WS Real Estate KG und Co. enteignen! Bezahlbarer Wohnraum für alle!

Flugblatt von ArbeiterInnenmacht/Stuttgart, Infomail 1049, 2. April 2019

Die
aktuelle Misere auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit rasant steigenden Mieten
ist das Resultat des stetigen Abbaus sozialer Förderprogramme bei
gleichzeitiger Privatisierung. Bundesweit wurde 1990 die
Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft, die Wohnungsbauförderung 2001
faktisch beendet und 2006 die Zuständigkeit dafür an die Bundesländer
delegiert.

Allein
zwischen 1995 und 2010 wurden mehr als 1 Million öffentlicher Wohnungen privatisiert.
Auch heute noch fallen jedes Jahr durchschnittlich 130.000 günstige
Mietwohnungen weg.

Die
ImmobilienspekulantInnen wie „WS Real Estate KG“, welche die EigentümerInnen
des vor kurzem geräumten Hauses in der Forststraße 140 sind, oder auch die Vonovia
SE aus Bochum, einer der bundesweit größten Immobilienkonzerne, machen
Rekordgewinne – auf unsere Kosten.

Die
Zahl der Wohnungslosen hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre von 200.000 auf
1,2 Millionen versechsfacht. Der Grund hierfür sind die in den letzten Jahren
extrem gestiegenen Mieten. So 
haben sie sich z. B. in München die Mieten um 50 % erhöht. Im
Schnitt kostet der Quadratmeter 17 Euro! Für Stuttgart kann man von ähnlichen
Zahlen ausgehen, so kostet hier der Quadratmeter im Schnitt etwa 12,69 Euro
(Stand: Ende März 2019).

Das
bedeutet eine Verdrängung von Gering- und NormalverdienerInnen in die
Vorstädte, ein allmähliches Absterben der städtischen Vielfalt und Kultur. Die
Filetgrundstücke luxussanierter Wohnungen teilen InvestorInnen, Hedgefonds und
Immobilienverwaltungen untereinander auf, um sie einer kleinen,
finanzkräftigeren Klientel als den bisherigen BewohnerInnen anzubieten.

Bürgerliche
Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative
Auswüchse“, also nicht gegen das private Grundeigentum. Unions-Parteien, FDP
und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch
mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit
leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die wie die sog. Mietpreisbremse noch
zusätzlich verwässert werden.

Symptome oder Ursachen bekämpfen?

Der
Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der Kampf der MieterInnen
muss daher als Klassenkampf geführt werden. Hausbesetzungen, welche den
Leerstand aufzeigen, können dabei ein Mittel gegen Wohnungs- und
Mietspekulation sein. Allerdings stoßen sie rasch an ihre Grenzen, wenn diese
Kämpfe isoliert von der Klasse stattfinden.

Daher ist es wichtig, die Gewerkschaften und andere Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen, in diesen Kampf einzubinden. Wir können uns nicht mit der Besetzung und Beschlagnahme vorhandenen Wohnraums sowie einer Mietpreisbremse begnügen, sondern schlagen auch ein Programm öffentlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen vor, wo die Beschäftigten zu Tariflöhnen bezahlt und die aus Unternehmerprofiten finanziert werden:

  • Der Staat soll selbst sozialen Wohnungsbau betreiben, nicht das private Wohnungskapital subventionieren! Die Immobilienwirtschaft und WohnungsbauspekulantInnen müssen entschädigungslos enteignet werden
  • Kommunalisierung des Grund und Bodens! Baubetrieb in kommunale Hand für Neubau und Altbausanierung!
  • Bezahlung des Wohnbaus und von Sanierungen im Interesse der MieterInnen durch das beschlagnahmte Vermögen des Wohnungs- und Baukapitals und eine progressive Besteuerung der Profite!
  • Kontrolle der Wohnungsbaugesellschaften, Verwaltungen und der Mietpreise durch die MieterInnen, deren VertreterInnen und MieterInnengemeinschaften, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen!



Rajoy verliert die Wahlen in Katalonien – es wird Zeit, ihn zu stürzen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 23. Dezember 2017, Infomail 980, 25. Dezember 2017

Die Wahlen in Katalonien haben – entgegen dem riskanten Vorhaben des spanischen Ministerpräsidenten – die politische Blockade nicht zu seinen Gunsten gebrochen. Tatsächlich ist seine Taktik gescheitert, seine Position sogar geschwächt. Sie haben jedoch auch nicht die Stellung der drei katalanischen nationalistischen Parteien, die am 27. Oktober die Unabhängigkeit erklärt haben, strategisch gestärkt.

Diese Parteien, Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien, kurz JuntsxCat, vormals PDeCat = Partit Demòcrata Europeu Català = Katalanische Europäische Demokratische Partei), die Republikanische Linke Kataloniens (Esquerra Republicana de Catalunya; ERC) und die Candidatura d’Unitat Popular (CUP, deutsch: Kandidatur der Volkseinheit) haben eine Mehrheit im Regionalparlament verteidigt, auch wenn sie zwei Sitze verloren haben. Wieder einmal haben jedoch die abgegebenen Stimmen keine Mehrheit der WählerInnen für die Unabhängigkeit aufgewiesen: der Stimmenanteil dieser drei Parteien betrug nur 47,2 Prozent. Die größte Partei im katalanischen Parlament ist die neoliberale Anti-Unabhängigkeitspartei Ciudadanos (deutsch: StaatsbürgerInnen) unter der Führung von Inés Arrimadas. Sie gewann 1,06 Millionen Stimmen, das sind 25,4 Prozent der WählerInnen.

Abfuhr für Rajoy

Nichtsdestotrotz stellen diese Ergebnisse eine scharfe Abfuhr an Mariano Rajoy und seinen „konstitutionellen“ Staatsstreich gegen die Autonomie der Provinz und ihre gewählte Regierung dar. Berücksichtigt man die 312.000 Stimmen, 7,4 Prozent und 8 Sitze von Catalunya en Comú (CatComu; deutsch: Katalonien Für Alle), so hat eine klare Mehrheit Rajoy und seinen Staatsstreich abgelehnt. Dies wurde durch die Tatsache unterstrichen, dass seine Volkspartei in Katalonien (Partido Popular de Cataluña, PPC; deutsch: Katalanische Volkspartei) unter der Führung von Xavier García Albiol sieben ihrer elf Sitze und etwa die Hälfte ihrer Stimmen verloren hat.

Solange Rajoy in Madrid den Zugriff auf die Macht behält, kann er dank der beschämenden Unterstützung, die er im Parlament von der spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) erfährt, weiter sein Gewicht in die Waagschale werfen und auf staatliche Unterdrückung zurückgreifen. Einige der neu gewählten Abgeordneten befinden sich derzeit im Gefängnis oder „Exil“ und können daher nicht für eine separatistische Regierung stimmen. Obwohl sie ihre Sitze zugunsten von KandidatInnen, die auf den Parteienlisten weiter unten stehen, aufgeben könnten, ist es wahrscheinlich, dass die Regierung und die Justiz von Madrid sich weigern würden, eine solche Regierung anzuerkennen, und den Artikel 155 beibehalten oder wieder anwenden wollen.

Als Zeichen dieser Absichten hat ein Richter des Obersten Gerichtshofs, Pablo Llarena Conde, am Tag nach der Wahl die Anklagepunkte der Rebellion, der Aufwiegelung und des Missbrauchs öffentlicher Gelder auf eine Reihe weiterer ehemaliger MinisterInnen und BeamtInnen ausgedehnt. Tatsächlich würde die katalanische Autonomie ausgesetzt bleiben und jede noch so formale und symbolische Missachtung durch die Regionalversammlung wird mit weiteren Festnahmen und Repressionen einhergehen. Alternativ kann Rajoy eine spanische Parlamentswahl ansetzen, die er hysterisch anti-katalanisch und chauvinistisch führen würde.

Gesten der Missachtung gegenüber Rajoy bleiben wirkungslos, wenn und solange nicht eine aktive Mehrheit der KatalanInnen, insbesondere der katalanischen ArbeiterInnen, bereit ist, über Demonstrationen und Abstimmungen hinauszugehen und direkte Maßnahmen zu ergreifen, die als absolutes Minimalziel die Wiederherstellung der Befugnisse einer autonomen Regierung und eines autonomen Parlaments zum Ziel haben. Die Tatsache, dass sich eine Mehrheit der katalanischen ArbeiterInnen gegen die Unabhängigkeit ausspricht, neben der, dass die NationalistInnen dies zu ihrer ersten und letzten Forderung machen, bedeutet jedoch bisher, dass sich keine aktive Einheitsfront des Widerstands gegen Rajoys Unterdrückung gebildet hat.

Perspektive

Wenn die NationalistInnen jedoch aus der Sackgasse herauskommen wollen, in der sie sich befinden, d. h. aus dem Mangel an Rückendeckung durch soziale Kräfte, die bereit und in der Lage sind, Maßnahmen gegen Rajoy und die PP-Regierung zu ergreifen, müssen sie sich auf unmittelbare und brennende demokratische Forderungen konzentrieren und die Arena ihres Kampfes für ihre Rechte auf einer gesamtspanischen Basis sehen. Obwohl die katalanischen Parteien Verhandlungen mit Madrid gefordert haben, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass Rajoy jetzt substantielle Gespräche führen wird. Nachdem er den Dämon des spanischen Chauvinismus aus der Flasche gelassen hat, wäre es schwierig, diesen wieder dahin zurückzubringen, selbst wenn er es wollte.

Angesichts der Tatsache, dass die Partido Popular, unterstützt von der reaktionären Justiz und der Monarchie der Bourbonen, den Nationalitäten, aus denen sich der spanische Staat zusammensetzt, das Recht auf Selbstbestimmung vorenthält, wenn sich zudem die Konservativen nach Francos Ableben mit der undemokratischen Konstitution von 1978 bewaffnet haben, kann es keine verhandelte und verfassungsmäßige Lösung dieser tiefen politischen Krise geben.

Nur die Verdrängung der PP-(Minderheits-)Regierung und die Abschaffung der „Post-Franco“-Verfassung können den Weg zu einer Lösung ebnen, die es den KatalanInnen ermöglicht, zu entscheiden, ob sie sich von Spanien abspalten oder Teil einer Bundesrepublik sein wollen, die den Nationalitäten des Landes eine von Madrid aus nicht mehr aufhebbare Autonomie verleiht.

DemokratInnen und SozialistInnen in ganz Spanien sollten auf der Straße und durch Generalstreik den Rücktritt Mariano Rajoys und seiner gesamten Regierung, die Abdankung Felipe (VI.) de Borbóns und die Einberufung von Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlung fordern.

Es ist unerlässlich, diese demokratischen Fragen mit dem Ende der Sparzwangspolitik zu verbinden, die die Massenarbeitslosigkeit, vor allem für die Jugendlichen, die zunehmende Obdachlosigkeit und die Wiederinbesitznahme der Häuser der Menschen sowie die Verarmung der Gesundheits- und Sozialdienste verschlimmert haben. Ein Kampf gegen diese sozialen Probleme und gegen die Notlage von Flüchtlingen, die vor Armut und Krieg in Afrika und im Nahen Osten fliehen, kann die ArbeiterInnenklasse im ganzen Land vereinen und die kapitalistischen Regierungen von Mariano Rajoy und Carles Puigdemont entlarven.

In ganz Spanien sollten Gewerkschaften, linke, sozialistische Parteien und antikapitalistische Jugendliche ihre Kräfte auf lokaler und nationaler Ebene mobilisieren, um Aktionen zu starten. Sie müssen Ausschüsse oder Räte bilden, um den Kampf zu organisieren, um Massenkräfte zu mobilisieren, die in der Lage sind, sich gegen die repressiven Kräfte des Staates zu verteidigen, und um eine Revolution durchzuführen, die alle wichtigen demokratischen und sozialen Forderungen erfüllt und die Macht der Arbeiterinnenklasse einsetzt, um deren Umsetzung zu gewährleisten. Im Laufe dieses Kampfes muss das Ziel der Wiederherstellung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die frei von Verblendungen des Populismus und Nationalismus ist, angegangen werden.

Im Vordergrund der Forderungen der Bewegung sollten stehen:

  • Die Rücknahme von Artikel 155 und die vollständige Wiederherstellung der Autonomie der katalanischen Generalitat!
  • Die bedingungslose Freilassung aus dem Gefängnis und Einstellung aller Anklagen gegen die ehemaligen katalanischen MinisterInnen und FührerInnen der Unabhängigkeitsorganisationen!
  • Der Abzug der Repressionskräfte in Form der Spezialeinheiten der Polizei und der Guardia Civil aus Katalonien und die Abschaffung der Kontrolle Madrids über die dortige Regionalpolizei (Mossos d’Esquadra)!
  • Ein Ende der sozialen Kürzungspolitik, die sowohl auf spanischer als auch auf katalanischer Ebene umgesetzt wird!
  • Nieder mit Rajoy und der reaktionären Monarchie! Für eine föderale ArbeiterInnenrepublik in Spanien und Katalonien!

 




Österreich: Heraus zum Schulstreik gegen Schwarz Blau!

REVOLUTION-Austria, Infomail 978, 13. Dezember 2017

Hiermit veröffentlichen wir einen Aufruf der Jugendorganisation REVOLUTION zum Schulstreik gegen die Angelobung von Schwarz-Blau.

Es wird immer klarer. Die nächste Regierung wird von ÖVP und FPÖ gebildet werden. Das bedeutet für Jugendliche konkret einige Verschlechterungen. Zwischen 2000 und 2006 gab es nämlich schon einmal eine schwarz-blaue Koalition, die bei Bildung, Gesundheit und Sozialem eingespart hat. Wir werden genauso mit Einsparungen bei unseren Schulen rechnen müssen, wie mit der Wiedereinführung von Studiengebühren. Lehrlinge werden genauso getroffen werden wie erwachsene ArbeiterInnen. Am schlimmsten werden aber MigrantInnen, Flüchtlinge und MuslimInnen betroffen sein. Grund genug dagegen auf die Straße zu gehen.

Am Tag X (also am noch unbekannten Tag der Regierungsangelobung von Schwarz-Blau) organisieren verschiedene Gruppen, darunter auch wir von REVOLUTION, einen Schulstreik. Gemeinsam mit anderen linken Bündnissen wird es am Tag X mehrere Demonstrationen und Kundgebungen gegen die schwarz-blaue Sozialabbauregierung geben. Der Schulstreik wird von Landstraße/Wien Mitte aus in die Innenstadt zum Ballhausplatz ziehen. Um möglichst viele Menschen auf diesen Schulstreik zu bringen, musst aber auch du aktiv werden! Sprich dich mit gleichgesinnten MitschülerInnen zusammen und macht in der Schule auf den Schulstreik aufmerksam. Kommt als ganze Klasse zum Streik! Meldet euch bei uns auf Facebook (fb.com/onesolutionrevolution.at) oder über unsere E-Mail-Adressen revolution@onesolutionrevolution.at und holt euch Sticker und Flyer. Lasst uns gemeinsam dieser Regierung zeigen was wir von ihr halten!

Seit Sebastian Kurz die ÖVP in neuen Farben angestrichen hat und sich FPÖ und die „Liste Kurz“ darum streiten, wer denn glaubhafter Hetze und Rassismus verbreiten kann, ist klar, dass die FPÖ und ÖVP gemeinsame Sache beim „Schutz des Abendlandes“ machen wollen. Die staatlichen Ausgaben sollen um mehr als 10 Milliarden gekürzt werden. Das wird auch unsere Schulen und unsere Bildung betreffen. Seit 2000 gab es immer wieder Angriffe von Seiten der Regierung auf unsere Bildung. 2003 wurden die Stunden bei gleichbleibendem Unterrichtsstoff reduziert. 2009 sollten die Schulautonomen Tage gekürzt werden (das konnte mit massiven Schulstreiks verhindert werden). 2015 wurde eine miserable Zentralmatura über die Köpfe von uns SchülerInnen hinweg eingeführt. Eine schwarz-blaue Regierung wird mit ihrem Sparzwang dieser Reihe an Verschlechterungen in nichts nachstehen und sie mit großer Sicherheit sogar noch weiter verschärfen.

Um von den geplanten massiven Einsparungen Im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich abzulenken, spielt die neue Koalition die Karte des Rassismus. Uns soll weiß gemacht werden, dass wir uns die „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht mehr leisten können, anstatt das Geld dort zu holen wo es in Unmengen vorhanden ist – bei den Reichen. Uns wird gesagt, dass der Islam nicht zum „europäischen Abendland“ gehört, anstatt endlich den Einfluss der katholischen Kirche im österreichischen Staat zu beenden. Wir sollen glauben, dass Flüchtlinge „unsere Frauen“ nicht ehren würden, während einem FPÖ Mandatar vorgeworfen wird eine Frau krankenhausreif geprügelt zu haben und FPÖ und ÖVP es ablehnen Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Doch wir lassen uns nicht nach Herkunft oder Geschlecht trennen, wir gehen gemeinsam am Tag X gegen diese rechte Regierung auf die Straße. Zeigen wir schon heute, dass wir die kommenden Angriffe der Regierung auf der Straße zurückschlagen wollen und kollektiv für eine gerechte Gesellschaft stehen. Werde gemeinsam mit uns gegen diese Regierung aktiv und schließ dich mit deinen MitschülerInnen dem Schulstreik an!

Treffpunkt: Tag X, 8:30 bei Landstraße/Wien Mitte

FB-Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/1557151571019203/

Schulstreik gegen Schwarz-Blau auf Instragram: https://www.instagram.com/schulstreik_gegen_schwarzblau/

 




Palästina – US-Präsident Trump zum Status von Jerusalem

Stellungnahme des Internationalen Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale, 8. Dezember 2017, Infomail 978, 11. Dezember 2017

In einer knappen Zwölf-Minuten-Rede verkündete Donald Trump die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt und seine Absicht, die US-Botschaft in die Stadt zu verlegen. Während er über die Notwendigkeit des Friedens sprach, erkannte er kein gleichwertiges Recht der PalästinenserInnen an, ihr Land oder ihre Hauptstadt zurückzuerlangen.

Dabei warf er die Maske ab, mit der sich alle US-Präsidenten ummantelt haben, um die Tatsache zu verbergen, dass Israel der Hauptagent der USA im Nahen Osten ist. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die arabischen und muslimischen Staaten daran zu hindern, sich zusammenzuschließen, um die Ausplünderung der Ressourcen der Region durch den transatlantischen militärischen und wirtschaftlichen Koloss zu begrenzen.

In der Vergangenheit sollte die Weigerung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dort anzusiedeln, notdürftig als Sorge um die PalästinenserInnen erscheinen, deren Land in den letzten 70 Jahren von israelischen SiedlerInnen erbarmungslos besetzt und dessen einheimische BewohnerInnen vertrieben worden sind. Natürlich hat die Regierung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu die Entscheidung Trumps sehr begrüßt.

Die Mitglieder des Kabinetts werden sie zweifellos als grünes Licht für die „Schaffung von Tatsachen vor Ort“ auffassen, für die Erweiterung bestehender und Schaffung neuer Siedlungen im Westjordanland, für die weitere Isolierung Ostjerusalems und für die Verunmöglichung, es als Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates zu nutzen.

Dass Trump sich entschieden hat, von der Position der zwölf zuvor amtierenden US-Präsidenten und der gesamten UNO abzuweichen, nährt seine pathologische Eitelkeit. Frühere Präsidenten, so höhnte er, hätten nicht den „Mut“ gehabt, Jerusalem anzuerkennen, obwohl 1995 im US-Kongress die Republikaner- und Demokraten-Partei dafür gestimmt hatten. „Heute führe ich den Beschluss aus“, prahlte er.

Dass es damit für regionale Verbündete Amerikas wie die saudischen und jordanischen Könige, die Hüter der heiligen Stätten des Islam, peinlich ist und sie demütigt, deutet auf mehr als ein ungezügeltes Ego hin.

Es zeigt, dass Trump seine erzreaktionäre soziale Basis zu Hause weit über die ererbten geostrategischen Interessen und Allianzen der USA hinaus schätzt. Diese Basis stellen nicht nur zionistische Kräfte dar, die auf gefährliche Weise fälschlich als „jüdische Lobby“ bezeichnet werden. Tatsächlich sind die organisierten zionistischen Kräfte den christlichen FundamentalistInnen und AbtreibungsgegnerInnen wie Vizepräsident Mike Pence, der unmittelbar hinter Trump stand, als der seine Erklärung abgab, zahlenmäßig stark unterlegen.

Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, begrüßte natürlich die Entscheidung Trumps und ließ sich die Ansicht entschlüpfen, dass die Stadt für die totale israelische Absorption bestimmt sei. „Jerusalem war und bleibt die ewige, ungeteilte Hauptstadt des Staates Israel“, sagte er.

In einem Beispiel von Einmütigkeit beider Parteien erzählte der oberste Demokrat im Senat, Minderheitssprecher Charles Ellis („Chuck”) Schumer, der Zeitschrift The Weekly Standard am Dienstag, dem 5. Dezember, dass er Trump bereits geraten hatte, Jerusalem als Israels „ungeteilte“ Hauptstadt zu deklarieren.

Der „unabhängige“ Senator von Vermont, Bernie Sanders, wandte sich jedoch gegen Trumps „Pläne, Jerusalem als Hauptstadt des Staates Israel anzuerkennen. Es gibt einen Grund, warum alle bisherigen US-Regierungen diesen Schritt vermieden haben (…..). Er würde die Aussichten auf ein israelisch-palästinensisches Friedensabkommen dramatisch untergraben und die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, diesen Frieden zu vermitteln, ernsthaft, vielleicht sogar irreparabel, beeinträchtigen.“

Es ist gut, dass Sanders sich gegen diesen Schritt wendet, aber natürlich widerspricht es jeder Erfahrung, wenn er glaubt, dass die USA jemals eine „Friedensvermittlerin“ sein könnten. Ihr einziger Beitrag dazu wäre, die Militärhilfe in Höhe von 3,15 Milliarden Dollar pro Jahr (an Israel) im Zeitraum 2013 – 2018 aus dem israelischen Verteidigungshaushalt von insgesamt 15 Milliarden Dollar zu streichen. Auf der Grundlage von US-Subventionen hat Israel eine Rüstungsindustrie aufgebaut, die im Jahr 2015 Waffen im Wert von 5,7 Milliarden Dollar exportierte. Militärische Hilfe ist somit eine wertvolle wirtschaftliche Stütze.

Die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels verdeutlicht auch die Überzeugung dieses Präsidenten, dass das Engagement in multilateraler Diplomatie und das Streben nach Anerkennung durch die Vereinten Nationen lediglich ein Zeichen amerikanischer Schwäche ist und dazu führt, dass es nichts als „schlechte Geschäfte“ gibt.

An die Stelle der Diplomatie können nach seiner Ansicht die Haare zu Berge stehen lassenden Drohungen treten wie sein Versprechen, Nordkorea „völlig zu zerstören“, der Raketenangriff in Syrien oder seine „Mutter aller Bomben“ in Afghanistan. Er glaubt, dass plötzliche und unerwartete Aktionen, die seine Gegner aus dem Gleichgewicht bringen, einschließlich der Nutzung der enormen militärischen Macht der Vereinigten Staaten, besser funktionieren als Verträge oder Resolutionen des Sicherheitsrates. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum er Wladimir Putin und eine ganze Reihe despotischer Herrscher auf der ganzen Welt bewundert.

Es gibt Berichte, dass Außenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister James Norman Mattis sich gegen die Aktion von Trump zu Jerusalem ausgesprochen haben, und es gibt Gerüchte in Washington, dass Tillersons Tage gezählt sind. Trotz Trumps zynischer Behauptungen, dass die Anerkennung Jerusalems zum Frieden führen wird, könnte sie auch die Friedensinitiative seines Schwiegersohnes Jared Corey Kushner zunichtemachen. Für Trump spielt das Voranschreiten unabhängig von solchen Überlegungen auch die Rolle aufzuzeigen, wer in Washington wirklich die Schüsse abgibt.

Trumps Aktion entlarvt den Humbug des „Völkerrechts“, wie es von den Vereinten Nationen überwacht wird. Seit 1967, als Israel den Teil Palästinas besetzte, den es 1948 noch nicht erobert hatte, haben die UNO und alle ihre Mitgliedsstaaten viel Aufhebens um ihre Weigerung gemacht, den Umzug der israelischen Regierung nach Jerusalem anzuerkennen. Während Israel die PalästinenserInnen des Westjordanlandes beständig enteignet hat, ließ sich die „internationale Gemeinschaft“ bereitwillig von endlosen Runden sinnloser „Friedensverhandlungen“ als Rechtfertigung für die Nichtanerkennung eines palästinensischen Staates täuschen.

Stattdessen betonte sie das „Existenzrecht Israels“, eine falsche Formulierung, deren wirkliche Bedeutung darin besteht, dass damit die Beschlagnahme und Besiedlung des Landes eines anderen Volkes durch den zionistischen Staat akzeptiert wird. Kein wirklich demokratisches Prinzip verpflichtet ein Volk, die „Rechte” seiner UnterdrückerInnen anzuerkennen, wenn diese ihr eigenes Selbstbestimmungsrecht von Grund auf verletzen. Trotzdem akzeptierte die palästinensische Führung mit weichen Knien das „Existenzrecht des Staates Israel“, gab jeden aktiven Kampf auf und legitimierte damit de facto die Enteignung und Vertreibung von Millionen PalästinenserInnen.

Die „Zwei-Staaten-Lösung“ auf dem derzeit von Israel besetzten Territorium ist eine Fata Morgana und war es auch immer. Trump behauptet immer noch, sie zu unterstützen, aber wie alle seine Vorgänger gibt er Israel ein Veto, indem er hinzufügt, „wenn beide Seiten zustimmen“. Netanjahu und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman haben diese mehrfach deutlich für alle, die hören können, abgelehnt. Netanjahu machte in seinem Wahlkampf klar, dass sie „unter meiner Aufsicht“ niemals passieren würde. Lieberman hält es für möglich, aber nur, wenn die palästinensischen BürgerInnen Israels aus dem Land vertrieben werden. Mit anderen Worten, der einzig mögliche palästinensische Staat stünde auf dem Territorium des jetzigen Königreichs Jordanien.

Selbst als sie von Obama und den EuropäerInnen unter Druck gesetzt worden sind, Lippenbekenntnisse zur Errichtung eines palästinensischen Staates an der Flanke des israelischen Territoriums abzugeben, haben sie darauf bestanden, dass es nur akzeptabel wäre, wenn er vollständig entwaffnet und seine Außengrenzen von Israel kontrolliert würden. Mit anderen Worten, es wäre kein souveräner Staat im anerkannten Sinne des Wortes. In der Praxis haben alle israelischen Koalitionsregierungen, unabhängig davon, ob sie von der Arbeitspartei oder Likud angeführt worden sind, einen kontinuierlichen Eingriff in das palästinensische Land vor 1967 aufrechterhalten und das, was übrig geblieben ist, in nicht zusammenhängende Gebiete aufgeteilt, die niemals mehr als Bantustans im Stil Südafrikas werden könnten. Immer mehr AnhängerInnen der PalästinenserInnen erkennen, dass keine Zwei-Staaten-Lösung zum Angebot steht und dass es eine solche niemals geben wird.

Palästinensische Organisationen haben aus Protest gegen die Erklärung Trumps drei „Tage des Zorns“ gefordert, und es wird von einer neuen Intifada gesprochen. Wenn es dazu kommt, dann bedürfen sie massiver internationaler Unterstützung. Aber wunderbar heldenhaft, wie die jungen PalästinenserInnen, die israelischen Kugeln und Bomben mit Steinen und Schleudern gegenüberstehen, zweifellos sind, besiegt David Goliath nur in der Mythologie. Während die Mobilisierung der rechtmäßigen Mehrheit des Landes von entscheidender Bedeutung ist, muss eine Strategie für die palästinensische Befreiung die ArbeiterInnenklasse, die Jugend und die unterdrückten Massen der gesamten Region erreichen.

Ihr Kampf braucht auch die Unterstützung der ArbeiterInnenbewegung und anderer fortschrittlicher Bewegungen in den wichtigsten imperialistischen Ländern, die das künstliche zionistische Gebilde stützen, ohne die es kaum lange überleben würde. Schließlich muss eine solche Strategie die Unterstützung der mutigen Teile der israelischen Gesellschaft und der jüdischen SozialistInnen in der ganzen Welt suchen, die die Kriege und die Unterdrückung der PalästinenserInnen ablehnen. In diesem Zusammenhang ist jedes Besudeln des Antizionismus mit dem Gift des Antisemitismus nicht nur prinzipiell falsch, sondern würde dem Befreiungskampf selbst einen schweren Schlag versetzen. Antisemitismus ist der Antiimperialismus der Narren/Närrinnen.

Die Generation des Arabischen Frühlings wurde unterdrückt, aber nicht ausgelöscht. Für sie ist die Freiheit Palästinas nicht nur ein wichtiger Sammelpunkt, sondern ein Kampf, der die Scheinheiligkeit der Solidaritätserklärungen ihrer despotischen Herrscher gegenüber den PalästinenserInnen offenbart. Fortschrittliche Kräfte weltweit, auch jene im „Herzen der Bestie“, in Trumps Amerika, müssen erkennen, dass nur der Sturz der zionistischen UnterdrückerInnen und nicht die Illusion des friedlichen Zusammenlebens mit ihnen, einen Sieg für die Freiheit weltweit verkörpert.

Die zunehmende Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten, die von Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jinping immer offener zum Ausdruck gebracht wird, wenn sie sich auf die Neuaufteilung der Ressourcen, Märkte und ausbeutbaren Arbeitskräfte der Welt einlassen, bedroht die Menschheit mit einem dritten, unglaublich verheerenden Weltkrieg. Welche bösartigen neuen Überraschungen auch immer Trump, Netanjahu und sogar der saudische Kronprinz oder der ägyptische Diktator in ihren jüngsten Gesprächen vorbereitet haben – sie könnten diese gefährliche Entwicklung weiter beschleunigen.

Die einzige Kraft, die stark genug ist, dies zu verhindern, ist die internationale ArbeiterInnenbewegung. Wir müssen nicht nur die Emanzipation der ArbeiterInnenklasse von der kapitalistischen Ausbeutung und die Niederlage imperialistischer Kriege, sondern auch die Befreiung Palästinas auf unsere Fahnen schreiben. Die Unterstützung dafür ist eine Nagelprobe für alle Kräfte, die es ernst meinen mit einer sozialistischen Revolution im 21. Jahrhundert.




#MeToo-Kampagne: Erschreckende Spitze des Eisbergs

Svenja Spunck, Neue Internationale 225 Dezember 2017

Mag es auch nur die Spitze des Eisbergs sein, so ist sie schon erschreckend genug. Am 15. Oktober 2017 startete die US-amerikanische Schauspielerin Alyssa Milano mit folgendem Satz die internationale #Metoo-Kampagne über Twitter: „Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder angegriffen wurden, ‚Ich auch‘ als Status schrieben, könnten wir den Menschen ein Gefühl für das Ausmaß des Problems geben.“ Daraufhin folgten über 12 Millionen Beiträge in allen möglichen sozialen Netzwerken, in denen sexuelle Gewalt gegen Frauen, oft mit sehr privaten Erlebnissen verbunden, thematisiert wurde.

Milano verbreitete diesen Hashtag, nachdem viele Missbrauchsskandale über den Hollywood-Filmproduzenten Harvey Weinstein und andere Männer aus der Filmbranche bekannt wurden. Diese Verbrechen reichen bis in die 80er Jahre zurück und waren ein offenes Geheimnis, das jahrelang nicht thematisiert wurde.

Ursprung

Ursprünglich wurde die #MeToo-Kampagne schon 2006 von der sozialen Aktivistin Tarana Burke ins Leben gerufen. Hierbei ging es in erster Linie um eine Vernetzungsmöglichkeit von afroamerikanischen Frauen wie Burke selbst, die sexuellen Missbrauch erfahren hatten. Die Aufmerksamkeit, die durch bekannte Hollywood-Darstellerinnen ausgelöst wurde, hatte die ursprüngliche Kampagne jedoch bei weitem nicht. In einem Interview mit der Washington Post erklärt Burke, dass sie aber weitaus mehr erreichen wollte, als auf das Problem aufmerksam zu machen.

Es ging auch um weitergehende Unterstützung der Betroffenen, um Selbstorganisierung und Ermutigung für alle, die ihre Erlebnisse zuvor niemandem mitteilen konnten. Sie bezweifelt jedoch, dass die aktuelle Kampagne dies leisten kann. Diese Kritik ist berechtigt, denn der Fokus der aktuellen Kampagne liegt auf dem Sensationscharakter, auf der kurzzeitigen und mutigen Stellungnahme vieler Frauen im virtuellen Raum. Vereinzelte Demonstrationen und Kundgebungen schlossen sich an, doch in der Realität überwiegen die Maßnahmen, die alle erkämpften Frauenrechte erneut in Frage stellen. Eine weitergehende Organisierungsperspektive besteht nicht.

Reaktionen

Ausgehend von dem Weinstein-Skandal zeigten unzählige Betroffene in sozialen Netzwerken, wie „normalisiert“ sexuelle Grenzüberschreitungen im Alltag sind. Der entscheidende Grund hierfür ist nicht individuelle Bösartigkeit einzelner Männer, sondern dass Frauen sich nach wie vor in sozialen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen befinden.

Ein Beispiel hierfür ist die Verurteilung der Frauenärztin Dr. Kristina Hänel aus Gießen Ende November 2017 zu einer Geldstrafe von 6000 Euro, da sie online über die Möglichkeiten der Abtreibung in ihrer Praxis informierte. Abtreibung ist in Deutschland unter bestimmten Bedingungen bis zum dritten Schwangerschaftsmonat nicht strafbar – diese zwölf Wochen werden jedoch vielen Frauen mit einer schlechten Beratung, familiärem oder religiösem Druck zur Hölle gemacht. In Berlin ziehen jedes Jahr bei dem „Marsch für das Leben“ tausende christlich-fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen durch die Straßen und bilden dabei einen Schulterschluss mit der AfD. Frauke Petry meint zur #MeToo-Kampagne, sie würde „von einer Minderheit instrumentalisiert, die im Stande ist, viel Vernünftiges und Liebgewordenes an Gewohnheiten und Traditionen in diesem Land zu beseitigen.“ Frauen seien objektiv anders als Männer und deshalb habe sie „nichts dagegen, dass Frauen das schwache Geschlecht sind“. In solchen Momenten fragt man sich, wo genau der Pfeiler steht, gegen den diese Person gerannt ist, die ohne die Rechte, die Frauen für sich erkämpft haben, heute nicht da wäre, wo sie ist.

Es ist nach wie vor in polizeilichen Behörden gang und gäbe, dass Frauen, die sexuelle Gewalt anzeigen wollen, nach ihrer Kleidung zum Tatzeitpunkt gefragt werden, ihnen vorgehalten wird, dass sie sich ihren Freund oder Ehemann selbst ausgesucht hätten, oder auch Hartnäckigkeit (= Stalking, Bedrohung etc.) doch eigentlich etwas wäre, worüber die Frau sich freuen solle. Den Großteil der sexualisierten Gewalt erleben Frauen in ihrem familiären Umfeld oder bei Bekannten und „Freunden“. Umso schwieriger ist es, Gehör zu finden und sich mitzuteilen, wenn den Täter alle bisher als den netten Typen von nebenan gekannt haben. Für viele Frauen ist die #MeToo-Kampagne ein emotionaler Befreiungsschlag, mit dem sie zum ersten Mal eine distanzierte, aber konkrete Aufmerksamkeit erhielten. Dennoch sollte bedacht werden, dass sich nicht alle Betroffenen äußerten und somit die Veröffentlichungen nur die Spitze des Eisberges darstellen, der kurzzeitig sichtbar wurde. Außerdem ging es im Großteil der Posts um die Ängste, die Schuldgefühle, die Wut der Frauen. Nur sehr wenige konnten ihre Täter direkt adressieren, einen #YouToo-Hashtag gibt es nicht.

Wie nicht anders zu erwarten, ließen sich auch sexistische reaktionäre Antworten nicht lange bitten. So mussten sich Frauen anhören, dass sie Männern nicht erklären würden, wo die Grenze zwischen Flirten und Belästigung liege, dass das alles ja „nur nett“ gemeint sei, oder ob sie die Reaktionen nicht provozieren würden, wenn sie sich „so“ präsentierten. Besonders verletzend war es für diejenigen, deren Erfahrungen als Lügen verunglimpft wurden, da sie nicht einmal „für eine Vergewaltigung attraktiv genug“ seien. So wurden Betroffene zum zweiten Mal angegriffen und gedemütigt. Die #MeToo-Kampagne allein konnte und kann diesen psychischen Terror nicht auffangen.

Perspektive

Hier kommt auch ein grundlegendes Problem der Kampagne zum Vorschein, deren Erfolg davon abhängt, wie viele Frauen sich individuell entscheiden, extrem persönliche Dinge der Öffentlichkeit mitzuteilen, um dem strukturellen Problem des Sexismus größere Dringlichkeit zu verleihen. Was wäre gewesen, wenn sich niemand getraut hätte, etwas zu erzählen? Oder anders gefragt: Haben sich die sexistischen Verhältnisse geändert, nachdem nun viele wissen, wer aus dem Bekanntenkreis wann, wo und wie genau sexuell belästigt wurde?

Nein, es hat sich nichts verändert. Müssen wir Frauen uns immer erst in die Opferrolle begeben, um ein paar Menschen davon überzeugen zu können, dass wir strukturell unterdrückt werden? Können wir nicht unsere Erlebnisse nur mit den Menschen teilen dürfen, denen wir vertrauen, und trotzdem politische Debatten über Sexismus führen?

Nicht nur die brutalen Geschichten der Betroffenen sind es, die Betroffenheit, Interesse und vielleicht sogar Widerstandsdrang auslösen sollten. Es wären die Geschichten der Täter, die Zahl der Schuldigen, die erniedrigenden Gedanken und die Worte, mit denen sie Frauen peitschen, die etwas in der Gesellschaft auslösen sollten, doch all dies bleibt vage im Hintergrund.

Die #MeToo-Kampagne thematisiert zwar die Unterdrückung, macht Erfahrungen öffentlich. Aber sie bietet keine Handlungsperspektive, benennt nicht ihre unter dem Schutt von Jahrtausende alten Unterdrückungsverhältnissen begrabenen Wurzeln in der geschlechtlichen Arbeitsteilung – den Kern des stummen gesellschaftlichen Zwangs.

Es geht nicht um die Masse an Einzelschicksalen, die bis auf null verringert werden muss, um das Problem der Frauenunterdrückung zu lösen. Es geht um die Struktur, die vollkommen abgetragen werden muss, damit Frauen gleichberechtigt leben können. Frauenunterdrückung beginnt nicht bei der sexualisierten Gewalt. Sie wird vermittelt durch die Einteilung in der Schule in „geschlechterspezifische“ Ausbildung, setzt sich am Arbeitsplatz mit ungleicher Bezahlung fort und an der Uni mit der elitären Manifestierung der Rollenbilder fest, verankert sich im alltäglichen Leben der Kleinfamilie. All dies sind die Orte, an denen man aufstehen, sich organisieren und wehren muss.

Ihre Wurzel hat die Unterdrückung der Frau in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die auch in der bürgerlichen Gesellschaft herrscht, die Fesselung der Frau an Familie und private Hausarbeit. Daher nimmt der Kampf um Gleichstellung, Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, gleiche Entlohnung, gegen Prekarisierung eine wichtige Funktion ein. Der Arbeitsmarkt muss in jeder Hinsicht für Frauen zugänglich gemacht und diese gleich entlohnt werden wie Männer. Schutzmöglichkeiten für Frauen, die Opfer von Gewalt jeglicher Form geworden sind, müssen ausgebaut und zugänglich sein – in verschiedenen Sprachen, in ländlichen Gebieten und anonym. All das zielt auf die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Dass dies alles im Kapitalismus umgesetzt werden kann, glaubt wohl niemand. Deshalb ist eine erfolgreiche Bewegung gegen Frauenunterdrückung immer geknüpft an die Bewegung der ArbeiterInnenklasse, die um ihre Macht kämpft und den Kapitalismus überwindet. Kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung – keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!




Polizeirazzien gegen G20-AktivistInnen – Solidarität mit allen Betroffenen!

Martin Suchanek, Infomail 976, 5. Dezember 2017

Heute Morgen, am 5. Dezember, hat die Polizei bundesweit begonnen, Wohnungen, Läden und Versammlungsorte linker AktivistInnen und Gruppierungen zur durchsuchen. Die Razzien erfolgen nach langer Vorbereitung unter Federführung der Sonderkommission „Schwarzer Block“. Sie soll lt. Tagesschau „GewalttäterInnen“, vorgebliche „OrganisatorInnen und LogistikerInnen“ dingfest machen.

Insgesamt sollen mindestens 24 linke Treffpunkte und Privatwohnungen in 8 Bundesländern, darunter in Städten wie Hamburg, Braunschweig, Hannover, Göttingen, Stuttgart und München, durchsucht worden sein. Besonders die GenossInnen des „Roten Aufbau Hamburg“ sind dabei offenbar ins Visier der FahnderInnen und Dienste geraten. Ein Sprecher der polizeilichen Sonderkommission erklärte in einem Interview mit dem NDR, dass Ende des Jahres 3000 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. 155 Personen hätten sie bislang anhand von Video-Material identifizieren können.

Die Hausdurchsuchungen und Razzien verfolgen wie die gesamte Tätigkeit der Sonderkommission nur einen Zweck: die Kriminalisierung des Widerstandes gegen den G20-Gipfel im großen Stil. Die Hausdurchsuchungen sind wahrscheinlich nicht der Höhepunkt, sondern nur ein Schritt in einer weit umfassenderen Repressionswelle.

Wozu dient die Kriminalisierung?

Natürlich sind dabei die Polizeigewalt und die Außerkraftsetzung demokratischer Rechte kein Thema. Die „Krawalle“ sollen vielmehr zur Rechtfertigung des staatlichen Vorgehens dienen. Auch deshalb müssen die Durchsuchungen als von langer Hand geplante, über Netzwerke vorbereitete Aktionen gelten. Das soll z. B. durch an Demorouten angelegte „Depots“ der Protestierenden belegt werden, die ihnen ein Umkleiden auf dem Weg zu den Aktionen erlaubt hätten. Die Vorwürfe entbehren nicht einer gewissen Lächerlichkeit, dienen aber als Vorwand für eine ernstzunehmende Sache.

Die realen Verhältnisse werden dabei auf den Kopf gestellt. Die Polizei hat bekanntlich die Stadt abriegelt und in überwachte Zonen aufgeteilt, legte wirkliche Depots mit Mitteln zur Aufstandsbekämpfung an, zog tausende Einsatzkräfte in Kasernen zusammen, räumte Protestcamps, verweigerte Menschen Schlaf und Zugang zu sanitären Einrichtungen. Dabei hat sie sich wenig um das bürgerliche Recht gekümmert, umso mehr jedoch um dessen Beugung. Den Protestierenden wirft die Sonderkommission nun vor, der Polizei die Arbeit auch noch erschwert zu haben, indem nicht alle geordnet und leicht zu durchsuchen an Kontrollpunkten vorbeiliefen. Sie präsentiert gar das Umziehen auf dem Weg zu einer Demonstration als „kriminellen Akt“.

Als andere „Belege“ sollen „Drohvideos“ herhalten. Während jeden Tag rechte und rassistische HetzerInnen in Deutschland Abschiebung fordern dürfen, Volk, Blut und Heimat beschwören, MigrantInnen, Geflüchteten und „Gutmenschen“ mit Gewalt nicht nur drohen, so soll ausgerechnet ein Video, das sich gegen die menschenverachtende Politik der G20, gegen Imperialismus, Krieg, Rassismus und Ausbeutung wendet, Teil eines groß organisierten Komplotts sein.

So albern die Vorwürfe, so bitter ernst ist ihr Zweck. Es geht um die Kriminalisierung von Gruppierungen und Menschen, die über Monate an der Vorbereitung von Protest- und Widerstandaktionen gegen die G20 gearbeitet haben. Natürlich haben diese auch „Infrastruktur“ von Vorbereitungstreffen, Protest-Camps, Lebensmittelversorgung bis hin zu Schlafplätzen organisiert. Ohne solche Organisation und Logistik wäre kein längerer Protest oder gar Kampf möglich – sei es gegen eine reaktionäre Veranstaltung wie den G20-Gipfel, sei es gegen den Braunkohletagebau, sei es eine bundesweite antirassistische Mobilisierung oder ein Streik gegen Entlassungen oder für höhere Löhne.

Mit den Durchsuchungen und den weiteren Ermittlungen der Sonderkommission soll die Kriminalisierung von Protest und Widerstand massiv vorangetrieben werden – und zwar nicht nur die vom Juli 2017 in Hamburg, sondern auch alle zukünftigen. Zugleich wird der Boden für eine weitere Einschränkung demokratischer Rechte und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse vorbereitet.

  • – Solidarität mit allen von den Durchsuchungen betroffenen Personen, Gruppen und linken Zentren!
  • – Niederschlagung aller Verfahren gegen G20-AktivistInnen, Freilassung aller Festgenommenen und noch in Untersuchungshaft Befindlichen! Einstellung aller Ermittlungsverfahren und Auflösung der Sonderkommission!
  • – Beteiligt Euch an Solidaritätsaktionen mit den betroffenen GenossInnen!
  • – Gemeinsam gegen die Einschränkung demokratischer Rechte!

 




AfD-Parteitag: Die extreme Rechte wächst – und die Gegenwehr?

Bruno Tesch, Infomail 976, 4. Dezember 2017

Angesichts des Scheiterns der Regierungsverhandlungen konnte sich die AfD beruhigt und weithin unbehelligt von den anderen Parteien, die im Augenblick vor allem mit sich selbst beschäftigt sind, der Abhaltung ihres Parteitags widmen. Auch die mittlerweile wieder hoch gehandelte Neuauflage der GroKo aus den beiden großen WahlverliererInnen würde einen Rückschlag für die ArbeiterInnenklasse bedeuten, denn eine solche Regierungsbildung würde wieder große Teile der Klasse v. a. über die Gewerkschaftsbürokratie zum Stillhalten bei einem verschärft arbeiterInnenfeindlichen Programm und gesteigerten Offensiven der Bosse veranlassen.

Letztlich würde diese fortgesetzte Politik weitere Kreise der Lohnabhängigen enttäuschen und das Wählerpotenzial für die AfD erhöhen können. Eine etwaige Minderheitsregierung der Union würde die Instabilität erhöhen und das traditionelle Politmanagement der Bourgeoisie und dessen Handlungsfähigkeit noch deutlicher in Frage stellen, so dass scheinbar unverbrauchtere Kräfte Nutzen daraus ziehen und ihren Vorschlägen zur Krisenlösung mehr Gewicht in der öffentlichen Diskussion verschaffen könnten. In dieser Hinsicht ist die jetzige Lage eine Win-win-Situation für die AfD, die in der Opposition ihr rassistisches neo-liberales Programm mit einem guten Schuss Chauvinismus „sozial“ drapieren kann.

Ernsthafte Kopfschmerzen mussten dem nunmehr rechten Flügel des Parlaments auch nicht die inneren Auseinandersetzungen bereiten, die noch am Wahlabend nach außen traten, denn diese haben ihrem Status keinen Abbruch getan.

Ergebnisse des Parteitags

Auch die AfD ist selbst ein Spiegelbild der Krise der bürgerlichen Gesellschaft und als Partei noch längst kein einheitlicher Block. Der Parteitag sollte nach dem erstmaligen Einzug in den Bundestag einen wichtigen Beitrag leisten, die Fronten zu klären und die Marschrichtung der Partei festzuzurren.

Die „gemäßigte“ Richtung war nach dem Austritt der mittlerweile fraktionslosen Frauke Petry ohnedies längst erledigt. Ihrem Beispiel war kaum jemand gefolgt. Den „Blauen“ blüht wohl dasselbe Schicksal wie der wirtschaftskonservativen Lucke-Gründung „Alfa“, von der inzwischen niemand mehr spricht. Der „gemäßigte“ Flügel ist aktuell vereinzelt. Zwar gründete Beatrix von Storch Anfang Oktober die „Moderaten“ mit knapp 160 Teilnehmenden, jedoch formieren sich diese aktuell weit unterhalb vergangener Größe. Die Bahn schien also frei gemacht für die rechtsnationalistischen ParteistrategInnen, die auf Mobilisierung von in der Grundrichtung reaktionär gesinnten Elementen der Gesellschaft setzen.

Inhaltlich hat sich seit den 7 Monaten nach der Kölner Programmformierung zwar nicht viel verändert. Die programmatischen Anträge der ostdeutschen Landesverbände, die mehr „soziales“ Profil der AfD einfordern, wurden vertagt und in eine Strategiekommission ausgelagert. Aber das darf nicht über die Verschiebung der Kräfte in der AfD hinwegtäuschen.

Die personellen Entscheidungen auf dem Parteitag am 2. Dezember verdeutlichen, dass ohne den rechtsnationalistischen Flügel keine Position mehr durchsetzbar ist. Bei der Wahl der zweiten Spitze neben Jörg Meuthen ergab sich in zwei Wahlgängen keine Entscheidung zwischen dem neuerdings als „nur konservativ“ geltenden früheren Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski und seiner von der völkisch geprägten Seite stärker favorisierten schleswig-holsteinischen Landessprecherin Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein.

Alexander Gauland, der selbst stark auf rechtspopulistische Mobmobilisierungen setzt, „rettete“ schließlich die Situation und ließ sich zum zweiten Bundessprecher wählen. Zweifellos stellt er nun den eigentlichen Parteivorsitzenden dar. Sein Co-Vorsitzender Meuthen ist wohl nur wegen seiner politischen Biegsamkeit weiter im Amt.

Auch wenn die Wahl zu den stellvertretenden Vorsitzenden und zu den BeisitzerInnen relativ ruhig über die Bühne ging, so ist eindeutig, dass gegen den rechts-nationalistischen Flügel – selbst eine Allianz aus extrem-nationalistischen, völkischen und faschistischen Kräften – in der AfD nichts geht. Natürlich will die Mehrheit der AfD längerfristig an die Regierung, aber, wie es Gauland formulierte, nur auf „gleicher Augenhöhe“, ähnlich der FPÖ in Österreich. Als Juniorpartner fürchten die Rechten verschlissen zu werden wie vor einigen Jahren die FDP.

Die GegnerInnen einer raschen Regierungsoption umfassen jedoch zwei Lager. Gauland und seine AnhängerInnen orientieren sich klar am FPÖ-Vorbild. Das Rechtsaußen-Lager um Leute wie Tillschneider will die Regierung erst übernehmen, sobald die AfD die Mehrheit stellt – ob per Wahl oder Putsch, lässt es dabei offen.

Daher wird die AfD in den nächsten Monaten und Jahren weiter nach rechts gehen, noch mehr auf Rassismus, auf „Heimat“, Volk und Boden setzen. Sie wird sich weiter Bewegungen wie Pediga „öffnen“, denen die Tore der Partei ohnedies nie verschlossen waren. Zugleich wird sie aber auch an ihrer eigenen „Normalisierung“ arbeiten – sei es in den Kommunen, wo erste Bündnisse mit „respektablen“ bürgerlichen Kräften nur eine Frage der Zeit sind, oder in einzelnen Landtagen, wo sie eine Zusammenarbeit mit der CDU gerade in Fragen wie „klassischen“ rechts-konservativen Themen suchen wird, von Abschiebungen, „Kriminalitätsbekämpfung“ bis hin zum Feindbild „Linksextremismus“.

ArbeiterInneneinheitsfront

Beunruhigt hätte die AfD einzig und allein durch eine massive Widerstandswelle werden können, die sie als zugespitztesten Ausdruck des Rechtsrucks in Frage stellte.

Der 2. Dezember 2017 in Hannover übertraf zwar mit an die 10.000 TeilnehmerInnen den Aufmarsch gegen den Parteitag im November 2015 sowohl in den Widerstandsformen wie auch in der Anzahl der Menschen, die sich gegen die reaktionäre Provokation in Bewegung setzte. Er blieb aber mengenmäßig um ein Drittel hinter dem Protest gegen den Hagida-Haufen im Januar 2016, ebenfalls in Hannover, zurück. Natürlich war der Staatsapparat bestens vorbereitet und tat unter Einsatz von rund 5000 PolizistInnen, also etwa 15 % des Aufgebots beim G-20 Gipfel in Hamburg, alles, um dies zu verhindern.

Im Vorwege wurde das Zoo-Viertel zu einer Festung ausgebaut. Straßenbahn- und Busverkehr in der Nähe wurden gesperrt und Halteverbotszonen für PKWs eingerichtet.

Trotzdem versuchten rund 1500 Menschen mit vier Blockaden seit dem frühen Morgen, den 600 Delegierten den Weg zu ihrem Parteitag zu versperren. Ein zusätzlicher unangekündigter fünfter Finger war ebenfalls präsent und wurde massiv angegriffen. Immerhin konnten die Blockaden erreichen, dass der AfD-Parteitag um eine Stunde verspätet starten musste. Mehr war aber angesichts der Kräfteverhältnisse an diesem Tag auch nicht möglich.

Die Polizei räumte einzelne Blockaden, wobei mittels Wasserwerfern gegen die DemonstrantInnen vorgegangen wurde, wobei es etliche Verletzte gab. Mehrere Personen wurden in Gewahrsam genommen.

Die Blockaden hätten jedoch auch effektiver sein können, wenn sie auch größere Kräfte unterstützt hätten. So wurden sie vor allem von Gruppierungen der radikalen Linken, anti-rassistischen und anti-kapitalistischen Kräften getragen.

Die Verantwortung dafür liegt eindeutig beim reformistischen und kleinbürgerlichen Teil der VeranstalterInnen der Protestaktionen. Einige ihrer SprecherInnen schmusten sich regelrecht als gehorsame StaatsdienerInnen an. Sie hatten anders als beim Parteitag im November 2015 die Demoroute in umgekehrte Richtung, also vom AfD-Tagungsort weg, verlegt. Hannovers DGB-Bezirkschef Reiner Eifler meinte ganz stolz: „Wir hoffen auf deeskalierende Wirkung.“

Die Zusammensetzung und politische Ausrichtung der Bewegung offenbarte jedoch auch ihre Schwächen. Wie schon die Erfahrung der Proteste gegen G-20 lehrt, genügt es nicht, Bündnisse zu haben, die jetzt zwar allenthalben entstanden sind und sich als buntes Farbenspektrum zur Schau stellen, aber nur zu bestimmten Anlässen und gegen die gröbsten Auswüchse von Reaktion und Rassismus zu Felde ziehen. Auch überlagern oft Diskussionen über die Mittel des Widerstands, wo die Frage der „Gewaltfreiheit“ endlos rauf und runter dekliniert wird, das Geschehen und drängen Erkenntnisse über politische Zusammenhänge und perspektivische Schlussfolgerungen an den Rand.

In Hannover stellten linke Organisationen und Bewegungen das Gros der Demonstration. Außer den Refugees, die aber nicht festgefügt auftraten, hatten von den politischen MigrantInnenorganisationen nur kurdische Gruppen eine größere Abordnung zur Stelle. Die Linkspartei verfügte auch über ein recht ordentliches Aufgebot. Von den Gewerkschaften, obwohl offizielle Anmelderinnen, war weit weniger zu beobachten. KirchenvertreterInnen erhielten Rederecht, traten jedoch beim Marsch ebenso wenig wie NGOs in Erscheinung – Zerrbild dessen, welche Kräfte wirklich zum Kampf gegen Rassismus bereit sind.

Nicht nur die RednerInnenliste, auch die Inhalte der Kundgebungen blendeten den Bezug zum Klassenkampf fast völlig aus. In den Beiträgen wurden sowohl der verhängnisvolle ideologische Gleichklang der gewerkschaftlichen Standortlogik mit dem Programm der AfD wie auch die Unternehmerangriffe (Siemens, Thyssen/Krupp und Pflegenotstand) ebenso wie die Notwendigkeit der Wappnung gegen unweigerliche Attacken einer kommenden Regierung mit Folgen der Ausweitung des Prekariats unterschlagen.

Zum Kampf gegen Rassismus gehört auch ein Eintreten für gewerkschaftliche Organisierung von MigrantInnen.

Dirk Schulze (IGM-Metall) äußerte völlig korrekt: „Die AfD ist eine arbeitnehmerfeindliche Partei. Sie stellt die gewerkschaftliche Mitbestimmung in Frage und hat sich für längere Lebensarbeitszeit und Kürzung der Rente ausgesprochen.“ (nach: Neue Presse Hannover). Aha – aber trifft das nur auf die AfD zu? Wäre eine Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt sein wird, nicht ebenso gefährlich, weil sie mindestens einige Punkte davon umsetzen könnte? Wenn dies zu „roten Haltelinien“ erklärt wird, müsste dann der Protest nicht noch massiver und massenhafter gegen eine arbeiterInnenfeindliche und rassistische Politik – nicht nur der AfD – mobilmachen?

Diese Fragen wären Ausgangspunkte für die ArbeiterInneneinheitsfront und müssten auch Gegenstand einer Aktionskonferenz sein, die ein gemeinsames und nachhaltiges Handeln gegen Regierung und Rassismus beschließen sollte.




Gemeinsam kämpfen! AfD stoppen!

Aufruf von ArbeiterInnenmacht und Revolution zum 2. Dezember, Infomail 975, 30. November

Nur gemeinsam können wir – Lohnabhängige, Arbeitslose, Jugendliche, MigrantInnen, Frauen, sexuell Unterdrückte – die AfD und den Rechtsruck stoppen. Die Aktionen und die Demonstration am 2. Dezember können, trotz aller politischen Unterschiede, ein erster Schritt zum Aufbau einer Aktionseinheit gegen diese Gefahr werden.

Egal was Gauland, Weidel, Meuthen oder Höcke auf diesem Parteitag miteinander ausfechten, für uns ist klar – wir müssen ihnen entgegentreten, auf der Straße, an den Schulen und Unis, im Wohnviertel, vor Geflüchtetenunterkünften und in den Betrieben.

Wie geht’s weiter?

Für alle beteiligten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen stellt sich die Aufgabe, den Kampf zu verbreitern. Vor Ort müssen wir uns der AfD entgegenstellen, müssen durch Kampagnen und Aktionen beweisen, dass wir den Anfängen wehren, dass „No pasarán!“ nicht nur bei Großereignissen gilt.

Dabei dürfen wir uns nicht allein gegen die AfD richten, sondern müssen auch den Widerstand gegen eine Bundesregierung organisieren, die weiter vieles von der AfD-Programmatik umsetzen wird wie Abschiebungen, Stopp des Familiennachzuges, die „sicheren“ Drittstaaten.

Es ist die neoliberale, kapitalistische Politik, die unsere Klasse spaltet und die Beschäftigten gegen die Arbeitslosen, die „Deutschen“ gegen die „AusländerInnen“ ausspielt. Diese Ursachen des Rechtsrucks müssen wir gemeinsam bekämpfen.

Deswegen geht es uns nicht um eine „Demokratie“, die angeblich vor der AfD geschützt werden soll. Nein, wir wollen unseren Kampf mit allen notwendigen Mitteln gegen diese Politik aufnehmen, egal wie die nächste Regierung aussieht!

Wir rufen die beteiligten Kräfte der ArbeiterInnenbewegung und Linken auf, eine Strategie- und Aktionskonferenz gegen die AfD und den staatlichen Rassismus zu organisieren, wo alle zu Wort kommen und wir die nächsten Schritte planen und angehen können. So könnten wir bspw. bei den Tarifrunden 2018 eingreifen, dort aufzeigen, dass eben nicht die Geflüchteten die Gesellschaft spalten, sondern dass dies weiterhin das Hauptziel der UnternehmerInnen, des Kapitals ist. Die Massenentlassungen bei Siemens finden trotz Milliardengewinnen statt. Hier müssen wir Solidarität organisieren und zeigen, wo der gemeinsame Gegner steht – auf der Seite der Banken und Konzerne!

Wofür wir stehen

Seit den „Refugee“-Protesten 2013/2014 treten wir für den Aufbau einer bundesweiten anti-rassistischen Bewegung ein. Dies halten wir weiterhin für erforderlich. Heute muss sich eine solche Bewegung gegen die AfD und den staatlichen Rassismus der Regierung wenden. Klassensolidarität mit den Geflüchteten und Kampf gegen die Angriffe der RassistInnen, der KapitalistInnen und der Regierung gehen Hand in Hand.

Für eine Strategiekonferenz schlagen wir gewerkschaftliche antirassistische Initiativen vor, damit wir gerade in der organisierten ArbeiterInnenschaft gegen den Spaltpilz von Rassismus und Nationalismus ankämpfen können! Dort stehen wir für folgende Forderungen und Ziele beim Kampf gegen die AfD ein:

  • AfD, Pegida, rassistischen und faschistischen Mobilisierungen entgegentreten! Organisierte Selbstverteidigung und Solidarität gegen rassistische Angriffe!
  • Gegen alle Abschiebungen! Rücknahme aller Verschärfungen der Asylgesetze! Nein zum sog. „Integrationsgesetz“! Keine rassistischen Sondergesetze wie „Burkaverbot“ oder Einschränkung des Nachzugs von Verwandten! Bereitstellung von sicherer Unterbringung (z. B. in Frauenhäusern) für Frauen und sexuell Unterdrückte! Für offene Grenzen und gleiche Staatsbürgerrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen! Weg mit der Festung Europa!
  • Recht auf Arbeit für Geflüchtete! Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde für alle statt 80-Cent-Zwangsjobs! Öffentliches Wohnungsbauprogramm! Beschlagnahme von leerstehenden Wohnungen und entschädigungslose Enteignung von ImmobilienspekulantInnen, um Wohnraum für alle zu schaffen! Gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten!

Wenn Du/Ihr Interesse hast/habt, tretet mit uns in Kontakt!

Aktionen gegen den AfD-Parteitag am 2. Dezember in Hannover

7.00: Theodor-Heuss-Platz, Blockaden rund um das HCC

11.30: Theodor-Heuss-Platz vor dem HCC, Auftaktkundgebung der Demonstration „Unsere Alternative heißt Solidarität“

12.30: Start der Demonstration

13.30 – 15.00: Abschlusskundgebung am Georgsplatz und Kulturprogramm

Aktuelle Infos: http://www.unsere-alternative.org/ , https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/hannover/

Veranstaltungen von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION

Kassel, Montag, 4. Dezember, 18.30, Philipp-Scheidemann-Haus, Holländische Straße 74

Wie weiter nach Hannover? Berichte, Einschätzung und Nachbesprechung

Organisiert von REVOLUTION/Kassel

Fulda, Mittwoch, 6. Dezember, 15.00, Parteibüro Die Linke, Heinrichstraße 81

Auswertungstreffen von REVOLUTION/Fulda

Dresden. Mittwoch, 6. Dezember, 18.00, Zentralwerk (1. Stock), Riesaer Straße 32

Auswertungs- und Perspektivtreffen von REVOLUTION/Dresden

Berlin, Mittwoch, 6. Dezember, 18.00, Bandito Rosso, Lottumstraße 10 a

Schon wieder GroKo?! Was bedeuten Wahlergebnis und AfD-Parteitag für den antirassistischen Kampf?

Ortsgruppentreffen von REVOLUTION Berlin

Berlin, Freitag, 8. Dezember, 19.00, Verein Iranischer Flüchtlinge, Reuterstraße 52

MeToo und sexistischer Rollback – Kampf gegen Trump, Weinstein und von Storch!

Diskussionsforum der Gruppe ArbeiterInnenmacht/Berlin

 

 




ArbeiterInnenbewegung hinter Gittern: Kurze Geschichte der Gefangenengewerkschaft/ Bundesweite Organisation

Georg Ismael und Pat, Infomail 974, 27. November 2017

„Die Proletarier haben nichts (…) zu verlieren als ihre Ketten.“ Diese Schlussfolgerung von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest hatte insbesondere jenen Teil der arbeitenden Bevölkerung im Sinn, der über nichts verfügte außer seiner Arbeitskraft. Freiheit bedeutete eben nichts außer der, einen Arbeitsplatz auf die Gefahr des Hungertodes hin ablehnen zu können. Doch auch diese Freiheit bleibt den heute rund 64.000 GefängnisinsassInnen in Deutschland verwehrt. Auch wenn der Begriff Zuchthaus mittlerweile außer Mode geraten ist: In deutschen Gefängnissen herrscht nach wie vor Arbeitszwang.

Der Staat nennt diesen Umstand „Resozialisierung“. Wir sollten einen Zustand, in dem die inhaftierten ArbeiterInnen für privatwirtschaftliche Unternehmen oft unter 10 Euro am Tag, ohne Kranken- und Rentenversicherung schuften, als das bezeichnen, was er wirklich ist: Ausbeutung. Sicher, in Ländern wie den USA, wo mehr als 2,1 Millionen Menschen in einem wachsenden industriellen Komplex der Gefängnisarbeit tätig sind, mag die Situation schlechter sein. Bisher dient der Knast in Deutschland in erster Linie der Abschreckung und Bestrafung, nicht zur Profitmacherei. Doch finden sich auch hier ambitionierte Büttel. So meinte Mannheims Anstaltsleiter Thomas Weber „Wir bräuchten eigentlich mehr Gefangene mit längeren Haftstrafen“.

Dass diesem Problem kaum Beachtung zuteilwird, liegt auch daran, dass Kriminalität hierzulande vornehmlich als moralische Verkommenheit von Individuen oder von der Mehrheit der Gesellschaft abgegrenzten Gruppen wahrgenommen wird. Dass es sich in der Regel aber um größere soziale Probleme handelt, die diese hervorbringen, spielt eine untergeordnete Rolle. Viel zu groß ist das Vertrauen großer Teile der ArbeiterInnenklasse heute, dass der Schiedsspruch des Richters auch rechtens sei. Der aktuelle Rechtsruck drückt sich auch darin aus, dass Justiz und Gefängnisregime in den Medien, von rechten und konservativen Kräften als zu lasch gebrandmarkt werden und dass dieser Ruf nach mehr „Law and Order“ stärker wird.

Klassenjustiz

Tatsächlich aber beherrschen Strafvollzug und Justiz die gleichen Klassenstrukturen, die alle anderen Sphären der Gesellschaft durchdringen. Während sich MillionärInnen, deren Namen in den Panama oder Paradise Papers auftauchen, von ihren Steuerdelikten freikaufen können, sitzen viele ArbeiterInnen und Arbeitslose Ersatzfreiheitsstrafen ab, weil sie ihr Bußgeld fürs Schwarzfahren nicht begleichen konnten. Jugendliche, die wiederholt im Supermarkt klauen, mögen das mit einer Freiheitsstrafe bezahlen. BankerInnen und ManagerInnen, die ihre Unternehmen in den Ruin führen, werden hingegen mit horrenden Abfindungen und der anschließenden Rettung ihrer Institutionen auf Steuerkosten „bestraft“. Und selbst wenn man einmal als Reicher, wie der gute Uli Hoeneß, im Gefängnis landet, gibt es natürlich eine Extrabehandlung. So ist es kaum verwunderlich, dass ein überproportionaler Teil der Gefangenen aus der ArbeiterInnenklasse stammt. Insbesondere Jugendliche und MigrantInnen sind besonders betroffen, werden auch überdurchschnittlich oft von Gerichten verurteilt.

Die fehlende Unterstützung durch die ArbeiterInnenbewegung in den letzten Jahrzehnten von „außen“ führte daher zunehmend zur Abnahme von Klassenbewusstsein hinter Gittern. Während sich RassistInnen und FaschistInnen sicherer fühlen können, sehen sich linke und revolutionäre Gefangene oft isoliert. Dieser Probleme nahmen sich InsassInnen der JVA Tegel im Mai 2014 an. Sie gründeten eine Gefangenengewerkschaft für das Gefängnis, in dem sie einsaßen. Dass sich die „Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO)“ in den vergangenen dreieinhalb Jahren auf 30 Anstalten und 1.500 Mitglieder ausweiten konnte, ist sicher eine Erfolgsgeschichte. Es ist aber auch ein Beleg für die großen Probleme, die Gefangene in ihre Reihen spülen.

Forderungen und Aktionen

Ihre zentralen Forderungen sind dementsprechend auch sehr grundlegend. Sie umfassen die Anerkennung des Rechts auf gewerkschaftliche Organisierung nach § 9 des Grundgesetzes in den Gefängnissen, die Umsetzung des Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde sowie Kranken- und Rentenversicherung für die Inhaftierten. Diese breiten, aber wichtigen Forderungen führen dazu, dass die Isolation zwischen den Gefangenen durchbrochen, dass individuelles Leid auch als Quelle von politischen und sozialen Verhältnissen wahrgenommen werden kann.

Sie bedeuten auch, dass die Klassenfrage gestellt wird. Selbstverständlich ist für jede Organisation der Klasse die Ablehnung von Rassismus, Sexismus und Homophobie eine Grundvoraussetzung. Die GG/BO stellt daher auch Unentschlossene vor die Frage, ob sie mit anderen für ihre gemeinsamen Interessen eintreten wollen oder ob sie lieber mit ChauvinistInnen oder FaschistInnen dafür sorgen, dass es anderen schlechter, ihnen deshalb aber noch lange nicht zwangsläufig besser geht.

Der Erfolg im Aufbau liegt aber sicherlich, wie bei dem vieler anderer Gewerkschaften, im aktiven Aufgreifen unmittelbarer Probleme in den jeweiligen Anstalten begründet. Beispielhaft seien hier nur eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine/n besonders schikanöse/n BeamtIn, Protest gegen die Lohnverweigerung gegenüber Gefangenen oder die schlechte Verpflegung aller Gefangenen genannt. Die GG/BO versucht, von innen und außen Druck zu erzeugen. Dort wo sie einen hohen Organisationsgrad hat, führt sie auch nach außen wahrnehmbarere kollektive Aktionen durch, zuletzt in Form eines Sitzstreiks von rund 40 Frauen in der JVA Chemnitz. Zwar musste die JVA auf die Forderungen der KollegInnen eingehen, die FührerInnen des Streiks wurden jedoch gewaltsam verlegt. Einige Ratten hatten sich wohl Privilegien oder die Begleichung einer offenen Rechnung erhofft und die „RädelsführerInnen“ der Kämpfenden verpfiffen. Zudem bietet die GG/BO seit neuestem auch kostenfreie juristische Unterstützung bei Asylverfahren für MitinsassInnen an. Wer mehr über andauernde Aktionen erfahren möchte, kann sich darüber jederzeit auf der Seite der GG/BO informieren (www.ggbo.de).

Unterstützt werden die Bestrebungen von Unterstützerkreisen im Freien. Diese führen nicht nur Demonstrationen oder Kampagnen durch, sie sind auch ein wichtiges organisatorisches Rückgrat. Schließlich sind Gefängnisse immer ganz grundlegend undemokratische Institutionen. Politische Aktivität findet hier, wo bereits ein Sitzstreik als Meuterei verstanden wird, im besten Fall unter halblegalen Umständen oder in Grauzonen statt. Doch diese UnterstützerInnenarbeit sollte nicht nur durch Freigelassene und linke AktivistInnen erfolgen. Sie sollte eine Aufgabe der gesamten Gewerkschaftsbewegung und der bestehenden ArbeiterInnenparteien sein. Die GG/BO ihrerseits fordert diese Zusammenarbeit nicht nur ein, sie befördert sie auch aktiv sowohl mit kleineren syndikalistischen Gruppen wie FAU und IWW wie auch mit dem DGB. Sollte letzterer sich jedoch ernsthaft dazu entscheiden, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen, hätte dies eine ungemeine Bedeutung.

Die Unterstützung seitens des DGB brächte nicht nur eine politische und finanzielle Stärkung mit sich. Sie würde auch bedeuten, dass sich die Mitglieder der GG/BO tatsächlich als Teil einer gemeinsamen ArbeiterInnenbewegung begreifen. Sie könnten auch einen guten Beitrag nach ihrer Entlassung leisten, denn wer wäre besser dazu geeignet, unter schwierigen Bedingungen einen Betriebsrat durchzusetzen oder eine Betriebsgruppe aufzubauen, als AktivistInnen, die sich unter den miserabelsten Umständen im Gefängnis als KollegInnen bewährt haben?

Wir unterstützen den Aufbau der GG/BO. Resozialisierung heißt für uns, Teil einer kämpfenden ArbeiterInnenbewegung zu sein, nicht als überausgebeutete Arbeitskraft im Knast und ohne lebenswerte Perspektive im Freien zu schuften.

AutorInnen

Georg Ismael ist aktiv in der Gruppe ArbeiterInnenmacht und der Jugendorganisation REVOLUTION,

Pat ist Sprecher der GG/BO in Waldheim (Sachsen)

 




Pakistan: Keine Unterstützung für religiöse Reaktionäre oder staatliche Repression!

Vorbemerkung der Redaktion, Infomail 274, 27. November 2017

Nach den heftigen Zusammenstößen zwischen Islamisten und Regierung, bei denen mindestens 6 Menschen getötet wurden, wurde der Konflikt mit Konzessionen an die Islamisten (vorerst) beigelegt, die als Sieger aus der Konfrontation hervorgehen. Die Regierung erfüllte eine Reihe von Forderungen, deren wichtigste zweifellos der Rücktritt des Justizministers Zahid Hamid war. Im Gegenzug beendeten die Reaktionäre ihre Aktionen. Die Übereinkunft enthält aber noch einen weiteren Aspekt. Der Generalstab der pakistanischen Armee trat als scheinbar über allen Parteien stehender „Vermittler“ auf. Damit setzt sich eine Entwicklung der letzten Monate fort, in der das Militär mehr und mehr politische Macht und Autorität in seinen Händen konzentriert, dass es vor allem die Kräfte der Reaktion – Islamisten und Armee – sind, die von der Krise der korrupten, zurecht verhassten Regierung profitieren.

Im Folgenden veröffentlichen wir eine Stellungnahme der „Revolutionary Socialist Movement“, der Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, vom 26. November, also noch vor der (vorläufigen) Beilegung des Konflikts.

Revolutionary Socialist Movement (Pakistan), 26. November 2017

Am 25. November forderte die pakistanische Regierung die Unterdrückung der zunehmenden Welle sogenannter Anti-Blasphemie-Proteste der sunnitisch-islamistischen Partei „Tehreek-e-Labbaik Ya Rasool Allah“ (Tehreek-e-Labaik, TLP). Nach einem gescheiterten Versuch, die Hauptstadt Islamabad mit Hilfe der Polizei zu räumen, hat die Regierung nun die Streitkräfte aufgefordert, in die Stadt einzugreifen. Derzeit sollen die Rangers, ein spezieller militarisierter Zweig der Sicherheitskräfte, die Operation leiten.

Als Reaktion darauf hat der demagogische Führer der Islamisten, Khadim Hussain Rizvi, landesweite Aktionen gefordert, um das Land zum Stillstand zu bringen. Am 25. November brachen Unruhen in Karatschi, Lahore, Hyderabad und Faisalabad aus. Insbesondere aus Karatschi wird berichtet, dass es abgeriegelt sei. Sechs Tote wurden gemeldet.

Die Bewegung begann am 8. November als Sitz-Protest am Autobahnkreuz Faizabad und blockierte den Verkehr, um das Leben in der Hauptstadt zu stören. Kurz zuvor hatte das Parlament das so genannte Wahlgesetz 2017 für Wahlen verabschiedet, die voraussichtlich 2018 stattfinden werden. Die Islamisten schürten die Gefühle über die Ersetzung des Wortes „Eid“ durch „Erklärung“ in dem Text, der für die Vereidigung von Abgeordneten des neuen Parlaments verwendet werden soll, und auch über das Weglassen jeglicher Bezugnahme auf den Status von Mohammed als endgültigem Propheten.

Tatsächlich zog die Regierung die Formulierung rasch zurück und behauptete, dass sie das Ergebnis eines Schreibfehlers sei, aber die Tehreek-e-Labaik setzte ihren Protest fort und forderte die Entlassung des Justizministers Zahid Hamid. Die Islamisten beharren weiterhin darauf, dass es sich bei der Unterlassung um ein bewusstes Zugeständnis an die „ketzerische“ Ahmadi-Sekte (Ahmadiyya) handelte, die unter der pakistanischen Verfassung zu Nicht-Muslimen erklärt wurde.

Nach Wochen zunehmender Spannungen entschied der Oberste Gerichtshof in Islamabad am 24. November, dass der Protest einen Terrorakt darstellte, und ordnete an, dass die Regierung ihn beenden sollte. Am nächsten Morgen griffen etwa 8.000 Elite-Polizisten und paramilitärische Kräfte den Protest an und versuchten, ihn mit Schlagstockeinsätzen und Tränengas zu zerstreuen. Gleichzeitig wurden „soziale“ Medien und mehrere Fernsehsender von der Regierung geschlossen. Diese Maßnahmen konnten nicht verhindern, dass sich die Bewegung auf mehrere Großstädte ausdehnte, was zu Straßenschlachten zwischen Islamisten und Sicherheitskräften im ganzen Land führte.

Daraufhin beschloss der Innenminister, die Armee in Islamabad herbeizuholen, und in Städten wie Karatschi wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Am Abend des 25. November hatten die DemonstrantInnen ihre eigenen Forderungen eskaliert und einen Showdown provoziert, indem sie den Rücktritt des gesamten Kabinetts forderten.

Die Krise kommt nach einem Jahr wachsender Regierungsskandale. Erst kürzlich musste der Premierminister Nawaz Sharif seinen Rücktritt erklären, weil er und seine Familie Verbindungen zu den in den Panama-Papieren offenbarten Seilschaften hatten. Sowohl die liberale bürgerliche Opposition unter Imran Khans Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit, PTI) als auch islamistische Organisationen haben Widerstand gegen die Regierungspartei Pakistanische Muslimliga-Nawaz, PML-N aufgebaut, während das Militär seine eigene Position im Hintergrund verstärkt.

Während ein Militärsprecher der Regierung Unterstützung zusicherte, versuchte die Armee auch, die Verantwortung für die Unterdrückung des Protestes und jegliche Opfer an die zivilen Behörden zurückzugeben, indem sie die Regierung aufforderte, den wachsenden Konflikt „friedlich“ beizulegen – eine hoffnungslose Aufgabe angesichts der eskalierenden Forderungen der Islamisten. Die Regierung hat nun den Ball wieder ins Feld der Armee zurückgespielt und sie aufgefordert, in Islamabad einzugreifen. Bei Abfassung dieses Artikels ist allerdings noch nicht klar, welche Maßnahmen das Militär ergreifen wird.

Es liegt zwar auf der Hand, dass die Generäle diese Verantwortung nicht wollen, geschweige denn, dass sie im Moment die Macht übernehmen, aber die Situation ist äußerst gefährlich. SozialistInnen können der reaktionären Bewegung, die sich auf den Straßen der pakistanischen Städte entfaltet, nicht die leiseste politische Unterstützung geben. Gleichzeitig ist es ein politischer Skandal, den Staat aufzufordern, die Proteste brutal zu zerschlagen, wie es die Führer der Awami Workers‘ Party getan haben. Diese Führer haben bereits als die Fünfte Kolonne des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif gehandelt und behauptet, dies sei Teil eines angeblichen Kampfes für Demokratie gegen die Diktatur. In Wirklichkeit könnte ein Durchgreifen der Regierung eine Schlangengrube der Reaktion öffnen, die nicht auf islamistische Kräfte beschränkt wäre.

Die Islamisten stellen sich als reaktionäre, rebellierende Opposition gegen eine korrupte PML-N-Regierung dar, obwohl der Protest von Tehreek-e-Labaik in Wirklichkeit eine zynische Ablenkung von den wirklichen Problemen ist, mit denen Pakistans Millionen von städtischen und ländlichen Armen konfrontiert sind. Eine solche Bewegung schürt unweigerlich Ausschreitungen gegen die religiösen und nationalen Minderheiten des Landes. Das zum Sündenbock Stempeln der Ahmadi-Minderheit wird Hass entfachen und könnte sogar Pogrome anregen. Die PML-N-Regierung wird sich unterdessen als einzige Verteidigerin der Demokratie aufspielen, während sie sich immer mehr in Richtung autoritärer bonapartistischer Herrschaft bewegt. Das Militär hält sich auch die Möglichkeit offen, in einer Situation, von der es glaubt, sich der sozialen Unterstützung dafür sicher zu sein, die Macht an sich zu reißen, um „Recht und Ordnung zu bewahren“.

Revolutionäre SozialistInnen und die gesamte ArbeiterInnenbewegung sollten sich jedem militärischen Eingreifen oder der Verhängung eines Ausnahmezustands widersetzen, sie sollten die Aufhebung des Verbots von „sozialen Medien“ und Nachrichtenkanälen und die Einstellung des gegenwärtigen Vorgehens fordern. Diese Maßnahmen werden zweifellos gegen die ArbeiterInnenklasse und alle fortschrittlichen Kräfte im Land eingesetzt werden. In ArbeiterInnenbezirken und Minderheitengebieten sollten Organisationen wie die Gewerkschaften den Schutz vor Angriffen oder Pogromen der Islamisten oder Interventionen der Staatskräfte organisieren. Mehr denn je kann nur ein Kampf gegen die Armut und für demokratische Rechte den Massen eine Alternative zum gegenwärtigen Karneval der Reaktion bieten.

Weit davon entfernt, die Kommunikation zu blockieren und Informationen zu zensieren, braucht das Land eine Öffnung des gesamten Regierungsapparates, der Abschlüsse, der Konten, der Finanztransaktionen und Verträge der Regierung, des Militärs und der Großunternehmen. Die Korruption und Plünderung des Landes ist ein Phänomen, das sich nicht nur auf die Nawaz-Familie beschränkt. Die arbeitenden Massen haben ein Recht darauf, dies in aller Deutlichkeit zu sehen.

Tatsächlich ist es die Tatsache, dass die Linke es versäumt hat, eine solche Bewegung ins Leben zu rufen, und dass sie sich stattdessen auf eine abstrakte Verteidigung der „Demokratie“ konzentriert, die die Initiative auf der Straße an reaktionäre Kräfte serviert hat. Natürlich besteht immer die reale Gefahr, dass das Militär wieder an die Macht kommt, aber der beste Weg, dem entgegenzuwirken, ist nicht die laue Unterstützung der korrupten Regierung, sondern eine klare proletarische Opposition. Die Linke hätte schon vor Monaten an der Spitze eines solchen Kampfes stehen müssen. Nun sollte dieser Fehler so schnell wie möglich korrigiert werden, indem eine Einheitsfront aus Gewerkschaften, ArbeiterInnen-, Jugend- und Frauenorganisationen gegen die Regierung und ihre reaktionären Herausforderer, seien es Generäle oder Islamisten, aufgebaut wird.