf R2G getrimmten Vorstand unter Kipping und Riexinger Schützenhilfe zu leisten, der diese Politik deckt. Diese erfolgt auf der gleichen Seite des oben erwähnten Grabens, auf der auch die De Masis, Dagdelens, Krämers und Wagenknechts stehen.




Skandal beim BAMF? BAMF – rassistischer Erfüllungsgehilfe deutscher Staatsmacht!

Paul Neumann, Infomail 1005, 28. Mai 2018

Am 14. Januar 2018 meldete www.sueddeutsche.de: „Gerichte kassieren fast die Hälfte der abgelehnten Asylbescheide“. Über 44 % der Asylentscheidungen des „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das sind die Bescheide einiger hunderttausend Geflüchteter, sind rechtswidrig und halten einer Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte nicht stand. Da deutsche Verwaltungsgerichte nicht als subversive, staatsfeindliche Vereinigungen bekannt sind, belegt die Entscheidungspraxis des BAMF nicht „Willkür“ bei seinen Entscheidungen, sondern gewollten Rechtsbruch des sowieso schon reaktionären ausländerfeindlichen deutschen Ausländerrechts und der Rechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention, mit dem Ziel, allein die Anzahl der Abschiebungen zu erhöhen. Dieser Rechtsbruch ist aber für die deutsche Politik und ihre Qualitätsmedien keineswegs ein Skandal. Er ist allenfalls eine Tagesmeldung wert und morgen vergessen.

Bremen

Ganz anders einige Wochen später in Bremen. Dort sollen angeblich ca. 1.200 AsylbewerberInnen zu Unrecht Asyl erhalten haben. Das ist nach einvernehmlichem Geheule der Öffentlichkeit in Politik und den einschlägigen Medien auf jeden Fall ein Skandal. Dabei steht noch nicht einmal fest, was eigentlich passiert ist. Es ist jetzt von „rechtswidrigen Praktiken bei der Asylentscheidungen“ die Rede. Asylanträge jesidischer Geflüchteter, die ohnehin in der Regel Schutz erhalten und sogar als Kontingent (ohne individuelle Prüfung) in Deutschland aufgenommen wurden, sollen ohne persönliche Prüfung „durchgewunken“ worden sein. Welch absurder Vorwurf! Von „bandenmäßiger Verleitung zur missbräuchlichen Antragstellung“ ist außerdem die Rede, ebenso von „korrupten Anwälten“, die 1000 Euro (Bestechungsgeld!?) von den Flüchtlingen verlangt haben sollen, so als ob Flüchtlingsanwälte die Caritas sind und kein Honorar verlangen dürften. Soll hier ein „Beweis“ konstruiert werden, für die von CSU-Dobrindt im Fall der LEA Ellwangen Anfang Mai erhobenen Denunziation einer imaginierten „Anti-Abschiebungsindustrie“ aus Rechtsanwälten und ihren Gehilfen? Was den Beteiligten konkret vorgeworfen wird, bleibt im Dunklen und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Allein damit soll in einer rassistisch aufgeladen bürgerlichen Öffentlichkeit den Vorwürfen Glaubwürdigkeit verleihen werden.

Das Verbrechen der BAMF-Außenstelle Bremen scheint darin zu bestehen, nach dem internen BAMF-Ranking überdurchschnittlich viel positive Bescheide erteilt zu haben. In Anbetracht von 44 % rechtswidriger Bescheide in BAMF-Durchschnitt, wären angenommene 30 % in Bremen schon eine auffällige statistische Abweichung. Und eine in die falsche Richtung. Das sind gute Gründe für unsere rassistischen Heimatfreunde in der Bundesregierung, die Überprüfung aller positiven Asylbescheide einzufordern und von kriminellen Machenschaften zu sprechen. So wurde die Leiterin der BAMF-Außenstelle Bremen vom Dienst suspendiert und deren kommissarische Nachfolgerin, nach einem von ihre erstellten und veröffentlichten „internen“ Untersuchungsbericht, gleich wieder nach Bayern versetzt. Seltsam nur, dass dieser veröffentlichte „interne“ Untersuchungsbericht den Stein erst im Interesse von Heimatministers Seehofers in Rollen brachte. So wird Handlungsbedarf geschaffen.

Die Probleme des BAMF in der „Qualität“ von Entscheidungen sind schon seit 2014 jedem bekannt, der es wissen wollte und haben die PolitikerInnen von CDU/CSU, SPD, AfD, FDP, Grünen und auch Teile der Linken weiter nicht gestört, solange nur die Ablehnungsquote stimmte. Es war die Große Koalition von CDU/CSU und SPD, die im Einvernehmen aller bürgerlichen Parteien, ab 2015 das BAMF mit 8.000 schnell angeworbenen und schlecht geschulten EntscheiderInnen bestückte, die bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017 das „Flüchtlingsproblem“ erledigen sollten. Die Optimierung von Verwaltungsabläufen, sprich Tempo bei den Entscheidungen, standen im Vordergrund. Von der Sicherstellung eines Grundrechtes, durch adäquate Gestaltung des Asylverfahrens, war keine Rede, weil kein Interesse daran bestand.

Schon die Untersuchungen nach dem Fall „Franco A.“ – ein militanter rechtsradikaler Bundeswehrleutnant, der sich „unbemerkt“ als Asylsuchender registrieren ließ, beim Bund Waffen und Sprengstoff „besorgte“ und Attentate auf Flüchtlingsunterkünfte plante – befassten sich ausschließlich mit den positiven Bescheiden und strukturellen Qualitätsmängel der Asylanhörung und –entscheidung. Auch im Fall der Entführung eines vietnamesischen Exilpolitikers in Berlin im Juli 2017, machte das BAMF keine gute Figur. Die mutmaßlichen EntführerInnen hatten offenbar einen „politischen Fan“ (Der Spiegel) in der Behörde: Einen langjährigen Sachbearbeiter des BAMF.

Interessen

Das BAMF ist keine unabhängige, nur dem „Recht“ verpflichtete Behörde, es untersteht dem Bundesinnenministerium/Heimatministerium und ist damit ein politisches Instrument des jeweiligen Innenministers und seiner Partei. So willkürlich die Ablehnungsbescheide, bei 44 % erfolgreicher Klagen vor den Verwaltungsgerichten beschieden wurden, so willkürlich werden auch die Entscheidungen der meisten positiven Bewilligungsbescheide sein. Nach „Recht und Gesetz“ wurden jedenfalls die wenigsten Entscheidungen der überforderten BAMF-Mitarbeiter getroffen.

Diesen staatlich geleiteten Opportunismus haben angeblich viele der schlecht eingearbeiteten Mitarbeiter beim BAMF nicht hinreichend verinnerlicht. Sie gelten als zu „großzügig“. Als nächsten Schritt will Heimatminister Seehofer 10 weitere Außenstellen, die – das kann ja nicht mit rechten Dingen zugegangen sein – überdurchschnittliche viele Anerkennungsbescheide verschickt haben, überprüfen lassen (BamS, 25.05. 2018). Ein Ministererlass untersagt der Bremer Außenstelle bis auf weiteres einen Bescheid zu erlassen.

Das ist der Stoff, aus dem der „Skandal“ sein Futter bezieht. Der Heimatminister hat ein vitales Interesse, den „Skandal“ bis zur Landtagswahl in Bayern im Herbst 2018 am Köcheln zu halten und die Öffentlichkeit ist sein opportunes Sprachrohr.

Für wahr, eine Lehrstück freiheitlich demokratischer Meinungsbildung. Von „Lügenpresse“ spricht bei rassistischer Hetze niemand. Von dieser ist nur die Rede, wenn bei durch Ausländer begangenen Straftaten nicht ausdrücklich die Nationalität des Täters genannt wird. Bei sexuellen Übergriffen besoffener bayrischer Lederhosendeppen auf dem Oktoberfest (siehe Süddeusche.de vom 22.09.2016, „Und plötzlich ist da diese fremde Hand am Po“) übt sich der deutsche Michl in Zurückhaltung. Das hat Tradition, ist somit deutsches Brauchtum. Wir nennen das Rassismus.