Vom Widerstand zur Befreiung. Wie kommen wir zu einem sozialistischen Palästina?

Jaqueline Katherina Singh, Vom Widerstand zur Befreiung. Für ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina, April 2024

Frieden. In Sicherheit zu leben, ohne dass Städte zerbombt werden. Sich frei bewegen zu können, ohne Kontrollen. Eine Möglichkeit zurückzukehren. Die Olivenbäume, die niedergebrannt wurden, wieder pflanzen zu können. Davon träumen viele. Doch was heißt das praktisch und wie kommen wir dahin? Wir wollen im Folgenden erläutern und erklären, was wir meinen, wenn wir für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina eintreten.

Es würde bedeuten, dass alle Bewohner:innen – egal welcher Religion oder Nation, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung oder Geschlecht nicht nur neben-, sondern miteinander leben können. Praktisch würde es bedeuten, dass an Schulen alle Sprachen angeboten würden – ob Hebräisch, Arabisch oder Jiddisch. Und dieses Angebot hört nicht dort auf, sondern erstreckt sich auf alle staatlichen Institutionen und kulturellen Räume. Es würde bedeuten, dass Palästinenser:innen und arabische Israelis nicht von höherer Arbeitslosigkeit betroffen sind, sondern die Arbeit auf alle aufgeteilt wird. Es würde bedeuten, dass in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen Quotierungen eingeführt werden, sodass alle Zugang zu allen Berufen und Bereichen haben und systematische Verarmung verhindert wird. Es würde bedeuten, dass das Rückkehrrecht auch für alle Palästinenser:innen gilt und die Siedler:innenkolonien aufgelöst werden. Dass die Bereiche, die in Schutt und Asche gelegt worden sind, wieder aufgebaut werden und Wasser, Elektrizität, Wärme, Lebensmittel sowie medizinische Versorgung nicht mehr Mangelware sind, sondern nach Bedarf für alle verfügbar – unter Kontrolle der Nutzenden und Arbeitenden.

Im Grunde handelt es sich dabei v. a. um grundlegende demokratische Rechte. Doch die Geschichte von über 75 Jahren Vertreibung und Besatzung seit Gründung des Staates Israel zeigt, dass diese durch Reformen oder die illusionäre Zweistaatenlösung nicht verwirklichbar sind. Dies gilt umso mehr angesichts eines Vernichtungskrieges gegen die Bevölkerung Gazas, einer Bodenoffensive, der bisher rund 40.000 Menschen – in der Mehrzahl Zivilist:innen – zum Opfer gefallen sind. Daher scheint selbst die Verwirklichung von demokratischen Rechten als eine unfassbar weit entfernte Utopie.

Der Grund dafür liegt darin, dass die Verweigerung ebendieser in die imperialistische Ordnung des Nahen Ostens, wie sie nach 1945 etabliert wurde, in den zionistischen Staat von Beginn an eingeschrieben ist. Eine demokratische Lösung des sog. Nahostkonflikts ist unmöglich, solange Israel als rassistischer Staat existiert. Der Ausschluss und die Vertreibung der Palästinenser:innen sind in seine Existenzweise eingeschrieben. Daher kann er auch nicht reformiert, sondern muss revolutionär zerschlagen und durch einen binationalen sozialistischen Staat ersetzt werden.

Wir müssen dabei streng zwischen dem zionistischen Staat Israel und dem jüdischen Volk unterscheiden. Die Existenz einer jüdischen Nation in Palästina, d. h. die Berechtigung von Millionen Juden und Jüdinnen, dort zu leben, ist unleugbar und daher auch von Sozialist:innen zu verteidigen. Genauso rückschrittlich ist jedoch auch die Erwartung, dass die Palästinenser:innen als Staatsbürger:innen zweiter Klasse (wenn überhaupt) existieren müssen und sich unterzuordnen zu haben.

Im Folgenden werden uns daher damit beschäftigen, welche Strategie nötig ist, um den heutigen Kampf gegen den völkermörderischen Krieg mit dem für ein sozialistisches Palästina zu verbinden, und wie diese untrennbar mit dem Kampf gegen Zionismus und Imperialismus in der gesamten Region und in den imperialistischen Ländern zusammenhängt.

Grundannahmen

Dabei ist es vollkommen klar, dass im Hier und Jetzt der Kampf für einen sofortigen Waffenstillstand, den Rückzug der israelischen Arme und Öffnung der Grenzen für Hilfslieferungen ohne jegliche Kontrollen und Bedingungen durch die Besatzungsmacht im Vordergrund aller Bemühungen stehen muss. Denn die Bomben fordern hier und jetzt ihre Opfer, während gleichzeitig mehr Land in der Westbank annektiert wurde und sich mehr Palästinenser:innen in israelischer Haft befinden als je zuvor. Die Lage scheint manchen aussichtslos, vor allem, da die israelische Offensive in aller Härte mehr als 7 Monate andauert. Doch wir glauben, dass es wichtig ist, nicht nur über eine (dauerhafte) Waffenruhe zu reden. Denn letzten Endes verschafft diese zwar Milderung, aber sie wird nicht die Unterdrückung und Gewalt beenden, der die palästinensische Bevölkerung ausgesetzt ist. Das heißt nicht, dass man nicht auch für direkte Verbesserungen kämpft – einen sofortigen Rückzug der israelischen Truppen beispielsweise.

Zeitgleich braucht es jedoch darüber hinaus eine Debatte darüber, was ein freies Palästina ist – und wie wir dahin kommen. Deswegen halten wir es für notwendig, dass wir über Taktiken und Strategien diskutieren und versuchen, aus der Vergangenheit zu lernen – um eine Einstaatenlösung mit Rückkehrrecht für die Vertriebenen möglich zu machen. Bevor wir zu konkreten Forderungen und Vorschlägen für die aktuelle Solidaritätsbewegung kommen, wollen wir ein paar Grundannahmen festhalten:

1. These: Der palästinensische Befreiungskampf ist ein internationalistischer. Weder können die aktuelle Situation drastisch verändert noch ein eigener Staat allein aus Palästina oder Israel heraus selbst erkämpft werden.

Es ist klar: Ohne den jahrzehntlangen heroischen Widerstandskampf der palästinensischen Massen wäre der „Konflikt“ längst reaktionär befriedet worden. Daher ist Solidarität mit ihm Voraussetzung für jeden Internationalismus, auch wenn dies keineswegs bedeutet, die Politik der palästinensischen Führungen zu unterstützen. Angesichts der militärischen Übermacht, dem Andauern des Konfliktes und dem aktuellen Kräfteverhältnis vor Ort wird deutlich, dass selbst der entschlossenste Widerstand alleine nicht ausreicht. Da der israelische Staat seitens der USA, Deutschlands und anderer imperialistischer Mächte gestützt wird, braucht es massiven Druck, der nur seitens der internationalen Arbeiter:innenklasse erbracht werden kann. Ob Massenproteste, Solidaritätsstreiks und/oder Boykotte: Die Palette der Möglichkeit ist vielfältig.
Dabei muss auch deutlich werden, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist. Ob nun beim Kampf in Syrien gegen Assad, in Rojava gegen Erdogan oder in Kaschmir gegen die indische Besatzung – Solidarität mit diesen Bewegungen ist nicht nur eine moralische Frage, sondern ein zentraler, notwendiger Schritt um das Gelingen der jeweiligen Befreiungskämpfe zu sichern.

2. These: Der Kampf für ein freies Palästina kann nur erfolgreich sein, wenn er sich gegen die imperialistische Machtinteressen richtet – und gegen die (ausländische wie einheimische) Bourgeoisie.

Die Geschichte hat bereits gezeigt, dass eine Zweistaatenlösung nicht möglich ist. Stetiger Kampf um Land sowie Ressourcen sorgt nicht nur für Vertreibung, sondern auch dafür, dass der Zugang zu gewissen Ressourcen für einen Teil limitiert bleiben muss, solange diese Verteilung unter kapitalistischen Verhältnisse stattfindet. So wie zwei Individuen nicht beide zur selben Zeit über exklusives Privateigentum an etwas Gleichem verfügen können, können auch nicht zwei Völker exklusives Eigentum an einem Territorium besitzen. Ebenso kann ein bürgerliches, kapitalistisches Palästina nur möglich sein, wenn sich eine imperialistische Macht dazu entscheidet, als Schutzmacht zu fungieren. Das bedeutet nicht nur Abhängigkeit und Ungewissheit, sondern Ausbeutung der palästinensischen Bevölkerung durch diese – sowie die nationale Kapitalist:innenklasse. Dass das keine Alternative sein kann, zeigen schon jetzt die Auswüchse der Korruption unter PNA (Palästinensische Autonomiebehörde)- und Hamas-Verwaltung.

Die einzige fortschrittliche Lösung ist deshalb das Gemeineigentum, also die Vergesellschaftung der wichtigsten Bestandteile der Wirtschaft. Das heißt: Wenn das Ziel ist, dass vorhandene Ressourcen in der Region unter allen, die dort leben, gleichmäßig aufgeteilt werden sollen, dann bedarf es einer Einstaatenlösung, bei der Produktionsmittel und Boden verstaatlicht werden und unter Kontrolle der Arbeiter:innen und Bäuerinnen/Bauern stehen. Der Kampf gegen Besatzung, Zionismus und Imperialismus muss also immer aktiv verbunden werden mit dem gegen Ausbeutung. Daraus resultiert, dass der Kampf für ein befreites Palästina einer für ein sozialistisches, für einen binationalen Arbeiter:innenstaat sein sollte – vor Ort und international.

3. These: Keine Befreiung ohne Revolution

Weder Besatzungsmacht noch Kapitalist:innen werden ihre Position friedfertig aufgeben. Das ist dem Großteil der sich im Widerstand befindenden Kräfte klar. Die Taktik des Guerillakriegs baut auf langfristigen Auseinandersetzungen mit einer militärischen Übermacht auf. Doch während die militärischen Anstrengungen vor Ort dafür sorgen können, die Kosten der Besatzung in die Höhe zu treiben – sie alleine können das Morden und systematische Unterdrückung nicht stoppen und limitieren gleichzeitig die eigenen Mittel des Widerstandes.
Statt darauf zu hoffen, dass andere arabische Staaten oder der Iran sich in den Krieg hineinziehen lassen, braucht es vielmehr den Aufbau einer internationalistischen Arbeiter:innenbewegung – die sich auch in ihrem eigenen Interesse aktiv dazu entscheidet, in den Konflikt einzugreifen.

Darüber hinaus hat die 1. Intifada gezeigt, dass Massenproteste der gesamten Bevölkerung das Mittel sind, am effektivsten den zionistischen Staat und seine scheinbare Allmacht erschüttern zu können. Angesichts des Landraubs im Westjordanland, der bewaffneten Siedler:innen, die willkürlich die palästinensischen Bewohner:innen drangsalieren und vertreiben, bedarf es einer revolutionären Massenbewegung, die in einem Massenaufstand mündet. Die Erfahrung zeigt dabei, dass alle großen Bewegungen wie Massenstreiks, Blockaden usw. bewaffneter Selbstverteidigungsorgane bedürfen, um sich gegen die israelische Armee und rassistische und faschistische bewaffnete Siedler:innen zur Wehr setzen zu können.

Eine revolutionäre Bewegung in Palästina und in den umliegenden arabischen Staaten ist zugleich auch entscheidend, um die klassenübergreifende Einheit im zionistischen Staat aufzubrechen. Je stärker der Kampf gegen die imperialistische Ordnung und Besetzung, umso eher werden Teil der jüdischen Arbeiter:innenklasse in Israel ihr Vertrauen in den rassistischen Staat verlieren und für den Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden. Dann hat die Stunde der Revolution geschlagen.

4. These: Eine revolutionäre Partei und Internationale sind notwendig

Um den gemeinsamen Kampf in den verschiedenen Bereichen koordiniert führen zu können, braucht es mehr als Bewegungen, Bündnisse, Kampagnen. Es braucht eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei und Internationale – in Palästina und weltweit. Eine revolutionäre Partei in Palästina würde sich dabei vor allem auf die palästinensischen Lohnabhängigen

stützen müssen. Sie müsste zugleich die antizionistischen Teile der jüdischen Intelligenz und der Arbeiter:innenklasse organisieren, enge Verbindungen zu revolutionären Parteien in den arabischen Staaten und auf der gesamten Welt aufbauen, um den Kampf zu koordinieren.

1. Widerstand und Befreiungskampf in Palästina

Im gegenwärtigen Krieg, gegen den Angriff auf Gaza unterstützen wir den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Je länger sich dieser der IDF entgegenstellen kann, desto höher wird der politische und materielle Preis für den Angriff und die Invasion.

Der Ausbruch der von der Hamas geführten Kräfte aus Gaza verkörperte selbst einen legitimen Akt im nationalen Befreiungskampf. Unterdrückte haben das Recht, aus einem Territorium auszubrechen, in dem sie vom unterdrückenden Staat über Jahre inhaftiert werden, ihre Versorgung von diesem blockiert und rationiert wird, ein großer Teil der Bevölkerung zur Arbeitslosigkeit verurteilt ist, wo immer wieder Infrastruktur, Wohnungen, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen zerstört werden.

Es ist im Kampf gegen nationale Unterdrückung natürlich legitim, die militärischen Institutionen und Einheiten der unterdrückenden Macht anzugreifen, auf Raketenbeschuss mit Raketen zu antworten. In allen Kriegen sind zivile Opfer unvermeidlich, obwohl mutwillige Grausamkeit gegenüber Zivilist:innen nicht nur den Opfern schadet, sondern als Rechtfertigung für die weitaus größere Grausamkeit der Unterdrücker:innen erscheint.

In Wirklichkeit ist auch nicht die Hamas Verursacherin solch Blutvergießens und Schreckens. Es ist vielmehr der zionistische Staat Israel, der auf der rassistischen, kolonialistischen Vertreibung der Palästinenser:innen basiert. Auf dieser Basis ist jede demokratische und fortschrittliche Lösung unmöglich. Solange dieser herrscht, Palästina kontrolliert, Gaza und die Westbank als innere Kolonien „verwaltet“, die Bevölkerung permanent vertreibt, enteignet, ghettoisiert, kann es keinen Frieden und keine Gerechtigkeit geben.

Letztlich wird Gaza auch nicht von der Hamas oder irgendeiner anderen dort aktiven politischen Kraft beherrscht, sondern vom israelischen Staat – ganz so wie Gefängnisse nicht von den Gefangenen kontrolliert werden, selbst wenn sie sich innerhalb der Gefängnismauern „frei“ bewegen dürfen.

Als revolutionäre Marxist:innen stehen wir in entschiedener Feindschaft zur Strategie und Politik der Hamas (wie aller islamistischen Kräfte) und ihrem politischen Regime. Ebenso lehnen wir die willkürliche Tötung von oder Massaker an israelischen Zivilist:innen ab. Diese erleichtern es Zionismus und Imperialismus offenkundig, ihren Großangriff auf Gaza auch in den Augen vieler Arbeiter:innen als „Selbstverteidigung“ hinzustellen.

Es greift darüber hinaus viel zu kurz, willkürliche Tötungen von Zivilist:innen nur der Hamas oder dem Islamismus anzulasten. Sie sind auch Ausdruck der viel umfassenderen, Jahrzehnte andauernden Unterdrückung, der täglichen Erfahrung des Elends, Hungers, der Entmenschlichung in Gaza durch die israelische Abriegelung. Aus der nationalen Unterdrückung erwächst der Hass auf den Staat der Unterdrücker:innen und alle, die diesen mittragen oder offen unterstützen – und dazu gehört auch die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und Arbeiter:innenklasse.

Der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands und die Kritik an politisch falschen oder kontraproduktiven Aktionsformen dürfen keineswegs zu einer Abwendung vom Kampf gegen die Unterdrückung führen. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und Unterdrücker:innen unterscheiden. Nur wenn die revolutionäre Linke und die Arbeiter:innenklasse den Kampf um nationale Befreiung gegen den Zionismus und „demokratischen“ Imperialismus unterstützen, werden sie in der Lage sein, eine politische Alternative zu islamistischen Kräften aufzubauen. Nur so werden sie eine revolutionäre Partei bilden können, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem um eine sozialistische Revolution verbindet.

Dies beinhaltet notwendig auch die Beteiligung am Befreiungskampf und militärisch koordinierte gemeinsame Aktionen. Es inkludiert eine Politik der antiimperialistischen Einheitsfront mit allen Kräften des Widerstandes. In der Westbank und Israel unterstützen wir Solidaritätsaktionen mit der Bevölkerung Gazas. Wir unterstützen Massenprotest und Streiks gegen die Besatzung. Wir verurteilen und bekämpfen die weiter erfolgenden Angriffe und Morde an Palästinenser:innen durch die israelischen Sicherheitskräfte und bewaffnete Siedler:innen.

Wir verurteilen insbesondere auch den Einsatz von Kräften der PNA gegen Protestierende und jede Kollaboration mit der Besatzung. Diese reaktionären Angriffe auf die eigene Bevölkerung müssen enden, die Kräfte der PNA müssen mit ihrer Rolle als Hilfspolizei des Zionismus brechen. Sie und ihre Waffen müssen Aktionsausschüssen des palästinensischen Widerstandes unterstellt werden. Eine neue Massenintifada ist angesagt.

Doch in Palästina ist nicht nur ein gemeinsamer Kampf nötig. Die Führungen des Befreiungskampfes verfügen selbst über keine Strategie, die eine revolutionäre Lösung bringen kann. Hamas und Islamischer Dschihad sind kleinbürgerlich-reaktionäre, islamistische Kräfte, wobei Erstere nicht nur aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten, sondern auch aufgrund ihrer Wohlfahrtsprogramme eine Massenbasis besitzt. Beide Organisationen verfolgen das reaktionäre Ziel einer Theokratie in Palästina, beide verbinden Antizionismus mit Antisemitismus. Beide betrachten nicht die Arbeiter:innenklasse als führende Klasse im Befreiungskampf, sondern ordnen diese und ihre Klasseninteressen jenen des Kleinbürger:innentums und der Bourgeoisie unter dem Deckmantel „islamischer Einheit“ unter. Es ist daher auch kein Zufall, dass ihre wirklichen internationalen Verbündeten und Unterstützer:innen nicht die arabischen Massen, sondern reaktionäre islamistische Regime wie die im Iran, in Katar und Saudi-Arabien oder Bewegungen wie die Hisbollah sind.

Die palästinensische Linke (PFLP und DFLP) ordnet sich faktisch der Führung der Hamas politisch unter – ganz so, wie sie sich zu Zeiten der PLO der Fatah untergeordnet hatte. Die „Ablehnungsfront“ gegen das Osloer Abkommen, die die palästinensische Linke mit Hamas, Dschihad und anderen Gruppen gebildet hat, ist kein bloß zeitweiliges militärisches Abkommen, keine Form der antiimperialistischen Einheitsfront, sondern im Grunde ein strategisches Bündnis, das einer Unterordnung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse gleichkommt.

Den bürgerlichen Programmen und der Etappentheorie, die die palästinensische Linke vertritt, stellen wir ein Programm der permanenten Revolution entgegen. Wir treten für einen gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina ein, der Palästinenser:innen wie Juden und Jüdinnen gleiche Rechte gewährt, der allen vertriebenen Palästinenser:innen das Rückkehrrecht garantiert und auf der Basis des Gemeineigentums an Land und großen Produktionsmitteln in der Lage ist, die Ansprüche zweier Nationen gerecht und demokratisch zu regeln. Ein solcher Kampf wird nicht durch Reformen erreicht werden können, sondern nur durch den revolutionären Sturz des zionistischen Staates.

In Israel und Palästina treten wir auch für die möglichst enge Einheit im Kampf mit den antizionistischen Kräften der israelischen Linken und Arbeiter:innenbewegung ein. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse mit dem Zionismus bricht, kann sie sich auch selbst befreien. Dabei verfolgen wir auch eine Politik, jeden Bruch, jede Spaltung im zionistischen Lager auszunutzen, zu vertiefen und im besten Fall Lohnabhängige vom Zionismus zu brechen.

Uns ist jedoch bewusst, dass die israelischen Lohnabhängigen über Jahrzehnte nicht nur an der Unterdrückung, Vertreibung und Überausbeutung der palästinensischen Massen teilhatten, sondern dass der Labourzionismus wie auch die „liberalen“ Zionist:innen selbst aktiv an der Vertreibung und Unterdrückung beteiligt waren und sind.

So wichtig und richtig es ist, Spaltungen und Brüche im zionistischen Lager auszunutzen und zu befördern, so dürfen wir uns keinen Illusionen über die Tiefe der Bindung der israelischen Arbeiter:innen an den Zionismus hingeben. Wir müssen uns vielmehr darüber klar sein, dass deren Masse wahrscheinlich erst unter dem Eindruck einer tiefen Krise des zionistischen kolonialistischen Projekts für einen Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden kann. Daher ist die Stärke des palästinensischen Befreiungskampfes selbst ein zentraler Motor, um überhaupt Risse im Zionismus zu vertiefen. Die antizionistische Linke in Israel hegt daher jedes Interesse am Erfolg des palästinensischen Befreiungskampfes und muss diesen bedingungslos unterstützen. Die jüdisch-israelische Arbeiter:innenklasse wird sich – wie jede Klasse, die den Kolonialismus ihrer „eigenen“ Bourgeoisie unterstützt – nur befreien können, wenn sie mit diesem bricht und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes anerkennt.

2. Die Arbeiter:innenklasse im Nahen Osten

Eine zentrale Rolle im Kampf für die Befreiung Palästinas kommt den umliegenden Nachbarländern zu. Schon allein die Millionen palästinensischen Geflüchteten und die zentrale Rolle der Geflüchtetencamps in Jordanien oder im Libanon für den palästinensischen Befreiungskampf zeigen, dass dieser eng mit dem Schicksal der umliegenden Länder verbunden ist. So gab es im Zuge des Vergeltungsschlags Israels gegen die palästinensische Bevölkerung Gazas massive Protestwellen in den umliegenden Ländern. Im Irak, Iran, in Ägypten, Syrien und Jordanien sind Hunderttausende in Solidarität mit den Palästinenser:innen auf die Straße gegangen. Diese Proteste stellen Ansatzpunkte dar, die Arbeiter:innenklasse für revolutionäre Forderungen zu gewinnen.

a) Solidarität mit Palästina heißt Kampf dem Imperialismus!

Gleichzeitig hegen viele die Hoffnung, dass die dort Herrschenden Palästina befreien werden. Doch solchen Illusionen müssen wir entschieden entgegentreten. Weder Nasser oder Chomeini haben Palästina befreit, noch werden es El-Sisi oder Erdogan tun. Ihre Solidarität ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Sie zeigen sich vermeintlich an der Seite des palästinensischen Befreiungskampfes, um die eigene Bevölkerung zu besänftigen. Sie sind weder gewillt, in größerem Umfang palästinensische Geflüchtete aufzunehmen, noch eine wirkliche Konfrontation mit den imperialistischen Schutzmächten Israels zu suchen. Ihre zeitweilige zumindest verbale Konfrontation mit Israel liegt mehr in ihrer Konkurrenz um die Gunst der imperialistischen Länder begründet.

Außer den Huthis im Jemen hat kein Staat wirkliche Angriffe auf die imperialistische Präsenz unternommen. Doch nicht einmal zu einer Verurteilung der Angriffe auf den Jemen und die Huthis können sich sie meisten arabischen Regime durchringen. Ägypten könnte, wenn es denn wollte und bereit zur Konfrontation mit den USA und der EU wäre, den Suezkanal für den internationalen Warenverkehr sperren und so einen massiven wirtschaftlichen Druck auf die imperialistischen Staaten ausüben. Doch statt dessen bringt man sich lieber als „Vermittler“ und Verbündeter ins Geschäft.

Sie verraten den palästinensischen Befreiungskampf, sobald ihrer eigenen Stellung als Herrschende oder ihren wirtschaftlichen Beziehungen zu den imperialistischen Ländern Gefahr droht, denn ein wirklich befreites, sozialistisches Palästina würde selbstverständlich auch ihr eigenes Ende bedeuten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neben Ägypten und Jordanien in den letzten Jahren auch weitere Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain die Beziehungen zu Israel normalisiert und es international anerkannt haben. Das heißt: Wir können wir uns im Kampf nur auf Organisationen der Arbeiter:innenklasse verlassen, welche die heuchlerische Solidarität der Herrschenden aufdecken muss.

Deswegen ist ein wichtiger Punkt, den Einfluss imperialistischer Kräfte wie USA, EU, Russland und China auf die Region zurückzudrängen. Während die US-Invasionen der Vergangenheit die heutige Realität maßgeblich prägen, so muss man auch gegen „das kleinere Übel“ kämpfen, wie den russischen Imperialismus, der das Assadregime stützt. Die Praxis zeigt: Russland und China vertreten ihre eigenen imperialistischen Interessen, auch ihre Solidarität mit Palästina kommt über reine Lippenbekenntnisse, um Handelsbeziehungen aufzubessern, nicht hinaus.

  • Stopp aller Wirtschaftsbeziehungen mit, aller Waffenlieferungen an Israel!

  • Für die Offenlegung aller wirtschaftlichen und militärischen Abkommen sowie aller Geheimverträge mit Israel!

  • Für die Schließung der Militärbasen der USA und ihrer Verbündeten in der Türkei und im gesamten arabischen Raum!

  • Streiks, Blockaden und Arbeiter:innenboykott, um effektive Sanktionen gegen Israel durchzusetzen und strategische Versorgungsgüter für seine imperialistischen Unterstützer:innen zu blockieren.

b) Solidarität mit Palästina heißt Sturz der eigenen Regime!

Es muss der Zusammenhang aktiv dargestellt werden zwischen dem Leid der palästinensischen Bevölkerung und dem Elend vor Ort. Nicht nur, dass die Regierungen sich weigern, ernsthafte Maßnahmen im Interesse der Palästinenser:innen zu tätigen, sie tragen die Vorherrschaft und Ausbeutung seitens der imperialistischen Mächte aktiv mit – und sorgen so für eine Verelendung der Bevölkerung vor Ort. Doch wie? Ansatzpunkte für den Kampf können beispielsweise die Verschlechterung der Lebensqualität vor Ort und die aktuell sehr hohe Inflationsrate sein. Arbeiter:innen müssen in Protesten Forderungen, wie die gleitende Anpassung der Löhne an die Inflation, aufwerfen und diese mit Streiks durchsetzen.

Die Solidaritätsproteste müssen genutzt werden, aus der aktuellen Defensive zu kommen, die beispielsweise die Militärdiktaturen mit sich gebracht haben. Das schreibt sich leichter als getan, schließlich agieren Revolutionär:innen und Linke vor Ort unter halb- oder illegalen Umständen. Aber gleichzeitig bieten eben diese Proteste, die Möglichkeit, die Organisierungsarbeit wieder aufzunehmen.

Die gemeinsame Organisierung mit palästinensischen Geflüchteten erhöht die Kampfkraft. Diese muss mit der Forderung nach gleichen Löhnen und demokratischen Rechten für alle verbunden werden. Revolutionär:innen müssen dabei für die Öffnung der Grenzen zu Gaza und der Westbank kämpfen und eine Verbindung zum palästinensischen Befreiungskampf suchen.

  • Gegen Inflation! Für eine gleitende Lohnskala: 1 % Lohnzuwachs bei jedem Prozent Anstieg der Lebenshaltungskosten! Wahl von Vertreter:innen aus Betrieben, Elendsvierteln, Arbeiter:innenorganisationen, Frauen, Kleinhändler:innen und Verbraucher:innen zur Ermittlung eines Lebenshaltungskostenindexes für die Arbeiter:innen! Renten/Pensionen müssen gegen Inflation indexiert und vom Staat garantiert werden und dürfen nicht dem Auf und Ab der Aktienbörsen überlassen bleiben!

  • Kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat und seinen Unterdrückungsapparat:

  • Abschaffung aller undemokratischen Elemente in kapitalistischen Verfassungen: Weg mit Monarchien, zweiten Kammern, Exekutivpräsident:innen, ungewählten Gerichten und Notstandsgesetzen!

c) Aus Fehlern lernen: Für einen zweiten Arabischen Frühling!

Dabei kann es jedoch nicht stehenbleiben. Es braucht das Aufflammen eines zweiten Arabischen Frühlings, in welchem sich die Arbeiter:innen in den umliegenden Ländern gegen ihre eigenen Unterdrücker:innen organisieren und die Bourgeoisie als herrschende Klasse stürzen. Das heißt auch, aus den existierenden Erfahrungen Lehren zu ziehen.

Nicht nur der Erfolg des palästinensischen Befreiungskampfs ist in großem Maße davon abhängig, ob es das Proletariat der umliegenden Länder schafft, den Klassenkonflikt zuzuspitzen, eigene demokratische Organe aufzubauen, Industrien unter ihre Kontrolle zu stellen, das Kapital zu enteignen und die Macht zu übernehmen. Auch die eigenen Despot:innen aus ihren Machtpositionen zu jagen, hängt davon ab. Es ist  zentral, dass Arbeiter:innenstrukturen auf eine Doppelmachtsituation hinarbeiten und schließlich die Macht erkämpfen, damit die Aufstände nicht wieder in Militärputschen enden. Dabei müssen Revolutionär:innen die Verbindung der palästinensischen Befreiung mit dem Kampf der Arbeiter:innenklasse in den Nachbarländern aufzeigen und für Solidaritätsstreiks, also politische Streiks eintreten. Hier wird schnell deutlich, dass es nicht nur den Aufbau von Arbeiter:innenräten in den Fabriken braucht, sondern auch demokratische Selbstverteidigungsmilizen, um die Kämpfe zu verteidigen. Denn die Herrschenden werden weder massenhafte Aufstände noch Generalstreiks zur Umsetzung politischer Forderungen, geschweige denn den Aufbau von Arbeiter:innenräten in den Fabriken freiwillig dulden. Damit massenhafte Aufstände und revolutionäre Situationen nicht im Sande verlaufen oder durch konterrevolutionäre Bewegungen zunichtegemacht werden, braucht es die Kampfkraft der internationalen Arbeiter:innenklasse. Das heißt, auch wir in den imperialistischen Ländern müssen in Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand auf die Straße gehen und den Klassenkampf vor Ort zuspitzen.

  • Für die organisierte Selbstverteidigung von Arbeiter:innen, nationalen Minderheiten und Jugendlichen! Enteignung des Großkapitals unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Für Regierungen der Arbeiter:innen und Bäuer:innen, die sich auf Räte und Milizen stützen und die Wirtschaft auf Grundlage demokratischer Planung reorganisieren. Für die permanente Revolution in Palästina und im Nahen Osten! Für revolutionär-kommunistische Parteien als Teil einer wiedergegründeten Internationale!

3. Die Arbeiter:innenklasse im Westen

Ob Belgien, Italien oder die Niederlande: Welche positive Rolle die Arbeiter:innenklasse in den westlichen Zentren spielen kann, haben bereits einige Vertreter:innen gezeigt. Sie sind dem Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften nicht nur mit warmen Worten begegnet, sondern mit Taten. Doch wie kann die Kriegstreiberei insgesamt gestoppt werden?

a) Schluss mit der Komplizenschaft: Stoppt die Waffenlieferungen und Unterstützung der Kriegsindustrie!

Der westlichen Arbeiter:innenklasse kommt insofern eine Schlüsselrolle zu, als diese Staaten auch die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützer und Verbündeten Israels sind. Gewerkschaften sollen ihre Mitglieder dazu aufrufen, Waffenlieferungen an Israel zu blockieren. Lohnabhängige in aller Welt sollten den gesamten Handel mit Israel auf dem Land-, See- und Luftweg boykottieren. Versuche, solche Aktionen oder Kundgebungen zur Unterstützung Palästinas als antisemitisch zu bezeichnen, müssen zurückgewiesen und entlarvt werden. In diesen Staaten kämpfen wir gegen jede weitere militärische, finanzielle und ökonomische Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Angriffsmaschinerie.

Gegen Repression und für mehr Druck ist es zentral, dass die bestehenden Bewegungen sich koordinieren und gemeinsame Aktionen, Forderungen und Slogans hervorbringen. Dabei stellen Blockaden seitens der Arbeiter:innenklasse ein Mittel dar. Es braucht aber eine politische Kampagne, die das Verbot jeglicher Waffenexporte und Unterstützung des Krieges in finanzieller Form fordert. Statt Waffen braucht es medizinische Soforthilfe, statt finanzieller Unterstützung der israelischen Kriegsindustrie Mittel zur sofortigen Versorgung der Bevölkerung und zum Wiederaufbau Gazas – unter Kontrolle der Palästinenser:innen selbst, nicht durch irgendwelche NGOs oder Statthalterregime.

  • Schluss mit Komplizenschaft: Für den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen nach und finanzieller Unterstützung an Israel! Rückzug aller entsandten Streitkräfte aus dem Nahen Osten und von der Mittelmeerküste! Für die Offenlegung aller Verträge!

  • Massive finanzielle Hilfe und Unterstützung ohne Auflagen für den Wiederaufbau der Infrastruktur, des Gesundheits- und Bildungssystems, einschließlich eines Impfprogramms, in Gaza und im Westjordanland, bezahlt von den imperialistischen Mächten!

b) Schluss mit Repression und antimuslimischer Hetze!

Eine weitere Aufgabe bildet der Kampf gegen massive rassistische antipalästinensische und antimuslimische Hetze, die seit Oktober massiv zugenommen haben. Sie versuchen dabei nicht nur, den Widerstand der Palästinenser:innen zu diskreditieren, sondern helfen auch dem weiteren Erstarken von rechten Kräften in den westlichen Staaten. Das heißt: Wir müssen der Hetze und Kriegstreiberei, der offiziellen „öffentlichen“ Meinung, der sich fast alle politischen Parteien der „Mitte“ – Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokratie – wie auch jene der extremen Rechten, aber selbst die meisten linksreformistischen Organisationen und die Führungen der Gewerkschaften anschließen, entschlossen entgegentreten. Nur so – wenn wir Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen Chauvinismus und Rassismus der Führungen der Arbeiter:innenbewegung miteinander verbinden – kann und wird es möglich sein, eine gemeinsame Solidaritätsbewegung für Palästina aufzubauen, die sich auf die Migrant:innen und auf die fortschrittlichen und internationalistischen Teile der Arbeiter:innenklasse stützt. Ebenso müssen wir gegen die Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung mit Palästina einstehen. Wir fordern die Entkriminalisierung aller palästinensischen Organisationen und Vereine und die Streichung der sog. Antiterrorlisten der EU und USA.

  • Volle demokratische Rechte für alle palästinensischen politischen Organisationen und Vereine! Abschaffung aller sogenannten Antiterrorlisten der USA, EU oder anderer Mächte!
  • Hände weg von der BDS-Kampagne und allen anderen Solidaritätskampagnen für Palästina!
  • Für offene Grenzen, sichere Fluchtwege und Staatsbürger:innenrechte für alle!

Revolutionäre Organisation ist notwendig

Der Aufbau einer Massenbewegung, die sich vernetzt und koordiniert, ist mehr als notwendig. Aber um Generalstreiks, Enteignung und die Zerschlagung bürgerlicher Staaten durchzusetzen, braucht es Kräfte innerhalb der Bewegung, die dafür argumentieren und bereit sind, den Kampf aktiv zuzuspitzen. Dies entsteht nicht aus reiner Spontanität. Die historischen Kämpfe der Arbeiter:innenklasse haben gezeigt, dass diese aus sich heraus eher reformistisches Bewusstsein tragen, sich demnach im Kampf spontan eher innerhalb der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse bewegen. Das Verständnis für die Notwendigkeit der Zerschlagung des Kapitalismus geht darüber hinaus und muss daher von außen in die Arbeiter:innenklasse hineingetragen werden. Dafür brauchen wir ein revolutionäres Programm, das eine dialektisch-materialistische Analyse der gesellschaftlichen Entwicklungen beinhaltet, vergangene und aktuelle Kräfteverhältnisse in den Blick nimmt und daraus entsprechende Strategien und Taktiken entwickelt. Forderungen und Grundannahmen dafür haben wir versucht zu skizzieren. Sie sollen uns Revolutionär:innen als gemeinsame Handlungsgrundlage dienen und als Vermittlung zwischen revolutionärer Theorie und Praxis fungieren. Wichtig dabei ist, dass sie an die spezifischen Situationen der verschiedenen internationalen Kämpfe angepasst werden und an den jeweiligen Gegebenheiten ansetzen. Sie müssen ein System von Übergangsforderungen darstellen, das die Brücke schlagen kann von Minimalforderungen, die theoretisch schon im Kapitalismus umgesetzt werden könnten, über die Grenzen kapitalistischer Herrschaft hinweg und dadurch die soziale Macht von der einen Klasse in die Hände der anderen überführen.

Für uns ist der palästinensische Befreiungskampf kein Selbstzweck. Das stetige Morden, die anhaltende brutale Unterdrückung mögen zeitweilig die Hoffnung rauben, aber die Geschichte ist nicht zu Ende geschrieben. Der Kampf für ein befreites, sozialistisches Palästina ist notwendig für alle Palästinenser:innen, die dort leben, für alle Palästinenser:innen, die zurückkehren wollen – und für all jene, die durch die Fesseln des Imperialismus erdrückt werden.




Sudan: Ein Jahr Bürger:innenkrieg

Dave Stockton, Infomail 1251, 19. April 2024

Im Sudan wütet nun seit einem Jahr ein verheerender Krieg. Er wurde von den westlichen Medien weitgehend ignoriert und seit dem 7. Oktober durch Israels Genozid in Gaza aus den Schlagzeilen verdrängt. Doch das Leid der sudanesischen Bevölkerung ist mit diesem Konflikt vergleichbar, was die Zahl der Vertriebenen, die Gräueltaten an der Zivilbevölkerung und die drohende Hungersnot angeht. In der Hauptstadt Khartum wurden viele Gebäude zerstört, und in al-Faschir, der Hauptstadt von Schamal Darfur (Nord-Darfur), mussten 40.000 Menschen aus ihren Häusern fliehen, als die Schnellen Eingreiftruppen (RSF) versuchten, die Stadt einzunehmen.

Quellen der Vereinten Nationen sprechen von „Massengräbern, Gruppenvergewaltigungen, wahllosen Angriffen in dichtbesiedelten Gebieten“ und der Vertreibung von 8,1 Millionen der 45 Millionen Einwohner:innen des Sudan, darunter mindestens 1,76 Millionen, die in arme Nachbarländer wie den Tschad geflohen sind. Mindestens 292 Menschen sind an Cholera gestorben, und bis zum 17. Februar 2024 gab es über 10.700 Verdachtsfälle.

Einem in der Zeitschrift The Middle East Eye zitierten Bericht zufolge sind seit Ausbruch der Kämpfe 37 Prozent der sudanesischen Anbauflächen unbewirtschaftet und die Weizenproduktion des Landes ist um 70 Prozent zurückgegangen. Hungersnöte plagen das Land, und obwohl am 15. April auf einer Geber:innenkonferenz in Paris Hilfsgelder in Höhe von 1,7 Milliarden Pfund (knapp 2 Milliarden Euro) zugesagt wurden, wird die Lieferung schwierig, weil die Krieg führenden Kommandeur:innen Vorräte für ihre eigenen Truppen beschlagnahmen.

Wie der Krieg begann

Die Kämpfe nahmen ihren Anfang im April 2023 zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der die paramilitärische RSF leitet. Seit ihrem Putsch gegen die Zivilregierung von Abdalla Hamdok im Oktober 2021 hatten sie ein Militärregime geführt.

Der Krieg brach in der riesigen Hauptstadt Khartum aus, breitete sich aber schnell auf andere Teile des Sudan aus, darunter Darfur, Port Sudan und im Dezember 2023 auch auf das bis dahin friedliche Projekt Gezira, das landwirtschaftliche Kerngebiet des Landes am Zusammenfluss von Blauem und Weißem Nil.

Sowohl Burhan als auch Dagalo traten während des blutigen Krieges in Darfur zwischen 2003 und 2008, in dem 300.000 Menschen getötet und 2,5 Millionen zu Flüchtlingen wurden, erstmals als militärische Führer in Erscheinung. Dagalo führte die berüchtigten Dschandschawid-Milizen (deutsch: berittene Teufel) an, die einige der schlimmsten Gräueltaten verübten und gleichzeitig durch die Goldminen in Darfur enorm reich wurden.

Doch die beiden Diebe zerstritten sich, angeblich wegen Burhans Versuch, die RSF in Darfur und Khartum unter sein eigenes Kommando zu stellen. Dagao erkannte, dass dies bedeutete,  den Zugang zu den Reichtümern von Darfur, einschließlich Gold, Mineralien, Öl und landwirtschaftlichen Erzeugnissen, abtreten zu müssen.

Ausländische Mächte

Der Zusammenstoß zwischen diesen korrupten Führern war zum Teil darauf zurückzuführen, dass sie um die Unterstützung der rivalisierenden imperialistischen Gruppen warben, die ebenfalls Zugang zu den Reichtümern und der strategischen Lage des Sudan bekommen wollten: der US-Imperialismus und seine europäischen Verbündeten, die sich mit China und Russland messen, sowie die Beteiligung regionaler Mächte wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägypten und Iran. Sie alle haben sich in den Sudan eingemischt. Nach Angaben der New York Times liefern die VAE heimlich Waffen an die RSF.

Tatsächlich bildet der Sudan selbst nur einen Teil eines Krisenbogens, der sich westlich über die Sahelzone zieht und auch den Tschad, Mali, Burkina Faso und Niger umfasst. In diesen Staaten kam es zu Militärputschen, die die französische Vorherrtschaft massiv schwächte oder gar durch andere ersetzte, oft unter Beteiligung Russlands (militärisch) und Chinas (Finanzen und Handel). Im Osten erstreckt er sich bis zu den Staaten am Roten Meer und Horn von Afrika.

Auch dort sind die Staaten von Konflikten und Rivalitäten geplagt. Äthiopien, Eritrea, Somaliland (Nordwestregion Somalias, völkerrechtlich nicht anerkannt) und Somalia haben alle die Hilfe der superreichen Rentierstaaten der Arabischen Halbinsel angezogen oder gesucht. Außerdem intervenieren die Huthis (Ansar Allah; Helfer:innen Gottes) im Jemen in den Gazakrieg. Diese Staaten liegen strategisch günstig in der Nähe oder an der Straße von Bab al-Mandab, die den Indischen Ozean mit dem Roten Meer und von dort aus mit dem Suezkanal verbindet. Etwa 20 Prozent des weltweiten Containerschiffsverkehrs werden durch diese Meerenge geleitet.

Entscheidende Lektionen

Der aktuelle Bürger:innenkrieg stellt aber vor allem Maße das Ergebnis der Niederlage der demokratischen Revolution im Sudan bzw. ihres Scheiterns dar, die Macht der rivalisierenden sudanesischen Kriegsherr:innen zu brechen und sich auf die Machteroberung der Arbeiter:innenklasse zuzubewegen.

Ende 2018 und bis ins Jahr 2019 hinein verfolgte die Welt mit Bewunderung, wie ein Massenaufstand, an dem sich Student:innen, Arbeiter:innen und Frauen beteiligten, das militärisch-islamistische Parteiregime von Präsident Omar (Umar) al-Baschir herausforderte, der seit dreißig Jahren an der Macht war. Die Proteste wurden von jugendlichen Widerstandsnachbarschaftskomitees auf der Straße organisiert. Im April wurde al-Baschir durch das Militär gestürzt. Am 21. April 2019 kündigte Abdel Fattah Burhan einen Militärischen Übergangsrat an, der „den Aufstand und die Revolution ergänzt“ und versprach, dass er sich „für die Übergabe der Macht an das Volk“ einsetzen würde. Dies war natürlich eine dreiste Lüge.

Der Rest des Jahres war von Massendemonstrationen geprägt, die sich mit Verhandlungen mit den politischen Parteien abwechselten. Im Oktober 2019 wurde eine zivile Regierung unter der Leitung von Abdalla Hamdok eingesetzt. Es war jedoch klar, dass diese immer noch unter der Vormundschaft von Burhan stand. Die unruhige Doppelherrschaft zog sich über zwei Jahre hin, in denen Hamdok seine Unterstützung in der Bevölkerung verspielte, indem er die von den ausländischen Gläubigern des Sudan diktierten Wirtschaftsreformen durchsetzte. Im Januar 2022 trat er schließlich zurück, so dass das Militär bis zur Spaltung zwischen der RSF und der SAF wieder an der Macht war.

In einem vor vier Jahren verfassten Artikel haben wir die Lehren aus den Revolutionen des Arabischen Frühlings gezogen, insbesondere aus der größten von ihnen, der in Ägypten. Da das militärische Oberkommando unter Abd al-Fattah as-Sisi (Abdel Fatah El-Sisi) seine Macht über die Angehörigen der Armee behielt, führte der Putsch gegen den gewählten Präsidenten der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, zur raschen Wiedereinführung einer Militärdiktatur, die genauso schlimm war wie die von Husni Mubarak (Hosny Mubarak) oder noch strenger.

Wir sagten: „Die sudanesischen Revolutionär:innen werden zweifellos an das Schicksal des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten, Syrien, Jemen und Libyen denken, wo trotz des Mutes der jungen Revolutionär:innen ihrer Bewegung durch eine brutale Rückkehr des alten Regimes zerschlagen wurden. Solange das Oberkommando der Armee, die islamistischen Parteien und die Staatsbürokratie intakt bleiben, selbst wenn ihre derzeitigen Führer:innen zur Seite oder zurücktreten, wird die Gefahr einer Konterrevolution bestehen bleiben. Die einzige Antwort ist eine Revolution, die den ganzen Weg geht, die repressive Macht des Staates zerbricht, der korrupten Kapitalist:innenklasse die Kontrolle über die Wirtschaft entreißt und die Macht in die Hände der arbeitenden Menschen legt.“

Im Sudan ist der brutale Bürger:innenkrieg das Ergebnis einer unvollendeten Revolution, was einmal mehr das Wort des französischen Jakobiners Louis Antoine Saint-Just bestätigt: „Wer die Revolution halb macht, schaufelt nur sein eigenes Grab“. Unter den harten Bedingungen des Bürger:innenkriegs und unabhängig davon, welchen reaktionären Deal die ausländischen Mächte den Kriegsparteien aufzwingen, müssen die sudanesischen Revolutionär:innen die Lehren aus den vergangenen Jahren ziehen und sie in einem Programm und einer Partei verankern.

Zu diesen Lehren gehört nicht nur die enorme Gefahr, das Militär unangetastet zu lassen, d. h., in leninistischen Begriffen, nicht „die bürokratische militärische Staatsmaschine zu zerschlagen“, sondern auch die fatale stalinistische Volksfrontstrategie des Bündnisses des Bündnisses mit und der Unterordnung unter bürgerliche und kleinbürgerliche Kräfte. Die Führung der Arbeiter:innenklasse ist auch bei eine Umwälzung, die als „demokratische“ Revolution beginnt, der einzige Weg, um selbst ihre demokratischen Ziele zu verwirklichen, und um dies zu erreichen, muss die Revolution dauerhaft werden, d. h. zur Errichtung der Macht der Arbeiter:Innenklasse und zu sozialistischen Aufgaben übergehen.




Die strategische Krise der palästinensischen Linken

Martin Suchanek, Vom Widerstand zur Befreiung. Für ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina, Arbeiter:innenmacht-Broschüre, April 2024

Seit Jahrzehnten bildet die palästinensische Linke eine zentrale Kraft des Befreiungskampfs gegen die zionistische Vertreibung, die Kolonisierung und imperialistische Ordnung. Ihren Höhepunkt erlebte sie in den 1960er und 1970er Jahren; auch in der ersten Intifada 1987 – 1993 spielte sie eine bedeutende, teilweise führende Rolle.

Doch seither ging ihr Einfluss unter den palästinensischen Massen zurück. Die Krise praktisch aller organisierten Strömungen ist seit Jahrzehnten unleugbar. Die Faktoren für diesen Niedergang sind vielfältig.

Etliche Gruppierungen der palästinensischen Linken passten sich Anfang der 1990er Jahre der PLO-Führung an und unterstützten mehr oder weniger das Osloer Abkommen mit Israel. Im Gegenzug erhielten sie einen, wenn auch kleineren, Anteil an den Pfründen der Autonomiebehörde. Politisch diskreditierten sich aber, weil sie letztlich zu politischen Helfershelfer:innen eben dieser Behörde und ihrer Politik verkamen.

Andere Organisationen des Widerstandes – vor allem die PFLP und auch die Mehrheit der DFLP – lehnten das reaktionäre Osloabkommen, das zu einer Befriedung unter Anerkennung des Siedlerkolonialismus und eines schon 1993 kaum lebensfähigen Palästinenserstaates hätte führen sollen, zu Recht von Beginn an ab. Ihre Kritik am Ausverkauf an Imperialismus und Zionismus sollte sich innerhalb nur weniger Jahre als historisch und politisch richtig erweisen. Dennoch verloren auch diese Strömungen an Einfluss.

Zweifellos waren diese konsequent antizionistischen Teile der palästinensischen Linken wie auch oppositionelle Kräfte um die Fatah viel stärker der Repression durch die Besatzungstruppen ausgeliefert (und zeitweise auch durch die Autonomiebehörde). Doch dies erklärt letztlich nicht, warum beispielsweise PFLP und DFLP nicht vom immer offensichtlicheren Scheitern der Politik der PLO-Mehrheit und der Fatah profitieren konnten, sondern selbst durch den Antagonismus zwischen Fatah und Hamas an den politischen Rand des Geschehens gedrückt wurden.

Hinzu kam auch, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion große Teile der palästinensischen Linken in eine ideologische Konfusion stürzte, teilweise auch in eine finanzielle Krise. Neben der UdSSR brachen „antiwestliche“ reaktionäre arabische Regime , die bisher einen gewissen Schutz für die palästinensische Linke darstellten (und an die sich diese opportunistisch angepasst hatte), entweder zusammen oder vollzogen einen mehr oder weniger spektakulären Kurswechsel, um so ihre Haut zu retten. Selbst Syrien, das der einzige konstante Rückzugspunkt für die Auslandsführungen der palästinensischen Linken blieb, vollzog eine Wende zur USA und unterstützte diese 1991 im ersten Irakkrieg mit rund 17.000 Soldat:innen.

Diese Faktoren stellen eine wichtige, aber letztlich nicht die entscheidende Ursache für die Krise der palästinensischen Linken dar. Zweifellos spielte eine wichtige Rolle für diese, dass sie sich als unfähig erwies, ihre Strategie und Politik den veränderten Bedingungen des Befreiungskampfes nach der ersten Intifada anzupassen. Diese vollzog sie eher empirisch-taktisch, nicht jedoch, indem sie ihre eigentliche politische Strategie, die in den 1960er Jahren entwickelt worden war, selbst auf den Prüfstand stellte.

Das betrifft insbesondere auf die PFLP zu, auf deren Strategie, Taktik und Programmatik wir uns im folgenden Artikel aus mehreren Gründen konzentrieren werden. Erstens war sie über Jahrzehnte die größte und in vieler Hinsicht maßgebliche Organisation der palästinensischen Linken, die für einen konsequenten Kampf gegen die zionistische Besatzung und für die Befreiung ganz Palästinas mit revolutionären Mitteln eintrat.

Zweitens – und damit verbunden – entwickelte sie eine eigene Konzeption der Revolution in Palästina. Das 1969 auf ihrem zweiten Kongress angenommene Dokument „Strategy for the Liberation of Palestine“[i] legt umfassend ihre Analyse und politischen Schlussfolgerungen dar. Eine kritische Beschäftigung und Bewertung ist für Revolutionär:innen unerlässlich, die zur Ausarbeitung einer revolutionären Strategie und Programmatik für den Befreiungskampf beitragen wollen. Das Dokument legt eine Linie und Einschätzung nicht nur für die Vergangenheit fest, sondern die PFLP verweist in der Einleitung zur Veröffentlichung des Textes im Jahr 2017 selbst darauf, dass „dieses Dokument die grundlegenden Auffassungen und Analysen der PFLP in Bezug auf die Kolonialisierung Palästinas, die Kräfte der Revolution und die gegen das palästinensische Volk gerichteten Kräfte darlegt.“[ii]

Auch wenn seit 1969 viele wichtige Veränderungen stattgefunden haben, hält die Organisation fest: „ … die hier dargelegte grundlegende Analyse bleibt der leitende politische Rahmen für einen linken, revolutionären Ansatz zur Befreiung Palästinas – ein Ansatz, den wir als grundlegend notwendig betrachten, um den Sieg und die Befreiung in Palästina zu erreichen.“[iii]

Von der Nakba zur Dominanz des panarabischen Nationalismus

Bevor wir uns diesem Dokument und der Politik der PFLP zuwenden, wollen wir kurz verschiedene Stadien des Befreiungskampfes seit der Nakba (Katastrophe) 1948 bis zur Gründung der PFLP skizzieren, um so den Hintergrund für die Entwicklung der palästinensischen Linken darzulegen. Nach einer Behandlung dieses Dokumentes werden wir uns mit der weiteren Entwicklung des Kampfes und der Politik der PFLP beschäftigen.

Die Gründung Israel geht bekanntlich mit der Vertreibung von rund 750.000 bis 800.000 Palästinenser:innen, mehr als der Hälfe des Volkes zu diesem Zeitpunkt, einher. Diese Katastrophe stellt nicht nur eine historische Niederlage dar und ein zentrales Ereignis für die Etablierung einer neuen, imperialistischen Ordnung des Nahen Ostens. Die schmachvolle Niederlage der arabischen Staaten und ihrer militärischen Kräfte, der Arabischen Legion, warf auch die Frage nach deren Ursachen auf. Insbesondere an der Universität von Beirut entwickelte und vertiefte das eine kritische Diskussion, der zufolge man auch als Ursachen für die Niederlage die Schwächen der arabischen Staaten und ihrer Führungen in den Blick nehmen müsse.

Die Uneinheit und Zersplitterung des Nahen Ostens in zahlreiche arabische Staaten sowie deren ökonomische und soziale Rückständigkeit wären verantwortlich für die Niederlage. Notwendig wären Einheit und Modernisierung der arabischen Gesellschaften. Auch wenn diese Punkte auf die Klassenbasis der jeweiligen Regime verweisen, so waren die Diskurse unter den arabischen Intellektuellen der 1950er Jahre im Grunde von einem radikalen bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Nationalismus bestimmt.

Zugleich jedoch verschoben sich die Verhältnisse in den arabischen Staaten selbst mit dem Erstarken des panarabischen Nationalismus. 1952 bringt der Putsch der „Freien Offiziere“ in Ägypten Nasser an die Macht. Er verbreitert über eine Landreform seine soziale Basis über Schichten der Intelligenz, der Offizierskaste und der Mittelschichten hinaus und etabliert ein bonapartistisches Regime.

Im Kampf gegen den britischen Imperialismus um die Kontrolle des Suezkanals nähert sich der Nasserismus stärker der Sowjetunion an. Der Bau des Assuanstaudamms, die Verstaatlichung des Suezkanals und weitere staatskapitalistische Reformen spitzen den Konflikt mit dem Imperialismus zu.

In der Suezkrise 1956 – 1957 geht Ägypten als Sieger gegen Britannien, Frankreich und Israel hervor, die von den USA nicht unterstützt wurden, weil diese eine Großkonfrontation mit Sowjetunion vermeiden wollte. Dieser politische Erfolg steigert das Prestige des Nasserismus enorm. Der panarabische Nationalismus ergreift Syrien, den Irak und andere Länder und wird zu einer mächtigen politisch-ideologischen Strömung. Zugleich vertieft sich auch die Spaltung des arabischen Lagers, wo die Golfmonarchien stramm aufseiten der USA stehen.

BdAN und Fatah

In dieser Phase werden zwei für den palästinensischen Befreiungskampf wesentliche Organisationen gegründet. Um das Jahr 1952 formierte sich der Bund der Arabischen Nationalist:innen (BdAN), der vor allem in Jordanien stark anwuchs und rasch in anderen Staaten Ableger gründete. Der BdAN war zu Beginn eine bürgerlich-nationalistische Organisation, die sich jedoch unter dem Einfluss des Nasserismus nach links bewegte und von Beginn an eine Form der Etappentheorie der Revolution vertrat. In den späten 1950er Jahren und im Laufe der 1960er Jahre entwickelte er sich unter dem Einfluss von jüngeren Militanten wie George Habasch und Nayef Hawatmeh nach links, hin zum „Marxismus-Leninismus“, wenn auch in stalinistischer und maoistischer Prägung.

Die andere Organisation, die schon ab 1965 eine führende Rolle in der PLO übernehmen sollte, war Fatah, die 1957 in Kuwait gegründet worden war. Anders als der Panarabismus, der die palästinensische Revolution als Teil der gesamten arabischen Revolution begriff, vertrat Fatah früh das Primat des Kampfes um Palästina. Dieser sollte sich auf die eigene Nation konzentrieren und sich aus den inneren Kämpfen aller arabischen Staaten heraushalten (so wie diese im Gegenzug aus den politischen Auseinandersetzungen der Palästinenser:innen). Politisch war Fatah eine bürgerlich-nationalistische Befreiungsorganisation, die jedoch von Beginn an alle möglichen ideologischen Strömungen einschloss (inklusive solcher, die sich als marxistisch betrachteten). Sie setzte früher als andere auf den Guerillakrieg gegen den zionistischen Staat, was ihr enormes Prestige unter der palästinensischen Jugend einbrachte, einen massiven Zulauf an Kämpfer:innen und politische Unterstützung. Der Heroismus der Fatahkämpfer:innen bei der Schlacht um Karame am 21. März 1968 führte endgültig dazu, dass sich die Gruppierung  als populärste und stärkste Kraft im Widerstand etablierte, so dass sie 1968 die Führung der PLO übernehmen konnte.

Die Niederlage der arabischen Staaten im Sechstagekrieg 1967 markierte einen weiteren politischen Wendepunkt. Israel besetzte die Golanhöhen, die Westbank und die Halbinsel Sinai. Das stellte jedoch nicht nur militärisch, sondern vor allem politisch eine vernichtende Niederlage für Panarabismus und Nasserismus dar. Auch wenn die Allianz aus Ägypten, Syrien und anderen arabischen Staaten 1973 im Jom-Kippur-Krieg anfängliche Erfolge erzielen konnte, so drängte die israelischen Armee die syrischen Streitkräfte wieder zurück und konnte den Vormarsch ägyptischer Truppen stoppen. Dies erlaubte im Gegensatz zu 1967 eine „ehrenvolle“ Aufnahme von Verhandlungen über einen Waffenstillstand und ebnete letztlich den Weg für einen Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten und die Rückgabe Sinais.

Die Niederlage im Sechstagekrieg führte auch dazu, dass der BdAN unter den Palästinenser:innen gegenüber der Fatah politisch weit ins Hintertreffen geriet. Die Gründung der PFLP 1968 (u. a. aus Teilen des BdAN) war eine Reaktion sowohl auf das Scheitern Ägyptens und Syriens wie auch auf die politische Dominanz von Fatah.

Bevor wir uns jedoch deren Strategie im Detail zuwenden, wollen wir mit unserer Skizze des Befreiungskampfes fortfahren.

Guerillakampf als Hauptform

Die späten 1960er Jahre und die 1970er Jahre waren von der Dominanz des Guerillakampfes bestimmt. Auch wenn einzelne Gruppierungen wie die 1982 aus der jordanischen KP hervorgegangene Palästinensische Kommunistische Partei (heute Palästinensische Volkspartei) immer den bewaffneten Kampf ablehnten, so fristeten diese ein reformistisches Dasein, zumal die israelische Besatzung und Militärherrschaft den legalen und damit auch gewerkschaftlichen Spielraum in den besetzten Gebieten extrem einschränkten, da alle palästinensischen Organisationen verboten waren.

Doch die Konzentration auf den Guerillakampf hatte für die Befreiungsbewegung wie die Linke weitreichende Folgen. Erstens bildet faktisch nur die Bevölkerung in den Flüchtlingslagern außerhalb der von Israel kontrollierten Gebiete – und das hieß nach dem verlorenen Sechstagekrieg auch außerhalb von Westbank und Gaza – das Rekrutierungsfeld für den Widerstand, die im Kampf aktive Basis. Die Guerillastrategie führte zudem bei allen – Fatah wie Linken – zu einer weiteren Verengung der eigentlich kämpfenden Kräfte, nämlich auf jene, die sich für die Guerilla, also für einen professionellen bewaffneten Kampf, rekrutieren ließen.

Die „restliche“ Bevölkerung, also die große Mehrheit der vertriebenen oder unter Besatzung lebenden Arbeiter:innen und Bäuer:innen fungierte letztlich als passive Unterstützer:innen des Kampfes, die ihm bloß materiell, moralisch und politisch Hilfe leisten konnten.

Auch wenn Leninist:innen keine Kampfform per se ausschließen, wie Lenin selbst in „Der Partisanenkrieg“[iv] darlegt, so muss dieser immer nur als eine letztlich untergeordnete Form im Zusammenspiel mit anderen Formen des Klassenkampfes begriffen werden.

Die bürgerliche Führung um Arafat wie auch die palästinensische Linke erklärten sie jedoch – durchaus auch aufgrund einer berechtigten Abgrenzung zum Legalismus und Mechanismus der meisten stalinistischen KPen im arabischen Raum – zur Hauptform des Kampfes um Befreiung. Die Überlegenheit der „marxistisch-leninistischen“ Partei würde sich demzufolge daran erweisen, dass sie den Guerillakampf entschiedener und entschlossener als bürgerliche oder kleinbürgerliche Kräfte führen würde und daher zur Führung der Revolution berufen sei.

Dies führt auch dazu, dass neben den Guerillakampf, also bewaffneten Angriffen auf israelische Einheiten aus angrenzenden Staaten (vor allem Libanon, Syrien und bis zum schwarzen September Jordanien), bei der palästinensischen Linken vor allem am Beginn der 1970er Jahre der individuelle Terrorismus als Kampfform trat, mit allen schon von Lenin und Trotzki kategorisch kritisierten Folgen. Eine bestand darin, dass bis in die 1980er Jahre die Organisierungsarbeit in den besetzten Gebieten vernachlässigt wurde, obwohl es auch dort immer wieder zu Massenprotesten gegen die Siedlungspolitik, Steuererhöhung, Raub von Land und Ressourcen (v. a. Wasser) kam. Doch diese hätte andere Kampfmethoden erfordert als die Fokussierung auf die Rekrutierung für kleine, illegale Guerillaeinheiten.

Analyse und Strategie der PFLP

Das Grundproblem der palästinensischen Linken bestand darin, dass sie ironischer Weise mit der Fatah einig war bezüglich des Charakters der Revolution, nämlich dass diese eine national-demokratische wäre. Daher könne ihr Ziel nur in der Errichtung eines einheitlichen, demokratischen Staates Palästina bestehen. Dieser würde durch ein Bündnis aus Arbeiter:innenklasse, Bäuer:innenschaft und Kleinbürger:innentum erreicht werden, als dessen politische Repräsentation die PLO-Führung betrachtet wurde.

In ihrem zentralen Dokument „Strategy for the Liberation of Palestine“ (1969) hält die PFLP zu Recht fest, dass Revolutionär:innen ein klares Verständnis des Charakters der Revolution, der verschiedenen Klassen, ihrer Ziele, Feind:innen, Verbündeten brauchen und dies selbst nur auf Basis des wissenschaftlichen Sozialismus, einer revolutionären Theorie möglich ist.

Dieser Anspruch stellt zweifellos einen richtigen Ausgangspunkt dar, der die PFLP (wie auch andere „traditionelle“ Organisationen der palästinensischen Linken) wohltuend von aktuellen, „postmarxistischen“ oder postmodern inspirierten letztlich kleinbürgerlichen politischen Strömungen unterscheidet. Wir teilen auch grundsätzlich die Position, dass jede Revolution, will sie erfolgreich sein, einer revolutionären politischen Führung, einer Partei bedarf, die auf dieser Grundlage handelt (und natürlich diese Konzeption im Lichte der Erfahrung des Klassenkampfes selbst immer wieder einer Prüfung unterzieht).

Doch der Marxismus der PFLP – und damit auch ihre Strategie, ihr Programm und ihre Vorstellung von revolutionärer Partei – ist wie der des Großteils der palästinensischen Linken vom Stalinismus und besonders auch vom Maoismus geprägt.

Etappentheorie

Von diesen übernimmt sie die Etappentheorie der Revolution, der zufolge sich die palästinensische im national-demokratischen Stadium befände. Dabei polemisiert die PFLP zwar gegen die falsche Auffassung, dass der nationale Befreiungskampf kein Klassenkampf sei, aber sie hält daran fest, dass die aktuelle Phase keine sozialistische sei.

„Die Behauptung, wir befänden uns in einer Phase der nationalen Befreiung und nicht der sozialistischen Revolution, bezieht sich auf die Frage, welche Klassen in den Kampf verwickelt sind, welche von ihnen für und welche gegen die Revolution in jeder ihrer Phasen sind, beseitigt aber nicht die Klassenfrage oder die Frage nach dem Klassenkampf.

Nationale Befreiungskämpfe sind auch Klassenkämpfe. Sie sind Kämpfe zwischen dem Kolonialismus und der feudalen und kapitalistischen Klasse, deren Interessen mit denen der Kolonialisten verbunden sind, auf der einen Seite und den anderen Klassen des Volkes, die den größten Teil der Nation repräsentieren, auf der anderen Seite.“[v]

Und weiter: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unsere Klassensicht auf die Kräfte der palästinensischen Revolution den besonderen Charakter der Klassensituation in unterentwickelten Gesellschaften und die Tatsache, dass unser Kampf ein Kampf der nationalen Befreiung ist, sowie den besonderen Charakter der zionistischen Gefahr berücksichtigen muss.“[vi]

Die Aufgabe der revolutionären Kräfte bestünde daher darin, den nationalen Befreiungskampf ins Zentrum zu stellen. Diese Etappe muss zuerst abgeschlossen werden, um dann zur sozialistischen Revolution voranzuschreiten.

Für die PFLP bedeutet dies jedoch keinesfalls, dass alle Klassen gleichermaßen für die Revolution kämpfen oder deren Rückgrat stellen. Die Arbeiter:innenklasse ist für sie die letztlich revolutionäre Klasse. Aber im Stadium der nationalen Revolution sind ihre Interessen deckungsgleich mit jenen der Bäuer:innenschaft. Daher tauchen in ihrer strategischen Orientierung auch immer Arbeiter:innen und Bäuerinnen und Bauern, die Klasse der Lohnabhängigen und von Land besitzenden oder landlosen Kleineigentümer:innen an Produktionsmitteln als die zentrale Kraft der Revolution auf. In den Worten der PFLP:

„Das Material der palästinensischen Revolution, ihre Hauptstütze und ihre grundlegenden Kräfte sind die Arbeiter und Bauern. Diese Klassen bilden die Mehrheit des palästinensischen Volkes und füllen physisch alle Lager, Dörfer und armen Stadtviertel.

Hier liegen die Kräfte der Revolution … die Kräfte der Veränderung.“[vii]

Der PFLP ist also sehr wohl bewusst, dass es sich bei Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern um zwei verschiedene Klassen mit unterschiedlichen Klasseninteressen handelt. Allein in der demokratischen Etappe der Revolution treten diese nicht hervor. Folglich ist die revolutionären Kraft der Befreiung, als die sich die PFLP selbst vorstellt, auch keine Organisation oder Partei der Arbeiter:innenklasse, sondern eine revolutionäre  Arbeiter:innen- und Bäuer:innenpartei.

Diese Sicht wird von Anhänger:innen der Etappentheorie bis heute verteidigt, indem sie einen qualitativen Unterschied des Charakters und der Aufgaben der Revolution in den entwickelten kapitalistischen (imperialistischen) Ländern und der halbkolonialen oder kolonisierten Welt behaupten. So Samar Al-Saleh in ihrer Verteidigung der PFLP-Strategy unter dem Titel „The Palestinian Left Will Not Be Hijacked – A Critique of Palestine: A Socialist Introduction“[viii]: „Der verstorbene marxistisch-leninistische Philosoph Domenico Losurdo relativiert die in nationalen Befreiungskämpfen verfolgte frontale Strategie, indem er schreibt: ‚Während das Proletariat der Träger des emanzipatorischen Prozesses ist, der die Ketten der kapitalistischen Herrschaft sprengt, ist das Bündnis, das erforderlich ist, um die Fesseln der nationalen Unterdrückung zu sprengen, breiter angelegt.’“[ix]

Mit dieser und ähnlichen Formulierungen ist keineswegs nur gemeint, dass die Arbeiter:innenklasse versuchen muss, möglich breite Schichten des ländlichen und städtischen Kleinbürger:innentums als führende revolutionären Kraft für sich zu gewinnen. Vielmehr geht es um eine strategische Allianz der „revolutionären Klassen“ mit allen Kräften, die sich dem Kolonialismus und Imperialismus entgegenstellen. Dies umfasst vor allem das städtische Kleinbürger:innentum und die Mittelschichten, aber ggf. auch jene Teile der kapitalistischen Klasse, deren Interessen nicht mit denen der Kolonialist:innen/Imperialist:innen verbunden sind.

Am deutlichsten wird das, wenn wir uns die Frage stellen, welche Produktionsweise, welche Klasse unter einem Regime herrschen würde, das eine solche nationale Revolution an die Macht bringt. Es kann nur eine kapitalistische Produktionsweise sein. Auch wenn das Personal eines solchen Regimes weitgehend aus dem Kleinbürger:Innentum, den Mittelschichten käme, so würde es doch eine Herrschaftsform des Kapitals, nicht der Arbeiter:innen darstellen. Dazu müsste es nämlich über die bloß demokratische Revolution hinausgehen, das Kapital enteignen, für Schlüsselsektoren der Ökonomie eine demokratische Planwirtschaft errichten usw.

Es ist dies keine Seltenheit in der Geschichte der bürgerlichen Revolutionen, dass ihre entschlossensten Vorkämpfer:innen nur aus einer Minderheit der bürgerlichen Klasse stammten und sich oft aus dem Kleinbürger:innentum (v. a. aus der Intelligenz) rekrutierten. Einmal an der Macht müssen sie aber zwangsläufig ein bürgerliches Regime – in welcher politischen Form (Bonapartismus, Demokratie, Theokratie …) errichten –, weil eine kleinbürgerliche Produktionsweise nie die vorherrschende sein kann.

Diese Frage des Klassencharakters des Regimes, das eine Revolution hervorbringen wird, bleibt bei der PFLP jedoch entweder vage oder wird ganz im Sinne der Etappentheorie so beantwortet, dass der Kampf um eine sozialistische Umwälzung erst nach erfolgreicher antikolonialer oder nationaler Revolution in den Vordergrund treten kann.

Daher braucht es auch keine gesonderte Arbeiter:innenpartei, sondern die Volksfront kann sich auf zwei Klassen mit verschiedenen Interessen stützen. Die revolutionäre Partei, die jetzt gebildet werden soll, ist selbst eine klassenübergreifende, weil die unterschiedlichen Interessen von Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innenschaft in der demokratischen Revolution keine entscheidende Rolle spielten.

Auch wenn die Ideologie der PFLP ein Stück weit an die falsche Vorstellung vom Charakter der Russischen Revolution 1905 als demokratischer Revolution anknüpft, so fällt sie weit hinter diesen frühen Bolschewismus zurück. Dieser hatte immer jeden Versuch entschieden bekämpft, eine gemeinsame Partei der Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern zu schaffen, sondern diesen vielmehr als Aufgabe des Klassenstandpunkts in der demokratischen Revolution kritisiert. Eine solche klassenübergreifende Partei wäre nämlich nur möglich, wenn die Arbeiter:innenklasse die Verfolgung ihrer eigenen spezifischen Klasseninteressen – sowohl ihrer unmittelbaren ökonomischen wie vor allem ihrer historischen, langfristigen – hinanstellt. Und da die Vertreter:innen der Bourgeoisie, aber auch des Kleinbürger:innentums, mögen sie ansonsten auch noch so borniert und kurzsichtig sein, über einen verlässlichen Klasseninstinkt bezüglich der Eigentumsfrage verfügen, werden sie von den Vertreter:innen des Proletariats nicht nur verbale Versicherungen, sondern auch Taten einfordern, die beweisen, dass sie keine radikale Arbeiter:innenpolitik betreiben.

Eine gemeinsame Partei von Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern stellt also notwendigerweise eine Fessel für das Proletariat dar – aber sie erscheint nicht als solche, wenn man Revolution gegen Zionismus und Imperialismus im Sinne der Etappentheorie begreift. In Wirklichkeit muss sie wie die gesamte Etappentheorie jedoch zur politischen Unterordnung des Proletariats führen und dazu, dass dieses nicht zur hegemonialen Kraft im Befreiungskampf werden kann.

Strategische und taktische Bündnisse

Ganz im Sinne der Etappentheorie befürwortet die PFLP ein strategisches Bündnis mit dem Kleinbürger:innentum. „Strategy for the Liberation of Palestine“ analysiert nicht nur Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innenschaft, sondern auch die anderen Klassen der palästinensischen Gesellschaft:

Die Bourgeoisie stellt nicht nur einen sehr kleinen Teil der palästinensischen Nation dar (0,5 – 1 % der Gemeinschaft), sondern lebt auch unter ganz anderen Bedingungen. Auch wenn einzelne von ihnen den bewaffneten Kampf unterstützen mögen, so hat die Bourgeoisie, die vorwiegend im Exil und dort auch nicht in den Flüchtlingslagern lebt, zum größten Teil ihren Frieden mit dem Zionismus, Imperialismus und mit reaktionären Regimen gemacht. So sei z. B. die palästinensische Bourgeoisie in Jordanien, wie die PFLP in späteren Analysen durchaus treffend hervorhebt, zu einem untergeordneten Teil der dortigen Kapitalist:innenklasse geworden.

Faktisch, so die PFLP, könne die palästinensische Bourgeoisie für die Revolution abgeschrieben werden.

Anders das Kleinbürger:innentum. Dieses stelle wie in anderen Halbkolonien eine recht große, heterogene Klasse dar: Kleinunternehmer:innen, Handwerker:innen, Studierende, Lehrer:innen, Anwält:innen, Ingenieur:innen, Mediziner:innen und viele andere Vertreter:innen der „gebildeten Schichten“.

Auch wenn es unter gänzlich anderen, privilegierten Bedingungen als die Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern lebe, so stelle es trotz seiner Schwankungen einen strategischen Verbündeten in der Revolution dar.

Die Fatah repräsentiert bis zu den Osloer Verträgen dieses kämpfende, wenn auch schwankende Kleinbürger:innentum, die PLO die gemeinsame Befreiungsfront oder Organisation. Das Verhältnis zur PLO-Führung gestaltete sich für die PFLP allerdings auch vor dem Osloabkommen immer wieder konflikthaft, bis hin zur Formierung eigener „linker“ Bündnisse, um Druck auf sie auszuüben (z. B. die Nationale Rettungsfront in den 1980er Jahren). Aber der Kampf um die Einheit der PLO bildete immer eine Konstante der PFLP-Politik, der verhindern sollte, dass die schwankende Fatah ins Feindeslager überläuft oder zu viele Zugeständnisse macht. So machte George Habasch 1985 in einem Interview deutlich, dass es gegenüber rechten Kräften in der PLO darum gehe, diese auf Kurs zu halten:

„Kurz gesagt, wir verlassen uns auf die historische und strategische Allianz der Revolution.“[x] Und im selben Interview: „In dieser Hinsicht gehen wir von der starken Überzeugung in die Notwendigkeit aus, dass die PLO zu ihrer nationalen Linie zurückkehrt, so dass sie ein Rahmen für die Einheit des palästinensischen Volkes bleibt und als deren einziger legitimer Repräsentant agiert.“[xi]

Diese Einheit bedeutet aber, selbst wenn sie durchgesetzt wird, nur die auf Basis des Programms der PLO und ihrer führenden Organisation. Für die Fatah bedeutet Einheit immer auch offen die Einheit aller Klassen der palästinensischen Nation. Ideologisiert wurde dies zeitweise auch durch die Vorstellung, dass Nakba und israelische Besatzung auch alle Klassenunterschiede nivelliert hätten. Diese Sicht bildet letztlich nur den ideellen Kitt dafür, dass Fatah – und damit der von ihr dominierten PLO – immer ein bürgerliches, kapitalistisches, demokratisches Palästina vorschwebt, also eines, in dem die palästinensische Bourgeoisie herrschen würde.

Wenn die PFLP davon spricht, dass die Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern die führende Kräfte der Revolution wären, so heißt das nur, dass sie die nationale Befreiung konsequent führen, am entschiedensten kämpfen würden, während die Bourgeoisie im Voraus verrät und kleinbürgerliche Kräfte schwanken. Das heißt, die Frage, welche Klasse, die Revolution führen soll, beschränkt sich auf die, welche am entschiedensten den Kampf für ein bürgerlich-demokratisches Palästina vonantreibt. Auf sozioökonomischem Gebiet, hinsichtlich der Gesellschaftsordnung erkennt die PFLP im Voraus die Unvermeidlichkeit eines kapitalistischen Entwicklungsstadiums Palästinas nach der Revolution an. Das heißt aber, es für unvermeidlich zu halten, dass die Revolution die Kapitalist:innenklassen an die Macht bringt und den Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern eine untergeordnete Stellung als ausgebeutete Klasse zuweist.

Dies ist das unvermeidliche Resultat jeder Etappentheorie – zumal wenn man an ihr, wie die PFLP, sehr konsequent festhält.

Guerillastrategie, Nationalismus und internationale Politik

Für die PFLP stellt bis zur ersten Intifada der bewaffnete Kampf, genauer der Guerillakampf, das entscheidende, strategische Mittel gegen Zionismus und Imperialismus dar. Bis Ende der 1980er Jahre befindet sie sich darin, wenn auch mit einer anderen theoretischen Begründung, in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der PLO-Charta und der Fatah.

Für die PFLP bildeten im Unterschied zur Fatah jedoch die Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern die zentrale Kraft des bewaffneten Kampfes, genauer die Fedajin in den Flüchtlingslagern in Jordanien (bis Anfang der 1970er Jahre), in Syrien und im Libanon.

Die Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern in Israel bzw. in den besetzten Gebieten bildeten bis zur 1. Intifada keine zentrale Kraft der Revolution. Die israelische Militärherrschaft (und nach dem Schwarzen September 1970 die jordanische Armee) verunmöglichten dort faktisch den Guerillakampf, so dass der Fokus auf die Rekrutierung auf Libanon und Syrien lag, wo die PFLP eine reale Basis aufbauen konnte. Als zweitgrößte Fraktion in der PLO hatte sie außerdem auch immer einen gewissen ideologisch-politischen Einfluss unter den Palästinenser:innen sowohl in den besetzten Gebieten wie in der Diaspora.

Da die PFLP (und auch die meisten anderen Strömungen der palästinensischen Linken) keine andere Zielsetzung der palästinensischen Revolution in ihrer national-demokratischen Etappe verfolgen als die Fatah, konnte sie sich nur auf dem Gebiet des bewaffneten Kampfes als die eigentlich zur Führung des Volkes berufene Kraft erweisen.

Das stellte sich jedoch von Beginn an als Unmöglichkeit heraus. Die Fatah hatte den Guerillakampf früher als BdAN und PFLP begonnen. Sie verfügte über größere finanzielle Mittel zur Ausbildung und Bewaffnung der Guerilla und nach der Schlacht um Karame über eine enormes Prestige.

Die PFLP – und andere Organisationen – versuchten das, durch eine Wende zum individuellen Terrorismus (den allerdings auch die PLO selbst mit professionelleren Mitteln vollzog), zu Anschlägen und Entführungen auszugleichen. Diese bis ca. 1972 dauernde Wende zeitigte zwar alle Nachteile des individuellen Terrorismus, brachte die PFLP (wie andere Organisationen, die weit länger an dieser Kampfmethode festhielten und diese komplett fetischisierten) in ihrer Konkurrenz zur Fatah nicht weiter.

Vielmehr erwies sich in den 1970er und 1980er Jahren die Guerillastrategie faktisch immer mehr als Sackgasse. Es wurde immer klarer, dass die Befreiung Palästinas durch einen noch so aufopfernden Guerillakampf, der sich auf die Rekrut:innen aus den Lagern stützte, Israel zwar in Aufregung versetzen, aber keineswegs den Zionismus stürzen konnte. Hinzu kam, dass die arabischen Regime nach 1967 militärisch eine Katastrophe erlitten und nach 1973 mehr und mehr dazu übergingen, ihren Frieden mit Israel zu machen.

Vor allem aber zeigte die Guerillastrategie von Beginn an ihre Grenzen hinsichtlich der aktiven Basis der Revolution. Letztlich kämpfen in der Guerilla nur jene, die sich für ein Leben als professionelle, bewaffneten Kämpfer:innen entscheiden bzw. dafür rekrutiert werden. Die Masse der Arbeiter:innen, des städtischen und ländlichen Kleinbürger:innentums und der Mittelschichten sind an der proklamierten (oder auch faktischen) Hauptform des Kampfes nicht beteiligt, sondern vielmehr in die Rolle von passiven Unterstützer:innen gedrängt.

Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zur leninistischen Position zum Partisanenkampf oder zur Guerilla. Wie Lenin zeigt, kann diese vom Marxismus unter bestimmten Bedingungen als eine Kampfform nicht ausgeschlossen werden, ja sogar einen Aufschwung von Massenaktionen (z. B. der Bäuerinnen und Bauern) signalisieren. Aber seine Rolle muss vor dem Hintergrund der Gesamtbewegung des Klassenkampfes verstanden werden, als letztlich untergeordnetes Moment.

Die Erhebung des Guerillakampfes zum strategischen Hauptmittel hingegen reflektiert im Grunde den Klassencharakter der führenden Kräfte des palästinensischen Befreiungskampfes der 1960er bis 1980er Jahre – des revolutionären kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Nationalismus. Die Fatah steht für den bürgerlichen, die PFLP für den radikal-kleinbürgerlichen Flügel der Bewegung.

Nationalismus und Marxismus

Dies drückt sich auch im Verhältnis der PFLP zum Nationalismus aus. Für sie besteht kein Widerspruch zwischen Marxismus und Nationalismus. Oder in George Habaschs Worten: „Ich sehe keinen Widerspruch darin, ein arabischer Nationalist und ein echter Sozialist zu sein.“[xii]

Dies ist keine zufällige Differenz zur marxistischen Position, wie sie z. B. Lenin in „Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage“ betont:

„Der Marxismus ist unvereinbar mit dem Nationalismus, mag dieser noch so ‚gerecht’, ‚sauber’, verfeinert und zivilisiert sein. Der Marxismus setzt an die Stelle jeglichen Nationalismus den Internationalismus, (…)“[xiii]

Gerade weil der Nationalismus untrennbar mit der bürgerlichen Gesellschaft verbunden ist, muss der Marxismus ihn als grundlegendes Phänomen verstehen und begreifen. Dazu gehört auch das Begreifen des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen und die Unterstützung des berechtigen Kampfes gegen nationale Unterdrückung. Nur durch das konsequente Vertreten dieser bürgerlich-demokratischen Forderung kann das Programm der sozialistischen Revolution – Verschmelzung der Nationen zu eine höheren Einheit – dereinst Realität werden. Um diesem Ziel den Weg zu bereiten, muss die Arbeiter:innenklasse bedingungslos das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nation anerkennen, daher muss ihre Arbeiter:innenklasse diese Forderung in ihr Programm aufnehmen, ja unter bestimmten Bedingungen um die Führung kämpfen, versuchen, selbst zur hegemonialen Kraft zu werden. Doch genau deshalb dürfen die Revolutionär:innen der unterdrückten Nation selbst niemals auf den Standpunkt des Nationalismus herabsinken, wie Lenin betont: „Kampf gegen jede nationale Unterdrückung – unbedingt ja. Kampf für jede nationale Entwicklung, für die ‚nationale Kultur’ schlechthin – unbedingt nein.“[xiv]

Im Grunde reflektiert die falsche Auffassung von Habasch und der PFLP zur Nation ihre Vorstellung vom demokratischen Charakter der Revolution und strategischen Bündnis mit der Fatah in Form der PLO.

Internationale Strategie?

Doch damit nicht genug, die PFLP verfolgt von Beginn an auch eine problematische internationale Strategie. Dabei kritisiert sie zu Recht die Weigerung der Fatah, die untrennbare Verbindung des palästinensischen Befreiungskampfs mit der antiimperialistischen Revolution in den arabischen Staaten anzuerkennen. Dies führe dazu, dass die Führung um Arafat immer wieder nach falschen Verbündeten im imperialistischen Lage suche und eine opportunistische Politik der „Nichteinmischung“ gegenüber den reaktionären arabischen Regimen betrieben hat, wie z. B. Saudi-Arabien oder Ägypten unter Sadat.

Dem hält die PFLP ein Bündnis der „revolutionären Kräfte“ im globalen Maßstab entgegen. Doch wer sind diese? Die Arbeiter:innenklasse, die armen Bäuerinnen und Bauern weltweit? Nein. Vielmehr spricht „The Strategy for the Liberation of Palestine“ von der VR China, der UdSSR, Kuba und den anderen „sozialististischen Staaten“, also bürokratisch degenerierten Arbeiter:innenstaaten. Auch wenn der PFLP natürlich bewusst ist, dass die UdSSR die Gründung Israels noch vor den westlichen Staaten anerkannte und keinesfalls immer konsequent handelte, so wird sie letztlich nicht nur als Verbündete, sondern als die führende Kraft im Kampf der „revolutionären Kräfte“ bezeichnet.[xv]

Neben den „sozialistischen Staaten“ gehörten dazu auch sog. progressive, antiimperialistische oder patriotische arabische Regime – vor allem Ägypten unter Nasser, Nordjemen und Syrien. Mit dem Zusammenbruch des Stalinismus, der Volksrepublik Jemen und dem Überlaufen Ägyptens ins US-Lager, blieb über die Jahre nur Syrien als enger Verbündeter übrig, dem die PFLP unter Assad auch während der syrischen Revolution treu blieb. Hinzu kommt heute außerdem der Iran.

Im gesamten geostrategischen Denken der PFLP, im Kampf im Weltmaßstab stehen einander letztlich nicht zwei Klassen, nicht Bourgeoisie und Proletariat, gegenüber, sondern zwei „Lager“. Auch wenn die PFLP häufig vom Internationalismus spricht, so unterscheidet sich ihre Politik grundlegend vom proletarischem Internationalismus. Dieser geht nämlich vom Klassenkampf als internationalem aus – und damit von der Einheit der Arbeiter:innenklasse. Natürlich ist diese nie spontan gegeben – und kann es auch gar nicht sein – sondern sie muss vielmehr durch die bewusste Tat, das bewusste, theoretisch und programmatisch geleitete Eingreifen von Revolutionär:innen errungen werden, indem aus durchaus vorhandenen spontanen Tendenzen eine bewusste Bewegung wird. Deren höchster und für die internationale Revolution auch unerlässlicher Ausdruck ist die revolutionäre Arbeiter:inneninternationale – nicht eine Sammlung von nationalrevolutionären Bewegungen und staatskapitalistischen, bonapartistischen Regimen!

Diese stellt das direkte Gegenteil einer Arbeiter:inneninternationale dar, was sich besonders tragisch zeigt, wenn sich Arbeiter:innenklasse und Bauern-/Bäuerinnenschaft dieser Länder gegen deren angeblich „progressiven“ Regime erheben. Die PFLP steht dann vor der Frage, sich entweder gegen die vorgeblich antiimperialistischen Regime zu wenden – oder diese und damit die konterrevolutionäre Unterdrückung der Arbeiter:innen, Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen.

Ihre eigene strategische Konzeption verweist genau in diese Richtung. Die Anpassung an die bonapartischen, kapitalistischen Regime zieht sich daher wie ein roter Faden durch die Geschichte der PFLP. Sie folgt logisch aus einer falschen Analyse und Strategie, der Etappentheorie.

Die 1. Intifada

Doch mehr noch als alles andere hat im Grunde der bisherige Höhepunkt des Kampfes der palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten und in Israel die Politik der PFLP wie aller palästinensischen Organisationen auf den Prüfstand gestellt.

Die 1. Intifada brach Ende 1987 aus, nachdem die israelischen Streitkräfte vier Jugendliche im Flüchtlingslager Dschabaliya in Gaza ermordet hatten. Zweifellos trug sie – wie alle Massenerhebungen – Züge eines spontanen Aufstandes, einer Massenrevolution, die alle Beteiligten in ihrem Umfang überraschte.

Doch es wäre eine verkürzte Analyse, die Intifada als Ausdruck „reiner Spontaneität“ zu begreifen. Erstens erschütterten seit 1967 immer wieder massive Aufstände, Streiks von Arbeiter:innen und Ladenbesitzer:innen die Westbank und Gaza. Zweitens wandte sich die Befreiungsbewegung schon vor der Intifada stärker der Bevölkerung in diesen Gebieten zu, auch weil die Guerillastrategie faktisch an ihre Grenzen stieß. Die  hatte als erste verstärkt illegale und halblegale Arbeit unter den Massen begonnen. Doch auch die PLO-Organisationen (Fatah, PFLP, DFPL) wandten sich dieser Arbeit schon vor der Intifada stärker zu.[xvi]

„Spätestens 1987 existierte überall in den besetzten Gebieten ein ganzes Netzwerk lokaler Organisationen, die in ihrer Gesamtheit eine komplette Infrastruktur bildeten: Gewerkschaften, Studentenbewegung, Frauenkomitees, medizinische Hilfskomitees etc. Alle PLO-Organisationen waren beteiligt. In der Frauen- und Arbeiterbewegung waren DFLP, PFLP und  führend, während Fatah ihren Schwerpunkt eindeutig auf die Shabiba-Bewegung (eine Jugendbewegung) gelegt hatte. Offensichtlich gab es 1987 kaum ein Dorf, Lager oder Stadtviertel, wo die Shabiba nicht vertreten war.“[xvii]

Sowohl die Fatah als auch PFLP, DFLP und  genossen eine massive Unterstützung unter der aufständischen Bevölkerung. Deren Kader wurden von Beginn als deren Führung anerkannt. Im Januar 1988 bildeten diese vier Organisationen die „Vereinigte Nationale Führung der Intifada“ (VNFI), die in den folgenden Jahren die koordinierende, leitende Rolle übernahm.

Allerdings hatten die in den besetzten Gebieten arbeitenden Kräfte der PFLP (wie auch der DFLP, tw. auch der Fatah) einen weit größeren Spielraum gegenüber ihren Exilführungen. Auch die VNFI darf man sich keineswegs als „von außen“, also der PLO-Führung komplett gesteuert vorstellen. Die erste Intifada und die vorbereitende Organisationsarbeit brachten nicht nur Massenorganisationen hervor, sondern auch eine Führung der Bewegung, die zwar mit viel Respekt auf die Exilführungen blickte, aber auch einen gewissen Grad an Unabhängigkeit besaß.

Hinzu kam, dass sich in der ersten Intifada auch Komitees in verschiedenen Bereichen bildeten, die Aktionen koordinierten, aber auch die Versorgung der Bevölkerung während der Generalstreiks und Ausstände sicherstellen sollten und so embryonale alternative staatliche Strukturen darstellten. Die Illegalisierung aller dieser Strukturen durch die israelische Besetzung im August 1988 stellte zweifellos einen bedeutenden Schlag gegen diese dar.

Im Grunde trug die Intifada alle Kennzeichen einer revolutionären Situation, sie war ein revolutionärer Massenaufstand. Doch es zeigten sich zugleich auch die politischen Schwächen der palästinensischen Linken.

Auch wenn PFLP (und DFLP) in den besetzten Gebieten wichtige Organisationsarbeit geleistet hatte, so widersprach die Intifada dem Revolutionsschema dieser Organisationen, die die Guerilla zur Hauptform des Kampfes erklärt hatten. Im Gegensatz dazu stellte die Intifada eine Bewegung dar, die alle Schichten der Bevölkerung – und auch die palästinensischen Arbeiter:innen in Israel – im Kampf vereinte. Diese Tatsache erkannte im Nachhinein auch die PFLP-Führung selbst.

„Was den bewaffneten Kampf betrifft, so hat die PFLP ihn bis zur Intifada befürwortet. Beim bewaffneten Kampf sind es die Fedajin, die kämpfen, aber bei der Intifada ist es das ganze palästinensische Volk – Kinder, Frauen, Künstler, alle. Mit der Intifada hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es möglich ist, in einem Teil Palästinas Freiheit und Unabhängigkeit zu erreichen.“[xviii]

Habasch bringt hier eigentlich eine der realen Grenzen der Guerillastrategie – die Verengung der Basis der Kämpfenden – auf den Punkt. Aber er und die PFLP bleiben beim Konstatieren der Fakten und einer Einstellung des Guerillakampfes stehen. Sie unterziehen jedoch die Gesamtstrategie der Organisation keiner kritischen Überprüfung und verzichten daher auf eine wirkliche Neubestimmung ihre Politik bis heute.

Verschärft wird dieses Problem durch das Festhalten an der Etappentheorie durch alle Strömungen der stalinistisch geprägten palästinensischen Linken hindurch, egal ob sie nun den bewaffneten Kampf führten oder nicht. In der Intifada treten deren politisch entwaffnende Konsequenzen besonders deutlich hervor. Die Bewegung eint ein Ziel, das Ende der israelischen Besetzung von Gaza, Westbank und Ostjerusalem.

Doch dieses wirft nicht nur die Frage auf, in welchem Verhältnis es zur Befreiung ganz Palästinas steht, sondern auch, welche Klasse in diesen befreiten Gebieten die Macht übernimmt, sollte der Abzug der zionistischen Besatzung erzwungen werden. Für die Fatah war die Frage immer klar. Es würde sich um ein bürgerliches Regime handeln und die Fatah hat auch seit Beginn der 1980er Jahre das besitzende Kleinbürger:innentum und die Kleinbourgeoisie aus den besetzten Gebieten erfolgreich für sich gewonnen.

Hinsichtlich des Klassencharakters des Regimes eines zukünftigen Palästina hatten PFLP, DFLP und  der Fatah jedoch nichts entgegenzusetzen, erklärten sie doch selbst, dass sich die Revolution zuerst auf die Lösung der nationalen Frage zu konzentrieren hätte, der alle anderen untergeordnet wären.

Daher verabsäumte es die palästinensische Linke, obwohl sie über Massenrückhalt und eine gut organisierte Bewegung verfügte, eine eigenständige Klassenpolitik in der Intifada zu verfolgen. Damit das Proletariat nämlich zur führenden Klasse werden kann, hätte es seine spezifischen Klasseninteressen offen verfolgen und vor allem darauf vorbereitet werden müssen, die Machtfrage in seinem Sinne durch die Errichtung einer revolutionären Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung zu lösen. Ob diese in ganz Palästina oder zuerst nur in einzelnen Teilen möglich ist, ist dabei eine Frage des Kräfteverhältnisses, ebenso, wie prekär eine solche Form angesichts der Besatzung auch hätte sein mögen.

Doch die palästinensische Linke lehnte bewusst die direkte Verbindung des Kampfes um nationale Befreiung mit dem für ein sozialistisches Palästina ab, hielt an der Etappentheorie fest, statt sich ein Programm der permanenten Revolution zu eigen zu machen.

Diese führte auch mit dazu, dass sie schlecht auf den historischen Verrat der PLO-Führung unter Arafat vorbereitet war. Die  unterstützte das Osloer Abkommen, die DFLP spaltete sich entlang diese Frage. Die PFLP lehnte es korrekterweise von Beginn ab. Aber sie verfolgte selbst auch keine alternative politische Zielsetzung.

Das Osloer Abkommen und seine Folgen

So endet die erste Intifada schließlich im politischen Ausverkauf. Das erste Osloer Abkommen wurde 1993 vom damaligen PLO-Außenminister Abbas (nicht von der PLO selbst) ratifiziert. Es enthält die allgemeine, aber unkonkrete Vereinbarung, dass die Palästinenser:innen Westjordanland und Gaza als Staat übertragen kriegen sollten im Gegenzug für die Anerkennung Israels. Der Status Jerusalems blieb ungeklärt und die Frage der Rückkehr der Vertriebenen sowie der Siedlungen im Westjordanland sollte bei zukünftigen Verhandlungen geklärt werden.

1995 folgte das zweite Osloer Abkommen, dem zufolge das Westjordanland in verschiedene Stufen der „Autonomie“ aufgeteilt wird, ins sog. A-Gebiet unter Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde, in B-Gebiete mit geteilter Kontrolle und C-Gebiete, die weiter direkt von der israelischen Besatzung kontrolliert werden.

Das Abkommen erwies sich schon in den 1990er Jahren als politisches Desaster. Die zionistische Rechte machte mit der Ermordung Rabins deutlich, dass sie selbst einen von Israel abhängigen, selbstständig nicht überlebensfähigen Reststaat Palästina nicht akzeptieren will. Die zionistische Regierung deckte den Siedlungsbau und Landraub weiter. Allein bis 2000 entstanden rund 200.000 weitere Siedlungen in der Westbank.

Von 2000 bis 2005 folgte als Reaktion auf diese Entwicklung und Provokationen durch Sharon die 2. Intifada, die jedoch ohne sichtbares Resultat für die Palästinenser:innen endete. Am Aufstand beteiligen sich PFLP, DFLP, der linke Flügel der Fatah (al-Aqsa-Märtyrerbrigaden) sowie Hamas und Islamischer Dschihad, die Fatahmehrheit und die Autonomiebehörde hingegen nicht. Faktisch gerieten sie zu einem verlängerten Arm der Besatzung und des Imperialismus.

Vom strategischen Bündnis mit Fatah zum Bündnis mit Hamas

Doch die Jahre brachten auch eine massive Verschiebung des Kräfteverhältnisses unter den Palästinenser:innen mit sich, wie die Wahlen 2006 deutlich machten. Die islamistische Hamas erringt dort eine Mehrheit von 74 der 132 Sitze, Fatah 45. Die palästinensische Linke erleidet ebenfalls eine Niederlage, die PFLP erhält 3 Sitze (4,2 % der Stimmen), das Bündnis aus DFLP, PVP (Palästinensische Volkspartei; ehemals: PKP) und FIDA (Palästinensische Demokratische Union) 2 Sitze.

Die Linke wird in der Polarisierung zwischen Fatah und Hamas faktisch an den Rand gedrängt – und das ändert sich auch nach 2006, nach der faktischen Spaltung zwischen Westbank und Gaza nicht. Die Hamas gelangt aber zur führenden Kraft des nationalen Widerstandes.

Auf diese Entwicklung reagiert die PFLP (und im Grund auch die DFLP) durch eine Neuadjustierung der Etappentheorie und eines strategischen Bündnisses mit dem „Kleinbürger:innentum“. Während die Fatah weitgehend für den Befreiungskampf ausfällt (auch wenn die PFLP weiter in der Fatah-geführten PLO bleibt), tritt nun die Hamas als strategische Partnerin ins Rampenlicht. Seit über einem Jahrzehnt befindet sich die PFLP in einem, wie sie es selbst nennt, „strategischen Bündnis“ mit der Hamas.

Die palästinensische Linke (PFLP und DFLP) ordnet sich faktisch der Führung der Hamas politisch unter – ganz so, wie sie sich zu Zeiten der PLO der Fatah untergeordnet hatte. Die „Ablehnungsfront“ gegen das Osloer Abkommen, die die palästinensische Linke mit Hamas, Dschihad und anderen Gruppen gebildet hat, ist kein bloß zeitweiliges militärisches Abkommen, sondern im Grunde ein strategisches Bündnis, das einer Unterordnung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse gleichkommt.

Die Ablehnungsfront ist dabei keineswegs nur auf Organisationen in Palästina beschränkt. Sie erstreckt sich auch seit Jahren auf ein Bündnis mit den „antiimperialistischen“ Regimen in Damaskus und Teheran. Darin wird das islamistische Regime zu einem verlässlichen Verbündeten im Befreiungskampf verklärt, z. B. bei einem Treffen von PFLP und Hamas mit Vertreter:innen des Iran im Jahr 2017:

„Während viele Länder der Region versuchen, ihre Beziehungen zum zionistischen Regime zu normalisieren, ist der Iran der Vorkämpfer im Kampf gegen Israel und für die Befreiung Palästinas.“[xix]

Die PFLP und die DFPL bilden seit Jahren mit Iran, Syrien, Hamas und libanesischer Hisbollah die sog. „Achse des Widerstandes“. Am Beginn der syrischen Revolution bröckelte diese, da sich die Hamas auf die Seite der Aufständischen gegen Assad stellte. Nicht so die palästinensische Linke, sie hielt ihren Verbündeten die Treue und denunzierte die syrische Revolution als zionististische Verschwörung.

„Die linken und nationalistischen Strömungen der palästinensischen politischen Elite – wie die Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP) und die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) – hielten an ihrer Unterstützung für Damaskus fest und erklärten, die syrische Revolution sei eine zionistische Verschwörung.“[xx]

Dementsprechend begrüßte die PFLP auch die Eroberung Aleppos durch die Truppen des Assadregimes als „bedeutenden Sieg“. Gegenüber The New Arab erklärte das Mitglied des PFLP-Politbüros, Kayed al-Ghoul, die Position seiner Organisation folgendermaßen: „Syrien zu unterstützen und die Ereignisse in Aleppo und anderen Städten als Teil einer Verschwörung zur Zersplitterung des syrischen Staates zu betrachten.“[xxi]

Diese Position stellt ohne Zweifel einen, wenn nicht den politischen Tiefpunkt der Politik der PFLP dar. Die willfährige Unterstützung der syrischen Konterrevolution folgt jedoch nicht nur einer obskuren Verschwörungstheorie, sondern auch der reaktionären Logik, die globale Auseinandersetzung als Kampf von „Lagern“ und nicht als internationalen Klassenkampf zu begreifen.

So wichtig und notwendig es daher ist, sich mit den Kämpfer:innen der PFLP und der gesamten Befreiungsbewegung gegen den zionistischen Staat zu solidarisieren und gegen ihre Kriminalisierung zu kämpfen, so unabdingbar ist aber auch eine marxistische, revolutionäre Kritik ihrer politischen Analyse, ihrer Programmatik, ihrer Strategie und Taktik. Nur ein Bruch mit der Etappentheorie und eine Politik, die sich auf Theorie und Programm der permanenten Revolution stützt, kann einen Ausweg weisen aus der Führungskrise der palästinensischen Arbeiter:innenklasse.


Endnoten

[i] PFLP, The Strategy for the Liberation of Palestine, Foreign Language Press, 1917, Utrecht, ISBN 9781545142660

[ii] Ebenda, S. 7

[iii] Ebenda, S. 10

[iv] Lenin, Der Partisanenkrieg, in: LW 11, Seite S. 202 – 213

[v] Strategy, S. 44

[vi] Ebenda, S. 45

[vii] Ebenda, S. 47

[viii] https://viewpointmag.com/2021/12/11/the-palestinian-left-will-not-be-hijacked-a-critique-of-palestine-a-socialist-introduction/

[ix] Ebenda

[x] George Habasch: The Future of the Palestinian National Movement, in: Journal of Palestine Studies, 14. Mai, 1985, S. 6

[xi] Ebenda, S. 8

[xii] Taking Stock, Interview with George Habasch, in Journal of Palestine Studies XXVIII, no.1 (Autumn 1998), S. 92

[xiii] Lenin, Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, in: Lenin, Werke, Bd. 20, S. 19

[xiv] Ebenda, S. 20

[xv] George Habasch: The Future of the Palestinian National Movement, in: Journal of Palestine Studies, 14. Mai, 1985, S. 5

[xvi] Siehe dazu auch Helga Baumgarten, Befreiung in den Staat. Palästinensische Nationalbewegung seit 1948, Frankfurt/Main 1991, S. 270 – 310

[xvii] Ebenda, S. 289

[xviii] Taking Stock, Interview with George Habasch, in Journal of Palestine Studies XXVIII, no.1 (Autumn 1998), S. 93

[xix] https://en.irna.ir/news/82617068/Hamas-PFLP-thank-Iran-for-supporting-Palestinian-cause

[xx] https://www.aljazeera.com/opinions/2018/10/20/how-do-palestinians-see-the-syrian-war

[xxi] https://www.newarab.com/opinion/divisions-exposed-pro-hizballah-leftist-palestinians-hail-assads-victory




Resolution des Palästina-Kongress 2024: Wir klagen an!

Resolution des Palästina Kongress 2024, Berlin, den 14. April 2024, Infomail 1251, 17. April 2024

Vorwort: Der Palästina-Kongress wurde am 12. April von der Berliner Polizei aufgelöst. Dennoch konnten am 14. April die geplanten Beiträge als Live-Stream übertragen und die Resolution-Resolution vorgestellt werden, die vorab mit unterstützenden Organisationen abgesprochen worden war. Wir veröffentlichen das Dokument, das ursprünglich auf https://palaestinakongress.de/ publiziert wurde, und rufen zur Unterzeichnung der Resolution auf. You can sign the resolution here!

Wir klagen an.

Die Palästinenser:innen erleiden einen Völkermord.

Israel vernichtet Gaza und seine Bevölkerung. Mehr als 40‘000 Palästinenser:innen wurden bis Ende März durch das israelische Militär getötet. In Gaza starben seit Oktober 2023 mehr Kinder als in allen weltweiten Konflikten von 2019 bis 2022. Fast alle Bewohner:innen Gazas wurden aus ihren Wohnorten vertrieben. Mehr als eine Million Menschen leiden an schwerem Hunger. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser und Medizin ist unterbrochen. Infrastruktur, Krankenhäuser, Universitäten, Schulen, Verwaltungsgebäude und Wohnblocks wurden zerbombt.

Die Ermordung Zehntausender und die Vertreibung Hunderttausender konstituieren einen Genozid. Die israelische Kriegsführung zielt auf die Zerstörung der palästinensischen Nation und darauf, deren mit der Nakba 1948 begonnene Vertreibung aus Palästina zu vollenden und zur Flucht nach Ägypten oder in andere Länder zu zwingen.

Die Bundesregierung leistet Beihilfe zum Völkermord.

Deutschland ist der zweitwichtigste Waffenlieferant für den Genozid. Seit Oktober 2023 verzehnfachte der Bundessicherheitsrat bestehend aus Olaf Scholz, Wolfgang Schmidt, Annalena Baerbock, Boris Pistorius, Christian Lindner, Nancy Faeser, Marco Buschmann, Robert Habeck und Svenja Schulze, sowie seinen Beisitzern Carsten Breuer, Dörte Dinger, Steffen Hebestreit und Günter Sautter die Waffenlieferungen an Israel.

Deutschland leugnet den Genozid. Nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes, der Anzeichen für genozidale Bestrebungen seitens des israelischen Staates sah, war es Vizekanzler Robert Habeck, der erklärte, dass der Vorwurf des Völkermordes „jeglicher Grundlage entbehre“. Die Mehrheit der privaten und öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender, als auch deutscher Zeitungen beteiligt sich an einer Desinformationskampagne.

Deutschland unterstützt die genozidale Hungerpolitik der israelischen Regierung. Während sich bereits im Januar 2024 die Hungersnot in Gaza ausbreitete, erklärte die Ministerin für Zusammenarbeit Svenja Schulze, die humanitäre Unterstützung Deutschlands an die Palästinenser:innen und die UNRWA einzustellen. Die westliche „Notversorgung“ durch eine Luftbrücke und auf dem Seeweg fungieren letztlich als humanitäre Flankendeckung für den Krieg.

Die Versammlungsfreiheit, die Organisationsfreiheit, die Freiheit von Presse und Wissenschaft werden eingeschränkt, um Proteste für einen Waffenstillstand zum Schweigen zu bringen. Dies geschieht durch Verordnungen der Innenminister. Es geschieht auch mit der Unterstützung regionaler und lokaler Politiker:innen, sowie der bereitwilligen Ausführung deutscher Polizist:innen und Verwaltungsbeamt:innen. Dass viele dieser Verordnungen „legal“ sind, zeigt, wie groß der repressive und antidemokratische Spielraum in Deutschland bereits seit Jahrzehnten ist. Heute werden Gesetze in Bundes- und Landesparlamenten debattiert, die fundamentale demokratische Rechte für jede und jeden dauerhaft und tiefgreifend einschränken werden.

Nie Wieder für alle.

Der Genozid in Gaza stellt daher ähnlich wie der Vietnam Krieg eine Zäsur in Deutschland dar. Die Regierung unterstützt schamlos und vor der Weltöffentlichkeit einen Völkermord. Der Lärm der Bombardements in Palästina wird nur durch das Verharmlosen, ja das vielfach dröhnende Schweigen zu den Kriegsverbrechen übertroffen. Deutsche Politiker:innen bemühen eine zynische Neuinterpretation der Geschichte und rechtfertigen im Namen des „Nie Wieder“ ihre Unterstützung eines Genozids.

Wer mit der Tötung von israelischen Zivilist:innen am 07. Oktober die Zerstörung und Ermordung der gesamten palästinensischen Zivilisation in Gaza rechtfertigt, begräbt auch jeden Anspruch auf Menschlichkeit und Demokratie. Die deutsche Regierung versucht diesen Genozid mit dem Recht auf „Selbstverteidigung“ zu rechtfertigen. Gleichzeitig spricht sie allerdings den Palästinenser:innen, die seit 76 Jahren Entrechtung und Vertreibung erleben, jedwedes Recht ab. Diese werden vielmehr rassistisch diffamiert, Protest wird unter den Generalverdacht des „importierten Antisemitismus“ gestellt. Hinter dieser Hetze und Diffamierung steht ähnlich wie zu Zeiten des Vietnam-Kriegs kalte geo-strategische Berechnung, insbesondere des deutschen und US-amerikanischen Imperialismus. In solchen Berechnungen gelten nicht alle Menschenleben gleichviel. Wir stellen uns gegen diese Entmenschlichung und die hinter ihnen stehenden Interessen.

Widerstand ist gerechtfertigt.

Wir, die Teilnehmer:innen des Palästina Kongresses erklären unseren Widerstand gegen diese aggressive und verbrecherische Politik. Wir verpflichten uns, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die Vollendung des palästinensischen Genozids und damit eines weiteren Genozids unter deutscher Beihilfe zu verhindern.

Wir erklären, die Namen der Verantwortlichen deutschen Entscheidungsträger:innen nie zu vergessen. Ihre Schuld ist nicht reinzuwaschen. Heute klagen wir sie moralisch an. Doch wir werden nie ruhen, bis sie zur Rechenschaft gezogen wurden.

Wir wissen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Waffenlieferungen an Israel und die Kriegstreiberei der Regierung ablehnt. Trotz Lügen, Diffamierung und Hetze wird mehr und mehr Menschen bewusst, dass die Politik der deutschen Regierung zum Völkermord und zur Vertreibung von Millionen Menschen führt. Wir wenden uns an diese Menschen, unsere Kolleg:innen, Nachbar:innen, Mitschüler:innen: Erheben wir uns gemeinsam, damit der Genozid gestoppt wird, damit die Menschen Gazas, die Menschen Palästinas leben können. Durchbrecht gemeinsam mit uns das Schweigen und erhebt diese Forderungen. Schließt euch unserer Bewegung gegen Genozid und Krieg an.

Vereinen wir unsere Kräfte mit den Palästinenerser:innen, die für ihre Freiheit kämpfen und mit der internationalen Bewegung gegen den Genozid. Schließen wir uns Millionen von Menschen an, die weltweit auf die Straße gehen, um ihre Regierungen unter Druck zu setzen. Vereinen wir unsere Kräfte mit den Protesten von Arbeiter:innen in Katalonien, Italien, Belgien und Indien, die sich geweigert haben, an Flughäfen und Häfen Kriegsgeräte zu beladen. Vereinen wir unsere Kräfte mit den Aktivist:innen, die in England Blockaden und Besetzungsaktionen gegen die britische und israelische Rüstungsindustrie organisiert haben.

Unser Kampf für die Lebenden, für die Befreiung und Selbstbestimmung Palästinas!

  • Sofortiger Waffenstillstand, sofortiger Rückzug der israelischen Armee · Vollständige Aufarbeitung aller begangener Kriegsverbrechen.

  • Sofortige Aufhebung jeglicher Beschränkungen humanitärer Hilfe nach Gaza und die volle Ausfinanzierung der UNRWA.

  • Sofortige Öffnung aller Grenzübergänge von Rafah bis Allenby. Reißt die Apartheidsmauern ein.

  • Vollständige Reparationen Israels, Deutschlands und weiterer Verbündeter an das palästinensische Volk.

  • Sofortige Einstellung jeglicher militärischer, diplomatischer und wirtschaftlicher Unterstützung Israels durch den deutschen Staat sowie ein umfassendes Militärembargo.

  • Sofortiger Rückzug der Bundeswehr, der US-Armee und aller NATO-Truppen aus dem Roten Meer und dem Nahen Osten! Nein zu Aufrüstung und Sondervermögen der Bundeswehr für den Krieg!

  • Nein zu der Verwendung der zionistischen IHRA-Definition durch jegliche Institutionen oder staatliche Behörden, nein zur Legitimierung des Genozids im Schulunterricht. Stoppt die Exmatrikulation von Studierenden und Entlassungen von Lohnabhängigen, die sich mit Palästina solidarisieren!

  • Schluss mit der Kriminalisierung und Repressionen der Palästina-Solidaritätsbewegung in Deutschland. Sofortiger Stopp jeder Kriminalisierung palästinensischer Organisationen und Individuen sowie aller Abschiebungen. Öffnung der Grenzen und Aufnahme aller Geflüchteten bei vollem Recht auf Wohnen, Bildung und Arbeit.

  • Durchsetzung des Rückkehrrechts der palästinensischen Geflüchteten sowie Ende des seit über 76 Jahren andauernden zionistischen Siedlerkolonialismus und ethnischer Säuberung des gesamten besetzten Palästinas.

Wir rufen dazu auf, diese Forderungen in Vereinen, Parteigliederungen, Gewerkschaften, Betriebsversammlungen, Studierenden- und Schüler:innenvertretungen, in Kollektiven und Clubs einzubringen, zu diskutieren und zu unterstützen.

Denn die Verantwortung liegt bei uns. Zur Verwirklichung dieser Ziele rufen wir zu einer breiten Kampagne von Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen den israelischen Staat in Deutschland auf. Wir fordern die Offenlegung aller Geschäftsbeziehungen und Verträge deutscher Unternehmen mit Israel!

Wir rufen Gewerkschaften, Beschäftigte und die Bevölkerung dazu auf, Waffenlieferungen aus Deutschland zu stoppen. Wir fordern die Gewerkschaften auf, dem Aufruf ihrer palästinensischen Schwesterorganisationen zu folgen und eine international koordinierte Kampagne gegen das Morden zu organisieren. Jegliche Rechtfertigung und Unterstützung des Genozids in jedweder Form sind durch Streiks, Blockaden, Besetzungen oder zivilen Ungehorsam zu stoppen.

Beteiligt euch an der bundesweiten Aktionswoche vom 15.-22. April anlässlich des Tages der palästinensischen Gefangenen. Heute hält der israelische Staat weit über 10’000 palästinensische Menschen, darunter viele Minderjährige, im Verstoß gegen internationales Recht und Kriegsrecht als Geiseln.

Mobilisiert und organisiert gemeinsam mit uns zentrale Großdemonstrationen am 15. und 18. Mai in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und weiteren Städten. Wir rufen euch auf, die europaweite Nakba-Demonstration am 19. Mai in Brüssel zu unterstützen. Lasst uns anlässlich des 76. Jahrestages der Nakba, der Vertreibung des palästinensischen Volkes aus ihren Heimstätten und Dörfern, bundesweit und international koordiniert ein Zeichen gegen Genozid, Vertreibung und Spaltung setzen.

Denn wir, palästinensische und jüdische, deutsche und internationale Stimmen wissen: Frieden kann es nur auf Basis von Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen, nur wenn die Unterdrückung der Palästinenser:innen voll und ganz beendet ist. Wir kämpfen für ein Ende des zionistischen Siedlerkolonialismus und seiner Apartheidpolitik vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer, einschließlich des Rückkehrrechts aller palästinensischen Geflüchteten.




Nahost: Israel droht mit Ausweitung des Krieges in der Region

Erklärung der Liga für die Fünfte Internationale, 14.4.2024, Infomail 1251, 15. April 2024

Am 13. April feuerte der Iran 300 Drohnen und ballistische Raketen auf Israel ab. Die große Mehrheit wurde von Israels hochentwickelten Luftabwehrsystemen, aber auch mit Hilfe der in der Region stationierten amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte sowie Jordaniens und Saudi-Arabiens abgeschossen.

US-Präsident Joe Biden, der Israels sechsmonatigen Völkermord im Gazastreifen weiterhin unterstützt und verteidigt, beeilte sich natürlich zu sagen: „Ich verurteile diese Angriffe auf das Schärfste“. Er fügte hinzu: „Ich habe gerade mit Premierminister Netanjahu gesprochen, um Amerikas eisernes Engagement für die Sicherheit Israels zu bekräftigen.“

Tatsächlich war der iranische Angriff eine Reaktion auf eine weitaus schädlichere Provokation Israels. Am 1. April feuerten israelische Kampfflugzeuge mehrere Raketen ab, die das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt Damaskus zerstörten und Brigadegeneral Mohammad Reza Zahedi, einen hochrangigen Kommandeur des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), einen weiteren iranischen General und 14 andere Personen töteten.

Militäranalyst:innen zufolge wurden die iranischen Angriffe absichtlich so gewählt, dass sie von der israelischen und verbündeten Luft- und Raketenabwehr leicht entschärft werden konnten. Außerdem handelte es sich bei den Zielen offenbar nicht um Bevölkerungszentren, sondern eher um einige abgelegene militärische Ziele auf den Golanhöhen und in der Wüste Negev. Der gesamte Angriff war höchst symbolisch und sollte der „Abschreckung“ vor weiteren israelischen Attacken dienen. In diesem Sinne erklärte auch der Sprecher der iranischen Mission bei den Vereinten Nationen, dass sie die Angelegenheit in Damaskus mit diesem Vergeltungsschlag als „erledigt“ betrachten.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die israelische Regierung dies auch so sieht. Für sie ist die iranische Regierung in eine Falle getappt, die sie mit der Provokation von Damaskus gestellt hatte. Die Netanjahu-Regierung braucht die „Einmischung“ des regionalen Hauptfeindes, um ihre militärische Stärke zu beweisen und den Gazakrieg zu einem Krieg mit allen Kräften in der Region auszuweiten, die den palästinensischen Widerstand unterstützen könnten. Wie ein israelischer Beamter sagte, ist es jetzt an der Zeit, die Fähigkeit des Irans auszulöschen, eine Bedrohung für Israel darzustellen.

Die Umwandlung des Genozids im Gazastreifen in einen regionalen Krieg, vor dem auch die Vereinigten Staaten seit langem gewarnt haben, ist damit einen großen Schritt vorangekommen. Es ist klar, dass dies eine bewusste Provokation des Kriegskabinetts von Netanjahu ist, die nicht nur auf den Iran abzielt, sondern auch darauf, seine amerikanischen und westeuropäischen Verbündeten direkter zu verwickeln.

Es stellt auch ein Mittel dar, um den Problemen zu entgehen, die durch die Großdemonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem entstanden sind, bei denen sein Rücktritt gefordert wurde. Außerdem wurde er durch die Verurteilung des Massakers der Israelischen Sicherheitskräfte IDF an den Mitarbeiter:innen der World Central Kitchen, die am 1. April Hilfsgüter lieferten, durch die internationalen Medien kurzzeitig in Verlegenheit gebracht. Seine Verbündeten können nun zur Propaganda „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen“ zurückkehren.

Die Gefahr, dass Israel, eine Atommacht mit der modernsten konventionellen Bewaffnung im Nahen Osten, bei einem Angriff auf den Iran, Libanon und Syrien aufs Ganze geht, ist sehr real.

Unterdessen geht der Genozid in Gaza weiter. In den drei Tagen des Eid al-Fitr (das Fest, das normalerweise das Ende des einmonatigen Fastenmonats Ramadan für Muslime markiert; Fest des Fastenbrechens, Zuckerfest) verübten die IDF Massaker an ganzen Familien und töteten über 170 Frauen und Kinder. Zur gleichen Zeit „randalierten“ 72 israelische Siedler:innen unter dem Schutz von IDF-Soldat:innen im besetzten Westjordanland, wie es die BBC nannte. Bei diesen gewalttätigen Ausschreitungen wurden Autos, Häuser und Geschäfte angezündet und ganze Straßenzüge zerstört.

All dies zeigt, dass der zionistische Staat weit davon entfernt ist, eingedämmt oder geschwächt zu werden, und dass er wild entschlossen ist, eine „zweite Nakba“ zu begehen, wie es etliche Minister:innen nennen. Dies könnte die lang erwartete Bodeninvasion in Rafah beinhalten, die Räumung des Gazastreifens von seiner traumatisierten Bevölkerung oder deren Einsperrung in ein noch kleineres Gefangenenlager, und im Westjordanland in die isolierten, überfüllten Stadtgebiete, während faschistische Siedler:innen Dorfbewohner:innen töten und das, was von palästinensischem Ackerland übrig ist, besetzen.

Die weltweite Bewegung gegen den Genozid, die in ihrer Langlebigkeit und Größe bereits beispiellos ist, muss über Proteste hinausgehen. Sie muss unwiderstehlichen Druck auf die Regierungen der westlichen imperialistischen Länder sowie der Monarchien und Militärdiktaturen des Nahen Ostens ausüben, um alle Waffenlieferungen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel zu unterbinden. Direkte Massenaktionen müssen durchgeführt werden, um die falschen Behauptungen zurückzuweisen, dass Antizionismus Antisemitismus sei, eine Tatsache, die durch die wachsende Zahl fortschrittlicher jüdischer Menschen, die Israels Handlungen verurteilen, immer deutlicher wird.

Für die Regierungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer westlicher Länder ist eines klar: Sie stehen fest hinter dem israelischen Staat. Das macht eine Eskalation des Krieges und einen massiven Angriff auf den Iran, Syrien oder den Libanon zu einer realen Gefahr.

  • Wir stellen uns klar gegen solche zionistischen Offensiven! Wir stellen uns entschieden gegen jede imperialistische Intervention!

  • Für den sofortigen Abzug aller US- und anderer imperialistischer Truppen aus dem Nahen Osten! Wir sind für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen!

  • Stoppt die Waffenlieferungen und die finanzielle Unterstützung für Israel! Stoppt alle militärischen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem zionistischen Staat!

  • Beendet den Völkermord! Waffenstillstand jetzt! Abzug der israelischen Truppen! Beendigung der Blockade! Öffnung der Grenzübergänge!

  • Für das Recht auf Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge! Für ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina!



Frühlingsbeginn in Jordanien?

Jona Everdeen, Infomail 1250, 6. April 2024

Die meisten von uns freuen sich vermutlich gerade sehr, dass der Frühling wieder kommt und Sonnenschein und wärmere Temperaturen mit sich bringt. Doch kann es sein, dass die Freude bald noch viel größer ausfällt, wenn auch der Arabische Frühling zurückkehrt und revolutionäre Erhebungen und internationale Solidarität mit sich bringt? Die Massenproteste, die gerade in Jordanien gegen die de facto Unterstützung Israels durch die Haschimitenmonarchie stattfinden, könnten zumindest zum Auslöser eines solches Prozesses werden.

Die Lage in Jordanien

Während die Lage im Land zwischen Jordan und Mittelmeer, in Palästina, noch immer in vielen Medien Thema ist und sich auch in den westlichen Metropolen zahlreiche Menschen mit den Palästinenser:innen solidarisieren, die noch immer unter Israels genozidalem Krieg leiden, erfährt man kaum etwas über das Land östlich des Jordans. Dabei könnten die aktuellen Ereignisse in Jordanien für die Lage in Palästina und der ganzen Region eine große Bedeutung gewinnen.

Seit etwas mehr als einer Woche demonstrieren in unmittelbarer Nähe zur israelischen Botschaft, einer von wenigen überhaupt in einem arabischen Land, täglich zigtausende Jordanier:innen in Amman, der Hauptstadt des Landes. Ihre Forderungen: die Schließung der Botschaft und das Ende der Kooperation der herrschenden Regierung um den Haschimitenkönig Abdullah II. bin al-Hussein mit Israel. Konkret fordern sie auch die Aufhebung des Friedensvertrags zwischen Israel und Jordanien, der 1994 geschlossen wurde und die Beziehungen normalisierte.

Diese Proteste sind nicht die ersten im von König Abdullah II. bonapartistisch regierten Jordanien, so war dieses bereits ein Nebenschauplatz des (ersten) Arabischen Frühlings. Massive Proteste zwangen den König, einige Reformen zuzugestehen, was damals die Lage beruhigen konnte. Im vergangenen Jahr gab es jedoch erneut große Proteste in Jordanien, die sich, wie bereits die des Arabischen Frühlings, gegen die Folgen der Krise richteten, die die Jordanier:innen hart trafen.

Wie in fast allen arabischen Ländern gab es auch hier in den ersten Wochen des Krieges riesige Solidaritätsdemonstrationen mit den Menschen in Gaza. Allerdings litten auch diese unter demselben Problem wie in anderen Ländern, indem sie sich zu großen Teilen nicht gegen die eigenen Regierungen richteten, die, mal mehr, mal weniger versteckt, mit Israel und dessen Verbündeten kooperieren.

Heute sieht das anders aus. Doch nicht nur richten sich die Demonstrationen jetzt in Amman gegen die Politik der Regierung, auch scheinen sie gut organisiert zu sein. So bilden gezielt Ärzt:innen und Anwält:innen die ersten Reihen in der Hoffnung, die Demos so vor Gewalt durch Repressionskräfte zu schützen. Diese antworten nämlich mit Härte. In den letzten Tagen kam es zu zahlreichen Verhaftungen von Demonstrierenden. Doch gelang es auch immer wieder, die Polizei zurückzudrängen. Auch sieht es nicht so aus, als würden sich die Proteste schnell beruhigen, sondern eher, als hätte die Bewegung gerade erst begonnen. Doch wer sind überhaupt die Haschimiten, die in Jordanien die Politik bestimmen? Und in welchem Verhältnis stehen sie zu Israel und der Besetzung und Unterdrückung Palästinas?

Die Haschimiten, Palästina und Israel

Jordanien und Palästina teilen sich nicht nur einen Fluss, sondern auch eine lange, gemeinsame Geschichte. Die Haschimiten spielten in dieser jedoch nie eine rühmliche Rolle. So erlangten sie die Macht über das Gebiet Transjordanien, nachdem sie eine zentrale Rolle in der arabischen Revolte gegen das Osmanische Reich gespielt hatten, welche Britannien nutzen konnte, um die mit Deutschland verbündete Regionalmacht im Ersten Weltkrieg zu besiegen. Anders jedoch als versprochen, wurde das „befreite“ arabische Gebiet nicht unabhängig, sondern in ein französisches und ein britisches Mandatsgebiet aufgeteilt, letztendlich nur ein anderes Wort für Kolonie. So wurde auch Jordanien nicht unabhängig, sondern lediglich zu einem Emirat der Haschimiten, die die Oberhoheit Britanniens anerkannten. Nach der Unabhängigkeit 1946 als Königreich intervenierte Jordanien zwar in den Krieg gegen das neu gegründete Israel, das gerade die Nakba begonnen hatte, allerdings eher aus Machtinteresse denn aus internationaler Solidarität. So verleibten sich die Haschimiten nach dem Krieg, unter Verurteilung anderer arabischer Staaten, die Westbank als eigenes Territorium ein. Im Angriffskrieg Israels gegen seine Nachbarn (Sechstagekrieg) im Jahr 1967 verlor Jordanien zwar die Westbank, seine verräterische Rolle jedoch nicht. In das Land waren nach Beginn der Nakba und im Zuge des Sechstagekriegs hunderttausende Palästinenser:innen geflohen, die einen signifikanten Teil der Bevölkerung stellten. So wurde Jordanien zum Schwerpunkt der PLO, die von hier aus den palästinensischen Befreiungskampf zu organisieren versuchte. Der Haschimitenkönig Hussein I. sah in der nationalistischen PLO eine Gefahr für seine Macht und führte einen brutalen Bürgerkrieg gegen die Palästinenser:innen (Schwarzer September 1970). 1994 dann unterzeichnete Jordanien mit Israel einen Friedensvertrag, der die Beziehungen der beiden Länder normalisierte und die israelische Herrschaft über Palästina anerkannte. Jordanien wurde zum engsten Verbündeten Israels in der Region. Das Haschimitenkönigshaus pflegt ebenfalls enge Beziehungen mit den USA. So unterhält der US- Imperialismus wichtige Militärbasen in Jordanien, die für seine Kontrolle über den Nahen Osten zentral sind.

Doch während das bonapartistische Haschimitenregime, aus Gründen seines Machterhalts, mit den Feind:innen der arabischen Völker klüngelt, sind die jordanischen Menschen mit Palästina solidarisch, nicht zuletzt auch deshalb, weil so viele wie in keinem anderen Land selber ihre Wurzeln in Palästina haben, ihre Großeltern während der Nakba vertrieben wurden und ihre Familienangehörigen heute in Gaza bombardiert oder in der Westbank von Siedler:innen angegriffen werden.

Die Haschimiten haben bisher alles getan zu verhindern, dass die Menschen östlich des Jordans ihre Geschwister westlich des Flusses in ihrem Befreiungskampf unterstützen, haben sich aktiv mit deren Unterdrücker:innen zusammengetan, um ihre Macht zu erhalten und auszubauen. Jetzt ist es an der Zeit, die Macht dieses korrupten Clans endlich zu brechen!

Nur der Frühling kann den Winter beenden

Wenn die Proteste in Jordanien siegen, die mit westlichem Imperialismus und Zionismus kooperierende Bourgeoisie absetzen wollen, muss die Bewegung Organisationen der Gegenmacht aufbauen, sich anders als die Massenproteste des Arabischen Frühlings in den Betrieben und Stadtteilen, an den Schulen, Universitäten organisieren. Die in Jordanien durchaus relevante Gewerkschaftsbewegung kann hier die entscheidende Rolle spielen, denn nur eine massive Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse ist in der Lage, einen dauerhaften Sieg des Volkes gegen seine Unterdrücker:innen zu erringen! Dabei könnte diese Bewegung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: endlich zu einer Politik der internationalen Solidarität und Unterstützung der Palästinenser:innen aus Jordanien führen und auch die Folgen der kapitalistischen Krise für die Bevölkerung reduzieren und deren Lebensbedingungen mittels einer gezielten Planung der wirtschaftlichen Produktion verbessern. Dabei spielen die Gewerkschaften zwar ein wichtige Rolle, aber im Kampf ist es vor allem Zentral, eine politische Kraft, eine Revolutionäre Arbeiter:innenpartei aufzubauen, die den Kampf gegen die Dynastie mit dem Kampf für eine sozialistische Revolution verbindet.

Doch kann dies nicht isoliert geschehen, eine kleine jordanische Arbeiter:innenrepublik wäre kaum lebensfähig, sondern nur als Teil einer erneuten revolutionären Massenbewegung im Nahen Osten und darüber hinaus – letztlich in einer Föderation sozialistischer Staaten des Nahen Ostens.

Während Jordanien vielleicht das extremste Beispiel für Kooperation eines arabischen Landes mit Israel verkörpert, ist es nicht das einzige. Auch Ägypten hat seine Beziehungen mit Israel im späten 20. Jahrhundert normalisiert und trägt die Unterdrückung der Palästinenser:innen faktisch mit. Doch auch Regierungen, die Solidarität mit Palästina vorgeben, tun dies in der Regel nur, um ihre Bevölkerung ruhigzustellen. Von praktischer Solidarität sieht man wenig. De facto haben sich alle Staaten des Nahen Ostens mit der Existenz des israelischen Staates in seiner derzeitigen Form abgefunden, das heißt mit Apartheid und Besatzung, und akzeptieren auch den genozidalen Krieg in Gaza größtenteils, bei lediglich symbolischer Verurteilung. Schließlich will man es sich ja auch nicht mit Israels westlichen Verbündeten verderben. Denn die bonapartistischen Regierungen der Region sind vom Wohlvollen imperialistischer Mächte abhängig, deren Vormachtstellung sie stützen, und von denen sie, im Gegenzug für die Durchsetzung der Ausbeutung der eigenen proletarischen Massen und die Plünderung ihrer Ressourcen durch internationale Konzerne, eine Teil der Beute erhalten.

Für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens!

Diese Unterdrückung beenden können die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Nahen Osten, auf der arabischen Halbinsel und in Nordafrika sowie in jeder Region der Welt nur, indem sie ihre eigenen Regierungen stürzen und Regierungen der Arbeiter:innen und Kleinbäuer:innen errichten, die in Räten die Kontrolle über Politik und Wirtschaft übernehmen. Um gegen Imperialismus und von diesem unterstützte Konterrevolution gewappnet zu sein, müssen sich diese zu einer sozialistischen Förderation zusammenschließen und gemeinsame Wirtschaftsplanung und Verteidigung in Form von Arbeiter:innen- und Bäuer:innenmilizen etablieren. So kann ein zweiter Arabischer Frühling die Macht des Imperialismus in der Region brechen und zur Inspiration für Unterdrückte auf der ganzen Welt werden. Die derzeitigen Massenproteste in Jordanien haben zumindest das Potential, eine solche Dynamik anzustoßen.




Kommunalwahlen  in der Türkei – Erdoğan wird abgestraft

Dilara Lorin, Infomail 1250, 5. April 2024

Die Kommunalwahlen in der Türkei vom 31. März endeten mit einem Sieg der CHP als stärkste Kraft, während die AKP eine Niederlage hinnehmen musste. Von insgesamt 81 Bürgermeisterämtern errangen die CHP 31 und die AKP 24. Die CHP gewann auch in den fünf größten Städten des Landes, darunter Istanbul, Ankara und Izmir. Nach Wahlerfolgen in diesen Städten äußerte Erdoğan einst: „Wer Istanbul und Ankara gewinnt, hat das Land in der Hand.“ Heute, einige Kommunalwahlperioden später, hat sich die Situation jedoch geändert und der „Große Mann am Bosporus“ hat an Macht verloren. Dabei kommt der Erfolg der CHP für viele Menschen unerwartet.

Nur wenige Monate, nachdem Erdoğan am 28. Mai zum Präsidenten des Landes gewählt wurde, scheint seine Popularität zu schwanken und das Volk scheint ihn und die aktuelle Politik abzustrafen. Insbesondere der wiederholte Erfolg von Ekrem İmamoğlu (CHP) in Istanbul, mit einem größeren prozentualen Abstand als davor, hat die Unbesiegbarkeit der AKP erschüttert.

Unmut in der Bevölkerung

Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten Jahren kaum erholt. Die Coronapandemie, das Erdbeben vom 6. Februar im letzten Jahr, die globale Wirtschaftskrise und der Einbruch der Baubranche in der Türkei sowie die fatale Wirtschaftspolitik und Instabilität Erdoğans haben dazu beigetragen. Im Februar belief sich die Inflationsrate auf 67 %. Grundnahrungsmittel sind für einen Großteil der Arbeiter:innen kaum noch erschwinglich.

Die anhaltend schlechte Wirtschaftslage in der Türkei trifft insbesondere die Mittelschicht und führt zu einer verstärkten Prekarisierung von Arbeiter:innen und Arbeitslosen. Während des Wahlkampfes spricht Erdoğan in seinen Reden von einer starken Wirtschaft und einer positiven Zukunftsaussicht. Allerdings wird bei genauerer Betrachtung der Zahlen eine Tendenz immer deutlicher: Die Armut nimmt mit jedem Monat zu. Der aktuelle Mindestlohn von 17.000 TL (487 Euro) liegt bereits unter der Armutsgrenze von 20.098 TL für eine vierköpfige Familie. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein/e Alleinverdiener:in aufgrund der seit fünf Jahren steigenden Kosten für Nahrungsmittel nicht mehr in der Lage ist, eine Familie zu ernähren.

Der Anteil der Menschen, die unter der Hungers- und Armutsschwelle leben müssen, ist im März, im Monat der Kommunalwahlen, um 5,9 % bzw. 11 % angestiegen. Dabei stellt die Hungerschwelle die Minimumausgaben für Lebensmittel einer vierköpfigen Familie dar, wenn diese sich ausgewogen ernähren soll; die Armutsschwelle ist eine Kennzahl, welche die Minimalausgaben einer vierköpfigen Familie beschreibt. Diese alarmierende Nachricht wurde im März von der Konföderation der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes Birlesik Kamu-is Konfederasyonu veröffentlicht. Eine wichtige Wählerbasis für Erdoğan und die AKP waren unter anderem auch Rentner:innen, deren Lage sich ebenfalls verschlechtert hat. Laut der Gewerkschaft DISK liegt die Durchschnittsrente bei einem Sechstel im Vergleich zu den Renten in den zentraleuropäischen Ländern. Im Vergleich zum Mindestlohn war die Rente in der Türkei im Jahr 2002 noch um 22 % höher. Im Jahr 2023 lag sie jedoch etwa 26 % darunter.

Aber auch die Konkurrenz von rechtskonservativer Seite führte zur Niederlage der AKP. Die Yeniden Refah Partisi (Neue Wohlfahrtspartei), die in der Vergangenheit vor allem den religiösen Teil der Bevölkerung, der sich aufgrund der wirtschaftlichen Misere zunehmend von der AKP abwandte, für sich gewinnen konnte, erhielt 6 % der Stimmen und gewann die Wahlen in den Städten Yozgat und Sanliurfa. Dabei war die Yeniden Refah Partisi bei den Präsidentschaftswahlen noch Teil von Erdoğans „Volksallianz“, entschied sich bei diesen Wahlen jedoch, eigene Kandidat:innen aufzustellen, nachdem in Gesprächen mit der AKP anscheinend keine Kompromisse gefunden wurden. Auch Kandidat:innen, die aus der AKP ausgetreten sind oder auf deren Listen keinen Platz erhalten haben, lassen sich auf denen der YRP wiederfinden. Somit ist es nicht verwunderlich, dass enttäuschte Wähler:innen der AKP zur YRP übergehen, wenn sie nicht die CHP wählen. Dabei ist es auch die YRP gewesen, die unter anderem im Parlament die AKP und ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel anprangerte und dadurch auch viele Stimmen gewann, die sich aus islamischer Hinsicht mit dem palästinensischen Volk solidarisieren.

DEM – ein Jubelschrei der Kurd:innen wird laut

Die DEM-Partei (Die Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie), welche vor Dezember 2023 noch HEDEP (Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker), davor HDP (Demokratische Partei der Völker) hieß, gewann vor allem in den kurdischen Provinzen. Dabei konnten in 10 Bezirken Bürgermeisterämter geholt werden, wobei sie dadurch zur viertstärksten Kraft des Landes wurde. In über 65 Landkreisen, Bezirken und Gemeinden konnte sich DEM als die stärkste Kraft etablieren. Eine große Freude breitete sich vor allem in den kurdischen Gebieten über den Sieg aus, der trotz erzwungener Umbenennung der Partei, starker Repressionen, Haftstrafen, Einschüchterungen und Verbotsverfahren zu einer Stärkung und Ausweitung der Stimmen für sie geführt hat.

In Manisa, Mersin und Izmir sowie in vielen Bezirken Istanbuls und anderen Orten hat die DEM-Partei keine Kandidat:innen aufgestellt, nachdem Gespräche mit der CHP bezüglich der Wahl geführt wurden. Diese Orte sind vor allem diejenigen, in denen die CHP stärker vertreten ist. Die Politik der „kleinen Helferin“ ist für die DEM-Partei fatal, da sie der CHP in diesen Gebieten ihre Wähler:innenschaft überlässt. Es war schließlich auch die CHP, die die AKP bei der Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten unterstützte, um viele von ihnen, einschließlich des Co-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas, ins Gefängnis zu brachte.

Ein Wolf im Schafspelz: CHP

Die Liste der Unterstützung der Unterdrückung des kurdischen Volkes seitens der CHP ist lang und geht weit in die Geschichte der Türkei zurück. Aufgrund ihrer nationalistischen und bürgerlichen Ausrichtung kann diese Partei keineswegs als progressiv eingestuft werden.

Obwohl es verständlich ist, dass viele Menschen und Arbeiter:innen in der Nacht vom 31.03. auf den 01.04.2024 auf den Straßen waren und die Niederlage der AKP gefeiert haben, so sollte der Sieg der CHP für linke und revolutionäre Kräfte kein Grund zur Freude sein. Die CHP ist bereits bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 durch rassistische und hetzerische Kommentare und Forderungen gegenüber geflüchteten Menschen und Asylbewerber:innen aufgefallen, wobei sie Erdoğan mit der Forderung nach sofortiger Ausweisung von drei Millionen Menschen sogar rechts zu überholen versucht hat.

Im Wahlprogramm für die Kommunalwahlen 2024 wird unter anderem festgehalten, dass Maßnahmen zur Förderung der Rückkehr von Geflüchteten und Asylbewerber:innen in enger Zusammenarbeit mit „zuverlässigen“ NGOs vorangetrieben werden sollen. Die Stimmungsmache zeigt Folgen: Täglich werden Geflüchtete auf der Straße angegriffen, und diese Taten enden tragischerweise oft in Mord. Die indirekte Wahlunterstützung in einigen Orten, welche die DEM-Partei als linke Opposition der CHP geleistet hat, indem sie keine eigenen Kandidat:innen aufstellen ließ, ist zu kritisieren und zeigt selbst den kleinbürgerlichen Charakter der Politik der DEM.

Aktuelle Erhebungen in Wan und anderen Städten – ein erster Erfolg

Im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2019, bei denen die HDP 65 Kommunen gewinnen konnte, konnte sich die DEM behaupten. Nach den Erfolgen vor 5 Jahren wurden jedoch in 48 Kommunen die Bürgermeister:innen von der Regierung abgesetzt und durch AKP-nahe Verwalter:innen ersetzt und dadurch staatlich zwangsverwaltet.

Auch in diesem Jahr wurde der Erfolg der DEM-Partei in den kurdischen Provinzen schon am 2. April seitens der Regierung in Frage gestellt. Schon während der Wahl wurden Wahlbetrug und Wahlfälschung angewandt. Dabei berichtete die DEM noch am selben Tag, dass bis zu 46.000 Staatbedienstete – darunter vor allem Polizist:innen und Soldat:innen – in den kurdischen Gebieten ihre Stimme abgegeben hatten, obwohl diese nicht aus diesen Orten stammen, sondern dahin transferiert wurden, um die Stimmabgabe zu Gunsten der Regierung zu beeinflussen.

Am Morgen des 2. April folgte dann der erste Schlag der Regierung gegen die DEM. In Wan (türkisch: Van) wurde nicht dem gewählten DEM-Politiker Abdullah Zeydan (55 %), sondern dem AKP-Kandidaten Abdulahat Arvas, welcher lediglich 25 % der Stimmen für sich gewinnen konnte, die Ernennungsurkunde überreicht. Zeydan wurden auf Anordnung der türkischen Regierung die Bürgerrechte entzogen, die er erst im vergangenen Jahr wiedererlangt hatte, nachdem er 2016 als HDP-Abgeordneter verhaftet worden war und fünf Jahre im Gefängnis verbracht hatte. Wan ist die Provinz, in der die DEM in allen Bezirken die Mehrheit errungen hat, was noch deutlicher macht, dass seit diesem bürokratischen und undemokratischen Akt der AKP die Menschen auf die Straße gehen, um dagegen zu protestieren.

Die DEM-Partei rief richtigerweise kurzerhand zu Protesten auf und erklärte in ihrer Pressemitteilung, dass Respekt vor den Wähler:innen eingefordert werden soll. Der Co-Vorsitzende der DEM-Partei erklärte in einer Ansprache in Wan: „Wan ist das Herz Kurdistans und die Menschen in Wan haben zu Newroz, bei den Wahlen und heute hier auf diesem Platz deutlich gemacht, dass die Forderung der Kurdinnen und Kurden nach Freiheit und Demokratie nicht mit Gewalt und Zwangsverwaltung unterdrückt werden kann. Seit zwei Wahlperioden werden unsere Rathäuser von Treuhänder:innen zwangsverwaltet und jetzt soll ein weiteres Mal der Willen der Bevölkerung mit einem politischen und juristischen Komplott ausgeschaltet werden. Das werden wir nicht zulassen. Dieser Putsch wird keinen Erfolg haben, wenn wir trotz Repression, Knüppeln und Tränengas weiter zusammenhalten. Wir werden die von uns gewonnenen 14 Rathäuser in der Provinz Wan verteidigen.“ Am selben Tag fand eine Sondersitzung des Vorstands der Partei statt, welcher auch der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu beiwohnte. Straßenbarrikaden wurden errichtet und Tausende Menschen folgten diesem Aufruf. Die Geschäfte in Wan blieben größtenteils geschlossen. Der Staat reagiert mit massiver Gewalt und Repression und stürmt das Parteigebäude der DEM. Doch der Protest weitete sich rasch aus: Weitere Städte, darunter Colemêrg (türkisch: Hakkari), Gever (Yüksekova) und Amed (Diyarbakir) schlossen sich dem Ausstand an.

Die Ausweitung der Proteste und der Druck, den sie auf die Regierung ausübten, hatten Erfolg: Noch am Mittwoch, dem 3. April, entschied der Hohe Wahlausschuss, welche zuvor den Kandidaten der AKP zugelassen hatte, über den Einspruch der Partei DEM und beschloss, den Wahlsieger Zeydan anzuerkennen.

Ein Funke ist entfacht

Die Proteste zeigen, dass sich das kurdische Volk seiner Stärke in diesem Land bewusst ist. Sie zeigen aber auch die Schwäche der AKP und ihren mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung. Denn als die Regierung 2016 nach den Kommunalwahlen in den mehrheitlich kurdischen Kommunen die Bürgermeister:innen absetzte und durch eigene Kandidat:innen zwangsverwalten ließ, brachen ebenfalls starke Proteste aus, die jedoch blutig niedergeschlagen wurden. Über die Städte des stärksten Widerstandes wurden Ausgangssperren verhängt, Journalist:innen der Zutritt verweigert und mehr als 200 Menschen ermordet. Der Versuch, den gewählten Bürgermeister der DEM in Wan abzusetzen, ist daher ein Versuch der Demonstration der Unterdrückung und Repressionsmaschinerie. Dass dies innerhalb eines Tages wieder zurückgenommen wurde, zeigt aber auch die Angst vor einer Ausweitung der Proteste und davor, dass der Funke des Aufbegehrens weitere Gebiete erfassen und sich auch über ganz Kurdistan ausbreiten könnte. Dabei sollten die Proteste nicht stehenbleiben, denn die nächsten Wahlen sind erst in 4 Jahren. In der Zwischenzeit kann der Staat trotzdem seine repressiven und unterdrückerischen Handlungen ausüben. Denn eines muss klar sein: kein Vertrauen in staatliche Strukturen!

Die DEM-Partei kann dabei eine tragende Rolle einnehmen und hat als Massenpartei auch die Aufgabe, die aktuellen Proteste auszuweiten. Aufgabe von reformistischen, aber auch radikalen kleinbürgerlichen Parteien ist es dabei nicht, lediglich in Parlamenten und anderen Gremien Sitzplätze zu gewinnen, sondern den Raum der Wahl zu nutzen, um Bewegungen und Forderungen publik zu machen. Sie muss Vorreiterin der aktuellen Proteste sein und diese weiter über das ganze Land ausweiten.

Dabei muss sie aber vor allem versuchen, die Unterstützung der türkischen, progressiven Teile der Arbeiter:innenklasse wieder für sich zu gewinnen, denn die Unterstützung der kurdischen Bevölkerung hat in den letzten Wahlen stagniert. Gegen die Krisen, die Armut und Unterdrückung müssen Gewerkschaften unter Druck gesetzt werden, um landesweit für ein Sofortprogramm gegen die Preissteigerungen, für einen Mindestlohn und Mindestrenten, die die Lebenshaltung decken, und für eine automatische Anpassung dieser an die Inflation zu kämpfen. Dies muss von Ausschüssen der Gewerkschaften und Lohnabhängigen kontrolliert werden.

Um dieses Ziel umzusetzen, sind politische Massenstreiks (bis hin zum Generalstreik) sowie massive Demonstrationen notwendig, die von lokalen Aktionskomitees organisiert und kontrolliert werden. Gegen die Repression und Provokationen durch Staat und Rechte müssen Selbstverteidigungsorgane gebildet werden.

Es kann letztendlich nur eine starke Bewegung der Unterdrückten und Arbeiter:innen gegen die zukünftigen  Komplotte der Regierung, die Wirtschaftskrise, Unterdrückung und Armut vorgehen. Um solch eine Bewegung aufzubauen, welche auch in den wirtschaftlich stärkeren Städten im Westen des Landes die Arbeiter:innen und Unterdrückten für sich gewinnt, müssen die DEM und andere linke Parteien und Organisationen anfangen, vermehrt Basisstrukturen in den Städten, an Unis und in Betrieben aufzubauen. Auch die Basis der CHP muss angesprochen werden, um die Politik der Partei zu entlarven, welche mittels Rassismus versucht, die Bevölkerung zu spalten, und deren nationalistische Ausrichtung keine Lösungen bieten kann. Vor allem aber müssen die Gewerkschaften in den Kampf gezogen werden – ihnen kommt eine Schlüsselrolle bei einer wirklichen Konfrontation mit der Regierung zu.

Es braucht außerdem Selbstverteidigungseinheiten der Unterdrückten- und Arbeiter:innen, die die Parteigebäude, Rathäuser etc., die von der DEM gewonnen wurden, gegen Repression verteidigen. Die Türkei sitzt schon lange auf einem absteigenden Ast und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung den Druck von Armut, Hunger und Rassismus nicht mehr aushalten kann. Aufflammende Bewegungen gegen die Regierung dürfen aber keine Hoffnung in die CHP vorheucheln und müssen die Unterdrückten des Landes mit den Arbeiter:innen vereinen. Dies kann letztlich nur eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei auf Grundlage eines revolutionären Programms vorantreiben.




Entstehung und Charakter des Staates Israel

Teil 4 des Podcasts zum Thema Antisemitismus und wie er bekämpft werden kann

Lage der Klasse, Folge 7, Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1249, 23. März 2024

Herzlich willkommen zur Lage der Klasse, dem Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht zu marxistischer Theorie und revolutionärer Praxis. Heute mit Lina und Katjuscha und der Frage: „Wie ist der israelische Staat entstanden und wie lässt er sich charakterisieren?“

Schon in unserer vergangenen Folge haben wir uns mit dem Zionismus und somit auch mit Israel befasst. Bevor wir uns in der kommenden Folge unserem Aktionsprogramm für den palästinensischen Befreiungskampf zuwenden, möchten wir heute noch mal genauer auf die Entstehungsgeschichte und den Charakter des Staates Israel eingehen.

Die Entstehung Israels lässt sich einordnen in die Periode der sogenannten „Dekolonialisierung“ nach dem Zweiten Weltkrieg – also der Ablösung der direkten Kolonialherrschaft durch indirekte postkoloniale Systeme, in welchen imperialistische Mächte noch immer durch politische und wirtschaftliche Mittel die halbkoloniale Welt in ihrer Knechtschaft halten. In unserer Folge zur Geschichte des Antijudaismus und Antisemitismus haben wir dabei eine historische Skizze zu den Auseinandersetzungen zwischen dem Assimilationsansatz, der marxistischen und der zionistischen Perspektive zum Kampf gegen die Unterdrückung von Jüdinnen und Juden präsentiert, die vor allem das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert prägten.

Existenzrecht des jüdischen Volkes

Ohne selbst eine imperialistische Macht darzustellen, fungiert Israel seit seiner Gründung im Mai 1948 als kapitalistisch organisierter Staat in dieser Entwicklung als willkommener „engster Verbündeter“ für westliche Imperialismen, um durch ihn Kontrolle über den Nahen Osten auszuüben und sich den Zugang zu wertvollen Rohstoffen zu sichern.  In diesem Sinne lässt sich Israel in seiner Entstehung als „letzte Siedler:innenkolonie des Westens“ bezeichnen, welche ohne die massive militärische und wirtschaftliche Unterstützung, insbesondere der USA, nicht überlebensfähig wäre. Der enorme Kapitalimport erlaubte in den 1950er und 1960er Jahren satte Gewinne, ohne zugleich wesentliche Teile der israelischen Arbeiter:innenklasse in die Überausbeutung zu drängen oder in besonderem Maße besteuern zu müssen, wie es in Halbkolonien meist der Fall ist. Viel eher stieg der Lebensstandard der jüdischen Bevölkerung parallel zur Akkumulation. Nichtsdestoweniger ist Israel kein imperialistischer Staat. Dafür ist er nicht einerseits ökonomisch zu schwach und andererseits kein unabhängiger Akteur, der der Welt seinen Stempel aufdrücken kann. Außerhalb des arabischen Raums spielt er im Weltgeschehen allenfalls eine Nebenrolle. Er ist vielmehr selbst eine besondere Halbkolonie insbesondere der USA und in gewissem Maß der EU geworden, der aus sich heraus einen fortgesetzten Neokolonialismus betreibt, ein besonderer imperialistischer Statthalter oder auch Brückenkopf. Über die vergangenen Jahrzehnte gibt es kein Land auf dieser Welt, das so umfassende Militärhilfe von den USA erhalten hat. Auch Deutschland hat beispielsweise seit dem 7. Oktober seine Waffenlieferungen an Israel verzehnfacht.

Die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina sowie immer wiederkehrende Unruhen in der Region, die selbst ein Ergebnis der neokolonialen Abhängigkeit, Unterdrückung und imperialistischer Kriege sind, liefern der ständigen Präsenz der USA in der Region dabei den Vorwand.

Eine weitere Voraussetzung für die Entstehung des israelischen Staates war, wie wir bereits in unserer vergangenen Folge thematisiert haben, der Höhepunkt der antisemitischen Verfolgung welcher in die Schoa mündete. Ohne diesen tragischen Massenmord hätte der zionistische Ansatz, als scheinbare Alternativlosigkeit, niemals einen so großen Zuspruch unter Juden und Jüdinnen erreichen können. Jedoch, und das stellten wir in unserer ersten Folge heraus, eine Perspektive, die den Antisemitismus als überhistorisch gegeben akzeptiert und damit die Unterdrückung anderer rechtfertigt. Seit mehr als 70 Jahren hat sich auf dem Gebiet Palästinas eine israelische Nation herausgebildet, die ein uneingeschränktes Existenzrecht auf eben dieses beansprucht. Dieses Existenzrecht muss der dort lebenden jüdischen Bevölkerung uneingeschränkt zugestanden werden. Alles andere wäre äußerst reaktionär und entspräche auch nicht der Vorstellung, die wir von einer sozialistischen und säkularen Ein-Staaten-Lösung haben. Die Anerkennung der Existenz einer jüdischen Nation auf dem Territorium des historischen Palästina darf aber nicht verwechselt werden mit der Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel, welchen wir als rassistisches Projekt ablehnen. Dafür führen wir die kurze Definition des Verhältnisses von Nation und Staat aus der ersten Folge unserer Podcastreihe zum Antisemitismus an:

Eine Nation ist das Ergebnis der bürgerlichen Epoche, also verbunden mit dem Aufstieg und Niedergang des Kapitalismus. Sie ist eine Gemeinschaft von Klassen, dominiert durch eine privilegierte oder ausbeutende Klasse. Diese Gemeinschaft hat eine vereinheitlichende territoriale und wirtschaftliche Grundlage, zumeist eine gemeinsame Sprache und Kultur sowie eine gemeinsame Geschichte, ob nun wirklich oder mythisch. Auf diesem Fundament hat sich ein gemeinsames Selbstbewusstsein oder ein Nationalcharakter herausgebildet mit der politischen Konsequenz, dass die Nation eine eigene Staatsform anstrebt oder schon errichtet hat: den Nationalstaat.

Nakba und Besatzungsregime

Nach wie vor sind es aber wesentliche Elemente, die Israel als zionistisches Projekt und unterdrückerisches Kolonialregime ausmachen und starke Tendenzen bis hin zum Völkermord an den Palästinenser:innen in sich tragen. Eines dieser Elemente ist das israelische Besatzungsregime, welches auf Grundlage der ethnischen Säuberung und der Vertreibung von 750.000 Palästinenser:innen errichtet wurde. Dies geschah entgegen der ursprünglich im UNO-Teilungsplan vorgesehenen gemeinsamen Verwaltung. Die arabische Bevölkerung hatte lediglich die Wahl, sich zu unterwerfen oder zu fliehen. Von ihr wird diese historische Tragödie als Nakba bezeichnet, was das arabische Wort für Katastrophe ist – ein Krieg von 1947 bis 1949. In der Nakba wurden 1948 78 % Palästinas erobert. Durch zionistische Milizen und die Armee wurden mindestens 750.000 Palästinenser:innen vertrieben, viele weitere flohen. Die Anzahl der arabischen Bevölkerung im von Israel beanspruchten Gebiet verringerte sich von etwa 1.324.000 1947 auf etwa 156.000 ein Jahr später. Der größte Teil der Menschen mit palästinensischer Herkunft lebt heute außerhalb der Gebiete Palästinas. So wird beispielsweise vermutet, dass etwa 60 bis 70 % der Jordanier:innen (insgesamt 4,5 Millionen) aus Palästina kommen oder palästinensische Vorfahren haben. Das UNRWA geht heute von etwa 5 Millionen palästinensischen Geflüchteten aus. Rund 1,5 Millionen von ihnen leben in den 58 Camps im Westjordanland, Gaza, aber auch Jordanien, Syrien und dem Libanon.

Bis heute ist es den palästinensischen Bürger:innen Israels verboten, der Nakba zu gedenken. Der Schrecken endete damals jedoch noch lange nicht: Im 6-Tage-Krieg 1967 schloss Israel die Besetzung aller verbliebenen palästinensischen Gebiete ab, indem die IDF das gesamte Westjordanland und Gaza einnahm und weitere 300.000 Menschen vertrieben wurden. Seitdem sind die Palästinensischen Autonomiegebiete unter eine de facto Kolonialverwaltung gesetzt worden. Dies widerspricht eindeutig der UNO-Resolution 242, welche seit 1967 das Ende der israelischen Kontrolle über die besetzten Gebiete verlangt.

Wie wir in unserer Folge zur historisch-materialistischen Perspektive über die Entstehung und den Charakter von Antisemitismus und Antijudaismus deutlich machten, beginnt die Geschichte nicht mit der Nakba, sondern bereits mit einem ungleichen Verständnis des Nationalstaatsbegriffs und seines Charakters zwischen der religiösen Aufladung und der bürgerlichen Epoche.

Ein weiteres Element, was Israel als Kolonialregime ausmacht, ist, dass es den Vertriebenen vehement das Recht auf Rückkehr verweigert. Alle in der Westbank, einschließlich Ostjerusalem, verbliebenen Araber:innen wurden unter besonderes Militärrecht gestellt, während für die dort lebenden Siedler:innen das israelische Zivilrecht gilt. Es ist auch der Siedler:innenkolonialismus, der zu einer anhaltenden Annexion in den besetzten Gebieten führt. Unterdessen ist die Zahl der jüdischen Siedler:innen, welche in der Westbank und in Ostjerusalem in festungsartigen Siedlungen leben, seit 2007 um 700.000 Menschen angestiegen. Als Siedler:innenkolonialismus wird die Kontrolle über ein Territorium bezeichnet, die nach Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung und ihrer Ersetzung durch eine andere trachtet. Historische Beispiele sind neben Palästina beispielsweise auch Australien und die USA.

Die Spaltung der palästinensischen Bevölkerung, welche ein typisches Merkmal kolonialistischer Beherrschungspolitik ist, erinnert unweigerlich an das Apartheidssystem Südafrikas: Mehr als 50 Gesetze diskriminieren palästinensisch-israelische Bürger:innen in Bezug auf Landbesitz, Wohnen, Familienleben, Bildung und viele weitere Lebensbereiche. Den Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten werden jedoch schon die elementarsten Rechte verwehrt, auch wenn versucht wird, über diesen Umstand durch die Farce einer angeblichen Eigenstaatlichkeit hinwegzutäuschen. Anders als im südafrikanischen Apartheidssystem ist das zionistische Regime jedoch nicht in dem Maße auf arabische Arbeitskraft angewiesen – ein qualitativer Unterschied zwischen klassischem Kolonialismus und Siedler:innenkolonialismus. Insbesondere, als seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die sich bis dato größte Einwanderungsbewegung vollzog, ist Israel mit ausreichend, überwiegend russischer und ukrainischer, Arbeitskraft versorgt worden, welche hervorragend zur Ausbeutung dient.

Als 1996 die Osloer Friedensprozesse scheiterten, auch, da die zionistische Rechte den Siedler:innenkolonialismus als identitätsstiftendes Moment nicht aufgeben wollte, kam es zum Niedergang des säkularen zionistischen Lagers und es vollzog sich der Ausbau eines rein jüdischen Israel. Das sogenannte Palästinenser:innenproblem ließ sich aber nicht, wie von den Zionist:innen erhofft, einfach beseitigen. Spätestens seit dem 7. Oktober ist die Vision einer ethnischen Säuberung im Zionismus eine für viele akzeptable geworden. Bezeichnend dafür ist, dass der rechtsextreme Finanzminister der Regierung Netanjahu, Bezalel Smotrich, ganz offen formulierte, dass die verbleibende palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten sich entweder zu assimilieren oder das Land zu verlassen habe. Was er nicht sagt, ist, dass diese, wenn sie weder das eine noch das andere mit sich machen lässt, weiterhin mit fortgesetztem Krieg gegen sie zu rechnen hat.

Zionismus und Spaltungen

Landesweite Proteste und massiver Widerstand gegen die Justizreform der israelischen Regierung im vergangenen Juni zeigten, dass sich auch in der jüdischen Bevölkerung Ansätze zum Aufbegehren gegen den herrschenden Rechtszionismus regen. Leider war der Widerstand in Israel nicht bereit, seinen Kampf mit dem ihrer unterdrückten arabischen Klassengeschwister zu verbinden. Hier werden die Fehler deutlich, die auch der Linkszionismus begeht, indem er sich bisher nicht willens zeigte, eine wirkliche Konfrontation mit dem zionistischen Chauvinismus einzugehen. Seitens der israelischen Gewerkschaften hat es zwar darüber Auseinandersetzungen gegeben, in welchem Maß nicht-jüdische Arbeiter:innen ausgrenzt werden, aber die Histadrut als Dachorganisation der israelischen Gewerkschaften hat für das zionistische Projekt immer als gelbe Gewerkschaft durch ihren staatstragenden Charakter gewirkt. Die Histadrut wurde bereits 1920 von Linkszionist:innen gegründet, auch Labourzionist:innen genannt. Der Dachverband nahm damals eine entscheidende militärische, wirtschaftliche und politische Rolle im Kolonialisierungsprozess und in der Vertreibung der Palästinenser:innen ein. Statt die Klasseneinheit und Solidarität mit den palästinensischen Arbeiter:innen zu fördern, setzte er sich stattdessen für den Ausschluss und die Entrechtung derselben ein. Er kann demnach weniger als einfache Gewerkschaft eingeordnet, sondern muss vielmehr als ein Grundpfeiler des Kapitalismus in Israel verstanden werden. Die Klassendifferenzierung und Polarisierung in Israel zu unterdrücken und hinauszuzögern, ist ihr Vermächtnis. Somit ist aus einer proletarischen Klassenkampfperspektive klar, dass die Histadrut von der israelischen Arbeiter:innenklasse durch eine Gewerkschaft ersetzt werden muss, die allen Arbeiter:innen, unabhängig von ihrer Ethnie, Zugang zu ihren Strukturen gewährt. Letztlich ist es die Arbeiter:innenklasse, als einzige multi-ethnische Kraft in der Lage, die nationalistischen Spaltungslinien zu überwinden, oder wäre zumindest potentiell dazu imstande. Aber sie kann nur dann eigenständig als Kraft auftreten, wenn sich jüdische, palästinensische und migrantische Arbeiter:innen in gemeinsamen Kampforganisationen für ihre Interessen verbinden. Hierfür braucht es sowohl den Bruch mit dem Zionismus wie mit dem korrupten palästinensischen Nationalismus und reaktionären Islamismus. 

Im Laufe der vergangenen 75 Jahre haben die Jüdinnen/Juden Israels ihre ursprüngliche ethnische Verschiedenheit teilweise durch eine gemeinsame nationale Kultur ersetzen können. Ein wesentliches Element ihres Nationalbewusstseins ist jedoch durch ihre chauvinistische Haltung gegenüber der arabischen Bevölkerung geprägt. Dies bildet die Grundlage dafür, der zionistischen Erzählung, das Volk Israel sei das für Palästina bestimmte, Taten folgen zu lassen – also die Vertreibung der Palästinenser:innen aus der Region und ihre rein jüdische Besiedelung. Um überhaupt ein Nationalbewusstsein zu entwickeln, wurde einer anderen Ethnie ein solches Recht auf nationale Selbstbestimmung abgesprochen. Hinsichtlich der israelischen Nationalidentität gibt es jedoch auch ethnische und klassenspezifische Aspekte, die diese umfassende Identität spalten. Diese Spaltung vollzieht sich nicht nur zwischen israelischen Araber:innen und Juden/Jüdinnen, sondern auch innerhalb der israelisch-jüdischen Gemeinschaft:

So sind es die Aschkenasim, die das Land 1948 kolonialisiert haben, und daher auch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die privilegierten Positionen beziehen. Sie stellen die ansehnliche Arbeiter:innenaristokratie aber auch -bürokratie dar, die mittleren und leitenden Positionen der Staatsbürokratie und ihre Kultur wird als die vorherrschende betrachtet. Zudem werden über sie wichtige Verbindungen zu der in den USA und Europa lebenden, ökonomisch bedeutsamen jüdischen Gemeinschaft gehalten.

Seit der Staatsgründung war jedoch klar, dass es orientalische Jüdinnen und Juden braucht, welche als Arbeitskräfte für halbqualifizierte Berufe und niedere Arbeiten eingesetzt werden konnten. So holte man ebendiese gezielt ins Land, welche sich nicht wegen antisemitischer Verfolgung, sondern in der Hoffnung auf einen höheren Lebensstandard in die unteren Reihen der israelisch-jüdischen Arbeitsgemeinschaft eingliederten. Durch die Besetzung des Westjordanlands 1967 wurden jedoch massenhaft arabische Arbeiter:innen in die israelische Wirtschaft integriert. Dies ermöglichte einer Vielzahl von Juden/Jüdinnen von der Position der Arbeiter:innnen in die der Kleinunternehmer:innen aufzusteigen und als solche arabische Beschäftigte unter sich zu vereinen. Alle Parteien sowie die jüdische Bourgeoisie sehen die Notwendigkeit, sich konjunkturell auch fortwährend mit arabischen Arbeiter:innen versorgen zu müssen, auch wenn dies tendenziell abnimmt. Letztlich ist nicht nur die israelisch-jüdische Gemeinschaft in sich gespalten, sondern auch die Gruppe der orientalischen Jüdinnen/Juden unterteilt sich ihrerseits in vier weitere Untergruppen, zwischen welchen tief verwurzelte Feindschaften herrschen. Auch hier gibt es eine ökonomische Schichtung.  
All diese Spaltungen, die von den weißen Aschkenasim maßgeblich gefördert werden, zeigen deutlich, dass die israelische Arbeiter:innenklasse, auch wenn sie von der Unterdrückung und Überausbeutung der arabischen Israelis profitiert, letztlich eine Verliererin in ihrem kapitalistisch organisierten Staat ist.

Daher legen wir euch auch unsere nächste Folge ans Herz, welche sich damit beschäftigen wird, was es braucht, um eine freie, säkulare und sozialistische Ein-Staaten-Lösung zu erkämpfen. Aber das ist eine andere Frage zur Lage der Klasse.




Nahost: Israel und der Westen missachten Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs

Rose Tedeschi und Alex Rutherford, Infomail 1248, 19. März 2024

Am 26. Januar erließ der Internationale Gerichtshof (IGH) ein Zwischenurteil in einem von Südafrika gegen Israel angestrengten Verfahren. Der IGH wurde ersucht zu entscheiden, ob Israel im Gazastreifen einen Völkermord begeht. In diesem Urteil wird festgestellt, dass sich Israel einer „plausiblen“ Anklage wegen Völkermordes zu stellen habe, und der IGH hat eine einstweilige Verfügung erlassen, in der dem Land Auflagen gemacht werden.

Die Anordnung verpflichtet Israel, alle Handlungen zu unterlassen, die unter die Völkermordkonvention fallen könnten, und sicherzustellen, dass seine Truppen im Gazastreifen keine völkermörderischen Handlungen begehen. Außerdem wird es aufgefordert, öffentliche Aufforderungen zu Völkermord zu verhindern und zu bestrafen und Beweise für den Vorwurf des Völkermords zu sichern. Darüber hinaus wurde Israel angewiesen, Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Lage der palästinensischen Einwohner:innen in der Enklave zu ergreifen, Beweise dafür aufzubewahren und dem Gericht innerhalb eines Monats einen Bericht vorzulegen.

Israel Bericht ist fällig. Es wird jedoch erwartet, dass er kurz und voller Beschimpfungen sein wird, die die Welt von der Regierung um den Premierminister Benjamin Netanjahu zu erwarten gewohnt ist. Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara machte dies Ende Februar deutlich, als sie die Anschuldigungen Südafrikas als „skandalös“ und die Behauptungen als „absurd“ bezeichnete. Sie fuhr fort:

„Das entschlossene Handeln der israelischen Verteidigungskräfte beruht auf der Reinheit der Waffen und der allgemeinen Einhaltung des nationalen und internationalen Rechts, die Ausdruck der Stärke unseres Landes sind.“

Israel weiß, dass es sich hier auf zweifelhaftem Boden befindet und wird sich wahrscheinlich auf die Lieferung humanitärer Hilfe konzentrieren und behaupten, dass nicht es den Fluss der Hilfsgüter behindert, sondern die Palästinenser:innen, die den freien Durchgang blockieren. Die israelische Belagerung zwingt die hungernden Bewohner:innen des Gazastreifens, die wenigen Konvois, die durchkommen, zu plündern.

Natürlich gibt es einen Berg von Beweisen dafür, dass Israel die Hilfe durch zahlreiche Kontrollpunkte und Verzögerungen blockiert, wie die Aufnahmen von an der Grenze gestauten Lastwagen zeigen, ganz zu schweigen von der Belagerung von Rafah, dem Hauptzugangsort für die Hilfe. Der Norden soll frei von Hamas-Kämpfer:innen sein, doch wurden dort keine Grenzen geöffnet.

In Bezug auf die beiden anderen Forderungen muss Israel einige ernste Fragen beantworten. Genau zwei Tage nach dem IGH-Urteil nahmen neun Mitglieder des israelischen Parlaments (Knesset), darunter zwei Minister, an einer rechtsextremen Siedler:innenkundgebung teil, bei der die Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen und der Zuzug von Siedler:innen gefordert wurde. Die Minister selbst riefen dazu auf, das nördliche Westjordanland zu besiedeln. Die Regierung hat es versäumt, irgendwelche Abgeordneten dafür zu „bestrafen“, geschweige denn, dies zu „verhindern“.

Seine Militäraktionen im Februar bestätigen ebenfalls Israels Bereitschaft, mit einer Invasion in Rafah zu drohen und gleichzeitig Schulen und Krankenhäuser zu bombardieren. Tausende von Menschenleben stehen auf dem Spiel; wenn Panzer und Kanonen es nicht erreichen, könnten Krankheiten diese Aufgabe für die Israelis übernehmen. Die Bedrohung durch einen Völkermord ist näher gerückt, nicht weiter weg.

Israel und das Gesetz

Entscheidend ist jedoch, dass das Gericht keinen sofortigen Waffenstillstand anordnete. Die Hauptbegründung hierfür ist das von Israel vorgebrachte rechtliche Argument, dass es an einer „völkermörderischen Absicht“ fehle. Da die Hamas beschuldigt wird, die Gewalt durch ihren Angriff am 7. Oktober angezettelt zu haben, ist das Gericht der Ansicht, dass Israel argumentieren kann, dass seine Handlungen in Selbstverteidigung erfolgten, was eine Rechtfertigung für den Krieg und somit keine Anordnung einer sofortigen Waffenruhe darstellt.

Dies ignoriert die 75 Jahre der Unterdrückung, Enteignung und Apartheid, die Israel den Palästinenser:innen angetan hat. Für revolutionäre Kommunist:innen kann jedoch die Gewalt eines unterdrückten Volkes niemals mit der Gewalt des Unterdrückers gleichgesetzt werden. Das palästinensische Volk ist seit der Gründung des zionistischen Staates im Jahr 1948 Opfer einer schrecklichen nationalen Unterdrückung. Der Gazastreifen ist praktisch ein Freiluftgefangenenlager für eine der am meisten benachteiligten und überfüllten Bevölkerungen der Welt.

Diese Entscheidung ist nur vorläufig; bis zur endgültigen Entscheidung in diesem Fall werden Monate oder sogar Jahre vergehen. Die Entscheidungen des IGH sind endgültig und unanfechtbar, aber das Gericht hat keine Möglichkeit, sie durchzusetzen. Der Nachweis eines Vorsatzes ist jedoch bekanntermaßen schwer zu erbringen, da die rechtliche Messlatte für Beweise sehr hoch angesetzt ist.

Netanjahu bekräftigt Israels „unerschütterliches Engagement“ für das Völkerrecht und bezeichnet den Vorwurf des Völkermords als „empörend“. Der israelische Verteidigungsminister Yo’aw Galant zeigte sich „bestürzt“ darüber, dass die Klage nicht rundheraus abgelehnt wurde, und der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir twitterte spöttisch „Haag-Schmach“. Es wurde berichtet, dass andere hochrangige israelische Minister das Urteil als „antisemitisch“ bezeichnet haben.

Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sagte, er erwarte, dass Israel sich an das Urteil hält und Maßnahmen zur Verhinderung eines Völkermords ergreift. Bislang sieht es nicht danach aus. Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor war näher an der Wahrheit und warf Israel vor, das Urteil zu ignorieren. In der Woche nach dem Urteil des IGH wurden fast 1.000 weitere Palästinenser:innen getötet. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich nun auf mehr als 30.000.

Israel hat seine Militäroperationen auf Rafah ausgeweitet, obwohl es die Stadt zu einer „sicheren Zone“ erklärt hat. Die UNO hat Rafah als „Druckkochtopf der Verzweiflung“ bezeichnet. Krankenhäuser sind weiterhin Ziel israelischer Angriffe; Berichten zufolge wurden Panzer in der Nähe des Nasser-Krankenhauses – dem größten funktionierenden Krankenhaus in Gaza – gesehen.

Kluft zwischen imperialisiertem Süden und imperialistischem Westen

War es das wert, den Fall vor den Weltgerichtshof zu bringen? Ja! Dieser Fall steht eindeutig für ein Massengefühl der Rebellion in der halbkolonialen Welt gegen den westlichen Imperialismus. Ramaphosa, der berüchtigte Mörder der südafrikanischen Bergarbeiter:innen von Marikana, ist sicher kein antiimperialistischer Kämpfer – und seine Gründe mögen in einem Wahljahr zynisch sein.

Aber es war der Druck der internationalen Bewegung für die Befreiung der Palästinenser:innen, auf den die Machthaber:innen reagierten. Südafrikaner:innen sind seit langem Verbündete des palästinensischen Volkes, und die internationale Rechtsexpertin Heidi Matthews sagte, dass ihr historischer Kampf für die Beendigung der Apartheid dem Fall gegen Israel „Glaubwürdigkeit und moralisches Gewicht“ verleiht.

Das Gefühl des Hasses gegenüber dem Westen, den ehemaligen Kolonialherr:innen Afrikas und Asiens, wird durch die Reaktion auf das Urteil des IGH noch geschürt. Innerhalb weniger Stunden nach der Entscheidung stellten die USA ihre Finanzierung des UN-Hilfswerks UNRWA ein, und Kanada folgte diesem Beispiel rasch. Es überrascht nicht, dass auch das Vereinigte Königreich und sechs weitere europäische Länder, darunter auch Deutschland,  sowie Japan ihre Mittel für das UNRWA aussetzten.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen ist die einzige Organisation, die derzeit in der Lage ist, die humanitären Mittel bereitzustellen, zu deren Gewährung sich US-Präsident Joe Biden und der britische Außenminister David Cameron „verpflichtet“ haben. Die EU schätzt, dass sich die insgesamt ausgesetzten Mittel auf mehr als 440 Millionen US-Dollar belaufen – die Hälfte des Haushalts der Organisation für 2024. In einer Zeit, in der die Menschen im Gazastreifen gezwungen sind, Gras zu essen und verschmutztes Wasser zu trinken, um zu überleben, ist dies absolut verachtenswert.

Glücklicherweise haben nicht alle Länder ihre Finanzierung zurückgezogen; Spanien hat ein dringendes Hilfspaket in Höhe von 3,8 Millionen Dollar angekündigt, und Australien und Belgien werden ihre Finanzierung des UNRWA fortsetzen. Aber der Sonderpreis für Heuchelei geht sicherlich an Deutschland, das einerseits die Legitimität des IGH anerkannt, andererseits aber sämtliche Vorwürfe gegen Israel vor jeder Untersuchung zurückweise – und gleichzeitig Israel mit den Waffen versorgt, die es benutzt, um das „Völkerrecht“ mit Füßen zu treten.

Schlussfolgerung

Trotz der vielen Unzulänglichkeiten dieses vorläufigen Urteils und des IGH selbst stellt die Entscheidung einen Schlag sowohl für Israel als auch für die westlichen Mächte dar. Sie hat zu dem Schauspiel geführt, dass diese Mächte genau die Institutionen untergraben, die sie zuvor geschaffen hatten, um ihre imperialistische Herrschaft über die Welt zu verschleiern. Ihre Ansprüche auf Rechtsstaatlichkeit und das Recht auf Selbstbestimmung, die sie im Falle der Ukraine und Taiwans, d. h. bei der Verurteilung ihrer Rivalen Russland und China, so hochgehalten haben, haben in den Augen des globalen Südens erheblichen Schaden genommen.

Die Bewegung für die Befreiung Palästinas muss diese Orientierungslosigkeit der Regierenden ausnutzen und sich keinen Illusionen in Typen wie Ramaphosa hingeben und ihre Anstrengungen international koordinieren, wenn sie ihr Ziel, ein freies Palästina, erreichen will. Das Urteil des IGH kann eine Plattform bieten, um auf diesen Kampf hinzuweisen, aber es kann keine Gerechtigkeit schaffen. Das können nur die Palästinenser:innen selber und ihre Unterstützer:innen tun, indem sie für die revolutionäre Zerstörung des zionistischen Staates und seine Ersetzung durch ein einheitliches, säkulares und sozialistisches Palästina kämpfen, einschließlich des Rechts auf Rückkehr.




Die Stimme der Frauen ist eine Revolution, keine Schande – صوت المرأة ثورة وليس عارًا

Dilara Lorin, Fight 12! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2024

Tunesien, 17. Dezember 2010: Mohamed Bouazizi, ein Gemüsehändler, zündet das Feuer über seinen abgemagerten und ausgebeuteten Körper an, gegen die Perspektivlosigkeit und Polizeigewalt, die er und andere erfuhren. Die Flammen verbrennen ihn, er stirbt. Doch dieses Feuer war der Funken, der in der arabischen Welt die Flammen der Revolutionen entfachte.

Der Arabische Frühling

Der Arabische Frühling, die Revolutionen von Tunesien über Ägypten bis nach Syrien und in den Jemen haben Generationen von Arbeiter:innen, Jugendlichen und Frauen geprägt. Für eine gewisse Zeit schien das revolutionäre Aufbegehren unaufhaltbar zu sein. Massendemonstrationen, die sich gegen autoritäre Regime richteten und ein würdevolles Leben, Menschenrechte und demokratische Mitbestimmung forderten, sowie Streiks einer sich erhebenden Arbeiter:innenklasse ließen die Ben Alis, Assads, al-Gaddafis und Mubaraks erzittern.

In Tunesien führten örtliche Gewerkschaften, Angestellte und insbesondere die oppositionellen Kräfte im Dachverband UGTT (Union Générale Tunisienne du Travail) die Proteste an, die auch stark von Jugendlichen und Arbeitslosen getragen wurden. Am 10. Januar 2011 riefen Branchengewerkschaften der UGTT, darunter die Lehrer:innen, zu einem zweitägigen Generalstreik und Massendemonstrationen im ganzen Land auf, wobei die Führung der Gewerkschaften massiv von ihrer Basis und den Protesten unter Druck gesetzt wurde.

Am 14. Januar floh Präsident Ben Ali aus dem Land. Sein Sturz befeuerte in der gesamten Region einen revolutionärer Prozess. Dabei verliefen die Proteste anfangs ähnlich. Ägypten sollte als nächstes dran sein. Dabei spielten Facebook und Social-Media-Kanäle zur Mobilisierung und Dokumentierung eine essenzielle Rolle. Obwohl die Protestierenden am 25. Januar und an den Tagen danach massiv und brutal angegriffen und zahlreiche Menschen von Regierungseinheiten ermordet wurden, konnten die Barrikaden und Einsatzkräfte von Polizei oder Armee die Massen nicht stoppen.

Atemberaubend muss der Moment gewesen sein, als von Hunderttausenden der Slogan der Revolution aus Tunesien in den Straßen Ägyptens wiederhallte: „Das Volk will den Sturz des Regimes“. Vor allem der Tahrir-Platz in Kairo wird zum großen Symbolbild der Revolution in diesem Land und Monate lang besetzt gehalten und von Aktivist:innen selbstverwaltet. Auch Streiks erschüttern die Herrschenden dieses Landes. Soziale Forderungen wurden nach der Ansprache Mubaraks am 10. Februar, als er die schrittweise Übergabe seiner Amtsgeschäfte ankündigte, mit der anwachsenden Streikwelle immer stärker: Lohnerhöhung, Arbeitsplatzsicherheit und Gewerkschaftsrechte. Der halbe Rücktritt kommt zu spät, die Revolution weitet sich noch mehr aus und Mubarak muss am 11. Januar endgültig gehen.

In Syrien beginnt die Welle der Revolution ebenfalls blutig: Jugendliche aus Dar’a schreiben im März an ihre Schulwand, inspiriert vom Sturz der Regime in Tunesien und Ägypten: „It’s your turn doctor“. (Baschar al-Assad ist Augenarzt). Sie werden inhaftiert und gefoltert, einer stirbt. Aber Massen gehen auf die Straßen. Die Massenproteste mit mehreren 100.000 Teilnehmer:innen in ihrer Höchstphase fanden schnell Unterstützung von Soldat:innen, welche dem Regime und dessen bewaffnetem Arm den Rücken kehrten und zurück in ihre Stadtteile gingen. Dort beschützten diese anfänglich die Demonstrationen gegen Angriffe des Staates. Im gleichen Zeitraum entstehen Stadtkomitees und eine Organisierung von Arbeiter:innen mit basisdemokratischen Strukturen. Die noch zum Teil unkoordinierte Organisierung der bewaffneten Teile verteidigt bald schon ganze Stadtteile und drängt Armee und regimetreue Milizen zurück. Dies sind nur einige kurze Ausführungen über die Massenproteste und ihre allgemeinen Auswirkungen.

Außerdem sind dies Teile der „1. Welle“ des Arabischen Frühlings, als sich die Regime in der Defensive befanden, Diktatoren wie Ben Ali und Mubarak gestürzt wurden. In dieser Phase spielten Frauen eine wichtige Rolle, da auch sie an vorderster Front gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit kämpften. Sie übernahmen wichtige und notwendige Rollen während der Proteste, welche von Sanitätsaufgaben, über journalistische Arbeit bis hin zur Mobilisierung und Organisierung reichten. Dabei muss angemerkt werden, dass vor allem in dieser Phase geschlechtsspezifische Forderungen keine essenzielle Rolle spielten. Denn egal ob männlich oder weiblich, alt oder jung, der Schrei gegen Unterdrückung, nach sozialen Forderungen, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen könnten, und für den Sturz der Regime und Demokratie betraf alle.

Doch die weitere Entwicklung des Arabischen Frühlings – sowohl seine Ausweitung in andere Länder wie auch die Reaktionen der Staatsapparate, die weiter bestanden, und der herrschenden Klassen, die sich auf sie stützen – veränderte auch die Forderungen. Darin wurden auch mehr geschlechtsspezifische Fragen laut. In einigen Ländern übernahmen auch weibliche Personen wichtigere Rollen. Dabei konnten z. B. im Libanon Frauenorganisationen an Masse gewinnen und im Sudan wurden Videos von protestierenden jungen Frauen in weißen Hidschabs immer verbreiteter. Doch die Konterrevolution – egal in welcher Welle des Arabischen Frühlings und in welcher Form, ob durch offene brutale Repression und Bürger:innenkrieg oder durch eine Mischung aus Repression und Inkorporation – rief überall nach der Einschränkung von Frauenrechten und der Rolle der Frauen, die in den Revolutionen sichtbar wurde. Wir wollen diese exemplarisch in einigen Ländern genauer betrachten.

Wir kämpfen – wir sind nicht Opfer

Sehen wir in den westlichen Medien etwas über den Arabischen Frühling, scheinen fast ausschließlich nur männliche Personen vor die Linse der Kamera zu treten. Beim Lesen von vor allem liberalen Berichten und Analysen zum Arabischen Frühling werden weibliche Personen oft als Opfer von Gewalt und Vergewaltigungen dargestellt. Und auch wenn dies leider tragische Wahrheit ist, so ist dies nicht das Einzige, welches die Rolle der Frauen in den Revolutionen widerspiegelt.

So spielten Frauen als Aktivist:innen und Medienschaffende eine große Rolle: Asmaa Mahfuz in Ägypten, Arwa Othman im Jemen, Lina Ben Mhenni in Tunesien, um nur einige Namen zu nennen. Durch die gewerkschaftliche Organisierung von Frauen in Tunesien konnte hier eine starke Präsenz von weiblichen Personen verzeichnet werden. Dabei waren sie nicht nur Journalistinnen, sie waren Teil von Volkskomitees, welche tunesische Wohnviertel schützten, vor allem in Phasen, als der Staat kollabierte.

Nach dem Sturz von Bin Ali wählte Tunesien 2011 die verfassunggebende Versammlung, in welcher mehr als 20 % der Abgeordneten aus Frauen bestanden. Dies zeigt die allgemeine Tendenz, welche von den Aufständen verursacht und errungen wurde, dass sich Frauen vermehrt an öffentlichen Debatten und Entscheidungen beteiligten. Es entstehen viele neue NGOs, Organisationen, und viele Frauen lassen sich in unterschiedlichen Ländern zur Wahl aufstellen.

Es wurden zum Teil Räume und Möglichkeiten geschaffen, in welchen das Bild der Frau, ihre Rolle und die Frage der Sexualität immer mehr Gegenstand der Debatten wurden.

Dabei mussten Frauen für diese kleinen Errungenschaften viel leisten: In praktisch allen Ländern wandten die Kräfte des alten, erschütterten, aber letztlich nicht gestürzten Regimes systematisch sexuelle Gewalt gegen protestierende Frauen an. Dadurch sollte ihre Moral gebrochen werden, um ihre Präsenz und die Bewegung insgesamt zu schwächen. So gibt es Berichte darüber, dass in den Truppen in Libyen, welche loyal zum Diktator al-Gaddafi standen, Viagra verteilt wurde.

In Ägypten versammeln sich am 8. März 2011 Frauen auf dem Tahrir-Platz, um den Frauenkampftag zu feiern. Sie werden von Gegendemonstrant:innen eingekreist und brutal angegriffen. Am darauffolgenden Tag erfolgt die systematische Schikane seitens der Armee. Diese stürmt zusammen mit Polizei und bezahlten Schlägertrupps den Platz. Von den Protestierenden werden 18 Frauen inhaftiert und bei 7 von ihnen wurden im Gefängnis „Jungfräulichkeitstest“ durchgeführt. Die Gewalt gegenüber Frauen nahm am 17.12.2011 eine neues Höchstmaß an, beim „Vorfall mit dem blauen BH“, bei welchem das ägyptische Militär eine protestierende Frau verprügelte. Videos wurden veröffentlicht, in welchem man die ohnmächtige Frau erkennt, wie sie an ihren Armen durch die Straße gezerrt wird, ihre Abaya (Überkleid) zerrissen und ihr nackter Körper mit einem blauen BH wird deutlich. Daraufhin versammelten sich am 20.12.2011 Tausende Frauen und Männer auf dem Tahrir-Platz. Dies wird als einer der größten Frauenproteste der vergangenen Jahre in die Geschichte eingehen.

Die systematische sexualisierte Gewalt durch staatliche und reaktionäre Kräfte führte dazu, dass Frauen einheitlicher auftraten, Frauenorganisationen gegründet wurden und diese eine Koalition aufbauten. Frauen waren notwendige Akteur:innen der Proteste, welches ihnen Legitimität und Aufmerksamkeit verlieh. Dies versuchten Diktatoren wie Salih im Jemen zu unterbinden. In einer Ansprache am 15.04.2011 versuchte er durch den Satz „Der Islam verbietet die Vermischung von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit“, die großen Sit-ins und Platzbesetzungen zu diskreditieren.

Oftmals kämpften Aktivistinnen auch gegen ihre eigenen Familien und Verwandtschaftskreise, da diese sich gegen ihren Aktivismus stellten. Ein Beispiel hierfür ist die bekannte syrische Schauspielerin Fadwa Soliman. Trotz Gefahr von Tod oder Gefängnis wollte sie an den Protesten teilnehme, um die ihrer Meinung nach in der Öffentlichkeit vorherrschende Meinung zu widerlegen, dass alle Mitglieder der alawitischen Gemeinschaft, die etwa 10 % der syrischen Bevölkerung ausmachen, die Regierung ihres alawitischen Landsmanns Baschar al-Assad unterstützen. Sie wollte auch die Darstellung der Regierung widerlegen, dass diejenigen, die an den Protesten teilnahmen, entweder Islamist:innen oder bewaffnete Terrorist:innen seien. Dabei wurde sie jedoch von ihrer Familie ausgeschlossen und exkommuniziert.

Es ist nicht unüblich, dass in solchen spontan auftretenden Protesten Forderungen nach Würde, Regimewechsel, Freiheit vordersten Rang einnehmen. Dabei kämpften überall Frauen und Männer Seite an Seite für den Sturz „ihrer“ Regime. Auch wenn sich die patriarchale Unterordnung von Frauen in der Region allein durch den Arabischen Frühling nicht auflösen konnte, ermöglichte er ein Aufsprengen und Hinterfragen vieler traditionelle patriarchaler Gedanken, Ideologien und Geschlechterrollen. Dabei sitzen diese tief und lassen sich nicht durch einen Regimewechsel und einige demokratische Gesetze überwinden.

Mit dem Eintreten der Welt in die imperialistische Epoche kämpften die Massen in den Kolonien gegen ihre Unterordnung, Ausbeutung und Fremdherrschaft. Antikoloniale Kämpfe führten jedoch nicht zu einer kompletten Unabhängigkeit dieser Länder. Es entstanden Halbkolonien, Staaten, die zwar formal politisch unabhängig sind, aber wirtschaftlich und letztlich auch politisch abhängig von imperialistischen Staaten und ihrer Weltordnung. Diese Abhängigkeit führte dazu, dass halbkoloniale Länder systematisch unterentwickelt gehalten wurden, sich Ungleichheit im Rahmen der globalen Arbeitsteilung verfestigte, wenn nicht sogar verstärkte. Vorkapitalistische Herrschaftsformen und patriarchale Strukturen wurden nicht zerschlagen, sondern vielmehr in den halbkolonialen Kapitalismus und den Weltmarkt integriert. Wir erinnern daran, dass die USA unter anderem an Stammesführer in Afghanistan, Irak oder Syrien Waffen lieferten und diese als Partner eher akzeptierte als andere, wodurch sie auch den Fortbestand dieser Strukturen unterstützten. Während des Arabischen Frühlings konnte beobachtet werden, dass für viele Frauen der Aktivismus von ihren Familien und Freund:innen ungern gesehen war und ihnen viele Steine in den Weg gelegt wurden.

Forderungen, die vermehrt genderspezifisch aufgeworfen wurden, wurden vor allem in den Nachwehen des Arabischen Frühlings populär. So spielten Aktivistinnen 2019 in den Oktoberprotesten im Irak eine wesentliche Rolle. Aktivistin Amira Al-Jaber erzählt in einem Interview mit Al Jazeera (Al Dschasira), dass die Präsenz von Frauen in den Protesten dazu beigetragen hat, die von der Gesellschaft auferlegten Beschränkungen, unsere Stimme nicht zu zeigen, zu brechen. Wir haben den Slogan: „Die Stimme der Frauen ist eine Revolution, keine Schande“ erhoben.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die objektive Lage von Frauen sich nicht verbessert hat, sondern konterrevolutionäre Parteien und Regime, Bürgerkrieg und, im Extremfall, der Aufmarsch von Daesch (Islamischer Staat) immer mehr ihre Rechte einschränkten. Aber der Arabische Frühling verlieh zugleich vor allem Frauen Erfahrungen, Kampfgeist und Sichtbarkeit in öffentlichen Räumen.

Wie kämpfen wir für einen neuen Arabischen Frühling? Wie tragen wir den Kampf gegen Frauenunterdrückung in die Massen?

Der Arabische Frühling, egal ob in Tunesien, Bahrain, Irak oder Sudan war eine fortschrittliche Erhebung der Massen, welche sich gegen Verarmung und repressive Regime richtete. Dabei darf die Rolle von imperialistischen Mächten, die die Region systematisch in Abhängigkeit halten, um die wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen und Natur zu garantieren, und die deshalb blutige Regime unterstützen, nicht vergessen werden. In vielen Raps, die in Phasen der Massenproteste aus dem Untergrund als Ausdruck der Wut der Jugend bekannter wurden, tritt eine Imperialismuskritik immer mehr in den Vordergrund.

Die Forderung nach grundlegenden demokratischen Rechten ist eine wichtige, kann jedoch nur durch Revolutionen umgesetzt werden, welche die Diktatoren und ihre Milizen und Armeen zerschlagen. Auch wenn die Revolutionen in vielen dieser Länder als „demokratische“ beginnen, so können sie ihre Ziele nur erreichen, wenn sie auch die Grundstrukturen der Gesellschaft, Kapitalismus und Imperialismus, infrage stellen, mit einer sozialistischen Umwälzung verbunden werden. Die Revolution muss permanent werden – oder sie wird nicht fähig sein, die alten Regime und ihre Grundstrukturen vollständig zu beseitigen.

Der Arbeiter:innenklasse kommt dabei eine Schlüsselrolle hinzu. Die aufkommenden Streiks bis hin zu Generalstreiks waren wichtige und notwendige Mittel, um die aufgeworfenen Forderungen umsetzen zu können. Jedoch können uns demokratische Systeme keine Sicherheit geben, und ein Rückfall in autoritäre Regime mit ihren Diktator:innen kann immer wieder erfolgen und hat immer wieder mit Unterstützung der Imperialistischen Mächte stattgefunden. Wir müssen die Revolution in eine soziale umwandeln, welche die Machtverhältnisse umstürzt und die Klassenverhältnisse, welche zur Ausbeutung und Anhäufung des Reichtums einiger weniger beitragen, zerschlägt. Dabei war es einer der großen Fehler im Arabischen Frühling, dass die Massen und Streikenden keine Organe der Doppelmacht errichteten.

Damit die Revolution siegreich sein kann, muss sie in den Streiks, Massenaufständen und Erhebungen eigene demokratische Kampfstrukturen – Streik- und Aktionskomitees – aufbauen, die sich zur Räten entwickeln können und landesweit zentralisiert werden. Nur so können sie dem zentralisierten Staats- und Machtapparat die gebündelte Kraft der Revolution entgegenstellen und damit auch Organe einer neuen, revolutionären Ordnung schaffen, die den alten Staatsapparat zerschlägt und an seine Stelle tritt.

Um diese Streiks, Demonstrationen, Versammlungen, Räte, Gewerkschaften und Parteien der Unterdrückten zu verteidigen, braucht es auch eine eigene, von Komitees der Arbeiter:innen und Unterdrückten kontrollierte Miliz. Um die einfachen Soldat:innen, die sich nicht in den Dienst der Reaktion stellen wollen, zu gewinnen, braucht es den Aufbau von Soldat:innenräten, die sich mit jenen der Arbeiter:innen und Bäuerinnen/Bauern verbinden.

Damit eine solche Perspektive Fuß fassen und erfolgreich umgesetzt werden kann, braucht die Revolution eine politische Kraft, die sie anführen kann, eine revolutionäre Partei. Diese muss die kämpfenden und fortschrittlichsten Teile der Unterdrückten und Arbeiter:innen sowie Frauen und Jugendlichen organisieren. Es braucht dabei das Recht von geschlechtlich Unterdrückten, Caucusse zu bilden, welches ihnen ermöglicht, sich in den eigenen Reihen unabhängig vom anderen Geschlecht zu treffen. Dabei soll einerseits ein Ort geschaffen werden, an welchem über den Sexismus in den eigenen Reihen geredet werden kann und Forderungen und Analysen in die Partei zurückgetragen werden können. Die revolutionäre Partei muss dabei Taktiken für den Kampf diskutieren und entwickeln, ein Programm erarbeiten, welches den Kampf für eine Revolution bündelt. Essentiell ist für das Überleben dieser revolutionären Partei die Verbindung mit Revolutionär:innen in den anderen halbkolonialen Ländern sowie den imperialistischen Staaten.

Die Unterdrückung der Frau kann zwar letztlich nur aufgehoben werden, wenn der Kapitalismus zerschlagen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass in Revolutionen und Aufständen weibliche Aktivist:innen keine wesentliche Rolle spielen. Sie sind Speerspitzen kommender Proteste, welches die Frauenrevolution in Iran aufgezeigt hat. Der Kampf um demokratische Rechte und für soziale Forderungen muss immer zusammen mit dem gegen die Unterdrückung von Frauen gedacht werden. Die aktuelle Situation in den beschriebenen Ländern schreit nach einem 2. Aufflammen des Arabischen Frühlings. Die Zeit ist reif. Lasst uns dabei nicht nur lose Bewegungen aufbauen, sondern organisiere dich schon jetzt für den Aufbau revolutionärer Parteien und einer neuen revolutionären Internationale!