Südafrika: Nachruf auf Desmond Tutu (1931 – 2021)

Jeremy Dewar, Infomail 1174, 30. Dezember 2021

Der Antiapartheidaktivist und Befreiungstheologe Desmond Tutu ist am zweiten Weihnachtsfeiertag im Alter von 90 Jahren nach einem langen Kampf gegen den Krebs gestorben.

Tutu ist vor allem für sein aktives Engagement im Kampf gegen die südafrikanische Apartheid bekannt, deren Sturz eine der großen historischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts darstellte. Er nutzte seine Ämter zunächst als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates und später als erster schwarzer anglikanischer Erzbischof von Kapstadt (daher sein Spitzname „The Arch“), um den gewaltfreien Widerstand gegen die Apartheid zu fördern.

Liberale Antiapartheidbewegung

In der Praxis bedeutete dies, dass Tutu zwar Miet- und Schulstreiks in den Townships unterstützte und sogar zu einem Generalstreik aufrief, sich aber auch gegen Umkhonto we Sizwe (Xhosa: Der Speer der Nation), den militärischen Flügel der Afrikanischen Nationalkongress-Partei ANC, und gegen Repressalien seitens der Bewegung gegen KollaborateurInnen („necklacing“) wandte. Dies machte ihn zu einer idealen Symbolfigur für die liberale Antiapartheidbewegung, die von seinem Freund und frühen Mentor Trevor Huddleston initiiert wurde. Er war jedoch ein mutiger und freimütiger Verfechter des Kampfes gegen den Staat der abstoßenden, weißen Vorherrschaft und brandmarkte auch dessen politisch-ideologischen Zwilling – den zionistischen Siedlerstaat Israel. Während seine eigene Kirche und die meisten Labour-, sozialdemokratischen und liberalen PolitikerInnen wie Feiglinge davor zurückschreckten, ihn zu verurteilen, tat Tutu das nicht.

Seine Unterstützung der Kampagne für Boykott, Vielfalt und Sanktionen (BDS) war wahrscheinlich sein größter Beitrag zum Sturz der Apartheid. Sie trug dazu bei, moralische Sympathie in aktive Unterstützung umzuwandeln und das zunehmend isolierte Regime dort zu treffen, wo es weh tut – in den Taschen.

Tutu nutzte sein Privileg als Erzbischof in vollem Umfang, um die Welt zu bereisen und für BDS zu werben, 1984 den Friedensnobelpreis zu erhalten und ein Jahr später vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Noch wichtiger als dies war Tutus Fähigkeit, der Macht die Wahrheit zu sagen und damit die jungen Reihen der Antiapartheidallianz zu ermutigen und zu erweitern, etwa als er Präsident Reagan sagte: „Amerika kann zur Hölle fahren!“ Und das von einem Mann der Geistlichkeit.

Die Grenzen seiner widersprüchlichen Position – für die Befreiung, aber gegen die Mittel zu ihrer Verwirklichung – wurden deutlich, als er Senator Ted Kennedy auf eine Tour durch die Townships mitnahm und das Treffen von AktivistInnen gestört wurde, die sich über die Unterstützung eines US-imperialistischen Politikers empörten.

Seine Achillesferse war sein kleinbürgerlicher Pazifismus, denn er schloss den totalen Sieg der einen oder anderen Seite aus. Als die revolutionären Kräfte 1984 – 86 ihre Offensive gegen das System starteten, war es Tutu, der sich als erster als Vermittler anbot. Obwohl er zunächst von Präsident Pieter Willem (PW) Botha abgewiesen wurde, fand Tutus Kampagne für Versöhnung, d. h. christliche Vergebung, 10 Jahre später bei Südafrikas erstem schwarzen Präsidenten Nelson Mandela Anklang.

Wahrheits- und Versöhnungskommission

Tutu führte von 1996 bis 1998 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC). Die TRC, die vom regierenden ANC handverlesen wurde, obwohl ihr auch einige AnhängerInnen der Apartheid angehörten, erhielt die Befugnis, Zeugenaussagen von Opfern (beider Seiten!) anzuhören, Wiedergutmachung zu leisten und entweder Rehabilitierung oder Amnestie (für diejenigen, die „Reue“ zeigten) zu gewähren. Die Betonung auf Vergebung und nicht auf Gerechtigkeit wurde dadurch unterstrichen, dass Tutu vor jeder Sitzung ein Gebet verlas.

Obwohl 22.000 Opfer der Apartheid identifiziert und angehört wurden, stieß die Weigerung, zwischen der Gewalt des/r UnterdrückerIn und der der Unterdrückten, die das Recht hatten, sich dagegen in Stellung zu bringen, zu unterscheiden, vielen sauer auf – ebenso wie die „Vergebung“ von 849 TäterInnen, die über die Köpfe der Unterdrückten hinweg amnestiert wurden.

Am schlimmsten war, dass die TRC es versäumte, kollektive Forderungen gegen das Apartheidsystem als Ganzes anzusprechen, indem sie sich mit denjenigen befasste, die ganz oben in der Pyramide standen.

Der ehemalige Präsident Frederik Willem (FW) de Klerk, dem es nicht gelungen war, die Kommission von vornherein zum Scheitern zu bringen, weigerte sich rundheraus, die Verantwortung seiner Regierung für die von seinen Sicherheitskräften begangenen Verbrechen anzuerkennen. De Klerks Vorgänger PW Botha weigerte sich sogar, vor der Sitzung Kommission zu erscheinen, und bezeichnete sie als „Zirkus“. Tutu konnte nichts tun, um die beiden zu weiteren Schritten zu zwingen oder sie vor Gericht zu stellen. Die Familie von Steve Biko, des 1977 ermordeten Führers der Schulstreiks von Soweto, war eine von vielen, die sich durch Tutus TRC einer wirklichen Gerechtigkeit beraubt fühlten.

Später setzte Tutu mutig Israels Behandlung der PalästinenserInnen mit der der schwarzen Bevölkerung Südafrikas gleich und unterstützte die BDS-Kampagne der PalästinenserInnen mit den Worten:

„Ich war in den besetzten palästinensischen Gebieten und habe die nach Rassen getrennten Straßen und Wohnungen gesehen, die mich so sehr an die Bedingungen erinnerten, die wir in Südafrika unter dem rassistischen System der Apartheid erlebt haben“.

Wegen solcher Äußerungen bezeichnete ein Blogger der Zeitschrift Times of Israel Tutu noch vor seiner Beerdigung als „heimtückischen Antisemiten“ und wiederholte damit die Beschimpfungen, die die ApologetInnen der Apartheid in den 1980er Jahren gegen den „Arch“ ausstießen.

Einige Linke sind versucht, Tutus Rolle in der TRC als einen Ausrutscher in seinem sonstigen  Leben für die Befreiung zu betrachten, zumal er sich später, zusätzlich zu seiner bereits erwähnten unerschütterlichen Unterstützung für die Sache der PalästinenserInnen, für LGBT-Rechte, das Recht der Frau auf Schwangerschaftsabbruch und für die gemiedenen und ausgeschlossenen AIDS-Opfer einsetzte. Er scheute sich auch nicht, die Korruption des ANC und die Nichteinhaltung von Versprechen an die schwarzen Armen und die ArbeiterInnenklasse anzuprangern. Er forderte auch, dass Tony Blair und George W. Bush als Kriegsverbrecher nach Den Haag geschickt werden sollten (Irak), und weigerte sich einmal, mit ersterem ein Podium zu teilen.

Aber die TRC war entscheidend für die demokratische Konterrevolution, die der ANC durchführte. Die Kommission lieferte den ideologischen Deckmantel für die „Versöhnung“, die die ANC-Führung unter der Leitung von Nelson Mandela dem weißen Monopolkapital anbot. Der Nationalen Partei, die jahrzehntelang über die Apartheid regiert hatte, wurden MinisterInnen in einer Koalitionsregierung und die Leitung der Zentralbank angeboten, obwohl sie bei den ersten, allumfassenden Wahlen 1994 nur 20 Prozent der Stimmen erhalten hatte, ein Drittel des vom ANC erzielten Anteils. Die Freiheitscharta und insbesondere die Paragraphen, die eine Verstaatlichung forderten, wurden zugunsten einer „Verfallsklausel“ verworfen, die die Rechte des (weißen) Privateigentums garantierte.

Tutu war nie Mitglied des ANC . Er verbot anglikanischen Geistlichen den Beitritt zu irgendeiner politischen Partei, arbeitete aber eng mit dem legalen Arm des ANC, der Vereinigten Demokratischen Front, und, als dieser frei war, mit Mandela zusammen. Trotz seiner tiefen Abneigung gegen die stalinistische SACP leitete Tutu die Beerdigung ihres Generalsekretärs Chris Hani, der 1993 von einem weißen Rassisten ermordet wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die SACP jedoch bereits an der Spitze der Bestrebungen für eine Volksfrontregierung und eine kapitalistische „Etappe“ der Revolution, d. h. eine demokratische Konterrevolution.

Viele in der Linken waren der Meinung, dass dies nur eine vorübergehende Phase sein würde, und rieten zur Unterstützung des ANC. Workers Power und die Vorgängerorganisation der Liga für die Fünfte Internationale gehörten nicht zu ihnen. Tragischerweise haben wir Recht behalten, und Millionen von schwarzen SüdafrikanerInnen, landlosen Bauern und Bäuerinnen, ArbeiterInnen und arbeitslosen Jugendlichen, müssen mit dem Erbe leben.

Tutus aufrichtige Sympathie für die Unterdrückten bedeutete jedoch, dass er auch der neuen schwarzen Elite, etwa Jacob Zuma, dem abgesetzten südafrikanischen Präsidenten, „die Wahrheit sagte“ und offen darüber sprach, wie wenig die Armen und Ausgebeuteten von den Früchten der Befreiung erhalten hatten – im krassen Gegensatz zu MillionärInnen wie dem jetzigen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Er war jedoch nicht bereit, das Recht und die Notwendigkeit der Ausgebeuteten und Unterdrückten anzuerkennen, „mit allen Mitteln“ um die Macht zu kämpfen.

Während wir also Tutus Beiträge zum Kampf und seinen Mut anerkennen, solidarisieren wir uns politisch mit denen, die heute für ein sozialistisches Südafrika kämpfen.




Südafrika: 155.000 StahlarbeiterInnen im unbefristeten Streik

Jeremy Dewar, Infomail 1167, 18. Oktober 2021

Ein Massenstreik hat die Stahlproduktion in Südafrika seit dem 5. Oktober zum Stillstand gebracht. Aufgrund der Just-in-Time-Produktion, bei der die Lagerbestände auf ein Minimum reduziert werden und ein ständiger Zustrom von Vorprodukten erforderlich ist, hat der Streik bereits einige BMW-Montagebänder lahmgelegt und die Fertigstellung von 700 Fahrzeugen verhindert. Weitere Einbußen für die wichtige Autoindustrie des Landes (5 % des Bruttoinlandsprodukts) werden zweifellos folgen.

Der Konflikt ist seit dem ersten Tag von Gewalt geprägt, als ein wütender Autofahrer seinen Wagen absichtlich in eine Gruppe von Streikenden auf dem Weg zu einer Streikpostenkette in der Nähe von Johannesburg rammte und dabei einen von ihnen tötete und ein Dutzend andere verletzte. Für die meisten Verletzungen ist jedoch die Polizei verantwortlich, die mit Gummigeschossen auf die ArbeiterInnen schießt, selbst wenn diese sich von der Aktion entfernen.

Die Mational Union of Metalworkers of South Africa (NUMSA =Nationale Gewerkschaft der MetallarbeiterInnen von Südafrika) fordert eine Lohnerhöhung von 8 % in diesem Jahr und einen Zuschlag von 2 % plus Inflationsausgleich in den nächsten beiden Jahren. Dies folgt auf eine Vereinbarung, aufgrund der Pandemiebedingungen auf eine Lohnsteigerung im Jahr 2020 zu verzichten. Die Inflation steigt und liegt derzeit bei 4,9 %, während die südafrikanische Zentralbank ihren Zinssatz um einen dreiviertel Punkt auf 4,25 % anhebt. Das ursprüngliche Angebot der „ArbeitgeberInnen“ von 4,4 % war also in Wirklichkeit eine weitere reale Lohnkürzung.

Trotz ihrer strategischen Bedeutung für die Wirtschaft und der Beschwerlichkeit ihrer Arbeit erhalten die Beschäftigten in der Stahlindustrie und verwandten Branchen oft nur etwas mehr als 1 Euro die Stunde. Diese nackte Tatsache zwang den Unternehmerverband SEIFSA (Verband der Stahl- und Metallindustrie Südafrikas), der 1.000 Unternehmen vertritt, dazu, sein Angebot auf 6 % in diesem Jahr und eine Inflationsanrechnung plus 0,5 % in den Jahren 2022 und 2023 zu erhöhen – allerdings nur für die am schlechtesten bezahlten Schichten. Die NUMSA-Beschäftigten lehnten diese Taktik des Teilens und Herrschens ab, obwohl Generalsekretär Irvin Jim besorgniserregend angedeutet hat, dass er sich mit 6 % zufrieden geben würde, wenn sie für alle Beschäftigten gelten würden.

Kompromiss oder Eskalation?

Der unbefristete Generalstreik steht vor einer entscheidenden Phase. Die Gespräche mit der SEIFSA laufen, aber die kleineren Unternehmerverbände weigern sich, von ihren ursprünglichen Positionen abzuweichen. Irvin Jim ist eindeutig bereit, den Streik bei 6 % zu beenden, was, selbst wenn das auf alle Besoldungsgruppen ausgedehnt würde, kaum mehr als ein fauler Kompromiss wäre.

Auf der anderen Seite gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Entschlossenheit der Streikenden nachlässt. Massenkundgebungen und militante Streikposten mit roten Hemden trotzen weiterhin Polizeikugeln und Einschüchterungen.

Die ArbeiterInnen wissen, dass bei Produktivitätssteigerungen die UnternehmerInnen mehr zahlen können. Ein Streikender drückte es so aus: „Die Firmen, in denen wir arbeiten, rüsten ihre Maschinen auf. Wann werden sie unsere Löhne erhöhen?“ Die meisten MetallarbeiterInnen sind die HaupternährerInnen ihrer Familien, und da jede/r dritte Lohnabhängige und über die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos sind, können sie sich keine Kompromisse leisten.

Der Streik ist noch lange nicht am Ende, sondern wird sogar noch ausgeweitet, da sich in der zweiten Woche 16.000 Mitglieder der Metall- und ElektroarbeiterInnengewerkschaft (MEWUSA) den Streikposten angeschlossen haben. Gleichzeitig kündigte Zwelinzima Vavi, der Vorsitzende des südafrikanischen Gewerkschaftsbundes SAFTU, aus Solidarität mit den Metall- und StahlarbeiterInnen 14 Tage im Voraus einen zweitägigen Generalstreik an. Die SAFTU-Mitglieder sollten nicht die zwei Wochen abwarten, um Solidaritätsaktionen zu starten, sondern Streiks durchführen oder ihre eigenen Forderungen vorbringen, um die Streiks zu verallgemeinern.

Es ist auch klar, dass COSATU, der wichtigste Gewerkschaftsverband und Mitglied der Koalition mit dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) in der Regierung, nicht immun gegen den Druck von unten ist, Streiks durchzuführen. An dem Tag, an dem die NUMSA ihren Streik begann, rief COSATU eilig zu einer zweitägigen landesweiten Arbeitsniederlegung auf, die vor allem im von einem Lohnstopp betroffenen öffentlichen Sektor wirksam war.

Der Aktivist Trevor Ngwane in den Armenvierteln (Townships) kommentierte: „Die kurzfristige Ankündigung von Arbeitsniederlegungen und Streiks wirft ein schlechtes Licht auf die Führung von COSATU. Die Basis muss ihre AnführerInnen zwingen, sich mit SAFTU und NUMSA zusammenzuschließen und den Druck auf den ANC und die Bosse zu erhöhen.“

Die südafrikanische ArbeiterInnenklasse hat sich im Laufe eines Jahrzehnts als eine der kämpferischsten der Welt erwiesen. Ihre Avantgarde hat sich in einer Reihe von epischen Kämpfen gestählt. Dennoch bleibt sie politisch schwach: COSATU ist immer noch an die Volksfrontregierung des neoliberalen ANC gebunden; die Economic Freedom Fighters (Ökonomische FreiheitskämpferInnen) halten sich von Gewerkschaftskämpfen fern, es sei denn, sie werden von ihnen selbst aufgerufen; und die Revolutionär Sozialistische ArbeiterInnenpartei von Vavi und Jim war praktisch eine Totgeburt.

Was alle diese politischen Strömungen eint, ist die politische Tradition des Stalinismus, dessen Programm sich darauf beschränkt, die „demokratische Etappe“ zu vollenden, Kompromissbereitschaft mit dem Kapital zu signalisieren und die antikapitalistische Schärfe aller Kämpfe abzuschwächen. Die sektiererische Spaltung trägt dazu bei, diese falschen FührerInnen an der Spitze ihrer Organisationen zu halten, vergeudet aber die Kraft der ArbeiterInnenklasse insgesamt. Ein erster Schritt, um diese Blockade zu durchbrechen, wäre die Ausweitung des NUMSA-Streiks zu einem umfassenden Angriff auf das kapitalistische System, das 27 Jahre nach dem Fall der Apartheid keine Freiheit gebracht hat.




Südafrika: Die Armen konfrontieren den ANC mit seiner Verkommenheit

Jeremy Dewar, Infomail 1157, 26. Juli 2021

Südafrika erlebt gerade die schlimmste Gewalt im Land seit dem Fall der Apartheid vor fast drei Jahrzehnten. Fünf Tage lang plünderten und brannten verarmte ArbeiterInnen und städtische Arme Einkaufszentren, Supermärkte und lebensmittelverarbeitende Fabriken im ganzen Land nieder – unter Missachtung von Polizei und Militär. Dies war in erster Linie ein Aufstand der Armen gegen die vom African National Congress geführte Regierung (Afrikanischer Nationalkongress, ANC).

Viele KommentatorInnen, einschließlich der BBC, konzentrierten sich auf die Free-Zuma-Kampagne und ihre Basis innerhalb der ANC-Spitze, die nach der Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma durch das Verfassungsgericht zu Massenprotesten und orchestrierten Sabotageakten gegen wichtige Infrastrukturen wie Straßen und Schienen, Fabriken und medizinische Einrichtungen aufrief. Doch je weiter sich die Unruhen über Zumas Basis in der östlichen Provinz KwaZulu-Natal hinaus ausbreiteten, desto mehr nahmen sie die Form einer Volksrevolte gegen Armut an.

Spaltung des ANC – eine Hälfte bis ins Mark so verdorben wie die andere

Natürlich kam es beiden Seiten in dem anhaltenden ANC-Fraktionskampf gelegen, die Unruhen als das Überschwappen ihres politischen Kampfes um die Vorherrschaft auf die Straße darzustellen. Auf diese Weise konnten sie die Notlage der Massen ignorieren, die sich von Woche zu Woche verschlimmert, und das Augenmerk von ihrem Versagen im Umgang mit der Wirtschaft und der Pandemie, ihrer Bestechlichkeit und Korruption, ihrer mörderischen Repression ablenken.

Diesem Narrativ folgend, begannen die Ereignisse Ende Juni damit, dass das Verfassungsgericht Zuma zu 15 Monaten Haft verurteilte, weil er einer Untersuchung von Korruption auf Staatsebene während seiner Präsidentschaft zwischen 2012 und 2018 nicht nachgekommen war. In einer scheinbar taktisch geplanten Kapitulation stellte sich Zuma am 8. Juli.

Dies löste die ersten Demonstrationen aus, Angriffe auf die Polizei, die, wie die auf dem Capitol Hill beim Trump-Putsch, verdächtig untervorbereitet wirkte, und Transportblockaden, Plünderungen von Sanitätshäusern usw. Im Laufe der Woche wuchs die Zahl der Menschen auf den Straßen deutlich an. Zu diesem Zeitpunkt wurden vor allem Einkaufszentren und Lebensmittellager zu den Hauptzielen, da sich die Ausschreitungen auf Johannesburg und die Provinz Gauteng ausweiteten. Insgesamt wurden über 1.000 Supermärkte für Grundnahrungsmittel geplündert.

Dies führte dazu, dass die Free-Zuma-Kampagne in opportunistischer Weise behauptete: „Nur ein freier Präsident Zuma kann sich an unsere Nation wenden und zur Ruhe aufrufen“, um hinzuzufügen, dass die Ermittlungen zu Zumas Förderung von Waffengeschäften „sofort eingestellt werden müssen“ – als ob sich die DemonstrantInnen zu diesem Zeitpunkt auch nur ein Jota um die Gefängnisstrafe des korrupten Zuma oder die „Übernahme des Staates“ durch seine KumpanInnen scherten.

Dies benutzte Präsident und ANC-Vorsitzender Cyril Ramaphosa als Vorwand, um bis zu 25.000 SoldatInnen auf die Straße zu schicken, die „den demokratischen Staat“ verteidigen und einen Putsch verhindern sollten, indem er behauptete: „Die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes ist bedroht.“ Die wirkliche Bedrohung für Ramaphosa bestand allerdings darin, dass die Unruhen zum Auftakt eines anhaltenden Widerstands der ArbeiterInnenklasse gegen die Art und Weise werden könnten, wie er im Namen des in- und ausländischen Großkapitals regiert.

RegierungsbeamtInnen folgten dem und schürten Ängste vor einer „zweiten Phase“ des Putsches, in der das Ziel sei, das Land „unregierbar“ zu machen und Südafrika zu den ethnischen Auseinandersetzungen der letzten Tagen der Apartheid zurückzubringen, alles ohne den geringsten Beweis. Auch Zumas Lager verschärfte die Rhetorik und forderte den Sturz der Regierung. Dazu muss man wissen, dass das Verfassungsgericht am Montag, den 12. Juni, Zumas Gefängnisstrafe aufhob und damit den Weg für einen Deal ebnete, obwohl er noch nicht freigelassen worden ist.

Pandemie und Wirtschaft

Um den wahren Kern der Krise im ANC zu verstehen, muss man sich die südafrikanische Wirtschaft ansehen, die seit fast einem Jahrzehnt stagniert und im Jahr 2020 um rekordverdächtige 7 Prozent geschrumpft ist. Die Arbeitslosigkeit, die schon immer hoch war, liegt bei einem Rekordwert von 43 Prozent, bei der Jugend sogar bei astronomischen 74 Prozent; 2 Millionen Arbeitsplätze wurden während der Pandemie vernichtet.

Ende April hat die Regierung die monatlichen Zuschüsse zur sozialen Notlage (Social Relief of Distress, SRD) gestrichen, eine Leistung im Wert von nur 350 Rand (entspricht etwa 20 Euro), die Arbeitslosen zusteht. Ramaphosa behauptete, die Pandemie sei besiegt und wirtschaftliche Erholung zeichne sich ab. Das Einzige, was wuchs, waren jedoch die Kosten für Lebensmittel, die in den letzten Monaten um 7 Prozent gestiegen waren, wobei sich der Preis für Brot in der Woche vor den Unruhen verdoppelt hatte. Anfang Juli zwang eine dritte Coronawelle, die frühere sogar noch übertraf, Ramaphosa dazu, erneut harte Lockdownmaßnahmen zu verhängen und zugleich viele zu zwingen zu arbeiten, selbst wenn sie krank sind.

Obwohl die offizielle Zählung 64.000 Coronatote angibt, können wir davon ausgehen, dass es in Wirklichkeit 175.000 Tote sind (bei 60 Millionen EinwohnerInnen, also einer Bevölkerung von der Größe Großbritanniens), da der Gesundheitssektor überfordert ist. Nur 2,3 Prozent der Bevölkerung sind geimpft, obwohl der Impfstoff von Johnson & Johnson vor Ort produziert wird. Arbeiten oder hungern sind die einzigen Optionen für die ArbeiterInnen und das Schlimmste steht ihnen mit ziemlicher Sicherheit noch bevor.

Weder die Aktionen von Ramaphosa noch die aus Zumas Lager haben die Situation verbessert. Die Streichung auch nur der geringsten wirtschaftlichen Unterstützung für Arbeitslose und die Isolation, Plünderung und das Niederbrennen von medizinischen Fabriken und Einrichtungen wird die Zahl der Toten unter den Armen nur erhöhen. Kein/e ArbeiterIn sollte eine der beiden Fraktionen unterstützen, die beide eingeschworene Feindinnen unserer Klasse sind, nicht nur wegen vergangener Verbrechen, sondern wegen der gegenwärtigen Gefahr, die sie darstellen.

Der entscheidende Unterschied zwischen Ramaphosas regierender Fraktion, die von ihren GegnerInnen als „weißer Monopolkapitalismus“ bezeichnet wird, und Zuma, dem die „Übernahme des Staates“ in Absprache mit der Gupta-Familie vorgeworfen wird, besteht darin, wie sie die Wirtschaft wiederbeleben wollen. Was Korruption angeht, sind beide Männer äußerst korrupt, aber das ist nicht die eigentliche Ursache der Verarmung der Massen. Die Lösungen beider Männer sind gleichermaßen nutzlos.

In Wahrheit ist Zumas „radikale wirtschaftliche Transformation“, obwohl sie einige linke Forderungen wie Verstaatlichung der Energieversorgung und Landumverteilung enthält, ein populistischer Schwindel. Wie kommt es, dass er nach acht Jahren im Amt keine einzige seiner Hauptforderungen umgesetzt hat? Wie kommt es, dass Südafrika nach seiner Amtszeit als das ungleichste Land der Welt dasteht? Und das ist nur die Bilanz, noch bevor man sich dem Thema Korruption und „Übernahme des Staates“ zuwendet.

Ramaphosa kann Zuma in Sachen Korruption, Veruntreuung und brutalen Terrors sicher das Wasser reichen, wenn man seine Bilanz über die Jahrzehnte betrachtet wie z. B. die Anordnung zur Erschießung von 34 streikenden BergarbeiterInnen im Jahr 2012. Selbst heute mussten wichtige MinisterInnen wegen der unzulässigen Vergabe von Verträgen an Günstlinge zurücktreten, nur ein Drittel des 5-Milliarden-Rand-Ausgabenpakets hat die vorgesehenen EmpfängerInnen erreicht und seine Polizei und SoldatInnen haben in der letzten Woche bis zu 200 DemonstrantInnen und ZivilistInnen getötet. Was den persönlichen Reichtum betrifft, so übersteigt sein geschätztes Nettovermögen von 450 Millionen US-Dollar die 20 Millionen US-Dollar von Zuma bei weitem – man könnte sagen, dass er mit dieser Form des „Empowerment“ sehr gut gefahren ist.

Doch Ramaphosa folgt letztlich den Interessen einer bestimmten Klasse, vor allem von ausländischen und südafrikanischen imperialistischen InvestorInnen. Sie haben eine doppelte Forderung: die Korruption, die ihre operativen Geschäfte belastet, zu reduzieren und die ArbeiterInnenklasse und ihre Gewerkschaften zu zähmen. Die ausländischen ImperialistInnen kommen heute sowohl aus dem Osten als auch aus dem Westen. Die Aufgabe, vor der SozialistInnen in Südafrika heute stehen, ist, den Kampf für Notmaßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Gesundheit, Sozialleistungen und Lebensmitteln mit einem strategischen Kampf gegen das von Zuma und Ramaphosa verteidigte System, den Kapitalismus, zu verbinden. Die Bosse planen, von der Krise zu profitieren, und das sollten die ArbeiterInnen auch.

Die Linke

Die südafrikanische ArbeiterInnenklasse hat eine stolze Kampfbilanz vorzuweisen, und das nicht nur als historische Speerspitze der Anti-Apartheid-Kämpfe in den 1980er Jahren, die das Regime in die Knie zwangen. Im letzten Jahrzehnt hat sie regelmäßig die weltweit höchste Anzahl von Streiktagen zu verzeichnen.

In dieser Zeit begann die Avantgarde der ArbeiterInnenklasse, vor allem in den Gewerkschaften, aber auch in den Townships und unter der Jugend, mit der ANC-Volksfrontregierung zu brechen. Dies war zwar notwendig und ein Schritt in Richtung Klassenunabhängigkeit, hat aber auch weitere Spaltungen und damit Verwirrung produziert. Leider ließ sich vieles davon während des jüngsten Aufstandes beobachten.

Die Partei der Economic Freedom Fighters (KämpferInnen für wirtschaftliche Freiheit, EFF), die von der stalinistischen Kultfigur Julius Malema angeführt wird, kämpfte während der Krise um Aufmerksamkeit. Malema übte keine Kritik an Zuma, den er als glaubwürdigen politischen Akteur und potenziellen Verbündeten ansieht. Da er die Notwendigkeit zur Schärfung des Profils der EFF sah, reagierte Malema aus heiterem Himmel mit einem Tweet auf das Vorgehen der Regierung Ramaphosa: „Keine SoldatInnen auf unseren Straßen! Ansonsten schließen wir uns an. Alle KämpferInnen müssen bereit sein … sie werden uns nicht alle umbringen.“ Nicht nur, dass dies nicht zustande kam, sondern die Farce ist nun in ein Gerichtsverfahren übergegangen, wobei Malema den Führer der oppositionellen Democratic Alliance (Demokratische Allianz, DA) wegen Verleumdung verklagte, als dieser Malema wegen Anstiftung zur Gewalt anzeigte!

Notwendig war nicht ein erbitterter Kampf mit der Armee (auf den sich die EFF nicht vorbereitet hatte und den sie nie auf die Beine stellen konnte), sondern Verteidigungsposten aus der ArbeiterInnenklasse, die die Stadtteile vor der Polizei schützen, sich mit den einfachen SoldatInnen verbrüdern und kriminelle Banden aufhalten konnten, die anrückten, um die Situation auszunutzen. Es gibt einige Berichte darüber, dass dies ansatzweise stattgefunden hat, allerdings nicht unter Führung der EFF.

Dass Malema Zuma stillschweigend unterstützt, ist keine Überraschung, wenn man bedenkt, wie viele Gemeinsamkeiten sie haben. Sie kommen beide aus dem stalinistischen Lager innerhalb des ANC, beide sind in Korruptionsvorwürfe immensen Ausmaßes verwickelt und  Meister der Demagogie. Aber auch der Präsident der National Union of Metalworkers of South Africa (Nationaler Metallarbeiterinnenverband, NUMSA; größte Einzelgewerkschaft Südafrikas) und Führer der Socialist Revolutionary Workers Party (Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei, SRWP), Irvin Jim, schloss sich den beiden an und machte zu seiner Hauptbeschwerde über Ramaphosa „dessen Versäumnis, den ehemaligen Präsidenten Zuma beim Namen zu nennen“. Diese beiden falschen Führer würden lieber einen Handel mit Zuma eingehen, als einen Ausweg für die ArbeiterInnenklasse aufzuzeigen.

Wie weiter?

Unruhen, selbst wenn sie authentische Aufschreie der Armen und Verzweifelten sind, angeheizt durch die Wut gegen ihre UnterdrückerInnen, können niemals die Grundlage für einen längeren Kampf bieten. Bestenfalls können sie die Massen ermutigen und eine Minderheit politisieren, indem sie sie mit einer gewissen organisatorischen Grundausbildung ausstatten. Aber am Ende können sie genau die Gruppen von sich entfremden, die mit den Folgen leben müssen: Repression (über 2.500 Verhaftungen), Lebensmittel- und Treibstoffknappheit und weitere Entbehrungen.

Einige in der Linken, insbesondere die Workers and Socialist Party (Sozialistische und ArbeiterInnenpartei, WASP), haben diesen Punkt angesprochen und zu Recht versucht, die Aufgaben des heutigen Kampfes mit dem für den Sozialismus zu verbinden. Um dies zu konkretisieren, plädieren wir für einen vereinigten Kampf und fordern:

  • Bildung von ArbeiterInnenverteidigungseinheiten, die in jeder Ortschaft den Volksversammlungen rechenschaftspflichtig sind, repräsentativ für alle Betriebe und ArbeiterInnenviertel, um sich Polizei, Armee und kriminellen Banden zu widersetzen.
  • Bildung von Aktionsräten in jeder Stadt und jedem Bezirk, um die Krise zu diskutieren, Streiks auszurufen und durchzuführen, kostenlose Lebensmittel für die Bedürftigen zu beschaffen und zu verteilen und Massenaktionen, Demonstrationen, Mietstreiks usw. durchzuführen.
  • Aufruf an alle Gewerkschaftsverbände, insbesondere South African Federation of Trade Unions (Südafrikanischer Gewerkschaftsdachverband, SAFTU) und Congress of South African Trade Unions (Kongress Südafrikanischer Gewerkschaften, COSATU), einen Generalstreik zu starten, um KurzarbeiterInnengeld statt Stellenabbau, wirtschaftliche Unterstützung für Kranke und Arbeitslose, vollständige und schnelle Einführung des Impfstoffs und Sicherheitsmaßnahmen unter ArbeiterInnenkontrolle zu fordern.
  • Eine Basisbewegung in allen Gewerkschaften mit dem Ziel, die Bürokratie zu beseitigen, die Gewerkschaften zunächst im Kampf und dann organisatorisch zu vereinigen und sie zum Aufbau einer revolutionären sozialistischen Partei zu nutzen, die demokratisch von ihren Mitgliedern kontrolliert wird und in ihren antikapitalistischen Aktionen zentralisiert ist.

Keine der bestehenden „Parteien“ links vom ANC hat den Test der letzten Tage bestanden. Ausgehend von der aktuellen Krise kann die südafrikanische ArbeiterInnenklasse nicht nur Ramaphosa davon abhalten, sie für die vielfältigen Krisen bezahlen zu lassen, sondern auch die Basis für eine neue Partei bereiten, die den Kampf für den Sozialismus anführen kann.




Südafrika: ANC bleibt an der Macht, aber unter Druck von links

Jeremy Dewar,  Neue Internationale 238, Juni 2019

Am Ende war es
ein komfortabler Wahlsieg für den ANC (Afrikanischer Nationalkongress) von
Präsident Cyril Ramaphosa und seinen Verbündeten, der Gewerkschaftsföderation
COSATU und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP). Mit 57,5 Prozent der
Stimmen bei einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 66 Prozent hielten
sie den Trend gegen sich auf unter 5 Prozent und behielten eine absolute
Mehrheit im Parlament.

Dies ist jedoch
mehr der Unterstützung zu verdanken, die der ANC erhält, weil er den
Anti-Apartheidkampf geführt hatte, als der Begeisterung für die
Regierungsgeschichte der Partei in den letzten 25 Jahren. Der ANC profitierte
auch von der Uneinigkeit sowohl in der neoliberalen Oppositionspartei, der
Demokratischen Allianz, als auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung.

Was können wir
erwarten?

Ramaphosa
startete seine Kampagne mit einer Rede in Durban, in der er die MigrantInnen
aus den Nachbarländern zum Sündenbock machte und versprach, gegen ArbeiterInnen
ohne Papiere vorzugehen. Zwei Monate später töteten RandaliererInnen drei
MigrantInnen und griffen ausländisch geführte Unternehmen in der blutigsten
Gewalt seit vier Jahren an. Bereits 2012 hetzte er gegen die streikenden
Bergleute in Marikana. Am nächsten Tag mähte die Polizei 34 unbewaffnete
Streikposten nieder.

In einem Land,
in dem die Arbeitslosigkeit bei 35 Prozent liegt, d. h. 9 Millionen von
geringen oder gar keinen staatlichen Leistungen leben müssen, entschied sich
der ANC für eine Kampagne zur Schaffung von 275.000 Arbeitsplätzen pro Jahr,
obwohl selbst diese unzureichende Maßnahme darauf abzielt, 1,2 Billionen Rand
(73 Milliarden Euro) private Investitionen anzuziehen, was angesichts der
stagnierenden südafrikanischen Wirtschaft illusorisch ist.

Südafrika ist
das ungleichste Land der Welt. 65 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der
„oberen Armutsgrenze“ von 3,33 US-Dollar pro Stunde.

Präsident
Ramaphosa, den das „Forbes“-Magazin in der Millionärsrangliste mit einem
Vermögen von 450 Millionen einschätzt, kümmert dies wenig. Der abtrünnige
Gewerkschaftsverband SAFTU startete im vergangenen Jahr einen Generalstreik
gegen den erbärmlichen Mindestlohn von 0,75-1,33 Dollar pro Stunde, den COSATU
jedoch pflichtbewusst begrüßte.

Südafrika hält
jedoch auch einen anderen, mehr Hoffnung verheißenden Rekord: Gemäß
Weltwirtschaftsforum waren seine GewerkschafterInnen die konfrontativsten in
den letzten 7 Jahren. Und sie stehen im Fadenkreuz des ANC. Weitere Angriffe
infolge der im letzten Jahr verabschiedeten Antigewerkschaftsgesetze, die
obligatorische Briefwahlen vor einem legalen Streik einführen, sind
wahrscheinlich.

Das
Landreformprogramm klingt vielversprechender. Der ANC verspricht, die
Verfassung zu ändern, damit den reichen weißen FarmerInnen Land entzogen werden
kann. Aber er droht auch damit, gegen illegale BesetzerInnen und die
Beschlagnahmungen von Eigentum durch die Landlosenbewegung vorzugehen.

Ebenso verhält
es sich mit dem Anti-Korruptionsprogramm von Ramaphosa: Die
Zondo-Untersuchungskommission zum „Raub“ am Staat durch Kumpane des
Ex-Präsidenten Jacob Zuma, die Brüder Gupta, wurde von der ANC-Regierung
ernannt. Das Vertrauen, dass sie viele vor Gericht bringen wird, ist nur
gering, da die Zuma-AnhängerInnen weiterhin stark in der Partei sind.

Opposition und
die EFF

Trotz all dieser
Misslichkeiten konnten die Demokratische Allianz (DA) und die EFF (KämpferInnen
für Ökonomische Freiheit) zwar punkten, aber den Vorsprung des ANC bei den
Umfragen nicht wettmachen.

Tatsächlich
verlor die DA fünf Sitze, nachdem ihre Kapstädter Bürgermeisterin und ihr
Stellvertreter zum ANC übergelaufen waren, und als Folge des unbeliebten
Sparprogramms, das sie in den von ihr geführten Gemeinden, viele in Koalition
mit der EFF, entfesselte.

Die EFF hingegen
erwies sich mit 1,9 Millionen Stimmen und 19 neuen Sitzen als echte
Wahlsiegerin und erhöhte ihre Gesamtzahl an Abgeordneten auf 44 (DA 84, ANC
230). Das EFF-Manifest konnte auf ihre Unterstützung für wichtige soziale
Bewegungen hinweisen einschließlich wichtiger Reformen in der Landfrage und bei
Studiengebühren, die sie dem ANC neben einer Vielzahl von kleineren
Verbesserungen abgetrotzt hat.

Das Manifest der
EFF heißt „Unser Land und unsere Arbeitsplätze JETZT!“ Sein Umfang beträgt 168
Seiten und trägt den Untertitel „Ein Volksmanifest und Aktionsplan“. Es enthält
jedoch grundlegende Fehler und stellt ein völlig reformistisches Programm dar,
das trotz der Forderungen nach einer Verstaatlichung der Nationalbank und der
Minen weder als konsequent antikapitalistisch noch antiimperialistisch
bezeichnet werden kann.

Besorgniserregend
ist, dass fast kein Bezug zu den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen in den
armen Vororten (Townships), der Landlosenbewegung oder der Solidarität mit
MigrantInnen hergestellt wird. Das Manifest appelliert an „Gaben von oben“ und
versteht sich keinesfalls als Aktionsprogramm zum Kampf.

Studentische
Reformen und die Studierendenbewegung werden zwar kontrastreich und ausführlich
erwähnt. Aber die bisherige Praxis der EFF zeigt, dass sie sich von breiteren
sozialen Bewegungen fernhält, die sie nicht kontrollieren oder zumindest
beeinflussen kann.

Methode der EFF

Die wichtige
Frage der Landumverteilung unterstreicht die autoritäre Methodik der EFF.
Obwohl das Land ohne Entschädigung verstaatlicht, kostenlos verteilt und Frauen
und Jugendlichen die Hälfte des Landes zur Verfügung gestellt werden soll,
werden die Rechte der „illegalen“ LandbesetzerInnen nicht erwähnt und die EFF
schweigt zur Frage der Landnahme, die derzeit grausam unterdrückt wird.
Tatsächlich verspricht die Partei, die mörderische Polizei massiv zu
verstärken.

Stattdessen soll
ein „Volksbodenrat“ das Land neu verteilen, und eine EFF verspricht, dass sie
an der Regierung „die Rechte der traditionellen FührerInnen bei der Zuweisung
und Umverteilung von Land nicht abschaffen wird“.

Wiederum werden
eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns und Millionen neuer Arbeitsplätze
zugesagt. Aber sie haben einen hohen Preis – für die Armen. Für die reichen
Sonderwirtschaftszonen, einschließlich aller wichtigen Townships, soll es keine
Besteuerung geben, solange sie 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Gewerkschaftsrechte werden in den Sonderwirtschaftszonen notorisch aufgegeben.

Vor allem die
BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) werden gezielt angesprochen,
sich auf Binneninvestitionen zu beschränken, während Südafrika bestrebt ist,
den afrikanischen Markt für sich zu erschließen. Der Anführer der EEF, Julius
Malema ist ein Türöffner für OligarchInnen und chinesische Mega-Konzerne.

Die EFF koppelt
dies mit dem „Schutz und der Lokalisierung von Industrien, die Grund- und
Gebrauchsgüter durch Importsubstitution herstellen“, von Löffeln und Seife über
Glühbirnen bis hin zu verarbeiteten Lebensmitteln. Dies mag einige
Arbeitsplätze auf Kosten der südafrikanischen NachbarInnen retten, aber es wird
die chinesische Stahlindustrie nicht ausbremsen.

Es sind
demokratische „Reformen“ vorgesehen, die den Staat zentralisieren sollen, indem
die Provinzregierung abgeschafft und die Kommunalverwaltungen direkt gegenüber
der Regierung verantwortlich gemacht werden. In den internationalen Beziehungen
würde die EFF Südafrika auf Russland und China ausrichten, was als Modell für
die Zukunft gilt.

Wo war die SWRP?

Die größte
Enttäuschung bei den Wahlen war das katastrophal schlechte Abschneiden der
Socialist Revolutionary Workers Party (SWPR). Trotz der Unterstützung durch die
MetallarbeiterInnengewerkschaft NUMSA erhielt sie jedoch nur 24.439 Stimmen und
dies bei einer NUMSA-Mitgliedsstärke von 339.000.

Die neue Partei
wurde erst am 4.-8. April 2019 ins Leben gerufen, obwohl sie schon 2014
angekündigt worden war. Gleichzeitig wurden NUMSA und der
COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi aus COSATU ausgeschlossen. Die militante
MetallarbeiterInnengewerkschaft forderte damals „eine Bewegung für den
Sozialismus, da die ArbeiterInnenklasse eine politische Organisation braucht,
die sich in ihrer Politik und ihren Aktionen für die Errichtung eines
sozialistischen Südafrikas einsetzt“.

Aber eine solche
Bewegung wurde nie aufgebaut. Vavi, der jetzt den neuen Gewerkschaftsbund SAFTU
leitet, zu dem NUMSA gehört, sagte am 1. Mai dem Sender SABC News, dass SAFTU
noch nicht über die neue Partei gesprochen habe und NUMSAs Unterstützung „bedeutet
nicht, dass SAFTU daher plötzlich die SRWP ohne interne Diskussion
unterstützt“.

Die CWI-Sektion
WASP (Schwesterorganisation der SAV) kritisierte auch die SRWP für ihren
Rückzug aus dem ArbeiterInnengipfel, den NUMSA selbst erst im Juli letzten Jahres
einberief, die Besetzung von Führungspositionen durch NUMSA-AnhängerInnen und
die mangelnde Transparenz darüber, woher das gesamte Geld für den Start kam.

Das Manifest der
Partei „Gleichheit, Arbeit, Land“ scheut sich nicht, revolutionär klingende
Erklärungen abzugeben. In der Präambel des Programms heißt es, dass die Partei,
„geleitet vom Marxismus-Leninismus“, darauf abzielt, die ArbeiterInnenklasse
„in ihrer historischen Mission, Imperialismus und Kapitalismus zu besiegen und
den Sozialismus in Südafrika, Afrika und auf der ganze Welt zu etablieren als
Auftakt für den Vormarsch zu einer wirklich freien und klassenlosen
Gesellschaft: zu einem kommunistischen Südafrika, Afrika und der
kommunistischen Welt“ anzuleiten.

Weiter heißt es:
„Die SRWP wird alle strategischen Industrien verstaatlichen, insbesondere die
Bergwerke, das Land und kommerzielle Farmen, die Banken, die großen Fabriken
und die Großunternehmen (…) und alle verstaatlichten Industrien in einen
demokratischen sozialistischen Produktionsplan für die menschlichen Bedürfnisse
und nicht für Profit integrieren.“

Aber die Vorlage
eines knappen und in etlichen Punkten auch verkürzten marxistischen Programms,
bevor es einen ernsthaften Versuch gab, die militanten Gewerkschaften dafür zu
gewinnen, war ein großer Fehler. Eine viel bessere Methode wäre der Kampf um
die Gewinnung der Massenorganisationen an den Arbeitsplätzen und in den
Gemeinschaften, um eine ArbeiterInnenpartei zu bilden, wie es Leo Trotzki in
seinen Schriften an seine AnhängerInnen in den USA dargelegt hat. Bei der
Gründung der SRWP gab es keine vorherige Diskussion, kein Engagement anderer
Kräfte oder von GewerkschaftsführerInnen. Dadurch sieht die Partei wie eine
Totgeburt aus.

Welche Partei?

Die
Basismitglieder von NUMSA müssen zusammen mit den TeilnehmerInnen des
ArbeiterInnengipfels und anderen radikalen Kräften der ArbeiterInnenklasse wie
der Bergleutegewerkschaft AMCU die Notwendigkeit der politischen Einheit in
einem Kampfprogramm diskutieren. Es darf kein parlamentarischer „Aktionsplan“
wie der der EFF-Führung sein, der in Koalitionsgesprächen mit dem Klassenfeind
als Verhandlungsgrundlage dienen soll. Wir brauchen keinen ANC 2.0.

Darüber hinaus
kann keine neue Partei die jungen ArbeiterInnen und StudentInnen der EFF
umgehen, die zweifellos derzeit ein wichtiger Teil der Vorhut der Klasse sind.
Wenn RevolutionärInnen Wege finden können, mit ihnen zu kämpfen, ihre
FührerInnen auf die Probe zu stellen und die Mitglieder für den revolutionären
Marxismus und das Programm der permanenten Revolution zu gewinnen, dann kann
eine neue ArbeiterInnenpartei in Südafrika entstehen.




Die Krise in Südafrika

Jeremy Dewar, Infomail 1024, 15. Oktober 2018

Bis heute inspiriert die Geschichte des Anti-Apartheidskampfes Millionen, die gegen Rassismus und für Befreiung kämpfen. Und das sollte sie auch. Aber nur die Geschichte zu erzählen, als ob der Kampf um Gleichheit mit der Auflösung des Apartheid-Systems beendet worden wäre, würde denjenigen, die es bekämpft haben, einen Bärendienst erweisen. Wir müssen uns auch mit dem Erbe dieses Kampfes und den Herausforderungen befassen, die er für eine neue Generation mit sich bringt.

Beginnen wir mit einigen unbequemen Fakten. Südafrika ist offiziell das ungleichste Land der Welt und das schon seit einigen Jahren. Bis zu 65 Prozent der SüdafrikanerInnen leben in Armut, die Lebensmittelpreise steigen. Nach Angaben der Weltbank stellt sich dies so dar:

„Die unteren 50 % der Haushalte machen nur 8 % der Einkommen, 5 % der Vermögenswerte und 4 % des Nettovermögens aus. Umgekehrt besitzen die Top-10 % der Haushalte 55 % der Haushaltseinkommen, 69 % der gesamten Haushaltvermögenswerte und 71 % des Haushaltnettovermögens“.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 %, bei Jugendlichen sogar bei 50 %. Gut bezahlte Arbeitsplätze wurden, wenn überhaupt, durch prekäre Beschäftigung ersetzt. Löhne und Wachstum stagnieren, die Kapitalflucht ist monströs.

Der Haushalt 2018 erhöhte die Mehrwertsteuer, kürzte die Sozialleistungen, verschärfte gewerkschaftsfeindliche Gesetze und lockerte die Einschränkungen von Kapitalflucht.

Dies verstärkt das Elend, zu dem die systematische Korruption, verkörpert durch den ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, die Veruntreuung von Weltbankgeldern durch ANC-BeamtInnen und GaunerInnen wie die Brüder Gupta und die Leugnung von AIDS durch den früheren Präsidenten Thabo Mbeki verschärft wurde. Allein AIDS soll schätzungsweise Hunderttausende vorzeitige Todesfälle verursacht haben.

Der diesjährige Haushalt, der erste unter Präsident Cyril Ramaphosa, führte auch Mindestlöhne von 11 bis 22 Rand ein, d. h. 0,55 bis 1,15 € pro Stunde, die Massenproteste auslösten, sogar von der stalinistischen „Kommunistischen Partei Südafrikas“ und den wichtigsten Gewerkschaften des Verbandes COSATU, die in Koalition mit dem regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) bleiben. Der neue gegründete, abtrünnige Südafrikanische Gewerkschaftsbund ging am 25. März mit einem Generalstreik einen Schritt weiter.

Schließlich gibt es noch die Landfrage, eines der brennendsten Themen während des Anti-Apartheid-Kampfes. Über hundert Jahre Ungerechtigkeit wurden seit dem Sturz der Apartheid vor 24 Jahren immer noch nicht angegangen.

Das Gesetz, der Natives Land Act, von 1913 entzog der schwarzen Bevölkerung Landbesitz und vergab 87 % des Landes an weiße BäuerInnen. Der schwarzen Mehrheit wurde nur das Restland von 13 % in den überfüllten „Eingeborenenreservaten“ überlassen.

Heute liegt der Anteil des weißen Grundbesitzes bei 72 % – trotz Landreform, d. h. Übergang in den schwarzen Grundbesitz, der das Herzstück der Freiheitscharta bildet. Nur 8 % des weißen Landes wurden seit 1994 in schwarzen Besitz überführt. In der Post-Apartheid-Verfassung steht, dass Land nicht enteignet werden kann, sondern nur auf der Grundlage übertragen, dass es „eine/n willige/n VerkäuferIn“ und „eine/n willige/n [und zahlungsfähige/n] KäuferIn“ gibt.

Kurz gesagt, 2,2 Mio. schwarze BäuerInnen sind für nur 5 % der gesamten Wirtschaftsleistung im Agrarsektor verantwortlich, während 35.000 kommerzielle LandwirtInnen die restlichen 95 % auf dem besten Land produzieren, mit den modernsten Geräten arbeiten, 800.000 LandarbeiterInnen, meist Schwarze, beschäftigen und den Markt kontrollieren. An der Spitze stehen 1.300 Unternehmen, die 50 % des Einkommens genießen und für den Weltmarkt produzieren.

Landnahmen sind weit verbreitet, gelegentlich gewalttätig und führen dazu, dass AfrikaanerInnen der extremen Rechten behaupten, es sei ein „Völkermord“. Zahlen zeigen jedoch, dass es in den Städten gefährlicher ist als in ländlichen Gebieten, und mehr Schwarze sterben an gewaltsamen Landnahmen als Weiße. Mit anderen Worten, die Besetzungen sind wirtschaftlich motiviert, rassistisch ist deren Unterdrückung. Die Vergeltung durch weiße BäuerInnen war und ist extrem. In einem finsteren Echo auf die Apartheid-Ära oder das der Jim-Crow-Gesetze in den USA hat ein weißer Farmer kürzlich einen schwarzen Jungen getötet, weil er eine Sonnenblume gestohlen hatte.

Während er den Gesetzentwurf der oppositionellen Bewegung „Economic Freedom Fighters“ (EFF, Wirtschaftliche FreiheitskämpferInnen) zur Änderung der Verfassung und zur Genehmigung von Landenteignungen und Umverteilungen unterstützt, hat der ANC Ramaphosas die Landnahmen schnell und entschieden verurteilt. Seine Unterstützung für die Reform zielt darauf ab, eine militante Bewegung von unten zu entschärfen: d. h. mit der klassischen Taktik von Zuckerbrot und Peitsche oder besser gesagt, Zuckerbrot und Waffe.

Cyril Ramaphosa

Es ist unmöglich, die heutige politische Krise zu verstehen, ohne die Anti-Apartheid-Bewegung und die Nach-Apartheid-Lösung zu analysieren. Bemerkenswert ist, dass dies mittels Blick durch die Linse von Cyril Ramaphosas eigenem persönlichen Lebenslauf erreicht werden kann.

Ramaphosa, der in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Studentenaktivist war, schloss sich der wachsenden Jugend- und StudentInnenenbewegung in den Townships an. Er schloss sich auch dem ANC an, der mit seinem 10-Punkte-Programm, der Freiheitscharta und seiner „zweigleisigen“ Strategie, das Regime und die Bosse zu Verhandlungen zu zwingen, indem er das Land unregierbar machte, im Kampf gegen die Apartheid an erster Stelle stand. Es war eine klassische Volksfrontstrategie mit viel workeristischem Beiwerk, besonders notwendig, da es keine schwarze Bourgeoisie und kaum eine Kleinbourgeoisie gab. Bei all dem hat die Südafrikanische KP sie unterstützt und begünstigt.

Ramaphosa gründete Mitte der 1980er Jahre die Bergarbeitergewerkschaft NUM, die Teil des Gewerkschaftsverbandes COSATU war, der 1984 – 1985 auf 700.000 Mitglieder stark anstieg. Im Mittelpunkt standen die 300.000 Bergleute sowie die Gewerkschaft der Metall- und verbündeten ArbeiterInnen (MAWU, später in NUMSA umbenannt).

Eine riesige Streikwelle 1985 – 1986 markierte die Explosion der ArbeiterInnenklasse auf der Bühne der bürgerlichen demokratischen Revolution. Zwei große BergarbeiterInnenstreiks – der erste, der fünfeinhalb Monate dauerte und 1986 von einem brutalen Ausnahmezustand gebrochen wurde, markierte den Höhepunkt der Bewegung –; der zweite, der dreieinhalb Wochen dauerte, war von den Nachwehen der revolutionären Bewegung gekennzeichnet. Beide wurden von Ramaphosa zur Niederlage geführt, der erste heroisch, der zweite schmählich.

Schmählich, weil es eine wachsende Streikwelle gab, zu der auch Einzelhandelsbeschäftigte und sogar Hausangestellte gehörten. Daneben führten MAWU und ihr inhaftierter Führer Moses Mayekiso eine Bewegung zur Bildung einer ArbeiterInnenpartei an – um den ANC zur Rechenschaft zu ziehen, aber vor allem, um für die sozialistischen Forderungen im Hier und Jetzt und eine ArbeiterInnenregierung zu kämpfen.

Bald nach der Niederlage der Bergleute begannen die Gespräche und Ramaphosa spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung mit ihrer berüchtigten Sonnenuntergangsklausel, die garantierte, dass sie nicht in die bürgerlichen Eigentumsrechte der weißen Bourgeoisie, die später White Monopoly Capital (weißes Monopolkapital) genannt wurde, eingriff. Die Dreierallianz und später die Dreierregierung von ANC, SACP und COSATU wurde als Mittel zur Durchführung dieser demokratischen Konterrevolution etabliert, die sich im Laufe der Zeit sicher von der (jetzt demobilisierten) Revolution selbst entfernt hat.

Nach dem Ende der Apartheid 1994 schickte der ANC Ramaphosa als „Abgesandten“ in die Geschäftswelt. Es wurde oft gesagt, dass er die Black Economic Empowerment (BEE, schwarze Wirtschaftsermächtigung)-Politik der ersten ANC-Regierung unter Nelson Mandela eher zu wörtlich und zu persönlich nahm. Er besitzt derzeit mindestens eine halbe Milliarde Dollar und war Vorstandsmitglied der Standard Bank und der Lonmin Mining Company.

Sehr viele ANC-PolitikerInnen, SACP-FührerInnen und COSATU-FunktionärInnen wurden durch ihre Worte und Taten gegen die ArbeiterInnenklasse in dieser 24-jährigen Periode verdammt, aber ein Vorfall, mehr als jeder andere, sorgte für die völlige Ernüchterung der ArbeiterInnenklasse oder zumindest ihrer Vorhut gegenüber dem ANC und der Volksfront: das Marikana-Massaker von 2012.

Marikana-Massaker

Ein Streik für höhere Löhne hatte bereits zu Scharmützeln mit der Polizei geführt, bei denen 10 Bergleute getötet wurden. Die Spannungen zwischen der NUM, der alten Gewerkschaft Ramaphosas, und der abtrünnigen Bergarbeitergewerkschaft AMCU, die mit ihrer mutigen und entschlossenen Führung mehr Bergleute für sich gewinnen konnte, nahmen zu. Dann schickte Ramaphosa, selbst Aufsichtsratsmitglied und Investor bei des Bergbauunternehmens Lonmin, im August eine E-Mail an den Polizeiminister, nannte den Streik eine „hinterhältige Straftat“ und forderte die Polizei auf, „Begleitmaßnahmen“ zu ergreifen.

Am nächsten Tag eröffnete sie das Feuer auf Streikende, die nur mit zeremoniellen Speeren bewaffnet waren, um ihnen mehr als alles andere Mut zu verleihen, und tötete 34 von ihnen. Jüngste Beweise zeigten, dass viele von ihnen praktisch beim Rückzug hingerichtet wurden oder im Versteck in den Rücken geschossen wurden. Ramaphosa hat sich „entschuldigt“ – aber erst im letztes Jahr und nur für die von ihm verwendete Sprache!

Eine weniger bekannte Tatsache, die erst vor kurzem aufflog, ist, dass Ramaphosa für den Bau von 5.500 BergarbeiterInnenwohnungen verantwortlich war und von der Weltbank 100 Millionen Dollar für das Projekt erhielt. Nur 2 Musterhäuser wurden jemals gebaut. Niemand ist sich sicher, wo das Geld geblieben ist. Ramaphosa täuschte die Bergleute auf grausamste Weise, nicht einmal, sondern mindestens zweimal.

Die nächsten vier Jahre brachten einen Aufschwung im Kampf, denn die Austeritätspolitik trug zu den Jahren der Frustration und Verarmung durch den Neoliberalismus bei. Die Armensiedlungen in den Vororten (townships) hatten ihre Kämpfe bereits seit Anfang der 2000er Jahre unter AnführerInnen wie Trevor Ngwane und Ashwin Desai wieder aufgenommen. Nun schlossen sich die Gewerkschaften, insbesondere die Bergleute, an. AMCU leitete einen fünfmonatigen Streik in den Platinminen und erzielte einen Tarifvertrag über 800 Rand Mindestlohn im Monat.

Aber der Stellenabbau ging weiter, als die Bergbau- und Stahlunternehmen auf dem internationalen Markt mehr und mehr unter Konkurrenz standen.

Der Stern von Ramaphosa erstrahlte jedoch noch heller, und im Dezember 2017 übernahm er (mit 51 % gegen 49 %) das Amt von Jacob Zuma als Vorsitzender des ANC und, wie üblich, einen Monat später als Präsident der Republik Südafrika.

Allerdings musste er viele seiner besiegten GegnerInnen in das Kabinett aufnehmen, darunter die rivalisierende Fraktion „Generation 40“, angeführt von einer von Zumas Frauen, Nkosazana Dlamini-Zuma, (NDZ). Aber er wird sich und die Partei sicherlich dahin kriegen, sich aus den Skandalen Zumas, der mit über 780 (!) Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, und der Brüder Gupta, die die „Staatsvereinnahmung“, die kollektiv als Zupta bekannt ist, erfunden und perfektioniert haben, herauszulösen.

Ramaphosa machte in seinem ersten Haushalt deutlich, dass er für das weiße Monopolkapital regieren wird.

Die Partei

Diese erneute Phase des verstärkten Kampfes hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen. Die Volksfront wurde bis an die Belastungsgrenze getestet.

Als erstes schloss der ANC seinen Jugendführer Julius Malema aus, der sich für Landnahmen und Reformen im simbabwischen Stil ausgesprochen hatte. Malema gründete aus seinen treuen AnhängerInnen in der ANC-Jugendliga die EFF.

Sie gewannen bei der letzten Wahl, 2014, 6,35 % und 25 Abgeordnete. Berühmt ist, dass die EFF auf Demos, Pressekonferenzen und im Parlament rote Drilliche im Armeestil und schwarze Barette trägt. Ihr Programm fordert eine entschädigungslose Verstaatlichung des Grund und Bodens und von 60 % der Minen sowie die Einrichtung einer staatlichen Investitionsbank: ein linksreformistisches Standardprogramm, das in pseudomarxistische Sätze gepackt ist und eindeutig von der SACP und wahrscheinlich der Kommunistischen Partei Chinas gelernt wurde.

Durch die Intervention in die weitgehend erfolgreiche StudentInnenbewegung #FeesMustFall (Fort mit den Studiengebühren) haben sie eine jugendliche Mitgliedschaft beibehalten und erneuert, die in der Lage ist, Menschenmassen von bis zu 40.000 zu ihren Kundgebungen zu ziehen.

Aber sie sind in ihren Parteistrukturen wie in ihrem Programm stalinistisch und autoritär. Darüber hinaus werden gegen Malema, bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich, auch des Skandal- und Geldwäschevorwürfe erhoben, die aus seinen Tagen im ANC nicht beantwortet wurden.

Möglicherweise noch wichtiger waren die Ereignissen in den Jahren 2013 – 2014, die zum Ausschluss der NUMSA aus COSATU führten, angeblich wegen Mitgliederabwerbung, aber in Wirklichkeit wegen der Forderung nach dem Bruch der Dreifachallianz und der Bildung einer politischen ArbeiterInnenorganisation.

Auf einer Sonderkonferenz, die fast zeitgleich mit dem COSATU-Kongress stattfand, der sie ausschloss, verabschiedete NUMSA einstimmig eine Erklärung, dass sie nach dem Vorbild der Vereinigten Demokratischen Front, dem legalen Flügel des verbotenen ANC, eine gemeinsame Kampffront der ArbeiterInnenklasse und eine Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei nach einem ArbeiterInnengipfel bilden würde.

Dann kam eine lange Zeit des Zögerns und des Versäumnisses, die Resolution zur Realität werden zu lassen, die alle Probleme der Gewerkschaftsbürokratie aufzeigte. Zwar betonen MarxistInnen die Bedeutung der Gewerkschaften bei der Gründung einer ArbeiterInnenpartei. Doch wenn es den FunktionärInnen, die den Apparat der Gewerkschaften kontrollieren, überlassen bleibt, die Partei ohne die Intervention einer revolutionären Strömung innerhalb der Mitgliedschaft zu gründen, dann drohen die Gewohnheiten der Gewerkschaftsführung wie Bürokratismus, Vorgehen gegen abweichende Meinungen, Zurückhaltung in Taten, mangelnde Flexibilität usw. die bestehenden Möglichkeiten zunichte zu machen.

Offensichtlich gab es innerhalb der EFF sowie über ihr internes System ideologische und politische Meinungsverschiedenheiten. AMCU weigerte sich, sich NUMSA bei der Bildung einer neuen Föderation anzuschließen, und zog es stattdessen vor, den Nationalen Gewerkschaftsrat (NACTU), einen Gewerkschaftsverband der Black-Consciousness-Bewegung, zu dominieren. Die Gespräche endeten mit einer Farce. Der ehemalige COSATU-Präsident Zwelinzima Vavi, der zusammen mit NUMSA ausgeschlossen wurde, forderte die Bergleute auf, AMCU zu verlassen und sich NUMSA anzuschließen.

Im vergangenen Jahr begannen sich die Dinge jedoch zu bewegen. Die Südafrikanische Gewerkschaftsföderation, SAFTU, wurde mit 700.000 Mitgliedern gegründet, darunter ein beachtlicher Anteil aus NUMSA. Im Juli 2018 fand ein ArbeiterInnengipfel mit 1.000 Delegierten aus über 450 Gemeinde-, StudentInnen- und Landlosenorganisationen sowie Gewerkschaften statt. SAFTU führte im April einen Generalstreik gegen das neue Mindestlohnniveau durch, mit rund 100.000 auf der Straße.

In seiner Maifeieransprache in diesem Jahr schlussfolgerte NUMSAs Generalsekretär Irvin Jim:

„Solange die Mehrheit der schwarzen und afrikanischen Bevölkerung noch unter der Armutsgrenze lebt, gibt es keine Freiheit. Der Klassenkampf geht weiter und deshalb bleibt der NUMSA nichts anderes übrig, als die ArbeiterInnenklasse als eine Klasse für sich selbst zu organisieren und eine revolutionäre sozialistische ArbeiterInnenpartei zu bilden, deren Mission und Aufgabe es ist, im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen. Wir müssen das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse anheben, um den Kapitalismus zu stürzen. Ein System der Gier wird durch ein sozialistisches System ersetzt, das die Menschheit voranbringt… (…)

Die Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei (SRWP) wird die Arbeit der Revolution beenden, die vom ANC und seinen BündnispartnerInnen aufgegeben wurde.“

In seiner Rede forderte Jim:

  • Streichung der neuen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze Ramaphosas, die Wahlabstimmungen vor Streiks vorschreiben etc…;
  • einen einen Mindestlohn, der dem Lebensunterhalt entspricht;
  • ein Ende der Gangmaster (Arbeitsvermittlung);
  • Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung;
  • ein Bündnis mit der Landlosenorganisation Abahlali BaseMjondolo, um Zugang zu Land, angemessene ländliche Dienstleistungen und demokratische Rechte zu fordern;
  • Bodenenteignung ohne Entschädigung und Beendigung der Schikanierung und Inhaftierung von LandbesetzerInnen;
  • Verstaatlichung der Kommandoebenen der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle;
  • Beendigung des neoliberalen GEAR-Programms (Wachstum, Beschäftigung, Umverteilung) und des NDP-Sparprogramms (Nationaler Entwicklungsplan);
  • Verstaatlichung der Reservebank (SARB).

Das sind wichtige und tragfähige Forderungen, aber selbst vollständig umgesetzt würden sie nicht bedeuten, „das Werk der Revolution abzuschließen“: Der gesamte Staatsapparat bliebe intakt und Südafrika ein kapitalistisches Land. Dennoch wird die südafrikanische herrschende Klasse angesichts eines entschlossenen Kampfes auch für dieses Programm unter Druck von Märkten, Banken und imperialistischen Institutionen geraten, die ArbeiterInnenklasse weiter anzugreifen, was den Widerstand zu noch größerer Militanz anstacheln könnte.

Fazit

Jim verspricht, dass die SWRP noch vor Ende des Jahres ins Leben gerufen wird. Gut. NUMSA- und SAFTU-Mitglieder sollten ihn beim Wort nehmen. Alle objektiven Elemente für den Erfolg einer revolutionären Massenpartei gibt es im Überfluss: militante Gewerkschaften wie AMCU, NUMSA, die Postangestellten; StudentInnen und Jugendliche, die von #FeesMustFall und der EFF mobilisiert wurden; Massenbewegungen in den Townships, unter der armen Stadtbevölkerung und den Landlosen.

In dieser Situation liegt der Schlüssel zur Fortführung des Kampfes im gemeinsamen Handeln dieser Massenorganisationen im Kampf um die gemeinsamen Forderungen wie einem Mindestlohn, Land für diejenigen, die es bebauen, und Gerechtigkeit, um das korrupte Netz aus PolitikerInnen und KapitalistInnen vor Gericht zu bringen. RevolutionärInnen werden sich für die Bildung lokaler Einheitsfrontkomitees unter Einbeziehung der verschiedenen Organisationen einsetzen, um ihre FührerInnen zu drängen, eine solche Aktionseinheit zu verkünden, oder um dafür selbst zu mobilisieren, wenn ihre derzeitigen FührerInnen versagen.

Im Laufe des Kampfes für die unmittelbaren Forderungen der ArbeiterInnen und durch die Organisationen, die sich für sie einsetzen, können südafrikanische ArbeiterInnen eine demokratische Konferenz einberufen, um eine neue ArbeiterInnenpartei zu bilden, die die Macht übernehmen und die Arbeit der Revolution wirklich „beenden“ wird.




ANC – Business as usual, aber frische Kräfte sammeln sich links

Jeremy Dewar, Infomail 990, 4. März 2018

Die Beschlagnahmung des Vermögens der berüchtigten, wohlhabenden und korrupten Gupta-Brüder war ein weiterer Nagel im Sarg von Präsident Jacob Zuma. Seit langem eng mit den beiden verbunden, scheint es jetzt, als würden sie alle zusammen untergehen.

Der ANC (African National Congress) hat Zuma bereits wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, aber es ist unklar, ob dies ausreicht, um sich selbst länger an der Macht zu halten.

Ein neuer ANC?

Cyril Ramaphosa ist der jüngste Veteran des afrikanischen Befreiungskampfes, der sich als selbsternannter Anti-Korruptionsreformer präsentiert und als Retter seiner umkämpften Partei und damit der Nation auftritt. Aber wie beim jüngst zum Vorsitzenden der Zanu-PF, der Schwesterpartei des ANC in Simbabwe, gewählten Emmerson Mnangagwa, dessen Nettovermögen auf mehr als 450 Millionen Dollar geschätzt wird, ist es extrem unwahrscheinlich, dass er sich effektiv gegen Korruption stellen oder die Probleme chronischer Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit auf die Tagesordnung setzen wird, also jener Probleme, die Südafrika von Beginn an heimsuchen.

Wie ein Führer der NUM (National Union of Mineworkers; deutsch: Nationale Bergarbeitergewerkschaft) unter der Apartheid und selbsternannter Sozialist zu einem Millionär wurde, mag Außenstehende überraschen. Aber wie für viele ANC-FührerInnen bedeutete „Black Economic Empowerment“ (BEE; deutsch: schwarze wirtschaftliche Ermächtigung) für ihn vor allem die eigene Bereicherung. Die Armen in den Townships und die ArbeiterInnen in den Fabriken oder auf dem Land sahen wenig „Selbstermächtigung“ oder Bereicherung.

Wie Mnangagwa nutzte Ramaphosa seine Rede vom 8. Januar, um den 106. Jahrestag des regierenden ANC zu feiern und zur Einheit der Partei aufzurufen: „Wir müssen uns von der Zersplitterung befreien. Wir wollen keinen gespaltenen Afrikanischen Nationalkongress. (…) Eines der Dinge, die Genossin Nkosazana Dlamini-Zuma gesagt hat, war: ‚Geteilt fallen wir, vereint stehen wir‘. Das hat eine große Bedeutung.“

Indem sich Ramaphosa auf seine mit 51 zu 49 Prozent knapp besiegte Gegnerin bei der Vorwahl des ANC vom 18. Dezember 2017 bezog, versuchte er, die Ängste des mächtigen gegnerischen Flügels der Partei zu besänftigen. Dieser hatte von den Hintermännergeschäften, Regierungsverträgen und illegalen finanziellen Manövern profitiert, die die Präsidentschaft Zumas geprägt hatten – und er will das natürlich weiter tun. „Ihr habt nichts von mir zu befürchten […], solange wir uns zusammenschließen müssen, um die Demokratische Allianz (die ehemalige regierende Nationalpartei) bei den Wahlen 2019 zu besiegen.“

Aber Dlamini-Zuma, auch bekannt als NDZ, wird von den meisten Gemeinde-, Gewerkschafts- und StudierendenaktivistInnen verachtet. Unterstützt von ihrem ehemaligen Ehemann, um zu sichern, dass sie als Übergangspräsidentin vor 2019 eingesetzt wird, führte NDZ eine ANC-Fraktion an, die immer noch Schlüsselpositionen innerhalb der Partei kontrolliert und die Politik der BEE sowohl wörtlich als auch persönlich nahm.

Sipho Pityana erläutert das riesige und lukrative Netz der Korruption, das als „Staatseroberung“ bekannt ist, in der Financial Times folgendermaßen:

„Das Wesentliche daran ist, dass sie das Staatsoberhaupt kompromittieren, dass sie das Staatsoberhaupt in der Tasche haben […] Sie setzen alle Strafverfolgungsbehörden außer Kraft und ermöglichen den ungehinderten Zugang zu Personen, die ihre Positionen im Amt dem Wohlwollen des Präsidenten verdanken. Sie haben uneingeschränktes Recht, sehr hochrangige Personen in der Regierung zu ernennen und zu feuern, einschließlich KabinettsministerInnen, GeheimdienstmitarbeiterInnen, MitarbeiterInnen staatlicher Unternehmen und allen wichtigen strategischen PosteninhaberInnen, von denen sie denken, dass sie ihren Weg zu den Staatskassen behindern oder verunmöglichen würden. Es ist eine zielstrebige Durchdringung staatlicher Ressourcen.“

Jacob Zuma hat in letzter Minute eine Untersuchung über die staatliche Einflussnahme eingeleitet, aber dies war nur ein zynischer Versuch, seine unvermeidliche Ablösung hinauszuzögern. Nachdem sie von Ramaphosa in ihrem Bestreben, Interimspräsidentin zu werden, brüskiert wurde, wollten NDZ und ihre Mitstreiter, die „Zuptas“, Ramaphosas Kandidatur schwächen, damit sie ihn davon abhalten können, Präsidentschaftkandidat des ANC bei den Wahlen 2019 zu werden.

Wer ist Ramaphosa?

Ramaphosa erklärte, er wolle „die Konzentration des Eigentums und die Kontrolle über die Wirtschaft reduzieren sowie den Markt für neue schwarze Unternehmen öffnen“. Trotz eines Zugeständnisses in Richtung ArbeiterInnengenossenschaften und Vertretung in Mitbestimmungsgremien stellt dies keinen wirklichen Bruch mit der BEE dar. Er will Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe schaffen, indem er auf Protektionismus, Quoten oder Steuererleichterungen hinweist, schweigt aber zu Armutslöhnen und fehlenden Gewerkschaftsrechten.

Die meiste Aufmerksamkeit hat sich jedoch auf sein Engagement konzentriert, den gesamten Grund und Boden Südafrikas „entschädigungslos“ zu verstaatlichen. Dies ist jedoch in keinster Weise ein sozialistischer Akt. Ramaphosa stellte klar, dass es als marktfreundliche Tat interpretiert wurde. Er ließ verlauten, dass die „Enteignung des Landes unter Berücksichtigung aller wichtigen Dinge wie des Wachstums unserer Wirtschaft, der landwirtschaftlichen Produktion sowie der Ernährungssicherheit, durchgeführt wird“. Dies ist ein Hinweis an die weißen Agrarunternehmen und Großba(e)uerInnen, dass das Land zu lächerlich niedrigen Preisen an sie zurückverpachtet wird, da sie diejenigen sind, die wissen, wie man kapitalistische Farmen führt.

Ramaphosa hat sich für ein „nicht-rassisches Südafrika“ ausgesprochen und wird von der sogenannten „White Monopoly Capital“-Fraktion des ANC unterstützt. Aber das ist schlussendlich, was die südafrikanische schwarze ArbeiterInnenklasse von diesem Verräter und Mordkomplizen zu erwarten hat.

Obwohl Ramaphosa 1980 die südafrikanische Bergarbeitergewerkschaft NUM gründete und viele mutige Streiks gegen die Apartheid führte, ist sein politischer Weg nach rechts gut dokumentiert und weithin bekannt. 1987 leitete er den revolutionären Bergleutestreik, der das alte Apartheidregime an den Rand des Sturzes brachte – und verkaufte ihn dann aus. Für seine Dienste wurde Ramaphosa ein paar Jahre später in die Führung des ANC eingebunden, um Verhandlungen zur Beendigung der Apartheid auf reformistische Weise zu tätigen, die die Zukunft des „White Monopoly Capital“ sicherten und zur Vereinbarung eines Übergangsregimes mit den sog. „Sunset“-Klauseln führten.

Nachdem Ramaphosa zum Chef der staatlichen Zentralbank ernannt und in den Vorstand von Lonmin, dem berüchtigten Bergbauunternehmen, berufen worden war, zog er sich aus der Politik zurück. Er verdiente Millionen und ließ die Bergleute, die er einst angeführt hatte, hinter sich.

Massaker von Marikana

Im Jahr 2012 wurden 44 streikende Bergleute, darunter viele Mitglieder der NUM, die nur mit zeremoniellen Speeren bewaffnet waren, von der Polizei erschossen. Zwei Jahre später stellte sich heraus, dass Cyril Ramaphosa eine direkte Rolle in diesem Massaker spielte. Er schickte eine E-Mail, in der er den Streik „nicht als Arbeitskonflikt, sondern als kriminelle Handlung“ bezeichnete und das Kabinett aufforderte, „den Polizeiminister Nathi Mthetwa dazu zu bewegen, in einer klaren Art und Weise zu handeln […] Lassen Sie uns einfach den Druck aufrechterhalten, um sie zu korrektem Handeln zu bringen!“

Er bezeichnete die Bergleute als „schlicht und einfach hinterhältig kriminell“, und mit „dieser Charakterisierung bedarf es eines entsprechendes Handelns“. Genau 24 Stunden später, am 16. August 2012, tat Mthetwa, was ihm gesagt wurde. Vierundvierzig Bergleute wurden im Kugelhagel erschossen. Ihr Blut klebt an Ramaphosas Händen; er hat sich nie dafür entschuldigt.

Trotz der Zusagen, die Landreform ohne Entschädigung durchzuführen – ein Versprechen, das er nie zu erfüllen gedenkt – würde Ramaphosa weiterhin über eine neoliberale Wirtschaft herrschen, die ihn so reich gemacht hat. Er muss von der ArbeiterInnenklasse bekämpft werden – sozial, wirtschaftlich und vor allem politisch.

Die Demokratische Allianz (ehemals Demokratische Partei und davor die alte regierende Nationalpartei unter der Apartheid) ist die größte Bedrohung für den ANC. Sie hat einen charismatischen, jungen schwarzen Führer, Mmusi Maimane, einen ehemaligen Bürgermeister von Kapstadt, wo die Partei am stärksten ist. Während sie sich selbst als nicht-rassische oder multirassische Partei neu erfindet, fördert sie jedoch die gleiche Politik des weißen Monopolkapitals, die seit der Apartheid der schwarzen ArbeiterInnenklasse nichts gebracht hat.

Die Post-Apartheid-Volksfrontallianz des ANC, der SACP (Kommunistische Partei Südafrikas) und des Gewerkschaftsbundes COSATU unterstützte jahrelang die neoliberale Agenda. Aber seit Marikana ist diese Unterstützung gebrochen, vielleicht sogar grundlegend. Die MetallarbeiterInnengewerkschaft NUMSA wurde aus dem ANC ausgeschlossen, weil sie ein Ende der Allianz gefordert hatte. Im April letzten Jahres hat sie die Südafrikanische Gewerkschaftsföderation (SAFTU) als revolutionäre Alternative zu COSATU ins Leben gerufen und organisiert rund 700.000 Mitglieder.

Leider ist die Einheit mit einer anderen linken Föderation, NACTU, zu der die abtrünnige Bergarbeitergewerkschaft AMCU gehört, die nach Marikana die NUM überflügelte, nicht zustande gekommen. Schlimmer noch, SAFTU-Führer Zwelinzima Vavi forderte kürzlich Bergleute dazu auf, sich der NUMSA anzuschließen, nachdem AMCU seine Forderungen nach Einheit zurückgewiesen hatte. Während es notwendig war, mit COSATU zu brechen, kann eine Fülle kleiner „Basis-„ oder gar „revolutionärer“ Gewerkschaften, wie man zum Beispiel in Italien beobachten kann, die ArbeiterInnenklasse nicht allein zu großen Siegen führen.

Die ArbeiterInnenparteien

Wie bei den Gewerkschaften, so auch bei den ArbeiterInnenparteien in Südafrika. Die SACP ist so lange in die arbeiterInnenfeindliche Klassenpolitik der ANC-Regierung verstrickt, dass sie von SozialistInnen, Gemeinde- und StudierendenaktivistInnen gehasst wird. Im Jahr 2013 gründete Julius Malema, der aus der ANC-Jugendliga ausgeschlossene Anführer der Feuerwehrleute, die Economic Freedom Fighters (EFF), die bei den Parlamentswahlen im Mai 2014 25 Abgeordnete mit 6,35 Prozent und über einer Million Stimmen gewinnen konnten.

Malema hat sich die Ikonen der US- amerikanischen Black Panthers zu eigen gemacht mit einer selbst proklamierten „marxistisch-leninistischen“ Ideologie, Baretten und sich selbst als „Chefkommandanten“ installiert. Das Manifest der EFF fordert die entschädigungslose Verstaatlichung des Landes, der Minen, der Industrie und der Banken. Die EFF sind in den Straßen und im Parlament mit ihren roten Baretten und roten T-Shirts unverwechselbar. Bis zu 40.000 nehmen an Kundgebungen der Organisation teil. Malema wird aber auch der Geldwäsche, Belästigung von JournalistInnen, Steuerhinterziehung und der Annahme von Schmiergeldern aus staatlichen Quellen der Provinz Limpopo beschuldigt. Er unterstützte den in Ungnade gefallenen, ehemaligen simbabwischen Präsidenten Mugabe.

Die National Union of Metalworkers of South Africa, NUMSA, die größte Gewerkschaft Südafrikas, hat kürzlich eine wichtige Erklärung abgegeben, in der sie einen sauberen Bruch mit dem ANC fordert. Dies ist ein langjähriges Ziel der MetallarbeiterInnengewerkschaft, die auf die Tage von Moses Mayekiso in den 1980er Jahren zurückgeht und von NUMSA-Chef Irvin Jim wiederbelebt wurde, als die Gewerkschaft 2014 aus COSATU getrieben wurde.

In der Erklärung, die Irvin Jim im Januar verkündete, heißt es:

„Wir fordern Sie auf, uns beim Aufbau einer ArbeiterInnenpartei zu helfen, die im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der Armen kämpfen wird. Ihre Vision ist der ArbeiterInnenklasse und den Armen unseres Landes untergeordnet. Der Kampf für den Sozialismus ist kein Selbstzweck, sondern ein Kampf für eine kommunistische klassenlose Gesellschaft, von der Karl Marx zu Recht sagte, dass das Prinzip gelte: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘.“

Der Aufruf brandmarkte auch Zuma und Ramaphosa gleichermaßen.

NUMSA teilt SAFTUs Ansicht, dass „Cyril Ramaphosa ein zutiefst kompromittierter kapitalistischer Milliardär ist, dessen Hände mit dem Blut der 34 Opfer von Marikana befleckt sind, die vom Staat kaltblütig erschossen wurden, um White Monopoly Capital im Allgemeinen und Lonmin im Besonderen zu schützen“. Außerdem sei es naiv zu glauben, dass die Vetternwirtschaft und Korruption, die für den ANC kennzeichnend sind, verschwinden werden. Genau dieselben Leute, die still und leise zusahen, während der Staat aktiv von verschiedenen Fraktionen des Kapitals geplündert wurde, einschließlich der Familien Gupta und Rupert, sind diejenigen, die die obersten Führungsstrukturen des ANC bilden. Dazu gehörte auch Ramaphosa selbst. Sie könnten sich nicht von den korrupten Tendenzen der Partei befreien. Darüber hinaus wurde der ANC in seiner Korruption durch die Führung der Kommunistischen Partei Südafrikas und des Gewerkschaftsbundes COSATU unterstützt, die weiterhin aktiv Mitglieder der ArbeiterInnenklasse dazu verleiten, ihre schlimmsten SchlächterInnen für ihre eigene, egoistische, enge politische Agenda zu unterstützen.

Die ursprünglichen Forderungen in der Erklärung umfassen:

  • Für einen existenzsichernden Lohn von 12.500 Rand (860 Euro) pro Monat
  • Gegen das vorgeschlagene gewerkschaftsfeindliche Gesetz und für das Streikrecht
  • Verstaatlichung der Kommandohöhen der Wirtschaft
  • ArbeiterInnenvertretung in den Vorständen staatlicher Unternehmen
  • Volle ArbeiterInnenrechte für GelegenheitsarbeiterInnen und prekär beschäftigte ArbeiterInnen, nieder mit den Bandenchefs.

Er hebt auch die freie Bildung und die Verstaatlichung und Umverteilung von Land hervor, zwei der neuesten Forderungen der Bewegung. Dies ist ein großer Fortschritt, vorausgesetzt, dass diesmal auch Taten folgen.

Der Aufruf NUMSAs zur Bildung einer neuen ArbeiterInnenpartei sollte mit dem Aufbau aktiver Ortsruppen in allen Townships, Städten und Dörfern, vor allem in allen Fabriken und Bergwerken verbunden werden. Dann, und nur dann, wird ein echter Bruch mit der Vormundschaft durch den ANC eintreten.

Eine dringende Aufgabe ist eine demokratische Konferenz, an der die abtrünnigen Gewerkschaften, kommunalen Organisationen, Studierendengewerkschaften und die halbrevolutionären (zentristischen) sozialistischen Gruppen und Wahlbündnisse teilnehmen: eine Konferenz, die eine echte Opposition, die stark in den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse verwurzelt ist, gegen den ANC und die DA hervorbringen könnte.

Es muss eine echte demokratische Programmdebatte stattfinden und ein politischer Bruch mit der stalinistischen Methode der Kommunistischen Partei Südafrikas vollzogen werden, insbesondere mit ihrer Volksfrontstrategie der Zusammenarbeit mit politischen Kräften der nicht arbeitenden Klasse. Stattdessen muss ihre Orientierung die Permanente Revolution sein, bei der die ArbeiterInnen den Kampf gegen die massiven Überreste weißer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Vorherrschaft und des Imperialismus zur Schaffung einer ArbeiterInnenregierung führen: einen Kampf, der die gesamte kapitalistische Klasse enteignen kann, sowohl die schwarze als auch die weiße. Ein Hauptaugenmerk auf den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei werden die Wahlen 2019 richten.

Die Mobilisierungen und Auseinandersetzungen davor und danach könnten die Art kämpferischer Opposition nach Südafrika zurückbringen, die es seit den letzten Tagen der Apartheid nicht mehr gegeben hatte.