Skandal nach der Berlinale: Frieden und freie Meinungsäußerung unerwünscht

Jonathan Frühling, Infomail 1246, 4. März 2024

Jährlich findet in Berlin die Berlinale statt – ein internationales Filmfestival, welches zu den weltweit wichtigsten zählt. Deutschland und seine Kulturstadt Berlin lassen sich nicht lumpen. Zum Programm gehört auch die Verleihung von Preisen in verschiedenen Kategorien. Der Dokumentarfilmpreis ging diesmal an den Palästinenser Basel Adra und seinen israelischen Kollegen und Freund Yuval Abraham. Die beiden hatten sich zusammengetan, um die Doku „No other Land“ zu drehen. Darin geht es um das Leben (und Sterben) unter der kolonialistischen Siedlungspolitik des israelischen Apartheidregimes im Süden des besetzen Westjordanlandes. Sie zeigt drastisch die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Armee und rechtsradikalen Siedler:innen sowie den heroischer Kampf der Palästinenser:innen dagegen.

Bei der Auszeichnung wurde von den Preisträgern ein Ende der Waffenexporte nach Israel gefordert, um den momentan stattfindenden Genozid zu stoppen. Es wurde die Forderung nach einem Ende des Krieges und Frieden zwischen den Völkern im Nahen Osten laut. Das Publikum applaudierte und skandierte: „Free Palestine“. So weit, so erfreulich.

Hetze

Als die Geschehnisse an die Öffentlichkeit drangen, wurde von bürgerlichen Politiker:innen sofort ein Skandal daraus konstruiert. Der Vorwurf des Antisemitismus wurde dafür mal wieder missbraucht. Bürgerliche Politiker:innen wie der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner bezeichneten den Vorfall als unerträglich und forderten zu verhindern, dass sich so etwas wiederholen kann. Der eigentliche Skandal ist also der Grundtenor der zionistischen Hetzer:innen: Wie kann es sein, dass sich ein Künstler unzensiert äußern und öffentlich für Frieden eintreten darf?

Es wurde also offen nach noch mehr Zensur gerufen. Die Parole: „From the river to the sea, Palestine will be free“ fällt ja bereits unter diese. Die grüne Kulturministerin Claudia Roth setzte sich am Ende noch auf die Spitze des Eisberges, als sie beteuerte, dass sie bei der Preisverleihung nur für den Israeli Abraham, nicht aber für den Palästinenser Adra applaudiert hätte. Sie versucht, sich also zu verteidigen, indem sie ihren unverhohlenen Rassismus betont!

Beim Konzert der Hetzer:innen und Demagog:innen wollte der ansonsten blass-blaue FDP-Justizminister Buschmann nicht lumpen lassen. Er forderte strafrechtliche Konsequenzen für angebliche antisemitische Äußerungen bei der Berlinale. Wie ungeniert die Regierungen mittlerweile Lügen in die Welt setzen, zeigt eine Bundespressekonferenz Ende Februar. Auf mehrmalige Nachfragen von Journalist:innen hin, konnte die Sprecherin des Ministerium, Marie-Christine Fuchs, keine einzige konkrete Äußerung benennen. Der Minister, so seine Pressesprecherin, habe sich nur „generell zu Antisemitismus“ geäußert.

Währenddessen tragen Hetze und Falschaussagen Früchte. In der Nacht vom 27. zum 28. Februar drang ein rechter Mob in das Haus Abrahams in Israel ein und bedrohte seine Familie. Diese musste daraufhin aus der Stadt fliehen. Abraham erhielt zudem zahlreiche Todesdrohungen und musste seine Rückkehr nach Israel deshalb verzögern. Er selbst verteidigte sich gegen den absurden Vorwurf des Antisemitismus. Er verwies darauf, dass der inflationäre Gebrauch dessen ihn seiner Wirkung beraube. Tatsächlicher Antisemitismus würde damit relativiert. Damit hat er Recht, denn was ist denn noch der Unterschied zwischen bewaffneten Faschist:innen, die Brandanschläge auf Synagogen durchführen, und einem israelischen Regisseur, wenn doch beide gleichermaßen Antisemit:innen sind?

Mundtod machen

Die hysterischen und reaktionären Lügen machen aber auch deutlich, wie verzweifelt die herrschende Politik jede Solidaritätsbekundung mit Palästina mundtot machen will. Nichts fürchtet sie mehr als einen Umschwung in der öffentlichen Meinung. Dieser schreitet jedoch mit jedem Kriegstag voran. Die Verbrechen Israels werden immer bestialischer und lassen sich nicht mehr schönreden. Gaza liegt zu 80 % in Schutt und Asche, 1,8 Millionen wurden Menschen vertrieben, 30.000 sind tot. Kürzlich wurde bekannt, dass Israel systematisch Wohnhäuser in den besetzten Gebieten niederbrennt. Vor wenigen Tagen wurden knapp 1.000 bei der Ausgabe von Hilfsgütern beschossen, wobei 115 ermordet wurden. Der Hunger wird so extrem, dass die ersten Kinder bereits daran gestorben sind. Währenddessen haben die Ermordungen und Vertreibungen auch im Westjordanland explosionsartig zugenommen.

Das alles wird auch möglich, weil Deutschland an Israel Waffen liefert, diplomatische Unterstützung leistet und seine Hilfszahlungen an das UN-Geflüchtetenwerk für Palästina eingestellt hat. Seit Neustem ist es auch noch direkter in den Krieg involviert, indem die Bundesmarine die Drohnenangriffe auf mit Israel assoziierte Schiffe auf See bekämpft.

Doch der Einfluss Deutschlands bedeutet auch, dass wir hier mit unserem Widerstand einen großen Einfluss auf den Krieg nehmen können. Die pro-palästinensische Bewegung bietet der Regierung bereits seit Anfang Oktober ununterbrochen die Stirn und bringt den Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und für das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf die Straßen. Vom 12. – 14. April 2024 findet in Berlin ein Kongress statt, der zum Ziel hat, die Bewegung zu bündeln und weiterzuentwickeln. Zusammen können wir den Krieg und den Genozid beenden!

Hier der Link zur Anmeldung beim Kongress: https://palaestinakongress.de/




AfD bekämpfen – aber wie?

Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024

Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.

Bürgerlich-demokratische Heuchelei

Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.

Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Verbieten oder bekämpfen?

Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.

Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.

Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.

Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“

Von Böcken und Gärtnern: der bürgerliche Staat als antifaschistisches Bollwerk?

Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.

Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.

Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.

Über Ursachen und Strategien

Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.

Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.

Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.

Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.

Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.

Staat, Rechte, Klassenkampf

Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.

Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.

Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.

In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?

Arbeiter:inneneinheitsfront statt „Einheit der Demokrat:innen“

Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.

So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt  eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr: Hochrüstung für deutsche Kapitalinteressen

Helga Müller, Neue Internationale 280, Februar 2024

Die Umorientierung der Bundeswehr von der Landesverteidigung zur Eingreiftruppe ist in vollem Gange. Schließlich gilt es, wirtschaftliche sowie geostrategische Interessen des deutschen Großkapitals im Kampf um die Neuverteilung der Welt zu verteidigen. Spätestens seit der Aussage des SPD-Verteidigungsministers Pistorius, die deutsche Bundeswehr müsse jetzt auch endlich mal kriegstüchtig werden, wird immer deutlicher, was Bundeskanzler Olaf Scholz unter der viel zitierten Zeitenwende versteht: Deutschland muss in der Lage sein, seine Interessen auch militärisch zu verteidigen.

Ganz nebenbei stellen Aufrüstung und Militarisierung auch noch ein willkommenes Konjunkturprogramm für die deutsche Rüstungsindustrie dar. Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall AG, ist recht zufrieden. „Wir sind auf gutem Kurs, um unsere ehrgeizigen Jahresziele für nachhaltiges profitables Wachstum zu realisieren.“ Auch im dritten Quartal 2023 gingen die Geschäftszahlen des Konzerns insgesamt nach oben. Der Umsatz stieg in den ersten neun Monaten um 13 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro.

Nicht an Waffen sparen

Trotz massiven Sparhaushalts, Beibehaltung der Schuldenbremse, wie es FDP-Finanzminister Lindner wünscht, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und des daraus resultierenden Haushaltslochs, das finanziert werden muss – am Etat der Bundeswehr wird nicht gerüttelt. Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro – oder auch Sonderschulden, die genauso finanziert werden müssen wie der auf 2 % des BIP erhöhte reguläre Wehretat – bleiben unangetastet. In der Debatte um den Wehretat im Bundestag Anfang September 2023 garantierte Bundeskanzler Scholz, dass die Nato-Quote – also die 2 % vom BIP – „auch in den Jahren 2028, 2029 und in den 2030er Jahren erreicht wird“. Um das zu stemmen, müssten „allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanziert werden“ (nd-aktuell.de, 6.9.2023, Bundestag zum Wehretat: Aufrüstung über alles). Insgesamt summieren sich die Militärausgaben mit den für das kommende Jahr eingeplanten Mitteln aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von gut 19 Milliarden und mit den für Rüstung und Truppe vorgesehenen Mitteln aus anderen Ressorts in Höhe von 14 Milliarden Euro auf 85 Milliarden Euro! Eine Summe, die im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge dringend benötigt würde!

Alle(s) für den Krieg?

Um dieses Ziel zu erreichen, schreckte Pistorius auch nicht davor zurück, sich direkt in die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen einzumischen und die Tarifparteien dazu aufzufordern, die Lohnerhöhung nicht zu hoch zu schrauben, um das Sondervermögen nicht in Frage zu stellen. Wie wir mittlerweile wissen, hat sich ver.di und nicht nur diese an diese Aufforderung gehalten, ganz im Interesse des deutschen Imperialismus, um seine neue Rolle in der Welt auch spielen zu können. Wie eng hier Gewerkschaftsspitzen, Regierung und Arbeit„geber“:innenverbände zusammenarbeiten, hat nicht zuletzt die von Bundeskanzler Olaf Scholz einberufene Konzertierte Aktion gezeigt, bei der sich diese auf das Instrument der steuerfreien Einmalzahlungen bis 3.000 Euro geeinigt haben, um die realen Lohnerhöhungen abzuflachen.

Um was es beim Begriff der Kriegstüchtigkeit geht, hat SPD-Verteidigungsminister Pistorius in seinen auf der im November stattgefundenen Bundeswehr-Tagung – ein jährliches Treffen der Regierung mit dem militärischen und zivilen Spitzenpersonal der Bundeswehr – vorgelegten „Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Zeitenwende“, die die Grundlage für eine „leistungsfähige Bundeswehr der Zukunft“ liefern sollen, dargestellt:

Der Ukrainekrieg dient als Begründung dafür, die Truppe noch schneller aufzurüsten, sie „schlagkräftiger“ zu machen, damit sie für „neue Aufgaben“ bereit ist. Da heißt es: „Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, in denen Einsätze zum internationalen Konfliktmanagement strukturbestimmend und Landes- und Bündnisverteidigung in den Hintergrund gerückt waren, lassen sich nicht in wenigen Jahren umkehren“ und „der Weg zu einer umfassend einsatzbereiten Bundeswehr, die unsere Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Bündnispartner zu Recht erwarten, erfordert einen langfristigen Anpassungsprozess“. Bei den „Reformen“, der Beschaffung von Ausrüstung und Material sowie Bauprojekten soll deshalb Tempo vorgelegt werden: „Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr“. Maßstab hierfür sei „jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Die BRD müsse „Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein“ (jw, 11.11.2023, Nur der erste Schritt).

SPD übernimmt Verantwortung …

Deutlicher wurde das Ziel ausgerechnet im außenpolitischen Leitantrag für den Parteitag der SPD in Berlin im Dezember 2023 formuliert. Dieser spricht sich für eine Führungsrolle Deutschlands in der Welt aus. Das Militär wird im Entwurf für den Leitantrag als Mittel der Friedenspolitik bezeichnet.

Schon ein dreiviertel Jahr vorher hatte Pistorius bei der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz 2023 genauer definiert, was er und die Bundesregierung unter der neuen Verantwortung der Bundeswehr und der deutschen Außenpolitik verstehen: Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Es geht um die Bekämpfung des Islamismus, die Begrenzung der Migration und die Sicherung von Einflusszonen und Rohstoffen. Man kann davon ausgehen, dass die Bundesregierung stattdessen vom „Schutz der Menschenrechte“ oder auch von Notwendigkeiten, die sich aus der „feministischen Außenpolitik“ ergeben werden, sprechen wird, wenn sie sich erneut militärisch in Afrika engagiert, denn „die russischen Ambitionen in Afrika bedeuten nicht, dass sich das Militär der Bundesrepublik komplett aus dem Kontinent zurückziehen wird.“ Doch auch andere Regionen bleiben für Deutschland von Interesse.

So werde der Indopazifik weiterhin eine Rolle spielen, erklärte Pistorius. Es gehöre dazu, mit Partner:innen zu üben und: „Es ist notwendig, dass wir Flagge zeigen. Wir müssen klarmachen, dass uns die Region nicht egal ist.“ Dort wird erwartet, dass sich der Konflikt zwischen den USA und China verschärfen wird.“

Noch offener kann man die neuen Ambitionen des deutschen Imperialismus nicht mehr aussprechen und das aus dem Mund eines Sozialdemokraten, Mitglied einer Partei, die aus der Arbeiter:innenbewegung entstanden ist und sich jetzt offen für die Verteidigung deutscher Kapitalinteressen einsetzt!

… und Gewerkschaften geben sie ab

Der mit nichts zu rechtfertigende Krieg Russlands gegen die Ukraine hat der deutschen Bundesregierung alle Argumente in die Hand gegeben, um die Hochrüstung im Interesse der Verteidigung der Interessen des deutschen Kapitals ohne größeren Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen. Die Gewerkschaftsspitzen haben das Ihre dazu getan, um gewerkschaftspolitischen Widerstand dagegen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Proteste gegen das Sondervermögen der Bundeswehr gab es keine und die Tarifrunden im öffentlichen Dienst wurden befriedet, statt zu versuchen, die Ausgaben für die Ausrüstung zurückzunehmen und für die Lohnabhängigen zu nutzen.

Auch die neu aufgekommene Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Angestoßen wurde diese wiederum vom Verteidigungsminister, der dafür ausgerechnet vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder Unterstützung erhält: Auch wenn dieser Vorstoß in der SPD umstritten ist – so ist die SPD-Parteichefin Esken dagegen –, verwies die Wehrbeauftragte des Bundestags Högl von der SPD in ihrem Jahresbericht 2022 darauf, dass sich die Zahl der Bewerber:innen im Jahr 2022 mit einem Minus von elf Prozent erheblich verringert habe. Die Personalstärke betrug demnach 183.051 Soldati:nnen, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. „Bis zum Ziel, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 im Jahr 2031 zu erhöhen, ist es noch ein langer Weg“, konstatierte Högl. Neben dem weiter steigenden Altersdurchschnitt macht ihr auch der Anstieg der Abbrecherquote Sorgen.

Der Militarisierung entgegen!

Die militärischen Großmachtambitionen Deutschlands und der EU gehen einher mit massiven Angriffen auf unsere Lebensbedingungen in Form von Sozialraub, Bildungskürzungen und Zerschlagung von Tarifrechten. Und gerade dort, wo es besonders schwierig ist, einen Job, eine Lehrstelle oder einen gebührenfreien Studienplatz zu kriegen, umwirbt das Militär junge Leute mit dem Versprechen auf einen krisensicheren Arbeitsplatz.

Doch der Zusammenhang von neoliberalem Sozialabbau und Militarisierung geht tiefer: Die verstärkte kapitalistische Standortkonkurrenz zwingt zur neoliberalen „Mobilmachung“ der Gesellschaft, die in der militärischen Mobilmachung, im weltweiten Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte nur ihre logische Fortsetzung findet.

Die militärischen Ambitionen des deutschen Imperialismus richten sich gegen alle Lohnabhängigen und Unterdrückten – auch in Deutschland! Dieses Jahr findet die Sicherheitskonferenz vom 16. bis 18. Februar im Bayerischen Hof der bayerischen Landeshauptstadt statt. Die Proteste starten am Samstag, 17.2. um 13 Uhr am Karlsplatz. Wir begrüßen, dass auch der ver.di-Bezirk München zu den Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz aufgerufen hat. Auch die anderen Gewerkschaften und der DGB sind aufgefordert, ihre Politik des nationalen Konsenses mit der Regierung aufzugeben und zu den Protesten gegen die Konferenz aufzurufen und dafür in den Betrieben, im Stadtviertel, an Schulen und Universitäten zu mobilisieren! Diese Mobilisierung sollte mit Vollversammlungen in den jeweiligen Institutionen verbunden werden, wo die Auswirkungen der Aufrüstung zusammen mit den Einsparungen diskutiert werden – mit der Perspektive, Aktionskomitees zu bilden, die eine Bewegung gegen Krieg und Militarisierung vor Ort aufbauen.

Wir rufen alle Antikriegsaktivist:innen, linken Gruppen, Mitglieder der Linkspartei, Gewerkschafter:innen dazu auf, sich an den Protesten zu beteiligen und so zu mobilisieren, denn: „Wie schon seit 60 Jahren treffen sich im Februar 2024 Staatsvertreter, Militärs und Rüstungskonzerne zur Münchner ,Sicherheitskonferenz’ (Siko) im Bayerischen Hof. Bei dieser Privatveranstaltung, die u. a. mit Steuergeldern finanziert wird, ging es nie um Sicherheit, sondern immer um die Machtinteressen der NATO und ihrer Mitgliedstaaten – besonders die der deutschen Bundesregierung, die eine militaristische ,Zeitenwende’ losgetreten hat und nun das ganze Land ,kriegstüchtig’ machen will. Heute organisiert die Bundesregierung die größte Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg und schickt Waffen in Kriegsgebiete. Das bedeutet: Wettrüsten, Konfrontation, Krieg – bis hin zum Atomkrieg.“ (Aus dem Aufruf des Anti-Siko-Bündnisses)




Palestine will never die: Wie weiter mit der Palästinasolidarität in Deutschland?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 280, Februar 2024

Ob Münster, Hamburg, Leipzig, Dresden, Düsseldorf: Seit Beginn der Bombardierungen Gazas gibt es in Deutschland zahlreiche Proteste. Mancherorts wie in Berlin, Frankfurt am Main oder Hamburg konnten sogar aufgrund des stetigen Drucks Demonstrations- und Versammlungsverbote durchbrochen werden. Seit Monaten organisieren Aktivist:innen Aktionen gegen die Vertreibung und den drohenden Genozid an Gazas Bevölkerung. Kurzum: Es ist das erste Mal seit Jahren, dass es eine massenhafte Palästinasolidarität gibt, die versucht, sich Gehör zu schaffen – angesichts des Kräfteverhältnisses und der politischen Lage in Deutschland ein mehr als schweres Anliegen.

Denn die Bundesregierung hat mehr als klargemacht, dass sie kein Interesse hat, das Morden zu verhindern. Sie ist vielmehr aktive Unterstützerin durch die diversen Waffenlieferungen, die sich seit Oktober 2023 verzehnfacht haben und hat mit ihrer Enthaltung bei UN-Resolutionen sowie der Leugnung des Genozids beim Internationalen Gerichtshof deutlich gemacht, dass sie die Angriffe und Vertreibung der Palästinenser:innen unterstützt. Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson und anders als in Britannien, den Niederlanden oder Belgien sind die Gewerkschaften nicht in die Mobilisierungen eingebunden. Prozionistische Positionen, die letzten Endes die Unterdrückung der Palästinenser:innen legitimieren, sind nicht nur Regierungssache, sondern auch in bedeutenden Teilen der Arbeiter:innenbewegung und Linken verbreitet.

Was ist das Ziel?

Auch deswegen ist es kein Wunder, dass viele Aktivist:innen müde sind, erschöpft, ausgelaugt. Denn trotz aller Anstrengungen und Proteste ist es bisher nicht gelungen, den Krieg zu beenden, die Bombardierungen zu stoppen. Stattdessen werden stetig neue Nachrichten über das Elend und Leiden von Gazas Bevölkerung in die Social Media Feeds gespült.

Doch es gibt etwas Antreibendes: Es ist unsere Aufgabe, nicht nur für die Menschen zu kämpfen, die in diesem Moment sterben, sondern auch für jene, die als Nächste dran sein könnten. Denn es gibt keine Sicherheit für die Bevölkerung in der Westbank. Deswegen müssen wir nicht nur gegen die Bombardierung Gazas kämpfen, sondern für Palästinenser:innen in der Westbank, den Camps, allen von Israel besetzen Gebieten. Für uns geht es also um alle, die jetzt vom israelischen Staat ermordet werden – und alle, die drohen, ermordet und vertrieben zu werden – und für alle, die bereits vertrieben worden sind. Denn sie haben das Recht zurückzukehren. Es geht uns nicht nur um einen Waffenstillstand, sondern darum, die Unterdrückung der Palästinenser:innen zu beenden, und dieser Kampf ist nicht verloren.

In Deutschland ist dieser Weg steinig und schwer. Aber die Anstrengungen der Aktivist:innen in den vergangenen Monaten haben es geschafft, eine Grundlage zu errichten, auf der man einen Teil des Kräfteverhältnisses in Deutschland dauerhaft ändern kann – und propalästinensische, antizionistische Positionen besser in der Linken zu verankern, um so den Kampf weiterzuführen. Doch wie schaffen wir das konkret?

Was also tun?

Einer der essenziellen Schritte ist es, mehr Leute in die Bewegung hereinzuziehen. Aktivist:innen, die innerhalb der Bewegung aktiv sind, wissen, dass das leichter geschrieben ist als getan. Mit einfacher Überzeugungsarbeit ist es nicht möglich, denn eigentlich sprechen die Zahlen der getöteten Palästinenser:innen sowie die Geschichte der Besatzung für sich. Doch selten bringen reine Fakten Menschen zur Einsicht, wie wir am Beispiel des Klimawandels sehr gut wissen. Eines der Kernprobleme liegt darin, dass es in Deutschland nicht nur eine organisierte mediale Kampagne gegen die Palästinasolidaritätsproteste gibt, sondern der ganze Konflikt rund um Besatzung und Krieg aus Perspektive des zionistischen Regimes medial dargestellt wird, kombiniert mit dem Rechtsruck und der Zunahme des antimuslimischen Rassismus vor allem nach dem 7. Oktober. Deswegen müssen wir uns fragen, wie wir dies aufbrechen können.

1. Bundesweite Vernetzung und Koordinierung

Um dem Protest mehr Ausdruck zu verleihen, braucht es eine bundesweite Koordinierung. Gemeinsame Slogans, Forderungen und bundesweite (de)zentrale Aktionstage können zum einen helfen, die Isolierung an manchen Orten zu durchbrechen, und Mobilisierungen erleichtern. Vor allem hilft ein kollektiver Auftritt dabei, mehr Menschen außerhalb der Bewegung anzusprechen. Er verdeutlicht: Wir sind nicht alleine, wir sind Teil einer Bewegung – in Deutschland und international. Um dies zu ermöglichen, bietet sich eine Strategie- und Aktionskonferenz an, an der sich Aktivist:innen und Organisationen aus der Bewegung beteiligen können, bei der ein gemeinsamer Austausch sowie die Planung künftiger, gemeinsamer Aktivitäten stattfindet. Insbesondere das Datum 14. Mai – der Nakba-Tag – bietet sich an, bundesweit einen kollektiven Massenprotest zu organisieren. Dabei ist es besonders relevant, Deutschlands Rolle offen herauszustellen. Nicht nur dass Palästinenser:innen und antizionistische Juden und Jüdinnen mit Repression überzogen werden, auch die Finanzierung des Völkermordes sowie Lieferung von Waffen sollten angesprochen werden. Mögliche Forderungen können beispielsweise sein:

  • Nein zu allen Waffenlieferungen an Israel, Schluss mit allen Rüstungs-, Wirtschafts- und Geheimdienstkooperationen!

  • Nein zu weiteren autoritären Einschränkungen der Meinungsfreiheit, des Versammlungsrechts, des Asyl- und Staatsbürger:innenschaftsrechts! Für die Aufnahme von Vertriebenen aus Gaza und Unterstützung der medizinischen Versorgung!

  • Für ein Ende des Verbots palästinensischer Organisationen und Slogans für Befreiung und Gleichheit.

2. Aufbau von Basisstrukturen an Schulen, Unis und in Betrieben

Ob in München oder Berlin: In manchen Städten haben sich vor allem an Universitäten bereits Solidaritätskomitees gebildet. Den Protest an Orte zu bringen, an denen sich Menschen tagtäglich aufhalten müssen, ist ein zentraler Schritt, wenn man Bewegungen verankern sowie ausweiten will. Denn es geht darum, die Orte an denen wir sein müssen, zu politisieren und jene zu erreichen, die unsicher sind oder schlichtweg keine Ahnung haben (wollen), sie in die Konfrontation zu bringen.

Dabei ist wichtig, allgemeine Forderungen der Bewegungen mit solchen vor Ort zu verbinden um so die Auseinandersetzung greifbarer zu machen für jene, die noch nicht Teil ihrer sind. Konkret kann das beispielsweise heißen, dass Projekte, die den israelischen Staat unterstützen oder in Kooperation mit ihm stattfinden, ausgesetzt oder beendet werden; dass einseitige Solidarisierungsstatements zurückgenommen werden; dass die jeweilige Schule sich dazu entschließt, Verbote wie das der Kufiya nicht umzusetzen. Es kann auch bedeuten, für konkrete Forderungen zu kämpfen wie beispielsweise Solidaritätserklärungen gegen Kündigungen, die Übernahme von Ausstellungen, die gecancelt worden sind, oder die Schaffung neuer Projekte und offener Solidarisierung mit den Palästinenser:innen.

3. Druck ausüben, Opposition organisieren – die Arbeiter:innenklasse gewinnen

Wie andere Länder zeigen, ist es für wirksame Proteste notwendig, die Gewerkschaften auf unsere Seite zu ziehen. Ob Belgien oder Italien: Hier haben Arbeiter:innen Waffensendungen blockiert. Ähnliches wäre beispielsweise möglich, wenn es darum geht, Waffen an Israel zu blockieren und deren Transport zu stoppen. In Deutschland gestaltet sich das Ganze jedoch nicht einfach. Sowohl der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) als auch die DGB-Jugend haben sowohl in der Vergangenheit wie auch jetzt einseitige Stellungnahmen in Solidarität mit dem israelischen Staat – und somit auch der mörderischen Offensive – verfasst.

Überraschend ist das nicht, schließlich tragen sie auch an anderen Stellen die Politik der Regierung mit. Abschreiben dürfen wir diese Massenorganisationen deswegen jedoch nicht. Ein Solidaritätsstreik, organisiert durch diese Verbände, wäre um ein Vielfaches größer und effektiver als alles, was wir aktuell aus den Aktionen selbst heraus organisieren können. Das heißt: Die Gewerkschaften in Bewegung zu bringen, klappt nicht, indem man einfache Appelle verfasst, an ihnen vorbei Proteste organisiert oder die Hoffnung in Bürokrat:innen setzt. Nur im Rahmen einer politischen Bewegung, die a) die deutschen Gewerkschaften klar auffordert, es ihren Geschwisterorganisationen in anderen Ländern gleichzutun, und b) aktiv auf die Gliederungen zugeht und sie versucht, in eine Kampagne mit einzubeziehen, können wir erfolgreich sein. Kleine Lichtblicke sind hier beispielsweise auch der Offene Brief an den DBG-Jugendbundesausschuss, unterzeichnet von mehr als 500 Gewerkschaftsmitgliedern, die sich gegen die einseitige Positionierung stellen. (https://www.change.org/p/offener-brief-den-dgb-bundesjugendausschuss) Dies kann ein erster Ansatz sein, um weitere Aktivität anzustoßen: Seien es Anträge in Gewerkschaftsgliederungen selbst, die eine klare Verurteilung der israelischen Offensive benennen, verbunden mit der Teilnahme an lokalen Protesten. Damit wir die Gewerkschaften und generell die reformistische Arbeiter:innenbewegung von der Unterstützung der Regierung und für Solidarität mit Palästina gewinnen können, brauchen wir eine massenhafte Aufklärungskampagne über den wirklichen Charakter des Krieges gegen die Palästinenser:innen und die imperialistischen Interessen im Nahen Osten. Nur Lohnabhängige, die die Lügen der Herrschenden durchschauen, indem wir sie geduldig überzeugen, können für Solidaritätsaktionen und den Aufbau einer Bewegung gewonnen werden, die in der Arbeiter:innenklasse verankert ist.

Zweifache Aufgabe

Das heißt, für uns als Revolutionär:innen stellen sich zwei Aufgaben. Wenn wir – ähnlich wie in Britannien – Hunderttausende von Menschen auf die Straße bringen wollen, dann müssen wir mehr Kräfte integrieren als jene, die es bereits gibt, und existierende Strukturen bündeln. Und so eine Bewegung ist notwendig, um Repression, Desinformation und der Regierungspolitik etwas entgegenzustellen. Zum einen geht es also um den Aufbau einer breiten, palästinasolidarischen Bewegung, an der sich mehr Kräfte beteiligen – vor allem die Organisationen der Arbeiter:innenklasse.

Zum anderen müssen wir in solch einer Bewegung für ein revolutionäres, internationalistisches Programm eintreten. Dabei machen wir unsere Position nicht zur Vorbedingung für alle, die sich am Aufbau einer Protestbewegung gegen das Morden und die Vertreibung einsetzen wollen, sondern kämpfen in dieser dafür. Denn Bewegung alleine hilft nicht, wenn man nicht an den entscheidenden Punkten mit entsprechenden Mitteln Druck ausübt und ziellos vor sich hin demonstriert oder zwar abstrakt die richtigen Forderungen aufwirft, aber nicht die Massen hinter sich weiß, diese durchzusetzen.

Unserer Meinung nach kann die Befreiung Palästinas nur möglich sein, wenn wir in den imperialistischen Ländern die Komplizenschaft mit der israelischen Regierung beenden. Dazu bräuchte es massenhafte, längere Streikwellen sowie Blockaden gegen die Waffenlieferungen, wie es in Italien oder Belgien bereits passiert ist. Gleichzeitig braucht es in den Ländern des Nahen Ostens eine Massenbewegung wie den Arabischen Frühling. Denn die aktuellen Regime haben mehr als klargemacht, dass ihnen nicht nur der Lebensstandard ihrer eigenen Bevölkerung egal ist, sondern sie maximal bereit sind, die israelische Regierung in Worten zu kritisieren. Taten sind mehr als sparsam wie Erdogans oder Assads Praxis zeigen, die weiter Krieg gegen die Kurd:innen und ihre eigenes Volk führen. Ihnen geht es darum, ihre eigene Stellung zu erhalten. Es bräuchte aber eine Bewegung, die die Despot:innen aus ihren Ämtern fegt und im Interesse der Arbeiter:innenklasse handelt. Lasst uns die Anstrengungen der vergangenen Monate nutzen und den Protest voranbringen! In dem Sinne: Stoppt das Morden, stoppt den Krieg, Intifada bis zum Sieg!




Partei Bündnis Sahra Wagenknecht: Demokratie nur für die anderen

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Die offizielle Gründung der Wagenknecht-Partei brachte wenig Neues. Floskeln wie eine „verantwortungsvolle Politik, die Wohlstand, sozialen Ausgleich und Frieden fördert“ und, bei Erfolg eine „bessere Regierung“ zu sein, sind schon seit dem 23. Oktober bekannt – der Tag an dem das Programm veröffentlicht wurde.

In unserer Sondernummer zur Krise der Linkspartei haben wir das Programm einer ausführlicheren Kritik unterzogen. Die Mischung aus „vernünftiger Wirtschaftspolitik“, die das Wunder verspricht, Lohnabhängigen wie Unternehmer:innen zu nutzen, soll nicht nur Wohlstand bringen, sondern auch Deutschland vor der angeblich drohenden Deindustrialisierung retten. Ansonsten will man Frieden, mehr Demokratie und Wohlstand – allerdings könne das nicht funktionieren, wenn „zu viele“ in Deutschland leben, also müsse die Migration strikt begrenzt werden.

Links ist an der populistischen Mischung nichts. Und auf der Pressekonferenz zur Parteigründung erklärte Wagenknecht für alle, die es nicht ohnedies schon wussten, dass DIE LINKE eh nur noch für „skurrile Minderheiten“ stünde, so dass der Begriff links für ihre Partei fortan nicht verwendet würde. Man kann nur hoffen, dass sie dieses Versprechen hält.

Team Sahra

Statt also inhaltlich in die Tiefe zu gehen, wurden bei der Gründung Vorstand und Spitzenkandidat:innen zur Europawahl, die von 44 handverlesenen Mitgliedern gewählt wurden, präsentiert. Im sechsköpfigen Vorstand, der am 23. Oktober noch erweitert wurde, befinden sich zum einen vier ehemalige Funktionär:innen der Linkspartei, zum anderen zwei Mitglieder aus dem unternehmerischen Lager (Ralph Suikat, Shervin Haghsheno). Allein das macht schon die Ausrichtung der Partei deutlich: nicht auf die Arbeiter:innenklasse, sondern auf den „innovativen“ unternehmerischen Mittelstand zu setzen, diese Speerspitze des „Volkes“. Und dass, obwohl Wagenknecht während ihrer Linksparteizeit nie müde wurde zu kritisieren, dass man das Interesse „der kleinen Leute“ aus den Augen verloren hätte.

Spitzenkandidaten für die Europawahlen wurden Fabio De Masi, ehemaliger Abgeordneter und langjähriger Wagenknecht-Vertrauter, und Thomas Geisel, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von Düsseldorf und überzeugter Anhänger von Gerhard Schröder und Hartz IV. In seinem Austrittsschreiben aus der SPD fordert er die „Ablösung“ des „individuellen Grundrechts auf Asyl“, weil das einen „Freifahrtschein“ für ungezügelte Migration bedeuten würde. Die SPD und die Ampel-Koalition würden sich dieser angeblichen Realität verweigern, während die BSW Deutschland retten und endlich wieder „Leistungsgerechtigkeit“ herstellen würde, statt Menschen vor allem aufgrund von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe und sexueller Orientierung zu fördern! Die Schilderungen – nicht nur des Spitzenkandidaten – erlauben einen Blick in den politischen Abgrund, für den BSW steht.

Festung BSW

Das eigentliche Parteiprogramm soll bis 2025 nachgereicht werden, ausgearbeitet von einer „Expert:innenkommission“. Diese bestimmt der Vorstand, der innere „Kern“ der Bewegung und im Zweifel der Kern des Kerns, Sahra Wagenknecht. Natürlich wollen die Initiator:innen auch eine Partei aufbauen. Damit sich „Wirrköpfe“, „Trittbrettfahrer:innen“ oder Menschen, die noch immer meinen, die Partei Wagenknecht wäre links, fortschrittlich oder gar antikapitalistisch, erst gar nicht in den Laden „verirren“, soll die zukünftige Mitgliedschaft sorgfältig ausgewählt und überprüft werden.

Wer sich gestern noch über die „Verengung des Meinungskorridors“ in der Linkspartei beschwerte, will nun erst gar keinen zulassen. Natürlich nur, um die Vernunft der Partei zu wahren.

„Wir wollen langsam und kontrolliert wachsen, um das Projekt nicht zu gefährden“, heißt es auf der Homepage und auch die veröffentlichen Statuten zeigen: Mehr Demokratie und Meinungsfreiheit mag zwar gefordert werden, für die eigene Struktur gilt das aber nicht unbedingt. Dabei besteht das Problem nicht darin, dass wie in „§ 7 Rechte und Pflichten der Mitglieder“ Mitglieder dazu verpflichtet sind, „sich an der politischen und organisatorischen Arbeit der Partei zu beteiligen“, oder es einen Überprüfungszeitraum von einem Jahr gibt für Leute, die eintreten wollen (§ 4 Aufnahme der Mitglieder). Die Probleme sind vielmehr die mangelnden demokratischen Rechte der handverlesenen Mitglieder, die es ins BSW geschafft haben, den Parteivorstand zu kontrollieren. Dieser muss weder Rechenschaftsberichte vorlegen noch seine Entscheidungen großartig begründen – während die Landes- und Kreisverbände dies gegenüber dem Vorstand tun müssen. Der Parteitag muss alle 2 Jahre zusammenkommen und ist das höchste Gremium (§ 10 Parteitag) – die Möglichkeit, einen Notparteitag einzuberufen, falls man mit der Arbeit des Vorstands nicht zufrieden ist, wird natürlich nicht eingeräumt.

Diese Einbahnstraße der Demokratie wird auch bei der Aufnahme von Mitgliedern ersichtlich. Im Überprüfungszeitraum von einem Jahr, bis man die Vollmitgliedschaft bekommt, kann jedes BSW-Mitglied Einspruch erheben und der Vorstand der Gliederung – oder Parteivorstand höchstpersönlich – überprüft das dann. Da die Ablehnung eines Mitgliedsantrags keiner Begründung bedarf, ist so auf jeden Fall sichergestellt, dass niemand mit „falscher“ Gesinnung eintritt. Statt also ein inhaltliches Programm zur Basis der Entscheidung zu machen, muss man wissen, wie man den Vorständen gefällt. Im Klartext: Die BSW will keine Wiederholung des Aufstehen-Projektes, das lt. Wagenknecht und De Masi an zu viel Offenheit zugrunde gegangen wäre, weil es zu viele „nicht-konstruktive“ Mitglieder gegeben hätte, die dort ihr eigenes Süppchen gekocht hätten. Daher soll es kontrollierte Aufnahmen geben – und die Sicherung der Vorstandsposition ist nun auch gewährleistet.

Und „Was tun“?

Bis zum 27. Januar werden  450 Menschen hinsichtlich ihrer Eignung als Mitglied überprüft. Dabei wird wahrscheinlich auch so manche/r aus der Linkspartei auf der Strecke bleiben, die/der sich eigentlich der neuen Partei anschließen wollte. Dazu gehören die Mitglieder und Anhänger:innen des „Was Tun“-Netzwerkes. Diese linken Mitglieder der Linkspartei erhofften sich letztes Jahr, dass mit der Wagenknecht-Partei eine Formation entstehen würde, in der sie für „eine antimilitaristische, antiimperialistische und an den gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse orientierten Politik“ kämpfen könnten.

Eine Hoffnung, die schnell begraben werden kann. Unter den ersten 450 dürften sich jedenfalls nur wenige aus dem „Was Tun“-Netzwerk befinden. Denn auch wenn das politische Verständnis dieser Strömung stark vom stalinistischen Reformismus geprägt ist, so unterscheidet es sich von Wagenknecht. Auf ihrer letzten bundesweiten Konferenz im Dezember 2023 wurde die BSW zwar einerseits gefeiert, andererseits machte sich auch Skepsis breit. Jede Erwähnung des Wortes Sozialismus fehle und die Position zur Migration hätte einen „falschen Zungenschlag“ (was selbst schon eine extreme Beschönigung der sozialchauvinistischen, ja oft direkt rassistischen Forderungen und Äußerungen der BSW darstellt).

Dass solche Kritiker:innen nicht gerne in der neuen Partei gesehen werden, dämmerte auch einigen Kongressteilnehmer:innen, die sich in ihrer Verzweiflung sogar für einen Verbleib in der LINKEN aussprachen, weil man diese eher „übernehmen“ könne, falls das neue Projekt auch scheitere.

Gescheitert sind schon jetzt alle, immer schon illusorischen Hoffnungen auf eine „linke“ BSW. Dass Wagenknecht und Co. für ihr Projekt keine „Spinner:innen“ mit „unkonstruktiven Beiträgen“ und abschreckenden Forderungen brauchen, dass dort keine Debatten über Programm, Inhalt und Ziel der Partei gewünscht sind, sollte nicht weiter verwundern. Es entspricht einem Projekt, an dessen bürgerlichem, populistischen Charakter Wagenknecht nie einen Zweifel gelassen hatte.




Staatshaushalt: Verschlimmbesserungen

Bruno Tesch, Neue Internationale 280, Februar 2024

Nach der Einigung bis Jahresende 2023 für Budgetkürzungen im kommenden Etatjahr hat das Regierungskabinett aus SPD, Grünen und FDP sich am 8.1.2024 darauf verständigt, diese Einsparvorschläge dem Bundestag zur endgültigen Verabschiedung vorzulegen. Abstriche vom ursprünglichen Entwurf waren notwendig geworden, weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Finanzlücke von rund 30 Milliarden Euro im Kernhaushalt, entstanden durch die als Unrecht erkannte Umwidmung aus dem Klima- und Transformationsfonds, aufzufüllen ist.

Zu den gewichtigsten Posten im Sparpaket zählen Schritte zum sektoralen Subventionsabbau, branchenweise steuerliche Aufschläge und Zuschusskürzungen allgemeinerer Art.

Sektorale Einschnitte

Doch gleich die ersten dieser Pflöcke zur Subventionseinschränkung, der Wegfall der Befreiung von der Kfz-Steuer bzw. Stützung von Dieselkraftstoffen im Agrarbereich wurden vom furiosen Proteststurm von Bauern und Bäuerinnen im Verein mit Speditionsunternehmer:innen und anderen Mittelschichten aus der Verankerung gerissen. Sie wurden eilends entweder ganz zurückgenommen oder stufenweise zeitlich gestreckt, wobei auch hier das letzte Wort noch nicht gefallen sein mag.

Weitere Bemühungen zur fiskalischen Defizitdeckung betreffen z. B. die Einführung höherer Ticketsteuern auf Abflüge von deutschen Flughäfen. Je nach Endziel der Reise können sie um ein Fünftel auf 15,53 bis 70,85 Euro pro Passagier:in steigen. Zwar werden direkt damit die Fluggesellschaften belastet, doch die können und werden ihren Kund:innen diese Aufschläge als Fluggepäck aufbürden, damit die Unternehmen nur ein Luftpolster zu tragen haben.

Die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer, die als Erleichterung während der Pandemie in der Gastronomiebranche auf 7 % abgesenkt worden war, wird mit Preiserhöhungen einhergehen, deren Zeche die Restaurationsgäste, aber auch das ohnehin ausgedünnte Personal mit Entlassungen zu begleichen haben werden.

Bürger:innengeld

Von größerer Tragweite, wenn auch weniger in finanzieller Hinsicht, sind die Änderungen, die an die Zahlungen des Bürger:innengeldes geknüpft werden sollen. Es war als Errungenschaft der Ampelkoalition Ende 2022 gesetzlich verankert worden und sah gegenüber der alten Arbeitslosengeld II-Regelung u. a. vor:

  • einen höheren Regelsatz

  • höheres Schonvermögen (bis 40.000 Euro)

  • bei Versäumnissen keine Sanktionen bis hin zur völligen monatsweisen Streichung der Bezüge

  • Wegfall des Vermittlungsvorrangs, d.h. Aus- und Weiterbildung können einer Jobaufnahme vorgezogen werden.

Außerdem wurden im Zusammenhang damit ab Juli 2023 Teilnahmeboni an beruflichen Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen genehmigt. Schüler:innen, Studierende und Auszubildende können bis zur Minijob-Einkunftsgrenze (520 Euro im Monat) anrechnungsfrei hinzuverdienen.

Nun jedoch folgt die Kehrtwende. Jobcenter sollen das Bürger:innengeld für 2 Monate ganz streichen können, obwohl dies 2019 vom Bundesverfassungsgericht untersagt wurde! Nur der Bonus für einen Abschluss soll bestehen bleiben, jener für eine einfache berufliche Weiterbildung, also der Regelfall, entfällt.

Insbesondere die SPD zeigt, was von ihren Versprechungen auf dem Parteitag im Dezember, ihr soziales Profil zu schärfen, wirklich zu halten ist. Die neuen Entwürfe zum Bürger:innengeld kamen aus dem Ressort des Ministers für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil.

Handelte sich die Regierung mit ihren Vorschlägen zu den Subventionskürzungen noch harsche Kritik der rechten Oppositionsparteien ein, riefen die Verschärfungen bei der Vergabe des Bürger:innengeldes beifälliges Nicken von rechts hervor. Denen gehen die Einschränkungen immer noch nicht weit genug.

Besonders fatal ist auch der Zusammenhang mit dem Vorstoß vom CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der das Bürger:innengeld für ukrainische Flüchtlinge für einen Fehler hält. Zuvor lieferten jedoch schon Aussagen aus dem Innenministerium um die Sozialdemokratin Nancy Faeser Zündstoff, die die verstärkte und an Vorleistungen geknüpfte Arbeitsaufnahme von Ukrainer:innen anmahnte.

Hier erhält diese Frage zusätzlich eine eindeutig rassistische und antimigrantische Komponente und enthüllt die öffentliche Aufregung um die aufgedeckten Remigrationsplanspiele von AfD und offen rechtsextremen Gruppierungen als absoluten Hohn auf die humanistische Heuchelei der „Parteien der Mitte“. Es fehlt eigentlich nur noch, dass die Idee einer Rückführung der Ukrainer:innen in ihre Heimat als „sicheres Herkunftsland“ laut wird!

  • Sofortige Rücknahme aller Zwangsandrohungen für den Bezug von Bürger:innengeld. Keine Rückkehr zu Hartz IV- Regeln!

  • Voller Zugang zum Bürger:innengeld für alle Migrant:innen!

Rente und Pflege

Ein weiterer Bereich, der von der Einspardebatte betroffen ist, erstreckt sich auf die Altenpflege. Der Eigenanteil an der Heimunterbringung für Pflegebedürftige – er beträgt in Summe derzeit 2.576 Euro monatlich – hat sich per Gesetz gegenüber dem Vorjahr im Schnitt um 238 Euro erhöht und steigt jedes folgende Jahr degressiv an. Zwar schießt der Bund ab 1.1.2024 Geld zu, so stuft sich der Eigenanteil über einen längeren Pflegezeitraum um etwa jeweils 5 Prozentpunkte herab, doch andere Faktoren setzen unter die Gesamtrechnung wiederum ein Minus.

Die Pflegeversicherung trägt nur einen Teil der Kosten. Für Heimbewohner:innen kommen noch Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen hinzu. Als unausweichliche Folge stellt sich die immer stärkere Verlagerung der Pflege in den häuslichen Bereich durch Angehörige ein. Mit leichter Hand werden hingegen Honorarordnungen für niedergelassene Arztpraxen und Apotheken heraufgesetzt. Solche Reformen reihen sich in eine Gesundheitspolitik ein, die das allgemeinen Wohl längst aus den Augen verloren hat.

Ein besonders perfider, weil schleichender Angriff auf Arbeiter:inneninteressen manifestiert sich in den Plänen zur Steigerung der Rentenbeiträge. Mehr als alle anderen Haushaltsposten ist das staatliche garantierte Rentensystem in Deutschland ein Eckpfeiler in den Etatberechnungen jeder Regierung. Die gesetzliche Altersrente ist als Teil eines Gesamtsozialsystems eng auf die anderen elementaren Sozialversicherungsbereiche der Kranken- und Arbeitslosenversicherung abgestimmt. Die Leistungen in einem Sektor haben Einfluss auf die gesetzlichen Zahlungen in anderen.

Die Renten orientieren sich an den durchschnittlichen Tariflöhnen, deren Höhe allerdings von der Kampfkraft der Arbeiter:innenklasse abhängt und nicht in staatliche Kompetenz fällt. Der bürgerliche Staat kann zwar Mindestlöhne gesetzlich festlegen, doch verfügt er über keine Instrumentarien zur Kontrolle über deren Einhaltung. Durch Ausweitung prekärer Bereiche, Veränderung von Arbeitsbedingungen und Schlupflöcher zur Befreiung von Sozialleistungen usw. genießen die Unternehmen ständig staatlich gedeckte Vorteile in der Ausbeutung von Arbeitskraft, die sich in der reinen Lohnstatistik nicht niederschlagen.

Mit der Wiedervereinigung ergab sich eine zusätzliche Problematik, die Ost- an die Westrenten anzugleichen und innerhalb dessen auch die Schlechterstellung der Renten von Frauen zu berücksichtigen.

So ist eine vergleichende Berechnung von Löhnen und Renten mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Dies umso mehr, da die Löhne mit der 2021 einsetzenden sprunghaften Preisinflation nicht mehr Schritt hielten. Ein eklatanter Reallohnverlust trat zu Tage, dem die Arbeiter:innenbewegung in verschiedenen Tarifrunden erst ab Mitte 2022 hinterherlaufen musste. Da sich die Inflationsrate 2023 wieder abschwächte, kam die „taz“ zu dem irrigen Schluss, die vergleichsweise hohen Abschlüsse in einigen Branchen hätten den Reallohnverlust aktuell wieder ausgeglichen, während die „Wirtschaftswoche“ für das 3. Quartal 2023 etwas realistischer feststellen musste, dass zwar die Spitzengehälter gestiegen seien, in der Fläche aber die allgemeinen Lohnsteigerungen den Reallohnverlust noch nicht wettmachen konnten.

Dies gilt erst recht für die Rentenanpassungen. Sie hinken seit 2021 der Inflation hinterher und da ihre Veränderungen nicht dem Klassenkampfrhythmus unterliegen, d. h. keine raschen Steigerungen zulassen, fielen sie stärker noch als die Löhne hinter den inflationären Preisauftrieb zurück. 2022 stiegen sie im Westen um 5,35 % und im Osten um 6,12 %. Die offizielle Inflationsrate lag im gleichen Zeitraum bei 6,9 %. Im Juli 2023 wurden die Rentenzuwächse auf 4,39 % und die der Ostrente auf 5,86 % abgesenkt.

Zum Ausgleich von Finanzierungsbeteiligungen des Bundes 2020 und 2021 soll die Bundesagentur für Arbeit 2024 und 2025 jeweils 1,5 Milliarden Euro, für die Jahre 2026 und 2027 nochmal 1,1 Milliarden an den Bund zurückzahlen. Der Bund will seinerseits Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Jahre 2024 bis 2027 um jeweils 600 Millionen Euro kürzen. Das hört sich, zumal heutzutage nur noch nach Milliarden gezählt wird, nicht nach viel an, hat aber eine um so stärkere Signalwirkung.

„Der Bund steht nicht zu seinem Finanzierungsanteil und bedient sich stattdessen bei der Rentenversicherung und dadurch wird die Reserve der Rentenkasse aufgebraucht“, monierte die Deutsche Rentenversicherung in einer Stellungnahme. Eine Destabilisierung und Aushebelung der gesetzlichen Altersrentensysteme und eine Abdrängung in private Vorsorgeformen, die von Wirtschaftsliberalen favorisierte Aktienrente, droht.

Der Bundeshaushalt 2024 soll Ende Januar vom Bundestag beschlossen werden. Vorher soll der Haushaltsausschuss Mitte Januar über die Änderungen abstimmen.

Der gesellschaftspolitische Wind pfeift steif von rechts. Die Arbeiter:innenbewegung muss sIch warm anziehen und sich neue gemeinsame Kampfziele gegen die arbeiter:innenfeindlichen Pläne setzen.




Gegen Rassismus und die Rechte: Wie die AfD stoppen?

Susanne Kühn, Neue Internationale 280, Februar 2024

Ob in Hamburg, Berlin oder Potsdam, ob in Köln, Frankfurt/Main oder München: Hunderttausende gehen in den letzten Wochen gegen Rechtsruck und AfD auf die Straße. Am Wochenende vom 19. – 21. Januar waren es bundesweit weit mehr als eine Million, davon allein in Berlin und München 300.000 bzw. 200.000. Mitglieder, Anhänger:innen und Wähler:innen eines breiten, klassenübergreifenden demokratischen Spektrums protestieren dort, um ihre Wut, ihre Betroffenheit und ihre Angst vor dem Rechtsruck deutlich zu machen.

Unmittelbarer Auslöser dieser Massenbewegung waren die jüngst von der Rechercheplattform CORRECTIV enthüllten Pläne zur „Remigration“, also zur Vertreibung von Millionen Menschen. Bei einen „privaten“ Geheimtreffen präsentierten der Faschist und bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung, Martin Sellner, Vertreter:innen der AfD, der Werteunion und anderer Rechter und Rechtsextremer ihren „Masterplan“, um „die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Asylbewerber:innen, Menschen mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ sollten von einer zukünftigen Rechtsregierung allesamt deportiert werden. Gemeinsam sollte die nationale und völkische Rechte dazu ideologische, „diskursive“ und natürlich auch handfeste Vorbereitung leisten, um schon jetzt Migrant:innen des Leben möglichst unerträglich zu machen.

Völkisch-rassistische Ziele

Verwundern sollten diese völkisch-faschistischen Ziele, die phantastischen, aber zugleich durchaus ernstzunehmenden und bedrohliche Pläne nicht. Der Zulauf zur AfD in den Umfragen, wiewohl durch die Regierungspolitik und die Krise genährt, geht seit Jahren mit ihrer Radikalisierung selbst einher. Der Thüringer Landesvorsitzende und Rechtsaußen, Höcke, avancierte zum realen Taktgeber der Partei, deren „gemäßigter“ Flügel wurde in den letzten Jahren marginalisiert. Aber in den letzten Wochen trag es Millionen überdeutlich zu Bewusstsein, dass die AfD keine „normale“ rechte Partei ist, sondern dass ihr extremer Rassismus die gezielte Deportation von Millionen anvisiert.

Massenhaftes Entsetzen verursachten die Enthüllungen von CORRECTIV wegen der offenkundigen, sich jedem halbwegs vernünftigen Menschen aufdrängenden Parallele zum Nationalsozialismus, zur Wannseekonferenz und den Plänen zum industriellen Massenmord am jüdischen Volk. Pläne wie die Errichtung eines bis zu zwei Millionen Menschen umfassenden „Musterstaates“ für „Remigrierte“ in Afrika erinnern unwillkürlich an die nationalsozialistischen Pläne, vier Millionen Jüdinnen und Juden nach Madagaskar zu deportieren. Und dieser offene Bezug zum Faschismus verdeutlicht, wie weit nicht nur direkte Nazis, sondern auch immer größere Teile des bürgerlichen Lagers zu gehen bereit sind. Die Verharmlosungen des Treffens als rein „privaten“ Austausch durch AfD-Funktionär:innen und Mitglieder der Werteunion oder die Darstellung von Teilnehmer:innen des Treffens, dass man Sellner „so nicht verstanden“ hätte, sind reine Schutzbehauptungen – sonst nichts. Unglaubwürdig ist dabei nicht nur die AfD, sondern natürlich auch die CDU, die so tut, als wäre die Werteunion nicht aus ihr hervorgegangen.

Die Anwesenheit ihrer Vertreter:innen, die aus dem rechten Flügel der CDU/CSU stammen, beim „privaten“ Treffen verweisen ebenso wie der Aufstieg der Freien Wähler und die anvisierte Bildung neuer rechtskonservative Parteien zwischen AfD und CDU/CSU auf einen Umbruch in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, der keineswegs bloß als „Protest“, sondern als Abspaltung zur Neuformierung des bürgerlich-rechten Lagers begriffen werden muss.

Die Grenzen der Breite

In jedem Fall hat der Schock über die Enthüllungen eine riesige Demonstrationswelle ausgelöst. Und das ist gut so. Die Bewegung umfasst die radikale Linke, die reformistischen Parteien SPD und DIE LINKE, Gewerkschaften, Fridays for Future, antirassistische Initiativen, Migrant:innenorganisationen, Die Grünen, die Kirchen, FDP und sogar Teile der Unionsparteien. Faktisch also fast alle außer der AfD und offenen Nazis und Rassist:innen.

Auf den Demonstrationen sprechen neben Vertreter:innen der „Zivilgesellschaft“ Redner:innen aller Parlamentsparteien, von Regierung, linker wie bürgerlicher Opposition, auch wenn zweifellos jene aus dem reformistischen und links-bürgerlichen Spektrum dominieren und wohl auch große Mehrheit der Teilnehmer:innen mobilisieren. Kaum jemand, die/der nicht die „Einheit der Demokrat:innen“ beschwört, der Ruf nach dem Verbot der AfD wird laut.

Doch was vielen als größte Stärke der Bewegung erscheint, ihr klassenübergreifender Charakter, die Einheit von Scholz und Merz, aller Parteien bis hin zur Linkspartei, stellt in Wirklichkeit auch ihre Schwäche dar.

Rechtsruck und Rassismus, deren extrem gefährlicher Ausdruck der Aufstieg der AfD zweifellos ist, scheint nur außerhalb der „demokratischen“ Mitte, der anständigen Vertreter:innen der bürgerlichen Verhältnisse zu existieren.

Dabei überbieten sich gerade die Vertreter:innen ebendieser „Mitte“ – von CDU/CSU, FPD, SPD, Grünen und neuerdings auch der BSW – mit unentwegten Forderungen nach „besserer“ Regulation der Migration. Auf ein rassistisches Gesetz folgt faktisch das nächste. Während die EU-Außengrenzen weiter dicht gemacht werden, patrouilliert die Bundespolizei an den deutschen Grenzen.

Während sich Faeser, Scholz, Baerbock und Lindner als Menschenfreund:innen inszenieren, beschließt die Ampel-Mehrheit am 18. Januar im Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“, die jüngste einer Reihe rassistischer Gesetzesverschärfungen. Dies soll lt. Olaf Scholz ermöglichen, dass Asylbewerber:innen „im großen Stil“ abgeschoben werden. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die Durchsuchungsmöglichkeiten der Polizei ausgeweitet werden. Außerdem sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind. Und schließlich sollen Widerspruch oder Klage gegen Abschiebungen keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Union und AfD ging das nicht weit genug, aber ein weiterer Schritt Richtung Ausweisung aller „unnützen“ Migrant:innen ist das allemal.

Die fast zeitgleich beschlossene Erleichterung von Einbürgerungen kann das nicht nur nicht aufwiegen. Sie passt vielmehr ins Konzept der „kontrollierten“ Migration, wie sie auch das deutsche Kapital fordert.

Während die Regierung und andere „Demokrat:innen“ die völkische und nationalistische Hetze der AfD verurteilen, heizen sie selbst antimuslimischen und antiarabischen Rassismus an, kriminalisieren die Solidaritätsbewegung mit Palästina und wollen zukünftig Migrant:innen auf ihre „Verlässlichkeit“ hinsichtlich der deutschen Staatsräson überprüfen.

Alle diese rassistischen Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen stellen heute für Millionen Migrant:innen und Geflüchtete die unmittelbar größte Gefahr dar. Während die Regierung und die bürgerlichen Kräfte so tun, als würden sie den Nazis offensiv entgegentreten, schieben sie selbst „im großen Stil“ ab, versuchen, den Rechten und CDU/CSU den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich deren Forderungen zumindest teilweise zu eigen machen und umsetzen.

Gegen den Rassismus der Rechten – und von Staat und Regierung!

Wer konsequent gegen die völkischen, faschistischen und rechtspopulistischen Kräfte kämpfen und mobilisieren will, darf daher zum Rassismus der Regierung, zu den neuen Abschiebegesetzen, zum antimuslimischen Rassismus und zur Kriminalisierung von politisch oppositionellen Migrant:innen nicht schweigen. Antirassismus muss Kampf gegen diese staatlichen Maßnahmen inkludieren, ansonsten wird er selbst unglaubwürdig.

Zweitens müssen wir uns auch klar von der illusorischen Vorstellung abgrenzen, dass der Rechtsruck und die AfD durch ein Parteiverbot gestoppt werden würden. Damit würden weder der staatliche Rassismus noch Faschismus verschwinden. Vor allem aber verkennt diese Losung, dass das deutsche Kapital in einer zugespitzten Krise oder angesichts massiven Klassenwiderstandes auf AfD und weit rechtere Kräfte zurückzugreifen bereit ist. Schließlich kann die Forderung von bürgerlicher Seite auch leicht zur Begründung von Verboten linksradikaler „antidemokratischer“, außerhalb des „Verfassungskonsenses“ stehender Organisationen herangezogen werden, wie wir es schon heute bei solchen palästinensischer, kurdischer oder türkischer Organisationen sehen.

Um den Zulauf zur AfD zu stoppen, können und dürfen wir uns nicht auf den Staat verlassen und schon gar nicht dürfen wir uns an sie anpassen, wie das die BSW tut. Der Kampf gegen Rassismus und gegen Faschismus muss vielmehr als Teil des Klassenkampfs verstanden werden. Daher müssen wir in der Bewegung gegen die Rechten für die Herausbildung einer antirassistischen Einheitsfront der Gewerkschaften, der linken Parteien, der Migrant:innenorganisationen, der radikalen Linken kämpfen. Dazu müssen sich Linke, internationalistische und alle Organisationen der Arbeiter:innenbewegung an den Massenkundgebungen und Demonstrationen nicht nur beteilten, sondern auch offen und sichtbar für eine internationalistische und klassenkämpferischen Stoßrichtung eintreten.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Nein zu den Verschärfungen beim Bürgergeld! Kampf gegen alle Kürzungen!

Stefan Katzer, Neue Internationale 280, Februar 2024

Seitdem das Bundesverfassungsgericht im November vergangenen Jahres die haushaltspolitischen Taschenspielertricks der Ampelkoalition entlarvt hat, stellt sich die Frage, wie die nun fehlenden 60 Milliarden Euro eingespart werden können. Der neueste Vorstoß der Regierung sieht vor, auch Einsparungen beim Bürgergeld vorzunehmen und das Sanktionsregime erneut zu verschärfen.

Zur Erinnerung: Die Ampelkoalition hatte Schulden, die zur Bekämpfung der Coronapandemie aufgenommen wurden, nachträglich umgewidmet und das zur Bekämpfung der Pandemie lockergemachte Geld kurzerhand in den sogenannten Klimatransformationsfonds gepackt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Umbuchung für rechtswidrig erklärt. Da das Geld bereits fest eingeplant war, stellt sich die Frage, woher die Milliarden kommen sollen, die nun im Haushalt fehlen.

Die Antwort der Regierung auf dieses Problem zeichnet sich immer deutlicher ab: Anstatt das fehlende Geld bei denjenigen abzuschöpfen, die in den vergangenen Jahren enorme Gewinn- und Vermögenszuwächse verzeichnen konnten, möchte die Regierung lieber notwendige Investitionen weiter aufschieben, weitere Kürzungen im sozialen Bereich vornehmen und zusätzlich den – im übertragenen Sinne –  nackten Leuten in die Taschen greifen, also das fehlende Geld dort holen, wo ohnehin kaum welches vorhanden ist: bei Erwerbslosen und Geringverdiener:innen, die ihren Lebensunterhalt durch den Bezug von Bürgergeld absichern müssen.

Leere Versprechen und faule Kompromisse

Dabei war mit seiner Einführung seitens der Regierung das Versprechen verknüpft, Erwerbslose künftig nicht mehr unnötig zu drangsalieren. Stattdessen sollten die „Klient:innen“ künftig auf Augenhöhe behandelt und der Fokus auf Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen gelegt werden. Im Zuge der Bürgergeldreform wurden dann aber tatsächlich nur kosmetische Veränderungen am „Hartz 4“-System vorgenommen. So wurde etwa das Schonvermögen erhöht und es wurden Anreize geschaffen, an Weiterbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. In diesem Zusammenhang werden vom Jobcenter geringfügige Bonus-Beträge ausgezahlt, die für Qualifizierungsmaßnahmen, die nicht auf einen Berufsabschluss zielen, nun wieder gestrichen werden sollen.

Arbeitslosigkeit: eine Frage der Motivation?

Das Problem der Arbeitslosigkeit solchermaßen zu adressieren, heißt in Wahrheit jedoch, es zu verschleiern. Denn das Problem der Arbeitslosigkeit wird letztlich nicht auf seine gesellschaftliche Ursache zurückgeführt – d. i. die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, durch welche immer mehr variables Kapital, lebendige Arbeit aus dem Produktionsprozess verdrängt wird –, sondern auf die Eigenschaften und Einstellungen der Erwerbslosen. Entsprechend dieser falschen, ja verkehrten Problemanalyse fällt auch die Lösungsstrategie der bürgerlichen Parteien aus.

Arbeitslosigkeit wird von ihnen wahlweise als ein Bildungs- oder Motivationsproblem derer behandelt, die in Wirklichkeit deshalb arbeitslos sind, weil die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dem Kapital keinen Mehrwert verspricht. Ein gesellschaftliches Problem wird so unter der Hand individualisiert und psychologisiert.

Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, statt der gesellschaftlichen Ursachen der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen selbst zu bekämpfen. Dabei werden die Erwerbslosen zunächst stigmatisiert. Ihnen wird unterstellt, nicht arbeiten zu wollen. Sie werden als „Asoziale“ hingestellt, die auf Kosten anderer ein angenehmes Leben führen.

In einem zweiten Schritt wird politisches Handeln durch (schwarze) Pädagogik ersetzt. Das Problem der Arbeitslosigkeit soll durch eine nachträgliche Erziehung der Arbeitslosen gelöst werden. Diese sollen durch Überwachung, Beschämung, Demütigung und Bestrafung zum richtigen Verhalten „motiviert“ werden. Die Frage, über die sich die bürgerlichen Parteien dann noch streiten, betrifft letztlich nur noch die nach der richtigen „Erziehungsmethode“: bestrafen oder motivieren, Leistungen kürzen oder Anstrengungen belohnen?

„Arbeitsscheue Arbeitslose“ als Ausbeuter:innen des „hart arbeitenden kleinen Mannes“

Das Klischee der arbeitsscheuen Langzeitarbeitslosen, der sich über die Dummheit derer lustig macht, die noch arbeiten gehen, während sie selbst schlau und vor allem dreist genug ist, andere für sich arbeiten zu lassen, erfüllt in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion. Diese besteht in erster Linie darin, die gesellschaftlichen Ursachen des Problems zu verschleiern und die berechtigte Wut über schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne seitens der arbeitenden Bevölkerung auf die Erwerbslosen umzulenken.

Dabei wird denjenigen, die einer Lohnarbeit nachgehen und vielleicht auch ein Gefühl dafür haben, dass sie um ihre tatsächliche Leistung (ihre Mehrarbeit) gebracht werden, suggeriert, ihre wahren Ausbeuter:innen seien nicht etwa die von ihrer Mehrarbeit lebende Kapitalist:innen, sondern faulenzende Arbeitslose, die sie von ihrem Lohn mit durchfüttern müssen. Durch diese perfide Verkehrung der tatsächlichen Zusammenhänge können sich diejenigen, die gegen Arbeitslose hetzen, auch noch als Kämpfer:innen für die Interessen „des kleinen Mannes“ inszenieren – und die BILD-Zeitung sich selbst als deren Sprachrohr.

So war es auch im Falle der nun bevorstehenden Verschärfungen beim Bürgergeld. Vorbereitet und begleitet wurde die Verschärfung von einer Kampagne, in der erneut das Zerrbild der „Arbeitsverweiger:innen“ an die Wand gemalt wurde, die sich auf Kosten der hart arbeitenden Bevölkerung ein angenehmes Leben mache.

Und was soll man sagen: Es hat wieder einmal gezündet. Die SPD ist erneut eingeknickt und verspricht nun, hart gegen sogenannte „Totalverweiger:innen“ vorzugehen. Durch verschärfte Sanktionen bei Leistungsberechtigten, die sich „beharrlich verweigern“, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, soll jährlich ein Betrag von 170 Millionen Euro eingespart werden. Zum Vergleich: Allein durch Steuerhinterziehung gehen dem Staat nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung jährlich ca. 100 Milliarden (!) Euro verloren. Verschärfungen in diesem Bereich sind jedoch nicht geplant. Den von den nun angedrohten Sanktionen Betroffenen droht dabei die Streichung sämtlicher Bezüge (außer für Miete und Heizung). Die vollständige Sanktionierung soll bis zu zwei Monate andauern können.

Die entsprechende Regelung ist allerdings sehr schwammig formuliert. Sie besagt, dass eine „willentliche“ Weigerung, „eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“, vorliegen muss, um die Sanktionsmechanismen auszulösen. Diese Formulierung lässt somit viel Interpretationsspielraum, den besonders eifrige Jobvermittler:innen im Zweifelsfall dazu nutzen können, ungerechtfertigte Sanktionen zu verhängen, unter denen die Betroffenen auch dann leiden werden, wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die verhängten Sanktionen doch nicht angemessen waren. Dies wird aller Voraussicht nach besonders Menschen treffen, die nicht deutsch sprechen oder sich gegenüber Behörden ohnehin hilflos fühlen, also vornehmlich rassistisch Unterdrückte und psychisch belastete Menschen.

Neben der Tatsache, dass die von der Regierung prognostizierten Einsparpotentiale durch die nun anvisierten Kürzungsmaßnahmen völlig übertrieben erscheinen, ist daran vor allem problematisch, dass den Betroffenen damit de facto die notwendigen finanziellen Mittel entzogen werden, mit denen diese ihre Existenz sichern können. Ihnen droht die völlige Verarmung.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass ca. zwei Millionen Kinder Bürgergeld beziehen. Sanktionen, die sich gegen ihre Eltern richten, treffen natürlich auch sie. Dabei bekommen sie schon jetzt nicht das, was für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig wäre. Weitere Kürzungen wären daher vor allem für sie fatal, da sie sich langfristig auf ihre Entwicklung auswirken können.

Rechte und neoliberale Scharfmacher:innen

Davon lassen sich die Scharfmacher:innen von rechts allerdings nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Sie befeuern lieber weiterhin die leidliche Debatte um das sogenannte „Lohnabstandsgebot“ und verteufeln in diesem Zusammenhang die letzte Bürgergelderhöhung von 12 % als arbeitsmarktpolitische Generaldummheit. Sie argumentieren dabei, dass die Erhöhung des Bürgergeldes dazu verführe, sich auf Kosten der Allgemeinheit einen faulen Lenz zu machen. Dabei hält die Erhöhung kaum Schritt mit der dramatischen Inflation und ist folglich keine reale. Zugleich „vergessen“ sie gerne, dass die Erhöhung des Bürgergeldes keine gönnerhafte Wohltat ist, die der Staat nach Lust und Laune gewähren kann oder auch nicht. Vielmehr geht es hier um die Existenzsicherung und um einen Rechtsanspruch, der sich aus dem Grundgesetz herleitet.

Ebenso verschweigen sie die Tatsache, dass das von Ihnen hochgehaltene „Lohnabstandsgebot“ auch anders gewahrt werden könnte als durch die Absenkung des Existenzminimus – nämlich durch die Erhöhung der (Mindest-)Löhne. Gegen die Einführung eines Mindestlohns haben sie selbst aber jahrelang gekämpft. Schon alleine daran erkennt man die ganze Heuchelei dieser Parteien und ihrer Führungsfiguren. Aber auch SPD und Grüne spielen das perfide Spielchen mit und drücken nun die Sanktionen durch, die sie zuvor noch als unmenschlich und weitgehend wirkungslos kritisiert haben.

Widerstand aufbauen, Kürzungen bekämpfen!

Umso dringender ist es, dass sich gegen diese Politik auf den Straßen Widerstand formiert. Dabei kommt den Gewerkschaften eine entscheidende Rolle zu. Als Kampforgane der Arbeiter:innenklasse mit Millionen Mitgliedern wären sie dazu in der Lage, den notwendigen Widerstand zu organisieren. Dafür müssen sie aber endlich mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik brechen und anfangen, entschlossen für die Interessen der gesamten Klasse zu kämpfen. Um dorthin zu gelangen, müssen die Mitglieder Druck aufbauen und die Führung ihrer Gewerkschaften zum Handeln auffordern.

Der Kampf gegen die Verschärfungen beim Bürgergeld muss dabei mit dem gegen die weiteren Einschränkungen im Asylrecht sowie mit dem für höhere Löhne und gegen Entlassungen verbunden werden. Dadurch kann der spalterischen Politik der Herrschenden entgegengearbeitet und die Einheit der Lohnabhängigen erkämpft werden. Der Kampf gegen die geplanten Verschärfungen und Kürzungen kann aber letztlich nur erfolgreich sein, wenn er von Massenmobilisierungen, Streiks und  Besetzungen getragen wird und weitergehende Forderungen umfasst, die letztlich auf die Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems zielen.

  • Weg mit allen Bürgergeldgesetzen und Nein zu den geplanten Sanktionen! Für die Kontrolle der Arbeitsagenturen durch Gewerkschaften und Erwerbslosenkomitees anstelle von Ämterwillkür! Allgemeines, uneingeschränktes Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung während der Erwerbslosigkeit!
  • Für die sofortige Wiedereinführung der Vermögensteuer! 115 Mrd. Euro jährlich durch progressive Besteuerung!
  • Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro/Stunde! Für Arbeitslose, Studierende, RentnerInnen, SchülerInnen ab 16, chronisch Kranke, Schwerstbehinderte und Invalid:innen kämpfen wir für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation ,von 1.100 Euro plus Warmmiete! Die Kontrolle darüber den Gewerkschaften!
  • Streiks und Besetzungen im Kampf gegen Massenentlassungen und Schließungen! Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Firmen!
  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften unter Einbeziehung von Ausschüssen der Lohnabhängigen und aller nicht-ausbeutenden Schichten der Bevölkerung!



Berliner Polizei attackiert LL-Demonstration 2024

Martin Suchanek, 16. Januar 2024

Mindestens 16 Personen mussten nach Angaben von Demo-Sanis infolge brutaler Angriffe der Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray am 14. Januar mit Knochenbrüchen und anderen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Besonders schwer hatte es einen 65-jährigen Mann getroffen, der ohnmächtig, aus Mund und Nase blutend am Boden lag.

Ursache – oder genauer Vorwand – für den Einsatz mehrerer Hundertschaften war die Solidarisierung mit Palästina durch die Demonstration. Angeblich, so die Polizei-Erzählung wäre die verbotene Losung „From the river to the sea, Palestine will be free“ von einem Redner und Demonstrationsteilnehmer gerufen worden. Infolgedessen wurden eine Reihe Personen festgenommen.

Nachdem weiter vorne laufende Demonstrant:innen und ganze Blöcke zurückliefen, um sich zu solidarisieren, schlug die Polizei richtig los. Zweifellos wird die Polizeiführung, deren Einsatzkräfte nicht zum ersten Mal provokativ die Demonstration angriffen, einen Grund zurechtzimmern, warum auch dieser Einsatz „verhältnismäßig“ gewesen wäre und eigentlich die behelmten Knüppeleinheiten Opfer und nicht Täter:innen gewesen wären.

Klar wird auch das Abgeordnetenhaus über die Provokation, über den Angriff auf das Demonstrationsrecht beraten – mit vorhersehbarem Ausgang: Schuld sind die Demonstrant:innen. Schließlich wird die Solidarität mit Palästina, die immer schon öffentlich denunziert wurde, seit Monaten von Regierungen und Parlamenten kriminalisiert. Auch der „Zivilgesellschaft“, also der bürgerlichen Öffentlichkeit, kann es davon nicht genug geben. So setzt eben die Polizei den politischen Marschbefehl – natürlich nicht nur am 14. Januar – um.

Während antiimperialistische Solidarität kriminalisiert und verprügelt wird, sorgen sich Zehntausende nach den jüngsten Enthüllungen über die rassistischen Deportationspläne von Vertreter:innen der AfD, der Identitären und der Werteunion bei einem „privaten“ Treffen in Potsdam um die deutsche Demokratie. Zweifellos ist die Sorge und Angst um die Errichtung eines rassistischen Abschiebe- und Ausweisungsregimes berechtigt. Die AfD und diverse faschistische Gruppierungen bilden dabei die extreme Speerspitze einer Politik, die den stetigen Forderungen nach einer immer rigideren Migrations- und Flüchtlingspolitik und der geplanten faktischen Abschaffung des Asylrechts durch die EU Vorschub leistet. Vorschub leistet dem Rechtsruck dabei aber auch die Diffamierung der Palästina-Solidarität, von Palästinenser:innen, Araber:innen, Muslim:innen als undemokratisch und antisemitisch sowie die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antirassismus. Wer den immer stärker werdenden antimuslimischen Rassismus und die Kriminalisierung und Diffamierung der Palästina-Solidarität nicht bekämpft, der wird letztlich auch den Rechtsruck nicht stoppen können.

Die LL-Demonstration hat sich hier vollkommen richtig verhalten. Sie ließ sich nicht einschüchtern, sondern vielmehr haben sich ihre Teilnehmer:innen gegen die Polizeigewalt gestellt.




8. – 12. Januar: Bauernproteste legen Land lahm

Susanne Kühn, Infomail 1241, 8. Januar 2024

Vom 8. – 12. Januar werden Tausende Bauern und Bäuerinnen mit Fahrtkolonnen, Sternfahrten zu größeren Städten und Blockaden von Autobahnzufahrten und zentralen Verkehrsknoten immer wieder Teile des Landes lahmlegen. Am 15. Januar schließt die Aktionswoche mit einer zentralen Kundgebung in Berlin, um der Ampel den Marsch zu blasen.

Den unmittelbaren Auslöser für die Proteste bildete die geplante Streichung der Subventionen beim Agrardiesel und der KfZ-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft. Diese belaufen sich für das Jahr 2024 auf insgesamt ca. 440 bzw. 485 Millionen Euro. Für einen durchschnittlichen Betrieb würde sich die Streichung der Vergünstigungen auf 4.000 – 5.000 Euro pro Jahr belaufen bei einem durchschnittlichen Jahresgewinn von 82.000 Euro im Wirtschaftsjahr 2021/22 bzw. 115.400 Euro im Jahr 2022/23.

Damit steht sicherlich nicht „die Landwirtschaft“ auf der Kippe, wohl aber würden die Streichungen vor allem die kleineren und mittleren Betriebe treffen, da sich hinter diesem statistischen Durchschnitt ernorme Unterschiede verbergen. Natürlich machen die kleineren Betriebe weniger Gewinn, verfügen über weniger Reserven und verbrauchen mehr Sprit im Verhältnis zu ihrer Agrarfläche. Für diese landwirtschaftlichen Unternehmen stellt die Streichung der Subventionen eine erhebliche Einkommenseinsbuße dar – zumal die Steigerung der Durchschnittsgewinne landwirtschaftlicher Unternehmen in den letzten Jahren selbst Resultat eines dauerhaften Zentralisations- und Konzentrationsprozesses ist. Gab es im Jahr 2000 noch 440.000 Unternehmen im Agrarsektor, so waren es 2020 noch 260.000.

Zweifellos ist die Empörung und Wut der kleineren und mittleren Landwirt:innen über die Streichungen und die dazukommende schrittweise Abschaffung der Subventionen für den KfZ-Diesel nachvollziehbar und berechtigt. Diese kleinbürgerliche Schicht wird längst ökonomisch von einem immer unhaltbareren Agrarsystem an den Rand gedrückt, da vor allem die Interessen der großen Betriebe, vor allem aber der Agrarindustrie und Handelskonzerne im globalen Wettbewerb bedient werden. Zugleich sollte auch niemand die Protestaktionen idealisieren. Geführt werden sie von den großen Wirtschaften, die auch den Bauernverband dominieren, politisch eng an CDU/CSU hängen und an einem auf Subventionen basierenden aberwitzigen Agrarsystem. Diese sind eng verbunden mit direkten Kapitalinteressen und einer über Jahrzehnte etablierten Agrarpolitik, die die Konkurrenzfähigkeit der deutschen und europäischen Agrarproduktion sichert und für relativ günstige Preise in Supermärkten sorgt, die letztlich wiederum durch Massensteuern finanziert werden.

In den letzten Wochen ging der Bauernverband zudem ein enges Bündnis mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der einen großen Teil des Transportgewerbes vertritt, ein. Die Aktionswoche vom 8. – 12. Januar wird von beiden Verbänden durchgeführt. Während der Bauernverband weiter die Streichung aller Subventionskürzungen will, fordern die Transportunternehmen „Geld für intakte Straßen und Brücken, Lkw-Stellplätze und verlässliche Förderprogramme für einen klimafreundlichen Straßengüterverkehr“.

Am rechten Rand der Proteste machen sich zudem Verbände wie die sog. „Freien Bauern“ und andere reaktionäre kleinbürgerliche Standesvereinigungen breit. Die AfD und auch Nazi-Organisationen wie die Freien Sachsen suchen die Verbindung zu diesem „Volkswiderstand“ und mischen den Ruf nach billigem Diesel mit dem nach noch billigerem Blut und Boden.

Aktionen gehen weiter

Angesichts der Aktionen des Bauernverbandes im Dezember nahm die Ampel-Koalition die Kürzung der KfZ-Steuerbefreiung vollständig zurück. Die Begünstigung für den KfZ-Diesel soll 2024 nur zu 40 % gekürzt und dann schrittweise bis 2026 abgeschafft werden. Das lehnt der Bauernverband ab, der an der Spitze der Proteste steht und bundesweit die weitaus größte Interessenvertretung bildet. Auch wenn die Bundesregierung jammert, dass die geplanten Blockaden und Sternfahrten „unverhältnismäßig“ seien, so sieht der Bauernverband die Chance, sämtliche Forderungen durchzusetzen.

Gemeinsam mit BGL und unterstützt von CDU, CSU und Freien Wählern wollen sie die Ampel-Koalition weiter vor sich hertreiben. Auch wenn der Bauernverband gebetsmühlenartig betont, dass die Proteste „unpolitisch“ wären, so befindet er sich faktisch im Bündnis mit den konservativen Oppositionsparteien.

Diese Kräfte haben (noch) kein Interesse an einem Bündnis mit den rechten Bauernverbänden wie den sog. Freien Bauern oder Teilen von „Landwirtschaft schafft Verbindung“. Daher distanzieren sich der Bauernverband und seine konservativen Verbündeten auch von den rechten Protestaktionen wie der Blockade von Habeck in Schleswig-Holstein, denn schließlich wollen CDU und CSU nicht das System „stürzen“, sondern übernehmen.

Der Bauernverband hofft so, außerdem seine eigene Vormachtstellung unter der Bäuer:innenschaft wieder zu festigen, die in den letzten Jahrzehnten eigentlich schwächer wurde. Phasenweise hatten die Grünen Einfluss gewonnen; die können zurückgedrängt werden. Zugleich machen sich immer wieder auch die inneren Gegensätze unter „den“ Bäuer:innen bemerkbar. Diese reicht schließlich von großen Agrarunternehmen bis hin zu noch relativ kleinen Landwirt:innen, ist also klassenmäßig durchaus heterogen. Darüber hinaus unterminieren auch Interessengegensätze wie z. B. zwischen konventionellen und Öko-Landwirtschaften die „Einheit“ des Verbandes.

Der Angriff auf die Agrarsubventionen dient daher auch als Mittel, eine Einheit herzustellen, die es bei früheren Protesten, z. B. gegen die EU-Glyphosat-Verordnung nicht gab, als Bauern und Bäuerinnen auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden standen. Indirekte Steuern und Agrarsubventionen stellen hingegen traditionell ein Mittel dar, eine Einheit zwischen klassenmäßig heterogenen Kräften wie Kleinunternehmen und Agrarkonzernen herzustellen. Höhere Steuern und Belastungen seien schließlich ein Angriff auf alle Unternehmen. Wie die Subventionen finanziert werden, wird dabei bewusst außen vorgelassen. Dabei liegt gerade hier der Hase im Pfeffer, denn unter den aktuellen Bedingungen müssen diese natürlich aus Steuermitteln finanziert werden – und diese kommen nach Jahrzehnten der Umverteilung der Steuerlast auf die Lohnabhängigen natürlich vor allem von diesen.

Daher müsste eine linke Haltung zu den Forderungen der Landwirt:innen folgendermaßen aussehen: Nein zu den Subventionsstreichungen, da diese tatsächlich die Existenz der kleineren Betriebe bedrohen und massive Einkommenseinbußen bedeuten. Diese Maßnahmen müssten aber durch eine progressive Besteuerung der Unternehmensgewinne – auch im Agrarsektor – finanziert werden. So wäre es möglich, einen Keil zwischen die verschiedenen Schichten der Landwirt:innen zu treiben und die Vormachtstellung der Großbäuer:innen und des Agrarkapitals anzugreifen.

Die Grenzen der kapitalistischen Agrarbranche

Die aktuelle Protestbewegung reflektiert auch eine tiefe Krise des bestehenden landwirtschaftlichen Systems in Deutschland und der EU, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Die Subventionen oder Vergünstigungen in diesem Sektor bilden mittlerweile einen zentralen Bestandteil der Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland (und der gesamten EU). So zogen die landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in Deutschland ungefähr die Hälfte ihres Einkommens aus Direktzahlungen und anderen Zuschüssen.

Auch wenn in bestimmten Sektoren kleiner Landwirt:innen, z. B. bei einzelnen Nebenerwerbsbäuer:innen das sogar 90 % ausmachen kann, so werden die Großbetriebe (z. B. in Ostdeutschland) sowie Agrarholdings (also große Investor:innen) von diesem System überdurchschnittlich begünstigt.

Dieses Subventionssystem ist selbst ein Resultat der inneren Tendenzen der kapitalistischen Landwirtschaft. Die Preise für zentrale Produkte (z. B. Getreide, Futtermittel, Rinder- und Schweinefleisch, Milchprodukte) werden auf dem Weltmarkt bestimmt. Die Agrarproduktion selbst ist natürlich auch auf ihn ausgerichtet.

Um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher oder europäischer Produzent:innen zu sichern, pumpen die EU und Deutschland seit Jahren Milliarden an Subventionen in diesen Bereich. Solcherart (und aufgrund der höheren Produktivität einer industrialisierten Landwirtschaft) kann der europäische Agrarexport halbkoloniale Konkurrenz verdrängen und sogar deren Inlandsmärkte erobern.

Einen eng damit verbunden Bestimmungsfaktor der gesamten landwirtschaftlichen Produktion bilden die Lieferant:innen von Maschinen, Saatgut, Düngemitteln etc. sowie die Abnehmer:innen (große Agrarkonzerne und Handelsunternehmen). Im Unterschied zur Bäuer:innenschaft sind diese hochgradig konzentriert, bestimmen wenige Konzernen nationale und internationale Märkte, können also den landwirtschaftlichen Produzent:innen Preise diktieren.

Ohne Subventionen würden die Bauern und Bäuerinnen entweder nicht mehr erhalten als diese Preise. Viele Betriebe wären längst pleite, die Zentralisation in der Landwirtschaft noch viel weiter fortgeschritten. Oder sie wären in der Lage, höhere Preise zu verlangen, was massiv steigende Nahrungsmittelpreise zur Folge hätte, die von der Masse der lohnabhängigen Konsument:innen zu bezahlen wären. Um beides zu verhindern, wirken die Agrarsubventionen wie ein Reparaturbetrieb, der ständig nach mehr Subventionen, mehr Stützen schreit, weil für ein im Grunde aberwitziges System eigentlich immer mehr Subventionen nötig werden. Hinzu kommt, dass relativ geringe Lebensmittelpreise auch den Wert der Ware Arbeitskraft senken, so dass sich auch Lohnabhängige in prekären Verhältnisse noch über Wasser halten können. Das heißt, das bestehende Agrarsystem erleichtert auch die Umsetzung und Durchsetzung neoliberaler Arbeitsmarktreformen.

Die aktuellen Proteste bringen auch einen Unmut breiter Schichten der Landbevölkerung mit diesem System zum Ausdruck, das immer schwerer zu finanzieren ist und den Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft zwar bremst, keinesfalls aber aufhält. Zweitens steht dieses System jeder einigermaßen vernünftigen Reorganisation der Landwirtschaft im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit direkt entgegen.

Es ist daher eine gewisse Paradoxie, dass bei den aktuellen Protesten gerade solche Kräfte an der Spitze stehen – CDU/CSU, aber auch der Deutsche Bauernverband –, die über Jahrzehnte dieses milliardenschwere System auf- und ausgebaut und gegen jede Kritik verteidigt haben; ein System, das vor allem dem Agrarkapital sowie den großen Konzernen im Handel Milliardenprofite sichert.

Innerhalb der Bäuerinnen:schaft bildet sich schon länger ein kleinbürgerlicher Widerstand gegen diese Politik des Bauernverbandes. Mit der Expansion der ökologischen Landwirtschaft profitierten einige Zeit die Grünen davon. Doch die Illusionen in deren „andere“ Politik sind bei vielen verblasst, was auch erklärt, warum in der gegenwärtigen Situation Habeck und die Grünen und nicht Lindner und die FDP zur ersten Zielscheibe des Hasses gerieten. Der andere Grund liegt darin, dass seit etlichen Jahren auch eine reaktionäre, kleinbürgerliche, rechte und nationalistische Kritik am Bauernverband stärker geworden ist. Diese lehnt Subventionen grundsätzlich ab und tritt für eine „echte“, das heißt kleinbäuerliche Marktwirtschaft ein, will zurück zur Einheit von Hof, Land und Eigentum. Um die „ehrliche“ deutsche Landwirtschaft zu retten, soll sie von der internationalen Konkurrenz abgeschottet werden. Es sind diese utopischen und gleichzeitig reaktionären Tendenzen, die von den Rechten, von AfD oder auch Faschist:innen aufgegriffen werden. Darin sind sie nicht erfolglos, obwohl sie selbst kein auch nur einigermaßen schlüssiges Konzept vorzuweisen haben. Die AfD fordert sogar die Streichung aller Subventionen in der Landwirtschaft, was, würde es auf einmal umgesetzt, den Ruin Zehntausender Bäuerinnen und Bauern bedeuten würde. Doch wie andere rechte und rechtspopulistische Bewegungen zeigen, wird der Verweis auf die innere Unvernunft solcher Vorschläge, auf ihren aberwitzigen und zutiefst irrationalen Charakter nicht verhindern, dass Kleinbürger:innen solchen Rattenfänger:innen auf den Leim gehen.

Arbeiter:innenklasse

Ein entscheidender Grund, warum die gesamte Krise des Agrarsektors von bürgerlichen Kräften bestimmt und als deren einzige scheinradikale Alternative rechte bis faschistische Gruppierungen auf den Plan treten, liegt darin, dass die Arbeiter:innenbewegung selbst über keine programmatische und politische Antwort verfügt. Sie kann so auch nicht als eigenständige Kraft in Erscheinung treten, zumal sie auch bei den Kämpfen der letzten Jahre über rein ökonomische Forderungen kaum hinauskam.

Natürlich sollten sämtliche Subventionsstreichungen unmittelbar rückgängig gemacht werden. Aber das löst die grundlegenden Probleme überhaupt nicht. Eine Überwindung der Krise des Agrarsektors und eine Neustrukturierung im Interesse der Versorgung und ökologischer Notwendigkeiten setzt voraus, die Eigentumsfrage anzugehen. Das schließt die Enteignung von Grund und Boden sowie der Agrarindustrie und der Handelskonzerne ein.

Auf dieser Basis könnte die Produktion unter Einbeziehung von Ausschüssen der Bauern und Bäuerinnen und Landarbeiter:innen gemäß der Bedürfnisse der Masse der Konsument:innen und ökologischer Nachhaltigkeit reorganisiert werden – und zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Dies müsste natürlich nicht nur die Frage einschließen, welche Landwirtschaftsprodukte wie produziert, sondern auch, wie die Maschinen und Transportsysteme entwickelt werden sollen.

Um die Preise für Agrarprodukte zu regulieren, braucht es Preiskontrollkomitees, die ländliche Produzent:innen und städtische Konsument:innen direkt verbinden. Damit höhere Agrarpreise nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, müssen Löhne und Einkommen automatisch an diese Preissteigerungen angepasst werden.

Die Arbeiter:innenklasse kann und muss den bäuerlichen Produzent:innen zwar einen Plan für eine vernünftige Reorganisation der Landwirtschaft anbieten, sie kann und muss sie gegen den Druck der Agrarkonzerne verteidigen, aber sie kann ihnen nicht die Beibehaltung des bäuerlichen „unabhängigen“ Betriebs versprechen. Dieser ist selbst auf dem Boden des aktuellen Kapitalismus längst zu einer Fiktion geraten. Die Lösung des Problems besteht nicht in der Rückkehr zu einem „goldenen“ Zeitalter der bäuerlichen Wirtschaft, das es ohnedies nie gab, sondern in der gemeinwirtschaftlichen, demokratisch geplanten Produktion auch in der Landwirtschaft. Dabei können Genoss:innenschaften als Übergangsform vom individuellen Privat- zum Gemeineigentum nützlich sein. Sie sollten daher von der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden.

Ein solches Programm würde zwar sicher nicht alle Landwirt:innen, also eine ganze (klein-)bürgerliche Schicht gewinnen. Es wäre aber geeignet, einen Keil zwischen die Bäuer:innenschaft und das Agrarkapital zu treiben und zwischen die reaktionären und die fortschrittlichen Teilen der Landbevölkerung.