Bangladesch: Massenprotest gegen Vergewaltigung

Joe Crathorne/KD Tait, Infomail 1122, 19. Oktober 2020

Die Todesstrafe wurde für Vergewaltigungsfälle in Bangladesch als Reaktion auf eine Woche von Demonstrationen gegen weit verbreitete und zunehmende sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen eingeführt.

Die Proteste brachen in der Hauptstadt Dhaka aus, nachdem Bildmaterial, das eine Gruppe von Männern zeigt, die eine Frau sexuell missbrauchen, über soziale Medien verbreitet wurde. Die Wut breitete sich schnell aus, und an mehreren Orten in ganz Bangladesch wurde zu Protesten aufgerufen.

Frauen- und StudentInnenorganisationen gehörten zu den ersten, die zu Demonstrationen aufriefen, darunter das Zentralkomitee der StudentInnengewerkschaft, das diesen Aufruf am 11. Oktober veröffentlichte:

„Die StudentInnengewerkschaft Bangladesch sendet einen internationalen Aufruf zur Solidarität an unsere FreundInnen und GenossInnen in der ganzen Welt, sich uns in diesem Kampf gegen Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe anzuschließen. Ihre Solidarität in Form von Demonstrationen, Online-Botschaften, aufgezeichneten Erklärungen wäre ein wesentlicher Teil unseres Kampfes in Bangladesch. Die Regierung versagt dabei, ihren BürgerInnen Sicherheit und Schutz zu bieten, und mobilisiert stattdessen Polizei und Schlägertrupps, um unsere Proteste anzugreifen. Daher rufen wir alle Genossen und Genossinnen auf, sich uns anzuschließen und in diesem Kampf zusammenzustehen.“

Als Reaktion auf eine Reihe von Vergewaltigungen von Studentinnen in der Hauptstadt haben studentische Organisationen das ganze Jahr über eine herausragende Rolle bei Protesten gespielt.

Struktureller Sexismus

Der starke Anstieg der Fälle im letzten Jahr – von 942 im Jahr 2019 auf über 1.000 in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 – kann zum Teil auf die sozialen Veränderungen in einem Land zurückgeführt werden, in dem traditionelle patriarchalische Werte mit einer wachsenden Zahl von Frauen in den Bereichen Arbeit und Bildung in Konflikt geraten. Sexuelle Gewalt ist ein Mittel, um Frauen zu terrorisieren, damit sie einen den Männern untergeordneten Status akzeptieren.

Aber wie in praktisch allen Ländern schafft der systemische Sexismus im Rechtssystem eine Kultur der Straflosigkeit. Die Verurteilungsrate für angezeigte Vergewaltigungen liegt in Bangladesch unter einem Prozent, was durch institutionellen Sexismus innerhalb der Polizei und der Justiz sowie durch Gesetze aus der Kolonialzeit, die AnwältInnen dazu ermutigen, den moralischen Charakter der AnklägerInnen anzugreifen, erschwert wird.

Infolgedessen sehen sich die Überlebenden mit Stigmatisierung und Arbeitsplatzverlust konfrontiert und werden, insbesondere in ländlichen Gebieten, von den Familien oft gezwungen, ihren Vergewaltiger zu heiraten.

Die Entscheidung der Regierung von Bangladesch zur Einführung der Todesstrafe, die von vielen Protestierenden gefordert wurde, aber von der Rechtsreformkoalition in Bezug auf Vergewaltigung, einer Frauenrechtsgruppe des Landes, ausdrücklich abgelehnt wird, greift religiöse und konservative Vorurteile unter den Protestierenden auf, anstatt die von Frauenorganisationen geforderten demokratischen Reformen zu übernehmen.

Das Beispiel des benachbarten Indien, das ebenfalls Wellen von Massenprotesten gegen Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe erlebt hat, zeigt, dass es keine Beweise dafür gibt, dass die Todesstrafe von Vergewaltigung abschreckt. Tatsächlich machen Todesurteile Verurteilungen durch Geschworene weniger wahrscheinlich, und in einem Land, in dem die Einschüchterung der Opfer weit verbreitet ist, kann sie Überlebende davon abhalten, Angriffe zu melden.

Frauenorganisationen in Bangladesch setzen sich für eine Reihe demokratischer Reformen ein, die von der ArbeiterInnenbewegung aufgegriffen werden sollten, darunter der ZeugInnenschutz, die Ausweitung der Definition von Vergewaltigung, das Verbot der Verwendung von Leumundszeugnissen und die Einführung von Einwilligungspflicht und Sexualerziehung in Schulen.

So wie die Verteidigung von Frauen nicht in den Händen der Familie liegen kann, kann sie auch nicht dem Staat oder seinen Zwangsinstrumenten überlassen werden, egal wie viele Kurse zur Sensibilisierung von PolizeibeamtInnen besucht werden.

Perspektive

Auf dem Campus und in den ArbeiterInnenvierteln sollten Selbstverteidigungsgruppen aus Frauen und Männern gebildet werden, um gegen antisoziales, unterdrückendes und gewalttätiges Verhalten vorzugehen, das sich gegen Frauen und unterdrückte Gruppen richtet.

Da Vergewaltigung und sexuelle Gewalt in engem Zusammenhang mit der sozialen Stellung von Frauen stehen, muss die ArbeiterInnenbewegung den Kampf nicht nur für demokratische Reformen, den massiven Ausbau staatlich finanzierter Zufluchtsorte, öffentliche Dienste zur Entlastung der Frauen von der Bürde der Hausarbeit, sondern auch für gleiche Bezahlung, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und für die volle und gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an der Gewerkschaftsbewegung aufnehmen, einschließlich der Selbstorganisation von Frauen und anderen unterdrückten Gruppen in eigenen Abteilungen und separaten Treffen (Caucuses) zur Bekämpfung von Vorurteilen und Sexismus.

Die Proteste in Bangladesch und Indien müssen im Kontext einer wachsenden weltweiten Bewegung gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gesehen werden, die den physischen Ausdruck der Unterordnung der Frauen unter die Männer in der Klassengesellschaft darstellen.

Die Tatsache, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen und in zunehmendem Maße auch gegen Kinder auf dem Vormarsch ist, von der halbkolonialen Welt bis zu den imperialistischen Zentren, zeigt, dass die Unterdrückung von Frauen zwar unterschiedliche kulturelle Formen annehmen kann, ihr Wesen aber der Klassengesellschaft immanent ist. Innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise untermauert die Frauenunterdrückung den Profit durch unbezahlte Arbeit im Haus und Überausbeutung am Arbeitsplatz.

Während im Westen durch begrenzte staatliche Gesundheits- und Sozialfürsorge, Bildung, Scheidungs- und Reproduktionsrechte einige Fortschritte erzielt wurden, macht die brutale Ausbeutung der halbkolonialen ArbeiterInnenklasse durch die imperialistischen Staaten solche Reformen in der sog. Dritten Welt zu einer Utopie, solange das Profitsystem und die Spaltung in antagonistische Klassen bestehen.

Die Unterdrückung der Frauen ist keine nationale, sondern eine globale Frage. Nur eine auf internationaler Ebene koordinierte Bewegung von Frauen-, ArbeiterInnen- und Jugendorganisationen, die auf sozialistischen Prinzipien der Frauenbefreiung und des Kampfes gegen den Imperialismus basiert, kann einen konsequenten Einsatz gegen patriarchalische Gewalt führen.

Der Aufruf zur internationalen Solidarität von StudentInnen aus Bangladesch zeigt einen Schritt in diese Richtung, und es ist die Pflicht der KommunistInnen und SozialistInnen in der ganzen Welt, insbesondere im Westen, diesem Aufruf nachzukommen.




Solidarität mit der StudentInnenbewegung in Bangladesch!

Hasan Raza, Infomail 2018, 5. September 2018

Vor einem Monat haben die staatlichen Behörden in Bangladesch die Massenproteste von StudentInnen in Dhaka, der Hauptstadt des Landes, brutal niedergeschlagen. Polizeieinheiten sowie SchlägerInnen der Bangladesh Chhatra League, einer StudentInnenorganisation der regierenden Awami League, griffen protestierende StudentInnen an.

Die Bewegung wurde durch den Tod von zwei Studierenden am 29. Juli durch einen schnell fahrenden Bus ausgelöst. Auf den ersten Blick überrascht es, dass ein Verkehrsunfall zu so großen Protesten führen kann. Der Tod dieser StudentInnen war jedoch kein Einzelfall, sondern ist Teil eines Gesamtbildes, das auf die Vernachlässigung elementarer Sicherheitsvorschriften durch die Regierung hinweist. Mindestens 7.397 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen ums Leben, so die Nichtregierungsorganisation Passengers‘ Welfare Association. Das bedeutet, dass täglich etwa 20 Menschen auf diese Weise ihren Tod finden.

Darüber hinaus müssen diese StudentInnenproteste vor dem Hintergrund wachsender Unzufriedenheit und Unterdrückung durch die Regierung gesehen werden. Im April kam es zu Massenprotesten gegen das „Quotensystem“, das einen bedeutenden Teil der Stellen im öffentlichen Dienst für die Enkelkinder der 1971 im Unabhängigkeitskrieg getöteten KämpferInnen reserviert. Diese Demonstrationen wurden von der Polizei brutal unterdrückt.

Nach dem Tod der beiden StudentInnen Ende Juli gingen unglaubliche viele auf die Straße und forderten „Wir wollen sichere Straßen“ und „Wir wollen Gerechtigkeit“. Tausende von TeenagerInnen, unter ihnen viele die gerade einmal 13 Jahre alt sind, schlossen sich der Solidaritätsaktion an. Sie blockierten den Verkehr und baten die FahrerInnen, ihren Führerschein vorzulegen und gegen die Regierung zu protestieren. Die Juli-Bewegung war eine eindeutige Fortsetzung der April-Proteste, welche eine Reform des öffentlichen Dienstes forderten und von StudentInnen ausgelöst wurden.

Brutale Repression

Die Regierung reagierte abermals mit heftiger und brutaler Repression. Die Sicherheitskräfte Bangladeschs wollen die Proteste zerschlagen. Mehr als einhundertfünfzig StudentInnen wurden verletzt. Mehrere Studentinnen wurden sexuell belästigt und sogar vergewaltigt. Mindestens 20 JournalistInnen sollen von der Jugendabteilung der regierenden Awami League verprügelt worden sein. Die Polizei verhaftete viele DemonstrantInnen und AktivistInnen für die Unterstützung der StudentInnen, darunter auch Shahidul Alam, einen berühmten Fotografen.

Premierministerin Hasina „befahl“ den SchülerInnen, ihre Aktion zu beenden und verlangte, dass „alle Erziehungsberechtigten und Eltern ihre Kinder zu Hause lassen“. Der Innenminister, Asaduzzaman Khan, verurteilte die Proteste als „eine Verschwörung, um die Regierung handlungsunfähig zu machen“. Als Zeichen einer möglichen Hexenjagd gegen ProtestveranstalterInnen erklärte er, die Regierung werde „streng gegen diejenigen vorgehen, die sich verschworen haben die Bewegung auszunutzen, indem sie die Minderjährigen aufhetzen“.

In einem verzweifelten Versuch, die Besorgnis über die Führerschein- und Verkehrsgesetze zu zerstreuen, beschloss die Regierung rasch ein Straßenverkehrsgesetz, mit dem VerkehrssünderInnen für fünf Jahre inhaftiert und die Kaution verweigert werden können. Die Regierung kündigte auch an, dass sie die Todesstrafe für diejenigen in Betracht ziehen wird, die für tödliche Verkehrsunfälle verantwortlich sind.

Während der Proteste schalteten die Behörden Bangladeschs den mobilen Internetzugang in ganzen Landesteilen aus, um zu versuchen, die Mobilisierungsfähigkeit der StudentInnen einzuschränken. Dies passierte Stunden nachdem Polizeikräfte und unidentifizierte, mit Stöcken und Wurfgeschossen bewaffnete Männer mit den StudentInnen zusammengestoßen waren.

Obwohl die Proteste aufgrund der einschüchternden Repression weitgehend abgeklungen sind, hat der Einsatz von brutaler Gewalt durch die Regierung die politischen Widersprüche und Herrschaftsverhältnisse in der bangladeschischen Gesellschaft deutlich aufgezeigt. Sie sind eine klare Warnung, dass Hasinas Regierung, welche nicht in der Lage ist, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen, sich zunehmend in Richtung diktatorischer Herrschaft bewegt.

Während sich die Demonstrationen StudentInnen vor allem auf die Verkehrssicherheit konzentrierten, spiegeln sie auch die wachsende Frustration der Bevölkerung gegenüber der Regierung wider.

Michael Kugelman, ein Südasien-Experte am Woodrow Wilson Center in Washington, glaubt, dass die Proteste ein Ausdruck langjähriger, aufgestauter Wut über die Regierung und ihre Politik insgesamt waren.

„Es ist schwer vorstellbar, dass die bloße Frage der Verkehrssicherheit, so wichtig sie auch sein mag, eine so weit verbreitete und anhaltende Protestbewegung auslösen könnte“, sagte Kugelman gegenüber der Deutschen Welle. „Das Problem der Verkehrssicherheit ist der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken zerbrach; diese großen Proteste waren in viel tieferen und komplizierteren Widersprüchen verwurzelt.“

Wir haben in den letzten Jahren viele Bewegungen erlebt, wie die für die Reform der Studentenquoten, deren FührerInnen gerade aus dem Gefängnis entlassen wurden oder immer noch im Gefängnis sitzen. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit auch Kämpfe der ArbeiterInnenklasse gesehen, sowohl im Textilsektor als auch in anderen Bereichen, und diese zeigen die wahre soziale Kraft, die einen Kampf gegen die Regierung und den Kapitalismus führen kann.

Im Dezember werden landesweit Wahlen stattfinden, und es ist klar, dass sich die Regierung auf eine autoritärere Herrschaft zubewegt, um diese Wahlen zu gewinnen. Gleichzeitig will die bürgerliche Opposition von der wachsenden Unzufriedenheit profitieren. In dieser Situation ist es wichtig, dass sich die StudentenInnenbewegung und die ArbeiterInnenklasse verbünden und eine starke Bewegung aufbauen, um sowohl gegen die gegenwärtige Regierung als auch die bürgerliche Opposition zu kämpfen.