Kein fauler Kohle-Kompromiss!

Janosch Janglo, Infomail 1031, 29. November 2018

Die Folgen des globalen Klimawandels werden immer sichtbarer. Deutschland hat es trotz großer Ankündigungen nicht geschafft, in den letzten zehn Jahren die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Ein wichtiger Grund: es ist noch vor China der weltweit größte Förderer und Nutzer vom klimaschädlichsten Energieträger Braunkohle. Nun hat es sich bis 2020 verpflichtet, den CO2-Ausstoß um ganze 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Bis 2050 sollen es sogar mind. 80 Prozent sein. Mittlerweile ist man bei 32 Prozent angelangt, die aber zu 60 Prozent auf das Konto der Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach 1990 gehen und weniger auf wirkliche Emissionsvermeidungen.

Man hat heute jedenfalls keine solchen Maßnahmen radikaler Schließungen von Betrieben wie vor fast 30 Jahren mehr in der Hinterhand. Aber auch weltweit ist man weit davon entfernt, die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre deutlich zu senken. Trotz halbherziger nationaler Versprechungen wurden 2018 global dort die höchsten CO2-Konzentrationen gemessen. Bleibt es bei einem Anstieg, könnte bereits 2030 die 1,5-Grad-Schwelle überschritten werden. Damit ist vor Beginn der Klimaschutzkonferenz (COP24; 24. Konferenz der Parteien im Rahmen der UN-Konferenzen zum Klimawandel) im polnischen Katowice klar, dass das Abkommen der Pariser Klimaschutzkonferenz (COP21) von 2015 bisher gescheitert ist.

Strukturwandel durch Entlassungen?

Um doch noch 2020 die 40-Prozent-Marke einzuhalten, vereinbarte die „neue“ Bundesregierung im letzten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 die Gründung „einer Kommission für ein Aktionsprogramm zur Erreichung des 40-Prozent-Ziels, zur Reduzierung der Kohleverstromung und zur Absicherung des notwendigen Strukturwandels“. Nun wurde die „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (oft nur Kohlekommission genannt) am 6. Juni 2018 von der deutschen Bundesregierung eingesetzt. 31 Mitglieder, davon 28 Stimmberechtigte aus VertreterInnen der Politik (aller Bundestagsparteien außer AfD und DIE LINKE), Umweltverbänden wie dem BUND, der Wissenschaft, Gewerkschaften (IG BCE, ver.di, DGB), der Industrie (BDI, BDA, BDEW) und auch zwei Anwohnervertreterinnen dürfen hier mitspielen. Die Kohlekommission soll einen Vorschlag für den Kohleausstieg erarbeiten und sein Enddatum festgelegen. Zugleich soll sie Maßnahmen aufzeigen, mit denen die derzeitige noch vorhandene Lücke von 8 Prozent bis zum Klimaziel 2020 möglichst gering gehalten werden kann.

Ein Kohleausstieg würde aber unweigerlich zum Verlust von gegenwärtig noch 18.000 Arbeitsplätzen führen. Wie dieser ohne massenhaften Wegfall von Arbeitsplätzen in ohnedies schon von Arbeitslosigkeit gebeutelten Regionen aussehen kann, sollte die Kommission in ihrem Abschlussbericht bereits Ende 2018 der Bundesregierung übergeben. Schon jetzt aber ist klar: Das Datum für den Abschlussbericht kann nicht gehalten, der Text soll nun erst Anfang 2019 vorgelegt werden. Geliefert wurde lediglich ein Zwischenbericht, der ein „Sofortprogramm“ für die Kohlereviere bis 2021, über den Bundeshaushalt „zusätzlich 1,5 Milliarden Euro als prioritäre Ausgaben für Strukturpolitik“ vorschlägt. Betriebsbedingte Kündigungen der im Bergbau Beschäftigten sollen zwar vermieden (!) werden, sind aber nicht ausgeschlossen. So wird der Ausstieg aus der Braunkohle genauso wie der Einstieg in die „erneuerbaren“ Energien durch die Umlage der EEG auf die Strompreise unter Schonung insbesondere der größten Elektrizität verbrauchenden Industrien auf dem Rücken der Lohnabhängigen stattfinden. Mögliche Entschädigungen für Energieversorger wegen kürzerer Kraftwerkslaufzeiten sollen jedoch nicht aus den Strukturgeldern bezahlt werden. Da kommt dann noch einmal eine ordentliche Summe aus dem Steuersäckel oben drauf.

Bei der Frage, wie und wohin sich die Kohleregionen wandeln sollen, tauchen vor allem die Stichworte „digitaler Fortschritt“, Infrastruktur und Energieforschung auf. So sollen z. B. im Lausitzer Revier neue Mobilitätsanwendungen entwickelt werden. Fürs rheinische Revier schlägt die Kommission ein „Reallabor“ für den neuen 5-G-Mobilfunkstandard vor. Zudem soll es eine Art „Revierbonus“ für die betroffenen Gebiete geben. Gemeint sind Planungs- und Bauerleichterungen, also das legale Aushebeln von Sozial- und Umweltstandards, um Infrastrukturprojekte in den Braunkohlerevieren reibungsloser vor Ort realisieren zu können, notfalls auch gegen Widerstand aus der Bevölkerung.

Hier wurde der gesamte Wunschkatalog für Infrastrukturprojekte im Bericht der Landesregierungen Brandenburgs und Sachsens untergebracht. So haben es eigentlich schon längst begrabene und sinnlose Infrastrukturprojekte in den Zwischenbericht geschafft (Bau der Autobahn zwischen Leipzig und dem Lausitzer Revier; Ausbau der heute bereits vierspurigen A13 zwischen Berlin-Schönefeld und dem Autobahndreieck Spreewald). Eine neue ICE-Verbindung soll die Lausitz besser an Berlin und Dresden anbinden. Übersetzt heißt das, dass man in der Menge gar keine neuen Jobs in der Region erwartet, sondern die Betroffenen sollen durch stundenlanges Pendeln in die Metropolen sich dort welche suchen. Als Sahnehäubchen sollen dann noch in Form neu angesiedelter Behörden Staatsangestellte ihr Geld in der Region ausgeben dürfen, die wahrscheinlich aber angesichts der neuen schnelleren Verbindung z. B. in die Hauptstadt nach der Arbeit dann diese ganz schnell wieder verlassen werden.

Schwammig wird es ebenso bei der Frage, wie in den Regionen auch zukünftig nachhaltig Strom produziert und CO2 eingespart werden kann. Dafür wimmelt es nur so von exotischen Stichworten wie Wasserstoffproduktion, Brennstoffzelle, Batteriespeicher, Power-to-X und sogar der Kohleverflüssigung, die dann als Rohstoff für die chemische und petrochemische Industrie „noch über viele Jahre abbaubar sein“ wird.

Was jetzt aber schon klar ist, einen sofortigen Ausstieg wird es nicht geben. Anvisiert wird er zwischen 2035 und 2038. Das wäre ein Kompromiss zwischen den Umweltverbänden in der Kommission, die einen Kohleausstieg bis 2030 fordern, und den IndustrievertreterInnen, die im Grunde noch so lange wie möglich ihre alten Kohlemeiler laufen lassen wollen.

In der Opposition hui, in der Regierung pfui!

Bei den Abschaltplänen der in der Kohlekommission vertretenen Umweltorganisationen wie BUND oder Greenpeace sucht man vergebens eine Antwort, was mit den Arbeitsplätzen im Braunkohletagebau passieren soll. Bestenfalls ist diese eine Randnotiz wert oder wird schwammig mit „sozialverträglich“ schnell vom Tisch gewischt. Hier wird deutlich, warum die Umweltbewegung bis heute unfähig ist, die ökologische mit der sozialen Frage zu verbinden und gemeinsam Widerstand zu organisieren.

Reformistische Parteien wie DIE LINKE (PdL) oder auch offen bürgerliche wie Bündnis 90/Die Grünen geben zwar vor, sie würden sich für „eine arbeitsmarkt- und sozialpolitische Absicherung“ einsetzen, haben aber schon seit vielen Jahren in verschiedenen Länder- und Bundesregierungen gezeigt, dass sie nicht Teil der Lösung, sondern des kapitalistischen Problems sind. Beide Parteien, oft Teil des Widerstandes vor Ort, verschweigen dabei ihre verräterische, konzernhörige Politik in den jeweiligen Bundes- und Länderregierungen z. B. in Nordrhein-Westfalen (Die Grünen) oder Brandenburg (PdL). So hatte auch der damalige grüne Minister für Umwelt und Naturschutz die Abbaggerung des Hambacher Forstes beschlossen.

In Brandenburg hat die Linkspartei 2008 noch den Volksentscheid zum Braunkohleausstieg in Brandenburg unterstützt und lokal sich auch am Widerstand gegen die Abtragung von Dörfern und Naturschutzgebieten beteiligt. Davon wollte man aber spätestens nach der Wahl 2009 als neue Koalitionspartnerin der SPD nichts mehr wissen und verschob den Ausstieg erst einmal auf 2040. Auch genehmigte man 2014 in der Landesregierung die Erweiterung des Braunkohletagebaus Welzow-Süd (südliche Niederlausitz). Heute appelliert die Bundestagsfraktion der PdL artig an die Bundesregierung, dass sie „mit den Betreibern der Braunkohletagebaue und -kraftwerke einen Vertrag mit dem Ziel abschließen soll, betriebsbedingte Kündigungen infolge des Kohleausstiegs in den Unternehmenssparten zu verhindern.“

Sie tritt damit in die Fußstapfen der SPD, die im Gleichschritt mit der IG BCE vor allem Politik für die Großkonzerne betreibt. Die langfristigen Gesamtinteressen der gesamten ArbeiterInnenklasse – nämlich die nach einer Neuordnung der gesamten Energieerzeugung, von Industrie und Landwirtschaft im Interesse der Arbeitenden und des Erhalts ihrer natürlichen Lebensgrundlagen – werden auf dem Altar dieser Realpolitik geopfert. Schließlich wären diese nur gegen das Kapital und dessen Parteien durchsetzbar – und genau diese „PartnerInnen“ sollen nicht verprellt werden. Die PdL vollzieht den SPD-Spagat an der Landesregierung, die Grünen bieten auch noch einen markwirtschaftlichen „Green New Deal“ an.

Was schlagen wir vor?

Klar ist, dass die Braunkohle Tausenden Beschäftigung gibt. Somit stehen viele in den betroffenen Regionen nicht hinter der Forderung nach einem Ausstieg. Darüber dürfen auch die Proteste um den Hambacher Forst nicht hinwegtäuschen. Das Misstrauen angesichts der Vorschläge der Kohlekommission ist auch berechtigt. Klar ist aber auch, dass die Stromkonzerne wie RWE und LEAG sich einen vorzeitigen Ausstieg aus Steuergeldern fürstlich entschädigen lassen und entgangene Profite durch Strompreiserhöhungen ausgleichen werden. So sollen die Kosten für einen Ausstieg auf dem Rücken der Lohnabhängigen abgewälzt werden.

Umgekehrt kann freilich die berechtigte Angst der Beschäftigten in der Braunkohleförderung, auf nie kommende „Zukunftsprojekte“ vertröstet zu werden, nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein schnellstmöglicher Ausstieg aus dieser klimaschädlichen Produktion unerlässlich ist.

Am Beispiel Stromerzeugung zeigt sich das ganze technische Chaos und Dilemma der kapitalistischen Produktionsweise. Hier wird nämlich schnell klar, dass eine ökologisch nachhaltige Stromproduktion unter der Prämisse der Profitwirtschaft im Kapitalismus nicht möglich ist. Die „erneuerbaren“ Energien können bei einem Ausstieg nur dann die Basis der Stromerzeugung abgeben, wenn genügend Speicherkapazitäten vorhanden sind. Dies erfordert aber massive Investitionen in Forschung, Entwicklung und Neuausstattung. Ausreichende technische Alternativen zur Kohlenutzung bei einem sofortigen Ausstieg, die Strom in genügenden Mengen und Qualität und bei jedem Bedarf stetig liefern könnten, gibt es derzeitig nicht. Die „erneuerbaren“ Energien sind gegenwärtig dazu nicht in der Lage. Hier gab es in der Vergangenheit keine Anstrengungen, in neue Speichertechnologien zu investieren. Die Profite sind über das EEG auch so geflossen. Das vielgepriesene Gesetz hat also zur Verhinderung der Entwicklung von Speichermöglichkeiten direkt beigetragen. Aber selbst unter der Voraussetzung der Entwicklung neuer Technologien werden diese im Kapitalismus nie zum Wohle der Gesellschaft, sondern allein zur Maximierung der Profite eingesetzt.

Wir müssen deshalb den Kampf für den Kohleausstieg mit dem Kampf für ein Wirtschaftssystem verbinden, in dem unsere Zukunft nicht für die Profite weniger verheizt wird. Ebenso müssen wir uns gegen jede Entlassung und jeden Einkommensverlust zur Wehr setzen. Das bedeutet keinesfalls, dass jede/r Beschäftigte genau dieselbe Arbeit machen wird wie bisher. Im Zuge einer ökologischen Umrüstung der Produktion würden natürlich auch für die ArbeiterInnen in den Energieunternehmen neue Aufgaben anfallen. Auf der Grundlage einer Marktwirtschaft und der Produktion für immer größeren Profit ist das jedoch unmöglich – daher bildet die entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung des ganzen Energiesektors eine unerlässliche Voraussetzung für jede rationale Klimapolitik, für jeden „Strukturwandel“ in diesem Bereich und für die Ausarbeitung eines Plans zur Umrüstung des Energiesystems unter ArbeiterInnenkontrolle.

Wir fordern deshalb:

  • Massenaktionen gegen die Braunkohleindustrie! Bundesweite Aktionskonferenz zur Durchsetzung des organisierten, geplanten Kohleausstiegs!
  • Für die ökologischen Katastrophen ist die herrschende Klasse verantwortlich – daher soll sie für die Schäden aufkommen! Entschädigungslose Enteignung der Energie- und Transportindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Sofortige Abschaltung aller alten und „schmutzigen“ Anlagen!
  • Für den schnellstmöglichen organisierten Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung und den Einstieg in klimaneutrale Erzeugung im Rahmen eines rationalen Gesamtenergieplans unter ArbeiterInnenkontrolle! Für einen solchen Plan auf europäischer und weltweiter Ebene, der Verkehr, Industrie, Haushalte, Strom- und Wärmegewinnung integriert!
  • Weg mit dem Emissionsrechtehandel und der blinden Subventionierung von „regenerativer Energie“! Sofortige Rücknahme aller direkten und indirekten Subventionen für den Energiesektor! Sofortige Senkung der Strompreise! Den Marktmechanismen setzen wir das bewusste, planmäßige Eingreifen in die Produktion entgegen. Für die Förderung von Energie und Ressourcen sparenden Techniken, bezahlt vom Kapital!
  • Für ein globales Programm zur Wiederaufforstung von Wäldern, der Renaturierung von Mooren und zum Schutz des Bodens und der Meere als CO2-Senken! Entschädigungslose Enteignung von LandbesitzerInnen, nachhaltige Bewirtschaftung unter Kontrolle der ArbeiterInnen und BäuerInnen!
  • Für Forschung nach neuen Energien wie Kernfusion und zur Lösung der Speicherproblematik der erneuerbaren Energien, zur Minimierung bzw. Beseitigung des Schadstoffproblems (Atommüll) unter ArbeiterInnenkontrolle und auf Kosten der Energiekonzerne!
  • Gegen die Spaltung von Umweltbewegung und Beschäftigten in umweltgefährdenden Betrieben! Keine Entlassungen und keine Einkommensverluste für Beschäftigte im Energiesektor! Umschulung und neue Arbeitsplätze zu gleichen Löhnen und Arbeitsbedingungen! Gegen prekäre Beschäftigung in der Branche erneuerbarer Energien: gleiche Bedingungen für alle Beschäftigten in Windkraft-, Solarbetrieben wie für jene in Bergbau, AKWs und bei den Stromkonzernen!



USA: Eine Verschiebung nach „links“ – und ihre Grenzen

Mo Sedlak, Infomail 1031, 28. November 2018

Am Dienstag, den 6. November, fanden in den USA die Wahlen zu einem Drittel der Sitze im Senat und allen im Repräsentantenhaus sowie vielerorts auf lokaler und staatlicher Ebene statt. Am Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump kontrollierte die Republikanische Partei sowohl Repräsentantenhaus als auch den Senat. Die oppositionelle Demokratische Partei wollte darauf mit einer „blauen Welle“ (Blau ist die Farbe der Demokratischen Partei; d. Red.) bei den „Mid Term elections“, den Wahlen bei Halbzeit der Präsidentschaftsperiode, antworten, um beide Kammern zurückzugewinnen. Das würde ihnen effektiv ermöglichen, Gesetzes- und Personalvorschläge aus dem Weißen Haus zu blockieren.

Viele Linksliberale, ReformistInnen und ZentristInnen unterstützten diesen Anspruch und sahen die Demokratische Partei entweder als das „kleinere Übel“ oder sogar als progressive Alternative. Obgleich sie das Repräsentantenhaus gewannen, verloren die DemokratInnen im Senat an Boden und machten kurz darauf völlig klar, wie wenig ihr Widerstand gegen Trumps rassistische, frauenfeindliche, anti-LGBTQ- und arbeiterInnenfeinliche Agenda bedeutete, indem sie eine parteiübergreifende Zusammenarbeit ankündigten. Die ganze Episode betont das doppelte zentrale Problem der US-Politik, dass die beiden großen Parteien nicht nur in der Politik, sondern in ihrem Charakter insgesamt gleichermaßen bürgerlich sind, als auch die Notwendigkeit, eine ArbeiterInnenpartei aufzubauen, die weit über die Wahlpolitik hinausgeht.

Ergebnisse und demokratische Defizite

Nach der öffentlichen Empörung über den Kongress, der den Kandidaten für den Obersten Gerichtshof Brett Michael Kavanaugh bestätigte, der mit mehreren Anschuldigungen wegen sexueller Gewalt konfrontiert war, hoffte die Demokratische Partei, genug von den 35 umstrittenen Sitzen im Senat zu gewinnen, um dies in Zukunft verhindern zu können. Es sollte erwähnt werden, dass ein demokratischer Senator, Joe Manchin III. von West Virginia, dafür gestimmt hat, Kavanaugh zu bestätigen, und eher den Anspruch seiner Partei, eine Art Bollwerk gegen Frauenfeinde zu sein, die an die Macht kommen, diskreditiert. Jedoch verloren die DemokratInnen bei den Wahlen 3 Sitze und gewannen nur einen; der blaue Anteil im Senat verringerte sich.

Sie waren jedoch erfolgreich dabei, das Repräsentantenhaus zu erobern, von einer Minderheit mit 193:235 Sitzen zu einer Mehrheit mit 231:198 Sitzen, wobei 7 Sitze aufgrund von Nachzählungen noch nicht entschieden waren.

Kein Kommentar zu den Wahlen in den USA kann abgegeben werden, ohne Licht auf die verschiedenen undemokratischen Maßnahmen zu werfen, die ergriffen wurden, um zu verhindern, dass eine große Zahl von WählerInnen unterdrückter Minderheiten und der ArbeiterInnen ihre Stimme abgibt. Die Registrierung von WählerInnen, die Gesetze über den Lichtbildausweis, die Gesetze über die Straßenanschrift (überproportional zum Ausschluss indigener WählerInnen führend), die Schließung von Wahllokalen in schwarzen und mehrheitlich ArbeiterInnenbezirken sowie der Ausschluss von ImmigrantInnen, Gefangenen und Ex-Häftlingen legen nahe, dass die gezählten Stimmen überwiegend von weißen und wirtschaftlich gut situierten WählerInnen stammen.

Darüber hinaus verzerren das Wahlsystem, das die Sitze auf der Grundlage von Mehrheiten in den Bezirken und nicht im Verhältnis zur gesamten Bevölkerungszahl zuweist, und das Prinzip der 2 SenatorInnen pro Bundesstaat, unabhängig von dessen Bevölkerungszahl, die tatsächlichen Ergebnisse. Sie bedienen das Zweiparteiensystem der Vereinigten Staaten, in dem beide Parteien traditionell Parteien der herrschenden Klasse sind. Dies wiederum macht es AmtsträgerInnen (Abgeordneten) äußerst schwer, in den gesetzgebenden Organen Macht zu erlangen.

Eine Verschiebung nach links

Insgesamt erhielten die Demokratinnen in beiden Entscheidungen die Mehrheit der Stimmen. Unter den demokratischen KandidatInnen gewannen mehrere BewerberInnen, die deutlich links von der nationalen Fraktion lagen, Vorwahlen und Wahlen in den Bundesstaaten, insbesondere Alexandra Ocasio-Cortez aus New York City. Abgesehen von den immensen demokratischen Defiziten kann man sagen, dass die Wahlen 2018 eine bescheidene Verschiebung der US-Wählerschaft nach links darstellen.

Die Ergebnisse veranschaulichen die Krise der Führung, die die Trump-Administration über die herrschende Klasse und die Republikanische Partei gebracht hat. Ideologisch gesehen wird sie von chauvinistischen, rassistischen, frauenfeindlichen und anti-LGBTQ-Stimmungen zusammengehalten. Noch wichtiger ist, dass Trump versucht, seine WählerInnen an sich selbst zu binden, indem er behauptet, durch den Willen des Volkes und nicht durch die etablierten demokratischen Institutionen, einschließlich der Republikanischen Partei selbst, zu regieren. Er macht den traditionellen Anspruch bonapartistischer PolitikerInnen geltend, ohne in der Lage zu sein, ihre üblichen Versprechen zu erfüllen, was ihn in eine unangenehme Lage der Instabilität bringt und die repressive Staatspolitik zur Sicherung seiner Macht eskaliert. Dies ist nicht nur für jede progressive Agenda sehr gefährlich, sondern auch für die Millionen, die für ihn gestimmt haben, nicht sehr attraktiv. Es überrascht nicht, dass viele Trump-WählerInnen bei diesen Wahlen einfach nicht ihre Stimme abgegeben haben. Die DemokratInnen ernteten einen Teil der Gewinne aus dieser Instabilität.

Diese Verschiebung wird jedoch durch mehrere wichtige Faktoren begrenzt. Erstens liegt, wie in jedem kapitalistischen Regime, die wahre Macht nicht in Abstimmungen. Wirtschaftliche Entscheidungen werden in der Unternehmenszentrale von Menschen getroffen, deren Macht in ihrem Eigentum an den Produktionsmitteln liegt, oder von ExpertInnen in Regierungsstellen, die weit entfernt von jeder öffentlichen Abstimmung sind. Die Repressionsmacht wird nicht nur von den Streitkräften, sondern auch von der stark militarisierten Polizei und den Geheimdiensten getragen, und die Justizmacht wird von einer kleinen und undurchsichtigen Elite von RichterInnen ausgeübt, wie der Fall Kavanaugh deutlich gezeigt hat.

Das sind die Gremien, die die KapitalistInnen mobilisieren werden, wenn die ArbeiterInnenklasse versucht, die Macht zu übernehmen. Es wäre naiv und falsch zu glauben, dass eine Wahlplattform einen effektiven Widerstand gegen diese Kräfte leisten könnte. Die wahre Macht liegt in den Fabriken, Stadtteilen und auf den Straßen, wo die ArbeiterInnen den Klassenkampf organisieren müssen.

Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass es in den Vereinigten Staaten keine bedeutungsvolle Wahlrepräsentation der ArbeiterInnenklasse gibt, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, in denen sozialdemokratische und neoreformistische „kommunistische“ Parteien dieses Erbe vertreten. Obwohl diese oft bis ins Mark verrottet sind, bedeuten ihre historischen und immer noch bestehenden Bindungen an die Klasse und ihre Organisationen, dass die ArbeiterInnen mobilisiert werden können, um sie zu bewegen. Dies gilt nicht für die Demokratische Partei, eine traditionelle Partei der herrschenden Klasse, deren Beziehungen zu Gewerkschaften und unterdrückten Minderheiten eher taktisch als organisch sind.

Das sind die wirklichen Grenzen für jeden Linksruck bei den US-Wahlen, aber selbst innerhalb dieser Grenzen war der Schritt nach links moderat.

Die unerhört schwache demokratische Plattform

Ein Grund, warum die Demokratische Partei nicht mehr tun konnte, als nur von der instabilen politischen und wirtschaftlichen Situation zu profitieren, war die peinliche Schwäche ihrer Wahlplattform, selbst gemessen an den Standards bürgerlicher Parteien. Sie unterstützten nur widerwillig und halbherzig jede Ausweitung der staatlich unterstützten Gesundheitsversorgung, eines der Grundbedürfnisse der amerikanischen ArbeiterInnenklasse, nach langen Kämpfen innerhalb der Partei. Statt eine starke Haltung gegen den ekelhaften und unverhohlenen Rassismus der Regierung einzunehmen, versuchten sie, einen Mittelweg zu finden, der nur als Rassismus mit einem menschlicheren Gesicht bezeichnet werden konnte. Anstatt eine Wirtschaftspolitik vorzuschlagen, um die massive Umverteilung des Reichtums zugunsten der Reichsten im Steuerplan von Trump umzukehren, schwiegen sie völlig zum Thema wirtschaftliche Gerechtigkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie absolut nicht in der Lage waren, ArbeiterInnenklasse-WählerInnen in Schlüsselstaaten zurückzugewinnen, die zuvor ihre Illusionen in die Demokratische Partei verloren hatten, weil ihr Lebensstandard unter einem demokratischen Präsidenten zurückging.

Mitten in einem Aufschwung von Gewerkschaftsaktivitäten, Streiks und Organisation von Kampagnen sagten sie zu diesen Kämpfen kaum etwas und zogen es vor, ihre Loyalität zu den Chefs aufrechtzuerhalten. Selbst angesichts einer drohenden Klimakatastrophe war die Partei nicht in der Lage, sich für Umweltfragen zu engagieren, die eines der Kernthemen in diesem Land sind, über die Kritik an Trumps Rückzug aus den Pariser Abkommen hinaus. Und angesichts der empörenden frauenfeindlichen und anti-LGBTQ-Rhetorik und -Politik war ihre Antwort die Forderung nach „Höflichkeit“, nicht nach echtem Widerstand.

Grenzen des bürgerlichen Elektoralismus

Die bürgerliche Demokratie ist die Form, in der die KapitalistInnen in den meisten kapitalistischen Ländern regieren. Während der Bevölkerung im Namen des Volkes das aktive und passive Wahlrecht gewährt wird, bleibt die wahre Macht in den Händen der Reichen: Die Streitkräfte und das Oberste Gericht, die Geheimpolizei und die ManagerInnen an der Spitze der Regierungsbehörden unterliegen nicht der Stimmabgabe durch das Volk. Und auf jeden Fall endet die Demokratie an der Tür zum Arbeitsplatz: Die ArbeiterInnen haben kein Mitspracherecht darüber, wie sie arbeiten, was sie produzieren und was mit dem Produkt geschieht.

Es gibt jedoch verschiedene Formen der Beteiligung der ArbeiterInnen an Machtstrukturen oder aber ihrem Ausschluss davon. Es wäre töricht zu argumentieren, dass diese nicht wichtig sind, nur weil die Macht letztendlich bei den Chefs bleibt. In den Vereinigten Staaten ist dieser demokratische Schleier im Vergleich zu anderen kapitalistischen Demokratien besonders dünn. Während EinwanderInnen in fast allen Nationalstaaten von den Wahlen ausgeschlossen sind, eine rassistische Politik an und für sich, ist das Ausmaß des Wählerausschlusses, der Manipulation und der Schließung von Wahllokalen in den Vereinigten Staaten empörend, selbst für den/die konservativste/n BeobachterIn von außen. Millionen von ArbeiterInnen, insbesondere die rassisch Unterdrückten, werden systematisch daran gehindert, ihre Stimme abzugeben. Darüber hinaus stellen Manipulation, das Wahlkollegium und das Wahlsystem für den Kongress sicher, dass es nicht die Volksmehrheit ist, die Entscheidungen trifft.

Numerisch gesehen haben die DemokratInnen nicht nur die Parlaments- und Kongress-, sondern auch die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Während die Partei selbst mit der rassistischen und antidemokratischen Situation relativ zufrieden zu sein scheint, wirft dies ein Licht darauf, wie wenig Substanz hinter dem Anspruch steht, die „größte und fortschrittlichste Demokratie der Welt“ zu sein. Das enthält auch wichtige Lehren für alle AktivistInnen, die durch Wahlen Veränderungen herbeiführen wollen: Nicht nur, dass Polizei und Geheimdienste ihre Loyalität gegenüber der herrschenden Klasse nicht nur wegen einer Abstimmung aufgeben werden, es ist auch fast unmöglich, durch einen Wahlkampf eine Machtposition in den Vereinigten Staaten zu erlangen.

ArbeiterInnenpartei

Die Instabilität des Trump-Regimes und die zunehmenden Widersprüche innerhalb der regierenden Republikanischen Partei sind keine Überraschung für MarxistInnen, die bei seiner Wahl eine Analyse ihres Programms und ihrer sozialen Basis lieferten. Sie bieten jedoch die Möglichkeit, ernsthaften Widerstand gegen die reaktionäre Reorganisation großer Teile der US-Politik und des dortigen Lebens zu leisten.

Die Demokratische Partei ist nicht nur nicht in der Lage, eine Alternative für die ArbeiterInnenklasse zu schaffen, sie scheint sogar nicht einmal fähig zu sein, eine Alternative für ihre eigenen Bürokratinnen und ihre liberal-kapitalistische soziale Basis zu bieten. Es nützt nichts, wenn sich RevolutionärInnen, SozialistInnen oder, offen gesagt, jede halbfortschrittliche Person, die etwas in diesem Land ändern will, auf diese Partei verlassen. Stattdessen ist ein sauberer Bruch mit dieser durch und durch bürgerlichen Partei und ihrer arbeiterInnenfeindlichen Politik längst überfällig.

Der ungebrochene Anstieg der Mitgliederzahlen für selbsternannte sozialistische Gruppen wie die Demokratischen SozialistInnen von Amerika, DSA, zeigt, dass es eine bedeutende Minderheit von neuen AktivistInnen gibt, die bereit sind, sich außerhalb der bürgerlichen Politik zu organisieren. Es gibt noch viel mehr, die überzeugt werden könnten von der vergeblichen Politik, die Demokratische Partei nach links oder die Grünen nach ebenfalls links und aus der Bedeutungslosigkeit herauszuziehen.

Allerdings muss die DSA nicht nur mit ihrer Unterstützung für DemokratInnen wie Sanders brechen und ihre eigenen AnhängerInnen von demokratischen Tickets abziehen, sondern auch mit ihrem reformistischen Erbe und stattdessen ein Programm aufstellen, das Bestand haben kann, auch wenn die KapitalistInnen alles gegen sie mobilisieren: ein revolutionäres Programm zum Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei.

Dies ist in erster Linie die Aufgabe der Mitglieder, ihr Versprechen einer radikalen und sozialistischen Politik zu erfüllen, anstatt eine weitere Generation von AktivistInnen zuerst in die Politik der Demokratischen Partei und dann in die Resignation zu treiben. Sie müssen den opportunistischen Kurs der Führung bekämpfen und eine ehrliche programmatische Debatte anstelle der leeren „Große Zelt“-Rhetorik führen, die nur die kommende Konfrontation verzögert.




Österreich: Was kommt nach Donnerstag? Zur Perspektive der Bewegung gegen Schwarz-Blau

Flugblatt des Arbeiter*innenstandpunkt, Österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1031, 24. November 2018

Seit Anfang Oktober ist wieder Donnerstag und das ist gut! Denn in den vergangenen Wochen sind mehrmals viele tausend Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die neoliberale und rassistische Politik der Regierung zu protestieren. Viele Menschen, junge und alte, wollen die Unverschämtheiten der Rechtskonservativen nicht mehr länger hinnehmen. Sie wollen sich dagegen wehren und die Neuauflage der prominenten Donnerstagsdemos bietet dafür einen guten Anlass.

Unser Protest richtet sich nicht nur gegen diesen oder jenen schwarz-blauen Angriff. Solange FPÖ und ÖVP im Amt sind, werden sie unseren erarbeiteten Reichtum nach oben umverteilen, gegen sozial Schwache hetzen und unsere demokratischen Rechte beschneiden. Diese Regierung muss weg! Doch wir alle wissen: Wöchentliche Demonstrationen sind schön und gut, aber sie werden die Regierung nicht ohne Weiteres aufhalten. Noch dazu hat unser Protest bisher nicht die Schlagkraft, die die Donnerstagsdemonstrationen Anfang 2000 ursprünglich besaßen. Kurz und Strache sind vermutlich überzeugt, dass sie unseren Protest einfach aussitzen können, dass sich unsere Bewegung einfach totlaufen wird. Und sie werden Recht behalten, wenn wir nicht weiter denken als an den nächsten Donnerstag. Wir müssen klüger sein als sie – wir brauchen eine politische Strategie!

So traurig es ist, ÖVP und FPÖ können sich immer noch auf eine beträchtliche Unterstützung in der Bevölkerung stützen. Warum? Es ist nun 10 Jahre her, dass der globale Kapitalismus seine größte Systemkrise seit den 1930er Jahren erlebt hat, doch die Auswirkungen der Krise sind trotz der jüngsten Erholungsphase keineswegs überwunden. International hat sich das politische Klima deutlich nach rechts verschoben. Die Rechten versprechen Stabilität und Ordnung in einer instabil gewordenen Welt. Tatsächlich begünstigen sie nur die Reichen und Besitzenden auf Kosten der einfachen, arbeitenden Bevölkerung. Diese Regierung ist eine der KapitalistInnen, nicht der ArbeiterInnen!

Die Unterstützung für Schwarz-Blau wird sich jedenfalls nicht von selbst mit der Zeit ändern und wenn doch, dann nur deswegen, weil diese Parteien schon viel zu viel Schaden angerichtet haben werden. Es wäre natürlich verantwortungslos, einen solchen Zeitpunkt abzuwarten! Deshalb müssen wir ganz klar aufzeigen, wie die herrschende Politik den Mächtigen dient und wie wir ihre Pläne vereiteln. Dafür braucht es gemeinsame politische Forderungen und eine politische Organisierung, mit der wir die Spontaneität der Bewegung in einen ausdauernden und schlagkräftigen Widerstand verwandeln!

  • Bewegung braucht Organisierung! Für den Aufbau von Aktionskomitees gegen Schwarz-Blau in Stadtteilen, an Schulen, Unis und in Betrieben!
  • Für eine gemeinsame Strategie des Widerstands! Organisieren wir eine Widerstandskonferenz, auf der wir uns auf Forderungen, Kampagnen und Aktionsformen für eine gemeinsame Front gegen die Regierung verständigen!
  • Schwarz-Blau muss weg! Demonstrationen sind nicht genug – kämpfen wir in den Gewerkschaften für eine politische Streikbewegung!
  • Das Problem hinter Schwarz-Blau heißt Kapitalismus! Für eine neue, revolutionäre Partei der arbeitenden Klasse!



SPD und Hartz IV: Krise als Dauerzustand

Tobi Hansen, Infomail 1030, 16. November 2018

Am Ende des „Debatten-Camps“ der SPD vom 10/11. November hüpfte Vorsitzende Andrea Nahles mit anderen um die Wette. So viel „positive“ Energie hatten wir zuletzt selten von der Partei- und Fraktionschefin gesehen. Zuletzt schien mit den Umfragewerten auch der Selbsterhaltungstrieb in den Keller gegangen zu sein. Das Festhalten an der Großen Koalition ruinierte die letzten Wahlchancen, die ritualhafte Beschwörung der „Sacharbeit“ bildete die makabere Begleitmusik zum Siechtum der Partei.

Nach den Landtagswahlen von Bayern und Hessen wurden die Rücktrittsforderungen gegenüber Nahles wie auch dem gesamten Vorstand zahlreicher und lauter. Die „Linke“ mahnte einen Sonderparteitag Anfang 2019 an, um sich sowohl personell wie inhaltlich neu aufzustellen. Wiederholt wurde die Forderung nach dem Ausstieg aus der Großen Koalition (GroKo) erhoben, z. B. durch den Landesverband Schleswig-Holstein. Die „Progressive Soziale Plattform“ um den Abgeordneten Marco Bülow und das „Forum Demokratische Linke 21“ (DL 21) um die Abgeordnete Hilde Mattheis wollen eine Urwahl eines neuen Parteivorstandes, inklusive der/des Vorsitzende/n. Dafür würde sich auch Juso- Vorsitzender Kühnert begeistern, während er weiter Nahles politisch stützt. Kühnert bleibt medial das „Gesicht“ der innerparteilichen Opposition. Dass ihn der bayrische Fraktionschef Horst Arnold als neuen Vorsitzenden vorschlug, erhöhte den Druck auf den angeschlagenen Parteivorstand und die Regierungsmitglieder.

Linksschwenk als Rettung?

Als großen Durchbruch feierten Nahles und Klingbeil beim Debatten-Camp die Diskussionen um Hartz IV und Grundeinkommen. In der bürgerlichen Presse machte Nahles mit dem Satz „Wir werden Hartz IV hinter uns lassen“ Schlagzeilen.

Dies ist gerade für die SPD-Linke ein wichtiges Thema der programmatischen „Erneuerung“, die seit den Auseinandersetzungen um die GroKo versprochen wurde. Zentrale Themen des „Camps“ bildeten die Neuausrichtung des Sozialstaates, die „Vereinbarkeit“ von Umwelt und Wirtschaft wie auch die Perspektive der EU.

Bei der Zukunft der EU wurde deutlich, wie wenig „Linksschwenk“ von der SPD zu erwarten ist. Schon bei der Eröffnung der Veranstaltung machte Nahles „Europa“ zum Schwerpunkt. Sie verlor aber kein Wort zur Austeritätspolitik, zur Massenarbeitslosigkeit in Südeuropa oder zu irgendeiner sozialen Perspektive für die Beschäftigten des Euro-Raumes. Stattdessen wurde im Gleichklang mit Merkel, von der Leyen und Macron der Aufbau einer EU-Armee angepriesen. Diese letzte „große“ Idee der Vertiefung des Bündnisses von deutschem und französischem Imperialismus wird dann auch von der SPD mit den gesteigerten „Unsicherheiten“ der globalen Politik begründet. Inwieweit dabei ein weiterer Militärblock „hilft“, bleibt im Ungefähren, aber diesen „Bruch“ mit NATO und US- Imperialismus kann man zumindest noch als „europäisches Projekt“ verkaufen.

Mit der verordneten Aufbruchstimmung, netten Bildern und bis zu 3000 freiwilligen BesucherInnen des Debatten-Camps versucht sich der SPD-Vorstand ins nächste Jahr zu retten. Der nächste Parteitag soll erst Ende 2019 stattfinden. Um vor allem die internen KritikerInnen ruhigzustellen, sollen die Fragen des Sozialstaates vermehrt, wenn auch ohne Folgen für die Regierungspolitik diskutiert werden. Seit der Einführung von Hartz IV, den „Agendareformen“ hat die SPD nicht nur die Hälfte ihrer Mitglieder verloren, sondern auch ihre Wahlergebnisse halbiert – ein halbherziger, rhetorischer Linksschwenk des Vorstandes soll dieser Entwicklung wohl entgegenwirken.

Sanktionen und Grundsicherung

Die Formulierung von Nahles ist nicht neu. Selbst Arbeitsminister Heil kam schon auf die Idee, dass man „Hartz IV überwinden“ müsse, mindestens einen neuen Namen dafür bräuchte, da dies sonst auf ewig der SPD anhängen würde. Damit reagieren Teile der Führung auch ganz pragmatisch auf Urteile von Sozialgerichten. Diese stellten 14 Jahre nach der Einführung fest, dass die umfangreichen Sanktionen des Hartz-IV-Regimes verfassungswidrig seien und die BRD eine „sanktionsfreie“ Mindestsicherung anbieten müsse. Schließlich führten die Sanktionen bzw. die damit einhergehende soziale Repression dazu, dass sämtliche Geldmittel gestrichen werden können – bis hin zur einer möglichen Obdachlosigkeit der „KlientInnen“. Genau in dieser Frage ergingen die ersten Urteile zugunsten von Menschen, die von Sanktionen betroffen sind. Der Entzug der Wohnung durch den „Sozialstaat“ stünde diesem nämlich nicht zu; dementsprechend seien auch die Sanktionen, die dazu führten, insgesamt „unzulässig“.

So könnten die „Agenda-Reformen“ bzw. deren Weiterführung/Umbenennung eines der entscheidenden Themen der nächsten Zeit werden wie auch für mögliche nächste Bundestagswahlen. Manche SPD-Mitglieder hofften sicher seit dem Debatten-Camp, dass z. B. die Hartz-IV-Sanktionen und das System irgendwie verschwinden und die Partei möglicherweise durch den zuständigen Minister Heil wie auch durch Nahles den „Sozialstaat“ zu Gunsten derjenigen reformieren würde, die ihn brauchen. Ganz praktisch haben Kühnert und der „Parteilinke“ Stegner ihre Ideen zu einer Grundsicherung von sich gegeben, damit können manche Hoffnungen auch gleich begraben werden. Während Kühnert noch spaßige Anreize aus der Freizeitbranche/Industrie der Grundsicherung als Bonbon zusetzen möchte (vielleicht ein Fitness- Programm, Kinogutscheine oder eine Flatrate zur „digitalen Anbindung“), äußerte sich Stegner in der Manier eines Franz Müntefering. In der aktuellen Diskussion hatte Grünen-Chef Habeck ein sanktionsfreies Grundeinkommen in Aussicht gestellt. Stegner konterte dies mit: „Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten“ (Spiegel online 14.11.18).

Dies erklärt zum einen, warum die SPD derzeit in den Meinungsumfragen um die Plätze 3 und 4 kämpft und diejenigen, die Hoffnungen in einen Linksschwenk hegen, dies ganz sicher nicht diesem Personal überlassen dürfen.

Wen Hartz IV hinter sich gelassen hat

Stegner schließt mit solchen Formulierungen an Müntefering, Clement, Schröder an, welche eine Massenverarmung organisiert und Millionen in Existenznot, Verzweiflung, Isolation und Dauerarmut getrieben haben. Diejenigen, die „etwas“ hatten, wurden jahrelang geschröpft, mussten ihre Ersparnisse auflösen, bevor sie eine sanktionsreiche Mindestsicherung überhaupt in Anspruch nehmen konnten. Auch dies gehörte immer zu den Milliardenüberschüssen der ARGE: eine Enteignung des Einkommens der Massen. Millionen Alleinerziehende wurden systematisch existenziell schikaniert. Kindergeld wurde mit dem Hartz-IV-Satz „verrechnet“ – von einem Staat, dem die Ernährung eines Kindes am Tag weniger wert ist als die eines Polizeihundes! Nachgewiesen ist auch, dass MigrantInnen besonders oft zu Unrecht drangsaliert wurden.

Wir können nur ahnen, wie viele Menschen dieses System in den Selbstmord bzw. in mögliche „Vorstufen“ sozio-psychischen Elends getrieben hat, inklusive Suchtkrankheiten.

Gearbeitet wurde unter dem Hartz-System für einen Euro pro Stunde, als Ersatz für viele Stunden Arbeit im öffentlichen Dienst – der 1-Euro-Job war Sinnbild des neoliberalen Umbaus unter Schröder/Fischer. Er diente später bei der Austeritätspolitik in Europa als Blaupause für Kürzungen im Sozialbereich.

Stegners Forderung „Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten“ wäre auch ein interessanter Ansatz für die Kaste der bürgerlichen PolitikerInnen inklusive ihrer Techno- und BürokratInnen, AdjutantInnen, ClaqueurInnen und MitesserInnen, welche allesamt von den Steuereinnahmen durchgefüttert werden. Fast könnte man meinen, das wäre doch mal ein Thema für die „Linke“ – sei es als Partei oder als „radikales“ Spektrum.

Die Zeiten, in denen Erwerbslose gut organisiert waren, gab es ohnedies selten. Die letzte Massenbewegung gegen Hartz IV haben freilich die Führungen der DGB-Gewerkschaften verraten. Eine aktive Politik für Erwerbslose machten sie weder damals noch heute. Ebenso wenig stellen sie sich Hartz IV entgegen. So bleiben vielerorts nur Initiativen übrig, die entweder im rechtlichen oder sozialen Bereich Beratung/Unterstützung organisieren, quasi Selbsthilfegruppen der Deklassierten, da die Gewerkschaften selbst diese Aufgabe nicht übernehmen. Die andere Seite der Organisierung umfasst dann die AktivistInnen für den utopischen Traum eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dort finden sich die Linkspartei in Person von Katja Kipping oder in der Neuauflage dann bei den Grünen und Teilen der SPD-Linken wieder, aber ein Kampf der ArbeiterInnenbewegung gegen Hartz IV findet nicht statt.

Wie weiter?

Der Kampf für die sofortige Abschaffung von Hartz IV (wie auch der anderen Hartz- und Agenda-Gesetze müsste mit dem um einen Mindestlohn von 12,50 netto/Stunde für alle, für ein Mindesteinkommen von 1600,- Euro/Monat für alle Erwerbslosen und RentnerInnen und eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich verbunden werden. Dies wären reale Schritte zur Bekämpfung der Armut.

Für diese Forderungen müsste eine SPD-Linke innerhalb wie außerhalb der Partei eintreten. Dafür sollten sich die Gewerkschaften, die Linkspartei und die „radikale Linke“ stark machen.

Ein Aktionsbündnis um diese Forderungen würde einen realen Bruch mit der Agendapolitik darstellen – und könnte zugleich die Regierung wie die SPD-Rechten und BefürworterInnen der GroKo in die Defensive bringen. Die Frage, wie sehr die „soziale“ Neuausrichtung der SPD nur Gelaber zum Hinhalten der Parteilinken und der Basis bleibt oder einen realen Gehalt erhält, ist vor allem eine praktische. Der Kampf gegen das Hartz-IV-System, für ein Mindesteinkommen und einen Mindestlohn, die zum Leben reichen, muss jetzt aufgenommen werden – und zwar in den Betrieben, in Bündnissen, auf der Straße und gegen die Große Koalition!




Selbstbestimmungsrecht für Kanaky! Nieder mit dem französischen Imperialismus!

Marc Lassalle, Infomail 1030, 16. November 2018

Am 4. November stimmten in Kanaky 174.154 WählerInnen von 268.000 EinwohnerInnen über die Frage ab: „Willst du, dass Nouvelle Calédonie (Neukaledonien) volle Souveränität erhält und unabhängig wird?“

Kanaky, bekannt unter dem Namen „Neukaledonien“, den James Cook mehreren Inseln (die größte heißt Grande Terre, Großes Gebiet) im Südpazifik gegeben hat, liegt weit vor der Ostküste Australiens und 16.000 km von Frankreich entfernt.

Das 1853 von Frankreich besetzte Land gehört noch immer zum französischen Staat und wird seit 1986 von der UNO als nicht-autonomes Land zur Dekolonisierung aufgeführt. Von 1863 bis 1931 war es eine Strafkolonie, in der Louise Michel und andere KommunardInnen jahrelang festgehalten wurden. Die Geschichte der Kolonisation dieser kleinen Inseln ist tragisch: 1878, 1917 und erneut 1984–1988 wurden die Unabhängigkeitsaufstände auf Kanaky blutig unterdrückt. Wie an vielen anderen Orten nahm die französische Besatzung einen völkermörderischen Charakter an: Von 1887 bis 1901 sank die Population der Insel von 45.000 auf 27.000.

Die französische Strategie bestand immer darin, die KanakInnen zu unterdrücken und durch KolonistInnen zu ersetzen, zuerst die „Bagnards“, also die deportierten ZuchthäuslerInnen, dann die algerischen politischen Gefangenen und später Harkis, die AlgerierInnen, die sich im Krieg auf die Seite der FranzösInnen gestellt haben. 1972 schrieb der damalige französische Premierminister Pierre Messmer: „Die französische Präsenz in Kaledonien kann nur durch eine nationalistische Forderung der indigenen Bevölkerung bedroht werden. Die massive Zuwanderung von FranzösInnen aus der Metropole sollte diese Gefahr vermeiden, indem sie das zahlenmäßige Verhältnis der Gemeinden aufrechterhält und verbessert.“ Noch heute verspricht der französische Staat eine Verdoppelung der Löhne, um rund 6.700 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, hauptsächlich LehrerInnen, aus Frankreich anzuziehen.

Diese jahrhundertelange Unterdrückung führte dazu, dass im Referendum 2018 die indigenen WählerInnen eine Minderheit waren und nur etwa 40 Prozent der Stimmberechtigten darstellten. Tatsächlich war die Frage „Wer hat das Wahlrecht?“ von entscheidender Bedeutung. Die Hauptgewerkschaft USTKE, Union Syndicale des Travailleurs Kanak et des exploités (gewerkschaftliche Vereinigung der Kanak-ArbeiterInnenschaft und der Ausgebeuteten), forderte eine „Nichtbeteiligung“ zusammen mit ihrer eng verbundenen Parti Travailliste (ArbeiterInnenpartei) und verurteilte das Referendum als manipuliert. Auf der anderen Seite forderte die wichtigste Unabhängigkeitspartei, FLNKS, Front de Libération Nationale Kanak et socialiste (Kanakische Nationale und Sozialistische Befreiungsfront) ein Ja.

Das Referendum hatte eine lange Anlaufzeit. Es wurde erstmals 1988 im Matignon-Oudinot-Abkommen versprochen, das nach den blutigen Eingriffen der französischen Polizei 1985 zustande kam, bei dem die Unabhängigkeitsführer Éloi Machoro und Marcel Nonnaro getötet worden waren. 1988 wurden 19 AktivistInnen bei dem Angriff auf die Höhle von Ouvéa ermordet. Dieses Abkommen, das vom französischen Staat und von der FLNKS unterzeichnet wurde, schien ein Teilzugeständnis an die Forderungen von Kanakis zu sein, indem es einen Termin für ein Referendum über die Unabhängigkeit, das Jahr 1998, festlegte.

In diesem Jahr fand jedoch kein Referendum statt, sondern das „Nouméa-Abkommen“ gewährte eine gewisse Autonomie und ein Element von Repräsentation der Kanakis. Sie bekamen etwa 20 VertreterInnen in den lokalen Versammlungen und erhielten einige Rechte an der Nickelgewinnung. Die Nickelbergwerke machen bis zu 30 Prozent der Weltreserven und 10 Prozent der Weltproduktion dieses Metalls aus, das in Spezialstählen und anderen Legierungen weit verbreitet ist. Nach diesen Vereinbarungen erhielt die FLNKS die Kontrolle über einen wichtigen Teil der Nickelindustrie, der bis zu 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Insel ausmacht.

Diese Zugeständnisse haben jedoch an der sozialen Situation der lokalen Bevölkerung nicht wesentlich verändert. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 11-mal höher ist als auf den Vanuatu-Inseln, einer weiteren französischen Ex-Kolonie im Südpazifik, sind die Ungleichheiten nach wie vor sehr groß. Die Armutsquote ist 2,5-fach höher als in Frankreich, und die Diskriminierung von KanakInnen ist allgegenwärtig. Viele leben in Elendsquartieren, und 99 Prozent der lokalen GefängnisinsassInnen stammen aus der indigenen Jugend.

Die Konzentration der Marktwirtschaft in den Händen von einem Dutzend wohlhabender Familien, die Oligopole, die den Import von Waren kontrollieren, die Verbindungen zwischen Politik und Wirtschaft, all das ist das reaktionäre Erbe der kolonialen Vergangenheit, das die KanakInnen in den gleichen Ketten hält wie bisher. Einer ihrer Vertreter brachte es so auf den Punkt: „Vieles hat sich in den letzten 30 Jahren verändert, aber das Kapital blieb auf der gleichen Seite“. Selbst ein hoher französischer Verwaltungsbeamter stimmt zu: „In Wirklichkeit hat es nach dem Abkommen von Nouméa eine Konsolidierung der kolonialen Situation zum Vorteil der Nicht-KanakInnen gegeben.“

Vor diesem Hintergrund ist es einfacher, das Spiel des französischen Imperialismus zu verstehen. Während er formal einen friedlichen Übergang organisiert, hat er dafür gesorgt, dass die wahre Macht in den Händen der SiedlerInnen bleibt. Er zwang die KanakInnen, in ihrem eigenen Land eine Minderheit zu sein, und organisierte das Scheitern der Forderung nach Unabhängigkeit bzw. sorgte im schlimmsten Fall dafür, dass die Kontrolle über das Land in die Hände der KolonistInnen fiel.

Die Ergebnisse der Abstimmung vom 4. November widersprachen jedoch teilweise diesen Erwartungen. Während die KolonistInnen einen großen Sieg, 70 oder 80 Prozent für Nein, erwarteten und damit die Selbstbestimmung für immer ausschlossen, gewann das Nein tatsächlich mit mageren 56,7 gegen 43,3 %. Die KanakInnen stimmten massiv für Ja, und selbst in Nouméa, der reichen und weißen Hauptstadt, war der Stimmenanteil für die Unabhängigkeit so hoch wie nie zuvor.

Da das Nouméa-Abkommen in den Jahren 2020 und 2022 zwei weitere Referenden vorsah, erscheint die Unabhängigkeit von Kanaky eine reale Perspektive der kommenden Jahre. Nach 170 Jahren Kolonialherrschaft wäre dies ein Sieg für den Kampf um Selbstbestimmung sein. Darüber hinaus könnte es die Unabhängigkeitsbewegungen in den anderen französischen Kolonien wie Französisch-Polynesien, Französisch-Guayana, Guadeloupe, Martinique und der Île de la Réunion stärken. In vielen dieser Gebiete waren soziale Unruhen und Bewegungen in den letzten Jahren sehr stark, insbesondere gegen Lebenshaltungskosten und Arbeitslosigkeit.

Wie in den USTKE-Forderungen teilweise anerkannt, wird die Unabhängigkeit jedoch die Herrschaftsketten nicht durchbrechen, wenn sie nicht mit einer sozialen Revolution einhergeht, so dass KanakInnen und der Rest der ausgebeuteten Bevölkerung, von denen 30 Prozent aus Wallis (Uvea) und Futuna (zwei zwischen Fidschi und Samoa gelegenen Inselgruppen) sowie aus asiatischen Ländern stammen, auch die Kontrolle über die reale Wirtschaftsmacht übernehmen. Die beste Strategie, um Unabhängigkeit zu erlangen, besteht darin, demokratische mit sozialen Forderungen zu Arbeitsplätzen, Wohnraum, Bodenkontrolle, Import-/Exportgeschäft und lokaler Produktion zu verbinden und mit anderen sozialen Gruppen und Gemeinschaften eine breite Front zu schaffen, die sie unterstützt.

Es ist die Pflicht französischer RevolutionärInnen, die Verbrechen der ImperialistInnen zu verurteilen und ihren Brüdern und Schwestern in den Kolonien auf alle möglichen Arten zu helfen, sich zu befreien.




Sri Lanka: Präsident löst das Parlament auf

Peter Main, Infomail 1029, 14. November

Am späten Freitagnachmittag, dem 9. November, gab Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena von der Sri Lanka Freedom Party (SLFP; Freiheitspartei Sri Lanka) bekannt, dass er das Parlament des Landes auflösen und im Januar Neuwahlen durchführen lassen würde. Obwohl er es nicht für notwendig hielt, sein Handeln zu erklären, ist der Grund dafür nicht schwer zu finden. Zwei Wochen zuvor hatte Sirisena, der bei den Wahlen 2015 gegen Mahinda Rajapaksa, den damaligen Führer der SLFP, an die Macht kam und mit Ranil Wickremesinghe von der UNP (Vereinigte Nationalpartei) eine Regierung bildete, Wickremesinghe kurzerhand entlassen und Rajapaksa zum Premierminister ernannt.

Innerhalb weniger Stunden hatten die Anhänger von Rajapaksa die Fernsehsender gestürmt und die Kontrolle über diese übernommen. Regionalregierungen, welche von seiner Partei, der Sri Lanka People’s Front (SLPP; Volksfront Sri Lanka), dominiert werden, sagten der neuen Regierung Unterstützung zu. Doch solche Taktiken funktionierten nicht überall. Als die SLPP-AnhängerInnen versuchten, am Sonntag dem 28. Oktober, den Erdölminister am Eintritt in sein Büro zu hindern, eröffneten seine Wachen das Feuer und verwundeten drei, von denen zwei später starben.

Wickremesinghe stellte selbstverständlich die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Präsidenten in Frage und wies darauf hin, dass ein Premierminister im Amt bleibt, solange er die Unterstützung einer Mehrheit des Parlaments genieße. Sirisena war sich nicht sicher, ob Rajapaksa im Gegenzug beweisen konnte, dass er eine solche Mehrheit besitzt, und so suspendierte er – gleichzeitig mit der Entlassung des Premierministers – auch das Parlament bis zum 16. November. Zweifellos kalkulierte er damit, dass Rajapaksa und seine AnhängerInnen, zu denen auch die klerikalen FaschistInnen von Bodu Bala Sena (BBS; Buddhistische Streitmacht) gehören, mit ihrer Kontrolle über die Medien, gepaart mit Einschüchterungen und Bestechungen, den Weg zur Unterstützung des Parlaments bis dahin finden könnten.

Der verfassungsmäßig von der Regierung unabhängige Parlamentspräsident seinerseits forderte Sirisena auf, das Parlament wieder einzuberufen, damit es entscheiden kann, wer Premierminister werden soll. In einem Schreiben an die diplomatischen VertreterInnen bezeichnete er auch die Handlungen von Sirisena als verfassungswidrig. Sirisena schien dann nachzugeben, indem er eine kürzere Aussetzung des Parlaments bis zum 5. November vorschlug, diese aber später wieder zurückzog und erneut den 14. November vorschlug.

Unterdessen besetzte Wickremesinghe, der darauf bestand, dass er der rechtmäßige Premierminister blieb, die offizielle Residenz und mobilisierte seine AnhängerInnen, um in der Hauptstadt Colombo zu demonstrieren und alle Versuche, ihn zu entfernen, zu blockieren.

Rajapaksa seinerseits begann, ein Kabinett zu bilden, das eindeutig darauf abzielte, DeserteurInnen aus der UNP durch das Angebot von Ministerposten und Gehältern anzuziehen. Dies gelang mit 5 UNP-Abgeordneten, die Geschäftsbereiche akzeptierten, aber andere lehnten das Angebot ab und veröffentlichten die Bestechungsgelder, die ihnen angeboten wurden.

Rivalität

Parlamentarische Arithmetik und die Fähigkeit, AnhängerInnen zu mobilisieren, sind nicht die einzigen Faktoren in diesem Konflikt zwischen den wichtigsten bürgerlichen Parteien. Sri Lanka steht im Zentrum der Rivalität zwischen China und den USA, wobei letztere von Indien unterstützt wird, das die Insel als Teil seines „Interessenbereichs“ betrachtet. Tatsächlich wurde Rajapaksa erst 2015 durch die Intervention der „westlichen“ Mächte besiegt, die dafür sorgten, dass sich ihm nur ein Kandidat entgegenstellte – Maithripala Sirisena, sein ehemaliger Verbündeter! Es gibt keine Ehre unter Dieben!

Es ist daher von großer Bedeutung, dass der chinesische Botschafter Cheng Xueyuan zu den ersten gehörte, die dem neuen Premierminister zu seinem Amtsantritt gratulierten, während die BotschafterInnen aus den USA, Großbritannien und Indien zunächst eine Einladung von Sirisena ablehnten und stattdessen an einem von Wickremesinghe nach seiner Entlassung einberufenen Treffen teilnahmen.

Angesichts der Unbeliebtheit der Regierung Wickremesinghe, die die versprochenen großen Reformen nicht umgesetzt, Anschuldigungen gegen Mitglieder der früheren Regierung von Mahinda Rajapaksa nicht nachgegangen ist und eine sich ständig verschlechternde Wirtschaftslage zu verantworten hat, gibt es keinen Grund, warum sich die breite Masse der Bevölkerung zu seiner Verteidigung zusammenschließen sollte.

Seit Anfang des Jahres hat die Rupie 11 Prozent ihres Wertes verloren, so dass Importe, insbesondere Öl, immer teurer werden. Gemäß den Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat sich die Koalition der „Good Governance“ (guter Regierungsstil) auch auf Pläne zur Privatisierung sowohl im Bildungs-, als auch im Gesundheitssektor geeinigt, die jedoch auf starken Widerstand stießen. In den letzten Monaten gab es auch große Streiks bei der Eisenbahn und zwei Tage vor der Entlassung des Premierministers einen Generalstreik, in der Landessprache Hartal genannt, auf den Plantagen. Die schreckliche Situation der ArbeiterInnen dort wird in ihrer Forderung nach einer 100-prozentigen Erhöhung der Löhne zusammengefasst – was ihnen immer noch weniger als 6 Euro pro Tag einbringen würde!

Die Auflösung des Parlaments durch Sirisena wird zweifellos vor Gericht angefochten werden. Aber unabhängig vom Ausgang darf Opposition zur undemokratischen Einsetzung einer Rajapaksa-Regierung nicht mit Verteidigung von Wickremesinghe verwechselt werden. Wie die aktuelle Situation zeigt, war die von der UNP geführte Regierung schwach und intern gespalten, abhängig von der Unterstützung durch Tamil National Alliance (Tamilischer Nationalbund) sowie der LSSP (Partei für soziale Gleichheit Sri Lankas) und der CP (Kommunistische Partei).

Rajapaksa stellt eine stärker konsolidierte rechte Kraft dar, zu der nun nicht nur DeserteurInnen aus der UNP, sondern auch außerparlamentarische Kräfte wie die klerikalen FaschistInnen gehören, die bereit sind, gegen den Widerstand der ArbeiterInnenklasse gegen das unvermeidliche Sparprogramm eingesetzt zu werden. Die ArbeiterInnenorganisationen sollten nicht danebenstehen und zusehen, wie eine solche Truppe die Regierungsgewalt übernimmt.

In dieser Situation haben die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen Sri Lankas, ob im privaten oder öffentlichen Sektor, ob in den Städten, auf dem Land oder in den Plantagen, ob Singhalesinnen, Tamilinnen oder Musliminnen, ein gemeinsames Interesse daran, den Putsch zu verhindern. Es geht nicht um die Verteidigung von Wickremesinghe, sondern um die der beschränkten demokratischen Rechte des Parlaments. Wer regiert, sollte nicht dem parteipolitischen Kampf der herrschenden Cliquen, geschweige denn den rivalisierenden ImperialistInnen überlassen werden.

Die Gewerkschaften und diejenigen Parteien, die sich bekennen, die Interessen der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen zu vertreten, sollten ihre Mitglieder und AnhängerInnen auf die Straße mobilisieren und demokratische Ausschüsse auf lokaler Ebene bilden, um nicht nur Demonstrationen, sondern auch Streiks bis hin zu einem unbefristeten Generalstreik zu organisieren. Dieser muss jede neue Regierung dazu zwingen, im Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung mit dem Sparprogramm des IWF zu brechen.

Diese jüngste politische Krise ist letztlich ein weiterer Beweis dafür, dass keine Partei, die sich für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus einsetzt, ein halbkoloniales Land wie Sri Lanka voranbringen kann. Solange Regierungen nicht nur die Anforderungen der internationalen Institutionen wie des IWF, sondern auch die Ausbeutung der Ressourcen des Landes durch internationale Unternehmen akzeptieren, unabhängig davon, ob sie ihren Sitz in den USA, der EU, China oder Japan haben, müssen sie Maßnahmen wie Privatisierung und Kürzungen bei den Sozialleistungen durchsetzen.

Was wir brauchen, ist eine ArbeiterInnenpartei, die sich der Aufgabe widmet, eine Regierung auf der Grundlage der eigenen Organisationen der ArbeiterInnen zu bilden und den Kapitalismus durch ein Programm der Verstaatlichung der wichtigsten Wirtschaftssektoren unter der Kontrolle der ArbeiterInnen selbst zu stürzen. Nur so kann die wirtschaftliche Entwicklung im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung geplant werden. Alle solchen Schritte würden zweifellos durch den bestehenden Staatsapparat und seine Repressionskräfte in Gestalt der Polizei und des Militärs angegriffen werden, weshalb von Anfang an eine ArbeiterInnenpartei als revolutionäre Partei aufgebaut werden muss.




Buchtipp: „… und unsere Fahn‘ ist rot

Michael Eff, Infomail 1029, 14. November 2018

Na endlich! Nach fast 40 Jahren ist die politische Autobiografie von Oskar Hippe: „…und unsere Fahn` ist rot“ neu aufgelegt worden. Dem Manifest-Verlag sei ausdrücklich gratuliert und für dieses verlegerische und politische Geschenk gedankt.

Worum geht es? Im Klappentext der Erstausgabe aus dem Jahre 1979 heißt es dazu:

„Diese Erinnerungen eines revolutionären Arbeiters sind ein Dokument der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Die mehr als sechs Jahrzehnte politischer Aktivität dieses Kommunisten aus dem ,roten’ mitteldeutschen Industrierevier umspannen die Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der sechziger Jahre. Die Herausbildung des Spartakusbundes und der KPD; ihr Kampf um die Macht in der Periode 1918–1923; die Stalinisierung der KPD und der Kampf der linksoppositionellen Kräfte dagegen; die Machtergreifung der Nationalsozialisten, Illegalität, und Verhaftung; Neubeginn organisierter politischer Tätigkeit nach 1945; Verhaftung durch die sowjetische Militärverwaltung, acht Jahre Zuchthaus und Arbeitslager in der DDR; fraktionelle Arbeit auf dem linken Flügel der SPD in den Jahren des Kalten Krieges; Wiederbelebung einer sozialistischen Linken in den sechziger Jahren … Oskar Hippe, Jahrgang 1900 verbindet in diesen Erinnerungen die Erfahrungen eines Aktivisten an der Basis mit der kritischen Verarbeitung entscheidender Perioden der jüngeren deutschen Vergangenheit.“

Noch im April 1916, in chauvinistischer Hurra-Stimmung, als er mit dem Zug in Berlin ankommt, trägt er eine schwarz-weiß-rot gestreifte Krawatte als Ausdruck seiner „nationalen“ Gesinnung. Seine ältere Schwester nimmt ihm diese Krawatte ab und wirft sie ungehalten auf die Schienen. Am 1. Mai 1916 nimmt er an der berühmten Anti-Kriegsdemonstration auf dem Potsdamer Platz teil, auf der Karl Liebknecht sprach. Im Oktober 1916 tritt er dem Spartakusbund bei. Später wird Mitglied der Reichsleitung der trotzkistischen „Linken Opposition“ – ein Revolutionär der ersten Stunde, der seiner Gesinnung bis zu seiner letzten Stunde treu blieb.

Er schildert die Kämpfe und Niederlagen (vor allem diese) aus der Sicht eines Teilnehmers „von unten“, ohne dabei den Blick für das Ganze zu verlieren und ohne auf den analytischen Zugriff zu verzichten. Was in mir persönlich immer am meisten Bewunderung hervorrief – ich kannte ihn bis zu seinem Tode –, war seine ungebrochene Menschlichkeit. Zweimalige Verhaftung und Folter durch die Nazis, seiner Frau Gertrude wurden zwei Rückenwirbel „kaputt geschlagen“ , acht Jahre Haft in Bautzen in der DDR und die Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung konnten ihn nicht brechen und machten ihn auch nicht zu einem „verbitterten Alten“.

 

Zwei, drei kritische Anmerkungen zur Neuauflage seien aber gestattet.

Erstens hätte man das „Geleitwort“ von Hans Querengaesser für die erste Ausgabe durchaus wieder aufnehmen können. Es ist nach fast 40 Jahren selbst ein historisches Dokument und durchaus lesenswert.

Zweitens hatte die Erstausgabe ein sehr nützliches Personenregister. Warum hat man jetzt darauf verzichtet? Zu aufwendig?

Drittens aber, und wichtiger: Es ist nicht ganz klar, warum sich das Vorwort von Steve Hollasky und Lucy Redler in den historischen Ausführungen weitgehend auf die Novemberrevolution beschränkt. Jubiläumsbedingt?? Das wäre eine sehr dünne Begründung. Wenn man schon in einem Vorwort Ausführungen zu historischen Abläufen macht, worauf hier m. E. durchaus hätte verzichtet werden können, denn Oskar Hippes Text wäre auch so verständlich, dann erscheint eine Beschränkung auf die Novemberrevolution fragwürdig. Die Ereignisse 1923, der Kampf gegen die Stalinisierung der KPD, aber auch die Zeit nach1945 nehmen in Oskars politischer Biografie durchaus breiten Raum ein. Oder gibt es für die Beschränkung politische Gründe, weil man dann z. B. auch Ausführungen zur Taktik des Entrismus für die Zeit nach 1945 hätte machen müssen?

Sei’s drum! Ich freue mich ungemein, dass die Autobiographie eines Genossen, der mich in meiner politischen Jugend beeindruckt und beeinflusst hat, wieder greifbar ist (Oskar unterstützte die „Kommunistische Jugendorganisation Spartacus“). Die Neuauflage dieser politischen Autobiografie eines revolutionären Arbeiters bleibt ohne Wenn und Aber verdienstvoll. Und Oskars Schlussbemerkung behält ihre Gültigkeit: „Ich glaube, dass dieses Buch auch heute, wo eine kritische Jugend dabei ist, die Oktoberrevolution zu studieren und kritisch zu untersuchen, was nach ihr kam, dazu beitragen kann, den Klärungsprozess im Sinne des wahren Marxismus und Leninismus weiterzuführen. Sollte das der Fall sein, so war meine Arbeit nicht umsonst.“

 

Bibliografische Angaben:

Oskar Hippe, …und unsere Fahn` ist rot, Manifest Verlag, Berlin 2018, 264 Seiten, Preis 12,90 Euro, ISBN 978-3-96156-061-5




Pakistan: PTI-Regierung kapituliert vor reaktionärem Druck

Markus Lehner, Infomail 1029, 10. November 2018

Ende Oktober kam Pakistan nach mehrtägigen Mobilisierungen, Demonstrationen und Straßenblockaden durch islamistische Kräfte unter der Führung von Tehreek-e-Labbaik Pakistan (Hier-bin-ich-Bewegung, TLP) fast zum Erliegen. Eine Entscheidung des Obersten pakistanischen Gerichtshofs hatte diese Erzreaktionäre in Rage gebracht.

Am 31. Oktober sprachen die RichterInnen Asia Bibi frei, eine christliche Frau, die im November 2010 wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilt worden war. Nach Jahren der Gerichtsverfahren und Inhaftierung stellte der Gerichtshof fest, dass die Beweise für die Schwere der Anschuldigung nicht ausreichend seien, es gebe „keinen Beweis über begründeten Zweifel hinaus“ („no proof beyond a reasonable doubt“). Auch jetzt, nachdem sie freigesprochen wurde, bleibt sie in „Schutzhaft“, denn obwohl ihr Leben offensichtlich in Gefahr ist, will die Regierung ihr nicht erlauben, das Land zu verlassen.

Offensichtlich war Asia Bibi nie schuldig. Was der Fall unterstreicht, ist der reaktionäre Charakter der Gesetze wegen Gotteslästerung, der extremen IslamistInnen im Land sowie dessen patriarchalische Kultur. Asia Bibi ist eine fünffache Mutter, die zur christlichen Minderheit in der Provinz Punjab (Pandschab) gehört. Im Juni 2009 hatte sie einen Streit mit zwei muslimischen MitarbeiterInnen, als sie auf einem Feld arbeitete. Die beiden weigerten sich, Wasser mit ihr zu teilen, weil sie Christin war. Die MitarbeiterInnen beschuldigten sie später, den Propheten Mohammed in diesem Streit verflucht zu haben. Dies führte am Ende zum Todesurteil nach dem Gesetz gegen Gotteslästerung.

Der Fall wurde zu einem zentralen politischen Thema, da er immer wieder von islamistischen ExtremistInnen als Vorwand für Mobilisierungen benutzt wurde. Im Jahr 2011 wurde der ehemalige Gouverneur von Punjab, Salman Taseer, der sich für die Unterstützung von Asia Bibi aussprach, am helllichten Tag in Islamabad niedergeschossen. Der Mörder wurde als eine Art religiöser Held gefeiert und seine Verfolgung durch die Gerichte von heftigen Protesten begleitet.

Das gesamte Gerichtsverfahren gegen Bibi war voller Verstöße gegen gängige Rechtsstandards. Die Behandlung ihrer Rechtssache durch mehrere Gerichte beruhte nicht nur auf mangelnden und dünnen „Beweisen“, sondern wurde auch durch ständige Einschüchterung und Belästigung von RichterInnen und AnwältInnen, nachweisbare Einseitigkeit und Vorurteile von RichterInnen und Öffentlichkeit gegenüber den VerteidigerInnen sowie durch zahlreiche Verstöße gegen die Verfahrensregeln gekennzeichnet. Der Oberste Gerichtshof hat daher die Vollstreckung im Jahr 2015 gestoppt und eine Berufung gegen die Verurteilung zugelassen. Sein Urteil vom Oktober entsprach dem, was von einem Berufungsgericht unter solchen Umständen zu erwarten war: Er stellte fest, dass die Indizien für die Schwere der Anschuldigung nicht ausreichend waren, d. h. es gab „keinen Beweis über begründeten Zweifel hinaus“, und ordnete die sofortige Freilassung an, „wenn es keine anderen Anschuldigungen gibt“.

Reaktionärer Ausbruch

Die Entscheidung des Gerichts führte zu einer stürmischen Mobilisierung des Straßenterrors durch islamistische ExtremistInnen. Am 13. Oktober drohte Tehreek-e-Labbaik damit, „das Land innerhalb weniger Stunden zu lähmen, wenn der Oberste Gerichtshof Asia Bibi frei lässt“.

Die sofortige und heftige Reaktion der IslamistInnen traf die neue Regierung von Imran Khan hart und überraschend. Dies ist besonders ironisch, da Khan und seine Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die nach den letzten islamistischen Mobilisierungen im November 2017 entstandene Unsicherheit kürzlich für ihren eigenen Vorteil im Machtspiel gegen die Pakistan Muslim League/Nawaz (PML-N) ausgenutzt hatten. Nun sieht sich die PML-N wiederum in einer Quasi-Allianz mit Teilen des islamistischen Spektrums gegenüber der neuen PTI-Regierung. Allein dies zeigt, wie die verschiedenen bürgerlichen Fraktionen bereit sind, die islamistische faschistische Karte zu spielen, solange sie denken, dass sie ihren kurzfristigen Interessen nützen könnte, während sie gleichzeitig die islamistischen Parteien auf lange Sicht offensichtlich stärken.

Nachdem die Nachricht von der möglichen Freilassung von Bibi veröffentlicht wurde, gingen Tausende auf die Straße und versuchten, Hauptstraßen und Eisenbahnen zu blockieren. Die Hassreden auf Social Media waren so zahlreich, dass z. B. Twitter mit der Abschaltung drohte. Die TLP drohte nicht nur, das Land zum Stillstand zu bringen, sondern forderte offen die Ermordung zumindest der wichtigsten RichterInnen des Obersten Gerichtshofs.

Darüber hinaus wurde offen gefordert, dass die „Kräfte in der Armee, die zum Islam stehen“, die Regierung stürzen und die Macht übernehmen sollten. Zu diesem Zeitpunkt schien es, als würde das Land auf eine entscheidende Konfrontation zusteuern.

Zunächst verteidigten die Regierung und die wichtigsten Oppositionsparteien, die PML-N und die Pakistanische Volkspartei (PPP) offiziell den Obersten Gerichtshof und verurteilten die Hassreden der IslamistInnen und die Gräueltaten während ihrer Proteste. Ein Teil der bürgerlichen Parteien schien ein Durchgreifen gegen die von der TLP geführte Bewegung zu befürworten. Während der großen Protestwelle, die am 30. Oktober begann, wurden mehrere führende Persönlichkeiten festgenommen und die Sicherheitskräfte begannen, die Demonstrationen anzugreifen.

Am 1. November wurde jedoch ein Abkommen zwischen der Regierung, vertreten durch den Minister für religiöse Angelegenheiten und den Innenminister von Punjab, und der TLP-Führung geschlossen, das die Proteste beendete. Die Regierung räumte ein, dass eine Berufung gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs möglich sei und dass Asia Bibi auf die Ausreisekontrollliste gesetzt werde, damit sie daran gehindert wird, das Land verlassen zu können. Die Regierung stimmte auch zu, alle während der Ereignisse festgenommenen DemonstrantInnen freizulassen. Die TLP hingegen stimmte nur zu, die Proteste einzustellen und sich zu entschuldigen, „wenn sie das Gefühl verletzt oder jemanden ohne Grund belästigt (hätte)“ (!). Der Informationsminister erklärte auch, dass diese Vereinbarung nicht bedeute, dass es keine zivilrechtlichen Verfolgungen, zum Beispiel bei Körperverletzungen, geben werde. Es liegt auf der Hand, dass die TLP-Partei nicht nur jeder Verfolgung entkommen ist, sondern ihre Position in der gesamten Angelegenheit gestärkt hat.

Diese Entwicklungen zeigen die Stärke jener erzreaktionären islamistischen Kräfte, die sich zu einer Form des klerikalen Faschismus entwickeln und vereinen. Diese so genannten „VerteidigerInnen des Islam“ können sich jedoch auf stillschweigende Unterstützung aus Teilen der herrschenden Klasse und der staatlichen Institutionen verlassen. Trotz der offenen Forderung nach der Ermordung hoher StaatsvertreterInnen und sogar nach dem Sturz der Regierung wurden sie am Ende mit einem Abkommen mit der Regierung belohnt, das sie ohne jede Verfolgung belässt. Dies zeigt offensichtlich die Gefahr, dass eine weitere politische und wirtschaftliche Krise in Pakistan die herrschenden Klassen Pakistans dazu veranlassen könnte, diese islamistischen Kräfte für eine viel brutalere Form der „Lösung“ einzusetzen, wenn sie mit dem Widerstand der Bevölkerung und der ArbeiterInnenklasse gegen die vom IWF geforderten Kürzungen und Privatisierungen oder die Rückzahlung chinesischer Kredite konfrontiert sein werden.

Ohne direkt an die Macht zu kommen, können die reaktionären islamistischen Kräfte bereits genutzt werden, um die Rolle der Armee und der Sicherheitskräfte in der politischen Arena zu stärken und es ihnen zu ermöglichen, die Maßnahmen zu ergreifen, die sie gegen die echte Opposition, die ArbeiterInnenklasse, die unterdrückten Nationalitäten, religiöse Minderheiten und Frauen ergreifen wollen.

Es war nicht nur die Bedrohung durch islamistische Mobilisierungen, die die Regierung dazu veranlasste, so schnell ein Abkommen abzuschließen. Sie führt auch wichtige Verhandlungen im wirtschaftlichen Bereich. Vor kurzem besuchte Premierminister Imran Khan China, um neue Kredite zu erhalten. Einige Tage später schickte der Internationale Währungsfonds eine Delegation nach Pakistan, um über ein Darlehen von 12 Milliarden US-Dollar zu verhandeln, das größte in der Geschichte des Landes. In dieser Situation hätten weitere Tage der Proteste oder ein mögliches Niederschlagen der Bewegung mit einer weiteren Destabilisierung und Schwächung der Regierung einhergehen können.

Die Unterdrückten können sich nur auf sich selbst verlassen.

Deshalb hat die Regierung dem reaktionären Mob auf den Straßen Zugeständnisse eingeräumt, ja vor ihm kapituliert. Imran Khan und seine von der PTI geführte Regierung haben, wie der Rest der bürgerlichen „Opposition“, gezeigt, dass ihr Engagement für „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“ ein leeres Wort ist. Sie brauchen die Unterstützung der Staatsgewalt, um ihre Agenda, genauer jene des chinesischen und westlichen Kapitals sowie der pakistanischen KapitalistInnen und GroßgrundbesitzerInnen durchzusetzen. Sie wollen nicht mehr „Ärger“ an der Heimatfront, auch wenn das bedeutet, die Freiheit und das Leben einer unschuldigen Frau zu opfern.

Niemand, der die demokratischen Rechte verteidigen will, sollte diesen Heuchlerinnen eine Sekunde lang vertrauen. Und auch niemand sollte den für Asia Bibi vergossenen Tränen der westlichen imperialistischen Regierungen und bürgerlichen PolitikerInnen vertrauen. Sie mögen ihre „Sorge“ um deren Notlage zum Ausdruck bringen, aber sie sorgen sich mehr darum, mit ihren Investitionen in Pakistan und anderen Ländern, in denen den Unterdrückten sogar grundlegende demokratische Rechte verweigert werden, Mega-Profite zu erzielen.

Der „Fall“ Asia Bibi offenbart aber den reaktionären Charakter der IslamistInnen, der pakistanischen Regierung und auch der bürgerlichen Parteien. Er ist eine weitere Warnung vor allen Illusionen in diese Kräfte durch ArbeiterInnen, Frauen, nationale und religiöse Minderheiten.

Es zeigt, dass die ArbeiterInnenklasse, die Unterdrückten, die Armen die einzigen gesellschaftlichen Kräfte sind, die einen konsequenten Kampf für demokratische Rechte, für die Rechte aller Religionen und nationalen Minderheiten, für Frauen und für ArbeiterInnen führen können. Alle ArbeiterInnen-, StudentInnen-, demokratischen, Frauen- und fortschrittlichen Organisationen sollten die Kapitulation der Regierung, der bürgerlichen und staatlichen Kräfte gegenüber den reaktionären IslamistInnen und faschistischen Gruppierungen verurteilen. Sie sollten fordern, dass der Freispruch von Asia Bibi aufrechterhalten wird und sie das Land verlassen darf, wenn dies ihr Wunsch ist. Sie sollten die Abschaffung des Gesetzes gegen Gotteslästerung fordern. Wie der Oberste Gerichtshof zeigte, wurde das Gesetz willkürlich eingesetzt, um GegnerInnen, Frauen oder religiöse Minderheiten auf der Grundlage schwammigster Anschuldigungen zum Tode zu verurteilen.

Gleichzeitig müssen sie sich der zunehmenden staatlichen Repression widersetzen, die in den letzten Monaten gegen Social Media-AktivistInnen, demokratische Kräfte und nationale Minderheiten ausgeübt wurde. Sie müssen auch alle Behauptungen der Regierung zurückweisen, dass solche Maßnahmen nur für den Einsatz gegen die IslamistInnen bestimmt sind. In Wirklichkeit wäre dies nur ein Vorwand, um den staatlichen Kräften noch mehr Repressionsmacht zu verleihen.

All dies weist auf die Notwendigkeit hin, dass sich die ArbeiterInnenklasse, die Unterdrückten und die demokratischen Bewegungen organisieren müssen, um sich gegen zunehmende staatliche Unterdrückung und faschistische Gewalt zu verteidigen. Wir fordern die ArbeiterInnen, die Landarmut und unterdrückten Nationalitäten und ihre Organisationen auf, eine gemeinsame Front des Kampfes zur Verteidigung der demokratischen Rechte aufzubauen und den Kampf gegen die nächste Runde politischer und sozialer Angriffe zu organisieren. Ein solcher Kampf kann somit den Weg für einen gemeinsamen Widerstand gegen imperialistische Ausplünderung und kapitalistische Ausbeutung und für eine sozialistische Revolution in Pakistan ebnen.




4 Tage „Ende Gelände“ – 4 Tage Widerstand gegen Braunkohleabbau

Martin Eickhoff, Infomail 1029, 9. November 2018

Nachdem ich im August zwei Wochen im Hambacher Forst gewesen war, beteiligte ich mich Ende Oktober am „Ende Gelände“-Camp, gemeinsam mit 7000 TeilnehmerInnen aus verschiedensten linken und/oder ökologischen Gruppen und Verbänden. Außerdem nahmen auch Menschen aus verschiedensten Ländern teil, die mit Shuttlebussen unter anderem aus der Slowakei, Spanien, Portugal oder Schweden angereist waren.

Bereits im Vorfeld wurde von der Medienlandschaft und der herrschenden Politik vor bösen „linksextremistischen GewalttäterInnen“ gewarnt. Um den Protest zu erschweren, musste das Camp aufgrund von behördlichen und politischen Schikanen 30 Kilometer von der Abbruchkante entfernt aufgebaut werden – wohl wissend, dass die Nahverkehrsanbindungen schlecht sind. So sollten die CampteilnehmerInnen bereits im Vorfeld mürbe gemacht werden.

Nachdem am Donnerstag, dem 25. Oktober, erstmal ein Kennenlernen und das persönliche Miteinander im Gespräch stand, ging es am Freitag drum, dass die unterschiedlichen „Aktionsfinger“ vorgestellt wurden, so dass sich jede/r individuell entscheiden konnte, an was für einer Art des politischen Protestes er/sie teilhaben möchte. Zusätzlich gab es juristische Schulungen sowie ein intensives Aktionstraining, bei dem gezielt für die Aktion des zivilen Ungehorsams am Samstag trainiert wurde.

Am Samstagmorgen, dem 27. Oktober, ging es sehr früh los. Glücklicherweise waren die BusfahrerInnen aus den anderen europäischen Ländern bereit, uns in die Nähe der Abbruchkante zu fahren und ließen sich nicht vom Staat einschüchtern. Trotz alledem wurden wir natürlich von einer Horde von Autos mit Blaulichtern verfolgt.

Schon wenige Kilometer vom gewünschten Zielort entfernt abgesetzt, und nachdem wir einige Minuten gelaufen waren, kreisten schon die ersten Polizeihubschrauber über uns und die erste Hundertschaft rückte an. Unsere Gruppe mit knapp 300 Menschen wurde eingekesselt und auch zwei Wasserwerfer standen parat. Auch VertreterInnen von RWE und dessen eigenem Sicherheitsdienst waren anwesend. Diese Securities waren bereits in der Vergangenheit mit Gewalttaten gegen Protestierende und eifriger Unterstützung durch die Polizei negativ aufgefallen. Während die Polizei den Kreis immer enger zog, wurden GenossInnen, die eine leerstehende Autobahn überquerten, mit Wasserwerfern beschossen – eine ziemlich unverschämte Sache angesichts von Außentemperaturen von knapp 6 Grad. Schon hier zeigte sich, wo die GewalttäterInnen an diesem Tag zu finden waren – sicher nicht bei den CampteilnehmerInnen.

Die Sitzblockade wurde nach und nach von der Polizei weggetragen, teilweise wurden TeilnehmerInnen mit Schlagstöcken verprügelt, über den nassen Boden geschleift oder deren Finger verdreht. Natürlich mussten wir auch hämische Kommentare wie: „Machen Sie doch etwas Sinnvolles am Samstag – schauen Sie doch Fußball oder machen Sie Party“ über uns ergehen lassen. Die uniformierte Gruppe kann sich offenbar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, denen nicht alles „scheißegal“ ist und die sich um die Zukunft der Menschen und deren natürlicher Lebensgrundlagen ernsthafte Gedanken und Sorgen machen.

Im Bus wurden wir den üblichen üblen Schikanen ausgesetzt, nachdem wir in insgesamt 6 Busse verfrachtet worden waren. In der ersten Stunde durfte niemand raus – auch nicht auf die Toilette. Danach wurden die meisten von uns in der Gefangenensammelstelle (Gesa) zur sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung nach Aachen transportiert, einige andere wurden nach Köln und Brühl in die Gesa gebracht. Dort ging das Zermürbungsspiel weiter. Stundenlang mussten wir in den stickigen Bussen sitzen, erst nach einer Intervention eines parlamentarischen Beobachters erhielten wir Wasser, durften kurz an die frische Luft und sogar auf die Toilette. Inzwischen war es 22:40 Uhr und wir wussten immer noch nicht, welche Straftat(en) uns eigentlich vorgeworfen wurde(n). Dies erfuhren wir erst danach, als uns ein herbeigerufener Anwalt erklärte, dass uns die Polizei Landesfriedensbruch vorwarf. Eine „schöne Scheiße“, dachte ich mir. Auch wenn wir nicht auf „umfriedetes Gebiet“ gegangen waren, so könnten sie den Vorwurf als Vorwand nutzen, uns länger als 12 Stunden dazubehalten.

Nachdem wir aus der Gesa wieder entlassen und abgeholt worden waren, war für uns klar, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und die Aktionen weiter unterstützen wollten. Einige von uns schlossen sich einer Gruppe an, die schon seit dem Vortag die Schienen der Kohlebaubahn und Bagger erfolgreich besetzt hatte. Schließlich beteiligten sich fast 1000 Menschen erfolgreich an dieser Besetzung. Insgesamt konnte RWE für mehr als 30 Stunden keine Braunkohle abbauen, so dass dies ein deutliches Signal an die EnergielobbyistInnen war.

Bei dieser Aktion war anscheinend auch die Polizei „überfordert“, da das Gelände sehr übersichtlich war. Vor allem aber lag es an der recht großen Zahl, dass diese Aktion länger durchgeführt werden konnte. Gegen Nachmittag beendeten wir diese schließlich und machten uns auf den Rückweg zum Camp.

Auch wenn die Aktionen letztlich „nur“ einen symbolischen Charakter haben und eine breite, in der ArbeiterInnenklasse verankerte Massenbewegung notwendig ist, um den Kohleausstieg zu erzwingen und das Energiesystem im Interesse der Mehrheit der Menschen und gemäß der Nachhaltigkeit umzubauen, so verdeutlichte die Solidarität unter den AktivistInnen, dass im Kampf um den Hambacher Forst auch eine Bewegung entsteht. Menschen unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Herkunft, Arbeitende, SchülerInnen, Studierende beteiligten sich an den Aktionen.

Gleichzeitig zeigten aber auch der Staatsapparat und die NRW-Landesregierung ihr wahres Gesicht, indem sie die Hetze gegen „Ende Gelände“ und die Umweltbewegung schürten und den legitimen Protest zu kriminalisieren versuchten. Wieder einmal forderten die Protestierenden den Rücktritt des NRW-Innenministers Reul, einen Stopp des Braunkohleabbaus. Entscheidend wird freilich sein, die Spaltungsversuche und das Aufhetzen der RWE-Beschäftigten (und andere Lohnabhängiger) zu verhindern. Auch daher ist die Forderung nach sofortiger und entschädigungsloser Enteignung aller Energiekonzerne unter ArbeiterInnenkontrolle von zentraler Bedeutung. Wer die Eigentumsfrage nicht stellt, wird auch die Kohle- und Klimafrage nicht lösen können.




Zimbabwe: Zanu-PF hält an der Macht fest

Jeremy Dewar, Infomail 1027, 30. Oktober 2018

Im August gelang es Emmerson Mnangagwa gerade genug Stimmen auf sich zu vereinigen, 50,8 Prozent, um die Präsidentschaftswahlen in Zimbabwe zu gewinnen und damit den Posten zu sichern, den er im November 2017 mit Gewalt beim Militärputsch errungen hatte, der Robert Mugabe verdrängte. Diese knappe Mehrheit bedeutet, dass der Kandidat der regierenden ZANU-PF (Zimbabwe African National Union-Patriotische Front) nicht mehr in der zweiten Runde gegen seinen Rivalen Nelson Chamisa von der oppositionellen „Movement for Democratic Change“ (MDC) antreten musste, der 44,3 Prozent gewann.

Oppositionsparteien gewannen Mehrheiten in fast allen städtischen Zentren, einschließlich der Hauptstadt Harare, und unter unterdrückten ethnischen Gruppen wie dem Volk der Ndebele. Sie entdeckten bald, was Mnangagwa, genannt „das Krokodil“, für sie bereithält, als die Polizei und andere staatliche Kräfte die Büros des MDC überfielen, seine AnführerInnen verhafteten, Kundgebungen nach den Wahlen physisch angriffen und mindestens sechs Menschen töteten.

Chamisa legte gegen das Ergebnis Berufung ein, verlor aber seinen Fall, wenn auch anscheinend ohne viele Beweise für einen tatsächlichen Wahlbetrug vorzubringen. Tatsächlich hat die ZANU-PF 144 der 210 angefochtenen Parlamentssitze gewonnen, was zeigt, dass sie immer noch über eine echte Wahlbasis verfügt.

Verschiedenen Ländern, darunter den USA, China und der EU entsandten WahlbeobachterInnen, die zwar über geringfügige Unregelmäßigkeiten bereichten, das Ergebnis aber nicht in Frage stellten. Die Ironie, dass Chinas eine Autorität in Wahlfragen sei, wird natürlich weder dem chinesischen Volk noch der Bevölkerung Zimbabwes entgangen sein, da Mnangagwa einige Tage vor seinem Putsch gegen Mugabe nach Peking geflogen ist, um die Zustimmung der chinesischen Regierung zu suchen.

Alternative zum Neoliberalismus?

Offensichtlich hat sich ein Teil von Mnangagwas Unterstützung aus seiner Rolle bei der Beseitigung eines gehassten Diktators ergeben. Ein Militärputsch mag es gewesen sein, aber er wurde auch von großen Feiern auf den Straßen begleitet.

Dieser Jubel hat sich jedoch seither in den Städten und auch in den Landesteilen weitgehend gelegt, in denen die Erinnerung an die Rolle des Krokodils als Sicherheitschef der ZANU-PF, der zwischen 1982 und 1987 das Völkermord-Massaker an über 20.000 Ndebele in Matabeleland beaufsichtigte, noch immer vorhanden ist. Aber in weiten Teilen des Landes, in denen zwei Drittel der Bevölkerung leben, verkörpert eine ZANU-PF unter neuer Leitung weiterhin den Geist des antikolonialen Widerstands.

Natürlich könnte diese Illusion nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Das „Volksmanifest“ von ZANU-PF lautet schönfärberisch:

„Wir befinden uns jetzt in einer neuen Befreiung unter der Leitung von ZANU-PF, wo der Schwerpunkt und die Sorge der neuen Regierung darin bestehen, das Land für Unternehmen zu öffnen, Korruption zu bekämpfen, Arbeitsplätze zu schaffen, den öffentlichen Sektor zu modernisieren und Investitionen zu fördern, die wirtschaftliche Eigenverantwortung wieder auf einen investorenfreundlichen Kurs auszurichten, der zu Wirtschaftswachstum und Beschäftigung führt.“

Löhne, Gewerkschafts- und demokratische Rechte, wichtige öffentliche Dienstleistungen und Steuervergünstigungen werden nun alle „neu ausgerichtet“ auf die Bedürfnisse ausländischer imperialistischer Investoren. Der einzige wirkliche Unterschied zur Mugabe-Ära besteht darin, dass Mnangagwa nun sowohl US-amerikanischen und britischen als auch chinesischen Investoren den Hof machen wird, um ein imperialistisches Lager gegen das andere auszuspielen. Theresa Mays Handelsreise durch das südliche Afrika im August unterstrich die Bereitschaft Großbritanniens, dieses Angebot anzunehmen.

Um den Weg für den bald zu erwartenden Wegfall der Wirtschaftssanktionen in Großbritannien zu ebnen, hat Mnangagwa versprochen, vertriebene weiße ehemalige Grundbesitzer zu entschädigen, den Verbleibenden 99-Jahres-Pachtverträge angeboten und sogar Anreize zur Rückkehr für diejenigen vorgeschlagen, die nach Sambia und anderswo ausgewandert sind. Kein Wunder, dass die Rede des Krokodils im Januar im Alpenort Davos ein Hit wurde, als er als erster zimbabwischer Präsident zum Weltwirtschaftsforum eingeladen wurde.

Es ist Zeit, sich vom MDC zu lösen

Ein weiterer Faktor für den Sieg von ZANU-PF liegt jedoch darin, dass das, was die Opposition anbot, wenig besser und in vielerlei Hinsicht sogar viel schlechter war. Das Manifest der MDC versprach eine „Agrarreform“, indem es einen freien Markt für Ackerland öffnete. Dies konnte nur dazu führen, dass der Landhunger und die Monopolisierung des Landes zunehmen, indem umverteiltes Land an ihre (weißen) ehemaligen Besitzer zurückgeht.

Die MDC ging sogar noch weiter als ZANU-PF, indem sie ausländischen Investoren „geschäftserleichternde“ Reformen anbot. Darüber hinaus wurde sie auch durch ihre jahrelange loyale Verabschiedung von Gesetzen gegen die ArbeiterInnenklasse belastet, als sie 2009 – 2013 Juniorpartnerin von Mugabe war.

Die MDC begann zwar als ArbeiterInnenpartei, die 1999 von der Gewerkschaftsbürokratie gegründet wurde. Deswegen wird sie weiterhin massenhaft von großen Teilen der Lohnabhängigen unterstützt. Ihr erster Vorsitzender Morgan Tsvangirai war Generalsekretär des Zimbabwischen Gewerkschaftsbundes (ZCTU).

Trotz ihrer Ursprünge hat die MDC jedoch von Anfang an Unterstützung vom westlichen Imperialismus und von weißen LandbesitzerInnen erhalten und sogar zugesagt, das Strukturanpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds (IWF) vollständig umzusetzen. Das weiße kapitalistische Agrargeschäft kam schnell, um viele der Hebel innerhalb der Partei zu kontrollieren, und in diesem Jahr stand die MDC im Bündnis mit sechs kleineren kapitalistischen Parteien. Anstatt eine neue Partei zu fordern, hat die ZCTU-Führung jedoch opportunistisch und prinzipienlos das MDC-geführte Bündnis weiterhin unterstützt.

Neue ArbeiterInnenpartei

Was wir brauchen, ist eine neue ArbeiterInnenpartei. Die Gewerkschaftsbewegung Zimbabwes, die in den letzten Jahren Niederlagen und Rückschritte erlitten hat, ist immer noch eine mit einer stolzen Bilanz von Militanz.

Aber die Basis der Gewerkschaften muss sich in einem Bündnis mit den städtischen und ländlichen Armen aus der Kontrolle der etablierten Gewerkschaftsführung befreien. Sie können damit beginnen, indem sie Widerstand gegen das Vorgehen und die Offensive der UnternehmerInnen organisieren, die sicherlich nach den Wahlen stattfinden wird. Sie können lokale und nationale Konferenzen einberufen, um die Lehren aus dem Scheitern und Verrat der MDC zu diskutieren, und Schritte zur Gründung einer neuen Partei unternehmen, unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und mit einem revolutionären antikapitalistischen und antikolonialen Programm.

Diese neue Partei sollte sich auch in internationaler Solidarität engagieren und nach Verbindungen zu ähnlichen Aktionen insbesondere im benachbarten Südafrika suchen. Das Ziel einer neuen Partei sollte es sein, den Kampf um die nationale Unabhängigkeit so weit wie möglich zu beenden, indem sie für eine Sozialistische Föderation Afrikas als Teil einer sozialistischen Welt kämpft.