„Handelskriege sind gut“ – Zur Gefahr eines globalen Handelskrieges

Markus Lehner, Neue Internationale 227, April 2018

Donald Trump mag in vielem wie ein Clown wirken. Diesmal könnten die von ihm unterzeichneten Dekrete zur Verhängung von Einfuhrzöllen auf Stahl und Aluminium und für Strafzölle gegen China historische Bedeutung annehmen..

Erste Runde der Tweets

Unmittelbar benutzt der US-Präsident ein Schlupfloch in der US-Handelspolitik, das ihm bei „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ erlaubt, am Kongress vorbei „Schutzzölle“ zu dekretieren. Allerdings sind die 25 % Einfuhrzölle auf Stahl und 10 % auf Aluminium nach den Regularien der Welthandelsorganisation WTO eher als Strafzölle zu verstehen.

Insofern machte der US-Präsident damit unmissverständlich klar, dass ihm die internationalen Handelsabkommen und ein eventuelles Strafverfahren bei der WTO im Zweifelsfall egal sind. Als die EU-Kommission darauf in vorhersehbarer Weise entlang eben dieser WTO-Regularien mit wertgleichen Gegenmaßnahmen drohte (25 % Zölle auf Whisky, Erdnussbutter, Jeans etc. im Einfuhrwert von 2,8 Milliarden Euro), reagierte Trump mit der Drohung, dann auch Einfuhrzölle auf Autos in ebensolcher Weise zu erhöhen. Mit Verweis auf das 800 Milliarden Handelsbilanzdefizit der USA erklärte Trump über Twitter, dass unter solchen Voraussetzungen „Handelskriege gut und leicht zu gewinnen“ seien.

Aufregung der Weltpresse

Am deutlichsten und dramatischsten reagierte der Londoner „Economist“, seit seiner Gründung 1843 ein „Zentralorgan“ des Freihandels. Auf der Titelseite des Journals wurde Trump als Handgranate dargestellt, mit der Überschrift „Gefahr für den Welthandel“. Das Blatt titelte am 8. März „The rule based system is in danger“ (Das auf dem Recht basierende System ist in Gefahr), zog Parallelen zu den 1930er-Jahren, als die USA unter Präsident Hoover in den Protektionismus (Smoot-Hawley Tariff Act) verfielen und dabei die Weltwirtschaftskrise erst recht zu einer globale Depression verschärften.

Nach Ansicht nicht nur des Economist würden die Zölle zwar kurzfristig die US-Stahlindustrie stützen, dafür aber die Vorprodukte der Stahl verarbeitenden Unternehmen, die zu den weitaus produktiveren Bereichen der US-Ökonomie zählen, verteuern. Dies war auch die Erfahrung mit dem letzten Versuch unter Präsident Bush, Zölle um 2005 für den Stahlbereich einzuführen. Letztlich war damals der Druck der anderen Industrien größer und führte zur Wiederabschaffung. Auch diesmal haben die großen Wirtschaftsverbände, allen voran die mächtige US Chamber of Commerce gegen eine Ausdehnung der Zollpolitik durch den Präsidenten Stellung bezogen (Protesterklärung vom 18.3.). Ihr folgte auch ein großer Teil der Abgeordneten, selbst der Republikanischen Partei. Der Rücktritt des Chef-Wirtschaftsberaters des Weißen Hauses, Gary Cohn, signalisierte sicherlich ein Zerwürfnis mit der Freihandelsfraktion in der US-Bourgeoisie. Allerdings wurde mit Lawrence A. „Larry“ Kudlow (ehemals Chefökonom bei der Investmentbank Bear Sterns) sofort wieder ein anderer Republikaner aus dem Businessflügel zum Nachfolger ernannt, der die Zollerhöhungen noch kurz davor als „versteckte Steuererhöhungen“, die 5 Millionen Jobs kosten würden, kritisiert hatte. Dies könnte darauf hindeuten, dass es den USA letztlich nicht wirklich um einen Handelskrieg, sondern um eine Neuverhandlung der Welthandelsbedingungen geht, in die jetzt Trump seine ökonomischen Bulldoggen Lighthizer (Handelsbeauftragter) und Ross (Handelsminister) schickt.

Dabei sind natürlich die USA alles andere als die „Leidtragenden“ des bestehenden Handelssystems. Zolltarife spielen seit den 90er-Jahren eine immer geringere Rolle im internationalen Handel – sie gingen im Weltdurchschnitt von 13,1 % im Jahr 1995 auf heute 7,5 % zurück. Die USA erheben auf EU-Waren im Durchschnitt 3,2 % Zoll, die EU auf US-Waren im Gegenzug 3,9 %. Insgesamt bleibt der Zolleffekt für die Handelsbilanz bisher marginal. Entscheidend ist hier das Preis-, sprich das Produktivitätsproblem bestimmter Sektoren der US-Industrie.

Das Handelsbilanzdefizit der USA wird allerdings andererseits wettgemacht durch die Stärke des US-Technologie- und -Finanzkapitals. So kommt es erst zustande, dass trotz des enormen Handelsbilanzdefizits der Dollar nicht wesentlich abstürzt. Das wiederum führt zur Bestärkung der Exportschwäche der herstellenden Industrie in den USA. Darüber hinaus haben die US-Konzerne wesentliche Bereiche ihrer Herstellung entweder in die NAFTA-Staaten (Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko) oder nach China ausgelagert. So sind 40 % der Importe von Elektronik-Waren in die USA tatsächlich Produkte von US-chinesischen Joint-Ventures. Offensichtlich haben große Teile des US-Kapitals von dieser Art internationaler Arbeitsteilung stark profitiert.

Konkurrenz China

Allerdings hat sich vor allem nach den Erschütterungen im Gefolge der Finanzkrise und den ihr nachfolgenden großen Investitionsprogrammen an der Rolle Chinas einiges geändert. Inzwischen ist das Land in den Wertschöpfungsketten der internationalen Arbeitsteilung wesentlich nach oben geklettert. Nunmehr beschäftigt China selbst Billigproduktion im von ihm abhängigen Ausland und hat technisches Know-how für eigene Hochtechnologie-Branchen angesammelt. Seine Konzerne können heute denen anderer Großmächte längst auf allen Gebieten Konkurrenz machen. Insbesondere die USA, die über Hochtechnologiekompetenz und Finanzkapital weiterhin am oberen Ende der internationalen Wertschöpfungskette stehen, müssen sich derzeit durch China essentiell herausgefordert fühlen. Die Teile des US-Kapitals, die diese Befürchtungen teilen, sind wohl auch hinter Trumps Aktionen zu sehen.

Daher war auch die Ankündigung der Zolltarife auf Stahl und Aluminium durch Trump am 8. März nur das Vorbeben zur eigentlichen Show, die am 22. März im Oval Office stattfand: die Ankündigung von Strafzöllen gegen China in der Höhe von 60 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: das von den Zöllen bei Stahl betroffene Volumen des EU-Exportes betrug etwa 5 Milliarden. Interessanterweise verkündete Lighthizer am selben Tag im zuständigen Kongresskomitee, dass die EU vorerst zusammen mit den NAFTA-Staaten, Australien, Argentinien, Brasilien und Südkorea (Japan wurde irgendwie vergessen) von den Zöllen für Stahl und Aluminium vorläufig (bis Anfang Mai) ausgenommen würden.

Letztere Tatsache zeigt, dass sich hier im Rahmen des Handelskonflikts auch eine verstärkte Neuordnung der imperialistischen Weltordnung abspielt. Noch Anfang März forderten alle Freihandels-EnthusiastInnen auch innerhalb der EU bis hin zu den SozialdemokratInnen geschlossene Ablehnung und begannen Gespräche mit China und anderen Mächten für gemeinsame Gegenaktionen. Kanada war als erstes umgefallen, zu Kompromissen bei den NAFTA-Verhandlungen bereit, um dann auch als erstes von den Zöllen ausgenommen zu werden.

Die EU blieb zwar geschlossen und EU-Kommissarin Malmström wie auch Bundeswirtschaftsminister Altmaier bearbeiteten Lighthizer und Ross. Kurz vor der vorläufigen Einigung erklärte CDU-Politiker Jürgen Hardt (Koordinator für transatlantische Beziehungen im auswärtigen Amt): „Natürlich werden wir den Amerikanern auch sagen, dass wir gemeinsame Maßnahmen gegen unfaire Handelspraktiken aus China ergreifen könnten“ (FAZ, 17.3.). Im Interesse der EU sei es eher, eine Einigung mit den USA anzustreben, als sich auf die Seite Chinas zu stellen. Dies ist nun offenbar geschehen und die Liste der Länder mit Ausnahmen zeigt, wie isoliert China gegenüber dem viel massiveren Angriff vom 22. März dasteht. Das letzte Wort in Sachen Blockbildung ist damit aber sicher nicht gesprochen – die Ausnahmen gelten ja nur bis zum 1. Mai und die massiven US-Forderungen an die EU können auch jederzeit einen Frontenwechsel bewirken.

Tatsächlich sind die USA schon wegen der Größe ihrer Binnenökonomie wesentlich weniger vom Warenexport abhängig als alle anderen Konkurrenten. Der aktuelle Einschnitt in den Welthandel trifft daher alle Ökonomien heftiger, die stärker vom Export abhängig sind – also nicht nur China, sondern auch Deutschland. So erklärte der Hauptgeschäftsführer des DIHT (Industrie- und Handelskammertag) Wansleben: „Wir sind heute alle ein bisschen China“ (ntv, 23.3.).

Die Befürchtung, dass ein Handelskrieg zwischen USA und China insgesamt zu einem Einbruch im Welthandel und damit auch zu einem Problem für die deutschen Exporte geraten könnte, liegt auf der Hand. In den 1930er Jahren führte die gegenseitige Aufschaukelung im Zollkrieg zu einer Halbierung des Welthandels innerhalb von nur 3 Jahren. Auch heute entwerfen ÖkonomInnen des IWF bedrohliche Szenarien für das Abbrechen des 2017 gerade erst begonnenen Erholungszyklus der Weltwirtschaft. Schon werden um bis zu 1 % geringere Wachstumsraten als möglich gesehen beziehungsweise sogar wieder ein Weg in die Rezession. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass selbst in den USA die Ankündigung von Trump am 22.3. sofort zu einem Absturz des Börsenindex DOW um mehr als 700 Punkte führte.

Viel wird jetzt natürlich auf die Reaktion Chinas ankommen. Ohne Zweifel hat es ein Problem mit seinem überdimensionierten Stahlsektor, der die Welt mit Billigstahl überschwemmt. Da er aber ein wichtiger Sektor der politisch bedeutsamen Staatswirtschaft ist, hätten Kompromisse hier innenpolitisch schwerwiegende Folgen für die Staatsführung. Auch die Fragen von Patentrechten und angeblich illegalem Technologietransfer berühren Kernelemente des neuen Wirtschaftsplans. Die chinesische Staatsführung wird auch in Fragen der Öffnung der Märkte (direkte Kapitalkontrolle bei Investitionen) kaum zu Zugeständnissen bereit sein.

Die ersten Erklärungen aus China zu Trumps Maßnahmen klangen denn auch sehr patriotisch und fast wie Mobilisierung für einen Krieg. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass China tatsächlich zu Gegenmaßnahmen greift. So könnten z. B. Zölle auf Import von Soja aus den USA erhoben werden (12 Milliarden), was speziell Trumps Wählerschaft in Soja produzierenden Bundesstaaten extrem treffen würde. Da müsste allerdings auch Brasilien als Ersatzlieferant für Soja nach China mitspielen. Auch könnte China den Export von seltenen Erden in die USA unterbinden, was die Hightech-Industrie dort schwer treffen würde. Schließlich wird China mit schwindendem Marktzugang in den USA aggressiver in andere Märkte, so auch in die EU, drängen. Dies ist schon jetzt absehbar im Stahlsektor –was die europäische Stahlindustrie weitaus heftiger treffen könnte als die US-Zölle. Alles in allem sind die Aussichten auf eine Periode turbulenter Handelskonflikte und Einbrüche in der Weltwirtschaft stark gewachsen.

Ein Blick in die Geschichte

Der Kapitalismus kennt unterschiedliche Welthandelsordnungen. So war es die britische Bourgeoisie, die seit den 1840er Jahren weltweit ein Freihandelsregime unter Dominanz der britischen Industrie durchsetzte. Dabei durchzog sie z. B. Europa mit einer Reihe von Handelsabkommen (am einschneidendsten 1860 mit Frankreich), die die Zölle wesentlich nach unten anglichen. Schließlich wurde mit dem Goldstandard 1879 ein Mechanismus gefunden, der den Regierungen „automatisch“ eine Anpassung an die Handelsströme aufzwang (Handelsbilanzdefizite führten durch Goldabfluss automatisch zu Währungsabwertung). In der vorimperialistischen Epoche war es jedoch auch in diesem Rahmen noch möglich, dass einzelne protektionistische Inseln errichtet werden konnten. Aufstrebende Konkurrenten für das britische Kapital in Deutschland, USA und Japan konnten bestimmte Bereiche ihrer Industrien und Landwirtschaft durch Schutzzölle hochpäppeln, verblieben jedoch im Rahmen eines von Großbritannien garantierten Weltfreihandels.

Der imperialistische Widerspruch eklatierte schließlich im Ersten Weltkrieg, mit dem auch für einige Jahre Weltfreihandel und Goldstandard zusammenbrachen. Die verzweifelten Versuche Britanniens, 1925 den Goldstandard wiedereinzuführen, kontrastierten damit, dass es schon längst nicht mehr in der Lage war, den Welthandel zu ordnen. Mit der Wirtschaftskrise brachen dann in den 1930er Jahren Goldstandard wie Welthandelssystem zusammen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit dem System von Bretton-Woods ein sehr viel weniger offenes System errichtet. Nur der Dollar als Leitwährung hatte noch Goldbindung. Das Zollniveau war weitaus höher als in der britischen Periode und das System lebte insgesamt von der Dominanz der US-Kapitalexporte. Der enge Rahmen und die eindeutige Hegemonie einer imperialistischen Macht ermöglichten jedoch die kapitalistische Boomperiode der Nachkriegszeit bis zum Zusammenbruch von Bretton-Woods Anfang der 1970er Jahre.

Nach den Krisen der 1970er-/80er Jahre, in denen verschiedene Regime (frei floatende Währungen, Wechselkursfixierungen, Handelsbeschränkungen versus -liberalisierungen) sich abwechselten und neue Konkurrenz zum US-Kapital auftauchte, gelang es erst in den 1990er Jahren wieder, ein neues System des Welthandels zu errichten. Das Währungssystem wird nunmehr endgültig von „den Märkten“ (vor allem für Devisen, Derivate, Staatsanleihen) dominiert und die Deregulation der internen Märkte erlaubt privaten Kapitalexport in zuvor nicht gekanntem Ausmaß. Die Produktionsketten der großen Kapitale sind heute auch in der Tiefe international, wodurch ein beträchtlicher Teil des Welthandels aus Handel mit Zwischenprodukten besteht. Zentral für die relative und vorübergehende Stabilisierung der Globalisierungsperiode war jedoch auch der Aufstieg Chinas zur billigen Weltfabrik, kombiniert mit seiner Ausnahme vom gegenwärtigen Währungssystem, d. h. einer künstlich niedrig gehaltenen chinesischen Währung. Dollarankäufe durch die chinesische Zentralbank, billige China-Ware und eine durch die US-Vermögen gedeckte Schuldenökonomie zur Finanzierung des US-Imports waren die Motoren des Globalisierungsaufschwungs.

Krise 2008

Durch die Wirtschaftskrise nach 2008 wurde dieses Wachstumsmodell offensichtlich erschüttert, konnte aber durch die Politik des billigen Geldes (Quantitative Easing) und durch große staatliche Investitionsprogramme vor allem in China zumindest eine Zeitlang weiter betrieben werden – allerdings vor dem Hintergrund einer stagnativen Grundtendenz der Weltwirtschaft. Insgesamt hat dies aber zu einer wesentlichen Stärkung Chinas geführt und langfristig wird es sicherlich eine andere Rolle anstreben, als ihm in der Globalisierungsperiode zufiel. Offensichtlich stehen wir wieder einmal vor einer Neuordnungsauseinandersetzung der kapitalistischen Mächte. Dies wird nicht mit ein paar Auseinandersetzungen um Zölle beendet werden. Es sind vielmehr ähnlich turbulente Zeiten wie etwa in den 1970er/80er Jahren zu erwarten. Auch damals gab es immer wieder scheinbare Stabilisierungen in der Rückkehr zu alten Regeln, z. B. die Plaza-Louvre-Abkommen zur Fixierung der Wechselkurse. Je nach Heftigkeit der Auseinandersetzungen sind jedoch auch schwerwiegendere Einbrüche wie Anfang der 1930er Jahre möglich. Selbst wenn es in den USA zu einem Regierungswechsel oder bei den nächsten Kongresswahlen zu einem Mehrheitswechsel kommt, so wird der Gegensatz zu China nicht verschwinden und die Maßnahmen jeder US-Regierung werden in nächster Zeit weiterhin die Weltmarktordnung erschüttern.

Auch wenn die USA bzw. ihr Präsident den aktuellen Konfrontationskurs mit den großen Handelspartnern und gleichzeitigen Rivalen vor allem als Mittel betrachten, die eigene Position auf dem Weltmarkt zu verbessern und die KonkurrentInnen zu Zugeständnissen zu zwingen, so kann aus dem Wetterleuchten am Firmament der Weltwirtschaft leicht ein Orkan werden. Ein Handelskrieg mag zwar nicht gewünscht sein, die Konfrontation hat jedoch ihre eigene Logik, die zu einer Verschärfung der Lage führen kann und in den kommenden Jahren auch führen muss.

Und die ArbeiterInnenklasse

In dieser Situation ist es umso wichtiger, dass sich die ArbeiterInnenklasse nicht vor den Karren der „eigenen“ herrschenden Klasse spannen lässt. Die Versprechungen Trumps an die Lohnabhängigen in der US-Stahlindustrie werden sich in jedem Fall als heiße Luft entpuppen. Allenfalls können sie vorübergehend auf Jobs hoffen – allerdings zu weitaus schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren Löhnen. Insgesamt werden alle Regierungen versuchen, die Kosten eines Handelskriegs auf die Lohnabhängigen in Form höherer Preise abzuwälzen – sei es durch verteuerte Importe oder, indem der Kauf teuerer heimischer Produkte als patriotische Pflicht dargestellt wird.

Jede Unterstützung einer solchen Politik kann nur zur nationalistischen Spaltung der Lohnabhängigen verschiedener Länder führen. Daher muss jede Mitwirkung der Gewerkschaften, der sozialdemokratischen oder linker Parteien an einer Schutzzollpolitik scharf verurteilt werden – ebenso wie umgekehrt die Lebenslügen des kapitalistischen Freihandels und seine leeren Versprechungen denunziert werden müssen.

Jeder nationale Schulterschluss hinter den Handelspraktiken der „eigenen Regierung“, jeder Akt der „Vergeltung“ mit eigenen Schutzzöllen muss entschieden zurückgewiesen werden. Handelskriege sind letztlich keine rein ökonomischen Angelegenheiten, dienen nicht nur der Verteidigung oder Eroberung von Positionen auf dem Weltmarkt, sondern auch in der imperialistischen Weltordnung. Sie sind Teil eines Kampfes um die Neuaufteilung der Welt, der sich heute zwischen den alten und neuen Großmächten entwickelt. Nur wenn die ArbeiterInnenklasse in ihrer „eigenen“ imperialistischen Bourgeoisie und nicht im „Handelsrivalen“ den Hauptfeind erkennt, wenn sie den Klassenkampf nicht im „nationalen“ Interesse zurückstellt, kann eine Zuspitzung der wachsenden Konkurrenz, ein Welthandelskrieg und dessen politische Folgewirkungen verhindert werden – durch den internationalen Klassenkampf, durch die sozialistische Weltrevolution.




Helios Amper-Klinikum Dachau – Auseinandersetzung um einen Entlastungstarifvertrag

Helga Müller, Neue Internationale 227, April 2018

Seit Monaten versuchen die Beschäftigten des Klinikums, einen Entlastungstarifvertrag gegen das Unternehmen durchzusetzen. In Februar berichteten wir von den Solidaritätsaktion der „Bürger*innen-Initiative Bessere Pflege Amper“. Zugleich spitzte sich der Konflikt zwischen ver.di einerseits und der Belegschaft und der unabhängigen Betriebsgruppe (UBG) andererseits um die Durchsetzung der Forderung zu.

Vorgeschichte

Hintergrund ist die einseitige Absage des vom Arbeitsgericht im November ausgesetzten dreitägigen Durchsetzungsstreiks, für den sich 97 % (!) der organisierten KollegInnen ausgesprochen hatten, durch ver.di und das wochenlange Stillschweigeabkommen zwischen der Gewerkschaft und der Helioskonzernleitung, zu der die Amperkliniken gehören. Nach der Geheimhaltungsfrist verkündete ver.di auf einer Betriebsversammlung Mitte Dezember den „historischen Erfolg“, dass der Helioskonzern den TVöD Krankenhaus (TVöD-K) übernehmen würde durch Beitritt zum kommunalen Arbeit„geber“verband (KAV). Zur Hauptforderung der KollegInnen – Entlastung und mehr Personal – steht in diesem Tarifvertrag jedoch so gut wie nichts. Entsprechend groß war die Empörung und Enttäuschung. Es dauerte dann noch ca. 2 Monate, bis ver.di damit rausrückte, dass der Durchsetzungsstreik ihrer Meinung nach obsolet sei, da der KAV seinen Mitgliedern Verhandlungen über einen Entlastungstarifvertrag verboten hat. Doch bis heute ist unklar, ob der Helioskonzern dem KAV beigetreten ist!

Vor allem die einseitige Absage des Durchsetzungsstreiks ohne Diskussion mit den ver.di-Mitgliedern, geschweige denn mit der Belegschaft, hat zu einer weiteren Eskalation geführt. Auch die Aussage von ver.di, dass jetzt der Betriebsrat (BR) für eine Betriebsvereinbarung (BV) Entlastung sorgen soll, der zu keinen Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen kann, hat dazu beigetragen. Zu Recht haben vor allem die Mitglieder der UBG, aber auch Teamdelegierte das intransparente und undemokratische Vorgehen von ver.di immer wieder scharf kritisiert.

Die UBG verbreitete ein Flugblatt, in dem sie ihre Kritik an ver.di zusammenfasste, und initiierte eine Unterschriftensammlung, die 100 KollegInnen unterstützten. Darin wurde ver.di darauf hingewiesen, dass eine Entlastung dringend notwendig sei und sie mit der Absage des Durchsetzungsstreiks das Votum der Beschäftigten missachtet hätte. Daraufhin war die Entrüstung bei den ver.di-Verantwortlichen groß: In einem Schreiben vom 6. März diffamiert Landesfachbereichsleiter Hinke dies als einen „nicht hilfreichen Profilierungsversuch verschiedener Akteure“. Weiter heißt es, „der TVöD-K würde verschiedenen Berufsgruppen mehr Geld bringen“ und die Forderung nach einem Entlastungstarifvertrag würde nur dazu führen, „dass der KAV die Beitrittsgespräche beenden würde und HELIOS einen Vorwand dafür hätte, das TVöD-Projekt fallen zu lassen.“

So verdeckt ver.di ihren Kniefall vor der Konzernleitung. Damit versucht sie, ihre konsequentesten KritikerInnen ins Abseits zu stellen, diese könnten ja ihren faulen Kompromiss mit der Konzernleitung tatsächlich noch in Frage stellen! Es ist kein Zufall, dass diese Erklärung 10 Tage vor den Betriebsratswahlen erschien, an der sich auch drei KollegInnen aus der UBG mit einer Liste beteiligten. Ver.di musste ernsthaft befürchten, dass sie im BR Konkurrenz bekommt und damit ihre Geheimverhandlungstaktik durchkreuzt wird. Kein Wort, dass seit nunmehr drei (!) Monaten von Seiten ver.dis und des BR nichts mehr in puncto Überleitung zum TVöD-K, geschweige denn in puncto Entlastung passiert ist – trotz vollmundiger Ankündigungen. So kann man erfolgreich eine aktive und kampfbereite Belegschaft demoralisieren. Ver.di hat bei den BR-Wahlen die entsprechende Quittung erhalten: Bei einer schlechten Wahlbeteiligung kam ihre Liste auf Platz 4 und war damit an drittletzter Stelle, die Liste der UBG schaffte es auf Platz 2.

Wie weiter im Kampf um Entlastung?

Viele KollegInnen wollen aus Enttäuschung aus der Gewerkschaft austreten. Das ist verständlich, hilft aber nicht, das ständige Zurückweichen des Gewerkschaftsapparates wirksam zu bekämpfen noch die Kampffähigkeit zu erhalten. Dafür müssen sich die KollegInnen sowohl weiter in ver.di als auch unabhängig organisieren mit folgendem Ziel: Die ver.di-Haustarifkommission und der BR müssen alle Forderungen insbesondere bzgl. einer Betriebsversammlung (BV) zur Entlastung, alle Verhandlungsschritte dazu, alle Abmachungen, alle Unterlagen und Gespräche mit der Konzernleitung offenlegen und auf Betriebsversammlungen zur Diskussion und Abstimmung stellen.

Die KollegInnen aus der UBG müssen sich im BR dafür einsetzen, dass dieser seine gesetzlichen Möglichkeiten nutzt wie z. B. die konsequente Ablehnung von Dienstplänen, die nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, mit dem Ziel, eine BV durchzusetzen, die konkret festschreibt wie viel examiniertes Pflegepersonal pro Schicht und Station zur Verfügung stehen muss – wie z. B. an der Helios Ostseeklinik Damp. Auch Aktionen, die die Belegschaft immer wieder mit einbeziehen inkl. Verweigerung des Einspringens aus der Freizeit, müssen von der BR-Mehrheit gefordert werden. Wenn sich die Mehrheit dagegen sperrt, muss dies immer wieder öffentlich gemacht werden.

Für die Zukunft muss man aber auch verhindern, dass hinter dem Rücken der KollegInnen Streiks „ausgesetzt“, dass diese über Verhandlungen mit der Klinikleitung wochenlang nicht informiert werden. Dafür ist eine Kontrolle der Verhandlungsführung notwendig. Die Verhandlungskommission muss von den Mitgliedern gewählt, abwählbar und ihnen jederzeit rechenschaftspflichtig sein. Auf Streikversammlungen muss über die Forderungen und Vorgehensweise abgestimmt werden. Darüber hinaus müssen die kommenden Organisationswahlen dazu genutzt werden, dass alle Mitglieder der ver.di-Haustarifkommission (ver.di-HausTK), die die Forderungen und den Willen der Belegschaft missachtet haben, durch aktive GewerkschafterInnen, die die Forderungen der KollegInnen durchsetzen wollen, ersetzt werden. So kann ein politischer Pol in der ver.di-Haustarifkommission gebildet werden, der zum einen klar macht, dass es für mehr Personal und Entlastung einen unversöhnlichen Kampf gegen das Management braucht, und der zum anderen für eine Kontrolle des Streikablaufs durch die Belegschaft kämpft. Dies erfordert aber auch, dass sich die KollegInnen, die keinen sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs wollen, oppositionell organisieren, um die oppositionelle Betriebsgruppe sammeln, um so zu einem Faktor im Betrieb und in der Gewerkschaft anzuwachsen.




Tarifrunde Bund und Kommunen: Nur mit Streik sind die Forderungen durchzusetzen!

Paul Neumann, Neue Internationale 227, April 2018

Im Februar wurde die Tarifrunde 2018 für den öffentlichen Dienst bei den Beschäftigten von Bund und Kommunen eingeläutet. Es geht vor allem um die Gehälter für MitarbeiterInnen von Krankenhäusern und Stadtverwaltungen, Feuerwehrleuten, StraßenwärterInnen, der Müllabfuhr, von ErzieherInnen in kommunalen Kitas und von SozialarbeiterInnen. Parallel verhandelt ver.di für die 130.000 Beschäftigten der Post. Insgesamt 2,3 Millionen sind von der Tarifrunde betroffen.

Das zeigt, dass im öffentlichen Dienst der Flächentarifvertrag im Gegensatz zu vielen anderen Branchen noch existiert. Verhandelt wird wieder in der Tarifunion von ver.di, Beamtenbund (DBB), „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) und der reaktionären „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP). Im Mittelpunkt der Forderungen steht die Erhöhung des Tabellenentgelts um 6 % auf 12 Monate, mindestens 200 EUR. Darüber hinaus spielen politische Forderungen keine wesentliche Rolle, obwohl der Manteltarifvertrag ebenfalls gekündigt wurde.

Zur Erinnerung: Lehren aus dem Jahr 2016

Als ver.di 2016 die Tarifauseinandersetzung nach einer kurzen Phase von mobilisierenden Warnstreiks überraschend nach der 2. Verhandlungsrunde schnell zum Anschluss brachte, waren viele KollegInnen enttäuscht. Offensichtlich wäre bei Weiterführung der guten Mobilisierung einiges „mehr drin“ gewesen. Die Streikenden waren lediglich die Manövriermasse der ver.di-Führung. Ihre Interessen wurden in einem „Strohfeuer“ (siehe NI 217/ März 2016, S. 5; http://arbeitermacht.de/ni/ni217/tarifrunde.htm) aus Warnstreiks, die keine/n Arbeit„geber“In wirklich unter Druck setzten, ohne Not verbrannt.

Die Forderungen von 2016 waren im Prinzip die gleichen wie die von 2018: eine reine Lohnrunde, 6 % auf 12 Monate. Das Ergebnis lag dann bei 40 % der Forderung der Tarifkommission; 2,4 % in den ersten 12 Monaten und 2,35 % in den zweiten 12 Monaten 2017/18. Legen wir nicht nur die aktuell steigende Inflationsrate (offiziell 1,8 %) zu Grunde, sondern berücksichtigen die Preisseigerung der für die abhängig Beschäftigen wichtigsten Konsumgüter (Lebensmittel: 3,6 %; Mieten: 4,4 % und Energie: 7,3 %), bleibt unterm Strich für die allermeisten von ihnen ein fettes Minus.

Gibt es einen Grund, anzunehmen, dass sich in der aktuellen Tarifrunde 2018 daran etwas ändert? Die öffentlichen Arbeit„geber“Innen dürften kein Interesse daran haben, mehr Geld auszugeben als notwendig. Und notwendig ist ohne Druck eines Arbeitskampfes nicht allzu viel.

Von Seiten der verd.di-Führung besteht ein Interesse daran, die eigene Nützlichkeit als verantwortungsvolle Verhandlungsführerin zu beweisen, die stets neben den Interessen ihrer Klientel auch das „große Ganze“ des bürgerlichen Staatswesens im Blick hat. Die Gewerkschaftsspitze wird die aktuell stattfindenden Warnstreiks wieder als Drohkulisse für ihr Verhandlungsgeschick zu nutzen wissen und dann schlussendlich, nach „harten, zähen Verhandlungen“, ganz viel Verantwortung zeigen für das „Gemeinwohl“. Die Interessen der Kolleginnen und Kollegen drohen, wieder weitgehend auf der Strecke zu bleiben.

Die Kolleginnen und Kollegen können allerdings die Lehren aus den schlechten Abschlüssen der vergangenen Jahre ziehen. Der schnelle Abschluss 2016 war nur möglich, weil die ver.di-Führung sich keiner Urabstimmung durch die Mitglieder gestellt hat. Warnstreiks kann die Bürokratie nach eigenem Interesse „ansetzen“ und auch wieder „abblasen“. Daher sollten die KollegInnen eine satzungsgemäße Urabstimmung für Streiks einfordern. Diese gibt ihnen selbst einen größeren Einfluss auf Kampfmaßnahmen und Streiktaktik. Zudem setzt eine Urabstimmung sowohl die sog. Arbeit„geber“Innen als auch die Gewerkschaftsführung unter Druck, an die Interessen der Beschäftigten zu denken und weniger an das „Gemeinwohl“ und die immer „leeren“ Kassen der Kommunen.

Zu dem Punkt der „leeren“ Kassen der Gemeinden hat die ver.di-Führung dieses Jahr eine neue Argumentation aufbauen müssen, weil die alte nicht mehr ohne weiteres plausibel erscheint. Wurden in den letzten Jahren die Erwartungen der Mitgliedschaft schon im Vorfeld mit Verweis auf die Verschuldung von Bund, Land und Gemeinden gedämpft, fordert die ver.di-Bundestarifkommission nun „deutliche Lohnsteigerungen“ mit Verweis auf die „Rekordüberschüsse von 38,4 Milliarden EUR“ in 2017 durch „Bund, Länder und Kommunen“. Hier können die KollegInnen ansetzen, falls die Tarifkommission in der anstehenden 3. Verhandlungsrunde im April wieder weit unterhalb der Forderungen abzuschließen gedenkt.

Außerdem müsste auch die sog. „Schuldenbremse“, de facto eine Deckelung der Ausgaben für Bildung, Kitas, öffentliche Versorgung, ins Visier genommen werden. Diese politische Frage wie auch die nach einer massiven Besteuerung der Gewinne und großen Vermögen kommt bei den GewerkschaftsführerInnen allenfalls in Reden auf Kundgebungen vor – hinsichtlich der Kampftaktik und Ziele der Tarifrunde bleibt sie jedoch außen vor.

Umso größer ist dagegen das Gejammer der VertreterInnen des „Verbandes der kommunalen Arbeitgeber“ (VKA) über die 6-prozentige Gehaltsforderung. „Dies passt nicht zur Realität in den Kommunen und kommunalen Betrieben. Die Kommunen sind mit 141 Milliarden EUR verschuldet. Außerdem herrscht ein Investitionsrückstand von 126 Milliarden EUR. Wir können nur Lösungen anbieten, die alle Kommunen leisten können…“ usw. (VKA, 14. 3. 2018). Diese Argumentation klingt für SozialdemokratInnen und GewerkschaftssekretärInnen wie ein Sachzwang. Da dürfen die Ansprüche nicht zu hoch geschraubt werden. Man darf ja schließlich die Kuh nicht schlachten, die man melken will.

Mindestbetrag von 200,00 EUR – positive soziale Komponente

Die Forderung 2018 enthält, zusätzlich zu den linearen 6 %, einen Mindestbetrag von 200,00 EUR für alle Gehaltsgruppen. Diese enthält eine interessante und populäre soziale Komponente, bedeutet sie doch für die unteren Gehaltsgruppen eine lineare Erhöhung von bis zu 11,4 %. Das bietet die Möglichkeit, auch die KollegInnen der unteren Gehaltsgruppen verstärkt zu mobilisieren und den steigenden Einkommensunterschieden etwas entgegenzusetzen.

Hiervon ist allerdings bisher in der Argumentation und der Mobilisierungspraxis der ver.di-Führung wenig zu sehen, während die Propagandamaschine der Arbeit„geber“Innen unverhüllt mit Erpressung, Outsourcing und Privatisierung der dann 11,4 % teureren Arbeitsplätze in den unteren Gehaltsgruppen droht: „Der Mindestbetrag verteuert vor allem die Entgeltgruppen, bei denen der öffentliche Dienst schon jetzt kaum noch wettbewerbsfähig ist. Ein Beschäftigter, dessen Tätigkeit ausgegliedert oder privatisiert wird, hat nichts von einem Elf-Prozent-Lohnplus.“ (Thomas Böhle, Präsident des VKA, http://oeffentlicher-dienst.info/tvoed/tr/2018).

Demzufolge würden sich die Beschäftigten durch „Maßlosigkeit“ nur selbst schaden. Der Herr Arbeit„geber“präsident droht gleich, unter Verweis auf das kapitalistische Rentabilitätsprinzip, mit der Abschaffung der „zu teuren“ Arbeitsplätze, wo er doch in Wahl- und Sonntagsreden stets als oberste Pflicht von Staat und Politik die Schaffung von Jobs propagiert. Löhne, die zum Leben reichen, vertragen sich halt immer weniger mit der modernen betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Die Hartz-IV-Gesetze von 2005 haben uns schon ins Gedächtnis gerufen, dass ein Arbeitsplatz im modernen Kapitalismus keine Existenzsicherung für lohnabhängig Beschäftigte mehr darstellt. Dagegen sollten Gewerkschaften mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, kämpfen. Das wichtigste Mittel ist der Streik.

Zukunft gestalten: Kopf in den Sand stecken, „weil wir es wert sind“?

Der VKA will im Übrigen in der laufenden Tarifrunde u. a. auch über die anstehende „Digitalisierung der Verwaltung“ sprechen, der in den nächsten 10-15 Jahren einige Millionen Arbeitsplätze nicht nur in der Industrie, sondern auch dort zum Opfer fallen dürften. Davon liest man jedoch nichts in den Veröffentlichungen und Statements der ver.di-Führung zur aktuellen Tarifrunde.

Dem sog. technischen Fortschritt, der, bei Lichte betrachtet, im Rahmen der globalen kapitalistischen Konkurrenz als Mittel zur Kostensenkung und Sicherung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit dient, wollen die Gewerkschaften nicht entgegenstehen. All das erscheint ihnen als einfacher Sachzwang wie das Wetter. Außer „einem gesteigerten Bildungsbedarf“ und natürlich mehr Mitbestimmung sehen die deutschen Gewerkschaften hier nur wenig Notwendigkeit zum Handeln. Man tröstet sich mit der Illusion, dass schon irgendwie auch neue Jobs entstehen würden, weil es doch immer so gewesen sei. Soll nicht ein bedeutender Teil der ArbeiterInnenklasse in den nächsten Jahren für überflüssig erklärt werden, weil für eine rentable Produktion und Verwaltung nicht mehr notwendig, ist ein harter sozialer und politischer Kampf für die Verkürzung der Arbeitszeit notwendig: „Aufteilung der vorhandenen notwendigen gesellschaftliche Arbeit auf alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich“. Die einfachsten Forderungen zum Überleben der Klasse der Lohnabhängigen bergen eine revolutionäre Dynamik in sich.

Um die kommende Tarifrunde zu einem Schritt in die richtige Richtung zu machen, einen Ausverkauf wie 2016 zu verhindern und das Mobilisierungspotential auszuschöpfen, empfehlen wir:

  • Gegen das Aushebeln der innergewerkschaftlichen Demokratie durch Kampfformen , die die Urabstimmung umgehen. Urabstimmung zur vollen Mobilisierung für die Forderungen!
  • Offenlegung der Verhandlungen und Rechenschaftspflicht der Verhandlungskommission! Kein Abschluss, keine Aussetzung von Streiks ohne vorherige Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder!
  • Wahl und Abwählbarkeit der Streikkomitees und der Tarifkommission durch die Basis! Volle Einbeziehung der Vertrauensleute und gewerkschaftlichen Betriebsgruppen!
  • Breite Diskussion über alle relevanten Themen der Tarifrunde, z. B. „Digitalisierung der Verwaltung“! Stopp von Outsourcing und Privatisierung im öffentlichen Dienst! Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Weg mit der sog. Schuldenbremse!



Bundesregierung: Neue Koalition, neuer Kampf

Tobi Hansen, Neue Internationale 227, April 2018

Am 14. März wurde Kanzlerin Merkel das vierte Mal vereidigt. Damit hat sie nun Adenauer und Kohl eingeholt. Ihr Abstimmungsergebnis fiel hingegen, gemessen an einer Großen Koalition (GroKo) aus Unionsparteien und SPD, erstaunlich schwach aus. 35 eigene Abgeordnete verweigerten Merkel die Ja-Stimme, so dass diese nur mit einer Mehrheit von 9 Stimmen gewählt wurde. 5 Monate nach der letzten Bundestagswahl kommt also die Neuauflage der vorherigen, abgewählten Regierung zustande. So lange hat keine Regierungsbildung in der BRD-Geschichte gebraucht. Auch saßen noch nie so viele (7) Parteien/Unionen im Parlament.

Bei vielen bürgerlichen Medien, aber auch der Linken wird die GroKo mit einem „Weiter so!“ charakterisiert. „Weiter so!“ geht höchstens ihr Abnutzungseffekt durch den Aufstieg der AfD.

Krise der Union – neuer Posten für „Heimat“

Dass bei der Regierungserklärung eine Unionskanzlerin den Innen-/Heimatminister zurechtweist und später der CSU-Landesgruppenvorsitzende Dobrindt ihr dabei widerspricht, ist für den deutschen Parlamentarismus und die GroKos der letzten Jahre schon bemerkenswert. Es zeigt, dass die Zerrissenheit der Union, welche seit 2015 unregelmäßig offen zutage tritt, sich von Anfang an auch in der neuen Regierung fortsetzen wird.

Der Streit ging darum, ob die Union die islamische Religion von ca. 4,5 Millionen EinwohnerInnen als „zugehörig“ zur deutschen Gesellschaft, Kultur, Geschichte usw. definieren soll. Heimatminister Seehofer hatte dies zum Auftakt seiner Amtsgeschäfte via „Bild“ verneint und damit den staatlichen, institutionellen Rassismus populistisch erneuern wollen. Die Zusatzbezeichnung „Heimat“ für sein Innenministerium scheiterte fast am Zuschnitt der Ministerien. Die Abteilung „Planung und Förderung ländlicher Raum“ blieb bei Landwirtschaftsministerin Klöckner, so bleibt Seehofer allein die Deutschtümelei als wahrnehmbare „Leistung“ für den Heimatbegriff.

Die real existierenden Probleme des ländlichen Raums – fehlende bzw. privatisierte Infrastruktur, unzureichende soziale Perspektiven – werden natürlich von keinem der beiden Ressorts angegangen. Also bleibt nur Raum für Rassismus und deutschtümelnde Folklore, wobei der bayerische Minister sicherlich auch noch regionale Akzente setzen möchte.

Für MarxistInnen besteht die Antwort auf die Frage, ob eine Religion zu einem Staat gehört, in der demokratischen Forderung nach Trennung von Staat und Kirche, wie wir auch jedem/r Einzelnen Glaubensfreiheit zugestehen. In genügend bürgerlichen Nationalstaaten existieren „Staatsreligionen“, herrscht also keine individuelle Glaubensfreiheit und auch in Deutschland ist die Trennung von Kirche und Staat alles andere als konsequent erfolgt (Religionsunterricht an staatlichen Schulen, Kirchensteuer usw.). Da wir gegen alle Privilegien sind, treten wir auch gegen die der christlichen Kirchen, im Vergleich zu anderen Religionen als Quasistaatsreligion zu fungieren, ein.

Spahn gegen alle

Innerhalb der Union war Seehofer gewissermaßen nicht nur in seiner „Heimat“ durch Söder unter Zugzwang geraten, hat doch in der Bundesregierung der „jung“konservative Gesundheitsminister Spahn bislang vor allem als offen rechter, neoliberaler Teil des Kabinetts von sich reden gemacht.

Hatte nach der Bundestagswahl der CSU-Landesgruppenchef Dobrindt noch halb vollmundig die „konservative Revolution“ verkündet, zeigt Minister Spahn, wie das geht. Beim Abtreibungsparagraphen 219a (Verbot der „Werbung“ für Abtreibung) greift er offen die BefürworterInnen der Streichung an. Manche von ihnen würden sich mehr für Tierrechte als für das ungeborene Leben einsetzen. Diese Art von Vergleichen, wie sie auch von Storch (AfD) draufhat, gehört zu den internationalen Erkennungszeichen dieser reaktionären Rechten.

Als Gesundheitsminister zeigt der bekennende Pharmalobbyist auch „klassisch neoliberale“ erste Duftmarken. Wir, die wir zum Arzt gehen, wenn wir krank sind, sollten doch einfach mal vorher überlegen, ob wir das wirklich müssen. Gilt diese Sorge auch für PrivatpatientInnen?

Bei häuslicher Pflege durch Angehörige ist dem Minister schon klar, dass das Pflegegeld nicht ausreicht für Pflegekräfte, weshalb alle in der Familie (auch Männer wie er?) anpacken sollen, um sich das unbezahlbare Pflegeheim zu „ersparen“. Wenn wir uns nur kurz an den Wahlkampf erinnern, schaffte es damals nur ein Thema neben AfD und Rassismus wirklich an die öffentliche Oberfläche: nämlich der miserable Zustand unseres Pflegesystems, die schlechten Löhne dort und das miserable Schicksal der Pflegebedürftigen. Als „Quittung“ dafür personifiziert nun Spahn den „Wettbewerb“ unter Branchenanbietern und -beschäftigten. Die anhaltende Bevorteilung der privaten Krankenversicherung trägt die SPD-Phantastereien einer „Bürgerversicherung“ zumindest für diese Legislatur zu Grabe.

Was sonst als „Sozialpolitik“ von diesem Flügel der Union zu erwarten ist, hatte Spahn zum Thema Hartz IV bereits am Anfang „seiner“ Pressekampagne als Neuminister kundgetan. Dadurch müsse keine/r in Armut leben, was selbst Finanzminister Scholz vom rechten SPD-Flügel zum Widerspruch nötigte.

Perspektive für den BRD-Imperialismus

Spahn wie auch Seehofer artikulieren die Interessen des bürgerlichen Flügels, der sich durch die neue GroKo ins Abseits gestellt sieht. Immerhin hatten die FAZ, aber auch konservative KommentatorInnen im „Spiegel“ den Koalitionsvertrag als weiteren Beweis für die „Sozialdemokratisierung“ Merkels und der Union dargestellt. Das Vorpreschen Spahns und der CSU zeigt offen den Widerspruch im eigenen Regierungslager. Dieser Flügel will die Union als Speerspitze neoliberaler Angriffe auch für die kommenden Legislaturen fit machen wie auch die Öffnung Richtung AfD beschleunigen, um stabile bürgerliche Mehrheiten rechts von der GroKo anzubahnen.

Gewissermaßen kommt Merkel in die gleiche Bredouille wie Kohl am Ende seiner Amtszeit. Der „große Wurf“ für das Großkapital bleibt derzeit aus. Es fehlt eine ideologisch-politische Vision für den deutschen Imperialismus. Das gilt am meisten für die EU, aber auch für die Innenpolitik. Merkel will den inneren gesellschaftlichen „Zusammenhalt“, es fehlt ihr aber die politische Offensive, um den aktuellen Status des deutschen Imperialismus zu erhalten, geschweige denn auszubauen. In Fragen der EU und der globalen Ambitionen verkommt die Kanzlerschaft Merkels immer mehr zu einem „Aussitzen“ und Stillhalten. Der rechte Koalitionsflügel setzt innenpolitisch in der Einwanderungsfrage verstärkt auf die Umsetzung der AfD-Forderungen. Außenpolitisch wird die Option, der EU mehr den Stempel der BRD-Dominanz aufzudrücken, deutlicher (gegen ein EU-Finanzministerium, „Transferunion“ und konzertierte öffentliche EU-Investitionsprogramme). Die Staatengemeinschaft muss Deutschland stärker folgen oder sie wird auseinanderbrechen (Kerneuropa).

Die SPD als Duckmäuserin

Zur Abschaffung des Paragraphen 219a, womit zuletzt auch wieder vor allem FrauenärztInnen konfrontiert waren, gab es vor der Kanzlerinwahl von SPD, FDP, Linkspartei und Grünen den Vorstoß, dessen Abschaffung doch einfach mal parlamentarisch per Mehrheit zu bewerkstelligen. Dagegen bremste SPD-Fraktionschefin Nahles ihre Fraktion aus und zog den Antrag zurück zugunsten einer weiteren Regierungskommission zum Thema.

Damit dürfte auch deutlich werden, wie sie als künftige Parteivorsitzende die „Erneuerung“ der SPD durchzuziehen gedenken wird. In der Fraktion werden alle auf die Linie eingenordet, welche den Koalitionspartnerinnen am wenigsten Schwierigkeiten bereitet. So wäre es durchaus auch für Nahles sinnvoll gewesen, den Antrag gegen 219a durchzusetzen. Damit hätte die SPD sich zumindest als Verteidigerin der FrauenärztInnen und Frauenrechte etwas in Szene setzen können und die Union hätte zusammen mit der AfD abgestimmt. Dass dann Finanzminister und Vizekanzler Scholz noch den ehemaligen Deutschlandchef von Goldman Sachs (und ehemaligen Jusovorsitzenden von Rheinland-Pfalz) zum „ersten“ Staatssekretär macht, rundet das desaströse Bild der SPD in der GroKo ab. Wenn „Erneuerung“ so beginnt, will niemand wissen, wie sie endet.

Innerhalb und außerhalb der SPD gründet sich derzeit die „Progressive Soziale Plattform“, welche z. B. vom Dortmunder MdB Bülow, der Berliner MdB Kiziltepe sowie Ex-Ministerin Däubler-Gmelin unterstützt wird. Ihnen geht es inhaltlich um eine stärkere und sichtbare Neuausrichtung der Sozial- und Arbeitspolitik der SPD. Wahrscheinlich versucht auch deswegen Bundesvize Stegner (früher oft als „Linker“ bezeichnet), derzeit sich mit der Forderung nach Abschaffung von Hartz IV wieder zu profilieren.

Aufgaben der GroKo und erste Kampffelder

Als Neuerungen zum Koalitionsvertrag kommen jetzt die Ideen von Hubertus Heil, dem neuen Arbeits- und Sozialminister. Wurde zuvor gemunkelt, die „Linken“ in der SPD könnten dieses Amt besetzen, so führt „Agendafan“ Heil dieselbe Politik fort. Hartz IV und dessen Schikanen konnten Langzeitarbeitslose nie wirklich in Arbeit bringen. Das heißt, dass die meisten Langzeitarbeitslosen nach Jahren des sozialen Abstiegs, der erlittenen Armut kaum noch in der Lage sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weil sie als nicht mehr „produktiv“ genug gelten. Hatte Ex-Kanzlerkandidat und -Vorsitzender Schulz noch mit einer möglichen „zusätzlichen“ Qualifizierung für diese Personengruppe geworben, sollen diese jetzt zu „gemeinnütziger“ Arbeit herangezogen werden. Neben den Ein-Euro-Jobs wird also noch eine weitere Zwangsmaßnahme eingeführt, ziemlich sicher auf Kosten regulärer, tariflich entlohnter Jobs.

Kanzlerin Merkel sprach in ihrer Regierungserklärung davon, die entstandenen Spaltungen der Gesellschaft aufheben zu wollen und einen neuen Zusammenhalt an Stelle derer zu setzen. Mit ihren Vorschlägen für Langzeitarbeitslose, der Beibehaltung der Leiharbeit wie auch der Zweiklassenmedizin (privat und gesetzlich Versicherte) setzt diese GroKo, entgegen allen warmen Worten, jedoch die soziale Spaltung fort. Sie sorgt dafür, dass Menschen überhaupt zu einer Tafel gehen müssen. Es ist das Hartz-IV-System, das Vollbeschäftigte gegen LeiharbeiterInnen und Ein-Euro-JobberInnen ausspielt und an der Tafel dann die Passkontrolle zur rassistischen Selektion von Armut einführen will – diese Spaltlinien verfestigen sich mit jeder Bundesregierung, keine hat daran was geändert.

Als Hauptauftrag dieser GroKo erscheint immer mehr, lediglich den „Status quo“ in der EU aufrechtzuerhalten. Der französische Imperialismus nutzte die letzten Monate der Regierungsbildung, um selbst mit Vorschlägen die eigene Führungsrolle zumindest zu untermauern bzw. einen erneuten Anlauf zu nehmen, dem deutschen Imperialismus Konzessionen abzuringen. Ein EU-Finanzminister, eine mögliche gemeinsame Verschuldungspolitik der Eurozone sind Vorschläge, um den deutschen Imperialismus letztlich etwas einzudämmen, ihm einige Vorteile seit der Krise 2007/08 zu nehmen. Auch aus dieser Perspektive heraus kann man nicht von einem „Weiter so!“ sprechen. Diese GroKo ist geschwächt und wird alle politische Kraft brauchen, um die bestehende fragile Ordnung der EU aufrechtzuerhalten, zum Vorteil des deutschen Imperialismus.

Gegen diese Politik brauchen wir Widerstand, brauchen wir Engagement für diejenigen und derjengen, die weiterhin der Spaltung, der Ausgrenzung und Ausbeutung ausgeliefert sind. Wir müssen uns für das Recht auf Abtreibung und den Schutz der behandelnden ÄrztInnen einsetzen, gegen jeden neuen Sektor der Zwangsbeschäftigung und für die Abschaffung des Hartz-IV-Systems kämpfen. Dazu müssen wir in der EU für die Perspektive eines europäischen Klassenkampfes eintreten, den Kampf gegen die kapitalistische Unterjochung unter den deutschen Imperialismus, gegen Rechtsruck und Rassismus führen. Diese Kämpfe können wir nicht verschieben oder auf bessere Bedingungen warten. Die GroKo ist ein bestimmender Teil des Kampfes von oben, dagegen brauchen wir im „Herzen der Bestie“ Widerstand! Der erste Schritt dahin sollte eine Aktionskonferenz aller Linken und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sein, darunter auch von Kräften in der SPD wie den Jusos und der „Progressiven Sozialen Plattform“.




Die Linken in der SPD: Doch nur ein laues Lüftchen?

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 227, April 2017

Am 4. März war es klar. Knapp zwei Drittel der SPD-Mitglieder stimmten für eine Beteiligung an der Großen Koalition. Über Wochen war es diese Debatte, die tausende neue Mitglieder in die Partei holte, Parteiapparat und vor allem die von den Jusos getragene Opposition zu Wahlkampftouren führte und medial für Furore sorgte. Kein Zufall, denn die Regierungsentscheidung wirft für die SPD einen zentralen inneren Widerspruch auf: den zwischen der Unterordnung unter die Interessen der „eigenen“ herrschenden Klasse und ihrer sozialen Basis. Nun, da der Sturm um die Partei etwas abgezogen ist, wollen wir überprüfen, was bleibt? Wo steht die Opposition in der SPD und wofür kämpft sie?

Die Jusos

Über die #NoGroKo-Tour der Jusos stellten diese einen aktiv mobilisierenden Part des Nein-Lagers dar. Aber nicht nur die Ablehnung der Regierungsbeteiligung machten sie zum Thema, darüber hinaus lautete die Losung: #SPDerneuern. Doch dahinter verbirgt sich nicht besonders viel. Von einer Rücknahme der Agenda 2010-Reformen sprechen sie nicht mehr. Was sie hier wollen, ist keine Abkehr von einer solchen Politik. Insgesamt bleiben sie recht vage.

Ihr Wirtschaftsprogramm spricht – wenn überhaupt – nur die ungleichen Vermögensverhältnisse an. Hier fordern sie Finanztransaktions-, Erbschafts- und Vermögenssteuern. Von konkreten Zahlen keine Spur. Auch in puncto Leiharbeit und Hartz-Reformen bleiben sie uns Antworten schuldig. Dafür blinken sie immer schön links. So kupfern sie den zentralen Slogan von Jeremy Corbyn ab und fordern eine Politik „für die Vielen, nicht die Wenigen“ (https://www.jusos.de/spderneuern/).

Ihre Regierungsperspektive lautet dabei Rot-Rot-Grün auf Bundesebene. Damit sind sie in der Partei wohl in der Minderheit, jedoch bei weitem keine Neuheit. Das Praktischste, was hier gefordert wird, ist die direkte Wählbarkeit des Parteivorsitzes durch ein Mitgliedervotum. Daneben fordern sie die Parteibasis auf, kritische Fragen zu stellen und für Vorstände zu kandidieren. Kurzum, sie stehen für eine Individualisierung der bisherigen gemeinsamen Arbeit, eine Methode, die zur systematischen Abschwächung ihrer ursprünglichen Kritik führt. Hier steht die Einheit der Partei über der politischen Klarheit.

Die Progressive Soziale Plattform

Hinter diesem Ansatz verbirgt sich der Versuch, eine Organisation ähnlich dem Labour-nahen Momentum aufzubauen. Diese soll sowohl SPD- als auch Nicht-SPD-Mitglieder organisieren. Sie möchte ein Sammelpunkt für jene Kräfte darstellen, die „eine wirklich progressive, soziale Regierung wünschen statt [die] eine[s] Dauerkompromiss[es] […]“ (Aufruf – www.plattform.pro/).

Inhaltlich bleibt der Aufruf auch bei einer Kritik an der Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich stehen. Hier findet sich die Parteiprominenz der zweiten und dritten Reihe wieder. Angeführt wird die Plattform von Marco Bülow, Mitglied des Bundestages aus Dortmund (NRW), Herta Däubler-Gmelin, Justizministerin von 1997 bis 2002. Ebenfalls spielt hier Steve Hudson, Mitglied von Momentum, Labour und der SPD mit. Dieser ist ursprünglicher Gründer des Vereins #nogroko, der die mittlerweile recht brachliegende Kampagne #Urwahl anstoßen sollte. Aber auch eine Reihe von Mitgliedern aus NGOs sammelt sich hier. Beispiele sind VertreterInnen von Naturfreunden, Greenpeace, Inklusions-AktivistInnen, vereinzelt auch Juso- und Gewerkschaftsmitglieder, aber auch Ex-Piraten-Parteimitglieder und Teile von Diem25, der Sammlungsbewegung von Yanis Varoufakis.

Bislang ist das Projekt eine Art Onlineforum unter dem Slogan: Mitmach-Plattform. Hier kann jede/r ihre/seine Positionen veröffentlichen. So finden wir beispielsweise Selfies, die eine Erhöhung des Mindestlohns auf 14,50 Euro fordern. Von gemeinsamen Plänen ist hier jedoch wenig auffindbar – nur das vage Versprechen, dass eine reale Organisierung ab einer UnterstützerInnenmarke von 5.000 begonnen wird.

Die Wahl des Parteivorsitzes

Am 22. April findet ein SPD-Sonderparteitag statt. Hier soll über die Frage des Parteivorsitzes abgestimmt werden. Bislang stehen hierzu zwei Kandidatinnen zur Wahl. Andrea Nahles, als Kandidatin des Parteivorstandes, versucht, sich aktuell als Parteilinke zu inszenieren. Schließlich war sie die Ministerin für Arbeit und Soziales, unter der der „flächendeckende“ Mindestlohn eingeführt wurde – eines der stärksten Argumente für die GroKo von Seiten der Gewerkschaften.

Ihre Kontrahentin ist Simone Lange, die Oberbürgermeisterin von Flensburg. Sie ist momentan die einzige Kandidatin, die den neuen Sonderregelungen des Parteivorstandes trotzen konnte, nach denen ein/e vorgeschlagene/r KandidatIn einer überregionalen Verankerung bedarf. Unterstützung erhält Lange für den Antrag zur Wahl der SPD-Vorsitzenden von 35 Ortsvereinen aus 10 Bundesländern. Was sie von den anderen linken Regungen in der Partei unterscheidet, ist ihre offene Ablehnung gegenüber den Agenda-Reformen.

Sie entschuldigt sich offen für diese, sagt, sie seien einer der größten Fehler der Partei und will diese Entschuldigungen bis zu ihrer Rücknahme aufrechterhalten. Hierbei muss gesagt werden, dass sie sich vor allem auf Hartz IV und die Sanktionsmaßnahmen bezieht und blumig in der Frage der vollen Zurücknahme bleibt. In den öffentlichen und in der Partei geführten Debatten steht sie jedoch fernab vom Schuss. Hier bleibt die Frage offen, an denen bislang die anderen Aufbauversuche ebenfalls scheiterten, ob sie bei einer wahrscheinlichen Niederlage eine bundesweite Fraktionsbildung anstreben wird.

Wie weiter?

An diesem Schwachpunkt müssen jene Teile der SPD, die weiter ernsthaft den Kampf gegen die GroKo führen und auf eine Erneuerung der Partei hoffen, diese Ansätze packen. Bisher scheitern sie allesamt daran, eine Fraktion aufzubauen, die ein offenes Angebot darstellt für jene neuen und alten AktivistInnen, die im Zuge der #NoGroKo-Kampagnen neuen Kampfesmut gesammelt haben. Gleichzeitig ist es Aufgabe dieser Fraktion, einen offenen programmatischen Kampf um die Führung der Partei auch über den einzelnen Parteitag hinaus zu führen. Jedoch ist es ebenfalls eine Aufgabe, wenn der Kampf um die Führung der Partei scheitern sollte und es keine weitere mobilisierende Dynamik innerhalb der Partei gibt, mit dieser zu brechen. Im Umkehrschluss müssen sie auch weite Teile der Parteiführung rauswerfen, sollten sie diese Auseinandersetzung gewinnen.

Achillesferse

Eine weitere Achillesferse des #NoGroKo-Lagers ist es, dass es vermeidet, dem Kampf um die Führung der SPD auch den Stellenwert zu geben, den er real schon längst hat: einen gesamtgesellschaftlichen. Was wir brauchen, sind gemeinsame Mobilisierungen der linken Gliederungen der SPD, der Linkspartei, der Gewerkschaften und der sonstigen Linken gegen die Große Koalition. Die angekündigten Angriffe der GroKo in ihren ersten Wochen, dazu mehr in dieser Zeitung, zeigen, dass wir eine Gegenmacht gegen die kommenden Angriffe aufbauen müssen. Dies dürfen wir nicht dem rechten Lager überlassen. So plant beispielsweise die AfD in den kommenden Wochen eine Mobilisierung gegen die GroKo. In dieser Dynamik müssen wir von links den Kampf sowohl gegen den Rechtsruck als auch die aktuelle Regierung formieren. Eine Unterordnung unter die Regierung Merkel verschärft die aktuellen Konflikte nur im Dienste des Rechtsrucks. Hierfür müssen die linken Teile der SPD eine Keimform des Widerstands darstellen und hierfür sind wir bereit, gemeinsam mit ihnen zu kämpfen!

Entscheidend wird sein, angesichts des Schweigens der Gewerkschaften, ja sogar der vollen Unterstützung der GroKo durch IGM und IG BCE als Sachwalterinnen der Standortpolitik für „ihre“ Exportbrauchen, diejenigen Mitglieder ins Boot zu holen, die eine Neuauflage der SPD-Regierungsbeteiligung ablehnen. Eine Intervention in die aktuellen Tarifrunden mit der Perspektive einer Aktionskonferenz aller oben genannten Kräfte gegen Rechtsruck und Sozialkahlschlag, gegen GroKo und AfD ist hierfür das probate nächste Mittel.




Berlin: Studentische Hilfskräfte kämpfen weiter um Tarifvertrag

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 227, April 2017

Zwischen dem 16. und 25. Januar fanden vier Warnstreiktage der studentischen Hilfskräfte (SHK) der Berliner Hochschulen statt. Sie kämpfen für einen neuen Tarifvertrag. Der letzte wurde 2001 abgeschlossen. Seitdem gab es nur weitere Einsparungen und Verteuerungen der Lebenskosten. Als der Verhandlungsvorschlag der Hochschulen nicht einmal die Inflationsrate auszugleichen vermochte, wurde der Tarifvertrag zum 1. Januar 2018 gekündigt.

Nun fanden die ersten Warnstreiks der rund 8.000 SHK statt. An der Mobilisierung vor der Humboldt-Universität beteiligten sich etwa 1.200 Beschäftigte. An den dezentralen Aktionstagen am 23. und 24. Januar wurden unter anderem das Audimax der Alice Salomon Hochschule besetzt und eine Versammlung des akademischen Senats der Freien Universität von einer Streikdelegation unterbrochen, um den Arbeitskampf auch dorthin zu tragen, wo die VerhandlungsgegnerInnen sitzen.

Eine der wichtigen Fragen des Erfolgs für den Arbeitskampf stellt der aktuelle Spaltungsversuch von Seiten der Technischen Universität dar. Hier lagen weite Teile des Hochschullebens lahm. Bibliotheken mussten früher geschlossen werden. Dutzende Tutorien fielen aus. Die Studierenden-Cafés blieben geschlossen. Technische Verwaltungsaufgaben lagen brach.

Hier ist auch gewerkschaftliche Organisierungsgrad der SHK am größten. Der Präsident der TU schlägt nun einen Haustarifvertrag vor – angeblich aufgrund des Verhandlungsunwillens der anderen Hochschulen. In Wirklichkeit dient dieses Manöver dazu, einen Keil zwischen die SHK an den verschiedenen Unis zu treiben. Würde die TU abschließen, so wären die Kämpfe an den anderen Hochschulen geschwächt und alle künftigen Arbeitskämpfe hätten im Voraus damit zu ringen, dass sie unterschiedliche Tarifverträge hätten und damit einen noch isolierteren Charakter, als es ohnehin schon der Fall ist. Diese Frage wurde unter den Kämpfenden kontrovers diskutiert. Schlussendlich beschlossen sämtliche Basisversammlungen von Studierenden und SHK mehrheitlich, dass dieser Spaltungsversuch abgelehnt werden muss und wir einen gemeinsamen Tarifvertrag brauchen. Problematisch ist, dass die wichtigsten Entscheidungen, die Verhandlungsführung und auch die Kampftaktik aktuell von den Gewerkschaftsapparaten von ver.di und GEW bestimmt werden – nicht von den Basisversammlungen der Gewerkschaftsmitglieder. Im Sommersemester geht der Kampf in die nächste Runde mit einer weiteren Reihe von Warnstreiks und Aktionswochen Ende April.

Die GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht beteiligen sich am Streik. Dazu wurden auch 2 Ausgaben der GEGENWEHR veröffentlicht, in denen wir unsere Kritik an der Gewerkschaftsführung und unsere Vorschläge für den Streik ausführlicher darstellten. Zu Beginn des Sommersemesters 2018 werden wir eine weitere Ausgabe produzieren und auch auf unserer Homepage veröffentlichen.

 

 

 




Internationaler Frauenkampftag 2018 weltweit

Jürgen Roth, Neue Internationale 227, April 2018

Am diesjährigen 8. März fanden in zahlreichen Ländern Proteste und Aktionen statt, die nennenswertesten darunter in: Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, im Iran, in Italien, Kolumbien, auf den Philippineninseln, in der Republik (Süd-)Korea, im mehrheitlich kurdisch bevölkerten nordsyrischen Kanton Afrin – trotz der türkischen Invasion – in der Türkei und in Uruguay.

Spanien: alle Räder stehen still…

Von Ausmaß und Kampfqualität her stellte Spanien dieses Jahr alle anderen Aktionen in den Schatten. 6 Millionen Frauen – und Männer – streikten 2 Stunden, einige sogar den ganzen Tag lang. Bestreikt wurden auch Schulen und Universitäten. In 300 spanischen Städten demonstrierten insgesamt mehrere Millionen Menschen. Zentrale Forderungen waren: Schluss mit der Gewalt gegen Frauen! Schluss mit der Diskriminierung und Prekarisierung in der Erwerbsarbeit! Schluss mit der alleinigen Verantwortung für die Haus- und Betreuungsarbeit!

40 % aller Lohnabhängigen in tausenden Betrieben beteiligten sich an der Arbeitsniederlegung. Die Gewerkschaft Commissiones Obreras trug sogar lila Fahnen. Der Riesenerfolg geht v. a. auf die jahrelange Arbeit hunderter feministischer „Colectivos“ zurück. Viele dieser Frauengruppen sind mit der Protestbewegung der PlatzbesetzerInnen verbunden, die seit 2011 gegen Sparprogramme, Arbeitslosigkeit, Bildungsabbau und für Gleichstellung auf die Straße gingen. Im Januar 2017 beteiligten sie sich auch an den feministischen Anti-Donald-Trump-Märschen und brachten schon zum letztjährigen Internationalen Frauenkampftag Hunderttausende auf die Straßen. Trotz milden Wirtschaftsaufschwungs ist die Arbeitslosigkeit besonders unter jungen Menschen hoch. Die Mehrheit der Jungen findet zudem nur prekäre Jobs. Und dann erschütterten auch noch mehrer brutale Morde an Frauen die Öffentlichkeit. Allein 2017 wurden fast 50 Frauen von (ihren) Männern umgebracht.

Deutschland

Auch dieses Jahr beteiligten sich die Gruppe ArbeiterInnenmacht und die kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION an Demonstrationen in den Städten Berlin (8000 TeilnehmerInnen), Hamburg (150), München (1000), Stuttgart (400) und Chemnitz (200), Freiburg (1500). Die Aktionen in Chemnitz und München wurden massiv von der Polizei gestört.

ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION organisierten Veranstaltungen in Berlin, Dresden, Hamburg, Kassel, München. Ein zentrales Thema bildete die Care-Arbeit in all ihren Facetten. Dieses steht auch im Mittelpunkt unserer diesjährigen Frauenzeitung Fight, die wir wieder gemeinsam mit REVOLUTION in Deutschland und Österreich sowie unserer österreichischen Schwestersektion Arbeiter*innenstandpunkt herausgaben.




Freiheit für Carles Puigdemont! Keine Auslieferung an den spanischen Staat!

Tobi Hansen, Infomail 995, 28. März 2018

Seit Anfang November befindet sich Carles Puigdemont auf der Flucht. Sein Verbrechen? Er verkündete als gewählter katalanischer Ministerpräsident die Unabhängigkeit des Landes. Auch wenn er deren Umsetzung unmittelbar aussetzte, um darüber mit der Regierung in Madrid und der EU zu verhandeln, so macht ihm erstere seither den Prozess.

Nachdem sich Puigdemont in Belgien relativ sicher aufhalten konnte, erließ die spanische Polizei im März 2018 erneut einen europäischen Haftbefehl gegen den Politiker in der Hoffnung, ihn außerhalb Belgiens festzunehmen. Er konnte jedoch auf einer Konferenz in Finnland auftreten und das Land rechtzeitig verlassen. Dänemark ließ ihn unbehelligt passieren. Erst in Deutschland schlugen die Erfüllungshilfen der spanischen Regierung in Form des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamts (LKA) zu und nahmen ihn an einer Autobahnraststätte fest. Das LKA als Büttel Rajoys – so funktioniert die EU-Demokratie.

Angeklagt ist Puigdemont vor allem wegen Rebellion (gegen die spanische Zentralregierung) und Veruntreuung, da das Referendum immerhin 6 Millionen Euro gekostet habe, unter anderem wohl auch der Einsatz der spanischen Polizei, die die Abstimmung zu verhindern trachtete. So wird die Durchführung einer Volksabstimmung über das Selbstbestimmungsrecht noch zu einem Gesetzesbruch – ein schlagender Beweis für die politische Kontinuität des Franquismus in der spanischen Rechten und im Staatsapparat.

Die meiste Zeit verbrachte Puigdemont in Belgien. Dort sind verschiedene separatistisch gesinnte bürgerliche Parteien (z. B. die N-VA, Nieuw-Vlaamse Alliantsie; deutsch: Neu-Flämische Allianz) auch an der Regierung. Hier konnte sich Puigdemont, einigermaßen geduldet, weiter an der spanischen und katalanischen Politik beteiligen. Theoretisch ist er weiterhin der einzige Kandidat auf den Posten des Ministerpräsidenten. Die pro-spanischen Parteien verfügen im Regionalparlament über keine Mehrheit. Daher wird in der „Zwischenzeit“ Katalonien per Artikel 155 von Madrid aus zwangsverwaltet.

Aktuell hat die spanische Regierung unter Rajoy, die für die Zwangsmaßnahmen gegen die Region Katalonien im Parlament die Unterstützung von der PSOE (Sozialdemokratie) und der rechtsbürgerlichen Ciudadanos (deutsch: Staatbürgerpartei) sicher hat, die Verfahren gegen Mitglieder der Regionalregierung eröffnet. Neun von ihnen sind derzeit in Haft.

Nach der Inhaftierung Puigdemonts kam es in Barcelona sofort zu Massenprotesten. Die Polizei wandte massiv Gewalt an. Auch von dem Gebrauch der Schusswaffen war zu lesen. Zur „Abschreckung“ wurde in die Luft geschossen. Alles, was jetzt in Barcelona an Gewalt folgt, alle Verletzungen, alle möglichen Opfer gehen auch auf das Konto der deutschen Justiz, der „Jamaika“- Koalition aus Kiel und natürlich der deutschen Bundesregierung. Diese hat sich auf die Seite Rajoys geschlagen, mag sie auch die Frage der und formelle Verantwortung für eine Auslieferung an die Gerichte abwälzen. Für den deutschen Imperialismus ist Spanien ein strategischer Partner, mögen die katalanischen NationalistInnen noch so sehr an Deutschland und die EU appellieren.

Wir unterstützen die Forderung, Puigdemont sofort freizulassen und nicht auszuliefern. Gerade eine Woche nach dem internationalen Tag der politischen Gefangenen müssen die demokratischen Rechte der Regionalregierung Kataloniens und ihrer Mitglieder verteidigt werden.

Für den Kampf in Katalonien, gegen die Madrider Zwangsverwaltung wie gegen das gesamte Regime Rajoy ist es aber entscheidend, die Bewegung in Katalonien selbst politisch neu auszurichten. Schließlich befinden sich die „SeparatistInnen“ selbst in einer Orientierungskrise, die zwei, miteinander verbundene Ursuchen hat. Erstens muss die Protestbewegung mit der politischen Unterordnung unter bürgerliche Parteien brechen. Die ehemalige neoliberale Regionalregierung von Puigdemont ist eben keine strategische Verbündete. Zweitens muss sich die Bewegung nicht nationalistisch, sondern entlang des gemeinsamen Kampfes zur Verteidigung demokratischer Rechte und sozialer Forderungen in Katalonien und den anderen spanischen Regionen neu ausrichten. Als RevolutionärInnen verteidigen wir das nationale Selbstbestimmungsrecht (einschließlich des Rechts, einen eigenen Staat zu gründen) bedingungslos. Aber – gerade auch angesichts der zwiespältigen Haltung der ArbeiterInnenklasse im Land selbst – halten wir die Herstellung der ArbeiterInneneinheit gegen die spanische Regierung und den gemeinsamen Kampf für eine sozialistische Umwälzung in Spanien für die korrekte Orientierung. Ansonsten droht, dass weiterhin nationalistisches Gift KatalanInnen und „SpanierInnen“ gegeneinander in Stellung bringt, die Lohnabhängigen als die Bauernopfer für Rajoy und Puigdemont herhalten müssen.

  1. Keine Auslieferung von Puigdemont!
  2. Freiheit für alle politischen Gefangenen im spanischen Staat!
  3. Für einen gemeinsamen Kampf der KatalanInnen und „SpanierInnen“ gegen Rajoy!



Kandel: Welche Aktionseinheit gegen rechts brauchen wir?

Robert Teller, Infomail 995, 28. März 2018

Seit dem gewaltsamen Tod einer 15-Jährigen am 28. Dezember 2017 in Kandel hat die Rechte aufgrund der mutmaßlichen Täterschaft eines Geflüchteten zu acht Demonstrationen innerhalb von drei Monaten mobilisiert, auf denen u. a. die AfD, die identitäre Bewegung und „Der 3. Weg“ auftraten. Während die ersten rechten Aktionen ohne größeren Protest abliefen, beteiligten sich am 3. März 4500 Menschen an den Gegenaktionen zum rechten Aufmarsch, die u. a. vom neu gegründeten Bündnis „Wir sind Kandel“ organisiert wurden. Die OrganisatorInnen ließen unter dem Motto „Für ein friedliches Miteinander in Kandel“ weiße Luftballons steigen und riefen die EinwohnerInnen dazu auf, aus „Protest“ die Rollladen geschlossen zu lassen.

Zur Gegendemonstration am 24. März rief „Wir sind Kandel“ mit Unterstützung von SPD, Grünen, CDU, FDP, der Linkspartei, Kirchen, Unternehmen und Gewerkschaften auf. Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Bischof Karl-Heinz Wiesemann und Kirchenpräsident Christian Schad äußerten Unterstützung für den Protest gegen rechts. Scheinbar gibt es also einen breiten gesellschaftlichen Konsens, rechte Aktivitäten nicht zu dulden. Doch worin besteht dieser „Konsens“? „Wir sind Kandel“ schreibt: „Die rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen schüren Ängste und Verunsicherung bei den Menschen. Es werden Feindbilder beschworen und Institutionen unserer Demokratie in Frage gestellt.“

Gemeinsames Interesse?

Es wird also ein gemeinsames Interesse aller DemokratInnen postuliert, rechte Agitation im Namen der Demokratie zurückzuweisen. Derartige Argumentationsmuster werden nicht nur von bürgerlichen Kräften vertreten – sondern haben eine lange Geschichte innerhalb der Linken, von der Klassenzusammenarbeit der Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie seit Beginn des Ersten Weltkriegs, über die Volksfrontpolitik der KPD seit Mitte der 1930er Jahre bis zur Idealisierung „breiter, vielfältiger, bunter“ Bündnisse in der postautonomen radikalen Linken heutzutage.

Das Problem dieser Politik besteht darin, den Kampf gegen Faschismus und Rechtsradikale als eine Auseinandersetzung zu betrachten, die scheinbar über den Interessen gegensätzlicher Klassenkräfte steht. In Wirklichkeit taugen solche Bündnisse als Strategie gegen rechts nichts.

Sie haben nämlich auch auch einen politischen Preis, den die CDU in einem Schreiben deutlich zum Ausdruck bringt:

„Unser gemeinsames Ziel sollte sein, den rechtsradikalen Agitatoren möglichst wenig Öffentlichkeit, Raum und Aufmerksamkeit zu ermöglichen. Deshalb sehen wir es auch kritisch, jeden rechtsradikalen Aufmarsch mit einer Gegendemonstration am gleichen Tag zu begleiten. (…) Ausnahmsweise unterstützen wir die von einem breiten Bündnis getragene Kundgebung am 24. März 2018, von dem eine deutliche Botschaft ausgehen wird. Klar ist: Linksradikalen Kräften erteilen wir ebenso wie rechtsradikalen eine klare Absage. Jegliche politische Instrumentalisierung der schrecklichen Tat in Kandel lehnen wir ab. Wir gehen davon aus, dass der DGB als Veranstalter dafür sorgt, dass keine gewaltbereiten linksextremistischen Kräfte diese Kundgebung missbrauchen.“

Mit dem Motto „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen!“ wird man natürlich gegen die Welle rassistischer Gewalt gegen MigrantInnen nichts ausrichten können – geschweige denn gegen den staatlichen Rassismus, der sich in vielfältiger rechtlicher Diskriminierung der Geflüchteten gegenüber den „eingeborenen“ Menschen zeigt – es geht ja gerade um die Verteidigung der Institutionen, nicht um Kritik an diesen.

„Wir sind Kandel“ schreibt mit Blick auf die Demonstration vom 24.03.:

„Es ist uns gelungen, ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen die rechtsextremen Aufmärsche zu mobilisieren. Das ist ein wichtiges Signal. Umso wichtiger ist es uns, dass alle Teilnehmenden sich mit Respekt begegnen, dass alle sich an die Auflagen der Behörden halten, keiner der Redner ausgebuht wird und keine Gruppe ihre eigenen Ziele verfolgt. Nur gemeinsam sind wir stark.“

Dieser Appell der Zurückhaltung an die aktivistischeren AntifaschistInnen, die bereits am 03. März in größerer Zahl nach Kandel gefahren waren, um sich dem rechten Mob entgegenzustellen, macht deutlich, dass der bürgerliche Antifaschismus oft genug nur auf den Protestzug aufspringt, um ihm seine Fahne aufzupflanzen. Es wäre zwar zunächst nichts dagegen auszusetzen, wenn bürgerliche Kräfte aus welchen Motiven auch immer den Kampf gegen rechts unterstützen mögen, wenn dabei die Freiheit der Kritik erhalten bleibt und die Wirksamkeit der Aktion gesichert ist. Die offen bürgerlichen Kräfte beteiligen sich jedoch nicht, ohne ihre eigenen politischen Bedingungen an die Bewegung zu stellen. Ein derartiges Bündnis führt in der Praxis immer zur politischen Unterordnung der ArbeiterInnenbewegung und der radikalen Linken unter die bürgerlichen Kräfte.

Alternative Einheitsfront

Antifaschistischer Protest kann sich nicht darauf beschränken, das rassistische Denken der Rechten zu kritisieren. Rassismus ist die konkrete Unterdrückung von Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft rechtliche Ungleichbehandlung erfahren, sozial benachteiligt werden oder im Extremfall gewaltsamen Angriffen durch FaschistInnen ausgesetzt sind. Rassismus entspringt auch nicht irgendeinem „falschen Denken“, sondern der faktischen Spaltung der ArbeiterInnenklasse aufgrund der nationalen Herkunft, massiv verschärft durch die globale krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus, die einerseits Millionen zur Flucht zwingt und andererseits chauvinistische „Erklärungen“ dieser Entwicklungen befördert. Zumal selbst Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung – die Gewerkschaften durch Sozialpartnerschaft und Standortpatriotismus, die SPD als Regierungspartei, die die Asylrechtsverschärfungen mit durchgesetzt hat – das gesellschaftliche Klima, das zu den rechten Mobilisierungen geführt hat, mit verursacht haben. Der „offene“ Rassismus von AfD und anderen präsentiert sich vor diesem Hintergrund als konsequent zu Ende gedachte Fortsetzung dieser Politik.

Antifaschistischer Protest muss genau diese konkrete Unterdrückung aufzeigen und bekämpfen. Nötig ist eine Einheitsfront der Linken und der ArbeiterInnenbewegung, die nicht auf irgendeinem abstrakten politischen Konsens basiert, sondern sich konkret gegen diese Formen der Unterdrückung richtet – den Ausbau der Festung Europa, die Verschärfung der Asylgesetzgebung, das ausgrenzende und entwürdigende System der Unterbringung in Flüchtlingsheimen, die Einrichtung von „Abschiebezentren“. Gegen die alltäglichen rassistischen Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte muss Selbstverteidigung durch die Betroffenen und die ArbeiterInnenbewegung organisiert werden, bei rechten Aufmärschen darf den Rechten nicht die Straße überlassen werden.

Gerade in den Gewerkschaften müssen wir für eine solche Bewegung kämpfen, denn Rassismus spaltet die ArbeiterInnenklasse und bedroht so letztlich auch die gewerkschaftliche Organisierung, wie der Erfolg von rechten Betriebsratslisten u. a. bei Daimler zeigt. Das bedeutet, als antifaschistisches Bündnis sollte das breitestmögliche Bündnis innerhalb der Linken und der ArbeiterInnenbewegung aufgebaut werden, denn Rassismus entspringt letztlich der Art und Weise, wie Kapitalismus funktioniert – und ist eine Gefahr für die gesamte Klasse. Mit bürgerlichen Parteien gemeinsam kann man zwar Luftballons steigen und die Rollladen runter lassen – aber keinen Kampf gegen den Rassismus, geschweige denn seine Ursachen führen.




Frankreich: Macron erklärt EisenbahnerInnen den Krieg

Marc Lassalle, Infomail 995, 28. März 2018

Am 22. März fanden Streiks und Demonstrationen in ganz Frankreich statt. Sie wurden von den meisten Gewerkschaften des öffentlichen Diensts, die das Eisenbahn-, Schul- und Krankenhauspersonal, BeamtInnen, FluglotsInnen und Pariser U-Bahn-MitarbeiterInnen vertreten, ausgerufen. Ihr Ziel war, das „Gesetzesprojekt für einen neuen Eisenbahnpakt“ von Präsident Emmanuel Macron, dem Pin-up-Boy der internationalen Bourgeoisie, zu Fall zu bringen.

Es besteht nur aus vier Seiten und 8 kurzen Artikeln, enthält aber eine echte Kriegserklärung. Damit hat Macron die Feindseligkeiten gegen EisenbahnerInnen mit einem weitreichenden Angriff eröffnet: Änderung des Status der SNCF (der staatlichen Eisenbahngesellschaft mit 146.000 Beschäftigten) in Richtung Privatunternehmen, Öffnung der französischen Eisenbahnen für den Konkurrenzkampf (derzeit ist sie ein staatliches Monopol), Abbau von 4000 bis 9000 km Nebenstrecken und Verhinderung der Neueinstellung von Beschäftigten unter bestehenden kollektiv vereinbarten Arbeitsbedingungen der SNCF.

Der Angriff

Letzteres ist das Herzstück der Attacke. Die EisenbahnerInnen verfügen aufgrund vieler Kämpfe in der Vergangenheit über vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen sowie eine Entschädigung für Nacht- und Wochenendarbeit. Diese „Privilegien“ werden seit Jahrzehnten medial und politisch angegriffen, obwohl die Gehälter dem nationalen Durchschnitt entsprechen und die Belegschaften bereits besondere Verrentungsbedingungen verloren haben. Der Hauptgrund für den Angriff ist jedoch, dass die ArbeiterInnen der SNCF nach wie vor eine Hochburg des militanten Gewerkschaftswesens sind, und zwar einer der letzten gut organisierten und kämpferischen Industriesektoren in Frankreich.

Von seinem Erfolg im Herbst beseelt, als seine Regierung ohne ernsthaften Widerstand ein neues Arbeitsgesetz (Code du Travail) verhängte, das die Bosse völlig begünstigte, will Macron dieser Avantgarde der französischen ArbeiterInnenklasse, dem Kern des Widerstands innerhalb der verschiedenen sozialen Bewegungen der letzten zwei Jahrzehnte, eine große strategische Niederlage aufzwingen. Jede/r denkt noch an den langen Streik von 1995, als die EisenbahnerInnen das Land für drei Wochen lahmlegten und am Ende der rechten Regierung Alain Juppés eine demütigende Niederlage zufügten.

Macron profitiert von einer außergewöhnlich starken parlamentarischen Mehrheit und möchte diese neue „Reform“ ohne öffentliche Debatte auf dem Wege von Verordnungsdekreten durchsetzen, so wie er es mit dem Arbeitsgesetz getan hat. Das sind kurze Ermächtigungsgesetze, die der Regierung einen Blankoscheck aushändigen, damit sie tun kann, was sie will. Diese Eile hat keine wirkliche Rechtfertigung, abgesehen von dem Versuch, die Debatte im Parlament und im Land zu verkürzen und die ArbeiterInnen vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Er will auch die politische Krise nutzen, die die ArbeiterInnenbewegung erschüttert. Ihre traditionellen Parteien, die Sozialistische Partei, PS, und die Kommunistische Partei, PCF, befinden sich in völliger Zerrüttung, während die Neue Antikapitalistische Partei, NPA, stark geschwächt ist. Jean-Luc Mélenchons Versuche, sie mit seiner populistischen Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) zu beerben, sind trotz wiederholter rhetorischer Heißluft nie richtig in Gang gekommen.

Als Grund für die Veränderungen werden die Vorgaben der Europäischen Union (EU) herbeizitiert. Doch dies ist eine Ausrede. Die EU ist heute so geschwächt, dass sie eine andere Entscheidung Frankreichs für den Eisenbahnsektor akzeptieren müsste. Die Wahrheit ist, dass die französische Regierung diesen öffentlichen Dienst in ein privates Unternehmen umwandeln will, das auf Profit ausgerichtet ist. Sie wünscht, dass das Schienennetz auf Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den wichtigsten Städten beschränkt bleibt, mit Nahverkehrszügen in dichten Stadtgebieten. Die NutzerInnen in ländlichen und verarmten Gebieten sowie solchen mit einem hohen ArbeiterInnenanteil an der Bevölkerung lässt der Rahmen dieses neuen Geschäftsplans eindeutig außer Acht.

Die Öffnung des Marktes sowie eine Klausel, die die EisenbahnerInnen verpflichtet, jeden neuen Arbeitsplatz in diesem Sektor, auch bei privaten Unternehmen, anzunehmen, wird zu einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen führen. Was auch immer von den derzeitigen Verhältnissen übrig bleiben sollte, würde ständig der Gefahr, unterlaufen zu werden, ausgesetzt sein. Mit dem Angriff auf die SNCF verfolgt Macron auch einen großen politischen Sieg, der den Weg für weitere „Reformen“ gegen den öffentlichen Dienst ebnen könnte.

Eines der Wahlversprechen Macrons war, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um 120.000 zu reduzieren. Ähnliche „Reformen“ sind in Vorbereitung, unter anderem in den Bereichen Gemeindeverwaltung, Schulen und Gesundheitswesen. Macron will „Jobs auf Lebenszeit“ für die Staatsbediensteten untergraben und sie durch „prekäre“ ArbeiterInnen mit niedrigeren Löhnen und niedrigen oder gar keinen Renten ersetzen.

Als unverschämter Verfechter des Neoliberalismus, der den individuellen wirtschaftlichen Erfolg als einziges wichtiges Kriterium lobt, träumt Macron von einer umfassenden Umgestaltung der französischen Wirtschaft, die nach wie vor auf einen bedeutenden öffentlichen Dienst angewiesen ist. Bisher ist er auf wenig Widerstand gegen seine Schocktaktik gestoßen.

Die aktuelle Angriffswelle wird jedoch nicht ohne einen ernsthaften Klassenkampf ausgehen. Der Aktionstag und die Streiks am 22. März waren ein klarer Erfolg, warfen aber die Frage auf, was die nächsten Schritte sein sollten, denn der letzte ähnliche Aktionstag passierte im Oktober 2017.

Kampftaktiken

Alle Gewerkschaften der SNCF haben die Reform abgelehnt, und die stärksten Gewerkschaften, einschließlich der CGT, rufen zu Streiks im April und Mai auf. Leider ist die gewählte Streiktaktik von Anfang an bürokratisch. Sie besteht aus zwei Streiktagen pro Woche, die von den Leitungsgremien der Gewerkschaft im Voraus festgelegt werden. Die französische Gewerkschaftstradition, insbesondere bei der SNCF, sieht unbefristete Aktionen vor, bei denen der Streik jeden Morgen auf jeder Arbeitsstelle von der Generalversammlung der Beschäftigten gemeinsam beschlossen wird. Indem die GewerkschaftsbürokratInnen den Streik im Voraus für die nächsten Monate planen, erzwingen sie eine strengere Kontrolle des Kampfes von oben – nützlich, wenn sie beschließen, ihn zu beenden.

Laurent Brun, Leiter der CGT-EisenbahnerInnen, spricht erwartungsgemäß von einem guten Kampf. „Wir nehmen die Herausforderung an. Dies wird sicherlich eine der größten sozialen Bewegungen in der Geschichte der SNCF sein“, sagte er. Es scheint allerdings auch, als hätte Macron die Unterstützung durch Laurent Berger, den Generalsekretär des CFDT-Gewerkschaftsverbandes, verloren, der die Regierung beschuldigt hat, „den ArbeiterInnen der Eisenbahn und des öffentlichen Dienstes ins Gesicht zu spucken“. Bei der „Reform“ des Code du Travail konnte Macron Berger noch benutzen, um die Gewerkschaften zu spalten und die CGT zu isolieren.

Der Kampf der ArbeiterInnen der SNCF ist in der Tat so bedeutsam, dass alle französischen ArbeiterInnen ihn aktiv unterstützen müssen, am besten, indem sie auf eigene Forderungen hin streiken. In mehreren anderen Sektoren wurde in letzter Zeit die ArbeiterInnenschaft mobilisiert oder wird es bald werden: bei Air France, dem riesigen Einzelhändler Carrefour, EHPAD (Etablissement d’Hébergement pour Personnes Agées Dépendantes; deutsch: Niederlassung für die Unterbringung abhängiger älterer Personen), also ArbeiterInnen, die sich um ältere Menschen in Heimen kümmern, und SchullehrerInnen. Auch die SchülerInnen haben sich in den letzten Wochen gegen eine „Reform“ ihrer Gymnasien eingesetzt, die den Zugang zu den Universitäten stark einschränken wird.

In diesem Zusammenhang ist der von Olivier Besancenot von der NPA initiierte und von 16 Gruppen, darunter der PCF, unterzeichnete Aufruf zur Solidarität ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Massenbewegung und ein Sieg für die EisenbahnerInnen wären ein Sammelpunkt für die gespaltene französische Linke und die Gewerkschaften.

Der 22. März, der Tag des Streiks, war der 50. Jahrestag der Besetzung des Campus der Universität Nanterre (Universität Ouest Paris-Nanterre La Défense oder Universität Paris X) , die die Bewegung initiierte, die mit dem Generalstreik und den Barrikadenkämpfen im Mai 1968 ihren Höhepunkt erreichte. Heute müssen die französischen ArbeiterInnen und Jugendlichen dem Beispiel dieses Streiks mit Massenmobilisierungen, Betriebsbesetzungen und einem Generalstreik folgen, der von der Basis kontrolliert wird. Tatsächlich kann nur eine Bewegung dieser Stärke das gesamte Reformpaket von Macron zu Fall bringen. Im Kampf müssen die ArbeiterInnen und Jugendlichen Organe der Selbstorganisation schaffen, um die Kontrolle über den Streik zu übernehmen und ihre Forderungen nicht nur an die Regierung, sondern auch an ihre eigenen nationalen FührerInnen zu stellen.