Ein Jahr nach dem G20-Gipfel: Unite against reaction

Martin Suchanek, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Imperialismus war und ist immer Scheiße. Doch im letzten Jahr hat sich die Welt so dramatisch verändert wie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der letzten großen Krise nicht mehr.

In Hamburg konnten sich die 20 mächtigsten Staaten der Erde noch auf eine gemeinsame Abschlusserklärung verständigen. Trump brüskierte zwar Merkel und stellte sich gegen das Pariser Klimaabkommen – aber sie standen noch am Beginn vom Ende einer langen Freundschaft unter den Großmächten.

Beim G7-Gipfel in Kanada, bei dem die HauptrivalInnen des Westens ohnehin fehlten, konnten sich die „traditionellen“ imperialistischen Mächte nicht einmal auf eine Abschlusserklärung verständigen. Per Tweet entzog Trump dem Papier die Zustimmung, das ohnedies schon inhaltsleerer als frühere Formelkompromisse war.

Im letzten Jahr hat die Zuspitzung der innerimperialistischen Konkurrenz einen neuen Höhepunkt erreicht. Ein Welthandelskrieg zeichnet sich nicht am fernen Horizont ab – er steht, sollten die großen RivalInnen nicht doch noch zurückrudern, kurz vor seinem Ausbruch.

Kein Wunder, dass seit dem G20-Gipfel Militarisierung, Aufrüstung, Rassismus und Autoritarismus die Welt noch mehr prägen. Sie ist ein Pulverfass geworden – und jeden Tag wird nicht nur eifrig gezündelt, sondern auch neue Pulverfässer werden herangeschafft.

Die Erinnerung an die „humanitären“ Versprechen der G20, allen voran der „Plan für Afrika“, sind heute schon so verblasst, als wären sie nie gemacht worden. Ernst waren sie ohnedies nie gemeint, ernst genommen wurden sie offenkundig auch nicht.

Im Sommer 2017 wurden noch die „Zusammenarbeit“, der Welthandel, sogar die „Verantwortung für das Weltklima“ beschworen. Ab nimmt die Temperatur seither allerdings nur bei den Zusammenkünften der großen Mächte. Dort geht es frostig zu, während das Eis an den Polkappen schmilzt.

Neue Qualität der Repression

Der Hamburger Gipfel sollte, wäre es nach Merkel und der deutschen Bundesregierung gegangen, zu einer Inszenierung der Zusammenarbeit, einer gemeinschaftlichen, fürsorglichen und rationalen Weltbeherrschung werden, zur Tagung einer informellen Weltregierung. Das Vorhaben scheiterte nicht nur im Konferenzsaal.

Die innenpolitischen Erfordernisse, die mit verschärfter globaler Konkurrenz einhergehen, machten sich auch auf den Straßen und in den Protestcamps Hamburgs bemerkbar. Die bürgerlich-demokratischen Rechte wurden für eine Woche weitgehend außer Kraft gesetzt – nicht nur für die G20-GegnerInnen, sondern auch für die Bevölkerung, deren Wohnbezirke in unterschiedlich intensiv überwachte „Zonen“ aufgeteilt wurden.

Ein großes Protestcamp wurde geräumt, ein anderes wurde zur Tortur mit Schlafentzug, Sperren von Wasseranschlüssen und Polizeirazzien. Die Demonstration „Welcome to Hell“ wurde nach wenigen Metern brutal zerschlagen, wobei die Bullen schwere Verletzungen billigend in Kauf nahmen. Nur zufällig wurde niemand getötet. Auch bei den Blockadeversuchen ging die Polizei besonders brutal vor. Brennende Autos waren die Antwort von Ohnmacht und Verzweiflung, die wenigstens zeigen sollten, dass die Menschen sich noch wehren können. Politisch und taktisch waren sie zwar sinnlos – aber die Hetze der bürgerlichen Presse stellte die Realität auf den Kopf wie selten zuvor. „Terror“ drohe in Hamburg, titelte nicht nur die Springerpresse. Gemeint waren ganz normale DemonstrantInnen. Gleichzeitig wurden der staatliche Terror, die Aufhebung demokratischer Rechte, das Verletzen hunderter und die Einschüchterung tausender AktivistInnen unter den Teppich gekehrt und gerechtfertigt. Nicht nur die Hardliner aus Polizei und den rechten Parteien, auch der rot-grüne Senat unter Olaf Scholz stellten sich ohne Wenn und Aber auf Seiten der bezahlten SchlägerInnen. Schließlich liefen auch nicht nur einzelne Bullen oder Polizeieinheiten Amok. Die systematische Terrorisierung der G20-GegnerInnen, deren Einschüchterung und Erniedrigung war Ziel der „Maßnahmen“. Hamburg war nicht das Ende, sondern der Beginn einer Entwicklung zu mehr Autoritarismus und innerer Aufrüstung.

Seither hat Bayern ein neues Polizeiaufgabengesetz erlassen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen werden folgen. Die Befugnisse der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts wurden ausgeweitet, die Budgetmittel für die Repressionskräfte aufgestockt.

Die sog. „Sonderkommission Schwarzer Block“ hat hunderte Verfahren angestrengt und lässt bis heute willkürlich Hausdurchsuchungen vermeintlicher „GewalttäterInnen“ durchführen. Rund 3000 Ermittlungsverfahren laufen bis heute.

Was bleibt von einer Zäsur?

Trotz der massiven Repression, Vorkontrollen und medialer Hetze demonstrierten am 8. Juli 76.000 Menschen gegen die G20 – ein beachtlicher Erfolg.

Auch während des letzten Jahres sowie in diesem konnten gegen das Bayrische Polizeiaufgabengesetz oder gegen den Berliner AfD-Aufmarsch Zehntausende mobilisiert werden. An den Warnstreiks der Tarifrunden beteiligten sich hunderttausende KollegInnen, die auch bereit gewesen waren, für bessere Abschlüsse zu kämpfen.

Trotz Rechtsrucks zeigt sich das vorhandene Kampfpotenzial in der ArbeiterInnenklasse, unter der Jugend, unter all jenen, die demokratische Rechte verteidigen oder RassistInnen entgegentreten wollen.

Doch diese Ansätze von Widerstand sind so zersplittert wie vor der Mobilisierung in Hamburg. Zur Vernetzung und Koordinierung wurde exakt nichts getan. Weder vor noch nach den Gipfelprotesten wurde ein Plan entworfen oder auch nur diskutiert, wie aus einer bundesweiten, einmaligen Aktionswoche und Demonstration eine dauerhafte Struktur des Widerstandes werden könnte. Verantwortlich dafür sind nicht die Massen und auch nicht jene kleineren Gruppierungen und Organisationen, die nicht über die Mittel verfügen, eine breite Einheitsfront zu tragen oder zu erzwingen. Im Gegenteil. Gruppen wie ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION haben das ihnen Mögliche getan, diese Vorschläge zu verbreitern und zu propagieren.

Vielmehr haben die „großen Player“ der G20-Mobilisierung – die Linkspartei und ihre Gliederungen, attac, linkere Gewerkschaften und die Interventionistische Linke, die das post-autonome Spektrum anführte – nichts getan, um auch nur einen Schritt weiterzukommen. Am ersten Juliwochenende finden in Hamburg zwar Veranstaltungen, Konzerte, Filmvorführungen und eine Demonstration statt. Das ganze Programm gleicht aber eher einer Gedenkveranstaltung als einer Versammlung von AktivistInnen, die für eine bessere Zukunft kämpfen wollen.

Besser koordiniert ist heute die Gegenseite, die ohnedies schon in der Vorhand war. Das liegt aber nicht nur daran, dass der Widerstand nicht organisiert wird.

Auch der Ernst der Situation wird unterschätzt. Während der barbarische Charakter des globalen Systems immer deutlicher hervortritt und die inneren Widersprüche des Kapitalismus weiter zum offenen Ausbruch, also einer nächsten Krise drängen, will die Linke vom Imperialismus immer weniger wissen. Das ist keine terminologische Frage. Es geht vielmehr darum, dass den reformistischen wie auch den „linksradikalen“ Gruppierungen durchaus bewusst ist, dass eine realistische Analyse der aktuellen Situation auf die Verschärfung der Krise und die unvermeidliche Zuspitzung der imperialistischen Konkurrenz verweist.

Das allein entzieht allen Hoffnungen auf eine „friedliche“, parlamentarische Transformation des Kapitalismus, auf eine mehr oder weniger langwierige reformistische Strategie den Boden. Sie waren und sind nämlich allesamt unrealistisch.

Realistisch ist nur der Klassenkampf – realistisch ist nur eine Strategie, die das imperialistische System in seiner Gesamtheit und international bekämpft. Natürlich werden die reformistischen Kräfte und ihre TheoretikerInnen diese Sicht zurückweisen und ideologisch bekämpfen. Aber ihre Weigerung, auch nur den Kampf für demokratische und soziale Rechte, also den Kampf für Reformen zu führen, ihre Weigerung, den Schwung der G20-Mobilisierung für ein Aktionsbündnis gegen die Regierung und die Rechte zu nutzen, weisen darauf hin, dass auch sie eine grundlegende Veränderung der Lage wahrnehmen.

Ihnen kommt durchaus zu Bewusstsein, dass jede bedeutende Verbesserung oder die Abwehr jedes größeren Angriffs nur durch einen entschlossenen Kampf, durch Massenaktionen und Streiks möglich ist. In Hamburg hat unser Feind selbst Demonstrationen und Blockaden, die letztlich einen symbolischen Charakter hatten, niedergeschlagen, als handle es sich um einen Aufstand. Das zeigt, wozu der Klassenfeind bereit ist – und wovor und warum die ReformistInnen zurückschrecken. Das zeigt aber auch, worauf wir uns vorbereiten müssen.




Polizeirazzien gegen G20-AktivistInnen – Solidarität mit allen Betroffenen!

Martin Suchanek, Infomail 976, 5. Dezember 2017

Heute Morgen, am 5. Dezember, hat die Polizei bundesweit begonnen, Wohnungen, Läden und Versammlungsorte linker AktivistInnen und Gruppierungen zur durchsuchen. Die Razzien erfolgen nach langer Vorbereitung unter Federführung der Sonderkommission „Schwarzer Block“. Sie soll lt. Tagesschau „GewalttäterInnen“, vorgebliche „OrganisatorInnen und LogistikerInnen“ dingfest machen.

Insgesamt sollen mindestens 24 linke Treffpunkte und Privatwohnungen in 8 Bundesländern, darunter in Städten wie Hamburg, Braunschweig, Hannover, Göttingen, Stuttgart und München, durchsucht worden sein. Besonders die GenossInnen des „Roten Aufbau Hamburg“ sind dabei offenbar ins Visier der FahnderInnen und Dienste geraten. Ein Sprecher der polizeilichen Sonderkommission erklärte in einem Interview mit dem NDR, dass Ende des Jahres 3000 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. 155 Personen hätten sie bislang anhand von Video-Material identifizieren können.

Die Hausdurchsuchungen und Razzien verfolgen wie die gesamte Tätigkeit der Sonderkommission nur einen Zweck: die Kriminalisierung des Widerstandes gegen den G20-Gipfel im großen Stil. Die Hausdurchsuchungen sind wahrscheinlich nicht der Höhepunkt, sondern nur ein Schritt in einer weit umfassenderen Repressionswelle.

Wozu dient die Kriminalisierung?

Natürlich sind dabei die Polizeigewalt und die Außerkraftsetzung demokratischer Rechte kein Thema. Die „Krawalle“ sollen vielmehr zur Rechtfertigung des staatlichen Vorgehens dienen. Auch deshalb müssen die Durchsuchungen als von langer Hand geplante, über Netzwerke vorbereitete Aktionen gelten. Das soll z. B. durch an Demorouten angelegte „Depots“ der Protestierenden belegt werden, die ihnen ein Umkleiden auf dem Weg zu den Aktionen erlaubt hätten. Die Vorwürfe entbehren nicht einer gewissen Lächerlichkeit, dienen aber als Vorwand für eine ernstzunehmende Sache.

Die realen Verhältnisse werden dabei auf den Kopf gestellt. Die Polizei hat bekanntlich die Stadt abriegelt und in überwachte Zonen aufgeteilt, legte wirkliche Depots mit Mitteln zur Aufstandsbekämpfung an, zog tausende Einsatzkräfte in Kasernen zusammen, räumte Protestcamps, verweigerte Menschen Schlaf und Zugang zu sanitären Einrichtungen. Dabei hat sie sich wenig um das bürgerliche Recht gekümmert, umso mehr jedoch um dessen Beugung. Den Protestierenden wirft die Sonderkommission nun vor, der Polizei die Arbeit auch noch erschwert zu haben, indem nicht alle geordnet und leicht zu durchsuchen an Kontrollpunkten vorbeiliefen. Sie präsentiert gar das Umziehen auf dem Weg zu einer Demonstration als „kriminellen Akt“.

Als andere „Belege“ sollen „Drohvideos“ herhalten. Während jeden Tag rechte und rassistische HetzerInnen in Deutschland Abschiebung fordern dürfen, Volk, Blut und Heimat beschwören, MigrantInnen, Geflüchteten und „Gutmenschen“ mit Gewalt nicht nur drohen, so soll ausgerechnet ein Video, das sich gegen die menschenverachtende Politik der G20, gegen Imperialismus, Krieg, Rassismus und Ausbeutung wendet, Teil eines groß organisierten Komplotts sein.

So albern die Vorwürfe, so bitter ernst ist ihr Zweck. Es geht um die Kriminalisierung von Gruppierungen und Menschen, die über Monate an der Vorbereitung von Protest- und Widerstandaktionen gegen die G20 gearbeitet haben. Natürlich haben diese auch „Infrastruktur“ von Vorbereitungstreffen, Protest-Camps, Lebensmittelversorgung bis hin zu Schlafplätzen organisiert. Ohne solche Organisation und Logistik wäre kein längerer Protest oder gar Kampf möglich – sei es gegen eine reaktionäre Veranstaltung wie den G20-Gipfel, sei es gegen den Braunkohletagebau, sei es eine bundesweite antirassistische Mobilisierung oder ein Streik gegen Entlassungen oder für höhere Löhne.

Mit den Durchsuchungen und den weiteren Ermittlungen der Sonderkommission soll die Kriminalisierung von Protest und Widerstand massiv vorangetrieben werden – und zwar nicht nur die vom Juli 2017 in Hamburg, sondern auch alle zukünftigen. Zugleich wird der Boden für eine weitere Einschränkung demokratischer Rechte und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse vorbereitet.

  • – Solidarität mit allen von den Durchsuchungen betroffenen Personen, Gruppen und linken Zentren!
  • – Niederschlagung aller Verfahren gegen G20-AktivistInnen, Freilassung aller Festgenommenen und noch in Untersuchungshaft Befindlichen! Einstellung aller Ermittlungsverfahren und Auflösung der Sonderkommission!
  • – Beteiligt Euch an Solidaritätsaktionen mit den betroffenen GenossInnen!
  • – Gemeinsam gegen die Einschränkung demokratischer Rechte!

 




Zehntausende gegen die G20 – Imperialists not welcome!

Neue Internationale 221, Juli/August 2017

Am 8. Juli demonstrierten nach offiziellen Angaben der VeranstalterInnen 76.000 Menschen durch Hamburgs Straßen – gegen die G20.

Es war der Höhepunkt der Aktionen gegen den G20-Gipfel. Trotz massiver Einschüchterung, tagelanger Angriffe auf Demonstrationen und Protest-Camps sowie der Hetze gegen „ChaotInnen“ waren TeilnehmerInnen gekommen, die verschiedenen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, MigrantInnenorganisationen – allen voran ein massiver Block der kurdischen Bewegung – sowie der radikalen, anti-kapitalistischen Linken angehören.

Allein das war ein Erfolg.

Zuvor hatten sich Tausende an den Blockaden beteiligt, an verschiedenen Demonstrationen, Protestcamps verteidigt oder durchgeführt.

Alle, die sich daran beteiligt haben, dürfen zu Recht stolz auf ihren Erfolg sein.

Doch es erhebt sich auch die Frage: Wie weiter nach G20? Welche Strategie, welches Programm, welche Organisation braucht unsere Bewegung, um den Protest in Deutschland und international zu bündeln?

Darüber und über andere Fragen wollen wir im Rahmen unserer Sommerschulung „Revolutionärer Marxismus“ vom 26. – 31. August 2017 diskutieren.

Das vollständige Programm erhältst Du über unsere Kontaktadresse.




Zu den politischen Ergebnissen des Gipfels: Außer Spesen nichts gewesen?

Martin Suchanek, Neue Internationale 221, Juli/August 2017

„Wir stimmen darin überein, dass wir nicht übereinstimmen.“ So könnte das Resultat des G20-Gipfels zusammengefasst werden.

Wenig überraschend hat Donald Trump seine Meinung zum Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 nicht geändert, die USA werden ihm nicht wieder beitreten. Die anderen G20 wollen sich daran halten – jedenfalls im Prinzip. Die Türkei fordert jedoch vor einer endgültigen Ratifizierung, ihren Status im Rahmen des Abkommens zu klären. Würde sie darin als Industrieland eingestuft werden, müsste sie nämlich weit größere Summen aufwenden denn als „Entwicklungsland“, das auf Gelder hoffen könnte.

Für die FAZ gilt schon als Erfolg, dass sich in der Abschlusserklärung des Gipfels ein Bekenntnis zum Freihandel wiederfindet. Immerhin hätten dem, wenn auch mit einigen „relativierenden“ Zusätzen, sogar die USA zugestimmt.

Vor allem aber wäre es gut gewesen, dass sich die 20 überhaupt getroffen haben.

„Die Staats- und Regierungschefs aus 19 Industrie- und Schwellenländern sowie die Vertreter der EU sind in schwieriger Weltlage zusammengekommen und haben die Großbaustellen der internationalen Politik betrachtet. Dass sie dabei nicht immer ein Herz und eine Seele waren, liegt in der Natur der Sache. Umso mehr sind die Fortschritte zu begrüßen.“ (Klaus-Dieter Frankenberger, G-20-Gipfel war kein Fehlschlag; FAZ, 9.Juli 17)

Worin bestanden die Fortschritte? Putin und Trump haben ihr „Gesprächsklima“ verbessert. Sie hatten nicht nur einen überraschenden Deal zur Bekämpfung der „Cyberkriminalität“ verkündet, der jedoch nicht einmal den Rückflug der Airforce One in die USA überstand. Wichtiger ist wohl, dass sie auch einen weiteren „Deal“ zur reaktionären Befriedung Syriens, einen sog. Waffenstillstand, ausgehandelt haben.

Es ist wohl mehr als nur Symbolik, dass dieses Männertreffen zeitgleich zur Präsentation des Programms der G20/EU-Afrika-Partnerschaft stattfand. Die beiden „starken Männer“ wollten Merkel offenbar zeigen, dass dieses Abkommen nicht allzu wichtig ist, und ihr vor allem nicht die Bühne überlassen, sich als „Retterin“ eines Kontinents darzustellen.

Die FAZ verweist außerdem zu Recht darauf hin, dass der Gipfel nicht nur keine großen, greifbaren Resultate brachte, sondern bilaterale Gespräche im Vordergrund standen.

Unübersehbare Brüche

Die Bundesregierung kann zwar für sich verbuchen, dass die große Mehrheit der G20 nicht ins „Trump-Lager“ überlief, dass sich Länder wie Saudi-Arabien oder die Türkei nicht offen gegen das Pariser Klimaschutzabkommen stellten, dass China und die EU weiter beanspruchen, eine führende Rolle in Sachen industriellen Umbaus einzunehmen.

Freilich wird die Klimafrage wie alle anderen großen Fragen von der zunehmenden Konkurrenz und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt bestimmt. Daher kommen die G20 zu wenig greifbaren Ergebnissen. Die Entwicklung der Weltwirtschaft und internationalen Politik deutet auf eine Verschärfung von Instabilität, Krisenhaftigkeit und damit auch ein immer offeneres Austragen der zunehmend explosiven Gegensätze hin – sei es nun auf der arabischen Halbinsel oder im Streit um Nordkorea.

Angesichts der mageren Ergebnisse lesen sich die offiziellen Erklärungen der Bundesregierung wie ein verzweifelter Versuch, eine Not zur Tugend zu machen, würden doch wenigstens die Unterschiede und Differenzen „offen“ benannt. Viel wichtiger ist jedoch, dass der Gipfel auch neue Momente der Weltlage deutlich zum Ausdruck brachte:

  1. Die USA können nicht mehr den Anspruch erheben, die politisch führende Nation der G20 und auch nur der „westlichen Welt“ zu sein, wie ihnen dies unter Obama auch noch von ihren KonkurrentInnen ohne weiteres zugebilligt wurde.
  2. Die Regierung Trump hat vor und auch während des Gipfels wiederholt und offen versucht, die politischen Ziele von EU und Deutschland zu unterlaufen. So traf sich Trump nicht nur mit den russischen, saudischen und türkischen Delegationen, sondern auch mit der polnischen, slowakischen und ungarischen Regierung vor dem G20-Gipfel.
  3. Macron hat umgekehrt die Anwartschaft auf eine stärkere globale Führungsrolle offen formuliert – teilweise auch stellvertretend für den deutschen Imperialismus, dessen Regierung die „überparteiliche“ Gastgeberrolle spielen musste.
  4. In jedem Fall zeigt sich daran: Der westliche Block unter US-Hegemonie ist brüchiger geworden, neue „Allianzen“ werden ins Spiel gebracht, die Mächte, die um die Aufteilung und Zurichtung der Erde ringen, stellen sich neu auf.
  5. Diese Formierung verläuft – wie im Verhältnis der USA zu Russland besonders deutlich wird – auf widersprüchliche Weise, die von gemeinsamen Abkommen (Syrien) bis hin zur Fortsetzung eines neuen Kalten Krieges (Ukraine, Aufrüstung) reicht.

Merkels Strategie gescheitert

Die deutsche Bundesregierung und v. a. Kanzlerin Merkel hatten sich erhofft, den G20-Gipfel zur eigenen politischen Inszenierung nutzen zu können. Inmitten einer zunehmend unsicheren Welt wollten sie sich und ihre engeren Verbündeten – vor allem Frankreich, Italien, die EU – als Pol der Stabilität präsentieren.

Die zunehmenden Gegensätze zwischen den Großmächten haben diese Inszenierung als das entlarvt, was sie ist – ein großer Schwindel. Hinter ihm stecken selbst nur die ökonomischen und geostrategischen Interessen des deutschen Imperialismus. Das zeigt sich einerseits im Ruf nach Freihandel, Klimapolitik, Hilfe für (InvestorInnen in) Afrika, andererseits darin, den militärisch schwachen und selbst von der Krise der EU gebeutelten Imperialismus als „Verhandlungsmacht“, als „Vermittler“ stärker zu positionieren.

Von einem Erfolg auf diesem Gebiet wagt jedoch nicht einmal die Bundesregierung zu sprechen.

Damit stellt sich freilich auch für die Masse der Bevölkerung die Frage: wozu überhaupt der ganze Aufwand? Wozu werden Leute wie Trump hofiert, die ohnedies nicht vorhaben, zu irgendeinem gemeinsamen Entschluss zu kommen? Hätte nicht eine Video-Konferenz ausgereicht, um „miteinander zu reden“? Und was kommt schon raus bei den zahlreichen geheimen Gesprächen hinter verschlossenen Türen außer noch mehr Zumutungen für die Masse der Weltbevölkerung?

Kurzum, für die Bundesregierung stellt sich ein Legitimationsproblem. Das wurde auch in den immer kritischer werdenden Berichten über die Polizeirepression deutlich. Vom „weltoffenen“ Hamburg, das die G20 den Menschen näherbringen sollte, blieben nur rote, blaue und sonstige Überwachungszonen. Während 20.000 PolizistInnen die Stadt in Beschlag nahmen, wurden die BewohnerInnen Hamburgs aufgefordert, sich von den G20 weiter zu entfernen und die Stadt zu verlassen.

Nach den Auseinandersetzungen im Schanzenviertel und der medialen Hetze gegen die „Linksradikalen“ und „GewalttäterInnen“ ist die Stimmung hier zwar etwas gekippt – die Frage, wozu der Gipfel überhaupt gut gewesen sein soll, bleibt jedoch.

Unmittelbar wird diese Frage die Grundlagen der Stabilität im Inneren nicht in Frage stellen. Dazu ist die wirtschaftliche Konjunktur noch zu gut. Vor den Bundestagswahlen wird es auch zu keinen größeren sozialen Angriffen kommen. Trotz des Scheiterns ihrer Gipfelstrategie erscheint Merkel noch immer als eine Verkörperung der Stabilität, als kleineres Übel gegenüber den Trumps, Putins, Mays oder Erdogans.

Aber die Phasen des Legitimitätsverlustes zeigen auch, dass die Inszenierung, ja die relative Stabilität der Bundesrepublik auf wackeligen Füßen stehen. Einerseits wird die EU und damit auch der deutsche Imperialismus in der globalen Konkurrenz zunehmend mehr unter Druck geraten. Andererseits wird er selbst zu drastischeren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Initiativen greifen müssen, um im Kampf um die Neuaufteilung der Welt verlorenes Terrain gutzumachen.

Dass beim Gipfel in Hamburg so wenig herauskam, verdeutlicht eins: Die G20 sind immer weniger ein Ort der Einigung auf gemeinsame Politik, auf gemeinsame Strategien der Großen. Vielmehr wird der Gipfel selbst fast ausschließlich zum Ort der Neuformierung und Austragung von regionalen oder globalen Konflikten, die tagtäglich bei der Formierung neuer Handelblöcke, politischer Bündnisse, im Nahen und Mittleren Osten, in der Ukraine, im südchinesischen Meer stattfinden.

So wichtig daher Massenproteste und Blockaden wie in Hamburg sind – geschlagen können die G20 nur werden, wenn es gelingt, eine globale Bewegung gegen Krieg, Militarismus, imperialistische Interventionen und in Solidarität mit ArbeiterInnen- und Befreiungskämpfen aufzubauen, die auch koordiniert in den Betrieben und auf der Straße agiert. Gewinnen können wir nur, wenn wir den G20 und der imperialistischen Ordnung eine Internationale des Widerstandes und Kampfes für eine andere, sozialistische Gesellschaft entgegensetzen.




Vor und nach dem Gipfel: Demokratie – not welcome

Martin Suchanek, Neue Internationale 221, Juli/August 2017

Hamburgs Scharfmacher und Innensenator Andy Grote fühlt sich wohl bestätigt. Der SPD-Politiker, ein spät geborener Noske, vertrat von Beginn an eine „harte Linie“ gegen die Proteste und maximale Härte gegen alle Widerstandsformen. So ließ er in der Bild-Zeitung am 20. Juni verlautbaren:

„Linke Chaoten wollen den Nahverkehr stören.“ Die radikale Linke würde „ihren ideologischen Kampf in der jetzigen Weltlage ausgerechnet gegen unseren Staat und unsere Polizei“ führen.

Wochen vor dem Gipfel waren die vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung und des Hamburger Senats, den Gipfel „bürgernahe“ auszurichten und die G20 näher an die Menschen zu rücken, ins Gegenteil umgeschlagen.

Die Stadt wurde von rund 20.000 PolizistInnen und weiteren Sicherheitskräften eingenommen und in Zonen mit unterschiedlichen Stufen der Überwachung und Einschränkung bürgerlicher Rechte eingeteilt. Den Kern bildete die „rote“ Zone um den Tagungsort und die Elb-Philharmonie. Dort wurde ein durchgängiges Versammlungsverbot verhängt und den AnwohnerInnen untersagt, BesucherInnen zu empfangen. Um dieses Gebiet wurde eine insgesamt 38 km2 große „blaue Zone“ errichtet, das sog. Transfergebiet. Mittels einer Allgemeinverfügung konnte dort jede Versammlung oder Aktion verboten werden, die Fahrten der Staats- und Regierungschefs vom Flughafen zu ihren Hotels oder zum Tagungsort behindern könnten.

Hinzu kam die massive Überwachung und Einschüchterung des sich formierenden Widerstandes. Schon in der Woche vor dem Gipfel wurden z. B. die Räumlichkeiten des „Roten Aufbaus“ durchsucht und Computer beschlagnahmt.

Vor allem aber sollte die Infrastruktur des Protestes – also die Camps – blockiert, ja verunmöglicht werden. Grote: „Kommt ein Camp, wäre die Situation für die Polizei ungleich schwerer kontrollierbar. Erfahrungen zeigen, dass sich militante Aktivisten in solchen Camps vernetzen und koordinieren. Dadurch steigt die Gefahr krimineller Aktionen deutlich.“

Gewollte Eskalation

Mehr als bei allen Gipfel-Protesten der letzten Jahre war die Strategie des Senates, der Polizeiführung und letztlich auch der Bundesregierung auf Eskalation ausgerichtet. Gerade für die Beteiligung von Jugendlichen, MigrantInnen wie überhaupt von vielen Lohnabhängigen ist es essentiell, günstige, selbstorganisierte Unterbringungsmöglichkeiten in Protestcamps zu haben. Diese dienen nicht nur der Diskussion und dem Austausch – sie sind schlichtweg die einzige finanziell erschwingliche Form der Unterbringung für Tausende, die ihren Protest gegen die Politik der G20 auf Demonstrationen und Blockaden zum Ausdruck bringen wollen.

Für Leute wie Grote ist das schon „kriminelle Energie“, die Blockade eines Fahrzeugs ein „Gewaltakt“, den es zu unterbinden gelte. Daher wurden die Proteste von dieser Seite aus auch von Anfang an stigmatisiert.

Nachdem die OrganisatorInnen der Protestcamps vor Gericht oder durch Aktionen erste Teilerfolge erringen konnten, sollte dieser begrenzte Spielraum im Vorfeld der Aktionen durch Repression, Einschüchterung, Vorkontrollen, nächtliche Räumungsdrohungen und reale Räumungen einzelner Camps wieder zunichte gemacht werden.

So musste die Polizei zwar im Camp im Hamburg-Altonaer Volkspark Großzelte erlauben, versuchte aber, die Menschen am Schlafen zu hindern, und unterband die Errichtung von Toiletten, Duschen und einer Küche, also essentieller Infrastruktur. Dabei gaben einzelne PolizistInnen auch offen zu, dass sie seit Ende Juni „von oben“ die politische Anweisung hätten, das Leben für die Protestierenden so schwer wie nur möglich zu machen.

Weitaus brutaler ging es in Entenwerder ab. Dort wurden zwar Schlafzelte errichtet, der Aufbau der Infrastruktur jedoch verhindert. In der Nacht vom 3. auf den 4. Juli griff die Polizei die Übernachtenden an und räumte das Camp. Auch wenn viele wieder zurückkehrten, so musste es schließlich aufgegeben werden, weil der Entzug jeder Infrastruktur die Durchführung unmöglich machte.

Zugleich gingen die Bullen brutal gegen Demonstrationen und Aktionen in der Stadt vor. Nachdem das einzige verbliebene größere Camp im Altonaer Volkspark am 5. Juli durch ein als Demonstration angemeldetes „Sleep In“ letztlich durchgesetzt werden konnte, setzte die Polizeiführung ihre Strategie nunmehr auf andere Weise durch.

Am 6. Juli griff die Polizei die Demonstration „Welcome to Hell“, die vor allem vom autonomen Spektrum organisiert worden war, nach wenigen hundert Metern gezielt an. In den senats- und polizeinahen Medien und auch im NDR, der fast schon wie die Pressestelle der Polizeiführung wirkte, wurden nachträglich Horrorgeschichten über die „gewaltbereiten Chaoten“ verbreitet, die Polizeiaktion als eine Art präventiver Selbstverteidigung hingestellt.

In Wirklichkeit war es umgekehrt. Die Demonstration war natürlich lautstark, militant, groß, aber keineswegs ausschließlich von autonomen Gruppierungen geprägt. Vor allem aber hatte es keine Angriffe, keine Übergriffe aus der Demonstration heraus gegeben. Vielmehr wurde die angebliche Vermummung Einzelner zum Vorwand genommen, den Marsch auf einer Länge von mehreren hundert Metern anzugreifen. Dies geschah am Beginn der Wegstrecke, wo eine Seite der Straße von einer Mauer abgegrenzt war, so dass es für die Demonstrierenden keine Fluchtmöglichkeit gab.

Die Polizei hat hier bewusst auf Panik, Einschüchterung gesetzt. Ihr Ziel war die Zerschlagung des „harten Kerns“ vermeintlich gewaltbereiter DemonstrantInnen, des sog. „schwarzen Blocks“, mit einem Streich.

Trotz unglaublicher Brutalität, die billigend schwere Verletzungen von DemonstrantInnen oder auch Unbeteiligten in Kauf nahm, gelang dies nicht.

An diesem Punkt drohte die Strategie der Polizeiführung und des Staates, mit harter Hand den Widerstand und die Proteste zu brechen, ins Gegenteil umzuschlagen. Auch große Teile der bürgerlichen Presse, linke, aber auch grüne und liberale Kräfte zeigten sich schockiert. Sie fühlten sich – nicht zu Unrecht – an die blutigen Tage von Genua erinnert. Damals hatte ein Faschist die Polizeikräfte dirigiert, in Hamburg wirkte ein Mini-Noske.

Wut und Kampf um die Schanz

Die Repression hatte aber auch den Effekt, dass sie die Wut der Demonstrierenden und aus den Camps Vertriebenen weiter steigerte. Ab der Nacht vom 6. Juli kam es in Stadtteilen wie Altona, vor allem aber im Schanzenviertel, zu emeutenhaften, krawallartigen Ausschreitungen. Scheiben von Banken und Geschäften wurden entglast. Im Schanzenviertel verlor die Polizei zeitweilig die Kontrolle.

Auch wenn diese Aktionen nachträglich „den“ Autonomen oder „gewaltbereiten“ Linksradikalen zugeschrieben wurden, so waren sie einerseits eine Aktion verzweifelter, von den Bullen seit Tagen niedergedrückter Menschen – also eine verständliche, wenn auch politisch ins Leere gehende Reaktion auf Repression. Andererseits mischten sich gerade im Schanzenviertel auch andere Elemente, teilweise deklassierte Jugendliche, teilweise sicher auch Agents Provocateurs unter die Randale. Nach neueren Meldungen sollen sich auch Rechte von HOGESA unter diese gemischt haben (siehe NEUES DEUTSCHLAND, 11.7.2017, S. 5: „,Cobras’ im Schanzenviertel“). Hier verband sich Wut mit politischer Unbestimmtheit, Leere und sicher auch PolizeiagentInnen.

Insgesamt zeigten diese Aktionen eine Mischung aus Frustration wie auch der inneren Widersprüchlichkeit autonomer Politik. Auch die OrganisatorInnen von „Welcome To Hell“ verurteilten die „sinnentleerte Gewalt“. Aber sie hatten keinen Plan, keine Methode, wie die Wut in politisch zweckmäßige, also organisierte, den Massen außerhalb der „Szene“ vermittelbare Formen gebündelt werden und sinnlose Gewalt verhindert werden könnte.

Dazu hätte es nämlich einer politischen Organisation bedurft sowie von demokratisch legitimierten, im Stadtteil verankerten Selbstverteidigungsstrukturen, die sich gegen Polizeiübergriffe zur Wehr setzen, aber auch den Angriff auf „eigene“ Läden oder Autos verhindern hätten können. Eine Auseinandersetzung um solche Fragen halten wir für die nächsten Wochen und Monate für essentiell, um politische Lehren für den zukünftigen Widerstand zu ziehen.

Aktuell steht für uns jedoch die Solidarisierung mit den Menschen, Gruppierungen, Initiativen im Vordergrund, die nach den Kämpfen im Schanzenviertel jetzt kriminalisiert werden sollen. Als Anti-ImperialistInnen haben wir große politische Differenzen mit den Gruppierungen aus dem Spektrum der Roten Flora – aber gegen die Räumungsdrohungen durch den Staat stehen wir solidarisch auf ihrer Seite. Dasselbe gilt für die GenossInnen aus dem B5 in Hamburg oder in der Berliner Rigaer Straße!

Die Polizei, Senat und Regierung präsentierten sich ihrerseits überrascht von der Eskalation, die sie selbst herbeigeführt hatten. Bewusst wurden die Aktionen in der Schanze auch übertrieben: „Zustände wie im syrischen Bürgerkrieg“ seien eingekehrt. Ganz offenkundig hatte der Staatsapparat ein Interesse daran, die Lage besonders drastisch darzustellen, ließ Feuer trotz vorhandener Löschfahrzeuge weiter ausbrennen usw.

Schließlich ging es darum, die öffentliche Meinung wieder zu drehen und nachträglich alle „BedenkträgerInnen“ und KritikerInnen an den übermäßigen Sicherheitsvorkehrungen als (un)freiwillige UnterstützerInnen der RandaliererInnen hinzustellen. Die bürgerliche Presse schwenkte auch rasch in diesen Chor ein – und zeigt wieder einmal, dass sie selbst bei demokratischen Anliegen wie der Durchsetzung von Demonstrationsrechten nur eine unzuverlässige Verbündete sein kann.

Blockaden und massive Übergriffe

Dabei waren die Blockadeaktionen am 7. Juli wahrscheinlich eine der Aktionen, die von der meisten Polizeirepression begleitet war. Ein Demonstrationszug (Finger) mit 1000 bis 2000 Menschen, der südlich der roten Zone startete, wurde schon nach 10 Minuten durch Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern zerstreut. Einer konnte immerhin die Anfahrt von Donald Trump verzögern. Drei Blockadezüge, die vom Camp ausgingen, wurden massiv angegriffen, Dutzende zum Teil schwer verletzt.

Insgesamt nahmen an den verschiedenen Blockaden, am Schulstreik und der Demonstration am Nachmittag (zweite Welle) weit über 10.000 teil.

Die Blockaden waren zwar recht entschlossen geführt, aber zersplittert in verschiedene Aktionsformen (Hafen, Block-G20, …), was ihre Schlagkraft schwächte.

Anders als noch in den Tagen zuvor wurde aber die Repression gegen Demonstrierende, von denen viele in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten, viel weniger öffentlich thematisiert.

Das setzte sich auch bei den weiteren Aktionen fort. Die Demonstration zur Elb-Philharmonie, die am 7. Juli stattfinden sollte, wurde von den OrganisatorInnen abgesagt, weil sie einen ähnlichen Angriff wie auf die „Welcome-to-Hell-Demonstration“ fürchteten. Das Konzert, das stattdessen organisiert wurde, wurde immer wieder von Polizeikräften provoziert, die mit Fahrzeugen vor die Bühne fuhren.

Schließlich erreichte die Repression mit weiteren Drohungen gegen Protestcamps und der massiven Kontrolle abreisender DemonstrantInnen ihren letzten – vorläufigen – Höhepunkt.

Mediale Gegenoffensive

Senat, Regierung, Polizeiführung zogen nun ihre mediale Gegenoffensive – nicht ohne wechselseitige Schuldzuweisungen – auf.

Waren der Hamburger Senat und die Polizeiführung noch am Beginn der Protestwoche wegen ihrer zu harten Haltung auch in der liberalen Presse kritisiert worden, so kippte nun die Berichterstattung, allen voran natürlich die der Boulevardpresse.

Jetzt fragten auch die „liberalen“ bürgerlichen Blätter und Online-Magazine, warum die Rote Flora noch immer existiere, warum es im Vorfeld nicht mehr Festnahmen und Sicherheitsverwahrungen gegeben habe. Politisch wird natürlich auch ein Sündenbock gesucht: Olaf Scholz, der Hamburger Bürgermeister, ist einer der ersten KandidatInnen dafür.

Seither überbieten sich deutsche PolitikerInnen aus der Großen Koalition und der politischen Rechten mit Forderungen nach noch mehr Überwachung und Polizeibefugnissen und Dämonisierung der Linken.

Aus der SPD heraus hieß es, dass die Straßenschlachten in der Schanze das Werk von „Terroristen“ wären, womit sie nicht die Polizei meinten. CDU-PolitikerInnen und Kanzleramtsminister Altmaier verglichen die Aktionen mit Anschlägen von Neonazis und des IS (!).

Politische Geschmacklosigkeit und blanker Zynismus waren schon immer ein Markenzeichen jener, die Krieg, Besetzung und Ausplünderung von Ländern rechtfertigen oder betreiben, die wie in Afghanistan oder im Irak zum Tod Hunderttausender, ja Millionen führen. Doch was scheinen für Altmaier und Konsorten schon diese Toten zu zählen im Vergleich zu verletzten deutschen Schlägerbullen?

Bei Hetze und Diffamierung soll es aber nicht bleiben.

Eine europaweite „Extremistendatei“ gegen links-extreme GewalttäterInnen wäre jetzt das Gebot der Stunde, das fordern Schulz und Gabriel für die SPD; Seehofer und de Maizière wollen das Vorhaben auch auf den Weg bringen. Außerdem wird auch eine Fortsetzung von Kontrollen an den Grenzen gefordert.

Wie die Aktionen in Hamburg gezeigt haben, ist die Koordination der Überwachungs- und Polizeiinstrumente in Europa ohnedies schon weit fortgeschritten. Dies soll nun noch weiter angeschoben werden. Vor allem aber soll es offen legalisiert und auch massenhaft zur Anwendung kommen, also auch alle jene betreffen, die mit möglichen „GewalttäterInnen“ zusammenarbeiten, gemeinsame Camps, Demonstrationen usw. organisieren. Kurzum, es droht eine flächendeckende Erfassung aller im weiteren Sinne des Wortes linken Kräfte.

Am Sonntag, dem 9. Juli, haben die Polizeikräfte bei der Kontrolle abreisender DemonstrantInnen am Hamburger Bahnhof und bei den Bussen nach Berlin offenkundig schon mit der „Datensammlung“ begonnen. Es geht dabei nicht um die Erfassung von Kriminellen, sondern um die Kriminalisierung von (potentiellem) Widerstand.

Außerdem soll die Polizei personell aufgestockt und waffentechnisch hochgerüstet werden. So fordern manche „SicherheitsexpertInnen“ die Zulassung von Tasern (Elektroschockpistolen) und Gummi-Geschossen.

Druck

Auch die Linkspartei geriet unter Druck, nachdem sich einige ihrer Führungsmitglieder nicht von den Autonomen distanziert hatten. Die Vorsitzende Kipping und der Abgeordnete Pflüger wiesen in ihren Stellungnahmen die politische Verantwortung für die Repression und Auseinandersetzungen zu Recht Regierung, Senat, Polizeiführung zu und riefen dazu auf, dass sich die Linke angesichts der Hetze nicht spalten lassen dürfe.

Das haben jetzt der Spitzenkandidat Bartsch und der Parteivorsitzende Riexinger besorgt. Letzterer erklärte, dass „die Linke mit Linksextremismus gar nichts zu tun hätte“ und die Täter zur Verantwortung gezogen werden müssten. „Das hat mit linker Politik nichts zu tun, auch nicht mit linkem Widerstand, der auch Sitzblockaden mit einschließen kann.“ (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bernd-riexinger-die-linke-hat-mit-linksextremismus-nichts-zu-tun/20041880.html).

Ob dieser Kniefall vor dem bürgerlichen Legalismus der Linkspartei Punkte für Rot-Rot-Grün bringt, darf bezweifelt werden. Entsolidarisierung ist es allemal, die die Untiefen des parlamentarischen Kretinismus zum Vorschein bringt.

Bis zur Sitzblockade – weiter hat der „Widerstand“ für die Linkspartei anscheinend nicht zu gehen. Welch Hohn angesichts des Polizeiangriffs auf friedliche Demonstrationen, auf Blockadeversuche und Protest-Camps.

Die Alternative zur unorganisierten und politisch nicht zielgerichteten, verfrühten Randale sind nicht der Pazifismus und Harmlosigkeit. Es ist vielmehr die organisierte Selbstverteidigung gegen Provokationen und Übergriffe. Es ist die bedingungslose Solidarität mit allen von der Polizeigewalt, Repression, Fahndungen Betroffenen. Wir lehnen jede Verfolgung sog. „GewalttäterInnen“ durch Staat und Polizei ab, den VertreterInnen eines Systems, das täglich Ausbeutung und Unterdrückung, Abschiebung, Verfolgung und Tod hervorbringt.

Zweitens brauchen wir in dieser Lage des Angriffs auf demokratische Rechte ein politisches Aktionsbündnis aller Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, v. a. der Gewerkschaften, der Linken, von MigrantInnen, Jugendorganisation usw. Gerade vor der Bundestagswahl sollte die Phase höheren politischen Interesses für eine Kampagne gegen die drohenden Gesetzesverschärfungen, Einschränkungen demokratischer Rechte, sog. „Terrorlisten“ sowie für Abschaffung aller Geheimdienste genutzt werden. Das wäre auch eine zentrale Aufgabe der Anti-G20-Bündnisse und auch der Linkspartei!

Vor allem aber sollte sich nach Hamburg niemand mehr etwas vormachen über den Staat, über das System, in dem wir leben. Die bürgerliche Demokratie ist letztlich eine Schönwetterveranstaltung. Wird sie der herrschenden Klasse unliebsam, so tritt sie sie mit Füßen. So wichtig daher die Verteidigung demokratischer Rechte auch ist – sie kann nie ein Ziel für sich selbst sein, sondern nur ein Mittel zur Ausweitung unseres Handlungsspielraums, unserer Organisiertheit, unserer Kampfmöglichkeiten gegen ein System, in dem die Repression von Hamburg leider kein Betriebsunfall ist.




G20 in Hamburg – Der Countdown läuft

Chris Kramer, Infomail 951, 29. Juni 2017

Nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Die Stadt bereitet sich auf eine Woche Ausnahmezustand und den größten Polizeieinsatz ihrer Geschichte vor – 15.000 Polizistinnen und Polizisten sollen zum Einsatz kommen. Damit diese auch etwas zu tun bekommen, läuft die Vorbereitung der Repression auf Hochtouren. Seit Monaten wird Chaos von den Medien propagiert, kaum ein Tag ohne G20 auf den Titelseiten der großen Hamburger Blätter Abendblatt und MoPo. Die Hamburgerinnen und Hamburger stellen sich auf den Ausnahmezustand ein, viele haben Angst und Bedenken, während der Tage in die Innenstadt zu fahren – kein Wunder bei all den Nachrichten. Straßen werden weiträumig abgesperrt, ein Sonderfahrplan des HVV wurde eingerichtet, die Behörden richten sich auf den Katastrophenfall ein, eine exklusive Gefangenensammelstelle (GESA) für DemonstrantInnen wurde in Harburg im Süden der Stadt inklusive Schnellgerichtsbarkeit eingerichtet. Zusätzlich wurden noch Häftlinge aus Knästen verlegt, um weiteren Platz zu schaffen.

Bei einer Umfrage des Hamburger Abendblatts im Mai haben 73 % geantwortet, dass sie die Innenstadt meiden wollen, 29 % wollen gar die Stadt verlassen. Aber: Ganze 35 % haben geantwortet, dass sie demonstrieren gehen wollen (siehe http://www.abendblatt.de/hamburg/article210639119/Umfrage-zu-G20-Jeder-Dritte-will-Hamburg-beim-Gipfel-verlassen.html). Bei 1,8 Mio. EinwohnerInnen wären das also schon mal über 600.000 DemonstrantInnen alleine aus Hamburg. Und das ist die entscheidende Botschaft an Merkel, Scholz, Dudde (Hamburger Polizei-Chef) und Co.: Egal wie sehr ihr den Protest zu unterdrücken versucht, er wird groß werden, er wird laut werden, und er wird stark werden. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!

Repression und Verbot

In der Tat tut Hamburg vieles, um die Proteste zu behindern. Viele haben nicht daran geglaubt, dass es die Stadt bei der Frage der Camps wirklich darauf ankommen lässt. Schließlich müsste es der Polizei und den Offiziellen doch auch lieber sein, wenn sich alle an definierten, angemeldeten Plätzen zum Übernachten einfinden als irgendwo wild verstreut in der Stadt. Es wird mit über 10.000 DemonstrantInnen gerechnet, die auf ein Camp angewiesen sind.

Doch die Stadt legt es offensichtlich wirklich darauf an. Bis zum 28. Juni waren beide Camps, im Altonaer Volkspark und im Stadtpark, verboten. Ob sich die Polizei dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts beugen wird, das Camp im Stadtpark zuzulassen, bleibt abzuwarten. Zweifellos sind aber die Chancen für beide Camps seit gestern gestiegen.

Aber die Stadt bleibt so hart und stur wie möglich – die Leute könnten ja privat übernachten oder sich Hotelzimmer nehmen, so Innensenator Andy Grote. Vermutlich hat er dabei mal wieder übersehen, dass nur wenige Menschen so viel Geld verdienen wie er und seine KumpanInnen von der „neuen Gerechtigkeitspartei“ SPD. Jetzt gibt es ein juristisches Tauziehen. Zunächst hatte das Verwaltungsgericht das Verbot des Camps im Stadtpark, das als politische Versammlung angemeldet wurde, gekippt. Das Oberverwaltungsgericht hat dann wiederum das Verbot des Verbots gekippt – also bleibt das Camp doch verboten. Und heute, ganz brandaktuell, hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Verbots des Verbots gekippt. Also: das Camp-Verbot wurde kassiert (siehe http://www.faz.net/aktuell/g-20-gipfel/richter-widersprechen-hamburg-karlsruhe-kassiert-verbot-des-g-20-protestcamps-15082049.html). Aufatmen! Allerdings kann es Auflagen geben und eine andere Fläche zur Verfügung gestellt werden. Es sieht momentan also ganz gut aus, dass es ein (oder zwei) Camp(s) geben wird, aber wo und unter welchen Bedingungen, ist noch völlig unklar.

Nicht besser sieht es beim Demonstrationsrecht aus. Nachdem SPD- und Grüne-Senatsmitglieder erst von einem „Fest der Demokratie“ geklönt und ausgeschlossen hatten, dass es so was wie eine Verbotszone geben wird, kam Anfang Juni eine sogenannte Allgemeinverfügung, die einen „Transferkorridor“, auch blaue Zone genannt, einrichtet, in der während der Gipfeltage (7.7. und 8.7.) jegliche Demonstrationen und Versammlungen verboten sein sollen. Diese blaue Zone reicht von der Innenstadt bis zum Flughafen und ist satte 38 km2 groß.

Also sagen wir es doch lauthals, wie es ist: Die deutsche Regierung labert ständig in aller Welt von Demokratie und demokratischen Werten, bei jedem Auslandsbesuch werden die üblichen Formeln nach den Nachrichten über die wirtschaftlichen Deals angefügt. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass uns die Medien an die mahnenden Worte in Richtung Trump, Putin und Xi Jinping erinnern. Und wenn genau diese Herren dann alle auf einmal zu Gast sind, zum großen Polit-Spektakel schlechthin, na dann ist es genauso wie bei denen zu Hause: Demonstrationen verboten. This is what democracy looks like? Yes, this is what capitalist democracy looks like!

Umarmung

Aber das ist doch alles Quatsch, werden der Hamburger Oberbürgermeister und seine braven Bürgerinnen und Bürger antworten, es sind ja ganz viele Demonstrationen erlaubt. Genau, die Sozialdemokratie wäre ja nicht die Sozialdemokratie, wüsste sie nicht geschickt mit den verschiedenen Strömungen innerhalb des Protests umzugehen. Und so haben sie natürlich die Protestwelle von Campact und Co. umarmt, Scholz hat persönlich dazu aufgerufen. So soll Protest sein – ein bisschen kritisch (aber nicht zu sehr), schön brav, „konstruktiv“, und eine Woche vorher, wo sowieso noch alles entspannt ist (und die Regierungschefs weit weg). Campact und Co. steigen natürlich ein und helfen mit, den „anderen“, „radikalen“ Protest zu kriminalisieren. Im Vorfeld hatten sich Campact und die Naturfreunde mit anderen Umweltverbänden im Schlepptau dazu entschieden, den Protest zu spalten und eine brave, bürgerliche Demo eine Woche vorher anzubieten. Eine Steilvorlage für Polizei und Politik, die diese gerne annehmen. Campact-Chef Christoph Bautz legte auch noch einen drauf, als er im Interview in der MoPo erklärte, dass Sitzblockaden und allzu radikale Aktionen gegen G20 das falsche Signal seien (http://www.mopo.de/hamburg/g20/organisator-der-g20–protestwelle—sitzblockaden-sind-das-falsche-signal—27820804). Sie wollen eben gerne mit am Tisch sitzen und nicht nur demonstrieren. Klare Botschaft: Wer gerne einbezogen werden möchte und mit kosmetischen Korrekturen zufrieden ist, der kommt bitte am 2.7. auf die Protestwelle. Wer grundsätzlich etwas ändern möchte, der kann am 8.7. demonstrieren – natürlich mit der Gefahr von Wasserwerfern und Pfefferspray.

Jetzt erst recht!

Doch das kann uns nicht abhalten. Auch wenn die genaue Route der Großdemo am 8.7. noch nicht abschließend feststeht, ist es klar, dass die Demo stattfinden und richtig groß werden wird. Die größte Demo seit langem, aus ganz Deutschland und Europa werden DemonstrantInnen anreisen. Es sind über 15 Blöcke angemeldet, die durch alle politischen linken Spektren reichen. Auch hier eine klare Botschaft: This is the place to be! Treffpunkt ist 11 Uhr an den Deichtorhallen, 5 Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt.

Für uns ist klar: Jetzt erst recht! Uns kann keine Schikane, kein Hindernis, kein Verbot und keine angedrohte GESA aufhalten. Wir werden nach Hamburg kommen und Merkel, Trump, May, Putin, Xi, Temer, al-Aziz, Erdogan, Modi und allen anderen zeigen, was wir von ihrer kapitalistischen Welt(un-)ordnung halten – nämlich absolut gar nichts. Wir organisieren und mobilisieren für den Internationalistischen Block. Bereits unter der Woche organisieren wir ein Barrio auf dem spektrenübergreifenden Camp mit täglichen politischen Veranstaltungen. Wir beteiligen uns an den Aktionen, an Block G20 am Freitag, der antikapitalistischen Demo am Freitagabend, und natürlich mit einem großen und kämpferischen Block auf der Demo am 8.7. Dabei ist für uns klar, dass es um keine kosmetischen Reformen gehen kann. Es ist das kapitalistische System, das die Probleme verursacht und das bekämpft werden muss. Dafür brauchen wir politische Inhalte und ein politisches Programm. Und darüber wollen wir mit Euch ins Gespräch kommen. Denn G20 ist nur eine Etappe auf dem Weg – es geht weiter, denn die Welt steuert wieder einmal auf die berühmte Alternative zu, die Rosa Luxemburg in ihre unvergessliche Formel gegossen hat: Sozialismus oder Barbarei!

  • Kommt nach Hamburg! Kommt auf das internationalistische Barrio! Kommt mit uns in den internationalistischen Block!
  • Workers of the world, unite against G20!



Welche Strategie?

Sozialismus oder Barbarei?

Kapitel 8, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die meisten Organisationen, die im Netzwerk „NoG20“ gegen den Hamburger Gipfel mobilisieren, eint die Ablehnung dieser Institution in ihrer Gesamtheit. Die G20 sind illegitim, haben kein Recht, für uns, für die große Masse der Menschheit, für die Lohnabhängigen zu sprechen. Darüber hinaus eint die verschiedenen Bündnisse und Gruppierungen aber wenig. Sie vertreten sehr unterschiedliche, ja einander entgegengesetzte strategische Ziele und Ausrichtungen.

Die Mobilisierung zeigt, dass trotz dieser Unterschiede Aktionsbündnisse gegen den gemeinsamen Gegner, gegen Angriffe oder für Verbesserungen möglich sind. Ihre Notwendigkeit wird angesichts der globalen Offensive von Kapital und Rechten, der Reaktion in verschiedensten Spielarten ohnedies niemand ernsthaft bestreiten. Eine Antwort auf die Krise des Kapitalismus erfordert aber mehr. Wir brauchen eine globale, politisch-programmatische und organisatorische Alternative. Daher ist es auch unerlässlich, sich mit den strategischen und programmatischen Differenzen in der Bewegung bezüglich der Alternativen zu den G20 auseinanderzusetzen. Eine detaillierte Kritik aller Gruppierungen, aller Programme würde den Rahmen dieser Broschüre sprengen – wir wollen uns hier aber mit einigen Kernproblemen beschäftigen.

Kapitalismus reformieren oder stürzen?

Die erste Grundfrage, die uns begegnet, ist die nach unserem Ziel. Ein großer Teil der Bewegung gegen den G20-Gipfel hält den Sturz des kapitalistischen Systems für eine Utopie, für unmöglich. Selbst viele, die grundsätzlich für die Überwindung des Kapitalismus eintreten, gehen davon aus, dass eine Revolution nicht „auf der Tagesordnung“ stünde, das Kräfteverhältnis dafür zu schlecht sei. Daher wäre für die absehbare Zukunft nur eine längerfristige Politik der Reform oder der Transformation möglich.

Statt des Kampfs zum Sturz des Kapitalismus stellen sie die „globale Gerechtigkeit“ und die Errichtung einer nicht näher definierten „anderen“ Welt ins Zentrum. Die solle frei von Unterdrückung, Krieg, Umweltzerstörung, Sexismus sein – ob und wie diese auf Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse errichtet werden kann, ob dazu eine schrittweise Umgestaltung von Staat und Demokratie oder eine Revolution notwendig sind, wird im „besten“ Fall offengelassen.

Die unmittelbaren Aufrufe beschränken sich alle darauf, ein verändertes gesellschaftliches Modell auf Basis des Privateigentums an Produktionsmitteln zu propagieren. So tritt attac für eine regulierte Weltwirtschaft ein, in der die Finanzmärkte und Institutionen zurechtgestutzt, der Freihandel beschränkt und Ungleichgewichte bekämpft werden sollen0. An Stelle des finanzmarktgetriebenen Neo-Liberalismus soll eine staatlich regulierte Marktwirtschaft treten, die auf einem starken öffentlichen Sektor, Umverteilung mittels Besteuerung, einer Förderung der Massenkaufkraft und der produktiven Investitionen beruht. Diese Punkte entsprechen im Wesentlichen auch den Forderungen des linken Flügels der Sozialdemokratie, der Linksparteien und der reformistischen Gewerkschaften.

Während sie die Revolution und den Kampf gegen den Kapitalismus als „unrealistisch“ abtun, weichen sie der Frage aus, warum diese keineswegs neuen Zielvorstellungen in den letzten Jahrzehnten immer wieder gescheitert und von ihren eigenen ProtagonistInnen – siehe SPD, Grüne, aber auch Linksparteien und KPen an den Regierungen – verraten wurden.

Kräfteverhältnis?

Eine gängige Erklärung für den notwendigen Rückzug auf „Realpolitik“ besteht im Verweis auf das schlechte Kräfteverhältnis. Diese Antwort erklärt eigentlich nichts, sondern verweist nur auf eine weitere Frage – nämlich woher das „schlechte Kräfteverhältnis“ eigentlich kommt.. Nun wird niemand bestreiten, dass dieses in den letzten Jahren ungünstiger geworden ist. Die Reaktion befindet sich global in der Offensive. Betrachten wir aber nur die Jahre seit Beginn der großen Krise 2007/2008, so zeigt sich, dass diese auch mit enormen Möglichkeiten für die ArbeiterInnenbewegung und die Linke einhergingen. Die Arabischen Revolutionen stürzten Regime wie jenes von Mubarak, die jahrzehntelang als stabile, unerschütterliche Stützen der Herrschaft nicht nur der ägyptischen Bourgeoisie, sondern auch des US-Imperialismus und seiner Verbündeten galten. Ebenso wurden so unterschiedliche Despotien wie Gaddafi in Libyen gestürzt oder das syrische Regime massiv erschüttert.

Diese revolutionären Massenbewegungen stießen jedoch an ihre Grenzen. Sie überließen die politische Führung konterrevolutionären Kräften – seien es islamistische oder liberale. Die verschiedenen imperialistischen Mächte konnten ihren Einfluss wieder errichten – seien es die USA oder die west-europäischen Staaten oder, als deren wichtigster Gegenspieler, Russland. In Griechenland wurden die neo-liberalen, traditionellen bürgerlichen Parteien infolge von über 30 Generalstreiks, Massenprotesten auf der Straße und Besetzungen hinweggefegt und eine „Linksregierung“ unter Syriza gebildet. Doch die Reformregierung bremste die Bewegung, suchte vergeblich den Kompromiss mit EU und IWF – und endete als deren Erfüllungsgehilfin.Diese Beispiele ließen sich lange fortsetzen. Sie zeigen aber alle Folgendes:

Erstens bringen die inneren Widersprüche des Kapitalismus selbst immer wieder verschiedene Formen des Widerstandes, von Kämpfen hervor. Diese können bis hin zur Entwicklung revolutionärer oder vor-revolutionärer Situationen gehen.

Zweitens stellen diese Entwicklungen immer auch die Machtfrage und die Frage, welche gesellschaftliche Kraft überhaupt die Gesellschaft umgestalten soll und kann.

Drittens werfen es die Frage auf, mit welchen Mitteln die herrschende Klasse oder der Imperialismus gestürzt und auf welche Machtmittel sich die bisher Unterdrückten stützen müssen und können.

Viertens verweisen alle Krisen auf die Frage des Programms, der Strategie der Umwälzung: ob, wie und warum der Kampf für demokratische und soziale Verbesserungen, die in der Regel sogar am Beginn revolutionärer Erhebungen stehen, mit dem für den Sturz des Kapitalismus verbunden werden kann. Fünftens müssen alle diese Auseinandersetzungen – wie überhaupt die Entwicklung des Kapitalismus – von einem internationalen Standpunkt aus betrachtet werden. Der Klassenkampf ist international – oder er ist letztlich gar nicht. Das bedeutet nicht, die Besonderheiten des Kampfes in einem Land oder einer Branche, für einzelne Forderungen usw. zu negieren – aber sie müssen als Teil des globalen Kampfes betrachtet werden. Im Folgenden wollen wir uns mit diesen Punkten näher beschäftigen.

Wer ist das Subjekt der Veränderung?

Eine Reihe von KritikerInnen des Kommunismus behauptet, dass die ArbeiterInnenklasse aufgehört hätte, das zentrale Subjekt der gesellschaftlichen Veränderung zu sein.

Ein Teil erklärt, dass das kapitalistische Klassenverhältnis durch eine neue Formation abgelöst worden wäre oder der Kapitalismus sich so verändert hätte, dass sich die Lohnabhängigen nicht mehr zu einem einheitlichen Klassensubjekt formieren könnten. Für manche sind sie am „Verschwinden“, für andere strukturell nur noch als „Mosaik“, als „Patchwork“ zu verstehen.

Wenn wir die globale Entwicklung betrachten, so hat sich die ArbeiterInnenklasse in den letzten Jahrzehnten zwar enorm verändert, aber auch vergrößert. Allein in China und Indien umfasst sie jeweils rund eine halbe Milliarde Menschen; hunderte Millionen von ihnen wurden erst in den beiden letzten Jahrzehnten proletarisiert. Dort entwickeln sich neue Zentren der globalen Mehrwertproduktion und damit auch der Lohnarbeit. Aufgrund der Internationalisierung des Kapitals sind sie zudem auch Teile global vernetzter Produktionsketten. Damit sind auch grenzüberschreitende Formen der planmäßigen Organisation der gesellschaftlichen Arbeit entstanden, die auf die Möglichkeit einer internationalen Planung verweisen, im Kapitalismus aber nur für die Profitzwecke weniger Monopole aus den imperialistischen Ländern produzieren.

Zugleich schrumpft die industrielle ArbeiterInnenklasse in den „alten“ imperialistischen Zentren, nicht jedoch die Klasse der LohnarbeiterInnen insgesamt. Infolge der immer schärferen Konkurrenz verringert sich auch der Umfang der „traditionellen“ ArbeiterInnenaristokratie, während andere, ehemals privilegierte Schichten (z. B. Ingenieure, LehrerInnen) immer weniger die Vorzüge der lohnabhängigen Mittelschichten genießen und eine neue ArbeiterInnenaristokratie zu bilden beginnen.

Grundsätzlich ist das Wachstum der ArbeiterInnenklasse bislang trotz Krisenprozessen weitergegangen. Massiv zugenommen hat dabei jedoch der Teil der Klasse, der zu den „prekären“ Schichten gehört, der oft nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft zu ihren Reproduktionskosten zu verkaufen oder aufrecht zu erhalten. Dieser Prozess findet universell statt, wie auch die Ausdehnung des Billiglohnsektors infolge der Hartz-Gesetze und Agenda 2010 beweist. Er betrifft aber auch im besonderen Maße die Lohnarbeit im „globalen Süden“, die in ihrer Mehrheit aus „Prekären“ wie Contract Workers besteht. In Ländern wie Indien und Pakistan machen diese rund drei Viertel der Klasse aus.

Eine besondere Bedeutung nehmen in der Veränderung der ArbeiterInnenklasse auch die Migrationsbewegungen an. Erstmals in der Geschichte der Menschheit lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Die Landflucht ist selbst Resultat der Zerstörung traditioneller Verhältnisse auf dem Land, der Ausdehnung von Exportwirtschaft, der Zerstörung von Agrarland, von Kriegen und Katastrophen, wobei in vielen Ländern ein immer größerer Teil dieser Arbeitskräfte in den Megastädten nicht vom Kapital absorbiert wird, sondern zu einer riesig anwachsenden Schicht der städtischen Armut wird.

Permanenz der Unsicherheit

Wir haben die Veränderungen nur knapp skizziert – sie zeigen aber wie die ganze Geschichte des Kapitalismus, dass es zum Wesen der Klasse der LohnarbeiterInnen gehört, dass sie einer ständigen Umwälzung unterworfen ist. „Unsicherheit“ der Lebensverhältnisse ist keine „neue“ Eigenschaft des Proletariats, sondern ist eigentlich kennzeichnend für seine grundlegende Existenzweise. Relativ stabile Reproduktionsbedingungen sind in der Geschichte des Kapitalismus nicht die Regel, sondern Ausnahmen, die sich auf bestimmte, im Grunde auch nur relative kurze, Perioden erstrecken.

Theorien wie Negris „Empire“ bestreiten, dass sich Lohnarbeit und Kapital weiter als zentrale gesellschaftliche Klassen gegenüberstünden, das dieser grundlegende Widerspruch vielmehr durch jenen zwischen Multide (Menge) und Empire abgelöst worden wäre. Dies ist nur eine besonders extreme Form falscher Verallgemeinerung, wo der Wandel der ArbeiterInnenklasse oder einzelne seiner Momente mit deren Verschwinden oder einer Ablösung des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses gleichgesetzt wird. Doch selbst TheoretikerInnen oder Strömungen, die einen grundlegenden Wandel der Klasse konstatieren, behaupten, dass sie heute aufgrund veränderter Organisation des Produktionsprozesses nicht mehr zu einer „kompakten“, vereinheitlichten Kraft werden könne. Nur bestimmte Entwicklungsphasen des Kapitalismus – genauer jene des „Fordismus“, also des Vorherrschens von industrieller Massenproduktion am Fließband – hätten erst die Grundlage für relativ einheitliche ArbeiterInnenmilieus und eine wirkliche gewerkschaftliche und politische Massenorganisierung in Gewerkschaften, sozialdemokratischen und kommunistischen Massenparteien geschaffen. Mit dem Verschwinden des Fordismus wäre auch diese Grundlage vergangen. Diese Theorien begriffen das Proletariat eigentlich eher als „Stand“ denn als Klasse, die in einem Verhältnis zu anderen steht. Sie sind im Grund ökonomistisch, weil sie von einer direkten, quasi-automatischen Widerspiegelung des Produktionsprozesses in den proletarischen Organisationen ausgehen. Für sie sind politische Organisierung und Bewusstsein letztlich nur ein Ausdruck der ökonomischen Existenz der Klasse, spiegeln nur den „eigentlich“ ökonomischen Klassenkampf wider.

Ihr Grundfehler besteht neben einem falschen, nicht-dialektischen Klassenbegriff darin, im Kampf um die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft den „eigentlichen“ Klassenkampf zu betrachten, besteht in einer ökonomistischen Verkürzung des Klassenbegriffs.

Diese beschränkt sich keineswegs auf die ReformistInnen. Auch, ja gerade viele „Linksradikale“ hängen dem an, während ökonomistische Strömungen der radikalen Linken den gewerkschaftlichen oder betrieblichen Kampf tapfer als den „eigentlichen Klassenkampf“ verteidigen. Auch die Fetischierung von „Stadtteilarbeit“ bei Teilen der radikalen Linken speist sich letztlich aus einem solcherart verkürzten Klassenbegriff.

In Wirklichkeit war die Entstehung von Klassenorganisationen – Gewerkschaften, Parteien etc. – nie ein bloßer Reflex der ökonomischen Struktur der Produktion und der Lohnarbeit. Sie war vielmehr immer Resultat einer Kombination von Tendenzen zum mehr oder minder spontanen Widerstand, zum Agieren gegen die KapitalistInnen oder deren VertreterInnen, zu denen sich die Ausgebeuteten und andere Unterdrückte gezwungen sahen, einerseits und dem bewussten Eingreifen von SozialistInnen oder KommunistInnen, um dieser spontanen Tendenz zum Bewusstsein ihrer eigentlichen Ziele, des Charakters ihres Kampfes zu verhelfen, andererseits.

Wie entsteht Klassenbewusstsein?

Revolutionäres Klassenbewusstsein – und damit eine revolutionäre ArbeiterInnenbewegung – kann sich in diesen Bewegungen und erst recht im rein gewerkschaftlichen Kampf nie vollständig entwickeln. Im Gegenteil, das spontane Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, wie es im ökonomischen Kampf erscheint, ist eine Form bürgerlichen Bewusstseins, weil es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht (auch wenn die Kampfmethoden, die dafür eingesetzt werden, sich so zuspitzen können, dass sie dieses in Frage stellen und über den reinen Lohnkampf hinausgehen). Schärfere Auseinandersetzungen (Massenstreiks, Aufstände, politische Bewegungen) können in diese Richtung einer revolutionären Entwicklung drängen, indem sie Fragen nach der weiteren Perspektive, nach Strategie, Taktik aufwerfen, die in „friedlichen“ Zeiten für die Masse der LohnarbeiterInnen (und der Gesellschaft insgesamt) abstrakt, überflüssig und unrealistisch erscheinen, ja erscheinen müssen.

Daher muss revolutionäres Klassenbewusstsein – ob wir das wollen oder nicht – von außen in die Klasse getragen werden. Damit ist nicht gemeint, dass es „Nicht-ArbeiterInnen“ tun, sondern dass eine politische Kraft, eine Partei, auf Basis einer wissenschaftlich fundierten Programmatik geschaffen werden muss. Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionären Praxis im vollständigen Sinn des Wortes geben. Das bedeutet aber auch, dass das Kräfteverhältnis nie nur einfache Widerspiegelung ökonomischer Verhältnisse ist. Es ist vielmehr von den Kräfteverhältnissen innerhalb der ArbeiterInnenklasse und ihren Beziehungen zu anderen Klassen bestimmt. Die Arabischen Revolutionen oder die revolutionären Möglichkeiten in Griechenland sind in den letzten Jahren gescheitert, weil es an einer politischen Kraft fehlte, die die Massen in einer Revolution oder einer vorrevolutionären Periode zur Machtergreifung hätte führen können. So haben andere Kräfte dieses „Vakuum“ gefüllt, die Massen in die Niederlage geführt. Die passive Betrachtung des Kräfteverhältnisses als „strukturell gegeben“ entschuldigt letztlich die Fehler bürgerlicher, reformistischer oder kleinbürgerlicher Führungen, da die Niederlage nicht an deren falscher Politik und Strategie, sondern am ungünstigen Kräfteverhältnis gelegen habe.

Machtfrage

In Wirklichkeit haben die Entwicklungen in Griechenland, in den arabischen Ländern, aber auch die Zuspitzung in der Türkei, der Vormarsch der Rechten in Venezuela und Brasilien, die Krise der EU und viele andere mehr nicht nur die Kampfbereitschaft der Massen gezeigt. Sie haben auch gezeigt, dass „nachhaltige“ Reformpolitik, sei es durch reformistische Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, oder links-populistische „Volks“parteien rasch an ihre Grenzen stößt. Es ist eine Sache, als Oppositionspartei oder -bewegung eine (längerfristige) Transformationsstrategie der bürgerlichen Gesellschaft auszumalen, die sich einerseits auf eine Bewegung verschiedener Gruppierungen und auch Klassen stützen und andererseits den Staatsapparat schrittweise selbst ummodeln soll.

Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts und erst recht der letzten Jahre zeigen: Das funktioniert nicht! Der bürgerliche Staat ist über tausende Kanäle eng mit der herrschenden Klasse verbunden. Seine Essenz bilden die bewaffneten Kräfte (Armee, Polizei) und ein bürokratischer Apparat. Er ist trotz aller demokratischen Fassaden ein Staat des Kapitals, der herrschenden Klasse. Er kann nicht übernommen und für eine sozialistische Umwälzung in Bewegung gesetzt werden, er muss vielmehr in einer Revolution zerschlagen, zerbrochen und durch einen qualitativ anderen Staat ersetzt werden, der auf Räten und Milizen der ArbeiterInnenklasse, der Bauernschaft, der einfachen SoldatInnen, der nicht-ausbeutenden Massen beruht.

Solche Strukturen können nicht über Jahre organisch im Inneren der bürgerlichen Gesellschaft geschaffen werden, sondern nur in revolutionären oder vor-revolutionären Situationen (und auch dann entstehen sie nicht immer automatisch). Diese Situationen, in denen sich die inneren Widersprüche des Kapitalismus zusammenfassen und zu ihrer Lösung drängen, sind zeitlich nur von kurzer Dauer. Werden die Möglichkeiten, die sie in sich tragen, nicht genutzt, so müssen sie scheitern, zu einer Niederlage und dem Sieg der Konterrevolution (ob nun in diktatorischer oder bürgerlich-demokratischer Form) führen. Die Machtergreifung ist umgehrt nicht nur an bestimmte Voraussetzungen gebunden (revolutionäre Krise der Gesellschaft), sie ist auch die einzige Möglichkeit, wie die krisengeschüttelte Gesellschaft im Interesse der ArbeiterInnenklasse reorganisiert, die KapitalistInnenklasse enteignet und eine demokratische Planwirtschaft ins Leben gerufen werden können. Anders als die Bourgeoisie in ihrer bürgerlichen Revolution kann die ArbeiterInnenklasse im Kapitalismus keine neue sozialistische Produktionsweise Schritt für Schritt schaffen, da sie eben als Klasse von LohnarbeiterInnen und damit als Klasse ohne Eigentum an Produktionsmitteln, bestimmt ist. Diese Existenz kann sie nur kollektiv aufheben durch die Machtergreifung.

Natürlich können vorhergehende Ausweitung von Rechten der ArbeiterInnenklasse, die Einführung von ArbeiterInnenkontrolle in bestimmten Betrieben, Besetzungen … auch in der kapitalistischen Gesellschaft Formen der Doppelmacht schaffen (ebenso wie Aufstände zur Kontrolle über einzelne Regionen oder Städte führen können). Aber auch deren Existenz ist an eine krisenhafte Zuspitzung gebunden und nicht dauerhaft möglich. Sie muss – wie die politische Krise selbst – revolutionär gelöst werden oder die Formen von Selbstverwaltung, Kontrolle, Räten werden entweder zerschlagen oder ins bürgerliche System integriert, behalten allenfalls ihren „revolutionären“ Namen, ihr Inhalt wird jedoch ins Gegenteil verkehrt. So unrealistisch und bürgerlich alle Theorien sind, die von einer graduellen „Transformation“ der Gesellschaft träumen, so unrealistisch ist auch die Vorstellung, dass im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft nach und nach „von unten“ Wirtschaftsformen der Gegenmacht, sukzessive Ausweitung von ArbeiterInnenselbstverwaltung oder von Kontrolle möglich wären. Diese Ideen – mögen sie auch mit autonomen oder workeristischen „revolutionären“ Vorstellungen kombiniert sein – sind letztlich nur ein Abklatsch der Vorstellung des revisionistischen Flügels der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts, dass die ständige Ausweitung des Genossenschaftswesens und der Macht der Gewerkschaften zu einer inneren Transformation der ökonomischen Struktur Richtung Sozialismus führe. Die reale Entwicklungstendenz des Kapitalismus ist eine andere – und daher muss auch eine Revolutionsstrategie auf die Bruchpunkte der Entwicklung, auf die Fähigkeit, sich und die ArbeiterInnenklasse darauf vorzubereiten, zielen, nicht auf eine gradualistische Strategie.

Politische Konsequenzen des Gradualismus

Der politische Gradualismus und Reformismus hat aber auch eine wichtige politische Konsequenz, wenn es um die Frage der Haltung zum bürgerlichen Staat und auch zu den imperialistischen Institutionen geht. Zwar lehnen alle, die gegen die G20 mobilisieren, diese Struktur als illegitim ab. Das trifft aber keineswegs auf deren „Unterbau“, also bürgerliche Regierungen oder einzelne Staaten noch auf scheinbar über dem Klassenkampf stehende „globale“ Institutionen wie die „Vereinten Nationen“, zu.

Diese Positionen ergeben sich auch logisch aus reformistischen Strategien. Wenn der Kapitalismus über eine mehr oder weniger kluge „Transformationstechnik“ mehr und mehr zu einer anderen Gesellschaft gezähmt werden soll, so bleibt nur das utopische Hoffen auf ein „Ersetzen“ des Staates von unten – oder die „realistischere“ Variante, den bürgerlichen Staat mittels parlamentarischer Mehrheit für soziale, demokratische, ökologische und sonstige Reformen einzusetzen. Auch wenn wir als RevolutionärInnen solche Reformschritte gegen bürgerliche Kräfte verteidigen und von reformistischen Organisationen die Erfüllung ihrer fortschrittlichen Versprechen wie z. B. Besteuerung der Reichen, Verstaatlichungen von Unternehmen oder Versorgungseinrichtungen, öffentliche Wohnungsbauprogramme, Rückzug von Truppen aus Auslandseinsätzen usw. usf. einfordern, so gehen wir im Gegensatz zu ihnen davon aus, dass diese Reformschritte in der aktuellen Phase letztlich zu einer Verschärfung des Klassengegensatzes führen müssen.

Das Kapital will die Bedingungen für seine Profitabilität verbessern, die Profitrate in „lukrative“ Höhen treiben – und dazu muss letztlich die Ausbeutungsrate erhöht werden. Krise und Konkurrenz verlangen eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der herrschenden Klasse – und zwar nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern vor allem, um die Nationen fit für die verschärfte inner-imperialistische Konkurrenz, für Interventionen, Besatzungen, etwaige Kriege zu machen. Darum weht selbst auf Zusammenarbeit mit dem Kapital oder dem Imperialismus ausgerichteten „Linksregierungen“ ein scharfer Wind ins Gesicht. Das können wir in Griechenland oder Venezuela erleben oder selbst in Brasilien. Dort hat die unhaltbare Politik, zwischen Kapital und Arbeit zu manövrieren, nicht nur dem Kapital genutzt, sie hat auch die Basis für gesellschaftliche Veränderungen frustriert und unterminiert. Auch wenn die ArbeiterInnenklasse, Bauernschaft und die städtische Armut in diesen Ländern den Herrschenden weiter die Stirn bieten wollen, so hat die Politik der Tsipras’, Maduros oder Dilmas auch den Boden für IWF/EU, die venezolanische Rechte oder den Putschisten Temer vorbereitet.

Als KommunistInnen verteidigen wir zwar solche Regierungen gegen den Imperialismus und die Reaktion, aber zugleich ist es notwendig, von ihnen den Bruch mit Imperialismus und Bourgeoisie zu fordern, vor deren Verrat zu warnen und für den Aufbau einer konsequenten revolutionären ArbeiterInnenpartei zu kämpfen.

Auf internationaler Ebene betreibt jedoch ein Teil der Linken, die gegen den G20-Gipfel mobilisieren, eine Politik, die einer Fortsetzung der Klassenkollaboration und bürgerlichen Reformpolitik im Innern entspricht.

Während die G20 zwar als illegitim charakterisiert werden, lehnen keineswegs alle Gruppierungen alle „Player“ bei den G20 ab. Manche gelten natürlich als besonders verabscheuungswürdig – z. B. Erdogan in der Türkei oder Trump aus den USA. Sicherlich wäre Marine Le Pen, hätte sie die Wahl in Frankreich gewonnen, zu Recht auch eine dieser besonders verabscheuenswerten Figuren geworden. Zugleich zeigt aber das Beispiel Frankreichs auch, dass angesichts der Bedrohung durch eine Rechtsextremistin als neuer Prädidentin die reformistische ArbeiterInnenbewegung und auch Teile der radikalen Linken den „taktischen Schulterschluss“ mit Macron suchten, einem Präsidenten, der den Generalangriff auf die ArbeiterInnenklasse plant.

Während sich die meisten Gruppierungen, die gegen die G20 mobilisieren, richtigerweise gegen die Politik der Bundesregierung und des Westens wenden, so herrscht große Konfusion hinsichtlich der „neuen“ imperialistischen Mächte. Teile des Linksreformismus und Stalinismus betrachten Russland und China als „Gegenmächte“ zum „eigentlichen“, westlichen Imperialismus. Teile der DKP halten China für ein „sozialistisches Land“. Andere Gruppierungen schätzen China und Russland irgendwie als nicht-imperialistische Staaten ein und weigern sich, diese als das zur Kenntnis zu nehmen, was sie sind: neue imperialistische Mächte, die ihrerseits um die Neuaufteilung der Welt kämpfen.

Dies führt zu einer fatalen Politik beispielsweise in Syrien, wo das barbarische Assad-Regime und Russlands Politik als „anti-imperialistisch“, weil anti-westlich verklärt werden. Daher wurde der syrischen Revolution von Beginn an die Unterstützung verweigert, daher wird auch nicht zwischen bürgerlichen oder klein-bürgerlichen Führungen dieser Bewegung (sei es unter den syrischen Aufständischen, sei es unter den KurdInnen) und den Massen differenziert. Die syrische Revolution ist zwar nach dem Fall von Aleppo besiegt worden, viele ihrer Kräfte degeneriert sind oder zerfallen – der drohende Sieg Assads und Russlands stellt aber keinen Fortschritt, sondern eine tiefe Niederlage für die Massen dar.

Syrien ist dabei nur ein Beispiel dafür, zu welchen Fehlern ein falsches Verständnis des Charakters Russlands und Chinas führen kann. Gerade weil sich die Lage global zuspitzt, drohen nicht nur weitere StellvertreterInnenkriege in der sog. „Dritten Welt“. Angesichts dieser explosiven Lagen können sich Konflikte zu einer offenen Konfrontation, zu offenen Kriegen zwischen imperialistischen Mächten entwickeln. Das mag zwar kurzfristig angesichts des militärischen Übergewichts der USA unwahrscheinlich sein – längerfristig wird die Gefahr eines Dritten Weltkrieges aber immer größer.

Daher ist der Kampf gegen die Kriegsgefahr eine Schlüsselfrage. RevolutionärInnen müssen nicht nur für den Abzug aller Interventionstruppen eintreten, anti-imperialistische Kämpfe und revolutionäre Bewegungen und den Widerstand gegen Besatzung wie in Palästina unterstützen – sie müssen auch für den Sieg dieses Widerstandes und die politische Niederlage „ihrer eigenen“ Bourgeoisie, „ihres „Staates“ eintreten. Im Falle der Konfrontation zwischen den imperialistischen Mächten oder Blöcken müssen RevolutionärInnen eine Politik des revolutionären Defaitismus auf beiden Seiten anwenden. Der Klassenkampf darf nicht zurückgestellt, sondern muss vielmehr zugespitzt, letztlich soll der imperialistische Krieg zu einem Bürgerkrieg zum Sturz der herrschenden Klasse umgewandelt werden. Eine falsche Charakterisierung Russlands und Chinas führt schon heute oft genug zu einer Beschönigung der Außenpolitik und der Interventionen von Peking und Moskau. Sie untergräbt letztlich den proletarischen Internationalismus – und erleichtert es den westlichen Mächten wie in Syrien und Kurdistan, sich als „Unterstützerinnen“ der Unterdrückten hinzustellen.

UNO statt G20?

Die andere Spielart inkonsequenter und falscher internationaler Antworten auf die G20 besteht darin, diesen andere, von den imperialistischen Mächten beherrschte Institutionen als Alternative entgegenzustellen.

Nachdem regionale, kapitalistische Vereinigungs- und Blockprojekte wie die EU in den letzten Jahren auch bei Teilen des Reformismus mehr und mehr an Charme verloren haben, werden vermehrt die „Vereinten Nationen“ aus dem Hut gezaubert. Etliche der G20-KritikerInnen wie attac, Linksparteien, linke Gewerkschaften, die Friedensbewegung usw. fordern deren Stärkung. Dort wären schließlich „alle“, d. h. alle Staaten, versammelt, dort wäre der eigentliche Platz zur Verhandlung und Lösung der globalen Probleme, zur Prävention von Kriegen, zur Bekämpfung des Klimawandels usw. Dabei war und ist die UNO eine Organisation, die nie den Interessen der imperialistischen Mächte zuwiderhandelt. Die Generalversammlung mag zwar – ganz ähnlich einem Parlament in der bürgerlichen Demokratie – gelegentlich eine gut klingende Resolution verabschieden, sie mag sogar Imperialismus, Zionismus, Rassismus „ächten“. Allein, solange auch nur eine der „Weltmächte“, also eine der ständigen Vertreterinnen im Sicherheitsrat, gegen praktische Maßnahmen ihr Veto einlegt, erhält der Beschuss allenfalls propagandistischen, moralischen Wert. Eine reale Auswirkung hat er nicht.

Die UN sind solcherart nicht viel anders als die G20 mit formaler Struktur und mehr Publikum. Dass sie sich in wesentlichen Fragen immer weniger einigen können, liegt einfach daran, dass sie eine Institution des imperialistischen Weltsystems und seiner politischen Ausformung sind, die mehr und mehr von der wachsenden Konkurrenz der Großmächte geprägt werden. Anders kann es auch nicht sein. Es ist eine utopische, kleinbürgerliche Vorstellung, dass es auf Basis eines imperialistischen Weltsystems eine globale politische Institution, eine Art Weltparlament geben könne, die ein höheres Recht verkörpert und durchsetzt als die Mächte, die das System dominieren. Die Machtlosigkeit der UNO ist unvermeidlich und logisch, kann doch das Recht nie höher stehen als die gesellschaftliche Basis, auf der es sich erhebt.

Daher sind auch alle Reformbemühungen, die UNO zu einer „echten“, von den Menschen und nicht den Großmächten dominierten Institution zu machen, im Voraus zum Scheitern verurteilt. Die Beschönigung der UNO hat aber nicht nur die Auswirkung, falsche Hoffnungen in diese Versammlung der „Weltgemeinschaft“ zu schüren. Wo die UNO gemeinsame Schritte gegen einzelne Staaten unternimmt, sind diese in der Regel reaktionärer Natur. Dazu gehören die Sanktionen gegen Länder wie den Iran, Drohungen gegen Nordkorea und andere. Diese Maßnahmen wurden nur möglich, weil hier keine Macht gegen das Interesse eines, mehrerer oder gar aller imperialistischer Staaten und Blöcke ein Veto einlegt. Die sog. UN-Friedenstruppen sind Truppen zur Festigung eines über die Imperialisten oder deren lokale Verbündete vermittelten „Friedens“ – es sind letztlich Besatzungstruppen, die ebenso grundsätzlich abzulehnen sind wie uni-laterale Interventionen imperialistischer Länder oder solche unter dem „Mandat“ von NATO, EU, Afrikanischer Union oder ähnlichen Institutionen. Hinter den Illusionen in die UN wie in die bürgerliche Demokratie steht aber letztlich ein politisches Unverständnis des Gegners – des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium.

Internationalismus, Partei und Programm?

Es stellt sich aber auch die Frage, wie dieser globale Gegner bekämpft und gestürzt werden kann. 2017 jährt sich die russische Revolution zum hundertsten Mal. Die Politik der Bolschewiki, aber auch der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale bildet ein wichtiges Pfund zum Verständnis von Schlüsselfragen, programmatischen Eckpunkten für revolutionäre Strategie und Taktik heute.

Das bedeutet, erstens überhaupt die aktuelle Periode zu verstehen, und auch ein Gesamtprogramm zu entwerfen, das auf der Höhe der Zeit ist, das eine Antwort auf die großen Fragen von Krise, Krieg, drohender ökologischer Katastrophe liefert.

Der erste Punkt besteht wohl darin, dass es nur eine internationale Lösung geben kann. Keines der wichtigen Probleme kann letztlich national gelöst werden. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte im globalen Maßstab entwickelt, damit aber auch die Grundlage, ja die Notwendigkeit einer weltumspannenden Reorganisation der Produktion und Verteilung gelegt.

Auch wenn revolutionäre Erhebungen, massive Klassenkämpfe ungleichzeitig, in einzelnen Ländern oder Regionen ausbrechen werden, so werden sie doch nur siegen können, wenn sie internationalisiert, ausgeweitet werden. Unsere Antwort auf die Krise der EU besteht z. B. nicht in der Rückkehr zur Illusion nationaler wirtschaftlicher Unabhängigkeit, zur Wiedereinführung angeblich souveräner Währungen. Diese Politik ist letztlich reaktionär. Wir bekämpfen die imperialistische EU, indem wir der halben Vereinigung unter der Fuchtel des Kapitals die Schaffung von Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas entgegenstellen. Damit könnte nicht nur ein Mittel zur weiteren Integration des Kontinents geschaffen, sondern auch ein Schritt zur Planung gemäß der Bedürfnisse der ProduzentInnen auf einem ganzen Kontinent getan werden.

Die Überwindung kolonialer und imperialistischer Unterdrückung, das demokratische Recht auf Selbstbestimmung der Nationen wird letztlich nicht verwirklichbar sein ohne Errichtung von ArbeiterInnen- und Bauernregierungen und deren Zusammenschluss zu einer Föderation von Räterepubliken in ganzen Regionen und letztlich auf dem Globus.Diese ist andererseits auch das einzige Mittel, die wachsende Kriegsgefahr zu bannen. Nur so kann auch die Grundlage für eine koordinierte Politik zur Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gelegt werden.

Der heutige Kapitalismus ist grundsätzlich von stagnativen Tendenzen gekennzeichnet. Dabei werden auch in den letzten Jahren immer wieder neue Technologien entwickelt und wird vor allem die Kommunikation – wenigstens potentiell – enorm vereinfacht. Die Computerisierung in den transnationalen Konzernen, die Vernetzung der Produktion über Ländergrenzen hinweg schafft auch die Grundlage für eine globale Planwirtschaft. Diese muss aber auch die Lehren aus den Entartungen der bürokratischen Kommandowirtschaften der ehemaligen „realsozialistischen“ Staaten ziehen. Dort wurden die Zwecke der Produktion nicht von den Arbeitenden selbst demokratisch bestimmt, sondern von den bornierten Bedürfnissen einer herrschenden Kaste, der Bürokratie.Gegen diese Entwicklung helfen letztlich nur zwei Mittel: Erstens, die Gesellschaft muss auf der Grundlage der Rätedemokratie aufgebaut und sie muss zweitens global ausgedehnt werden. Jeder Versuch, den „Sozialismus“ in einem Land zu errichten, ist zum Scheitern verurteilt, kann nur in der Bürokratisierung enden.

Internationalismus ist daher für uns nicht nur ein Beiwerk zum Aufbau einer revolutionären Organisation hier, sondern von Beginn an integraler Bestandteil unserer Politik. Um eine revolutionäre Organisation aufzubauen, braucht es freilich nicht nur Klarheit über die strategischen Ziele – es braucht auch ein Programm, das diese mit den aktuellen Kämpfen, mit den unmittelbaren Auseinandersetzungen vermitteln kann. Gerade weil unser Ziel der Sturz des Kapitalismus ist, muss der Kampf für die sozialistische Revolution mit dem für soziale und demokratische Forderungen verbunden werden. Ansonsten bleiben diese beide unvermittelt nebeneinander stehen, bleibt die „revolutionäre“ Perspektive nur eine Gesinnung, keine praktische Politik. Um die Brücke vom Jetzt zur Zukunft zu schlagen ist eine bestimmte Art von Programm, ein Übergangsprogramm notwendig. Auch kleine kommunistische Organisationen, die selbst noch weit davon entfernt sind, eine Partei zu sein, müssen sich der Aufgabe der Entwicklung eines solchen Programms stellen – und den Kampf für ein solches Programm mit dem Kampf für eine neue Internationale, die Fünfte Internationale verbinden




G20 und die „Zivilgesellschaft“

Integrative Beleitmusik zum imperialen Kerngeschäft

Kapitel 7, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

In den letzten Jahrzehnten sind die Gipfel der 20, aber auch anderer internationaler Institutionen durch eine bewusste Strategie der Einbindung der sog. „Zivilgesellschaft“ gekennzeichnet. Je weniger die Gipfel an verbindlichen, gemeinsamen Absprachen zu liefern im Stande sind aufgrund der zunehmenden Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt, desto umfassender werden die verhandelten Themen.

Die G20 greifen bewusst Zielsetzungen anderer internationaler Organisationen wie der UN oder des Weltklimagipfels auf, setzen sie auf die Agenda zahlreicher „vorbereitender“ Tagungen. Diese „weichen“ Themen, die vor allem dem schönen Schein der unschönen Veranstaltung dienen, sind aber auch das Feld der Einbindung eines ganzen Trosses von VertreterInnen der „Zivilgesellschaft“. So machten sich die G20 die „Nachhaltigkeitsziele“ der UNO (ehemals Millenniumsziele) unter dem Titel „Agenda 2030“ zu eigen. Bis dahin versprechen sie wieder einmal Anstrengungen zur Überwindung der Ungleichheit auf der Welt und der Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Ländern der sog. „Dritten Welt“. Die Partnerschaft mit Afrika ist ein aktuelles, vor allem von Deutschland und der EU forciertes Projekt in diesem Bereich. Im Zentrum der Agenda 2030 stehen dabei vor allem die Subventionen privater Investitionen bis hin zur „Green Finance“. Diese und andere „Menschheitsaufgaben“ sind dann auch das Terrain, oder besser wohl Spielplatz, für eine Reihe nicht-staatlicher AkteurInnen, die an die G20-Agenda gebunden, in sie inkorporiert werden.

Die wichtigste und einflussreichste firmiert unter dem Namen „Business G20“. Erstmals tauchten diese VertreterInnen der „Zivilgesellschaft“ aus den Konzernzentralen 2010 in Toronto im Rahmen der Tagung auf. Ihr großer Vorteil gegenüber allen anderen NGOs liegt auf der Hand: Ihre zivilgesellschaftlichen Ziele sind G20-konform, sie sind eine Lobbygruppierung, die hinter wohltönenden Phrasen von unternehmerischer Verantwortung entschieden für Kapitalinteressen eintritt.

Die VertreterInnen jener Konzerne haben sich auch in den letzten Jahren zu einem eigenen Forum – den B20 (Business 20) – zusammengeschlossen, dessen ständiger Sitz in Paris ist und das nicht nur als ständiger Gast bei den G20-Gipfeln weilt, sondern auch eigene Jahrestagungen ausrichtet. Die B20 vertreten lt. BDI 6,8 Millionen Unternehmen und verfügen „über eine starke Verankerung in der nationalen Politik“ der Staaten. Kurzum, sie sind direkte VertreterInnen der KapitaleignerInnen in den G20-Staaten, bringen deren globalen ökonomischen Interessen zum Ausdruck und bilden so eine geradezu ideale Ergänzung zu den Staats- und Regierungschefs.

Civic 20

Die anderen „zivilgesellschaftlichen“ AkteurInnen sind in der Regel keine direkten VertreterInnen des Kapitals, sondern sozialer Gruppen, Institutionen, Themenfelder. Seit 2010 wuchern diese „Reach Out“-Projekte geradezu. So wurde 2010 als erstes Youth 20 mit RepräsentantInnen der „großen“ Jugendverbünde und staatlich inkorporierter Institutionen und Fachministerien gegründet. Labour 20 wird seit 2011 von den Gewerkschaften beschickt. Die diesjährige Tagung von L20 organisiert der DGB. Weitere Foren folgten fast im Jahrestakt: Die „Welt der Forschungsinstitute“ (Think Tanks 20) 2012; 2013 wurde Civic 20 für die NGOs aus der Taufe gehoben, gefolgt von Women 20 (2015) und Science 20 (2016). Die Gründung weiterer ist im Zuge des „Reach Out“ der G20 zu befürchten. Die Integration der sog. Zivilgesellschaft gehört seit 2013, als Russland den Gipfel ausrichtete, zu den bewussten Spaltungsmanövern gegen etwaige Gipfelproteste. Seither werden auch sog. C20 (Civic 20)-Gipfel im Umfeld der G20 abgehalten. Dies ist die integrative Begleitmusik zur gleichzeitig zunehmenden Repression und Aushebelung demokratischer Rechte. Das „Reach Out“ soll die Dynamik und Radikalität von Protesten entschärfen und verhindern, dass anti-kapitalistische, kommunistische und internationalistische Kräfte gemeinsame Massenaktionen mit reformistischen oder klein-bürgerlichen Gruppierungen durchführen, dass sich diese auf der Straße als gemeinsame, sichtbare Kraft präsentieren. Die Integrations„bemühungen“ der Herrschenden erstrecken sich jedoch nicht nur auf die Aktionen. Selbst die politisch recht harmlosen, reformistisch geprägten, aber unabhängig von den G20 (oder anderen Institutionen) ausgerichteten Alternativgipfel sollen geschwächt werden. In den letzten Jahren habe viele der größeren, international operierenden und vor allem finanzstärkeren NGOs sich mehr und mehr auf die G20 konzentriert. Sie sehen die Stunde für deren „Beeinflussung“ gekommen. Einen allzu „konfrontativen“ Kurs oder gar eine „Totalablehnung“ weisen sie von sich.

Daher feiern diese Teile der NGO-Szene, aber auch andere „zivil“gesellschaftliche AkteurInnen wie die Gewerkschaftsführungen jedes Lippenbekenntnis zu „globaler Gerechtigkeit“ oder „Nachhaltigkeit“ als hoffnungsvollen Schritt. Nur China behinderte Civic 20 2016 massiv. Rund zwei Drittel der Nicht-Regierungsorganisationen wurden dort vom Staat gestellt, etliche NGOs hatten mit Einreiseschikanen usw. zu kämpfen. Dafür stellte der chinesische Staat in markt„sozialistischer“ Manier die enge Kooperation mit B20 heraus, wie es noch kein Gastgeber zuvor tat. Die deutsche Regierung fördert hingegen C20 bewusst – nicht nur um zu spalten, sondern auch um ihrer Gipfelpolitik mehr Legitimation zu verschaffen und ihre Ziele demokratisch zu verbrämen.

NoG20

Diese Politik trug in Hamburg ganz offenkundig Früchte. Es kam zur politischen Spaltung, so dass sich zwei große Mobilisierungsbündnisse/Blöcke gegenüberstehen. Einerseits das bundesweite und internationale Bündnis „NoG20 2017“, andererseits die „Protestwelle“. NoG20 bildet den Rahmen für ein breites Spektrum links von SPD und Gewerkschaftsführungen: Linkspartei, Attac, DKP/SDAJ, die Friedensbewegung, ökologische Gruppierungen, migrantische Linke wie NavDem, DIDF, andere kurdische, türkische oder palästinensische Vereinigungen, anti-rassistische Initiativen, maoistische und trotzkistische Gruppierungen, die autonome und post-autonome Linke (IL, UG, …). Die Gruppe ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION mobilisieren ebenfalls zu den Aktionen im Rahmen des Internationalistischen Blocks gegen die G20.In diesem Rahmen werden die Proteste um folgende Aktivitäten gruppiert:

Anti-G20-Protestcamp vom 1.-9. Juli (www.g20-camp.de)

Gegengipfel

Blockaden und Proteste gegen den Gipfel (www.blockg20.org)

Internationale Großdemon-   stration (www.g20-demo.de)

Trotz aller Differenzen hält dieses Spektrum im Aufruf zur Großdemonstration fest: „Unsere Kritik richtet sich nicht nur gegen einzelne Personen und Repräsentanten, sondern gegen die Verhältnisse und Strukturen, die diese hervorbringen.

Wir werden unsere Ablehnung der kalten und grausamen Welt des globalen Kapitalismus deutlich machen, wie sie von den G20 repräsentiert und organisiert wird. Wir werden unsere Solidarität mit all jenen zum Ausdruck bringen, die weltweit durch Proteste, Streiks oder Aufstände der Politik der G20 entgegentreten.“ (http://g20-demo.de/de/beispiel-seite/) Mit den G20 gibt es nichts zu verhandeln, keinen „zivilgesellschaftlichen Prozess“ in Gang zu bringen. Ihre Politik und das kapitalistische System müssen zu Fall gebracht werden, das ist die eigentliche Menschheitsaufgabe unserer Zeit! Auch wenn das Bündnis insgesamt keineswegs die letztgenannte Position teilt, so unterstützen wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht den Bündnisaufruf kritisch, auch wenn er zu vage bleibt und illusorische Phrasen wie „globale Gerechtigkeit“ enthält. Einheitliche Position von NoG20 ist es jedoch, gemeinsam zu mobilisieren, sich nicht spalten zu lassen und die Legitimität der G20 insgesamt zurückzuweisen.

Die sogenannte „Protestwelle“

Dem steht ein von den NGOs getragenes Bündnis gegenüber, die sog. „Protestwelle“. Ihr Aufruf ist ein einziger Appell an die G20, endlich ihre Macht „richtig“ einzusetzen. So heißt es dort unter anderem: „Handel muss fair sein. Das sagen wir gerade in Hamburg, wo der Handel mit der ganzen Welt blüht. (..) Die G20 müssen einen Kurswechsel hin zu nachhaltigem Wirtschaften einleiten. (…)Wir fordern die G20 auf, Maßnahmen gegen die soziale Ungleichheit zu ergreifen – hierzulande und weltweit! (…)“ Ebenso gut könnten wir von einem Stier fordern, Milch zu geben. Natürlich erkennt auch dieses Bündnis, dass bei den G20 etwas schief läuft. So gebe es in „einigen G20-Staaten“ autoritäre Zustände. Daher folgt auch gleich der Appell an die „demokratischen“ Länder vom Schlage Deutschlands, sich für den Ausbau von Demokratie und Weltoffenheit einzusetzen.

Die „Protestwelle“ will die G20 nicht bekämpfen, sondern zu einer Institution zum Wohle aller machen, reformieren. An der Marktwirtschaft hat sie nichts grundsätzlich auszusetzen – sie muss nur „fair“ sein. Dann wird es auch mit den Reformen, mit Demokratie und Klimaschutz klappen. Vom Kapitalismus, von Krieg, Besatzung, rassistischer Hetze, nationaler Unterdrückung und erst recht vom Kampf um die Neuaufteilung der Welt findet sich im Aufruf kein Wort!

Die Organisatoren repräsentieren drei politisch-soziale Strömungen: Erstens das bürgerlich-liberale ökologische Spektrum um die Grüne Partei, zweitens kleinbürgerliche NGOs, die sich auf Lobbyismus, Reformismus und kleinbürgerliche Reformpolitik festgelegt haben (Oxfam, Campact, …) und drittens Teile der bürokratisierten, von der Sozialdemokratie dominierten ArbeiterInnenbewegung (DGB-Nord, Naturfreunde). Kein Wunder, dass auch die Hamburger SPD und Gipfel-Gastgeber Olaf Scholz zu dieser „Protestaktion“ aufrufen! Die OrganisatorInnen mögen sich das als besondere Leistung anrechnen, „auch“ Scholz und die Hamburger SPD, die hinter dem Gipfel steht, dafür gewonnen zu haben – in Wirklichkeit zeigt das nur, dass die Protestwelle den verlängerten Arm der G20 in die Bewegung darstellt. Dass es sich bei der „Protestwelle“ um ein Spaltungsmanöver im Interesse der Regierung handelt, zeigt nicht zuletzt, dass einige ihrer UnterstützerInnen wie die Hamburger SPD für den 8. Juli zu „Hamburg zeigt Haltung“ aufrufen, das zeitgleich mit der internationalen Großdemonstration gegen die 20 stattfindet. Anfang Juni 2017 ist der SPD-Grünen-Senat der Stadt sogar noch weiter gegangen – und lässt für den Gipfel auf einer Flächte von rund 38 Quadratkilometern sämtliche Manifestationen verbieten.

Sozialchauvinismus und G20

Dass die Spaltungsmanöver dennoch greifen, ist nicht nur Resultat der unterschiedlichen Haltung zur Frage, ob die G20 reformiert oder bekämpft werden müssen. Vielmehr gibt es auch eine soziale Grundlage für ihre Politik, deren Wurzeln in der Klassenstruktur der Gesellschaft zu finden sind. Alle die „Protestwelle“ organisierenden oder unterstützenden Gruppierungen und Parteien stützen sich wesentlich auf das KleinbürgerInnentum, lohnabhängige Mittelschichten und die ArbeiterInnenaristokratie, also gesellschaftliche Gruppierungen, die zwischen den Hauptklassen der Gesellschaft stehen oder einen relativ privilegierten Teil der Lohnabhängigen ausmachen.

Die relative Privilegierung dieser Schichten speist sich selbst aus der sozialen Abstufung innerhalb des Systems des Kapitalismus. In seiner Geschichte hat er immer auch eine Hierarchie innerhalb der Gesellschaft hervorgebracht und reproduziert: Mittelklassen wie das KleinbürgerInnentum, besser und schlechter gestellte Teile der LohnarbeiterInnen, „höhere“ Berufe usw. usf. Deren Stellung ist letztlich an eine relative Stabilität eines bestimmten Systems der Ausbeutung gebunden. In der imperialistischen Epoche schuf die Erschließung und Aufteilung des Weltmarktes unter die großen Monopole auch die Basis für die Reproduktion einer ganzen, über Jahrzehnte sehr groß gewordenen Schicht von „ArbeiterInnenaristokratInnen“.

Diese Teile der Klasse haben über längere Zeit relativ hohe Löhne, gesicherte Arbeitsplätze und können sich so einen „besseren“ Lebensstil leisten, der die Vorstellung eines dauerhaften sozialen Aufstieges nährt. Sozial gesehen, bilden sie die Basis sozialdemokratischer und anderer reformistischer Parteien und der Gewerkschaften in den imperialistischen Staaten, aber auch in etlichen Halb-Kolonien. So kann man sicher auch in Ländern wie Indien oder Brasilien von einer – wenn auch prozentual weit geringeren – Schicht von ArbeiteraristokratInnen sprechen.

Aufgrund ihrer sozialen Stellung tendieren diese Schichten zum Reformismus und Sozial-Chauvinismus, so wie auch Teile des KleinbürgerInnentums und der lohnabhängigen Mittelschichten zur bürgerlichen Reformpolitik tendieren. An den bestehenden Verhältnissen wollen diese politischen Kräfte nichts Grundlegendes ändern, sie wollen sie allenfalls „sozialer“ ausgestalten, den Armen mehr zum Überleben geben. Sie wollen die Klassengegensätze nicht zuspitzen und überwinden, sondern über staatliche, sozialpartnerschaftliche und „zivilgesellschaftliche“ Ausgleichsmechanismen mildern, entschärfen. Daher geht diese Politik auch immer mit der Verteidigung bürgerlicher Institutionen und der imperialistischen Ordnung einher, z. B. in der Frage von Migration, der Befürwortung rassistischer Einreisekontrollen oder von globalen, scheinbar über den Klassen stehenden „Regulierungsinstitutionen“. Auch wenn sich diese Politik gern demokratisch und humanitär gibt, so ist sie ihrem Wesen nach sozial-chauvinistisch und pro-imperialistisch.

So wie die bürokratisierten, sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften, reformistischen Parteien oder bürgerlichen Reformgruppierungen in den imperialistischen Ländern die Hauptorganisationen dieser Politik darstellen, so agieren die NGOs als Verlängerung dieser Politik in viele Halbkolonien, die Länder des „globalen Südens“, hinein, gerade weil dort die soziale Basis für eine reformistische ArbeiterInnenpolitik deutlich geringer als in den imperialistischen Kernländern ist.

Die NGOs übernehmen dort zum Teil diese Funktion der Sozialintegration.Daher greift auch die Kritik zu kurz, dass die NGOs oder die reformistischen Partei- und GewerkschaftsführerInnen mit ihren Reformbemühungen der G20 oder anderer bürgerlicher Institutionen nur einer Illusion folgen würden. In Wirklichkeit bilden diese Gruppierungen eine Verlängerung der bürgerlichen Herrschaft in die Gegenbewegung und in die ArbeiterInnenklasse hinein. Es bedarf daher neben politischen Taktiken, Forderungen zur Mobilisierung, zur Bekämpfung ihres Einflusses vor allem auch eines klaren Verständnisses ihres Wirkmechanismus’.




G20, Demokratie und Repression

Das Märchen vom „weltoffenen“ Hamburger Senat

Kapitel 6, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Das „weltoffene“ Hamburg soll die Kulisse für den Gipfel 2017 bilden – jedenfalls wenn es nach Angela Merkel und der Bundesregierung geht.

Allzu „weltoffen“ sind die Staats- und Regierungschefs der G20 in der Realität nicht. Viele regieren mit diktatorischen Mitteln und selbst ohne formale Demokratie. Das trifft auf so unterschiedliche Länder wie Saudi-Arabien und China zu.

In anderen sind demokratische Wahlen oft nur die mehr oder minder notdürftig verhüllte Fassade für bonapartistische oder halb-bonapartistische Regime. Präsidenten wie Temer sind durch einen Putsch an die Macht gekommen. Erdogan führt einen Krieg gegen das kurdische Volk und jede demokratische Opposition. Putin perfektioniert sein bonapartistisches Regime Jahr für Jahr. Modi stützt sich nicht nur auf den Staatsapparat, sondern auch auf den Hindu-Chauvinismus. Die indonesische Regierung unterdrückt brutal nationale Minderheiten – und mit Trump ist ein offener Rassist und Sexist US-Präsident geworden.

In der Europäischen Union, die sich gern als Sachwalterin der Demokratie und Menschenrechte präsentiert, ist die Rechte bis hin zu faschistischen Kräften in den letzten Jahren erstarkt. Der Brexit hat in Britannien den Rassismus beflügelt und droht, Millionen ArbeitsmigrantInnen ihres legalen Status zu berauben.

Die EU riegelt die Grenzen gegen die Geflüchteten ab, lässt jährliche Tausende im Mittelmeer absaufen und errichtet Zwangslager an ihren Außengrenzen oder in Afrika, wo die Menschen entrechtet und erniedrigt gehalten werden.

In praktisch allen Ländern der G20 nimmt der Rassismus zu. Nicht nur nach außen lässt Trump Mauern bauen. Muslime aus sieben Ländern sollen erst gar nicht einreisen dürfen. In der EU, aber auch in Russland oder Indien, grassiert der anti-muslimische Rassismus. Er ist zu einem zentralen Mittel zwecks Spaltung unserer Klasse und der Massen geworden, zur Aufhetzung gegen die untersten Schichten des Proletariats und die am meisten Entrechteten. Zugleich dient er als Mittel zur Ausschaltung weiterer demokratischer Rechte und zur Rechtfertigung von Aufrüstung und Interventionen.

Auf dem G20-Gipfel werden diese Themen behandelt. Bekämpft wird aber nicht der Rassismus oder die Entrechtung von Minderheiten. Die gemeinsame Formel lautet vielmehr: „Kampf gegen den Terrorismus“

Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Zwanzig. Meinungsverschiedenheiten darüber, wer nun z. B. in Syrien genau „TerroristIn“ ist, ob die PYD in Rojava Verbündete oder Hauptfeindin sei, trüben zwar die Einigkeit ein Stück weit. Was die Unterdrückung von „Terrorismus“ im Landesinneren betrifft, so versichern sich die G20 in der Regel ihrer gegenseitigen Unterstützung – und setzen diese z. B. durch sog. „Terrorlisten“, Auslieferung und Zusammenarbeit der Geheim- und Sicherheitsdienste auch um.

Dabei fallen auch ganze unterdrückte Nationalitäten oder Religionsgemeinschaften – z. B. die KurdInnen in der Türkei, unterdrückte Nationen in Russland – unter dieses Label, werden unter Generalverdacht gestellt. Die PalästinenserInnen sind eine der Nationen, deren Rechte von allen imperialistischen Staaten seit Jahrzehnten gemeinsam mit Füßen getreten, die der nächsten zionistischen Offensive überlassen werden und deren Widerstand kriminalisiert wird. Werden die Rechte von Minderheiten und MigrantInnen mit Füßen getreten, so auch jene der ArbeiterInnenklasse. Die meisten G20-Staaten sind führend in der Bekämpfung von Gewerkschaften und ArbeiterInnenrechten. Manche lassen allenfalls staatlich kontrollierte Organisationen zu.

Auch das trifft natürlich nicht „nur“ die Länder des Südens oder halb-diktatorische Regime. Auch die westlichen Demokratien haben in den letzten Jahren die Rechte der Lohnabhängigen – z. B. das Streikrecht – immer weiter ausgehöhlt und eingeschränkt.

Repression bei den Gipfeln

Kein Wunder, dass G20- wie andere Gipfel des Kapitals und der Mächtigen regelmäßig von Protesten begleitet sind. Nach dem Höhepunkt der Massenmobilisierungen gegen große Gipfel Anfang des Jahrhunderts haben die Mächtigen der Welt oft nur noch in entlegenen Gegenden getagt. In den letzten Jahren wurde das teilweise wieder geändert – und mit massiver Repression begleitet. Dazu nur 2 Beispiele:

Gegen den G20-Gipfel von London demonstrierten 2009 35.000 Menschen. 4000 Menschen wurden von einem Großaufgebot der Polizei eingekesselt, die ihnen stundenlang Wasser, Nahrung und Zugang zu Toiletten verweigerte. Als trauriger Höhepunkt starb ein Demonstrant – vermutlich an Herzversagen, nachdem ihn ein Polizist niedergeschlagen hatte.

Auch in Toronto 2010 wurden rund 20.000 PolizistInnen eingesetzt, um den G20-Gipfel gegen 6.000 GegendemonstrantInnen zu verteidigen. Die Innenstadt wurde damals komplett abgeriegelt und von Spezialkräften mit Sturmgewehren gesichert. Außerdem wurden 900 Menschen schon vor dem Gipfel vorbeugend weggesperrt.

In Hamburg sollen rund 15.000 PolizistInnen am Start sein. Dazu kommen die Sicherheitskräfte, Personenschutz usw., den die Staats- und Regierungschefs gestellt bekommen oder selbst mitbringen. Hamburg wird, um die Tagung selbst zu „sichern“, in rote und blaue Zonen aufgeteilt, das Demonstrations- und Versammlungsrecht sowie die Rechte der BürgerInnen werden eingeschränkt. Die Polizei will für eine 38 Quadratkilometer große Zone nicht nur den Gipfel, sondern auch die Zufahrtswege vom Flughafen zum Tagungsort und zu den Unterkünften zur demonstrationsfreien Zone erklären. Die Stadt gleicht einer belagerten Festung, die vor der Bevölkerung und Menschen, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollen, geschützt wird. Ein Hoch auf die bürgerliche Demokratie!

Diese Einschränkungen treffen nicht nur die GegnerInnen der G20. Sie betreffen die ganze Bevölkerung, die für ein fragewürdiges Treffen von den Staats- und Regierungschefs Kontrollen über sich ergehen lassen muss und deren Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Die Verbote, die im Juli durchgesetzt werden wollen, sind zugleich auch eine Warnung an alle Formen des politischen, gewerkschaftlichen und sozialen Protests. Was heute die GipfelgegnerInnen trifft, kann morgen auch Aktionen gegen die Regierung und den Senat, gewerkschaftliche Kämpfe, anti-rassistische Aktivitäten oder MieterInnenproteste betreffen. Werden diese riesig, so schränkt „die weltoffene Demokratie“ die demokratischen Rechte ein.

  • Nein zu jeder Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts!
  • Gegen jede Bespitzelung, Überwachung der Protestierenden! Keine Sonderzonen und Kontrollen!
  • Organisierte Selbstverteidigung unserer Aktionen gegen Provokationen von Polizei und Sicherheitsdiensten!



G20 & das Klima

Oder das Märchen vom Durchbruch von Paris

Kapitel 5, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Nach dem G7-Gipfel 2017 kündigte Donald Trump das Pariser Klimaabkommen (COP21; COP = United Nations Framework Convention on Climate Change, bei uns bekannt als UN-Klimakonferenz; die Pariser Konferenz war die 21. Tagung dieser Art) vom Dezember 2015 auf, zu dem sich die USA und China erst auf dem G20-Gipfel in Hangzhou bekannt hatten.

Wollten Obama und Kerry noch eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen, so bezweifelt die neue US-Administration mehr oder weniger offen dessen Existenz, spricht gar von einem „chinesischen Hirngespinst.“ Umgekehrt schwingen sich Deutschland, die EU und China zum Vertreter des „Wohls der Menschheit“ auf und wollen sich als weltweit führend im Klimaschutz profilieren.

Von Rio bis Kyoto…

Fake News verbreitet dabei nicht nur Trump. Die Gegenspieler des US-Imperialismus deuten ihrerseits die Vereinbarungen von Paris zu einem Meilenstein für die Menschheit und die Natur um. In Wirklichkeit reiht sich die COP21-Vereinbarung nur in eine Reihe von Maßnahmen ein, die weniger die Umwelt als die Verteilung der Kosten für deren „Rettung“ im Blick haben. Die aktuellen internationalen Vereinbarung und Diskussionen gehen bis in die 80er Jahre zurück. 1988 trat erstmals der Weltklimarat zusammen. 1992 trafen sich in Rio de Janeiro tausende VertreterInnen von Staaten und Nichtregierungsorganisationen zum UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung, dem Startschuss für die internationale Klimapolitik. Dort wurde die Klimarahmenkonvention verabschiedet mit dem Ziel, die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu halten, auf dem eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert wird. Aus dieser vagen Formulierung kristallisierte sich in den Folgejahren das Ziel heraus, den Anstieg gegenüber der mittleren Temperatur von 1850 auf zwei Grad zu begrenzen.

1997 wurde im japanischen Kyoto auf Grundlage der Klimarahmenkonvention das erste verbindliche Klimaschutzabkommen geschlossen: Die Industrieländer verpflichteten sich, ihre Emissionen von 2008 bis 2012 um insgesamt 5,2 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken, ein nicht gerade ehrgeiziges Ziel. Die USA ratifizierten das Abkommen trotzdem nicht, weil z. B. China nicht zu Reduzierungen verdonnert wurde. Russland wurden großzügige Ausnahmen gestattet. Das Kyoto-Protokoll trat 2005 in Kraft. 2009 scheiterten die Verhandlungen in Kopenhagen an den Konflikten zwischen Nord und Süd sowie zwischen Industrie- und Schwellenländern. Das Scheitern von Kopenhagen auf dem Höhepunkt der letzten Wirtschaftskrise markierte auch einen vorläufigen neuen Höchststand der Widersprüche im imperialistisch dominierten Weltwirtschaftssystem.

…ein einziger Fehlschlag

Das reale Handeln der Regierungen und der KapitalistInnen bewirkte das Gegenteil ihrer Beschlüsse: In den Jahren zwischen 1990, dem Basisjahr für alle Klimaabkommen, und 2010 ist der Ausstoß an Treibhausgasen um mehr als ein Drittel gestiegen. Und diese Entwicklung geht weiter: um die Kluft zwischen notwendigen und tatsächlichen Emissionsreduzierungen zu schließen, damit die Erwärmung noch unter zwei Grad Celsius gehalten werden kann, müssen laut der UN-Umweltorganisation UNEP die Emissionen in Gigatonnen CO2-Äquivalenten wie folgt vermindert werden: auf 44 im Jahr 2020, 40 im Jahr 2025, 35 im Jahr 2030, 22 im Jahr 2050.

Setzt sich der aktuelle Trend fort, werden die Emissionen aber im Jahr 2020 auf 58 steigen. Auch wenn die wichtigsten Staaten ihren Ausstoß tatsächlich, wie angekündigt, senken würden, wäre der Ausstoß nur geringfügig kleiner als ohne Abkommen. Die Ankündigungen sind zudem bisher noch nie eingehalten worden.

Die Ursachen für diesen Fehlschlag sind vielfältig. Zum einen war nur das Kyoto-Protokoll bisher ein verbindliches Vertragswerk. Industriestaaten wie Australien, Kanada und die USA sind ihm nicht beigetreten. Zudem enthielten die Vereinbarungen viele Lücken und Schlupflöcher. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, des Ostblocks und die BRD auf dem Territorium der ehemaligen DDR „profitierten“ diesbezüglich vom Zusammenbruch der dortigen Industrien, weil mit deren Stilllegung auch die Emissionen zurückgingen und sie dadurch lange eine positive Klimabilanz vorweisen konnten. Vor allem aber setzen die „flexiblen Mechanismen“ des Kyoto-Vertrages auf „markwirtschaftliche Methoden“, um die Emissionen zu senken. Statt die Unternehmen zu verpflichten, Emissionen zu senken und bei Nichteinhaltung die Produktion zu enteignen, wurde ihnen erlaubt, sich Zertifikate zu beschaffen, die Verschmutzung genehmigen. Für diese gibt es einen eigenen „Markt“. Somit können Unternehmen zusätzliche Emissionsrechte kaufen und umweltschädliche Techniken weiter einsetzen.

Soll das Ziel, die Erwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, erreicht werden, dürften nur noch 20 Prozent der weltweit bekannten Reserven an fossilen Energieträgern verbrannt werden. Die G20 subventionierten aber noch 2015 die Produzenten fossiler Brennstoffe mit 452 Milliarden Dollar; für die Förderung erneuerbarer Energien gaben sie nur knapp ein Viertel aus (121 Milliarden). Jahrelang war von der nahenden Erschöpfung fossiler Ressourcen und der Notwendigkeit eines Übergangs zu anderen Energieträgern die Rede. Derzeit erleben jedoch die fossilen Brennstoffe eine Wiedergeburt, unter anderem durch den Ausbau des Frackings. Länder wie Brasilien, China oder Indien setzen auf Kohle, Erdgas und Erdöl und stimmen Emissionsreduktionen nicht zu.

Wirtschaftskonkurrenz

Die letzten 25 Jahre waren nicht nur der Zeitraum, in dem die globale Erwärmung und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen erkannt wurden, sondern auch der Durchsetzung von Freihandelsabkommen und der Ausweitung neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die verschärfte Konkurrenz zwischen Unternehmen, Regionen, Staaten und Wirtschaftsblöcken führte dazu, dass Umweltgesetze, schärfere Kontrollen oder höhere Energiepreise zu einem zunehmenden Nachteil im Standortwettbewerb wurden.

Bis vor einigen Jahren war es die Welthandelsorganisation (WTO), die darauf drängte, dass Staaten ihre Märkte öffneten und dabei Umweltgesetze unterliefen. 2014 musste der kanadische Bundesstaat Ontario einen Teil seines Energiegesetzes zurücknehmen, das erneuerbare Energien und die lokale Stromproduktion förderte. Japan und die EU hatten vor der WTO dagegen geklagt. Das Abkommen CETA (zwischen EU und Kanada) reicht noch weiter als bisherige Verträge. 2009 war folglich das einzige Jahr, in dem die Emissionen weltweit zumindest nicht angestiegen sind. Die Weltwirtschaftskrise tat der Umwelt besser als alle Klimaabkommen.

Was brachte COP21?

In Paris sollte 2015 ein neues, rechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen ausgearbeitet und unterzeichnet werden. Anders als 2009 unterzeichneten aber schließlich China und die USA. Die beiden konkurrierenden Weltmächte produzieren 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Sie hatten im Vorfeld eine für beide Seiten nützliche Vereinbarung getroffen, der zufolge China seinen Ausstoß weiter steigern dürfe und erst ab 2030 langsam senken müsse, die USA sollten ihren bis 2025 nur um 15 Prozent gegenüber 1990 absenken. So weit der „schlechte Deal“, den Donald Trump beklagte. Laut Vertrag von Paris sollen die Nettotreibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückgefahren werden. In der zweiten Jahrhunderthälfte soll sogar eine erhöhte CO2-Aufnahme gewährleistet werden. Dass die ambitionierten Ziele mit den dafür vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden, muss jedoch bezweifelt werden. Den finanzschwächeren Ländern soll zwar ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen geholfen werden – realiter betrachtet, entpuppt sich so manche dieser Maßnahmen jedoch eher als Exportförderung für die Umweltindustrie der führenden Länder.

Das Abkommen ist zwar völkerrechtlich verbindlich, bei Missachtung der Vertragspunkte drohen jedoch keine Strafmaßnahmen. Zentrale Fragen standen nicht auf der Tagesordnung oder sind bis heute umstritten: Für die einzelnen Staaten gibt es keine festen Reduktionsziele für Emissionen vor, vielmehr unterbreiten die Staaten dazu selbst Vorschläge. Sanktionen für den Fall, dass Zusagen nicht eingehalten werden, sind bislang nicht vorgesehen. Auch wie die Versprechen für den Globalen Klimafonds, aus dem die am meisten betroffenen Staaten Maßnahmen finanzieren sollen, eingelöst werden sollen, ist umstritten. Mit den USA fällt eine zentrale Geldgeberin aus. Die G77-Staaten des Südens forderten eine rein staatliche Hilfe, also Geld; einige Industrieländer wollen Investitionen und Kredite von Unternehmen und Banken sowie die Entwicklungshilfe anrechnen lassen.

Auf Druck von Umweltgruppen und sozialen Bewegungen gegen Klimawandel, indigenen Vereinigungen und einzelnen Staaten wurden zwar hier und da Verweise auf die Notwendigkeit einer veränderten Beziehung zur Natur in Konferenzdokumente aufgenommen werden. Alle konkreten Vorschläge zielen jedoch in die entgegengesetzte Richtung: mehr (Groß-)Technik und „Effizienz“, also lukrative Anlageobjekte wie Abscheidung und Speicherung von CO2 unter der Erde (CCS), Projekte des Geo-Engineering wie Sonnensegel im Weltraum, Düngung der Weltmeere, Versiegelung riesiger Landflächen zwecks Reflexion der Sonnenstrahlung. Der zweite Strang sind noch mehr Spekulations-Märkte: z. B. soll der Erhalt von Wäldern mittels Einbeziehung in den Emissionshandel (REDD+) bewerkstelligt werden. REDD+ hat, um „Bio“dieselkraftstoff aus Palmöl zu erzeugen und in großem Stil CO2-Zertifikate verkaufen zu können, zur Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, zur Abholzung von Regenwald und zum Aufbau gewinnbringender Plantagen auf deren Fläche geführt. Das nächste Klimaabkommen wird nicht nur REDD+ die Tür öffnen, sondern weiteren Finanzinstrumenten wie „Climate-smart agriculture“-Zertifikaten für eine „klimafreundliche“ Landwirtschaft, die häufig in Zusammenhang mit Landraub, bestimmten Anbautechniken und gentechnisch veränderten Pflanzen stehen. Federführend bei der Einführung dieses Konzepts ist die Weltbank. Kleinbauernorganisationen wie Via Campesina kritisieren das Vorhaben scharf. Ähnliches gilt für „Blue Carbons“ und „Fish Carbons“, ein auf Ozeane und Meerestiere angewandtes Prinzip von REDD+.

Die Finanzbranche ist seit der Finanzkrise 2007 auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Investitionen in Land, Umwelt und Natur sind ein rasch wachsender Markt, Rund ums Klima sind neue, spekulative Instrumente entstanden. Das Prinzip des Emissionshandels ist einfach: Statt selbst seinen Ausstoß zu verringern, kann ein Unternehmen dafür bezahlen, dass das anderswo geschieht. Es erhält Zertifikate in Höhe der eingesparten Treibhausgase und kann diese an Kohlenstoffbörsen verkaufen. Bei der CO2-Bilanz ist dieses System schon in der Praxis gescheitert, was aber seine Profiteure nicht daran hindert, das untaugliche Mittel auszubreiten. Zum einen sind wegen des Überangebots an Emissionsrechten die Preise viel zu niedrig, zum anderen sind Betrug und Korruption Tür und Tor geöffnet. Die UNO schätzt, dass bis zu einem Drittel der Zertifikate „falsch“ sind. Niemand kann kontrollieren, wie viel Treibhausgase tatsächlich eingespart wurden. Vor allem aber: Es geht den SpekulantInnen um eine möglichst große Schwankung der Zertifikatspreise, um ein florierendes Derivategeschäft zu betreiben, nicht um Umweltschutz.

Stoppt die Klimakatastrophe!

Bei den Klimaverhandlungen wird nichts Gutes für die Umwelt getan. Das Gerede über die Rettung des Klimas ist reine Verlogenheit. Es geht nicht um die Rettung der Umwelt, sondern des Kapitalismus, um die Etablierung neuer Märkte und die (Re-)Strukturierung der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Letztere wird auf Marktpreise getrimmt.Solcherart Unheil heckt der Gipfel der weltweit herrschenden Klassen gegen die ArbeiterInnenklasse und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit aus. Alle wirklich wichtigen Vereinbarungen werden an den konkurrierenden Interessen der Imperialisten scheitern oder anschließend hintertrieben. Schon das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen Ende 2009 zeigte, dass keine Übereinstimmung zwischen den kapitalistischen Mächten erzielt werden konnte, wie der CO2-Ausstoß verringert und die Katastrophe der globalen Erwärmung abgewendet werden soll.

Unsere Antwort ist ein weltweiter Wechsel in der Produktion weg von brennbaren fossilen Stoffen und hin zur Förderung von nachhaltigen Energieformen. Die Profitwirtschaft steht dem notwendigen Wandel im Weg. Es kann also nur eine Kraft, die kein Interesse am Profitsystem hat und die Macht hätte, die Profiterzeugung zu unterbrechen, einen Weg aus der drohenden Katastrophe durchsetzen. Diese Kraft ist die weltweite ArbeiterInnenklasse

  • Für einen Notplan zur Umwandlung des Energie- und Verkehrssystems und einen globalen Wechsel weg von   fossilen Brennstoffen! Die großen Konzerne und die imperialistischen Staaten sollen für die verursachten Umweltschäden zahlen!
  • Für einen Plan zum Ausstieg aus einer Energieproduktion mit fossilen Brennstoffen und Kernkraft! Für die massive Erforschung und Einsatz von alternativen Energieformen wie Wind-, Gezeiten- und Sonnenkraft!
  • Für massive Ausweitung des öffentlichen Verkehrs, um die Umweltverschmutzung aus dem Anschwellen des individuellen PKW-Verkehrs zu bekämpfen! Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses! Zusammenfassung des Wissens zur Schaffung von wirkungsvollen Alternativen!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung aller Energiekonzerne, des Transportwesens und der Wasserwirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle! Enteignung des Großgrundbesitzes unter Kontrolle von Komitees der LanderarbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen!