NATO-Sicherheitskonferenz 2015 – Militärische Neuaufteilung der Welt

Jürgen Roth, Neue Internationale 196, Februar 2015

Nach Beendigung des Kampfeinsatzes in Afghanistan – ein vollständiger Truppenabzug steht natürlich nicht ins Haus – will sich die NATO wieder stärker auf Europa konzentrieren. Zur Abschreckung Russlands ist die Aufstellung einer Sondereinsatzgruppe mit sehr hoher Einsatzbereitschaft aus mehreren tausend Soldaten, va. aus Deutschland, Norwegen und den Niederlanden, geplant. Die Zahl der Manöver an der Ostflanke des Militärbündnisses soll gesteigert, die Rotation von Einheiten aller Teilstreitkräfte der USA und anderer Verbündeter in die Russland am nächsten liegenden NATO-Staaten fortgesetzt werden. Unklar ist noch die Finanzierung und inwieweit dort Vorratslager für militärische Güter angelegt werden. Diesen Strategiewechsel Richtung Kalter Krieg 2.0 hat der NATO-Gipfel in Wales im September 2014 beschlossen.

Neue Bipolarität

Es liegt auf der Hand, dass diese Beschlüsse etwas mit der Ukraine-Krise zu tun haben. Doch um ein komplettes Bild von der Politik gegenüber Russland und ihrer Geschichte zu zeichnen, Gemeinsamkeiten und Differenzen der NATO-Staaten untereinander auszumachen, müssen wir zunächst einen Blick auf die globalen Geostrategien der Großmächte werfen.

Bereits jetzt treibt die Welt auf einen Konflikt zwischen China und den USA zu. Die ökonomische Vorherrschaft des Noch-Welthegemons USA schwindet. Bis in die 1990er Jahre hinein stellte sich das als Aufholen der westeuropäischen Länder und Japans dar. Seitdem verlieren die USA viel stärker an ökonomischer Potenz gegenüber den BRICS-Staaten, hier v.a. China. Dieser Prozess hat sich seit Ausbruch der großen Weltwirtschaftskrise noch einmal beschleunigt.

Erklärtermaßen ist Ostasien die Region, die seitens des US-Imperialismus höchste Priorität genießt. Die militärischen Beziehungen zu Südkorea, Taiwan, den Philippinen, Indonesien, Malaysia werden mehr denn je gepflegt. Der japanische Imperialismus wird zur Aufrüstung und zu aggressiverem Auftreten animiert. Die Regierung Shinzo Abes beseitigt gerade zu diesem Zweck entsprechende Verfassungshindernisse. Zur Förderung der Exporte der seit den frühen 1990er Jahren strukturell stagnierenden Wirtschaft darf er den Yen abwerten, was früher von Washington schärfstens missbilligt oder sogar verhindert worden wäre.

Am 29. November 2014 hielt Chinas Präsident und Chef der zentralen Militärkommission (!) Xi Jingping auf der Zentralkonferenz über Arbeit in ausländischen Angelegenheiten eine wichtige Rede, in der ein strategischer Kurswechsel Pekings angekündigt wurde. China betrachtet die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und auch zur EU nicht mehr als oberste Priorität. Die genießen vielmehr nun die BRICS-Staaten, v.a. Russland, die asiatischen Nachbarn sowie Afrika und andere Entwicklungsländer. Wir können erwarten, dass sich China zukünftig deutlicher gegen eine amerikanische Einmischung aussprechen wird, wie während Hongkongs „Regenschirm-Revolution“ geschehen: „Warum betreibt Washington Farbenrevolutionen?“ fragte das offizielle Blatt China Daily und spielte auf die Rolle des Vizedirektors der staatlich finanzierten amerikanischen NGO „National Endowment for Democracy“ an.

Bedeutsamer ist jedoch der chinesische Plan, alternative Institutionen zum IWF und zur Weltbank aufzubauen, zwei strategischen Säulen für die Wirtschaftshegemonie der Vereinigten Staaten nach 1945. Diese offene Absicht wird von chinesischer Seite flankiert mit dem Vorhaben, eine eigene Freihandelszone im asiatisch-pazifischen Raum (FTAAP) zu gründen, eine deutliche Gegenmaßnahme zum amerikanischen Versuch, China durch das TTIP-Abkommen mit der EU zu isolieren.

Neue Allianzen

Einen Zwischenschritt zur endgültigen Konfrontation zwischen den beiden „Supermächten“ stellt die Bekräftigung alter wie das Eingehen neuer Allianzen dar. Zu einer Zeit, wo Putins Russland von Wirtschaftssanktionen der NATO bedrängt wird, schließt die VR China gleich mehrere gigantische Verträge mit den russischen Staatsunternehmen Gazprom und Rosneft über Energielieferungen ab, die zu Zeit bedrohte Exporte nach Europa kompensieren können. Beide Länder einigten sich auf den Bau zweier Gaspipelines. Die Ausweitung eines Währungsswaps (also der Austausch von Zins- Kapitalzahlungen in Yuan und Rubel) und der verstärkte Einsatz des Yuan im bilateralen Handel sollen den unter Druck geratenen Rubel stabilisieren.

Die gemeinsamen Übungen „Marine-Zusammenarbeit“ finden im nördlichen Teil des Ostchinesischen Meeres statt, gerade weil die USA dort regelmäßige Manöver mit ihren Verbündeten abhalten, um China und Nordkorea unter Druck zu setzen, so Viktor Sokolow, Vizepräsident der russischen Akademie für geopolitische Probleme.

Nun lässt sich, wie die Periode zwischen den beiden Weltkriegen zeigt, aus der Hauptkonfliktlinie zwischen China und den USA nicht ableiten, dass der nächste Weltkrieg, den es zu verhindern gilt, zwischen beiden Großmächten und ihren Partnerländern ausbrechen wird. Zwischen 1918  und 1939 befanden sich Europa und Amerika in der schärfsten Konkurrenz zueinander, doch der 2. Weltkrieg begann, als Europas führende Industriemacht die Nachkriegsverhältnisse am wenigsten friedlich weiter tolerieren konnte: Deutschland. Die derzeit sich bildenden Bündnisse werden sich verändern, die eine oder andere imperialistische Macht wird die Seite wechseln und die ebenfalls zunehmenden Antagonismen zwischen den Hauptmächten und anderen Imperialismen können den derzeitigen Hauptwiderspruch an Explosivität übertreffen.

Das gegenseitige Zusammenwirken in der Ukraine-Krise, bei den TTIP-Verhandlungen scheint die NATO-Mitglieder fester aneinander zu binden, die Konkurrenz zwischen EU und USA zeitweilig zu mindern. Dies liegt nicht nur am wachsenden Gegensatz beider zu Russland, sondern auch an oben aufgezeigter geostrategischen Weltlage.

US-Militärstrategien

Zum einen vermag die größte Weltmacht auch ihren Verbündeten in den Paktsystemen NATO und SEATO immer noch ihren Willen aufzuzwingen. Das ermöglicht ihr eine weltweite Eingreiffähigkeit wie keine andere Armee. Zum anderen versucht sie dabei geschickt, ihre Verbündeten in Konflikte mit hineinzuziehen. Wenn sich die EU gegenüber Russland und Japan gegenüber China aufstellen, dann hat diese Konstellation für sie auch den Vorteil, dass nicht nur ihre Hauptgegner einer verstärkten Streitmacht ins Auge blicken, sondern auch ihre derzeitigen Verbündeten durch diese Konflikte beschäftigt werden.

Damit werden Japan und die EU vorsorglich geschwächt, denn die USA müssen auf alle Fälle damit rechnen, dass diese sich eines Tages auch gegen sie stellen können. Der 2. Weltkrieg wurde so geführt, dass am Ende nicht nur die Hauptfeinde Deutschland, Italien und Japan bezwungen wurden, sondern auch die Alliierten Großbritannien und Frankreich ihre Kolonialreiche zugunsten der US-amerikanischen Freihandelspolitik (open-door-policy) aufgeben mussten.

Nach dem Wegfall des Warschauer Paktes sah es so aus, dass sich die USA mit dem geschwächten Russland arrangierten. 1999 verfügte Präsident Clinton eine neue NATO-Ausrichtung. Die „Verteidigungsgemeinschaft“ des Westens gegen den Osten mutierte zu einem weltweit operierenden Militärbündnis der Krisenregulierung in der Vollzugsgewalt der Vereinigten Staaten, nicht der UNO. Polen, Ungarn und Tschechien traten der NATO bei. Bush jun. kündigte den ABM-Abrüstungsvertrag. Nach dem 11. September 2001 schlug Putin den Aufbau einer gemeinsamen Raketenabwehr vor. Doch heraus kam nur das Konsensorgan „NATO-Russland-Rat“, ein inzwischen funktionsloses Relikt. Die US-Verbündeten stellten sich hinter ihren Hegemon. Deutschland forcierte in seinem Windschatten den Umbau der Bundeswehr zu einer Berufsarmee für weltweite „out of area“-Einsätze. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 folgte Merkel den US-Vorgaben. Sie erklärte, die Weltordnung müsse durch USA, EU und NATO stabilisiert werden, und wies das russische Kooperations- und Integrationsangebot von 2001 zurück.

Die Haltung der USA zu Russland ist trotzdem eine andere als die der EU. Nachdem letzteres unter Putin zu einer neuen imperialistischen Macht aufgestiegen war, entstand ein Hindernis allererster Güte für die amerikanische Kontrolle über Nah- und Mittelost sowie Zentralasien, eine rohstoffreiche Region von immenser strategischer Bedeutung. Russlands Militär und besonders sein atomares Potenzial machen es zum stärksten militärischen Gegner des nordamerikanischen Kolosses. Das russische Gas, der russische Investitionsstandort und Warenmarkt sind dagegen für sie wenig bedeutend. Das ist der Grund, warum Washington den Umsturz in Kiew forscher betrieben hat als die EU. Die Kosten der Auseinandersetzung fallen in Russland und im übrigen Europa an.

Die deutsche Monopolbourgeoisie folgt dem „Primat der Politik“ noch zähneknirschend. Damit ist angedeutet, dass ihre entgegengesetzten Wirtschaftsinteressen einstweilen zurückstehen müssen. Als Nebeneffekt dürften die USA Schadenfreude genug darüber empfinden.

Langfristig aber ist Russland für die EU und insbesondere Deutschland auch verlockende Beute –  möglicherweise auch in der Form eines wirtschaftlich und politisch untergeordneten Verbündeten. Die „freie Hand im Osten“, das Ziel eines eurasischen Großreichs bleibt aus geostrategischen Gründen nach wie vor Ziel. Die EU/Deutschland können keine Überseeambitionen hegen, sondern müssen sich auf die Landmasse im (Süd-)Osten konzentrieren. Dazu ist die EU militärisch einstweilen viel zu schwach, kein einheitlicher Staat und befindet sich in einer tiefen Krise, die sie zu zerreißen droht. Ein Umbruch muss her.

EU: die Karten werden neu gemischt

Grund zum Unmut mit seiner militärischen Schwäche hat das Staatenbündnis nicht nur aus o.a. Gründen, sondern weil es im Afrika südlich der Sahara ins Hintertreffen gerät. Die klassischen Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich verlieren immer mehr an Einfluss an China und die USA. Nur schwer ist ihr Abstieg zu drittrangigen Mächten für einen Wirtschaftsraum zu verkraften, der bezüglich seiner Währung und ökonomischen Leistungsfähigkeit dem Weltmarktführer wenig nachsteht.

Doch die Strukturkrise hat die Rangfolge in den eigenen Reihen verändert: die BRD ist die Gewinnerin der Krise, hat sogar Frankreich deutlich ins zweite Glied verstoßen. Deutschlands Exportstärke verweist die anderen EU-Mitglieder zusehends auf den Status von Schuldnerländern mit erheblichen, weiter wachsenden Zahlungsdefiziten. Konnte Frankreich zuvor mit seiner außenpolitisch-militärischen Überlegenheit seinen ökonomischen Rückstand noch ausgleichen, muss Premier Hollande jetzt die EU anbetteln, ihm bei seinen Auslandseinsätzen beizustehen. Die Bürde seiner Militäroperationen im Afrika südlich der Sahara (Mali, Zentralafrikanische Republik etc.) erdrückt die schwächelnde „Grande Nation“.

Neuausrichtung der Bundeswehr

Konsequenzen aus dieser Analyse zieht die energische Verteidigungsministerin von der Leyen:

1.) Die Bundeswehr soll ein „attraktiver Arbeitgeber“ werden (Erziehungsurlaub für SoldatInnen).

2.) Die Armee muss aufgerüstet und technisch verbessert werden (Kampfdrohnen, Hubschrauber, Schnellboote usw.).

3.) Ihr Einsatzgebiet wird erweitert: Somalia, Mali und Zentralafrikanische Republik stehen ganz oben auf ihrem Zettel. Geplant sind auch Einsätze in der Ostukraine und im Irak, möglicherweise auch ein Kommandostab in Jordanien.

4.) Mandate werden verlängert: Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei nahe der syrischen Grenze („Active Fence“), der Mittelmeereinsatz unter Führung der NATO vor der libanesischen Küste, ursprünglich als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 beschlossen („Active Endeavour“).

5.) Das Parlamentsbeteiligungsgesetz von 2005 soll angepasst werden. Eine 16-köpfige Kriegskommission unter dem ehemaligen Verteidigungsminister Rühe soll für weitere Ausschaltung der Öffentlichkeit sorgen. „Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ nennt sich das im Insiderjargon.

Das große Krisengespenst wirft seine Schatten voraus: die Großmächte wetzen die Messer. Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz wird genau zu beobachten sein.




Ukraine: Bergarbeiter und ihre Gewerkschaften

Frank Ickstatt, Neue Internationale 196, Februar 2015

Die Bergleute sowohl der Ukraine, genauer des Donbass, und Sibiriens spielten eine wichtige Rolle am Ende der Sowjetunion. Sie waren jener Teil der Arbeiterklasse, der am effektivsten und sichtbarsten gegen die herrschende Bürokratie auftrat und ökonomische Forderungen, wie Lohnerhöhungen, Zahlung von ausstehenden Löhnen oder bessere Versorgung auch mit politischen Forderungen verband.

Ursprünge

Sie gründeten schnell unabhängige Verbände und griffen das politische Monopol der Bürokratie an. Allerdings gerieten sie dabei ebensowenig wie der Rest der Klasse auf den Weg der politischen Revolution, sondern ins Fahrwasser bürgerlicher Demokratie. Gerade im Donbass stimmten viele für die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine, weil sie das als Weg ansahen, die Bürokratie zu entmachten. In Russland konnte Jelzin die Bewegung der Bergleute zeitweise für sich instrumentalisieren. Es gab sogar Bestrebungen, die Privatisierung zu unterstützen.

Zur Geschichte der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft in der Ukraine schreibt eine Studie der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung:

„Bergarbeiter spielen seit der Perestroika eine wichtige Rolle in der Politik. Zu erwähnen sind hier die unabhängigen Streikkomitees im Donbass, aus denen die unabhängige Bergarbeitergewerkschaft (NPGU) hervorgegangen ist. Führende Mitglieder haben sich in jener Zeit hohes Vertrauen und Ansehen vor Ort erworben, ein politisches und persönliches Kapital, von dem sich immer noch zehren lässt. Im östlichen Donbass stimmten 1991 79 Prozent der Bevölkerung für die staatliche Unabhängigkeit!

Sehr schnell wurden die Bergarbeiter von nationalpatriotischen politischen Bewegungen, z.B. dem Ruch und anderen umworben. Oleksandr Mril, ehemals Vorsitzender der NPGU, sorgte in der stürmischen Wendezeit dafür, dass sein Team, gekleidet in schwarze Uniformen, gemeinsam mit Vertretern der UNO-UNSO – einer ultranationalistischen Partei – durch die Straßen marschierte.

Als Myhailo Volynez 1991 als neuer NPGU-Vorsitzender in Kiew eintraf, fand er nur noch vollkommen leere Büros vor, die üppigen Materialhilfen von AFL/CIO waren sämtlich verkauft oder verschwunden, so dass er sprichwörtlich bei Null anfangen musste. Auch Volynez, war von 2002 bis 2012 Abgeordneter im Tymoschenko-Block, wurde aber 2012 von der Partei nicht wieder aufgestellt.“

Allerdings unterstützte Volynez den Maidan. Er kündigt vollmundig einen Streik der Bergleute bzw. deren Teilnahme am Maidan an, was aber völlig daneben ging. Die wenigen, die er letztlich präsentierte, waren verkleidete Anhänger der Vaterlandspartei.

Auch im Krieg gegen den Osten gibt sich die “unabhängige” Gewerkschaft keineswegs so unabhängig, sondern unterstützt die “Friedenspläne” von Poroschenko und organisiert medizinische Hilfsdienste für die ukrainischen Truppen (nachzulesen auf der Website der Gewerkschaft www.kvpu.org).

Stimme aus dem Donbass

Im Donbass hat sich wiederum eine eigene unabhängige Gewerkschaft der Bergleute gebildet, die „Unabhängige Gewerkschaft der Bergarbeiter in Donezk“ (DNPG). Deren Vorsitzender Michail Krylow hat sich zu den Behauptungen der NPGU wie folgt äußert:

„Aufruf von Bergarbeitern aus dem Donbass an die Kollegen in Deutschland

Erklärung zur `Unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter der Ukraine´ (NPGU)

Brüder Bergarbeiter!

Wir, Bergleute aus dem Donbass, die gegen die neonazistische Regierung in Kiew kämpfen, sagen klar: Die sogenannte ‘Unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter der Ukraine’ (NPGU) repräsentiert nur die Interessen ihrer Herren, das sind Frau Timoschenko und Co.

Der Vorsitzende der NPGU erklärt selbst, dass ‘115 von 150 Bergwerke sich auf dem okkupierten Gebiet befinden. Auf dem Gebiet, das von der Ukraine kontrolliert wird, gibt es nur 35 Bergwerke und nur 20 davon funktionieren.’ (http://kvpu.org.ua/uk/news /6/3780/eslipravitelstvoubetshakhtyiehnergetiku, torossiyabu detprodavatugolukrainepo200dollarov, volynec).

Das ist richtig. Aber es wirft auch die Frage auf: Von wem wurde das Gebiet mit den 115 Bergwerken okkupiert? Es wurde von den Bergarbeitern eben dieser Bergwerke ‘okkupiert’. Diese Arbeiter wollten sich nicht mit dem neo-liberalen, von Faschisten unterstützten Putsch in der Ukraine aussöhnen – deswegen wurden sie in einem Meer von Blut ertränkt!  Die ukrainischen Strafbrigaden fühlen sich (und benehmen sich) nicht einmal wie Okkupanten, sondern wie eine Räuberbande.

Deswegen versuchen sie, ‘je mehr desto besser’, die Infrastruktur im Donbass einfach zu zerstören. Ein Teil von ‘dieser Macht des Bösen’ sind solche billigen Pseudo-Gewerkschaften wie die NPGU.

Die NPGU hat von Beginn des sogenannten Euromaidans und bis auf den heutigen Tag die rechtextremistische Sippe unterstützt, die die Macht in der Ukraine ergriffen hat. Heute macht sie gute Miene zum bösen Spiel und simuliert irgendwelchen ‘Kampf’, bringt ‘Resolutionen’ ein, unterhält sich im Namen der ukrainischen Arbeiter mit dem IWF und erhält vom IWF sogar Dankesworte dafür.

(http://kvpu.org.ua/uk/news/6/3788/predstavnikimisiimvfzustrilisyazprofspilokami).

Also, liebe deutsche Brüder Bergarbeiter, wenn Ihr nicht fern von Solidarität seid, kehrt diese Abzocker, die die schlechtesten Freunde der Arbeiterklasse sind, mit eisernem Besen aus!

Vorsitzender der unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter in Donezk (DNPG),

Michail Krylow, Schachthauer mit 30 Jahren Berufstätigkeit“




Ukraine: Neue Kämpfe

Franz Ickstatt, Neue Internationale 196, Februar 2015

Einen wirklichen Waffenstillstand hat es nie gegeben. Immer wieder hatten die Kiewer Armee oder ihre Fascho-Truppen mit Artillerie, Raketen und Flugzeugen Angriffe v.a. gegen die Zivilbevölkerung vorgetragen. Ganz offensichtlich setzt Poroschenko darauf, diese von Winter und Hunger getroffenen Menschen durch Bombardierung von Krankenhäusern und technischer Infrastruktur zu demoralisieren.

Die deutschen Mainstreammedien schafften es, auch solche Angriffe den „Separatisten“ in die Schuhe zu schieben oder „Unklarheit über die Aggressoren“ zu konstatieren. Die simple Logik jedes militärischen Konflikts aber, dass man sich nicht selbst bombardiert, schon gar nicht, wenn offiziell Waffenruhe herrscht und die Fronten klar sind, spricht gegen diese dümmliche Stimmungsmache. So wurde selbst der Raketenangriff auf einen Bus in Donezk, das von den „Separatisten“ beherrscht wird, ihnen  in die Schuhe geschoben.

Angriff und Gegenangriff

Anfang des Jahres ging Poroschenko dann zum offenen Angriff auf den Flughafen Donezk über, verbunden mit der Ankündigung, 50.000 Wehrpflichtige auszuheben. Zum Zeitpunkt, da dieser Artikel entsteht, ist der Angriff auf den Flughafen gescheitert, an einigen Stellen rücken die Batallione der “Volksrepubliken” vor. Die militärischen und zivilen Führungen dieser haben die Farce des Minsker Abkommens aufgekündigt. Die westlichen Imperialisten und ihre Kettenhunde beschuldigen erneut Putin, dahinter zu stehen. Doch: Kann das sein?

Putins Position ist momentan schwer zu beurteilen. In den letzten Monaten war die Einflussnahme Russlands v.a. darauf gerichtet, die Strukturen im Osten stärker unter Kontrolle zu bekommen. Empfänglich für die Direktiven aus dem Kreml sind v.a. die alten Janukowitsch-Leute, die noch immer auf ihren Posten sitzen. Daran haben auch die Wahlen vom November wenig geändert. (Siehe auch NI 149, Interview mit einem Genossen von Borotba). Damit das so bleibt, wurde auch die KP von Donezk daran gehindert zu kandidieren, ebenso wie einige populäre Kommandeure.

Putin und die “Volksrepubliken”

Was dem Bonaparte aus dem Kreml nur missfallen konnte, waren und sind die zunehmenden linken Tendenzen im Osten. Nachdem die Wirtschaft zum großen Teil zusammengebrochen ist, weil die Kiewer Truppen viele Fabriken und Bergwerke zusammengeschossen hatten, die Waren nicht mehr zu exportieren waren oder Staat und Oligarchen die Lohnzahlungen einstellten, mussten sich auch diejenigen ArbeiterInnen positionieren, die dies am Anfang noch nicht für nötig hielten oder durch den hohen Anteil russischer oder panslawistischer Propaganda davon abgehalten wurden. Etliche sind geflohen, viele in die Westukraine, mehr noch nach Russland. Wer bleibt, kämpft. Es haben sich Einheiten gebildet wie die „Roten Kosaken“, die aus ArbeiterInnen, v.a. Bergleuten, bestehen. Sie, wie auch andere, kämpfen unter roten Fahnen oder dem Sowjetstern.

Politisch ergibt sich auch die Frage, was mit den Fabriken und Minen geschehen soll, die von der Kiewer Regierung oder den Oligarchen aufgegeben oder bombardiert wurden. Die Rechten, also die Janukowitschleute, die russischen Nationalisten und die Putin-Agenten wollen sie unter die Kontrolle russischer Oligarchen bringen. Die ArbeiterInnen haben offensichtlich andere Pläne. Sogar die „Unabhängige Bewegung Noworossija“, eine kleinbürgerlich-populistische Vereinigung, drückt dies in ihrer programmatischen Erklärung aus: „Großes Eigentum, industrielles und finanzielles Vermögen sollen dem Staat gehören. Der Nationalrat setzt sich zusammen aus Delegierten aus Räten und nationalen und Arbeitskollektiven und soll die höchste gesetzgebende Körperschaft in Novarossija werden.“ Ein offensichtliches Zugeständnis an die ArbeiterInnen.

Zweierlei passt Putin gar nicht: einmal die sich verstärkende Linksentwicklung und zum zweiten auch die Illusionen der russischen Nationalisten in Putin, er würde den Donbass ebenso eingemeinden wie die Krim. Angesichts dessen, dass Putin diesen Erwartungen nicht entspricht, neigt dieser rechte Flügel des Widerstands zu Eigenmächtigkeiten, die von den westlichen Imperialisten weidlich genutzt werden, um Putin unter Druck zu setzen. Konnte er die August-Offensive der Rebellen noch dazu nutzen, Poroschenko an den Minsker Verhandlungstisch zu zwingen, so kann man durchaus annehmen, dass es die Rebellen-Truppen sind, die mit dem Angriff u.a. auf Mariupol ihn daran hindern wollen, die Volksrepubliken auf dem internationalen Verhandlungstisch zu opfern.

Konflikte im Osten

Die Konflikte innerhalb der “Volksrepubliken” haben an Schärfe zugenommen. Ein ständiger Konfliktherd ist die Verteilung der Hilfsgüter: Bestimmt die Administration aus pro-russischen Janukowitschleuten oder bestimmen die kämpfenden Einheiten? Diese stellen oft die progressiveren Elemente. Einige treten für Komitees der Bevölkerung ein. In den letzten Wochen griffen etliche Kommandeure der „Roten Kosaken“ Plotnitski, das Staatsoberhaupt der VR Lugansk, an, weil er zu wenig für die Bevölkerung täte und Material für sich abzweige. Dieser seinerseits beschuldigte Alexander Bednov, den populären Verteidiger der Stadt in den Augustkämpfen, der Unterschlagung und der Folter von Zivilisten. Dies geschah, nachdem Bednov unter nicht geklärten Umständen mit einigen seiner Leute durch eine (vermutlich) russische Spezialeinheit liquidiert worden war.

Genauso ist die zwei Wochen lange Gefangennahme von vier Mitgliedern von Borotba ein Beweis für die sich vertiefenden Konflikte im Osten. Deren Freilassung nach 10 Tagen zeigt aber auch das Gewicht der linken Kräfte.

Diese Konflikte belegen, dass all jene völlig daneben lagen, welche die politische Bewegung im Osten klein- oder wegreden wollten, die die antifaschistischen KämpferInnen als russische Invasoren darstellten und behaupten, dass diese gegen die örtliche Bevölkerung stünden.

Die Geschichte bleibt die Geschichte von Klassenkämpfen, auch wenn sie durch die Form eines Bürgerkriegs verdeckt werden. Oder wie Trotzki es einmal präzisierte: „Der Sektierer ignoriert einfach, dass der nationale Kampf, als eine der verworrensten und unübersichtlichsten, aber zugleich äußerst wichtigen Formen des Klassenkampfes, nicht allein durch den Verweis auf die künftige Weltrevolution entschieden werden kann.“

Wenn nun im Osten die Fronten zwischen Links und Rechts, zwischen ArbeiterInnenklasse, russischen Nationalisten und den Interessen des russischen Imperialismus deutlicher werden, ist es höchste Zeit für alle Linken, die bisher neutralistische Positionen einnehmen, ihre Passivität zu überdenken.

Rückkehr des Klassenkampfes?

Auch in der Westukraine nehmen die Konflikte zu. Bereits Ende letzten Jahres gab es einen Streik der StraßenbahnerInnen in Kiew und der RaffineriearbeiterInnen in Odessa. Im einen Fall ging es um ausstehende Löhne, im anderen wollte sich der Multi-Milliardär Kolomoisky  die Raffinerie billig unter den Nagel reißen.

In der Stahlfabrik von Krementschug, die ebenfalls Kolomoisky gehört, protestierten tausende ArbeiterInnen gegen die Ankündigung der Entlassung von 2.500 ArbeiterInnen. Im Januar kam es zu einem Massenstreik für die Zahlung ausstehender Löhne in der Maschinenfabrik Juschmasch in Dnjepropetrowsk.

Gute Gelegenheiten für KommunistInnen, auch der ArbeiterInnenklasse in der West-Ukraine zu helfen und ihnen zugleich zu sagen, dass ein Sieg der ultranationalistischen Kiewer Oligarchenregierung im Bürgerkrieg auch verheerende Folgen für die Arbeiterklasse der West-Ukraine hätte.

Auch im Osten muss der Reorganisationsprozess der Klasse vorangebracht werden. Die spontane Bewegung der Klasse ist politisch genauso schwach entwickelt wie im Westen. Politische Aufklärung und revolutionäre Propaganda sind dort genauso nötig. Ohne diese wird aber das politische Bewusstsein der Klasse, das sich derzeit v.a. in vagem „Linkssein“, im Bezug auf die Sowjetunion oder auf den antifaschistischen Kampf ausdrückt, den Anforderungen nicht gerecht werden können.

Eine Sache ist es, im Bürgerkrieg verlassene Fabriken zu besetzen, eine andere, diese auch danach politisch zu verteidigen. Das erfordert, den bürgerlichen Parlamenten und Verwaltungen, sei es im Donbass oder in der ganzen Ukraine, Arbeiterräte und Milizen entgegen zu setzen, um die Macht der Oligarchen zu brechen und in Richtung Revolution zu marschieren.

Borotba und das revolutionäre Programm

So richtig es ist, mit den russischen Nationalisten eine militärische (!) Front gegen das Kiewer Regime zu bilden, von dem eben nicht nur verheerende soziale Angriffe ausgehen, sondern auch die nationale Unterdrückung des Ostens, so falsch wäre es, sich darauf zu beschränken. Die Verbindung mit der Klasse im Westen des Landes ist nur möglich, wenn die sozialen Fragen aufgegriffen werden, dazu sind unabhängige Organisationen der Klasse nötig, Sowjetfahnen allein nützen nichts.

Die einzige Organisation in der gesamten Ukraine, die dazu in der Lage wäre, ein revolutionäres Programm für die gesamte Klasse gegen die Oligarchen und die Nationalisten zu entwickeln, ist augenblicklich wohl Borotba. Wer im Bürgerkrieg auf der falschen Seite steht und gar die militärischen Operationen des Kiewer Regimes unterstützt, wie die „Linke Opposition“, wird auch sonst im Klassenkampf letztlich nur der Konterrevolution dienen.

Ein solches Programm hat aber auch Borotba bisher nicht vorgelegt. Ja, es hat sogar zugunsten der (notwendigen) militärischen Allianz mit den Nationalisten im Osten auf eine ausreichende politische Kritik an diesen verzichtet – ein Fehler, den viele (Zentristen) machen. So lehnen es auch etliche Gruppen in Deutschland ab, die richtige Unterstützung für die KämpferInnen in Kobane und für ihre Organisationen mit einer Kritik an der Politik der PKK-Nachfolgeorganisationen zu üben, die ihren früheren stalinistischen Nationalismus durch eine krude Mischung aus Sozialdemokratie, libertärem Postmodernismus und bürgerlichem Feminismus ersetzt haben.

Sowenig diese zentristischen Gruppen damit selbst zu Libertären werden, sowenig wird Borotba „russisch-nationalistisch“, wie manche behaupten. Aber gerade, weil sich die ArbeiterInnenklasse in der Ukraine reorganisert, stärker auf die Bühne tritt und die Passivität der letzten 20 Jahre abzulegen beginnt, ist eine klare programmatische Orientierung nötig, um diese Ansätze weiter zu treiben und zu verhindern, dass sie unter der unmittelbaren Bedrohung durch Krieg und Faschismus ausgelöscht werden.




Frankreich: Charlie Hebdo – islamistischer Terrorismus, republikanischer Rassismus

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 11. Januar 2015, Infomail 793, 12. Januar 2015

Der Überfall auf das Büro der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, bei dem am 7. Januar 12 Menschen getötet wurden, muss einhellig verurteilt werden. Es war ein krimineller Akt von Verfechtern einer reaktionären politischen Philosophie, die von der überwältigenden Mehrheit der französischen MuslimInnen wie auch der französischen ArbeiterInnenklasse und der Jugend verabscheut wird. Ihm folgte eine Geiselnahme mit noch einmal 5 Todesopfern. Unser aufrichtiges Mitgefühl und Beileid gilt den Familien und KollegInnen der Opfer.

Was die Motive der Attentäter auch gewesen sein mögen – die Folgen werden eine Verstärkung der rassistischen und religiösen Unterdrückung sein. Die Statements der politischen Elite Frankreichs machen deutlich, dass sie entschlossen ist, die Attentate zu nutzen, um jede Politik und alle Praktiken des französischen Staates zu rechtfertigen. Das  wird umso weiter den Nährboden für den islamistischen Terrorismus bereiten. Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande behauptet: „Wir werden bedroht, weil wir ein Land der Freiheit sind.“ Sein Amtsvorgänger Nicholas Sarkozy sagte: „ Es war eine Kriegserklärung gegen die Zivilisation. Angesichts von Barbarei muss sich die Zivilisation selbst verteidigen.“ Keine dieser Aussagen entspricht der Wahrheit.

Der französische Staat hat seine eigene Geschichte der Barbarei, welche die arabische und moslemische Bevölkerung in Nordafrika und im Nahen Osten heimgesucht hat und reicht vom algerischen Krieg bis zu gegenwärtigen Interventionen in der Sub-Sahara. Diese barbarischen Akte stellen jenen gegen Charlie Hebdo weit in den Schatten. Die Kriege und Besetzungen allein der letzten anderthalb Jahrzehnte, die von der NATO und ihren Verbündeten geführt wurden, die mörderischen Attacken von Israel auf die PalästinenserInnen, v.a. im Gaza-Streifen, haben viele Menschen mit moslemischem Hintergrund entfremdet und empört. Auch das Kopftuchverbot an Schulen oder das alternativlose Schweinefleischangebot in Schulkantinen haben dazu beigetragen. Ex-Präsident Sarkozys Drohung, er wolle die französischen Vorstädte ‚kärchern’, hat den Zorn einer Jugend ohne gesellschaftliche Perspektive erregt, die als ‚racaille’ – ein Schimpfwort für Kleinkriminelle v.a. mit arabischen Wurzeln – bezeichnet werden.

Die regelmäßige Verfolgung arabischstämmiger Jugendlicher in den Vorstädten, die rassistische Agitation von Seiten der wachsenden rechtspopulistischen Kräfte unter Führung von Marine Le Pens Front National, all dies bildet den Hintergrund, vor dem Charlie Hebdos bewusst provozierende Karikaturen als „Rechtfertigung“ für individuellen Terror herhalten mussten, der nun wiederum brennende Moscheen und Pogrome der radikalen Rechten zur Folge haben könnte.  Mit der Veröffentlichung rassistischer Karikaturen über Muslime oder AfrikanerInnen hat die Zeitschrift die Welle von Islamophobie, die nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa durchzieht, verstärkt, ja sogar legitimiert.

Das Argument von einigen Linken in Frankreich wie auch auf internationaler Ebene, es ginge v.a. um die Verteidigung der freien Rede und des Säkularismus, die durch die (islamistische) religiöse Borniertheit und Intoleranz in Gefahr sei, ist völlig falsch. Diese Meinung lässt den Zusammenhang von Imperialismus, Rassismus und Krieg durch die NATO-Mächte völlig außer Acht. Sie beherrschen und plündern weiter die Ölreserven des Nahen Ostens.

Die Anerkennung der Rede- und Pressefreiheit bedeutet nicht, alle Wahrnehmungen dieses Rechtes zu billigen. Wie bei allen formalen Rechten darf deren Wahrnehmung nicht das Recht anderer, dadurch nicht in Gefahr gebracht zu werden, einschränken. Genau dies geschieht jedoch, denn muslimische u.a. Gemeinden werden nun genau dieser Gefahr ausgesetzt.

In Frankreich haben Säkularismus und Satire gegen religiöse Ideen und Institutionen eine lange Tradition durch die großen revolutionären Bewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Damals war die immer noch ungeheuer mächtige katholische Kirche, die die konterrevolutionären Kräfte gegen die Republik unterstützte, Zielscheibe der Kritik. Die Verteidigung dieses Erbes war eine Säule der Ideologie im französischen Bürgertum, ein wesentlicher Teil seines Anspruchs, Modernität und Zivilisation zu verkörpern. Jedoch bedeutet die Gleichsetzung der Angriffe auf die Religion der alten herrschenden Klasse mit Attacken auf die Religion von unterdrückten Minderheiten, mit den Unterdrückern an einem Strang zu ziehen.

Demokratische Rechte

SozialistInnen verteidigen das Prinzip eines weltlichen Staates gegen alle Versuche, der Religion einen bevorzugten Platz im öffentlichen Leben einzuräumen. Wir verteidigen die Freiheit der Religionskritik genauso entschlossen, wie wir jede Form von Kritik zurückweisen, die dies mit rassistischer Hetze verbindet. In ganz Europa wollen Rassisten antirassistische Gesetze umgehen, indem sie vorgeben, den Islam lediglich als Religion zu kritisieren. Sie nehmen Themen wie Frauenfeindlichkeit und Homophobie zum Anlass, um daraus ein Bild von Moslems als generell reaktionären und gefährlichen fremden Elementen zu zeichnen. Diese Aufstachelung von Islamophobie, d.h. von Hass auf und von Furcht vor Moslems, ist genauso verwerflich wie antisemitische Hetze.

Natürlich ist Charlie Hebdo kein rechtes oder generell rassistisches Hetzblatt. Es hat zum Verbot der Front National aufgerufen und deren Führer, Vater und Tochter Le Pen, heftig karikiert. Seine Verteidiger betonen, dass Charlie Hebdo auch den Papst und auch andere Religionen wie den Judaismus aufs Korn genommen hat. Aber die Angriffe auf Moslems und den Islam sind von anderer Qualität und können nicht vom Vorwurf der boshaften Islamophobie reingewaschen werden. Die Karikaturen waren keine tapfere Verteidigung der Pressefreiheit, sondern hinterhältige Angriffe auf eine verfolgte und benachteiligte Minderheit.

Was ihre Urheber auch beabsichtigt haben mögen, die Kampagne ‚Je suis Charlie’ der sozialen Internetmedien, die das Web mit den Karikaturen des Magazins überschütten wollen, kann nur reaktionäre Folgen haben. Ihre Botschaft ist klar: entweder man erklärt seine Identität mit Charlie Hebdo und unterstützt das Recht auf Veröffentlichung rassistischer Karikaturen, oder man stellt sich auf Seiten der Islamisten, die das Attentat verübt haben. Diese Gegenüberstellung gibt nicht nur den Rassisten Auftrieb, sondern reizt unter Umständen auch einige der Opfer der Islamophobie zu weiteren Attentaten auf und damit zu einer weiteren Runde von Mord und Unterdrückung.

Wir verteidigen sowohl das Recht, Religion zu kritisieren, aber auch das Recht, Religion frei von Diskriminierung oder Missbrauch auszuüben. Diese Rechte geben der ArbeiterInnenklasse und sozial unterdrückten Gruppen einen begrenzten Schutz in einer Gesellschaft, in der die ökonomische, politische und ideologische Macht, die Macht der Presse u.a. Medien sich in den Händen der herrschenden Klasse ballt, die religiöse und ethnische Differenzen zu ihren Gunsten ausnutzt.

Diese Rechte nachhaltig zu verteidigen heißt, die Ziele und die Ideologie der französischen herrschenden Klasse abzulehnen. Insbesondere muss den offiziellen politischen französischen VertreterInnen das Recht abgesprochen werden, sie würden die Rechte aller BürgerInnen schützen. Das ist ein falscher Universalismus. Durch die Erhebung des Säkularismus zum geheiligten Prinzip wird damit jede/R, der/die diesem Prinzip nicht huldigt, als nicht zur französischen Gesellschaft zugehörig erklärt. Ebenso weisen wir die Vorstellung zurück, dass der bürgerliche Säkularismus eine Festung der „weltweiten Werte der Aufklärung und europäischen Kultur sei“, die nun von rückwärts gewandten religiösen Fanatikern belagert würde.

Nationale Einheit

Weder der Säkularismus noch die Freiheit der Religionskritik werden in Frankreich oder anderswo in Europa ernsthaft bedroht. Der Säkularismus als Säule des französischen Staates wird nicht durch einen Angriff auf eine Zeitschrift in Frage gestellt. Die Art der Tat verrät vielmehr klar die soziale und politische Isolation der Attentäter. Ein solcher reaktionärer individueller Terror ist die Waffe der Schwachen. Im Gegensatz dazu ist die Verspottung und Dämonisierung einer nationalen und religiösen Minderheit im Namen von satirischer Kritik ein feiges Nachäffen der dominanten Ideologie der herrschenden Klasse. Die zuvor lobenswerte journalistische Geißelung der französischen religiösen und reaktionären Rechten ist kein Milderungsgrund.

Die bedingungslose Unterstützung für Charlie Hebdo durch Medien und politisches Establishment macht deutlich, dass die Hauptaufgabe von SozialistInnen im Augenblick nicht in der Opposition gegen Selbstzensur oder der Verteidigung der Religionskritik zu suchen ist, sondern in einer klaren Haltung gegen die Idee der Interessensgleichheit aller BürgerInnen Frankreichs. Das ist der wahre Inhalt und Zweck der Hauptkräfte des politischen Spektrums, von der KPF bis zur Front National. Die Großkundgebung am 11. Januar in Paris, der die Front National nur mit dem formalen Argument fernblieb, sie sei nicht eingeladen, ist eine Feier der Einheit der Nation. Obwohl viele Muslime und französische BürgerInnen arabischer Herkunft daran teilnehmen, ist die Einladung für Benjamin Netanjahu, den Schlächter von Gaza, eine Unverschämtheit.

Frankreich ist ein Land, in dem 60-70% der GefängnisinsassInnen muslimischer Herkunft sind. Ihr Bevölkerungsanteil beträgt jedoch nur 12%. In den Gefängnissen werden ihnen grundlegende religiöse Rechte vorenthalten. Die Polizei bestraft Frauen für das Tragen einer Burka auf der Straße. SchülerInnen wird ein Essen ohne Schweinefleisch nicht ermöglicht. Ihre Eltern dürfen nicht auf Schulausflügen mitfahren. Hier ist klar sichtbar, dass der „Säkularismus“ entweder direkt Einfluss auf Rassismus nimmt oder ihm Vorschub leistet. Wer der offiziellen Lesart folgt, beides hätte nichts miteinander zu tun, nimmt dies als Entschuldigung, statt diese Zustände zu bekämpfen und überlässt damit dem Klassenfeind unangefochten eine mächtige Waffe.

Fazit

SozialistInnen verurteilen einmütig Angriffe auf die Pressefreiheit. Wir bekämpfen unnachgiebig die politischen Projekte von Al-Qaida und des Islamischen Staats. Aber wir stellen uns ebenso entschieden gegen jede Anpassung an den staatlichen Rassismus, der angeblich die bürgerliche Demokratie der französischen Republik gegen Klerikalfaschisten verteidigen will, die Europa islamisieren wollen.

Die Verspottung des Islam und prominenter Muslime in Zusammenhang mit einem allgemeinen Anstieg rassistischer Gewalt und religiöser Intoleranz verstärkt unbedingt die Anstrengungen der herrschenden Klasse, ‚den Islamismus’ als existenziellen inneren Feind darzustellen. Es wäre verheerend, wenn SozialistInnen darauf hereinfielen.

Die erfolgreichen Mobilisierungen in Deutschland gegen die islamfeindliche Bewegung  Pegida ‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes’ und deren Ableger zeigen, was getan werden kann. Durch die Lenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf den rassistischen Inhalt der angeblichen ‚Verteidigung der europäischen Zivilisation’ konnten am 5. Januar etwa 30.000 TeilnehmerInnen gegen die 18.000 von Pegida auf die Straße gebracht werden. Wie ihre französischen Kumpane versucht die deutsche Bourgeoisie, dies als Demonstration für „gemeinsame Werte“ hinzustellen, doch die Gegenbewegung hat zumindest deutlich gemacht, dass sie die Rassisten als Gefahr ansieht und nicht die Muslime.

In ganz Europa müssen die Linke und die Arbeiterbewegung Seite an Seite mit den Muslimen gegen rassistisch populistische und faschistische Parteien stehen und beweisen, dass sie sich nicht durch einen Rassismus für dumm verkaufen lassen, der sich als Verteidigung der Redefreiheit und des Säkularismus maskiert. Dann kann auch der Entfremdung und dem Gefühl des Verfolgtseins, das sicher den meisten terroristischen Ausbrüchen zu Grunde liegt, entgegen getreten werden. In den muslimischen Gemeinden kann ein Kampf gegen die reaktionäre islamistische Ideologie in Gang gesetzt werden, die hundert Mal mehr bewirken wird als alle verschärften sog. Sicherheitsvorkehrungen der imperialistischen Staaten.




Streikrecht – Erneuter Angriff

Frederik Haber, Neue Internationale 196, Februar 2015

Der unter dem irreführenden Titel eingebrachte Gesetzentwurf zur Herstellung einer „Tarifeinheit“ wartet noch auf die erste Lesung im Bundestag – da legt die CSU schon nach:

„Gleichwohl ist es auch Aufgabe des Staates, kritische Infrastrukturen zu schützen und die Daseinsvorsorge sicherzustellen. In Zeiten einer voranschreitenden Vernetzung können bereits Beeinträchtigungen einzelner Einrichtungen kaskadenartige Auswirkungen und Risiken auf die öffentliche Sicherheit nach sich ziehen“.

Deshalb soll es in diesen Bereichen einen Schlichtungszwang geben und Streiks müssen vier Tage vorher angekündigt werden. Damit würden in diesen Bereichen Streiks aber fast wirkungslos, denn oft beruhen sie auf dem Überraschungseffekt. Auch die Definition, was „kritische Infrastrukturen“ und „Daseinsvorsorge“ sind, ist beliebig erweiterbar und kann immer dazu führen, dass in einem Bereich deshalb nicht gestreikt werden kann. Die CSU will also z.B. Reisende vor Streiks schützen, vor Pleiten von Fluggesellschaften, Fernbuslinien oder Reisebüros tut sie es jedoch bekanntlich nicht.

Widerstand

Damit bestätigt sich erneut, dass alle, die wie ver.di, GEW und GdL sowie praktisch alle Organisationen der Linken in der Gesetzesinitiative „Tarifeinheit“ einen schlecht verpackten Angriff auf das Streikrecht sehen, recht haben gegenüber jenen wie IGM, BCE und DGB, die diesen Angriff noch feiern und mit Kapital und Kabinett den schärfsten Angriff auf die Gewerkschaftsrechte seit den Nazis anführen.

Um den Widerstand gegen den Angriff auf das Streikrecht zu koordinieren, trafen sich am 24.1. erneut VertreterInnen linker Organisationen und Gewerkschaftsgliederungen in Kassel. Nachdem in und um den Lokführerstreik das Thema breite Resonanz gefunden hatte, ist es derzeit etwas in den Hintergrund geraten.

Zwar haben sich praktisch alle namhaften gewerkschaftsnahen ArbeitsrechtlerInnen eindeutig positioniert, aber juristische Erklärungen mobilisieren nicht. Das wäre die Aufgabe der Gewerkschaften oder der Linkspartei, die sich gegen das Gesetz ausspricht. Aber deren Vertreterin, MdB Leidig, sah für ihre Partei keine großen Möglichkeiten, hunderte oder tausende Leute auf die Straße zu bringen. Ihre Alternative: Auf die jeweiligen Abgeordneten von SPD und CDU zuzugehen.

Zentrale Demo

Die Konferenz beschloss dennoch, eine zentrale Demonstration ins Auge zu fassen. Der geplante Termin musste allerdings geändert werden, da die Regierung den Zeitplan erneut nach hinten verschoben hat. Möglicherweise befürchtet sie, dass eine zeitliche Verbindung mit den Tarifrunden bei Bahn, Metall und im Öffentlichen Dienst eine Gegenmobilisierung begünstigt.

Das zeigt – und dafür sprachen sich auch viele in Kassel aus -, dass umgekehrt die Tarifbewegungen nicht auf Lohnforderungen beschränkt werden dürfen. Aus unserer Sicht heißt das:

  • Bei ver.di dürfen nicht nur Unterschriften online gesammelt werden: Jede Betriebs- und Tarifversammlung muss genutzt werden, um für die Verteidigung des Streikrechts zu werben.
  • Die GDL muss genauso aufgefordert werden, öffentlich für dieses Anliegen einzutreten.
  • Im Metall-Tarifkampf muss dies gegen das Meinungsdiktat des IGM-Vorstands geschehen, der sogar alle Hauptamtlichen in dieser Frage zum Schweigen verpflichtet hat.
  • Auch die LINKE darf sich nicht auf ihren Erklärungen und parlamentarischer Beschränktheit a la Leidig ausruhen. Auch sie muss ihre Mitglieder mobilisieren. Gerade ihre Funktionäre in der IG Metall müssen unter Druck gesetzt werden, nicht länger zu kuschen und mit der Front aus CDU/CSU/BDA/SPD zu brechen.

Letztlich muss aber allen klar sein, dass diese Gesetzesinitiativen weder mit einer zentralen Demo noch mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht gestoppt werden können. Ähnliche Attacken in anderen europäischen Ländern, z.B. Griechenland, Italien, Spanien und Britannien zeigen, dass das Kapital wirklich durchgreifen will. Streikrecht kann nur mit Streik verteidigt werden! Basta!




Zwischenstand GDL-Tarifrunde – Ein Teilerfolg und eine Bauchlandung

Helga Müller, Neue Internationale 196, Februar 2015

Die Lokführergewerkschaft GdL und der Vorstand der Deutschen Bahn haben sich am 17. Dezember 2014 auf einen Kompromiss geeinigt:

  • die Deutsche Bahn AG unterschrieb eine 5-Punkte-Erklärung, in der sie vom Ziel der Tarifeinheit als Vorbedingung abgerückt ist. D.h. die GdL darf für das gesamte, bei der GdL organisierte Fahrpersonal, d.h. auch für ZugbegleiterInnen, BordgastronomInnen, InstruktorInnen/TrainerInnen und DisponentInnen verhandeln und für diese auch Tarifverträge abschließen (nach: Winfried Wolf: Eine wirklich schöne Bescherung, 21.12.14; in: www.labournet.de).
  • es gibt für alle Berufsgruppen – für welche die GdL das Vertretungsrecht eingefordert hatte – für  Juli bis Dezember 2014 eine Einmalzahlung von 510 Euro.

Das erste Ergebnis ist tatsächlich ein Teilerfolg. Nachdem die Deutsche Bahn AG zusammen mit der EVG monatelang auf einer „betrieblichen“ Einigung zur Tarifeinheit – also welche Gewerkschaft für welche Berufsgruppe verhandeln und Tarifverträge abschließen darf – gegen den Willen der GdL beharrte, wurde dieses Vorhaben aufgrund des wochenlangen Streiks der GdL-KollegInnen abgewehrt.

Faule Zugeständnisse

Doch die erzielte Lohnerhöhung sorgt schon für weniger Freude – auch wenn diese für alle Berufsgruppen, die von der GdL vertreten werden, gilt. Die ursprüngliche Forderung der GdL lag bei 5%. D.h. die Lohnerhöhung wird auf die Löhne der einzelnen Tarifgruppe als neuer Tariflohn angerechnet – dagegen bleiben bei einer Einmalzahlung die Gehälter unverändert. Das kommt einer Kapitulation vor dem Bahnvorstand gleich, zumal die GdL auch bei zwei ihrer anderen Forderungen zurückgerudert ist.

Sie fordert nun bei der Arbeitszeitverkürzung statt zwei nur noch eine Stunde Reduzierung auf 38 Wochenstunden. Bei der Änderung der Entgeltstruktur fordert sie nur noch die Einführung einer weiteren Entgeltstufe nach 30 Jahren Berufserfahrung. Im übrigen ist auch die DGB-Gewerkschaft EVG nicht prinzipiell gegen dieses „Lohnangebot“, sie wehrt sich nur gegen die Höhe und den Geltungsbereich (alle von der EVG Vertretenen sollen eine höhere Einmalzahlung erhalten).

Bevor die Verhandlungsführer der GdL diesem „Lohnangebot“ für 2014 hätten zustimmen dürfen, hätten die Mitglieder und die streikenden KollegInnen vor Ort die Möglichkeit erhalten müssen, zu entscheiden, ob dieses „großzügige“ Angebot angenommen werden kann oder ob weiter gestreikt werden soll. Statt dessen hat der GdL-Vorstand die Streiks für Dezember einfach abgesagt. An dieser Vorgehensweise zeigt sich – auch wenn die GdL in der Frage der Tarifeinheit und damit gegen die Einschränkung des Streikrechts einen korrekten Standpunkt eingenommen und v.a. dafür die KollegInnen in den Streik geführt hat -, dass auch sie eine bürokratische – von oben nach unten strukturierte – und undemokratische Organisation ist.

Auch wenn das bisherige Ergebnis – im Januar 2015 wird ja weiterverhandelt – zu kritisieren ist, war es richtig, die GdL in ihrem Kampf solidarisch zu unterstützen – und es wird auch weiterhin richtig sein, die GdL in ihrem Kampf zu unterstützen. Dazu fordern wir auch die EVG auf.

Sowohl die EVG als auch die GdL haben für Januar und Februar 2015 mit der Deutschen Bahn AG Termine für weitere Verhandlungsrunden vereinbart.

Am 15. Januar 2015 fand nun die nächste Verhandlung zwischen Bahn AG und GdL statt. Hier zeigte sich, dass die erste Euphorie von GdL-Chef Weselsky – es sei im Dezember ein „Durchbruch“ geschafft worden – verfrüht war. Trotz der im Dezember 2014 mit der Bahn AG vereinbarten 5-Punkte-Erklärung, will die Bahn nach wie vor verhindern, dass es unterschiedliche Tarifverträge für eine Berufsgruppe geben soll. Sie versucht deshalb, in den getrennt verlaufenden Gesprächen zwischen GdL und EVG identische Regelungen auszuhandeln. Daneben soll der Flächentarifvertrag für die Lokomotivführer, der nach einem mehrmonatigen Streik von der GdL 2008 durchgesetzt wurde, aufgeweicht werden, indem die Bahn AG nur noch Haustarifverträge mit der GdL zu vereinbaren versucht (GdL-Pressemitteilung vom 20.01.15).

Wenn es Weselsky ernst meinen würde …

Wenn Weselsky es tatsächlich ernst meint, die Forderungen zur Arbeitszeitverkürzung, zur Einschränkung der Überstunden aufgrund des massiven Personalabbaus seit der Teilprivatisierung der Bahn, Regelungen zur besseren Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf und nicht zuletzt die Ausdehnung des Tarifvertrages auf alle GdL-Mitglieder beim Zugpersonal durchzusetzen, dann müsste er spätestens nach den nächsten Verhandlungen am 28. Januar  zu erneuten – unbefristeten – Streiks aufrufen.

Aber damit dieser Kampf wirklich zu einem Erfolg aller Beschäftigen bei der Bahn wird, ob in der EVG, in der GdL oder nicht organisiert – müssen alle KollegInnen zu Streikversammlungen eingeladen werden und über alle Forderungen – die der EVG und die der GdL – und über die weitere Streiktaktik diskutieren und entscheiden. Aus diesen Reihen müssten Delegierte von EVG und GdL für Streikkomitees gewählt werden, die die Streiks koordinieren und den Streikversammlungen  rechenschaftspflichtig sind.

Nur durch ein koordiniertes Vorgehen von GdL und EVG können gemeinsame Forderungen aufgestellt und einheitliche und effektive Streiks geführt werden. Anders wird es schwer, der Bahn AG etwas abzuringen, da diese unter erheblichem Druck steht, um ihre Position im Kampf um die Vorherrschaft im Logistik- und Verkehrssektor durchzusetzen. So ist ihr z.B. mit dem Fernbussektor eine ernste Konkurrenz im Fernverkehr erwachsen.

Im Konflikt bei der Bahn AG geht es jedoch nicht nur um den Streik selbst; es geht auch darum, eine neue einheitliche und klassenkämpferische Gewerkschaft für den gesamten Verkehrs- und Logistikbereich aufzubauen.




Nachruf auf einen Genossen – Alex Mänhardt

Markus Lehner, Neue Internationale 196, Februar 2015

Am 20. Januar ist der ehemalige, lang-jährige ASt-Genosse Alex Mänhardt im Alter von erst 52 Jahren verstorben. Ich habe ihn noch vor kurzem getroffen und kann sagen, dass er bis zum Schluss überzeugter Kommunist war. Trotz seines schweren Krebsleidens hat er noch so viel wie möglich aus seiner verbleibenden Zeit gemacht, war viel auf Reisen und hat dabei auch an zahlreichen Demonstrationen in verschiedenen Teilen Europas teilgenommen. Erst vor kurzem besuchte er Spanien, um sich selbst ein Bild von der Formierung von Podemos zu machen.

Dieser aktive Zugang zu Bewegungen und neuen Entwicklungen war typisch für das politische Selbstverständnis des Genossen in seinem ganzen Leben. Abseits stehend zu kommentieren war seine Sache nie gewesen – vielmehr zog er es sein ganzes Leben lang vor, sich aktiv einzumischen, teilzunehmen, immer versuchend, theoretische Einsichten mit politischer Praxis zu verbinden.

Er hat in den 70er-Jahren im „Verband Sozialistischer Mittelschüler“ (VSM) an der Radikalisierung der SchülerInnenbewegung in Salzburg wesentlichen Anteil gehabt. Später war er an der Gründung der SOAL (Sozialistische Alternative)-Salzburg beteiligt, als einer radikal-sozialistischen StudentInnenorganisation, die bei den ÖH-Wahlen Anfang der 80er-Jahre 30% der Stimmen erlangen konnte – und die Alex lange nach außen vertreten hat. Durch exponierte anti-klerikale Aktionen, z.B. in Zusammenhang mit dem Kampf gegen frauenfeindliche klerikale Abtreibungsgegner, hat Alex auch schwere Zusammenstöße mit der österreichischen Justiz erlebt.

Ende der 80er Jahre war Alex wesentlich an der Fusion von ASt und SOAL-Salzburg beteiligt und war viele Male in der Leitung des ASt vertreten. In den 90er-Jahren haben wir zusammen den Widerstand von migrantischen ArbeiterInnen gegen die rassistische Unterdrückung durch Justiz und Kapital besonders im westösterreichischen Raum organisiert. Viele kurdische, türkische, serbische, bosnische MigrantInnen werden sich an Alex und seinen unermüdlichen Einsatz für ihre Rechte erinnern.

Mit der Krise des ASt Ende der 90er Jahre verließ Alex leider wie viele Salzburger GenossInnen aus Resignation über die Aufbauperspektiven die Organisation, ohne jedoch den Kontakt insbesondere zu seinen ehemaligen GenossInnen in Berlin abbrechen zu lassen. Regelmäßig hat er sich weiter für die Entwicklung des revolutionären Marxismus interessiert und uns in Diskussionen dazu immer wieder wichtige Anregungen gegeben.

Alex war vor allem ein unermüdlicher praktischer Organisator, bei Demos, Veranstaltungen, aber vor allem bei langfristigen Projekten. So wurde er auch zum Urgestein und fast zur Personifizierung der ARGE Kulturgelände Nonntal – auch noch in ihrer heute verbürgerlichten, fast schon kulturoffiziellen Form (eine Kritik die Alex durchaus auch vertreten würde). Seine für einen revolutionären Linken ungewöhnliche Entwicklung zum Familienrichter hat seine Überzeugungen nicht verbogen – nach allem, was ich über seine Handlungen dort erfahren habe, hat er im Rahmen des Möglichen versucht, ungewöhnliche Akte sozialer Gerechtigkeit auch an diesem Ort zu setzen. Dies hat  ihn weit über sein Amt bekannt und auch als Gewerkschaftsvertreter zu einem für die Obrigkeit unangenehmen Gegner gemacht.

Seine Tatkraft und sein Optimismus werden uns und der ArbeiterInnenbewegung fehlen. Andere müssen an seine Stelle treten.




Tausende gegen Pegida-Ableger – Auch Freiburg kann demonstrieren

Irene Zelano, Neue Internationale 196, Februar 2016

15-20.000 Menschen gingen am 23. Januar gegen Pegida auf die Straße – trotz schlechten Wetters! Zwar wurden während der Demo kaum Parolen gerufen und meist nur nett mit den Nachbarn geschnackt, doch es war ohne Frage ein Erfolg. Finden sich doch bei Demos in Freiburg sonst eher bei Sonnenschein im Sommer mehr Demonstranten als die üblichen Verdächtigen der autonomen und linken Szene zusammen, schaffte es das Pegida-Thema diesmal trotz Nieselregens bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, die Leute zu motivieren, einen kleinen Massenspaziergang durch Freiburgs schöne Innenstadt zu machen.

Trotz großer Bemühungen und Ablaufens der gesamten Demo, war es nicht möglich, einen klaren Block oder gar Parolen zu identifizieren. An der Spitze der Demo angelangt, erstaunte die Tatsache, dass es kein Fronttransparent und auch hier nur MittelschichtsbürgerInnen in loser Formation gab, welche sofort ihr Geplauder einstellten und in andächtiges Lauschen verfielen, als es aus dem Lautsprecher hieß: „Hier spricht die Polizei.“

Da verwundert es nicht, dass die wenigen Reden u.a. vom Oberbürgermeister und vom Unidirektor gehalten wurden. Diese lobten auch umso mehr, wie viele internationale Studierende und MitarbeiterInnen aus über 100 Nationen an der Uni vertreten sind.

Ein sehr guter und berechtigter Beitrag kam von einem Islamismusforscher der Uni, welcher auch in den Anti-Abschiebe-Bündnissen aktiv ist – aber nicht für diese sprach (wie auch sonst keine Beiträge von politischen Gruppen oder Parteien gehalten wurden). Er lobte zwar, dass sich so viele Menschen aufrafften, um ein Zeichen gegen Pegida zu setzen, dass aber dieser Widerstand auch ein Echo im Vorgehen gegen Alltagsrassismus finden müsse, bei Abschiebungen und struktureller Ausgrenzung und Diskriminierung!

Zweifellos war die „BürgerInnendemo“ in Freiburg politisch schwach. Aber es war auch die größte Demonstration in der Stadt seit langer Zeit. Daher wäre es unbedingt notwendig gewesen, dass die Freiburger Linke mit einer eigenen politischen, anti-rassistischen und anti-kapitalistischen Stoßrichtung in Erscheinung tritt. Doch weit gefehlt. Statt mit 15-20.000 Menschen gegen Pegida zu demonstrieren, zogen es die meisten „Linksradikalen“ vor, zeitgleich ihre eigene Veranstaltung frei nach dem Motto „Klein, aber mein“ zu organisieren. Nur die Linkspartei hatte eigene Fahnen und einen kleinen Block.

Das selbstgefällige Sektierertum der „radikalen Linken“ ist leider typisch für die „Szene“ dieser Stadt. Die meisten wollen unter sich bleiben, statt um politischen Einfluss unter den Massen zu kämpfen und sich unter den linkeren, anti-rassistischen, klassenkämpferischen oder gar sozialistisch ausgerichteten Teilen der DemonstrantInnen bekannt zu machen. Dem Kampf gegen Rassismus und Faschismus erweisen sie damit keinen Dienst.




PEGIDA – Neue reaktionäre Bewegung

Tobi Hansen, Neue Internationale 196, Februar 2015

Aus den „Abendspaziergängen“ der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) sind v.a. in Dresden Massendemonstrationen geworden. Dort waren zuletzt 15-25.000 den Pegida-Aufrufen gefolgt, die Demos in Leipzig und München waren vierstellig. In anderen Städten kommen die Demos allerdings nicht über einige Hundert hinaus. Doch während diese in Großstädten sicher keine „Massenbewegung“ sind, repräsentieren sie in Städten wie Suhl oder Wismar schon eine gewisse Qualität.

Ursprünge und Hintergründe

Zuletzt saß eine der Pegida-Organisatoren, Kathrin Oertel, in der ARD-Talkshow bei Jauch und erklärte ihre Beweggründe. Die Demonstrationen von KurdInnen in Dresden, welche Waffen für eine „terroristische“ Organisation forderten, und die gewalttätigen Konflikte mit islamistischen Kräften in Celle und Hamburg hätten sie „motiviert“, etwas gegen diese „Zustände“ zu tun. Ansonsten, so Oertel, sei sie selbstständig und habe lange FDP gewählt, aber zuletzt die AfD.

Bei Pegida in Dresden tummeln sich v.a. enttäuschte KleinbürgerInnen und MittelschichtlerInnen. Umfragen zeigen, dass sie sozial über dem Durchschnitt stehen. Sie wenden sich zunehmend von ihren traditionellen  politischen Vertretern – von der CDU und der FDP – ab, weil sie diese offenbar in Krisen-Zeiten für wenig brauchbar halten. In diese Lücke stößt nun die AfD, die viel Sympathie bei Pegida genießt. Allerdings kann kaum die Rede davon sein, dass die „bürgerliche Mitte“ in den letzten Jahren wirklich gelitten hätte.

Vielmehr ist es eine – durchaus reale – Angst vor dem Abstieg, die damit zusammenhängt, dass die Sonderrolle Deutschlands sehr schnell zu Ende sein könnte, falls die EU und der Euro den Bach runter gehen. Solche Gefühle paaren sich dann mit den realen ostdeutschen Erfahrungen, dass dort auch 25 Jahre nach der Einheit noch immer kein gleiches Lebensniveau wie im Westen erreicht ist, weder bei Löhnen noch bei Renten. Zu dieser brisanten Mischung gesellt sich dann noch eine tiefe und gerechtfertigte – wenn auch meist sehr krude – Unzufriedenheit mit „den Medien“, „der Politik“ und „den Parteien“. Das erklärt auch weitgehend, warum Pegida im Osten ein gewisser Faktor ist, während sie im Westen schwach ist und i.w. aus offen rassistisch-faschistischen Kräften besteht.

Nicht nur die Permanenz der Krise, sondern v.a. die Passivität und Perspektivlosigkeit der reformistisch beherrschten ArbeiterInnenbewegung führen dazu, dass Kleinbürgertum und Mittelschichten so anfällig für rassistische und nationalistische Politik sind. Diesen Kräften bietet  aktuell Pegida ein Forum. Nicht umsonst wendet sich ihre Hetze stark gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“, welche angeblich den deutschen Steuerzahlern viel kosten, wo doch viel mehr auch für die deutschen Staatsbürger getan werden müsste. Dieser soziale Frust, der sich auch gegen niedrige Renten und die Armut in Deutschland artikuliert, wird von den nationalistischen Pegida-Initiatoren in ihrem Sinne beantwortet.

Der Islam als Feindbild wurde natürlich nicht von Pegida und Co. entdeckt. Seit dem von den imperialistischen Mächten ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ gehört antimuslimischer Rassismus zum Allgemeingut der meisten Parteien und Medien. Genauso argumentierte auch CDU-Vorstandsmitglied Spahn in Jauchs Talkshow. Er beteuerte, dass die Politik doch schon etwas tun würde für die Anliegen von Pegida. Nur müsste Pegida eben verstehen, dass die Ausweisung von Flüchtlingen nicht immer so schnell geht, wie man es gerne will.

Diese grundlegende Übereinstimmung zwischen allen bürgerlichen Parteien und Pegida, die Zuwanderung nach ökonomischer Verwertbarkeit rassistisch zu regeln, ist auch der Grund, weshalb die Union und auch Teile der SPD (aktuell ihr Chef und Vize-Kanzler Gabriel) in den Dialog mit Pegida treten wollen. Ihnen kommt Pegida durchaus zu pass, weil sie die Wutbürger als nützliche Idioten gebrauchen können, um ihre rassistische Ausländer- und Asylpolitik mit den demokratischen Weihen der „Anhörung der Wünsche des Volkes“ legitimieren zu können.

Die „Lügenpresse“

Besonders beleidigt reagieren die Parteien und natürlich die Medien auf deren Ablehnung durch Pegida und die Titulierung der Medien als „Lügenpresse“. Es ist zwar richtig, dass dieser Begriff auch einst von Goebbels benutzt wurde – doch auch von anderen. Und bitte schön: Wie frei sind denn die Presse und die Medien?! Auch die Linke muss eine Kritik an den Medien haben, oder glauben wir jeden Artikel zur Ukraine-Krise oder jede Hetze gegen Russland? Unterstützen wir die Hetze des Springer-Verlags gegen „faule Griechen“ oder „Sozialschmarotzer mit Hartz IV”?! Oder die „Nibelungentreue“ gegenüber Merkel und Gauck in fast allen Medien?

Ja, wir sind für Meinungs- und Medienfreiheit (außer für Faschisten). Insofern sind auch wir für Charlie Hebdo. Doch wenn die Medien oder Satire-Blätter auf den religiösen Gefühlen von Menschen herumtrampeln, sind wir eben nicht Charlie – schon gar nicht, wenn es sich darum handelt, dass die Gefühle von sozial und rassistisch unterdrückten Menschen und Völkern beleidigt werden. Zwar darf Satire grundsätzlich alles, wie Tucholsky zu recht meinte, doch wer glaubt, dass Satire und Meinungsfreiheit unabhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen werden können, der hat wenig von Gesellschaft und Politik verstanden.

Doch auch da ist Pegida nichts weiter als Ausdruck von Frust – jedes Verständnis, jede Analyse, ja jedes wirkliche Denken und umso mehr jeder fortschrittliche Anspruch gehen den kleinbürgerlichen Pegida-Wüterichen ab.

Geistige Brandstifter

In Frankreich gab es zahlreiche Anschläge auf Moscheen und islamische Vereine. Auch in Deutschland wird durch Pegida die Lage angeheizt und die Situation für AusländerInnen und MigrantInnen unangenehmer, ja gefährlicher. Auch in der sehr kleinen migrantischen Gemeinde Dresdens herrschen Angst und Verunsicherung, diese Menschen fühlen sich nicht mehr sicher in „unserem Rechtsstaat“. 2014 gab es laut einer Studie von „Pro Asyl“ in Deutschland 77 Angriffe auf Flüchtlingsheime, 153 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im breiteren Sinne, wovon 35 Brandanschläge waren und 118 Sachbeschädigungen. Dies ist ein Teil des „normalen“ Rassismus in Deutschland. Doch es ist den Medien relativ wenig Beachtung wert, ansonsten müsste nämlich festgestellt werden, dass auch ohne irgendwelche Pegida-Demos eine Gefährdung der Flüchtlinge vorliegt und deren Heime und Unterkünfte Ziel von rassistischen Anschlägen sind.

So wird versucht, in Deutschland eine ähnliche Atmosphäre zu schaffen wie zu Anfang der 90er Jahre. Damals herrschte in Rostock tagelang Ausnahmezustand, als Nazis hunderte Anwohner, die mit der „Wende“ oft arbeitslos geworden waren, direkt zur Gewalt gegen Asylunterkünfte anstifteten. Damals reagierte die Politik mit der Abschaffung des damaligen Asylgesetzes. Das war die Reaktion auf die damaligen Wahlerfolge von REPs und DVU, welche v.a. mit dem Slogan „Wirtschaftsflüchtlinge stoppen“ auf Stimmenfang gegangen waren. Deren Rolle spielt heute Pegida – ob den Mitläufern das klar ist oder nicht.

Sarrazins rassistische und sozialchauvinistische Hetzschrift „Deutschland schafft sich ab“ ist das meistverkaufte „Sachbuch“. Die etablierten Parteien betreiben Stimmung gegen Flüchtlinge aus Osteuropa, gegen „Islamisten“ und die Zuwanderung in die Sozialsysteme. Speziell gegenüber Roma und Sinti wurde in den letzten beiden Jahren massiv Stimmung gemacht. Der CSU-Europawahlkampf unterschied sich da kaum von dem der AfD u.a. Rechten. Umso verlogener ist es, wenn diese staatstragenden Parteien jetzt die BRD als „offenes, tolerantes“ Land darstellen und wenn Merkel sich plötzlich an die Aussage des geschassten Ex-Bundespräsidenten Wulff „der Islam gehört zu Deutschland“ erinnert.

Reaktion der organisierten Linken?

Bislang reihten sich die „Linken“ und die Organisationen der Klasse meist in den munteren „Bunt statt Braun“-Reigen ein. So glauben sie, die „Demokratie“, die „Freiheit“ zusammen mit der Kirche und der CDU zu verteidigen. Doch die Parteien und Institutionen der bürgerlichen Demokratie unterminieren diese letztlich selbst. So richtig es ist, wenn die Arbeiterklasse und die Linke die Demokratie gegen Verschlechterungen verteidigen und deren Möglichkeiten ausnutzen – sie sollten sich trotzdem klar darüber sein, dass auch die bürgerliche Demokratie nur eine Herrschaftsform des Kapitals ist und die Interessen der Lohnabhängigen niemals ausreichend durch die Mechanismen und Institutionen der bürgerlichen Demokratie zur Geltung kommen können. Die ArbeiterInnenklasse braucht dazu eigene und ganz andere Organe: Räte, Milizen, Kontrollorgane, Basiskomitees, Gewerkschaften – und eine revolutionäre Arbeiterpartei.

Gegen Pegida und für eine antirassistische und antikapitalistische Perspektive brauchen wir eine eigenständige Mobilisierung der Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Wir müssen die Gewerkschaften, die SPD und die Linkspartei dazu aufrufen, sich nicht hinter Merkel und Gauck zu versammeln, sondern eigenständig die Rechte der Flüchtlinge, als Teil der internationalen ArbeiterInnenklasse zu vertreten. Dabei müssten gerade die Gewerkschaften und dortigen Gliederungen und Arbeitskreise vorangehen, welche die nationale Spaltung der Klasse überwinden  und die migrantischen Teile der Klasse organisieren wollen. Wir brauchen breite, aber klassenbezogene Solidarität mit MigrantInnen und Flüchtlingen, um klar zu machen, dass dies nicht nur eine Frage von Toleranz o.ä. ist, sondern eine Frage des Klassenkampfs.

Letztlich muss eine revolutionäre Politik darauf ausgerichtet sein, die ArbeiterInnenklasse, aber auch die BewohnerInnen und Nachbarn von Flüchtlingsheimen für eine antirassistische und antifaschistische Aktionseinheit zu gewinnen. Dabei müsste es dann um die Verteidigung von Flüchtlingsheimen und Unterkünften gehen, um gemeinsame Aktionen gegen Pegida, aber auch gegen die Hetze von CSU, AfD, Sarrazin u.a.

Die radikale Linke, wie auch die organisierte ArbeiterInnenbewegung dürfen sich gegen rechte Mobilisierungen nicht auf den bürgerlichen Staat und dessen „Demokratie“ verlassen. Sie müssen selbst eine Alternative sein!




Heile Welt – NI 196

Heile Welt

HaHo, Neue Internationale 196, Februar 2015

Die Troika ist ein Synonym für Triumvirat, eine Dreierführung. Das trifft es, denn die in Europa allgegenwärtige Troika wird ja auch von drei Spitzen geführt: vom IWF, der EU-Kommisson und äääh … Frau Merkel. Allerdings ist von Triumph nach der griechischen Wahl nur noch wenig übrig. Nachdem die drei Gäule jahrelang wie die apokalyptischen Reiter den halben Kontinent verheert haben, schauen sie inzwischen ziemlich abgehalftert aus. Und in Spanien droht mit Podemos bald neues Ungemach. Zwar tönen Roßtäuscher wie der Herr Schäuble, dass es nicht so schlimm wäre, wenn Griechenland sich aus dem Derby verabschiedet, doch das ist wohl mehr das Pfeifen im dunklen Stall.

Nicht nur, dass der Troika von Athen demnächst vielleicht weiterer Hafer verwehrt wird; selbst der Versuch von Oberdragoner Mario Draghi, dem unflotten Dreier mehr Futter zu geben, ruft Kritik hervor. Denn gehaltvolles Futter kann man nicht einfach strecken. Schon schon Goethe wußte: Getretner Quark wird breit, nicht stark. Das gilt sinngemäß auch für Währungen und Wirtschaftsräume. Wir hoffen, dass sich Super-Mario als Italiener wenigstens mit Dantes Göttlichen Komödie auskennt.

Es ist schon ein Jammer: der Parkours Europa wird immer mehr zum Hindernislauf. Kaum scheint eine Hürde übersprungen, droht die nächste. Und ringsherum global die Pferdepest. Die große Lissabon-Vision der europäischen Oberjockeys, die vorsah, Uncle Sams Hengst durch einen kräftigen Zwischenspurt zu überholen, vermodert längst hinterm schlecht ausgemisteten Stall.

Jetzt ruhen nicht alle, vielleicht noch nicht einmal viele, aber immerhin einige Hoffnungen auf Syriza. Macht Tsipras Schluss mit dem Gürtel-enger-schnallen? Reißt er den Troika-Gäulen das Zaumzeug runter oder wird wieder nur gehätschelt und getätschelt?

Was raten uns die diversen Reformer des Pferdesports? Sozialere Reiter, weichere Sättel und schöneres Zaumzeug! So soll der Alt-Gaul, der Dreibeiner, siegen!