Schauprozesse in Hongkong

Peter Main, Infomail 1242, 17. Januar 2024

Am 18. Dezember begann in Hongkong der Prozess gegen Jimmy Lai, den Eigentümer der inzwischen eingestellten Apple Daily, der wichtigsten liberalen Zeitung Hongkongs. Lai, der seit drei Jahren inhaftiert ist, zumeist in Einzelhaft, muss sich vier Anklagen stellen, darunter drei Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz (NSL). Dieses wurde 2020 über Hongkong verhängt und verbietet effektiv jegliche Opposition oder Kritik an den Regierungen von Hongkong und Peking. Das Gesetz sieht im Falle einer Verurteilung eine lebenslange Haftstrafe vor, und die Erfolgsquote bei der Strafverfolgung liegt Berichten zufolge bei 100 Prozent.

Im Fall von Lai führte die Staatsanwaltschaft als Beweis für seine Schuld die Tatsache an, dass er in seiner Zeitung zur internationalen Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong aufgerufen und verschiedene internationale politische Persönlichkeiten auf seinem Twitter-Account hervorgehoben markiert hatte. Angesichts der weit verbreiteten Verurteilung des Prozesses in der ganzen Welt ist es erwähnenswert, dass die vierte Anklage nach dem britischen Kolonialgesetz gegen „Aufwiegelung“ erhoben wurde.

Verfahren gegen „Hongkong 47“

Der Prozess gegen Lai findet nur zwei Wochen nach dem Abschluss des Verfahrens gegen die „Hongkong 47“ statt. Ihr „Verbrechen“? Im Juli 2020 organisierten sie eine inoffizielle Vorwahl, um Kandidat:innen für die im September anstehenden Wahlen zum Legislativrat von Hongkong auszuwählen. Ihr Ziel war es, die Chancen zu maximieren, genügend Sitze zu gewinnen, um die Politik, einschließlich des von der von Peking eingesetzten Regierung vorgeschlagenen Haushalts, zu blockieren.

Nach dem Gesetz über die nationale Sicherheit stellt dies eine „Subversion“ dar, denn wenn der Haushalt nicht verabschiedet wird, kann die Regierung ihre Politik nicht umsetzen. Für die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), die die eigentliche Quelle aller Entscheidungen in China darstellt, haben die gewählten Volksvertreter:innen nicht das Recht, eine Regierung an der Umsetzung ihrer Politik zu hindern.

Der Vorwahlkampf war erfolgreicher als erwartet: Mehr als 600.000 Menschen, d. h. mehr als 13 % der gesamten Wähler:innenschaft, gaben ihre Stimme ab. Schließlich verschob die Covid-Pandemie die Wahl auf Dezember 2021. Bis dahin war den meisten Angeklagten Entlassung gegen Kaution verweigert worden und sie befanden sich in Untersuchungshaft. Nach wiederholten Anträgen der Staatsanwaltschaft auf Verschiebung des Prozesses mit der Begründung, dass mehr Zeit für den Abschluss der Ermittlungen erforderlich sei, blieben sie das ganze Jahr 2022 in Haft.

Auf den ersten Blick scheint das zu zeigen, dass sie über keine Beweise verfügte, um ihre Verfolgung zu unterstützen, als die Angeklagten inhaftiert wurden, aber der wahrscheinlichere Grund ist die Absicht, andere einzuschüchtern, die an irgendwelche Aktivitäten gegen die Regierung denken könnten.

In der Zwischenzeit erkannte die Regierung die weit verbreitete Unterstützung für die Angeklagten an, indem sie erklärte, es bestehe die „Gefahr der Pervertierung der Justiz, wenn der Prozess mit Geschworenen geführt wird“, und ernannte daher einen handverlesenen Richter, der den Fall verhandeln sollte. Der Prozess begann schließlich im Februar 2023, und schon bald stellte sich heraus, dass einige der Angeklagten tatsächlich im Auftrag der Regierung gehandelt hatten, indem sie heimlich Sitzungen zur Organisation der Vorwahlkampagne filmten und aufzeichneten. Ein Urteil wird nicht vor Ablauf von drei Monaten erwartet, so dass der Stress für die Gefangenen und ihre Familien anhält und als Warnung für andere dient.

Ironischer Weise endete dieses Verfahren am Tag der ersten Wahl zum Legislativrat, die nach den neuen Vorschriften stattfand. Bei der Wahl 2019, die nach dem vorherigen System stattfand, lag die Wahlbeteiligung bei 71,23 Prozent, und die „prodemokratischen“ Kandidat:innen gewannen mehr als 80 Prozent der Sitze in den 18 abstimmenden Bezirken. Damals wurden 90 Prozent der Sitze durch das Volk gewählt; diesmal waren weniger als 20 Prozent zu wählen, nur von der Regierung überprüfte Bewerber:innen durften kandidieren, und natürlich saßen die „prodemokratischen“ Kandidat:innen im Gefängnis. Die Wähler:innen in Hongkong machten ihre Ablehnung dieses manipulierten Systems deutlich, indem sie das Verfahren boykottierten; die Wahlbeteiligung lag bei nur 27,5 Prozent der Wahlberechtigten.

Weitere Verfahren

Im selben Monat beantragte Chow Hang-tung, eine Anwältin, die seit zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt, weil sie die Mahnwachen 2020 und 2021 zum Gedenken an das Tian’anmen-Massaker von 1989 organisiert hat, die Freilassung gegen Kaution, da noch kein Termin für ihren Prozess feststeht. Chow wurde kürzlich zusammen mit zwei Anwälten vom Festland, Xu Zhiyong und Ding Jiaxi, mit dem Menschenrechtspreis des Europäischen Rates der Gerichte und Anwaltschaften (CCBE) ausgezeichnet.

Der Richter lehnte ihren Antrag ab und begründete dies damit, dass er nicht wisse, ob ihr Handeln gegen das NSL verstoße. Es ist offensichtlich, dass die Richter das Gesetz nicht mehr auslegen und anwenden, sondern auf das Urteil der KPCh warten, oder, wie Chow es in ihrer Annahme des CCBE-Preises formulierte, „selbst ein ,unabhängiges Gericht‘ … wird in der Praxis zum Vollstrecker des parteiischen Willens der Partei“.

Die Inszenierung dieser Schauprozesse durch die KPCh bestätigt auf ihre Weise, dass selbst die elementarsten demokratischen Rechte – Redefreiheit, unabhängige politische Parteien, freie Wahlen – tatsächlich eine Bedrohung für ihre Herrschaft darstellen. Der Kampf für die Beibehaltung einiger dieser Rechte in Hongkong nach der Rückgabe des Gebiets an China im Jahr 1997 hat zu verschiedenen Zeiten Millionen von Menschen mobilisiert, war aber immer von der Annahme geprägt, dass es sich um eine Angelegenheit handelt, die nur Hongkong betrifft. Einige glaubten sogar, dass „Ein Land, zwei Systeme“ eine Art Garantie für den Sonderstatus der ehemaligen Kolonie darstellte. Es ist klarer denn je, dass der Kampf für selbst grundlegende demokratische Rechte in dem Gebiet nicht von dem Eintreten für diese Rechte in ganz China getrennt werden kann.

Heute verlangsamt sich die nationale Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit steigt, und es gibt Anzeichen von Spaltung und sogar Lähmung in den Reihen der KPCh selbst. Die Sozialist:innen in ganz China müssen sich in einer Partei auf der Grundlage eines Programms organisieren, in dessen Mittelpunkt der Aufbau unabhängiger Organisationen der Arbeiter:innenklasse steht – betriebliche Ausschüsse, unabhängige Gewerkschaften, eine Jugendorganisation, eine Frauenbewegung der Arbeiter:innenklasse – und das sich der Verteidigung der Arbeiter:inneninteressen, dem Widerstand gegen weitere Zugeständnisse an kapitalistische Willkür, dem Sturz der Diktatur und ihrer Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenorganisationen verpflichtet.




Neujahrserklärung der Chinesischen Revolutionären Sozialist:innen (Trotzkist:innen)

Chinesische Revolutionäre Sozialist:innen (Trotzkist:innen), 30. Dezember 2023, Infomail 1240, 1. Januar 2024

Wir veröffentlichen die folgende Erklärung in Solidarität mit ihren Verfasser:innen und als Beitrag zur Entwicklung revolutionärer Gruppen in China.

Das Jahr 2023 geht zu Ende und die Welt steht vor einer Krise, die möglicherweise tiefer ist als die Finanzkrise von 2008. Der russisch-ukrainische Krieg ist noch nicht beendet. Der Lebensstandard der Arbeiter:innenklasse in den europäischen und amerikanischen Ländern ist von der höchsten Inflation seit Jahrzehnten betroffen. Der palästinensisch-israelische Konflikt droht den gesamten Nahen Osten in einen Krieg zu stürzen, während die ohnehin schon schwachen Volkswirtschaften der meisten Länder der Dritten Welt unter dem Doppelschlag von Pandemien und geopolitischen Rivalitäten am Rande des Bankrotts stehen.

In China verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage, und das parteistaatliche System steuert stetig auf Instabilität zu. Die zwangsläufig ungleiche Entwicklung des Kapitals innerhalb Chinas in Verbindung mit den Verzerrungen der bürokratischen Kontrolle haben nicht nur zu sinkenden Wachstumsraten, sondern auch zu Spaltungen innerhalb der herrschenden bürokratischen Kaste geführt. Zu einem solchen historischen Zeitpunkt ist es nach Ansicht der chinesischen Trotzkist:innen an der Zeit, ihre Ansichten, Grundsätze und Positionen zur chinesischen Revolution öffentlich zu machen, sich von den Programmen der Maoist:innen (Mao-Linken) und der Liberalen abzugrenzen und die Strategie und Taktik für die bevorstehende Massenbewegung zu klären.

Als aufrichtige Marxist:innen-Leninist:innen halten wir diese Wahrheit für selbstverständlich, dass aufeinanderfolgende Produktionsweisen die menschliche Produktivität bis zu dem Punkt gesteigert haben, an dem ihre eigenen sozialen Strukturen eine weitere Entwicklung unmöglich machten. Damit die Produktion ein höheres Niveau erreichen konnte, mussten diese sozialen Strukturen in einer sozialen Revolution umgestürzt werden. Der Kapitalismus, der die Produktivkräfte bis zu einem globalen System der wirtschaftlichen Produktion entwickelt hat, hat nun den Punkt erreicht, an dem seine soziale Struktur die Gesellschaft vor die Alternative Sozialismus oder Barbarei stellt. Das Ziel des Sozialismus ist Freiheit, Gleichheit und die nachhaltige Entwicklung der Menschheit, und um diesem Ziel zu dienen, soll die Arbeiter:innenklasse, die selbst das Produkt des modernen Kapitalismus ist, die bürgerliche Staatsmaschinerie zerschlagen und durch einen Arbeiter:innenstaat ersetzen, um das kapitalistische System zur Erzielung von Profit zu stürzen und es durch eine Planwirtschaft zur Befriedigung der Bedürfnisse zu ersetzen, die den Weg zu einer staatenlosen und klassenlosen kommunistischen Gesellschaft ebnet.

Die Herrschaft von demokratisch rechenschaftspflichtigen Arbeiter:innenräten ist das entscheidende Merkmal eines Arbeiter:innenstaates, der den Weg zum Sozialismus und Kommunismus eröffnen kann. Dieses grundlegende Axiom des Marxismus wurde erstmals aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871 formuliert und von den Bolschewiki in der Russischen Revolution von 1917 weiterentwickelt. Es wurde durch die Erfahrungen der Sowjetunion, Chinas und der anderen degenerierten Arbeiter:innenstaaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und von denen keiner in der Lage war, seine Wirtschaft auf ein höheres Niveau als die fortgeschrittenen imperialistischen Staaten zu entwickeln, auf der negativen Seite bestätigt.

Die Kommunistische Partei Chinas (im Folgenden KPCh) war bei ihrer Gründung 1921 eine echte revolutionäre Arbeiter:innenpartei. Dennoch sah sich die KPCh infolge der falschen Führung durch die stalinistische Dritte Internationale und der historischen Niederlage des chinesischen Proletariats im Jahr 1927 mit ungeheuer harten Bedingungen konfrontiert, als alle städtischen Arbeiter:innenorganisationen und die Vorhut vernichtet wurden. Weit davon entfernt, ihre soziale Basis in der Arbeiter:innenklasse aufrechtzuerhalten, war die KPCh gezwungen, auf dem konservativen und rückständigen Land zu überleben, und rekrutierte ihre Soldat:innen aus der revolutionären Bauern- und Bäuerinnenschaft. Der Klassencharakter der Partei änderte sich allmählich in qualitativer Hinsicht. Als Mao Zedong und die Rote Armee 1936 in Yan’an (Yenan) eintrafen, war die KPCh bereits zu einer konterrevolutionären Partei einer militärisch-bürokratischen Kaste geworden, die bereit war, ihre Macht um jeden Preis zu verteidigen. Hier entstand der Maoismus, der „Stalinismus mit chinesischen Merkmalen“.

1949 kam die KPCh an der Spitze einer Volksfront an die Macht, deren ursprüngliches Programm eine längere Periode der kapitalistischen Entwicklung vorsah. Als sich dies als unmöglich erwies, stürzte die KPCh, die in der Staatsbürokratie verwurzelt war, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und schuf einen degenerierten Arbeiter:innenstaat. Obwohl die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse durch bürokratische Maßnahmen umgestürzt worden waren, wurde der Fortschritt hin zu qualitativ höheren Produktionsniveaus und sozialer Gleichheit durch die Herrschaft einer bürokratischen Kaste verhindert. Der Übergang zum Sozialismus erforderte daher den Sturz der KPCh durch eine politische Revolution.

Heute, 30 Jahre nach dem Beschluss der KPCh von 1992, den Kapitalismus wiederherzustellen, hat sich der Klassencharakter Chinas von einem kapitalistischen Land zu einem imperialistischen kapitalistischen Land mit globalen Ambitionen entwickelt. Die Aufgabe des chinesischen Proletariats ist daher nicht mehr die politische Revolution, sondern die soziale Revolution – mit anderen Worten, die proletarische Revolution müsste sowohl der Einparteiendiktatur als auch den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen, die vom Parteistaat verteidigt und gefördert werden, ein Ende setzen.

In der Epoche des Imperialismus – dem höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus – sind die objektiven Voraussetzungen für eine proletarische Revolution überall auf der Welt reif. Die Geschichte zeigt jedoch immer wieder, dass die subjektiven Bedingungen für eine Revolution ebenso wichtig sind wie die objektiven. Deshalb verkünden wir, die chinesischen Trotzkist:innen, auf der Grundlage der Prinzipien und Erfahrungen des Bundes der Kommunist:innen, der Ersten Internationale, des linken Flügels der Zweiten Internationale, der Dritten Internationale in der Ära Lenins und der Vierten Internationale in der Ära Trotzkis den Bürger:innen in China und der Welt die folgenden 10 Punkte als unsere Haltung:

1. Nieder mit der bürokratischen Diktatur! Abschaffung der „führenden Rolle“ der KPCh.

China ist ein kapitalistisches Land, wir fordern die sofortige Anerkennung aller demokratischen Forderungen, die mit dem Kapitalismus vereinbar sind, wie Vereinigungs-, Rede-, Bewegungsfreiheit, das Recht, unabhängige Gewerkschaften und Parteien zu bilden. Die öffentliche Verwaltung ist notwendig, aber die bürokratische Herrschaft ist es nicht: Alle Parteikomitees und Posten der KPCh in allen Bereichen des Lebens, in der Wirtschaft, in der Politik und im sozialen Bereich müssen aufgelöst werden. Die bürokratische Herrschaft hat die grundlegende Spaltung der Gesellschaft zwischen den Arbeiter:innen und der Kapitalist:innenklasse verschleiert, die die bürokratische Herrschaft unterstützt, solange sie die Kapitalakkumulation garantiert. Kein Vertrauen in die Kapitalist:innen und ihre Verbündeten im Kampf für die Rechte der Arbeiter:innen.

2. Für die Wahl von Betriebsausschüssen, die dann als Grundlage für Arbeiter:innenräte sich aus abwählbaren Delegierten zusammensetzen.

Aufgrund des Charakters des stalinistischen Regimes würde jede unabhängige Organisierung der Arbeiter:innenklasse sofort in Konflikt mit dem Staatsapparat geraten, welches Problem auch immer ihre Mobilisierung auslösen mag. In allen Betrieben und Fabriken sind die demokratisch gewählten betrieblichen Ausschüsse aller Arbeiter:innen die oberste Instanz. Die im Betriebsrat sitzenden Abgeordneten müssen jederzeit von einer Vollversammlung abberufen werden können. Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses, Offenlegung aller Management-Informationssysteme, Bücher und Konten zur Kontrolle durch die Arbeiter:innendeputierten.

Fabrikausschüsse sollen die Arbeiter:innenkontrolle in allen Aspekten der Produktion durchsetzen, einschließlich der Gewährleistung des Streikrechts und des Vetorechts gegen Entscheidungen der Unternehmensleitung – ob es um Löhne, Arbeitsbedingungen oder Entlassungen geht. Gegen die Privatisierung des Bankwesens und der staatlichen Monopolindustrien! Für Arbeiter:innenkontrolle über die People’s Bank of China (Chinesische Zentralbank), die Enteignung aller Geschäftsbanken und ihre Zusammenlegung zu einer einzigen Staatsbank, ein wesentlicher Schritt zur Einführung einer demokratischen Planung, die von einem staatlichen Planungsrat überwacht wird, wie es sowohl Lenin als auch die sowjetische linke Opposition in den frühen 1920er Jahren vorschlugen! Für Arbeiter:innenkontrolle über die staatlichen Industrien, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Energie, Wasser, Elektrizität, Telekommunikation, Eisenbahn, Luftfahrt und Mineralien.

3. Außerhalb des Arbeitsplatzes muss das Proletariat unabhängige Gewerkschaften als zentrales Element seiner Klassenorganisation haben.

Entweder durch die Umgestaltung der bestehenden „staatlichen“ Gewerkschaften oder Schaffung neuer Gewerkschaften in der demokratischen Bewegung müssen unabhängige Gewerkschaften ihren Mitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig sein und von ihnen kontrolliert werden. Gewerkschaftsfunktionär:innen müssen von den Gewerkschaftsmitgliedern direkt gewählt und abwählbar sein; die „führende Rolle der Partei“ wird abgeschafft; Gewerkschaftsfunktionär:innen erhalten das Durchschnittsgehalt ihrer Mitglieder.

4. Gegen die Zensurgesetze der KPCh-Bürokratie sollten die Lohnabhängigen selbst entscheiden, was sie veröffentlichen wollen.

Unterstützung der freien Verbreitung aller literarischen und künstlerischen Werke. Öffnung des Zugangs zu Presse, Zeitungen, Radio und Fernsehen für alle Arbeiter:innenorganisationen und unabhängigen Gewerkschaften. Beseitigung der Zensur in den sozialen Medien und Abschaffung der Internetzensur Great Firewall. Die Arbeiter:innen sollen das Recht haben, ohne staatliche Einmischung über jede Art von Gesetzgebung zu diskutieren. Wahl von Richter:innen und Prozessen an Arbeiter:innengerichten.

5. Die Freiheit aller werktätigen Schichten, politische Parteien zu gründen, das Recht jeder Gruppe von Arbeiter:innen und Klein:bäuerinnen, bei jeder Wahl ihre eigenen Kandidat:innen aufzustellen.

Alle Einwohnner:innen haben das Recht, politische Parteien zu gründen, die die demokratischen Rechte respektieren (und damit die Faschist:innen ausschließen). Transparente Wahl der jederzeit abberufbaren Dorfbevollmächtigten. Offenlegung der Buchführung und Konten jedes Dorfes. Vollständige Entschädigung der Opfer von Landbeschlagnahmungen und illegalen Landverkäufen. Wahl ländlicher Räte, die von einer bäuerlichen Miliz bewacht werden und die über die Nutzung der kollektiven Landressourcen, das Verkehrswesen, den Betrieb öffentlicher Einrichtungen und den Umweltschutz entscheiden werden. Widerstand gegen die Privatisierung von Grund und Boden in den Städten und auf dem Land. Forderung nach kostenlosen Krediten für Landwirt:innen zum Kauf von Maschinen und Düngemitteln sowie nach Anreizen für einzelne Bewirtschafter:innen, sich Genossenschaften sowie Versorgungs- und Vermarktungsgemeinschaften anzuschließen. Kontrolle großer kapitalisierter Unternehmen durch die Beschäftigten, die sich seit der Privatisierung der Kolchosen und Produktionsgenossenschaften im Zuge der Reform von Deng Xiaoping entwickelt haben. Aufbau moderner staatlicher Großbetriebe als Modell für die freiwillige Umstellung der individuellen/familiären Landwirtschaft. Massive Investitionen zur Verbesserung der kostenlosen Gesundheitsversorgung, des Verkehrswesens und der kulturellen Dienstleistungen in ländlichen Gebieten. Bereitstellung von kostenlosem öffentlichem Wohnraum für Landlose. Schrittweise Beseitigung des Stadt-Land-Gefälles durch die „Kombination von Land- und Industriearbeit“. Abschaffung des Systems der „Landfinanzierung“ und entschädigungslose Verstaatlichung des Immobiliensektors. Bereitstellung von angemessenem und kostenlosem öffentlichem Wohnraum für Familien mit geringem Einkommen.

6. Im Zuge der Revolution werden die Polizei, die bewaffnete Polizei und die nationale Sicherheitsbehörde aufgelöst und durch ein Komitee für öffentliche Sicherheit nach dem Vorbild der Tscheka in der frühen Sowjetära ersetzt.

Wie die Erfahrungen des Arabischen Frühlings zeigen, werden Revolutionen in autoritären Ländern mit demokratischen Forderungen beginnen, können aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie über das demokratische Stadium hinausgehen, die Soldat:innen von ihrem Oberkommando lösen und Teile von ihnen für die Revolution gewinnen. Das Massaker von Tian’anmen hat auch gezeigt, dass selbst bei einer Spaltung innerhalb der Bürokratie, wenn die dominierende Fraktion noch immer die Streitkräfte kontrolliert, diese zur Abwehr von Volksaufständen eingesetzt werden. In dieser Hinsicht besteht der Kern des revolutionären Programms daher darin, die Versammlungs-, Organisations- und Meinungsfreiheit der Soldat:innen zu unterstützen und ihre eigenen Befehlshaber:innen in Soldat:innenausschüsse zu wählen, die dann zum Soldat:innenrat werden.

Alle Arbeiter:innen erhalten eine militärische Ausbildung, bewaffnen sich und organisieren sich in betriebseigenen Milizen als Hüter:innen von Arbeiter:innenräten. Aufhebung des Gesetzes über die nationale Sicherheit in Hongkong. Sofortige Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Einberufung verfassunggebender Versammlungen sowohl auf Provinz- als auch auf nationaler Ebene. Die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Beziehungen zwischen der Region Hongkong und den Zentralbehörden werden der verfassunggebenden Nationalversammlung zur Überprüfung oder Änderung vorgelegt. Abschaffung der Todesstrafe. Für die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen.

7. Für die Rätedemokratie.

Um die bürokratische Diktatur zu stürzen, muss die Arbeiter:innenklasse ihre eigenen Mittel zur Ausübung der Staatsgewalt schaffen. Die unabhängigen Organisationen, die im Kampf gegen die Bürokratie entstanden sind, die Fabrikkomitees, müssen zu Arbeiter:innenräten (Sowjets) zusammengefasst werden. Die Sowjets werden die Arbeiter:innenklasse und ihre Verbündeten aus der armen Landbevölkerung organisieren, um einen Massenaufstand gegen den bürgerlichen Staat durchzuführen. Der Arbeiter:innenrat hat sowohl exekutive als auch legislative Funktionen. Der Arbeiter:innenrat und der Soldat:innenrat werden zusammengelegt, um die Sowjetregierung (Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung) als Form der proletarischen Diktatur zu bilden. Die Sowjetregierung setzt ein Preisüberwachungskomitee ein, das die Qualität und die Preise von Konsumgütern überwacht und die gleitende Skala der Löhne sicherstellt. Schaffung einer landesweiten Arbeitslosengewerkschaft, um den Arbeitslosen eine Berufsausbildung zu ermöglichen und die vorhandenen Arbeitsplätze anteilig auf die gesamte Erwerbsbevölkerung aufzuteilen.

8. Nieder mit jeder Art von sozialer Unterdrückung.

Ein typisches Merkmal der stalinistischen Regime ist, dass die Frauenbewegung und die Bewegung zur Befreiung der Homosexuellen tagtäglich von der Bürokratie unterdrückt und sogar verfolgt werden. In der Sowjetunion bedeutete die politische Konterrevolution der 1920er Jahre nicht nur die Errichtung einer bürokratischen Diktatur über Wirtschaft und Politik, sondern auch die Rückgängigmachung der nach 1917 eingeführten Reformen zur Bekämpfung der sozialen Unterdrückung. Der enorme Beitrag der Oktoberrevolution zur Befreiung der Homosexuellen und Frauen ist seit langem völlig zunichtegemacht worden. Reaktionäre Gesetze und Moralvorstellungen wurden wieder eingeführt. Überall in China verstärkte die stalinistische Bürokratie das bürgerliche Familienkonzept und diktierte weiterhin die Größe der Familie nach den unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnissen. Die Restauration des Kapitalismus und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen seit den 1990er Jahren haben die Unterdrückung der Frauen erheblich verschärft, und die chinesischen Frauen sind gezwungen, die dreifache Last von Arbeit, Haushalt und Kindererziehung zu tragen. Gleichzeitig wird die Jugend in Schulen und Klassenzimmern mit dem „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen in der neuen Ära von Xi Jinping“ indoktriniert, und sie wird nicht nur durch eine reaktionäre patriotische Moral getäuscht, sondern auch ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung beraubt. In diesem Zusammenhang sollten wir die folgenden Forderungen aufstellen:

  • Sozialisierung der Hausarbeit und Einrichtung von 24-Stunden-Kinderkrippen. Verbot der geschlechtsspezifischen Diskriminierung bei Einstellungen und Zulassungen. Kampf für eine unabhängige proletarische Frauenliga. Umfangreiche Investitionen und Ausbau von Frauenhäusern, Waisenhäusern, öffentlichen Kantinen und Wäschereien, kostenlosen Kliniken usw.

  • Aufhebung aller aufgezwungenen Familienpläne. Abschaffung der „Bedenkzeit für die Scheidung“ und vollständige Freigabe des Scheidungsrechts. Härtere Strafen für Unzucht mit Kindern, Frauen- und Kinderhandel und Vergewaltigung.

  • Gleichstellung von LGBTIAQ-Personen. Gegen Belästigung und Gewalt aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung.

  • Unterstützung der demokratischen Kontrolle von Schulen und Bildungssystemen durch Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen und Psycholog:innen. Erhöhung der Investitionen in die Bildung durch Erlass aller Studiengebühren, Honorare und Kosten für Unterkunft und Verpflegung von der Grundschule bis zur Universität, unabhängig von der Nationalität. Jugendverbände werden von keiner politischen Partei reguliert und üben die Kontrolle über ihre eigenen Kultur-, Verlags- und Verbreitungsorgane aus.

  • Abschaffung der Zensur, die der Jugend den Zugang zum bestehenden kulturellen Erbe der Welt verwehrt. Dies wird nur ihren Intellekt und ihren Kampfgeist schwächen und sie zum Opfer reaktionärer Ideen machen.

  • Abschaffung der Diskriminierung junger Menschen in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Auszubildende, Zeitarbeiter:innen und Festangestellte.

9. Das Recht der unterdrückten Völker auf Selbstbestimmung ist ein absolutes und unbedingtes demokratisches Recht, das die Stalin-Maoist:innen jedoch ständig leugneten.

Trotz des föderalen Charakters Sowjetrusslands seit seiner Gründung behielt der Stalinismus, wie auch bezüglich anderer Aspekte der politischen Praxis der bolschewistischen Partei, die Form bei und beraubte sie ihres revolutionären Inhalts. In der Sowjetunion und in allen degenerierten Arbeiterstaaten, die folgten, waren weder der föderale Charakter (UdSSR und Jugoslawien) noch der Einheitsstaat (China) unter dem Deckmantel der „autonomen Regionen“ eine freiwillige Föderation der Völker, sondern ein gemeinsames Gefängnis für alle Völker.

Der Marxismus vertritt die Auffassung, dass die Nation ein neuzeitliches politisches Konzept ist, das aus der Bildung eines gemeinsamen Marktes im Prozess der kapitalistischen Entwicklung unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren wie Geographie, Sprache, religiöse Überzeugungen usw. hervorgegangen ist. Daher bildet das Territorium Chinas während der dynastischen Periode ungeachtet seiner Grenzstreitigkeiten und historischen Veränderungen keine Quelle der Legitimität für den Anspruch auf „souveräne Integrität“. Im 19. und 20. Jahrhundert, in dieser kritischen Phase der nationalen Formierung in der kapitalistischen Entwicklung, haben Xinjiang (Sinkiang), Tibet und Taiwan entweder ihre Unabhängigkeit erklärt oder sich für lange Zeit von China abgespalten und sollten unter den Bedingungen der nationalen Formierung das Recht auf Selbstbestimmung genießen.

Nachdem die KPCh 1949 an die Macht gekommen war, marschierte die Volksbefreiungsarmee in Xinjiang und Tibet ein und beraubte die beiden ethnischen Gruppen ihres Selbstbestimmungsrechts. Seit den 1990er Jahren erlebten die Gebiete der ethnischen Minderheiten aufgrund der sozialen Konterrevolution, die durch die Restauration des Kapitalismus ausgelöst wurde, den Aufstieg religiöser Ideologien und Nationalismen. Wie die sozialen Gegenrevolutionen, die in anderen Bereichen des nationalen Lebens stattfanden, führte die Wiederherstellung des Kapitalismus einerseits zu separatistischen Gefühlen und andererseits zu eskalierenden Konflikten zwischen der von der KPCh unterstützten Han-Bevölkerung und den ethnischen Minderheiten. In den letzten Jahren ist Xinjiang zum typischsten Fall geworden.

Die proletarische Revolution muss zunächst das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Bevölkerung in Xinjiang und Tibet anerkennen, was das Recht auf Abspaltung durch ein Referendum einschließt. Vor allem, welche Form der Selbstbestimmung das sein könnte und ob sie dieses Recht ausüben wollen, hängt vom Willen der Indigenen ab. Dies ist nicht nur prinzipiell richtig, sondern auch in der Praxis die einzige Möglichkeit, die Spannungen zwischen der Han-Mehrheit und ethnischen Minderheiten aufgrund staatlicher Unterdrückung abzubauen. Daher ist die nationale Selbstbestimmung der einzige Weg, um die Unterstützung des Proletariats der nationalen Minderheiten für die chinesische Revolution zu gewinnen.

In der Zwischenzeit müssen alle Sozialist:innen, ob Han-Chines:innen oder ethnische Minderheiten, die Bildung einer sozialistischen Föderation Asiens fordern, der die Mitgliedsstaaten freiwillig beitreten und wieder austreten können, und dass Han-Chines:innen, die sich im Rahmen des staatlichen Kolonialprogramms in Xinjiang und Tibet niedergelassen haben, das Recht haben zu wählen, ob sie bleiben und sich gemeinsam mit den ethnischen Minderheiten entwickeln oder in ihre Heimat im chinesischen Stammland zurückkehren wollen, unabhängig von der Zukunft von Xinjiang und Tibet.

Die Forderungen der Sozialist:innen lauten:

  • Auflösung des Produktions- und Baukorps von Xinjiang.

  • Abzug der in Tibet stationierten Truppen.

  • Freilassung aller Uigur:innen und Abschaffung der „Umerziehungslager“.

  • Für Religionsfreiheit, Freiheit der einheimischen Sprachen und Kultur.

  • Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung.

  • Lang lebe eine Föderation der asiatischen Arbeiter:innenstaaten!

10. Eine Rückkehr zum proletarischen Internationalismus von Lenin und Trotzki.

Westliche Sozialist:innen haben die Auflösung der NATO, der Weltbank und des IWF gefordert, während chinesische Sozialist:innen die Auflösung der Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB), den Erlass aller Schulden der Entwicklungsländer, die Abschaffung der Gürtel- und Straßeninitiative (Neue Seidenstraße) und die kostenlose Schenkung von Infrastrukturprojekten in Afrika und Südostasien an die lokale Bevölkerung fordern. In Ländern, die zu Halbkolonien des chinesischen Imperialismus geworden sind (z. B. Pakistan), sollten alle Truppen von den Militärbasen in Übersee abgezogen, alle ungleichen Privilegien abgeschafft und ein Plan zur Kompensation der durch die Verlagerung von Produktionskapazitäten verursachten Umweltschäden angekündigt werden. Anerkennung der Souveränität eines Arbeiter:innenstaates bei der Festlegung der Kontrolle und Entwicklung der chinesischen Unternehmen in Übersee. Abschaffung der Geheimdiplomatie. Offenlegung aller mit dem Ausland abgeschlossenen Geheimverträge. Verurteilung des vom russischen Imperialismus geführten Krieges in der Ukraine. Hände weg von Taiwan. Aufhebung aller Sanktionen oder Gegensanktionen. Ablehnung aller Militärausgaben des Parteienstaates. Verurteilung des israelischen Siedlerkolonialismus und Unterstützung eines einheitlichen, säkularen und sozialistischen Staats in Palästina. Stopp der offiziellen Fremdenfeindlichkeitspropaganda und der militärischen Aufrüstung mit nuklearen oder konventionellen Waffen. Volle und gleiche Rechte für ausländische Einwohner:innen. Abgabe der revolutionären Erklärung an die Regierungen aller Länder und Aufruf zur Weltrevolution.

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Am Vorabend der Amerikanischen Revolution im Jahr 1776 schrieb Thomas Paine: „Die Sache Amerikas ist in hohem Maße die Sache der gesamten Menschheit. Viele Umstände sind eingetreten und werden eintreten, die nicht lokal, sondern universell sind und durch die die Prinzipien aller Menschenfreund:innen betroffen werden und an deren Zustandekommen ihre Zuneigung interessiert ist.“ Heute ist die Sache des chinesischen Proletariats in erster Linie auch die Sache der gesamten Menschheit, weil der internationale Charakter einer proletarischen Revolution natürlich die Grenzen des bürgerlichen Nationalstaates überwindet und die chinesische Revolution ein Glied in der Weltrevolution und im Übergang zu einer sozialistischen Weltföderation sein wird. Obwohl die chinesische Bourgeoisie derzeit ihre eigenen Gründe hat, sich dem Parteistaat zu widersetzen, und die Republik China als Banner für eine „demokratische Revolution“ benutzen kann, kann die chinesische Revolution eine echte Revolution sein, wenn und nur wenn sie in einer Machtergreifung durch das Proletariat endet.

Trotzki hat bei der Erläuterung des philosophischen Denkens von Marx und Engels einmal darauf hingewiesen: „Die Menschheit hat die dunklen spontanen Kräfte aus der Sphäre der Produktion und der Ideologie vertrieben und die barbarischen Konventionen durch Wissenschaft und Technik ersetzt. Die Ersetzung der Religion durch die Wissenschaft, die zur Renaissance und Reformation des 15. und 16. Jahrhunderts führte, war das Streben nach intellektueller Rationalität; und dann vertrieb die Menschheit das Unbewusste aus der Politik und stürzte die Monarchie und die Hierarchie durch ein demokratisches, rein rationalistisches parlamentarisches System und dann ein völlig transparentes Sowjetsystem. Es war das Streben nach politischer Rationalität, das mit den bürgerlichen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts begann und in der Oktoberrevolution kulminierte; und schließlich schlugen die blinden, spontanen Kräfte die tiefsten Wurzeln in den wirtschaftlichen Verhältnissen – aber dort trieb die Menschheit diese mit der sozialistischen Wirtschaftsorganisation aus, was alles ermöglichte, die wirtschaftliche Rationalität zu erreichen.“

Das Besondere an China ist, dass es ein Land ist, in dem keine der drei Rationalitäten – ideologisch, politisch, wirtschaftlich – verwirklicht wurde, und daher muss die Mission der proletarischen Revolution die Kombination aller drei sein.

Folglich müssen alle Revolutionär:innen, die die oben genannten Forderungen unterstützen, zunächst in einer einzigen Partei organisiert werden. Eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei muss demokratischen Zentralismus praktizieren – „ein Mitglied – eine Stimme“ für ihre Mitglieder und volle Freiheit in der Diskussion, wobei die Minderheit der Mehrheit gehorchen muss, Demokratie in der Entscheidungsfindung und absolute Disziplin in der Durchführung von Aktionen. Wie Lenin betonte, muss eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei als Vorhut der Arbeiter:innenklasse den Organisationsgrad, die Moral und das Bewusstsein des Proletariats durch jeden einzelnen Kampf anheben, bis sie in der Lage ist, die gesamte Klasse durch einen Aufstand zum Sturz des bürgerlichen Staates zu führen und eine Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung einzusetzen. Jede Arbeiter:innenpartei darf daher ihre Regierung nur durch die Erringung der Mehrheit der Sitze im Arbeiter:innen- und Soldat:innenrat bilden und niemals den Parteiapparat selbst als Regierungsmacht betrachten. Um die revolutionären Bewegungen jenseits der Grenzen zu fördern, zu koordinieren und zu vereinigen, rufen wir schließlich zu einer neuen Revolutionären Internationale auf, die auf dem demokratischen Zentralismus basiert, als Weltpartei für die sozialistische Revolution.

Obwohl wir derzeit eine winzige Minderheit innerhalb des chinesischen Proletariats von insgesamt 400 Millionen sind, obwohl wir der Feindschaft der zweitgrößten imperialistischen Macht und eines völlig totalitären KPCh-Staates gegenüberstehen, glauben wir, dass das chinesische Proletariat in seiner gerechten Macht den absoluten Sieg davontragen wird. Am Vorabend des Neujahrs 2024 bitten wir die kämpferischen Arbeiter:innen zu Hause und in der ganzen Welt, unseren Forderungen Gehör zu schenken und unseren Aktionen zu folgen.

  • Arbeiter :innen und Unterdrückte aller Länder, vereinigt euch!

  • Lang lebe die chinesische Revolution!

  • Lang lebe die Weltrevolution!



China nach dem 20. Parteikongress der KP

Peter Main, Revolutionärer Marxismus 55, Juni 2023

In den letzten Monaten des Jahres 2022 wurden der Welt zwei sehr unterschiedliche Bilder von China präsentiert. Der 20. Parteitag der KPCh, der Mitte Oktober stattfand, war das China, wie seine Herrscher:innen es von der Welt sehen wollten: geordnet, geeint, mächtig, ein Staat, mit dem man rechnen muss, ein Staat, der die Fremdherrschaft abgeschüttelt und sich unter einer entschlossenen und einfallsreichen Führung zu einer Weltmacht entwickelt hat.

Einige Wochen später verbreiteten sich Szenen von Straßenschlachten zwischen Tausenden von Bürger:innen und schwer bewaffneten Bereitschaftspolizist:innen nicht nur in Chinas Wirtschaftsmetropole S(c)hanghai, sondern auch in Provinzstädten im ganzen Land, in den sozialen Medien Chinas und anschließend in der ganzen Welt. Mitte Dezember wurde die Null-Covid-Politik, die vom Parteivorsitzenden und Staatspräsidenten Xi Jinping selbst nicht nur als notwendig, sondern auch als vorbildlich verteidigt wurde, vollständig abgeschafft.

Es lohnt sich, Xis Hinweis auf die Covid-Politik des Regimes, Zero-Covid, in seinem Bericht an den Parteitag ausführlich zu zitieren:

„Als wir auf den plötzlichen Ausbruch von Covid-19 reagierten, stellten wir die Menschen und ihr Leben über alles andere, arbeiteten daran, sowohl importierte Fälle als auch das Wiederaufflammen im eigenen Land zu verhindern, und verfolgten beharrlich eine dynamische Null-Covid-Politik. Indem wir einen umfassenden Volkskrieg gegen die Ausbreitung des Virus geführt haben, haben wir die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung so weit wie möglich geschützt und sowohl bei der Bekämpfung der Epidemie als auch bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung äußerst ermutigende Erfolge erzielt.“ (1)

Kein Wort über die Umkehrung dieser Politik. In der Tat wurde die Verpflichtung zur „dynamischen Null-Covid“-Politik in den folgenden Wochen immer wieder wiederholt, bis sie angesichts des breiten Widerstands nicht nur der aufbegehrenden Bevölkerung, sondern auch der Provinzbehörden, die es sich nicht mehr leisten konnten, sie durchzusetzen, kurzerhand fallen gelassen wurde. Auch die Sorge um den „größtmöglichen Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung“ scheint sich verflüchtigt zu haben, obwohl bei einer zu schnellen Aufhebung der Null-Covid-Bestimmungen eine Welle von Covid-Infektionen unvermeidlich gewesen wäre.

Die Kehrtwende in der Politik war nicht nur dramatisch, sondern auch ganz offensichtlich nicht geplant. Dies ist vielleicht noch bedeutsamer als der Wandel selbst und deutet darauf hin, dass Xis Führungsteam im Ständigen Ausschuss des Politbüros das Land nicht so vollständig im Griff hat, wie die Bilder der dicht gedrängten Reihen von Kongressdelegierten vermuten ließen.

In jüngster Zeit gab es weitere Anzeichen für weitreichende Änderungen der Politik. Im Zuge der dramatischen Schuldenkrise auf dem Immobilienmarkt, die durch Evergrande symbolisiert wird, aber keineswegs auf dieses Unternehmen beschränkt ist, wurden die „drei roten Linien“, die das Verhältnis von Schulden zu Vermögenswerten beschränken und die Krise ausgelöst hatten, im Dezember gelockert. Berichten zufolge sollte die Frist für die Einhaltung der neuen Quoten verlängert werden, um den Unternehmen und ihren Gläubiger:innen mehr Zeit zu geben, halbfertige Projekte abzuschließen und zu verkaufen.

Im Januar folgte dann eine plötzliche Lösung der Probleme, die das Regime bei einigen der reichsten und erfolgreichsten Privatunternehmen Chinas, den Hightechgiganten wie Alibaba, Tencent und Didi Chuxing (DiDi), entdeckt hatte. Die Unternehmen räumten ihre Fehler ordnungsgemäß ein, wie aus Berichten der Regulierungskommission für das Banken- und Versicherungswesen hervorgeht, und die Möglichkeit künftiger Fehler wurde dadurch beseitigt, dass der Staat „goldene Aktien“ erwarb, die eine größere Transparenz und, sagen wir, eine bessere Koordinierung mit den Prioritäten der Regierung gewährleisten werden. Oder, wie einige sagen würden, mit den Prioritäten der chinesischen Kommunistischen Partei.

Im Bereich der Außenbeziehungen wurde der Verfechter der „Wolfskrieger:innen“-Diplomatie, Zhao Lijian, in die Abteilung für Grenz- und Meeresangelegenheiten des Außenministeriums versetzt, d. h. degradiert, und stattdessen sahen wir Liu He, Vizepremier und ehemaliges Mitglied des Politbüros, wie er den Reichen und Einflussreichen in Davos freudig die Hand reichte und ihnen versicherte, dass Peking nichts so sehr wünsche wie herzliche gegenseitige Beziehungen.

Dass Regierungen ihre Politik ändern, manchmal sogar drastisch, ist natürlich nichts Neues. In den imperialistischen Demokratien ist es praktisch selbstverständlich, dass im Wahlkampf geäußerte Versprechen routinemäßig zurückgenommen oder ganz fallen gelassen werden, sobald man im Amt ist. In China gibt es jedoch keine Wähler:innen, die sich täuschen lassen, und so kurz nach der Präsentation des Parteikongresses passt das Fallenlassen von Null-Covid einfach nicht in das Schema einer Partei, die populäre Maßnahmen vorstellt, um die Zustimmung der Öffentlichkeit zu gewinnen, und dann auf die unpopuläre Politik zurückgreift, die sie schon immer umsetzen wollte. Im Gegenteil, es war die unpopuläre Politik, die hervorgehoben wurde.

Bedeutet dies also, dass die KPCh durchaus die Absicht hatte, mit Null-Covid fortzufahren, aber einfach nicht in der Lage war, ihre gewählte Politik durchzusetzen, da die scheinbar unwiderstehliche Kraft auf ein wirklich unbewegliches Objekt traf? Wenn ja, was war dieses unverrückbare Objekt? Und wie könnte eine Partei mit 96 Millionen Mitgliedern, 1,6 Millionen Ausschüssen in Privatunternehmen und einer entscheidenden Kontrolle über riesige staatliche Unternehmen nicht wissen, dass ihr ein solches Hindernis im Weg steht? Oder, wenn die Partei wusste, dass es unmöglich sein würde, Null-Covid durchzusetzen, und sicherlich hatten viele Kommentator:innen diese Meinung vor dem Kongress geäußert, warum hat sie sich dennoch auf die denkbar öffentlichste Weise für diese Politik eingesetzt?

Es ist bezeichnend, dass viele westliche Kommentator:innen die Antworten auf diese sehr offensichtlichen Fragen in der Persönlichkeit von Xi Jinping selbst gefunden haben, aber das erklärt wirklich nichts. Zweifellos muss man härter und entschlossener sein als der Durchschnitt, um an die Spitze der KPCh zu gelangen, aber die Erklärung liegt nicht in der Psychologie oder Persönlichkeit von Xi Jinping, sondern in der politischen Pathologie der Partei, die er führt.

Eine solch gigantische Partei, deren Mitgliederzahl größer ist als die Bevölkerung eines jeden EU-Staates und die in den meisten Gemeinden und Unternehmen das Sagen hat, bringt zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlicher Strömungen, Interessengruppen und politischer Fraktionen hervor. Um all das zusammenzuhalten, braucht die Partei als Ganze einen „starken Führer“, quasi einen Bonaparte, dem alle Fraktionen zu huldigen haben. In der Zeit vor und während der eigentlichen Tagung des Parteikongresses wurde es als absolut notwendig erachtet, in keiner Frage den Anschein zu erwecken, einer Fraktion nachzugeben, um nicht als Zeichen der Schwäche gesehen zu werden, das ausgenutzt werden könnte.

Der Charakter einer Partei, ihr grundlegendes Wesen, ist in ihrem Programm zu finden, das als die Gesamtheit ihrer Philosophie, ihrer Prinzipien, ihrer Praxis und ihrer Prioritäten und deren Entwicklung im Laufe der Zeit verstanden wird. Ein Überblick über die Geschichte der Entwicklung der KPCh findet sich in der Zeitschrift Fifth International 22 oder unter https://fifthinternational.org/content/china-centenary-chinese-communist-party, aber kurz gesagt, ist sie eine stalinistische Partei. Nicht in dem Sinne, dass Stalin selbst ihren Charakter bestimmt hätte, sondern in dem programmatischen Sinne, dass sie im Laufe der Zeit die Schlüsselelemente von Stalins Negation des revolutionären Marxismus übernommen hat:

  • in den 1920er Jahren: Klassenkollaboration, gefolgt von ultralinkem Abenteurertum;

  • in den 1930er Jahren die Volksfront und die menschewistische Theorie vom schrittweisen Aufbau des Sozialismus;

  • 1949 die Bildung einer Volksfrontregierung und die Orientierung auf eine langjährige kapitalistische Entwicklung;

  • 1953 die Ablehnung dieser Entwicklung zugunsten einer bürokratischen Planwirtschaft mit Zwangskollektivierung und beschleunigter industrieller Entwicklung, die zum Massenhunger führte;

  • in den 1960er Jahren Fraktionskriege und das Chaos der Kulturrevolution;

  • in den späten 1970er Jahren die Entscheidung, die Marktkräfte zu stimulieren, um die Wirtschaft wiederzubeleben;

  • in den 1980er Jahren die Einladung an ausländisches Kapital, in Sonderwirtschaftszonen zu investieren, und das Massaker an der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens und dann

  • in den 1990er Jahren die Restauration des Kapitalismus.

Obwohl die chinesische KP Mitte der 1920er Jahre über eine echte Massenbasis in der Arbeiter:innenklasse verfügte, hatte sie nie ein Programm, das auf der Machtergreifung durch Arbeiter:innenräte beruhte, und bis 1928 war diese Arbeiter:innenmitgliedschaft von den ehemaligen Verbündeten der bürgerlich-nationalistischen Kuomintang buchstäblich ausgelöscht worden. Diejenigen, die Chiang Kai-sheks (Tschiang Kai-scheks) Weißen Terror überlebten und der Partei treu blieben, flohen in die Berge, wo sie über mehrere verzweifelt schwierige Jahre hinweg einen Organisations- und Militärapparat aufbauten, der von der städtischen Arbeiter:innenklasse völlig abgekoppelt war, aber immer noch KP China hieß. Wie Trotzki über die Apparatschiks sagte, die den ersten Fünfjahresplan umsetzten, bestand ihr grundlegender Fehler darin, dass sie glaubten, sie seien die Revolution. Daraus folgte, dass alles, was notwendig war, um ihren Apparat zu erhalten, legitim war.

Selbst nach all den Irrungen und Wirrungen der chinesischen Geschichte seit 1927 ist dieser Apparat, diese Aneignung von Legitimität der Schlüssel zum Verständnis der heutigen Merkmale, der heutigen Probleme des chinesischen politischen und wirtschaftlichen Systems. In der Tat trugen die Irrungen und Wirrungen zur Konsolidierung des Apparats bei. Jede der großen politischen Strategien der Partei war ein Irrtum und führte in eine Krise. Innerhalb der Partei bildeten sich immer wieder Fraktionen, die andere Lösungen für diese Krisen vorschlugen. In jeder Phase gewann diejenige Fraktion, die die Interessen, ja das Überleben des Apparats am besten zum Ausdruck brachte. Wie Rosa Luxemburg von den Führer:innen der sozialdemokratischen Partei vor 1914 sagte, glaubten die der KPCh zunehmend, dass die wichtigste Tugend, die innerhalb der Mitgliedschaft gelobt und belohnt werden sollte, die des Gehorsams sei. Unabhängig von der konkurrierenden Politik war das Kriterium, nach dem sie beurteilt wurden, das Überleben und vorzugsweise die Expansion des Apparats selbst. Folglich war die soziale Basis der Partei der Apparat selbst, das, was wir in Anlehnung an Trotzki die „bürokratische Kaste“ genannt haben.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Annahme, in „rückständigen Ländern“ müsse es eine Periode oder Stufe der kapitalistischen Entwicklung der Produktivkräfte geben, bevor von der Macht der Arbeiter:innenklasse und einer sozialistischen Entwicklung die Rede sein könne – die Position der Menschewiki in Russland –, damals weithin als orthodoxe marxistische Position angesehen wurde. Im Jahr 1917 galten Trotzki und Lenin als „Ketzer“, weil sie die Auffassung vertraten, dass die notwendige Entwicklung von einem Arbeiter:innenstaat mit Hilfe sozialistischer Enteignungs- und Planungstechniken durchgeführt werden könne. In China war die von Mao vor 1949 verfolgte Strategie der „Neuen Demokratie“, d. h. einer Volksfrontregierung, im Wesentlichen eine Neuformulierung der menschewistischen Perspektive.

Spätestens 1952 hatten jedoch der Koreakrieg und die Unterstützung der Gegner:innen der KPCh durch die USA und die Kuomintang den utopischen Charakter einer solchen Politik bewiesen. Als der bürokratische Apparat unter der Leitung von Planer:innen aus der Sowjetunion die Kontrolle über die Entwicklung der Wirtschaft übernahm, verfestigte sich der Charakter der KPCh als politischer Ausdruck dieses Apparats, der sich nun enorm ausweitete, noch mehr. Obwohl der Frieden und der systematische Wiederaufbau die wirtschaftliche Stabilität, wenn nicht gar den Wohlstand, wie in den Anfangsjahren der Sowjetunion recht schnell wiederherstellten, führte die Frage, wie es weitergehen sollte, welche strategischen Prioritäten zu verfolgen waren, zu heftigen Kontroversen innerhalb der Bürokratie und damit auch der Partei.

Im Grunde waren diese Auseinandersetzungen Ausdruck der Unmöglichkeit, China als autarke Wirtschaft nach dem Programm des Sozialismus in einem Land zu entwickeln. Als Parteiführer Deng Xiaoping sich 1992 für die Wiederherstellung des Kapitalismus entschied, kehrte er zum ursprünglichen, menschewistischen Programm zurück und behielt nicht nur die bürokratische Diktatur, sondern auch das programmatische Ziel des Sozialismus in einem Land bei, das von Stalin 1924 übernommen, aber ursprünglich von Georg von Vollmar, einem bayerischen Sozialdemokraten, 1894 formuliert worden war.

Die Politik der Restauration brachte eine qualitative Veränderung des Charakters des Staates und der Rolle der Bürokratie und ihrer Partei mit sich. Während die Form des Staates mit seiner nicht rechenschaftspflichtigen Regierung und dem stehenden Heer schon immer bürgerlich gewesen war, waren die Eigentumsverhältnisse, auf denen er beruhte – vergesellschaftetes Eigentum und integrierte Produktionsplanung – die eines Arbeiter:innenstaates. Die Überbrückung dieses Widerspruchs verkörperte sich in der bürokratischen und militärischen Kaste und ihrer Partei, die im Wesentlichen parasitär auf der vergesellschafteten Wirtschaft basierte und scheinbar „über“ der Gesellschaft stand, was Trotzki als „Sowjetbonapartismus“ bezeichnete.

Die Abschaffung der Planung und die Förderung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse, sei es in Form staatlicher kapitalistischer Unternehmen oder in Form von Privateigentum, löste diesen Widerspruch auf: ein bürgerlicher Staatsapparat schützte und förderte nun eine bürgerliche Wirtschaft, behielt aber die politische Kontrolle der Bürokratie und ihrer Partei bei. Nichtsdestotrotz bleibt die bürokratisch-militärische Kaste mit ihren eigenen Kasteninteressen parasitär und muss ihr bonapartistisches Regime aufrechterhalten.

All dies macht deutlich, dass die KPCh zwar den Kapitalismus in China so effektiv restauriert hat, dass sie zu einer imperialistischen Macht geworden ist, aber dennoch keine Partei der Bourgeoisie im Sinne einer Verwurzelung in dieser Klasse geworden ist. Ihre gesamte Politik sorgt jedoch für das Wachstum einer neuen kapitalistischen Klasse, deren Interessen nicht immer mit den Prioritäten der Kaste und ihrer Partei übereinstimmen mögen. Dies erklärt die zunehmend nationalistische, sogar fremdenfeindliche Rhetorik des Regimes. Wie Xi Jinping selbst auf dem Kongress betonte, „hat sich unsere Partei dem Ziel verschrieben, dauerhafte Größe für die chinesische Nation zu erreichen“ (2).  Dies impliziert die Vorstellung, dass jedes Klasseninteresse und jede Partei, die ein Klasseninteresse vertritt, automatisch spalterisch und unpatriotisch sind. Wie wir noch sehen werden, ist dies der Grund, warum sie, selbst während sie den Kapitalismus entwickelt, es für notwendig erachten kann, Kapitalist:innen systematisch zu unterdrücken. Längerfristig ist dies jedoch auch der Grund, warum sich die Bourgeoisie gegen die KPCh wenden kann.

Xi Jinping

Die lange Geschichte der KPCh-internen Fraktionskämpfe, von denen einige äußerst gewalttätig waren, hat sich seit der Restauration des Kapitalismus fortgesetzt. In einer Einparteiendiktatur könnte es nicht anders sein. Politische Unterschiede, die ihren Ursprung in den zwangsläufig unterschiedlichen Erfahrungen nicht nur der verschiedenen Regionen, sondern auch der verschiedenen Klassen haben, können sich innerhalb der einen Partei nur in Form von Fraktionsunterschieden äußern. Es ist bekannt, dass Xi Jinping die Führung der KPCh erst nach einem langwierigen Streit mit den Anhänger:innen der früheren Führung um Jiang Zemin erlangte, der 2011 im 18. Parteitag gipfelte.

In seinem Bericht an den 20. Parteitag listete Xi Jinping die Probleme auf, mit denen sich seine Führung damals auseinandersetzen musste:

„Innerhalb der Partei gab es viele Probleme im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Parteiführung, einschließlich eines Mangels an klarem Verständnis und wirksamen Maßnahmen sowie einer Tendenz zu einer schwachen, hohlen und verwässerten Parteiführung in der Praxis. Einige Parteimitglieder und Funktionär:innen schwankten in ihrer politischen Überzeugung. Trotz wiederholter Warnungen hielten sinnlose Formalitäten, Bürokratismus, Hedonismus und Extravaganz in einigen Orten und Abteilungen an. Das Streben nach Privilegien und Praktiken stellte ein ernstes Problem dar und es wurden einige schockierende Fälle von Korruption aufgedeckt.“ (3)

Als ob das nicht genug wäre, betonte XI Jinping  auch, dass „das traditionelle Entwicklungsmodell uns nicht länger vorwärts bringen kann“ (4).  Die Konfrontation mit und die Überwindung von solch schwerwiegenden Problemen stellt nach Xis eigenen Worten eine „neue Ära“ dar, die sich an seinem eigenen theoretischen Werk „Gedanken zum Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära“ orientiert. Ein Merkmal davon scheint jedoch keineswegs neu zu sein: „Die Führung der Kommunistischen Partei Chinas ist das bestimmende Merkmal des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen und die größte Stärke des Systems des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen, dass die Partei die höchste Kraft der politischen Führung ist und die Aufrechterhaltung der zentralisierten, einheitlichen Führung des Zentralkomitees der Partei das höchste politische Prinzip ist.“ (5)

Formelle Reden können natürlich in der Übersetzung etwas verlorengehen, aber was der Parteivorsitzende hier anspricht, ist real genug. Seine Führung musste sich mit Problemen auseinandersetzen, die sich aus der Tatsache ergaben, dass China zu einer Weltmacht, einer imperialistischen Macht, geworden war, was durch die Fähigkeit des Regimes bewiesen wurde, die Finanzkrise von 2008 – 2010 nicht nur zu überstehen, sondern gestärkt aus ihr hervorzugehen. Diese neue Realität brachte ganz andere Aufgaben und Prioritäten mit sich als die, mit denen die vorherige Führung bei der Restauration des Kapitalismus konfrontiert war. Die Spannungen und Konflikte innerhalb der Partei erklären den zunehmend bonapartistischen Charakter der Führung.

Chinas neuer Status zeigt sich auch in der Entwicklung der Volksbefreiungsarmee (VBA) seit 1979, als sie von ihrem viel kleineren (aber sehr erfahrenen!) vietnamesischen Nachbarn gedemütigt wurde. Heute ist sie reorganisiert, von der industriellen Produktion abgekoppelt, mit technologisch hochentwickelten Waffen ausgestattet und verfügt über Abteilungen für Weltraum- und Cyberkriegsführung. Peking hat nicht nur zum ersten Mal seit dem frühen 15. Jahrhundert eine Flotte in den Indischen Ozean entsandt, sondern auch Streitkräfte als „UN-Friedenstruppen“ im Libanon, im Kongo, im Sudan und sogar in Haiti stationiert. Während Russlands Erfahrung in der Ukraine Peking viel zu denken geben wird, besteht kaum ein Zweifel daran, dass ein zukünftiger Krieg praktisch als selbstverständlich angesehen wird. Dies machte Chinas Staatspräsident auf bedrohliche Weise deutlich, als er in seiner Kongressrede „die Missionen und Aufgaben der KPCh“ umriss, zu denen auch die Notwendigkeit gehörte, „die Ziele für den hundertsten Jahrestag der Volksbefreiungsarmee im Jahr 2027 zu erfüllen“ (6).  Eines der oft genannten Ziele bildet natürlich die Eingliederung Taiwans in die VR China.

Zu Beginn von Xis dritter Amtszeit wird bei der Betrachtung seiner ersten beiden Regierungsperioden die Interaktion zwischen der bürokratischen Kaste, deren prägende Erfahrungen in einer Planwirtschaft gesammelt wurden, in der Wirtschaftspolitik und -ziele einfach von politischen Prioritäten abgeleitet wurden, und einer aufstrebenden Klasse von Kapitalist:innen deutlich. Die Kapitalist:innen waren zwar für eine gute Ordnung und billige Arbeitskräfte auf die vom Regime durchgesetzten sozialen Kontrollen angewiesen, setzten aber im Kontext der zyklischen Dynamik des Kapitalismus und der bereits bestehenden Dominanz anderer imperialistischer Mächte zunehmend ihre eigenen Prioritäten fest. Zum Zeitpunkt des 20. Kongresses hatten diese Faktoren bereits dazu geführt, dass die Wirtschaftswachstumsraten zum ersten Mal in der Amtszeit von Xi deutlich zurückgingen.

Ein Überblick über die Wirtschaftsleistung Chinas vor und während der ersten Amtszeit von Xi wird den Hintergrund liefern, vor dem spezifischere Themen und Probleme bewertet werden können. Es ist sehr schwierig, chinesische Wirtschaftsdaten zu interpretieren, selbst für einen Vergleich mit anderen großen kapitalistischen Volkswirtschaften, ganz zu schweigen von dem Versuch, sie in marxistische Analysekategorien zu übertragen. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Statistiken des Staates bei der Festlegung der Politik eine Rolle spielen, und die nachstehende Grafik zeigt eine wichtige Reihe, nämlich die Nettogewinne der Industrie:

Grafik 1 zu Reingewinnen von Industrieunternehmen (7)

Aus diesem Schaubild geht eindeutig hervor, dass nach einem Jahrzehnt und mehr mit ständig steigenden Gewinnen 2011, im Jahr vor Xis Amtsantritt, eine Abschwächung mit kaum einem Anstieg zu verzeichnen war, und die fünf Jahre seiner ersten Amtszeit waren die ersten mit uneinheitlichem Wachstum und sogar einer Phase des Rückgangs. Sie endeten jedoch mit einem Höhepunkt im Jahr 2017.

Eine gewisse Vorstellung von der Beziehung zwischen Investitionen und Profiten, die zumindest einen Eindruck von der „Profitrate“ nach marxistischem Verständnis vermittelt, zeigt ein Vergleich der Schlussfolgerungen vieler verschiedener Analyst:innen (8), die alle versuchen, „konventionelle“ Statistiken als „Stellvertreter“ für die marxistischen Kategorien zu verwenden.

Betrachtet man diese beiden Zahlenreihen zusammen, kann man zum Schluss kommen, dass das Wachstum der chinesischen Wirtschaft von etwa 2004 bis zur Krise 2008 von einem recht starken Rückgang der Profitrate begleitet war, dann eine kurzzeitige Erholung durch das Konjunkturprogramm und ein recht allgemeiner Rückgang bis 2015/6 erfolgten. Insbesondere in der ersten Amtszeit von Xi gab es zwar ein Wachstum der Profitmasse, aber auch einen Rückgang der Profitrate, was auf schwierige Zeiten hindeutete.

Politisch musste sich Xi mit zwei oppositionellen Fraktionen auseinandersetzen. Die eine war der Meinung, dass die Partei mit ihrer Förderung des Privatkapitals bereits zu weit gegangen war, und war diejenige, mit der man am leichtesten fertig wurde. Korruptionsvorwürfe waren das Mittel der Wahl gegen Leute wie Bo Xilai, den Parteichef in Chongqing, der die Führung anstrebte, indem er sich den Mantel von Mao Zedong umhängte. Die andere, die im Allgemeinen mit Jiang Zemin in Verbindung gebracht wird, der in den 1990er Jahren die Restauration des Kapitalismus beaufsichtigt hatte, war sowohl in der Partei als auch im Staatsapparat viel besser verankert. Offensichtlich war sie nicht prinzipiell gegen den Kapitalismus, aber ihr Hauptanliegen scheint der Schutz dieses Apparats gewesen zu sein, den sie durch Xi Jinpings Engagement für ein schnelleres Wachstum durch ein größeres Vertrauen in die „Marktkräfte“, d. h. den privaten Sektor, bedroht sah.

Die Zeitschrift The Economist beschrieb kürzlich die ersten drei oder vier Jahre von Xis Führung als „die Blütezeit der Privatwirtschaft“, in der Technologieunternehmen wie Alibaba und Tencent zu Global Playern aufstiegen und ihre Gründer:innen als die neuen Milliardär:innen gefeiert wurden. Ihr Erfolg in China bestätigte schnell, dass das Kapital international expandieren muss. Im Jahr 2014 brachte Jack Ma Alibaba an die New Yorker Börse (NYSE) und sammelte 25 Mrd. US-Dollar ein – zum damaligen Zeitpunkt der größte Börsengang (Börseneinführung; Initial Public Offering, IPO), der Welt, der den Konzern mit 231 Mrd. US-Dollar bewertete. Seitdem sind weitere 240 chinesische Unternehmen an die Börse gegangen, deren Gesamtwert sich im Dezember 2021 auf 2 Billionen US-Dollar belief. Solche Bewertungen sind Ausdruck der wachsenden Bedeutung des Privatkapitals, d. h. der Bourgeoisie, in China, die eine potenzielle, unzuverlässige alternative Macht im Land darstellt.

Im Inland war die „Blütezeit der Privatwirtschaft“ nicht von Dauer. Im Juni 2015 brach die Börse in Shanghai, an der die Aktienbewertungen im Jahr zuvor um 150 % gestiegen waren, plötzlich um 28 % ein – das entspricht 3,5 Billionen US-Dollar. Die geplatzte Blase war durch eine gezielte Regierungspolitik mit billigen Krediten aufgeblasen worden, die „Kleinanleger:innen“, d. h. einfache Menschen, zum Kauf von Aktien ermutigte. Dies war Ausdruck der Gesamtstrategie von Xi, die Kapitalallokation auf den Markt und weg von den staatlichen Banken zu verlagern. Diese Strategie hat sich auch nicht geändert, trotz aller Irrungen und Wirrungen der letzten Jahre. In seinem Bericht an den Kongress betonte Xi: „Wir werden darauf hinwirken, dass der Markt die entscheidende Rolle bei der Ressourcenallokation spielt und die Regierung ihre Rolle besser wahrnimmt.“ (9)

Während die Börsenkrise durch ein faktisches Verkaufsverbot schnell unter Kontrolle gebracht wurde, zeigten ihre Folgen einen anderen Aspekt der Kaste-gegen-Klasse-Frage. Für Millionen von Apparatschiks und Parteimitgliedern in Ministerien, Banken und Staatsbetrieben war dies der Beweis dafür, dass man dem „Markt“ tatsächlich zu viele Zugeständnisse gemacht hatte. Es erschien zwar nicht als klug, sich der fortgesetzten marktfreundlichen Politik der Führung offen zu widersetzen, aber das war auch nicht notwendig, um die Stabilität zu gewährleisten. Obwohl Xi weitere Reformen durchführte und beispielsweise ausländischen Banken erlaubte, in ausgewählten Regionen tätig zu werden, herrschte im größten Teil der chinesischen Wirtschaft weiterhin die alte Ordnung.

Einer der wichtigsten dieser „alten Wege“ war die Immobilienentwicklung. Diese hatte seit den 1990er Jahren eine zentrale Rolle gespielt, nach dem Motto: „Wenn du baust, werden sie kommen“. Ursprünglich bedeutete dies in den Sonderwirtschaftszonen, dass, wenn eine lokale Behörde z. B. die Grundlagen für einen Industriepark baute und Grundstücke zu niedrigen Preisen anbot, Unternehmen angelockt wurden, die dann Fabriken errichteten und in der Regel die Produktion von billigen Konsumgütern aus Hongkong verlagerten. Dies würde an sich schon eine Nachfrage nach Arbeitskräften, Lagerräumen, Geschäften, Unterkünften, Transportmöglichkeiten usw. erzeugen.

Aus diesen kleinen Anfängen entwickelte sich ein ganzes Erschließungssystem: Die Kommunalverwaltungen verkauften Grundstücke an Erschließungsunternehmen und erhielten so Einnahmen zur Finanzierung ihrer eigenen Aufgaben. Die Erschließungsunternehmen bauten, was immer die Marktbedingungen als rentabel erscheinen ließen, und die Firmen siedelten sich an, zahlten Miete an die Erschließungsunternehmen und erzielten im Allgemeinen einen guten Gewinn mit ihrer für den Export bestimmten Produktion. Die weitere Expansion brachte den Kommunen mehr Einnahmen. Neue Gebäude kurbelten die Bauindustrie und das Materialangebot an, der Zustrom neuer Arbeitskräfte schuf eine Nachfrage nach Wohnraum usw. Sowohl nach dem finanziellen Schock von 2008/09 als auch nach den Schwierigkeiten an den Börsen im Jahr 2015 bot dieses Entwicklungsmodell eine Grundlage für die Stabilisierung der nationalen Wirtschaft. Ein Aspekt dieses Modells, der Wohnungsbau, wurde im Zusammenhang mit der Verstädterung besonders wichtig, da er etwa 30 Prozent der Einnahmen der lokalen Behörden ausmachte.

Die Bedenken hinsichtlich der Politik sind natürlich nicht verschwunden. Sowohl die Kapitalist:innen als auch die Parteiführer:innen, die bereits über Obamas „Schwenk zum Pazifik“ beunruhigt waren, mussten nun mit Trumps offener Feindseligkeit und seiner Unterstützung für Beschränkungen des chinesischen Exporthandels rechnen. Darüber hinaus waren ausländische Unternehmen inzwischen so gut in China verankert, dass sie ihre eigenen Einschätzungen des Wirtschaftswachstums entwickeln konnten – und diese zeigten durchweg, dass die offiziellen Zahlen übertrieben waren, das BIP wuchs nicht mit bis zu 7 % pro Jahr, sondern eher mit etwa 5 %.

China und die Welt

Die obigen Grafiken liefern den Hintergrund für den heftigen Fraktionsstreit, der vor und auf dem 18. Parteitag 2011 ausgetragen wurde und aus dem Xi Jinping als Sieger hervorging. Chinas Fähigkeit, sich nicht nur von der Krise 2008/9 zu erholen, sondern auch viele andere Länder aus der Rezession zu ziehen, machte deutlich, dass das quantitative Wachstum seit der Restauration des Kapitalismus nun eine qualitative Veränderung des Status des Landes mit sich gebracht hatte: Es war nun eine Weltmacht, eine imperialistische Macht. Das erforderte eine Neuordnung der Beziehungen zum Rest der Welt, insbesondere zur dominierenden Macht, den USA.

Dies ist die materielle Realität, die das größere Durchsetzungsvermögen, ja sogar die Aggressivität erklärt, die auf der Weltbühne an den Tag gelegt und oft der Persönlichkeit Xi Jinpings zugeschrieben wird. Die weitere Entwicklung erforderte nun eine Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielten, diesen neuen Status zu konsolidieren, indem andere Mächte gezwungen wurden, Chinas Prioritäten und Anforderungen zumindest zu berücksichtigen.

Das eigentliche Kernstück von Xis Programm war daher abseits fraktionellen Disputs eine Strategie, die Chinas neuem Status entsprach: die Belt-and-Road-Initiative, BRI (Initiative See- und Straßenwege). Was genau die Führung der KPCh von Marx‘ „Das Kapital“ oder Lenins „Imperialismus“ hält, werden wir wohl nie erfahren, sie wird beides sicherlich studiert haben, aber die Notwendigkeit, Kapital zu exportieren und Macht global zu projizieren, war zu dem Zeitpunkt, als Xi die Macht übernahm, keine theoretische Frage mehr.

Grafik 2: Die Initiative See- und Straßenwege

Schon ein kurzer Blick auf die Karte der BRI-Initiativen macht ihr Ziel deutlich: die langfristige Integration der eurasischen Landmasse und der angrenzenden Regionen Afrikas unter chinesischer „Führung“ oder Kontrolle, wie manche sagen würden.

Das Projekt verbindet den Ausbau der Infrastruktur mit „sozialen Entwicklungen“ wie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, während die damit verbundene Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank, deren größter Anteilseigner mit rund 26 % China ist, zweifellos ein alternatives Finanznetzwerk auf Renminbi-Basis (Yuan; chinesische Währung) bereitstellen soll. Kredit aufnehmende Länder können die Projekte selbst als Sicherheiten für die Ausleihe verwenden. Auf diese Weise wurde der neue Hafen von Hambantota in Sri Lanka zu einem chinesischen Vermögenswert, der für 99 Jahre in Mietkauf  gepachtet wurde, wenn Kredite nicht zurückgezahlt werden konnten.

Die BRI bietet auch einen Absatzmarkt für die Produkte von Chinas Überinvestitionen in die – grob gesagt – „Schwerindustrie“, so dass der Kapitalexport nicht nur Finanzmittel umfasst, sondern auch das, was nach Abschluss der Projekte zu Anlagevermögen wird.

Doch so beeindruckend das Ausmaß der BRI auch sein mag, wie das Beispiel Hambantota zeigt, muss sich Chinas Fähigkeit, den Rest der Welt auszubeuten, erst noch beweisen. Das Hafenprojekt war ein finanzielles Desaster, und dasselbe gilt für mehrere Elemente des China-Pakistan Wirtschaftskorridors (CPEC), der oft als eine der Schlüsselkomponenten der gesamten BRI dargestellt wird. Andere Länder nehmen nicht nur diese Misserfolge zur Kenntnis, sondern auch die Feindseligkeit, die entsteht, wenn deutlich wird, dass die Projekte keine Investitionsmöglichkeiten für lokales Kapital bieten und nur wenige Beschäftigungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung schaffen, da auch Arbeitskräfte aus China exportiert werden.

Dies zeigt nicht nur die chinesische Unerfahrenheit bei der Planung und dem Bau von Projekten im Ausland, sondern auch, dass es etwas ganz anderes ist, mit den etablierten Imperialist:innen auf globaler Ebene zu konkurrieren, was Bankwesen, Technologie, Planung, Produktspezifikationen und eine Unzahl von Vorschriften einschließt, als die Preise für Konsumgüter zu unterbieten.

Sowohl innenpolitisch als auch global gesehen war die erste Amtszeit von Xi Jinping also bestenfalls ein bedingter Erfolg. China konnte nun zweifellos als wichtiger globaler Akteur gelten. Viele Länder waren nun auf die chinesische Expansion angewiesen, um ihren eigenen Exporthandel aufrechtzuerhalten, aber die etablierten imperialistischen Mächte begannen, den Neuling eher als potenziellen Rivalen denn als nützliche Quelle für billige Waren zu betrachten. Im Inland hatte sich das Wachstum fortgesetzt, wenn auch nicht mit den außergewöhnlichen, manche würden sagen unglaublichen, Raten von bis zu 13 Prozent, die 2010 – 2012 verzeichnet wurden, aber der Versuch, die Investitionen von einem staatlich gelenkten auf ein marktgesteuertes Modell umzustellen, war nicht sehr erfolgreich gewesen.

Diese Angelegenheiten bildeten den Hintergrund für den 19. Parteitag im Jahr 2017, auf dem Xis Streben nach mehr Kontrolle deutlich gemacht wurde. Dies war der Kongress, der seinen Beitrag zur Philosophie und zum Programm der Partei mit dem von Mao Zedong (Mao Tse-tung) gleichsetzte. Eine solche Förderung des Großen Führers ist ein deutlicher Hinweis auf ernsthafte Fraktionsstreitigkeiten, die unterdrückt werden müssen, um das Regime als Ganzes zusammenzuhalten. Dass Xi dennoch auf die innerparteilichen Fraktionen Rücksicht nehmen musste, zeigte sich daran, dass deren Vertreter:innen wie Hu Jintao und Li Keqiang nicht nur im Politbüro, sondern auch im Ständigen Ausschuss, dem eigentlichen Entscheidungsgremium im Land, vertreten waren.

Wie genau sich Xis Pläne entwickelt haben könnten, werden wir natürlich nie erfahren, da die Covid-19-Pandemie gegen Ende des zweiten Jahres seiner zweiten Amtszeit ausbrach. Zu diesem Zeitpunkt hatte er jedoch bereits die von Deng Xiaoping eingeführte Begrenzung der Amtszeit auf zwei Wahlperioden aufgehoben, die einen reibungslosen Übergang von einem Staatsoberhaupt zum nächsten gewährleisten sollte, und es wurde offen diskutiert, ob er beabsichtigte, Staatsoberhaupt auf Lebenszeit zu werden.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie gab es Anzeichen für eine Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft. Die Exporte gingen 2019 gegenüber dem Vorjahr um 0,5 % zurück, und die offizielle Zahl für das BIP-Wachstum lag bei 6,1 % und nicht bei den angestrebten 6,5 %. Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten, die in der Struktur des Regimes und der Wirtschaft begründet sind, müssen wir die Probleme berücksichtigen, die sich aus der Pandemie und der Reaktion darauf auf nationaler und internationaler Ebene ergeben haben. Auch wenn sie nicht durch dieselben Faktoren verursacht wurden, zeigen sie doch die wesentlichen Merkmale des Regimes.

Abgesehen von der Beziehung zwischen Klimawandel, Umweltveränderungen und sozialer Organisation, dem „Metanarrativ“ der Pandemie, reichten die Reaktionen und Maßnahmen des Regimes von einem anfänglichen, typisch bürokratischen Versuch, die Existenz eines Problems zu leugnen, bis hin zu einer einzigartig autoritären, aber recht wirksamen Abriegelung, die die Ausbreitung des Virus stoppte, aber auch einen Großteil der Wirtschaft zum Erliegen brachte.

Danach erholte sich die inländische Produktion schnell und erreichte innerhalb von nur sechs Wochen wieder 80 % der Produktion vor der Pandemie, doch zu diesem Zeitpunkt geriet der internationale Handel in eine Krise, die sich in Form von Lieferengpässen und Transportstörungen bemerkbar machte, was sich wiederum auf die chinesische Wirtschaft auswirkte, die natürlich in hohem Maße auf den Handel angewiesen ist. Das Regime griff auf sein übliches Rezept zur Ankurbelung der Wirtschaft zurück, indem es mehr Kredite für den Bau und die Infrastruktur bereitstellte.

Damit verschärfte es jedoch tief sitzende Probleme in der Wirtschaft, die sich bereits seit mehreren Jahren entwickelt hatten. Diese hängen mit der Rolle des Immobilienwesens zusammen, insbesondere dem Wohnungsbau, und veranschaulichen sehr gut die Funktionsweise des Gesetzes der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung, wie es China betrifft.

Dass sich der Kapitalismus sowohl innerhalb der Länder als auch zwischen ihnen ungleichmäßig entwickelt, war schon immer ein offensichtliches Merkmal, aber insbesondere Trotzki erweiterte dieses Gesetz mit seiner Feststellung, dass in der imperialistischen Epoche das Vordringen des Kapitals in weniger entwickelte Regionen der Welt nicht einfach zu einer Wiederholung des Entwicklungsprozesses führte, der in den ersten kapitalistischen Gesellschaften stattgefunden hatte. Die sich entwickelnden kapitalistischen Unternehmen und Institutionen mussten sich zwangsläufig an die bestehenden sozialen Strukturen und Klassen anpassen, oder, wie er es ausdrückte: „ … es gibt eine Kombination der einzelnen Schritte, eine Verschmelzung archaischer mit moderneren Formen.“ (10)

Diese Einsicht, die Trotzkis Strategie der Permanenten Revolution untermauerte, lässt sich in der Tat an jedem beliebigen Land demonstrieren. In Großbritannien beispielsweise gibt es noch immer eine Erbmonarchie, ein Relikt des Feudalismus, das sich vor Jahrhunderten mit der aufstrebenden Bourgeoisie arrangiert hat. Im Falle des heutigen China haben wir es jedoch mit einer ganz anderen Kombination von Faktoren zu tun, da sich der Kapitalismus im Kontext eines bereits bestehenden degenerierten Arbeiter:innenstaates entwickelt hat. Vor allem aber hat sich eine kapitalistische Klasse neben einem bereits bestehenden Staatsapparat herausgebildet, der auf den Eigentumsverhältnissen einer bürokratischen Planwirtschaft gründete.

Wir haben bereits festgestellt, wie die wirtschaftlichen Ziele des Staates erreicht werden konnten, indem er durch lokale Planungsentscheidungen Anreize für kapitalistische Investitionen stiftete. Zwanzig Jahre, nachdem diese Zusammenarbeit zwischen dem Staat und dem Privatkapital erstmals das industrielle Wachstum angekurbelt hatte, war sie zu einem festen Bestandteil der gesamten Volkswirtschaft geworden.

Im Rahmen der bürokratischen Planung waren die wirtschaftlichen Ziele im Wesentlichen der praktische Ausdruck der politischen Prioritäten, d. h. der Parteipolitik. Da weder die Arbeitskraft noch die Produkte Waren waren, gab es kein objektives Kriterium für das Wertmaß und die Preise waren in Wirklichkeit nur Buchhaltungsinstrumente zur Überwachung der Produktion und des Austausches innerhalb der geschlossenen Wirtschaft.

Mit der Restauration des Kapitalismus und der Verwandlung der Arbeitskraft in Ware gab es nun eine Grundlage für die Wertberechnung, die jedoch selbst in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften nicht automatisch oder transparent vor sich geht. In China reichte es sicherlich nicht aus, das Verhältnis zwischen politischen Zielen und wirtschaftlichen Entscheidungen sofort zu verändern. Das Ergebnis war im Laufe der Zeit eben eine Praxis, die einige Aspekte der Planung mit anderen Momenten der kapitalistischen Wirtschaft verband.

Im Wesentlichen wird die Wirtschaftspolitik nach wie vor von politischen Zielen bestimmt: Die Ministerien entscheiden, welche Wachstumsrate erforderlich ist, und dieses Ziel wird an die Regional- und Stadtregierungen weitergegeben, die dann die Projekte genehmigen, die diese Wachstumsrate erzeugen sollen. Beispiel Wohnungsbau: Die lokale Regierung bewilligt den Verkauf von Grundstücken (oft aus Enteignung von bäuerlichem Besitz!), lokale Zweigstellen der staatlichen Banken bieten Bauträgern Kredite an, Bauträger bauen die gewünschten Wohnblöcke und verkaufen sie, oft „außerplanmäßig“, d. h., bevor sie tatsächlich gebaut werden. Hauskäufer:innen nehmen Hypotheken auf und beginnen mit der Abzahlung, noch bevor ihr zukünftiges Heim gebaut ist – allerdings in der Gewissheit, dass der Wert ihres zukünftigen Heims ohnehin steigen wird.

Nach dem Verkauf der Wohnungen kann der Bauträger sowohl die erforderlichen Materialien und Arbeitskräfte einkaufen als auch das Darlehen der staatlichen Bank rechtzeitig zurückzahlen. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Die Kommunalverwaltung erfüllt ihre Ziele, die Bank wird mit Zinsen belohnt, der Bauträger macht einen ordentlichen Gewinn, die Hauskäufer:innen ziehen in ihre neuen Wohnungen ein, verschiedene Wirtschaftszweige wie das Baugewerbe, die Haushaltsgeräteindustrie, der Straßenbau usw. haben reichlich Arbeit und die Regierung erreicht ihr politisches Ziel.

Dieser glückliche Ausgang hängt jedoch letztlich davon ab, ob das ursprüngliche Wachstumsziel selbst rational war, und zwar nicht nur für eine bestimmte, sondern für alle Kommunalverwaltungen. Als der Immobiliensektor vollständig etabliert war, machte er etwa 25 Prozent des BIP aus und finanzierte 30 Prozent der Aktivitäten der lokalen Gebietskörperschaften. Vieles hing davon ab, dass diese ursprünglichen Ziele auf genauen Bewertungen und Prognosen des Bedarfs und der Ressourcen beruhten.

Die Wirtschaftspolitik des Regimes ist in hohem Maße dem Erbe des degenerierten Arbeiter:innenstaates geschuldet, als die Planung auf dem Ausgleich der materiellen Inputs und Outputs verschiedener Sektoren basierte, um politische Prioritäten zu erreichen. Diese Denkweise, bei der die Wirtschaftspolitik zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt wird, prägt auch heute noch die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Ebenen des Staatsapparats.

In einer kapitalistischen Wirtschaft ist es unmöglich, das Gesamtwachstum zu planen, weil die Zusammensetzung des Kapitals zwischen und innerhalb der verschiedenen Sektoren so stark variiert. Die Existenz riesiger Industriemonopole sowie kleiner lokaler Dienstleister:innen und alle möglichen Variationen zwischen ihnen sorgen dafür, dass die Wachstumsraten nicht einheitlich sein können. Selbst wenn es möglich wäre, einen ausgewogenen Austausch von Werten in der gesamten Wirtschaft zu berechnen, würde dies die Beobachtung von Marx ignorieren, dass eine Wirtschaft, um im Gleichgewicht zu bleiben, nicht nur eine Wertäquivalenz beim Austausch von Waren zwischen den Sektoren aufweisen muss, sondern dass diese Waren auch die von der Gesellschaft benötigten Gebrauchswerte liefern müssen.

Die Geschichten über unbewohnte Städte mögen übertrieben sein, aber der Zusammenbruch des Immobiliensektors oder die immer noch wachsende Bewegung der Verweigerung der Rückzahlung von Hypothekendarlehen für unbewohnte Wohnungen waren nicht fiktiv. Der Bausektor veranschaulicht somit die Wechselwirkung zwischen dem „planerischen“ Erbe des degenerierten Arbeiter:innenstaates und der Dynamik eines restaurierten Kapitalismus.

Nimmt man zu der zwangsläufig unausgewogenen Wirtschaft noch die Folgen der Beteiligung des Privatkapitals an ihr hinzu, wird sofort klar, wie es zu einer Krise im Immobiliensektor kommen konnte. Die Spekulant:innen, die untereinander und mit anderen kapitalistischen Sektoren um Finanzmittel konkurrieren, haben ihre Kosten gesenkt und ihre Umsätze beschleunigt, indem sie die Nachfrage antizipiert haben, immer noch nach der Philosophie „Wenn du es baust, werden sie kommen“. Die lokalen Behörden, die davon ausgingen, dass der Staat immer einspringen würde, um die Bilanzen auszugleichen, förderten die kontinuierliche Expansion des Sektors, unabhängig von der „effektiven Nachfrage“ oder gar dem Gleichgewicht der Wirtschaft. Die Schuldenspirale wurde noch dadurch verstärkt, dass die größten Bauträger Gelder auf den globalen Anleihemärkten aufnahmen und ihr Ansehen in China als Sicherheit für Kredite nutzten.

Die Fähigkeit des Immobiliensektors, eine zentrale Rolle bei den Bemühungen um die Ankurbelung der nationalen Wirtschaft nach dem anfänglichen Stillstand im Frühjahr 2020 zu spielen, war daher wirklich sehr begrenzt. Mitte 2021 war die Zentralregierung so besorgt über das Ausmaß der Verschuldung des Sektors, dass sie strenge Grenzwerte für das Verhältnis von Schulden zu verschiedenen Formen von Vermögenswerten festlegte, die so genannten „drei roten Linien“. Damit geriet ein Element der Entwicklungsstrategie der Kaste, nämlich das Vertrauen auf die Marktkräfte oder auf gierige Kapitalist:innen, wie sie manchmal genannt werden, in Konflikt mit einer anderen Priorität, der politischen Stabilität. Der Effekt war fast unmittelbar: Die Finanzierung der Immobilienentwicklung trocknete aus und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Unfähigkeit der großen Unternehmen, ihre bestehenden Schulden zu bedienen. Im Oktober erklärte der größte Schuldner von allen, Evergrande, dass er nicht in der Lage sei, die Zinsen, geschweige denn das Kapital für internationale Anleihen in Höhe von 350 Milliarden US-Dollar zurückzuzahlen.

Die Krise von Evergrande warf ein Schlaglicht auf den gesamten Immobiliensektor, deckte die enorme Verschuldung auf und führte zu einem Baustopp in Städten im ganzen Land. Dies ließ sofort Zweifel an den vielen Unternehmen, ja an den vielen Sektoren der gesamten Wirtschaft aufkommen, die von der Immobilien- und Bauträgerbranche abhängig geworden waren. Sie alle sahen sich nicht nur mit einem Rückgang der Nachfrage konfrontiert, sondern auch mit der Nichtbezahlung von Schulden für von ihnen bereits gelieferte Waren.

Darüber hinaus wurde die Finanzierung der Provinz- und Stadtregierungen, die zuvor auf die Einnahmen aus Grundstücksverkäufen angewiesen waren, in Frage gestellt. Diese wirtschaftliche Sackgasse in der heimischen Wirtschaft stand zwangsläufig in Wechselwirkung mit dem Abschwung im internationalen Handel und darüber hinaus mit den Auswirkungen der Sanktionen, die insbesondere von den USA gegen verschiedene chinesische Waren und Unternehmen verhängt wurden.

Die Situation wurde durch das Eintreffen von Varianten des Covidvirus aus dem Ausland noch verschärft, da andere Regierungen außerhalb Asiens keine „Null-Covid“-Strategie verfolgt hatten. Die Entscheidung Pekings, die gleichen „Null-Covid“-Großquarantänemaßnahmen, die „Abriegelungen“, durchzuführen, wie sie nach dem ersten Ausbruch in Wuhan angewandt wurden, hatte nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, sondern rief auch im eigenen Land Proteste und Widerstand in einem Ausmaß hervor, das selbst die von der Partei kontrollierten Medien nicht verbergen konnten.

Es war diese Kombination aus systemischen Widersprüchen und den konjunkturellen Auswirkungen der Pandemie, die zu dem dramatischen Wachstumsrückgang im letzten Jahr führte: Berichten zufolge im Quartal April – Juni auf 0,4 % pro Jahr.

Alles in allem wurde Xis Gesamtstrategie angesichts des bevorstehenden 20. Parteitags im Oktober 2022 in Frage gestellt, was den Widerstand innerhalb der Partei anheizen könnte, insbesondere seitens der „Jungen Kommunistischen Liga“, die mit den Anhänger:innen von Jiang Zemin, Li Keqiang und Hu Jintao identifiziert wurde. Xi reagierte auf diese Bedrohung mit einem offensichtlichen Linksruck, einer stärkeren Betonung der staatlichen Kontrolle und einer Politik zur Erreichung des „gemeinsamen Wohlstands“.

Ein weiterer wichtiger Faktor, der den Eindruck verstärkte, dass die KPCh eine feindseligere Haltung gegenüber einer Kapitalist:innenklasse einnimmt, die zu selbstbewusst und unabhängig geworden ist, war eine Welle von Maßnahmen gegen einige der bekanntesten kapitalistischen Geschäftsleute. Dies begann im November 2020, als Jack Ma, den wir bereits kennengelernt haben, als er sein „Plattformunternehmen“ Alibaba an die New Yorker Börse brachte, daran gehindert wurde, den Finanzzweig seines Unternehmens, ANT, an die Hongkonger Börse zu bringen, angeblich auf ausdrücklichen Befehl von Xi selbst. Kommentator:innen sahen darin eine Bestrafung für die Notierung in New York, die in Peking als „unpatriotisch“ gilt. Aber es geschah auch kurz, nachdem Ma die staatlichen Kontrollen der Investitionsentscheidungen von Unternehmen kritisiert hatte.

Dies markierte den Beginn einer Kampagne gegen mehrere große chinesische Technologieunternehmen, darunter „Pony Mas“ (Ma Huatengs) Tencent, eines der reichsten Unternehmen nicht nur in China, sondern der ganzen Welt, und Didi Chuxing, ursprünglich ein Mietwagenunternehmen, das in die Bereiche Fahrzeugvermietung, Lieferungen und andere verbrauchernahe Apps expandierte. Die ganze Episode wurde anschließend als Teil der Strategie des „gemeinsamen Wohlstands“ der chinesischen KP dargestellt. Im Vorfeld des 20. Parteitags schien dies ein Zeichen für eine „antikapitalistische“ Politik zu sein. Es gibt jedoch viele sehr reiche Kapitalist:innen in China, Berichten zufolge 400 US-Dollar-Milliardär:innen, und die große Mehrheit von ihnen geriet nicht ins Visier. Der reichste von ihnen, Zhong Shanshan, Vorsitzender von Nongfu Spring, einem Getränkeunternehmen, das laut Forbes 62,3 Milliarden US-Dollar wert ist, hat offenbar nichts zu befürchten. (11)

Die weniger radikale, aber realistischere Erklärung für die Parteipolitik liegt in dem gemeinsamen Merkmal der Unternehmen, die ins Visier genommen wurden: der Kontrolle über riesige Mengen an Verbraucher:innendaten und Kapital. Diejenigen, die versuchen, den kapitalistischen Charakter Chinas zu leugnen, weisen oft darauf hin, dass viele der größten Unternehmen und Banken in China in „Staatsbesitz“ sind. Dies hat dazu geführt, dass sich einige der dynamischsten und innovativsten Privatkapitalist:innen auf die neuen Branchen und Technologien gestürzt haben, um ihr Geld zu verdienen. Ein Großteil ihres Erfolgs hängt mit der Verarbeitung riesiger Datenmengen über die Verbraucher:innen zusammen.

Wie ihre Gegenspieler:innen im Westen sind die „Plattform“-Unternehmen in der Lage, Informationen wie Kaufgewohnheiten, Kreditwürdigkeit, Freizeitaktivitäten, E-Mail-Verbindungen, Internetnutzung, Vorlieben und Abneigungen in sozialen Medien, Beschäftigungsdaten, kurzum alles über ihre Hunderte von Millionen Kund:innen zu integrieren. So können sie gezielt Werbung schalten, Finanzdienstleistungen maßschneidern und gute und schlechte Kreditrisiken erkennen.

Die Datenauswertung in diesem Umfang bringt sie jedoch in das Gebiet des staatlichen Überwachungssystems und könnte sogar einige Aspekte dieses Systems gefährden. Darüber hinaus können die von diesen Unternehmen kontrollierten Kapitalmengen und ihre Aktivitäten auf den Weltmärkten die finanziellen und wirtschaftlichen Prioritäten des Staates in Frage stellen. Ein Beispiel hierfür sind die an der New Yorker Börse notierten Unternehmen. Börsennotierte Unternehmen sind verpflichtet, ihre Bücher nach den Standards der NYSE prüfen zu lassen. Dies würde jedoch höchstwahrscheinlich Informationen über die chinesische Binnenwirtschaft und das tatsächliche Ausmaß des staatlichen Einflusses offenbaren, die Peking den US-Behörden nicht bekanntgeben möchte. Im Grunde ist dies also ein Aspekt des Kampfes zwischen bürokratischer Kaste und Kapitalist:innenklasse.

Die Art und Weise, wie diese sehr realen Interessenkonflikte gelöst wurden, ist sehr aufschlussreich. Am 16. Januar 2023 wurde berichtet, dass Guo Shuqing, der Vorsitzende der Regulierungskommission für das Bank- und Versicherungswesen, sagte, dass die Kommission ihre Arbeit praktisch abgeschlossen habe, während die Bemühungen zur „Bereinigung der Finanzgeschäfte von 14 Plattformunternehmen“ weitergingen. (12)  Die Internet-Regulierungsbehörde ist nun dazu übergegangen, kleine Kapitalbeteiligungen an vielen der größten Unternehmen zu erkaufen, und setzt Regierungsbeamt:innen als Vorstandsmitglieder ein, um deren Geschäftstätigkeit zu überwachen. Mit anderen Worten: Diese gigantischen kapitalistischen Unternehmen werden weiterhin im Geschäft bleiben, aber der Staat wird Zugang zu den Entscheidungsprozessen erhalten.

Am selben Tag erhielt Didi Chuxing die Erlaubnis, neue Kund:innen zu werben, und ist damit wieder im Geschäft, nachdem es im letzten Juli eine Strafe von 1,18 Mrd. US-Dollar bezahlt hatte. Am 18. Januar 2023 stieg der Börsenwert von Tencent und Alibaba um 350 Mrd. US-Dollar gegenüber dem Tiefstand vom Oktober 2022.

Was die Bauträger anbelangt, so stellte die Regierung Ende Dezember 16 Unterstützungsmaßnahmen für den Immobiliensektor vor. Danach sagten die staatlichen Banken dem Sektor den Gegenwert von etwa 256 Mrd. US-Dollar an potenziellen Krediten zu, allerdings nur für bestimmte Bauträger. (13) Damit haben die Finanzbehörden festgestellt, welche Unternehmen potenziell lebensfähig sind und welche keine Zukunft haben. Es wird erwartet, dass die umfangreichen Mittel für Fusionen und Übernahmen sowie für den Aufkauf von Vermögenswerten der in Konkurs gegangenen Unternehmen verwendet werden. Das Verfahren ähnelt stark dem, das in den USA zur Bewältigung der Finanzkrise von 2008 – 2009 angewandt wurde: Rationalisierung des Sektors und Übertragung der Schulden auf den Staat. Auch hier führten die angeblich antikapitalistischen Prioritäten der Kaste in Wirklichkeit zu einem Deal mit den größten Kapitalist:innen.

Auf internationaler Ebene war die Gefahr eines Ausschlusses chinesischer Unternehmen von der NYSE das potenziell größte Hindernis für die wirtschaftliche Stabilität. Die Wurzel des Problems lag darin, dass Chinas Wertpapiergesetz von 2019 Prüfungsunterlagen als Staatsgeheimnis einstuft, so dass sie das Land nicht verlassen und von den US-Behörden nicht eingesehen werden können. Der Holding Foreign Companies Accountable Act (HCFAA) der Vereinigten Staaten, der im Dezember 2020 verabschiedet wurde, schreibt jedoch vor, dass in den USA notierte ausländische Unternehmen die Vorschriften des Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) (Aufsichtsbehörde über die Firmenbilanzen) für die Prüfung von Abschlüssen einhalten müssen, andernfalls droht ihnen nach drei aufeinanderfolgenden Jahren der Nichteinhaltung die Streichung von der Liste.

Die Pattsituation wurde im August 2022 beendet, als Peking zustimmte, den PCAOB-Inspektor:innen in Hongkong Zugang zu den erforderlichen Unterlagen zu gewähren – um das Gesicht zu wahren, durften die Unterlagen China nicht verlassen. Im Dezember bestätigte die PCAOB-Vorsitzende Erica Williams, dass die Inspektionen abgeschlossen seien. Das bedeutet nicht, dass sie die Prüfungsberichte vollständig akzeptiert haben, sondern nur, dass sie vollen Zugang zu ihnen hatten.

Aussichten

Nachdem Xi Jinping seine eigene Position gesichert und die führenden Parteigremien von parteiinternen Gegner:innen gesäubert hatte, musste er sich nun allgemeineren politischen Anliegen zuwenden. Die neue Parteiführung musste von den unechten „repräsentativen“ Institutionen des Nationalen Volkskongresses und der Nationalen Konsultativkonferenz des Volkes auf der so genannten „Doppeltagung“ im März in neue Regierungspositionen und Minister:innen umgesetzt werden. Das war eine rein formale Überlegung. Wichtiger sind die neuen politischen Prioritäten, die sich nicht nur aus dem politischen Manövrieren für den Kongress ergeben, sondern auch aus dem chaotischen Ende des „Null-Covid“ und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten im In- und Ausland.

Die bereits unternommenen Schritte in Bezug auf den Immobiliensektor, die Hightechunternehmen und die Börsennotierungen an der NYSE deuten darauf hin, dass Xi wieder auf Wachstum im Privatsektor setzen wird, allerdings mit einer stärkeren Kontrolle durch die Partei. Die Abkehr von der „Wolfskrieger:innen“-Diplomatie und die vorgeschlagenen Treffen mit Antony Blinken und später mit Joe Biden selbst deuten auf eine Neubewertung der Außenpolitik hin. Die Choreographie dafür wurde durch die bizarre Saga des „Spionageballons“ unterbrochen, aber die Kombination aus globalen Wirtschaftstrends und den Auswirkungen des Ukrainekriegs lässt vermuten, dass der Tanz im Laufe der Zeit wieder aufgenommen werden wird.

Im Inland haben viele Kommentator:innen eine Rückkehr zu höheren Wachstumsraten vorausgesagt, die auf einen steilen Anstieg der Verbraucher:innenausgaben zurückzuführen ist. Han Wenxiu, ein führender Beamter der einflussreichen Zentralen Kommission für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten, sagte im Dezember 2022, dass das erste Quartal 2023 noch von den Störungen nach der Schließung betroffen sein, aber für das zweite Quartal mit einer beschleunigten wirtschaftlichen Verbesserung gerechnet werde.

Die Ankurbelung dieser Ausgaben war auch ein Thema auf der zentralen Wirtschaftskonferenz Mitte Dezember 2022 . Die Konferenz findet jährlich statt, aber dieses Treffen wurde als besonders wichtig angesehen, weil es direkt nach dem Kongress erfolgte und daher als eine Absichtserklärung für Xi Jinpings neue Regierung angesehen werden konnte.

Grundlage für diesen Optimismus ist das riesige Reservoir an erzwungenen Ersparnissen, das die breite Bevölkerung aufgrund der Lockdowns besitzt. Diese werden seit Anfang 2020 auf 4,8 Billionen US-Dollar geschätzt (14). Das ist mehr als das britische Bruttoinlandsprodukt und würde, wenn es ausgegeben würde, eindeutig einen beträchtlichen Anreiz darstellen. Das ist jedoch ein großes „Wenn“, denn die Lebenserfahrung der riesigen chinesischen Arbeiter:innenklasse zeigt, dass Sparen eine hohe Priorität hat, um sich gegen Krankheit und die Realität einer alternden Bevölkerung zu schützen, die weitgehend nicht durch staatliche Sozialausgaben abgesichert ist.

Welche offensichtlichen Zugeständnisse an das Privatkapital und den „Markt“ die neue Führungsriege von Xi Jinping auch immer machen mag, ob im Inland oder im Ausland, ihr Ziel wird es sein, eine schwer angeschlagene Wirtschaft wieder zu stabilisieren und damit ihr eigenes Regime zu stärken. Ihr Programm, eine kapitalistische Wirtschaft unter ihrer eigenen rigiden politischen Kontrolle zu entwickeln, die von ihren eigenen politischen Prioritäten geleitet wird, bleibt utopisch. Sie verfügt zwar über ein außerordentliches Maß an Kontrolle und Überwachung, aber die Entwicklung des Kapitalismus selbst wird sich als stärker erweisen.

Nachdem wir die Aufmerksamkeit auf das „kombinierte“ Element des chinesischen Kapitalismus, das Erbe des degenerierten Arbeiterstaates, gelenkt haben, müssen wir auch den „ungleichen“ Charakter aller Kapitalismen berücksichtigen. Es ist zwangsläufig so, dass sich verschiedene Kapitalblöcke unterschiedlich schnell entwickeln. Unterschiede im Umfang der Anlageinvestitionen, im Verhältnis zwischen diesen und den Investitionen in die Arbeitskraft, in der Umschlagdauer der verschiedenen Wirtschaftssektoren, in der Proportionalität oder dem Mangel an Proportionalität zwischen den verschiedenen Sektoren und Unternehmen und in den Auswirkungen der globalen Märkte und Investitionsentscheidungen sind nur einige der Faktoren, die eine ungleiche Entwicklung gewährleisten.

Entsprechend dieser Ungleichheit werden auch die Prioritäten und Pläne derjenigen, die die verschiedenen Kapitalblöcke kontrollieren, unterschiedlich sein und möglicherweise nicht nur untereinander, sondern auch mit denen der herrschenden Kaste in Konflikt geraten. Angesichts des Grades der personellen Durchdringung zwischen der Kapitalist:innenklasse und der bürokratischen Kaste werden sich diese Unterschiede auf den Regimeapparat übertragen. Dies wird sich zunehmend in der Bildung von Fraktionen ausdrücken, de facto oder de jure. Ihre Existenz wird eine ständige Tendenz zu einer strengeren internen Disziplinierung innerhalb der Kaste durch den Mechanismus, der alles zusammenhält, die Partei, erfordern.

Zur Veranschaulichung dieses Prozesses genügt es, die Auswirkungen der Krise im Immobiliensektor zu betrachten. Sowohl die Kapitalist:Innen selbst als auch die Bürokrat:innen, die mit ihnen zu tun haben, wissen, dass es die Parteipolitik und die Parteifunktionär:innen waren, die sein übermäßiges Wachstum und schließlich Bankrott gefördert haben. Buchstäblich Tausende von Kapitalist:innen und Manager:innen in allen damit verbundenen Branchen wissen das auch. Die Aushöhlung der Autorität und Legitimität der Partei ist praktisch garantiert, und deshalb werden Unzufriedenheit und der Druck auf Veränderungen wachsen. Und das sind nur die Spannungen zwischen der Bourgeoisie und der bürokratischen Kaste. Millionen und Abermillionen von Arbeiter:innen wissen auch, wo die Schuld für ihre unfertigen Häuser, den Verlust ihrer Arbeit, ihre Hypotheken und ihren sinkenden Lebensstandard liegt.

Weder verärgerte Geschäftsleute noch wütende Arbeiter:innen sind an sich eine große Bedrohung für die KP China und ihr Regime. Die Anwesenheit von Parteimitgliedern in praktisch allen Gemeinden und an den meisten Arbeitsplätzen sowie die durch die pandemischen Abriegelungen erheblich verbesserten Überwachungsmöglichkeiten sind mächtige Instrumente zur Unterdrückung der Opposition. Dennoch macht das schiere Ausmaß der Parteikontrolle angesichts der unvermeidlichen Reibungen des wirtschaftlichen Wandels und der Auswirkungen globaler Ereignisse die Partei zur offensichtlichen Zielscheibe von Unzufriedenheit, und das schafft ein Umfeld, in dem unter den richtigen Bedingungen die Feindseligkeit gegenüber dem Regime wachsen kann.

Die Geschwindigkeit, mit der die vom „Mann auf der Brücke“ kurz vor dem Parteitag vorgetragenen Slogans über die sozialen Medien aufgegriffen wurden, macht deutlich, wie weit verbreitet diese Unzufriedenheit bereits ist. Sie lauteten: „Wir wollen keine Diktator:innen, wir wollen Wahlen“, „Rettet China mit einer Person, einer Stimme, um den/die Präsident:in zu wählen“ und „Streikt in der Schule und am Arbeitsplatz, setzt den Diktator und Landesverräter Xi Jinping ab!“

Es sollte niemanden überraschen, dass demokratische Forderungen sofort auf große Resonanz stoßen, wann immer sie erhoben werden können. Die Gefahr für Sozialist:innen besteht darin, dass sie zwar an sich fortschrittliche und daher unterstützenswerte Forderungen sind, ihre Herkunft aus der bürgerlich-demokratischen Bewegung aber bedeutet, dass sie auch von bürgerlichen Gegner:innen der bürokratischen Diktatur unterstützt werden können. Das hat sich sowohl beim Zusammenbruch der Sowjetunion als auch bei den verschiedenen „Farbenrevolutionen“ in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts sehr deutlich gezeigt.

Die Aufgabe der Sozialist:innen besteht darin, solche populären und unterstützenswerten Forderungen mit einer Strategie zu verbinden, die nicht nur das Regime stürzen kann, sondern dabei auch Organisationen der Arbeiter:innenklasse aufbaut, die sicherstellen können, dass ein Sieg in diesem Kampf nicht einfach die Tür für eine Machtergreifung durch kapitalistische Kräfte mit einem Programm für eine effizientere Ausbeutung sowohl im Inland als auch in Übersee öffnet. Mit anderen Worten: Der revolutionäre Sturz der bürokratischen Kaste in China wird die Strategie und Taktik der Permanenten Revolution erfordern.

Aus den Erfahrungen der demokratischen Bewegungen des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts können wir die Hauptmerkmale dieser Strategie erkennen. Das zentrale Ziel, das alle anderen Elemente der Strategie miteinander verbindet, ist der Aufbau unabhängiger, demokratisch rechenschaftspflichtiger Organisationen der Arbeiter:innenklasse wie Betriebsräte, Gewerkschaften, Gemeindeorganisationen, Frauenorganisationen, Jugendorganisationen und andere Organisationen unterdrückter Schichten wie Immigrant:innen und LGBTQ+. Sobald es zu einem bestimmten Zeitpunkt praktisch möglich ist, müssen diese Organisationen die Grundlage sein, von der aus abrufbare Delegierte in Organisationen auf höherer Ebene, auf Stadt-, Landes- oder Bundesebene, entsandt werden. Die genauen Formen und Organisationsstrukturen, die die Klassenorganisation am besten voranbringen, können nicht vorhergesagt werden, aber aus den Erfahrungen der Protestbewegungen, die in den letzten zwei Jahrzehnten häufig entstanden sind, können Lehren gezogen werden.

Politisch gesehen besteht die größte Gefahr für jede Arbeiter:innenbewegung in der Unterordnung unter bürgerliche Kräfte, die ihre eigenen Gründe haben, sich der Bürokratie entgegenzustellen. Die Erfahrungen mit den farbigen Revolutionen in Osteuropa unterstreichen diese Gefahr sehr deutlich. Unabhängig davon, ob diese vom Ausland unterstützt werden oder nicht, müssen die Organisationen der Arbeiter:innenklasse eine vollständige Unabhängigkeit von ihnen gewährleisten.

Das Vorhandensein von proletarischen Organisationen ist zwar eine Voraussetzung für einen fortschreitenden Sturz der Bürokratie, doch reicht dies nicht aus. Wie die Welt zu oft gesehen hat, z. B. beim Arabischen Frühling oder der griechischen Finanzkrise, stehen und fallen diese Organisationen mit ihren politischen Führungen. Um das tragische Schicksal dieser großen Massenbewegungen zu vermeiden, müssen revolutionäre Marxist:innen in jeder Phase der Entwicklung eingreifen. Dazu müssen die Revolutionär:innen selbst organisiert werden, das heißt, sie müssen eine Partei aufbauen, die auf der Strategie der Permanenten Revolution basiert, auf die chinesischen Verhältnisse angewandt.

Daraus folgt, dass die erste Aufgabe der Revolutionär:innen hier und jetzt darin besteht, diese Strategie zu entwickeln, ein Programm für den revolutionären Sturz der Bürokratie und die Bildung eines Arbeiter:innenstaates auf der Grundlage demokratisch verantwortlicher Arbeiter:innenräte auszuarbeiten. Den Kern einer solchen Partei werden diejenigen bilden, die bereits erkannt haben, dass dies ihre Hauptziele sind, und die sich der Entwicklung der Mittel zur Erreichung dieser Ziele widmen. Dies wird sowohl Studium als auch praktisches Engagement erfordern, um die Führer:innen der chinesischen Arbeiter:innenschaft und der unterdrückten Schichten Chinas für dieses Programm zu gewinnen. An diese Genossinnen und Genossen ist dieser Artikel gerichtet.

Endnoten

(1) https://english.news.cn/20221025/8eb6f5239f984f01a2bc45b5b5db0c51/c.html

(2) ibid

(3) ibid

(4) ibid

(5) ibid

(6) ibid

(7) https://chuangcn.org/2020/06/measuring-profitability/

(8) https://chuangcn.org/2020/06/measuring-profitability

(9) op.cit.

(10) L D Trotsky, History of the Russian Revolution, Haymarket 2008, p. 5

(11) https://www.forbes.com/profile/zhong-shanshan/?sh=40cb72c849ae

(12) Financial Times, London, January 16, 2023

(13) Financial Times, London, December 28, 2022

(14) Financial Times, London, January 10, 2023




Chinas zwei Seiten: Diktatur und Widerstand

Peter Main, Infomail 1217, 15. März 2023

Die letzte Woche hat zwei Seiten des heutigen Chinas gezeigt: die falsche parlamentarische Fassade der Diktatur der KPCh und die wortgewaltige Auflehnung der Hongkonger Demokratieaktivistin Chow Hang-tung gegen diese Diktatur in ihrer Rede auf der Anklagebank nach der Verurteilung, die wir im Folgenden wiedergeben.

KP-Tagung

In Peking ist die jährliche „Zwei-Sitzungen“-Tagung zu Ende gegangen, an der 2.900 „Delegierte“ teilnahmen, die alle von der Kommunistischen Partei handverlesen wurden, um den Mythos einer demokratischen Verfassung aufrechtzuerhalten. Die Zwei Tagungen, die so genannt werden, weil sie den Nationalen Volkskongress und die Politische Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes zusammenbringen, sind verfassungsmäßig das höchste gesetzgebende Organ Chinas. Je komplizierter der Name, desto nichtssagender das eigentliche Gremium, so scheint es, denn die Aufgabe der Tagung besteht lediglich darin, die bereits von der Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) getroffenen Entscheidungen zu bestätigen.

Dieses Jahr war insofern etwas anders, als die KPCh im vergangenen Oktober ihren alle fünf Jahre stattfindenden Kongress abhielt und Xi Jinping zum dritten Mal zu ihrem Generalsekretär berief. Gleichzeitig wurden neue Mitglieder des Politbüros und des Ständigen Ausschusses ernannt, die alle als Unterstützer:innen von Xis Fraktion innerhalb der KPCh anerkannt waren. Infolgedessen musste die Versammlung in der vergangenen Woche die gleichen Personen in die Gremien, die das Land formell regieren, wie den Staatsrat, berufen. Alle 2.900 Delegierten stimmten daher pflichtbewusst für Xi als Präsident – nicht, dass es irgendwelche alternativen Kandidat:innen gegeben hätte.

So vorhersehbar all diese Ernennungen auch waren, sehen professionelle China-Beobachter:innen, das heutige Äquivalent zu den „Kremlastrolog:innen“ des ersten Kalten Krieges, eine gewisse Bedeutung in der Beibehaltung von Yi Gang als Gouverneur der Zentralbank. Dies wird als ein beruhigendes Bekenntnis zur Stabilität für die Interessen des Großkapitals gedeutet, das durch das Gerede über größere wirtschaftliche „Reformen“, die die staatliche Kontrolle verstärken werden, beunruhigt ist. Die Ernennung von He Lifeng, dem Vorsitzenden der staatlichen Planungsabteilung (Staatliche Kommission für Entwicklung und Reform), zum Vizepremier, deutet jedoch darauf hin, dass tatsächlich Veränderungen auf der Tagesordnung stehen.

Der Aufstieg von Li Qiang, Xis Nummer zwei in der KPCh und nun zum Ministerpräsidenten Chinas ernannt, veranschaulicht drei wesentliche Merkmale der KPCh-Politik: die anhaltende Unterstützung des Großkapitals, die unanfechtbare Macht der Partei und die völlige Unterordnung unter Xi Jinping. Li war der Shanghaier Parteichef, der Elon Musk dazu überredete, seine Mega-Tesla-Fabrik in der Stadt zu bauen, aber auch die umfassendste und oft tödliche Abriegelung von Chinas Wirtschaftsmetropole auf Anweisung von Xi durchsetzte.

Währenddessen wurde in Hongkong die wahre Bedeutung von „Ein Land, zwei Systeme“, auch bekannt als „Hongkong regiert, Peking herrscht“, vor den Gerichten und auf der Straße demonstriert. 47 Mitglieder von Oppositionsparteien, viele von ihnen ehemalige Mitglieder des Legislativrats der Stadt, stehen vor Gericht, weil sie die Frechheit besaßen, „Vorwahlen“ abzuhalten, um ihre Kandidat:innen für eine Wahl im September 2020 auszuwählen, die dann verschoben wurde.

Anklagen

Wie die Staatsanwaltschaft erklärte, hatten die Angeklagten geplant, ihre Wahlbeteiligung zu maximieren und so ihre Chancen zu erhöhen, genügend Sitze zu gewinnen, um von der Regierung unterstützte Gesetze zu blockieren. Dies stellte eine Verschwörung im Sinne des am 20. Juni 2020 erlassenen Gesetzes über die nationale Sicherheit dar!

Am 8. März, dem Internationalen Frauenkampftag, wurde Mitgliedern der Liga der Sozialdemokrat:innen der Stadt mit Verhaftung gedroht, falls sie an einem Marsch für die Rechte der Frauen teilnähmen – und die Demonstration wurde abrupt abgesagt. Am selben Tag wurde Elizabeth Tang, die frühere Vorsitzende einer Hausangestelltengewerkschaft und Ehefrau von Lee Cheuk-yan, einem der 47 vormaligen Mitglieder des Legislativrats, wegen des Verdachts auf „Zusammenarbeit mit dem Ausland“ verhaftet.

Am Samstag, den 11. März, wurden drei Anführer:innen der Hongkong-Allianz, die die große Demonstration zum Gedenken an das Tiananmen-Massaker 2019 organisiert hatte, zu viereinhalb Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie es versäumt hatten, auf ein Ersuchen der Nationalen Sicherheitspolizei um Daten zu antworten. Die Bedeutung des Prozesses liegt nicht so sehr in der Verurteilung, sondern in seiner möglichen Verwendung als Vorbereitung für eine weitere Strafverfolgung wegen Subversion und Handelns als Agent:innen „einer ausländischen Macht“ – bei der der Schuldspruch zweifellos als „Beweis“ vorgelegt werden wird.

Rede von Chow Hang-tung

Eine der drei, Chow Hang-tung, weigerte sich, vom vorsitzenden Richter zum Schweigen gebracht zu werden, und bestand darauf, ihre Handlungen in einer letzten Rede von der Anklagebank aus zu rechtfertigen. Wir geben diese Rede wieder, sowohl als Geste der Solidarität als auch als Anerkennung für ihren Mut:

„Euer Ehren, wir wissen ganz genau, dass wir keine ausländischen Agent:innen sind, und in dieser einjährigen Prozedur hat sich nichts ergeben, was das Gegenteil beweist. Uns unter solchen Umständen zu verurteilen, bedeutet, Menschen dafür zu bestrafen, dass sie die Wahrheit verteidigen.

Die Wahrheit ist, dass die nationale Sicherheit als hohler Vorwand benutzt wird, um einen totalen Krieg gegen die Zivilgesellschaft zu führen. Die Wahrheit ist, dass unsere Bewegung für Menschenrechte und Demokratie im eigenen Land gewachsen ist und nicht von einem finsteren ausländischen Implantat stammt. Die Wahrheit ist, dass die Menschen hier eine eigene Stimme haben, die nicht zum Schweigen gebracht werden wird.

Dem Bündnis sind die Kosten nicht fremd, die entstehen, wenn man der Macht die Wahrheit sagt. Wir sollten es wissen, da wir seit über 30 Jahren die Wahrheit über das Tiananmen-Massaker bewahren und uns für viele derjenigen eingesetzt haben, die inhaftiert, schikaniert und gedemütigt wurden, weil sie die Wahrheit gesagt haben. Wir sind seit langem bereit, den Preis dafür zu zahlen.

Mit den Bekanntmachungen und der erniedrigenden Einstufung als ausländische Agent:innen wollte die Regierung uns sagen: Geht in die Knie, verratet eure Freund:innen, verratet eure Sache, akzeptiert die absolute Autorität des Staates, der alles weiß und alles entscheidet, und ihr werdet Frieden haben!

Was wir mit unserer Aktion sagen, ist ein einziges Wort: NIE. Ein ungerechter Frieden ist überhaupt keiner. Niemals werden wir unsere Unabhängigkeit vom Staat aufgeben. Niemals werden wir dazu beitragen, unsere eigene Bewegung zu delegitimieren, indem wir das falsche Narrativ der Regierung gutheißen. Niemals werden wir uns selbst und unsere Freund:innen als potenzielle Kriminelle behandeln, nur weil die Regierung uns das vorwirft.

Stattdessen werden wir das tun, was wir schon immer getan haben, nämlich Falschheit mit Wahrheit, Demütigung mit Würde, Geheimhaltung mit Offenheit, Wahnsinn mit Vernunft und Spaltung mit Solidarität bekämpfen. Wir werden gegen diese Ungerechtigkeiten angehen, wo immer wir müssen, sei es auf der Straße, im Gerichtssaal oder in der Gefängniszelle. Dieser Einsatz, einschließlich dessen, was wir in diesem Fall getan haben, ist ein Kampf, den wir hier, in dieser Stadt, die wir unser Zuhause nennen, führen müssen. Denn unsere Freiheit, wir selbst zu sein, steht auf dem Spiel. Es geht um die Zukunft unserer Stadt und sogar um die der ganzen Welt.

Euer Ehren, die heutige Anhörung findet zu einem ironischen Zeitpunkt statt. Während die falschen Volksvertreter:innen in Peking ihre große Versammlung abhalten und damit beschäftigt sind, die Wünsche eines Mannes als die der Nation anzuerkennen, wird den echten Stimmen des Volkes diese Anerkennung in diesem Gerichtssaal verweigert. Wenn die Interessen der Nation von einer Partei oder gar einer Person definiert werden, wird die so genannte ‚nationale Sicherheit’ unweigerlich zu einer Bedrohung für die Rechte und die Sicherheit des Volkes, und zwar auf nationaler und sogar auf globaler Ebene, wie die Beispiele Tiananmen, Xinjiang, die Ukraine und sogar Hongkong zeigen.

Im Vergleich zu diesen eingebildeten Agent:innen nicht identifizierbarer ausländischer Körperschaften ist die konkrete, aber nicht rechenschaftspflichtige Staatsmacht sicherlich die gefährlichere Bestie. Die Regierung betont stets die Priorität ‚Ein Land, zwei Systeme’, aber das bedeutet nicht, dass wir als Bürger:innen dieses Landes die Hauptverantwortung dafür tragen, diese Bestie, die die Welt bedroht, zu zügeln. Deshalb haben wir getan, was wir getan haben, und deshalb dürfen wir niemals aufgeben.

Herr Vorsitzender, verurteilen Sie uns für unseren Ungehorsam, wenn Sie müssen, aber wenn die Ausübung der Macht auf Lügen beruht, ist Ungehorsam die einzige Möglichkeit, menschlich zu sein. Dies ist meine Unterwerfung.“




China: Ende der Null-Covid-Politik

Peter Main, Infomail 1210, 14. Januar 2023

Die rasche Lockerung von Chinas Null-Covid-Sperren ist eine direkte Folge der Massenproteste, die das Land erschüttert haben. Die Proteste selbst korrigieren auch das weit verbreitete Bild, dass die Bevölkerung nur die ewig gehorsame, gedankenlose Sklavin der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ist.

Die erste Reaktion des Einparteienstaates bestand jedoch im Versuch, die Demonstrationen zu unterdrücken. Das Aufgebot an gut ausgebildeter und ausgerüsteter Bereitschaftspolizei macht deutlich, dass sich das Regime seit langem auf solche Konfrontationen vorbereitet hat. Es weiß, dass seine weitere Herrschaft von der Repression abhängt.

Die Auswirkungen der Proteste bedeuten jedoch nicht, dass sie den einzigen Faktor für das Einlenken von Ministerpräsident Xi Jinping ausmachten. Die Entscheidungen einiger Provinzbehörden und lokaler Regierungen, die Lock-down-Regeln „neu zu interpretieren“, bevor es eine neue Entscheidung aus dem Machtzentrum Peking gab, weisen auf Spaltungen innerhalb der KPCh selbst hin.

Das ist nicht überraschend. Die unteren Ränge der Partei stehen in ständigem Kontakt mit der Öffentlichkeit, und zu ihnen gehören auch Zehntausende von „Geschäftsleuten“, d. h. Kapitalist:innen, die den Zusammenbruch ihrer Unternehmen erlebt haben. Parteimitglieder sind auch Schlüsselfiguren in den Kommunalverwaltungen auf allen Ebenen.

Ein Beamter der Stadt Dongguan sagte laut Financial Times, dass die lokalen Regierungen Schwierigkeiten hätten, die Subventionen aufrechtzuerhalten, um die Fabriken offen zu lassen, da sie auch für die Covid-Tests aufkommen müssten. Bei Millionen von Menschen, die sich täglich testen lassen müssen, nur um zur Arbeit zu gehen, wird es immer schwieriger, die Bilanzen auszugleichen.

Am anderen Ende der sozialen Skala, laut Forbes-Liste der 100 reichsten Menschen Chinas, ist das Vermögen der reichsten Tycoons des Landes im letzten Jahr um 39 Prozent gesunken. Das liegt nicht nur an den Covid-Maßnahmen, sondern auch an der Rezession in der übrigen Welt, von der China betroffen ist. Die Exporte, für die ein Wachstum von 4,5 % für das dritte Quartal bis September erwartet wurde, schrumpften tatsächlich um 0,3 %.

Nicht nur bei den Covid-Beschränkungen macht Xi einen Rückzieher. Auch die finanziellen Anforderungen, die sich auf die so wichtige Bau- und Immobilienbranche auswirken, wurden erheblich gelockert. Die Beschränkungen des Verhältnisses von Schulden zu Kapital, die so genannten „drei roten Linien“, bedrohten die Zahlungsfähigkeit vieler großer Unternehmen, von denen Evergrande nur das bekannteste ist.

Die chinesische Zentralbank hat eine ursprünglich für Ende des Jahres angesetzte Frist verlängert, innerhalb derer die Kreditinstitute ihren Anteil an Krediten im Immobiliensektor begrenzen müssen. Dies bedeutet, dass Banken und andere Kreditgeber:innen mehr Zeit haben, um den Anteil der immobilienbezogenen an ihren Gesamtschulden anzupassen. Die Zeit soll genutzt werden, um Projekte abzuschließen und so die ausstehenden Schulden zu verringern.

Insgesamt sehen die Aussichten für das kommende Jahr in China düster aus. Die zentrale Rolle der Exporte in der Wirtschaft, bisher eine der größten Stärken des Landes, wird zu einer Gefahr, wenn die Nachfrage im Rest der Welt zurückgeht, teils wegen der steigenden Zinsen, teils wegen der Lager, die immer noch mit unverkauften Waren gefüllt sind. Sportausrüsterkonzern Nike zum Beispiel meldete im September, dass seine nordamerikanischen Lagerbestände am Ende des dritten Quartals um 65 % höher waren als im Vorjahr.

Mit der Verlangsamung der Wirtschaft werden Arbeitsplätze, -bedingungen und Löhne unweigerlich unter Druck geraten, und es wird für Aktivist:innen immer wichtiger werden, die Lehren aus den Anti-Lockdown-Protesten zu ziehen. Die Geschwindigkeit, mit der Taktiken in einer Stadt oder Region in weit entfernten Orten aufgegriffen wurden, zeigt, dass Pekings Überwachungsprogramme, so mächtig sie auch sein mögen, die Kommunikation nicht gänzlich unterbinden.

In der Tat wird berichtet, dass die Zensur von „We Chat“ und anderen „sozialen Medien“ in den letzten zwei Wochen deutlich nachgelassen hat, wobei Beiträge, die früher innerhalb von Stunden entfernt worden wären, nun tagelang im Umlauf sind. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, müssen die Aktivist:innen an allen Fronten ihre völlige Unabhängigkeit von den sich entwickelnden Fraktionen in der KP bewahren, so wie sie auch unabhängig von den Kapitalist:innen sein müssen, die beginnen, sich mit der Partei zu zerstreiten.




Nicht nur Chinas Coronastrategie steht auf dem Spiel: Heiße Nächte in chinesischen Großstädten

Resa Ludivien, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

In weiten Teilen Chinas herrscht mal wieder ein strenger Lockdown. Ein Brand in einem Haus in Xinjiang hat das Fass zum Überlaufen gebracht. In der Viermillionenstadt Urumtschi mussten Anwohner:innen dabei zusehen, wie es in einem Mehrfamilienhaus brannte. Grund dafür war, dass wegen der im Zuge der Coronamaßnahmen errichteten Straßensperrungen für die Feuerwehr kein Durchkommen war. Auch an dem Haus angekommen, war eine reguläre Intervention „schwierig“. Bedenkt man, dass in vielen chinesischen Großstädten in jedem Viertel so viele Menschen wie in ganzen europäischen Großstädte leben, ist es kein Wunder, dass diese Bilder auch jene in Angst und Panik versetzt haben, die sich sonst wenig mit dem abgelegenen Westen des Landes beschäftigen. Noch wahnwitziger ist, dass die Ausgangssperre die Menschen am Verlassen des brennenden Hauses gehindert hat. Resultat: 10 Tote, die wahrscheinlich noch leben würden, wenn die Staatsdoktrin nicht so unflexibel wäre.

Doch der tragische Tod dieser Menschen führte auch dazu, dass sich die lange angesammelte Wut und Verzweiflung der Menschen Bahn brachen.

Seit dem 27. November gibt es landesweit Proteste. Sogar Rufe nach Xis Rücktritt sind zu vernehmen. So weit haben es die Forderungen in den letzten Jahrzehnten selten getrieben. Der Staat reagierte mit einer gestiegenen Polizeipräsenz und der undurchsichtigen Aussage: „Wir passen die Strategie an“. Nur wie und ob, steht im luftleeren Raum.

Bereits im Frühjahr hatten die Maßnahmen zu Protesten geführt (https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/20/china-vor-dem-scheitern-des-nationalen-projektes-0-covid/), doch die  Proteste der letzten Woche stellen wohl die größten öffentlichen politischen Proteste seit Jahrzehnten dar. Auch wenn sie massiv unterdrückt und infolgedessen auch kleiner wurden, so verweisen sie auf die tiefe soziale und politische Unzufriedenheit mit dem kapitalistischen China unter KP-Diktat. In Urumtschi (Xinjiang), Changsha (Hunan), Chengdu (Tschengdu; Sichuan), Zhengzhou (Tschengtschau Schi; Henan), Wuhan (Hubei; Zentralchina), Guangzhou (Kanton; Guangdong; Südchina), Shanghai (Schanghai; Ostchina), Beijing (Peking; Nordchina) sowie weiteren Städten gingen und gehen die Menschen auf die Straße.

Ausgangspunkt: Xinjiang

Urumtschi, der Ausgangspunkt der Proteste, ist die Hauptstadt der autonomen Region Xinjiang. Gerade durch Großereignisse wie die Olympischen Spiele wurde die Unterdrückung regelmäßig noch einmal verstärkt, um „Störungen“ zu vermeiden. Das trifft vor allem die autonomen Regionen. So ist es in diesen Zeiten noch viel schwieriger, nach Xinjiang oder Tibet zu reisen, als ohnehin schon. Auch wenn die Coronamaßnahmen das ganze Land treffen, ist es in Krisenzeiten zusätzlich einfacher, bereits unterdrückte nationale Minderheiten mit noch mehr Repressalien zu schikanieren.

Laut Staatsdoktrin gibt es 55 anerkannte ethnische Minderheiten in China. Doch spielen sie in der öffentlichen Darstellung nur in zwei Fällen eine Rolle: Wenn sie „stören“ und man sie kommerziell vermarkten kann. An einem Tag werden dann Tourist:innen durch singende und tanzende Menschen in Tracht geführt und am nächsten sind alle von der Han-Mehrheit abweichenden Traditionen, Sprachen und Kultur der Führung ein Dorn im Auge.

Dass aus dieser von Repressalien gequälten Region eine Bewegung ausgehen könnte, hätte wohl niemand gedacht. Zu abgeschottet, zu überwacht und zu weit weg von dem Gedächtnis der Han-chinesischen Mehrheit, die sonst nur wenig zur chinesischen Umerziehungspolitik verlauten lässt. Doch nun könnte Xinjiang insofern ein Zünglein an der Waage sein, als vor allem die dort lebende muslimische Minderheit nichts mehr zu verlieren hat. Was könnte schlimmer sein als Verfolgung, Personen, die verschwinden und in „Umerziehungslager“ gesteckt werden?

Bisher nehmen die unwillkürlichen Festnahmen im Land weiter zu. Dies trifft nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ an Aktivist:innen oder Menschen, die sich ohne gültigen Aufenthaltsstatus (Hukuo) in Großstädten aufhalten. Sogar westliche Journalist:innen sind betroffen, wie ein Video zeigt, auf dem ein BBC-Vertreter festgenommen wird. Das Einzige, was er den Umherstehenden noch zurufen kann, war: „Informiert das Konsulat!“  Eine Exit-Strategie, die Chines:innen nicht haben. Kein Wunder also, dass gerade in dieser Zeit mehr und mehr sich nach einem politischen Umschwung sehnen.

Der Ruf nach Demokratie

Der Ruf nach Demokratie und Menschenrechten stellt nicht zufällig eine immer wiederkehrende Forderung von Protestbewegungen in China dar. Die Herrschaft der KP und die scheinbare Allmacht des obersten Führers, Xi Jinping, bedeuten auch, dass sich der Kampf um obige Forderungen direkt gegen diese Herrschaft richtet – und damit auch enorme Sprengkraft besitzt. Die Möglichkeiten chinesischer Bürger:innen und insbesondere von nationalen und ethnischen Minderheiten, aber auch der Arbeiter:innenklasse außerhalb der Großstädte, sind so begrenzt, dass unter der Oberfläche ein Vulkan brodelt. Es ist zugleich auch ein tiefer sozialer Widerspruch, denn schließlich profitierten der chinesische Kapitalismus, aber auch europäische und US-amerikanische Unternehmen von der Ausbeutung entrechteter Arbeitskraft.

Bewegungsfreiheit, ja selbst die Freiheit, sein Haus zu verlassen, gibt es in der chinesischen Variante des Lockdowns nicht. Die Straßen werden durch Polizei und Militär kontrolliert. Quarantäne bedeutet, in seinem Haus eingesperrt zu sein. Ganz zu schweigen von der dauerhaft fehlenden Versammlungs- und Pressefreiheit sowie Wahlen, bei denen nicht nur klar ist, dass sich nichts ändert, sondern auch welche immer gleichen Männer die Macht in ihren Händen halten werden.

Da wird schon ein weißes Blatt zum Politikum. Eben solch ein Blatt ist nun ein Zeichen des Protests, weswegen einige von der „white paper revolution“ sprechen. Es soll darauf aufmerksam machen, was alles nicht gesagt werden darf. Ob es tatsächlich eine Revolution wird, bleibt abzuwarten. Aber die von den Aktionen in Hongkong inspirierte kreative Protestform verdeutlicht, dass die Aktiven in verschiedenen Regionen voneinander lernen und verweisen auf entstehende, wenn auch noch schwache Verbindungen zwischen den Städten. Während der Proteste bleibt es nicht bei den unbeschriebenen Blättern. Wenn die Demonstrierenden diese in die Luft halten, skandieren sie: „Wir brauchen keine Diktatur, wir wollen Wahlen“.

Repression

Die Polizei reagiert mit Gewaltausbrüchen und Festnahmen. Insgesamt ist die Gewaltbereitschaft gestiegen, auch bei der Nichteinhaltung von Coronamaßnahmen. So gab es in Hongkong Angriffe der Polizei bei Maskenverweigerung. Allerdings sollte man nicht aus westlicher Arroganz heraus die chinesischen Proteste mit den reaktionären in Deutschland oder Österreich vermischen. Und auch das Nichttragen einer Maske in Zeiten eine Pandemie macht eine/n noch nicht zum/r Held:in.

Die Auswirkungen der Maßnahmen hierzulande sind auch nicht zu vergleichen mit denen in China. Denn trotz der immer mehr verarmenden Arbeiter:innenklasse in Europa gibt es zumindest in Ländern wie Deutschland formal einen Sozialstaat mit „Hilfsgeldern“ und Gewerkschaften als Interessenvertretung, die, auch wenn sie schlechte Abschlüsse in Tarifverhandlungen erzielen, zumindest einige Zugeständnisse erreichen können. Eben genau das, was es in China nicht gibt. Die soziale Lage ist untrennbar mit der wirtschaftlichen verbunden. Hier nur ein paar Beispiele:

Es wird auch in weiten Teilen Chinas langsam Winter. Wer kein Geld besitzt oder viel weniger als der Durchschnitt verdient, weil er oder sie nicht zur Arbeit kann, sondern zuhause eingesperrt ist, bekommt schlimmstenfalls gar nichts. Besonders diejenigen, die im großen Schattensektor der Großstädte ohne Arbeitserlaubnis arbeiten, betrifft dies. Kein Geld, kein Essen, keine Heizung.

Covid als Gefahr für die Wirtschaft

Chinas Nutzen aus der Pandemie ist nicht mehr so stark wie zu Beginn, als sich seine Politik als die überlegene zeigte. Mittlerweile ist die westliche Welt durchgeimpft, zumindest alle, die es wollten, und immer mehr halbkoloniale Länder erhalten Zugang. China hingegen setzt auf Sinovac und Sinopharm, deren Wirksamkeit bei um die 50 % der modernen Impfstoffe liegt. 69 % der älteren Bevölkerung erhielten bisher eine vollständige Impfung. Die Infektionszahlen steigen dennoch oder gerade deswegen und die Regierung versucht, sie in den Griff zu bekommen. Vergebens. Eine großangelegte Impfkampagne oder die Zulassung der M-RNA-Impfstoffe sind nicht in Sicht.

Die ständigen Lockdowns zeitigen mittlerweile Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Produktivität sinkt, die jährliche Wachstumsrate auch. Letztere wird 2022 nur noch ungefähr 3,9 % betragen. Schon jetzt zeigt sich, dass Chinas Aufschwung und somit auch seiner Durchsetzungskraft im imperialistischen Konkurrenzkampf die Lockdowns im Weg stehen. Bereits jetzt machen sich aber auch die Proteste an den Börsen bemerkbar.

Ein weiteres Problem für Staatsführer Xi. Über kurz oder lang wird die Führung von der Null-Covid-Strategie in einem Land abrücken müssen. Denn es sind derzeit vor allem Investor:innen, die fernbleiben. Aber irgendwann setzt China auch die eigene Versorgung aufs Spiel. Wenn weite Teile regelmäßig nicht arbeiten können, hat das auch Konsequenzen für die Nahrungsmittel- oder Energieversorgung. Inwiefern in diesem Fall auch einfache Mitglieder des Militärs genug vom Eingesperrtsein, Trennung von der Familie und wirtschaftlicher Schwäche des Landes haben oder gar selbst die Gefahr von Versorgungsengpässen sehen und nicht mehr bedingungslos hinter der Führung stehen, bleibt abzuwarten. Schaden würde es nicht.

Arbeiter:innenrevolte

Besondere, längerfristige Bedeutung spielt die Rolle der Lohnabhängigen in der aktuellen Protestwelle. In Zhengzhou wurden Arbeiter:innen von Foxconn sogar an ihrem Arbeitsplatz zu Tausenden in Quarantäne gepfercht, nachdem es ein paar positive Tests gab. Einziger Vorteil daran, mit den positiv getesteten Kolleg:innen eingesperrt zu sein: Zum Organisieren weiterer Aktionen sind schon mal alle an Ort und Stelle. Auch hier kam es zu Protesten. Bisher scheinen sich aber noch keine Führungspersonen über lokale Aktionen hinaus herauskristallisiert zu haben.

Die Proteste sprießen mehr wie Pilze aus dem Boden, als sie koordiniert sind. Sie umfassen Jugendliche, Arbeiter:innen, aber auch die sog. „Mittelschicht“, die es vor allem in den Großstädten gibt. Oft spielen Studierende eine zentrale Rolle. Das spricht dafür, dass trotz der starken Überwachung der sozialen Medien nicht alles eingedämmt werden kann, birgt aber auch die Gefahr, dass diese Schwäche ausgenutzt wird. Eine Bewegung entsteht zwar dynamisch und „spontan“, eine richtungsweisende, fortschrittliche Führung und somit eine Strategie und Programmatik aber nicht.

Dieser besondere Moment muss genutzt werden. Wenn die Proteste so weiter gehen wie bisher, ist es wahrscheinlich, dass sie trotz ihres Elans und ihres Heroismus unterdrückt werden von einem zentralisierten Staatsapparat. Aber schon die Tatsache, dass die Regierung Versprechen zu Veränderungen ihrer Politik abgeben muss, verdeutlicht, dass sie diese Bewegung nicht bloß zerschlagen kann, weil ihr sehr bewusst ist, dass Tausende Demonstrierende nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs an Opposition zum herrschenden Regime darstellen.

Zugeständnisse durch die Regierung, eine Modifikation ihrer Coronapolitik wären schon ein Teilerfolg, der zeigt, dass auch in China Widerstand nicht zwecklos ist. Schafft es der scheinbar allmächtige Xi in dieser Krise nicht, das Land wieder zu befrieden und die Wirtschaft anzukurbeln, könnte sich auch seine eigene Partei gegen ihn wenden. Aber die Menschen brauchen mehr als eine etwaige Reform von oben oder den Austausch von Führer:innen.

Wie auch immer die Bewegung weiter verlaufen wird, so wird sie einen prägenden Einfluss auf viele Aktivist:innen ausüben, weil sie grundlegende Fragen von Strategie und Taktik, Programm und Organisierung unter den Bedingungen des chinesischen Kapitalismus aufwirft. Dabei gilt es, den Kampf um demokratische Rechte mit dem der Lohnabhängigen zu verbinden, die Frage nach Meinungs- und Organisationsfreiheit mit der zu verbinden, welche Klasse das zukünftige China lenken soll.

Dabei wird die Verbindung der fortschrittlichen Teile der Studierenden mit der Arbeiter:innenklasse von entscheidender Bedeutung sein, denn letztlich kann nur sie die notwendigen Veränderungen erzwingen und durchsetzen. Dafür braucht es koordinierte Aktionen, Streikkomitees in Betrieben sowie in Stadtteilen und eine landesweite Vernetzung. Die aktuellen Proteste zeigen, dass wahrscheinlich demokratische Forderungen am Beginn der nächsten Welle von Aktionen stehen und größere politische Bewegungen rasch mit der Frage des Regimes konfrontiert werden. Außerdem dürfen all die mutigen Demonstrierenden im Osten des Landes, die mehr in der medialen Berichterstattung erscheinen, die Minderheiten im Westen sowie die Landarbeiter:innen nicht vergessen lassen. Die gezielte Spaltungspolitik der letzten Jahre muss überwunden werden. Dazu zählen die Abschaffung der Lager für Muslim:innen sowie des Hukuos, der Klassenzugehörigkeit qua Geburt aufrechterhält und zusätzlich die Arbeiter:innen auch geografisch spaltet.

Es braucht also einen gezielten Aufbau und eine Vernetzung der Kampfstrukturen auch über die großen Städte hinaus auf dem Land. Da rein legale Arbeit in China so gut wie unmöglich ist, muss ihr Aufbau, vor allem aber der einer revolutionären Partei auch mit illegaler Untergrundtätigkeit verknüpft werden.




China: Xi schottet die Partei ab

Peter Main, Neue Internationale 269, November 2022

Der zwanzigste Kongress der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) verlief vorhersehbar und nach Plan. Nun ja, fast. Dem Parteivorsitzenden Xi Jinping gelang es endlich, alle 24 Plätze im Politbüro und die sieben Plätze im Ständigen Ausschuss mit seinen eigenen Anhänger:innen zu besetzen. Obwohl er 2012 die Unterstützer:innen von Hu Jintao und Li Keqiang, dem vorherigen Präsidenten und dem bis Ende diesen Jahres noch amtierenden Premierminister, ausgeschaltet hatte, war er gezwungen, sie bis jetzt im höchsten politischen Gremium, dem Ständigen Ausschuss, zu behalten.

Die einzige Unterbrechung der sorgfältig inszenierten Inszenierung monolithischer Einheit erfolgte in der letzten Sitzung, als der Kongress über seine geänderten Statuten, d. h. die Bedingungen der Parteimitgliedschaft, abstimmen sollte. Plötzlich wurde Hu von Beamt:innen von seinem Platz am obersten Tischende entfernt und weggeführt. Beim Gehen warf er einen Blick auf Xi und klopfte Li leicht auf die Schulter.

Episode

Wir werden vielleicht nie genau erfahren, was hinter dieser außergewöhnlichen Episode steckt, aber viele haben bemerkt, dass Hu unmittelbar vor seiner Absetzung die rote Mappe vor ihm geöffnet hatte, die Berichten zufolge geschlossen bleiben sollte, bis Xi gesprochen hatte. Wurde er, der frühere Parteivorsitzende, der die Erholung von der Großen Rezession beaufsichtigte, einfach wegen eines Verstoßes gegen das Protokoll abgesetzt? Befürchtete man, er könnte Xi unterbrechen? Oder war es einfach nur eine Demonstration, dass es absolut niemandem erlaubt ist, von dem von Xi festgelegten Drehbuch abzuweichen?

An die offizielle Version, dass Hu erkrankt war und ihm zu seinem eigenen Wohl weggeholfen wurde, scheint jedoch niemand zu glauben.

Was auch immer daran wahr sein mag, der gesamte Kongress hat auf jeden Fall deutlich gemacht, dass Xi jetzt die volle Kontrolle innehat. Für den Fall, dass irgendjemand Zweifel hatte, verpflichtet die Änderung der „Satzung“ alle Parteimitglieder, seinen Status als „Kern der Parteiführung“ zu wahren.

Eine solche Beweihräucherung, eine solche monolithische Einheit, wirft sofort die Frage auf: „Wovor hat er Angst?“ Sicherlich sind solche Maßnahmen nur dann notwendig, wenn es irgendeine Art von Bedrohung gibt. Selbst in einem so streng kontrollierten Land gibt es in der Tat Anzeichen von Dissens. Eine Woche vor Beginn des Kongresses erklärten zwei führende Mediziner, George Fu Gao und Zhong Nanshan, dass die durch Abriegelungen erzwungene Pandemiestrategie, die als das Markenzeichen von Xis Politik gilt, nicht mehr zu erreichen sei. Am nächsten Tag widerlegte die Tageszeitung People’s Daily diese Idee und lobte die Politik in den höchsten Tönen.

Am ersten Tag des Kongresses ließ eine einsame Figur ein Transparent von einer Straßenbrücke in Peking herunter, unter den vielen Slogans lautete der erste: „Wir wollen keine Tests, wir wollen Essen!“ Der „Brückenmann“, wie er jetzt genannt wird, in offensichtlicher Anspielung auf den „Panzermann“, der sich nach dem Tiananmen-Massaker im Juni 1989 einer Panzerkolonne widersetzte, fasste die Gefühle von Millionen Menschen treffend zusammen.

Er wies auch auf die entscheidende Schwäche von Xis Diktatur hin: Wenn seine Herrschaft so vollständig ist, dann ist er direkt für alle Fehler, alle Misserfolge verantwortlich – und angesichts der weltweiten Verbreitung von Covid wird die Abriegelungsstrategie scheitern. Die Gesundheitsbehörden wissen es, die lokalen Regierungsvertreter:innen wissen es, zweifellos wissen es auch viele Parteimitglieder – aber man darf es nicht sagen, und man kann es nicht korrigieren. In dieser Frage hat sich Xi selbst in eine Ecke gedrängt. Langfristig führt dies zu einer politischen Lähmung: Xi kontrolliert die Partei, die Partei kontrolliert alles, wenn Xi abgesetzt würde, wäre das gesamte Regime bedroht.

Wirtschaft

Die Abriegelung ist nur eines der Themen, aus denen Xis Gegner:innen in der Partei und im ganzen Land Kraft schöpfen werden. Ein weiteres ist die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten fand der Kongress vor dem Hintergrund einer sich abschwächenden Wirtschaft statt. Die Industrieproduktion ist 2022 bis Juli nur um 0,4 % gestiegen. Die Quartalsvergleichszahl des Bruttoinlandsprodukts, die während des Kongresses veröffentlicht werden sollte, sich aber bis an dessen Ende verzögerte, wies eine jährliche Wachstumsrate von 3,9 % auf, geplant waren 5,5 %.

Die von Xi verhängten Abriegelungen sind zum Teil dafür verantwortlich, da sie die Produktion, die Lieferwege und den Inlandsverbrauch stören. Seine Gegner:innen weisen auch darauf hin, dass die Vereitelung jeglicher Hoffnung auf eine Lockerung der Politik durch den Kongress internationale Folgen zeitigte. Am Morgen nach Ende des Kongresses erlitt der Nasdaq-Index der in den USA notierten chinesischen Unternehmen mit einem Minus von 14,4 % seinen bisher größten Tageseinbruch. Auch der Hang-Seng-Index Hongkongs verzeichnete mit einem Minus von 1,6 % den stärksten Rückgang seit der Krise von 2008.

Chinas wirtschaftlicher Abschwung ist jedoch nicht nur Ergebnis einer verfehlten Politik. Im Inland unterliegt es ebenso den zyklischen Mustern der kapitalistischen Produktion wie jede andere kapitalistische Wirtschaft. Das rasante Wachstum nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation 2001 endete in der Krise von 2008. Der Aufschwung wurde durch enorme staatliche Ausgaben für die Infrastruktur angeheizt, wurde aber durch den Börsencrash von 2016 gestoppt, der Xi dazu veranlasste, gegen einige der kapitalistischen Kreise vorzugehen, die er anfangs gefördert hatte. Seitdem sind die Wachstumsraten stetig gesunken.

Auf internationaler Ebene hat der Aufstieg des Landes zu einer großen kapitalistischen Wirtschaft, einer imperialistischen Macht, es in Konflikt mit den bereits bestehenden Weltmächten gebracht, vor allem mit den USA. Die US-Sanktionen gegen China, die unter Obama begonnen und seither aufrechterhalten wurden, bringen nun schwerwiegende Auswirkungen mit sich, vor allem in den Bereichen, in denen Spitzentechnologie nicht nur industriell, sondern auch militärisch genutzt werden kann.

Dies sind die Faktoren, die Xis Politik geprägt haben, die im Allgemeinen durch eine größere Kriegslust auf internationaler Ebene und die Unterdrückung potenzieller Rival:innen im Inland gekennzeichnet ist. Wie der Brückenmann gezeigt hat, gibt es jedoch weitverbreitete Ressentiments und Feindseligkeit gegenüber der Einparteiendiktatur und dem angeblich allmächtigen Führer. Er hat auch gezeigt, vor wem Xi Jinping wirklich Angst hat, nämlich nicht vor den Amerikaner:innen, sondern vor den Chines:innen.




Taiwan – ein Zeichen der Zeit

Peter Main, Infomail 1194, 5. August

Der 4. August, der Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs, scheint kein günstiges Datum für China zu sein, um seine Streitkräfte zu mobilisieren und Taiwan zu umzingeln. Xi Jinpings Ankündigung von Sperrzonen, die jeglichen Zugang zu den Häfen der Insel blockieren sollen, um eine „Live-Feuer“-Übung zu ermöglichen, birgt das sehr reale Risiko einer Eskalation, ob beabsichtigt oder nicht.

Abgesehen von diesem Risiko bedeutet das Fehlen einer umfassenden Mobilisierung auf der chinesischen Seite der Meerenge, dass alles Gerede über eine mögliche Invasion nur Kriegshetze ist, aber deswegen nicht weniger gefährlich.

Die wirkliche Parallele liegt nicht im Jahr 1914, sondern in der Zeit unmittelbar davor. Im ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, dem Beginn der imperialistischen Epoche, kam es zu einer Reihe von Krisenherden, die auf direkte imperialistische Rivalität, Aufstände gegen imperialistische Besatzung oder nationalistische Revolten innerhalb der seit langem bestehenden großen Imperien zurückzuführen waren.

Heute sind die inter-imperialistische Rivalität und das Kriegspotenzial auf das Entstehen neuer imperialistischer Mächte – Russland und China – nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus zurückzuführen. In einer Welt, die bereits von älteren imperialistischen Mächten beherrscht wird, kann eine weitere Expansion im Falle Chinas sowie vielleicht ein weiteres Überleben im Falle Russlands nur auf Kosten dieser etablierten Mächte gewährleistet werden.

Ebenso können sich die Staaten, die an globale Macht gewöhnt sind, nur erhalten, indem sie ihre neuen Rivalen behindern, sei es durch die Einbindung in bestehende Bündnisse, durch wirtschaftliche Zwangsjacken oder letztlich durch Krieg. Wie in der Zeit vor 1914 gibt es auch in der heutigen Welt zahlreiche Beispiele dafür.

Pelosi-Besuch

Der besondere Auslöser für die Auseinandersetzung um Taiwan, der vielbeachtete Besuch von Nancy Pelosi in Taipeh, erscheint auf den ersten Blick fast komisch trivial. Eine alternde Politikerin, hinter dem Präsidenten und der Vize-Präsidentin Dritte in der offiziellen Hierarchie der US-Politik, die bei den Zwischenwahlen im November vor dem Ende ihrer Karriere steht, wollte ein letztes Mal über die Weltbühne stolzieren und vielleicht sogar ein paar chauvinistische Stimmen einsammeln. Aber was sagt es über den Zustand der US-Innenpolitik aus, dass der amtierende Präsident Joe Biden sie nicht aufhalten konnte?

Warum hat Xi Jinping auf der anderen Seite des Pazifiks diesen eher traurigen Versuch der Selbstverherrlichung nicht einfach abgetan? Wie in den USA sind es innenpolitische Gründe, die die Antwort liefern. Angesichts einer allenfalls nur noch stagnierenden Wirtschaft, einer weit verbreiteten Unzufriedenheit über die Auswirkungen seiner Pandemiepolitik und eines bevorstehenden Parteitags, auf dem er eine dritte Amtszeit anstrebt, musste Xi selbst die chauvinistische Trommel rühren.

Seine Behauptung, Taiwan gehöre zu Chinas Staatsgebiet, zeugt von der Arroganz einer imperialistischen Macht, die die Bestrebungen einer kleineren Nation zurückweist. Taiwan war in der Tat ein Territorium, das vor langer Zeit Tribut an das chinesische Kaiserreich zahlen musste, was übrigens auch für Japan galt. Das kaiserliche China war jedoch kein Nationalstaat, in seiner langen vorkapitalistischen Geschichte kamen und gingen viele verschiedene Völker und Territorien unter seiner Kontrolle.

Die Behauptung, dass Taiwan, das in der kapitalistischen Epoche der Nationalstaaten eine von Festlandchina völlig getrennte Geschichte hatte, immer noch Peking untersteht, ist so sinnvoll wie die Forderung, dass all die europäischen Staaten, die einst Teil des Heiligen Römischen Reiches waren, jetzt Deutschland angegliedert werden sollten. Ob das taiwanesische Volk ein unabhängiger Staat oder ein Teil Chinas sein will, muss das taiwanesische Volk selbst entscheiden. Bislang hat es niemand gefragt.

Strategische Zweideutigkeit

Es gibt noch ein letztes Rätsel: Warum hat keine US-Regierung die taiwanesische Unabhängigkeit unterstützt, obwohl sie so viel über Taiwans Rechte geredet und Pekings Vorgehen lautstark verurteilt hat? Warum verstecken sie sich hinter der „strategischen Zweideutigkeit“, nur eine chinesische Regierung in Peking anzuerkennen, während sie gleichzeitig Taiwans „demokratische Rechte“ verteidigen?

Angesichts der neuen wirtschaftlichen und militärischen Stärke Pekings könnte man meinen, dass es sich hierbei einfach um Realpolitik handelt, aber das war in der Vergangenheit, als die US-Position erstmals formuliert wurde, nicht der Fall. Damals brachte die „Ein-China“-Politik die Absicht der USA zum Ausdruck, eines Tages das Regime der Kommunistischen Partei Chinas zu stürzen und das Regime von Chiang Kai-shek und seinen Nachfolgern wieder einzusetzen – zweifellos immer noch, ohne das Volk von Taiwan zu fragen.

Dieses Ziel ist in Washington nicht in Vergessenheit geraten, und bei den Parlamentswahlen 2020 in Taiwan hat Chiangs Partei, die Kuomintang, die die Position Washingtons in der nationalen Frage vertritt, ein Drittel der Wählerstimmen erhalten. Rein formal ist der Flügel der Kuomintang, der 1948 von Chiangs Regime abtrünnig wurde, immer noch in der Regierung in Peking vertreten.

Unter der neuen chinesischen Kapitalist:innenklasse, die nun unter dem Druck von Xis Politik steht, mag es sogar einige geben, die Vorteile in einem „wiedervereinigten“, vielleicht sogar „demokratischen“ China sehen. Sollte dies jemals der Fall sein, hätte die Bevölkerung Taiwans immer noch das Recht zu entscheiden, ob sie ein Teil davon sein möchte.

Genau wie vor 1914 sind diese Provokationen und Konflikte die Frühwarnzeichen eines Systems, das auf einen Krieg zusteuert. Wie damals muss sich die Arbeiter:innenklasse gegen jegliches Säbelrasseln, militärische Vorbereitungen und Wettrüsten mobilisieren, die nur zu einem größeren Gemetzel führen können. Weder die „demokratischen“ Großmächte noch ihre „autokratischen“ Rivalen können den Frieden sichern.

Nur der Sturz des gesamten Systems der kapitalistischen Großmachtkonkurrenz, des Imperialismus, und seine Ersetzung durch eine internationale sozialistische Ordnung, die die Freiheit und Selbstbestimmung der Völker garantiert, kann dies leisten. Nur dann kann eine rationale und demokratische Planung der Weltressourcen die Menschheit in die Lage versetzen, die Krisen der Armut, der Pandemien und der Umweltzerstörung zu überwinden, die der Imperialismus verursacht hat.




China und die neue Weltlage: Quo vadis?

Resa Ludivien, Neue Internationale 265, Juni 2022

Die letzten Monate haben das weltweite Machtgefüge ins Wanken geraten lassen. Doch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wirkt sich nicht nur auf das Verhältnis der NATO zu Russland oder die EU aus, sondern auch auf halbkoloniale Länder und den plötzlich etwas leiseren, weiteren Anwärter auf die Hegemoniestellung: China.

Der Krieg um die Ukraine

China hält sich in Fragen zum Krieg in der Ukraine auffällig bedeckt. Hilfszahlungen sind marginal und selbst eine politische Beteiligung an der „Lösung“ des Konfliktes scheint nicht in Sicht. Hintergrund für diese Haltung bildet der Umstand, dass es sich in einer zwiespältigen Lage befindet. Einerseits ist es Verbündeter Russlands. Sie sind nicht nur beide autoritär regiert, sondern wollen auch ein Gegenstück zum Westen darstellen. Durch die derzeitige westliche Russlandpolitik, insbesondere auch durch die Sanktionen, wird Russland noch näher an China gedrängt. Der ökonomische Austausch wird voraussichtlich auch steigen, da China ein wohlwollender Abnehmer für russische Rohstoffe ist, die jetzt im Westen „verbrannt“ sind.

Andererseits kommt China der Krieg denkbar ungelegen. Innenpolitisch steht die Regierung wegen Corona unter Zugzwang und der außenpolitische Druck erhöht sich stetig. Vor allem die USA nutzen den bereits bestehenden Konflikt mit der Volksrepublik, um ihr auch mit Sanktionen zu drohen. Trotz der Verbundenheit mit Russland, die weiterhin besteht, hätte sie nichts davon, sich zu offen zu positionieren oder am Krieg zu beteiligen, da sie damit einhergehende, schwer kalkulierbare Risiken fürchtet. Indirekt könnte sie zwar dennoch profitieren durch eine Verwicklung Russlands und der NATO in einen langen Krieg und indem sie sich gegenüber den Halbkolonien als „friedliche“ Alternative präsentiert.

Ost-West 2.0?

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass eine Neupositionierung für eines der beiden großen Lager (pro und contra NATO) nicht nur bei russischen Nachbar:innen angestoßen wurde, sondern auch die Frage der „Verteidigung“ in sonst „neutralen“ Staaten diskutiert wird. Neben Russland steht auch China auf der Anti-NATO-Seite. Eine russische Niederlage würde daher auch Konsequenzen für seine Expansionsbestrebungen haben, da unklar ist, was auf Putin folgt. Für die chinesische Regierung käme ein Regierungswechsel zu einem prowestlichen Regime im Nachbarland einer Schwächung gleich.

Die inneren Krisen in China, allen voran die Pandemie, aber auch eine nahende wirtschaftliche Krise, deren Ursache die massive Überakkumulation von Kapital bildet, setzen die KP noch zusätzlich unter Druck. Bereits jetzt ist die Stimmung schlecht. Immer mehr Menschen äußern ihre Unzufriedenheit und Verzweiflung wegen der Coronamaßnahmen sowie der dadurch entstandenen ökonomischen Einschränkungen wie fehlender Lohn und ausbleibende Nahrung, ganz zu schweigen von einer noch krasseren Einschränkung demokratischer Rechte.

Die Expansionsbestrebungen sind auf ökonomischer Ebene vor allem im Projekt „Neue Seidenstraße“ zu erkennen. Doch nicht nur China selbst, sondern auch Länder, die sich ihm angenähert haben, sind von der derzeitigen Krise betroffen. Sie hat bereits Pakistan und Sri Lanka erfasst. Das Versprechen von Wohlstand und Modernisierung nach chinesischer Manier, die das Projekt „Neue Seidenstraße“ mit sich bringen sollte, kann derzeit nicht eingehalten werden.

Im Gegenteil. Bisher hat die chinesische Regierung nur wenig getan, um ihren Verbündeten finanziell zu helfen. Dies führt sogar dazu, dass sich solche Länder zumindest zeitweilig wieder stärker am Westen orientieren – weil sie sich gezwungen sehen, mit dem IWF Vereinbarungen zu treffen, um den Bankrott abzuwenden und das Land zu stabilisieren. Einerseits kann das als Versuch der Schwächung des chinesisch dominierten Blocks gesehen werden. Andererseits dürfen diese „Hilfen“ nicht romantisiert werden, da die Arbeiter:innenklasse weder von der einen noch anderen Dominanz einen tatsächlichen Vorteil hat. Inwiefern Länder wie Pakistan wieder aus dem chinesischen Einfluss gelöst werden können, bleibt abzuwarten.

Nur einen Antagonismus zwischen „dem Westen“ und allen anderen, autoritären und nicht halbkolonialen Ländern (vor allem östlich von Europa) zu sehen, ignoriert aber die realen Interessen, die Länder wie Russland oder China verfolgen, und damit auch den realen Konflikt zwischen den sich formierenden imperialistischen Blöcken. Es geht nicht um „Demokratie und Freiheit“ vs. „Autoritarismus und Diktatur“, sondern um die Neuaufteilung der Welt.

Taiwan

Eine Besonderheit Chinas im derzeitigen Konflikt ist die Verbindung mit der Taiwanfrage. So versucht das Land seit Jahren auf politischem Wege und zuletzt mit immer mehr militärischer Drohkulisse, Taiwan „zurückzuholen“. Letzteres, eine kleine Insel, im strategisch wichtigen Ostchinesischen Meer, war zwar nie Teil der Volksrepublik, aber die Rhetorik der KP versucht dennoch, die Geschichte für sich günstig umzudeuten.

Einen Angriff des gut ausgerüsteten chinesischen Militärs würde Taiwan als Staat, der von vielen Ländern auf Druck Chinas nicht einmal anerkannt ist, alleine nur schwer überstehen. Die Einnahme würde die chinesische Seegrenze in Richtung USA und Japans verlegen. Taiwan setzt daher im Angriffsfall seine Hoffnung auf die USA, welche ihrerseits bereits zugesagt hat, es zu verteidigen. Diese hypothetische Konstellation bildet jedoch nur ein mögliches Szenario einer kriegerischen Konfrontation. Zur Zeit arbeiten die USA unter Biden daran, in Ostasien bestehende militärische Bündnisse zu stärken und neue wie z. B. AUKUS (Abkommen zwischen Australien, Britannien und den USA) zu schaffen, um China zu isolieren.

Kontrolle nach innen = Stärke nach außen?

Wer das kapitalistische System studiert, weiß, dass ökonomischer Aufschwung und schnelles Wachstum nicht dauerhaft anhalten können und nicht nur von individuellen oder nationalen Bemühungen abhängen. Auch wenn die Expansion des Kapitalismus in China ungewöhnlich lange anhielt, scheint deren Endlichkeit nun auch das Land erfasst zu haben. War „made in China“ noch vor einigen Jahren ein spöttischer Ausdruck dafür, wie sich die Blüte der chinesischen Wirtschaftskraft auf alle Kontinente erstreckte, ist die Volksrepublik nun ökonomisch angeschlagen. Sie kann, anders als vor 10 Jahren nicht mehr den Motor der Weltwirtschaft spielen, auf den man sich angesichts der sich anbahnenden internationalen Krise stützen könnte. Der politische und ökonomische Druck von außen auf China ist gestiegen. Doch Beijing will zuerst die Krisen im Innern angehen.

Das jahrhundertealte Konzept der inneren Harmonie, das als philosophische Grundlage den starken Fokus auf innere Angelegenheiten und Kontrolle bereits in vorkapitalistischen Zeiten setzte, bestimmt auch jetzt das Krisenmanagement der KP. Die Konzentration auf die Innenpolitik prägte auch den Volkskongress, der Anfang März stattfand – einer der wichtigsten Termine in der chinesischen Politik. Der wichtigste kommt freilich noch: der Parteitag im November 2022. Die oben bereits benannten Krisen versucht man, im Alleingang, und ohne großes Aufsehen zu erregen, zu lösen.

Das Problem liegt dabei aber darin, dass nicht nur Pandemie, sondern auch Inflation globale Phänomene sind. Um der Wirtschaftskrise im Land selbst entgegenzuwirken, wird versucht, „kontrolliert“ Kapital zu vernichten. Damit sollen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen begrenzt werden. Bei der gesamten Problemstellung handelt es sich jedoch um eine Art Quadratur des Kreises. Der Zweck der Krise besteht, innerkapitalistisch betrachtet, gerade darin, überschüssiges, nicht mehr konkurrenzfähiges Kapital zu zerstören, um so einen neuen Zyklus produktiver Neuinvestitionen und einer Erneuerung des Kapitalstocks einzuleiten. Je größer die Masse des überakkumulierten Kapitals, je mehr dieses auch die Finanzsphäre ergriffen hat und spekulative Blasen die Summen fiktiven Kapitals erhöht haben, desto heftiger muss die Zerstörung durch die Rezession ausfallen, damit die Grundlagen für einen neuen expansiven Zyklus gelegt werden können.

Dies inkludiert aber auch eine enorme Zuspitzung der Klassenkonflikte. Reales kapitalistisches Eigentum muss zerstört werden. Vor allem aber bedeutet dies auch die Stilllegung von Betrieben und Massenentlassungen von Arbeiter:innen. Die KP fürchtet solche Konflikte und ist ihrer wohl bewusst. Daher greift sie auf Repression und Überwachung in extremer Form zurück. Zugleich versucht sie aber auch, das Zerstörungswerk der Krise „kontrolliert“ durchzuführen. Dies schließt aber notwendigerweise ein, dass überschüssiges Kapital nicht zerstört, sondern fortgeschleppt und damit die Ursache der Krise nicht beseitigt wird.

Eine weitere Reaktion auf Weltwirtschaftskrisen ist die vermeintliche Stärkung nach innen, die allerdings Nationalismus und Repression befördert. Für die Arbeiter:innen bedeutet das weitere Einschränkungen. Eine nach außen gerichtete Krisenpolitik würde zwangsläufig zu einer Erstarkung der Achse Beijing-Moskau und einem Einspannen bereits verbündeter Regionalmächte, also Blockbildung, führen. Für die Aufrüstungsspirale und Kriegsgefahr wären das nur Brandbeschleuniger.

Klassenkampf in China

Die chinesische Arbeiter:innenklasse ist die größte der Welt. Kein Wunder also, dass man gerade versucht, diese niederzuhalten, um das Land zu kontrollieren. Ihr Potenzial, einen nationalen Umsturz oder eine gar internationale Bewegung einzuleiten, ist enorm. Jedoch sind auch die Hürden Repression und Unterdrückung massiv. Es gab in der Vergangenheit und auch in den letzten Jahren bereits unzählige Arbeitskämpfe. Aufgrund der eingeschränkten Versammlungsfreiheit, keiner Möglichkeit zur freien Organisierung und des ausgebauten Überwachungsapparats blieben die Kämpfe jedoch oft auch lokal beschränkt und durch die Zensur auch wenig im Land beachtet. Eine der größten Bewegungen neben der in Hongkong war vor Corona die chinesische Variante der #MeToo-Bewegung, die zwar keinen Klassenstandpunkt bezog, aber es schaffte, eine solche Dynamik zu entwickeln, dass die Social-Media-Zensur nicht hinterherkam.

Der Unmut über die soziale und politische Lage wird immer größer und entlud sich zuletzt gegen die Coronamaßnahmen, die ein „Überleben“ immer schwieriger machen. Die ökonomische, pandemische und innenpolitische Krise sowie der Systemkampf der KP mit den USA fordern ein Aktionsprogramm für den Klassenkampf in China. Die Krise wird sich weiter verschärfen. Es braucht eine gemeinsame Organisierung um ein solches herum gegen die Krise, damit Lohnabhängige, Bauern/Bäuerinnen und Unterdrückte nicht die Quittung für die Krise erhalten. Bereits jetzt gibt es lokale Kämpfe, Organisierung im Kleinen und im Untergrund oder spontane Aktionen im Betrieb. Es braucht einen gezielten Aufbau und eine Vernetzung der Kampfstrukturen auch über die großen Städte hinaus auf dem Land. Da legale Arbeit in China so gut wie unmöglich ist, kann nicht nur auf erlaubte Möglichkeiten zurückgegriffen werden, sondern der Aufbau einer revolutionären Partei muss auch mit illegaler Untergrundtätigkeit verbunden werden.

Eine revolutionäre Partei in China muss mit der Politkaste der KP-Führung brechen und von der Erkenntnis ausgehen, dass es sich von einem degenerierten Arbeiter:innenstaat hin zu einer imperialistischen Macht entwickelt hat. Die chinesische Arbeiter:innenklasse hat nichts, davon sich hinter die Kriegsrhetorik der Regierung einzureihen. Ganz im Gegenteil. Dieser Fokus nach außen dient nur, um Widersprüche im Innern zu vernebeln wie den Angriff auf die Lebensgrundlage von Arbeiter:innen oder die Beschränkung von demokratischen Rechten wie der Pressefreiheit oder die Unterdrückung von Minderheiten. Auch in China gilt wie in jedem imperialistischen Staat: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Lasst die Kapitalist:innen für die Krise zahlen! Bekämpft die Militarisierung und den Nationalismus!




China: Vor dem Scheitern des nationalen Projektes 0-Covid?

Resa Ludivien, Infomail 1185, 20. April

Jahrelang erschien Chinas 0-Covidstrategie eine erfolgreiche und lebensrettende Alternative zur vorherrschenden Pandemiepolitik im Westen. Bis heute sind dort nur wenige Tausend Menschen an Corona verstorben, während in den USA mittlerweile fast eine Million an Covid-19 verstorben sind (Stand 19.4.22: 989.331). In den Vereinigten Staaten verstarben bisher 300 Menschen je 100.000 Einwohner:innen, in Deutschland 160,1, in China eine Person.

Paradoxerweise erscheint jedoch die Politik Chinas, folgen wir dem Tenor der westlichen Öffentlichkeit, als die gescheiterte, während wir hier endlich wieder auf Freiheit und das „Leben mit der Pandemie“, also der stillschweigenden Inkaufnahme weiterer Wellen und Toter zu leben gelernt hätten.

Gründe dafür gibt es mehrere. Aber klar ist, dass die chinesische Strategie samt ihre drakonischen Maßnahmen vor dem Hintergrund der Lage auf dem Weltmarkt, ökonomischer Probleme im Inneren, aber auch des autoritären Charakters der Pandemiepolitik der Bürokratie an ihre Grenzen stößt.

Dabei war die chinesische Politik zu Beginn der Pandemie über Monate, ja Jahre erfolgreich. Die Zahl der Toten und Infizierten konnte auf einem vergleichsweise geringen Niveau gehalten werden. Während sich Länder wie Deutschland von Lockdown zu Lockdown hievten und nun Impfpflicht oder Masken als unter „ferner liefen“ gelten, schien in China schnell wieder „alles beim Alten“. Hätte das Land eine den USA oder auch nur Deutschland vergleichbare Politik eingeschlagen, wären heute nicht Tausende, sondern Millionen Chines:innen der Pandemie zum Opfer gefallen.

Jetzt bestätigt sich wieder einmal, dass man globale Probleme wie eine Pandemie auch nur weltweit lösen kann. Chinas Abschottungspolitik sowie das Beharren auf einem eigenen Impfstoff haben den Ausbruch nur verschleppt, der auch durch mangelnde Maßnahmen und Mutationen in anderen Ländern provoziert wurde. Der derzeitige Ausbruch der Omikronvariante trifft auf eine nur in Teilen immunisierte Gesellschaft und zwingt die KP zum Handeln, damit sie an ihrem Narrativ der überlegeneren Strategie festhalten kann.

Grenzen der Strategie

Die chinesische Coronastrategie war auch im Rahmen des Systemkampfes wichtig. Überlegenheit wurde dem In- und Ausland suggeriert. Doch jetzt befinden sich Millionenstädte wie Shanghai, Beijing oder Shenzhen im Lockdown – ein Lockdown, der im Wesen seinesgleichen sucht. Der chinesische Alltag in diesen Städten bedeutet nun leere Straßen, abgeriegelte Viertel, sogar versiegelte Wohnungen, Ausgang nur zu den staatlich vorgeschriebenen Coronatests und eine steigende Überwachung, die sogar die bisherige übertrifft.

Die Versorgung der Menschen ist in Gefahr. In den betroffenen Gebieten beschweren sich die Anwohner:innen über eine schlechte staatliche Versorgung bis hin zu Lebensmittelknappheit. Selbst einzukaufen, ist so gut wie unmöglich. Daneben trifft die Omikronwelle auch in China auf ein belastetes und wahrscheinlich bald überlastetes Gesundheitssystem. Neben chinesischer traditioneller Medizin ist ein weiteres seiner Merkmale das Fehlen von Hausärzt:innen. Bist du krank, gehst du ins Krankenhaus. Viele Kollateralschäden sind hier zu erwarten: Menschen, die nicht hätten sterben müssen, wenn es genügend Ärzt:innen, Kapazitäten geben würde oder sie genügend Geld für eine Sonderbehandlung hätten. In westlichen Medien liest man nun von dramatischen Szenen, in denen Menschen abgewiesen oder infizierte Kleinkinder von ihren Eltern getrennt werden. Die soziale Sprengkraft der Situation ist greifbar. Auf Shanghais Straßen wird bereits das Militär eingesetzt, um der Lage und des Unmuts Herr zu werden.

Gerade scheint es, als könnte das Virus einen der schwersten Angriffe auf den chinesischen Imperialismus verkörpern, den dieser bisher gesehen hat. Derweil läuft die Propaganda weiter. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt wird nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Handels, der Rüstung und Militarisierung, sondern auch als Kulturkampf ausgetragen – sowohl innerhalb Chinas als auch darüber hinaus. Die Propagandamaschinerie für das Militär und vor allem gegen die USA soll auch gegen den Trend arbeiten, dass seit Jahren chinesische Familien eine starke Westbindung entwickelt haben und bspw. in die USA gehen, um ihre Kinder auf die Welt zu bringen, oder sich für die Ausbildung an westlichen Universitäten entscheiden. Beides sollte den Kindern später bessere Lebensbedingungen garantieren.

Seit der Öffnungspolitik nach Maos Tod und spätestens nach der Machtübernahme Xi Jinpings inszenierte sich China als ein Land im Aufschwung. Tatsächlich gewann der Staat an Macht im internationalen Gefüge und auch die chinesische Wirtschaft holte massiv auf. Für die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung, also die Masse der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen galt das weitestgehend nicht. Außerhalb der schicken Innenstadtviertel von Großstädten zeigt sich ein ganz anderes Bild. Auch in Städten wie Beijing werden ärmere Menschen diskriminiert. Vor allem der Hukou (ein innerchinesischer Wohnsitzausweis), der besagt, wer sich wo aufhalten und ansiedeln darf, sorgt noch für ein weiteres Kontrollelement.

Illegale Arbeit im Untergrund stellt hier die einzige Möglichkeit dar. Nun steht die Wirtschaft vielerorts still und auch Pendler:innen von außerhalb kommen nicht in die Städte zur Arbeit. Das Essen wird rationiert und in die isolierten Viertel gebracht. Nur wie sollen Menschen überleben, die es eigentlich gar nicht geben darf? Auch ins Krankenhaus zu gehen, wird dadurch erschwert. Am meisten leiden arme Menschen, denn kein Ausgang bedeutet keine Arbeit, keine Arbeit bedeutet kein Gehalt und kein Gehalt bedeutet kein Essen.

Hinzu kommt, dass aufgrund der raschen Verbreitung von Omikron nicht nur die Zahl der Infizierten, sondern auch der Städte und Regionen und somit der Menschen, die von Lockdowns betroffen sind, weitaus höher ist als bei vorhergehenden Wellen. Greift die Regierung hier nicht ein, drohen nicht nur weitere Unruhen, sondern auch eine selbst verursachte Hungerkrise, sofern die Zahlen weiter steigen und die einzige noch vorhandene Maßnahme Lockdowns sind.

Wie China gegen Proteste und Abweichler:innen vorgeht, hat die Regierung in den letzten Jahren deutlich gemacht. Das Militär wurde gestärkt und die Überwachung ausgebaut. Deren Relevanz für einen vermeintlichen sozialen Frieden hat sich vor allem in Hongkong und Xinjiang gezeigt, wobei die Politik der Bürokratie auch an eine Ausrottungsmaßnahme grenzt, ob gewollt oder ungewollt. Überall wo Protest entsteht, verschwinden Menschen und landen in „Gefängnissen“, die eher an Folterlager erinnern. Dennoch gab es in den letzten Jahren immer wieder Einzelne und Gruppen, die das in Kauf genommen haben, bspw. im Rahmen der #MeToo-Proteste, und auch jetzt gibt es immer mehr Videos in den sog. sozialen Netzwerken, die Proteste zeigen. Auf diese folgen oft Verhaftung und Verurteilung. Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Sowohl in China als auch hierzulande haben die letzten Monate und Jahre sehr deutlich gezeigt, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und imperialistisches Machtstreben keinen gesellschaftlichen Frieden bringen, keinen Wohlstand für alle und globale Konflikte nicht lösen können. Im Gegenteil: Das Versagen im Kampf gegen die Coronapandemie hat einmal vor Augen geführt, dass die Unterordnung der Gesundheit der Bevölkerung unter kurzfristige Profitinteressen Millionen das Leben kostet.

Krise und Widerstand

Doch in Zeiten der Krise und wachsender ökonomischer Schwierigkeiten stößt die Coronapolitik der chinesischen Regierung selbst an Grenzen – und damit auch auf den Unmut von Millionen. Sie betrachten wahrscheinlich schon heute die Politik der KP aus einem anderen Blickwindel. Aus dieser Erkenntnis kann Handeln, einschließlich spontaner Protestaktionen verzweifelter Menschen, folgen. Zugleich ist mit massiver Repression zu rechnen.

Damit Unmut und etwaige Proteste jedoch nicht einfach Episoden bleiben oder brutal zerschlagen werden, brauchen sie erstens klare soziale und politische Forderungen. Diese müssen eine Sicherung der Versorgung aller – also auch der Menschen ohne gültige Papiere, der Armen und Wohnungslosen – beinhalten, also Nahrungsmittel, Zugang zu Gesundheitsvorsorge. Wo Knappheit an Ressourcen herrscht, müssen diese gemäß den Bedürfnissen, nicht den Privilegien in der Gesellschaft verteilt werden. Um überhaupt eine rationale Versorgung zu sichern, muss die Offenlegung aller bestehenden Ressourcen wie auch des wirklichen Stands der Pandemie eingefordert werden. Plattformen wie Weibo (ein chinesischer Mikrobloggingdienst ähnlich Facebook und Twitter) sollten dazu genutzt werden.

Solche Forderungen stellen faktisch die Kontrolle der Bürokratie in Frage. Um die Zuteilung von Gütern zu sichern, sollen in den Betrieben, Gesundheitseinrichtungen, in den Wohnblöcken und Stadtvierteln von der Bevölkerung Ausschüsse zur Organisation und Kontrolle dieser Arbeiten gewählt werden. Von entscheidender Bedeutung wird es dabei sein, dass diese Strukturen in den Betrieben verankert sind und ihre Forderungen mit Aktionen Nachdruck verleihen können. Regionen wie Shanghai bilden heute nicht nur Zentren der chinesischen, sondern der Weltwirtschaft. Angesichts der Pandemie wäre es auch essentiell, solche Strukturen nicht nur in den Regionen unter Lockdown aufzubauen, sondern auch die Arbeiter:innen in den anderen Landesteilen zur Unterstützung aufzufordern. Die Pandemie wird schließlich vor niemandem/r Halt machen und die Alternative zum bürokratisch-autoritären Lockdown lautet nicht Öffnung fürs Kapital, sondern Lockdown unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innen.

Eine Politik der Arbeiter:innenklasse wird sicherlich auf den Widerstand der chinesischen KP-Spitzen und erst recht der Kapitalist:innen im Land treffen. Daher muss nicht nur mit Repression gerechnet werden. Ihre politisch bewusstesten Teile müssen die Lage auch nutzen, um den politischen Bruch mit der KP voranzubringen, die das Wort kommunistisch im Namen nicht verdient hat und eher einer Politkaste gleicht, die die imperialistischen Interessen des chinesischen Kapitals vorantreibt. Daher braucht es in China eine neue, revolutionäre Arbeiter:innenpartei, die unter den Bedingungen der Diktatur und Unterdrückung aufgebaut werden kann. Die aktuelle Krise der Coronapolitik, die ökonomischen Probleme Chinas und mögliche Massenproteste und Aktionen können die Bedingungen für deren Entstehung extrem begünstigen.

Für uns in Europa oder den USA muss die internationale Solidarität im Vordergrund stehen, die Unterstützung jeden Schrittes zur Bildung einer von der Bürokratie unabhängigen Arbeiter:innenbewegung einerseits sowie des Kampfs gegen die imperialistische Propaganda auf allen Seiten andererseits. Das bedeutet für uns auch, sich von der chauvinistischen und rassistischen Rhetorik über Chines:innen zu lösen wie auch von dem westlich-imperialistischen Narrativ, dass China in der Pandemie auf eine Politik der Öffnung und Durchseuchung hätte setzen sollen, damit seine Produktion für den Weltmarkt nicht ins Stocken gerät. Das Problem der chinesischen Coronapolitik besteht nicht darin, dass das Land „zu viel“ getan hat, sondern dass sie bürokratisch und repressiv erfolgt ist und die Pandemie nicht international koordiniert bekämpft wurde.