Myanmar: Armee eskaliert das Morden

Dave Stockton, Infomail 1144, 1. April

Die Tatmadaw, die Streitkräfte und MassenmörderInnen, die Myanmar regieren, greifen mehr und mehr zum systematischen Mord an den AnhängerInnen der Protestbewegung. Die Zahl der Toten steigt rapide. Die Hilfsvereinigung für politische Gefangene, die wichtigste Menschenrechtsorganisation des Landes, bestätigt die Tötung von 459 ZivilistInnen. Die wahre Zahl liegt aber wahrscheinlich viel höher. Am 27. März wurden mindestens 40 Menschen in Mandalay und mindestens 27 Menschen in Yangon (Rangun) umgebracht. Die Polizei ermordete sogar Menschen in ihren eigenen Häusern, darunter ein siebenjähriges Mädchen, dem in den Bauch geschossen wurde, eine von 20 Minderjährigen im Alter zwischen 10 und 16 Jahren, die seit dem Putsch getötet wurden.

Darüber hinaus hat die Luftwaffe, die ein Zusammengehen der unbewaffneten Proteste des zivilen Ungehorsams mit den bewaffneten RebellInnen der ethnischen Minderheiten befürchtet, mit der Bombardierung von Dörfern im östlichen Bundesstaat Karen begonnen, wodurch Tausende über die Grenze nach Thailand geflohen sind. Drei dieser bewaffneten Gruppen, darunter die Arakan-Armee des Staates Rakhaing haben gemeinsam das Militär aufgefordert, das Töten einzustellen.

Repression und Zuspitzung der Lage

Während das Gemetzel in anderen Städten weiterging, sprach in der Hauptstadt Naypyidaw der oberste Mörder des Landes, Min Aung Hlaing, bei der Militärparade zum Tag der Streitkräfte, bei der auch VertreterInnen des chinesischen und russischen Militärs unauffällig anwesend waren. Gleich und gleich gesellt sich gern … , wie man so schön sagt. „Russland ist ein wahrer Freund“, bemerkte der Putschist, was auch der syrische Schlächter Baschar al-Assad bezeugen würde.

Es besteht nun die sehr reale Möglichkeit, dass die Tatmadaw das grausame Abschlachten der Opposition von 1988 wiederholt, bei dem an die 10.000 Menschen ums Leben kamen. Allein am Samstag, den 27. März, gab es 114 Tote, viele davon durch gezielte Kopfschüsse. Damit erfüllte die Armee eine ausdrückliche Drohung: „Ihr solltet aus der Tragödie früherer hässlicher Todesfälle lernen, dass ihr in Gefahr sein könnt, in Kopf und Rücken geschossen zu werden“, verkündete die Armee über ihren MRTV-Nachrichtenkanal am Freitag.

An den darauffolgenden Tagen kam es dennoch zu zahlreichen Zusammenkünften in Rangun, Mandalay und Dutzenden von Städten und Ortschaften im ganzen Land. Es gibt weit verbreitete Streiks von Regierungsangestellten, die das nicht-militärische Funktionieren des Staates lahmgelegt haben. Friedliche Demonstrationen weichen auch einem entschlosseneren Widerstand in Stadtbezirken Yangons wie Hlaing Tharyar und Süd-Dagon. Es sind Bilder von Protestierenden aufgetaucht, die Schleudern, Molotowcocktails und sogar selbstgebaute Gewehre hinter aus Sandsäcken gebauten Barrikaden abfeuerten, nachdem sie unter Beschuss der Sicherheitskräfte geraten waren.

Der Fernsehsender Al Jazeera interviewte einen zwanzigjährigen Anführer, Codename „Fox“, von einer der kleinen Gruppen, die diesen kämpferischen Widerstand organisieren. Er sagte, dass er und seine Gruppe friedlich demonstrierten, bis das Militär begann, ihre FreundInnen zu töten: „Da haben wir beschlossen, dass wir zurückschlagen werden“. Er berichtete jedoch auch, dass sie in den Untergrund gehen mussten, als die Polizei eine Person gefangen nahm und die Namen auf ihrem Mobiltelefon benutzte, um den Rest zu jagen.

Die Protestbewegung hat sich auch auf Regionen ausgeweitet, die von den nationalen Minderheiten Myanmars bewohnt werden, zu denen rund 30 % der Bevölkerung zählen. Das Generalstreikkomitee der Nationalitäten forderte in einem offenen Brief auf Facebook die RebellInnen in diesen Regionen auf, denjenigen zu helfen, die sich dem Militär entgegenstellen: „Es ist notwendig, dass die bewaffneten ethnischen Organisationen gemeinsam das Volk schützen“.

Am Wochenende des 27. und 28. März kam es in der Nähe der thailändischen Grenze zu schweren Zusammenstößen zwischen Truppen der Tatmadaw und GuerillakämpferInnen der Nationalen Union von Karen, KNU, als Düsenjäger einen ihrer Stützpunkte bombardierten. Das Militär hat nie auch nur das geringste Maß an Autonomie für die Minderheiten akzeptiert und eindeutig Waffenstillstände, die mit der zivilen Regierung von Aung San Suu Kyi ausgehandelt wurden, gebrochen. Zehntausende von Karen leben nach wiederholten Bombardierungen durch das Militär seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern in Thailand.

Die anhaltenden Generalstreiks der Bahn-, Bank-, Fabrik- und LadenarbeiterInnen sowie der BeamtInnen haben die Wirtschaft lahmgelegt. Finanzielle Transaktionen sind zum Stillstand gekommen, nachdem die Mehrheit des Personals bei großen Privatbanken wie Kanbawza (KBZ) und Ayeyarwady (AYA) die Arbeit niedergelegt hat. Sogar die militärinterne Myawaddy-Bank meldete, dass ihre Bargeldreserven gering seien und begrenzte die Bargeldabhebungen auf 355 US-Dollar pro Tag.

Die verstärkte Verbarrikadierung und Selbstverteidigung von Schlüsselbezirken und, wo immer möglich, die Bewaffnung der DemonstrantInnen, kombiniert mit dem Generalstreik und einer Einheitsfront mit den nationalen Minderheiten, könnte die Generäle in die Defensive treiben, Einheit und Disziplin der Armee brechen. Das ist die einzige Hoffnung, aber sie ist nicht aussichtslos. Es gibt viele Berichte, dass Sicherheitskräfte nicht nur nach Indien desertieren, sondern sich der Protestbewegung anschließen.

Was tun?

Um den Widerstand gegen die Tatmadaw zu maximieren, muss die Demokratiebewegung unter der Bamar-Mehrheit das Selbstbestimmungsrecht der anderen Nationalitäten offen als einen wesentlichen Bestandteil ihres eigenen Programms für Demokratie anerkennen.

Sicher ist, dass Gewaltlosigkeit oder „moralische Gewalt“ weder die Bestien, die die Tatmadaw anführen, zähmen noch die Disziplin der SoldatInnen und der Polizei brechen wird. Diese Kräfte müssen erkennen, dass die Bewegung gewinnen kann, dass sie gewinnt, und dass sie sich ihr anschließen sollten, oder sie werden sich für ihre Taten vor der Volksjustiz verantworten müssen. Dann wird die Disziplin zerbröckeln. Die Unterstützung von ArbeiterInnen aus Nachbarländern und der ganzen Welt ist ebenfalls wichtig. Diese sollte sich auf Aktionen der ArbeiterInnenschaft konzentrieren, um Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit, Finanztransfers oder Handel mit der Junta zu stoppen.

Der entscheidende Punkt ist, dass in Myanmar wie in den vielen spontanen Volksrevolutionen der vergangenen zwei Jahrzehnte die Bewegung gegen die Diktatur, die von der Jugend und den ArbeiterInnen angeführt wird, einen organisierten politischen Ausdruck braucht, der weit kühner ist als die Nationale Liga für Demokratie und ihre mit dem Blut nationaler Minderheiten befleckte Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Sie und ihre Regierung haben wiederholt angedeutet, dass sie weiterhin das Militär als nationale Institution unterstützen. Im Jahr 2017 weigerte sie sich beschämenderweise, die brutale Vertreibung von 723.000 Rohingyas nach Bangladesch und die Inhaftierung von weiteren 130.000 in elenden Lagern in der Provinz Rakhine zu verurteilen.

Der massive und heldenhafte Widerstand gegen den Putsch in Myanmar zeigt genauso wie die massenhaften Volksaufstände in Ägypten, Syrien und einer Reihe anderer Länder während des vergangenen Jahrzehnts, dass das Militär und die Polizeikräfte Agenturen der Tyrannei über genau die Menschen sind, die sie angeblich verteidigen sollen. Sie müssen im Prozess der Revolution zerschlagen, aufgelöst und durch Milizen der ArbeiterInnen und Massen ersetzt werden. Ebenso müssen die GroßkapitalistInnen, sowohl die ausländischen als auch die einheimischen, enteignet und die Industrien, Banken, Agrarbetriebe, Minen usw. des Landes in einem geplanten Entwicklungssystem zusammengefasst werden, das von den Organisationen der ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen kontrolliert wird.

Zu guter Letzt: Sollte die Revolution von 2021 tragischerweise daran scheitern, die Macht des Militärs zu brechen und damit enden, dass Zehntausende, vielleicht Hunderttausende, ins Exil fliehen, wird die Notwendigkeit einer revolutionären kommunistischen Organisation noch akuter sein. Sie kann von einer riesigen Schicht junger Militanter wie „Fox“ aufgebaut werden, wenn sie die Lehren daraus ziehen, die Sackgasse eines Patriotismus, der auf der Bamar-Mehrheitsethnie und dem Pazifismus aufbaut, zurückweisen und das Programm der permanenten Revolution annehmen, d. h. den Kampf für demokratische Forderungen in den Rahmen des Kampf für die Macht der ArbeiterInnen im Bündnis mit den Bauern und Bäuerinnen in Myanmar und international stellen.




Myanmar: Der Widerstand gegen den Putsch geht weiter – Solidarität mit den ArbeiterInnen und der Jugend!

Dave Stockton, Infomail 1142, 11. März 2021

Der März eskalierte die Repression durch das Militär Myanmars – die Tatmadaw – gegen völlig friedliche und unbewaffnete DemonstrantInnen massiv. Neben Gummigeschossen und scharfer Munition werden auch Splittergranaten eingesetzt, die einen Kugelhagel ausstoßen, der schwere Verletzungen verursacht.

In der nördlichen Stadt Myitkyina haben Scharfschützen wahllos von Gebäuden entlang der Demonstrationsrouten geschossen. In Yangon (Rangun) und anderen Städten werden bei nächtlichen Razzien Hunderte von Menschen aufgegriffen, die Zahl der Festgenommenen liegt nach den Angaben der Menschenrechtsorganisationen des Landes inzwischen bei weit über tausend.

Ein FunktionärIn der National League for Democracy, NLD, deren Präsidentin Aung San Suu Kyi inhaftiert ist, ist im Gewahrsam gestorben, es ist der zweite innerhalb von zwei Tagen.

Angesichts der immer massiver werdenden Demonstrationen setzt Min Aung Hlaing, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, zunehmend tödliche Gewalt ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Wie Macbeth in Shakespeares Drama denkt er zweifelsohne: „Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen / Dass, wollt‘ ich nun im Waten stille stehn / Rückkehr so schwierig wär‘, als durch zu gehn.“

Nach UN-Quellen hat die Zahl der Todesopfer seit dem 1. Februar inzwischen die 50 überschritten. Allein am 28. Februar gab es 18 Tote und über 30 Schwerverletzte. Dann, am 3. März, tötete die paramilitärische Polizei mit Sturmgewehren mindestens 38 Menschen. Das Töten und Verstümmeln fand in Yangon, der größten Stadt und dem Industriezentrum des Landes, in Mandalay und vielen anderen Städten des Landes statt. Aber die Niederschlagung der landesweiten Revolte wird ein weit tieferes Waten im Blut erfordern.

Dennoch hat die massive Zunahme von Tötungen und Massenverhaftungen die Proteste bisher nicht beenden können. Vielmehr haben sie die DemonstrantInnen gezwungen, defensive Maßnahmen zu ergreifen. Während sie immer noch völlig friedlich bleiben, haben junge Leute Reihen von „VerteidigerInnen“ mit Helmen und improvisierten Schilden organisiert und Barrikaden errichtet, um die Durchfahrt von Militärfahrzeugen zu verhindern.

Zunehmende Rolle der ArbeiterInnenklasse

Ein entscheidender Faktor für die Niederschlagung des Putsches ist die zunehmende Rolle, die die ArbeiterInnen bei den Protesten und wiederholten Streiks spielen. Die IndustriearbeiterInnen-Föderation von Myanmar, IWFM, und neun Einzelgewerkschaften riefen am 22. Februar und am 8. März, dem Internationalen Frauenkampftag, zu eintägigen Generalstreiks auf, bei denen Fabriken, Geschäfte, Regierungsbüros, Banken und Eisenbahnen bestreikt wurden. Die Föderation der BekleidungsarbeiterInnen von Myanmar, FGWM, die aus 20 lokalen Gewerkschaften besteht, hat eine wichtige Rolle gespielt. Ihre Fabriken produzieren für internationale Marken wie The North Face und H&M.

EisenbahnerInnen, BekleidungsarbeiterInnen, BeamtInnen, Beschäftigte im Gesundheitswesen und KupferminenarbeiterInnen haben sich wiederholt den Protesten angeschlossen. Streikende ArbeiterInnen der Eisenbahn sind in ihren Wohnanlagen vom Militär belagert worden, welches sie mit Verhaftungen bedrohte. Eine prominente Organisatorin, Moe Sandar Myint, erklärte: „Die ArbeiterInnen sind bereit für diesen Kampf. Wir wissen, dass sich die Situation unter der Militärdiktatur nur verschlechtern wird, deshalb werden wir als Einheit bis zum Ende kämpfen“. Kein Wunder also, dass alle unabhängigen Gewerkschaftsverbände Ende Februar verboten wurden.

Die städtische ArbeiterInnenklasse Myanmars ist seit der Öffnung des Landes für ausländische Investitionen vor zehn Jahren gewachsen, besonders in der größeren Industrieregion Yangon. Die ArbeiterInnen in der Textilindustrie, meist sehr junge Frauen, kommen vom Land und haben mit den patriarchalischen Traditionen, in denen sie aufgewachsen sind, gebrochen. Sie organisierten sich und kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Jetzt wurden Haftbefehle gegen zwanzig GewerkschaftsführerInnen ausgestellt, darunter die Vizepräsidentin der IWFM, Soe Lay. Ihre Präsidentin, Khang Zar, hat einen Appell an die Menschen in aller Welt gerichtet:

„Durch zivilen Ungehorsam, Proteste und Streiks melden sich die Menschen in Myanmar klar und lautstark zu Wort. Wir brauchen die internationale Gemeinschaft, um das Gleiche zu tun. Wir brauchen Sie, um an unserer Seite zu stehen, damit dieser Putsch zusammenbricht.“

Stellung des Militärs

Es ist jetzt klar, dass die Generäle nicht einfach durch den wiederholten Beweis, dass die Bevölkerung in Myanmars Städten sie hasst und ihre Diktatur ablehnt, von der Macht verdrängt werden. Schließlich hat die Tatmadaw seit 1962 auch niemals wirklich die Macht an eine gewählte zivile Regierung abgetreten. Ihre Geschichte ist geprägt von Korruption, wirtschaftlicher Kontrolle und einem nicht enden wollenden Krieg gegen die ethnischen Minderheiten des Landes (Kachin, Karen, Kayin, Mon, Rohingya usw.), die 32 % der Bevölkerung ausmachen, aber seit langem von der Bamar-Mehrheit unterdrückt werden.

Obwohl es klar ist, dass der Widerstand der jugendlichen DemonstrantInnen nichts an der Mentalität der Generalität geändert hat, die in ihren luxuriösen, mit Teakholz ausgekleideten Villen mit privaten Golfplätzen in Sonderzonen fernab der Städte leben, gibt es Anzeichen von Unzufriedenheit unter der Polizei. Bislang haben sie die Hauptlast der Drecksarbeit der Tatmadaw getragen. Einige haben den Befehl, auf unbewaffnete DemonstrantInnen zu schießen, verweigert und sind ins benachbarte Indien geflohen. In einer gemeinsamen Erklärung an die Polizei im indischen Mizoram erklärten vier OffizierInnen:

„Als die Bewegung des zivilen Ungehorsams an Fahrt aufnahm und in verschiedenen Orten Proteste von Anti-Putsch-DemonstrantInnen stattfanden, wurden wir angewiesen, auf die Protestierenden zu schießen. In einem solchen Szenario besitzen wir nicht den Mut, auf unsere eigenen Leute zu schießen, die friedliche DemonstrantInnen sind.“

Nur wenn die ArbeiterInnenklasse die Wirtschaft zum Stillstand bringen kann und AktivistInnen die Moral der „Ordnungskräfte“ untergraben können, nur wenn die namenlosen VerteidigerInnen sich bewaffnen, kurz, nur wenn die Proteste zu einer Revolution und einem Aufstand entwickelt werden, kann gesiegt werden. Das ist die zentrale Lektion des Arabischen Frühlings vor zehn Jahren.

Imperialistische Heuchelei

US-Präsident Joe Biden hat den Putsch verurteilt und die USA haben begrenzte Sanktionen gegen Mitglieder des militärischen Oberkommandos verhängt. Australien hat die Anwendung von tödlicher Gewalt gegen ZivilistInnen, die ihre Rechte ausüben, verurteilt und sein Verteidigungskooperationsprogramm mit der Tatmadaw ausgesetzt. Der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Josep Borrell, verurteilte ebenfalls die „gewaltsame Unterdrückung friedlicher DemonstrantInnen durch das Militär in Myanmar“ und forderte „eine Rückkehr zur Demokratie“.

Noch im April und November des vergangenen Jahres wurde Min Aung Hlaing in Brüssel von den ChefInnen der NATO gefeiert. Er besuchte auch Deutschland, Österreich und Italien, um Hightech-Waffen und gepanzerte Fahrzeuge für seine Streitkräfte in ihrem Krieg gegen die ethnischen Minderheiten Myanmars zu kaufen. Diese Beziehung kam trotz der Vertreibung von 750.000 Rohingya im Jahr 2017 zustande, die der General gegenüber der NATO-Spitze zu verteidigen wagte. Tatsächlich beläuft sich der Verteidigungshaushalt des Landes bereits auf mehr als das Gesundheits- und Bildungsbudget zusammen. Doch jede Hoffnung, dass die westlichen imperialistischen Demokratien irgendetwas Entscheidendes unternehmen werden, ist vergebens.

Noch unwahrscheinlicher ist ein Wort des Widerstandes seitens des neuen imperialistischen Aufsteigers, dem „kommunistischen China“. Peking ist damit beschäftigt, seine neue Seidenstraße (One Belt, One Road) durch das Land zu bauen, um wichtige Häfen am Indischen Ozean zu erreichen. Diese Route ist von massiver strategischer Bedeutung für China, weil sie es der Schifffahrt und damit dem Handel erlauben würde, die Straße von Malakka zu umgehen, ein Engpass und potentieller „Abschnürungspunkt“ Chinas durch die USA und ihre Verbündeten.

Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass ein Regime, das 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tian’anmen-Platz) Tausende seiner eigenen DemonstrantInnen abschlachtete, gegenwärtig einen kulturellen Völkermord an einer Million UigurInnen begeht und gegen den demokratischen Widerstand in Hongkong vorgeht, einen solchen Aufstand in Myanmar auch nur verbal unterstützen wird.

Solidarität

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass SozialistInnen und GewerkschafterInnen in Europa nicht nur ihre Solidarität mit den jungen DemonstrantInnen und ArbeiterInnen in Myanmar zeigen, sondern auch ihre Regierungen zwingen, die Waffenlieferungen an die Tatmadaw einzustellen. GewerkschafterInnen und SozialistInnen auf der ganzen Welt müssen schnell reagieren, indem sie Waren, die aus Myanmar kommen oder für Myanmar bestimmt sind, blockieren. Länder, die Waffen an das Militär in Myanmar liefern, müssen unter Druck gesetzt werden, dies sofort zu beenden. In der Tat müssen alle Verbindungen mit der illegitimen Junta aufgedeckt und gekappt werden.

Wenn es den ArbeiterInnen Myanmars gelingt, die Streiks zu einem Generalstreik auszuweiten, könnte dies zu Spaltungen in der Armee führen, besonders zwischen der Basis und der Offizierskaste. Es sind die SoldatInnen und PolizistInnen, die die Waffen besitzen, und selbst die stärkste Volksbewegung wird immer besiegt werden, wenn sie unbewaffnet bleibt.

Denn letztlich wird die Verwandlung des Massenprotests in eine erfolgreiche Revolution nur dadurch möglich sein, indem die Disziplin der einfachen SoldatInnen aufgebrochen wird und sie auf die Seite des Volkes gezogen werden. Dann wäre es möglich die MörderInnen von der Macht zu vertreiben und sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Um dies zu beschleunigen, sollten Gewerkschaften und sozialistische Organisationen auf der ganzen Welt dringend praktische Schritte unternehmen, um den ArbeiterInnen und der Jugend Myanmars Solidarität entgegenzubringen.




Myanmar: Generalstreik und Riesendemonstrationen erschüttern die Militärherrschaft

Dave Stockton, Infomail 1140, 25. Februar 2021

Riesige Menschenmengen füllten am 22. Februar die Straßen der Städte Myanmars (Burma). Diese Tag war jener der bisher größten Proteste gegen die Machtübernahme am 1. Februar durch die korrupten und brutalen Tatmadaw, die Streitkräfte des Landes, unter der Führung von General und Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing. Die schiere Größe der Demonstrationen spiegelt die Tatsache wider, dass die ArbeiterInnen bei den Eisenbahnen, in Geschäften und Fabriken, Büros und Schulen das Land in einem massiven Generalstreik lahmgelegt hatten.

Obwohl die Polizei in der offiziellen Hauptstadt Naypyidaw Menschenmengen mit Wasserwerfern angriff, gab es bisher keine massive Welle der Repression wie 1988. Dies zeigt sowohl die Vorsicht der Generäle als auch ihre Einsicht, dass im Gegensatz zum großen Massaker von 1988 die ganze Welt zusieht.

Massenbewegung

Wie schon Tag für Tag seit Beginn des Monats, bildeten sich die größten Menschenmengen in Yangon (Rangun) und Mandalay, den beiden größten Städten des Landes. In Yangon trugen sie ein breites Transparent mit der Aufschrift „Power to the People“ (Macht dem Volk) in englischer Sprache, was eindeutig eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft bildet. Demonstrationen fanden auch in Myitkyina statt, der Hauptstadt der nördlichen Provinz Kachin, deren ethnische Minderheit eine lange Geschichte des Kampfes gegen aufeinanderfolgende Zentralregierungen aufweist.

Die Bewegung für zivilen Ungehorsam (CDM), eine lose Koordinationsgruppe des Widerstands, rief die Menschen auf, sich am Montag für eine „Fünf-Zweier-Revolution“ oder eine „Frühlingsrevolution“ zu vereinen. Diese Anspielung auf das Datum 22.2.2021 erinnert an die riesige Anti-Diktatur-Mobilisierung vom 8. August 1988, bekannt als die „Vier 8er“, die vom Militär beschossen wurde. Dieses Mal haben sich die Tatmadaw, zumindest bisher, mehr zurückgehalten.

Es gab jedoch eine drohende Stellungnahme des Militärs, die vom staatlichen Sender MRTV übertragen wurde und die friedlichen DemonstrantInnen des „Aufruhrs und der Anarchie“ beschuldigte. In ihr wurde behauptet, dass die OrganisatorInnen „jetzt die Menschen, besonders die emotionalen Teenager und Jugendlichen, zu einem Konfrontationskurs aufstacheln, bei dem sie den Verlust ihres Lebens erleiden werden“.

In der Tat haben bereits drei Menschen ihr Leben verloren, zwei davon am Sonntag in Mandalay. In der Zwischenzeit hat das Militär im Schutze der Dunkelheit Menschen zusammengetrieben, die sie verdächtigen, die OrganisatorInnen zu sein. Nach Angaben der unabhängigen Hilfsvereinigung für politische Gefangene (AAPP) sind es bisher 640.

Am 19. Februar fand eine riesige Begräbnisfeier für Mya Thwate Thwate Khaing statt, eine 20-jährige Supermarktangestellte, die in den Kopf geschossen wurde, als die Polizei das Feuer eröffnete, um DemonstrantInnen zu zerstreuen. Sie konnte 10 Tage lang noch mit lebenserhaltenden Maßnahmen gerettet werden, bevor sie kurz nach ihrem Geburtstag starb. Zwei weitere DemonstrantInnen, ein Teenager und ein Mann Anfang zwanzig, wurden in Mandalay getötet, als Truppen und Polizei mit scharfer Munition versuchten, die Menschenmenge zu zerstreuen.

Internationale Reaktionen

Der Sonderberichterstatter der UNO für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, erklärte: „Mit Wasserwerfern über Gummigeschosse bis hin zu Tränengas  feuern nun verstärkte Truppen aus nächster Nähe auf friedliche DemonstrantInnen. Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben, jetzt.“

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, Präsident Joe Biden und der US-Außenminister, Anthony Blinken, sowie führende Politiker der EU und Großbritanniens haben alle den Putsch verurteilt und Sanktionen gegen seine AnführerInnen angedroht. China hat jedoch geschwiegen, und der Grund dafür ist nicht schwer zu erkennen: der China-Myanmar-Wirtschaftskorridor, eine Reihe von Infrastrukturprojekten, die als Teil von Pekings „One Belt, One Road“ im Bau sind. Dieser wird China mit dem myanmarischen Hafen von Kyaukpyu am Indischen Ozean verbinden und es dem Handel ermöglichen, die Straße von Malakka zu umgehen, eine der verkehrsreichsten Schifffahrtsrouten der Welt und ein möglicher Punkt zur Abriegelung für die US-Marine in jedem internationalen Konflikt.

Die Beziehungen des Militärs zu China sind jedoch alles andere als gut, da die chinesische Regierung seit langem Waffen an die Kachin-RebellInnen geliefert und gute Beziehungen zu Aung San Suu Kyi gepflegt hat. Während China es gegen UN-Resolutionen schützen wird, wird der Putsch es sicherlich international isolieren zu einer Zeit, in der Myanmars Wirtschaft schwächelt.

Perspektive

Obwohl die tapfere Jugend und die ArbeiterInnen auf den Straßen der burmesischen Städte zweifellos auf die „westlichen Demokratien“ blicken, um ihnen zu Hilfe zu kommen, wird sich dies mehr auf wortreiche Verurteilungen als auf eine sinnvolle Aktion beschränken. Die Protestierenden werden auf ihre eigene Kraft setzen müssen, besonders auf den Generalstreik, um dem Militär zu zeigen, dass das Land stillstehen wird, bis es in seine Kasernen zurückkehrt.

Sollten die Generäle nachgeben, was ungeheuer demütigend wäre, zeigt die bisherige Bilanz, der legalen Regierungschefin Suu Kyi, dass sie immer noch ihre letzte Hoffnung sein könnte, um einen völligen Zusammenbruch des Regimes zu verhindern. Dies zeigt ihr Verhalten während der fünf Jahre, in denen ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) an der Regierung war. Besonders ihre Haltung zur ethnischen Säuberung der Rohingyas zeigt, dass sie bestenfalls eine sehr konservative Figur ist, deren Bekenntnis zur bürgerlichen Demokratie mit der Tatsache verbunden und ihr untergeordnet ist, dass sie mehrheitlich eine Bamar-Chauvinistin (Bamar: größte Ethnie Myanmars) ist. Sie hegt eindeutig nicht den Wunsch, die von ihrem Vater gegründete militärische Institution zu zerstören.

Trotzdem hat sie damit gedroht, ihre große parlamentarische Mehrheit zu nutzen, um Verfassungsänderungen vorzulegen, die den Anteil des Militärs an den Parlamentssitzen schrittweise von 25 Prozent, wie es die Verfassung von 2008 vorschreibt, auf nur fünf Prozent schrumpfen lassen. Dies hat sicherlich der dominierenden konservativen Fraktion der Tatmadaw den Wind aus den Segeln genommen, aber sollte der Coup ins Wanken geraten und nachgeben, wird zweifellos ein angeblich liberaler Flügel bereit sein, einen Deal mit Aung San Suu Kyi abzuschließen, und sie mit ihm.

Es ist daher dringend notwendig, dass im Zuge der Massenbewegung und der Generalstreiks alternative Machtorgane, Räte und Verteidigungsmilizen, aufgebaut werden und Kontakte in den Kasernen unter den einfache SoldatInnen ohne Befehlsgewalt hergestellt werden. Die gegenwärtige Bewegung muss von ihren begrenzten Forderungen, die NLD-Regierung wiederherzustellen und Suu Kyi aus dem Arrest zu befreien, zu revolutionären Zielen wie einer souveränen verfassunggebenden Versammlung übergehen, deren Delegierte gewählt werden und unter der Kontrolle der Massen stehen, ein Gremium, das alle Institutionen des burmesischen Staates und der Wirtschaft auf den Prüfstand stellen kann. Nur so kann eine konservative Restauration von Suu Kyi und der Erhalt der realen Macht der Generäle verhindert werden. Das Schicksal des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten sollte eine eindringliche Warnung sein.

Im Prozess der Kampagne für eine verfassunggebende Versammlung können SozialistInnen dafür kämpfen, eine demokratische in eine soziale Revolution zu verwandeln und eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenrätedemokratie aufzubauen. Nur dann wird das Gespenst künftiger Militärputsche für immer gebannt sein.




Militärputsch in Myanmar – vom Widerstand zur Revolution

Liga für die Fünfte Internationale, 9.2.2021, Infomail 1138, 11. Februar 2021

Seit einigen Tagen füllen Hunderttausende von DemonstrantInnen die Straßen der größten Stadt Myanmars, Rangun, der zweitgrössten Stadt, Mandalay, der Hauptstadt Naypyidaw und vieler anderer Städte und Ortschaften. Sie skandieren „Military dictator, fail, fail; Democracy, win, win“ („Militärdiktator, scheitern, scheitern; Demokratie, siegen, siegen“) und fordern ein Ende des Putsches, der von der Junta unter dem Oberbefehlshaber der Armee, Min Aung Hlaing, durchgeführt wurde. In der Stadt Bago setzte die Polizei Wasserwerfer ein, schaffte es aber nicht, die Menschenmenge zu zerstreuen. In der Hauptstadt, wo sich das militärische Oberkommando befindet, wurden Gummigeschosse abgefeuert.

Das Militär, bekannt als Tatmadaw, startete den Coup vom 1. Februar, weil es zutiefst beunruhigt war über das Ausmaß des Sieges der Nationalen Liga für Demokratie (National League for Democracy; NLD) der Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in den Novemberwahlen, die 396 von 476 Sitzen im Parlament gewann. Ihre eigene Marionette, die Union Solidarity and Development Party (Partei für Einheit, Solidarität und Entwicklung), erlitt eine vernichtende Demütigung und erhielt nur 33 Sitze. Infolgedessen stehen Staatsrätin Suu Kyi und der Präsident der NLD, Win Myint, unter Hausarrest.

Das Militär behauptet, ohne jeglichen Beweis, dass die Wahlergebnisse vom November gefälscht waren. In Wirklichkeit hatte es Angst, dass eine weitere NLD-Regierung mit einer so großen Mehrheit im Parlament versucht sein könnte, die Verfassung von 2008 zu ändern. Diese verlieh den Streitkräften enorme Privilegien, einschließlich 25 Prozent der Sitze im Parlament, und die Kontrolle über wichtige Sicherheitsministerien. Sie schützt auch die Kontrolle der Militärelite über große Teile der Wirtschaft des Landes.

Bewegung

StudentInnen, BeamtInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen und FabrikarbeiterInnen, viele aus Firmen, die mit dem Militär verbunden sind, haben Streiks und Arbeitsniederlegungen begonnen. Um die Demonstrationen zu unterbinden, blockierten die Militärs sofort Facebook, Twitter und Instagram, und dann wurde die Verbindung zum gesamten Internet auf nur 16 Prozent der normalen Rate gedrosselt. Dennoch ist es ihnen nicht gelungen, die Demonstrationen zu unterdrücken, die am Wochenende des 6. und 7. Februar massenhafte Ausmaße annahmen.

Am dritten Tag der Mobilisierung wurden weit verbreitete Rufe nach einem Generalstreik laut. Trotz der Schließung der Social-Media-Kanäle haben die Mobilisierungen ihre eigenen Mittel zur Verbreitung der Aktionsaufrufe hervorgebracht. Von einem Ende des Landes zum anderen wird immer deutlicher, dass sich eine Revolution entwickelt, die nur mit brutalstem Vorgehen niedergeschlagen werden könnte.

Die Generäle haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie durchaus bereit sind, zu massiver Gewalt zu greifen. Tausende wurden getötet, als sie 1988 den Volksmacht-Aufstand niederschlugen, und erneut 2007, als die Armee die „Safran-Revolution“ zermalmte, die so genannt wurde, weil so viele buddhistische Mönche an den Demonstrationen beteiligt waren. Seitdem haben jedoch zehn Jahre einer „demokratischen Öffnung“ und die Nutzung sozialer Medien den Mut und das Selbstvertrauen einer großen Zahl junger Menschen gestärkt.

Bis jetzt scheint die Junta zu zögern, vielleicht aus Angst, die Moral ihrer Truppen zu testen, sollten sie aufgefordert werden, auf eine so extrem populäre Bewegung zu schießen. Stattdessen haben sie Pro-Armee-Gruppen mobilisiert, um gegen die DemonstrantInnen  aufzumarschieren. Es ist klar, dass diese Krise nicht unendlich weitergehen kann. Zwei HauptakteurInnen, die ArbeiterInnenklasse und die einfachen SoldatInnen werden bestimmen, wie sie sich weiterentwickelt. Wird ein umfassender Generalstreik das Land lahmlegen? Kann man sich auf die SoldatInnen verlassen, dass sie das Feuer auf ihre Landsleute eröffnen?

Führung

Das Problem, mit dem die Bewegung konfrontiert ist, ist das gleiche wie bei früheren Revolten, nämlich das Fehlen einer Führung, die organisch in den Massen verwurzelt ist. Von der NLD, deren rote Banner und Hemden überall zu sehen sind, wird nicht berichtet, dass sie die organisierende Kraft ist. Sie konzentriert sich ganz auf den Kult um ihre Führerin, Aung Sang Suu Kyi, die zuvor 15 Jahre in Haft verbracht hatte und ein unvergleichliches Prestige besitzt. Ihr Vater (Bogyoke) Aung Sang (1915–1947) war der Gründer der damaligen burmesischen Streitkräfte und trägt den Titel „Vater der Nation“.

Im Ausland wurde ihr Ruf jedoch durch die schändliche Art und Weise befleckt, wie sie 2017 die ethnische Säuberung und den versuchten Völkermord am Volk der Rohingya deckte, als 740.000 zur Flucht nach Bangladesch gezwungen wurden, wo sie in Lagern unter entsetzlichen Bedingungen leben. Trotz ihres Versagens, die Rechte der Minderheitsnationalitäten Myanmars, etwa 32 % der Bevölkerung, zu unterstützen, was ein Ergebnis ihres burmesischen (Bamar-)Nationalismus ist, ist sie immer noch enorm beliebt bei der Masse. Sollten die Dinge für die Generäle schlecht laufen, könnten sie sogar auf einen Deal mit ihr zurückgreifen, um eine revolutionäre Bewegung zu befrieden. In Anbetracht ihres bisherigen Verhaltens könnte sie dies durchaus akzeptieren.

Um das Fortschreiten des Putsches aufzuhalten, sind drei Dinge notwendig: die Fortsetzung der Massendemonstrationen, die Einleitung eines umfassenden unbefristeten Generalstreiks, der das Land zum Stillstand bringen wird, und dabei das Brechen der einfachen Soldaten der Streitkräfte und der unteren Ränge der Polizei von ihren Befehlshabern und ihre Gewinnung für die Bewegung.

Im Zuge eines solchen Generalstreiks sollten in allen Betrieben und Bildungsstätten Aktionsräte als Führung der Revolution gewählt werden. Aus diesen Mobilisierungen heraus sollten Verteidigungsgruppen von ArbeiterInnen, Jugendlichen, SoldatInnen, Bauern und Bäuerinnen gebildet werden. Wenn die SoldatInnen zur Revolution übergehen, müssen auch sie ihre eigenen Räte organisieren und die OffizierInnen und KommandantInnen durch gewählte, den Massen ergebene ersetzen.

Allein die Tatsache, dass die Generäle trotz eines Jahrzehnts „demokratischer Öffnung“ und der Präsenz der NLD in der Regierung seit 2015 immer noch an der wirklichen Macht, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch, festhielten, zeigt einfach, dass ihre Diktatur hinter einer Fassade der zivilen Herrschaft versteckt war.

Die Lehre aus den Revolutionen des Arabischen Frühlings von 2011 ist, dass ohne eine politische Partei der ArbeiterInnenklasse und der Jugend die Revolution entweder zerschlagen wird oder die Massen durch eine Umgruppierung der Generäle und der PolitikerInnen an der Spitze getäuscht werden. Eine konterrevolutionäre Führung von oben wird ein Vakuum füllen, das durch das Fehlen einer revolutionären Führung von unten entsteht. So ist heute, in Ägypten, Abd al-Fattah as-Sisi trotz der Mobilisierungen auf dem Tahrir-Platz ein noch brutalerer Diktator als Hosni Mubarak, der durch diese Demonstrationen gestürzt wurde.

Permanente Revolution

Nur eine durchgreifende demokratische politische Revolution, angeführt von der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, die sich zu einer sozialen Revolution weiterentwickelt, kann diese Situation grundlegend verändern. Es muss eine Revolution sein, die die Macht der Kaste der Generäle vollständig auflöst und die Repressionsmaschinerie des Staates endgültig zerschlägt. Sie muss auch ihre ökonomische Macht beenden, ihre unrechtmäßigen Gewinne beschlagnahmen, die ArbeiterInnenkontrolle in den Fabriken und Büros, den Schulen, Krankenhäusern und anderen Arbeitsstätten etablieren. Auf dem Lande müssen die Bauern und Bäuerinnen ihre eigenen Räte organisieren. Eine solche Revolution sollte die Militärregierung vertreiben und eine Regierung der ArbeiterInnen und Bauern sowie Bäuerinnen an die Macht bringen.

Angesichts der demokratischen Hoffnungen und Bestrebungen des Volkes nach so vielen Jahrzehnten der Diktatur wird es sehr wahrscheinlich notwendig sein, die Forderung nach Wahlen zu einer völlig souveränen verfassunggebenden Versammlung zu erheben und nicht einfach eine weitere NLD-Regierung zu installieren, die bereit ist, einen Deal mit der Tatmadaw einzugehen. Diese Wahlen sollten unter der Kontrolle von Komitees und Räten der ArbeiterInnen, der Jugend, von Bauern und Bäuerinnen durchgeführt und von deren Verteidigungsorganisationen bewacht werden. Die Versammlung sollte nicht nur die Rechte der burmesischen Mehrheitsethnie berücksichtigen, sondern auch das auf Selbstbestimmung aller nationalen Minderheiten des Landes, einschließlich der Rückkehr der Rohingya-Flüchtlinge.

Nicht zuletzt muss im Verlauf der Revolution eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnenklasse gebildet werden, die alle Versuche Suu Kyis und der NLD, erneut Kompromisse mit dem Militär einzugehen und das Land für ausländisches Kapital, ob aus dem Westen oder aus China, zu öffnen, herausfordern kann.

Schließlich sollten die KommunistInnen dafür kämpfen, dass eine konstituierende Versammlung alle ausländischen und einheimischen GroßkapitalistInnen enteignet und das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln einführt. Obwohl die Revolution in Myanmar also als eine Revolution für Demokratie beginnt, muss sie sich, um diese vollständig zu erreichen, zu einer Revolution für ArbeiterInnenmacht und Sozialismus entwickeln.

Unterstützung und Solidarität – von wem?

Zwei imperialistische „Lager“ verfolgen die Krise in Myanmar: zum einen die USA und ihre westlichen Verbündeten, zum anderen China und in geringerem Maße Russland. Die NLD, seit 2015 an der Regierung, hat versucht, Myanmar für den Westen zu öffnen. Trump zeigte wenig Interesse, aber der neue US-Präsident forderte die Generäle schnell auf, die Demokratie wiederherzustellen.

Sein nationaler Sicherheitsberater, Jake Sullivan, hat gesagt, das Weiße Haus prüfe „spezifische gezielte Sanktionen sowohl gegen Einzelpersonen als auch gegen vom Militär kontrollierte Einrichtungen, die es bereichern“. Diese „gezielten Sanktionen“, wie sie gegen Russland oder Venezuela gerichtet sind, werden der Sache der arbeitenden Menschen und der Jugend dieser Länder nicht ein Jota helfen.

Sie werden ebenso  wenig ändern wie Erklärungen des UN-Sicherheitsrates, der lediglich „tiefe Besorgnis“ über die willkürliche Inhaftierung von Mitgliedern der Regierung Myanmars zum Ausdruck brachte und ihre sofortige Freilassung forderte. Natürlich war dieser Entwurf einer Erklärung verwässert worden, um ein Veto Russlands und Chinas zu verhindern. China bleibt jedoch vorsichtig, um zu sehen, wer sich durchsetzen wird. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Wang Wenbin, erklärte, dass Peking immer noch versuche, die Situation in Myanmar zu verstehen“, während er gleichzeitig betonte, dass China „Myanmars freundlicher Nachbar“ sei und die Regierung hoffe, dass „alle Parteien in Myanmar ihre Streitigkeiten beilegen und die soziale und politische Stabilität aufrechterhalten können, indem sie die Verfassung und die Gesetze anwenden“. Chinas Außenminister, Wang Yi, hatte das Land Mitte Januar besucht und sowohl Aung Sang Suu Kyi als auch Min Aung Hlaing getroffen.

China hat große strategische und wirtschaftliche Interessen in Myanmar. Es ist ein wichtiges Glied im berühmten „one belt, one road“-Projekt, das chinesischen HändlerInnen direkten Zugang zum Indischen Ozean verschafft. Aber wie in anderen Ländern auch gab es in letzter Zeit Reibereien zwischen dem Militär und China wegen eines Wasserkraftprojektes und den Praktiken chinesischer Firmen bei großen Infrastrukturplänen. Wenn der Westen ernsthafte Maßnahmen ergreift, um Myanmar zu isolieren, wird er das Land mit Sicherheit in das Lager Pekings treiben, und das könnte seine Hand draufhalten.

Eines ist sicher, keine dieser Gruppen rivalisierender imperialistischer Mächte ist wirklich an den demokratischen Rechten oder der Souveränität Myanmars und seiner Völker interessiert, geschweige denn an der Unterstützung der Kämpfe der ArbeiterInnen und der Jugend Myanmars.

In den letzten Jahren ist das Land zum Ziel für immer mehr ausländisches Kapital geworden. Chinesische BekleidungsherstellerInnen gehören zu denjenigen, die sich im Land niedergelassen haben. Mittlerweile gibt es 350 große Fabriken, die 240.000 ArbeiterInnen beschäftigen, von denen über 90 Prozent Frauen sind. Die meisten ausländischen Direktinvestitionen kommen jedoch immer noch aus der südostasiatischen Region und hatten im Steuerjahr 2020 einen Wert von 5,5 Mrd. US-Dollar (4 Mrd. Britische Pfund). Singapur war der größte ausländische Investor mit einem Anteil von 34 Prozent an den gesamten genehmigten Investitionen. Hongkong war der zweitgrößte, mit 26 Prozent. Auf Immobilien und die verarbeitende Industrie entfielen jeweils etwa 20 Prozent.

Dennoch geht ein Großteil der Produktion der Fabriken des Landes nach Europa. Deutschland, Spanien und Großbritannien führen die Liste der ImporteurInnen von Produkten der Bekleidungs- und Schuhindustrie Myanmars an. Die großen Textilketten wie H&M könnten ein Ziel für Streikposten und Proteste in Solidarität mit den ArbeiterInnen und Jugendlichen des Landes werden.

Die westlichen imperialistischen Demokratien werden wie bisher nichts tun, um den Massen in Myanmar zu helfen, während vor allem China weiterhin die Generäle unterstützen wird. Es ist die ArbeiterInnenklasse auf der ganzen Welt, die ihre Solidarität mit einem Generalstreik und dem Widerstand ausdrücken sollte, falls das Militär zum Blutvergießen greift. SozialistInnen und KommunistInnen sollten ihre volle Unterstützung für den Widerstand gegen die Militärherrschaft in Myanmar erklären und einen ArbeiterInnenboykott als Zeichen unserer Solidarität verhängen.

  • Nieder mit der Militärjunta!
  • Solidarität mit dem Widerstand!
  • Vorwärts zu einer demokratischen und sozialen Revolution in Myanmar!



Myanmar: Schluss mit den ethnischen Säuberungen gegen die Rohingya!

Dave Stockton, Infomail 960, 11. September 2017

Bis zum 9. September sind mehr als 120.000 muslimische Rohingyas aus ihrer Heimat in der Rakhaing-Provinz (Rakhine), auch als Arakan bekannt, im südostasiatischen Staat Myanmar geflohen. Sie waren einer Militäroffensive gegen dort vermutete Terroristen ausgesetzt, die am 25. August begann. Soldaten sollen dabei Dörfer gebrandschatzt, Frauen vergewaltigt und BewohnerInnen ermordet haben.

Die Flüchtlinge sind zu Fuß oder mit Booten geflohen. Es wird auch davon berichtet, dass etliche von Minen zerfetzt worden sind, die die Streitkräfte von Myanmar entlang der Grenze zu Bangladesch gelegt haben, oder ertrunken sind, als ihre Boote kenterten. Weitere 400.000 der muslimischen Minderheit scheinen noch im Konfliktgebiet eingekesselt zu sein und sich in Lagern und verwüsteten Dörfern aufzuhalten.

Die Auffanglager von Kutupalong und Nayapara in Bangladesch sollen mit geschätzt mehr als 30.000 Rohingya überquellen, während andere in Behelfszelten und benachbarten Dörfern hausen. Eine unbekannte Anzahl Flüchtlinge befindet sich anscheinend im Niemandsland zwischen beiden Staaten, wo Hilfe kaum oder gar nicht hingelangt. Die Streitkräfte von Myanmar, die Tatmadaw, erklären die schweren Körperverletzungen damit, die Rohingya würden ihre eigenen Dörfer niederbrennen!

Ein Idol mit Dreck am Stecken

Diese ethnische Säuberung geht ohne Kritik vonseiten der de facto Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin des Landes Aung San Suu Kyi vonstatten, bislang als Heilige von den westlichen Medien gefeiert. In ihrer Dankesrede für den Nobelpreis sagte sie, ihr Lebensziel sei „eine Welt frei von Vertriebenen, Heimat- und Hoffnungslosen … eine Welt, in der jedes Fleckchen ein wahres Asyl ist, wo die EinwohnerInnen die Freiheit und die Möglichkeit haben werden, in Frieden zu leben.“

Man erzähle dies den Opfern dieses ungeheuerlichen Vorgehens! Aung San Suu Kyi hat sich nun als hochgradige Schwindlerin bloßgestellt. Die 20-jährige pakistanische Nobelpreisträgerin Matala Yousafzai hat ihre gleichermaßen ausgezeichnete Würdenträgerin aufgerufen, die „tragische und schändliche Behandlung“ der Rohingya zu verurteilen. Der Kolumnist des britischen Guardian George Monbiot fordert, der myanmarischen Politikerin den Preis überhaupt abzuerkennen.

Die Staatsberaterin und Generalsekretärin der „Nationalen Liga für Demokratie“ (NLD) schwieg bisher, als das Militär im nördlichen Rakhaing-Gebiet wütete, sah sich nun aber genötigt, Stellung zu den Vorfällen zu beziehen. Jedoch beschwerte sie sich dabei nur über die Berichterstattung zum grausamen Vorgehen des Militärs und erklärte diese zu „fake news“ und „Ansporn zum Terrorismus“.

Sie hat sich außerdem als gelehrige Schülerin des US-Präsidenten Donald Trump erwiesen, denn sie erklärte ferner: „Die Welt muss verstehen, dass die Angst nicht einfach auf Seiten der MuslimInnen, sondern genauso auf Seiten der BuddhistInnen liegt (…) ich glaube, dass sehr viele BuddhistInnen auch das Land aus verschiedenen Gründen verlassen haben und in den Flüchtlingslagern sind. Das ist das Ergebnis unserer Leiden.“

Ihre westlichen BewundererInnen, die sie Nelson Mandela und „Mahatma“ (Mohandas Karamchand) Gandhi gleichgestellt haben, behaupten, dass die zivilen VertreterInnen in Regierung und Parlament das burmesische Militär nicht kontrollieren und von daher nicht in deren Operationen eingreifen könnten. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte, dass Aung San Suu Kyi „sich vor gewaltige Aufgaben zur Modernisierung ihres Landes gestellt sehe“ und dass es „lebenswichtig“ sei, „dass sie die Unterstützung des burmesischen Militärs erhalte und dass ihre Versuche, den Frieden herzustellen, nicht vergeblich seien. Sie und alle in Burma haben dabei unsere volle Unterstützung“.

Britannien, verschiedene europäische Staaten und die USA haben alle stark auf Aung San Suu Kyi gesetzt. Als Myanmar viele Jahre vom brutalen Regiment der Tatmadaw beherrscht wurde und fest an China ausgerichtet war, konnten die Westmächte und ihre Medien nicht genug Loblieder auf „Die Dame“ singen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises war eine Folge davon. Die scheinbare „Rückkehr zur Demokratie“ 2011 ermöglichte einem Kreis von westlichen multinationalen Konzernen die Eröffnung von Büros in der Hauptstadt Yangon (Rangun) mit der Erwartung einträglicher Profite. Bis zur gegenwärtigen Flüchtlingsflut haben deren VertreterInnen die Nobelpreisträgerin immer wieder in Schutz genommen.

Doch die Fassade der Demokratie war dünn. Suu Kyi durfte nicht für das Präsidentenamt kandidieren, und die NLD-Kandidatin und die Regierung waren in ihren politischen Mitteln beschränkt. Die für die Streitkräfte zuständigen Ministerien und ihr Haushalt wurden voll unter militärischer Kontrolle belassen. Ihre VerteidigerInnen sagen, dass sie in der Klemme steckte und das Militär nicht herausfordern durfte, weil sie sonst wieder einen Putsch gegen die Zivilregierung riskiert hätte.

Zugleich waren die Hauptnutznießer der „Redefreiheit“ die buddhistischen Mönche, deren Safran-Revolution im September und Oktober 2007 die Generäle davon überzeugte, dass sie allmählich und vorsichtig die erste Reihe der Macht an sorgsam herangezogene ZivilistInnen abtreten sollten. Natürlich haben sie diesen Protest zunächst zerschlagen, danach wurden diese Bewegung und ihre Anführer jedoch inkorporiert. Nun, behaupten westliche KommentatorInnen, wage Aung San Suu Kyi es nicht, die weit verbreiteten buddhistischen und nationalistischen Gefühle zu verletzen, die zur Zeit äußerst islamfeindlich sind, denn es würde die Wahlchancen ihrer Partei mindern. In Wirklichkeit jedoch handelte sie als Feigenblatt und jetzt als offene Verteidigerin der Mörder aus dem Militär.

Eine lange Tradition von Rassismus und Repression

Die Unterdrückung der Rohingya in Myanmar ist nichts Neues. Der Staat verweigert ihnen die Anerkennung als StaatsbürgerInnen und auch als eine der 135 im Land verzeichneten Ethnien, da sie in Wirklichkeit Bangladeschis oder Bengalis seien. Aung San Suu Kyi selbst weigert sich, sie als Rohingya zu bezeichnen. Tatsächlich aber haben HistorikerInnen nachgewiesen, dass die Rohingya-Gemeinschaften schon Jahrhunderte in Rakhine gelebt haben, obwohl ihre Zahl sich durch den Zuzug von Arbeitskräften aus Bengalen unter der Herrschaft britischer Rajs (Könige) in Indien vergrößert hat. Jedenfalls haben sie keine andere Heimat, und sie als AusländerInnen im eigenen Land zu behandeln oder dabei zu helfen, sie zu vertreiben, ist ein bösartiger Akt von Chauvinismus und nationaler Unterdrückung.

Niemand sollte von Aung San Suu Kyis Reaktionen oder ihrem Nichtstun überrascht sein. 2013 zur Zeit der bereits damals landesweiten Stimmungsmache gegen MuslimInnen durch buddhistische Mönche und UltranationalistInnen gab sie den BBC-Nachrichten ein Interview, in dem sie gegenüber der Interviewpartnerin Mishal Husain die Gewalt von „beiden Seiten“ beklagte und sagte: “Muslime und Muslima sind betroffen gewesen, aber auch BuddhistInnen haben Gewalt erlitten.“

Dies sagte sie trotz der Tatsache, dass es eindeutig buddhistische Mönche waren, die damals die Pogrome gegen die muslimische Gemeinde von Meiktila in Zentralmyanmar anführten. Dabei wurden Häuser angezündet, und mehr als 40 Menschen starben. Als Speerspitze der meisten gegen die Rohingya gerichteten Aktionen operierte die faschistische „969 Bewegung des Buddhismus“ unter Führung von Ashin Wirathu. Diese Organisation ruft offen zur Ausrottung von ethnischen Minderheiten in Myanmar auf. Sie verteilt hasserfüllte Pamphlete gegen Minderheiten im Allgemeinen und MuslimInnen im Besonderen.

Die systematische Unterdrückung der Rohingya beschränkt sich jedoch nicht auf die faschistische Gewalt des buddhistischen Chauvinismus. Parlament und Regierung haben eine Reihe von Gesetzen erlassen, die Ehen zwischen StaatsbürgerInnen von Myanmar und den staatenlosen Rohingya praktisch untersagen. Konfessionswechsel unter 18 Jahren sind nicht erlaubt, danach nur mit Billigung von örtlichen Verwaltungen. Diese können Minderheiten auch Geburtenkontrollen auferlegen.

Diese unverhohlenen rassistischen Gesetze machen der muslimischen Minderheit das Leben noch unerträglicher. Die Aktionen der buddhistischen Straßenbanden, des Militärs und der GesetzgeberInnen verfolgen bei allen Differenzen ein gemeinsames Ziel: die Rohingya ganz aus Myanmar zu vertreiben.

Radikalisierung und Widerstand

Bis vor ein, zwei Jahren schien es trotz der grausamen Unterdrückung kaum Anzeichen für eine Radikalisierung unter den Muslimen und Muslima Myanmars zu geben. Im vergangenen Oktober und November führte aber eine bewaffnete Gruppe, die sich als Harakah al-Yakin (Glaubensbewegung auf Arabisch) bezeichnete und sich jüngst in Arakan Rohingya Rettungsarmee (Arakan Rohingya Salvation Army) umbenannt hat, Angriffe gegen die Regierungstruppen durch.

Ein Bericht der International Crisis Group, der im Time-Magazin Dezember 2016 erschien, schildert: „Am 9. Oktober hat die Glaubensbewegung vor Tagesanbruch Überfälle auf 3 Grenzpolizeistützpunkte verübt, darunter einen waghalsigen Angriff auf das Hauptquartier, eine Schlüsselstellung des Sicherheitsapparats. Es wurde in einer komplexen Attacke mit mehreren hundert Angreifern gestürmt. Dabei wurden selbst gebaute Sprengkörper eingesetzt und Hinterhaltsstellungen zum Beschuss des Zugangswegs gelegt, womit sich die Ankunft der Armeeverstärkung verzögerte, während die Angreifer die Waffenkammern plünderten. Bei einem weiteren Zusammenstoß am 12. November wurde ein höherer Armeeoffizier getötet. Diese Aktionen waren das Werk von entschlossenen, gut ausgebildeten Aufständischen, die wahrscheinlich weitere Angriffe ausführen werden.“

Harakah al-Yakins Wurzeln scheinen in Rohingya-Emigrantenkreisen zu liegen, die nun in Saudi-Arabien leben. Ihr Sprecher „Ata Ullah“ (Ataullah abu Ammar Jununi) hat in mehreren Videobotschaften erklärt, die Gruppe hätte zwei Jahre hunderte von Rekruten in Guerrilakampftechnik und Sprengstoffgebrauch ausgebildet und operiere nun im nördlichen Rakhaing-Gebiet. Die Flüchtlingslager für die Rohingya in Bangladesch könnten zweifellos ein Nährboden für die Rekrutierung solcher KämpferInnen sein. Sie werden auch Verbindungen zu den internationalen dschihadistischen Organisationen aufbauen, wenn dies nicht bereits geschehen ist. Doch laut der International Crisis Group bleibt es ein ortsgebundener und landesweiter Aufstand gegen die Sicherheitskräfte Myanmars und hat sich bislang nicht gegen ZivilistInnen oder nichtmuslimische religiöse Ziele gerichtet. Das alleinige erklärte Ziel der Bewegung bleibt die Sicherung der Rechte der Rohingya als StaatsbürgerInnen in Burma.

Der bewaffnete Selbstschutz und die Guerrillataktik sind eine Antwort auf die Aktionen der Tatmadaw, aber die Kraft, deren es bedarf, um die Rohingya zu befreien, muss bei den ArbeiterInnen und fortschrittlichen antichauvinistischen Jugendlichen in Myanmar und auch der umliegenden Länder liegen. Es liegt auf der Hand, dass Aung San Suu Kyi selbst als Demokratin eine Luftnummer ist, von der nichts zu erwarten und der nicht zu vertrauen ist. Das wird immer klarer, wenn ihre Rolle als Marionette für das Militär stärker hervortritt, oder wenn sie wie eine ausgequetschte Zitrone beiseite gewischt wird, da sie alle Glaubwürdigkeit verspielt hat.

International sollten SozialistInnen und die ArbeiterInnenbewegung die Beendigung aller wirtschaftlichen und logistischen Unterstützung für das Militär in Myanmar und seine Regierung fordern. Wir sollten stattdessen massive Hilfe für die Rohingya-Flüchtlinge und deren Aufnahme in verschiedene Staaten, darunter auch Australien, die EU und USA fordern. Wir sollten dem Widerstand der Rohingya beistehen, aber die vorherrschende Guerrilla-Strategie als ungeeignet für die Befreiung kritisieren und Taktiken, die in Kommunalismus oder religiöse Engstirnigkeit münden, ablehnen.

Wir rufen zum Rückzug des Militärs und der Polizei aus dem Rakhine-Gebiet auf und treten für den Aufbau demokratischer Milizen der EinwohnerInnen aller Nationalitäten, Religionen und Sprachgemeinschaften ein, so dass die Rohingya auf ihr Land und in ihre Dörfer zurückkehren können. So kann eine Grundlage gelegt werden für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Rohingya.