Protest gegen AfD-Landesparteitag in Oldenburg: Nein zur rassistischen Ausgrenzung von Anti-ZionistInnen!

Nina Awarie, Infomail 1027, 30. Oktober 2018

Am vergangenen Wochenende fand in Oldenburg der Landesparteitag der niedersächsischen AfD statt. Obwohl erst wenige Tage davor der Veranstaltungsort bekannt gegeben wurde, konnte innerhalb kürzester Zeit ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, NGOs, LGBTIA-Organisationen und Kirchen zu Gegenaktionen mobilisieren. Allein am Samstagvormittag wurden fünf Kundgebungen rund um die Weser-Ems-Halle abgehalten. Zeitgleich bildeten AktivistInnen Menschenketten an den Hamburger Gittern, um den Zugang zum Veranstaltungsgebäude zu versperren. Vielen Delegierten war es nur unter Polizeigeleit möglich, in die Halle zu gelangen. Hierbei kam es immer wieder zu kleineren Rangeleien, aber auch zu heftiger Polizeigewalt. So wurde etwas abseits des Geschehens einem linken Aktivisten von einem Polizisten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Später erfolgte noch ein Angriff der Polizei auf zwei BlockiererInnen, wobei ein Mann und eine junge Frau zu Boden gezerrt wurden und liegend getreten und geschlagen wurden. Laut Online-Ticker musste mindestens eine Person im Krankenhaus behandelt werden.

Demonstration

Nachmittags fand schließlich die vom Bündnis organisierte Demonstration statt. Die erwartete TeilnehmerInnenzahl von 2.500 wurde mit bis zu 8.000 DemostrantInnen deutlich übertroffen. Auch hier war ein breites Spektrum vertreten, das von Gewerkschaften, Grünen, SPD und Linkspartei bis zu zahlreichen Autonomen rund um das Oldenburger Aktions- und Kommunikationszentrum Alhambra reichte. Die Demonstration zog lautstark vom Bahnhofsvorplatz über den Julius-Mosen-Platz zum Europaplatz vor die Weser-Ems-Halle, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Angesichts der kurzen Mobilisierungszeit und des kalten, regnerischen Wetters ist die Demonstration durchaus als Erfolg zu bewerten, da es gelang, neben den „üblichen Verdächtigen“ des linken Spektrums auch zahlreiche unorganisierte OldenburgerInnen die gegen die AfD auf die Straße zu bringen.

Antideutscher Spaltungsversuch

Dennoch muss auch das mehr als kritikwürdige Verhalten einiger AktivistInnen thematisiert werden. Bereits bei der Auftaktkundgebung kam vom Lauti des Alhambras eine Durchsage, in der auf die Anwesenheit eines Oldenburger BDS-Aktivisten aufmerksam gemacht wurde. Dieser wurde nicht nur bei seinem Klarnamen genannt, sondern auch als Antisemit diffamiert und aufgefordert, sich von der Demo „zu verpissen“. Außerdem wurde auf der Abschlusskundgebung durch eine antideutsche Gruppe auf die Notwendigkeit einer bedingungslosen Israelsolidarität im Kampf gegen die AfD aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang wurde von „linkem und muslimischem Antisemitismus“ gefaselt, dem man mehr entgegensetzen müsse. An dieser Stelle wird jetzt nicht noch einmal eine ausführliche Argumentation kommen, weswegen Kritik und Ablehnung des Zionismus nicht antisemitisch ist und weswegen Israelsolidarität nichts, aber auch gar nichts mit linker Politik zu tun hat. Dies ist schon mehrfach an anderer Stelle deutlich gemacht worden. Hier geht es um eine Kritik an dem Spaltungsmanöver der antideutschen Kräfte und ihre Parteinahme für die rassistische Politik des zionistischen Staates und ihre bedingungslose Unterstützung durch die Bundesregierung und, im Übrigen, auch durch die AfD!

In Zeiten, in denen es fast täglich zu Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte kommt, in denen organisierte faschistische Kräfte durch die Straße marschieren, um auf Menschen Jagd zu machen, in denen echte antisemitische Übergriffe auf JüdInnen stattfinden, in denen mit der AfD eine rechtspopulistische, rassistische, antisemitische und israelsolidarische Partei im Bundestag sitzt, in diesen Zeiten haben Teile der antideutschen Linken nichts besseres zu tun, als Israel-Fahnen zu schwenken, linke AktivistInnen zu diffamieren und von antirassistischen Aktionen auszuschließen.

Die geforderte Israelsolidarität ist nicht nur politisch falsch und hilft kein Stück im Kampf gegen Antisemitismus. Sie ist auch für viele palästinensische und arabische Geflüchtete eine Zumutung und macht es diesen unmöglich, an antirassistischen Aktionen teilzunehmen. Eine solche rassistische Ausgrenzung darf daher nicht verschwiegen oder kleingeredet werden. Sie dient nur der Spaltung und somit Schwächung des antirassistischen Widerstands und muss deshalb entschieden zurückgewiesen und politisch bekämpft werden!




Aktionen in Dresden: PEGIDA wird älter – noch rechter

Martin Eickhoff, Infomail 1027, 30. Oktober 2018

Am Sonntag, dem 21. Oktober, wollte PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) großspurig ihren 4. Geburtstag mit Zehntausenden feiern, um ein Zeichen gegen „Merkel“ und den „Islam“ zu setzen. Gekommen sind nicht mal 4000 Alt- und Neurechte auf den Dresdener Neumarkt, um dem Hetzer Michael Stürzenberger, gegen den nach der Kundgebung ein Verfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet wurde, und dem fast kultisch verehrten „Lügen-Lutz“ zuzuhören. Auch der Deutschlandfunk stellte fest, dass die Ansammlung überwiegend aus älteren Männern über 50 bestand.

Auch wenn die Zahl der TeilnehmerInnen rückläufig war – die Thesen von PEGIDA werden immer extremer und auch die AfD unterstützt diese immer offensiver. So nahmen Bundestagsabgeordnete an der Kundgebung teil. Ebenso zeigen sich Neonaziparteien, wie z. B. der „Dritte Weg“, dort immer offensiver.

Gegenmobilisierung

Schön zu sehen war, dass erstmalig deutlich mehr Menschen auf den Straßen und Plätzen gegen PEGIDA unterwegs waren, darunter die Jugendorganisation Revolution und die Gruppe ArbeiterInnenmacht. Insgesamt nahmen gut 13.000 Menschen an den Demonstrationen und Kundgebungen von „Dresden Respekt“, „Hass statt Hetze“ und Tolerave (einem linken Rave-Projekt) teil, darunter die Linkspartei, aber auch VertreterInnen von CDU und SPD sowie der Dresdener FDP-Oberbürgermeister. Ein Demonstrationszug startete am Dresdener Hauptbahnhof, die anderen am Bahnhof Neustadt. Beide endeten mit einer gemeinsamen Abschlusskundgebung.

So positiv es war, dass dieses Jahr weit mehr Menschen an den Gegendemonstrationen teilnahmen als an der PEGIDA-Kundgebung, so politisch harmlos zeigten sich die „Proteste“. Versuche, PEGIDA selbst zu blockieren oder auch nur zu stören, unterblieben praktisch. Dafür bot die Kundgebung allen „DemokratInnen“ eine Bühne.

Angesichts der kommenden Landtagswahlen reihte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diesmal in die Demonstration ein, erhielt wie andere bürgerliche PolitikerInnen Rederecht und schloss eine CDU-AfDKoalition nach den im Herbst 2019 stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen aus. Hierfür erhielt er von einem Beamten der Staatsregierung einen „Offenen Brief“, indem er dafür kritisiert wurde, dass er sich mit angeblichen „Linksextremisten“ verbünden würde. All das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Teile der CDU weiter munter die Möglichkeit einer Koalition mit der AfD erwägen. Von einer „Wendung zu den Linksextremen“ kann erst recht keine Rede sein. Kretschmer wandte sich „natürlich“ gegen „jeden Extremismus“, steht unter anderem für eine rassistische Abschiebepolitik, Ausweitung der Polizeibefugnisse und behauptet weiter, dass es in Chemnitz keine Hetzjagd auf Geflüchtete gegeben habe.

In Wirklichkeit haben sich die OrganisatorInnen der Proteste von Kretschmer und der Landesregierung den Takt und die Inhalte der Kundgebung vorgeben lassen. So konnte der Ministerpräsident die Plattform nicht nur zu Selbstdarstellung nutzen – er sorgte auch gleich dafür, dass die Kundgebung politisch harmlos blieb und weitab von der von PEGIDA selbst stattfand. In dieser Hinsicht war die Veranstaltung ein Musterbeispiel für eine verfehlte Bündnispolitik, die vor allem der CDU und der Landesregierung hilft, sich politisch reinzuwaschen.

Im Kampf gegen Rassismus und Faschismus kann letztlich nur die Aktionseinheit der arbeitenden Bevölkerung und die Verbindung mit dem Kampf gegen den Kapitalismus zum Erfolg führen. Leere Worthülsen eines Ministerpräsidenten, der am nächsten Tag mehr Abschiebungen, mehr Repression, mehr staatlichen Rassismus auf den Weg bringt, tragen dazu nicht nur nichts bei, sie machen den Kampf selbst unglaubwürdig – zumal wenn so auch gleich die Aktionsformen brav im Rahmen sächsischer Polizeianordnungen bleiben.

Widerstand gegen rechte HetzpredigerInnen ist notwendig. Dazu reicht es aber nicht, einmal im Jahr auf die Straße zu gehen. Antifaschismus und Antirassismus sind vielmehr Fragen des Klassenkampfes. Es geht ebenso darum, im Alltag, im Betrieb, an Schulen gegen rechte Parolen Stellung zu beziehen, rechtsextreme Thesen zu entlarven und für den Aufbau antirassistischer und antifaschistischer Aktionsbündnisse der Gewerkschaften, aller Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, der rassistisch Unterdrückten und der Linken einzutreten.

REVOLUTION-Redebeitrag

Während Kretschmer wie selbstverständlich reden durfte, sollte der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION ein Redebeitrag bei der Demonstration „Für ein solidarisches Dresden ohne Rassismus“ trotz gegenteiliger Absprache verweigert werden. Hinterrücks versuchten einige Akteure aus der hiesigen linken Szene einzelne OrganisatorInnen der Demo unter Druck zu setzen, uns nicht reden zu lassen. Wir konnten diesen Beitrag zwar gegen undemokratische Vorstöße anti-deutscher Gruppierungen durchsetzen – es zeigte sich aber auch, dass der Opportunismus gegenüber der Landesregierung mit Sektierertum gegen RevolutionärInnen und Anti-ImperialistInnen einhergeht.

Die Rede einer GenossIn konnte schließlich durchgesetzt und gehalten werden – und erhielt sehr großen Beifall. Das verdeutlicht, dass Jugendliche auch in Dresden offen für eine klassenkämpferische, internationalistische und revolutionäre Politik gewinnbar sind. Diese Jugendlichen und die ArbeiterInnenklasse gilt es zu organisieren – massenhaft und militant, damit Rassismus und Faschismus dort landen, wo sie hingehören: auf dem Müllhaufen der Geschichte.




Massenhaft und organisiert gegen Rassismus!

Rede der unabhängigen Jugendorganisation REVOLUTION auf der antirassistischen Demonstration „Für ein solidarisches Dresden ohne Rassismus“ gegen den vierten Jahrestag von PEGIDA, ArbeiterInnenmacht Infomail 1026, 22. Oktober 2018

Der Rechtsruck schreitet immer weiter voran und äußert sich auch in der Zunahme faschistischer Angriffe. Auf offener Straße werden Menschen mit Migrationshintergrund und Linke von Nazis gejagt, während die Polizei tatenlos dabei zuschaut. Anschläge auf Flüchtlingsheime oder beispielsweise türkische Imbisse sind mittlerweile zum Alltag geworden.

Selbst ein faschistischer Schlägertrupp, der mit Eisenstangen bewaffnet am 1. September in Chemnitz in ein jüdisches Restaurant stürmt und „Hau ab aus Deutschland, du Judensau!“ ruft, sorgt nur noch bei zu wenigen für die eigentlich nötige Empörung.

Doch dass der Rassismus so alltäglich geworden ist, dass die Gesellschaft schweigt, wenn auf den Straßen FaschistInnen Menschen jagen, ist nicht nur ein sächsisches Problem. Nein! Der Rechtsruck macht sich europa- und weltweit bemerkbar. Egal ob Front National in Frankreich, Trump in den USA, die Wahl eines halb-faschistischen Präsidenten in Brasilien oder die AfD in Deutschland. Sie alle erstarken und werden auch immer stärker, wenn wir nichts dagegen tun, wenn wir nicht geeint als linke Kräfte auf die Straße gehen und den Rechten massenhaft und organisiert entgegentreten.

Die Ursache für den gesellschaftlichen Rechtsruck liegt im Kapitalismus und in seinen immer wieder aufkommenden Krisen. Die Weltwirtschaftskrise 2007/08 zog neben sogenannten Sparmaßnahmen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales auch massive Entlassungen von Arbeitskräften in ganz Europa nach sich.

Löhne wurden gekürzt und Leih- und Teilzeitarbeit immens ausgeweitet, um die Profite der Konzerne zu sichern.

Vor allem dadurch ist das neoliberale Projekt EU in den letzten Jahren immer weiter zerbröckelt. Die herrschenden Regime haben die Krise auf den Rücken der ArbeiterInnenklasse und der Jugend abgewälzt, vor allem in den Ländern Südeuropas. Diese Politik hat die Menschen zu Recht wütend gemacht und von der EU und den bürgerlichen Parteien abgestoßen. Die Verelendung oder die Angst vor dem Abstieg und die offensichtliche Krise der kapitalistischen Europäischen Union haben aber gleichzeitig den Nährboden für rechte Parteien und ihren Nationalismus und Rassismus geschaffen. Der Austritt Großbritanniens aus der EU, der sogenannte Brexit, hat den Vormarsch nationalistischer Kräfte noch einmal in ganz Europa befeuert.

Die Auswirkungen dieser Politik haben auch in Deutschland dazu geführt, dass Menschen nach Lösungen für ihre miese Lage abseits der etablierten Parteien gesucht haben, und teilweise glauben sie, diese im Nationalismus und Rassismus gefunden zu haben.

Die pro-kapitalistischen Parteien reagierten auf das Aufkommen der AfD nicht mit Widerstand, sondern im Gegenteil, mit einer Anpassung an die rechte Rhetorik, aus der Angst heraus, WählerInnen zu verlieren. Mit mehreren drastischen Einschränkungen des Asylrechts wurden Forderungen der AfD von CDU/CSU und auch SPD aufgegriffen und umgesetzt. Selbst aus der Linkspartei wurden Stimmen nach einer Obergrenze für Geflüchtete laut. Der Rechtsruck vollzog sich also in allen Parteien und bestätigte die SympathisantInnen der AfD weiter.

Solange wir als linke Kräfte den zu Recht von den etablierten Parteien entfremdeten Menschen keine soziale, antikapitalistische Perspektive bieten und nicht geeint und entschlossen gegen den Rechtsruck aufstehen, werden diese Menschen weiterhin den plumpen Parolen der Rechten auf den Leim gehen.

Weder die Linkspartei noch die Gewerkschaften haben größere, bundesweite Mobilisierungskampagnen gegen rechts durchgeführt oder Bündnisstrukturen aufgebaut, die in der Lage gewesen wären, dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Vor allem aber haben sie sich nicht deutlich genug als antikapitalistisch kämpfende Kräfte von der bürgerlichen Politik abgegrenzt. Die AfD konnte sich deshalb als einzige ernsthafte Opposition inszenieren.

Was wir aber brauchen, um den Nährboden der Rechten für immer auszutrocknen, ist eine sozialistische Antwort auf die Krise des Kapitalismus. Wir treten für soziale Forderungen wie höhere Löhne und bessere Renten ein, bessere Bildung und einen wirksameren Kündigungsschutz – und zwar für alle Menschen.

Der Kampf gegen die Rechten und für Verbesserungen muss aber unbedingt immer mit dem Kampf gegen das kapitalistische System an sich verbunden werden. Statt ihn nur sozialer zu gestalten, müssen wir den Kapitalismus letztlich gemeinsam zerschlagen – in Deutschland, Europa und der ganzen Welt!

Vor allem die Jugend hat daran ein besonderes Interesse. Wir als Jugendliche bilden die dynamischste und oftmals auch die entschlossenste Kraft in der Gesellschaft. Uns ist es nicht egal, wer für unsere Zukunft die Macht in den Händen hält.

Wir lassen nicht zu, dass unsere FreundInnen auf der Straße angespuckt, beleidigt und angegriffen werden. Wir lassen nicht zu, dass Menschen zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken und in Kriegs- und Krisengebiete abgeschoben werden. Und wir lassen nicht zu, dass rechte Parteien wie die AfD uns durch ihre noch neoliberalere Politik unsere Zukunft verbauen!

Darum müssen wir uns massenhaft organisieren. Es ist schön, dass so viele Menschen zur Demonstration gekommen sind, aber nur mit lauter Musik und ein paar Reden können wir die Rechten nicht stoppen.

Was wir brauchen, ist eine breite Bewegung, welche sich entschlossen PEGIDA und Co. entgegenstellt – hier auf der Straße, in den Schulen und Betrieben.

Lasst uns auch über den heutigen Tag hinaus gemeinsam gegen den Rechtsruck kämpfen! Werdet aktiv, organisiert euch, gründet antifaschistische und antirassistische Komitees an den Orten, wo ihr arbeitet, lernt und lebt! Lasst uns eine Bewegung aufbauen, die eine echte Alternative zur bestehenden kapitalistischen Ordnung aufzeigt und dieses System aus den Angeln heben!

Erst dann, wenn wir die Logik der Profitmaximierung zugunsten einer an den Bedürfnissen aller Menschen orientierten Produktion überwunden haben, können wir tatsächlich eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus erreichen.

Kampf dem Rassismus bedeutet Kampf dem Kapital!

One Solution: Revolution!




Hessische Landtagswahl 2018: DIE LINKE wählen – aber den Kampf gegen die nächste Landesregierung organisieren!

Alex Mayer, Infomail 1026, 21. Oktober 2018

Ob in Frankfurt am Main oder in Wiesbaden, in Darmstadt oder Gießen, Marburg oder Kassel: Es ist wieder Landtagswahlkampf und das macht sich schon seit Wochen bemerkbar. In den Fußgängerzonen Infostände, Kundgebungen und Veranstaltungen mit mehr oder weniger prominenter Unterstützung aus Berlin; Umfragewerte und Prognosen geben fast tagesaktuell den Wahltrend wieder. Plakate, so weit das Auge reicht. Täglich finden irgendwo in Hessen auch Veranstaltungen der rechten „Alternative für Deutschland“ statt, meist begleitet vom Protest lokaler AntifaschistInnen.

Wenn am 28. Oktober der neue Hessische Landtag gewählt wird, setzt sich scheinbar der bundesweite Trend ähnlich wie in Bayern auch in Hessen fort. Die Konservativen der CDU werden wohl Federn lassen müssen, ihnen wird ein Verlust im zweistelligen Prozentbereich vorausgesagt. Die eigentliche Verliererin der Wahl wird die SPD sein, auch ihr drohen herbe Verluste im zweistelligen Bereich. Anders als die Sozialdemokratie stellen die Konservativen allerdings den derzeitigen Ministerpräsidenten von Hessen, Volker Bouffier, welcher seit der letzten Wahl 2013 mit den Grünen koaliert. Die offen bürgerliche Grüne Partei steht schon jetzt als Gewinnerin der Wahl da, nicht nur, dass sie in Umfragewerten mit der SPD zur Zeit etwa gleichauf liegt. Sie bildet schon jetzt mit der CDU eine Landesregierung. Wahrscheinlich ist, dass diese weiter fortgesetzt wird, allerdings reicht es nach den aktuellen Prognosen womöglich nicht für Schwarz-Grün. Möglich und am wahrscheinlichsten wäre eine Jamaika-Koalition durch das Ins-Boot-Holen der FDP (schwarz-grün-gelb). Anders als in der Bundespolitik signalisierte die FDP bereits starkes Interesse an einer Regierungsbeteiligung. Eine grün-rot-rote Koalition wäre rechnerisch möglich, allerdings unwahrscheinlich.

Die Gründe für die Verluste von CDU und SPD sind vor allem in der Bundespolitik zu suchen. Mit der Großen Koalition (GroKo) in Berlin, die sich in erster Linie mit eigenen Problemen befasst, verspielen die zwei großen Parteien ihr Vertrauen bei den WählerInnen. Gerade die SPD – die zwar schon lange keine Politik mehr im Interesse der ArbeiterInnen macht, aber sich nach wie vor auf ihre Verankerung in den Gewerkschaften und einen hohen Wähleranteil unter den Lohnabhängigen stützen kann, zeigt nach Hartz IV, Kriegseinsätzen und immer neuen faulen Kompromissen, dass sie selbst als Juniorpartnerin in einer prokapitalistischen Regierung keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt, schon gar nicht als pseudo-soziales Gewissen in der Regierung. Zu Recht wird sie massiv abgestraft. Die Konservativen der CDU (wie auch der CSU in Bayern) verlieren Stimmen an die AfD und die Grünen. Den einen ist die CDU nicht hart genug im Umgang mit Flüchtlingen und MigrantInnen, zu alteingesessen, zu sehr Teil des Etablishments, andere wollen einen scheinbar humaneren, grünen Kapitalismus und wählen die Grünen für ihren alternativen Hauch.

In der aktuellen Prognose des Hessischen Rundfunks (20.10.2018, abgerufen am 20.10.2018 um 22.00 Uhr) liegt die CDU bei 26 %, die SPD bei 21 %, dicht gefolgt von den Grünen mit 20 %, welche die SPD als zweitstärkste Kraft ablösen könnten.
Der derzeitige hessische Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir konstatierte denn auch, dass die GroKo nur um sich selbst kreise, anstatt Probleme zu lösen und begründete damit den Aufwärtstrend der Grünen.

Die AfD zieht in den Landtag ein

„Konsequent abschieben“ prangt derzeit von den Plakaten der AfD. Die rechte Partei liegt den Umfragen zufolge bei 12 % und schafft damit sehr erfolgreich den Einzug in den hessischen Landtag, während sie 2013 noch an der 5 %-Hürde scheiterte. Hier setzt sich der beunruhigende Rechtsruck fort, der bundesweit zu beobachten ist. Erfolgreich macht sie vor allem das harte Law-and-Order- Programm, mit dem sie der ohnehin schon am rechten Rand fischenden hessischen CDU die Butter vom Brot nimmt. Wer wählt schon die alteingesessene Kanzlerinnen-Partei, wenn eine scheinbar junge, radikale Rechte mal richtig durchgreifen möchte gegen „Islamisierung“, „No-Go-Areas (rechtsfreie Räume)“, kriminelle AusländerInnen, sexuelle Aufklärung und Abtreibung und sich stark macht für „mehr Polizei“, einen „effektiveren“ Verfassungsschutz, Schleierfahndung, „Abschiebezentren“ etc. Forderungen wie z. B. „mehr ErzieherInnen und LehrerInnen“ dienen dabei nur als billiges Feigenblatt und Mittel, um Rassismus mit Sozialchauvinismus zu kombinieren.

Die Linke wählen …

600 Gäste besuchten am 17. Oktober eine Veranstaltung der Kasseler Linken mit Gregor Gysi und der hessischen Spitzenkandidatin Janine Wissler – seit 2008 im Hessischen Landtag, stellvertretende Parteivorsitzende und Mitglied von marx21 – als einen Höhepunkt des Wahlkampfs der Linkspartei.

Nicht nur auf der Veranstaltung gab man sich kämpferisch, auch das Wahlprogramm der Linken stellt viele richtige und wichtige Forderungen auf. Unter dem Slogan „Mehr für die Mehrheit“ fordert die Partei u. a. „mehr für die Kleinen“ und möchte die Kinderarmut bekämpft sehen, „mehr Lehrer und kleinere Klassen“, „mehr bezahlbare Wohnungen“, einen besseren Nahverkehr – „am besten umsonst“, „mehr Jobs, besser bezahlt“. Die Linken treten dafür ein, sich gegen Abschiebung stark zu machen und kündigen an, dass sie auch zukünftig protestieren und demonstrieren würden, verlangen eine „Millionärssteuer“ zur Besteuerung der Reichen und das konsequente Werbeverbot für die Bundeswehr und unterstützen den Kampf gegen die Rüstungsindustrie.

… reicht nicht aus

Viele gute Forderungen stehen im Raum und die Linken bspw. in Kassel engagieren sich sehr wohl im täglichen Kampf für „mehr soziale Gerechtigkeit“ und gegen die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus. Im Großen und Ganzen ist die Linke eine Partei, die sich auf ArbeiterInnen stützt oder diese anspricht, die zumindest teilweise in den Gewerkschaften verankert ist und ansatzweise auch den Kapitalismus als System kritisiert. Die Linke stellt momentan die einzige Kraft dar, die den Kampf gegen den Rechtsruck, die Angriff auf demokratische Rechte und soziale Errungenschaften ins Zentrum ihres Wahlkampfes rückt, auch wenn es sich bei dem Wahlprogramm mehr um eine Ansammlung von Wünschen handelt.

Dennoch wird gerade an dieser Stelle deutlich: Eine Strategie zum Aufbau einer antikapitalistischen, anti-rassistischen, klassenkämpferischen Bewegung, die in den Betrieben, in den Wohnbezirken, an Schulen und Unis verankert ist, fehlt. Die Linke tritt auf der Straße in Relation zu ihren Mitgliederzahlen und ihrem WählerInnenteil von rund 8 Prozent schwach auf. Wie für reformistische Parteien üblich, ist sie vor allem auf Wahlen und StellvertreterInnenpolitik ausgerichtet.

Besonders deutlich wird es gerade zu Wahlkampfzeiten. Die Linke organisiert Veranstaltungen, unterstützt den Protest gegen die AfD und Gewerkschaftsdemonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen, sie ist auf der Straße in Stadtteilen anzutreffen: ob Kinderschminken oder Gitarrenmusik, die Partei ist vor Ort. Außerhalb des Wahlkampfmodus’ gelingt es ihr aber nicht, große Bewegungen anzuschieben.

Wir teilen nicht die Illusionen in die Linke oder ihre Strategien, wir fordern die Linke auf, Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, mit der Sozialpartnerschaft zu brechen, eine Massenbewegung auf der Straße gegen die AfD und den Rechtsruck aufzubauen. Die Stimme für die Linken bedeutet bei den Wahlen die einzige Möglichkeit, der Unzufriedenheit mit dem System Ausdruck zu verleihen; sie ist die einzige Möglichkeit, der rassistischen AfD, der Politik der hessischen Landesregierung wie der GroKo öffentlich entgegenzutreten. Daher rufen wir zur Wahl der Linkspartei auf. Aber: Erkämpft wird eine andere Welt nicht im bürgerlichen Parlament, sondern nur im Klassenkampf.




Nach den Landtagswahlen in Bayern – wie weiter?

Helga Müller, Infomail 1025, 17. Oktober 2018

Während die CSU mit ihren 37,2 % noch mit einem blauen Auge davongekommen ist – an ihr kommt niemand trotz ihres enormen Absturzes von 10,4 Prozentpunkten bei der Regierungsbildung vorbei – rutscht die SPD auf 9,7 %. Gegenüber den Landtagswahlen 2013 verlor sie 10,9 Prozentpunkte: eine wahlhistorische Niederlage, von der sie sich auch bundesweit nicht so schnell erholen wird. Die eindeutigen SiegerInnen sind die Grünen mit 17,5 % – einem Anstieg um 8,9 Prozentpunkte – und die rechtspopulistische AfD, die auf Anhieb auf 10,2 % kommt und nun als viertstärkste Fraktion in das 15. Länderparlament einziehen wird. Aber auch die Freien Wähler (FW) haben wieder Stimmen hinzugewonnen (+2,6 Prozentpunkte) und kommen auf 11,6 %. Diese werden sehr wahrscheinlich zusammen mit der CSU die nächste Regierung in Bayern stellen.

Woran liegt dieses schlechte Abschneiden von CSU und SPD?

Wie wir schon in den vergangenen Ausgaben unserer Publikation „Neue Internationale“ ausgeführt haben, hat die CSU vor allem mit ihren Gesetzesänderungen (Polizeiaufgabengesetz [PAG] u. a.), die einen autoritären Staat vorbereiten sollen, und den damit verbundenen extremen Einschränkungen von Grundrechten, aber auch mit ihrer Politik für die Reichen und die SpekulantInnen große Gegenwehr provoziert. Seit Mai gab es etliche Großdemos mit mehreren 10.000 TeilnehmerInnen. Die wahren Probleme wie bezahlbarer Wohnraum, LehrerInnenmangel, Pflegenotstand oder auch die extremen Klimaveränderungen, die auch Bayern getroffen haben, waren für die CSU kein Thema. Ihr Hinterherlaufen hinter der AfD hat sie noch weiter nach rechts getrieben, aber auch nicht geholfen, die AfD in die Schranken zu weisen. Im Gegenteil: Ein Grund für ihren Stimmenverlust ist u. a. die Abwanderung zur AfD, aber auch die SPD hat Stimmen an diese verloren.

In vielen Wahlanalysen wird immer wieder betont, dass die SPD auch nicht mehr in ihrer „Kernkompetenz“ – der „sozialen Gerechtigkeit“ –, und für was sie eigentlich steht, von den WählerInnen wahrgenommen wird. Kein Wunder, hat sich die Führung nach internem Widerstand doch wieder dazu entschlossen, in die Große Koalition zu gehen und ihre Politik gegen die Interessen der ArbeiterInnen, RentnerInnen, Arbeitslosen und Jugendlichen weiterzuverfolgen, anstatt wie von der innerparteilichen „Opposition“ gefordert, die nach dieser Entscheidung sehr schnell eingeknickt ist, in die Opposition zu gehen und sich dort inhaltlich zu erneuern. Dies zeigen auch Wahlanalysen: Die SPD hat vor allem bei ihrem eigentlichen Klientel –ArbeiterInnen/Angestellten und RentnerInnen – verloren.

Die Grünen und DIE LINKE

Die Grünen dagegen sind die eigentlichen GewinnerInnen der Bayernwahl. Auch sie haben Stimmen von der CSU, aber auch von enttäuschten SPD-WählerInnen erhalten. Viele ehemalige CSU-WählerInnen, die deren Radikalisierung nach rechts nicht mitgegangen sind, haben für sie gestimmt. Diese Entscheidung war auch nicht so schwer, sind die Grünen in Bayern noch konservativer als im Bund – sie sind z. B. auch dafür, dass die Polizei mehr Stellen erhalten soll, um die innere Sicherheit in diesem Bundesland weiter zu gewährleisten, und auch für eine Abschiebepolitik – nur auf „humane“ Art und Weise. Kombiniert haben die Grünen dies mit einer jungen dynamischen Führung, die „Hoffnung“ auf eine Neuorientierung machen soll.

Die LINKE hat zwar geringfügig Stimmen hinzugewonnen mit 1,1 Prozentpunkten, konnte aber den Sprung ins Parlament nicht erreichen. Sie konnte von der Krise der SPD nur wenig profitieren, weder in den Großstädten noch bei ArbeiterInnen/Angestellten und RentnerInnen. Im Gegensatz dazu zog die FDP nach 5 Jahren mit 5,1 % wieder in den bayerischen Landtag ein.

Interessant ist, dass die Grünen sowohl in den Großstädten punkten konnten – in München haben sie sogar das Mandat der CSU weggeschnappt – als auch bei den ArbeiterInnen und Angestellten. (siehe Zahlen nach Infratest dimap aus www.tagesschau.de vom 15.10.18)

Instabile Regierungsbildung in Bayern

Bisher sieht es so aus, dass Söder – zwar politisch angeschlagen – noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Er wird voraussichtlich den neuen, alten Ministerpräsidenten stellen, höchstwahrscheinlich zusammen mit den FW. Eine Koalition mit den Grünen lehnt er bisher ab, weil dies angeblich keine bürgerliche Regierung sei. Ob die bürgerliche Regierung mit den FW oder zusammen mit den Grünen zustande kommen wird, kann man bisher noch nicht letztendlich voraussehen. Nur eins ist klar: Dies wird keine stabile Regierung sein! Die CSU hat mit den Stimmverlusten einen klaren Dämpfer erhalten und die absolute Mehrheit verloren. Die Koalition mit den FW wird für viele WählerInnen – vor allem für die, die zu den Grünen abgewandert sind –, keine wirkliche Veränderung darstellen. Von daher ist noch nicht final entschieden, ob die weitere politische Entwicklung die CSU nicht doch noch dazu zwingen wird, eine offen bürgerliche Koalition mit den Grünen einzugehen.

Auswirkung auf die Große Koalition

Aber nicht nur für Bayern ist diese Wahl ein Einbruch, auch die Große Koalition kommt damit ins Wanken. Entscheidend, ob diese Regierung weiter machen kann oder nicht, wird sicherlich die Hessenwahl in 14 Tagen sein.

Nicht nur Bundesinnenminister Seehofer ist angezählt – es gibt Stimmen aus den eigenen Reihen in Bayern, die seinen Rücktritt bereits offen fordern. Gerade die SPD gerät mit dieser historischen Niederlage ins Wanken. Diese muss sich in den nächsten Wochen entscheiden, ob sie weiterhin in der Großen Koalition bleiben will, was bereits von den Jusos Bayern und ihrem Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert wieder angemahnt wird, und ob sie nicht ganz klar mit der Agendapolitik brechen muss, um wieder als die Partei des „kleinen Mannes“ wahrgenommen zu werden. Diese Wahl hat noch einmal ein Schlaglicht darauf geworfen, dass die SPD keine „normale“ Volkspartei ist und sein kann. Sie ist trotz Agenda 2010 immer noch eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei – ihre Basis ist die ArbeiterInnenschaft, vermittelt über ihre organischen Verbindung zum Gewerkschaftsapparat –, sie verfolgt aber eine vollständig bürgerliche Politik. Je mehr sie diese Bindung zur ArbeiterInnenklasse verliert, desto uninteressanter wird sie auch für die Bourgeoise als Transmissionsriemen ihrer Politik über den Gewerkschaftsapparat in die ArbeiterInnenklasse hinein. Aber desto unattraktiver wird sie auch für die ArbeiterInnenklasse als „Vertretungsorgan“ gegen die Angriffe der UnternehmerInnen und ihrer Parteien.

Aber als antikapitalistische und revolutionäre Linke müssen wir auch feststellen, dass der Verschleiß der SPD nicht dazu führt, dass die linksreformistische Kraft – DIE LINKE – dadurch gestärkt oder es einen Trend nach links geben würde. Auch in Bayern profitierten vor allem die AfD und die Grünen, die auch nur eine Variante offen bürgerlicher Politik sind. Von daher gilt nach wie vor und darauf hin müssen wir die gesamte Linke drängen: Es ist notwendig, eine Aktionseinheit gegen die AfD und den Rechtsrutsch zu bilden, um gegen die Angriffe der UnternehmerInnen, aber auch gegen die Abschiebepolitik vorgehen zu können! Diese zu initiieren, ist die Verantwortung der Gewerkschaften, der Partei DIE Linke, aber auch von den Kräften in der SPD, die die Notwendigkeit sehen, mit der Großen Koalition und der Agendapolitik zu brechen. Dazu müssen wir sie jedoch zwingen!




Über die FAU, den Rechtsruck und die Notwendigkeit des Aufbaus einer linken Aktionseinheit

REVOLUTION Dresden, Infomail 1025, 17. Oktober 2018

Am 12.10.2018 veröffentlichte das Dresdner Syndikat der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU (Freie Arbeiter_Innen Union) eine Stellungnahme unter dem Titel „Warum wir nicht mit Revo zusammenarbeiten“. Die 35-Seiten zählende Kritik beginnt mit folgenden Worten: „Für die, die den Anlass dieses Statements nicht kennen: Seit ca. 2 Jahren (Anm.: eigentlich sind es schon 3 Jahre) sind verschiedene Gruppen und Strukturen in Dresden mit einer kleinen, trotzkistischen Jugendorganisation konfrontiert. Diese ist bundesweit in 8 Städten vertreten und auch international vernetzt. Sie forderte immer wieder, einen Platz in Bündnissen zu erhalten, obwohl sie von den meisten emanzipatorischen Akteur_innen in Dresden abgelehnt wurde. Mit diesem Statement hoffen wir, anhaltende und anstrengende Auseinandersetzungen um eine eventuelle Akzeptanz der Organisation inhaltlich begründet und dauerhaft zu beenden.“

Die Kritik an unserer Organisation arbeitet sich an zwei Punkten ab: 1. an unserer praktischen Bündnisarbeit. Uns wird unser Ziel, eine Einheitsfront aller linken Kräfte und der Organisationen der Arbeiter_Innenklasse gegen den Rechtsruck aufzubauen, wohlgemerkt trotz der massiven Zunahme rassistischer und faschistischer Mobilisierungen und Angriffe in Sachsen, zum Vorwurf gemacht. Ferner wird behauptet, wir würden uns durch die Mitarbeit in Bündnissen ausschließlich selbst aufbauen wollen. Um dies zu belegen, werden wider besseren Wissens falsche Informationen und Gerüchte verbreitet und uns grundsätzlich hinterhältiges taktieren und Intransparenz unterstellt.

Der zweite Punkt bezieht sich auf unser Programm selbst (An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir uns bereits vor über einem Jahr ein neues internationales Programm gegebenen haben und sich alle von der FAU zitierten Passagen auf unser altes Programm beziehen. Dieses ist zwar inhaltlich immer noch super aber wer unsere Organisation inhaltlich-fundiert kritisieren möchte, sollte sich doch wenigstens die Mühe machen, dies auf ihrer aktuellen programmatischen Grundlage zu tun). All die Unterschiede, die zwischen einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft und einer kommunistischen Jugendorganisation selbsterklärend existieren, die unterschiedlichen Vorstellungen über den Weg zum Aufbau einer Arbeiter_Innenbewegung, über Parteien und Räte werden als Gründe mit angeführt, weshalb eine gemeinsame Bündnisarbeit mit uns unter keinen Umständen vertretbar sei. Weiterhin wird uns in Bezug auf den Nahostkonflikt ein „latenter Antisemitismus“ vorgeworfen, der durch eine abstruse Verfälschung unserer sozialistischen Position und einer widersprüchlichen Verteidigung des Zionismus „belegt“ werden soll.

Wir wollen an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen, auf die Kritik einzugehen, unsere eigenen Positionen unverfälscht darzulegen und den hinter dieser Stellungnahme stehenden Aufruf, jede „eventuelle Akzeptanz“ und Kooperation mit uns dauerhaft zu beenden, entschieden zurückweisen.

Der Rechtsruck und der Aufbau einer linken Bewegung

Chemnitz, 26.08.2018: Nachdem ein 35-jähriger mutmaßlich durch einen Menschen mit Migrationshintergrund mit einem Messer niedergestochen wurde, zieht ein Mob von über 1000 Rassist_Innen und Faschist_Innen durch die Stadt, macht Jagd auf migrantisch und links aussehende Menschen, skandiert Parolen wie „für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer“ und „wir sind die Fans von Adolf Hitler – Hooligans“. Am darauffolgenden Tag kommen bei einer Demonstration von „Pro Chemnitz“ über 5000 Rechte zusammen, unter ihnen AfD’ler, organisierte faschistische Kräfte wie der „III. Weg“ und Nazihools. Ihnen stehen gerade mal 1500 Gegendemonstrant_Innen gegenüber. Auch an diesem Tag kommt es wieder zu Hetzjagden auf Linke und Migrant_Innen, 12 vermummte Neonazis stürmen mit Eisenstangen bewaffnet ein jüdisches Restaurant und rufen „hau ab aus Deutschland, du Judensau!“. Allein innerhalb  dieser beiden Tage wurden 18 Angriffe auf Migrant_Innen dokumentiert, fast so viele, wie im Vorjahr in Chemnitz insgesamt registriert wurden (20). Zum Weltfriedenstag, am 1. September, ruft die AfD zur Demonstration auf und versucht ebenfalls, den Tod des 35-jährigen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diesem Aufruf folgen fast 10 000 Menschen, angeführt wird die Demo vom faschistischen Flügel der AfD um Höcke, dahinter Lutz Bachmann und organisierte faschistische Führungskader.

Der gesellschaftliche Rechtsruck äußert sich auch auf den Straßen – das ist uns allen, gerade hier in Sachsen, spätestens seit dem Entstehen der PEGIDA-Bewegung bewusst. Dem Erstarken der Rechten und auch der faschistischen Kräfte konnten wir als Linke in den letzten Jahren kaum etwas entgegensetzen. Wir haben es nicht geschafft, eine Gegenbewegung aufzubauen, die den Kampf gegen Rassismus und Faschismus konsequent geführt hätte, die den Rassist_Innen und Faschist_Innen die Straßen strittig und eine Perspektive gegen den Rechtsruck aufgezeigt hätte. Dies bekommen wir nun immer deutlicher auf den Straßen zu spüren: wir schaffen es nicht, faschistische Aufmärsche zu verhindern oder empfindlich zu stören, wir sind fast immer in der Unterzahl und können pogromartigen Zuständen nur zuschauen, die Hetzjagden der Nazis nicht verhindern.

Wo drückt‘s im Schuh bei der FAU?

Gerade vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Schwäche der Linken und der Defensive, in der sich die Arbeiter_Innenbewegung befindet, halten wir den vor Kurzem veröffentlichten Aufruf der FAU Dresden zur Spaltung der wenigen linken Kräfte für einen schwerwiegenden politischen Fehler. Wir würden mit einem besseren Gewissen Zeit und Energie in diese Gegenstellungnahme stecken, wenn wir wüssten, dass sie sich aufgrund einer gemeinsamen Praxis im Kampf gegen den Rechtsruck auch tatsächlich lohnen würde. Durch das ultimatistische und sektiererische Verhalten der FAU jedoch, haben sie uns nun einen großen Haufen vor die Tür gekackt, den wir nun mühsam wegputzen müssen. Es ist uns auch nicht ganz klar, weshalb wir uns in diesem Schreiben für unsere Politik rechtfertigen müssen. So ist es doch eigentlich die FAU, die sich dafür rechtfertigen sollte, warum sie eine effektive antirassistische Praxis in Dresden so aktiv behindert.

Diese wäre nämlich der gemeinsame Aufbau einer linken Bewegung, die den antirassistischen und antifaschistischen Kampf mit der sozialen Frage und einer antikapitalistischen Perspektive verbindet. Eine Aktionseinheit aller linken Gruppen und der Arbeiter_Innenparteien und -Organisationen, insbesondere der Partei DIE LINKE und der Gewerkschaften, wäre imstande, dem gesellschaftlichen Rechtsruck etwas entgegenzusetzen und den Rassismus effektiv zurückzudrängen. Stattdessen zieht die FAU Dresden es vor, einen politischen Kleinkrieg gegen andere linke Gruppen zu führen, brüstet sich selbst mit Verboten und damit, uns seit nun drei Jahren schon zu bekämpfen.

So schreibt die FAU Dresden in ihrer Stellungnahme passend zu ihrem sektiererischen Verhalten: „Die von Revo beschworene Einheitsfront, wir wollen sie nicht. Sie schadet mehr, als dass sie nützt und es gibt in Dresden einen ziemlich breiten libertären Konsens darüber, wo politische Ansätze den (sicherlich alles andere als eindeutigen) Weg zur Emanzipation spätestens verlassen. Einige der Positionen von Revo sind nicht akzeptabel. Schädlich für eine breite linke Bewegung ist nicht der Ausschluss von Revo aus Bündnissen, sondern die Vehemenz, mit der Revo sich in solche Bündnisse hineinerpresst und damit viel Zeit und Energien bindet.“

Gruppen wie die unsere, die versuchen, möglichst viele linke Kräfte zusammenzuführen und in der Aktion zu bündeln und zu diesem Zweck auch in selbsternannten „offenen Bündnissen“ mitarbeiten, sind also „schädlich für eine breite (!) linke Bewegung“, und deshalb sei auch der Ausschluss solcher Gruppen folgerichtig. Hier kann unserer Meinung nach nur einer von zwei üblen Denkfehlern vorliegen: Entweder, die FAU leidet unter gnadenloser Selbstüberschätzung und glaubt, den Rechtsruck alleine stoppen zu können. Oder, und das wäre noch viel trauriger, der tatsächliche Kampf gegen den Rechtsruck auf der Straße und in unseren Städten ist ihr eigentlich gar nicht so wichtig, sondern es geht ihr im Grunde nur darum den Einfluss der eigenen Organisation auszuweiten.

Dass sich diese Stellungnahme nicht nur gegen uns, die internationale, kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION richtet, sondern gegen alle sozialistischen und marxistischen Organisationen in Gänze und die FAU Dresden für den Aufbau einer breiten linken Bewegung nur mit anarchistischen Gruppen (bedingt) zusammenarbeiten würde, wird unter anderem durch folgende Zeilen ersichtlich:

„Selbst wenn die restlichen Kritikpunkte an Revo nicht geteilt werden oder aus der Welt geschafft werden, kann Revos Einstellung, vorbehaltslos mit allen anderen linken Organisationen zusammen zu arbeiten, ein echtes Problem werden: Revo ist potentielle Bündnispartnerin jeder vorstellbaren politischen Gruppierung, so lange sie sich als links oder sozialistisch begreift. Wenn Revo in Dresden wächst und durch die emanzipatorische Bewegung Akzeptanz erfährt, könnte sie durch ihre Bereitschaft zu Bündnissen Einzelpersonen zur Aktionsfähigkeit und damit zum Aufbau von Organisationen verhelfen, die in Dresden sonst wohl keine Chance hätten. […] Weniger offensichtlich mag die Gefahr sein, wenn es um handzahmer daher kommende Organisationen wie die DKP-Jugend SDAJ oder die DKP selbst geht. Nur weil diese Organisationen weniger aktionistisch und aggressiv daher kommen, sind sie nicht weniger problematisch. […] Stimmen wir Revos Bündnispolitik dadurch zu, dass wir die Organisation in unseren Bündnissen und Räumen akzeptieren, unterstützen wir damit auch die potentielle Öffnung der radikalen und emanzipatorischen Bewegung Dresdens für Unterstützer_innen solcher stalinistischer Parteien und autoritären Regime.“

Überhaupt erscheint es uns als sehr widersprüchlich, wenn die FAU Dresden behauptet, wir seien für den Aufbau einer breiten linken Bewegung schädlich, wenn sie ein paar Sätze weiter folgendes schreibt:

„Revo fordert immer wieder ein Zusammengehen aller linken Kräfte. Wir halten das für eine problematische Sichtweise, da links ein undefinierter Kaugummibegriff ist, der ganz unterschiedliche Bewegungen betitelt, die als unvereinbar gelten dürfen. So gibt es auch durchaus plausible Argumentationen, mit denen Anarchosyndikalist_innen diese Klassifizierung für sich insgesamt ablehnen. Es stellt sich also die Frage, wer ist links? Der sozialliberale Flügel der FDP? Anarchoprimitivist_innen, die eine menschenverachtende, darwinistische Utopie vertreten? Anhänger_innen des Jugendwiderstandes, die mit dem F-Wort gegen Antifaschist_innen wettern und „Antikommunist_innen töten, auch Linke!“ an die Wand kritzeln? Stalinos, die sich eine gute Position im aufzubauenden, totalitären Regime erhoffen? JuSos, die sich heute noch antifaschistisch geben, um morgen zum Wohle der deutschen Wirtschaft Waffenexporte an die Erdogan-Diktatur zu genehmigen? Wir meinen: Mit der Losung von einem Zusammengehen aller linken Kräfte kommen wir schwerlich weiter, einfach weil auch unter dem Label „links“ so viel menschenverachtender oder von emanzipatorischen Ansprüchen befreiter Müll abgesondert wird, dass mensch diese Losung entweder selbst nicht ernst nimmt oder völlig beliebig in der Wahl seiner potentiellen Partner_innen ist und damit auch unmöglich zielgerichtet für eine bessere Gesellschaftsordnung streiten kann.“

Vor dem Hintergrund dieser Worte fragen wir uns ernsthaft, mit wem die FAU Dresden überhaupt eine „breite linke Bewegung“ aufbauen möchte, wenn doch alle anderen außer sie selbst nicht links seien bzw. sie selbst diesen „Kaugummibegriff“ ablehnt? Ausschließlich mit sich selbst? Dies würde zumindest ihre Bündnispolitik erklären, doch dazu kommen wir später. Bei uns geht’s beim „Linkssein“ übrigens nicht ums kaugummikauende Toddefinieren, sondern um linke Praxis, konkrete Forderungen und den Klassencharakter einer Organisation. Es ist also offensichtlich, dass die anarchosyndikalistische Gewerkschaft mit anderen linken Gruppen, die nicht wie sie in jedem zweiten Satz wahllos die Worte „libertär“, „anarchistisch“ oder „emanzipatorisch“ verbauen, nichts zu tun haben will. Es scheint ihr auch kein Bedürfnis zu sein, dem gesellschaftlichen Rechtsruck und den immer offener auftretenden, organisierten faschistischen Kräften eine möglichst breite linke Bewegung entgegenzusetzen, auch wenn sie selbst den Aufbau einer solchen an einer Stelle in ihrem Text propagiert. An anderer Stelle heißt es wiederum:

„In der Einheitsfront dagegen sind die unterschiedlichen Ziele schon mittelfristig eine potentielle, gegenseitige Bedrohung. So müssen prokapitalistische (bspw. sozialdemokratische) Bündnispartner_innen eine Popularisierung der revolutionären Programme von Anarchist_innen und Kommunist_innen fürchten. Anarchist_innen wiederum müssen fürchten, dass die Gläubigkeit an Parteien, Zentralismus, Linkspopulismus und Befehlshierarchien mit der Normalisierung von orthodox kommunistischen Parteien in der linksradikalen Bewegung wieder salonfähig werden und damit Erfahrungsprozesse der Bewegung zunichte gemacht werden. Ebenso müssen die Beteiligten fürchten, dass das Paktieren mit eigentlich politischen Gegner_innen die eigenen Sympathisant_innen verschreckt, weil eine Totalopposition so nicht mehr glaubhaft ist. […] Durch eine Einheitsfront kann mensch daher auch Kräfte verlieren, gerade wenn bereits ein tiefes Misstrauen gegen „die Linke“ in der Bevölkerung vorherrscht und ihre verschiedenen Strömungen nicht mehr als Vertreter_innen grundverschiedener Konzepte wahrgenommen werden, sondern nur noch als unterschiedliche Gesichter des immer gleichen Prinzips korrupter, auf das eigene Privileg bedachter Funktionär_innenbürokratie. Die Einheitsfront kann maximal eine temporäre Bündelung der Kräfte und gegebenenfalls noch eine Umverteilung innerhalb der Einzelkräfte bewirken. Über die schon in der Einheitsfront Organisierten hinaus zu wirken ist dagegen schwierig, da die Einheitsfront in ihrer Widersprüchlichkeit für kein wirkliches Konzept stehen kann.“ Hier wird die vorherige Propagierung einer breiten linken Bewegung zur Farce und es wird sowohl deutlich, wie wenig Interesse die Anarchosyndikalist_Innen tatsächlich am Aufbau einer solchen Bewegung haben, als auch, dass die FAU Dresden keine Vorstellung davon hat, wie eine Aktionseinheit auf der Grundlage demokratischer Entscheidungen aller Beteiligten aussehen kann. Wenn es tatsächlich die Auffassung der Mehrheit der Mitglieder der FAU ist, dass es in Dresden keine Einheitsfront gegen den Rechtsruck und keine Zusammenarbeit von linken Organisationen und allen Kräften der Arbeiter_Innenbewegung braucht, dann fragen wir uns, weshalb sie trotzdem ein offenes (!) Bündnis zur Vorbereitung eines Bildungsstreiks initiierten. Unserer Auffassung nach ist ein Bündnis auch immer eine Form linker Einheit, in dem demokratisch für Mehrheiten um die Ausrichtung und Inhalte dieses Bündnisses gestritten wird. Ein solches Bündnis bzw. eine solche Aktionseinheit sollte in der Aktion geschlossen und gemeinsam, also als Einheit, auftreten. Über die richtigen Inhalte, Taktiken, Aktionen, aber auch über Differenzen muss offen diskutiert werden. Alle beteiligten Gruppen sollten das Recht haben, Anträge zu stellen, Kritik offen zu äußern und auch eigene Materialien, Veranstaltungen und Inhalte zu verbreiten. Selbstverständlich kritisieren wir in der Aktionseinheit mit reformistischen Parteien, wie der SPD und der Partei DIE LINKE, diese auch bspw. für ihre Mitverantwortung für die Verschärfung der Asylgesetze und die rassistischen Abschiebungen, wie zuletzt am 1. September in Chemnitz geschehen. Wir sind davon überzeugt, dass es falsch wäre, unsere Kritik zugunsten einer harmonischen Zusammenarbeit zu verheimlichen. Und natürlich freuen wir uns über jede_n Sozialdemokrat_In, die/der aufgrund unserer Kritik der eigenen Partei den Rücken zukehrt und sich fortan revolutionär organisiert.

Andersherum würden wir es für einen politischen Fehler halten, nur aufgrund unserer Kritik und bestehender Differenzen nicht mit anderen Arbeiter_Innenparteien und linken Gruppen zusammenzuarbeiten.

In Aktionseinheiten/Bündnissen besteht die Möglichkeit, das eigene Programm und die eigenen Inhalte in der Praxis anzuwenden und zu überprüfen. Im besten Fall setzen sich auf Grundlage demokratischer Abstimmungen die besseren Argumente und Inhalte durch und aufgrund eines gemeinsam beschlossenen Konsenses lassen sich gemeinsame Ziele erreichen. Gäbe es keine Gemeinsamkeiten, keinen gemeinsamen Gegner, kein gemeinsames Ziel – dann käme auch kein Minimalkonsens zustande.

Uns wird vorgeworfen, wir würden uns einen Platz in Bündnissen „erpressen“, diese kapern und gleichzeitig diffamieren. Außerdem würden wir bestehende Bündnisse, in denen wir mitarbeiten, als Tarn- oder Vorfeldstrukturen, als „Schutzschilde“ missbrauchen. Diese Behauptungen weisen wir entschieden zurück. Seitdem wir in Dresden aktiv sind haben wir kein einziges Bündnis gekapert und wir haben auch nie versucht, uns einen Platz in irgendeinem Bündnis „mal zu erschleichen, mal zu erbetteln, mal zu erpressen“, wie es die FAU behauptet. Was wir tatsächlich getan haben und auch weiterhin tun werden, ist uns in linken, offenen Bündnissen mit einzubringen, unsere Inhalte und Ideen dort zu verbreiten und am Aufbau einer linken Bewegung zu beteiligen, und dies lassen wir uns auch nicht von irgendwelchen Führungskadern selbsternannter antiautoritärer Gruppen verbieten. Wir haben seit jeher demokratische Entscheidungen akzeptiert und respektiert. Wir haben den Rauswurf aus dem Bündnis „Solidarity without Limits“ zur Vorbereitung der Proteste gegen den europaweiten „Festung Europa“-Aktionstag von PEGIDA zwar kritisiert, aber niemanden erpresst oder gezwungen, weiterhin mit uns zusammenzuarbeiten. Nachdem die FAU Dresden deutlich machte, dass Sie mit uns unter keinen Umständen zusammenarbeiten möchte, haben wir im „kritischen Bildungsbündnis Dresden“ auf eine Entscheidung des gesamten Bündnisses über unseren Verbleib bestanden. Wir haben den Ausschluss aus diesem Bündnis zwar ebenfalls kritisiert, aber den demokratischen Beschluss hierüber akzeptiert. Wenn Kritik unsererseits an einer mangelnden Bereitschaft der im Bildungsbündnis aktiven Anarchosyndikalist_Innen zur Mobilisierung vor den Schulen als Diffamierung des Bündnisses aufgefasst wird, zeugt dies nur von der fehlenden Fähigkeit zur Selbstkritik bei diesen Aktivist_Innen und spricht Bände über deren Verständnis von Bündnisarbeit (FAU = kritisches Bildungsbündnis, oder wie?). Wir haben selbst in der Anfangszeit der Entstehung unserer Ortsgruppe ein antirassistisches Jugendbündnis initiiert, in welchem wir, wie in allen anderen Bündnissen auch, offen als REVOLUTION auftraten und uns gleichberechtigt neben anderen Gruppen und Einzelpersonen mit einbrachten. Wir haben in diesem Jugendbündnis, nachdem dieses von anderen sogenannten Linken immer wieder für die Zusammenarbeit mit uns kritisiert und diffamiert wurde, mehrmals unsere Mitarbeit darin zur Abstimmung gestellt. Jede_r ehrliche Mitstreiter_In in diesem Bündnis wird dies bestätigen können. Vielleicht sollten die für das Schreiben der Stellungnahme Verantwortlichen, vorlauten Führungskader der FAU Dresden einfach mal das Gespräch mit anderen Beteiligten des damaligen Jugendbündnisses suchen. In der Stellungnahme selbst wird deren Versäumnis, nie das Gespräch mit anderen Beteiligten gesucht zu haben, durchaus eingeräumt. Hätten die Autor_Innen des FAU-Textes versucht dies vor ihrer Schreibwut nachzuholen, dann wäre ihnen diese Peinlichkeit, haarsträubende Gerüchte und haltlose Diffamierungen über uns zu verbreiten, erspart geblieben. Im Gegensatz zur FAU haben wir auch nie versucht, irgendwelche Verbote oder Positionen ganzen Bündnissen undemokratisch, also ohne Abstimmung, überzustülpen. Doch die Vehemenz, mit der die anarchosyndikalistischen Aktivist_Innen in Bündnissen gegen unsere Beteiligung vorgehen, die Diffamierungen, Verbote und Übergriffe (Versuch eines FAU-Mitglieds, eine unserer Fahnen zu entwenden), machen deutlich, was diese mit ihrer Bündnisarbeit beabsichtigen: ihnen geht es nicht um den Aufbau einer möglichst breiten, linken Bewegung, sondern einzig um den Aufbau der eigenen Organisation. Zu diesem Zweck werden Andersdenkende hinausgedrängt, um sich selbst möglichst großen Einfluss auf unorganisierte Einzelpersonen oder schwankende Gruppen zu verschaffen. Wir würden niemals auf die Idee kommen, trotz aller durchaus bestehenden Differenzen, andere anarchistische Organisationen aus Bündnissen auszuschließen. Es drängt sich also die Frage auf, wer hier tatsächlich Vorfeldstrukturen aufbaut. Wir sind es jedenfalls nicht. Im Gegenteil, unser Eintreten für Aktionsbündnisse aller linken und Arbeiter_Innenorganisationen ist, wie auch die FAU weiß, ernst gemeint. Der Grund dafür ist einfach. Um bestimmte Ziele überhaupt erreichen zu können (z.B. eine Lohnerhöhung bei einem Streik, eine antifaschistische Bewegung, die die Rechten wirklich schlagen kann, …) müssen wir versuchen, alle Kräfte einzubinden, die unter den gegebenen Verhältnissen auch wirklich diese Ziele erreichen können.

So brauchen wir bei einem Schulstreik klare Forderungen, die den Schüler_Innen deutlich machen, wofür sie überhaupt auf die Straße gehen sollen und eine Konfrontation mit Schulleitungen oder Behörden eingehen. Eine solche Aktion kann also nur erfolgreich sein, wenn wir dazu auch aktive Schüler_Innen und Schüler_Innenvertretungen und linke Jugendorganisationen (also z.B. auch SDAJ, Gewerkschaftsjugenden, Solid, Jusos) zur Aktivität auffordern, an und vor den Schulen mobilisieren, uns um die Unterstützung und Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Lehrer_Innen und der GEW bemühen. Ansonsten ist der Schulstreik kein Schulstreik, sondern eine rein symbolische Aktion, eine Propagandaveranstaltung einer Möchtegern-Gewerkschaft wie der FAU, die in Wirklichkeit nur eine linke Gruppe unter anderen ist.

Noch deutlicher wird das, wenn wir den Rechtsruck in Sachsen und PEGIDA, faschistische Organisationen, ihre Verbündeten in der AfD usw. bekämpfen wollen. Dazu brauchen wir Masse, Militanz und Organisiertheit. Die Rechten können Tausende oder gar Zehntausende mobilisieren, verfügen über landesweite Strukturen und beherrschen ganze Regionen. Sie sind mittlerweile (nicht nur) in Sachsen so stark, dass wir sie nur erfolgreich bekämpfen können, wenn wir die Mitglieder und Anhänger_Innen der Gewerkschaften, der Linkspartei, ja auch der SPD für den Kampf gewinnen. Wenn „wir“ – also die heterogene „radikale“ Linke – das nicht schaffen, dann werden wir verlieren.

Zweifellos ziehen es die Führungen der Gewerkschaften, der SPD und der Linkspartei vor, keine Aktionseinheit mit der radikalen Linke zu bilden. Sie wollen nicht kämpfen, sondern ziehen Appelle an den Staat und rein pazifistische Versammlungen abseits von rechten Aufzügen in der Regel vor. Sie arbeiten an der eigenen Niederlage. Dummerweise wäre diese Niederlage aber auch eine der gesamten Arbeiter_Innenklasse, der Migrant_Innen, Geflüchteten, der Linken. Daher müssen wir Forderungen an diese Massenorganisationen richten – ihre Mitglieder wie ihre Basis. Wenn also der DGB und damit die SPD und die Linkspartei einen Großteil der bewusstesten Teile der Arbeiter_Innenklasse in der BRD organisieren, kommen wir nicht an diesen Organisationen vorbei, wenn wir sie für eine linke Bewegung gewinnen wollen. Und das funktioniert dann am besten, wenn man nicht mit dem Zeigefinger wackelnd danebensteht, sondern innerhalb der gemeinsamen Aktion für konkrete Forderungen wirbt. Die „radikale Linke“ in Sachsen könnte hierbei ein Faktor sein, wenn sie gemeinsam Druck in diese Richtung aufbaut und vor Ort solche Bündnisse und Aktionen initiiert.

Die FAU lehnt dies offenbar kategorisch ab. Sie fürchtet, sie könnte dabei Mitglieder verlieren usw. Diese sektiererische Haltung offenbart nicht nur geringes Vertrauen in die eigene Politik, sie spielt in Wirklichkeit auch den reformistischen Führungen in die Hände, die ihren Mitgliedern erst gar nicht erklären müssen, warum diese Organisationen nicht gemeinsam mit Kommunist_Innen, Anarchist_Innen und Autonomen gegen die Nazis kämpfen sollen. Sie können hier vielmehr darauf verweisen, dass Leute vom Schlage der FAU-Theoretiker_Innen ohnedies jede Einheitsfront ablehnen. Damit werden die ungünstigen Kräfteverhältnisse in der Arbeiter_Innenbewegung leider nicht in Frage gestellt, können Linke in der Aktion nicht in Kontakt zu linken Arbeiter_Innen und Gewerkschafter_Innen treten – und sie werden auch sehr viel schwerer Gehör für ihre Kritik am Reformismus und der bürgerlichen Politik von SPD und Linkspartei finden.

Vor allem aber werden die faschistischen Kräfte und die AfD davon profitieren. Wer nicht dafür kämpft, die notwendigen Aktionsbündnisse aufzubauen, um die Rechten zu schlagen, bereitet allenfalls die kommende Niederlage vor.

Kein argumentativer Austausch?

Die FAU behauptet, Möglichkeiten zum argumentativen Austausch seien von uns nicht wahrgenommen worden, während sie an anderer Stelle das genaue Gegenteil schreibt:

„Faktisch gab es aber mehrere Möglichkeiten zum argumentativen Austausch. So fand nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Aktivist_innen ein mehrstündiges Gespräch mit Revo statt, als es um die Versagung von Räumlichkeiten für die Gruppe in der Dresdner Neustadt ging. Auch die„…ums Ganze!“-Föderation critique’n’act aus Dresden hatte sich mit einem umfassenden, gemeinsamen Treffen mit Revo auseinandergesetzt.“ Was denn nun? Wurden Möglichkeiten, über inhaltliche Differenzen zu diskutieren nun wahrgenommen, oder nicht? Unserer Auffassung nach gab es tatsächlich einige Diskussionen zwischen uns und anderen linken Gruppen – jedoch in den allermeisten Fällen ausschließlich im Zusammenhang mit erfolgten Ausschlüssen und anderen technischen Angriffen uns gegenüber (u.a. Verbote für uns, offen aufzutreten; verteilen von diffamierenden Flyern auf unseren Aktionen). Wir haben uns das Recht herausgenommen, diese öffentlich zu kritisieren und werden dies gerade aufgrund der Notwendigkeit des Aufbaus einer linken Aktionseinheit hier in Sachsen auch zukünftig immer wieder tun. Wir hätten uns im Vorhinein, bevor wir mit dem an den Haaren herbeigezogenen Vorwurf des Antisemitismus und anderen Diffamierungen zur Isolation unserer Gruppe konfrontiert wurden, den argumentativen Austausch und die Möglichkeit, unsere tatsächlichen Positionen unverfälscht darzustellen, gewünscht. Wir halten es für wichtig zu erwähnen, dass bis heute viele Gespräche zwischen einzelnen Mitgliedern der FAU und unserer Organisation zur Klärung der Differenzen stattgefunden haben. Bei all diesen Diskussionen hatten wir stets das Gefühl, bestehende Vorurteile abbauen zu können und unsere Positionen verständlich erklärt zu haben. Wir bekamen oft das Feedback, dass unsere Positionen ja doch gar nicht so schlimm und nachvollziehbar seien, nachdem wir diese erklärt hatten. Dass immer noch ständig die gleichen Vorwürfe wiederholt werden – trotz der stattgefundenen Diskussionen – hinterlässt bei uns den Eindruck, dass es gar nicht so sehr um unsere politischen Inhalte geht, sondern darum, dass wir als unabhängige, revolutionäre Jugendorganisation als Konkurrenz zur FAU wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass sich die Genoss_Innen der FAU die Zeit nehmen, 35 Seiten über uns zu schreiben, bestätigt diesen Verdacht. Wir haben mit unserer Politik in den letzten drei Jahren also scheinbar alles richtig gemacht, wenn unser konsequentes Arbeiten gegen den Rechtsruck und für eine kommunistische und internationalistische Perspektive als politische Konkurrenz wahrgenommen wird.

Marxismus vs. Anarchismus

Die FAU Dresden hat sich die Mühe gemacht, unser (altes) Programm zu lesen und die Differenzen zwischen ihrer anarchosyndikalistischen Konzeption und unserem marxistischen Programm als so weitreichend empfunden, dass sie diese als weiteren Grund für ihr Spaltungsbedürfnis nennt. Die Kritik bezieht sich im Kern darauf, dass wir für den Aufbau einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei eintreten, die nach dem Konzept des demokratischen Zentralismus strukturiert ist sowie auf unsere Position, dass es nach einer erfolgreichen Revolution gegen den Kapitalismus einen proletarischen Halbstaat braucht. Diesen braucht es deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass die Herrschenden nicht einfach aufgeben werden, sondern danach streben werden die Revolution rückgängig zu machen. Ein solcher Halbstaat verteidigt die Klassenherrschaft der ehemals unterdrückten Arbeiter_Innen gegen reaktionäre Kräfte, die soziale Fortschritte wieder rückgängig machen wollen, und repräsentiert die Interessen der Mehrheit der Menschen. Da er als einziger Staat die Möglichkeit zum Absterben in sich trägt, bezeichnen wir ihn als Halbstaat. Obwohl die FAU Dresden unser Programm gelesen hat, behauptet sie, wir würden die Notwendigkeit einer revolutionären Partei und des proletarischen Halbstaates nicht begründen. Außerdem kritisiert sie uns dafür, dass wir die komplette Wirtschaft zur Zerschlagung des kapitalistischen Systems und zur Überführung der Produktionsmittel unter der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiter_Innen verstaatlichen wollen. Erwischt: wir wollen in der Tat das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufheben und anstelle der kapitalistischen, nur auf den Profit ausgerichteten Privatökonomie eine bedürfnisorientierte, durch die Arbeiter_Innenräte kontrollierte Planwirtschaft einführen. Diese Kritik vonseiten der FAU nehmen wir als ein Geständnis wahr, dass sie keinerlei Vorstellung davon hat, wie der Kapitalismus durch die Arbeiter_Innenklasse selbst überwunden werden kann.

Doch wirklich abstrus wird es, wenn uns von Anarchist_Innen vorgeworfen wird, WIR seien in Wahrheit Idealist_Innen. So schreibt die FAU in ihrer Stellungnahme:

„Das Problem, das hier und an anderen Stellen durchscheint, ist Revos idealistische Argumentationsweise. Es wird angenommen, dass die Macht eines Staates nicht ausgeweitet und missbraucht wird, weil sie als revolutionäre Bewegung das von Anfang an so postuliert hätten.“ Wirklich traurig macht uns in dieser Aussage vor allem die Tatsache, dass hier soziale Eigenschaften von Menschen, die in kapitalistischen Gesellschaften sozialisiert wurden und deren Machtstrukturen tagtäglich erfahren müssen, naturalisiert werden. Dass Menschen in kapitalistischen Staaten oft egoistisch handeln, gewählte Mandate missbrauchen und nach Macht eifern liegt nämlich nicht an ihrer bösen Natur, liebe FAU-Kader, und kann deshalb nicht als human-biologisches Dogma auf einen sozialistischen Staat übertragen werden. Vielmehr schafft die Erfahrung des emanzipatorischen Kampfes, der kollektiven Aktion, der Selbstorganisation und der sozialistischen Demokratie ein neues Bewusstsein, welches dem Bewusstsein im Kapitalismus keineswegs gleichgestellt werden kann. Diese Annahme ist dabei nicht idealistisch, denn – kurze Marx-Nachhilfestunde – das gesellschaftliche Sein der Menschen bestimmt vielmehr ihr Bewusstsein! Darüber hinaus scheinen die Personen, die unser Programm gelesen haben, die Sache mit den Räten und der Verteidigung des proletarischen Halbstaates gegen die Bürokratisierung, leider nicht ganz verstanden zu haben. Deshalb hier nochmal die betreffende Stelle: „Die Räte sollen Orte der offensten Arbeiter_Innendemokratie sein, hier soll die freiste Diskussion bei kollektiver Aktion gelten. Hier muss der Kampf um ein revolutionäres Programm Gradmesser der Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse sein. Für uns stellt dieses Rätesystem die Keimform des Arbeiter_Innenstaates dar, die Herrschaft der absoluten Mehrheit der Weltgesellschaft über die Minderheit jener die aktuell an der Spitze dieses Systems stehen. Ihnen haben wir keine neuen Verbesserungen zu bieten, dem absoluten Großteil der Welt schon. Der rätedemokratische Halbstaat muss also die Herrschaft der Mehrheit gegen die Interessen der bürgerlichen Minderheit sein, auch Diktatur des Proletariats genannt. Er muss die konterrevolutionären Kräfte, wenn notwendig auch mit Gewalt, nieder halten. Ziel dieses Staates muss aber auch immer das Absterben seiner selbst sein, im Übergang zu einer befreiten Gesellschaft von Gleichen, in der jeder Mensch nach den jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann. Dafür müssen wir aufs schärfste die Entstehung einer neuen privilegierten Kaste, einer Bürokratie, bekämpfen. Deshalb setzen wir uns bereits im Hier und Jetzt für die Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten, den Arbeiter_innendurchschnittslohn für sie, volle Rechenschaftspflicht und ein verpflichtendes Rotationsprinzip ein. Die momentane Revolutionierung der Medientechnik, wie durch das Internet, ist für eine solche Arbeiter_innendemokratie ein riesiges Hilfsmittel, kann aber demokratische Diskussionen und Massenversammlungen nie vollständig ersetzen. Solange nicht global das kapitalistische System gestürzt ist, können die materiellen Voraussetzungen für das Absterben des Staates nicht vollkommen vollzogen werden. Die Ablösung des proletarischen Halbstaates durch den Sozialismus (die Übergangsgesellschaft zum Kommunismus) kann deshalb nur im internationalen Rahmen vollzogen werden.“

Anarchist_Innen sind der Meinung, dass Parteien an sich bereits autoritär seien und ein Instrument wären, um die Herrschaft einer kleinen Minderheit über die gesamte Klasse zu manifestieren. Einmal abgesehen davon, dass es auch in der Vergangenheit anarchistische Organisationen gab, die sich nur dem Namen nach von Parteien unterschieden (wie die FAI in Spanien), gehen wir davon aus, dass zur Eroberung der Macht die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter_Innenklasse in einer Partei organisiert sein müssen, um das gesamte Proletariat für den Kommunismus zu gewinnen. Ein spontanes, massenhaftes Entstehen von kommunistischem Bewusstsein ist in einer Gesellschaft, die ideologisch von der Bourgeoisie beherrscht wird, nicht möglich.

Dass sich in der Geschichte der „realsozialistischen Staaten“ das stalinistische Modell der Herrschaft einer elitären, bürokratischen Parteikaste über das Proletariat durchsetzen konnte, liegt nicht an der Existenz revolutionärer Arbeiter_Innenparteien selbst. Die Gründe dafür, dass sich Jahre nach der sozialistischen Oktoberrevolution 1917 in Russland erstmals eine solche bürokratische Parteienclique anstelle einer Arbeiter_Innendemokratie durchsetzen konnte, sind vor allem:

Die Isolation des ersten Arbeiter_Innenstaates infolge der durch den Verrat der Sozialdemokratie gescheiterten Revolutionsversuche in Europa (Deutschland, Österreich, Ungarn, Finnland, Italien…)

Der bis 1922 andauernde Bürger_Innenkrieg in Russland, in dem gut ein Dutzend anderer Staaten militärisch zusammen mit anderen konterrevolutionären Kräften gegen die revolutionäre Rätemacht vorgingen. Durch die infolge des Welt- und Bürger_Innenkrieges wirtschaftlich miserable Lage und dem damit einhergehenden Bruch des Bündnisses zwischen Bäuer_Innen- und Arbeiter_Innenklasse war letztere derartig geschwächt, dass sie den Aufstieg einer bürokratischen Schicht nicht verhindern konnte.

Dadurch, dass infolge der Niederlage der sozialistischen Revolutionen in den entwickelten, kapitalistischen Ländern Russland isoliert blieb und die Arbeiter_Innen in dem damals noch halbfeudalen Land gerade mal 10% der Bevölkerung ausmachten, waren die materiellen Bedingungen für die Entwicklung einer sozialistischen Arbeiter_Innendemokratie nicht gegeben. Letztlich setzten sich auch in anderen Ländern (China, Vietnam, Osteuropa, Kuba, Nordkorea) Regime durch, die nach dem Vorbild der stalinistischen Sowjetunion aufgebaut waren. Statt einer notwendigen politischen Revolution gegen die herrschende Kaste zur tatsächlichen Überführung des gesamten Staates mitsamt seiner Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter_Innen selbst, kam es in den meisten degenerierten Arbeiter_Innenstaaten zur Restaurierung des Kapitalismus. In unserem aktuellen Programm ziehen wir deshalb folgende Lehren, um zukünftig zu verhindern, dass „sich Geschichte wiederholt“. Diese sind, „dass wir gegen jegliche Privilegien für Partei- und Staatsbedienstete eintreten müssen. Alle Funktionär_Innen dürfen nicht mehr als das Durchschnittsgehalt von Facharbeiter_Innen bekommen. Die Beamt_Innenschaft darf nicht institutionalisiert werden, sondern muss stetigen personellen Wechsel unterworfen sein. Alle Funktionär_Innen müssen der Transparenz verpflichtet und jederzeit wähl- und abwählbar sein. Die Struktur der Rätedemokratie hätte im Kampf mit der alten Bürokratie neu aufgebaut werden müssen. Auch die Wirtschaftsplanung, im Stalinismus von einer abgehobenen Technokrat_Innenschicht übernommen, hätte unter die demokratische Kontrolle durch Produzent_Innen und Konsument_Innen gestellt werden müssen.“

Oft gibt es bei Anarchist_Innen eine absolute Ablehnung jeglicher Form von Autorität und Führung. Dabei werden anstelle von demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtigen Leitungen lieber undemokratische und intransparente Cliquen, die die Politik anleiten, zugelassen. Diese Ablehnung von Demokratie führt auch dazu, dass die lautesten, selbstbewusstesten, meistens männlich-sozialisierten, sowie die Aktivist_Innen mit der meisten Zeit am meisten Kontrolle über die Bewegung oder Organisation haben und somit zur informellen Führung werden. Fragt sich, welches Modell hier wohl insgeheim das eigentlich autoritärere ist…

Israel, BDS und Hamas

Wie weiter oben schon erwähnt konnte die FAU Dresden es nicht lassen, in den verleumderischen Chor der prozionistischen Kräfte mit einzustimmen und unterstellt uns wegen unserer sozialistischen und propalästinensischen Position in Bezug auf den Nahostkonflikt einen „latenten Antisemitismus“. Dieser Vorwurf wird damit begründet, wir würden die BDS-Bewegung unterstützen, welcher wiederum unterstellt wird, sie würde mit der Hamas kooperieren. Wörtlich behauptet die anarchosyndikalistische Gewerkschaft:

„Da Revo bekennt, die antisemitische, ultra-sexistische und islamfaschistische Hamas dabei als Bündnispartner zu tolerieren, muss sie sich gefallen lassen, dass wir der Organisation selbst einen latenten Antisemitismus unterstellen.“ Diesen „latenten Antisemitismus“ kann die FAU dann doch bitte auch gleich vielen ihrer internationalen anarchosyndikalistischen Schwesterorganisationen vorwerfen, die BDS offen unterstützen.

Es ist überhaupt erstaunlich, was sich die Autor_Innen der Stellungnahme alles zusammendichten. Weil unsere Genoss_Innen in Berlin kritisch-solidarisch mit BDS-Aktivist_Innen zusammenarbeiten, gemeinsame Veranstaltungen durchführen und diese gegen unwissenschaftliche Antisemitismusvorwürfe verteidigen, wird unterstellt, wir würden die Hamas als Bündnispartner tolerieren, und das obwohl die Autor_Innen ein paar Sätze weiter selbst zugeben, dass die Zusammenarbeit zwischen BDS und Hamas nicht belegbar ist: „Einer der offensichtlichsten Gründe, eine Zusammenarbeit mit BDS abzulehnen, ist unserer Meinung nach die tragende Mitgliedschaft des „Council of National and Islamic Forces in Palestine“ im palästinensischen Koordinierungskomitee „Palestinian BDS National Committee“ (BNC). Die naheliegende (wenn auch mit öffentlich verfügbaren Quellen nicht beweisbare) Vermutung, dass das Council identisch ist mit den fast namensidentischen „Palestinian National and Islamic Forces“, impliziert eine Verbindung mit u. a. Hamas, Fatah und PFLP. Auch wenn die Hamas im BDS somit nicht offensichtlich als Akteur auftritt, ist ihre offene Befürwortung des BDS für uns Grund genug, mehr als skeptisch zu werden.“ Fassen wir also nochmal zusammen: Eine Verbindung zwischen Hamas und BDS ist nicht nachweisbar, die Befürwortung der Boykottbewegung durch die Hamas sei aber Grund genug, BDS eine Verbindung zu ebendieser zu unterstellen und weil wir als Jugendorganisation mit deren Aktivist_Innen auch schonmal zusammengearbeitet haben, würden wir insgeheim die Hamas als Bündnispartner tolerieren. Eine so krude Logik allein zum Zweck der Diffamierung unserer Gruppe zu konstruieren, ist schon ein ziemliches Armutszeugnis. Der Grund warum wir partiell und auf kritisch-solidarische Weise mit BDS-Aktivist_Innen in Berlin zusammengearbeitet haben ist übrigens derselbe, warum wir auch in Dresden mit der FAU zusammenarbeiten würden. Weiterhin wird die BDS-Bewegung selbst dafür kritisiert, der israelischen Wirtschaft zu schaden. Und das, obwohl die FAU Dresden selbst folgendes in der Stellungnahme betont:

„Wir stellen außerdem voran, dass wir Israel natürlich als einen kapitalistischen, rassistischen und patriarchal geprägten Staat begreifen, zumal dieser seit 2009 auch noch rechtskonservativ regiert wird.“ Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft bezieht sich immer wieder, auch in dem Text zu uns, positiv auf Streiks, Besetzungen und sogar Sabotage in Betrieben. Inwiefern diese Mittel, wenn sie denn in Israel genauso angewandt werden sollen wie in anderen kapitalistischen Staaten auch, der Wirtschaft keinen Schaden zufügen sollen, ist uns ein Rätsel. Überhaupt dürfte die FAU nach dieser Logik niemals zu Streiks aufrufen, weil solche ja schädlich für die Wirtschaft sind, dies ist ihr ganzer Zweck: den Kapitalist_Innen dadurch Zugeständnisse und Verbesserungen abzuzwingen, dass sie dort getroffen werden, wo es Ihnen wehtut, nämlich bei ihren Profiten, die ausbleiben, wenn gestreikt wird. Weshalb wir in der kapitalistischen Ökonomie Rücksicht auf die Verluste der Unternehmer_Innen nehmen sollten, und inwieweit sich dies mit dem Anspruch, eine kämpferische Gewerkschaft sein zu wollen, verträgt, können wir uns selbst nicht erklären. Scheinbar wird beim „kapitalistischen, rassistischen und patriarchal geprägten Staat“ Israel dann doch mal eine Ausnahme gemacht. Dass die kapitalistische Wirtschaft und der bürgerliche Nationalstaat nichts mit den Interessen der Lohnabhängigen gemeinsam haben, sollte auch den Autor_Innen der Schmähschrift über uns klar sein. Warum dann aber ausgerechnet Israel einer Sonderbehandlung bedarf, ja sogar als Garant des Schutzes des gesamten Volkes dargestellt wird – trotz seines Wesens als kapitalistischer Staat im Interesse der herrschenden Klasse – ist wohl wieder eines dieser unzähligen politischen Kunststücke.

Unserer Auffassung nach ist Israel, wie jeder andere bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat auch, eine Klassengesellschaft, in der die Mehrheit die Lohnabhängigen selbst darstellen, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft und deren Interessen denen der herrschenden Besitzenden diametral entgegenstehen. Weiterhin ist die Existenz des israelischen Staates nur gesichert, solange imperialistische Schutzmächte wie die USA oder Deutschland einen ökonomischen Nutzen daraus ziehen. Das „brüderliche Band der westlichen Werte“ kann schnell reißen, wenn ein profitablerer Partner in der Region gefunden ist. Das Versprechen des Zionismus, die Jüdinnen und Juden wieder zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu machen, ist also eine Farce. Der israelische Staat ist somit kein Schutzraum, sondern ein Käfig. Er kämpft gegen andere regionale Mächte, wie Iran, Türkei und Saudi-Arabien um die regionale Vormachtstellung. Durch die Milliardensubventionen für das israelische Militär von imperialistischen Großmächten wie den USA und der BRD wird klar, dass es auch in Israel selbst nicht nur um die Interessen der herrschenden Kapitalist_Innen geht, sondern auch um die Interessen des Imperialismus in der ganzen Region – die unmittelbar an die Unterdrückung der Palästinenser_Innen gebunden sind.

In unserem Programm heißt es wortwörtlich weiterhin dazu: ,,Daher ist der Kampf der Palästinenser*innen und aller anderen Unterdrückten legitim und muss von jeder fortschrittlichen Bewegung unterstützt werden. Gleichzeitig lehnen wir jedoch die Politik der existierenden Führungen des palästinensischen Kampfes ab. Kräfte wie die Hamas begründen sich auf reaktionäre Konzepte islamistischer Theokratie und treten für repressive Gesetze ein. Mehr als das, sie blockieren eine fortschrittliche und radikale Lösung, da ihre reaktionären Ideen, von Antisemitismus bis Sexismus, nicht zeigen, wie die palästinensische und israelische Arbeiter*innenklasse einen gemeinsamen Kampf für ihre Befreiung führen können. […] Gerade deshalb muss gesagt werden: permanente Unabhängigkeit von imperialistischer Ausbeutung und nationaler Unterdrückung kann es nur innerhalb einer internationalen Widerstandsbewegung, sozialen Revolutionen und einer globalen, sozialistischen Föderation, auf Grundlage freier multiethnischer, säkularer Regierungen mit Arbeiter*innendemokratie geben.“

Fazit

Zum Ende sei noch darauf hingewiesen, dass wir als Jugendorganisation keine Kaderpartei sind (andere sozialistische Gruppen, mit denen die FAU auch gerne mal gemeinsame Veranstaltungen organisiert, hingegen schon), bei uns unterdrückte Gruppen wie POC’s und Frauen eigene Strukturen bilden können, um ihre Anliegen unabhängig zu formulieren und demokratisch abstimmen zu lassen, es bei uns das Recht zur Fraktions- und Tendenzbildung gibt und nicht zuletzt unser Programm gemeinsam von allen Mitgliedern demokratisch ausgearbeitet und abgestimmt wurde und öffentlich sowie allen, die unserer Organisation angehören, bekannt ist, im Gegensatz zu den meisten anarchistischen Organisationen, die – wenn sie denn überhaupt sowas wie ein Programm vorzuweisen haben – dieses wie ein geheimes Papier behandeln, welches nur die aktivsten Führungsmitglieder kennen.

Wir sind auch weiterhin dazu bereit, über die bestehenden Differenzen, Vorurteile und Gerüchte offen in Diskussion zu treten – nicht nur mit der FAU selbst, sondern mit allen Linken. Gleichzeitig lehnen wir sämtliche Ultimaten, sektiererische Ausschlüsse missliebiger und andersdenkender Organisationen und Diffamierungen ab. Dieser „Stil“ nützt letztlich nur dem Klassenfeind. Wir fordern die FAU auf, ihr Ultimatum zurückzuziehen und sich am Aufbau einer gemeinsamen linken Bewegung gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und gegen die Herrschenden zu beteiligen! Wir haben überhaupt kein Problem damit, dass die FAU andere offen und öffentlich kritisiert. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass es für Kritik kein sektiererisches Verhalten und keiner Ausschlüsse bedarf, sondern dass diese trotz einer Zusammenarbeit in Bündnissen und gemeinsamer Aktionen geäußert werden sollte. Denn den Kampf um die Emanzipation der Arbeiter_Innen kann auch eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft nicht alleine gewinnen, sondern muss beim Aufbau einer revolutionären Arbeiter_Innenbewegung zwangsweise mit anderen Organisationen der Arbeiter_Innenklasse zusammenarbeiten. Das bisherige Verhalten der FAU Dresden lässt sich in unseren Augen nicht mit deren Selbstanspruch, eine basisdemokratische und antiautoritäre Gewerkschaft sein zu wollen, vereinbaren. Wir denken, dass die Mitglieder der FAU ihr sektiererisches Vorgehen überdenken sollten und statt, wie es in ihrer Stellungnahme heißt, sich genötigt zu fühlen uns mit schlechten Pamphleten zu diffamieren und uns zu bekämpfen, was laut eigener Aussage „wohl schon hunderte Stunden politische Arbeit gekostet hat, die für andere Aufgaben besser hätten genutzt werden können“, sich auf den gemeinsamen Feind zu konzentrieren und statt zu spalten mit uns darüber zu reden, wie wir trotz unserer Differenzen gegen Faschos, Staat und Kapital kämpfen können. Sie könnten beispielsweise damit anfangen, sich an Bündnistreffen gegen PEGIDA oder das neue Polizeigesetz zu beteiligen, müssten hierzu aber dazu bereit sein, über den eigenen Schatten zu springen und linke Organisationen und Gruppen, die andere Positionen als sie haben, als Bündnispartner akzeptieren. Im Rahmen solcher Bündnisse und gemeinsamen Aktionen sollte die FAU dann auch ihre Kritik an anderen linken Gruppierungen offen äußern können, diese sollte aber kein Grund sein, von Vornherein die Zusammenarbeit auszuschließen. Dann könnte auch die FAU, statt ihre Zeit in den Kampf gegen sozialistische Jugendorganisationen wie der unseren zu investieren, ihren Teil dazu beitragen, auf der Grundlage demokratischer Diskussionen und Entscheidungen eine breite linke Bewegung aufzubauen.

 




Nach der Bayern-Wahl: Organisierung und Widerstand auf die Straße bringen!

Rede der Gruppe ArbeiterInnenmacht/München auf der „Demo zur Landtagswahl – den Rechtsruck zurückschlagen!“ am 14. Oktober in München, Infomail 1024, 15. Oktober 2018

Die Wahl ist gelaufen. Ihr Ergebnis ist keine Überraschung. Für viele ist es eine Genugtuung, dass die CSU für ihre rassistische Hetze und Law-and-Order-Politik abgestraft wurde – tschüss, Alleinregierung! Es geht bei dieser Wahl aber nicht darum, Parteien zu bestrafen. VerliererInnen sind nicht Söder und Seehofer, auch nicht die SPD und die Linkspartei. VerliererInnen sind wir alle, die Lohnabhängigen, die StudentInnen, Azubis, RentnerInnen, Refugees. Der neue Landtag wird vermutlich zu 90 % aus offen bürgerlichen, teils rechten Parteien bestehen. Eine wirklich linke Opposition sucht man vergeblich.

Auch mit der neuen Staatsregierung, egal ob CSU und Freie Wähler oder CSU und Grüne, wird es weiterhin rassistische Hetze geben, auf der Straße, in den Medien, im Parlament, in das die AfD mit über 10 % einziehen wird. Auch mit der neuen Staatsregierung werden Abschiebungen ins Kriegsland Afghanistan stattfinden. Auch mit der neuen Staatsregierung werden die Mieten in München weiter steigen. Das zeigt uns, dass eine Wahl eben nicht der einzige Moment ist, der politisches Handeln erfordert. Es reicht nicht, dass wir alle paar Jahre unsere Stimme abgeben. Lasst uns unsere Stimmen, so oft es geht, erheben und für unsere Forderungen eintreten – im Parlament wird dies keiner tun!

Umso wichtiger sind unsere Organisierung und unser Widerstand – auf der Straße, in den Betrieben, an Unis und Schulen. Für höhere Löhne, bezahlbare Mieten, mehr Pflegepersonal, eine sozialistische Gesellschaft, in der genug für alle da ist und wir eben nicht nur als WählerInnen mitbestimmen dürfen, sondern selbst Politik gestalten und selbst entscheiden, wie wir leben, wie wir lernen, wie wir wohnen und vor allem, was und wie wir produzieren und konsumieren.

The Workers United Will Never Be Defeated!




Die Krise in Südafrika

Jeremy Dewar, Infomail 1024, 15. Oktober 2018

Bis heute inspiriert die Geschichte des Anti-Apartheidskampfes Millionen, die gegen Rassismus und für Befreiung kämpfen. Und das sollte sie auch. Aber nur die Geschichte zu erzählen, als ob der Kampf um Gleichheit mit der Auflösung des Apartheid-Systems beendet worden wäre, würde denjenigen, die es bekämpft haben, einen Bärendienst erweisen. Wir müssen uns auch mit dem Erbe dieses Kampfes und den Herausforderungen befassen, die er für eine neue Generation mit sich bringt.

Beginnen wir mit einigen unbequemen Fakten. Südafrika ist offiziell das ungleichste Land der Welt und das schon seit einigen Jahren. Bis zu 65 Prozent der SüdafrikanerInnen leben in Armut, die Lebensmittelpreise steigen. Nach Angaben der Weltbank stellt sich dies so dar:

„Die unteren 50 % der Haushalte machen nur 8 % der Einkommen, 5 % der Vermögenswerte und 4 % des Nettovermögens aus. Umgekehrt besitzen die Top-10 % der Haushalte 55 % der Haushaltseinkommen, 69 % der gesamten Haushaltvermögenswerte und 71 % des Haushaltnettovermögens“.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 %, bei Jugendlichen sogar bei 50 %. Gut bezahlte Arbeitsplätze wurden, wenn überhaupt, durch prekäre Beschäftigung ersetzt. Löhne und Wachstum stagnieren, die Kapitalflucht ist monströs.

Der Haushalt 2018 erhöhte die Mehrwertsteuer, kürzte die Sozialleistungen, verschärfte gewerkschaftsfeindliche Gesetze und lockerte die Einschränkungen von Kapitalflucht.

Dies verstärkt das Elend, zu dem die systematische Korruption, verkörpert durch den ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, die Veruntreuung von Weltbankgeldern durch ANC-BeamtInnen und GaunerInnen wie die Brüder Gupta und die Leugnung von AIDS durch den früheren Präsidenten Thabo Mbeki verschärft wurde. Allein AIDS soll schätzungsweise Hunderttausende vorzeitige Todesfälle verursacht haben.

Der diesjährige Haushalt, der erste unter Präsident Cyril Ramaphosa, führte auch Mindestlöhne von 11 bis 22 Rand ein, d. h. 0,55 bis 1,15 € pro Stunde, die Massenproteste auslösten, sogar von der stalinistischen „Kommunistischen Partei Südafrikas“ und den wichtigsten Gewerkschaften des Verbandes COSATU, die in Koalition mit dem regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) bleiben. Der neue gegründete, abtrünnige Südafrikanische Gewerkschaftsbund ging am 25. März mit einem Generalstreik einen Schritt weiter.

Schließlich gibt es noch die Landfrage, eines der brennendsten Themen während des Anti-Apartheid-Kampfes. Über hundert Jahre Ungerechtigkeit wurden seit dem Sturz der Apartheid vor 24 Jahren immer noch nicht angegangen.

Das Gesetz, der Natives Land Act, von 1913 entzog der schwarzen Bevölkerung Landbesitz und vergab 87 % des Landes an weiße BäuerInnen. Der schwarzen Mehrheit wurde nur das Restland von 13 % in den überfüllten „Eingeborenenreservaten“ überlassen.

Heute liegt der Anteil des weißen Grundbesitzes bei 72 % – trotz Landreform, d. h. Übergang in den schwarzen Grundbesitz, der das Herzstück der Freiheitscharta bildet. Nur 8 % des weißen Landes wurden seit 1994 in schwarzen Besitz überführt. In der Post-Apartheid-Verfassung steht, dass Land nicht enteignet werden kann, sondern nur auf der Grundlage übertragen, dass es „eine/n willige/n VerkäuferIn“ und „eine/n willige/n [und zahlungsfähige/n] KäuferIn“ gibt.

Kurz gesagt, 2,2 Mio. schwarze BäuerInnen sind für nur 5 % der gesamten Wirtschaftsleistung im Agrarsektor verantwortlich, während 35.000 kommerzielle LandwirtInnen die restlichen 95 % auf dem besten Land produzieren, mit den modernsten Geräten arbeiten, 800.000 LandarbeiterInnen, meist Schwarze, beschäftigen und den Markt kontrollieren. An der Spitze stehen 1.300 Unternehmen, die 50 % des Einkommens genießen und für den Weltmarkt produzieren.

Landnahmen sind weit verbreitet, gelegentlich gewalttätig und führen dazu, dass AfrikaanerInnen der extremen Rechten behaupten, es sei ein „Völkermord“. Zahlen zeigen jedoch, dass es in den Städten gefährlicher ist als in ländlichen Gebieten, und mehr Schwarze sterben an gewaltsamen Landnahmen als Weiße. Mit anderen Worten, die Besetzungen sind wirtschaftlich motiviert, rassistisch ist deren Unterdrückung. Die Vergeltung durch weiße BäuerInnen war und ist extrem. In einem finsteren Echo auf die Apartheid-Ära oder das der Jim-Crow-Gesetze in den USA hat ein weißer Farmer kürzlich einen schwarzen Jungen getötet, weil er eine Sonnenblume gestohlen hatte.

Während er den Gesetzentwurf der oppositionellen Bewegung „Economic Freedom Fighters“ (EFF, Wirtschaftliche FreiheitskämpferInnen) zur Änderung der Verfassung und zur Genehmigung von Landenteignungen und Umverteilungen unterstützt, hat der ANC Ramaphosas die Landnahmen schnell und entschieden verurteilt. Seine Unterstützung für die Reform zielt darauf ab, eine militante Bewegung von unten zu entschärfen: d. h. mit der klassischen Taktik von Zuckerbrot und Peitsche oder besser gesagt, Zuckerbrot und Waffe.

Cyril Ramaphosa

Es ist unmöglich, die heutige politische Krise zu verstehen, ohne die Anti-Apartheid-Bewegung und die Nach-Apartheid-Lösung zu analysieren. Bemerkenswert ist, dass dies mittels Blick durch die Linse von Cyril Ramaphosas eigenem persönlichen Lebenslauf erreicht werden kann.

Ramaphosa, der in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren Studentenaktivist war, schloss sich der wachsenden Jugend- und StudentInnenenbewegung in den Townships an. Er schloss sich auch dem ANC an, der mit seinem 10-Punkte-Programm, der Freiheitscharta und seiner „zweigleisigen“ Strategie, das Regime und die Bosse zu Verhandlungen zu zwingen, indem er das Land unregierbar machte, im Kampf gegen die Apartheid an erster Stelle stand. Es war eine klassische Volksfrontstrategie mit viel workeristischem Beiwerk, besonders notwendig, da es keine schwarze Bourgeoisie und kaum eine Kleinbourgeoisie gab. Bei all dem hat die Südafrikanische KP sie unterstützt und begünstigt.

Ramaphosa gründete Mitte der 1980er Jahre die Bergarbeitergewerkschaft NUM, die Teil des Gewerkschaftsverbandes COSATU war, der 1984 – 1985 auf 700.000 Mitglieder stark anstieg. Im Mittelpunkt standen die 300.000 Bergleute sowie die Gewerkschaft der Metall- und verbündeten ArbeiterInnen (MAWU, später in NUMSA umbenannt).

Eine riesige Streikwelle 1985 – 1986 markierte die Explosion der ArbeiterInnenklasse auf der Bühne der bürgerlichen demokratischen Revolution. Zwei große BergarbeiterInnenstreiks – der erste, der fünfeinhalb Monate dauerte und 1986 von einem brutalen Ausnahmezustand gebrochen wurde, markierte den Höhepunkt der Bewegung –; der zweite, der dreieinhalb Wochen dauerte, war von den Nachwehen der revolutionären Bewegung gekennzeichnet. Beide wurden von Ramaphosa zur Niederlage geführt, der erste heroisch, der zweite schmählich.

Schmählich, weil es eine wachsende Streikwelle gab, zu der auch Einzelhandelsbeschäftigte und sogar Hausangestellte gehörten. Daneben führten MAWU und ihr inhaftierter Führer Moses Mayekiso eine Bewegung zur Bildung einer ArbeiterInnenpartei an – um den ANC zur Rechenschaft zu ziehen, aber vor allem, um für die sozialistischen Forderungen im Hier und Jetzt und eine ArbeiterInnenregierung zu kämpfen.

Bald nach der Niederlage der Bergleute begannen die Gespräche und Ramaphosa spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung mit ihrer berüchtigten Sonnenuntergangsklausel, die garantierte, dass sie nicht in die bürgerlichen Eigentumsrechte der weißen Bourgeoisie, die später White Monopoly Capital (weißes Monopolkapital) genannt wurde, eingriff. Die Dreierallianz und später die Dreierregierung von ANC, SACP und COSATU wurde als Mittel zur Durchführung dieser demokratischen Konterrevolution etabliert, die sich im Laufe der Zeit sicher von der (jetzt demobilisierten) Revolution selbst entfernt hat.

Nach dem Ende der Apartheid 1994 schickte der ANC Ramaphosa als „Abgesandten“ in die Geschäftswelt. Es wurde oft gesagt, dass er die Black Economic Empowerment (BEE, schwarze Wirtschaftsermächtigung)-Politik der ersten ANC-Regierung unter Nelson Mandela eher zu wörtlich und zu persönlich nahm. Er besitzt derzeit mindestens eine halbe Milliarde Dollar und war Vorstandsmitglied der Standard Bank und der Lonmin Mining Company.

Sehr viele ANC-PolitikerInnen, SACP-FührerInnen und COSATU-FunktionärInnen wurden durch ihre Worte und Taten gegen die ArbeiterInnenklasse in dieser 24-jährigen Periode verdammt, aber ein Vorfall, mehr als jeder andere, sorgte für die völlige Ernüchterung der ArbeiterInnenklasse oder zumindest ihrer Vorhut gegenüber dem ANC und der Volksfront: das Marikana-Massaker von 2012.

Marikana-Massaker

Ein Streik für höhere Löhne hatte bereits zu Scharmützeln mit der Polizei geführt, bei denen 10 Bergleute getötet wurden. Die Spannungen zwischen der NUM, der alten Gewerkschaft Ramaphosas, und der abtrünnigen Bergarbeitergewerkschaft AMCU, die mit ihrer mutigen und entschlossenen Führung mehr Bergleute für sich gewinnen konnte, nahmen zu. Dann schickte Ramaphosa, selbst Aufsichtsratsmitglied und Investor bei des Bergbauunternehmens Lonmin, im August eine E-Mail an den Polizeiminister, nannte den Streik eine „hinterhältige Straftat“ und forderte die Polizei auf, „Begleitmaßnahmen“ zu ergreifen.

Am nächsten Tag eröffnete sie das Feuer auf Streikende, die nur mit zeremoniellen Speeren bewaffnet waren, um ihnen mehr als alles andere Mut zu verleihen, und tötete 34 von ihnen. Jüngste Beweise zeigten, dass viele von ihnen praktisch beim Rückzug hingerichtet wurden oder im Versteck in den Rücken geschossen wurden. Ramaphosa hat sich „entschuldigt“ – aber erst im letztes Jahr und nur für die von ihm verwendete Sprache!

Eine weniger bekannte Tatsache, die erst vor kurzem aufflog, ist, dass Ramaphosa für den Bau von 5.500 BergarbeiterInnenwohnungen verantwortlich war und von der Weltbank 100 Millionen Dollar für das Projekt erhielt. Nur 2 Musterhäuser wurden jemals gebaut. Niemand ist sich sicher, wo das Geld geblieben ist. Ramaphosa täuschte die Bergleute auf grausamste Weise, nicht einmal, sondern mindestens zweimal.

Die nächsten vier Jahre brachten einen Aufschwung im Kampf, denn die Austeritätspolitik trug zu den Jahren der Frustration und Verarmung durch den Neoliberalismus bei. Die Armensiedlungen in den Vororten (townships) hatten ihre Kämpfe bereits seit Anfang der 2000er Jahre unter AnführerInnen wie Trevor Ngwane und Ashwin Desai wieder aufgenommen. Nun schlossen sich die Gewerkschaften, insbesondere die Bergleute, an. AMCU leitete einen fünfmonatigen Streik in den Platinminen und erzielte einen Tarifvertrag über 800 Rand Mindestlohn im Monat.

Aber der Stellenabbau ging weiter, als die Bergbau- und Stahlunternehmen auf dem internationalen Markt mehr und mehr unter Konkurrenz standen.

Der Stern von Ramaphosa erstrahlte jedoch noch heller, und im Dezember 2017 übernahm er (mit 51 % gegen 49 %) das Amt von Jacob Zuma als Vorsitzender des ANC und, wie üblich, einen Monat später als Präsident der Republik Südafrika.

Allerdings musste er viele seiner besiegten GegnerInnen in das Kabinett aufnehmen, darunter die rivalisierende Fraktion „Generation 40“, angeführt von einer von Zumas Frauen, Nkosazana Dlamini-Zuma, (NDZ). Aber er wird sich und die Partei sicherlich dahin kriegen, sich aus den Skandalen Zumas, der mit über 780 (!) Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, und der Brüder Gupta, die die „Staatsvereinnahmung“, die kollektiv als Zupta bekannt ist, erfunden und perfektioniert haben, herauszulösen.

Ramaphosa machte in seinem ersten Haushalt deutlich, dass er für das weiße Monopolkapital regieren wird.

Die Partei

Diese erneute Phase des verstärkten Kampfes hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen. Die Volksfront wurde bis an die Belastungsgrenze getestet.

Als erstes schloss der ANC seinen Jugendführer Julius Malema aus, der sich für Landnahmen und Reformen im simbabwischen Stil ausgesprochen hatte. Malema gründete aus seinen treuen AnhängerInnen in der ANC-Jugendliga die EFF.

Sie gewannen bei der letzten Wahl, 2014, 6,35 % und 25 Abgeordnete. Berühmt ist, dass die EFF auf Demos, Pressekonferenzen und im Parlament rote Drilliche im Armeestil und schwarze Barette trägt. Ihr Programm fordert eine entschädigungslose Verstaatlichung des Grund und Bodens und von 60 % der Minen sowie die Einrichtung einer staatlichen Investitionsbank: ein linksreformistisches Standardprogramm, das in pseudomarxistische Sätze gepackt ist und eindeutig von der SACP und wahrscheinlich der Kommunistischen Partei Chinas gelernt wurde.

Durch die Intervention in die weitgehend erfolgreiche StudentInnenbewegung #FeesMustFall (Fort mit den Studiengebühren) haben sie eine jugendliche Mitgliedschaft beibehalten und erneuert, die in der Lage ist, Menschenmassen von bis zu 40.000 zu ihren Kundgebungen zu ziehen.

Aber sie sind in ihren Parteistrukturen wie in ihrem Programm stalinistisch und autoritär. Darüber hinaus werden gegen Malema, bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich, auch des Skandal- und Geldwäschevorwürfe erhoben, die aus seinen Tagen im ANC nicht beantwortet wurden.

Möglicherweise noch wichtiger waren die Ereignissen in den Jahren 2013 – 2014, die zum Ausschluss der NUMSA aus COSATU führten, angeblich wegen Mitgliederabwerbung, aber in Wirklichkeit wegen der Forderung nach dem Bruch der Dreifachallianz und der Bildung einer politischen ArbeiterInnenorganisation.

Auf einer Sonderkonferenz, die fast zeitgleich mit dem COSATU-Kongress stattfand, der sie ausschloss, verabschiedete NUMSA einstimmig eine Erklärung, dass sie nach dem Vorbild der Vereinigten Demokratischen Front, dem legalen Flügel des verbotenen ANC, eine gemeinsame Kampffront der ArbeiterInnenklasse und eine Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei nach einem ArbeiterInnengipfel bilden würde.

Dann kam eine lange Zeit des Zögerns und des Versäumnisses, die Resolution zur Realität werden zu lassen, die alle Probleme der Gewerkschaftsbürokratie aufzeigte. Zwar betonen MarxistInnen die Bedeutung der Gewerkschaften bei der Gründung einer ArbeiterInnenpartei. Doch wenn es den FunktionärInnen, die den Apparat der Gewerkschaften kontrollieren, überlassen bleibt, die Partei ohne die Intervention einer revolutionären Strömung innerhalb der Mitgliedschaft zu gründen, dann drohen die Gewohnheiten der Gewerkschaftsführung wie Bürokratismus, Vorgehen gegen abweichende Meinungen, Zurückhaltung in Taten, mangelnde Flexibilität usw. die bestehenden Möglichkeiten zunichte zu machen.

Offensichtlich gab es innerhalb der EFF sowie über ihr internes System ideologische und politische Meinungsverschiedenheiten. AMCU weigerte sich, sich NUMSA bei der Bildung einer neuen Föderation anzuschließen, und zog es stattdessen vor, den Nationalen Gewerkschaftsrat (NACTU), einen Gewerkschaftsverband der Black-Consciousness-Bewegung, zu dominieren. Die Gespräche endeten mit einer Farce. Der ehemalige COSATU-Präsident Zwelinzima Vavi, der zusammen mit NUMSA ausgeschlossen wurde, forderte die Bergleute auf, AMCU zu verlassen und sich NUMSA anzuschließen.

Im vergangenen Jahr begannen sich die Dinge jedoch zu bewegen. Die Südafrikanische Gewerkschaftsföderation, SAFTU, wurde mit 700.000 Mitgliedern gegründet, darunter ein beachtlicher Anteil aus NUMSA. Im Juli 2018 fand ein ArbeiterInnengipfel mit 1.000 Delegierten aus über 450 Gemeinde-, StudentInnen- und Landlosenorganisationen sowie Gewerkschaften statt. SAFTU führte im April einen Generalstreik gegen das neue Mindestlohnniveau durch, mit rund 100.000 auf der Straße.

In seiner Maifeieransprache in diesem Jahr schlussfolgerte NUMSAs Generalsekretär Irvin Jim:

„Solange die Mehrheit der schwarzen und afrikanischen Bevölkerung noch unter der Armutsgrenze lebt, gibt es keine Freiheit. Der Klassenkampf geht weiter und deshalb bleibt der NUMSA nichts anderes übrig, als die ArbeiterInnenklasse als eine Klasse für sich selbst zu organisieren und eine revolutionäre sozialistische ArbeiterInnenpartei zu bilden, deren Mission und Aufgabe es ist, im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen. Wir müssen das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse anheben, um den Kapitalismus zu stürzen. Ein System der Gier wird durch ein sozialistisches System ersetzt, das die Menschheit voranbringt… (…)

Die Sozialistische Revolutionäre ArbeiterInnenpartei (SRWP) wird die Arbeit der Revolution beenden, die vom ANC und seinen BündnispartnerInnen aufgegeben wurde.“

In seiner Rede forderte Jim:

  • Streichung der neuen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze Ramaphosas, die Wahlabstimmungen vor Streiks vorschreiben etc…;
  • einen einen Mindestlohn, der dem Lebensunterhalt entspricht;
  • ein Ende der Gangmaster (Arbeitsvermittlung);
  • Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung;
  • ein Bündnis mit der Landlosenorganisation Abahlali BaseMjondolo, um Zugang zu Land, angemessene ländliche Dienstleistungen und demokratische Rechte zu fordern;
  • Bodenenteignung ohne Entschädigung und Beendigung der Schikanierung und Inhaftierung von LandbesetzerInnen;
  • Verstaatlichung der Kommandoebenen der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle;
  • Beendigung des neoliberalen GEAR-Programms (Wachstum, Beschäftigung, Umverteilung) und des NDP-Sparprogramms (Nationaler Entwicklungsplan);
  • Verstaatlichung der Reservebank (SARB).

Das sind wichtige und tragfähige Forderungen, aber selbst vollständig umgesetzt würden sie nicht bedeuten, „das Werk der Revolution abzuschließen“: Der gesamte Staatsapparat bliebe intakt und Südafrika ein kapitalistisches Land. Dennoch wird die südafrikanische herrschende Klasse angesichts eines entschlossenen Kampfes auch für dieses Programm unter Druck von Märkten, Banken und imperialistischen Institutionen geraten, die ArbeiterInnenklasse weiter anzugreifen, was den Widerstand zu noch größerer Militanz anstacheln könnte.

Fazit

Jim verspricht, dass die SWRP noch vor Ende des Jahres ins Leben gerufen wird. Gut. NUMSA- und SAFTU-Mitglieder sollten ihn beim Wort nehmen. Alle objektiven Elemente für den Erfolg einer revolutionären Massenpartei gibt es im Überfluss: militante Gewerkschaften wie AMCU, NUMSA, die Postangestellten; StudentInnen und Jugendliche, die von #FeesMustFall und der EFF mobilisiert wurden; Massenbewegungen in den Townships, unter der armen Stadtbevölkerung und den Landlosen.

In dieser Situation liegt der Schlüssel zur Fortführung des Kampfes im gemeinsamen Handeln dieser Massenorganisationen im Kampf um die gemeinsamen Forderungen wie einem Mindestlohn, Land für diejenigen, die es bebauen, und Gerechtigkeit, um das korrupte Netz aus PolitikerInnen und KapitalistInnen vor Gericht zu bringen. RevolutionärInnen werden sich für die Bildung lokaler Einheitsfrontkomitees unter Einbeziehung der verschiedenen Organisationen einsetzen, um ihre FührerInnen zu drängen, eine solche Aktionseinheit zu verkünden, oder um dafür selbst zu mobilisieren, wenn ihre derzeitigen FührerInnen versagen.

Im Laufe des Kampfes für die unmittelbaren Forderungen der ArbeiterInnen und durch die Organisationen, die sich für sie einsetzen, können südafrikanische ArbeiterInnen eine demokratische Konferenz einberufen, um eine neue ArbeiterInnenpartei zu bilden, die die Macht übernehmen und die Arbeit der Revolution wirklich „beenden“ wird.




#unteilbar-Demonstration in Berlin: 240.000 für Solidarität und gegen Rassismus

Tobi Hansen, Infomail 1024, 14. Oktober 2018

Das Ausmaß der Demonstration hatte alle TeilnehmerInnen und wohl auch die VeranstalterInnen positiv   überrascht. Fast eine Viertelmillion demonstrierte allein in Berlin (242.000 laut OrganisatorInnen). Zusammen mit den zeitgleich laufenden Demos in Frankfurt/Main und Karlsruhe waren am 13. Oktober mehr als eine Viertel Million Menschen auf der Straße gegen Rassismus und für Solidarität. Das Motto „Unteilbar“ steht für das Ziel, die Geflüchteten nicht gegen den „Sozialstaat“ auszuspielen, MigrantInnen nicht gegen die Masse der Bevölkerung. Alle sollten Teil eines gemeinsamen Kampfes für eine solidarische Gesellschaft sein. Mit einem recht allgemeinen, breiten und in vielen Punkten auch sehr vagen Aufruf gelang es den InitiatorInnen, eine UnterstützerInnenliste zu organisieren, die wahrscheinlich größer war als bei den Protesten gegen das „Transatlantische Freihandelsabkommen“ (TTIP) im Jahr 2015.

So ergab sich auch ein recht „buntes“ Bild der Proteste. Viele NGOs wie Amnesty International, Oxfam und Co., sehr viele Initiativen zur Solidarität mit den Geflüchteten wie „Seebrücke“, lokale Berliner Strukturen und Bündnisse, ein großer Gewerkschaftsblock, der paritätische Wohlfahrtsverband, MigrantInnenverbände, die Linkspartei, die Grünen, die SPD (ganz am Ende) waren ebenso vertreten wie zahlreiche Organisationen der außerparlamentarischen „radikalen“, antikapitalistischen Linken. Im Gegensatz zur letzten Demo gegen die AfD in Berlin gab es diesmal deutlich weniger „Party“ und mehr politischen Inhalt auf der Straße. Dabei wollen wir nicht kritisieren, dass es Musik und Party auf Demos gibt, nur möge das nicht zum Ersatz für politischen Inhalt werden.

Führende Kräfte

Viele Teilnehmende brachten ihre Empörung und die Ablehnung des Rechtsrucks auf die Straße, hatten sich selbst Plakate gemalt oder nahmen bereitwillig solche von Gruppen und Organisationen in die Hände. Die Masse stellte einen Querschnitt aus „Zivilgesellschaft“, einer reformistisch geprägten ArbeiterInnenklasse und auch progressiver „Mittelschichten“ dar, die gegen Rassismus und für Solidarität auf die Straße gegangen sind. Von Jung bis Alt zeigten viele ihr Engagement auf der Straße. Die „radikale“ Linke war naturgemäß in der Minderheit, aber durchaus beachtlich vertreten – und stieß auf TeilnehmerInnen, die durchaus offen für eine Verbindung von Antirassismus, sozialer Frage und Kampf waren.

Dabei ist auch verständlich, dass viele eher die NGOs oder die Seebrücke als führende Kräfte verstehen, schließlich stehen diese Gruppierungen in der direkten Konfrontation mit dem staatlichen Rassismus und/oder der „Festung Europa“ – durchaus im Gegensatz zu den Parteien der „Linken“, vor allem zur Regierungspartei SPD. Das ist erst mal ein Fakt, wenn es auch ein bezeichnendes Licht auf die europäische Linkspartei wirft, dass Initiativen wie Seebrücke zur Zeit glaubwürdiger und vor allem aktivistischer gegen Seehofer und Salvini Politik machen als die parlamentarisch fixierten reformistischen oder links-bürgerlichen Kräfte.

Taktisch recht klug – man könnte sagen, mit einer Dosis Schuldbewusstsein – lief daher die SPD am Ende der Demo mit, Linkspartei und Grüne waren mit großen Blöcken weiter vorne zu sehen. So manche Ex-WählerInnen haben sich auf der Demo wahrscheinlich gefragt, wie viele Seehofer- und Maaßen-Kröten in der Großen Koalition noch geschluckt werden müssen, bevor sie untergeht.

Trotz des Aufspringens der Sozialdemokratie und der Teilnahme zahlreicher bürgerlicher Kräfte (Grüne, Kirchen, …) war die Demonstration nicht nur eine gegen die AfD und andere offene RassistInnen, sondern auch gegen die Große Koalition. Vielen Redebeiträge bei der Auftaktkundgebung und von den über 35 Lautsprecherwagen thematisierten die schlechte soziale Lage vieler Arbeitsloser und MigrantInnen, die verfehlte neo-liberaleWohnungsbaupolitik, die verheerende und unglaubwürdige „Klimapolitik“ der Bundesregierung, die auf Diesel, Braunkohle und Profite setzt. Zugleich wurde die Misere im Pflegebereich angeprangert und zur Solidarität mit dem aktuellen Arbeitskampf bei Ryanair aufgerufen.

Dass viele öffentliche Medien sehr zuvorkommend berichtet haben, z. B. im Gegensatz zur Großdemo gegen TTIP 2015, liegt sicherlich daran, dass es auch den Versuch gibt, die #unteilbar- Demo für das aktuelle Deutschland und dessen Regierungspolitik zu instrumentalisieren. Zweifellos besteht diese Gefahr, zur Zeit aber wohl mehr darin, dass die Grünen ihren Einfluss auf die Masse der DemonstrantInnen erhöhen, während SPD und Linkspartei politisch angeschlagen sind. Die SPD zahlt den wohlverdienten Preis für die Große Koalition, die Linkspartei muss sich mit Sahra Wagenknecht und deren Populismus rumschlagen.

Neben der Gefahr eine Vereinnahmung oder Begrenzung einer entstehenden Massenmobilisierung gegen Rassismus und Rechtsruck durch die Grünen besteht aber auch die Möglichkeit der Entstehung einer realen Kraft, die diesen nicht nur mit Demos, sondern auch mit Kampagnen gegen Rassismus, Wohnungsnot, Prekarisierung entgegentreten kann. Kurzum, diese Bewegung kann zu einer kämpferischen werden, wenn die radikale Linke, wenn RevolutionärInnen darin eingreifen.

Diese Gefahr sehen offenkundig nicht nur die RechtspopulistInnen der AfD, die FDP, sondern auch die CDU. Deren Berliner Landesverband bezeichnete die Demonstration als Machwerk von „dubiosen Organisationen“. Die Präsenz von VertreterInnen der „Roten Hilfe“ unter den OrganisatorInnen und zahlreicher „linksradikaler Blöcke“ stelle eine gefährliche Öffnung der Zivilgesellschaft zum „Linksextremismus“ dar. „Wenn heute demokratische Politiker oder gar Minister Seite an Seite mit linksextremistischen Organisationen durch die Stadt ziehen, dann ist das entweder naiv oder politisch unverantwortlich,“ pöbelte der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers.

Sahra, Sahra, wo bist du? Das Volk steht auf und du schaust zu!

Einige Tage vor der Demonstration hatte Sahra Wagenknecht zweierlei geschafft. Zum einen verstieß sie als Linkspartei-Fraktionsvorsitzende gegen den Beschluss der eigenen Fraktion zur Unterstützung von #unteilbar, zum anderen erklärte sie als „Aufstehen“-Initiatorin, warum ihre „Sammlungsbewegung“ zur Demonstration nicht aufrufen würde. Auch wenn die Forderung nach offenen Grenzen im Aufruf gar nicht vorkommt, so würde dieser „in der Tendenz“ in diese Richtung gehen – und damit würden Menschen „ausgegrenzt“: „Man grenzt damit natürlich Teile von Menschen aus, die genauso bereit wären und überzeugt sind, dass man Rassismus entgegentreten muss.“

Wagenknecht unterschob dem Aufruf ihr „Feindbild“ der „offenen Grenzen“, obwohl diese als Forderung nicht explizit vorkamen, und wünscht sich Proteste gegen Rassismus, in denen auch diejenigen ihren Platz finden, die für eine „Regulierung“ der Aufnahme von Geflüchteten sind, also de facto für Obergrenzen und willkürliche Festlegungen gemäß ihrer kapitalistischen Verwertbarkeit. Hier offenbart sich der reaktionäre Charakter aller Forderungen nach Grenzkontrollen und Einreisebeschränkungen – und es gehört schon ein gehöriger Schuss Demagogie und Sozialchauvinismus dazu, die Forderung nach offenen Grenzen, also nach Streichung aller rassistischen Einreisebeschränkungen und Kontrollen, als „ausgrenzend“ zu bezeichnen.

Dass allerdings bei manchen von „Aufstehen“ gerade der letzte politische Restverstand am Ausdünnen ist, beweisen manche „Theorien“, die im Vorfeld der Demonstration lanciert wurden. Demnach wäre die „offene Gesellschaft“ der Kampfbegriff des internationalen Finanzkapitals schlechthin, welches durch den Finanzier Soros nun auch mit #unteilbar seine bösen „replacement migration“, „Umvolkungspläne umsetzen wolle. Soros musste in Ungarn wegen staatlichen Antisemitismus’ seine „Zelte“ abbrechen. Dass er nun von ähnlichen Theorien aus Teilen der sog. „Linken“ hier bedacht wird, zeigt die politische Verrohung, Verwirrung wie auch den Rechtsruck in dieser deutlich an. Auf der anderen Seite ist dies auch für „Aufstehen“ ein „Lackmustest“: Gelten allein die Kommentare der Ikone und kann sich dahinter jeder reaktionäre Dreck verstecken oder führen die bewussteren Teile dort zumindest einen Kampf gegen diese Art von Rechtsruck in der Methode? Vom Kampf gegen die Ikone wollen wir hier und jetzt mal nicht ausgehen.

Ausblick

Ähnlich wie z. B. die „umfairteilen“-Demos vor einigen Jahren bergen diese Großevents stets die Gefahr, dass danach erst mal Schluss ist. Nicht nur die zivilgesellschaftlichen Organisationen, auch linke Parteien und Gewerkschaften entziehen sich nur allzu gerne der weitergehenden Aufgaben, aus einer Massendemonstration, also einer im Kern symbolischen Aktion, eine kämpferische Bewegung zu machen. Von #unteilbar geht bei vielen die Erwartung aus, dass dieses Signal in die „Republik“ ausstrahlt, dadurch Kämpfe vor Ort zusammenführt, die quasi auch lokal „unteilbar“ sein sollten und sich damit geeint dem Rechtsruck entgegenstellen könnten.

Dazu sind aber die Gewerkschaften, die Linkspartei (hier und da vor Ort auch die SPD) und Organisationen der außerparlamentarischen „Linken“ entscheidend – hier muss ein „Ruck“ durch die Klasse gehen, hierauf muss die Initiative liegen!

Hier wäre es wichtig, in den nächsten Wochen auf (Folge)-Konferenzen von #unteilbar den antirassistischen Kampf zu verallgemeinern, ihn mit den „anderen“ sozialen Kämpfen zusammenzuschweißen und gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Wohnungsnot, schlechte Ausstattung des Bildungsbereichs, anstehende Privatisierungen des öffentlichen Dienstes, weitere Verschärfung der inneren Repression durch Landesgesetze, Aufrüstung und Kriegspolitik, eine drohende neue wirtschaftliche Krise – all dies kann zusammengeführt werden in den lokalen Kämpfen wie auch in bundesweiten Mobilisierungen.

Mit den Demonstrationen der letzten Wochen in Hamburg (Welcome United), gegen die Rodung vom Hambacher Forst (#hambibleibt), den Seebrücke-Demos, den Mobilisierungen gegen AfD und Nazis, gegen die Polizeiaufgabengesetze haben sich viele Hunderttausend gegen den Rechtsruck und Rassismus positioniert. Es ist nun gerade die Aufgabe der Linken, der Organisationen der ArbeiterInnenklasse, dies mit mehr Inhalt zu füllen. Dass sich die Gewerkschaften und Massenparteien wie DIE LINKE vor dieser Aufgabe drücken, ist nicht die Schuld des „breiten“ Protestes auf der Straße, sondern zeigt deren politisches Unvermögen an.

Es ist nicht zwingend, dass eine Massendemonstration mit Hunderttausenden ins politische Fahrwasser der Grünen und NGOs geführt wird, es bei einem einmaligen Ereignis bleibt und bei einer vagen Plattform ohne konkrete Forderungen und Kampfmethoden. Doch die Aufgabe, eine solche Ausrichtung in die Bewegung zu tragen, können RevolutionärInnen nicht an andere delegieren. Es ist notwendig, dass alle Kräfte der „radikalen Linken“, die für ein Aktionsbündnis, eine gemeinsamen Kampffront gegen den Rechtsruck und die Angriffe der Regierung eintreten, gemeinsam für den Aufbau einer solchen Einheitsfront agieren. Nur so wird es möglich sein, auch Massenorganisationen zur Aktion zu zwingen.




Brasilien: Neofaschist Bolsonaro vor dem Sieg

Dave Stockton, Infomail 1024, 11. Oktober 2018

Die massiven politischen und gewerkschaftlichen Bewegungen der brasilianischen IndustriearbeiterInnen, landlosen BäuerInnen und Armen in den Slumvierteln (Favelas) sehen sich einer tödlichen Gefahr gegenüber: der Wahl eines Halbfaschisten, Jair Messias (!) Bolsonaro. Er erzielte im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 49 Millionen Stimmen, 46,3 Prozent. Fernando Haddad, der Kandidat der Arbeiterpartei PT, gewann 31 Millionen Stimmen oder 29 Prozent. Ohne die solide Unterstützung des Nordostens, wo Haddad in 8 der 9 Bundesstaaten vorn lag, hätte Bolsonaro in der ersten Runde auf Anhieb gesiegt.

Aufstieg von Bolsonaro

Der Aufstieg von Bolsonaro war spektakulär. Seine Sozialliberale Partei PSL hat ebenfalls 52 Sitze im Unterhaus gewonnen und ist damit mit 57 Sitzen die zweitstärkste Partei nach der PT. Bei den Parlamentswahlen 2014 hatte sie dort nur einen Sitz. Bolsonaro wurde durch den Attentatsversuch auf ihn während seiner Kampagne zu einem Medienhelden gepusht, unterstützt von rechtsextremen Kräften im Militär, die er umworben hatte, indem er die brutalen Militärdiktatoren des Landes lobte, die das Land von den 1960er bis 1980er Jahren regierten.

Lange Zeit als rechter Außenseiter betrachtet, hat Bolsonaro regelmäßig mit Gewalt gegen die ArbeiterführerInnen gedroht und sich in schlimmster Demagogie und Hassreden gegen die schwarze und indigene Bevölkerung sowie gegen Frauen und Schwule ergangen. Dies passte sehr gut zu einer Massenanhängerschaft unter der privilegierten weißen Mittelschicht, insbesondere in den evangelikalen christlichen Kirchen. Diese soziale Basis ist bitter aufgebracht über die begrenzten Reformen, die die PT-PräsidentInnen Lula da Silva und in geringerem Maße Dilma Rousseff zwischen 2002 und 2016 in Kraft gesetzt haben.

Die PT-geführte Regierung wurde durch einen „legalen“ Putsch des Senats und Rousseffs Vizepräsident Michel Temer am 31. August 2016 gestürzt. Seitdem befindet sich Brasilien mit regelmäßigen Massendemonstrationen und eintägigen Generalstreiks in Aufruhr, und das Land hat sich nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch von 2014 nicht wesentlich erholt. Das Wachstum betrug 2017 – 18 nur ein Prozent. Widerstandskampagnen wurden von der PT und den damit verbundenen Massenverbänden wie der Bewegung landloser ArbeiterInnen, MST, und der Gewerkschaftsföderation, CUT, sowie den bedeutenden linkeren Parteien Brasiliens wie der Partei für Befreiung und Sozialismus, P-Sol, organisiert.

Gegen einen Putsch wie den von Temer zu protestieren, aber die Massen davon abzuhalten, ihn und die bürgerlichen Parteien und RichterInnen, die ihn unterstützt haben, zu stürzen, hat jedoch zu einer Situation geführt, in der die Kräfte der Rechten entschlossen sind, die ArbeiterInnen- und Massenbewegung zu zerschlagen und zu atomisieren. Sie haben keine demokratischen Hemmungen wie die PT-FührerInnen, da sie wissen, die brasilianische Staatsmaschinerie gehört ihnen und man kann sich darauf verlassen, dass sie ihnen gehorcht.

Ihr Ziel ist es, ein Regime der Privatisierung und der neoliberalen Zerstörung der sozialen Errungenschaften und Gewerkschaftsrechte zu schaffen, die in den letzten Jahrzehnten errungen wurden. Rechte für Frauen, Indigene, Landlose und Schwule sowie ihre VerteidigerInnen werden alle angegriffen werden.

Paulo Roberto Nunes Guedes, der wichtigste Wirtschaftsberater von Bolsonaro, ehemaliger Investmentbanker bei Bozano Investimentos Ltd., der seine Karriere an der Chicago School of Economics begonnen hat, hat gesagt, dass Brasilien alles von der Banco do Brasil bis zur nationalen Ölgesellschaft Petróleo Brasileiro S. A. (Petrobras) privatisieren sollte. „Alles muss verkauft werden“, sagte er in einem Interview mit der britischen Nachrichtenagentur Reuters, „vorsichtige und verschämte Privatisierungen werden einfach nicht reichen.“

Zweite Runde

In der zweiten Runde ist Fernando Haddad nun der einzige Kandidat, der Bolsonaro stoppen kann, aber es ist wahrscheinlich, ja sicher, dass er die alte PT-Strategie verfolgen wird, ein Bündnis mit pseudosozialdemokratischen und sogar völlig bürgerlichen Parteien des Zentrums und der Mitte-Rechts um die Idee der „Rettung der Demokratie“ zusammenzupfuschen. Dies ist die alte „Volksfront“-Strategie zur Bekämpfung des Faschismus, die mit katastrophalen Folgen angewandt wurde, zum Beispiel 1936 – 39 in Spanien und 1973 in Chile. Temer selbst war so ein „Verbündeter“!

Der Preis, den solche „Verbündeten“ fordern würden, wäre, das schwache reformistische Programm aufzugeben und ihr Programm anzunehmen. Haddad hat es sofort gesagt: „Ich habe völlige Ruhe, wenn es darum geht, die Programmparameter so anzupassen, dass es das repräsentativste für dieses breite demokratische Bündnis wird, das wir beabsichtigen zu bilden.“

Während die ArbeiterInnenklasse die Hilfe anderer Klassen und ihrer Parteien im Kampf um die Verteidigung ihrer Lebensinteressen niemals ablehnt, muss der Schwerpunkt auf dem tatsächlichen Kampf auf den Straßen und in den Betrieben liegen. Auf der Wahlebene stehen die Chancen schlecht für Haddad, da es wahrscheinlich ist, dass die bürgerlichen Parteien mehr von Bolsonaros Programm zur Plünderung der staatlichen Industrien und zur Abwälzung der Krise auf die ArbeiterInnen und Armen angezogen werden als dass sie um die Bedrohung der Demokratie fürchten. Schließlich waren es auch jene Parteien, die den alles andere als demokratischen Putsch gegen Dilma inszenierten. Auf internationaler Ebene hat „The Economist“ vor der Gefahr Bolsonaros gewarnt, dagegen ist die „Financial Times“ viel vorsichtiger und betrachtet seine neoliberalen Reformen mit Wohlwollen. Sicherlich wird Trump ein halbfaschistisches Regime in Brasilien nicht verurteilen.

Trotz der schlechten Wahlaussichten ist auf dem Gebiet des Klassenkampfes bei weitem nicht alles verloren. Die Gewerkschaften und Parteien der ArbeiterInnen und BäuerInnen können immer noch Millionen mobilisieren, um den Weg zum (Halb)Faschismus oder jede Rückkehr zur Militärregierung zu blockieren. Jedes demokratische Mandat für Bolsonaro wird das Ergebnis eines gigantischen Betrugs sein. Die brasilianische Demokratie wurde lange vor den Wahlen durch den parlamentarischen Staatsstreich und durch die gerichtliche Verhinderung von Lulas Kandidatur und seine Inhaftierung untergraben.

Bolsonaros Gefolgschaft ist noch lange keine organisierte faschistische Bewegung, die sich der ArbeiterInnenklasse und den ländlichen Armen entgegenstellen kann, es sei denn, diese bleiben passiv oder werden von ihren reformistischen Führungen gelähmt. Natürlich können die bestehenden faschistischen Gruppen und die bewaffneten SchlägerInnen der UnternehmerInnen und GrundbesitzerInnen die Kader für eine solche Bewegung stellen, aber das Kleinbürgertum kann von einem entschlossenen proletarischen Widerstand in die Knie gezwungen werden.

Ungeachtet des reaktionären Appetits ihrer Kommandeure ist es bislang nicht gelungen, die Streitkräfte dazu zu bewegen, die Verantwortung nicht nur für die angeschlagene Wirtschaft, sondern auch für die Unterdrückung einer riesigen ArbeiterInnenbewegung zu übernehmen. Alles hängt davon ab, dass die ArbeiterInnenklasse ihre Kräfte mobilisiert und ihre Entschlossenheit zeigt, ihre Rechte und sozialen Errungenschaften nicht ohne einen harten Kampf aufzugeben. Eine solche Entschlossenheit könnte wahrscheinlich die bürgerlichen Kräfte selbst fragmentieren und einige von ihnen paralysieren.

Was kann man also in den Wochen vor der zweiten Runde am 28. Oktober tun? Unsere GesinnungsgenossInnen in Brasilien hatten es bereits vor der ersten Runde deutlich gemacht:

„Wir in der Sozialistischen Liga haben argumentiert, dass linke Parteien eine Einheitsfront aufbauen müssen, um dem Staatsstreich und der reaktionären Rechten eine wirksame Abwehr entgegenzustellen und auch, um die Kombination aus militärischem Bonapartismus und Faschismus, deren Führer Jair Bolsonaro ist, besiegen zu können. (…)

Unser Kampf hört nicht mit dem Ende des Wahlprozesses auf. Im Gegenteil, er wird sich danach intensivieren – unabhängig davon, wer gewinnt. Wir müssen die ArbeiterInnenklasse organisieren, indem wir Widerstandskomitees an Arbeitsplätzen, Schulen, in Nachbarschaften usw. bilden.“ (Liga Socialista, Brasilien vor dem Showdown)

Die internationale ArbeiterInnenbewegung muss unseren Brüdern und Schwestern in Brasilien aktiv helfen. Die anderthalb Millionen Mitglieder der PT, ihre verbündeten Organisationen und ihre Zigmillionen WählerInnen stellen die wichtigste Kraft unserer Klasse in Lateinamerika und eine der stärksten auf der Welt dar. Eine historische Niederlage würde das globale Kräftegleichgewicht noch weiter nach rechts schwingen. Sie würde die Kräfte der Reaktion in anderen Ländern zu ähnlichen Handlungen ermutigen, genau wie die Niederlage in Chile 1973. Die ArbeiterInnenbewegungen in Europa und Nordamerika, in Afrika und Asien müssen den brasilianischen ArbeiterInnen jede erdenkliche Hilfe leisten und alles tun, was sie können, um zu verhindern, dass ihre „eigenen“ Regierungen Bolsonaro unterstützen.