30. November 2023 – Feministischer Generalstreik im Baskenland

Jürgen Roth, Fight 12! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2023

Am 30. November 2023 wurde im Baskenland gestreikt. Neben Gewerkschaften hatten dazu auch Feminist:innen, Rentner:innenvereinigungen und soziale Organisationen aufgerufen. Es handelte sich um eines der größten und bedeutendsten Ereignisse dieser Art weltweit. Zudem hält es für Linke etliche Lehren bereit, wirft aber auch Fragen nach weiteren Perspektiven auf.

Nicht nur bessere Arbeitsbedingungen

Zu den Streikenden gehörten die Beschäftigten der Mercedes-Autofabrik in Vitoria-Gasteiz, der U-Bahn in Bilbao, des öffentlichen Gesundheitsdienstes (Osakidetza), alle Reinigungskräfte der drei größten Reinigungsunternehmen (Eulen, Garbialdi, ISS) und die Belegschaft des größten baskischen Fernsehsenders (EITB). So blieben Bahnen und Busse stehen, in zahlreichen Ortschaften Schulen und Verwaltung geschlossen. Der Rundfunk strahlte nur ein Notprogramm aus und ein Dutzend Fabriken mussten ihre Produktion komplett einstellen. Zentrale Forderungen des Generalstreiks lauteten: Aufbau eines öffentlich-gemeinwohlorientierten Caresektors, Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegekräften, Anhebung der Renten, Einführung der 30-Stundenwoche, mit der eine Umverteilung der Sorge- und Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern angestoßen werden soll.

Die Mobilisierung verlief alles andere als einfach. Die spanischen Gewerkschaften Unión General de Trabajadores (UGT; Allgemeine Arbeiter:innengewerkschaft) und CC.OO. (Comisiones Obreras; Arbeiter:innenkommissionen) hatten erst gar nicht aufgerufen. Sie sind allerdings im Baskenland schwächer als die regionalen Dachverbände Eusko Langileen Alkartasuna (ELA; Arbeiter:innensolidarität) und Langile Abertzaleen Batzordeak (LAB; Komitees Patriotischer Arbeiter:innen). Die Sekretärin der LAB, Maddi Isasi Azkarraga, meinte dazu, dass CC.OO. und UGT den Streik deshalb nicht unterstützt hätten, weil er aufs Baskenland fokussiert blieb und sie generell Kämpfe nicht zuspitzen wollten. Sie stimmten aber mit den Zielen des Generalstreiks überein. Der Hauptgrund lag nicht etwa darin, dass sie Schwierigkeiten darin sahen, sich als gemischtgeschlechtliche Organisation an einem feministischen Streik zu beteiligen.

Längerer Organisierungsprozess

Ausgehend von Lateinamerika wurden seit Jahren zum 8. März Millionen Menschen mobilisiert. Auch im Baskenland fanden an diesem Datum seit 2018 feministische Streiks statt, bei denen Frauen die Pflege- und Sorgearbeit niederlegen sollten, damit deren gesellschaftliche Bedeutung sichtbar wird. Der jetzige Generalstreik richtete sich hingegen an die gesamte Gesellschaft und wurde vom feministischen Bündnis namens Denon Bizitzak Erdigunean (Das Leben in den Mittelpunkt stellen) angestoßen.

Dafür ging das Bündnis auf Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kleinbauern- und -bäuerinnenverbände sowie die Rentner:innenbewegung zu. Letztere fordert seit Jahren eine Mindestrente von 1.080 Euro. Nach längerer Diskussion wurde ein Forderungskatalog (Sozialcharta) erstellt. Neben vom Bündnis formulierten längerfristigen Zielen wie dem Aufbau eines öffentlich-gemeinschaftlichen Pflegesystems wurden kurzfristig auszuräumende Missstände benannt wie die Arbeitsbedingungen von illegalisierten, migrantischen Frauen in Privathaushalten, die oft 7 Tage die Woche Alte betreuen. Es wurden mehr als 1.000 Versammlungen in Dörfern, Stadtteilen und Betrieben durchgeführt.

Dies wurde dadurch getragen, dass der Carebereich – Alten- und Krankenpflege sowie Kinderbetreuung – während der Coronapandemie zusehends in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte rückte. Die schlecht bezahlten und überwiegend von Frauen geleisteten Pflege- und Sorgearbeiten stellten sich als die unverzichtbarsten heraus, zudem das Baskenland an Überalterung leidet und viele Menschen Pflege benötigen. So waren die Grundforderungen des Streiks nicht schwer zu vermitteln.

Und jetzt?

Amaia Zubieta, eine der Sprecherinnen des Organisationsbündnisses, erklärte: „Ein Generalstreik ist kein Selbstzweck.“ Damit verlegt sie aber den eigentlichen „Kampf“schauplatz auf die Verhandlungen mit den Autonomieregierungen des Baskenlandes und der nordspanischen Region Navarra. In der baskischen Autonomiegemeinschaft regiert jedoch die Christdemokratie in Gestalt der Baskisch-Nationalistischen Partei EAJ – PNV. Direkt nach Streikende betonte der scheidende Ministerpräsident Urkullu, „seine Partei sei einem staatlich gelenkten öffentlichen und gemeinschaftlichen Pflege- und Sorgesystem“ verpflichtet.

Vorschneller Jubel ist allerdings unangebracht. Seine Rhetorik dient dem Gewinn der in diesem Frühjahr anstehenden Wahlen. Er will keine Angriffsfläche bieten. Die Praxis seiner Regierung spricht aber eine andere, weniger doppelzüngige Sprache, hat doch die regionale Christdemokratie in den vergangenen Jahrzehnten die Privatisierung der öffentlichen Grundversorgung massiv vorangetrieben. Und das wirft Fragen auf: Was bleibt vom Streik? Und wie können die Forderungen umgesetzt werden?

Revolutionäre Perspektive

Ohne Frage war der Streik ein eindrucksvoller politischer Massenstreik. Doch im Angesicht des drohenden Ausverkaufs blieb er durch die  bürokratische Begrenzung auf einen Tag nur ein symbolischer Protest. Natürlich ist das trotzdem ein Schritt vorwärts. Gleichzeitig gibt es jedoch die Gefahr, dass Teilnehmende demoralisiert werden, wenn man nicht klar aufzeigt, was die eigene Strategie ist, um die Forderungen zu erkämpfen. Deshalb müssen Revolutionär:innen in solchen Situationen von Anfang an argumentieren, dass der Generalstreik bis zur Erreichung seiner Ziele „befristet“ bleiben sollte. Gleichzeitig hätten sie betont, dass er mit dem Aufbau von Kontrollkomitees und Milizen zu seiner Verteidigung einhergehen müsse. Denn letzten Endes wirft ein ernsthaft geführter Generalstreik auch immer die Machtfrage auf: Also wem gehört eigentlich der Betrieb, der bestreikt wird? Was passiert, wenn sich weiter geweigert wird, die Forderungen durchzusetzen bzw. zu erfüllen?

Deswegen ist der Aufbau solcher Strukturen elementar, um vorbereitet zu sein, so einen Kampf auch ernsthaft durchzusetzen. Denn entweder man erkämpft zeitweise Verbesserungen, knickt ein und geht zum Status quo zurück oder geht einen Schritt voran und bildet eine Regierung der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen, um die Forderungen selber umzusetzen und das Tor zum Sturz des kapitalistischen Gesamtsystems, zur Diktatur des Proletariats, gestützt auf die werktätige Bauern-/Bäuerinnenschaft aufzusperren.

Gewerkschaftsbürokrat:innen und das feministische Organisationsbündnis hätten dem sicher entgegnet, dafür seien die Massen noch nicht reif. Aber welche Art Führung haben sie dem Kampf denn gegeben, die diese Reife beschleunigen hätte können? Natürlich hätten Revolutionär:innen auf Anhieb kaum einen Blumentopf für ihre Forderungen bei den Massen gewinnen können. Doch mindestens einem Teil der Fortgeschrittensten und Aktivsten wäre spätestens nach dem Ausgang des Streiks klar geworden, dass es mehr braucht. Kurzum: Natürlich ist die Forderung des Umsturzes des Kapitalismus nicht die, worum man den Generalstreik organisiert. Doch es ist wichtig, währenddessen die unterschiedlichen Ansätze offen zu diskutieren, vor allem, da auch viele Vertreter:innen des baskischen Feminismus sich als Antikapitalist:innen verstehen. Dass dies dringend notwendig ist, zeigt die Debatte um den Umgang mit der Transformation des Caresektors:

Wie bei der „Reife“ des Klassenbewusstseins, die sich baskische und andere Reformist:innen und Zentrist:innen offensichtlich nur als Naturprozess wie beim Apfelbaum vorstellen können, so gehen sie auch an die Transformation des Caresektors heran.

Transformation des Caresektors

Elena Beloki von der linken Parteienstiftung Fundación Iratzar dazu: „Der Staat muss die Mittel für die Grundversorgung bereitstellen. Die Einrichtungen sollten genossen- oder gemeinschaftlich getragen werden.“ Dieser Aufbau eines nicht profitorientierten öffentlichen Pflegesystems sei nicht einfach „nur“ eine Verstaatlichung. Doch was ist es denn dann? Sozialismus? Leider nicht. Dieser von vielen Anarchist:innen, Zentrist:innen und Linksreformist:innen gehuldigten Transformation liegt die Vorstellung zugrunde, man könne die Ballonhülle des Systems schrittweise durch Austausch von kapitalistischem Gas mit sozialistischem füllen, ohne sie zum Platzen bringen zu müssen. Doch genossenschaftliche Inseln inmitten profitorientierter Meereswellen werden ein Laden wie jeder andere auch oder Teil eines Planes für die Bedürfnisse der arbeitenden Klassen. Dieser lässt sich jedoch ohne gewaltsame Sprengung des Ballons nicht erreichen.

Deswegen reicht es nicht zu schweigen, welche und wie viele Mittel der Staat bereitstellen müsse oder wie man besagte Transformation finanzieren will. Das sind berechtigte Fragen, bei denen es gilt, eine klare Perspektive im Interesse der Arbeiter:innen und Unterdrückten zu formulieren: Das heißt beispielsweise, dafür einzutreten, dass die Finanzierung durch eine progressive Besteuerung v. a. bei den Reichen stattfindet, sowie den staatlichen wie genossenschaftlichen Sektor unter Kontrolle der Beschäftigten und Nutzer:innen zu stellen. Warum? Zum einen haben sie durch ihre Stellung im Produktionsprozess Einblick, was gebraucht wird und ob die Veränderungen in ihrem Interesse stattfinden. Zum anderen sorgt es dafür, dass Streik- und Aktionskomittees über den Streik hinaus bestehen bleiben und als Kontrollorgane fungieren können. Das ist nicht nur ein Schritt voran, wenn es darum geht, Selbstermächtigung zu erlernen, sondern erleichtert auch Mobilisierungen, wenn es darum geht, Errungenschaften zu verteidigen oder weitere Angriffe abzuwehren.

Lehren des feministischen Streiks

Was sind also die Lehren des Streiks? Der Streikkampf vom 30. November stellt einen großen Schritt nach vorne dar. Gemeinsame Mobilisierungen sind nicht Standard: Aus Angst, dass „gemischtgeschlechtliche Gewerkschaften“ den Streik vereinnahmen (oder diese den Streik ablehnen, weil es „kein richtiger Streik“ wäre) kommt es häufig zu isolierten Streiks. Darüber hinaus gibt es einen Teil des feministischen Spektrums, der den gemeinsamen Kampf per se ablehnt, da die Unterdrückung der Frau in männlicher Gewalt, einer Art universellen Patriarchats, wurzelt. Historisch bezeichnet Patriarchat aber die Herrschaft männlicher Familienoberhäupter über andere Menschen, darunter auch junge und familienlose Männer. Sie konnte erst mit der Erzeugung eines stetigen Überschusses und dessen Aneignung durch die Patriarchen inkraft treten, Der Kapitalismus hat sich das zu eigen gemacht und in eine systematische Diskriminerung umgeformt. Deswegen muss sich der Kampf gegen Frauenunterdrückung auch gegen das kapitalistische System richten. Das bedeutet nicht, dass man Ersteren unterordnet, sondern beide Hand in Hand gehen sollten.

Deswegen ist der Einbezug aller Geschlechter ein positiver Schritt nach vorne. Dieser wurde von dem Bündnis aus mehreren Gründen gesetzt. So sollten gut bezahlte, meist männliche Industriebelegschaften auch deshalb streiken, weil schlecht bezahlte, meist weibliche Pflegekräfte ihre Arbeit oft erst gar nicht niederlegen können. Ein weit bedeutenderer Grund liegt unserer Meinung nach indes darin, dass die Unternehmen dann deutlichere Profiteinbußen erleiden – der eigentliche Antrieb jeden Streiks! So kann nämlich mehr Druck ausgebübt werden. Darüber hinaus bringt der gemeinsame Kampf die Möglichkeit mit sich, die Auswirkungen der sozialen Unterdrückung politisch zu diskutieren und bestehende Vorurteile zu überwinden.

Eine weitere Lehre ist die Frage der Kontrolle des Streiks. Um die Instrumentalisierung der Mobilisierung durch gemischtgeschlechtliche Gewerkschaften zu verhindern, wurde vereinbart, dass das feministische Organisationsbündnis „federführend“ bleibt. Laut Azkarraga hat es alle wichtigen Entscheidungen getroffen. Die Frage ist jedoch, was das praktisch heißt?

Unserer Meinung nach muss die Kontrolle des Streiks bei den Streikkomittees und über  diese bei den Massenversammlungen der Streikteilnehmer:innen selber liegen. Nur so ist es möglich, die Entwicklung von Klassenbewusstsein und Selbsttätigkeit angemessen zu fördern. Nur so ist es möglich, Organe der Kontrolle von unten zu schaffen, die Streikführung und -ergebnis im Sinne der Masse der Klasse zu überwachen und ggf. revidieren ermöglichen. Die Streikenden – darunter auch die nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen und anderen Bevölkerungsschichten – müssen das Streikkomitee, ihre unmittelbare Kampfesführung auf Vollversammlungen wählen und jederzeit abwählen können! Alles andere ist mit den Prinzipien der Arbeiter:innendemokratie unvereinbar.

Dieser elementare Grundsatz bedeutet, dass sich feministische wie Vertreter:innen anderer politischer Couleur dem Votum und der Kontrolle durch die Masse der Streikenden stellen müssen. Geht man diesen Weg nicht, kann auch die feministische Führung dazu führen, sich nicht von der klassischen Gewerkschaftsbürokratie zu unterscheiden, da die Kontrollmöglichkeit durch die Streikenden fehlt.

Verglichen mit Ländern wie Deutschland, wo die Gewerkschaften schon kalte Füße bekommen, wenn es darum geht, die eigenen Lohnforderungen durchzusetzen, zeigt dieser Streik, was alles möglich ist – und dass weitergehende Forderungen und Kämpfe dementsprechend auch keine Utopie bleiben müssen. So wäre es beispielsweise auch sinnvoll – neben den Elementen der Arbeiter:innendemokratie – auch dafür einzutreten, dass der Streik auf ganz Spanien ausgeweitet wird. Dort erfolgt aktuell ein massiver Angriff auf das Gesundheitssystem und statt sich mit den Ausreden der UGT und CC.OO. zufriedenzugeben, sollte man diese offen auffordern, aktiv mitzukämpfen und zu streiken – nicht nur im Interesse der Streikenden, sondern der gesamten Bevölkerung!




Spanien: Massenproteste gegen Verfall des Gesundheitswesens

Ernst Ellert, Infomail 1217, 22. März 2023

Vor den Kommunal- und Regionalwahlen im kommenden Mai erhebt sich in Spanien eine riesige Protestwelle gegen die Verschlechterung der medizinischen Grundversorgung.

Madrid

Deren Speerspitze bildet die Hauptstadtregion. Hier regiert seit 2019 Isabel Diaz Ayuso (PP; Volkspartei). Die Konservativen stützen sich auf die neoliberalen Ciudadanos (Bürger:innen) und die ultrarechte Vox (Die Stimme). Am Sternmarsch im vergangenen November hatten sich 700.000 beteiligt. Am 12. Februar 2023 wurde ein neuer Rekord mit 1 Million erreicht. Am 1. und 2. März wurden die Notfallstationen bestreikt. Ayuso reagierte darauf, indem sie 100 % der Beschäftigten zur Minimalversorgung verdonnerte. Für den 26. März ist wieder eine Großdemonstration angesetzt.

Die Initiative „Grundversorgung für alle“ setzt auf zivilen Ungehorsam. Ihre Mitglieder ketten sich an Gesundheitsstationen. Die Pflegerin Cristina Sanz findet es nur richtig, dass sich die Bewegung explosiv ausbreitet. Verhandlungen hätten zu nichts geführt. Stattdessen sei eine Ausnahmesituation eingetreten, da Ayuso sogar das Sammeln von Unterschriften verbiete. Rosa López, Sprecherin der Gewerkschaft Summat, prüft eine Strafanzeige wegen Aushebelung des Streikrechts durch die Dienstverpflichtungen.

Drittklassige Grundversorgung

Im von Korruptionsskandalen geschüttelten Madrid zeigt sich das Missverhältnis im Gesundheitswesen besonders scharf. Der Hauptstadtfaktor führt dazu, dass es sich um die Region mit dem höchsten Durchschnittseinkommen handelt. Doch mit nur zehn Prozent des Budgets an Ausgaben für die Grundversorgung liegt sie abgeschlagen auf dem letzten Platz. Internationale Standards, die Ärzt:innen und Pfleger:innen durchsetzen wollen, sehen dagegen 25 % vor.

Einst verfügte Spanien gerade in einer funktionierenden Grundversorgung über ein relativ gut ausgestattetes und günstiges Gesundheitssystem. Nach Ansicht vieler Ärzt:innen soll dies geschleift werden mit dem Ziel, die Menschen in Privatversicherungen zu drängen. Zwar seien die Policen noch relativ günstig, aber nur, weil die Unternehmen bei Komplikationen oder in teuren Fällen die Behandlung doch wieder ans öffentliche Gesundheitswesen abgeben. So fahren die Versicherungsgesellschaften trotz vergleichsweise niedriger Tarife noch Gewinne ein, solange es noch funktioniert. Was eine Versicherung kosten würde, die auch teure Krebsbehandlungen und Operationen abdeckt, zeigt sich in den USA: monatlich mehrere hundert Euro.

Baskenland

Im Baskenland regte sich ebenfalls Widerstand gegen den seit 2010 eingeschlagenen Liberalisierungskurs. Am 24. Februar 2023 erlebten die Metropolen Bilbao, San Sebastián und Vitoria große Kundgebungen mit mehreren zehntausend Menschen. Den Hintergrund dafür bildet, dass die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung bei den Regionen liegt, so dass es überall Proteste gibt.

Manuel Ferran Mercadé, Berater der „Spanischen Vereinigung für Familien und Gemeinschaftsmedizin“ (semFYC) und Sprecher für den Bereich der Grundversorgung der Basisorganisation „SOS Bidasoa“ in Irun, merkte an, dass sich verhältnismäßig wenige junge Menschen an den Kundgebungen beteiligt hatten. Doch er hob auch hervor, dass alle Gewerkschaften mobilisierten. Allein im Gesundheitswesen gibt es eigene Gewerkschaften. Dazu kommen die allgemeinen. Normalerweise liegen die der Ärzt:innen und Pfleger:innen, die baskischen mit den spanischen miteinander im Clinch. Die baskischen ELA und LAB setzen eher auf Konfrontation, die spanischen CCOO und UGT auf Sozialpakte. Mit dem Vorgehen der Regionalregierung, die den Dialog scheut und nur Verlautbarungen und Ankündigungen abgibt, ist diese seltene Einmütigkeit zu erklären. UGT und CCOO haben in den baskischen Provinzen gegen die Politik der Bundesregierung mit demonstriert, in der die Baskisch-Nationalistische Partei und Sozialdemokratie den Ton angeben.

Gesundheitsökonomie auf Spanisch

Das Baskenland rühmt sich, über das beste Gesundheitswesen im spanischen Staat zu verfügen. Trotzdem gehen auch hier Beschäftigte und Patient:innen auf die Barrikaden. Grund dafür ist die seit der Jahrtausendwende einsetzende brutale Unterfinanzierung, die mit der Zentralisierung im Gesundheitssystem zu tun hat. Zuvor gab es zwei Haushalte: einen für die Grundversorgung und einen für die Kliniken. Deren Integration setzte im Baskenland erst vor 10 Jahren ein. Es gibt auch hier jetzt nur noch einen Haushalt und eine:n Chef:in. Zulasten der Grundversorgung floss das meiste Geld in den stationären Bereich. Je stärker man die Grundversorgung ausbluten ließ, umso mehr Menschen landeten zur teuren Behandlung in den Krankenhäusern.

Bei den Gesundheitsausgaben liegt das Baskenland über, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung unter dem Landesdurchschnitt. Es gibt zwar weniger Privatkliniken, wie Mercadé bemerkt, doch wird viel Geld für externe Beratung rausgeschmissen und Material gekauft, das kein/e Arzt/Ärztin bestellt hat.

Die langen Wartelisten werden mit dem Fehlen ärztlichen Personals begründet. In Bezug zur Bevölkerungszahl scheint es jedoch ausreichend. Spanien ist weltweit das Land mit der zweithöchsten Zahl medizinischer Fakultäten. Doch ein Gutteil der Ausgebildeten wandert in den privaten Sektor, nicht in den öffentlichen. Noch weniger finden sich in der Grundversorgung mit schlechten Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung. Angesichts der Ausbildungszeitdauer von durchschnittlich 11 Jahren bräuchte es eine vernünftige Planung in einem integrierten Gesundheitssystem, damit Mediziner:innen und Pfleger:innen abwechselnd auf allen Positionen und in allen Sektoren bei einheitlicher Ausbildung zum Einsatz kommen können. Die zweite Voraussetzung dafür: Abschaffung des privaten Gesundheitswesens!

Personalmangel – wie in Deutschland

In wenigen Jahren werden 30 % der Ärzt:innen in Rente gehen und Spanien wird vor einem großen Personalproblem stehen, das nicht durch kurzfristige Erhöhung der Studierendenzahl zu bewältigen sein wird. Auch „unsere“ Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, ohne sich dabei an die eigene Nase zu fassen. Bei allen Unterschieden bilden in Deutschland wie Spanien die Kliniken das Einfallstor für den Einzug des Kapitals in den Gesundheitsbetrieb. In Spanien geht das zulasten eines rationalen Systems der Grundversorgung durch Integration, Zentralisierung und Privatisierung von Gesundheitsanbieter:innen wie Krankenversicherungen.

In Deutschland wurde der Krankenhausbereich schon in den frühen 1970er Jahren aus der öffentlichen Finanzierung durch die Gemeinden (Kameralistik) entlassen und auf ein duales Regime (Betriebskosten erstatten die Krankenkassen, Investitionen die Bundesländer) eingeführt. Schließlich wurde auf einen vollständigen inneren Markt (Fallpauschalen) umgestellt mit der Folge gesteigerten Personalmangels, zunehmender Arbeitshetze, Schließungen und Privatisierungen sowie übermäßig zunehmenden  planbaren Operationen einer- und blutigen Entlassungen bei „unprofitablen“ Fällen andererseits.

Der Siegeszug des Neoliberalismus geht aber zunehmend dem einstigen Standbein des BRD-Gesundheitswesens an den Kragen – der niedergelassenen Ärzt:innenschaft und ihren Praxen, die wie Kleinbetriebe fungieren. In Gestalt der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), oft an Kliniken vor Ort angebunden, entsteht eine Konkurrenz, die an die Polikliniken der DRR erinnert. Allerdings werden die heutigen nur zum Zwecke größtmöglicher Rentabilität betrieben wie der ganze kranke Laden, der sich Gesundheitswesen nennt. Seine Rettung kann indes nicht im Zurück zur „Idylle“ der kleinen Praxen liegen.

Internationale Verbindung

Ein Vergleich der Krise des Gesundheitswesens in Spanien mit Deutschland wie mit praktisch allen anderen Ländern Europas verdeutlicht, dass wir es mit einem länderübergreifenden Phänomen zu tun haben. Das betrifft auch die Mobilisierung des Personals. Doch auch, wenn sie allesamt Resultat der kapitalistischen Krise und neoliberaler Angriffe, von Einsparungen und Privatisierungen sind, so werden die Kämpfe bislang nebeneinander, national oder gar lokal beschränkt geführt. Dabei schreien Forderungen wie die Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens unter Kontrolle der Beschäftigten und Patent:innen, nach einem freien und garantierten Zugang für alle und nach ausreichender Finanzierung und Ausbau des Gesundheitswesens durch die Besteuerung des Kapitals geradezu nach einer gemeinsamen, international koordinierten Bewegung.




Spanien – Vorreiter im Abtreibungs- und Sexualstrafrecht?

Leonie Schmidt, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Die seit 2020 amtierende neoreformistische Regierung im spanischen Staat, bestehend aus sozialdemokratischer PSOE und linkspopulistischer Podemos, hat in diesem Jahr einige Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die verschiedenste Bereiche der geschlechtsspezifischen Unterdrückung betreffen und künftig für mehr reproduktive Rechte und härtere Strafen bei geschlechtsspezifischer Gewalt führen sollen.

Spanien scheint von außen oft eher konservativ und wird auch zuweilen als Macho-Land abgetan, zumal die katholische Kirche gesellschaftlich auch noch sehr präsent ist. In Sachen Antisexismus gibt es jedoch schon seit einiger Zeit ein Umdenken in den Parlamenten. Doch die fortschrittlichen Gesetze kommen nicht von irgendwo her, sie wurden erkämpft.

Was ändert sich?

Besonders auffällig ist das gelockerte Abtreibungsgesetz: So dürfen Schwangere schon ab 16 Jahren ohne elterliches Einverständnis abtreiben, Abtreibungen sind bis zur 14. Woche legal und die 3-tägige Bedenkzeit soll ebenso abgeschafft werden. Außerdem müssen öffentliche Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung über fachkundiges Personal verfügen, welches einen Abort durchführen kann.

Ferner wurde das Sexualstrafrecht verschärft, und zwar gilt nun „Nur Ja heißt Ja“, was eine fortschrittlichere Regelung ist als „Nein heißt Nein“, da nun auch Täter für eine Vergewaltigung verurteilt werden können, deren Betroffene sich nicht wehren oder äußern konnten, sei es aus Schockstarre und Angst oder Bewusstlosigkeit. Dies fiel vorher lediglich unter den Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Konkret heißt es nun im neuen Gesetzesentwurf: Alle Handlungen, die „die sexuelle Freiheit einer anderen Person verletzen“, gelten als Vergewaltigung und können für die Täter bis zu 15 Jahre Gefängnis bedeuten. Konservative kritisieren, dass es nun keine Unterscheidung mehr zwischen Übergriffen und Vergewaltigungen gebe und sehen die Unschuldsvermutung in Gefahr. Auch Catcalling wird nun strafbar insofern, als jegliche Annäherungen in Form eines Flirts von allen Beteiligten gewollt werden müssen und andernfalls als Straftatbestand gelten.

Neben diesen Verschärfungen wurde der sogenannte Periodenurlaub von bis zu 3 Tagen monatlich nun eingeführt. Wenngleich das eine gute Idee ist, ist der Name doch etwas missverständlich, denn in Spanien war es bisher erst möglich, ab 4 Tagen Krankheit eine Lohnfortzahlung vom Unternehmen zu erhalten. Daher wurde hier nur eine Lücke geschlossen. Spanien hat somit als erstes europäisches Land den Periodenurlaub eingeführt. Bisher existieren derartige Regelungen vor allem im asiatischem Raum, bspw. in Taiwan, Südkorea und China. Außerdem soll es nun endlich Verordnungen zur Prostitution in Spanien geben. Diese ist nämlich weder verboten noch legal, was vielen ein Dorn im Auge ist.

Wie kam es dazu?

Wie konnte es nun zu solchen fortschrittlichen Zugeständnissen kommen, während weltweit ein extremes Rollback gegen Frauen und LGBTIA-Personen im vollen Gange ist, insbesondere Abtreibungsrechte reihenweise verschärft werden – siehe Polen und die USA. Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich. Einerseits, wie bereits eingangs erwähnt, wurden die Gesetzesänderungen maßgeblich durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Diese ist ziemlich stark, zu den 8.-März-Protesten gehen landesweit Millionen Menschen auf die Straße. Alleine in Barcelona waren es 2021 über 100.000 Personen.

Die Größe der Bewegung ist insbesondere historisch bedingt, denn während in den späten 1960er und 1970er Jahren in den westlichen Industrieländern der Kampf um Gleichberechtigung und sexuelle Befreiung erstarkte, war in Spanien noch das halbfaschistische Regime Francos an der Macht, in welchem Frauen zu Kinder, Küche, Kirche verbannt waren. Erst 1978 wurde ein Gesetzantrag zur Gleichstellung von Mann und Frau erwirkt, das Recht auf Scheidung gibt es erst seit 1981. Das kollektive Trauma dieser Zeit besteht fort und sorgt auch heute noch für größeres und kämpferischeres Bewusstsein. Bereits in den späten 1990er Jahren konnte ein Gesetz durch Massenproteste ins Rollen gebracht werden.

Diese formierten sich 1997 nach einem Femizid an einer Frau, Ana Orantes, deren Mann sie ermordete, weil sie in einem Fernsehinterview über die 40 Jahre häuslichen Missbrauchs durch ihn an ihr und den gemeinsamen Kindern sprach. Sie hatte sich zuvor sogar an die Polizei gewandt, 15 Anzeigen gestellt. Doch diese wollte ihr nicht helfen, da es keine entsprechenden Gesetze gab, die Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützten. Als die Scheidung nach über 10 Jahren endlich durchkam, musste sie dennoch weiter mit ihm zusammen wohnen.

Die damals konservative Regierung unter der Partido Popular, einer rechtskonservativen Volkspartei, sprach von einem Einzelfall, was nicht unbeantwortet blieb. Unter dem Motto „ Wir sind alle Ana“ gingen damals Tausende auf die Straßen. Im Anschluss wurde 2004 ein erstes Gesetz auf die Beine gestellt, welches weitreichend gegen häusliche Gewalt ankämpfen sollte. Alleine schon die Benennung der geschlechtsspezifischen Gewalt stellte einen großen Schritt nach vorn dar. Außerdem wurden Spezialgerichte für die Verfolgung der Straftaten eingerichtet und Männer, die Frauen Gewalt antun, werden nun durch das Gesetz stärker bestraft als Frauen, die Männern etwas antun, oder Männer, die anderen Männern etwas antun. Seit 2007 wird auch jegliche geschlechtsspezifische Gewalttat statistisch erfasst, was in Deutschland bspw. erst seit 2015 der Fall ist.

Das „Ja heißt Ja“-Gesetz kam vor einem ähnlichen Hintergrund zustande: Nach einer Gruppenvergewaltigung an einer 18-Jährigen durch 5 Männer (welche ihr Opfer zusätzlich filmten) wurden die Täter nur wegen sexueller Belästigung verurteilt, da sie das Opfer nicht schlugen oder bedrohten, und sie sich nicht wehrte. Sie bekamen somit nur 9 Jahre Haft. Jedoch mobilisierten auch 2016 erneut die spanischen Feminist:innen gegen dieses milde Urteil und erzwangen somit dessen Revision. Die Täter wurden nun doch wegen Vergewaltigung verurteilt und sitzen eine 15-jährige Haftstrafe ab. Das neue Gesetz soll auch zukünftig ähnliche Gerichtsurteile ermöglichen und wurde somit de facto durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Außerdem wirkte sich positiv aus, dass auch die Gewerkschaften mit der feministischen Bewegung wahrhaft vernetzt sind und es sich bei vielen 8M-Protesten wirklich um Frauenstreiks handelte, welche mit Streikposten einhergingen und nicht wie bspw. in Deutschland einen rein symbolischen Charakter trugen.

Einige Politikerinnen und Ministerinnen der Regierung PSOE/Podemos entstammen ebenfalls einer Tradition feministischer Proteste und haben sich auch deswegen für diese Belange eingesetzt. Generell ist die reformistische Regierung natürlich auch ein Grund für die Durchsetzung. In Krisenzeiten gibt es zwar klassischer Weise Rollbacks gegen Frauen und LGBTIA-Personen, aber irgendwas muss die linke Koalition trotzdem der mobilisierten Wähler:innenschaft anbieten. Dass es im Rahmen von Krieg, Krise, Umweltkatastrophe und Pandemie nur wenig Spielraum gibt, ist klar. Denn ansonsten ist die Regierung eher weniger linksorientiert, als es eventuell scheinen mag. Die Politik, die gefahren wird, ist durchaus arbeiter:innenfeindlich. So werden bspw. Streiks im Auftrag der Regierung durch Polizei und Militär brutal niedergeschlagen. Insbesondere während der Pandemie zeigten die Politiker:innen ihr wahres Gesicht. So sperrten sie die Arbeiter:innen in ihren Stadtvierteln ein, diese durften sie nur verlassen, wenn sie zur Arbeit fuhren.

Kritik an der Gesetzesänderung

Kritik gab es einige, sowohl aus feministischen Kreisen als auch von rechts. Die Feminist:innen in Spanien sind stark beeinflusst von Andrea Dworkin, welche als Radikalfeministin insbesondere eine abolitionistische Position gegenüber der Prostitution einnahm. Sie sahen sich und das Anliegen eines Sexkaufverbots in den neuen Entwürfen nicht gehört, denn das nordische Modell wurde anfangs nicht eingeplant. Prostitution wurde 1995 in Spanien entkriminalisiert, Zuhälterei ist allerdings strafbar. Anfang Juni wurde jedoch ein Entwurf ins Rollen gebracht, der einem Sexkaufverbot gleichkommt: Das vorgeschlagene Gesetz soll diejenigen bestrafen, die Prostituierte finanziell ausbeuten, für ihre Dienste bezahlen oder wissentlich Räumlichkeiten für die Ausübung der Prostitution zur Verfügung stellen. Wenngleich die PSOE in Spanien sich für dieses, vom „nordischen Modell“ inspirierte Gesetz ausspricht, so ist es alles andere als sicher für die betroffenen Sexarbeiter:innen, denn so werden sie in noch unsicherere Arbeitsverhältnisse gedrängt (ausführlicher Artikel zur Frage siehe Neue Internationale 257, Juli/August 2021). Beibehaltung der Entkriminalisierung, die Möglichkeit für sichere und kostenlose Umschulungen zum Ausstieg sowie gewerkschaftliche Organisation der Sexarbeiter:innen wären aus einer marxistischen Perspektive die deutlich sinnvolleren Mittel gewesen.

Interessant ist auch, dass diese Frage zu einer Spaltung innerhalb der Koalition geführt hat. Die PSOE arbeitet nun bzgl. des Gesetzesentwurfs mit der rechtspopulistischen PP (Partido Popular) zusammen, während sich Podemos dagegen stellt, da er zu moralisierend wäre. Für die feministische Partei Spaniens ist der Vorschlag von PSOE und PP aber dennoch zu unkonkret, sie fordert umfassendere Maßnahmen. Außerdem gab es Proteste mit bis zu 7.000 Frauen, die sich für ein abolitionistisches Gesetz aussprachen.

Auch wenn der Gesetzentwurf ansonsten einen wichtigen Schritt darstellt, so bleibt Sexismus eine strukturelle Unterdrückung im Kapitalismus, welche sich nicht einfach durch Gesetze wegreformieren lassen kann und so auch in Spanien unter der linken Regierung bestehen bleibt: Reproduktionsarbeit wird auch hier weiterhin vornehmlich von Frauen ausgeführt.

Zugleich gibt es natürlich auch Kritik von rechts und aus konservativen Kreisen. Die rechtsradikale VOX, drittstärkste Partei im Parlament, möchte das Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt aus dem Jahr 2004 schon länger abschaffen. Sie ist außerdem gegen die Legalisierung von Abtreibung. Gegen die Veränderung des Abtreibungsgesetzes gingen auch 100.000 Konservative auf die Straße, unter anderem angestachelt durch die Aufhebung von Wade vs. Roe in den USA.

Wie weiter?

Auch wenn in Spanien wichtige gesetzliche Verbesserungen errungen werden konnten, so ist der Kampf längst nicht vorbei. Einerseits findet auch innerhalb der Bewegung ein Kampf zwischen fortschrittlichen und reaktionären Richtungen (siehe die Frage der Prostitution) statt. Die PSOE, aber auch wichtige Strömungen des Feminismus schrecken dabei auch vor einer Zusammenarbeit mit den Konservativen nicht zurück. Andererseits macht die extreme und konservative Rechte gegen alle fortschrittlichen Verbesserungen weiter mobil, wie die Massendemonstrationen der VOX verdeutlichen.

Die enge Verbindung zwischen den feministischen Streiks und der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innenklasse war jedoch nicht nur entscheidend dafür, warum wichtige Verbesserungen überhaupt durchgesetzt werden konnten. Sie ist auch der einzige Weg zur Verteidigung und Ausweitung dieser Errungenschaften und zur Schaffung einer proletarischen Frauenbewegung – nicht nur in Spanien, sondern international.




Spanien: Hält die Verbindung der SozialistInnen mit den PopulistInnen?

Dave Stockton, Infomail 1078, 25. November 2019

Die
Parlamentswahlen vom 10. November, die zweiten in diesem Jahr und die vierten
seit 2015, haben wieder einmal ein instabiles Parlament ohne absolute Mehrheit
für eine Partei hervorgebracht. Sie markierten auch einen Rechtsruck, so wie
bei den Wahlen im April ein Linksruck stattgefunden hatte. Dies ist
unvermeidlich, wenn die reformistischen Parteien der Linken ein Ergebnis
verplempern und ihre opportunistische Linie, sowohl politisch als auch
wirtschaftlich, fortsetzen.

Katalonien und
die Forderung der EU nach anhaltender Sparpolitik werden über einem neuen
Ministerium wie ein Damoklesschwert hängen. Unterdessen sollte der Aufstieg der
extremen Rechten, in Form von Santiago Abascals Vox, die immer noch mächtigen
linken Kräfte im spanischen Staat anspornen, aufzustehen und zu erkennen, dass
direkte Massenaktionen, der Klassenkampf auf den Straßen und an den
Arbeitsplätzen, der einzige Weg sind, eine Katastrophe zu vermeiden.

Pedro Sánchez‘
Sozialistische Partei PSOE ist mit 120 Sitzen immer noch die größte Partei im
Kongress und hat beschlossen, eine Koalition mit Pablo Iglesias‘ Unidas
Podemos, UP, zu bilden, obwohl Sánchez dies seit den Wahlen im April vermieden
hatte. Jetzt, da die PSOE jedoch 3 Sitze und UP 7 verloren und Vox ihre Sitze
mehr als verdoppelt hat, von 24 auf 52, sieht Sánchez keine Alternative.

Aber auch
gemeinsam wissen die beiden Parteien nur 155 Mitglieder des Kongresses hinter
sich, und 176 Sitze werden für eine absolute Mehrheit benötigt. Darüber hinaus
verfügt die PSOE über einen bedeutenden rechten Flügel, der die Idee einer
Verbindung mit Podemos verabscheut und sich ein Bündnis mit Parteien der
Rechten oder rechten Mitte wie Ciudadanos (BürgerInnen) gewünscht hätte. Diese
Option verflüchtigte sich mit dem Zusammenbruch von Ciudadanos von 57 auf nur
10 Sitze. Ihr Führer und Gründer, Albert Rivera, legte nicht nur seine Parteimitgliedschaft,
sondern auch seinen Sitz im Parlament nieder, um ins Privatleben
zurückzukehren.

Eine Ehe im
Himmel … oder in der Hölle?

Die
theatralische Umarmung, mit der Sánchez und Iglesias ihren Regierungspakt feierten,
war offensichtlich von Iglesias’ Seite her herzlicher. Gegen den Widerstand
sowohl von Sánchez als auch von der antikapitalistischen Linken in Podemos
hatte er sich für einen Vorwahlpakt mit der PSOE eingesetzt. Jetzt ist klar,
dass er bereit ist, mit der PSOE den ganzen Weg zu gehen.

„Sánchez weiß,
dass er auf unsere absolute Loyalität zählen kann. Es ist an der Zeit, alle Kritikpunkte
hinter sich zu lassen … und Seite an Seite an der historischen und spannenden
Aufgabe zu arbeiten, die vor uns liegt.“ Seine Ausrede für das Abstreifen der
früheren ätzenden Kritik von Podemos war, dass eine von PSOE und Podemos
geführte Regierung „der beste Impfstoff gegen die extreme Rechte“ sein würde.

Der hohe Preis,
der gezahlt werden müsste, um Vizepremier zu werden, war im September klar.
Damals sagte Iglesias, wenn der Oberste Gerichtshof eine schwere Strafe gegen
die katalanischen UnabhängigkeitsführerInnen verhängen würde: „Offensichtlich
haben wir bereits gesagt, dass wir, obwohl wir eine Position des Dialogs
bezogen, das Gesetz und die Führungsposition der PSOE akzeptieren werden“.

Kein Wunder,
dass Sánchez nach ihrer Umarmung sagte: „Danke für die Großzügigkeit.“

Beide Führer
läuteten die Bedeutungsveränderungen für das Wort „progressiv“ ein. Sánchez
betonte: „Es wird in jedem Fall eine progressive Regierung sein. Eine
progressive Regierung, die aus fortschrittlichen Kräften besteht, die sich für
den Fortschritt einsetzen werden.“

Iglesias
seinerseits schwärmte: „Ich freue mich, heute zusammen mit Pedro Sánchez
bekanntzugeben, dass wir eine vorläufige Einigung über die Bildung einer
fortschrittlichen Koalitionsregierung erzielt haben, die die Erfahrung der PSOE
mit dem Mut von Unidas Podemos verbindet“.

Doch selbst dann
wird diese Koalition im 350-sitzigen Kongress, der unteren Kammer der Cortes,
des spanischen Zweikammernsystems, keine Mehrheit finden.

Sowohl die
SozialistInnen als auch Podemos wurden durch die Wahl tatsächlich geschwächt.
Die Partei von Iglesias litt unter der Konkurrenz durch ihren Mitbegründer und
Hauptideologen Íñigo Errejón. Seine Partei Más País, (Mehr Land), die
Podemos-IU bereits bei den Madrider Stadtwahlen im Mai niedergedrückt hatte,
gewann im November drei Sitze. Errejón begrüßte auch den Koalitionsvertrag und
sagte, seine drei Abgeordneten würden für die Amtseinsetzung von Pedro Sánchez
im Kongress stimmen.

Tatsächlich war
die Seifenblase der linken PopulistInnen, die Idee, dass sie sowohl die PSOE
als auch die rechte Partido Popular, PP, die Parteien von la Casta, die Kaste,
wie sie das korrupte politische Establishment nannten, hinwegfegen könnten,
längst zerplatzt. In den vergangenen sechs Monaten hatte Sánchez Iglesias‘
Aufruf zur Bildung einer Koalition abgelehnt und gesagt, dass ihm der bloße
Gedanke Alpträume bescherte. Alptraum für den einen – ist ein Traum für den
anderen wahr geworden? Wir werden es in den kommenden Monaten sehen.

Katalonien, das
größte Hindernis

In ihrer Koalitionsvereinbarung
erklären die beiden linken Parteien: „Die spanische Regierung wird der
Gewährleistung des sozialen Friedens in Katalonien und der Normalisierung des
politischen Lebens Priorität einräumen. Zu diesem Zweck wird sie den Dialog in
Katalonien organisieren und nach Formulierungen suchen, die zu einem
gemeinsamen Verständnis und zur Versöhnung führen, immer im Rahmen der
Verfassung.“

Die gemeinsamen
Versprechen von Dialog und Gehorsam gegenüber der Verfassung stehen im
Mittelpunkt der widersprüchlichen Lage, der sich die RegierungspartnerInnen
gegenübersehen.

Um seine
Amtseinführung sicherzustellen und eine Regierung zu bilden, braucht Sánchez
die Unterstützung der regionalen nationalistischen Parteien. Die Baskische
Nationalpartei hat 6 Sitze und die EH Bildu, Baskenland versammelt, fünf.
Selbst mit ihrer Unterstützung reicht dies nicht aus, um eine stabile Regierung
zu bilden. Sánchez braucht die KatalanInnen oder zumindest die größten ihrer
Gruppen. Hier stellt reaktionäre Tradition der PSOE, die Partido Popular und
die Verfolgung und Unterdrückung der Unabhängigkeitsparteien, die nun 23 Sitze
im Kongress einnehmen, durch den Obersten Gerichtshof zu unterstützen, die
Partei vor ein Dilemma.

In Katalonien
gibt es die beiden wichtigsten nationalistischen Parteien, die Esquerra
Republicana, Republikanische Linke von Katalonien-Souveränität, ERC-S, mit 13
Sitzen und Junts pro Katalonien, Gemeinsam für Katalonien, JxCat, mit 8. Die
Esquerra möchte eindeutig eine PSOE-U-Podemos-Regierung unterstützen, hat aber
unter dem Druck von JxCat die Bedingung gestellt, dass die Koalition eine
moderierte Diskussion mit den katalanischen Parteien auf die Tagesordnung
setzt. Sánchez hat es oft abgelehnt, dass die Selbstbestimmung auf der
Tagesordnung steht. Darüber hinaus führt Esquerra eine Abstimmung ihrer
Mitglieder zu diesem Thema durch, und die linke CUP mit zwei Sitzen will eine
einheitliche Front, um jegliche Verhandlungen mit Sánchez abzulehnen.

Zur Zeit sind
weder die PSOE noch die U-Podemos bereit, den Zorn des Obersten Gerichtshofs
oder ihres eigenen rechten Flügel zu riskieren, indem sie den KatalanInnen
etwas Wesentliches anbieten. Selbst wenn sie es täten, würde die reaktionäre Justiz
des spanischen Staates schnell eingreifen und dies für verfassungswidrig
erklären.

Carles
Puigdemont, ehemaliger Präsident der Katalanischen Generalitat (Gesamtheit der
politischen Selbstverwaltungsinstitutionen), bleibt im Exil, weil die Madrider
Gerichte versuchen, ihn nach Spanien ausliefern zu lassen. Am 14. Oktober
verurteilte der Oberste Gerichtshof von Madrid neun der für das Unabhängigkeitsreferendum
verantwortlichen AnführerInnen und von Madrid im Oktober 2017 abgesetzten
MinisterInnen zu Gefängnisstrafen von 9 bis 13 Jahren.

Dazu gehören der
Vizepräsident Oriol Junqueras, Außenminister Raül Romeva und Innenminister
Joaquim Forn. Zu ähnlichen Strafsätzen verurteilt wurden auch Carme Forcadell,
Präsidentin des katalanischen Parlaments und die „zwei Jordis“, Jordi Sànchez
von der katalanischen Nationalversammlung und Jordi Cuixart von Òmnium
Cultural, deren Organisationen für die Massendemonstrationen und Streiks um das
Referendum verantwortlich gemacht wurden.

Die Verkündigung
dieser Urteile führte zu dreiwöchigen Massenprotesten mit gewalttätigen
Zusammenstößen zwischen Polizei und jungen DemonstrantInnen, die in den größten
Städten Kataloniens Barrikaden errichteten. Ein Generalstreik brachte eine
halbe Million Menschen auf die Straßen von Barcelona. Die Polizei feuerte
Gummigeschosse ab und setzte Gaskanister und Wasserwerfer ein. Dutzende wurden
verhaftet und verletzt.

Der derzeitige
Präsident der Generalitat, Quim Torra, verurteilte die Gewalt der
DemonstrantInnen und forderte deren Einstellung. Pedro Sánchez weigerte sich
jedoch, mit Torra zu sprechen, und behauptete, dessen Verurteilung sei nicht
eindeutig genug. Damit setzte die PSOE ihre Linie fort, die polizeiliche
Repression zu unterstützen und sich zu weigern, mit den katalanischen AnführerInnen
zu verhandeln, wenn sie nicht auf die Hauptforderungen ihrer AnhängerInnen
verzichteten.

Der Oberste
Gerichtshof erhöhte den Druck und rief Torra auf, am 18. November wegen
„Ungehorsams“ vor ihm zu erscheinen, nämlich wegen seiner Langsamkeit, gelbe
Bänder von öffentlichen Gebäuden zu entfernen, die Symbole der Solidarität mit
den inhaftierten AnführerInnen der Unabhängigkeitsbewegung sind. Die
RichterInnen konnten ihn verurteilen, damit er entlassen und vom Amt
ausgeschlossen wird.

Auch wenn die
bürgerlichen katalanischen NationalistInnen es verabscheuen würden, den Weg zu
einer rechten Koalition zu öffnen oder eine große Koalition aus PSOE und PPS zu
sehen, könnten sie die Regierung kaum lange unterstützen, da ihre AnführerInnen
im Gefängnis schmachten und die von Diktator Franco geschaffene Militärpolizei
Guardia Civil regelmäßig auf DemonstrantInnen auf den Straßen von Barcelona,
Girona, Lleida (Lérida) und Tarragona losging.

Andererseits ist
es sicher, dass der mächtige rechte Flügel der PSOE, wenn Sánchez versucht, sie
zu begnadigen, geschweige denn dem Antrag auf ein legales Referendum über die
Selbstbestimmung stattzugeben, sich auflehnen würde, um es zu verhindern. Ganz
zu schweigen von den Eingriffen des Obersten Gerichtshofs und von König Felipe
VI., der in der Verfassung die „unauflösliche Einheit und Beständigkeit“ des
spanischen Staates verkörpert. Es gäbe auch die „Kleinigkeit“ der
Massenmobilisierungen durch Vox und die extreme Rechte.

Die
Vox-Mitglieder sind offene BewunderInnen von Franco und seiner blutigen
Unterdrückung, beschuldigen muslimische Migranten, hinter einer Welle von
Bandenvergewaltigungen in Südspanien zu stecken, wollen alle sezessionistischen
Parteien ächten, die Autonomieregierung für Katalonien beenden und die
Todesstrafe für Verrat, einschließlich des Strebens nach Unabhängigkeit,
wiederherstellen. Der Aufstieg von Vox ist die spanische Version der
rechtspopulistischen Welle in Polen, Italien, Frankreich, Ungarn, Deutschland
und natürlich in Brexit-Großbritannien.

Kampf gegen die
Sparpolitik

Seit der Großen
Rezession 2008 und der Staatsschuldenkrise ist Spanien wie andere
Mittelmeerstaaten der Europäischen Union zu massiven Einschnitten bei den
Sozialausgaben gezwungen und litt unter einer strafenden Arbeitslosigkeit, die
2013 auf einen Höchstwert von 26,95 Prozent stieg und bei der die
Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent erreichte. Eine große Zahl junger
SpanierInnen ist auf der Suche nach Arbeit in andere EU-Länder gegangen. Erst
2017 erreichte das spanische Bruttoinlandsprodukt das Niveau vor 2008, jedoch
scheint sich das Wachstum nun wieder zu verlangsamen.

Die Vereinbarung
zwischen der PSOE und U-Podemos verpflichtet eine neue Regierung, an einer
„ausgeglichenen Haushaltspolitik“ festzuhalten, bei der neue Sozialprogramme
aus höheren Einnahmen bezahlt werden müssen. Das Wahlmanifest von Podemos hatte
umfangreiche Regierungshaushalte zugesagt, um ein Jahrzehnt wilder Sparpolitik
umzukehren. Da Brüssel eine strenge Finanzpolitik forderte und Spanien nach
fünf Jahren der Erholung eine wirtschaftliche Verlangsamung erfuhr, bestand
Sánchez darauf, in Gestalt der stellvertretenden Wirtschaftsministerin Nadia
Calviño, einer ehemaligen hochrangigen Beamtin der Europäischen Kommission, die
Geschicke in „sichere Hände“ zu übergeben, wie es die EU wünschte.

Ein weiteres
Dilemma ist die Forderung der beiden größten spanischen Gewerkschaftsverbände,
der Comisiones Obreras, CCOO, ArbeiterInnenkommissionen, und der Unión General
de Trabajadores, UGT, der Allgemeinen ArbeiterInnenunion, nach der Aufhebung
der Arbeitsreform 2012 von PP-Premier Mariano Rajoy, die den Weg zu einem
weiteren Rückgang der Reallöhne und unsicheren Teilzeit- und
Zeitarbeitsverträgen für ArbeiterInnen, insbesondere für Jugendliche, ebnete.
Vor allem auf dieser Basis ist die Arbeitslosigkeit auf rund 15 Prozent
gesunken.

Es bedarf einer
massiven Mobilisierung der ArbeiterInnen, um eine Koalitionsregierung zu
zwingen, den Forderungen der ArbeiterInnenschaft nachzukommen.

Für das Recht
auf Selbstbestimmung

Das derzeit
brennendste demokratische Recht ist das Recht der KatalanInnen auf
Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf ein Referendum, das die
Möglichkeit beinhaltet, sich vom spanischen Staat zu trennen. Bisher zeigen
Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der katalanischen BürgerInnen trotz oder
wegen der Repressionen aus Madrid dies nicht wünscht. Nur eine freie
Abstimmung, bei der beide Seiten ohne Unterdrückung ihre Sache verfechten
können, könnte dies entscheiden. Zu diesem Zweck sollten die Guardia Civil und
alle „spanischen“ Polizeikräfte zurückgezogen und ein gleichberechtigter Zugang
zu den Medien gewährleistet werden.

Es ist ein
Skandal, dass die PSOE den Obersten Gerichtshof und das bestehende verfassungsmäßige
Verbot der katalanischen Selbstbestimmung unterstützt, und offenbart, wie weit
von der Demokratie, geschweige denn vom Sozialismus entfernt die Partei ist und
wie wenig sie das Vertrauen der ArbeiterInnen verdient, dass die Partei sie gegen
die sozialen und wirtschaftlichen Angriffe des Großkapitals verteidigen wird.
Obwohl Podemos die Definition Spaniens als plurinationalen Staat, die
verfassungsmäßige Definition Kataloniens als Nation und das Recht auf ein
Unabhängigkeitsreferendum unterstützt, behaupten die PopulistInnen ausweichend,
dass dies nur beratend der Fall sein sollte.

Dennoch sollten
RevolutionärInnen sich nicht für die Abspaltung der autonomen Region einsetzen,
es sei denn, eine Mehrheit hat ihren Willen dazu bekundet. Katalonien, als der
am weitesten entwickelte Teil des spanischen Staates, ist keine wirtschaftlich
ausgebeutete Kolonie oder Halbkolonie. Die NationalistInnen, die sich darüber
beklagen, dass die Steuern der Region den unterentwickelten Teilen des
spanischen Staates zugutekommen, zeigen lediglich ihren Appetit, ihre eigene
Kapitalakkumulation zu maximieren.

Der Hauptgrund
für die Ablehnung der Unabhängigkeit besteht darin, dass sie die Einheit der
ArbeiterInnenklasse auf der gesamten Halbinsel und sogar in Katalonien selbst
schwächen würde, wo eine Mehrheit in soliden ArbeiterInnenklassengebieten gegen
eine Trennung ist. Nicht zuletzt wird es den Kampf gegen die Überreste des
Francoismus und des spanischen Imperialismus schwächen.

Neben der
nationalen Frage beinhaltet der Kampf für Demokratie die Notwendigkeit, das
gesamte schmutzige Erbe der Franco-Diktatur zu beseitigen, das 1978 von den
reformistischen Parteien im Moncloa-Pakt akzeptiert und in die Verfassung
eingebettet wurde, einschließlich der Monarchie, des Senats und des Obersten
Gerichtshofs. Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und die PSOE haben
dieses Verfassungssystem mitverantwortet, und letztere hat es unter den
Ministerpräsidenten Felipe González (1982-1996) und José Luis Zapatero
(2004-2011) erhalten.

Dieser gesamte
reaktionäre Schrott muss weggefegt werden, aber dazu bedarf es revolutionärer
Massenaktionen, nicht nur Wahlen. Es sollten Wahlen zu einer souveränen
verfassunggebenden Versammlung abgehalten werden, die auf einem
Verhältniswahlsystem ohne Mindestschwelle und mit Stimmen für alle Personen
über 16 Jahre basieren. Die Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien sollten
solche Wahlen überwachen und Kampagnen führen für eine ArbeiterInnenregierung
auf der Grundlage der ArbeiterInnenorganisationen, die ihnen gegenüber
rechenschaftspflichtig ist.

Nicht zuletzt
mit dem Aufstieg von Vox besteht eindeutig die Notwendigkeit, andere
demokratische Rechte zu verteidigen und zu erweitern, darunter das Recht der
Frauen auf Schwangerschaftsabbruch, Gleichstellung von LGBTQ+ und der
Geschlechter auf staatlicher und regionaler Ebene. Es muss eine
antifaschistische Einheitsfront der ArbeiterInnenklasse, einschließlich
Verteidigungsgruppen, gebildet werden, um ArbeiterInnen im Kampf oder MigrantInnen
unter Beschuss zu schützen.




Katalonien: Freiheit für die Gefangenen!

Dave Stockton, Infomail 1073, 21. Oktober 2019

Am 14. Oktober
verurteilte der Oberste Gerichtshof von Madrid nach einem viermonatigen Prozess
neun katalanische separatistische AnführerInnen zu 9 bis 13 Jahren Gefängnis
für ihre Rolle in der Unabhängigkeitsbewegung 2017.

Daraufhin
versammelten sich Zehntausende, hauptsächlich junge DemonstrantInnen in den
Stadtzentren Kataloniens, wo sie mit einem Polizeieinsatz konfrontiert wurden,
der sich zu einer dreitägigen Schlacht mit zahlreichen Festnahmen entwickelt
hat.

Die
katalanischen PolitikerInnen hatten bereits zwei Jahre im Gefängnis verbracht,
nachdem der ehemalige Premierminister der Volkspartei (PP) Mariano Rajoy die
paramilitärische Guardia Civil entsandt hatte, um die Unabhängigkeitsbewegung
nach einem Referendum zu unterdrücken, das von Unabhängigkeitsparteien
durchgeführt wurde.

Tatsächlich
sollten Rajoy und seine MinisterInnen im 
Gefängnis sitzen, nicht Oriol Junqueras und seine MitstreiterInnen. Die
drakonischen Urteile sind das Ergebnis des Versäumnisses, das Erbe der
faschistischen Franco-Diktatur aus der spanischen Verfassung zu tilgen,
einschließlich der Strafbefugnisse des Obersten Gerichtshofs, und der
Verweigerung des elementaren demokratischen Rechts der Nationen auf
Selbstbestimmung.

Die Urteile verstoßen eklatant gegen die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und die Europäische
Menschenrechtskonvention, aber die KatalanInnen werden lange darauf warten,
dass entweder diese Organe oder ihre Mitgliedsstaaten die Handlungen des
spanischen Staates verurteilen. Ebenso sollten sie nicht darauf warten, ob die
Fraktion der Progressiven Allianz der SozialdemokratInnen im Europäischen
Parlament (S&D) oder ihre Dachorganisation, die moribunde Sozialistische
Internationale, ihnen zu Hilfe kommt.

Tatsächlich hat
ihre Mitgliedsorganisation, die spanische Sozialistische ArbeiterInnenpartei
PSOE, die Repression begeistert begrüßt. Premierminister Pedro Sánchez sagte
gegenüber ReporterInnen: „Heute endet ein exemplarisches Gerichtsverfahren.
Niemand steht über dem Gesetz. In einer Demokratie wie Spanien wird niemand
wegen seiner Ideen oder seiner Politik vor Gericht gestellt, sondern wegen
strafbaren Verhaltens, wie es das Gesetz vorsieht“. Er versicherte den Medien,
dass seine Regierung der Entscheidung des Gerichts „voll und ganz nachkommen“
werde.

Diese zynische
und kriecherische Aussage entlarvt die linken Referenzen von Sánchez und seiner
Partei als plumpe Täuschung. Sie stellt die Sinnlosigkeit der Hoffnung klar,
dass seine Politik bei der Erhaltung des spanischen Staates als Gefängnis der
Nationen von der Form abweicht, die von den ErbInnen Francos in der Volkspartei
festgelegt wurde.

Um das
verbrecherisches Maß vollzumachen, förderte Sánchez zynisch die Hoffnung auf
eine Verhandlungslösung mit den KatalanInnen, um seine Stimmen bei den letzten
Wahlen zu vermehren und katalanische Parteien in den Cortes (dem Madrider
Parlament) zur Unterstützung seiner Regierung zu bewegen. Aber angesichts der
Wahl, die Integrität des spanischen Staates mit Gewalt zu verteidigen oder
seine Koalition aufrechtzuerhalten, triumphierte die Loyalität zu seinem König
und seinem Land über diese Interessen der WählerInnen, geschweige denn sozialistische
Prinzipien – falls er jemals welche hatte.

Pablo Casado,
der derzeitige Vorsitzende der Volkspartei, lobte den Gerichtshof praktisch mit
denselben Worten wie Sánchez und stellte den Ministerpräsidenten nur darin auf
die Probe, dass er ja nicht den verurteilten FührerInnen eine Amnestie oder
Begnadigung der Regierung anbieten soll. Unterdessen kritisierte der
Generalsekretär der protofaschistischen Vox-Partei, Javier Ortega Smith-Molina,
das Urteil wegen seiner Nachsicht. Die katalanischen FührerInnen hätten wegen
des Verbrechens der gewalttätigen Rebellion zu je 25 Jahren verurteilt werden
sollen.

Die einzige einigermaßen
prinzipientreue Position kam vom Podemos-Vorsitzenden Pablo Iglesias, wenn auch
in einer angesichts des Ernsts der Lage eher zurückhaltenden Sprache. Er sagte,
der Satz „wird in die Geschichte Spaniens als Symbol dafür eingehen, wie man
politische Konflikte in einer Demokratie nicht angeht“. In einer Nachricht auf
Facebook sagte Iglesias, er wolle „seine Unterstützung an die verurteilten
FührerInnen und ihre Familien senden“.

Diese verbale
Solidarität passt zur lauwarmen Unterstützung seiner Partei für die nationalen
demokratischen Rechte. Tatsächlich sollte jedeR DemokratIn, geschweige denn
SozialistIn, der/die im spanischen Staat lebt, die sofortige Freilassung der
verurteilten FührerInnen, die Aufhebung ihrer Beschuldigungen und die
Einstellung aller Anklagen gegen den im Exil lebenden katalanischen Präsidenten
Carles Puigdemont fordern.

Widerstand

Obwohl es die
gemäßigte Basisorganisation, die Katalanische Nationalversammlung (ANC), war,
die am ersten Abend zur Demonstration bei Kerzenlicht aufrief, besetzten noch
in dieser Nacht mehrere tausend Menschen den Flughafen Barcelona. Sie wurden
mit Polizeiprügel und Salven von Gummigeschossen konfrontiert, die mehr als 130
Verletzte forderten und einen jungen Demonstranten das Auge kosteten.

Diese direkte
Aktion und die in den folgenden Tagen wurden von Tsunami Democràtic, einer
neuen Online-Plattform, organisiert. Der Schlüssel zum Erfolg der Bewegung sind
die AktivistInnen der Komitees für die Verteidigung der Republik (CDRs), die
gegründet wurden, um der Annahme einer direkten Herrschaft des spanischen
Staates im Jahr 2017 zu widerstehen, die twitterten: „Es ist an der Zeit, sich
gegen den autoritären Faschismus des spanischen Staates und seiner KomplizInnen
zu erheben. Es ist Zeit für den Volksaufstand.“ In anderen spanischen Städten,
darunter auch in Madrid, kam es zu Solidaritätsaktionen, und am 18. Oktober
wurde in Katalonien ein Generalstreik ausgerufen.

So sehr die
Demonstrierenden auch im Recht sein mögen, es sollte nicht vergessen werden,
dass, obwohl es in den Monaten um das Referendum 2017 riesige Demonstrationen
und direkte Aktionen gab, die Schwäche und Spaltung der nationalistischen
FührerInnen sowie das Fehlen einer wirksamen und beträchtlichen Solidarität aus
ganz Spanien und Europa mit dem Sieg des spanischen Staates endeten. Die
derzeitige Führung des katalanischen Parlaments, die Generalitat, fordert
kläglich Verhandlungen. Diese werden zu nichts führen. Denunziationen von
DemonstrantInnen, die der Polizeigewalt ausgesetzt sind, durch den
katalanischen Präsidenten wird die Madrider Regierung nur ermutigen.

Strategie

Solange die
SeparatistInnen die Frage als Kampf um Unabhängigkeit und nicht um das
demokratische Selbstbestimmungsrecht stellen, erschweren sie die Unterstützung
der rund 50 Prozent der katalanischen Bevölkerung, die sich gegen die
vollständige Unabhängigkeit aussprechen.

Heute verfügt
Katalonien nicht einmal mehr über eine echte Autonomie. Wenn dies der Fall
gewesen wäre, wäre es Madrid nicht möglich gewesen, sein Parlament aufzulösen
und seine FührerInnen wegen der Organisation eines Referendums ins Gefängnis zu
stecken. Alle aufrichtigen spanischen DemokratInnen sollten die Ausweitung
einer echten Autonomie auf alle Nationalitäten Spaniens unterstützen und dafür
kämpfen, auch wenn sie nicht wollen, dass die ArbeiterInnenklasse des Landes in
konkurrierende Staaten aufgeteilt wird. Aber wenn die Mehrheit in einem
Referendum ohne Unterdrückung für die völlige Unabhängigkeit stimmte, dann wäre
es gleichermaßen die Pflicht von DemokratInnen und SozialistInnen in ganz
Spanien und Europa, ihnen bei der Verwirklichung ihrer demokratischen
Entscheidung zu helfen.

Wie im Falle
Schottlands glauben wir jedoch nicht, dass die Schaffung neuer und kleinerer
kapitalistischer Staaten eine der großen sozialen Fragen der ArbeiterInnen
beantworten wird. Tatsächlich wäre jede Versuchung, die große Zahl
spanischsprachiger Menschen und MigrantInnen kulturell oder sprachlich zu
„katalanisieren“, an sich reaktionär.

Als
sozialistische InternationalistInnen setzen wir Illusionen in den bürgerlichen
nationalistischen Separatismus entgegen – den Kampf, die neoliberale und
imperialistische EU in Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa zu
verwandeln, in denen alle Nationen und Nationalitäten ein hohes Maß an
Autonomie und das Recht hätten, eigene separate Einheiten zu bilden, wenn sie
es wollten.

In der
Zwischenzeit sollten die SozialistInnen in den Nachbarstaaten der Europäischen
Union von den Parlaments- und Europaparlaments-Abgeordneten aus Labour- und
sozialistischen Parteien verlangen, dass sie Entschließungen verabschieden, in
denen sie die Entscheidung des Madrider Gerichtshofs verurteilen und die bedingungslose
Freilassung der Gefangenen sowie die sofortige verfassungsmäßige Anerkennung
des Rechts der spanischen Nationen auf Durchführung von
Unabhängigkeitsreferenden fordern, wenn sie dies wünschen.

Eine starke
europäische Solidaritätsbewegung kann den ArbeiterInnen in Spanien helfen, das den
undemokratischen Charakter der Verfassung und den kastilischen Chauvinismus zu
überwinden, der die ArbeiterInnenklasse korrumpiert und schwächt. Das bedeutet,
dass man die Notwendigkeit aufgreifen muss, die spanische Verfassung als
Föderalrepublik neu zu schreiben, eine Aufgabe, die nur durch eine souveräne
verfassunggebende Versammlung erreicht werden kann, die von einer
ArbeiterInnenregierung einberufen und verteidigt wird, die auf Organen der
ArbeiterInnendemokratie basiert und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig
ist.

Auf diese Weise
können die notwendigerweise miteinander verbundenen sozialen und demokratischen
revolutionären Aufgaben erfüllt und die Einheit der ArbeiterInnenklasse
erreicht und erhalten werden.




PODEMOS – populistische Falle oder Alternative für die ArbeiterInnenklasse?

Christian Gebhardt, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015

Innerhalb Europas stellt PODEMOS neben SYRIZA wohl als eines der Projekte dar, die mit der größten Ausstrahlungskraft in die europäische Linke aufwarten können. Mit diesem Artikel wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Entwicklung von PODEMOS zu analysieren sowie Antworten auf die folgenden Fragen zu geben: Welchen Charakter besitzt PODEMOS? Was ist die Bedeutung des Projektes mit Hinblick auf die Frage, wie die ArbeiterInnenklasse ihre Führungskrise überwinden kann? Darüber hinaus wollen wir uns der Frage widmen, welche praktischen Erfahrungen PODEMOS in seiner jungen Geschichte gemacht hat und welche Schlussfolgerungen für die radikale Linke innerhalb und außerhalb von PODEMOS gezogen werden können.

PODEMOS, der Ausdruck einer sogenannten „neuen Politik“ in Spanien, ist ein noch recht junges politisches Projekt innerhalb der spanischen Politiklandschaft. Kurz vor den Europawahlen 2014 gegründet, entwickelte sich schnell eine große Dynamik um das Projekt. Diese gipfelte in der „Assamblea ciudadana“ – ein einmonatiger Konstituierungsprozess der Partei, um über politische sowie statutarische Fragen als auch über KandidatInnen für die kommenden nationalen wie auch lokalen Wahlen im Jahre 2015 zu entscheiden. Vor einem Publikum von 8.000 TeilnehmerInnen im Palácio de Vistalegre sprach der prominenteste PODEMOS-Führer Pablo Iglesias:

„Wir sind längst nicht mehr nur eine Bürgerbewegung, wir sind eine politische Kraft. Wir werden uns nicht damit zufriedengeben, wie weit wir schon gekommen sind – Zweiter bei den landesweiten Wahlen – denn wir sind gekommen, um zu gewinnen und sie haben Angst vor uns.“

Er stellte sein „Ethisches Dokument“ auf der „Assamblea Cuidadana“ vor, in welchem PODEMOS als „ein Werkzeug der BürgerInnen zur Beendigung der Korruption“ dargestellt wurde. Für ihn wurde PODEMOS deshalb gegründet, da „jemand die ‚Opfer‘ der Krise repräsentieren muss. Was wir sagten, ermöglichte diesen Opfern – die untergebenen Schichten, vor allem der verarmenden Mittelschicht – sich als solches zu identifizieren und sich durch die Formierung eines neuen ‚Uns‘ ein Bild von ‚Ihnen‘, ihren KontrahentInnen zu machen: den alten Eliten. “ (1)

Aufstieg von PODEMOS

Bei den Wahlen am 25. Mai zum europäischen Parlament erreichte PODEMOS 7,9% und somit 1,25 Millionen Stimmen sowie 5 Abgeordnete. Die zwei größten spanischen Parteien, die Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und die Partido Popular (PP), erhielten zusammengenommen weniger als 50% der Stimmen, welches einen starken Verlust im Vergleich zu 2009 darstellte. Damals erhielten beide Parteien noch zusammen 81%. Das verdeutlicht die Tragweite der Desillusionierung mit der „alten Politik“, welche das Land seit der Wiedereinführung der Demokratie nach der Franco-Ära 1978 dominierte.

Mit Blick auf unterschiedliche Umfragewerte befand sich PODEMOS einige Zeit auf einem Umfragehoch und bekam bis zu 27% der Stimmen, gefolgt von der PSOE mit 25%, während die derzeitige Regierungspartei PP auf gerade mal 20% absank. Dieses Wachstum von PODEMOS war ein – wenn auch der am wenigsten erwartete – Ausdruck einer Linksentwicklung innerhalb der politischen Landschaft Spaniens. Ein weiteres Anzeichen hierfür fand sich in der Zunahme an WählerInnenstimmen für die Izquierda Unida (IU). Deren Liste, in welcher u.a. die spanischen Grünen sowie die kommunistische Partei Spaniens vertreten sind, erhielt bei den Europawahlen 10,03%, 1.575.208 Stimmen und gewann 6 Sitze. 2009 bekam die IU noch 588.248 Stimmen, 3,7% und 2 Sitze.

Die objektive Basis für diese Entwicklung stellt die anhaltende wirtschaftliche Krise Spaniens sowie die politische Untätigkeit vieler Parteien und Organisationen dar, etwas gegen die Krisenauswirkungen zu unternehmen. Die Arbeitslosenquote befindet sich seit 2012 bei 25% und steht bei Jugendlichen unter 25 Jahren bei über 53%. Hierbei ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Dazu kommt, dass eine große Anzahl an SpanierInnen ihre Häuser in der Hypothekenkrise verloren haben und junge Menschen in Massen das Land verließen, um Arbeit zu suchen. Die Sparmaßnahmen, die unter dem Druck der Europäischen Union von PSOE- wie auch PP-Regierungen durchgepeitscht wurden, haben Millionen von SpanierInnen in Langzeitarbeitslosigkeit und Armut geworfen.

Hierbei darf auch nicht der Betrug der PSOE an ihren WählerInnen vergessen werden. Im August 2011 vereinbarte die Partei hinter dem Rücken ihrer Basis mit der PP von Mariano Rajoy – damals in der Opposition – eine Änderung der spanischen Verfassung, um auf Druck der europäischen Union Haushaltsdefizite zu verbieten. Hiermit wurde über Nacht jeder zukünftigen Regierung die Möglichkeit genommen, antizyklische Konjunkturprogramme zu verabschieden, um so zumindest kurzweilig Krisenauswirkungen abzufangen.

Die anhaltende wirtschaftliche Krise führte jedoch auch zu Wellen politischer Kämpfe gegen das vor allem von Jugendlichen als korrupt angesehene politische Establishment der beiden „Volksparteien“. Dies wiederum mündete in eine von Vielen so genannte „Krise der Demokratie“. Eine Erkenntnis durch die Massen, dass die vorhandene Form der Demokratie in Spanien wie auch in anderen Teilen Europas nur Parteien hervorbringt, welche in Zeiten enormer wirtschaftlicher und sozialer Krisen keinerlei reale Alternativen, keine Wahlmöglichkeiten anbieten können. Dies zeigte sich zum Beispiel durch den „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande in Frankreich, drückt seine Regierung, einmal gewählt, doch die gleichen Sparprogramme wie ihre konservativen Vorgängerinnen durch. Im Endeffekt zeigt das parlamentarische System in solchen Situationen den WählerInnen: „Wähle, wen du willst, es gibt keine Alternative“.

Die ersten Anzeichen einer klaren Ablehnung dieses Systems traten vor drei Jahren auf. Unter dem Slogan ¡Democracia Real YA! (Echte Demokratie, JETZT!) fanden massive Platzbesetzungen durch junge Menschen in ganz Spanien statt. Die bekanntesten waren die Besetzungen in Madrid auf dem Puerta del Sol und in Barcelona auf dem Plaça de Catalunya.

Diese Massenbewegung wurde unter dem Namen Indignados (die Empörten) oder 15-M Bewegung (die Proteste begannen am 15. Mai) bekannt (2). Spezifische Bewegungen gegen unterschiedliche Aspekte der großen Rezession traten aus dieser Bewegung hervor. Wie zum Beispiel die Plattform für die von Hypotheken Betroffenen (PAH), die Bewegungen für das Recht auf Wohnen oder die sogenannten Mareas, Proteste gegen soziale Kürzungen und Privatisierungen.

Obwohl es in den darauffolgenden Jahren zu vielen Demonstrationen und Aufmärschen (zum Beispiel der „Marsch für Würde“ Anfang diesen Jahres) kam sowie zu Besetzungsversuchen, scheiterte die soziale Bewegung daran, die etablierten Parteien von ihren Kürzungs- und Sparvorhaben abzubringen. Die Massenversammlungen, die jegliche Organisationsstrukturen unter dem Vorbehalt gegen Führungen ablehnten, vermochten es nicht, die politischen Kräfteverhältnisse entscheidend zu verändern. Auch die weit verbreitete Ablehnung politischer Organisierung im Allgemeinen einschließlich der etablierten reformistischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung führte schließlich zu einem Absterben der 15M-Bewegung.

Jedoch lernten Teile der Bewegung, dass Proteste alleine nichts ändern würden, genauso wenig wie die anhaltenden Versammlungen, in welchen AnarchistInnen sowie Libertäre eine Vorform einer neuen Gesellschaft vorhersahen. Diese Sackgasse war nicht einzigartig für Spanien. Die gesamte Occupy-Bewegung scheiterte daran, die Regierungen zum Nachgeben zu bewegen oder gar irgendeine anhaltende Form für die von vielen TeilnehmerInnen diskutierte „neue Form der Demokratie“ zu schaffen.

Diese Sackgasse entstand unter anderem daher, dass es der Großteil der TeilnehmerInnen oder ihre angeblich „nicht-existierenden“ FührerInnen nicht versuchten oder nicht wollten, die Masse an gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen einzubinden. Deren direkte Streikaktionen hätten die PolitikerInnen zu Zugeständnissen zwingen können. Die Demonstrationen der BergarbeiterInnen und anderer Sektoren boten hierfür Möglichkeiten. Auf der anderen Seite verhinderten die FührerInnen der größten gewerkschaftlichen Dachverbände, wie auch in anderen Ländern, einen politischen Generalstreik, welcher die Sparregierungen zu Fall hätte bringen können.

Somit war zumindest in Spanien im Frühjahr 2014 die Lage reif für einen Schwenk hin zu einer Politik, die in festere organisatorische Strukturen als zuvor eingebettet war. Diese Politik musste jedoch eine „neue“ Politik darstellen. Eine Politik ohne „Experten“ – ohne PolitikerInnen. Jedoch eine Politik mit einem „unerlässlichen Bestandteil […] einer Führungsperson mit einem hohen Bekanntheitsgrad in Spanien“ (3).

Ideologische Wurzeln der „neuen Politik“

Die Gruppe, welche das öffentliche Gesicht von PODEMOS wurde, besteht fast ausschließlich aus Mitgliedern der Fakultät für Politikwissenschaften und Soziologie an der Complutense Universität in Madrid. Pablo Iglesias, Juan Carlos Monedero und Íñigo Errejon hatten sich Prominenz durch ein lokales TV-Programm – „La Tuerka“ – verschafft, welches landesweite Verbreitung dank sozialer Medien und Internet fand. Vor allem der junge Akademiker Pablo Iglesias startete einen gut ankommenden Angriff gegen die PSOE und PP, indem er sie für ihre Korruption, ihre Forcierung sozialer Ungleichheiten, ihre Vertuschungen von Betrug im Bankenwesen, ihre Rettungsaktionen für die Banken sowie ihre Unterstützung für das Sparprogramm des IWF bzw. der EZB an den Pranger stellte, welches mit verheerenden sozialen Auswirkungen verknüpft ist. Er sollte auch die oben angesprochene „Führungsperson mit einem hohen Bekanntheitsgrad in Spanien“ darstellen.

Iglesias vertraute mit Absicht auf – seiner Meinung nach – allgemeingültige Argumente und die Alltagssprache und schwor den rechten wie auch linken Traditionen und Begrifflichkeiten ab. Hierzu schrieb er in einem kürzlich veröffentlichten Artikel in New Left Review:

„Die Zusammensetzung der politischen Landschaft in eine Links-Rechts-Trennung führte zu einer Situation, die einen Wechsel hin zu einer progressiven Richtung in Spanien nicht länger möglich machte. Auf diesem symbolträchtigen Terrain von Links und Rechts haben diejenigen von uns, welche eine post-neoliberale Transformation durch den Staat anstreben – Verteidigung der Menschenrechte, der Souveränität und die Verbindung zwischen Demokratie und Umverteilungspolitik – nicht den Hauch einer Chance auf Wahlgewinne.“ (4)

Neben der Tatsache, dass in dieser Aussage viele schwammige Ziele formuliert werden (Menschenrechte, Demokratie, Umverteilungspolitik), wird hier deutlich, dass Pablo Iglesias eine klare Strategie verfolgt, über Mehrheiten im Parlament Reformen zu „erkämpfen“. Hierzu muss seiner Auffassung nach jedoch die „Links-Rechts-Achse“ aufgebrochen werden, um die Mehrheit der Bevölkerung erreichen zu können und diese nicht zu verschrecken. Dies sei notwendig, um einen durch die Krise aufgebrochenen Diskurs in der Gesellschaft zu führen und um keine Menschen zu verprellen, die durch radikalere Rhetorik nicht erreichbar wären. Diese abgeschwächte Rhetorik und diesen Populismus rechtfertigt Iglesias im selbigen Artikel später wie folgt:

„Wenn wir darauf bestehen, z.B. über Räumungen, Korruption und Ungleichheit zu sprechen, und uns dagegen wehren, in allgemeine Diskussionen über die Form des Staates (Monarchie oder Republik) […] gedrängt zu werden, heißt das nicht, dass wir keine Meinung zu diesen Themen haben oder unsere Positionen abschwächen. Wir nehmen vielmehr an, dass ohne die Maschinerie der institutionellen Macht es wenig Sinn macht, sich zu diesem Zeitpunkt auf Bereiche der Auseinandersetzung zu fokussieren, welche uns von der Mehrheit, ‚die nicht links ist, distanzieren würden. Und ohne die Mehrheit zu sein, ist es nicht möglich, den Zugang zur administrativen Maschinerie zu erlangen, welche uns die Möglichkeit geben würde, diese diskursiven Auseinandersetzungen unter anderen Voraussetzungen zu führen, während in der Zwischenzeit mit öffentlicher Politik interveniert wird.“ (5)

Dass der Aufbau von PODEMOS und das Erreichen der Ziele nur mit einer unerlässlichen Führungsfigur mit nationaler Popularität gelingen könnte, verdeutlicht neben dem Reformprogramm auch noch den populistischen Ansatz von Iglesias. Schnell erhielt er eine große Anzahl an GesinnungsgenossInnen. Einige der ComplutenseakadermikerInnen haben einen linken Hintergrund. Iglesias selbst trat mit 14 den JungkommunistInnen bei, Monedero war Berater für Izquierda Unida. Viele von ihnen haben einige Zeit in Lateinamerika verbracht, wo sie nicht nur die bolivarische Bewegung rund um Persönlichkeiten wie Hugo Chávez wissenschaftlich untersuchten, sondern auch aktiv an ihr teilnahmen. Hierbei lernten sie die praktische Kraft einer klassenübergreifenden Mobilisierung „der Bevölkerung“ gegen „die Oligarchie“ kennen.

Ein einfacher, an der Oberfläche der Gesellschaft verbleibender Antagonismus, welchen die spanischen AkademikerInnen nun in ihrem Slogan „EinwohnerInnen gegen die Kaste“ reproduzieren. Sie „lernten“ zusätzlich aber auch, dass ein traditioneller Bestandteil der spanischen Libertären, welcher stark in der 15M-Bewegung vertreten war, wegen ihrer Feindseligkeit gegenüber FührerInnen über Bord geworfen werden müsse. Íñigo Errejon drückte sich dazu wie folgt aus:

„Wir forderten ebenfalls das FührerInnentabu heraus. Gemäß einigen liberalen Ideen, welche ebenfalls in der Linken verankert sind, ist einE charismatischeR FührerIn unvereinbar mit wirklicher Demokratie. Für PODEMOS war der Nutzen einer medialen Führung durch Pablo Iglesias eine Bedingung sine qua non der Kristallisation politischer Hoffnung, welche die Zusammenführung vereinzelter Kräfte in einem Kontext der Ablehnung der bürgerlichen Kräfte erlaubte.“

Klar wird hierbei, was diese linken AkademikerInnen in Lateinamerika gelernt hatten – die notwendige Ergänzung zum Populismus, der Caudillismo, welcher den Fokus auf eineN charismatischE FührerIn legt und dieseN direkt mit den Massen interagieren und für sie sprechen lässt. Populismus setzt auf Massenmobilisierungen in überwältigenden Ausmaßen, jedoch nicht unter allen Umständen durch Parteistrukturen und eine Pyramide an RepräsentantInnen, sondern direkt durch eineN, oder möglicherweise mehrere, anerkannteN FührerInnen. Die FührerInnen werden durch ihre „Popularität“ legitimiert, ausgedrückt in Massenversammlungen, Kundgebungen und medialer Präsenz.

Hugo Chávez verband dies mit seiner Macht durch wiederholte Wahlen und Referenden, seine riesigen Massenversammlungen und den bolivarischen Zirkel. PODEMOS nutzte die sozialen Medien sowie das Internet geschickt, um dies zu erreichen. Somit können die Schlüsselfiguren in PODEMOS eine Art dauerhafte Volksbefragung durchführen.

Der klassische Chávismus und PODEMOS zeichnen sich durch die Zerstreutheit der AnhängerInnen als Individuen bzw. in kleinen Gruppen aus. Demgegenüber besitzen die FührerInnen Privilegien, wie z.B. öffentlich die Politik zu vertreten, zu entwickeln, zu initiieren sowie auswählen zu können, welche von der Basis ausgehenden Ideen hervorgehoben werden sollen und welche nicht. Andere politische Gruppierungen oder Tendenzen innerhalb der Bewegung sind dadurch sehr angreifbar gegen Spaltungsvorwürfe oder gegen Vorwürfe, sie würden die Mitglieder nicht repräsentieren, sondern nur ihre eigenen kleinen Gruppen. Dies stellt die Demagogie dar, welche unzertrennlich mit dem Populismus einhergeht, das Spielen mit der Ignoranz sowie das Hofieren der Vorurteile der atomisierten Masse.

In Europa stellte der offene Populismus generell eine Domäne der Rechten dar. Teilweise war und ist dies der ArbeiterInnenklasse geschuldet. Die ArbeiterInnenbe-wegung schuf Massenparteien und zwang die Bourgeoisie dazu, das allgemeine Wahlrecht anzuerkennen. Die Klasse stützte Bewegungen – ob Gewerkschafts- oder Parteibewegungen – auf Zellen und Ortsgruppen, welche über Delegiertenkonferen-zen ihre Politik bestimmten und sich selbst Führungen wählten.

Natürlich sind solche Strukturen in Form sozialdemokratischer oder stalinistischer Massenparteien verbürokratisiert. Selbst formal demokratische Strukturen konnten die tradionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegungen nicht davor bewahren, nachdem sie sich auf eine passive Mitgliedschaft und einen bürokratischen Apparat sowie enge Beziehungen zum bürgerlichen Staat stützten. Hinzu kommt, dass sie eine soziale Basis unter den „besser gestellten“, arbeiteraristokratischen Schichten der Klasse haben – was auch erklärt, warum sie vornehmlich ein politisches Phänomen der imperialistischen Länder oder wirtschaftlich stärkerer Halb-Kolonien sind.

Diese Parteien sehen die Existenz des Kapitalismus und kapitalistischen Wohlstand – oder zumindest Stabilität – als eine Grundvoraussetzung für jegliche Reformen an. Konsequenterweise akzeptierten sie damit die Notwendigkeit, in Perioden der Krise oder der verschärften Konkurrenz Sparmaßnahmen durchzuführen, auch wenn diese den Interessen ihrer eigenen UnterstützerInnen zuwiderliefen. Als sich diese UnterstützerInnen gegen diese Parteien wandten, begannen viele nicht nur diese Politik, sondern auch die historische Tradition der ArbeiterInnenbewegung, die sie in verkrusteter Form auch verkörpern, abzulehnen. So erschien die plebiszitäre Form der Demokratie, wie in PODEMOS verkörpert, „partizipativer“ zu sein als die verkrustete Form innerparteilicher Regularien, wie sie in den Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung üblich war. In Wirklichkeit stellt diese Entwicklung einen Schritt zu noch größerer Unabhängigkeit der FührerInnen oder des/der FührerIn von der Basis dar und nicht zu mehr Kontrolle. Diese Entwicklung ist keineswegs auf PODEMOS beschränkt, sondern lässt sich seit Jahren auch bei den „traditionellen“ sozialdemokratischen Parteien beobachten, wenn z.B. mehr und mehr Formen des Wahlkampfes und der KandidatInnenwahl von offen bürgerlichen Parteien übernommen werden (oft am Modell der US-Demokraten orientiert).

Auch wenn viele der PODEMOS-Führungspersonen aus einem IU-Hintergrund kommen, konnten Iglesias und das Team hinter PODEMOS daraus Nutzen ziehen, einen sozialistischen Sprachgebrauch komplett zu vermeiden. Im Gegensatz zu einem Klassenbezug sowie der Anerkennung der ArbeiterInnen als das prinzipielle Subjekt für einen Wandel sprechen sie von „der Bevölkerung“ und „den EinwohnerInnen“. Sie sind alle gleich vage in der Frage, wer genau die GegnerInnen sind, gegen wen die Personen vorgehen müssen.

Indem sie den 15M-Slogan „Sie repräsentieren uns nicht!“ aufnahmen, welcher gegen „die Kaste“ professioneller PolitikerInnen gerichtet war, versuchten sie, Methoden zu entwickeln, die diejenigen der offiziellen Politik – Links wie Rechts – überschreiten. Sie glauben, dass dies ein schnellerer und einfacherer Weg zur Erlangung der parlamentarischen Mehrheit darstellt. Deshalb drückte sich Iglesias im Palácio de Vistalegre wie folgt aus: „Wir werden ihnen sagen, dass wir das Zentrum besetzen wollen; wo eine politische Mehrheit existiert, die an Anstandsgefühl glaubt“.

In Realität ist dies nicht etwa eine ausgeklügelte „konter-hegemoniale“ Strategie. In der Tat ist es nicht einmal neu. Bewusst oder unbewusst stellt es eine Kapitulation gegenüber dem Zentrum, der „Mittelklasse“ und den Mittelschichten dar. Der Glaube daran, dass „ehrliche Menschen“, welche gewöhnlich rechts wählen, durch das Vermeiden alter Terminologie von Rechts und Links, von ArbeiterInnen- und Kapitalistenklasse gewonnen werden können, ist entweder ein Fallstrick oder eine Täuschung. Es wird zu einem Fallstrick, wenn PODEMOS dahingehend sein Programm limitiert, was akzeptabel für diese WählerInnen ist. Es stellt eine Täuschung dar, wenn Iglesias & Co. denken, dass auf solch einer Basis für PODEMOS gewonnene Personen einer eventuellen PODEMOS-Regierung treu bleiben, wenn die Gangarten härter werden und die KapitalistInnen beginnen, all ihre wirtschaftliche Kraft gegen PODEMOS zu richten. In diesen Fallstrick scheint PODEMOS nach seinem Hoch in der Gunst der WählerInnenstimmen nun auch zu fallen. Durch das Aufkommen einer rechts-populistischen Konkurrenz mit dem Namen „Ciudadanos“ vor einigen Monaten fällt es PODEMOS schwer, seine Umfragewerte zu halten. Dies wurde z.B. bei den letzten Regionalwahlen in Andalusien deutlich, bei denen PODEMOS die oben genannten Umfragewerte nicht erreichen konnte.

Darüber hinaus deuten weitere Entwicklungen in Richtung Fallstrick. Während Iglesias bis zur offiziellen Gründung von PODEMOS immer von der Streichung der Schulden gesprochen hatte, nahm die „Assamblea Ciudadana“ einen Antrag an, welcher nur eine „ordentliche Restrukturierung“ der Staatsschulden vorsieht. Bibiana Medialdea, Wirtschaftsprofessorin und die Person, welche damit beauftragt war, die Vorschläge zum Thema „Finanzen“ vorzustellen, erklärte die Position wie folgt: „Die objektive Lage ist nicht, die Schulden nicht zu bezahlen, sondern mit einem nachhaltigen Ansatz zu einem Niveau der Staatsverschuldung zu gelangen, welches die Wiedererlangung des Bevölkerungswohlstandes erlauben würde.“

Die Grundeinheiten von PODEMOS

Angelehnt an die Rolle, welche Chávez‘ bolivarische Zirkel gespielt haben, baute die neue Bewegung ein Netzwerk von PODEMOS-Zirkeln in Städten und Institutionen sowie in unterschiedlichen Bereichen und sozialen Problemfeldern auf. So wurden Zirkel von Arbeitslosen, Behinderten, LGBT, FeministInnen, RenterInnen oder für Gesundheit, Journalismus, öffentlichen Verkehr, Ökologie, usw. gebildet.

„Sie sind Orte, um Ängste, Zersplitterung und Resignation zu beenden, Einigkeit der Bevölkerung zu schaffen gegen die Verelendung und die Beschlagnahmung der Demokratie. Durch die Zirkel verteidigen wir Angelegenheiten des normalen Menschenverstandes: Wir sind EinwohnerInnen und wir haben das Recht auf Rechte: darauf, ohne Ängste zu leben, auf Gesundheitsversorgung, Bildung, Rente sowie soziale Absicherung, auf Land und Boden, auf Beschäftigung, Kultur, darauf uns als Individuen und Personen entwickeln zu können, darauf, dass niemand uns belügt oder uns falsch behandelt, darauf, dass niemand uns mit Schulden überschüttet, dass uns niemand beraubt.“

Cristina Flesher Fominaya, Autorin des Buches „Soziale Bewegungen und Globalisierung“ (Mai 2014) beschreibt die Methoden von PODEMOS daher folgendermaßen: „Diese Kommunikation hat es ermöglicht, die grundsätzliche Achse der klassischen Repräsentation zu überwinden: die Parteiformen, die Kultur von Militanz, die Links/Rechts-Achse, das undurchschaubare Konzept des Verhältnisses zwischen RepräsentantInnen und den Repräsentierten sowie die Idee einer politischen Identität eines mehr oder weniger existierenden Subjekts. PODEMOS hat es geschafft, sich über diese Achsen hinwegzusetzen und dabei die Basis gelegt für eine dreiteilige Beziehung zwischen bürgerlicher Mitbestimmung, sozialen Kämpfen sowie dem Ausdruck von Forderungen in Institutionen, welche über die repräsentative Demokratie hinausgehen und eine grundsätzliche Transformation von Politik, Wirtschaft und sozialem Leben ermöglichen.“ (6)

Aus dem Blickwinkel von Iglesias und seiner Formation „Claro Que Podemos“ innerhalb der Führung von PODEMOS hat sich diese Form der Organisierung längst ausgezahlt. Bei den Online-Abstimmungen zu der Frage, welche Organisationsstrukturen sich PODEMOS geben sollte, gewann der Vorschlag von „Claro Que podemos“ eine überwältigende Mehrheit von 80,7% der Stimmen. Der Antrag sah eineN einzelneN GeneralsekretärIn als ParteiführerIn vor. Die einflussreichste Gegenposition – von der Gruppierung „Sumando podemos“ initiiert – schlug ein dreiköpfiges Sekretariat vor. Einer der führenden Köpfe von „Sumando podemos“, Jesús Rodríguez, definierte ihr Vorhaben damit: „Wir haben die Unterstützung vieler Menschen, welche die Pluralität des Projektes aufrechterhalten wollen. Und darunter befinden sich viele Personen, welche eine Führung mit Unterschieden und Pluralität wollen.“

Iglesias machte mit dieser Vorstellung kurzen Prozess, indem er erklärte, dass „der Himmel nicht durch Konsens, sondern nur durch Angriff erobert werden kann“. Sein zweiter organisatorischer Antrag, welcher ebenfalls erfolgreich war, bestand darin, Mitgliedern, welche gleichzeitig Mitglieder anderer Organisationen sind, die Möglichkeit zu untersagen, sich für die Wahl zum „BürgerInnenrat“ aufstellen zu lassen. Der „BürgerInnenrat“ wird für zwei Jahre als Leitungskörper gewählt, welcher die Partei zwischen den Vollversammlungen anleitet. Dieser Antrag war sehr deutlich gegen die Mitglieder von Izquierda Anticapitalista (IA, Antikapitalistische Linke) gerichtet, die spanische Sektion der Vierten Internationale.

Mitglieder der IA sind jedoch nicht nur zentral für „Sumando podemos“, sie haben auch gut die Hälfte der nötigen Unterschriften bereitgestellt, um den Gründungsantrag für PODEMOS einreichen zu können. Darüber hinaus schrieb IA auch das Wahlprogramm zu den EU-Wahlen, bei welchen PODEMOS gut abschnitt. Auch ein Mitglied der IA, Teresa Rodríguez, wurde als Abgeordnete des EU-Parlamentes gewählt. Doch nun zahlt IA den Preis dafür, dass sie Iglesias seit der Gründung der Partei immer nur entgegengekommen ist, anstatt für alternative Organisationskonzepte und deren Vorteile gegenüber den Vorstellungen der Iglesiastruppe zu kämpfen. Diese Entwicklung ging auch nicht spurlos an der IA vorüber. Zu den Auswirkungen auf die spanische Sektion der Vierten Internationale werden wir uns weiter unten auslassen.

Ist PODEMOS der richtige Weg?

PODEMOS wirft wichtige Fragen für Gruppierungen innerhalb der radikalen Linken auf. Ist diese „neue Politik“, vorgeschlagen von der Führung der jungen Partei, ein Modell, welches in anderen Ländern übernommen werden sollte? Stellt es eine wirkliche politische Alternative für die spanische ArbeiterInnenklasse und Jugend in ihren Kämpfen gegen die kapitalistische Krise und deren Auswirkungen dar? Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, welches Verhältnis RevolutionärInnen zu PODEMOS einnehmen sollten.

Diese Fragen sind deshalb so wichtig, da PODEMOS sich aus einem Projekt entwickelte, welches von einer Gruppe aus AkademikerInnen angestoßen wurde. Ist es daher „nur“ ein Projekt von Intellektuellen „für die Massen“ oder birgt es Potenzial, sich in eine Partei der Massen, also eine Partei der ArbeiterInnenklasse, zu entwickeln? Sind Verbindungen zur ArbeiterInnenklasse überhaupt vorhanden?

Studien zur Demografie von PODEMOS sind bisher rar gesät. In seinem auf der Internetseite Open Democracy veröffentlichten Artikel „Wer ist eigentlich PODEMOS?“ versuchte Fernando Betancour, ein amerikanischer sowie wirtschaftlich und politisch liberal eingestellter Politiker, einige Schlussfolgerungen zu ziehen, indem er die Zusammensetzung der WählerInnen sowie der PODEMOS nahestehenden Personen untersuchte. Er kam zu folgender Schlussfolgerung:

„In Übereinstimmung mit einigen demografischen Informationen, welche durch WählerInnenumfragen erstellt wurden, können wir annehmen, dass die WählerInnen von PODEMOS mittleren Alters oder vorstädtische Jugendliche mit einem überdurchschnittlich wohlhabenden Hintergrund sind. Sie sind nicht, zumindest im Durchschnitt, gefährdet durch Arbeitslosigkeit oder Besitzlosigkeit bzw. dadurch, wirtschaftlich marginalisiert zu werden. Sie scheinen nicht eine Gruppe von ArbeiterInnen, vor allem nicht von LumpenproletarierInnen, wie Herr Iglesias in einem Interview verunglimpfend auf sie verwies, darzustellen. Es handelt sich dabei eher um Personen aus der Mittelklasse. Und wenn sie nicht arbeits- oder wohnungslos sind, dann sind sie aufgebracht von anderen Themen: Korruption, politischer Elitismus, Teilnahmslosigkeit der Regierung sowie wahrgenommene Ungerechtigkeit.“

Dies sollte eineN nicht verwundern, vermeiden die bekanntesten SprecherInnen von PODEMOS, so gut es geht, die Sprache und Symbolik der ArbeiterInnenbe-wegung. Für sie stellt eine solche Bezugnahme die Sprache „der Kaste“ dar, ein Zugeständnis an das „Links-Rechts-Schema“, welches ihrer Meinung nach ohne große Umwege in den Mülleimer geworfen werden sollte.

Ebenfalls stellt es keine Überraschung dar, dass das Programm von PODEMOS nicht wirklich radikaler ist als das Programm der Sozialdemokratie, bevor sie vor dem Neoliberalismus kapitulierte. Das Programm zur EU-Wahl war ein klar linksreformistisches Programm, ein Minimalprogramm, welches nicht über Forderungen hinausgeht wie nach einem Schuldenerlass, einem Mindesteinkommen, der Wiederverstaatlichung von privatisierten, aber strategisch wichtigen Teilen der Wirtschaft oder nach der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Das Programm versprach die Abschaffung von Steuerinseln, die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens sowie die Herabsenkung des Rentenalters auf 60 Jahre. Alles gute und nachvollziehbare Forderungen, jedoch bei weitem kein antikapitalistisches Programm.

Der Kampf für solche Forderungen muss auf jeden Fall auf die Tagesordnung gesetzt werden; jedoch ist die wichtigere Frage, wie diese Kämpfe mit der Eroberung der Macht durch die ArbeiterInnenklasse verbunden werden können.

Um die reformistischen Illusionen zu überwinden und der spanischen ArbeiterInnenklasse ein revolutionäres Programm zu geben, sollten die unterschiedlichen anti-kapitalistischen Strömungen in Spanien, innerhalb und außerhalb von PODEMOS, die Dynamik und Bewegung rund um PODEMOS nutzen, um dafür zu kämpfen, die neue Partei von ihren populistischen und nicht-sozialistischen Einschränkungen zu befreien. Sie sollten offen für eine revolutionäre Linie kämpfen und hierfür für ein revolutionäres Programm mit Fokussierung auf die spanische sowie internationale ArbeiterInnenklasse eintreten. Vor allem mit Hinblick auf die Auseinandersetzung rund um die Wahlen im spanischen Superwahljahr 2015 sollten RevolutionärInnen die entstehende Dynamik und Diskussionen nutzen und die Bildung einer revolutionären Plattform innerhalb von PODEMOS vorantreiben, aber auch den Schulterschluss mit Teilen außerhalb von PODEMOS suchen. Diese Plattform sollte ein Aktionsprogramm sowie ein alternatives Organisationsmodell für die Partei erarbeiten und damit in PODEMOS intervenieren.

Die größte und einflussreichste Organisation der radikalen Linken innerhalb von PODEMOS, die Izquierda Anticapitalista (IA), betreibt freilich eine Politik, die in die entgegengesetzte Richtung führt. Verdeutlicht wird diese passive und defensive Haltung am besten anhand des Umgangs der IA mit den oben genannten Mehrheitsbeschlüssen der „Assamblea Ciudadana“ sowie durch die kampflose Auflösung der IA in PODEMOS.

Nachdem die „Assamblea Ciudadana“den Antrag von Iglesias angenommen hatte, Mitgliedern anderer politischer Organisationen die Möglichkeit zu nehmen, sich zur Wahl der PODEMOS-Führung aufstellen zu lassen, erklärte die IA kurz danach ihre Auflösung in PODEMOS und benannte sich anschließend in „Anticapitalista“ um. Dieser Art des Umgangs mit der Niederlage bei der Abstimmung auf der „Assamblea Ciudadana“, offenbart ein klares Fehlen des Aufbaus einer aktiven und offensiven Opposition gegen die Iglesias-Führung und deren politischen und organisatorischen Konzepte. Vor allem liegt diesem Vorgehen die illusorische Vorstellung zugrunde, dass der grundsätzliche Konflikt mit der Iglesias-Führung vermieden werden könne. Die Iglesias-Führung vertritt nicht nur undemokratische Organisationsziele, sondern vor allem einen kleinbürgerlichen Klassenstandpunkt, der sich im Zuge einer Weiterentwicklung zu einer Form offenen bürgerlichen Populismus‘ entwickeln kann, ja wird. Es ist daher von Seiten dieser Führungsgruppe und ihrer AnhängerInnen nur konsequent, gegen alle Strömungen vorzugehen, die PODEMOS in eine proletarische oder gar eine revolutionäre Richtung drängen oder auch nur drängen könnten.

Anticapitalista will diesen grundsätzlichen Gegensatz jedoch nicht wahrhaben und weicht ihm aus. Rund um diese Auseinandersetzungen auf der „Assamblea Ciudadana“ hätte sie die Zusammenführung revolutionärer Kräfte innerhalb von PODEMOS zu einer revolutionären Plattform vorantreiben können und müssen. Diese revolutionäre Plattform könnte nun aktuell innerhalb von PODEMOS dazu genutzt werden, eine prinzipienfeste Opposition aufzubauen, welche sich für den Aufbau einer demokratisch-zentralistischen Organisation mit voller Tendenz- und Fraktionsfreiheit einsetzt.

Diese Plattform könnte auch in die derzeitigen Auseinandersetzungen in PODEMOS rund um die aktuellen Regional- und Nationalwahlen eingreifen, um die programmatischen Schwächen der Iglesias-Führung aufzuzeigen. Durch das Unterlassen einer solchen Initiative stellte der Umgang von Anticapitalista mit diesen Mehrheitsentscheiden eher einen kampflosen Rückzug gegenüber der Führung dar statt eines offensiven Angriffs gegen die fehlerbehafteten Strategien und Taktiken der derzeitigen Führung. Neben der symptomatischen Auflösung der IA wird ihr Kniefall gegenüber Iglesias auch in einer weiteren Auseinandersetzung deutlich, welche sich rund um die Regionalwahlen in Andalusien abspielte und seitdem landesweite Wellen schlug. Mehr dazu weiter unten im Text.

Ein unausweichlicher Schritt, für welchen Anticapitalista sowie eine eventuelle revolutionäre Plattform oder Fraktion in Opposition zu der Iglesias-Führung eintreten müsste, wäre das Aufbrechen der plebiszitären Struktur der Partei. Konferenzen mit Tausenden TeilnehmerInnen und Hunderttausenden, welche online abstimmen dürfen, erscheinen auf den ersten Blick sehr demokratisch. Im Endeffekt festigt dies jedoch die privilegierte Position der „anerkannten FührerInnen“ – vor allem diejenigen mit einem großen Medienprofil. Wenn zugleich vorhandene organisierte Tendenzen ausgeschlossen und verunglimpft werden, macht dies die Sache nur noch schlimmer. Große Massenkonferenzen politisch unerfahrener, vereinzelter, oft passiver Menschen sind viel einfacher zu manipulieren; das zeigen nicht nur populistische Bewegungen, sondern auch alle Formen bonapartistischer Herrschaft. Die Tatsache, dass allen BürgerInnen, welche nicht aktiv an der Partei teilhaben, die gleichen Rechte gewährt werden wie denjenigen, welche sich aktiv beteiligen, stellt keine höhere Form der Demokratie dar, sondern ist vielmehr eine Waffe gegen sie.

Wahlen und Regierungsfrage

Zweifellos zeigten die in ganz Europa gemachten Erfahrungen neuer Parteien, deren Wachstum die Eroberung der Regierungsmacht ermöglichten, dass blinde Euphorie, hervorgerufen durch einen einzigen Wahlerfolg oder hohe Umfragewerte, deplatziert ist. Die Erfolge von PODEMOS bei den Europawahlen sind hier kein echter Gradmesser für die zukünftige Politik der Partei, weil bei den Europawahlen kein Parlament gewählt wird, das auch eine Regierung bildet. Daher stellt die Stimmabgabe oft primär den Ausdruck der Loyalität gegenüber einer bestimmten Partei oder deren „Abstrafung“ bei einer vergleichsweise „unwichtigen“ Wahl dar. Sie kann allerdings auch als ein Ausdruck gegen die Ausrichtung des „europäischen Projektes als Ganzes“ verstanden werden. Nationale Wahlen im Gegensatz dazu drehen sich um die Frage, wer tatsächlich ein Land regieren soll.

Die Erfahrungen der Rifondazione Comunista in Italien im letzten Jahrzehnt sowie die jüngsten Erfahrungen rund um SYRIZA in Griechenland zeigen, dass jede Partei, welche keinen klaren proletarischen Klassenstandpunkt einnimmt, schlussendlich gegenüber den vorhanden konstitutionellen Grenzen der existierenden bürgerlichen Gesellschaft kapitulieren wird. Dies zeigte sich auch schon in PODEMOS nach dem Abhalten der „Assamblea Ciudadana“, wie in der Abschwächung der Forderung nach einem Schuldenerlass zu sehen ist, sowie in den oben zitierten jüngeren Äußerungen Iglesias, in welchen die Erlangung der institutionellen Macht obenan gestellt und programmatische Klarheit unter den Tisch gekehrt werden.

Für PODEMOS werden die Wahlen sofort die Frage nach einer Koalition aufwerfen. Iglesias sagte, dass PODEMOS in keine Koalition mit Parteien „der Kaste“ eintreten werde. Da dies nicht nur die PSOE, sondern auch die Izquierda Unida beinhaltet, stellen sich nur zwei Szenarien im Falle eines Wahlerfolgs von PODEMOS: Entweder die Formierung einer Minderheitenregierung, um den Versuch zu starten, das Parteiprogramm zu verwirklichen – oder es anderen Parteien zu erlauben, eine Regierung zu bilden. Dies würde entweder eine Koalition zwischen Parteien aus dem rechten Lager oder eine Große Koalition zwischen den traditionellen Parteien, den prinzipiellen Repräsentanten „der Kaste“, bedeuten.

Einer Minderheitsregierung würde offensichtlich nicht nur im Parlament entgegengearbeitet werden, sondern auch von Seiten der Banken, den internationalen Behörden wie dem IWF oder der Weltbank, allen großen Unternehmen sowie natürlich von Seiten der bürgerlichen Medien. Es käme zu einem sofortigen Abfluss von Kapital und einem Aufruhr an den Aktienmärkten. Wäre eine solche Minderheitsregierung nicht in der Lage, schon existierende außerparlamentarische Kräfte zu mobilisieren, um solchen Attacken nicht nur mit Hilfe von Demonstrationen, sondern auch durch Enteignung der Produktionsmittel und Einführung von ArbeiterInnenkontrolle entgegenzuwirken, würde sie nicht lange überleben.

Auf den ersten Blick erschien die Strategie von PODEMOS, jegliche Koalitionen abzulehnen, als sehr radikal, eine entschlossene Ablehnung von allem, für das die etablierten Parteien „der Kaste“ stehen. Iglesias machte deutlich, dass sein Ziel ein sofortiger Wahlsieg, eine Mehrheitsregierung ist. Die vorherige Ablehnung jeglicher Koalitionen, sogar mit der IU und kritischen Elementen innerhalb der PSOE, ist dahingehend gerichtet, die WählerInnen dieser Parteien zu einer Wahl von PODEMOS zu überzeugen. Hierzu äußerte sich Iglesias in einem Interview wie folgt recht deutlich:

„Da ist die Frage der Zahlen (Wahlergebnisse, Anmerkung des Autors) natürlich, aber hinter diesen Zahlen steht die Frage, welche Kapazität jemand besitzt, um Druck auf andere auszuüben. Wenn wir gefragt werden: ‚Werdet ihr Übereinkünfte mit der Sozialistischen Partei machen?‘, antworten wir immer, ‚Die SozialistInnen werden eine 180°-Drehung hinlegen müssen‘.“ (7)

Da jedoch das Programm von PODEMOS qualitativ nicht über demjenigen der IU steht, stellt diese Unnachgiebigkeit keine Prinzipienfestigkeit, sondern Sektierertum dar. Es wird sogar zu einer eindeutigen Farce, beachtet man, dass PODEMOS innerhalb des Europäischen Parlaments keinerlei Probleme besitzt, mit Parteien anderer nationaler „Kasten“ eine Fraktion zu bilden wie z.B. mit der deutschen Linkspartei.

Vor allem stellt sich die Frage, was – wenn von der Rhetorik abgesehen wird – von dieser Strategie übrig bleibt? Was bleibt übrig außer einem sehr naiven Vertrauen in die parlamentarische Demokratie? Die unterschwellige Annahme der PODEMOS-Führung ist, dass die entscheidende Voraussetzung für die Bekämpfung „der Kaste“ und das System, welches sie verteidigt, der Gewinn einer Mehrheit an parlamentarischen Sitzen ist. Aber eine Mehrheitsregierung, gebildet durch PODEMOS, würde den gleichen GegnerInnen und Vorbehalten gegenüberstehen wie eine Minderheitsregierung, auch wenn sich eine solche Regierung entgegen allen nationalen und internationalen Gegenwinden halten könnte. Was könnte der Gewinn von Parlamentsstimmen vollbringen, wenn sich die Finanzmärkte unnachgiebig weigern würden, der spanischen Regierung oder den spanischen Banken und Unternehmen Geld zu leihen?

In der Realität zeigt die „Flexibilität“, welche die Iglesias-Truppe in der Frage der Ablehnung der Schuldenzahlung zeigte, deutlich auf, dass eine PODEMOS-Regierung schnell von ihrem „hohen Ross“ steigen und ihre Politik darauf limitieren würde, was „möglich“ und „akzeptabel“ ist, ohne sich von den Massen, „die nicht links sind“, zu entfernen und den gesellschaftlichen Diskurs zu gefährden. Das Schlimme daran ist jedoch: egal wie viele Zirkel organisiert werden, wenn diese alleine eine „von oben nach unten“ – Beziehung mit der PODEMOS-Führung besitzen und somit keine Möglichkeit der eigenen Koordinierung oder gar Entscheidungsfindung über politische Fragen haben, werden sie niemals in der Lage sein, ihre Führung daran zu hindern solche 180-Gradwendungen zu vollziehen.

Nichtsdestotrotz, auch wenn sich die Iglesias-Führung durch die „Assamblea Ciudadana“ und die Onlineabstimmungen klar konsolidieren konnte, ist PODEMOS immer noch ein sehr junges Projekt und sein finaler Charakter noch nicht entschieden. Die Parlamentswahlen, auf welche Iglesias so viel Hoffnung setzt, werden weitere Episoden erzeugen, die die Lorbeeren von Iglesias beflecken werden. Hier sind die Auseinandersetzungen in Andalusien sowie die kürzlich aufgekommene Führungskrise rund um den Rücktritt von Monedero als jüngste Beispiele zu nennen. Dies bedeutet, dass ein Abseitsstehen von dieser Parteiformierung eine sektiererische Selbstisolation von mehreren Tausend militanten AktivistInnen in sozialen Bewegungen und Teilen der Avantgarde der ArbeiterInnenklasse darstellt.

Die aktuellen Erfahrungen mit PODEMOS in der Praxis

Spanien steht, wie oben schon erwähnt, vor einem Superwahljahr. Im Mai standen Kommunalwahlen an. Gleichzeitig werden im Laufe des gesamten Jahres 2015 in fast allen Regionen die Regionalregierungen neu gewählt. Andalusien – welches am 22. März sein Regionalparlament gewählt hat – stand am Anfang einer langen Reihe kommender Wahlen und politischer Auseinandersetzungen in Spanien. Das Superwahljahr wird schlussendlich im November mit den Wahlen zur nationalen Regierung ein Ende finden. Die Wahl in Andalusien – der bevölkerungsreichsten Region Spaniens – kann somit im von der EU-Krise stark betroffenen Land als Stimmungstest für die politische Stimmung Spaniens gewertet werden.

Hierbei stand PODEMOS, vor allem nach dem Wahlsieg von SYRIZA in Griechenland, im Rampenlicht. Mit Spannung wurde das Abschneiden dieser Partei bei der Regionalwahl in Andalusien erwartet, stand PODEMOS doch in einigen der letzten landesweiten Umfragen mit 27% in der Gunst der WählerInnen an erster Stelle. Dieses historisch hohe Ergebnis in der noch jungen Geschichte von PODEMOS konnte jedoch in Andalusien nicht erreicht werden. Die Wahl gewann wie erwartet die Partido Socialista Obrero Español (PSOE) mit 47 der insgesamt 109 Sitze (35,4%). Jedoch musste die bisherige Regierungspartei Andalusiens klare Verluste verzeichnen und erzielte das schlechteste Ergebnis in ihrer Hochburg seit dem Ende der Franco-Ära. Die Regierungspartei Partido Popular (PP) erlitt jedoch eine stärkere Niederlage und wurde von den WählerInnen für ihre Sparpolitik abgestraft. Sie erhielt 33 Sitze (26,8%) und büßte rund ein Drittel ihrer Mandate ein.

PODEMOS im Gegenzug konnte zwar das erste Mal in seiner Geschichte erfolgreich in ein spanisches Regionalparlament einziehen. Jedoch erhielt es als drittstärkste Kraft nur 15 Sitze (14,8%), welches im starken Gegensatz zu den Umfragewerten stand. Hierbei muss erwähnt werden, dass PODEMOS stark damit zu kämpfen hatte, sich gegen eine neue populistische Mitte-Rechts-Partei mit dem Namen Ciudadanos zu behaupten. Diese Partei konnte aus dem Stand 9 Sitze (9,3%) erhalten. Addiert man die Ergebnisse von PODEMOS und Ciudadanos erhält man 25% und somit die oben genannten Umfragewerte. Wieso konnte PODEMOS jedoch sein Umfragehoch nicht halten?

Ciudadanos, eine populistische, in Katalonien gegen die Unabhängigkeitsbestre-bungen gegründete Partei, erlebt einen ähnlichen Aufschwung wie PODEMOS in den letzten Monaten. Dies weist einerseits darauf hin, dass sich das langjährige Zweiparteiensystem in Spanien überlebt hat. Andererseits zeigt es aber auch deutlich auf, dass PODEMOS mit seiner populistischen Herangehensweise an seine Politik schnell unter Zugzwang von rechts kommen kann. Wie oben erwähnt, orientiert sich die PODEMOS-Führung rund um Iglesias stark am Chávismus und dessen Populismus. Dies äußert sich vor allem in einer Fokussierung auf eine Führungspersönlichkeit und deren Legitimierung durch Massenabstimmungen sowie im Verzicht auf eine klare Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse. Dies führt nun schlussendlich dazu, dass PODEMOE relativ einfach von rechts unter Zugzwang gesetzt werden kann. Die strategische Ausrichtung auf „das Volk“, ohne den Klassencharakter des Kapitalismus offen zu legen, wird hier praktisch als ein Schuss ins eigene Bein offenbart. Jedoch scheut Iglesias und seine Truppe das Wort „Kapitalismus“ wie der Teufel das Weihwasser:

„Nur einige wenige Menschen mit einem hohen Niveau an politischer und theoretischer Bildung wären in der Lage zu sagen, dass das Problem der Kapitalismus darstellt. Wenn wir uns jedoch eine soziale Bewegung mit Hunderttausenden vorstellen, ist es schwer zu glauben, dass es einem Wort wie ‚Kapitalismus‘ möglich wäre zu verkörpern, gegen was die Bewegung sich richtet.“ (8)

Erneut erwies sich die Nichtexistenz einer revolutionären Plattform in PODEMOS mit Hinblick auf die Ereignisse rund um das Superwahljahr als ein großer Fehler. Der Wahlausgang in Andalusien z.B. hätte von einer revolutionären Plattform innerhalb von PODEMOS als Ausgangspunkt verwendet werden können, diesen kritisch aufzuarbeiten und praktisch den Basismitgliedern in PODEMOS die Schwächen des Iglesias-Populismus und dessen Programm aufzuzeigen. Dies hätte zusätzlich dazu genutzt werden können, um für ein revolutionäres Aktionsprogramm einzutreten und MitstreiterInnen für eine antikapitalistische, revolutionäre Politik zu gewinnen.

Anticapitalista in der Krise?

Eine revolutionäre Plattform könnte aber nicht nur die derzeitigen Wahlen dazu nutzen, die Fehler des Linkspopulismus eines Iglesias aufzudecken. Die derzeitigen Entwicklungen rund um Anticapitalista könnten ebenfalls dazu verwendet werden, MitstreiterInnen aus diesen Reihen für den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei zu gewinnen. Der Konflikt innerhalb der Anticapitalista-Reihen entwickelte sich rund um die Wahlen in Andalusien schnell zu einer landesweiten Auseinandersetzung. Es kam vor den Wahlen in Andalusien zu einem Treffen zwischen Iglesias und Teresa Rodríguez (Führungsmitglied von Anticapitalista, sowie PODEMOS-Abgeordnete im Europäischen Parlament).

Auf diesem Treffen wurden Listen für die Regionalwahlen in Andalusien vereinbart sowie für die kommenden Wahlen der Regionalführungen von PODEMOS. Innerhalb von Anticapitalista kam es zu Kritik an dem undemokratischen Vorgehen, da die Basismitglieder nicht an der Zusammenstellung der Listen beteiligt wurden. Als Resultat wurde Anfang April etwa die Hälfte der Anticapitalista-Mitglieder in Andalusien ausgeschlossen, welche eine Opposition gegen den Iglesias-Rodríguez Pakt bildeten. Dieser Ausschluss schlug auch landesweit Wellen und führte dazu, dass Ende April weitere Mitglieder von Anticapitalista in Madrid ihren Austritt erklärten. Ihre Hauptargumente sind der opportunistische Umgang von Anticapitalista mit der Iglesias-Führung, das Unterlassen des Kampfes für ein antikapitalistisches Programm sowie der Bürokratismus und Populismus innerhalb von PODEMOS.

Der Kampf für ein revolutionäres Aktionsprogramm und den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei!

Die oben beschriebenen Konflikte rund um PODEMOS und ihre Entwicklung im Lichte der ersten praktischen Erfahrungen im spanischen Superwahljahr zeigen die notwendigen Aufgaben für RevolutionärInnen deutlich auf. Sie müssen ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, einen Kampf basierend auf Interventionen in den Klassenkampf und mit Fokussierung auf die ArbeiterInnenklasse zu entwickeln statt Fixierung auf Wahlgewinne. Sie sollten sich zu einer revolutionären Plattform zusammenschließen, deren Aufgabe die Erarbeitung eines revolutionären Aktionsprogramms sein muss. Es sollte ein antikapitalistisches Aktionsprogramm gegen die Sparmaßnahmen erarbeitet werden, welches kämpferische Alternativen zu den meisten wichtigsten Fragen aufwirft, vor denen die ArbeiterInnen, Jugendlichen, Frauen und Minderheiten in Spanien stehen.

Neben spezifischen Forderungen nach Arbeit, Löhnen, Unterkünften und allen anderen Bereichen des Klassenkampfes sollte ein solches Programm auch die Notwendigkeit der Bildung von Aktionskomitees in jedem Betrieb, jeder Schule, Universität und Nachbarschaft hervorheben, welche die Aufgabe haben sollten, die jeweiligen Verteidigungsaktionen zu organisieren. Solche Aktionskomitees sollten sich so schnell wie möglich auf einem nationalen Maßstab vereinigen, um den Kampf zentralisiert aufnehmen zu können. So hat die Bewegung als Ganzes auch eine bessere Möglichkeit, über unterschiedliche Einheitsstrategien im Kampf zu diskutieren und zu entscheiden. Um aus der Defensive in die Offensive zu gelangen, sollte die Frage und die Organisierung eines unbegrenzten politischen Generalstreiks auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Ein Generalstreik wirft jedoch unausweichlich die Frage auf: Wer regiert und in wessen Interesse? Die anhaltende Krise innerhalb der spanischen Gesellschaft zeigt klar die Notwendigkeit eines Regierungsprogramms im Interesse der Arbeiterklasse sowie der Bauernschaft auf. Neben der Rücknahme der Sparpolitik sowie der Renationalisierung der privaten Industrie muss ein solches Programm auch gleichzeitig die ungelösten nationalen und demokratischen Fragen der spanischen Gesellschaft angehen: das Recht auf nationale Selbstbestimmung, Abschaffung der Monarchie sowie die Einberufung einer konstituierenden Versammlung. Ein solches Programm wäre unmöglich durchzusetzen ohne die entschädigungslose Enteignung von Großkapitalisten oder Großgrundbesitzern unter ArbeiterInnenkontrolle sowie die Reorganisierung der Wirtschaft auf der Basis eines demokratischen Plans mit Bezug auf die gesamte Gesellschaft.

Dafür ist die Bildung einer ArbeiterInnenregierung notwendig, welche sich auf Kampforgane der ArbeiterInnenklasse, der Bauern und Bäuerinnen, der Jugend, Aktionskomitees, demokratische Räte sowie Selbstverteidigungsorgane stützt. Nur eine solche Regierung kann die Reaktion entwaffnen sowie die bürgerliche Staatsmaschine zerschlagen und ersetzen.

Rund um den Kampf für eine solche Strategie müssen sich RevolutionärInnen nicht nur innerhalb PODEMOS, sondern auch in den Gewerkschaften sowie anderen Organisationen der Arbeiterklasse organisieren, um MitstreiterInnen für den Aufbau einer realen Alternative für die spanische ArbeiterInnenklasse zu finden: eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei. Der neo-reformistische Populismus eines Iglesias bietet hierfür keine Lösung.

Das Beispiel SYRIZAs verdeutlicht, dass ein Bruch mit der reformistischen Führung und dem Parteiapparat unvermeidlich ist. Auch wenn in einem Fraktionskampf taktische Manöver unvermeidlich sein mögen, so wäre es eine selbstmörderische Illusion zu denken, dass die grundsätzlichen politischen Differenzen – letztlich entgegengesetzte Klasseninteressen – durch statutarische oder organisatorische Maßnahmen „gelöst“ werden können. Was für SYRIZA galt, gilt erst recht für PODEMOS, zumal es sich hier um eine kleinbürgerliche Partei handelt, keine bürgerliche ArbeiterInnenpartei. Für RevolutionärInnen gilt es daher, der Konfrontation mit der populistischen Spitze nicht auszuweichen, sondern sie von Beginn an vorzubereiten, den Bruch nicht als zu vermeidende Tragödie, sondern als unvermeidlichen Schritt zur Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei zu begreifen.

Endnoten

(1) Pablo Iglesias, „Understanding Podemos“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 17; http://newleftreview.org/II/93/pablo-iglesias-understanding-podemos; Übersetzung des Autors

(2) Rico Rodriguez, „Spanien – Krise und Führungskrise“; Neue Internationale 179, May 2013; http://www.arbeitermacht.de/ni/ni179/spanien.htm

(3) Pablo Iglesias, „Understanding Podemos“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 15 ; http://newleftreview.org/II/93/pablo-iglesias-understanding-podemos

(4) Ebenda, Seite 15

(5) Ebenda, Seite 16

(6) Cristina Flesher Fominaya, „Soziale Bewegungen und Globalisierung“ (Mai 2014)

(7) Interview mit Pablo Iglesias, „Spain on Edge“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 40

(8) Ebenda, Seite 33




Spanien: Sánchez verdrängt Rajoy, aber was nun?

Dave Stockton, Infomail 1006, 10. Juni 2018

Pedro Sánchez, Vorsitzender der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), ist jetzt im Moncloa-Palast als Ministerpräsident Spaniens. Jeder fortschrittliche Mensch im spanischen Staat wird froh sein, den Rücken des autokratischen Führers der Volkspartei, Mariano Rajoy, zu sehen.

Der kritische Moment kam, als die Baskische Nationalistische Partei (EAJ/PNV) enthüllte, dass sie zusammen mit Podemos (deutsch: Wir können), zwei katalanischen Pro-Unabhängigkeitsparteien und einer zweiten baskischen Partei (BILDU, linkes baskisches Wahlbündnis; deutsch: versammelt) einen Misstrauensantrag der PSOE als Reaktion auf einen großen Korruptionsskandal, der die PP heimsuchte, unterstützen würde.

Die liberale Partei Ciudadanos (deutsch: BürgerInnen), die vor kurzem in den Wahlen ihre Rivalinnen überholt hat, unterstützte Rajoy, aber Führer Albert Rivera sieht nun eine goldene Gelegenheit, die Volkspartei als Hauptpartei der Rechten zu ersetzen.

Podemos, die einst ihre Entschlossenheit erklärte, die PSOE vollständig zu verdrängen, und die Idee einer Koalition mit ihr ablehnte, forderte Sánchez auf, eine Koalition mit MinisterInnen von ihr zu bilden, ein Angebot, das der PSOE-Führer sofort ablehnte.

Podemos selbst steckt jetzt in einer Flaute. Der Guru der Partei, Pablo Iglesias, wurde kürzlich zu einer Mitgliederaabstimmung gezwungen, um seine Führung nach heftigem internen Widerstand gegen seine Entscheidung, ein 600.000 Euro teures Haus mit Swimmingpool außerhalb Madrids zu kaufen, zu bekräftigen, welche Mitglieder und AnhängerInnen einer Partei erzürnte, die sich zum Teil wegen ihrer Kampagne zur katastrophalen Immobilienkrise in Spanien einen Namen machte.

Sánchez‘ Versprechen

Unmittelbar nach dem Misstrauensvotum erklärte Sánchez: „Wir werden eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie in unserem Land unterzeichnen.“ Hier wird der/die Vorsichtige einen Moment innehalten, um zu fragen: Ist das derselbe Mann, der Rajoys Weigerung unterstützt hat, ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens gutzuheißen, sowie die Urteile des Obersten Gerichtshofs, die den Präsidenten seiner Generalitat (Gesamtheit der Selbstverwaltungsinstitutionen Kataloniens im Rahmen des Autonomiestatuts) ins Exil trieben und mehrere MinisterInnen ins Gefängnis brachten?

Sánchez hat zwar versprochen, Gespräche mit der neuen katalanischen Regierung aufzunehmen, aber er schließt nach wie vor die Möglichkeit eines legalen Referendums über den Status Kataloniens aus. Gleichzeitig wurde eine neue katalanische Regierung unter der Leitung von Joaquim „Quim“ Torra, einem Handlanger des im Exil lebenden Präsidenten Carles Puigdemont, vereidigt, was den Zustand beendete, dass Katalonien acht Monate lang direkt von Madrid aus regiert wurde.

Sánchez wird wahrscheinlich einige der undemokratischsten Aspekte von Rajoys berüchtigtem „Gag-Gesetz“ aufheben, das Demonstrationen in der Nähe des Parlaments, des Senats und der Regionalparlamente strenge Beschränkungen auferlegte, unterstützt durch Geldbußen von bis zu 600.000 Euro für Sitzstreiks an öffentlichen Orten oder die Blockade von Hausräumungen, wenn die „zuständige Behörde“ (ein Gericht, die Polizei) die Auflösung der Versammlung angeordnet hat.

Aber um eine wirklich neue Seite in der gewundenen Geschichte der Demokratie in Spanien zu schreiben, bedarf es nicht der Huldigung der Establishment-Parteien an die Post-Franco-Verfassung, sondern ihrer Ersetzung durch eine demokratisch gewählte Verfassunggebende Versammlung, die die Monarchie abschafft und das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Abspaltung vom spanischen Staat für alle seine Nationalitäten anerkennt. Revolutionäre SozialistInnen wollen den spanischen Staat nicht auflösen, aber das wäre besser als erzwungene Einheit.

Sánchez hat versprochen, auf die „dringenden sozialen Bedürfnisse“ der BürgerInnen in einem Land einzugehen, das immer noch von hoher Arbeitslosigkeit und der von verschiedenen Regierungen verhängten Sparpolitik geplagt ist. Aber er hat auch sofort zugesagt, den von Rajoy vorgeschlagenen Haushalt 2018 beizubehalten, gegen den die PSOE erst vor einer Woche gestimmt hat. Seine Entschuldigung ist, dass er nur so die Stimmen der PNV erhalten konnte, deren Anliegen vor allem darin bestand, die dem Baskenland zugewiesenen Mittel, die im Haushalt enthalten waren, sicherzustellen. Er sagt, dass das Budget „die wirtschaftliche und steuerliche Verantwortung garantieren wird“ und betont, dass Spanien seine „europäischen Pflichten“ erfüllen wird. Aber das wird die neue Regierung entweder an die Kürzungen und Sparmaßnahmen ihrer Vorgängerin binden oder, wenn er einige davon ändert wie die vorgeschlagene Erhöhung der Renten wird er Peter immer noch ausrauben müssen, um Paul zu bezahlen.

Maßnahmen ergreifen

Es gibt eine Alternative dazu, wenn er bereit wäre, die Vermögen der Reichen und der großen Konzerne ernsthaft zu besteuern. Natürlich werden einige sagen, angesichts seiner bisherigen Bilanz könnte man genauso gut Schweine bitten zu fliegen, aber das ist nicht der Punkt. Die Gewerkschaften und die Jugend einschließlich der Mitgliedschaft von PSOE und Podemos haben in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession ihre Kampfbereitschaft bewiesen und könnten und sollten nun mobilisieren, um Sánchez dazu aufzufordern, die Austeritätsmaßnahmen ganz aufzugeben. Sie sollten sich an die massive Unterstützung erinnern, die Jeremy Corbyn in Großbritannien sowohl auf der Straße als auch an der Wahlurne erhielt, als er ein Ende der Sparpolitik forderte.

Einige werden sagen, dass die EU eingreifen würde, um jede Regierung oder Führung zu stoppen, die versuchte, ihre „Fiskaldisziplin“ zu brechen, genau wie sie es mit Syriza in Griechenland getan hat. Aber im Gegensatz zu Alexis Tsipras sollte eine spanische Regierung, die es wagte, sich der EU zu widersetzen, ihre Zeit nicht damit verschwenden, AkademikerInnen als untertänige BittstellerInnen nach Brüssel oder Frankfurt zu schicken. Sie sollten sich den Merkels und Macrons widersetzen und direkt an die ArbeiterInnen in Europa appellieren, Maßnahmen zu ihrer Unterstützung zu ergreifen. Die Bilanz der Kapitulation von Syriza zeigt, dass mutige Reden von FührerInnen wenig wert sind, wenn die ArbeiterInnen und die Jugend nicht organisiert und bereit sind, unabhängig zu handeln, wenn ihre AnführerInnen sich weigern zu kämpfen.

Wenn Spaniens ArbeiterInnen, unterdrückte Nationalitäten, Frauen und Einwanderergemeinschaften sich vereinigen und einen Massenkampf für ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in den kommenden Monaten einleiten, dann kann selbst diese in den Knien weiche PSOE-Regierung als Hebel benutzt werden, um soziale und demokratische Rechte zu erringen und den Weg des Kampfes zu einer echten ArbeiterInnenregierung einzuschlagen, die auf den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse, den Gewerkschaften, Parteien und Kampforganen fußt.

Dank

Wir danken dem Solidaritätskomitee Katalonien für die Übersetzung des Artikels,




Rajoy verliert die Wahlen in Katalonien – es wird Zeit, ihn zu stürzen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 23. Dezember 2017, Infomail 980, 25. Dezember 2017

Die Wahlen in Katalonien haben – entgegen dem riskanten Vorhaben des spanischen Ministerpräsidenten – die politische Blockade nicht zu seinen Gunsten gebrochen. Tatsächlich ist seine Taktik gescheitert, seine Position sogar geschwächt. Sie haben jedoch auch nicht die Stellung der drei katalanischen nationalistischen Parteien, die am 27. Oktober die Unabhängigkeit erklärt haben, strategisch gestärkt.

Diese Parteien, Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien, kurz JuntsxCat, vormals PDeCat = Partit Demòcrata Europeu Català = Katalanische Europäische Demokratische Partei), die Republikanische Linke Kataloniens (Esquerra Republicana de Catalunya; ERC) und die Candidatura d’Unitat Popular (CUP, deutsch: Kandidatur der Volkseinheit) haben eine Mehrheit im Regionalparlament verteidigt, auch wenn sie zwei Sitze verloren haben. Wieder einmal haben jedoch die abgegebenen Stimmen keine Mehrheit der WählerInnen für die Unabhängigkeit aufgewiesen: der Stimmenanteil dieser drei Parteien betrug nur 47,2 Prozent. Die größte Partei im katalanischen Parlament ist die neoliberale Anti-Unabhängigkeitspartei Ciudadanos (deutsch: StaatsbürgerInnen) unter der Führung von Inés Arrimadas. Sie gewann 1,06 Millionen Stimmen, das sind 25,4 Prozent der WählerInnen.

Abfuhr für Rajoy

Nichtsdestotrotz stellen diese Ergebnisse eine scharfe Abfuhr an Mariano Rajoy und seinen „konstitutionellen“ Staatsstreich gegen die Autonomie der Provinz und ihre gewählte Regierung dar. Berücksichtigt man die 312.000 Stimmen, 7,4 Prozent und 8 Sitze von Catalunya en Comú (CatComu; deutsch: Katalonien Für Alle), so hat eine klare Mehrheit Rajoy und seinen Staatsstreich abgelehnt. Dies wurde durch die Tatsache unterstrichen, dass seine Volkspartei in Katalonien (Partido Popular de Cataluña, PPC; deutsch: Katalanische Volkspartei) unter der Führung von Xavier García Albiol sieben ihrer elf Sitze und etwa die Hälfte ihrer Stimmen verloren hat.

Solange Rajoy in Madrid den Zugriff auf die Macht behält, kann er dank der beschämenden Unterstützung, die er im Parlament von der spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) erfährt, weiter sein Gewicht in die Waagschale werfen und auf staatliche Unterdrückung zurückgreifen. Einige der neu gewählten Abgeordneten befinden sich derzeit im Gefängnis oder „Exil“ und können daher nicht für eine separatistische Regierung stimmen. Obwohl sie ihre Sitze zugunsten von KandidatInnen, die auf den Parteienlisten weiter unten stehen, aufgeben könnten, ist es wahrscheinlich, dass die Regierung und die Justiz von Madrid sich weigern würden, eine solche Regierung anzuerkennen, und den Artikel 155 beibehalten oder wieder anwenden wollen.

Als Zeichen dieser Absichten hat ein Richter des Obersten Gerichtshofs, Pablo Llarena Conde, am Tag nach der Wahl die Anklagepunkte der Rebellion, der Aufwiegelung und des Missbrauchs öffentlicher Gelder auf eine Reihe weiterer ehemaliger MinisterInnen und BeamtInnen ausgedehnt. Tatsächlich würde die katalanische Autonomie ausgesetzt bleiben und jede noch so formale und symbolische Missachtung durch die Regionalversammlung wird mit weiteren Festnahmen und Repressionen einhergehen. Alternativ kann Rajoy eine spanische Parlamentswahl ansetzen, die er hysterisch anti-katalanisch und chauvinistisch führen würde.

Gesten der Missachtung gegenüber Rajoy bleiben wirkungslos, wenn und solange nicht eine aktive Mehrheit der KatalanInnen, insbesondere der katalanischen ArbeiterInnen, bereit ist, über Demonstrationen und Abstimmungen hinauszugehen und direkte Maßnahmen zu ergreifen, die als absolutes Minimalziel die Wiederherstellung der Befugnisse einer autonomen Regierung und eines autonomen Parlaments zum Ziel haben. Die Tatsache, dass sich eine Mehrheit der katalanischen ArbeiterInnen gegen die Unabhängigkeit ausspricht, neben der, dass die NationalistInnen dies zu ihrer ersten und letzten Forderung machen, bedeutet jedoch bisher, dass sich keine aktive Einheitsfront des Widerstands gegen Rajoys Unterdrückung gebildet hat.

Perspektive

Wenn die NationalistInnen jedoch aus der Sackgasse herauskommen wollen, in der sie sich befinden, d. h. aus dem Mangel an Rückendeckung durch soziale Kräfte, die bereit und in der Lage sind, Maßnahmen gegen Rajoy und die PP-Regierung zu ergreifen, müssen sie sich auf unmittelbare und brennende demokratische Forderungen konzentrieren und die Arena ihres Kampfes für ihre Rechte auf einer gesamtspanischen Basis sehen. Obwohl die katalanischen Parteien Verhandlungen mit Madrid gefordert haben, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass Rajoy jetzt substantielle Gespräche führen wird. Nachdem er den Dämon des spanischen Chauvinismus aus der Flasche gelassen hat, wäre es schwierig, diesen wieder dahin zurückzubringen, selbst wenn er es wollte.

Angesichts der Tatsache, dass die Partido Popular, unterstützt von der reaktionären Justiz und der Monarchie der Bourbonen, den Nationalitäten, aus denen sich der spanische Staat zusammensetzt, das Recht auf Selbstbestimmung vorenthält, wenn sich zudem die Konservativen nach Francos Ableben mit der undemokratischen Konstitution von 1978 bewaffnet haben, kann es keine verhandelte und verfassungsmäßige Lösung dieser tiefen politischen Krise geben.

Nur die Verdrängung der PP-(Minderheits-)Regierung und die Abschaffung der „Post-Franco“-Verfassung können den Weg zu einer Lösung ebnen, die es den KatalanInnen ermöglicht, zu entscheiden, ob sie sich von Spanien abspalten oder Teil einer Bundesrepublik sein wollen, die den Nationalitäten des Landes eine von Madrid aus nicht mehr aufhebbare Autonomie verleiht.

DemokratInnen und SozialistInnen in ganz Spanien sollten auf der Straße und durch Generalstreik den Rücktritt Mariano Rajoys und seiner gesamten Regierung, die Abdankung Felipe (VI.) de Borbóns und die Einberufung von Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlung fordern.

Es ist unerlässlich, diese demokratischen Fragen mit dem Ende der Sparzwangspolitik zu verbinden, die die Massenarbeitslosigkeit, vor allem für die Jugendlichen, die zunehmende Obdachlosigkeit und die Wiederinbesitznahme der Häuser der Menschen sowie die Verarmung der Gesundheits- und Sozialdienste verschlimmert haben. Ein Kampf gegen diese sozialen Probleme und gegen die Notlage von Flüchtlingen, die vor Armut und Krieg in Afrika und im Nahen Osten fliehen, kann die ArbeiterInnenklasse im ganzen Land vereinen und die kapitalistischen Regierungen von Mariano Rajoy und Carles Puigdemont entlarven.

In ganz Spanien sollten Gewerkschaften, linke, sozialistische Parteien und antikapitalistische Jugendliche ihre Kräfte auf lokaler und nationaler Ebene mobilisieren, um Aktionen zu starten. Sie müssen Ausschüsse oder Räte bilden, um den Kampf zu organisieren, um Massenkräfte zu mobilisieren, die in der Lage sind, sich gegen die repressiven Kräfte des Staates zu verteidigen, und um eine Revolution durchzuführen, die alle wichtigen demokratischen und sozialen Forderungen erfüllt und die Macht der Arbeiterinnenklasse einsetzt, um deren Umsetzung zu gewährleisten. Im Laufe dieses Kampfes muss das Ziel der Wiederherstellung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die frei von Verblendungen des Populismus und Nationalismus ist, angegangen werden.

Im Vordergrund der Forderungen der Bewegung sollten stehen:

  • Die Rücknahme von Artikel 155 und die vollständige Wiederherstellung der Autonomie der katalanischen Generalitat!
  • Die bedingungslose Freilassung aus dem Gefängnis und Einstellung aller Anklagen gegen die ehemaligen katalanischen MinisterInnen und FührerInnen der Unabhängigkeitsorganisationen!
  • Der Abzug der Repressionskräfte in Form der Spezialeinheiten der Polizei und der Guardia Civil aus Katalonien und die Abschaffung der Kontrolle Madrids über die dortige Regionalpolizei (Mossos d’Esquadra)!
  • Ein Ende der sozialen Kürzungspolitik, die sowohl auf spanischer als auch auf katalanischer Ebene umgesetzt wird!
  • Nieder mit Rajoy und der reaktionären Monarchie! Für eine föderale ArbeiterInnenrepublik in Spanien und Katalonien!

 




Katalonien: Hände weg von Autonomie und demokratischen Rechten

KD Tait, Infomail 969, 2. November 2017

Am 27. Oktober erklärte das katalanische Parlament seine Unabhängigkeit mit 70 zu 10 Stimmen bei 55 Enthaltungen. Der spanische Staat reagierte darauf, indem er den katalanischen Ministerpräsidenten und seine Regierung aus dem Amt entfernte, das Parlament auflöste und die Kontrolle über Regierung, Polizei und Medien der Region übernahm.
Für den 21. Dezember sind Neuwahlen angesagt. Bis dahin wird Soraya Sáenz de Santamaría, stellvertretende Ministerpräsident des Landes von der regierenden Partido Popular, die Amtsgeschäfte in Katalonien führen.
Die Weigerung des spanischen Staates, den KatalanInnen ihr demokratisches Recht auf ein Referendum über die Unabhängigkeit zu gewähren, bedeutet, dass die Regierung von Mariano Rajoy die Hauptverantwortung für die politische Krise tragen muss, die das Land heimgesucht hat.
Die Verhaftung katalanischer NationalistInnen, die Drohungen, die autonome Regierung aufzulösen und der gewaltsame Versuch, das Referendum zu unterbrechen, waren keine Verteidigung der Demokratie, sondern eine des Monopols des spanischen Zentralstaates über die nationalen Rechte seiner Völker.
Bei Drucklegung hat der Generalstaatsanwalt von Madrid Anklage wegen Rebellion, Aufruhr und Missbrauchs öffentlicher Gelder gegen die ehemalige katalanische Regierung und den Sprecherausschuss des katalanischen Parlaments erhoben. Diese Strafmaßnahme wurde durch den politischen Zusammenbruch der katalanischen NationalistInnen und das Versäumnis der spanischen ArbeiterInnenbewegung ermöglicht, die rücksichtslose Kriminalisierung der Unabhängigkeitsbewegung durch Rajoy zu stoppen.

Trennendes

Die Unabhängigkeitserklärung von etwas mehr als 50 Prozent des katalanischen Parlaments erwies sich jedoch als ein Abenteurertum, bei dem Tragödie und Farce nahe beieinander liegen. Nachdem die BefürworterInnen der Lostrennung einen eigenen Staat proklamiert hatten, taten sie nichts, um ihn zu einer Realität werden zu lassen.
So nahm Rajoy die Erklärung zum Vorwand, eine direkte Herrschaft des spanischen Zentralstaates durchzusetzen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die katalanische Bevölkerung weiterhin gespalten über nationale Loyalitäten bleibt, anstatt sich auf die Verteidigung ihrer gemeinsamen demokratischen Rechte zu einigen.
Es war ein absurdes Ende der Wochen der Lähmung und Ungewissheit nach dem Referendum am 1. Oktober, dessen Ergebnis die bisher vereinigten separatistischen Kräfte sofort spaltete. Die Partei von Carles Puigdemont, die PDeCAT, ist eine durch und durch neoliberale bürgerliche Partei, die sich erst vor kurzem zur separatistischen Sache bekehrte – auch, um von den Folgen ihrer Sparpolitik und der eingefleischten Korruption abzulenken. Unvermeidlich kam sie unter anhaltenden Druck ihrer eigenen Klasse, keine einseitige Unabhängigkeitserklärung abzugeben.
Umgekehrt drängten die beiden wichtigsten kleinbürgerlichen nationalistischen Parteien, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und die Kandidatur der Volksunion (CUP), wütend auf eine sofortige Erklärung.
Rajoy spürte, dass er Puigdemont an den Seilen festgenagelt hatte, und wollte keine Konzession oder Duldung einer formalen externen Vermittlung anbieten. Jetzt ist jedoch klar, dass hinter den Kulissen eine Vermittlung stattgefunden hat, bei der die Europäische Union Rajoy drängte, sich zurückzuhalten und ihr Zeit zu geben, Puigdemont selbst unter Druck zu setzen.

Spaltungen

Puigdemonts Verwirrspiel bedeutet, dass sein Widerstand gegen die Übernahme Madrids symbolträchtig sein wird. Wenn dies so bleibt und seine Partei die Teilnahme an den Wahlen im Dezember akzeptiert, wird dies wahrscheinlich die separatistischen Kräfte weiter spalten. Die kleinbürgerlichen Radikalen der CUP, die Puigdemonts Sparregierung unterstützt haben, werden sich besonders verraten fühlen, um nicht zu sagen: betrogen.
Auf der anderen Seite werden KatalanInnen, die sich gegen die Art und Weise wandten, wie das Parlament das Referendum ansetzte, und es deshalb boykottieren und durch die einseitige Unabhängigkeitserklärung davon noch weiter entfremdet worden sind, versucht sein, sich hinter den Parteien zu versammeln, die sich der Unabhängigkeit widersetzen. Wenn dies in Unterstützung für die katalanischen Sektionen der Partido Popular, Ciudadanos und der SozialistInnen (PSOE) übersetzt wird, wird es den reaktionärsten Kräften in Spanien einen Sieg schenken.
Einige UnabhängigkeitsbefürworterInnen hoffen, dass ein Sieg der NationalistInnen bei der bevorstehenden Volksabstimmung als juristisches Referendum fungieren und Madrid und Brüssel zum Nachgeben zwingen wird. Diese Hoffnung wird wahrscheinlich enttäuscht werden, obwohl der ERC und die CUP wahrscheinlich auf Kosten der PDeCAT gewinnen werden. Aber es ist zweifelhaft, ob es je eine eindeutige Mehrheit für eine Lostrennung in der Bevölkerung gegeben hat, und deren BefürworterInnen werden darüber hinaus bei den Wahlen einander gegenseitig beschuldigen und gespalten wie nie zuvor antreten.
So wie die katalanischen NationalistInnen durch die Niederlage gespalten werden, so kann auch der Sieg die SiegerInnen spalten. Es ist möglich, dass Rajoy, von den reaktionären Franquisten unter Druck gesetzt, überreizen könnte, was zu neuem Widerstand seitens der Unabhängigkeitsbewegung und demokratischer Kräfte führen könnte.
Die Vorwürfe von Aufruhr, Rebellion und Veruntreuung gegen katalanische MinisterInnen, die möglicherweise von den Wahlen im Dezember ausgeschlossen werden, zeigen, dass die Zentralregierung ernsthaft versucht ist, auf das Argument der Gewalt zurückzugreifen, anstatt das Ergebnis des Meinungsstreits zu riskieren.
Die Wahlen sind natürlich objektiv ein Diktat der Madrider Regierung, um der Aushebelung der Autonomie und der Unterstellung der Behörden in Katalonien eine „demokratische“ Legitimation zu verleihen. Aufgrund des politischen Versagens der Führung der Unabhängigkeitsbewegung, die „passiven Widerstand“ ankündigte, von dem bislang nichts zu sehen war, kann eine Teilnahme an den reaktionären Wahlen taktisch notwendig werden. Das hängt in erster Linie davon ob, ob es zu Massenwiderstand kommt und zweitens die Regierung in Madrid Wahlen zulässt, die ein offenes Antreten ihrer GegnerInnen erlauben. Sollte diese das blockieren, so dass jeder Zweifel an der Berechtigung der Wahlen haben muss, dann wäre die einzig angemessene Antwort ein aktiver Boykott und ein Generalstreik, um Rajoy daran zu hindern, eine Krönung der Parteien des spanischen Imperialismus zu organisieren.

Selbstbestimmung

Rajoys Beharrlichkeit, dass die KatalanInnen kein Recht haben, zu entscheiden, ob sie sich von Spanien trennen, ist ein Verstoß gegen das Grundrecht der Nationen auf Selbstbestimmung. Seine Behauptung, dieses Recht sei in der Verfassung von 1978 nicht möglich, mag zwar formal zutreffen, doch beweist dies nur ihren undemokratischen Charakter.
Wenn sich eine Nation innerhalb eines Staates unterdrückt fühlt, muss ihr Recht auf Selbstbestimmung auch ein Recht auf Abspaltung beinhalten – oder dieses Recht ist letztlich hohl. Beinhaltet die Zugehörigkeit einer Nation zu einem gemeinsamen Staat nicht auch das Recht auf selbstbestimmten Austritt, so basiert die „Einheit“ letztlich auf Zwang. Natürlich bedeutet das Recht auf Lostrennung wie jedes Recht keine Verpflichtung, es auszuüben – ganz so wie das Recht auf Scheidung auch keine Verpflichtung zu ebendieser bedeutet.
Generell sprechen sich SozialistInnen zugleich für die größtmögliche Einheit der ArbeiterInnenklasse aus und lehnen Maßnahmen ab, die die Produktivkräfte beschränken, national zersplittern, die wir kontrollieren, der herrschenden Klasse entreißen und in den Dienst der Produktion für die menschlichen Bedürfnisse stellen wollen. Aus diesen Gründen sind wir generell nicht dafür, große Staaten oder Föderationen in kleinere aufzuspalten, denn eine solche Spaltung führt fast zwangsläufig zu einer Zunahme nationalistischer Vorurteile zwischen den Lohnabhängigen. Für SozialistInnen ist klein nicht schön, aber die Trennung stellt ein geringeres Übel dar als eine Einheit, die nur durch Gewalt und Betrug aufrechterhalten werden kann.
Der Versuch der spanischen Regierung, das Referendum zu verhindern, war eine Verletzung eines elementaren demokratischen Rechts, ob man nun mit der Sezession oder mit den Mitteln, die zur Durchführung des Referendums benutzt wurden, einverstanden ist oder nicht. Durch diese Maßnahmen hat Madrid das Recht auf Mitsprache bei der Entscheidung der KatalanInnen über ihre Zukunft verloren.
Bedeutet dies, dass SozialistInnen derzeit die völlige Unabhängigkeit Kataloniens unterstützen sollten? Nein, nicht, solange die Bevölkerung der Provinz nicht frei und ungehindert wählen kann. Dank der undemokratischen Neigung von Rajoy und Puigdemont wurde das Referendum nur mit 43 Prozent Zustimmung abgehalten. Das bedeutet nicht, dass diejenigen, die sich der Stimme enthielten, gegen die Unabhängigkeit waren, aber das Ergebnis ist eindeutig kein unbestreitbares Mandat, Menschen in die Unabhängigkeit zu zwingen.
Wenn Neuwahlen eine klare Mehrheit für separatistische Parteien darstellen oder wenn der Widerstand gegen Rajoys Unterdrückung die katalanische ArbeiterInnenklasse in eine allgemeine Mobilisierung unter dem Ruf nach Unabhängigkeit zieht, dann wäre es die Pflicht der SozialistInnen in ganz Spanien und Europa, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem katalanischen Proletariat bei der Erreichung des Unabhängigkeitsziels zu helfen. Allerdings hat die katalanische ArbeiterInnenbewegung bisher wenig Hinweise auf eine breite Unterstützung für die Unabhängigkeit gegeben. In der Tat dürfte auch sie, ähnlich wie die Gesamtbevölkerung, gespalten sein – und zwar aus reaktionären Motiven ebenso wie aus einer Ablehnung der neo-liberalen Politik Puigdemonts.

Widerstand

Die Auferlegung von Artikel 155 ist schlicht und ergreifend ein Affront gegen die Demokratie. Wenn Rajoy, der Senat, der Oberste Gerichtshof und König Felipe VI. in Katalonien einen Sieg erringen, wird dies nicht nur für die EinwohnerInnen der Region, sondern auch für die fortschrittlichen Kräfte in ganz Spanien ein schwerer Schlag sein.
Es ist die Pflicht der SozialistInnen im übrigen Spanien, seine Umsetzung zu behindern, die Freilassung der beiden Jordis, ein Ende der Verfolgung von für die Unabhängigkeit eintretenden PolitikerInnen und die Wiederherstellung der Autonomie der katalanischen Institutionen zu fordern, die Neuwahlen zum katalanischen Parlament unter ihrer eigenen Autorität einberufen sollten. Die Führung von Podemos hat Rajoys Staatsstreich angeprangert. Gut. Aber ebenso sollten sich die Gewerkschaftsverbände CC.OO. und UGT gegen Rajoys Verfassungscoup und die Verhaftung katalanischer FührerInnen aussprechen. Die Linken in der PSOE sollten sich vom Verräter Pedro Sánchez lösen, der sich entschieden hat, die Verfassung zu verteidigen und nicht das Selbstbestimmungsrecht der KatalanInnen zu unterstützen.

Wahlen

Wenn es andererseits, wie es möglich scheint, keine Massenopposition gegen die Unterdrückung der katalanischen Autonomie durch Rajoy gibt, so sollten sich die SozialistInnen in Katalonien darauf vorbereiten, mit ihren eigenen Losungen und Programm daran teilzunehmen.
Die ArbeiterInnenklasse Kataloniens sollte Carles Puigdemont, dem ERC oder den nationalistischen „AntikapitalistInnen“ der CUP kein Vertrauen schenken. Die SozialistInnen sollten sich um eine Plattform für die Verteidigung der demokratischen und nationalen Rechte, ein sozialistisches Programm zur Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes durch Besteuerung und Enteignung der Reichen und eine verfassungsgebende Versammlung zur Schaffung einer Verfassung auf der Grundlage einer demokratischen Föderation der sozialistischen Republiken in Spanien vereinigen. Mit einem solchen Programm können SozialistInnen die nationalistischen Spaltungen überwinden und eine Klassenopposition gegen Rajoy und Puigdemont sammeln.
Im übrigen Spanien sollte Podemos Unidos die Linke der PSOE drängen, mit der sozialchauvinistischen Führung der Partei zu brechen und dabei helfen, eine neue sozialistische Partei der ArbeiterInnenklasse zu gründen, die den Kampf anführen kann, Rajoys Regierung zu verjagen und Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlung zu fordern.
In einer solchen Versammlung sollten die SozialistInnen nicht nur für das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Sezession kämpfen, sondern auch für die Abschaffung der bourbonischen Monarchie, des Senats und der nicht gewählten Justiz.
In ganz Europa sollten ArbeiterInnen und Jugend, sozialistische und Labourparteien die Aktionen von Rajoy und die beschämende Unterstützung durch die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union für sie verurteilen und Demonstrationen zur Unterstützung der demokratischen Rechte der KatalanInnen organisieren.




Rajoys Verfassungsputsch stoppen!

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Do 12. Oktober 2017

Die Madrider Rechtsregierung von Mariano Rajoy hat auf die Unabhängigkeitserklärung der katalanischen SeparatistInnen reagiert, indem sie den Prozess der Anrufung von Artikel 155 der spanischen Verfassung in Gang setzte, der die katalanische Autonomie aufheben und das regionale Parlament auflösen würde. Dies bedeutet: Carles Puigdemont, der katalanische Präsident, soll bestätigen, ob er die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt hat oder nicht. Wenn er „Ja“ sagt, würden die Maßnahmen der Aussetzung der Autonomie in Kraft treten. Bei einem „Nein“ wird die separatistische Bewegung in Verwirrung geraten, weil die linksnationalistische CUP damit droht, ihre Unterstützung für die Minderheitsregierung von Puigdemont zurückzuziehen.

Die Verwirrung kommt daher, dass Puigdemont eine Erklärung über die Unabhängigkeit unterzeichnete, aber dann sofort deren Implementierung „für ein paar Wochen aussetzte“, um Verhandlungen mit Madrid zu ermöglichen. Dieser Schwenk kam nach einer Woche der Unschlüssigkeit, in der dieser politische Vertreter der katalanischen Bourgeoisie einem intensiven Druck seitens der Banken und Großindustriellen als auch Interventionen hinter den Kulissen durch die Europäische Union unterworfen war.

Es ist klar, dass die große Mehrheit der KapitalistInnen Kataloniens gegen die Unabhängigkeit ist. Die Hauptorganisation der Bosse, der Foment del Treball Nacional, verurteilte die Regierung von Barcelona dafür, dass sie „die Grenzen zur Illegalität“ überschritten und damit Katalonien in „nationalen und internationalen in Misskredit“ gebracht und möglicherweise gar an den Rand „wirtschaftliche Insolvenz“ gebracht habe.

Zwei Dutzend Unternehmen, darunter die meisten Großunternehmen der Region, haben entweder ihren Hauptsitz aus der Provinz verlegt oder ihre Bereitschaft dazu bekundet. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, warnte Puigdemont, er solle „die verfassungsmäßige Ordnung respektieren“.

Rajoy wittert jetzt Blut. Er will sicherstellen, dass Puigdemonts Abenteuer in schändlicher Unterwerfung unter die Autorität Madrids, der Monarchie und Verfassung endet. Wenn dieser nicht nachgibt, wird Rajoy versuchen, die Frage praktisch durch die Errichtung einer Diktatur über Katalonien zu lösen. Deshalb wurden im Vorfeld der Volksabstimmung 20.000 PolizistInnen in die Provinz geschickt. Natürlich ist das auch ein gewagtes Spiel, aber Rajoy hat bereits die Kräfte des spanischen Chauvinismus mobilisiert, um den Boden dafür zu bereiten.

Ein Sieg für Rajoy würde die Tür zu einer allgemeinen Offensive gegen die anderen von der Partido Popular (PP) missachteten demokratischen und sozialen Rechte öffnen. Ein Sieg in Katalonien würde vermutlich vom Sieger mit einer Neuwahl besiegelt, um sich eine absolute parlamentarische Mehrheit zu sichern, die dann als Kampfmittel gegen die gesamte ArbeiterInnenklasse eingesetzt wird.

Widerstand

Nur eine allgemeine direkte Aktion von ArbeiterInnen und Jugendlichen in Katalonien und schließlich in ganz Spanien kann Francos ErbInnen an der Durchführung ihres lange gehegten Wunsches hindern, ein Exempel an den KatalanInnen zu statuieren und die demokratischen Rechte der ArbeiterInnenklasse ganz Spaniens mit Füßen zu treten.

Das ganze Land befindet sich an einem Scheideweg, wo die Frage der Revolution oder Konterrevolution keine Übertreibung ist. Wenn Rajoy die katalanischen NationalistInnen durch Einschüchterung oder Gewalt zur Kapitulation zwingt, wird es einen noch nie da gewesenen Rückschlag für Spaniens 40 Jahre alte Demokratie darstellen. Der Ernst der augenblicklichen Lage erfordert eine angemessene Reaktion von Seiten der katalanischen ArbeiterInnen- und Sozialbewegungen: einen allgemeinen, unbefristeten Generalstreik, um die Initiative zu übernehmen und die Macht den Händen der einen bekriegenden bürgerlichen Fraktionen zu entreißen und der organisierten ArbeiterInnenklasse zu übertragen.

Die unmittelbaren Ziele eines solchen Generalstreiks sollten sein:

  • Aufhebung der Inkraftsetzung von Artikel 155 und jeder Einmischung Madrids in den bestehenden Autonomiestatus!
  • Rückzug aller Polizei-, Militär- und paramilitärischen Einheiten der Zentralregierung aus Katalonien!
  • Ausdehnung der Verteidigungsausschüsse des Referendums auf Instrumente der ArbeiterInnenklasse als Ganze, die Einbeziehung sowohl von BefürworterInnen wie GegnerInnen der Unabhängigkeit! Diese sollten Delegierte in lokale und nationale Führungspositionen wählen.

Ein Appell an die ArbeiterInnenbewegungen außerhalb Kataloniens, ihre Passivität aufzugeben und die Aktion aufs gesamte Land auszudehnen gemäß dem Grundsatz, dass ein Schaden für einen ein Schaden für alle ist!

In ganz Spanien ist die Frage, die Rajoys Verfassungscoup aufwirft, nicht Kataloniens sofortige Trennung, sondern das Recht einer jeden Nation auf volle Autonomie und Selbstbestimmung!

Führung

Obwohl die Lohnabhängigen und die Jugend Spaniens Puigdemont gegen die schrecklichen Bedrohungen durch die PP verteidigen sollten (einschließlich der, dass er dasselbe Schicksal erleiden könnte wie der historische katalanische nationalistische Führer Luis Companys, 1940 von Franco ermordet), hat seine Schwäche gezeigt, dass seine durch und durch bürgerliche und neoliberale PDeCAT-Partei nicht eine erfolgreiche Verteidigung der demokratischen Rechte führen kann. Nur die ArbeiterInnenschaft hat das gemeinsame Interesse und besitzt die kollektive Kraft, um das zu tun.

Der PSOE-Führer, Sánchez, hat schändlich Rajoy in jeder Phase der Krise zur Seite gestanden, und Podemos, die das Recht auf ein Referendum unterstützt und sich gegen die Anwendung von Artikel 155 ausspricht, fordert weiterhin zum Dialog auf: eine pazifistisch-utopische Lösung.

Ein Sturm spanischen Chauvinismus’ ist durch den Konflikt zwischen den nationalistischen Lagern ausgelöst worden, der sogar die FaschistInnen hat aus den Niederungen kommen lassen. Er wird nicht zum Halt gezwungen werden, Katalonien niederzuwalzen, wenn die Massenbewegung sich weiterhin an die Rockschöße der für die Unabhängigkeit eintretenden katalanischen Kleinbourgeoisie klammert.

Es gilt, die Einheit der ArbeiterInnen und Angestellten, Jugendlichen, Arbeitslosen und RentnerInnen in ganz Spanien zu stärken, um die demokratischen Rechte zu verteidigen, indem sie Rajoy und die PP aus der Regierung jagen. Solche Einheit der Massen wurde zuletzt während der 15M-Bewegung gegen die Sparpakete lebendig, als ArbeiterInnen und Jugendliche Plätze in Madrid, Barcelona und vielen anderen Städten in jedem Teil des Landes besetzten. Der Ersatz der direkten Massenaktion durch Podemos’ Fixiertheit auf Wahlen hat die Aushöhlung dieser spontanen Einheit zur Folge gehabt. Es gibt jetzt eine akute Führungskrise innerhalb der progressiven, fortschrittlichen Kräfte in ganz Spanien, die das Terrain des Kampfes zugunsten „radikal“-linker NationalistInnen aufgegeben haben, die im Separatismus den einzigen Weg vorwärts sehen.

Außerhalb Kataloniens liegt die Pflicht und Verantwortung bei den SozialistInnen in Podemos, dem linken Flügel der PSOE und BasisaktivistInnen von CC.OO. und UGT, um über ohnmächtige Forderungen nach Verhandlungen hinaus und stattdessen auf die Straßen zu gehen und sich an den Arbeitsplätzen, Bildungseinrichtungen und in ArbeiterInnenwohngebieten für Massenaktionen zu rüsten, um die Regierungsoffensive zu vereiteln, bevor sie weitere Kreise zieht.

ArbeiterInnenmacht

Die Regierungen der Europäischen Union, die stillschweigend oder offen die betrügerische „Legalität“ Rajoys und die Polizeirepression bestärkt haben, sind die Feindinnen der spanischen Lohn- und GehaltsempfängerInnen und ihrer demokratischen Rechte. Ihre Solidarität mit Rajoys Aktionen zeigt ihre Missachtung der Demokratie und ist ein Hinweis darauf, was sie ihrer eigenen ArbeiterInnenklasse antun würden, wenn sie damit durchkämen. Wenn es um demokratische und nationale Rechte geht, dann achten die KapitalistInnen, ob für oder gegen die Unabhängigkeit, nur auf ihre eigenen Interessen.

Es sind die ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegungen, ArbeiterInnenparteien und radikale Jugend Europas, an die die katalanische LohnarbeiterInnenschaft appellieren sollte, und die verpflichtet sind, ihnen zu Hilfe zu kommen.

Gegen den nationalen Chauvinismus und Separatismus, der katalanische ArbeiterInnen gegen die Klassengeschwister im Rest des Landes Hahnenkämpfe ausfechten lässt, sollten SozialistInnen sich für eine ArbeiterInnenregierung stark machen, bestehend aus in den ArbeiterInnenwohngebieten, Betrieben, Bildungseinrichtungen und Gewerkschaften gewählten Delegierten und Betriebs-, Schul- und Universitätskomitees, die von den Verteidigungsausschüssen geschützt werden.

Eine ArbeiterInnenregierung in Katalonien und Spanien sollte Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlungen einberufen, deren Aufgabe es ist, die undemokratischen Utensilien der Verfassung von 1978, einschließlich der Monarchie, des Senats und des Obersten Gerichtshofs hinwegzufegen; die Sparpolitik zu beenden und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem sie Banken, Industrie und Kapitalistenvermögen unter ArbeiterInnenkontrolle stellt und die nationale Frage durch eine freie Assoziation der Völker in einer sozialistischen Föderation der Iberischen Halbinsel löst.