Frauenzeitung – Editorial

Redaktion, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Liebe Leserinnen und Leser!

Dies ist bereits die fünfte Ausgabe unserer Frauenzeitung, die wir seit 2013 jeweils zum Internationalen Frauenkampftag herausgebracht haben. Wir freuen uns, dass es zum wiederholten Male eine gemeinsame Ausgabe der Jugendorganisation REVOLUTION und der Gruppe ArbeiterInnenmacht geworden ist. Mit besonderem Stolz können wir aber auch erstmalig diese Frauenzeitung gemeinsam mit unseren Schwestersektionen in Österreich herausgeben.

Der Schwerpunkt liegt auf Frauen, Islam und Rassismus sowie dem internationalen Rollback von Frauenrechten. Neben den beiden Leitartikeln sowie dem über Pakistan zu diesen Themen beschäftigen wir uns mit Beispielen von Frauenwiderstand in den Artikeln zum Women’s March in den USA und „Können Frauen kämpfen?“ Ein besonders ermutigendes Beispiel lieferten die Frauen während der Russischen Februarrevolution 1917. Wir drucken hierzu erneut einen Beitrag aus dem Jahr 1988 ab, der dem Heroismus dieser russischen Frauen gewidmet ist. Gleichfalls bewundernswert war der Widerstand kurdischer Frauen in Rojava (Nordsyrien) gegen den sog. Islamischen Staat. Doch wie steht es um Praxis und Theorie ihrer Befreiung? Dies ist Thema einer Untersuchung in diesem Heft.

Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit den Themen des Aufstiegs rechtspopulistischer und rassistischer Parteien in Deutschland und Österreich und dessen Auswirkungen auf Frauenrechte. Wie sehr die Gesundheit von Frauen aufgrund der kapitalistischen Vermarktung von Verhütungsmitteln als Lifestyleprodukte gefährdet ist, beweist ein weiterer Beitrag. Schließlich widmen wir uns dem Thema Abtreibung, denn immer noch ist das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper, die Entscheidung, ob sie Kinder bekommen wollen, durch die Gesetzeslage eingeschränkt.

Wie immer fordern wir Euch alle, Frauen wie Männer, auf: beteiligt Euch massiv an den Aktionen zum diesjährigen 8. März! Wir werden dazu wieder Veranstaltungen abhalten. Ein Veranstaltungsterminkalender ist im Folgenden abgedruckt. Besucht unsere gemeinsamen Veranstaltungen!

Die möglicherweise benutzten verschieden gegenderten Schreibweisen (z.B. Arbeiter_Innen neben ArbeiterInnen und Arbeiter*innen) in dieser Ausgabe sind den geringfügig verschiedenen Praktiken der herausgebenden Gruppen geschuldet.




Wirtschaftliche Krise – ideologische Wende – Angriffe auf Frauenrechte weltweit

Veronika Schulz, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Seit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 befinden wir uns in einer anhaltend instabilen Periode. Wir spüren also nicht einfach die langfristigen Auswirkungen der Krise. Vielmehr dauert diese Krise an: Die gegenwärtige Politik vor allem der westlichen Industrienationen ist auch weiterhin von verzweifelten Maßnahmen geprägt. Der Kapitalismus zeigt dabei offener denn je seine imperialistische Fratze. Immer mehr Menschen gehören zu den VerliererInnen eines Wirtschaftssystems, das durch Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg nur einige Wenige zu seinen Profiteuren macht. Die Krisenlasten hingegen aber werden auf die große Masse der Bevölkerung, die ArbeiterInnen, KleinbäuerInnen, SozialrentnerInnen und auf Armenunterstützung Angewiesene, abgewälzt.

Frauen sind von diesen Entwicklungen besonders und auf vielfältige Weise betroffen. Sie sind einer Doppel-, Dreifach-, teilweise gar Vierfachbelastung ausgesetzt, da sie Lohnarbeit, Kinderbetreuung, Altenpflege und Hausarbeit gleichzeitig bewältigen müssen. Weltweit verschärft sich dies nicht nur durch fehlende Rechte für Frauen, sexuelle Gewalt, Rassismus und anhaltende kriegerische Konflikte. Auch erstarkende reaktionäre Parteien sowie religiös-fundamentalistische Gruppen – deren Zunahme und Erstarken selbst ein Resultat der Krise und des Versagens der großen, reformistischen ArbeiterInnenorganisationen ist – sorgen international für ein Rollback der Errungenschaften von Frauen.

Arbeitssituation von Frauen

Der Anteil der erwerbstätigen Frauen hat sich trotz der Krise in Deutschland und auch in Europa erhöht (in 10 Jahren von 61 % auf 71 %)(1). Diese Nachricht bedeutet jedoch nicht, dass Frauen automatisch auch ein höheres Maß an finanzieller Unabhängigkeit erlangen, geschweige denn auf dem Arbeitsmarkt gleichberechtigt sind. Der Großteil der entstandenen Jobs ist nämlich Ausdruck für den Bedarf an billigen Arbeitskräften, wodurch Unternehmen ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ sichern wollen. So handelt es sich bei von Frauen ausgeübten Tätigkeiten vor allem um deregulierte Arbeit, die oft als „prekär“ bezeichnet wird, wobei dieser Begriff mehrere Dimensionen umfasst. Zum einen bezieht er sich auf die Art der Beschäftigung (Teilzeit, Befristung, Mini- und Mehrfachjobs). Zum anderen sind die Einkommen aus solchen Tätigkeiten niedrig, die Löhne liegen oftmals nur knapp über der Armutsgrenze. Frauen arbeiten ungleich öfter auf solch prekären Stellen als Männer, weswegen sie deutlich weniger von dem „Jobwunder“ profitieren. Außerdem stehen wenig ausgebildete und angelernte Arbeitskräfte in dauernder Konkurrenz zueinander, da die Unternehmen auf eine große Reservearmee zurückgreifen können. Durch die kriegs- und krisenbedingten Migrationsbewegungen wird diese Armee sogar noch aufgestockt und zulasten aller ArbeiterInnen gegeneinander ausgespielt. Der 2015 eingeführte Mindestlohn wird in einigen Branchen systematisch umgangen, so dass vielen ArbeiterInnen kaum Geld am Monatsende übrigbleibt. Auch die Beiträge zur Rentenversicherung sind im Niedriglohnsektor gering oder fehlen ganz. Nach heutiger Gesetzes- und Berechnungsgrundlage sind in Deutschland 18 % der Frauen ab 65 Jahren armutsgefährdet, im EU-Durchschnitt 16 %.(2) Andere Zahlen besagen, dass 2010 in der BRD 4,9 Millionen über 55-jährige Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen waren. 2015 waren es bereits 5,7 Millionen, das entspricht 20,8 % der BundesbürgerInnen (EU-Durchschnitt: 20,7 %). 2006 waren es noch 18,2 % in Deutschland.(3) Die Zahlen für Frauen dürften höher als im Bevölkerungsaltersdurchschnitt liegen. Altersarmut ist für die Mehrzahl der Frauen quasi vorprogrammiert, da sie nicht „privat vorsorgen“ können, von Betriebsrenten ganz zu schweigen. Hartz IV-EmpfängerInnen müssen wie zum Hohn ihre angesparte private Altersvorsorge auflösen und verbrauchen, bevor sie in den Genuss dieser Transferleistung kommen können. Aus relativer Armut während des Erwerbslebens wird absolute im Alter.

Ein dritter Aspekt prekärer Arbeit ist das Fehlen gewerkschaftlicher Organisierung. Obwohl die ArbeiterInnenklasse international als Ganzes wächst, kann der Grad ihrer gewerkschaftlichen Vertretung insbesondere bei Frauen nicht annähernd mit diesem Wachstum mithalten. Aus diesem Grund ist es vor allem für Frauen erschwert, die nötige Kampfkraft zu entwickeln und für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu streiken. Ein positives Beispiel für gelingende Organisierung findet sich jedoch in den Streiks im Gesundheits- und Erziehungsbereich 2015. Hier ist es den ArbeiterInnen gelungen, den Arbeitskampf gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie weiterzuführen, indem sie deren Einigungsempfehlung ablehnten.(4)

Eine herbe Niederlage mussten hingegen die französischen ArbeiterInnen verdauen. Die französische Regierung hat im Herbst 2016 trotz langanhaltender Proteste und Streiks das sogenannte El-Khomri-Gesetz zur Arbeitsmarktreform verabschiedet. Offiziell soll diese französische Variante der Agenda 2010 die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen und die angeblich zu starren Arbeitsgesetze modernisieren. In Wirklichkeit stehen durch diese Reform die 35-Stunden-Woche sowie der Kündigungsschutz zur Disposition. Kündigungsgründe wie z. B. eine „notwendige Reorganisation des Betriebs“ sind nun ebenso legal wie bis zu 60 Wochenstunden Arbeit. Während sich die Unternehmerverbände die Hände reiben, kritisieren ArbeiterInnen und Gewerkschaften neben den Inhalten des Gesetzes auch die Vorgehensweise bei dessen Verabschiedung: Durch den fortwährenden Notstand konnte die Regierung die Reform ohne Abstimmung der Nationalversammlung durchpeitschen.(5) Auch von diesem Gesetz werden Frauen besonders hart getroffen, da sie diejenigen sind, die einer Mehrfachbelastung aus Lohn- und Care-Arbeit ausgesetzt sind. Die bereits geschilderte Beschäftigungssituation von Frauen ist somit nicht ausschließlich dem Angebot aus Teilzeitstellen und prekären Minijobs geschuldet.

Kindererziehung, Pflege- und Hausarbeit

Für viele Frauen ist es schlichtweg nicht möglich, in Vollzeit zu arbeiten: Frauen tragen auch weiterhin die Hauptlast bei der Versorgung von Familienangehörigen, sei es bei der Kindererziehung oder Pflege. Selbst wenn viele Paare einen anderen Lebensentwurf vorziehen würden, so ist es eine rationale Entscheidung, welche/r der PartnerInnen im Beruf kürzertritt und sich um Kinder und Pflegebedürftige kümmert.

Die materielle Basis dieser Entscheidung hängt unmittelbar damit zusammen, dass Frauen bei gleicher Tätigkeit immer noch bis zu 21 % weniger verdienen als Männer.(6) Durch steuer- und familienpolitische Maßnahmen wie Betreuungsgeld und Ehegattensplitting wird das vermeintlich „klassische“ Familienmodell mit dem Vater als Ernährer und der Mutter als Hausfrau sogar noch staatlich gefördert. Das auch als „Herdprämie“ bezeichnete Betreuungsgeld wurde Ende 2012 auf Drängen der CSU deutschlandweit eingeführt. Es subventioniert Familien, die nicht auf Kita-Angebote zurückgreifen, sondern ihre Kinder zu Hause erziehen, mit monatlich 100 bis 150 Euro. Auch nachdem das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme 2015 auf Bundesebene gekippt hat, beharrt die CSU auf deren Weiterführung zumindest in Bayern. Doch nicht nur die Union propagiert die Kernfamilie mit Vater, Mutter, Kindern als Bilderbuchmodell. Auch die RechtspopulistInnen und NationalistInnen von AfD, Front National und FPÖ beteiligen sich fleißig an einer ideologischen Verschiebung zurück zu diesem vermeintlichen Ideal. Die AfD erhebt in ihrem Programm die „Drei-Kinder-Familie“ sowie die heterosexuelle Ehe zum Leitbild und klammert wie selbstverständlich kinderlose und homosexuelle Paare aus. Diese Argumentationsweise zeigt deutlich, dass Rassismus, Sexismus und Homophobie wesentliche Elemente rechter Ideologie sind und somit nicht nur Frauen, sondern auch LGBTIA-Menschen, Geflüchtete und MigrantInnen von den geschilderten Rollbacks betroffen sind.

Ein weiteres Problem liegt in der unzureichenden Betreuungssituation für Kleinkinder. Obwohl seit 2013 ein Rechtsanspruch auf Kita-Plätze für alle Kinder bis 3 Jahre besteht, fehlen weiterhin 230.000 Plätze.(7) Das bedeutet, dass für 10 % aller Kinder in diesem Alter keine ausreichende Betreuung gewährleistet ist! Großeltern und FreundInnen können nur bedingt dauerhaft einspringen, weshalb viele Eltern vor ein existenzielles Problem gestellt werden. Wie bereits beschrieben, ist es nach wie vor meist die Frau, die ohnehin weniger verdient und sich somit für eine Teilzeitstelle entscheidet, um sich dann „nebenbei“ um Kinderbetreuung und Hausarbeit zu kümmern. Alleinerziehende sind von den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten besonders hart getroffen, da ihnen kaum eine andere Wahl bleibt, als einen Teilzeitjob oder gar verschiedene Minijobs anzunehmen. Lebensentwürfe, Arbeitszeitmodelle und Kindererziehung werden auf diese Weise zur Klassenfrage.

Kontroverse um Abtreibung

Es ist leider nicht verwunderlich, dass mit dem Erstarken reaktionärer Kräfte auch die Forderung nach dem Verbot von Abtreibung wieder in der öffentlichen Debatte auftaucht (siehe auch den Artikel zu ABTREIBUNG in dieser Zeitung). Am Beispiel des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung wird besonders deutlich, dass sowohl Klerikale wie auch Konservative in ein und dasselbe Horn blasen: die Verrohung der Sitten, „Gender-Mainstreaming“ und die Enttabuisierung von Sexualität hätten zu einer negativen Entwicklung geführt und müssten entschieden bekämpft werden. Eine längst überholte Sexualmoral und ein altbackenes Eheverständnis werden aus der Mottenkiste geholt und stellenweise bereits in Gesetze gegossen. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und eine bewusste Familienplanung werden auf diese Weise bedroht. Insbesondere in den stark katholisch geprägten EU-Staaten Spanien, Portugal, Irland und Polen herrschen durch sehr restriktive Bestimmungen ohnehin quasi Abtreibungsverbote vor.

In Spanien konnte sich die konservative Regierung 2015 trotz massiver Proteste gegen die Opposition durchsetzen und die Möglichkeiten zur legalen Abtreibung weiter eingrenzen.(8) So brauchen beispielsweise junge Frauen unter 18 die Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten. In Polen hat zuletzt eine Bürgerinitiative mit Unterstützung der polnischen Regierung eine Verschärfung der geltenden Bestimmungen, die einem Verbot gleichkommen würde, gefordert, stieß jedoch ebenfalls auf massiven Widerstand auf der Straße und im Parlament.(9) Aus Angst vor Stimmverlusten bei den nächsten Wahlen lenkte die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungspartei ein und lehnte das Vorhaben in letzter Minute doch noch ab.

US-Präsident Donald Trump löste gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein zentrales Wahlversprechen ein, indem er staatliche Fördermittel für Nichtregierungsorganisationen streichen ließ, die Abtreibungen anbieten oder unterstützen. Seit Reagans Präsidentschaft ist dieser Erlass (Mexico City Policy) zur leidigen Tradition geworden, der jedoch von Präsidenten der demokratischen Partei regelmäßig kassiert wurde. Dies trifft beispielsweise die Organisation „Planned Parenthood“, die unter der Obama-Regierung jährlich staatliche Subventionen in Höhe einer halben Milliarde US-Dollar erhielt. Damit aber nicht genug, plant Trump unter Jubel der „Pro Life“-Bewegung die Berufung eines erklärten Abtreibungsgegners und reaktionären Hardliners als Richter an den Obersten Gerichtshof. Zwar besteht in den USA grundsätzlich die Möglichkeit zur Abtreibung, allerdings ist es für Frauen häufig schwer, ihre Rechte wahrzunehmen: in fünf US-Bundesstaaten gibt es nur eine Abtreibungsklinik. In den USA greifen nicht nur Politik und Kirchen, sondern auch die Wirtschaft die bestehenden Gesetze und das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper an. So weigert sich die Baumarktkette „Hobby Lobby“ unter Berufung auf religiöse Gründe, ihren Angestellten solche Krankenversicherungen anzubieten, die Kosten für Verhütungsmittel wie z. B. die „Pille danach“ übernehmen.(10) Dieses Vorgehen wurde durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2014 explizit genehmigt.

Beim Thema Abtreibung zeigt sich exemplarisch sowohl die schleichende Erosion von ehemals hart erkämpften Frauenrechten, aber auch die Kraft, die ein Protest gegen solche Vorhaben entfalten kann. Wie für alle anderen sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse gilt: kein Recht ist in Stein gemeißelt. In Krisenzeiten vollzieht sich ein Abbau von Rechten und Standards, um die es dann erneut zu kämpfen gilt.

Der Widerstand ist weiblich!

Dass Frauen zu politischen Auseinandersetzungen und Widerstand fähig sind, wird insbesondere für angeblich rückständige Regionen oftmals infrage gestellt. Sieht man jedoch genauer hin, verkehrt sich diese Annahme in ihr Gegenteil.

Es zeigt sich nämlich, dass ausgerechnet in den Weltregionen, in denen Frauen gezwungen sind, unter erniedrigenden Bedingungen zu leben und zu arbeiten, sie es sind, die an vorderster Front für ihre Rechte kämpfen und einstehen. Das Beispiel des kurdischen Kampfes um Rojava und die Selbstverteidigung gegen den Terror des Daesch (IS) zeigt, dass sich auch Frauen zu Gruppen von Widerstandskämpferinnen formieren und ihre Forderungen erfolgreich mit denen der Männer verbinden können. Auf diese Weise kann langfristig nicht nur die Trennung auf Grund des Geschlechts überwunden, sondern auch eine weitaus größere Kampfkraft gegen Ausbeutung und Kriege entwickelt werden (siehe Artikel zu ROJAVA in der Frauenzeitung Nr. 3, März 2015). Die Lebensumstände, unter denen dies geschieht, sind oftmals geprägt von religiös-fundamentalistischen Denkweisen und Praktiken. Frauen werden nicht als bewusst handelnde Subjekte wahrgenommen, politische Aktivität wird ihnen erst recht nicht zugestanden und sich ohne Mann in der Öffentlichkeit zu zeigen, macht sie zu Freiwild. Umso mehr muss der Einsatz derer gewürdigt werden, die sich von Gewaltandrohung durch Ehemänner oder Polizei nicht abschrecken lassen.

Ein weiteres Beispiel für die Kampfkraft von Frauen gegen Unterdrückung und Entmündigung bietet der Arabische Frühling, während dessen Verlauf Frauen in der ersten Reihe beteiligt waren. Es ist allerdings Ausdruck auch der Krise der linken Führung, dass diese revolutionären Umwälzungen nicht von Dauer waren und sich die Konterrevolution Bahn brechen konnte. In diesem Zuge haben sich die Lebensbedingungen von Frauen in den betroffenen Ländern massiv verschlechtert. Die Politik der nun eingesetzten islamistischen Regime ist für die dort lebenden Frauen mit Repression und Einschränkung der neu errungenen Freiheiten verbunden. So sind Frauen, die sich ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen, der Gefahr von Vergewaltigungen ausgesetzt. Sexuelle Übergriffe auf Frauen und Mädchen sind dabei nicht nur im arabischen Raum, sondern auch im Nahen und Mittleren Osten an der Tagesordnung. Eine Aussicht auf Strafverfolgung der Täter besteht nicht. Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Versuche westlicher Staaten bewertet werden, die in diesen Weltregionen zur Schulbildung von Mädchen und Frauen beitragen wollen. Die am besten ausgestatteten Schulen nutzen wenig, wenn der tägliche Weg dorthin durch patriarchale und religiöse Traditionen versperrt ist und einem Martyrium gleichkommt.

Gewalt gegen Frauen ist neben den bereits geschilderten Belastungen durch Lohn- und Care-Arbeit ein großes Problem, dem Frauen, aber auch Kinder ausgesetzt sind, die darunter physisch wie psychisch leiden. Ideologischer Extremismus, der im Zuge von Konterrevolution, Wirtschaftskrise und Kriegen an Boden gewinnt, ist Antreiber für die Verschärfung dieser Problematik im Gefolge dieser reaktionären Entwicklungen.

Neben den revolutionären Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre sind Frauen auch vermehrt an Arbeitskämpfen und Streiks beteiligt. In den halbkolonialen Ländern sind durch die Globalisierung einerseits neue Möglichkeiten für Frauen, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, entstanden. Viele dieser Tätigkeiten sind jedoch in den meisten Fällen um ein Vielfaches schlechter bezahlt als die der Männer, von den Arbeitsbedingungen im internationalen Vergleich ganz zu schweigen. Vor allem in der Textilindustrie arbeiten Frauen unter miserablen Bedingungen zu Hungerlöhnen und auf Provisionsbasis: ein willkürliches System der Entlohnung, gegen das jede Frau für sich alleine nur wenig ausrichten könnte. Dennoch erheben Frauen ihre Stimmen für besseren Arbeitsschutz, Entlohnung von Überstunden und höhere Löhne. Dies hat auch Auswirkungen auf ihre Organisierung, die bei wachsender Zahl weiblicher Arbeitskräfte notwendiger wird denn je. Ein Ansatz zur Organisierung liegt dort in der sogenannten „Home-based Workers‘ Union“, die aktuell in Pakistan aufgebaut wird (siehe auch Artikel zu PAKISTAN in dieser Zeitung). Auch kann, wie sich ansatzweise bereits in den revolutionären Kämpfen gezeigt hat, die Geschlechterkluft überbrückt werden, indem patriarchale und sexistische Verhaltensweisen aufgedeckt und infrage gestellt werden. Die hier aufgeführten Beispiele lassen sich auch auf weitere Gruppen übertragen, die ihrerseits von Unterdrückung betroffen sind, wie z. B. LGBTIA-Menschen, MigrantInnen und Geflüchtete. Ihre Forderungen müssen langfristig mit den Kämpfen von Frauen verbunden werden.

Weitere ermutigende Beispiele von Frauenkämpfen aus der jüngsten Zeit fanden in Großbritannien, Island und Argentinien statt. Im Oktober 2016 stimmten 93 % der Gewerkschaftsmitglieder in Durham County (Großbritannien) für Streikmaßnahmen der LehrassistentInnen gegen neue Verträge, die ihnen der Gemeinderat „bescheren“ wollte. Sie sahen kürzere Beschäftigungszeiten, mehr Wochenarbeitsstunden und bis zu 23 % schlechtere Bezahlung vor. Seit Juni 2016 waren ihre KollegInnen in Derby bereits an 5 Tagen in den Ausstand getreten. Die LehrassistentInnen sind überwiegend weiblich. Die von der Tory-Regierung erlassenen Kürzungen der öffentlichen Haushalte werden oft genug auch von Labor-Gemeinderäten umgesetzt und tragen zur weiteren Benachteiligung von Frauen, die sowieso schon weniger Lohn (18 %) als ihre männlichen Kollegen erhalten, bei.

In Island verließen Ende Oktober 2016 Frauen um 14:38 Uhr ihre Arbeitsplätze, um gegen die geschlechtsspezifische Lohn- und Gehaltslücke von 14 % zu protestieren. Sie hat sich seit 2005, als die ArbeiterInnen und weiblichen Angestellten ihre Arbeit am gleichen Tag um 14:08 Uhr niederlegten, kaum geschlossen.

Am 19. Oktober 2016 protestierten zahlreiche Frauen in Argentinien gegen den vorläufigen Höhepunkt einer Reihe von sog. Ehrenmorden, allein 19 in 18 Tagen vor dem Protest. Diesmal war eine 16-Jährige unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und gefoltert worden. 2015 kam es aus ähnlichem Anlass zur Versammlung von 300.000 Menschen in Buenos Aires. In ganz Lateinamerika gingen Frauen 2016 am sog. Schwarzen Mittwoch auf die Straße, um gegen Morde an Frauen und Mädchen Flagge zu zeigen.(11)

Ausblick

Eine zentrale Forderung betrifft die Durchbrechung der Mehrfachbelastung. Frauen leisten immer noch den Großteil unbezahlter Reproduktionsarbeit in Form von Kindererziehung und Altenpflege. Aus klassenkämpferischer Sicht ist es jedoch ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, sich um derartige Arbeiten zu kümmern. Solange unbezahlte Erziehungs- und Pflegearbeit im Unterschied zur Lohnarbeit keinen Wert und damit auch Mehrwert schafft, kann eine Gleichstellung der Frau nicht gelingen. Aus einer fortschrittlichen sozialistischen Perspektive kann also nur die Vergesellschaftung dieser unbezahlten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit die Antwort sein. Dies bezieht explizit die Männer bzw. Väter sowie die Gesellschaft als Ganzes mit ein, da es sich bei Erziehung, Pflege und sonstiger Reproduktionsarbeit wie Kochen und Waschen um gemeinschaftliche Aufgaben handelt.

Wir treten ein für ein umfassendes Angebot vollständiger Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit und ihre Verteilung auf alle Geschlechter. Die soziale Elternschaft und Angehörigenfürsorge ist unser Ziel. Der ArbeiterInnenstaat bzw. ArbeiterInnen- und Ba(e)uerInnenstaat soll nach und nach die Familie, die Fürsorge durch Verwandte und FreundInnen ersetzen, auf alle Schultern verteilen. Die kommunistische Gesellschaft wird sich dadurch auszeichnen, dass sie alle ihre Mitglieder, auch Alte, Kinder und Kranke materiell besser versorgt als die alte, aber auch emotional, psychisch, gesundheitlich und intellektuell die Menschheit weiterbringt, als Eltern, Angehörige und Familie dies konnten. In letzterem Sinn wird vieles von dem, was in der bürgerlichen Gesellschaft als Privatsache galt, zur öffentlichen Angelegenheit erster Güte. Für öffentliche und kostenlose Wäschereien, Kantinen und Reinigungsdienste und wohnortnahe Pflegeeinrichtungen! Für neue, alle Generationen übergreifende Formen des Zusammenlebens und ihre Berücksichtigung bei Wohnbauten in Stadt und Land!

Wir treten für eine multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein, für das Recht auf gesonderte Treffen der Frauen, sexuell, rassistisch und national Unterdrückten sowie der Jugendlichen in ArbeiterInnenparteien, -organisationen und Gewerkschaften! Für kollektive Selbstverteidigungsorganisationen und die Pflicht auch der Erwachsenen, Männer und Heterosexuellen zur Teilnahme an ihnen!

International zeigt sich zudem, dass die von Frauen angeführten Kämpfe vielfältig sind und nicht nur Frauen, sondern allen Unterdrückten weltweit Mut geben sollen, dass Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse möglich und notwendig ist.

All die Arbeitskämpfe, Streiks und der organisierte Widerstand gegen Krieg und Ausbeutung bedürfen jedoch einer sozialistischen und revolutionären Perspektive, da Sozialismus ohne Frauenbefreiung ebenso undenkbar ist wie eine vollständige Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

 

Endnoten

(1) DESTATIS – Statistisches Bundesamt (2014): Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland deutlich über EU-Durchschnitt, online unter www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/ 2014/03/PD14_082_132.html

(2) DESTATIS – Statistisches Bundesamt (2015): Frauen EU-weit häufiger als Männer von Altersarmut betroffen, online unter www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/ SozialesLebensbedingungen/Altersarmut.html

(3) NEUES DEUTSCHLAND, 9. Februar 2017

(4) ZEIT ONLINE (2015): Öffentlicher Dienst: Erzieherinnen lehnen Kita-Schlichterspruch ab, online unter www.zeit.de/wirtschaft/2015-08/verdi-gew-kita-streik-tarifstreit

(5) Netzpolitik.org (2016): Frankreich: Wenn der Notstand zur Normalität wird, online unter www.netzpolitik.org/2016/frankreich-wenn-der-notstand-zur-normalitaet-wird/

(6) Süddeutsche Zeitung (2016): Gehalt: Männer verdienen ein Fünftel mehr als Frauen, online unter www.sueddeutsche.de/karriere/gehalt-maenner-verdienen-ein-fuenftel-mehr-als-frauen-1.2888270

(7) ZDF Heute (2016): Studie: Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze, online unter www.heute.de/trotz-rechtsanspruch-fehlen-bundesweit-228.000-kita-plaetze-46216356.html

(8) Der Standard (AT) (2015): Spanien beschließt neuerliche Verschärfung, online unter www.derstandard.at/2000017373063/Spanien-beschliesst-neuerliche-Verschaerfung

(9) ZEIT Online (2016): Polnisches Parlament lehnt Abtreibungsverbot ab, online unter www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/polnisches-parlament-lehnt-abtreibungsverbot-ab

(10) The New York Times Magazine (2014): What the Hobby Lobby Ruling Means for America, online unter www.nytimes.com/2014/07/27/magazine/what-the-hobby-lobby-ruling-means-for-america.html?_r=0

(11) The Red Flag, Issue 8, November 2016




Geschichte – Können Frauen kämpfen?

Avenita Holzer, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Aber natürlich! Arbeitsrechte wurden erkämpft, Wahlrechte ebenfalls. Trotzdem zweifeln heuteimmer noch einige Menschen daran, dass Frauen fähig sind ihre Kämpfe selbst zu führen. Das entspricht in keinem Fall der Wahrheit. Sowie bei Kämpfen für Frauenrechte genug solidarische Einbindung von Männern passieren muss, sind Frauen bei Arbeitskämpfen, als  (meist doppelt) Ausgebeutete, zumeist an vorderster Front dabei.

Frauen abzusprechen in Kämpfen aktiv sein zu können, sie ständig in die Opferrolle zu drängen und sie damit vom Subjekt zum Objekt zu machen, ist etwas, dass in den verschiedensten Formen vorkommt. Ob nun bei Rechten, die Frauen am liebsten vor dem Herd in der Küche anketten wollen, manchen bürgerlichen Feminist*innen wie Alice Schwarzer, die gerade muslimischen oder osteuropäischen Frauen absprechen wollen, eigenständig zu kämpfen, oder sogar bei machen Linken. Dabei beweisen die neuen Ereignisse Tag für Tag, welche Rolle Frauen wirklich in Bewegungen spielen: ob nun beim Arabischen Frühling, im Kampf gegen den Daesch oder dem Widerstand gegen Trump. Am Beispiel der Februarrevolution in Russland, die dieses Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum feiert, wollen wir dies nochmal aufschlüsseln.

Wenn von der russischen Revolution gesprochen wird, fallen einem der Sturm aufs Winterpalais, die Verhaftung der provisorischen Regierung und die Aprilthesen ein – falls man sich überhaupt gut damit auskennt. Aber dass der eigentliche Prozess dieser russischen Revolution viel länger war, ja eigentlich den Anfang mit der Revolution 1905 und dem Petersburger Blutsonntag nahm, wird oft nur nebenbei erwähnt. Erfolgreich waren diese Aufstände zwar nicht, aber trotzdem haben sie für die damaligen Revolutionär*innen viele Lehren enthalten, auch in Bezug auf das Potenzial von Frauen. Deshalb muss auch auf die Ereignisse im Februar 1917 ein besonderes Augenmerk gelegt werden, wenn die Oktoberrevolution verstanden werden soll.

Das Jahr 1917 zeichnete sich vermutlich am meisten durch den Krieg aus. Seit 1914 herrschte der 1. Weltkrieg und das wirtschaftlich schwache Russland war quasi am Ende. Die Menschen waren unzufrieden mit ihrer Situation, Nahrungsmittel waren knapp und Streiks begannen, trotz der vorhergegangenen Burgfriedenspolitik wieder aufzuflammen. Auch wurde in der Duma (quasi ein Parlament, das als Zugeständnis nach den Protesten 1905 diente, aber de facto keine Entscheidungsgewalt hatte) ein radikalerer Kurs eingeschlagen und die Menschen konnten mit ihren derzeitigen Lebensgrundlagen nicht mehr viel anfangen.

Die tatsächliche Revolution, die aus eben diesen Missständen entflammte, begann in Petrograd, mit den Industriearbeiter*innen der Stadt. Am 23. Februar nach dem in Russland geltenden julianischen Kalender (in Mittel- und Westeuropa der 8. März nach dem dort gültigen gregorianischen Datum) – dem internationalen Frauenkampftag –begann ein Streik, der für das [bis dahin] zaristische System der Todesstoß sein sollte. An diesem Tag fandenim Arbeiter*innen- und Industriebezirk Wyborg einige Treffen in Textilfabriken statt, die sich speziell an Frauen richteten und ihre Ausbeutung im Verhältnis zum Krieg thematisierten. Auf diesen Treffen kochte der Zorn über, Arbeiter*innen stimmten für Streik und setzten Worte gleich in Taten um. Sie gingen von Fabrik zu Fabrik, um die Arbeiter*innen auf die Straßen zu bekommen. Gegen Mittag waren es schon 50.000 Streikende aus 21 Betrieben. Am Ende des Tages waren 20-30 % der Arbeiter*innen im Streik. Damit aber war die Sache nicht erledigt, der Kampfgeist nicht aufgebraucht. Die Revolte ebbte nicht ab, die Armee erwies sich als ohnmächtig, insbesondere deshalb, weil die Masse die Soldaten aufforderte sich ihnen anzuschließen. Insbesondere auf das Drängen der Soldatenfrauen befolgten auch einfache Soldaten zu einer nicht unbeträchtlichen Zahl diesen Aufruf.

Somit zeigt sich: die Rolle der Frauen in der Februarrevolution ist besonders herauszuheben. Obwohl alle sozialistischen Parteien nicht zum Streik aufgerufen hatten, ergriffen die Frauen die Initiative, holten andere Arbeiter mit ins Boot und schafften es auch, Teile der Soldaten für sich zu gewinnen. Die Frauen von Petrograd hinterließen einen solchen Eindruck, dass sie nicht einmal von dieser Geschichtsschreibung totgeschwiegen werden konnten. Denn besonders in der bürgerlichen Gesellschaft scheint Geschichte oftmals so, als ob nur weiße Männer eine relevante Rolle gespielt haben. „Geschichtsschreibung ist männlich“ ist ein Satz, der einem immer wieder an den Kopf geworfen wird und bis zu einem gewissen Grad auch berechtigt ist. Denn Jahrtausende von Unterdrückung sind nichts, was nicht auch auf die Geschichte einen maßgeblichen Einfluss hat.

Abgesehen von diesem Kapitel der Geschichte, welches allein schon ausreicht, um das selbstbestimmte und kämpferische Handeln von Frauen belegen zu können, finden sich viele weitere Versuche und erfolgreiche Revolten in den gesellschaftlichen Klassenkämpfen. Ein Beispiel dafür wären die Suffragetten-Bewegung in England oder die Bestrebungen Clara Zetkins in Deutschland, die sich um das Wahlrecht für Frauen bemühten. Anzumerken ist hierbei, dass Zetkin diese Kämpfe nie isoliert von der Arbeiter*innenklasse, sondern mit ihr führen wollte, während die Suffragetten-Bewegung vorwiegend von bürgerlichen Frauen dominiert wurde.

Auch heute sieht man bei Protesten, wie in Polen und den USA gegen frauenfeindliche Politik die Kräfte mobilisiert werden. Doch um dauerhaft die Gefahr der Rechtspopulist*innen, die Frauenrechte einschränken wollen, aufzuhalten, braucht es mehr als kurzzeitige Proteste. Sie sind wichtig, dochohne Perspektive setzen sie nur ein Statement und verebben dann wieder,ohne dauerhaft gesellschaftliche Veränderung bezweckt zu haben. Es ist eine Illusion zu glauben, man könnte nur Schritt für Schritt zu Verbesserungen kommen oder Sexismus in dieser Gesellschaft auflösen. Deshalb müssen, wie auch in der Vergangenheit, die Kämpfe für die Verbesserung der Situation der Frau mit dem für einen wirtschaftlichen und politischen Umbruch verbunden werden, wie uns das Beispiel der Februarrevolution gezeigt hat. Denn alleine sind wir wesentlich weniger stark als gemeinsam!




Frauen – Antirassismus in Deutschland und Österreich

Avenita Holzer, Frauenzeitung ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2017

Was unsere momentane Zeit am besten zu beschreiben scheint, ist das Wort: „Rechtsruck“. Es wird auch in den Medien, Debatten und Gesprächen verwendet, so dass es aus unserer Analyse der gesellschaftlichen Umstände nicht weggedacht werden kann. Es trifft die Situation auch eigentlich recht gut. „Plötzlich“ scheinen die rechten Parteien die Situation gut ausnutzen zu können, werden gewählt und geben den vorherrschenden Ton an. Wenn es noch Zweifel daran gab, müssen diese jedoch spätestens seit der Wahl Trumps zerstreut worden sein. Aber nicht nur in den USA, auch hier vor unserer Haustür können wir eine Veränderung beobachten.

In Österreich und Deutschland sind die rechtspopulistischen, nationalistischen, frauenfeindlichen und rassistischen Parteien auf dem Vormarsch: ein Phänomen, das in ganz Europa, ja sogar global zu beobachten ist. In Deutschland eilt die AfD seit zwei Jahren voran. Bei verschiedenen Landtagswahlen hat sie es überall zweistellig ins Parlament geschafft und kann ihren Vorteil der Opposition recht gut ausschöpfen. In Österreich stellt die Freiheitliche Partei (FPÖ) schon eine etablierte Kandidatin dar, die esjedoch durch die allgemeine Verschiebung nach rechts wieder geschafft hat, vermehrt in die öffentliche Aufmerksamkeit zu treten. Diese „allgemeine Verschiebung nach rechts“ hat aber eben nicht nur Einfluss auf Geflüchtete und Migrant*innen, sondern ganz konkret auf die Lebensrealität von uns allen. Die Gewalttaten in Deutschland, die an Geflüchteten und auf deren Unterkünfte begangen werden, sowie rechte Mobilisierungen steigen seit 2014 dauernd an, ebenso Angriffe auf linke Aktivist*innen und Strukturen. Im Gegensatz dazu scheinen die linken Gegenbewegungen dauernd abzunehmen. So war zwar genug Potenzial da, um Bündnisse ins Leben zu rufen, die sich gegen Rassismus stark machen und,es gab dazu auch einige Versuche,doch nahm deren Bedeutung auch sehr rasch wieder ab. Es scheint tatsächlich so, als wären Antirassist*innen einer hoffnungslosen Situation ausgesetzt, in der es fast unmöglich ist,gegen den gesellschaftlichen Trend anzukommen. Auch in Österreich verliefen die antirassistischen Bewegungen zumeist im Sand, obwohl ähnlich wie in Deutschland der Beginn sehr hoffnungsvoll gewirkt hatte. Menschen organisierten Flüchtlingshilfe oder unterstützten sie, wo sie nur konnten. Auch große Refugee-Demonstrationen, die für Österreich eher eine Seltenheit sind, konnten organisiert werden. Aber selbst diese Stimmung konnte sich nicht allzu lang halten. Der zunehmende staatliche Rassismus setzte genau in diesem Moment ein. GegenObergrenzen und „Integrationspakete“, die von Kopftuchverbot und 1-Euro-Jobs für Flüchtlinge sprechen, konnte nur noch mit Müh und Not überhaupt eine Opposition auf die Straße gebracht werden. Vor allem im Rahmen der Bundespräsidentschaftswahl hat sich das Klima nochmal merkbar zugespitzt.

Dieser Rechtsruck impliziert viele gesellschaftliche Veränderungen, die in ihrer Heftigkeit vor allem Menschen betreffen, die aufgrund von ihren Umständen ohnehin schon genug Diskriminierung ausgesetzt sind. Die Rede ist von Migrant*innen, Flüchtlingen, Frauen und LGBTIAs. Vor allem Menschen, die mehrere dieser Kriterien erfüllen, scheinen momentan (auch im Kontext des Erstarkens des antimuslimischen Rassismus) nicht mehr willkommen zu sein in der ach so offenherzigen, abendländischen Kultur.

Vor allem die sogenannte „Salonfähigkeit“ rechter Ideologien unterstützt diese gesellschaftliche Wandlung. Unter Arbeiter*innen haben sowohl AfD als auch FPÖ enorme Zugewinne verbuchen können. Die soziale Unsicherheit, die seit der Krise 2008 einfach nicht abzuschütteln ist und mit Sparpaketen und Agenda 2010 auf den Rücken des Proletariats abgeladen wurde, spielt den Rechten in die Hände. Denn im Gegensatz zu den etablierten Parteien sprechen diese an, dass etwas schiefläuft. Aber anstatt einer antikapitalistischen Kritik bringen sie rassistische Vorurteile ins Spiel, denn im Unterschied zu den etablierten Parteien sagen sie zumindest, dass etwas nicht stimmt, auch wenn ihr Feindbild einer als typisch dargestellten migrantischen Person muslimischen Glaubens, die angeblich zeitgleich das Sozialsystem ausbeute und den Einheimischen „Arbeitsplätze wegnehme“, nicht der Wahrheit entspricht. Im Zuge dessen gehen etablierte Parteien nach rechts und bieten keine klare linke Alternative. Gleichzeitig sehen wir, dass nicht nur in Bezug auf Geflüchtete gehetzt wird, sondern wie ein reaktionäres, widersprüchliches Frauenbild Einzug in die Köpfe hält. Auf der einen Seite sollen die „Kampfemanzen“ einen Gang zurückschalten, Gleichberechtigung sei ja schon erkämpft und solche „Nebensächlichkeiten“ wie ungleiche Bezahlung oder sexualisierte Gewalt seien ja wirklich nicht so schlimm, als dass sie thematisiert werden müssten. Auf der anderen Seite müssen „unsere“ Frauenrechte gegen den „bösen Islam“ verteidigt werden, der Frauen nicht nur als minderwertig ansieht, sondern sie auch noch zwingt, sich zu verschleiern, was ja nun wirklich eines der am heftigsten diskriminierenden Sachen ist, die man einem weiblichen Wesen antun kann. So ließ die Debatte rund um die Kölner Silvesternacht viele Stimmen von rechts plötzlich einen bis dahin unbekannten pseudofeministischen Unterton annehmen. Für „unsere“ Frauen, gegen den reaktionären Islam und übergriffige Flüchtlinge (also alle). Dass dabei außer Acht gelassen wird, wie diskriminierend und einschränkend die Vorstellung des Familienbildes allein in Europa für Frauen ist und welche Heuchelei eigentlich dahintersteht, sich selbst als Befürworter*in der Gleichstellung hinzustellen, wo doch jede kleine Verbesserung in diese Richtung bis aufs Blut erkämpft werden musste, ist typisch für diese abendländische Kultur. Frei nach der Devise: ziemlich scheiße, aber alle anderen sind trotzdem schlimmer. Und scheiße ist ja relativ. Die Thematik des Islam ist aber nicht nur auf der europäischen Welt eine heiße Kartoffel.

Unter Trump werden in Amerika Einreisebeschränkungen versucht durchzusetzen, die auf Kriegs- und Krisenländer, aber auch solche mit großer islamischer Religionsgemeinde ausgeweitet sind. Während in positiver Weise das auf Empörung bei vielen stößt, wird allerdings oftmals vergessen, dass auch um Europa eine Mauer steht: vermutlich, weil dieser Prozess ein längerer war, ein Staatenblock immer noch etwas anderes als ein einzelnes Land ist, weil deren rassistische Implikation mehr durch ihre „Notwendigkeit“ in Kauf genommen wird und sie nicht im unmittelbaren Widerspruch zu größeren Kapitalinteressen steht, solange man sich innerhalb der EU noch frei bewegen kann.

Aber nicht nur das: unter dem Tarnmantel des Rassismus versuchen die rechten Populist*innen, wie oben erwähnt, Frauenrechte für ihren Rassismus zu nutzen. Zeitgleich greifen sie diese aber an. Auswirkungen des Rechtsrucks sind für Frauen direkt spürbar, so zum Beispiel in Polen, wo das bereits sehr einschränkende Abtreibungs„recht“ noch verschlimmert hätte werden sollen unter der rechtsnationalistischen PiS, die einem Begehren der katholischen Kirche bezüglich mehr Restriktionen fast nachgegeben hätte, wären die Proteste von Frauen nicht zu zahlreich gewesen.

In Österreich steht nun ein tatsächliches Verschleierungsverbot an. Der Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz von der Volkspartei behandelt diese Idee seit jeher wie sein eigenes Kind und hält sie für einen wichtigen Bestandteil der Integration von Muslim*innen in die österreichische Gesellschaft. Dass hier klar eine Zwangsassimilation im Vordergrund steht und ganz offensichtlich und mit voller juristischer Bestätigung ein Zurückdrängen ohnehin meist mehr als doppelt diskriminierter muslimischer Frauen aus dem öffentlichen Leben in Kauf genommen wird, scheint gar nicht mehr Thema zu sein, zumindest nicht in der Regierung – die linken Stimmen dazu sind auch kaum zu hören. Bisher „nur“ auf das Tragen der Burka beschränkt, bietet dieser juristisch legitimierte Schritt viel Platz nach oben, was weitere Einschränkungen angeht.

Spätestens seit der Silvesternacht 2015 versuchen die Rechtspopulist*innen sich als die Verteidiger*innen der europäischen Frauen aufzuspielen und vertreten dabei oft erzkonservative Frauen- und Familienbilder. Gleichzeitig wurde damit auch ein Kopftuch- bzw. ein Verschleierungsverbot diskutiert, das nicht nur rassistisch gegenüber Muslima ist, sondern auch eine sexistische Komponente beinhaltet, weil es einerseits Frauen, die solche Kleidung freiwillig tragen, das Recht abspricht zu entscheiden, was sie tragen wollen, und andererseits Frauen, die gezwungen werden, solche Kleidung zu tragen, weiter aus der Öffentlichkeit verbannt.

Frauen, die von ihren Männern beziehungsweise ihrer Familie gezwungen werden, sich zu verschleiern, werden bei einem Verschleierungsverbot wohl gezwungen sein, die eigenen vier Wände gar nicht mehr oder nur noch in Begleitung zu verlassen. Auch das in Österreich diskutierte (und teilweise geplante) Verbot von Kopftüchern im öffentlichen Dienst schlägt in eine ähnliche Kerbe. Frauen, denen ein Kopftuch wichtig ist oder die gezwungen sind es zu tragen, werden somit aus dem öffentlichen Dienst (in dem sie ohnehin unterrepräsentiert sind) verbannt.

Doch was sollen wir jetzt tun? Die Masse scheint zäh und langsam, das Potenzial einer antirassistischen, antisexistischen Bewegung in Österreich oder Deutschland kaum existent. Doch kein Widerstand ist auch keine Lösung. Wir müssen die Anliegen der Frauen und Migrant*innen hören, ernstnehmen und aufzeigen, wie ähnlich sie sich eigentlich sind. In diese bürgerliche Regierung, die nur aktiv gegen sie zu arbeiten scheint, ist doch keine Hoffnung mehr zu setzen. Ein Beispiel dafür war eine Demonstration in Wien gegen das Verschleierungsverbot, gemeinsam organisiert von dezidiert linken und muslimischen Kräften, die sich für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einsetzten. Hier sah man, wie ohne viel Ankündigung wieder Menschen auf die Straße gebracht werden konnten, Potenzial ist also noch vorhanden.

Daran muss angeknüpft werden. Wir brauchen eine antirassistische Bewegung, die sich gegen den Rechtsruck stellt, bestehend aus den Organisationen der Arbeiter*innenklasse, Jugendlichen und Geflüchtetenstrukturen. Diese brauchen klare Forderungen, die nicht nur die weiteren Angriffe abwehren, sondern auch für ihre eigenen Rechte kämpfen. Das heißt konkret, dass antirassistische Forderungen sowohl mit antisexistischen als auch mit der „sozialen Frage“ verbunden werden müssen. Beispielweise stehen wir dafür ein, dass Geflüchtete in die Gewerkschaften aufgenommen werden, damit sie zusammen mit bereits Arbeitenden gegen eine Spaltung untereinander, für das Recht auf Arbeit und einen gemeinsamen Mindestlohn kämpfen können. Diese Forderung kann man mit der Notwendigkeit von antirassistischen sowie antisexistischen Schutzräumen, also Caucussen (Recht auf gesonderte Treffen von sozial Unterdrückten wie z. B. Frauen) in den Gewerkschaften verbinden. Ein weiterer Aspekt wäre die Frage nach Wohnraum. Während Geflüchtete oftmals in Lager abgeschoben werden, ist es für Arbeiter*innen, besonders für alleinerziehende Mütter und Jugendliche, schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Deswegen sagen wir: Nein zu Lagern! Für eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten, für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und die Enteignung von Spekulationsobjekten oder leerstehenden Wohnungen!

Neben diesen Forderungen müssen wir auch klar für Selbstverteidigung und politische Aktion von diskriminierten Gruppen eintreten. Vor allem in Deutschland, wo rechtsradikale Bürgerwehren oder ähnliches eine Realität sind, können wir die Straße nicht einfach so hergeben. Frauen, Migrant*innen und Arbeiter*innen müssen sich selbst organisieren, lernen sich zu verteidigen und so auch für Konfrontationen gewappnet sein. Es ist mehr als klar, dass der Staat mit seiner rassistischen und frauenfeindlichen Politik diese Hilfe nicht bietet.

Schlussendlich machen wir uns für offene Grenzen stark. Sei es Trump oder die EU: eine Abschottungspolitik, die eine Abwehr von Flüchtlingen darstellt, stellt nicht nur die einfachsten Menschenrechte in Frage, nein, sie tötet auch. Wir müssen legale Fluchtrouten schaffen und uns von dem „Das Boot ist voll“-Gedanken trennen. Nur wenn wir die Initiative ergreifen und gemeinsam für unsere Rechte kämpfen, können wir gegen den Rechtsruck, der uns alle betrifft, vorgehen. Wenn wir uns jetzt nicht für die Rechte von Geflüchteten und Frauen einsetzen, wann dann?




Reproduktionsrechte – Nein zur Verschärfung von Abtreibungsgesetzen!

Svea Hualidu, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Im September letzten Jahres sollten Polens Abtreibungsgesetze stark verschärft werden. Auslöser dafür war eine Bürgerinitiative von Ordo Iuris, einer „Lebensschutz“organisation, welche eine 5-jährige Haftstrafe für Abtreibungen forderte. Zudem sollte es auch ein Verbot der „Pille danach“ geben, und auch bei Vergewaltigungen oder Lebensgefahr des Kindes sollte das Gesetz gelten. Polen, welches damals schon die strengsten Abtreibungsregeln in ganz Europa hatte, wird seit 2015 von der rechtspopulistischen Partei PiS regiert. Diese unterstützte die Bürgerinitiative zu Anfang.

Als jedoch zum sogenannten „schwarzen Protest“ mehr als 100.000 Menschen gegen das Gesetz protestierten und viele Frauen dafür die Arbeit niederlegten, sprach sie sich bei der Abstimmung dagegen aus. Dies passierte jedoch nicht aus einem spontanen antisexistischen Bewusstsein, sondern um laut eigener Aussage ihre Chancen bei der kommenden Wahl zu verbessern. Zudem soll es trotz der Gesetzesablehnung ab diesem Jahr ein Hilfsprogramm für Mütter geben, welche sich trotz einer „schwierigen Schwangerschaft“ für die Kinder entscheiden. Eine Infokampagne für den „Schutz des Lebens“ ist ebenfalls vorgesehen. Somit haben Frauen, die aus den verschiedensten Gründen und oftmals auch nicht freiwillig schwanger geworden sind, nur scheinbar die Wahl, ob sie ihr Kind behalten oder nicht.

Doch nicht nur in Polen wird um das Recht auf Abtreibung gekämpft. Auch in Spanien gibt es seit einigen Jahren immer wieder Proteste auf Grund von Gesetzesverschärfungen. 2013 sollte dort von Seiten der konservativen Regierung aus der Schwangerschaftsabbruch wieder als Delikt eingeführt werden. Somit wäre eine Abtreibung, ähnlich wie in Polen, nur unter der Bedingung möglich, wenn das Leben von Kind oder Mutter gefährdet ist. Als am 8. März, dem internationalen Frauenkampftag, jedoch ebenfalls tausende Spanier_Innen auf die Straße gingen, um für die körperliche Selbstbestimmung der Frauen einzustehen, löste das eine heftige Debatte im Parlament aus. Verknüpft mit weiteren Streiks auf Grund einer neuen Arbeitsreform, die ebenfalls eingeführt werden sollte, entschied sich Ministerpräsident Rajoy gegen das vollständige Gesetz. Trotzdem dürfen seit 2015 Mädchen unter 18 Jahren keine Abtreibungen mehr ohne die Erlaubnis ihrer Eltern vornehmen. Daraus lässt sich erahnen, dass auch dieser Versuch zur Einschränkung von Frauenrechten nicht der letzte gewesen sein wird.

Wenn Abtreibung also nicht erlaubt ist, müssen sich diese Frauen oftmals alternative Möglichkeiten suchen. Beispielsweise reisen sie in andere Länder, um dort Abtreibungen vornehmen zu lassen. Da jedoch sogar diese Möglichkeit nicht immer gegeben ist, sterben jährlich viele Frauen bei Eingriffen, welche sie selbst vornehmen oder unter schlechtesten Bedingungen von Amateur_Innen bekommen, den sog. Engelmacher_Innen.

Auch in den USA steht ein Kampf um die Abtreibungsgesetze an. Trump trat bereits seine Kandidatur mit der Ankündigung an, die Gesetze dahingehend zu verschärfen. 5 Tage nach seinem Amtsantritt unterschrieb er dann ein Dekret, welches Finanzhilfen für Nichtregierungsorganisationen verbietet, die Abtreibungen unterstützen. Dieses Gesetz gab es bereits unter den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush.

Einen Tag später fand der „Women’s March“ statt. Hierbei versammelten sich über 500.000 Menschen in Washington, um gegen Trump zu demonstrieren. Sie forderten unter anderem die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung sowie gleiche Bezahlung für Männer und Frauen. Aber nicht nur in Amerika fanden Proteste statt, weltweit gab es 670 Demonstrationen mit 2 Millionen Teilnehmer_Innen.

Aktuelle Lage in Deutschland

Wenn es auch oftmals anders scheint, in Deutschland sieht die Rechtslage in Bezug auf Abtreibungen auch nicht viel besser aus. Laut Paragraph 218 im Strafgesetzbuch ist ein Schwangerschaftsabbruch nämlich dann schon illegal, wenn frau a) eine Frist von 12 Wochen überschreitet und b) sich vorher keiner vermeintlich neutralen Beratung unterzieht.  Oftmals sind diese jedoch kirchlich geprägt und versuchen somit, Frauen eher von einem Schwangerschaftsabbruch abzuraten. Zudem händigen sie immer wieder keine Beratungsscheine aus, wenn das Ergebnis für sie nicht zufriedenstellend ist. Wenn solch eine Beratung nicht stattfindet und trotzdem eine Abtreibung vorgenommen wird, kann das bis zu 5 Jahre Gefängnis für die schwangere Frau oder den/die Arzt/Ärztin bedeuten.

Ein weiteres Druckmittel ist der jährlich stattfindende „Marsch für das Leben“, welchen es mittlerweile in Deutschland, den USA, Frankreich, der Schweiz, Peru und Polen gibt. Hierbei ziehen tausende Menschen schweigend und mit Kreuzen in der Hand durch die Stadt und fordern unter anderem ein generelles Verbot von Abtreibungen. Die Modelle von ungeborenen Föten, welche sie dabei hochhalten, sollen Frauen ein noch schlechteres Gewissen machen, als diese oftmals sowieso schon haben.

Hintergründe

All diesen Beispielen ist jedoch etwas gemeinsam: Frauen wird das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper genommen und damit ein Großteil ihrer Unabhängigkeit vom Mann. Männer beispielsweise sind nicht gezwungen, Vaterschaftsurlaub zu nehmen, Frauen müssen hingegen die ersten Monate nach der Geburt zu Hause bleiben. Solange sind sie auf staatliche Unterstützung oder die ihres Partners angewiesen. Wenn sie dann überhaupt wieder in die Arbeitswelt zurückkehren, ist es meist schwierig, für sie überhaupt einen Job zu bekommen, sobald sie erwähnen, dass sie Kinder haben.

Bei Abtreibungen jedoch entscheiden festgeschriebene Gesetze hierbei pauschal über Einzelfälle, statt den Betroffenen selbst die Möglichkeit zu geben, für sie angemessen mit der Situation umzugehen. Dabei kann durchaus eine Entscheidung für einen Abbruch die bessere für Frau und Kind sein.

Das Abtreibungsgesetz ist bereits seit 1871 gültig, es existiert aber in modifizierter Form bis heute. Abtreibungsgesetze sind reaktionär, mit dem Ziel, die bürgerliche Familie aufrechtzuerhalten und Frauen aus der Produktion auszuschließen. Aus diesem Grund haben es sich gerade Rechts-Populist_Innen zum Ziel gesetzt, Abtreibungsgesetze gänzlich abzuschaffen. Die Tatsache, dass diese Gesetze noch weltweit existieren, zeigt daher, dass der Kampf um Selbstbestimmung international geführt werden muss. Wir müssen uns aber gegen Argumente wenden wie das, dass Abtreibungsverbote in „fortgeschrittenen“ Ländern ruhig gelockert werden dürften. Dort angeblich auftretende demographische Probleme (Überalterung der Gesellschaften) könne man ja durch verstärkte Migration aus der sog. Dritten Welt entschärfen. Erstens treten wir für eine Ächtung der Abtreibungsverbote auf der ganzen Welt ein. Zweitens sind wir natürlich für offene Grenzen für Flüchtende wie Arbeitsmigrant_Innen. Es ist schon schlimm genug, dass die vom Imperialismus abhängigen Nationen als verlängerte Werkbank für sie herhalten müssen. Die Vorstellung von der „Dritten Welt“ als ausgelagerter Kreißsaal für die imperialistischen Nationen ist aber schlichtweg rassistisch. Der internationale Kampf gegen Abtreibung kommt daher auch um den gegen Rassismus nicht herum.

Auch die Kirche sowie selbsternannte Lebensschützer_Innen, deren Meinung zu dem Thema lediglich auf verqueren Moralvorstellungen fußt, haben immer noch eine viel zu große Entscheidungsmacht. Der Schwangerschaftsberatung der Caritas (Wohlfahrtsorganisation der katholischen Kirche) ist es beispielsweise verboten, Gespräche über die „Pille danach“ oder Abtreibung zu führen. Regelmäßig werden Ärzte von Abtreibungsgegner_Innen bedroht.

In vielen ländlichen Regionen, vor allem in Westdeutschland, kommt es vor, dass katholische Krankenhäuser die einzigen im Kreis sind. Bewusst erschweren sie Abtreibungen und den Erwerb der Pille danach, was besonders für junge Mädchen eine unfassbare Einschränkung ihres Selbstbestimmungsrechts über ihren Körper darstellt.

Wie kämpfen?

Dem müssen eine internationale Massenmobilisierung und Streiks aller Arbeiter_Innen entgegengesetzt werden.

Für Abschaffung des Abtreibungsparagraphen sowie der Beratungspflicht!

Kostenlose und unabhängige Beratung bei Schwangerschaft und Abtreibung, egal in welchem Monat! Schutzräume für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!

Für die Abschaffung von Fristen, bis zu denen abgetrieben werden darf! Für die ärztliche Entscheidungsfreiheit, lebensfähige Kinder zu entbinden!

Gegen Zwangselternschaft für so geborene Kinder!  Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern! Adoptionsvorrang für Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen!

Wenn das Kind selbst entscheiden kann, muss es seine Einwilligung zur Adoption durch sein/e leiblichen Eltern bzw. ein leibliches Elternteil geben!

Vollständige Übernahme der Kosten für eine Abtreibung und aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat!




Verhütungsmittel – Gutes Geschäft zu Lasten der Gesundheit

Leonie Schmidt, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Als die Antibabypille im letzten Jahrhundert entwickelt wurde, galt sie manchen als Zeichen der (damaligen) sog. sexuellen Revolution und der Emanzipation der Frauen. Endlich waren sie in der Lage, selbstbestimmt zu entscheiden, ob und wann sie schwanger werden möchten. Und nach wie vor handelt es sich bei der Antibabypille um das sicherste Verhütungsmittel, lediglich 1-9 von 1000 Frauen werden ungewollt schwanger. Auch der mittlerweile freie Zugang zur „Pille danach“ ermöglicht Frauen mehr Selbstbestimmung. Allerdings sind solche Präparate recht teuer und oft fehlen die finanziellen Möglichkeiten zu ihrem Erwerb. Zudem wurde mit der Zeit klar, dass es nicht ungefährlich ist, in den Hormonhaushalt einzugreifen und diesen maßgeblich zu beeinflussen. Auch die Risiken wie z. B. die Thrombosegefahr und die Gefahr für Lungenembolien oder Schlaganfall wurden bekannt, nachdem weiter an den Antibabypillen geforscht wurde. Diese Erkrankungen können Frauen das Leben kosten oder erschweren und stark verkürzen z. B. durch Lähmungen oder Lungenbeschwerden und andauernde Schmerzen. Ebenso können Depressionen auftreten oder Störungen des Wasserhaushalts, da Hormonpräparate auch diesen stark beeinflussen.

Die Antibabypille – mittlerweile ein Lifestyleprodukt

Mittlerweile ist bei den Pillen der 3. und 4. Generation, also den „neuen Pillen“, die ca. seit den 2000ern auf dem Markt sind, die Thrombosegefahr im Vergleich zu „älteren“ Antibabypillen der 1. und 2. Generation um das Zweifache erhöht und die Gefahr, an einer Lungenembolie zu erkranken, um das Doppelte angestiegen. Das liegt unter anderem an einem neuwertigen Inhaltsstoff, dem Gestagen Drospirenon. Dieser soll nicht nur zur Verhütung beitragen, sondern auch das Hautbild verbessern, die Haare zum Glänzen bringen und vor erhöhter Gewichtszunahme schützen. Ein Lifestyleprodukt also, welches auch als solches vermarktet wird. Dieser Marketingansatz ist typisch für die Pharmaindustrie, die stetig versucht, neue Anwendungsmöglichkeiten für Medikamente zu finden. Um besonders junge Frauen als Zielgruppe anzusprechen, werden die jeweiligen Packungen gerne mit Blümchen versehen oder ein Schlüsselanhänger beigelegt. Es soll vermittelt werden, dass die Pille „dein guter Freund“ sei, der neben der Verhütung auch noch ein besseres Aussehen verspricht. Daher kommt es mittlerweile auch schon dazu, dass die Antibabypille jungen Mädchen verschrieben wird, und zwar nicht etwa aufgrund der Verhütung, sondern weil sie unter starker Akne leiden. Auch zur Behandlung/Vorbeugung von sehr starken Regelschmerzen werden diese Präparate gerne von Frauenärzt_Innen empfohlen.

Wissenschaftler_Innen aber sagen, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Wirkstoff wirklich zur Behandlung der o. g. „Schönheitsprobleme“ geeignet ist. Er wurde nämlich nicht als solcher entwickelt, sondern erst von den Marketingfirmen der Pharmawelt zum neuen Wundermittel jeglicher weiblicher „Schönheitsprobleme“ erklärt.

Das Problem liegt nicht nur bei den hohen Risiken und der Vermarktung, sondern auch darin, dass auf jegliche gute Aufklärung fast vollständig verzichtet wird. Weder Frauenärzt_Innen noch Pharmakonzerne klären ausreichend über die risikoreichen Pillen auf.

Oder, wie im Fall Bayer, deren Antibabypillen Yaz, Yasminelle und Yasmin mittlerweile ca. 190 Frauen das Leben gekostet haben, werden Studien, die die Risiken und Gefahren gezielt nachweisen können, ignoriert, dementiert oder gegebenenfalls werden eigene erstellt, die die erhöhte Thrombosegefahr nur in Zusammenhang mit sportlicher (In-)Aktivität, Rauchen und Übergewicht darstellen. In den Beipackzetteln war eine erhöhte Thrombosegefahr zwar erwähnt, aber es wurden keine Vergleichswerte bezüglich des Risikos gegenüber anderen Pillenpräparaten angegeben. Dies wurde erst im Jahre 2010 von Bayer ergänzt.

Betroffene haben aber den Kampf gegen Bayer angekündigt. Der Konzern soll nun auch in Deutschland verklagt werden. In den USA, wo das Konzept der Sammelklage durchgesetzt wurde, hat Bayer bereits außergerichtlich 1,9 Milliarden Dollar an betroffene Frauen oder Verwandte der Verstorbenen gezahlt. Die Fälle wurden außergerichtlich geklärt, da Bayer andernfalls die gesamten Dokumente hinsichtlich Studien der drospirenonhaltigen Antibabypille für die Gerichte und die Weltbevölkerung öffentlich machen müsste. Das könnte auch ein Hinweis sein, dass dem Konzern sehr wohl bewusst ist, wie gefährlich die kleinen runden Tabletten sind. Auch ein Verbot wäre für Bayer mehr als ungünstig: Der Jahresumsatz für diese Antibabypillen liegt bei ca. 770 Millionen Euro!

Warum gibt es eigentlich keine Pille für den Mann?

Es gibt zwar mittlerweile Präparate, die Männer einnehmen könnten bzw. ihnen injiziert werden, um die Spermienproduktion vorübergehend einzustellen und die mit 96 % Wahrscheinlichkeit verhüten, jedoch wurde die Forschung an rund 300 Männern eingestellt, da 20 von ihnen die Studie vorzeitig abbrachen. Die Gründe waren Depressionen, Akne, Gewichtszunahme, verringerte Libido und Muskelschmerzen. Aber ähnliche Symptome erleiden auch viele Frauen weltweit, wenn sie hormonelle Verhütungsmittel nutzen, dazu kommen die bereits erwähnten Krankheitsrisiken, die bei Männern bis jetzt nicht beobachtet wurden. Ein Komitee entschied nach der Entdeckung der Nebenwirkungen aber, dass die Effekte zu schwerwiegend seien. Und das, obwohl 75 % der Männer trotzdem weiter mit diesem Präparat verhüten wollten.

Ein wichtiges Ziel der damaligen feministischen Bewegung war Verhütung als Mittel zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Dies könnte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die Pille nur an Frauen getestet und keine weitere Forschung für Männer als notwendig empfunden wurde. Aber anscheinend hat sich das nicht wirklich geändert. Es ist immer noch so, dass viele Frauen die Antibabypille einnehmen und die gesundheitlichen Risiken tragen, nur damit ihr Partner sich keine Gedanken über die ungewollte Schwangerschaft mit (und ohne) Kondom machen muss. Verhütung sollte aber die Aufgabe von beiden, also von Mann und Frau, sein. Dies bedeutet demnach auch, dass beide Partner für die Sicherstellung der Verhütung sorgen müssen.

Wie weiter?

Es ist untragbar, dass Konzerne wie Bayer aufgrund von Profitgier gefährliche Medikamente verkaufen! Das Ziel sollte aber nicht sein, die Antibabypille abzuschaffen, sondern über Nutzen und Risiken kostenlos und ohne Verkaufsdruck vollständig aufzuklären und neue, sichere und unschädlichere Verhütungsalternativen zu entwickeln. Dafür müssen aber auch Pharmaunternehmen enteignet und die Produktion der Verhütungsmittel unter Arbeiter_Innenkontrolle gestellt werden.

Es darf weder eine profitorientierte Forschung von Arzneimitteln geben noch eine Vermarktung von Medikamenten mit schweren und vielfältigen Nebenwirkungen als Lifestyleprodukt.

Ebenso fordern wir eine verstärkte Forschung nach alternativen Präparaten für Regelbeschwerden und -schmerzen.

Des Weiteren muss auch die Alternative der hormonellen Verhütung für den Mann weiter untersucht und getestet werden. Verhütung sollte auf keinen Fall die alleinige Aufgabe der Frau sein.

Eine weitere wichtige Forderung muss auch sein, die Verhütung stärker auch auf nichthormonelle Methoden für beide auszurichten.

Kostenloser Zugang für Verhütungsmittel und „Pille danach“ für beide Partner!

Gegen jeden Sexismus und sexuelle Unterdrückung in Gesellschaft, Medizin und Partnerschaft!

Gegen profitorientierte Forschung! Schluss mit den Geschäften zu Lasten unserer Gesundheit! Für eine Verstaatlichung der Pharmaindustrie und Forschung nach den Bedürfnissen aller!




Antirassismus – Frauenbefreiung, Islam und anti-muslimischer Rassismus

Martin Suchanek, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Von Alice Schwarzer bis zur AfD gilt es längst als „erwiesen“: „Der“ Islam ist keine Religion wie jede andere. Er sei rückständiger, unterdrückerischer als das Christentum. Dieses hätte einen Prozess der „Aufklärung“ durchgemacht, der es zu einem umso unverzichtbareren Bestandteil unserer „abendländischen Zivilisation“ gemacht hätte.

Auch wenn viele Menschen vor der chauvinistischen Konsequenz anti-muslimischer Vorurteile und erst recht vor offenem Rassismus zurückschrecken, so wirkt die Behauptung, dass der Islam besonders reaktionär und vor allem besonders frauenfeindlich wäre, bis tief in die ArbeiterInnenbewegung und die radikale Linke hinein.

Sind nicht die massenhaften sexistischen Übergriffe von Köln am Silvesterabend 2015 ein Beleg dafür? Sind nicht die fehlenden demokratischen Rechte für Frauen in vielen islamisch geprägten Ländern ein Beweis dafür?

Religion und Unterdrückung

Ein Blick auf reaktionäre religiöse Bewegungen oder auch Regierungen auf der ganzen Welt zeigt, dass andere Glaubensrichtungen dem Islam keineswegs nachstehen. Die christlichen Kirchen spielten nicht nur eine wichtige Rolle bei der Kolonisierung und Versklavung ganzer Völker. Heute sind sie weiter ein Stützpfeiler für Diktaturen und Vorreiterinnen im Kampf gegen die Rechte von Frauen, von Schwulen und Lesben, gegen Verhütung und sexuelle Aufklärung. Im hinduistisch geprägten Indien und im christlichen Brasilien werden jährlich tausende Frauen infolge sexueller oder sexistischer Angriffe getötet. Der Sexist Trump hält Übergriffe auf Frauen für ein Recht der (reichen) Männer.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Klassengesellschaften zeigt, dass nicht „die“ oder eine besondere Religion die Frauenunterdrückung hervorgebracht hat, sondern dass vielmehr die Klassengesellschaft selbst einer Ideologie bedurfte, die die Ausbeutung wie auch die Unterdrückung der Frau rechtfertigte und weiter rechtfertigt. Weltgeschichtlich kommt hier den Religionen – zumal den großen „Weltreligionen“ – eine herausragende Bedeutung zu.

Unterschiede in den religiösen Vorstellungen sind daher letztlich eine Widerspiegelung der Veränderungen oder sich abzeichnender Änderungen der jeweiligen Gesellschaftsformationen.

Das Christentum wurde zur Staatsreligion im antiken römischen Kaiserreich und wandelte sich später zur zentralen Ideologie des Feudalismus. Der Protestantismus entstand mit dem Niedergang dieser Ordnung und wurde zur Ideologie des entstehenden Bürgertums, wie u. a. die Herausbildung der protestantischen Ethik belegt.

Der Islam entwickelte sich im 7. Jahrhundert mit der Etablierung einer Klassengesellschaft, die, wenn auch mit einigen Besonderheiten, auf der „asiatischen Produktionsweise“ basierte und die ideologische Hülle darstellte, die den Bedürfnissen der Tribut eintreibenden städtischen Zentren, ihres Beamtenapparats sowie der Händlerklasse entsprach. Das brachte auch eine relative Verbesserung der Stellung der Frau verglichen mit den vorherrschenden Zuständen unter den arabischen Stämmen mit sich.

Islam

Der Aufstieg des Islam bedeutete, dass für den Beitritt zur Gemeinschaft der Gläubigen (Umma) ethnische oder familiäre Herkunft unbedeutend waren. Der barbarische Umgang mit den Frauen unter den arabischen Stämmen wurde beendet. Den Frauen wurden Rechte zugestanden, das altarabische Erbrecht verändert, die Zahl der Ehefrauen begrenzt. Mohammed und seine Nachfolger führten nicht die Verschleierung der Frau ein, diese war schon vorher in Arabien bekannt. Ähnliches gilt für die weibliche Genitalverstümmelung.

Natürlich kann man auch nicht davon sprechen, dass der Islam die Frauen befreit habe. Es ging um die Etablierung und Festigung einer Klassengesellschaft. Das Patriarchat wurde auf höherem Zivilisationsniveau als dem der Stämme durch die Regeln des Koran gefestigt. Frauen wurde die Beziehung zu mehreren Männern verboten.

Fazit: Der Islam ist genauso frauenfeindlich wie alle Religionen in Ausbeutergesellschaften. Objektiver Gradmesser des Fortschritts für MarxistInnen sind z. B. der Grad der Einbeziehung von Frauen in die Lohnarbeit, Gleichberechtigung usw., nicht religiöse Praktiken oder Lehren. Dass die Lage der Frauen in diesen Ländern oft noch weit schlechter als in den imperialistischen Zentren ist, liegt aber nicht an deren besonderer Religion, wie nicht nur ein Blick z. B. auf christliche Länder in der sog. „Dritten Welt“ zeigt.

Die Ursache liegt vielmehr in der Kombination von Integration in den kapitalistischen Weltmarkt und der Reproduktion vor-kapitalistischer Formen der Ausbeutung und Unterdrückung. Die „Rückständigkeit“ vieler Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist Ausdruck ihrer Einbindung in das imperialistische Weltsystem, das ihre innere Entwicklung bestimmt.

Der Terminus „islamische Länder“ oder „islamische Welt“ trägt in diesem Zusammenhang und angesichts der enormen Unterschiede dieser Staaten mehr zur Verschleierung als zum Verständnis des Verhältnisses von Imperialismus, Klassenkampf und Religion bei.

Zunehmende Bedeutung der Religion

Wenn wir die Rolle des Islam verstehen wollen, so setzt das ein Verständnis der Klassenverhältnisse, deren innerer Dynamik, der Einbettung der Länder in die imperialistische Weltordnung und Arbeitsteilung voraus. Dabei wird niemand übersehen können, dass in diesen Ländern die Religion – der Islam und nicht nur der Islamismus – eine größere Bedeutung erlangt hat.

Der Grund dafür kann aber offenkundig nicht in der „Natur“ der Menschen liegen. Vielmehr ist ein entscheidender Faktor die Desillusionierung über den „Westen“ und die unerfüllten Fortschrittsversprechen der imperialistischen Mächte, allen voran der USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg und nach dem Kalten Krieg die materielle Besserstellung aller Klassen und auch der Frauen als Ziel proklamierten. Die Sowjetunion versuchte, zur Wahrung ihrer geo-strategischen Interessen ähnliches zu erreichen, indem sie links-nationalistische Regime förderte.

Doch diese Versprechen scheiterten an der harten Realität kapitalistischer Konkurrenz. Insbesondere mit dem Neo-Liberalismus und der kapitalistischen Globalisierung wurden diese Länder mehr und mehr zum Ort spekulativer Investitionen, der „Öffnung“, Privatisierung usw., die nicht nur die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse verschärften, sondern auch das Kleinbürgertum und die „Mittelschichten“ mehr und mehr ruinierten oder zumindest mit Ruin bedrohten.

Zugleich erwiesen sich aber auch die bürgerlich-nationalistischen, klein-bürgerlich-nationalistischen und stalinistischen Kräfte, die die Linke und Befreiungsbewegungen dominierten, als politisch unfähig, eine korrekte Perspektive zu weisen. Die Politik der großen Mehrheit der iranischen Linken führte zur Anpassung an die „nationale Bourgeoisie“ unter islamistischer Führung und zu einer historischen Niederlage der ArbeiterInnenbewegung. Der Sturz des Schahs führte nicht zur sozialen Revolution, sondern endete in der islamistischen Konterrevolution. Nach dem Ende des Kalten Krieges verschärfte sich die Führungskrise, wie z. B. an der politischen Kapitulation der PLO in Oslo zu sehen ist. All das stärkte die islamistischen Kräfte und auch den Einfluss des Islam, die sich demagogisch als einzige realistische Alternative zum Westen präsentierten.

Zugleich griffen auch bürgerliche Kräfte oder Militärdiktaturen verstärkt auf die Religion als Rechtfertigungsideologie ihrer Herrschaft zurück. Die materielle Integration für die Massen wurde in der Periode des Neo-Liberalismus und besonders seit der großen Krise 2007/8 immer schwerer, was sich an der zunehmenden Massenverelendung und Arbeitslosigkeit wie auch an der Zerstörung ganzer Staaten wie des Irak infolge von imperialistischen Kriegen und Besetzungen zeigte. Ein Surrogat, die Religion, sollte herhalten als Trost in einer immer trostloseren Welt. Das wiederum stärkte natürlich die religiösen Autoritäten auf lokaler wie nationaler Ebene.

Es zeigt aber auch, dass in den „islamischen Staaten“ die vorherrschende Religion grundsätzlich eine herrschaftsstabilisierende Funktion hat. Erstens, weil sie der großen Masse der ArbeiterInnen und v. a. der Landbevölkerung „erklärt“, dass sie sich mit ihren Verhältnissen, so erbärmlich sie auch sein mögen, letztlich abzufinden haben. Allenfalls können sie auf einen Wohltäter, einen „rechtschaffenen“ Kapitalisten oder Grundbesitzer hoffen. Der rohe Klassenkampf gegen diese Ordnung gilt jedoch als illegitim.

Zweitens muss bewusst sein, dass diese Funktion nicht bloß aus Glaubensüberzeugungen erwächst. Die Prediger, Imame usw. sind in den islamischen Gesellschaften natürlich auch eng mit der herrschenden Klasse verbunden, deren ideologische Fürsprecher, von diesen mit Pfründen und Privilegien ausgestattet. In dieser Hinsicht ist ihre Stellung nicht viel anders als jene der Priester, Pastoren, Popen oder evangelikalen Prediger in den „christlichen Ländern“. Auch sie werden über verschiedene Kanäle von der herrschenden Klasse (oder einer Fraktion dieser Klasse) oder direkt vom Staat gestützt.

Drittens dient die Religion immer auch dazu, nicht nur kapitalistische Ausbeutung, sondern vor allem auch mit ihr verbundene Unterdrückungsverhältnisse zu legitimieren. Das trifft besonders die Stellung der Frau. Diese variiert in den verschiedenen Ländern und für verschiedene Klassen enorm. Sie kann von der vollständigen Entrechtung in Ländern wie Saudi-Arabien oder unter Herrschaft der Taliban bis zur formalen Gleichstellung in islamisch geprägten Ländern mit relativ säkularer Verfassung reichen. Die realen Lebensverhältnisse sind davon jedoch zu unterscheiden – nicht zuletzt, weil die verschiedenen Formen der Frauenunterdrückung nicht einfach durch den Islam geschaffen wurden, sondern von diesem legitimiert, teilweise sogar entgegen islamischen Rechtsvorstellungen im realen Leben toleriert werden wie z. B. das Kastenwesen in Pakistan.

Klassen und Religiosität

Obige Darstellung zeigt, worin die gesellschaftlichen und politischen Wurzeln für das Stärkerwerden islamischer Kräfte liegen. Die versuchte strengere „Islamisierung“ ist aber keineswegs nur ein Zeichen der Stärke der Reaktion. Sie ist auch eine Antwort auf die innere Zersetzung, auf eine Vertiefung der Klassenspaltung innerhalb der Gesellschaften, die – siehe die arabischen Revolutionen – „überraschend“ auch zu revolutionären Erschütterungen und Aufständen führen können.

Die servile Moral der Herrschenden, ob nun in Form der Religion oder einer „weltlichen“ Ethik, wird oft gerade dann beschworen, wenn die realen Lebensverhältnisse den guten Vorsätzen der Moral immer mehr ins Gesicht schlagen. Gerechtigkeit, Gleichheit, Rechtschaffenheit usw. werden den Armen gepredigt, wenn sie im Alltag und vor allem in der Arbeitswelt immer offener mit Füßen getreten werden.

Es ist daher kein Wunder, dass die Haltung der verschiedenen Klassen in den islamischen Ländern zur Religion auch sehr unterschiedlich ist.

Die herrschende Klasse hat oft ein besonders zynisches Verhältnis zur Religion. Ihre Mitglieder haben längst „westliche“ Lebensweisen übernommen. Sie leben oft abgeschieden von der „normalen“ Bevölkerung in enormem Luxus. Die Frauen der herrschenden Klasse müssen nicht arbeiten, die Töchter verhalten sich oft wie ihre Pendants aus „gutem Hause“ im Westen.

Ihre „Religiosität“ ist vor allem eine Fassade für das Volk. Während sie religiösen Eifer und Vorschriften belächeln und ablehnen mögen, so erkennen sie ihren Wert für die „unmündige“ und „rückständige“ Bevölkerung, die nicht mehr wissen muss als notwendig, um ihre Funktion als hart arbeitende BäuerInnen oder LohnsklavInnen zu erfüllen.

Es ist kein Zufall, dass die Religiosität ihren größten Nährboden findet unter den Mittelschichten und auf dem Land. Auch hier ist Doppelmoral natürlich weit verbreitet. Wie wir aus katholischen Internaten wissen, bringen die Aufseher, Erzieher, Priester ihren Schutzbefohlenen Gehorsam nicht nur gegenüber Gott, sondern auch gegenüber dessen „Stellvertretern auf Erden“ bei. Diese Doppelmoral gibt es natürlich auch unter den religiösen Würdenträgern im Islam.

Oftmals werden Frauen und Mädchen in ländlichen Regionen aufgrund der enormen Machtfülle der traditionellen Eliten besonders brutal unterdrückt. Den Ärmsten, v. a. den Frauen und Mädchen, wird der Zugang zur Bildung und zum öffentlichen Leben weitgehend vorenthalten. Infrastruktur und medizinische Versorgung sind in der Regel noch weitaus schlechter als in den Städten. Schließlich finden sich oft genug Formen der Knechtschaft als Ausbeutungsverhältnis. Die Stellung der Bauern/Bäuerinnen und LohnarbeiterInnen ähnelt jenen von SklavInnen oder Leibeigenen – und diese findet ihre Fortsetzung in der Versklavung der Frau in der Familie. Kombiniert wird das mit der Reproduktion vorkapitalistischer sozialer Strukturen, wo „Stammesführer“, Familienoberhäupter, traditionelle Eliten noch fest im Sattel sitzen. Ihre Herrschaftsansprüche legitimieren sie religiös und traditionalistisch – nicht jedoch, um damit eine vergangene Klassengesellschaft wieder aufleben zu lassen, sondern um besonders rücksichtlose Formen der Ausbeutung zur Produktion für den kapitalistischen Markt durchzusetzen.

Das städtische und ländliche „gehobene“ Kleinbürgertum wie auch Teile der „Mittelschichten“ sind oft ein zweiter zentraler sozialer Träger islamischer Ideologie. Für diese Klassen ist es – anders als für die Bauernschaft und das Proletariat – am ehesten möglich, eine „islamische Lebensweise“, einschließlich von Geschlechtertrennung und Entbindung der Frau von der Erwerbstätigkeit zu realisieren.

Zugleich bedroht die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus die Stellung dieser Schichten, sie fürchten ihren Niedergang. Verantwortlich dafür machen sie einerseits das Großkapital, die städtischen und globalen Eliten, andererseits aber auch demokratische Bewegungen, Bewegungen nationaler und religiöser Minderheiten (insbesondere anderer islamischer Richtungen). Die ArbeiterInnenbewegung und die Frauenbewegung gelten ihnen letztlich als feindlich, auch wenn es zahlreiche Versuchte gibt, islamisch geprägte Gewerkschaften oder auch Frauenorganisationen aufzubauen – eine gewisse Analogie zu christlichen Gewerkschaften und zur christlichen „Frauenbewegung“.

Es ist kein Zufall, dass die ArbeiterInnenklasse oft weitaus weniger vom religiösen Gedankengut beeinflusst ist. Erstens zwingt gerade ihre Überausbeutung auch Frauen zur Lohnarbeit. Das trifft vor allem auf jene Länder zu, die ihren Reichtum nicht auf den Verkauf von Bodenschätzen gründen können und daher nicht in der Lage sind, größere Teile der StaatsbürgerInnen zu alimentieren und v. a. ArbeitsmigrantInnen für sich arbeiten zu lassen (wie z. B. die Petro-Monarchien am Golf).

In Ländern wie Ägypten, Pakistan, Indonesien gibt es riesige ArbeiterInnenklassen, die Millionen Lohnarbeiterinnen umfassen. In Pakistan sind rund 20 Prozent der 65 Millionen Lohnabhängigen Frauen, in Ägypten ist rund ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung im industriellen Sektor beschäftigt, in Indonesien fast die Hälfte. In industriellen Zentren diese Länder sind oft auch sehr viele Frauen beschäftigt, die in der ägyptischen unabhängigen Gewerkschaftsbewegung und auch beim Sturz Mubaraks eine sehr aktive Rolle spielten.

Dass Frauen gezwungen sind, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, führt dazu, dass für die ArbeiterInnenklasse selbst die religiösen Vorschriften zu einer enormen moralischen und materiellen Bürde werden und zugleich in einen offenen Widerspruch zu ihrer Existenz treten. Hinzu kommt, dass ihre Ausbeuter selbst die Religion als moralische Waffe gegen die Frauen (und die Klasse insgesamt) wenden. Schließlich bieten die Ansätze von Organisierung einen Weg, wie sich Frauen aus ihrer realen, geknechteten Lage erheben können (was, nebenbei bemerkt, auch für Selbstverteidigungskräfte wie die kurdischen Milizen gilt).

Es wäre naiv zu denken, dass die Frauen (wie auch proletarische Männer) aufhören, Muslime oder Muslima zu sein, wenn sie den Weg des Kampfes beschreiten. Aber sie verändern nichtsdestotrotz ihr Verhältnis zu den staatlichen und religiösen Autoritäten – und das wiederum wird verschärft dadurch, dass diese in der Regel gegen die Frauen Stellung nehmen, die gegen Ausbeutung und Unterdrückung Widerstand leisten.

Natürlich gibt es auch Kämpfe gegen Unterdrückung, gegen Imperialismus oder Besetzung, bei denen religiöse oder gar islamistische Strömungen eine führende Rolle einnehmen können. Diese bilden jedoch die Ausnahme, so wie auch die christliche „Theologie der Befreiung“ im scharfen Kontrast zur offiziellen katholischen Kirche stand und immer eine Minderheitsströmung blieb. Zweitens ändert die Tatsache, dass z. B. Organisationen wie die Hamas zu einer führenden Kraft im Kampf der PalästinenserInnen gegen Zionismus und Imperialismus wurden, nichts daran, dass ihre gesellschaftlichen Ziele reaktionär und pro-kapitalistisch bleiben und diese auch im Befreiungskampf selbst dazu führt, dass z. B. Frauen auf ihre „traditionelle“, „natürliche“ Geschlechterrolle beschränkt bleiben sollen.

Kampf gegen Frauenunterdrückung und Imperialismus

In den sog. „islamischen Ländern“, also dem vom Imperialismus beherrschten Staaten, die vom islamischen Glauben geprägt sind, ist der Kampf um Frauenbefreiung eng mit dem gegen Entrechtung und Unterdrückung verbunden, die religiös legitimiert wird. Er ist im Kern aber kein „religiöser“, sondern einer für demokratische und soziale Rechte.

Dazu gehören einerseits eine Reihe demokratischer Forderungen wie die formale, rechtliche Gleichstellung der Frau (als Staatsbürgerin, vor Gericht, bei Scheidungen etc.), das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf gleichen garantierten und kostenfreien Zugang zu Bildung und Ausbildung, Abschaffung geschlechtlicher Trennung, Schaffung von Frauenhäusern für Frauen und Kinder zum Schutz vor familiärer Gewalt. RevolutionärInnen treten für die Trennung von Staat und Religion ein, für die Abschaffung jeder theokratischen Herrschaftsform und jede Privilegierung einer Glaubensgemeinschaft.

Zugleich geht es um die soziale Frage in Stadt und Land. Die Befreiung der Frauen ist in vielen Ländern undenkbar ohne ein Programm der Agrarrevolution, der Enteignung des Großgrundbesitzes und der Abschaffung der Zinsknechtschaft. Ein solcher Kampf muss sich vor allem auf die LandarbeiterInnen, TaglöhnerInnen und kleinen BäuerInnen stützen.

Schließlich ist der Kampf um die Rechte der Arbeiterinnen, der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnenklasse entscheidend. Frauen muss der Zugang zu allen Bereichen der beruflichen Tätigkeit überhaupt erst ermöglicht, ungeregelte, befristete, „inoffizielle“ Arbeitsverhältnisse müssen abgeschafft werden. Ein Mindestlohn, der die Lebenshaltungskosten deckt, wäre in den meisten Ländern ein Kampfziel, das Männer und Frauen vereinen kann. Hinzu kommt die Forderung nach bezahltem Urlaub, Krankenstand und Rente.

Voraussetzung dafür ist aber auch die Öffnung der ArbeiterInnenbewegung für die Frauen und die Unterstützung ihrer Kämpfe für demokratische Rechte, gegen Sexismus und Übergriffe. Das wäre zugleich auch der Ansatzpunkt für eine proletarische Frauenbewegung, die auch den unterdrückten Frauen aus den Mittelschichten und den Bäuerinnen eine Perspektive bieten könnte.

Gegen Angriffe von islamistischen oder anderen frauenfeindlichen Kräften, deren reaktionärste Ausprägungen bis zu Formen des klerikalen Faschismus gehen, bedarf es des Kampfes um das Recht auf Selbstverteidigung. Auf den Staat ist dabei kein Verlass, vielmehr muss der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten der ArbeiterInnenklasse und Bauernschaft propagiert und, wo möglich, in Angriff genommen werden.

Schließlich ist eine solche Bewegung nicht vorstellbar, ohne dass Frauen männlichen Chauvinismus und patriarchale Strukturen in der ArbeiterInnenbewegung bekämpfen. Diese sind weit verbreitet, auch unter nicht-religiösen Männern. Daher bedarf es auch des Rechts auf gesonderte, eigenständige Treffen von Frauen in der Gewerkschaften und politischen Organisationen der ArbeiterInnenklasse.

Nur auf Basis des Klassenkampfes kann die Bindung von Frauen (und auch Männern) an die herrschende Klasse durch religiöse Autoritäten durchbrochen, real in Frage gestellt werden. Viele dieser Frauen (und Männer) werden in den Kampf treten, ohne selbst schon mit ihrem Glauben gebrochen zu haben. Dies zu fordern oder zur Voraussetzung für das gemeinsame Vorgehen zu machen, wäre doktrinär, ultimatistisch und würde nur jenen religiösen Autoritäten und den hinter ihnen stehenden Kapitalisten und Grundbesitzern in die Hände spielen, die eigentlich bekämpft werden sollen.

Auch eine revolutionäre Partei wird Menschen mit religiösen Überzeugungen aufnehmen, sofern sie bereit sind, das politische Programm zur Trennung von Staat und Religion zu akzeptieren und dafür einzutreten. Zugleich muss eine solche Partei und deren Programm auf festen materialistischen Grundlagen stehen und es bleibt das Ziel der Partei, kämpfende Gläubige geduldig vom konsequenten Materialismus zu überzeugen, der mit eine religiösen wie jeder anderen idealistischen Erklärung der Welt theoretisch unvereinbar ist.

Entscheidend für die Mitgliedschaft ist jedoch das Programm, das selbst kein Bekenntnis zum Atheismus verlangt, wohl aber zur proletarischen Revolution, also zur Errichtung der ArbeiterInnenmacht, die selbst die Bedingungen schafft, auf deren Grundlage das Bedürfnis nach Religion absterben kann.

Islam und Frauen in den imperialistischen Ländern

Wir haben gesehen, dass der Islam – nicht nur die IslamistInnen – in vielen vom Imperialismus beherrschten Ländern – eng mit der bestehenden Ordnung verbunden ist/sind.

In den Ländern Europas ist er das nicht. Der Islam ist keine vorherrschende Religion, sondern das Christentum. Natürlich treten wir auch hier für die Trennung von Staat und Religion ein, beispielsweise für die Abschaffung jedes Religionsunterrichts an den Schulen, von Tendenzbetrieben, Sonderregelungen im Arbeitsrecht usw., durch die die katholische und protestantische Kirche massiv staatlich gefördert werden.

Aber in den imperialistischen Staaten hat die offizielle und bürgerliche „Kritik“ am Islam ihrem Wesen nach keinen religiösen oder gar aufklärerischen, sondern einen rassistischen Charakter, der zur Stigmatisierung von MigrantInnen und Geflüchteten wie zur Rechtfertigung militärischer und politischer Interventionen in „rückständige“ Länder dient.

Den Enthüllungen der unterdrückerischen Rolle der Religion, wie sie von Rechten, staatlichen Institutionen und bürgerlichen Organisationen vorgetragen wird, dient die Unterdrückung der muslimischen Frauen nur als Vorwand.

In Wirklichkeit laufen die vorgeschlagenen „Maßnahmen“ – seien es sog. „Integrationsgesetze“ oder Bekleidungsvorschriften wie Schleier- oder Burka-Verbot – nur darauf hinaus, die Spaltung der Klasse und Unterdrückung der Frau zu befestigen.

Die Ursachen für die reale Unterdrückung und ihre Folgen – fehlende Arbeitsmöglichkeiten, schlechte Bezahlung, keine Förderung, Abhängigkeit vom Einkommen des Mannes – werden nicht bekämpft als Gründe und Mittel zur Verstetigung der rassistischen Unterdrückung. Stattdessen wird die Ausgrenzung, Schlechterstellung der Muslima und Muslime deren falschem Bewusstsein in die Schuhe geschoben. Es wird so getan, als ob MigrantInnen plötzlich gleiche Chancen am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, bei der Wohnungssuche hätten, wenn sie ihren Glauben ablegen und sich „voll integrieren“ würden.

Schließlich wird den Unterdrückten – und hier besonders den muslimischen Frauen – im rassistischen Denken auch noch jede Subjekthaftigkeit abgesprochen. Die verschleierte Frau kann gar nicht für sich sprechen, mag sie auch noch so beredt sein. Sie muss vom Staat „befreit“ werden durch Zwangsmaßnahmen (Schleierverbot, …). Zeigt sie dafür kein Verständnis, so wird ihr das auch noch zum Vorwurf gemacht oder dies als Beleg dafür interpretiert, dass solche Frauen eben zu rückständig wären, ihr eigenes Interesse zu erkennen.

Das ist weißer, demokratischer, zivilisatorischer Rassismus at it’s best. Sein Paternalismus offenbart aber auch seinen reaktionären, imperialistischen Charakter.

Der Kern dieser Sorge um die „muslimische“ Frau besteht nämlich darin, dass es gar nicht um den Kampf gegen Frauenunterdrückung geht. Die Rechte von migrantischen Frauen, Geflüchteten (wie auch dieser Männer) sind letztlich egal. Die Behauptung, dass der Islam eine besondere reaktionäre Religion, grundlegend tiefer, widerspruchslos unterdrückerisch wäre, läuft letztlich darauf hinaus, dass Muslima und Muslime im Gegensatz zu Menschen anderer religiöser Überzeugungen zuerst ihre Religion ablegen müssen, bevor sie überhaupt als gleiche Menschen gelten können. Indem dem Islam diese Besonderheit zugeschrieben wird, verkehrt der Rassismus die Ursache für die Unterdrückung von Muslimen in ihr Gegenteil – der Islam, die Religion, die muslimischen Menschen selbst werden dazu erklärt. Sie müssten sich assimilieren, „integrieren“, ihre eigene Identität „ablegen“, um dann als „gute“ integrierte, in der westlichen Gemeinschaft anzukommen. Die Verlogenheit dieser Forderung zeigt sich gerade bei jenen, die seit Jahrzehnten „angekommen“ sind, den Jugendlichen in den Pariser Vorstädten, den jungen Menschen der zweiten und dritten Generation, denen eine Zukunft als Erwerbslose, Jobber, TeilzeitarbeiterInnen, prekär Beschäftigte bevorsteht, für die der Kapitalismus, wenn überhaupt, Zugang nur zum „zweiten Arbeitsmarkt“ bietet.

Echte Integration und gemeinsamer Kampf gegen Frauenunterdrückung sind daher nur möglich, wenn der Kampf für gleiche Rechte, für offene Grenzen, gleichen Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit mit dem Kampf gegen den anti-muslimischen Rassismus in allen seinen Spielarten verbunden wird.




Die Rolle der Frauenbewegung in Kurdistan – Frauenbefreiung ohne Sozialismus?

Svenja Spunck, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Der Kampf der kurdischen Frauen in Rojava erlangte vor allem durch die Verteidigung der Stadt Kobanê (Ain al-Arab) gegen den IS große Popularität. Selbst bürgerliche Medien präsentierten kämpferische Fotos von den Frauen der YPJ, die sich mit der Waffe in der Hand gegen Dschihadisten verteidigen. In diesen Berichten ging es eigentlich immer um die Feinde des Islamismus an sich und weniger um die Frauen. Man stelle sich einmal vor, es hätte bewaffnete Aufstände gegen das Abtreibungsgesetz in Polen oder die Herdprämie der Bundesregierung gegeben. Von starken Frauen hätte da wohl keiner mehr gesprochen. Auch die politische Schwesterorganisation der PYD, nämlich die PKK in der Türkei, steht auf der europäischen Terrorliste – ihre Frauenpolitik ist die gleiche. Wir wollen uns in diesem Artikel mit der Perspektive der Frauen in Rojava und unter der politischen Kontrolle der Parteien PYD/PKK beschäftigen, um zu verstehen, was hinter der „Revolution der Frau“ tatsächlich steckt.

Der Gesellschaftsvertrag, eine Art Verfassung, wurde von der PYD in Rojava 2014 veröffentlicht. Darin werden in unterschiedlichen Punkten das Verhältnis der Geschlechter und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft definiert. So heißt es in Artikel 27: „Frauen verfügen über alle politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Rechte und das Recht auf Leben. Diese Rechte sind zu schützen.“ und in Artikel 28: „Frauen haben das Recht zur Selbstverteidigung und das Recht, jegliche Geschlechterdiskriminierung aufzuheben und sich ihr zu widersetzen.“ Außerdem ist festgelegt, dass alle politischen Gremien von mindestens 40 % Frauen besetzt sein müssen und dass eine der wichtigsten Aufgabe der Asayis-Kräfte (wie Polizei, verantwortlich für innere Sicherheit) der Schutz von Frauen vor sexuellen Übergriffen ist.

Es klingt schön, die strukturelle Unterdrückung des weiblichen Geschlechts einfach per Gesetz aufzuheben, sie zu „verbieten“. Liest man jedoch die gesamte Verfassung, kommt man spätestens bei Artikel 41 in einen Widerspruch, da dieser nämlich besagt: „Das Recht auf Eigentum und Privateigentum wird geschützt. Niemand darf der Gebrauch des eigenen Eigentums verweigert werden. Niemand darf enteignet werden.“ Begreift man also die Unterdrückung der Frau im marxistischen Sinne – nicht als böswillige oder rückschrittliche Ansicht, dass Frauen weniger zu sagen haben sollten, sondern als einen notwendigen Mechanismus innerhalb der kapitalistischen, auf dem Recht auf Privateigentum basierenden Produktionsweise –, so lässt sich wohl kein Richtiges im Falschen aufbauen. Der Einbezug der Frauen vor allem in die bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten ist eine Notwendigkeit in Rojava, um die ohnehin geringe Bevölkerung schützen zu können. Durch diese praktische Erfahrung werden Geschlechterverhältnisse zwar deutlich gemacht, in Frage gestellt und funktional-temporär umgestaltet, jedoch die Grundlage ihrer Entstehung noch nicht beseitigt.

Widmen wir uns zunächst dem Verständnis der kurdischen Bewegung (Fokus auf PKK/PYD-Strömung) der Frauenunterdrückung. Dazu beziehen wir uns auf die Schrift „Die Revolution der Frau“ von Abdullah Öcalan, Parteivorsitzender und ideologischer Vordenker der PKK. Die Geschichte der Zivilisation sei die Geschichte der Versklavung, die in drei Stufen abläuft. Interessant ist, dass die erste Stufe dabei die ideologische und erst die dritte dann die ökonomische sei. Er beschreibt es also als einen bewussten Prozess, der ohne ökonomische Grundlage zunächst die Menschheit unterdrückt, um dann im Nachhinein wie als ein willkommenes Nebenprodukt ökonomisches Mehrprodukt daraus zu schöpfen. Indem „der dominante Mann“ sich nun dieser geschaffenen Unterdrückungswerkzeuge wie Religion, Wissenschaft und Wirtschaft bedient, wird die Gesellschaft ihrer Freiheit und damit auch der von Frauen beraubt. „Der Niedergang und der Verlust der Frau ist somit der Niedergang und Verlust der gesamten Gesellschaft, und ihr Ergebnis ist die sexistische Gesellschaft.“ Er schreibt weiter: „Die geschlechtliche Versklavung unterscheidet sich in mancher Hinsicht von der Versklavung von Klassen und Völkern. Ihre Legitimation erlangt sie durch raffinierte und intensive Repression, kombiniert mit Lügen, die auf Emotionen abzielen.“

Demnach ist die Unterdrückung der Frau ein bewusster, von bösartigen und freiheitsfeindlichen Männern eingeleiteter Prozess, der sogar unabhängig von Klassenzugehörigkeit stattfindet. Obwohl Öcalan selbst beschreibt, dass er zu dieser Erkenntnis, der „Hausfrauisierung als Form der Sklaverei“, nur durch langes Studium kam, wäre es vielleicht von Vorteil gewesen, einmal den Grad der Unterdrückung der weiblichen Hillary Clinton oder Angela Merkel mit dem eines männlichen, kurdischen Gastarbeiters bei Ford am Fließband zu vergleichen. Dieser kann noch so bösartig und freiheitsfeindlich sein, die Freiheit des herrschenden weiblichen Teils der Bourgeoisie wird er damit nicht einmal ankratzen können. In einer langen Ausführung über die neolithische Gesellschaft, die er als Ursozialismus beschreibt, wird die Rolle der Frau/Mutter (tatsächlich in dieser Form synonym verwendet) und der matrizentrischen Familie – mit ihr im Mittelpunkt – gelobt. Diese Lebensform hätte sich lange ohne eine staatliche Herrschaftsform gehalten und wird von ihm deshalb stark idealisiert. Später bezieht er dies konkret auf die kurdischen Frauen, deren Freiheitssinn besonders stark ausgeprägt sei, da ihre ganze Geschichte vom Kampf gegen „Naturgewalten und fremde Übergriffe“ geprägt sei. Sie sei auch einer besonders starken Unterdrückung durch den Mann ausgesetzt, da er seinen Frust, politisch unterdrückt zu sein, durch Machtausübung gegenüber der Frau kompensieren würde. Der Höhepunkt des institutionalisierten, dominanten Mannes seien der Kapitalismus und der Nationalstaat, in seinen eigenen Worten: „Kapitalismus und Nationalstaat sind der Monopolismus des tyrannischen und ausbeutenden Mannes.“

Was folgt nun für eine politische Konsequenz aus dieser Analyse, oder welche Schlussfolgerung kann gar nicht erkannt werden?

Das Fundament der Frauenunterdrückung ist nicht wie im marxistischen Sinne die Klassengesellschaft und das Privateigentum an Produktionsmitteln, sondern eine biologistische Definition vom dominanten Mann und der freiheitlichen Frau. Daraus folgernd muss also gezwungenermaßen jeglicher Einfluss des Mannes zurückgedrängt und die Macht über die Gesellschaftsordnung in die Hände der Frauen gelegt werden.

„Die Männlichkeit hat das herrschende Geschlecht, die herrschende Klasse und den herrschenden Staat erzeugt. Wenn der Mann in diesem Zusammenhang analysiert wird, ist es klar, dass die Männlichkeit getötet werden muss. In der Tat ist es das Grundprinzip des Sozialismus, den dominanten Mann zu töten.“ Der revolutionäre Ausspruch Rosa Luxemburgs, „Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus und kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung“, wird damit für nichtig erklärt. Die Gleichsetzung des männlichen Geschlechtes mit dem unterdrückenden System lässt keine Klassenanalyse mehr zu, noch schlimmer, sie verschleiert die tatsächlichen Unterdrückungsverhältnisse. Statt die Unterdrückung der Frau als ein Ergebnis der materiellen Verhältnisse zu sehen, wird sie in Konkurrenz gestellt – zum Klassenkampf. Dies wird sehr deutlich ausgedrückt: „Die Tatsache, dass im Laufe der Geschichte die Frau – die ewige Gefangene in den Händen des Mannes – ihrer Identität und ihres Charakters beraubt wurde, hat erheblich mehr Schaden verursacht als die Klassenspaltung.“

Diese vehemente Ablehnung eines Klassenbegriffes ist Teil der gesamten kurdischen Bewegung. Das Unterdrückungsverhältnis besteht danach nicht zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden, also Bourgeoisie und ArbeiterInnenklasse, sondern zwischen Mann und Frau, zwischen TürkInnen/ AraberInnen etc. und KurdInnen oder einem autoritären Staat und freiheitlichem Kommunewesen. Diese politische Überzeugung wird in Rojava tatsächlich auch umgesetzt. Wir unterstützen und verteidigen Rojava gegen alle Angriffe von außen, sei es der IS, der türkische Staat oder imperialistische Interventionen. Wir verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung aller unterdrückten Nationen. Doch wir kritisieren auch die Politik der PYD, nicht aus westlicher Borniertheit, sondern aus dem Gedanken des Internationalismus heraus. Der Kampf der KurdInnen im Nahen Osten ist verknüpft mit allen anderen Kämpfen von Unterdrückten und hat nicht nur symbolische Bedeutung. In der aktuellen Lage steht das Projekt Rojava vor schwierigen Entscheidungen. Mit dem Fall von Aleppo ist die Konsolidierung des Assad-Regimes in greifbare Nähe gerückt und auch Rojava, das bisher eine neutrale Position einnahm im syrischen Bürgerkrieg, muss sich bald entscheiden, wie es sich dazu verhält. Neutralität hilft immer dem Unterdrücker, nicht den Unterdrückten, doch nach dessen Sieg wird sich der Unterdrücker nicht mehr an diese kleine Geste erinnern. Weder Assad noch seine Partner Iran, Russland und auch die Türkei haben ein Interesse an einer weiteren und linkeren kurdischen Autonomie. Vor allem das unter Druck geratene Erdogan-Regime kann sich diesen Risikofaktor nicht leisten.

Wie kann die PYD nun also darauf reagieren? Ihr politisches Programm, nämlich zum einen die kapitalistischen Grundlagen wie das Privateigentum und auch die Staatsgrenzen im Nahen Osten anzuerkennen, sind schon einmal die erste Einschränkung für eine Ausweitung der Revolution. Natürlich darf man nicht die vielen internationalen KämpferInnen vergessen, die sich bereits der YPG/YPJ angeschlossen haben, jedoch werden auch sie sich nicht gegen die NATO-Macht Türkei oder gegen Assad und seinen russischen Verbündeten wehren können. Was bisher geschah, waren radikale politische Reformen, keine soziale, geschweige denn sozialistische Revolution. Die Frau darf an der Waffe kämpfen und das wird auch ausdrücklich staatlich gefördert (zum Beispiel durch den Militärdienst, zu dem auch Jugendliche eingezogen werden), aber dennoch gibt es keine Strukturen, welche die Hausarbeit und die Kinderversorgung übernehmen. Es entsteht also in erster Linie eine Mehrarbeit für die Frauen. Die Erfahrungen, die sie jetzt in den Selbstverteidigungsstrukturen und in den politischen Basiskomitees machen, sind wichtig und bestärkend. Sie ersetzen jedoch nicht die längerfristige, internationalistische Perspektive und die Antwort auf die Frage, welche Klasse herrscht und welche Produktionsverhältnisse den Alltag bestimmen.




Pakistan – Frauen und Islam

Elise Hufnagel, Neue Internationale 215, Dez. 16/Jan. 17

In islamisch geprägten Ländern wie Pakistan stehen Frauen einer vielfachen Unterdrückung gegenüber, geprägt von religiösem Fundamentalismus, vor-islamischen Formen des Patriarchats, männlichem Chauvinismus, wirtschaftlichen Notlagen und perfiden Kriegstaktiken.

Die tief sitzenden Traditionen systematischer Frauenunterdrückung werden dabei durch andere Formen der Spaltung entlang nationaler Linien, religiöser Herkunft und auch durch das offiziell verbotene Kastenwesen verstärkt.

Nach der Gründung Pakistans wurde das Land zur „islamischen Republik“. Die gesellschaftlichen Strukturen der Frauenunterdrückung existierten schon während seiner gesamten Geschichte, unter der Diktatur Zia-ul-Haqs (1977-1988) verschärften sie sich jedoch dramatisch. Nach einem Putsch wurden die Linke, die ArbeiterInnenbewegung, zahlreiche Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen brutal unterdrückt. Für die Frauen bedeutete sein Regime eine Katastrophe. Die ausgeweiteten Befugnisse islamischer Rechtsinstitutionen verschlechterten die Stellung von Frauen.

Besonders krass trat das 1979 hinsichtlich der Stellung der Frau bei Vergewaltigungen zutage. Die Vergewaltigung in der Ehe gilt seither nicht mehr als Verbrechen. Bei Vergewaltigungen außerhalb der Ehe gilt die Aussage des Mannes mehr als jene der Frau. Will eine Frau einen Vergewaltigungsvorwurf beweisen, muss sie vier männliche Zeugen (!) aufbringen.

Diese Gesetze und andere Verschlechterungen wurden nach Zia unter den folgenden Regierungen – darunter auch jener der „linken“ Benazir Bhutto – trotz anderslautender Versprechen kaum angetastet.

Der Grund dafür ist einfach. In einem zunehmend instabilen, von sozialen und politischen Gegensätzen zerrissenen Land wollte sich keine Regierung mit den klerikalen, oft erzreaktionären „Würden“trägern anlegen, sondern vielmehr diese auf ihre Seite ziehen.

Die rechtliche Stellung der Frauen ist also extrem schlecht. Hinzu kommt, dass die ständigen Zugeständnisse an reaktionäre religiöse Kräfte auch dazu geführt haben, dass in manchen Provinzen und in ländlichen Gebieten formal illegale Praktiken (Kinderheirat unter 16, verschiedenen Formen arrangierter Ehen, …) bis heute weit verbreitet sind.

Verschiedene Klassenlagen

Die Lage der Frauen in Pakistan kann nicht als „homogen“ bezeichnet werden, sie ist von Spaltungen zwischen Klassen, Nationen und Kasten durchzogen. In der herrschenden Klasse gibt es in mancher Hinsicht eine relative Gleichberechtigung der Geschlechter. Diese Frauen können fast als einzige umfassende Bildung erlangen.

Am heftigsten wirkt sich die Stärkung islamischer und islamistischer Ideologie für viele Frauen des  Kleinbürgertums und der Mittelschichten aus. Diese können – anders als jene der ArbeiterInnenklasse und der armen und mittleren Bauernschaft – auch real aus der beruflichen Tätigkeit gezogen werden. Hier kann die „islamische Familie“ auch einigermaßen „verwirklicht“ werden.

Für die meisten Frauen der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft hingegen gibt es keinen Zugang zur schulischen Bildung. Insgesamt liegt die Analphabetenrate von Männern bei 30 Prozent, von Frauen bei 60 Prozent.

Unter den zirka 65 Millionen LohnarbeiterInnen sind rund 20 Prozent Frauen. Von diesen arbeiten die meisten unter „prekären“ Verhältnissen in der Form der „Kontraktarbeit“ (ohne minimalen Kündigungsschutz, Arbeitssicherheit, Krankengeld oder Rente). Ihr Lohn liegt weit unter dem offiziellen Mindestlohn (ca. 110 Euro/Monat), LandarbeiterInnen verdienen gerade knapp die Hälfte davon. Unter der Bauernschaft ist der Anteil der arbeitenden Frauen am höchsten mit rund 75 Prozent, wobei viele als „Mithelfende“ zählen. Zu diesen Zahlen kommen Millionen „Gelegenheitsarbeiterinnen“.

Trotz zunehmenden Zwangs zur Erwerbsarbeit ist es vor allem auf dem Land den Frauen oft nicht gestattet, allein das Haus zu verlassen. Das bedeutet für schulpflichtige Mädchen täglich Begleitung durch männliche Verwandte und meist das Aus für weiterführende Schulbildung, für die sie in die Stadt fahren müssten.

Für ArbeiterInnen ist das Verlassen des Hauses, um einer Lohnarbeit nachzugehen, vor allem bei Dunkelheit ein Spießrutenlauf zwischen Anfeindung und Übergriffen. Auch daher blüht der Sektor Heimarbeit, in dem hauptsächlich Frauen unter ausbeuterischen Bedingungen ihre Arbeitskraft verkaufen, meist die Produktionsmittel selbst stellen und Kredite zu horrenden Zinsen von ihren Mittelsmännern aufnehmen müssen.

Die Ehe ist für sie meist die einzige Sicherheit und zugleich auch ihr Gefängnis.

Häufig dürfen sie ihren Ehepartner nicht selbst wählen, Ehen werden arrangiert.

Diese dramatische Situation bedeutet jedoch nicht, dass Frauen in Pakistan oder anderen islamischen Ländern nur als Opfer betrachtet werden dürfen. In den letzten Jahren gab es auch eine Reihe beeindruckender Widerstandsaktionen, z. B. von Krankenschwestern und -pflegerinnen, oder Versuche von Beschäftigten in der Hausindustrie, eigene Gewerkschaften aufzubauen.

Diese sozialen Kämpfe sind ein wichtiger Ansatzpunkt für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung. Diese muss aber vor allem auch eine politische sein, sich gegen die gesellschaftliche Unterdrückung, reaktionäre islamistische, islamische sowie staatliche, wenden und für die vollständige rechtliche Gleichstellung der Frauen eintreten, um so das Kampfterrain für alle ArbeiterInnen und Unterdrückten zu verbessern.




USA – „Women’s March“ als Sammelpunkt für „Anti-Trump-Proteste“

Christian Gebhardt, Frauenzeitung Nr. 5, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Der Präsident, der eigentlich nicht sein sollte – Donald Trump, der nicht nur mit sexistischen Äußerungen im Wahlkampf auf Stimmenfang ging, wurde am 20. Januar als 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Während viele Menschen dachten, als Präsident werde er sich ändern müssen, machte er in seiner Antrittsrede klar, wohin der Weg gehen soll. Seine Versprechen sollen umgesetzt werden, ohne Wenn und Aber.

Dies führte dazu, dass am Tag nach der Vereidigung, am 21. Januar, die größten Demonstrationen weltweit seit den Protesten gegen den Irakkrieg 2001 stattfanden. Der „Women’s March“ (Frauenmarsch) markierte bisher den Höhepunkt der Anti-Trump-Bewegung. Aber nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt gingen bei über 650 Demonstrationen schätzungsweise rund 5 Millionen Menschen auf die Straße.

Die größten fanden in Los Angeles (750.000), Washington, D.C. (500.000), Chicago (500.000), New York (200.000) und Boston (175.000) statt. Aber nicht nur in den Metropolen der „liberalen Küsten“ gingen die Menschen an diesem Tag auf die Straße. Auch in den konservativeren Regionen regte sich sichtbarer Widerstand: 60.000 in Austin (Texas), 15.000 in Nashville (Tennessee) und 60.000 in St. Paul (Minnesota).

Diese Zahlen zeigen, dass es eine große Masse Menschen in den USA gibt, die Präsident Trump schon am zweiten Tag seiner Präsidentschaft entgegentreten und ihren Unmut über ihn kundtun wollten. Aber nicht nur in den USA, auch weltweit trieb die Angst vor den Auswirkungen seiner Präsidentschaft die Menschen auf die Straße. Dass dies nicht zu Unrecht geschah, bewiesen u. a. die kurz darauf folgenden Dekrete zum „Einreisestopp“ für Menschen aus sieben muslimisch geprägten Ländern und zum „Mauerbau“ an der Grenze zu Mexiko.

Klassencharakter der Proteste

Was als „Marsch der Frauen“ begann, weitete sich schnell zu einer größeren „Anti-Trump“-Demonstration aus. Nicht nur die sexistischen Äußerungen Trumps sollten angeprangert und die Furcht der US-amerikanischen Frauen vor Rückschritten in der Frauenpolitik artikuliert werden. Auch etliche andere Themen darüber hinaus sollten zur Sprache kommen. Es waren Slogans und Schilder zu sehen zu den Themen Frauenrechten, Rechte für People of Color (Black Lives Matter), Rechte für Muslimas, ImmigrantInnen, LGBTQ-Menschen und auch zu ökologischen Fragen. Aber bei den Schildern blieb es auch. Die Organisation der Proteste blieb stark in den Händen der bürgerlichen Frauenbewegung und der Demokratischen Partei.

Dennoch kam es zu einer interessanten Entwicklung. Rund um die Frage des „Rechts auf Abtreibung“ mussten die OrganisatorInnen einen prinzipiellen Standpunkt einnehmen und luden Organisationen, die sich offen gegen das Recht auf Abtreibung aussprechen, nicht zur Teilnahme am Marsch der Frauen ein. Ihnen wurde die persönliche Teilnahme zwar offen gehalten, öffentlich durften sie jedoch nicht als unterstützende Organisationen auftreten.

Auch wenn hier viele positive Entwicklungen stattfanden, wie diese klare Abgrenzung zu AbtreibungsgegnerInnen bzw. die progressive Ausweitung und Verbindung mit anderen Protestbewegungen, muss auch darauf hingewiesen werden, dass noch viele Schritte hin zu einer effektiven Bekämpfung des Präsidenten Trump vonnöten sind. Einer davon ist die Überwindung der starken Kontrolle der Proteste durch die Demokratische Partei sowie die bürgerlichen Feministinnen. Der Marsch der Frauen (wie auch die daran anschließenden Proteste gegen den Einreisestopp) wurde stark von diesen organisiert sowie kontrolliert. Die ihnen nahestehenden Medien bewarben den Marsch über Wochen hinweg, was auch zu der großen und tiefgreifenden Teilnahme geführt hat.

Die meisten offiziellen Redebeiträge fokussierten sich darauf, dass mit einer Wahl Clintons zwar alles besser gewesen wäre, Mensch sich nun aber auf das Wesentliche konzentrieren müsste. Dies sei nun die Verteidigung der Demokratie, die allen Menschen und „AmerikanerInnen“ dienen solle. Gewährleistet wird dies durch das geschlossene Auftreten aller als „AmerikanerInnen“ und „PatriotInnen“. Durch gutes Zureden und unter Druck setzen könne Trump schon zur Einsicht gelangen und sich den notwendigen demokratischen Prozessen anpassen.

Sollte es Trump trotz dieser Proteste nicht vollbringen seine Ansichten zu ändern, wird auf die kommenden Wahlen 2020 verwiesen. In diesen soll die Demokratische Partei mit Hilfe aller „wahren AmerikanerInnen“ den Republikanern ihre absolute Mehrheit streitig machen. Wer eine Perspektive abseits des Wahlkalenders für die Bewegung suchte, hatte bei der Demokratischen Partei und den bürgerlichen Feministinnen kein großes Glück. Menschen, die durch die bis 2020 geplanten Maßnahmen betroffen sein werden (u. a. durch die Rücknahme der Gesundheitsreform), wird dies nicht viel weiterhelfen. Aber welche Perspektive kann es geben?

Proletarische Frauenbewegung als Weg zu einer ArbeiterInnenpartei

Auch wenn der geplante Fokus des „Women’s March“ durch die große Beteiligung etwas verloren ging, hat er dennoch gezeigt, dass Frauen ein großer Bestandteil der Anti-Trump-Bewegung darstellen und auch eine Mobilisierungsfähigkeit aufweisen. Jedoch wurde unmissverständlich klar, dass die Kontrolle der Proteste fest in den Händen der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte liegt. Dies wird schlussendlich aber nur dazu genutzt werden, um die Unterstützung der derzeitigen Anti-Trump-Proteste in Richtung Demokratische Partei zu kanalisieren, welche aber keine klare Alternative für die Bewegung darstellen kann.

Die jetzigen Proteste und Streiktage im Rahmen der Kampagne „DayWithoutUs“ sind Schritte in die richtige Richtung. Innerhalb der bestehenden Bewegung müssen Revolutionärinnen offen für den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung eintreten und den Bruch mit den bürgerlichen Kräften suchen. Der Schritt, die Abtreibungsgegnerinnen von den Protesten auszuschließen, ist hier ein erster, wenn auch kleiner, der unbedingt verteidigt und ausgebaut werden muss. Daneben muss der Kampf gegen Sexismus ebenso wie gegen Rassismus innerhalb der gesamten ArbeiterInnenklasse unbedingt betont werden. Die Situation von Women of Color, die wesentlich weniger verdienen als weiße Männer und Frauen, statistisch unter mehr sexuellen Übergriffen zu leiden haben und zudem gegen den in den USA verankerten staatlichen Rassismus kämpfen müssen, macht es notwendig, dass ihre Forderungen von einer proletarischen Frauenbewegung integriert werden, um eine erfolgreiche Bewegung zu gewährleisten.

Eine solche proletarische Frauenbewegung kann davon ausgehend nicht nur ein Bestandteil und Ausgangspunkt für überwältigende Demonstrationen sein, sondern auch eine wichtige Komponente im Aufbau einer dringend notwendigen ArbeiterInnenpartei in den USA spielen. Nur durch sie kann die ArbeiterInnenklasse als Ganze ihre Macht entfalten und die auf den Demonstrationen aufgeworfene Forderung nach der Absetzung Trumps wirklich erreichen: „Hehe, hoho, president Trump has got to go!“