G20-„Partnerschaft“ mit Afrika

Der lange Schatten des Kolonialismus

Kapitel 4, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Der G20-Gipfel in Hamburg rückt näher und dementsprechend gibt es Vorkonferenzen. So trafen sich aktuell die G7 auf Sizilien, sprachen natürlich nicht über Geflüchtete – wäre zu naheliegend gewesen zu fragen, warum diese flüchten. Stattdessen konnte der US-Präsident dort noch mal deutlich sagen, dass niemand etwas gegen den Klimawandel tun muss, schon gar nicht die Industriestaaten und imperialistischen Führungsmächte. Dies ist quasi die Vorbereitung zum G20-Gipfel.

G20-Partnerschaft – neues Wort für imperialistische Unterdrückung

Als Vorsitz der G20 2017 hat Deutschland sich etwas Spezielles ausgedacht: eine „Partnerschaft Afrikas“ mit den G20 als Fokus des Gipfels. Afrikakonferenzen wurden vom deutschen Imperialismus immer schon dann einberufen, wenn entweder der „Platz an der Sonne“, also in der ersten Reihe der Weltmächte, lockt oder aber Gefahr im Verzug ist, den Einfluss auf diesem Kontinent zu verlieren. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte der Verbrechen der europäischen Mächte. Kolonialismus und Imperialismus durchziehen wie ein roter Faden aus Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung die Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents.

So sind heute die Schuldenrückzahlungen der afrikanischen Staaten jedes Jahr höher als die sog. „Entwicklungshilfe“. Letztere finanziert hauptsächlich den Marktzugang der Konzerne. Auch Rüstungsexporte werden gerne vorfinanziert. Es handelt sich hier einerseits um eine staatliche Unterstützung dieser Branche, andererseits werden verbündete Regime bewusst gestärkt, um so die eigenen ökonomischen Interessen mit anderen, politischen und militärischen Mitteln zu sichern. Dafür wird auch schon mal ein Bürgerkrieg in Kauf genommen. Minister Müller von der CSU sieht Afrika heute vor allem als „Chancenkontinent“. In der Broschüre des BMZ zur Afrika-Partnerschaft (https://www.bmz.de/de/service/sonderseiten/g20/partnerschaft_mit_afrika/index.html) wird das hohe Lied der Kooperation gesungen. Wie viel mehr möglich wäre, davon schwärmen die PolitikerInnen der imperialistischen Staaten immer gerne – ungefähr, seitdem sie angefangen haben, Afrika zu erobern und auszubeuten.

Keine Chance auf ein Leben, dann flüchte!

Im Gegensatz zu Minister Müller sehen viele AfrikanerInnen ihre Zukunft gar nicht rosig. Im Gegenteil, sie nehmen den Tod im Mittelmeer in Kauf, nur um die Chance zu haben, nach Europa zu flüchten. Die Landwirtschaft, welche weiterhin der bestimmende Produktionssektor ist, wird auf den Export in die EU, USA und, neuerdings, China ausgerichtet. Die Profite eigen sich multi-nationale Konzerne an, während die lokalen ProzentInnen mehr und mehr in den Ruin getrieben werden. Generationen der Landbevölkerung haben keine Perspektive.

Gut bezahlte und ausgestattete Söldnermilizen führen Krieg bspw. um die Diamantenminen des Kongo, oder Jugendliche und Kinder dürfen in Ghana die Kakaobohnen für den Weltmarkt pflücken. Dies sind Bestandteile der Realität eines Kontinents, auf dem der „Arabische Frühling“ 2010/2011 etliche Hoffnungen auf eine andere Zukunft freisetzte, aber letztlich mit Unterstützung der imperialistischen Staaten abgewürgt wurde.

In der Broschüre des deutschen Ministers wird Ägypten zynisch als Beispiel für die gelungene Reintegration für Geflüchtete benannt. Zusammen mit der deutschen Wirtschaft, die rund um Suez sehr aktiv investiert, werden Praktika und Jobs vermittelt. Das ist ein Hauptziel der „Partnerschaft“: Flucht verhindern, Abschiebung organisieren und dabei selbst Profite machen. Das wird auch im Zentrum der europäischen Staaten in Hinblick auf die G20-Partnerschaft stehen: Wie bekommen wir wieder ein „stabiles“ nordafrikanisches Grenzregime mit Auffanglagern à la Gaddafi in Libyen? Solange das funktioniert, sind auch Militärpräsidenten wie der Ägypter as-Sisi stabile Partner des Westens, genau wie Mubarak und Gaddafi zuvor. Die EU will in diesem Partnerschaftsabkommen die erste Geige spielen, sieht sie doch traditionell die Südseite des Mittelmeers als ihre Einflusszone. Allein der französische Imperialismus wütete in West- und Nordafrika beispiellos.

Diesen Fokus will auch die EU behalten, gibt es doch mit China einen neuen schwergewichtigen Konkurrenten, welcher äußerst aktiv in die Märkte eindringt (Sudan, Tschad, Mosambik). Dabei hat sich der chinesische Imperialismus im Unterschied zu den meisten Gegenspielern vorgenommen, auch die Infrastruktur und wenn möglich sogar die Produktion in den Staaten aufzubauen – natürlich unter eigener Kontrolle. Die EU will vor allem die AU (Afrikanische Union) zu ihrem Büttel machen. Die darf dann für die europäischen Profitinteressen vor Ort wirken: noch vorhandene Handelshemmnisse abbauen, den „Flüchtlingsstrom“ eingrenzen und wenn möglich auch eine militärische Interventionstruppe aufbauen, die z. B. in Mali den französischen Truppen helfen kann. Die EU stützt sich dort neben Ägypten vor allem auf Südafrika, welches selbst in einer tiefen politischen und ökonomischen Krise ist. Präsident Zuma wird inzwischen auch vom ANC kaum noch verteidigt, das Kabinett je nach Wirtschaftsinteressen umbesetzt und im Land gibt es rassistische Unruhen gegen ArbeitsmigrantInnen, zu denen der ANC stumm bleibt. Diese Regime und ihre Willfährigkeit gegenüber dem Imperialismus sind Kennzeichen der Entwicklung Afrikas.

Antiimperialismus statt „Partnerschaft”

Wir unterstützen daher alle Proteste gegen die „G20-Partnerschaft“ mit Afrika, welche z. B. am 10.6. in Berlin stattfinden. Wir fordern die Offenlegung aller geplanten Abkommen, aller Verträge, die die Interessen der europäischen und anderer imperialistischer Staaten wie der Regime, politischen und ökonomischen Eliten der afrikanischen Länder bedienen.

Um sich aus der Umklammerung durch diese „PartnerInnen“ zu lösen, ist keine verlogene „Partnerschaft“ im Interesse der dominierenden Großmächte nötig, die heute den Kontinent zwar nicht mehr als Kolonialmächte, wohl aber über ihre Stellung in der imperialistischen Weltordnung trotz formaler Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten dominieren. Ein wesentliches Mittel dabei sind die Schuldenlast der Länder, die Ausplünderung durch westliche Konzerne und Banken und die militärische Präsenz dieser Staaten.

Wir treten daher für die sofortige Streichung der Staatsschulden der afrikanischen Länder ein. Die imperialistischen InvestorInnen sollten ohne Entschädigung unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Diese gebündelten Ressourcen könnten Teil eines Plans zur Wirtschaftsentwicklung sein – was selbst wiederum erfordert, diesen Kampf mit dem gegen die pro-imperialistischen, kapitalistischen Regierungen, für ArbeiterInnen- und Bauernregierungen und eine sozialistische Vereinigung des Kontinents zu verbinden.

Alle imperialistischen Truppen und MilitärberaterInnen müssen aus Afrika abgezogen werden. Zugleich treten wir für die Öffnung der Grenzen für alle Geflüchteten ein, deren freie Wahl des Wohnorts, ihr Recht auf Wohnraum, Arbeit sowie gleiche bürgerliche und politische Rechte.

Die Proteste gegen den G20-Afrika-Gipfel können einen Schritt vorwärts hin zu einem gemeinsamen Kampf von Linken, ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen und SozialistInnen in Europa und Afrika gegen Ausbeutung, Rassismus und Imperialismus bedeuten.




Die G20 in der kapitalistischen Weltordnung

Oder: der beginnende Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Kapitel 3, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die aktuelle Krisenperiode ist jedoch nicht nur eine wirtschaftliche. Sie ist eine des Gesamtzusammenhangs des imperialistischen Weltsystems.

Die strukturelle Überakkumulation bildet aber ihre ökonomische Basis. Sie inkludiert auch, dass noch so wohlmeinendes Regierungshandeln, noch so umsichtige Reform den Karren nicht aus dem Dreck ziehen kann. Innerkapitalistisch gesprochen, gibt es für die herrschenden Klassen keinen anderen Ausweg, als die Kosten der Krise auf die Massen abzuwälzen. Damit einher geht auch eine weitere Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die ökologische Katastrophe. Mit beiden werden wir uns später beschäftigen.

Die Weltwirtschaftskrise und globale Rezession bildete den Ausgangspunkt für eine Krise der gesamten globalen „Ordnung“, wie sie noch in der Globalisierungsphase unter US-Hegemonie reproduziert worden war. Anders als bei einer rein ökonomischen, zyklischen Krise, die auch den Ausgangspunkt für eine Neubelebung darstellt, hat 2007/2008 nur eine Periode begonnen, die selbst von wachsender Instabilität und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt geprägt ist.

Gerade weil die Überakkumulation von Kapital ökonomisch die Basis für die Verwerfungen abgibt, steht immer auch die Frage im Raum, wessen Kapital, global betrachtet, vernichtet werden muss, welche Kapitalfraktionen überleben. Das ist aber keine rein ökonomische Frage, keine der reinen Marktkonkurrenz, sondern wird auch staatlich ausgetragen, weil Staaten auch Mittel haben, ihre Unternehmen, ihren Markt zu „schützen“ oder die Kosten der Krise auf andere abzuwälzen. Diese verschärfte Konkurrenz finden wir auf allen Ebenen. So ist – das schon vorweg – jeder „Weltklimagipfel“ immer auch eine Arena im Kampf darum, wer die Kosten des Klimawandels zu tragen hat. Dasselbe trifft auf andere ökologische Veränderungen zu. Auch die Fragen des Freihandels, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind immer auch solche, wer welche Waren zu welchen Bedingungen wohin verkaufen kann. Auch wenn sich die europäischen Länder oder China neuerdings gern als Freunde des freien Handels geben und Protektionisten wie Trump schelten, so ändert das natürlich nichts daran, dass auch sie ihre Länder oder Wirtschaftsblöcke vor Produkten der Konkurrenz abschotten. So klagen die Länder des „globalen Südens“ immer wieder über Hemmnisse beim Export in die „freien Märkte“ des Westens.

Klagen über die „Übervorteilung“ durch andere und Bekenntnisse zu „Partnerschaft“ und „Zusammenarbeit“ prägen stets Verhandlungen über zwischenstaatliche Handelsabkommen. Wie bei jedem Geschäft ist es auch auf dem Weltmarkt so, dass sich jede/r als rechtschaffene/r VerkäuferIn/KäuferIn darstellt, während dem/r anderen KäuferIn/VerkäuferIn unlautere Motive unterstellt werden.

In der letzten Dekade können wir jedoch generell eine Veränderung der globalen Entwicklung feststellen. Anfang der 1990er Jahre waren die Zeichen der Weltwirtschaft auf eine Ausdehnung des Freihandels gestellt. Das damals geltende GATT (General Agreement on Tariffs and Trade = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) wurde durch die Welthandelsorganisation (WTO = World Trade Organization) abgelöst. Grundlegendes Ziel war es, eine der kapitalistischen Globalisierung entsprechende Welthandelsordnung durchzusetzen. Real betrachtet, handelte es sich dabei um Normen, die v. a. allem den Vorstellungen der USA und der anderen G7-Länder entsprachen. Abbau von Handelshemmnissen, Subventionen, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung waren Maximen ihrer Ausrichtung. Die WTO schien mit dem Beitritt Chinas 2001 zu einer zentralen Lenkungsinstanz der Weltwirtschaft zu werden, auf einer Höhe mit IWF und Weltbank. Aber dem Erfolg folgte, wie so oft, die Ernüchterung. Die zunehmende Konkurrenz erschwert substanzielle Übereinstimmung, zumal die WTO für ihre Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit der 164 Mitgliedsstaaten braucht, und trieb und treibt die verschiedenen Staaten eher zu regionalen Abkommen. Dass selbst diese angesichts zunehmender Gegensätze fragil sind, zeigt das Scheitern von TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und TPP (Transpazifische Partnerschaft) unter der Präsidentschaft Trumps. Aber auch vor dem neuen US-Präsidenten stand TTIP – allerdings eher wegen der Kritik aus Frankreich und anderen europäischen Ländern – kurz vor dem Aus.

Konkurrenz und Gegensätze

Das spiegelt die zunehmende Konkurrenz wider. Diese tritt uns nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft, sondern auch auf politischem und militärischem entgegen. Heute erscheint es vielen so, als wäre Trump der erste US-Präsident gewesen, der für eine Entspannung im Verhältnis zu Russland eintrat. In Wirklichkeit versprach auch Barack Obama 2009 einen „Neustart“ in den Beziehungen.

Dieser scheiterte daran, dass die außenpolitische Doktrin des US-Imperialismus letztlich nicht von Versprechungen eines Präsidenten abhängt, sondern längerfristigen geo-strategischen Zielen folgt.

Seit Ende der 1990er Jahre, grob gesagt, nachdem sich der russische Imperialismus unter der bonapartistischen Herrschaft Putins wieder stabilisieren konnte, entwickelt sich das Verhältnis zwischen den USA und Russland als eines von Gegnern. Die USA wollten Russland zu einer Regionalmacht herabdrücken, im Grunde zu einer Halbkolonie des Westens, die zwar in der Region noch etwas zu sagen hat, deren Wirtschaft und Politik jedoch über pro-westliche Parteien und Gruppierungen bestimmt werden. Mit Putin und der Reetablierung einer russischen Staatsbürokratie, die die Interessen des Gesamtkapitals mit despotischen Mitteln wahrnimmt, konnte Russland dem weiteren Vordringen der USA, diversen pro-amerikanischen Umsturzversuchen usw. mehr entgegensetzen. In der Ukraine eskalierte der Konflikt. Die EU und v. a. Deutschland wollten eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu ihren Gunsten, wenn auch am liebsten eine ohne blutigen Umsturz, und bauten über die Adenauer-Stiftung und EU-Gelder sogar eine eigene Partei um Klitschko auf. Die auch unter Obama von den Neo-Konservativen bestimmte US-Politik wollte mehr. Russland sollte ganz verdrängt werden – dazu war auch eine blutige Machtübernahme mit Faschisten und Nationalisten als Sturmtruppen recht.

Der „Neustart“ wurde zum Neubeginn eines Kalten Krieges, zur Etablierung eines pro-westlichen rechten Regimes in Kiew, zum Beginn eines Bürgerkrieges. Russland konterte auf der Krim und durch die Unterstützung der „Volksrepubliken“ im Donezbecken. Der Konflikt geriet mehr und mehr zum Stellvertreterkrieg. Unter Trump setzte sich das Spiel fort. Trotz Russland-Tapes und fragwürdigen Geschäftsbeziehungen bestimmt letztlich die etablierte Riege des imperialistischen Staates die Russland-Politik, nicht das Kabinett.

Dies ist in der Geschichte des Imperialismus nichts Neues. Im Grunde verfügen alle imperialistischen Staaten über einen Stab, der die Parameter und Ziele der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik, die strategischen Ziele usw. festlegt. In krisenhaften Perioden können natürlich auch diese neu definiert werden (bzw. kann dies erzwungen werden). Die konfrontative Politik der USA gegenüber Russland ist jedoch kein Zufall oder „Sturheit“, sondern erklärt sich durchaus folgerichtig aus den Ansprüchen beider Staaten. Hinzu kommt, dass die USA ein Interesse haben, die EU in einen dauerhaften Konflikt mit Russland hineinzuziehen. Dieses Beispiel soll nur illustrieren, dass sich die inner-imperialistischen Gegensätze in der aktuellen Periode gefährlich zuspitzen.

USA – China

Global betrachtet, ist hier sicherlich jener zwischen den USA und China an erster Stelle zu nennen. Es ist der zentrale Gegensatz der aktuellen Weltordnung. Die USA sind noch immer die größte Nationalökonomie der Welt, ihr Dollar die wichtigste Währung. Aber die US-Wirtschaft kann sich wesentlich nur über eine Niedrigzinspolitik über Wasser halten. Die US-Konzerne haben sich zwar in einigen Bereichen gefestigt, sie drohen aber, weiter gegenüber europäischer, chinesischer oder japanischer Konkurrenz zurückzufallen. Trumps Ruf nach „besseren Deals“ reflektiert dieses Zurückfallen der USA.

Anders als ihre KonkurrentInnen müssen die USA auch ihre Stärke global bei praktisch jedem Konflikt demonstrieren. Während China oder die EU-Länder, erst recht Russland und Japan, auf einige Regionen konzentriert sind oder andere vor allem mit Export von Kapital und Waren beglücken, müssen die USA ihre Rolle als Weltpolizist spielen. Dass die USA von den „Verbündeten“ mehr Vasallentreue und mehr Geld fordern, ist von ihrer Warte aus verständlich. Umgekehrt sind jedoch die „Verbündeten“ selbst imperialistische Mächte, die wie Deutschland oder Frankreich vor der Frage stehen, ob sie ihre langfristigen Ziele mit den USA oder gegen diese durchsetzen müssen.

Während die EU mehr den Versuch, einen imperialistischen Block zu formieren, darstellt, von inneren Gegensätzen gekennzeichnet und auf kurze Frist sicherlich mehr auf ihre eigene Stabilisierung konzentriert sein wird, ist China für die USA ein dynamischer Konkurrent, der in wenigen Jahren zu einer führenden Industrienation aufstieg.

Anders als Länder wie Indien, die in bestimmten Bereichen zwar ein fieberhaftes Wachstum zu verzeichnen hatten, insgesamt jedoch vom imperialistischen Finanzkapital bestimmt werden, entwickelt sich in China auch eine imperialistische Nation. Neben riesigen Konzernen, die in verschiedenen Branchen um die Weltmarktführerschaft ringen, versucht die Staatsbürokratie, einem Finanzkapital als Geburtshelfer zu dienen, die soziale Struktur und die Infrastruktur des Landes so zu entwickeln, dass sie denen eines imperialistischen Staats entsprechen. Natürlich wird auch dann China noch von enormen inneren Gegensätzen, von einer Ungleichzeitigkeit der Entwicklung geprägt sein. Aber es hat nicht nur die Möglichkeit, sich als eine imperialistische Macht zu etablieren, es kann auch gar nicht anders, wenn das schon entwickelte nationale Kapital weiter expandieren soll.

Es kann dies nur, indem es mehr und mehr Anteil nimmt am Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Das Projekt einer „neuen Seidenstraße“, ein gigantisches Investitionsvolumen von über 900 Milliarden US-Dollar, ist daher nicht nur ein Wirtschaftsprogramm, sondern geht auch einher mit militärischen Zielen, Hochseehäfen, der Aufrüstung der Marine etc. In Ländern wie Pakistan – lange ein Vasall der USA – zeigt sich der zunehmende Einfluss Chinas und ein Umschwenken des Militärs und politischen Establishments zu einer anderen „Schutzmacht“ deutlich.

Dass die europäische Union oder Japan im Moment eher angeschlagen sind, soll nicht bedeuten, dass sie beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt schon abgehängt sind. Aber es ist sehr deutlich, dass sie im Gegensatz zu China, aber auch den USA über keine globale Ausrichtung oder Strategie verfügen. Für die EU kommt hier noch das zusätzliche Problem hinzu, dass sie als Staatenbund auch ein Block imperialistischer Staaten mit unterschiedlichen Interessen ist. Die Konkurrenz zwischen den USA und China, aber auch deren Initiativen werden die EU und auch den deutschen Imperialismus in der nächsten Periode zu einer Neubestimmung ihrer globalen Strategie zwingen. Wenn Merkel davon spricht, dass Europa sich mehr auf „seine eigenen Kräfte besinnen“ müsse, so artikuliert sie dabei, wenn auch vorsichtig, die Notwendigkeit einer strategischen Neubestimmung, ob nun im Verbund mit der ganzen EU und Eurozone oder durch den Fokus auf ein Kerneuropa mit Frankreich.

Diese Neuausrichtung wird durch den Austritt Britanniens aus der EU offensichtlich leichter. Eine deutlicher deutsch-französische EU könnte sowohl zu einem eigenständigen Aufrüstungsprojekt, als auch deutlicher weltpolitisch als Absicherung vor allem der deutschen Exportinteressen dienen. Sichtbar wird dies bereits an den offen aufbrechenden strategischen Differenzen zu den USA im Nahen und Mittleren Osten. Während die USA unter Trump wieder verstärkt auf die traditionellen Bündnispartner Saudi-Arabien und ägyptisches Militär im Verbund mit ihrem israelischen Stützpunkt setzen, wird die EU – eventuell auch im Verbund mit Russland und China – weiter versuchen, zu einem Ausgleich mit dem Iran zu kommen. Unter dem Deckmantel der “Friedenspolitik” wird hier beinhart versucht, die eigene Stellung in dieser weltpolitisch entscheidenden Region nach einer “Befriedung” in Syrien und dem Irak zu sichern. Ein klares Indiz für die zunehmende Konkurrenz zeigt sich in jedem Fall auf militärischem Gebiet – und zwar nicht nur bei den imperialistischen Kernländern der G20. Praktisch alle Staaten rüsten massiv auf – ob nun aus „eigenem Antrieb“ oder weil sie sich dazu gezwungen sehen.

Aufrüstung und Interventionen

Die Regierung Trump erhöht den Militäretat, der ohnedies schon der weitaus größte der Welt ist, und auch jenen für die innere Sicherheit. Die EU-Staaten wie Deutschland rüsten auch auf. So soll der Verteidigungshaushalt bis 2024 auf 2 Prozent des BIP erhöht werden – um rund zwei Drittel!

Insgesamt betrugen 2016 die weltweiten Militärausgaben 1,69 Billionen Dollar. Davon entfielen auf die USA 611 Milliarden, auf China 215. Dahinter folgt Russland mit einem Respektabstand und 69,2 Milliarden. Deutschland liegt mit 41,1 Milliarden Dollar auf Rang 9. (Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2016 in Milliarden US-Dollar)

Auch wenn solche Statistiken nur unzureichend die militärische Stärke oder Schlagkraft wiedergeben, weil vorhandene Bestände oder Kampferfahrungen nicht in sie eingehen – so ist es kein Zufall, dass sich praktisch alle wichtigen imperialistischen Länder unter den ersten 15 finden.

Ein anderer Indikator für die Zuspitzung der Gegensätze ist die zunehmende Anzahl von Interventionen, Besatzungseinsätzen und Kriegen. Wichtiger noch ist, dass sich ihre Qualität verändert. In Syrien, aber auch im Jemen, in der Ukraine und vor allem bei den Drohungen in der Südchinesischen See haben wir es mit Stellvertreterkriegen oder auch mit direkten Drohungen seitens imperialistischer Mächte zu tun. Die US-Aggression gegen Venezuela, aber auch gegen Nordkorea ist ebenso in diesem Kontext zu betrachten wie die Interventionen europäischer Staaten, vor allem Frankreichs, in Afrika, die auch dazu gedacht sind, den Einfluss Chinas zurückzudrängen.

G20 – Austragungsort des Kampfes

Die G20 sind ein Austragungsort des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wie jede andere „globale“ Institution, ob nun die UN, IWF/Weltbank, Klima- oder auch Friedenskonferenzen.

Anders als z. B. unter den G7 finden sich unter den G20-Staaten aber keineswegs nur imperialistische Länder. Zu dieser Kategorie gehören neben den G7 (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada) Russland, China, Australien. Südafrika konnte sich zwar in den 60er Jahren unter besonderen Umständen als imperialistisches Land etablieren, ist heute aber immer weniger in der Lage, diese Stellung zu halten. Wir rechnen es im Folgenden nicht zu den imperialistischen Teilen der G20. Zur EU gehören außerdem noch eine Reihe weiterer schwächerer imperialistischer Länder wie auch Halbkolonien.

Betrachten wir den imperialistischen Kern der G20, so vereint dieser rund 70 Prozent ihres BIP. Allein das drückt das enorme ökonomische Gewicht dieser Länder aus.

Noch deutlicher wird ein Blick auf die großen Unternehmen. Bis um die Jahrhundertwende waren die großen Konzerne der Welt, ob nun im industriellen, im Finanz- oder Handelssektor, auf die sog. Triade (USA, Japan, Westeuropa) konzentriert. An diesem Bild hat sich mit wenigen Ausnahmen nur eines geändert: China. Ein Blick auf verschiedene Rankings der 100 oder 500 größten Unternehmen in verschiedenen Branchen zeigt, dass auch diese unter den imperialistischen Staaten der G20 – nicht unter allen gleichermaßen! – konzentriert sind. Natürlich versuchten in den letzten Jahren die Länder des „Südens“, teilweise an einem Strang zu ziehen. Aber grundsätzlich ist es irreführend, ein gemeinsames Interesse dieser Länder im Gegensatz zu den imperialistischen zu unterstellen.

Erstens werden zu dieser Gruppe auch imperialistische Staaten wie China, teilweise sogar Russland, mitgezählt.

Zweitens bleibt die Tatsache zu wenig berücksichtigt, wenn überhaupt, dass auch die vom Imperialismus beherrschten, halb-kolonialen Länder Klassengesellschaften sind und die Bourgeoisie vor allem am Erhalt ihrer politischen Herrschaft interessiert ist. Sie steht in einem viel tieferen Gegensatz zur ArbeiterInnenklasse und zur Bauernschaft als zu den imperialistischen Mächten, auch wenn diese ihr Land brutal ausplündern.

Selbst wenn es immer Konflikte zwischen links-bürgerlichen Regierungen und dem Imperialismus gibt, so bedeutet das keinesfalls, dass es eine über die Grenzen reichende Solidarität der halbkolonialen Bourgeoisien gibt. Im Gegenteil, diese sind nationale Klassen, die in der Regel ihren Nachbarstaat mindestens als ebenso großen Konkurrenten wie als Verbündeten betrachten. Die grenzübergreifende Einheit des Bürgertums oder Kleinbürgertums ganzer Kontinente oder gar „des Südens“ ist ein Mythos. Das zeigt die reale Erfahrung der Kämpfe seit dem 19. Jahrhundert – eine Erfahrung, die die marxistische Analyse verständlich machen kann, weil für sie der Imperialismus auch nur eine Stufe kapitalistischer Entwicklung, also zuerst ein Klassenverhältnis darstellt.

Betrachten wir die halb-kolonialen Länder, die am G20-Gipfel teilnehmen, so zeigt sich, dass sie allesamt um eine bessere Position innerhalb der bestehenden Weltordnung kämpfen. In dem Sinn nehmen sie – vor allem auf regionaler Ebene – auch Einfluss auf Akteure im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die zunehmenden Konflikte unter den imperialistischen Staaten eröffnen ihnen dabei durchaus auch Spielraum für eigene Ambitionen, aber sie erhöhen auch die Gefahr von Kriegen zwischen diesen Ländern. So mischen im Krieg in Syrien nicht nur Regierung und Opposition, Russland, EU-Staaten und USA, sondern auch Türkei, Iran, Saudi-Arabien eifrig mit und nehmen dabei durchaus auch eine Verschärfung der Lage in Kauf. Dennoch sind diese Länder nach wie vor nicht vom eigenen Großkapital, sondern vom imperialistischen Finanzkapital, dem Kapitalexport, Profitabzug, von Finanzströmen aus den Zentren bestimmt. Das trifft selbst auf Indien, das mit Abstand stärkste unter diesen Ländern, zu. Zweifellos können diese Staaten auch als „Regionalmächte“ beschrieben werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie keine imperialistischen oder „sub“imperialistischen Mächte, sondern vom Imperialismus dominierte Staaten darstellen, oft als Verbündete von bestimmten Großmächten.

So organisieren die USA gemeinsam mit Japan ein Bündnis zur Eindämmung Chinas, bei dem Indien eine zentrale Stellung einnimmt. Ebenso versuchen die USA unter Trump, ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien nachhaltig zu festigen wie auch jene zur Türkei wieder zu bessern, den Einfluss Russlands und der EU zurückzudrängen. In Lateinamerika haben die USA selbst in Zusammenarbeit mit der politischen Rechten Macri in Argentinien und den Temer-Putsch in Brasilien unterstützt.

Deutsche Agenda

Die G20 stehen realiter nicht im Zeichen des Gegensatzes Nord-Süd, sondern in dem der imperialistischen Blockbildung. Der veränderte Kurs der USA unter Trump bedeutet, dass sich die Fronten bewegen können. Dabei werden die USA sicher nicht nur „isoliert“ sein. Länder wie Großbritannien, Brasilien (sofern Temer nicht gestürzt wird), Türkei und Saudi-Arabien, aber auch Japan und Indien, können durchaus mit den USA an einem Strang ziehen. Umgekehrt zeichnet sich ein Gegenblock ab, der auch alles andere als frei von Widersprüchen ist. Mögen die EU-Staaten und China gegenüber der US-Regierung Freihandel und Klimaschutzabkommen auch gemeinsam verteidigen, so sind zahlreiche Fragen zwischen diesen auch ungelöst – insbesondere auch das Verhältnis zu Russland. In jedem Fall kann damit gerechnet werden, dass alle Seiten den Gipfel zum Schaulaufen für die eigenen Interessen nutzen wollen. Die deutsche Bundesregierung hatte ursprünglich sicher gehofft, sich an der Seite von Hillary Clinton als „Partnerin auf Augenhöhe“ für die „freie Welt“ inszenieren zu dürfen. Der Traum ist ausgeträumt.

Ein anderes verlogenes „Narrativ“ soll nun von der Bundesregierung und ihren Verbündeten in die Welt gesetzt werden: jenes des aufrechten demokratischen Eintretens für „Freiheit“ und „Partnerschaft“ – die Freiheit des Welthandels, des Kapitalverkehrs (natürlich mit kosmetischen Kontrollen). Keine Freiheit gibt es hingegen für die Geflüchteten, keine Bewegungsfreiheit für die globale Masse von ArbeitsmigrantInnen. Natürlich sollen auch die Pressefreiheit und Demokratie verteidigt werden – vornehmlich außerhalb der EU, während im Inneren die demokratischen Rechte im Namen der „Bekämpfung des Terrorismus“ abgebaut und die Überwachung und Repression ausgebaut werden. „Partnerschaft“ soll es geben – vom Klima bis zur „Flüchtlingspolitik“. Mit den afrikanischen Ländern soll mehr Kooperation stattfinden, was vor allem bedeutet: mehr Öffnung ihrer Märkte und Festhalten aller Flüchtenden in Afrika. Mit China soll eine Partnerschaft als „Klimachampions“ gestartet werden. Denn Partnerschaft und Freiheit ist gerade für den deutschen Imperialismus die Freiheit des Exports, die Freiheit des Handels und von Investitionen. Da kann ein Öko-Siegel für den deutschen Imperialismus nur hilfreich sein.




G20, Krise & Imperialismus

Die Entwicklung und inneren Widersprüche des Kapitalismus

Kapitel 2, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die Bedeutung der G20 in der kapitalistischen Weltordnung ist heute nur schwer zu unterschätzen. Sie umfassen die wichtigsten Länder der Erde. In den 19 Staaten und der EU lebten Ende 2016 4,638 Milliarden Menschen, geschätzte 66,2 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Länder brachten 88,3 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts hervor. Sie bestreiten rund drei Viertel des Welthandels. In diesen Ländern wird ein Großteil aller Waren produziert und lebt die Mehrzahl der ArbeiterInnen. Noch deutlicher sind die Finanzinstitutionen, Banken, Versicherungen, Fonds, die AkteurInnen auf den Finanzmärkten in diesen Staaten konzentriert. Alle wichtigen, „harten“ Währungen der Welt sind – mit Ausnahme des Schweizer Franken – die der G20-Staaten.

In den G20-Staaten konzentriert sich auch die politische und militärische Macht. Rund 80 Prozent aller Rüstungsausgaben von jährlich rund 1,6 Billionen US-Dollar gehen auf ihr Konto, wobei auf die USA bis heute der weitaus größte Anteil entfällt. An praktisch allen Kriegen sind Staaten aus der Gruppe der 20 – vorzugsweise unter dem Deckmantel der „Friedensstiftung“ – beteiligt. Es gibt keinen bedeutenden Konflikt, in dem sie nicht ihre Finger mit im Spiel haben – in Fällen wie der Ukraine oder Syrien oft genug auf verschiedenen Seiten. Allerdings stellen die G20 anders als die G7 (oder die G8) keine vergleichsweise einheitliche Staatengruppe dar. Sie umfassen nicht nur tradierte und neue, aufstrebende Weltmächte, sondern auch für die globale Ordnung wichtige, letztlich jedoch von den führenden kapitalistischen Staaten beherrschte Länder, die allenfalls um eine Stellung als regionale Ordnungsmacht ringen können.

Kapitalismus und Krisen

Um die Bedeutung der G20, ihre inneren Gegensätze, die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu verstehen, reicht es aber nicht, mit oberflächlichen Begriffen zu operieren, die allenfalls bestimmte Erscheinungen der globalen Ordnung fassen. Es ist vielmehr notwendig, einen Blick auf die Entwicklung des Kapitalismus als globale Gesellschaftsformation zu werfen, um die Rolle der G20 im Rahmen der aktuellen impeRialistischen Weltordnung zu verstehen.Anders als frühere Klassengesellschaften war der Kapitalismus von Beginn an global ausgerichtet. Der Weltmarkt, die Ausdehnung kapitalistischer Ausbeutung über den ganzen Erdball liegt nicht nur im Begriff des Kapitals, wie ihn Marx zuerst umfassend entwickelte.

Die Weltmarktorientierung stand dem Kapitalismus schon in seiner Entstehung Patin. Zwar entwickelte sich die Produktionsweise zuerst im großen Maßstab in Großbritannien. Die industrielle Bourgeoisie kam dort zuerst auf, weil sie einerseits die Verhältnisse am Land umwälzte und mit der englischen Revolution die politischen Bedingungen dafür geschaffen hatte, aber auch weil sie über den Kolonialismus und die Expansion des spanischen Handelskapitals einen enormen Schub erhielt.

Dieser vergrößerte die Nachfrage nach industriell gefertigten britischen Waren. Der aus Amerika geplünderte Reichtum landete nicht im absolutistischen Spanien, sondern im kapitalistischen England. Der Raub und Handel mit SklavInnen erlebte eine gigantische Dimension inklusive extrem barbarischer Formen, weil er funktional in die Entwicklung der Akkumulation (Anhäufung) und Ausweitung des Kapitals eingebunden war. Die kapitalistische Warenproduktion unterminierte und zerstörte, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schrieben, die ökonomischen Strukturen aller tradierten, teilweise tausende Jahre existierenden Gesellschaften und großer Reiche. Die chinesischen Mauern mochten den Kanonen von Invasoren trotzen, gegen die kapitalistisch betriebene Warenproduktion waren sie nutzlos.

Das Kapital schuf sich mit der Entwicklung der großen Industrie eine ihm gemäße technische Grundlage. Vorhergehende Produktionsweisen wurden jetzt noch viel rascher zerstört, an den Rand gedrängt oder zeitweise in die kapitalistische Produktion funktional eingegliedert. Die Verallgemeinerung der großen Industrie legte auch die Grundlage für eine enorme Zentralisation und Konzentration des Kapitals. Die schwächeren Unternehmen unterlagen in der Konkurrenz, die siegreichen begannen, ganze Branchen zu beherrschen und ihr Geschäft mehr und mehr auszudehnen.Mit der Entwicklung der Industrie prägten den Kapitalismus auch periodisch wiederkehrende industrielle Krisen, die bis heute normalerweise in sieben bis zehn Jahren wiederkehren. An Beginn eines Zyklus steht in der Regel eine Erneuerung der Produktionsmittel, eine Umwälzung der technischen Basis der Produktion, an deren Ende eine Krise, die zur Freisetzung von Arbeitskräften, Entlassungen, Zusammenbrüchen und somit auch zur Grundlage für eine Erneuerung der Dynamik des Kapitalismus führt.

Sie offenbaren aber immer auch das irrationale Wesen des Kapitals. In der Krise wird der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter und der privaten Aneignung des Reichtums sichtbar. Zweck ist nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Aneignung von Mehrwert, von Mehrarbeit der Lohnabhängigen, die selbst keine Produktionsmittel besitzen und ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen. Erst im Nachhinein stellt sich heraus, welche Produktion sinnvoll war, welche „unnötig“. In den Krisen erscheint es so, als gebe es zu viele Güter, zu viele Arbeitskräfte, zu viele Menschen und zu viel Geld. Es müssen Reichtümer vernichtet werden, damit der ganze Kreislauf von neuem in Schwung geraten kann. Damit einher geht aber auch eine beständige Erneuerung der Produktionsmittel. Immer größere Mengen werden in konstantem Kapital (Produktionsmittel) veranlagt. Der Anteil des Kapitals, das für den Kauf von Arbeitskraft verwandtwird, nimmt im Verhältnis dazu ab. Dieselbe Menge ArbeiterInnen setzt eine immer größere Masse an Produktionsmitteln und darin vergegenständlichten Werten in Bewegung. Für eine vernünftige, planmäßig organisierte Wirtschaft wäre das überaus sinnvoll, weil die Menschen entweder mehr freie Zeit hätten oder mehr Güter zu ihrer Bedürfnisbefriedung produzieren könnten.

Nicht so im Kapitalismus. Die stetige Umwälzung des Kapitals infolge der Konkurrenz, dessen wachsende „organische Zusammensetzung“ (= der immer größere Anteil an konstantem Kapital) führt auch zum Fall der Profitrate und schlägt an einem bestimmten Punkt in die Krise um. Selbst wenn diese durch Kapitalvernichtung „bereinigt“ wird, so wird das Problem im folgenden industriellen Zyklus nur auf höherer Stufenleiter, mit noch mehr Kapital reproduziert. Marx nannte dies das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, in dem sich die innere Widersprüchlichkeit des Kapitalismus ausdrückt und die Notwendigkeit seiner Aufhebung durch die sozialistische Revolution.

Es ist kein Wunder, dass dieses Gesetz auch seit jeher ein Hauptangriffspunkt aller bürgerlichen und pseudo-linken Kritik am Marxismus war. Doch der Kapitalismus erschöpft sich nicht in einer Wiederkehr von regelmäßigen industriellen Zyklen und Krisen. Er ist nicht nur ein ökonomisches System, sondern eine Gesellschaftsformation, die darauf aufbaut. In der Entwicklung des Kapitalismus können wir ganze Phasen feststellen, die von einer eher expansiven Dynamik getragen waren und längere Perioden von Krisen und Stagnation. So trat der Kapitalismus nach 1873 in eine längere Periode der Stagnation, des Niedergangs, weil die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Expansionsphase nach der Niederlage der Revolution von 1848 begleitet hatten, nicht mehr dem Gesamtsystem entsprachen. Mit Deutschland und den USA waren zwei kapitalistische Staaten auf den Plan getreten, die die Vorherrschaft der britischen Industrie in Frage stellten und sie später auch die britische Industrie überflügelten. Zugleich blieb aber das Empire die führende Weltmacht, sowohl was den Handel, die Währung mit dem britischen Pfund als Leitwährung, die Flotte und das Kolonialreich betraf.

Entstehung und Wesen des Imperialismus

Aus der Krise und Stagnation im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bildete sich aber auch eine neue Form des Kapitals heraus, dessen Durchsetzung einen Epochenwechsel markiert. Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert treten wir in die imperialistische Epoche ein, die bis heute fortdauert. Das heißt nicht, dass es seither keine wichtigen Veränderungen gegeben hätte, aber die grundlegenden Charakteristika dieser Entwicklungsstufe des Kapitalismus sind die gleichen geblieben.

Ende des 19. Jahrhunderts war die Erde zwischen den damaligen Großmächten aufgeteilt. Die großen Kolonialreiche wie Britannien und Frankreich beherrschten die Welt. Mächte wie die USA verfügten über eine formell unabhängige Einflusssphäre in Lateinamerika wie auch einen noch zu erschließenden inneren Markt. Russland, aber auch die Habsburger Monarchie und das Osmanische Reich waren zwar industriell rückständig, verfügten aber über „innere Kolonien“, die direkt den Reichen eingegliedert waren. Der deutsche und japanische Kapitalismus waren bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen und es ist kein Zufall, dass sie eine Neuaufteilung ebendieser anstreben mussten. Für deren große Industrie, für die Produktkräfte, die sich entwickelt hatten, war der nationale Markt zu klein geworden. Sie stießen an die Schranken des europäischen Staatensystems und der kolonialen Aufteilung der Welt.

Zugleich hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Zentralisation und Konzentration des Kapitals in allen großen kapitalistischen Staaten eine Stufenleiter erreicht, die in eine neue Qualität umschlug. Es bildeten sich Monopole, Trusts, Kartelle, Großkonzerne, die ganze Branchen dominierten und untereinander den nationalen und Weltmarkt aufteilten (oder umkämpften). Zugleich veränderte sich auch die Beziehung zwischen den großen Monopolen und dem Banken- und Kreditsektor. Industrielles Kapital und Geldkapital (zinstragendes Kapital) verschmolzen, wenn auch in national sehr unterschiedlicher Form zum Finanzkapital. Unter Finanzkapital verstehen MarxistInnen im Anschluss an Lenin nicht nur Kredit, Spekulation, Aktienkapital usw., sondern die Verschmelzung von Industrie- und Bankenkapital unter der Regie des letzteren.

„Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzen oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.” (Lenin, Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 230)

Lenin betont zu Recht die dominierende Rolle des Bankenkapitals in diesem Verhältnis. Das ergibt sich logisch daraus, dass letzteres zumeist Kapital in Geldform ist. Als solches ist es im Unterschied zum in Maschinen, Rohstoffen usw. vergegenständlichten industriellen Kapital an keine bestimmte stoffliche Grundlage gebunden. Ebenso korrekt erkannte er, dass mit der Vorherrschaft des Finanzkapitals dem Export von Kapital gegenüber dem Warenexport eine immer größere Rolle zukommen muss (wiewohl letzterer selbst im Gefolge des Kapitalexportes zunimmt).

Die Entwicklung zum Finanzkapital begreift Lenin als eine nicht rückgängig zu machende notwendige Entwicklungsstufe des Kapitals. Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise sind dabei nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil: sie wirken gewissermaßen auf „höherer“ Stufenleiter fort.

„Die Trennung des Kapitaleigentums von Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapitalismus überhaupt eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausmaße erreicht. Das Übergewicht des Finanzkapitals über alle übrigen Formen des Kapitals bedeutet die Vorherrschaft des Rentners und der Finanzoligarchie, die Aussonderung weniger Staaten, die finanzielle ‚Macht’ besitzen.” (Lenin, Imperialismus, LW, S. 242)

Folgerichtig lehnt Lenin die kleinbürgerliche Kritik am Finanzkapital und am Imperialismus ab, weist jeden Versuch, den Kapitalismus kleiner und mittlerer ProduzentInnen wieder herzustellen, als reaktionär und utopisch zurück (z. B. die Anti-Trust-Bewegung). Lenins Theorie wäre unvollständig und unverständlich, wenn wir nicht einen anderen Aspekt der Entwicklung des Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts in Betracht ziehen würden: Die Welt ist unter den kapitalistischen Monopolen und Großmächten aufgeteilt. Das heißt nicht, dass damit jegliche vorkapitalistische Produktionsweise schon verschwunden wäre. Allerdings sind diese Überreste mehr und mehr in den kapitalistischen Weltmarkt integriert, ihm untergeordnet, werden durch moderne Klassenverhältnisse ersetzt, aber – auch diese Paradoxie ist nicht neu – gar noch unter der Fuchtel des Kapitals konserviert.

Das bedeutet auch, dass die „zu spät gekommenen“ kapitalistischen Länder nicht den Weg der „fortgeschrittenen“ einfach nachvollziehen können. Sie sind von Beginn an als imperialisierte – ob in kolonialer oder in formell unabhängiger, halb-kolonialer politischer Form – in den Weltmarkt integriert. Für Lenin ist „Imperialismus“ eine ökonomische, politische und historische Gesamtheit. Imperialistische Politik ist Resultat der verschärften Konkurrenz zwischen den Mächten und Großkapitalen, ist selbst politische Folge der Vorherrschaft des Finanzkapitals über alle anderen Kapitalformen. Lenin lehnt es daher kategorisch ab, „Imperialismus“ als eine besondere („schlechte“ oder „aggressive“) Form der Politik zu definieren. Eine nicht-imperialistische Politik der kapitalistischen Großmächte ist vielmehr unmöglich.

Ob ein Staat imperialistisch ist oder nicht, kann somit nur im Rahmen der globalen politischen und ökonomischen Ordnung verstanden werden – nicht durch eine bloße Betrachtung ökonomischer Kennziffern eines Landes. Innerhalb dieser Gesamtheit, der auch eine politische und ökonomische Arbeitsteilung entspricht, wird einem Land sein Platz zugewiesen. Die Vorherrschaft des Finanzkapitals bedarf immer der staatlichen Absicherung dieser Herrschaft gegen die ArbeiterInnenklasse, aufbegehrende Kolonien oder halb-koloniale Staaten. Insbesondere tendiert sie immer wieder zum Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den verschiedenen Gruppen des Finanzkapitals und den imperialistischen Mächten – zum imperialistischen Krieg.

MarxistInnen lehnen im Kampf gegen den Imperialismus den Versuch, „vor-monopolistische“ Zustände wiederherzustellen, ebenso wie die Gegenüberstellung von „gutem“, schaffendem Kapital und „schlechtem“, raffendem als reaktionär ab. Die einzig fortschrittliche Perspektive besteht vielmehr in der Enteignung der Enteigner, der Reorganisierung der Produktion auf großer Stufenleiter unter Leitung des Proletariats und im Weltmaßstab! Wenn Lenin vom Imperialismus als einem „sterbenden, verfaulenden“ Kapitalismus spricht, betont er damit vor allem, dass der Imperialismus in seiner Gesamtheit ein Entwicklungsstadium darstellt, in dem die kapitalistische Produktionsweise reaktionär geworden ist. Es ist eine Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, daher auch eine Epoche massiver sozialer Erschütterungen, von Krieg, Konterrevolution und Revolution.

Entwicklung im 20. Jahrhundert

Die Imperialismustheorie erlaubte dem marxistischen Flügel der Zweiten Internationale und der kommunistischen Bewegung, nicht nur die Ursachen des Ersten Weltkriegs zu verstehen, sondern auch eine revolutionäre, internationalistische Antwort zu entwickeln. Der Erste Weltkrieg war Ausdruck der inneren Widersprüche des globalen kapitalistischen Systems, das nach einer „Neuordnung“ drängte. Er eröffnete eine ganze Periode von revolutionären Möglichkeiten, die am Verrat der Sozialdemokratie wie auch an der politischen Unreife der kommunistischen Bewegung scheiterten. Die grundlegenden Probleme, die zum Ausbruch des Krieges geführt hatten, vermochte er jedoch nicht zu lösen. Mit dem Russischen Reich, der Doppelmonarchie und dem Osmanischen Reich waren zwar drei Anwärter auf eine Weltmachtrolle auf unterschiedliche Art zerfallen – der Kampf um die Neuaufteilung der Welt nahm hingegen viel schärfere Formen an.

Die Vormachtstellung Britanniens wurde immer prekärer. Es war nicht in der Lage, das Pfund als Leitwährung stabil zu halten – aufgeben mochte es es aber auch nicht. Der französische Imperialismus war noch schwächlicher und versuchte, sich durch Reparationen schadlos zu halten. Deutschland schwenkte – auch als Antwort auf die drohende proletarische Revolution – auf einen besonders aggressiven Kurs und zur faschistischen Herrschaft. Japan entwickelte sich und stieß an die Einflusssphären Britanniens, Frankreichs und der USA. Die USA waren zur führenden Industrienation aufgestiegen. So wie Deutschland sich zum Ziel setze, Europa durch einen Krieg neu zu organisieren, musste der US-Imperialismus auf eine Neuorganisation der Welt drängen. Protektionismus und nationale Abschottung als Antwort auf die Krise im Verbund mit den Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung führten zu einem enormen Anstieg von Chauvinisums und Antisemitismus, dem „Sozialismus des dummen Kerls“. Der Faschismus ist in dieser Situation, wie Trotzki es im „Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg“ 1940 formulierte, der Imperialismus in chemisch reiner Form. Er ist Ausdruck der Unlösbarkeit der imperialistischen Widersprüche für die bürgerliche Politik, so dass sie direkt zu Krieg und industrieller Massenvernichtung führen. Der Imperialismus stellte in dieser Periode ganz unmittelbar die Alternative “Sozialismus oder Barbarei”: Einer Barbarei, die nicht nur 60 Millionen Soldaten und ZivilistInnen das Leben kostete, sondern auch den historisch beispiellosen industriellen Massenord des Holocaust bedeutete.

Der Zweite Weltkrieg führte zu einer enormen Kapitalvernichtung. Nicht nur der deutsche und japanische Imperialismus wurden geschlagen, auch die Vorherrschaft Britanniens und Frankreichs gebrochen. Ihre Kolonialreiche zerbrachen. An ihre Stelle trat eine neue, von den USA entworfene politische und ökonomische Ordnung, die den Dollar als Leitwährung und Weltgeld vorsah. Neben der Lösung der inner-imperialistischen Führungsfrage legten auch die Vernichtung von Kapital und die extreme Erhöhung der Ausbeutungsrate im Weltkrieg den Grundstein für eine umfassende Neuzusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und für eine Periode der kapitalistischen Expansion. Die Profitraten konnten aufgrund der Kapitalvernichtung im und nach dem Weltkrieg (Währungsreformen …) stabilisiert werden. Die Märkte in Europa, Japan und den Kolonien boten Anlagemöglichkeiten für überschüssiges US-Kapital, das im Gegensatz zur Konkurrenz nicht vernichtet werden musste. Im Ersten Weltkrieg war auch ein grundlegender Widerspruch aufgebrochen, der dem Kapitalismus innewohnt – der zwischen dem Nationalstaat und der grenzüberschreitenden Tendenz des Kapitals. Die Produktivkräfte treiben über diese Grenzen hinaus, andererseits ist die Welt zwischen Nationalstaaten aufgeteilt, sind die Kapitale in bestimmten Staaten verankert und selbst in ihrer globalen Konkurrenz auf diese bezogen. Der Zweite Weltkrieg beseitigte den Widerspruch nicht, aber er trat für einige Jahrzehnte nicht so explosiv zum Vorschein aufgrund der Resultate des Weltkrieges und der dominanten Position der USA, die gleichzeitig den geschwächten imperialistischen Konkurrenten auch Raum zur wirtschaftlichen Expansion bot. So war die wirtschaftliche Entwicklung nach Etablierung der Nachkriegsordung von einer – im Nachhinein oft verklärten und übertriebenen – Expansion geprägt. Ende der 60er Jahre zeigten sich die ersten großen Risse der Weltordnung. Ökonomisch betrachtet hat der Fall der Profitraten Anfang der 70er Jahre zu einer Krise geführt, die globale Dimensionen annahm und die seither die Weltwirtschaft mit dem Problem einer strukturellen Überakkumulation von Kapital schwanger gehen lässt.

Damit ist gemeint, dass die angehäuften Mengen fixen, in Produktionsmittel vergegenständlichten Kapitals „zu groß“ geworden sind, um vorhergehende durchschnittliche Profitraten zu reproduzieren bzw. wieder herzustellen. Um die Grundlagen einer neuen, dynamischen Akkumulationsperiode zu legen, müsste jedoch Kapital in einem „historischen“ Ausmaß vernichtet werden – was selbst jedoch auch die Vernichtung bedeutender Massen an Finanzkapitals erfordern würde. Die imperialistischen Bourgeoisien haben auf dieses Problem mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert, die alle auf die Erhöhung der Ausbeutungsrate hinausliefen (Entwertung der Arbeitslöhne durch Inflation, Massenentlassungen, Privatisierungen, Niedriglohnsektoren, Zerstörung von Rechten der Gewerkschaften …) und/oder die Last den Ländern der sog. „Dritten Welt“ aufbürden sollten. Die Schulden dieser Staaten wurden jetzt zu einem politischen Kampfmittel gegen diese, indem sog. „Strukturanpassungsprogramme“ Privatisierungen, die Öffnung von Märkten und die Zerstörung von Rechten der ArbeiterInnenklasse, der Bauern und Unterdrückten erzwangen. Hinzu kam drittens ein aggressives Aufrüstungsprogramm der USA und des Westens, um die selbst stagnierenden degenerierten ArbeiterInnenstaaten Osteuropas, die Sowjetunion und China in die Knie zu zwingen.

Die Periode von 1970 bis 1990 war zwar von einer Vormachtstellung der USA geprägt – aber einer niedergehenden. Japan und Deutschland holten auf wirtschaftlichem Gebiet auf. Der Dollar musste seine Bindung an den Goldstandard aufgeben. Die Niederlage in Vietnam offenbarte, dass auch der US-Imperialismus besiegt werden konnte. Unter Reagan und dem Banner der neo-liberalen Doktrin konnten zwar verlorenes Terrain zurückgewonnen, die UdSSR weiter geschwächt und auch Japan und Deutschland gezwungen werden, die niedergehende US-Wirtschaft zu stützen. Aber dennoch konnte die langfristige Niedergangstendenz nur aufgeschoben werden.

Daran änderte auch der Zusammenbruch des Stalinismus nichts. Die demokratischen, anti-bürokratischen Massenbewegungen erschütterten zwar die bürokratischen Regime und leiteten ihre Todeskrise ein, aber es gab keine klassenkämpferische, revolutionäre Kraft, die sie zu einer politischen Revolution und zur Errichtung der Räteherrschaft geführt hätte. So scheiterte die halbe Revolution und die kapitalistische Konterrevolution siegte. In China stellte sich die Bürokratie selbst nach 1992 an die Spitze der kapitalistischen Transformation und kombinierte die Einführung des Kapitalismus mit der Beibehaltung der politischen Diktatur. In jedem Fall schien nach 1990 für die USA und die Ideologen des Westens unverhofft ein neues Zeitalter imperialer Herrschaft und Stabilität angebrochen. Die Mär vom „Ende der Geschichte“, dem endgültigen Sieg von Marktwirtschaft und liberaler Demokratie, ging um. Die demokratische (im Unterschied zu einer offen diktatorischen) Form der kapitalistischen Konterrevolution schien dies zu bestätigten. Hinzu kam, dass die Restauration neue Investitionsmöglichkeiten eröffnete und eine neue „finanzmarktgetriebene“ Akkumulation die Probleme der „Realwirtschaft“ – also die Überakkumulation von Kapital – zeitweilig entschärfen oder jedenfalls abmildern konnte. Weltpolitisch präsentierten sich die USA als einzig verbliebene Großmacht, deren Vorherrschaft nach dem Zusammenbruch der UdSSR gesichert wie nie wirkte. Die kampf- und vor allem kopflose Kapitulation des Stalinismus, die Rechtsentwicklung der Sozialdemokratie und Gewerkschaften festigten den Vormarsch der bürgerlichen Ideologie. Die „radikale Linke“ war selbst ein Abklatsch dieses Rückzugs und ergeht sich seither in der Suche nach ständig neuen Alternativen zum revolutionären Kommunismus.

Aber die Periode der kapitalistischen Globalisierung löste die Probleme langfristig nicht – sie verschärfte sie. Das Wachstum und die Dynamik des Kapitalismus waren auf Sand gebaut. Die Asien-Krise Ende der 90er Jahre brachte schon viele der Probleme zum Vorschein, die sich 2007/2008 massiv offenbaren sollten: Trotz Ausdehnung von Märkten, Entwicklung neuer Technologien, Fortschritt in Kommunikation und Transport war die Weltwirtschaft weiter von struktureller Überakkumulation geprägt. Ein beträchtlicher Teil der Expansion erwies sich als fiktiv. Die Zuwächse an den Börsen entsprachen immer weniger dem Wachstum in der Industrie, die spekulativen Gewinne waren keineswegs real gedeckt. Die Überakkumulation des Kapitals andererseits führte dazu, dass die Investitionen im industriellen Sektor nur mühsam in Gang kommen, da an anderen Stellen viel leichter und verlockender Renditen zu erwarten sind.

Neue historische Krisenperiode

Aber die Krise konnte damals begrenzt werden. Ein wesentlicher Grund dafür war auch, dass in den 90er Jahren „neue“ Länder eine wichtige Funktion für die globale Konjunktur einnahmen. China wurde nicht nur zu einer zentralen Stätte globaler industrieller Produktion, sondern auch zu einem wichtigen Faktor, der einem wirtschaftlichen Einbruch entgegenwirkte. In geringerem Maße erfüllten auch andere Länder der sog. „BRICS“ diese Funktion. Aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Mit dem Platzen der US-Immobilienblase wurde nicht nur ein großer Teil des fiktiven, real nicht gedeckten Kapitals auf den Finanzmärkten entwertet. Die Krise nahm zwar in den USA ihren Ausgang, sie verbreitete sich aber schockartig auf alle im Weltfinanzsystem integrierten Staaten. China und einige Schwellenländer waren nur deshalb weniger betroffen, weil sie noch nicht so stark mit dem westlichen Finanzsystem verzahnt waren.

Die Krise im Finanzsystem brachte aber nicht nur dieses in die Bredouille, sie ergriff auch die „Realökonomie“. Dort lag letztlich auch die eigentliche Ursache der Probleme. Was sich als Finanzkrise manifestierte und der industriellen Rezession voranging, war letztlich ein Resultat der tiefer liegenden, schon länger die Weltwirtschaft umtreibenden Überakkumulationskrise. Die kapitalistischen Staaten und auch die G20 vermochten zwar so weit ihre Aktionen zu koordinieren, dass sie einen Zusammenbruch des Welthandels und des Währungssystems verhindern konnten.Sie versprachen sogar Abhilfe gegen die „Verursacher“ der Krise, womit natürlich nicht der Kapitalismus, sondern nur die SpekulantInnen und Finanzleute gemeint waren. Vor allem aber retteten sie alle „systemrelevanten“ Institutionen, also die großen Banken, institutionellen Anleger und industriellen oder kommerziellen Monopole. Kurzum, sie retteten das Finanzkapital. Diese Rettungsaktionen zeigen, dass die herrschenden Klassen, geht es um ihr Überleben, durchaus „undoktrinär“ handeln können. Gemäß der neo-liberalen oder neo-klassischen Wirtschaftslehre sind eigentlich staatliche „Interventionen“ in den „freien Wettbewerb“ Teufelszeug. Sie würden nur verhindern, dass der Markt sich selbst reguliere, ein „Gleichgewicht“ etabliere. Nun war die Krise von 2007 und in den folgenden Jahren eine einzige praktische Widerlegung der neo-liberalen Grundannahmen – weshalb manche auch etwas verfrüht auf das Ende dieser Doktrin hofften.

In jedem Fall blieb den westlichen imperialistischen Staaten wenig übrig, als zur Rettung „ihrer“ Banken und Konzerne deren Schulden auf die eine oder andere Weise zu übernehmen, zu verstaatlichen. Teilweise ging das mit einer vorübergehenden Verstaatlichung von Unternehmen einher, um sie – nachdem ihre Schulden ausgelagert waren – wieder den heiligen Privateigentümern zu überlassen.

Auch vor keynesianischen, die Konjunktur belebenden Maßnahmen schreckten die Regierungen nicht zurück, die noch am Tag davor strenge AnhängerInnen des Neoliberalismus waren. So wurden Konjunkturprogramme aufgelegt. Das Großkapital konnte sich mit Hilfe von billigem Geld rasch refinanzieren. Auch die deutsche Bundesregierung schreckte vor der Entschuldung ganzer Banken, die Milliarden in den Sand gesetzt hatten, oder Konjunkturprogrammen für die Autoindustrie (Abwrackprämie) nicht zurück.

In jedem Fall gingen diese Maßnahmen mit einer Zunahme der Staatsschulden einher. Dafür – also für die Rettung ihrer AusbeuterInnen – sollen die Lohnabhängigen zahlen. Das trifft natürlich vor allem jene aus den schwächeren imperialistischen Ländern oder aus der Peripherie. So wurden Staaten wie Griechenland, denen der sog. „Dritten Welt“ generell „Austeritätsprogramme“, zu deutsch Sparprogramme, vom IWF und führenden G20-Mächten aufgezwungen. Die EU und der deutsche Imperialismus nahmen hier eine Vorreiterrolle ein, wie das griechische Beispiel zeigt.

Die sog. „Sparprogramme“ sind in mehrfacher Hinsicht ein Sittenbild der aktuellen Weltordnung. Griechenland muss, um die Schulden deutscher und anderer westlicher Banken und KreditgeberInnen zu bedienen, weitere Kredite aufnehmen. Im Gegenzug muss der griechische Staat Staatsangestellte entlassen, Renten und Löhne kürzen und das Land mehr oder weniger flächendeckend privatisieren. Dass bei einem solchen sozialen und ökonomischen Kahlschlag die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt, sollte niemanden wundern. So steht das Land, vor allem aber die Lohnabhängigen und Bauern am Ende ärmer da als zuvor. Die Gläubiger sind jedoch ein gutes Stück reicher geworden und können, wenn sie denn wollen, das Geld, das ihnen Griechenland zurückgezahlt hat, nun zum Aufkauf der Unternehmen investieren. Das ist zugleich auch ein typisches Beispiel dafür, wie die imperialistische Ordnung konkret zu einer Vertiefung von weltweiten Unterschieden zwischen Nationen und Klassen führt.




Nein zum Gipfel des Kapitals! Für eine Internationale der ArbeiterInnen und Unterdrückten!

Aufruf von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION gegen den G20-Gipfel in Hamburg, 15. Mai 2017, Unite against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Was für eine illustre Versammlung: ein rassistischer Präsident aus den USA, ein russischer Despot, ein Präsidial-Diktator aus der Türkei, ein „post-kommunistischer“ Imperialist aus China, ein brasilianischer Putschist, ein Hindu-Chauvinist aus Indien – das ist nur ein Auszug aus der Liste derer, die zum Gipfeltreffen der G20 im Juli 2017 in Hamburg anreisen werden.

Dazu kommen die europäischen HeroInnen: „Sozial-Liberale“ aus Frankreich und Italien als Spezialisten für Austeritätspolitik und neo-liberale „Reformen“; eine britische Premierministerin und Brexit-Befürworterin, der selbst die Festung EU noch nicht genug rassistisch abgeschottet ist.

Inmitten dieser Schar fragwürdiger, aber hochrangiger Gäste gibt sich die deutsche Kanzlerin als Moderatorin und gemäßigte Sachwalterin einer „demokratischen“, vernünftigen Weltordnung.

Das verlogene Spiel des deutschen Imperialismus

Nach dem „Trump-Schock“ versucht die Führung des deutschen Imperialismus, sich umso mehr als verlässliche Weltmacht zu profilieren, als sicherer Hafen in der Sturmflut des Irrsinns. Nein, Deutschland droht nicht mit Mini-Nukes, sondern flutet nur den Globus mit prachtvollen Waren und segensreichen Investitionen.

In einer noch instabiler gewordenen Welt versuchen Merkel und ihre Regierung, aus der Not eine Tugend zu machen und preisen den deutschen Regierungs- und Herrschaftsstil als „besseres“ Modell für die Welt an.

Da feiert die Verlogenheit Triumphe. Denn humanistische Formeln und Merkel’sche Beschwörungsriten von „Demokratie und Menschenrechten“ sind nur die ideologische Begleitmusik zu einer immer aktiveren Rolle Deutschlands beim verbissenen Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die harten Fakten sind:

  • Die Durchsetzung von Austeritätsregimen in der Europäischen Union, die mitverantwortlich für den Ruin ganzer Regionen sind.
  • Das blutige Abschotten der EU-Außengrenzen und die Durchsetzung einer barbarischen, rassistischen Migrationspolitik.
  • Das aktive Eingreifen in der Ukraine, um eine Regierung aus Neo-Liberalen, Oligarchen und Rechtsradikalen durchzuputschen.
  • Unterstützung für despotische Regimes wie Erdogan in der Türkei.
  • Verschärfung des Klassenkampfes von oben in der EU und in Deutschland.
  • Aushebelung demokratischer Rechte und rassistische Hetze im Inneren, insbesondere in Form des anti-muslimischen Rassismus.
  • Aufrüstung der Bundeswehr und Steigerung der eigenen „Interventionsfähigkeit.“
  • Schließlich setzt auch die „Klimakanzlerin“ weiter auf fossile Energieträger und macht die sog. „Energiewende“ zur Makulatur.

Schon diese Aufstellung zeigt, dass die deutsche Regierung nicht weniger brutal ist als der „Völkerrechtsbrecher“ Putin oder der „postfaktische“ Trump. Aber gerade die Hetze gegen einen Putin macht das verlogene Gerede von friedlichem Zusammenleben umso unerträglicher, mit dem die deutschen Weltmachtambitionen vorangetrieben werden, Europa unter der Vorherrschaft des deutschen Imperialismus zu vereinigen. Die eigenen Aufrüstungspläne und Interventionen werden als geradezu „erzwungene“ Hilfe für die Menschheit oder als Wahrnehmen einer „Verantwortung“ zum Wohle aller präsentiert.

Neuaufteilung der Welt

Dabei geht es ganz profan um die Geschäftsinteressen des deutschen Kapitals und die Verfolgung geo-strategischer Ziele im Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Zwischen den Weltmächten hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lage drastisch verschärft. Seit 2007/2008 erleben wir eine offene globale Krisenperiode des kapitalistischen Systems, deren tiefer liegende ökonomische Ursachen bis heute nicht nur nicht beseitigt sind, sondern früher oder später erneut und verstärkt die Weltwirtschaft und damit die gesamte globale „Ordnung“ erschüttern müssen.

Die Verschärfung der internationalen Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Staaten und den sich formierenden Blöcken sind unvermeidliche Folgen dieser krisenhaften Entwicklung.

Dabei haben alle VertreterInnen der G20 – ob nun „alte“ Mächte wie die USA, Japan, Deutschland, Frankreich oder Britannien, neue imperialistische Länder wie Russland oder China und auch die Regionalmächte wie die Türkei oder Brasilien – ihre dreckigen Finger im Spiel.

Zusammen kontrollieren sie rund 90 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts, fast das gesamte Großkapital befindet sich in diesen Staaten.

Kein Wunder, dass auch dieser Gipfel wie alle anderen G20-, G7- oder sonstigen Treffen der Mächtigsten der Mächtigen eine „ambitionierte“ Agenda hat.

In der Tat haben die G20 gemeinsame Interessen, die sie zu sichern suchen:

(1) Die Weltwirtschaft soll am Laufen gehalten werden. Anders als manche deutsche Linke, die von der Krise nichts wissen wollen, sind sich die Herrschenden der Welt ihrer Existenz bewusst. Sie sind besorgt wegen der grundlegenden ökonomischen Probleme wie auch der aktuellen konjunkturellen Entwicklung. Europa steckt in der Dauerkrise und droht in konkurrierende Nationalstaaten zu zerfallen, Japan befindet sich in chronischer Stagnation. In China zeigen sich schon alle Momente einer Überakkumulationskrise, deren Ausbruch sowohl den Finanzsektor als auch die riesigen industriellen Überkapazitäten ergreifen könnte. Die „Schwellenländer“, jahrelang die Hoffnungsträgerinnen der Weltwirtschaft, erleben böse Einbrüche. Die USA unter Trump werden versuchen, ihre Probleme durch Protektionismus der „restlichen“ Welt aufzuhalsen.

All das zeigt, wie schwierig es wird, eine „gemeinsame“ Lösung zu finden. Die drohende Gefahr eines Zusammenbruchs des globalen Finanzsystems, eines Kollapses des Welthandels und dessen unkalkulierbare Folgen erzwingen zwar eine Zusammenarbeit, aber diese wird immer konfliktträchtiger. Es ist daher kein Zufall, dass wir in letzter Zeit den Beginn eines „Neuen Kalten Kriegs“ miterleben mussten, der seinerseits sich nur als ein Vorbote weiterer Verschärfungen der imperialistischen Konkurrenz herausstellen wird.

(2) Die Kosten für die „Belebung“ der Weltwirtschaft sollen jenen aufgebürdet werden, die nicht am Tisch der 20 sitzen. Das sind einerseits die schwächeren Volkswirtschaften der Welt, die als Quelle der Profite für die „großen Player“ nutzbar bleiben sollen. Das sind aber vor allem die Milliarden Lohnabhängigen, die städtische Armut, die Bauern und Bäuerinnen, deren Lebensbedingungen immer weiter nach unten gedrückt werden. Heute macht die ArbeiterInnenklasse rund die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Zugleich sind immer größere Teile dieser Klasse gezwungen, unter „prekären“ Verhältnissen zu leben, also von Einkommen, die unter den Reproduktionskosten der Arbeitskraft liegen.

Um ihr System in Schwung zu halten und erst recht, um die Ursachen der Krise im Rahmen des kapitalistischen Systems anzugehen, sind auch die herrschenden Klassen der Welt und ihre geschäftsführenden Ausschüsse – und nichts anderes sind die Regierungen der G20 und die sog. „internationalen Institutionen“ – gezwungen, die ArbeiterInnenklasse, die Bauernschaft, die große Masse der Weltbevölkerung verschärft anzugreifen.

So sehr sie sich auch bemühen mögen, ihre Interessen auszugleichen und die Weltwirtschaft am Laufen zu halten – so sehr zwingt die Konkurrenz sie zugleich auch zu einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt mit allen barbarischen Folgen, die sich vor unseren Augen entfalten.

Neben dem Ruin ganzer Volkswirtschaften und der Verarmung von hunderten Millionen, neben Hunger und Zerstörung von Lebensgrundlagen für große Teile der ArbeiterInnen und Bauern in den ärmsten Ländern der Welt geht die globale Barbarisierung noch mit weiteren katastrophalen Auswirkungen einher.

Die Krise zwingt Millionen und Abermillionen zu Migration und Flucht. Mehr als 60 Millionen Menschen gelten heute als Geflüchtete. Dabei sind all jene, die als ArbeitsmigrantInnen vom Land in die Megastädte des globalen Südens ziehen, wie auch alle, die z. B. in der EU Arbeit suchen, noch gar nicht mitgerechnet.

Anders als die NationalistInnen und SozialchauvinistInnen lehnen wir es ab, auf Flucht und Migration mit den mehr oder weniger „humanitären“ Quoten, Einreisekontrollen und Aufenthaltsbeschränkungen zu antworten. Wir kämpfen für das Recht aller MigrantInnen und Geflüchteten auf Bewegungsfreiheit, für offene Grenzen und gleiche demokratische Rechte. Jede Abschottung, jede Einschränkung der Zuzugsbeschränkungen verstärkt nur vorhandene Spaltungen in unserer Klasse.

Kriege, Interventionen und Stellvertreterkriege verwüsten ganze Landstriche. In der „besten aller Welten“ ist „Frieden“ ein Zustand, der mehr und mehr auf die Bevölkerung der imperialistischen Staaten beschränkt ist. Zugleich drohen diese Konfrontationen und die Bildung von wirtschaftlichen und militärischen Allianzen, sich zu einem neuen globalen Wettrüsten und zu „heißen“ Konflikten auszuwachsen.

Als InternationalistInnen lehnen wir es kategorisch ab, eine dieser imperialistischen Mächte und Mächtegruppen zum „kleineren Übel“ zu verklären. Unsere Antwort liegt auch nicht in Phrasen vom „Weltfrieden“, den es in diesem System nicht geben kann, sondern im Kampf gegen den Imperialismus als System und gegen die eigene Bourgeoisie.

Dazu gehört auch, die berechtigten Kämpfe unterdrückter Nationen wie der PalästinenserInnen und KurdInnen, Aufstände und Revolutionen gegen despotische Regime sowie die demokratischen und sozialen Kämpfe der ArbeiterInnen und Unterdrückten weltweit zu unterstützen.

Rassismus, nationale Abschottung, Faschismus und Rechtsextremismus sind weltweit auf dem Vormarsch. Sie dienen einerseits als Mittel der Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten und der Formierung nationaler „Einheit“ im globalen Konkurrenzkampf, andererseits aber auch zur Formierung ganzer Bewegungen der gesellschaftlichen Verzweiflung, gebildet aus Teilen des Kleinbürgertums und der Mittelschichten, die vom Abstieg und Deklassierung bedroht sind, aber auch von Teilen der ArbeiterInnenklasse.

Gegen diese rechten populistischen Antworten hilft kein Schönreden der bestehenden Verhältnisse, sondern nur der entschiedene Kampf gegen Rassismus und Faschismus und ihre gesellschaftlichen Ursachen. Wer den Kapitalismus nicht bekämpfen, wer nicht den gemeinsamem Kampf aller Ausgebeuteten organisieren will und stattdessen auf die „Einheit“ der Lohnabhängigen mit ihren „gemäßigten“ AusbeuterInnen, den Pfaffen und bürgerlichen DemokratInnen oder gar den bürgerlichen Staatapparat im Kampf gegen Nazis hofft, der baut auf Sand.

Die Krise verschärft nicht nur die Ausbeutung, sondern alle Verhältnisse gesellschaftlicher Unterdrückung, des sozialen und politischen Rückschritts. Das trifft im besonderen Maße Frauen, LGBTIA-Menschen, Jugendliche und Alte, Menschen mit Behinderung, religiöse Minderheiten, rassistisch und national Unterdrückte.

Die Doppelbelastung der arbeitenden Frauen hat sich enorm erhöht. Sie werden in prekäre Arbeitsverhältnisse gedrängt, zugleich werden soziale Leistungen zerstört und patriarchale Familienstrukturen sollen reaktionär wieder befestigt werden.

Die Jugend hat heute praktisch keine Zukunft. Sie ist weltweit von Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Entrechtung besonders betroffen. Im „Frieden“ als Billigarbeitskraft ausgebeutet, wird sie mehr und mehr militaristischer Propaganda ausgesetzt und als Kanonenfutter missbraucht, sobald kriegerische Auseinandersetzungen beginnen. Zugleich werden die RentnerInnen und Alten billig entsorgt.

Die wirtschaftlichen Maßnahmen der G20 verschärfen diese Entwicklungen. So manche PolitikerInnen mögen ob dieser realen Verschlechterungen der Lage der Frauen und der heranwachsenden Generation leere Versprechen präsentieren, andere organisieren und propagieren offen den Rollback, die rechtliche und soziale Unterdrückung von Frauen, sie erklären die sexuelle Orientierung von LGBTIAs zu einer „Krankheit“, „Sünde“ oder Form der „Dekadenz“.

Wir setzen dagegen auf die Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten, auf den gemeinsamen Kampf im Rahmen eines Programmes zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse. Wir setzen auf den Aufbau einer neuen Jugendinternationale und eine proletarischen Frauenbewegung als Teil des Kampfes für eine neue Internationale.

Auch wenn die herrschenden Klassen in den imperialistischen Staaten heute (noch) nicht auf unmittelbare Formen der autoritären Herrschaft setzen, so sind die Zeichen der Zeit unverkennbar.

Unter den G20-Staaten ist die „normale“ bürgerliche Demokratie ein Auslaufmodell. Bonapartistische, diktatorische Regime mit mehr oder weniger lächerlicher parlamentarischer Dekoration sind die Regel. Hinter der enormen persönlichen Machtfülle eines Erdogan oder Trump wird die allgemeine Tendenz zur Zentralisierung staatlicher Exekutivgewalt sichtbar, deren andere Seite die Ausweitung von Überwachung, Einschränkung demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte, Bespitzelung und Verbot von linken und demokratischen Organisation darstellen.

Die Lüge vom „Kampf gegen den Terrorismus“ ist ein Legitimationsmittel für Rassismus, Rechtspopulismus und Repression – und zugleich eine Rechtfertigungsideologie für Interventionen in den Ländern Afrikas oder des Nahen Ostens. Der anti-muslimische Rassismus dient zur Mobilisierung und Spaltung – und zur Legitimation von Überwachung, Abschiebung, Krieg und Besatzung.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wird angesichts drohender ökologischer Katastrophen mehr und mehr zum Himmelfahrtskommando für die Menschheit. Der Kapitalismus als System der allgemeinen Warenproduktion ist an sich unfähig, ein rationales, nachhaltiges Verhältnis zwischen Mensch und Natur herzustellen.

Angesichts der zunehmenden Konkurrenz, der Jagd nach Märkten und Profiten, nach Reduktion der „Kosten“ ist ein Programm des „ökologischen“ oder gar „sozialen“ Umbaus der kapitalistischen Gesellschaftsordnung reine Utopie geworden.

In Wirklichkeit zeigt gerade die ökologische Frage, dass wir uns den Kapitalismus nicht mehr leisten können, dass er nicht nur auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht, sondern sogar zur Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit führt.

Für diese Entwicklungen sind die G20 politisch mitverantwortlich. Jene sind kein Betriebsunfall des Kapitalismus, sondern notwendige Auswirkungen seiner eigenen Logik, seiner Entwicklung und Krisenhaftigkeit.

Es macht daher überhaupt keinen Sinn, auf eine „Reform“ der G20 zu setzen oder nach Unterschieden zwischen schlechten und weniger schlechten ImperialistInnen oder Regionalmächten zu suchen. Die Staats- und Regierungschefs, die sich in Hamburg versammeln, sind unsere Feinde, die Beschlüsse sind Attacken. Sie kommen nicht, um die Probleme der Menschheit zu lösen, sondern um ihre eigenen auf die Menschheit abzuwälzen. Auf ihrem Gipfel geht es darum, ihre Interessen in Einklang zu bringen und dabei sich gegenseitig zu übervorteilen. Sie haben unsere Verachtung und unseren Widerstand verdient.

Internationalismus und Klassenkampf

Die reformistische Strategie, das kapitalistische System im Interesse aller durch eine „andere Politik“ zu reformieren, wie sie SozialdemokratInnen, GewerkschaftsführerInnen und die Linkspartei verkünden, hat sich in den letzten Jahrzehnten als das offenbart, was sie ist: eine Illusion. Ihr Spielraum ist immer nur so groß, wie es das Kapital erlaubt bzw. gewähren kann. Statt das zur Kenntnis zu nehmen und die Konsequenzen zu ziehen, behaupten sie, dass ihre Politik Krisen vermeiden könne und beschwören so ihren eigenen Nutzen am Krankenbett des Kapitalismus.

Der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus mag zwar das Siechtum eines kranken Systems verlängern. Seine Medizin der „Reformen“ für alle schwankt aber allenfalls zwischen Flickschusterei für die Armen und Konterreform für die Reichen und Mächtigen. Dass die Sozialdemokratie und Linksparteien wie Syriza in bürgerlichen Regierungen regelmäßig ihre eigene Basis verraten und verkaufen, ist notwendige Folge ihrer sog. „Realpolitik“, die ebenso utopisch wie unrealistisch ist. Wer die Interessen von AusbeuterInnen und Ausgebeuteten gleichzeitig vertreten will, verwickelt sich in Widersprüche und hilft am Ende nur einer Seite.

Das heißt nicht, dass wir den Kampf für Reformen und Verbesserungen ablehnen. Im Gegenteil, in einer Situation der globalen Defensive ist es unbedingt notwendig, sich gegen Angriffe zusammenzuschließen und gemeinsam für Verbesserungen zu kämpfen. Das wollen wir mit allen Kräften der ArbeiterInnenklasse, der Unterdrückten, der Jugend tun. Das wollen wir auf internationaler Ebene schaffen. Das fordern wir von allen Organisationen, die vorgeben, für die Klasse einzutreten.

Aber jeder nennenswerte Erfolg wird nur mit den Mitteln des Klassenkampfes, mit Massenstreiks, Besetzungen und Großmobilisierungen erkämpft werden können. Die ReformistInnen geben vor, dass „vernünftige“ Reformen dazu führen würden, dass es wieder mehr Stabilität und Sicherheit für alle geben werde. Uns hingegen ist bewusst, dass jede Errungenschaft, ja jede Verhinderung eines Angriffs auf Kosten der Profite und der Machtposition der herrschenden Klasse gehen muss. Daher wird in der gegenwärtigen Periode jeder größere Erfolg den Gegensatz zwischen den Klassen, zwischen AusbeuterInnen und Ausgebeuteten verschärfen. Die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten haben von der Hoffnung in einen „sozial ausgewogenen“ und „politisch vernünftig“ regulierten Kapitalismus nichts zu gewinnen. Vielmehr müssen wir uns auf die Zuspitzung des Klassenkampfes und den organisierten Kampf gegen das Gesamtsystem vorbereiten.

Obwohl reaktionäre Bewegungen auf dem Vormarsch sind, gibt es weltweit auch ermutigende Kämpfe:

Der Widerstand der palästinensischen und kurdischen Bevölkerung verdeutlicht, dass die Unterdrückten keinesfalls bereit sind, kampflos das Feld zu räumen. In Indien haben Massenstreiks mit 150 Millionen Beteiligten gezeigt, welches Potential die ArbeiterInnenklasse in diesem Land trotz einer extrem repressiven hindu-chauvinistischen Regierung entwickelt hat. In Polen kämpfen hunderttausende Frauen gegen eine drohende weitere Einschränkung des ohnehin absolut restriktiven Abtreibungsrechts. Die ArbeiterInnenklassen in Griechenland, Spanien oder Portugal suchen nach einer politischen Antwort auf die Angriffe der eigenen Bourgeoisie und der EU. In Frankreich zeigten die Streiks im Frühjahr 2016 auch die Konturen einer wirklichen Alternative zum Front National. In den USA formieren sich in Massenbewegungen gegen Rassismus und Sexismus auch jene Kräfte, die eine Alternative nicht nur zu Trump, sondern auch zur Demokratischen Partei bilden könnten.

Bei vielen Kämpfen haben Jugendliche eine besonders aktive Rolle gespielt und ihr vorantreibendes Potential gezeigt – beim Arabischen Frühling, Blockupy, im Kampf gegen Sexismus und Rassismus oder bei anderen Protesten standen sie in vorderster Reihe.

Diese und ähnliche Bewegungen zeigen, dass trotz des Vormarsches der Reaktion die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten bereit sind, Widerstand zu leisten. Sie müssen es, da sie immer wieder zum Kampf gezwungen werden. Die Kämpfe zeigen aber auch, dass es an einer politischen Strategie, an einem Programm zur Überwindung des Systems mangelt, das diesen Bewegungen eine Richtung geben und ihre Kräfte bündeln könnte.

Die zweite, entscheidende Lehre der aktuellen Entwicklung besteht darin, dass diese Kämpfe immer auch die Eigentumsfrage aufgreifen müssen, die Frage, welche Klasse die Gesellschaft beherrscht und ihre Interessen durchsetzen kann.

Keines der großen Probleme der Menschheit kann gelöst werden, ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage zu stellen, ohne die herrschende Klasse und das Kapital zu enteignen, ohne die Produktion unter der Kontrolle der ProduzentInnen gemäß den Bedürfnissen der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit zu reorganisieren. So wie der Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus, Unterdrückung letztlich nur international geführt werden kann, so kann auch eine andere Welt nur auf globaler Basis entstehen, nur als Folge einer globalen Revolution. Eine zukünftige sozialistische Gesellschaft wird international sein – oder sie wird nicht sein.

Dazu braucht es aber auch Instrumente, Organisationen, politische Strukturen des gemeinsamen Kampfes. Dazu sind Bündnisse auf internationaler Ebene notwendig – seien es betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen, Aktionsbündnisse oder Foren. Diese sollen nicht auf Abkommen von „SpitzenvertreterInnen“ von Organisationen beschränkt sein, sondern mit dem Aufbau breiter, demokratischer Kampfstrukturen, mit Massenversammlungen, Aktionskomitees usw. einhergehen.

Demokratische Massenversammlungen, Streikkomitees oder gar entstehende Formen von Räten (also Kampfstrukturen, die auch eine alternative Struktur für einen nicht-kapitalistischen Staat darstellen) werfen zwar die Frage auf, welche Strategie, welches Programm, welche Perspektive eine Bewegung braucht – sie beantworten sie aber nicht. Sie repräsentieren vielmehr einen demokratischen Rahmen und eine Kampforganisation, die eine Debatte und Erprobung verschiedener Programme erlauben.

Die ImperialistInnen und Regionalmächte verfügen mit den G20 und anderen Institutionen wie der UNO, den G7 über eine „Internationale“ der Reaktion, der kapitalistischen Weltbeherrschung, die zugleich auch Austragungsfeld ihrer Rivalität ist. Selbst die reformistischen Parteien, die bürokratisierten Gewerkschaften und die Linksparteien haben ihre länderübergreifenden Verbindungen – auch wenn sie wie die Bourgeoisien dort ihre Gegensätze fast genauso stark austragen, wie sie ihre Gemeinsamkeiten festlegen.

Die Schwäche der anti-kapitalistischen und revolutionären Kräfte wird am dramatischsten dadurch illustriert, dass sie in Sachen internationaler Organisierung weit hinter ihren Gegnern zurückbleiben. Inmitten einer historischen Krise des kapitalistischen Weltsystems, einer Verschärfung des Klassenkampfes, der globalen Reaktion auf verschiedenen Ebenen entsagt die „radikale“ Linke dem Internationalismus. „Linksradikale“ Politik kann so nur Flickschusterei, Nischenpolitik – ob nun auf betrieblicher oder lokaler Ebene – bleiben. Auch Solidaritätsaktionen, so wichtig sie sind, reichen nicht, um eine globale politische Strategie, eine Zusammenarbeit und ein Programm zu entwickeln, die einen Weg zum revolutionären Sturz des Kapitalismus und zur sozialistischen Transformation der Gesellschaft weisen. Die revolutionären Kräfte weltweit müssen verstehen, dass das nicht nur ein fernes Ziel, ein Wunsch für Sonntagsreden ist, sondern es sich um die Aufgabe der aktuellen Periode handelt, für die Formierung einer neuen, revolutionären Internationale zu kämpfen!




Unite Against G20 – Vorwort

Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Am 7. und 8. Juli übernehmen 20 Staats- und Regierungschefs das Hamburger Stadtzentrum. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, geschützt von tausenden PolizistInnen, Sicherheitsleuten und GeheimdienstlerInnen tagen sie im Messezentrum. Doch wer oder was sind eigentlich die G20? Welche Funktion nehmen sie im kapitalistischen System ein? Wie können sie bekämpft und besiegt werden?
Diese Broschüre versucht, auf diese Fragen Antworten zu geben. Sie versucht, die Rolle und Funktion der G20 im Rahmen eines globalen kapitalistischen Systems zu erklären und verständlich zu machen. Diese sind untrennbar mit der imperialistischen Ordnung von Ausbeutung und Unterdrückung verbunden. Sie fungieren als eine Art globales Netzwerk der führenden Mächte der Erde – und zugleich als Austragungsort ihrer immer tiefer werdenden Gegensätze und Kämpfe um die Neuaufteilung ebendieser Welt.
Einen Schwerpunkt bildet die Entstehung und Politik der G20. Darauf nehmen die ersten 6 Kapitel Bezug. Während sich 4 Kapitel schwerpunktmäßig einzelnen Politikfeldern und der Geschichte der G20 widmen, versuchen Kapitel 2 und 3, die G20 im Rahmen der Entwicklung des Kapitalismus und eines revolutionären Verständnisses der imperialistischen Epoche zu verorten. Diese beiden Abschnitte bilden den theoretisch-analytischen Kern der Broschüre. Wir arbeiten darin heraus, warum der Grund für die zunehmende innerimperialistische Konkurrenz und Kriegsgefahr nicht in schlechten politischen Entscheidungen zu finden ist, die auch anders ausfallen könnten, sondern notwendig aus der Zuspitzung der inneren Widersprüche des imperialistischen Weltsystems folgt. Ein positiver Bezug auf einzelne G20-Staaten oder der Versuch, sie durch andere Institutionen wie die UNO zu ersetzen, führt daher in die Irre. In den Kapiteln 7 und 8 setzt sich der Text kritisch mit den Bestrebungen auseinandersetzen, die G20 und damit auch den Kapitalismus zu reformieren.
Das abschließende Kapitel 8 und die Resolution von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION widmen sich der Frage, wie die Kräfte des Widerstandes gegen die G20 gebündelt werden können. Das wirft aber auch die Frage auf: Wie, mit welchen Kräften, mit welchen Aktionsformen und Kampfmethoden, mit welcher Politik, welchem Programm kann der Widerstand gegen die G20 geführt und gewonnen werden?
Wir halten dazu zwei Dinge für unbedingt erforderlich: Erstens das gemeinsame Agieren aller Kräfte der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der Unterdrückten gegen die Offensive der G20-Staaten, gegen die Kriegsgefahr, Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Zum Zweiten müssen sich all jene, die für eine revolutionäre Veränderung der Verhältnisse eintreten, die Frage stellen, wie eine neue, internationale Organisation der Lohnabhängigen und Unterdrückten, eine neue ArbeiterInneninternationale geschaffen werden kann.
Das Verständnis der aktuellen Krisenperiode und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten ist daher eine Schlüsselfrage nicht nur zum Verständnis der G20, sondern auch, um die politischen und programmatischen Aufgaben einer zu schaffenden revolutionären Internationale zu bestimmen.
Ein solche kann natürlich nicht durch einzelne Gruppen proklamiert werden. Aber wir wollen damit einen Beitrag dazu leisten, der Bewegung politisch weiterzuhelfen und eine notwendige Diskussion über unsere Alternative zum Gipfel des Kapitals voranzubringen.




G7-Gipfel bietet Vorgeschmack auf Hamburg

Internationalistischer Block gegen G20, Neue Internationale 220, Juni 2017

Der G7-Gipfel in Taormina bot einen Vorgeschmack auf die Hamburger G20-Tagung im Juli diesen Jahres.

Die Staats- und Regierungschefs der sog. „westlichen Welt“ konnten sich gerade auf  Formelkompromisse einigen. Die Abschlusserklärung war vor allem eine Manifestation der Tiefe ihrer Differenzen – sei es beim Klimaschutz, in der sog. Flüchtlingsfrage, beim Thema Freihandel oder Protektionismus.

Folgen wir dem Narrativ der Bundesregierung, so verhinderte nur Trump die ansonsten traute Einigkeit. In Wirklichkeit war die Farce von Sizilien nur der Ausdruck einer zunehmenden globalen Instabilität und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten. Den USA, aber auch den EU-Staaten mit Deutschland an der Spitze, geht es wie allen Staats- und Regierungschefs der G-20 vor allem darum, ihre ökonomischen und geopolitischen Interessen auf Kosten anderer zu behaupten.

Kein Wunder, dass sich die Sieben nur hinsichtlich der „Terrorismusbekämpfung“ einig waren. Diese bietet allen einen willkommenen Vorwand für weitere militärische Interventionen und Aufrüstung, zur Rechtfertigung von Kriegseinsätzen und Milliardendeals mit Diktaturen wie Saudi-Arabien oder der Türkei, für die Festigung rassistischer Grenzregime in den USA und der EU, für anti-muslimische Hetze und die Aushebelung demokratischer Rechte.

Die G7 schotteten sich in Sizilien ab. In Hamburg soll die ganze Innenstadt polizeilich überwacht werden. Protestcamps und Blockaden sollen verboten, Demonstrationen und die Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt werden.

In Hamburg rotten sich die G7 und alle anderen führenden Mächte der kapitalistischen Welt zusammen, die für Kriege, Rassismus, Ausbeutung, Zerstörung der Natur verantwortlich sind. Von ihnen haben wir – die Lohnabhängigen, Jugendlichen, Unterdrückten auf der ganzen Welt – NICHTS zu erwarten. Auf den Straßen von Hamburg werden wir ein deutliches Signal setzen im Kampf für eine andere Welt frei von Kapitalismus und Imperialismus, von Ausbeutung und Unterdrückung.

Der Internationalistische Block gegen den G20-Gipfel unterstützt die geplanten Aktionen. Wir beteiligen uns unter dem Motto „Workers of the world – unite against the G20“ mit einem eigenen Barrio und Veranstaltungen am Camp, an den Blockaden am 7. Juli und als Block an der Großdemonstration am 8. Juli.

Für Anfragen und Informationen stehen wir gerne zur Verfügung:

interblock@riseup.net

https://internationalisten.wordpress.com/




G20-Partnerschaft mit Afrika – Der Lange Schatten des Kolonialismus

Tobi Hansen, Neue Internationale 220, Juni 2017

Der G20-Gipfel in Hamburg rückt näher und dementsprechend gibt es Vorkonferenzen. So trafen sich aktuell die G7 auf Sizilien, sprachen natürlich nicht über Geflüchtete – wäre zu naheliegend gewesen zu fragen, warum diese flüchten. Stattdessen konnte der US-Präsident dort noch mal deutlich sagen, dass niemand etwas gegen den Klimawandel tun muss, schon gar nicht die Industriestaaten und imperialistischen Führungsmächte. Dies ist quasi die Vorbereitung zum G20-Gipfel.

Daher wurden am Ende einige wohlklingende, aber leere Floskeln zur Weltpolitik ausgetauscht. Bei Terrorismus und den Krisenplätzen der Welt sei man sich einig. Von den G7 ist vor allen anderen vor allem die USA dort aktiv, dementsprechend auch die Zustimmung zu ihrer Rolle als „Weltpolizei“. Beim Klima will sich US-Präsident Trump noch mal das Pariser Abkommen durchschauen und dann eine Absage erteilen. Auf dem Gipfel beließ er es bei Drohungen. Auch wurde eine leere Erklärung zum Freihandel abgegeben: Ja, die 7 Staaten profitieren davon auch in höchstem Maße, unter welchen  die USA dabei weiter mitmachen, stehe aber derzeit zur Disposition. Bis dahin reichen Erklärungen der Marke Schall und Rauch.

Partnerschaft – neues Wort für Unterdrückung

Als Vorsitz der G20 2017 hat Deutschland sich etwas Spezielles ausgedacht: eine „Partnerschaft Afrikas“ mit den G20 als Fokus des Gipfels. Afrikakonferenzen wurden vom deutschen Imperialismus immer schon dann einberufen, wenn entweder der „Platz an der Sonne“ lockt oder aber Gefahr im Verzug ist, den Einfluss auf diesem Kontinent zu verlieren. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte der Verbrechen der europäischen Mächte. Kolonialismus und Imperialismus durchziehen wie ein roter Faden aus Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung die Geschichte und Gegenwart des Kontinents.

So sind heute die Schuldenrückzahlungen der afrikanischen Staaten jedes Jahr höher als die sog. „Entwicklungshilfe“. Letztere finanziert hauptsächlich den Marktzugang der Konzerne. Auch Rüstungsexporte werden gerne vorfinanziert, damit auch jeglicher Bürgerkrieg funktioniert. Minister Müller von der CSU sieht Afrika heute vor allem als „Chancenkontinent“. In der Broschüre des BMZ zur Afrika-Partnerschaft (www.bmz.de/de/ service/sonderseiten/g20/partnerschaft_mit_afrika/index.html) wird das hohe Lied der Kooperation gesungen. Wie viel mehr möglich wäre, davon schwärmen die PolitikerInnen der imperialistischen Staaten immer gerne – ungefähr, seitdem sie angefangen haben, Afrika zu erobern und auszubeuten.

Keine Chance auf ein Leben, dann flüchte!

Im Gegensatz zu Minister Müller sehen viele AfrikanerInnen ihre Zukunft gar nicht rosig. Im Gegenteil, sie nehmen den Tod im Mittelmeer in Kauf, nur um die Chance zu haben, nach Europa zu flüchten. Die Landwirtschaft, welche weiterhin der bestimmende Produktionssektor ist, wird auf den Export in die EU, USA und, neuerdings, China ausgerichtet. Die Profite eigen sich multi-nationale Konzerne an, während die lokalen ProzentInnen mehr und mehr in den Ruin getrieben werden. Generationen der Landbevölkerung haben keine Perspektive.

Gut bezahlte und ausgestattete Söldnermilizen führen Krieg bspw. um die Diamantenminen des Kongo, oder Jugendliche und Kinder dürfen in Ghana die Kakaobohnen für den Weltmarkt pflücken. Dies sind Bestandteile der Realität eines Kontinents, auf dem der „Arabische Frühling“ 2010/2011 etliche Hoffnungen auf eine andere Zukunft freisetzte, aber letztlich mit Unterstützung der imperialistischen Staaten abgewürgt wurde. In der Broschüre des deutschen Ministers wird Ägypten zynisch als Beispiel für die gelungene Reintegration für Geflüchtete benannt. Zusammen mit der deutschen Wirtschaft, die rund um Suez sehr aktiv investiert, werden Praktika und Jobs vermittelt. Das ist ein Hauptziel der „Partnerschaft“: Flucht verhindern, Abschiebung organisieren und dabei selbst Profite machen.

Das wird auch im Zentrum der europäischen Staaten in Hinblick auf die G20-Partnerschaft stehen: Wie bekommen wir wieder ein „stabiles“ nordafrikanisches Grenzregime mit Auffanglagern à la Gaddafi in Libyen? Solange das funktioniert, sind auch Militärpräsidenten wie der Ägypter as-Sisi stabile Partner des Westens, genau wie Mubarak und Gaddafi zuvor. Die EU will in diesem Partnerschaftsabkommen die erste Geige spielen, sieht sie doch traditionell die Südseite des Mittelmeers als ihre Einflusszone. Allein der französische Imperialismus wütete in West- und Nordafrika beispiellos.

Diesen Fokus will auch die EU behalten, gibt es doch mit China einen neuen schwergewichtigen Konkurrenten, welcher äußerst aktiv in die Märkte eindringt (Sudan, Tschad, Mosambik). Dabei hat sich der chinesische Imperialismus im Unterschied zu den meisten Gegenspielern vorgenommen, auch die Infrastruktur und wenn möglich sogar die Produktion in den Staaten aufzubauen – natürlich unter eigener Kontrolle.

Die EU will vor allem die AU (Afrikanische Union) zu ihrem Büttel machen. Die darf dann für die europäischen Profitinteressen vor Ort wirken: noch vorhandene Handelshemmnisse abbauen, den „Flüchtlingsstrom“ eingrenzen und wenn möglich auch eine militärische Interventionstruppe aufbauen, die z. B. in Mali den französischen Truppen helfen kann.

Antiimperialismus

Die EU stützt sich dort neben Ägypten vor allem auf Südafrika, welches selbst in einer tiefen politischen und ökonomischen Krise ist. Präsident Zuma wird inzwischen auch vom ANC kaum noch verteidigt, das Kabinett je nach Wirtschaftsinteressen umbesetzt und im Land gibt es rassistische Unruhen gegen ArbeitsmigrantInnen, zu denen der ANC stumm bleibt. Diese Regime und ihre Willfährigkeit gegenüber dem Imperialismus sind Kennzeichen der Entwicklung Afrikas.

Wir unterstützen daher alle Proteste gegen die „G20-Partnerschaft“ mit Afrika, welche z. B. am 10.6. in Berlin stattfinden.

Wir fordern die Offenlegung aller geplanten Abkommen, aller Verträge, die die Interessen der europäischen und anderer imperialistischer Staaten wie der Regime, politischen und ökonomischen Eliten der afrikanischen Länder bedienen.

Um sich aus der Umklammerung durch diese „PartnerInnen“ zu lösen, ist keine verlogene „Partnerschaft“ im Interesse der dominierenden Großmächte nötig, die heute den Kontinent zwar nicht mehr als Kolonialmächte, wohl aber über ihre Stellung in der imperialistischen Weltordnung trotz formaler Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten dominieren. Ein wesentliches Mittel dabei sind die Schuldenlast der Länder, die Ausplünderung durch westliche Konzerne und Banken und die militärische Präsenz dieser Staaten.

Wir treten daher für die sofortige Streichung der Staatsschulden der afrikanischen Länder ein. Die imperialistischen InvestorInnen sollten ohne Entschädigung unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Diese gebündelten Ressourcen könnten Teil eines Plans zur Wirtschaftsentwicklung sein – was selbst wiederum erfordert, diesen Kampf mit dem gegen die pro-imperialistischen, kapitalistischen Regierungen, für ArbeiterInnen- und Bauernregierungen und eine sozialistische Vereinigung des Kontinents zu verbinden.

Alle imperialistischen Truppen und MilitärberaterInnen müssen aus Afrika abgezogen werden. Zugleich treten wir für die Öffnung der Grenzen für alle Geflüchteten ein, deren freie Wahl des Wohnorts, ihr Recht auf Wohnraum, Arbeit sowie gleiche bürgerliche und politische Rechte.

Die Proteste gegen den G20-Afrika-Gipfel können einen Schritt vorwärts hin zu einem gemeinsamen Kampf von Linken, ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen und SozialistInnen in Europa und Afrika gegen Ausbeutung, Rassismus und Imperialismus bedeuten.