Frauenzeitung: Editorial

Redaktion, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Liebe Leserinnen und Leser!

Dies ist bereits die vierte Ausgabe unserer Frauenzeitung, die wir seit 2013 jeweils zum Internationalen Frauenkampftag herausgebracht haben. Wir freuen uns, dass es zum wiederholten Male eine gemeinsame Ausgabe der Jugendorganisation REVOLUTION und der Gruppe ArbeiterInnenmacht geworden ist.

Der Schwerpunkt liegt auf Flucht und Rassismus, dem Schwerpunktthema des vergangenen Jahres.

Wir befassen uns in dieser Frauenzeitung in den verschiedenen Artikeln mit dem Schicksal geflüchteter Frauen und dem von LGBTIA-Menschen. Ein Artikel beleuchtet das Los syrischer flüchtender Frauen und Kinder in der Türkei. In einem langen Beitrag untersuchen wir die Lage für Frauen in Afghanistan unter dem Besatzungsregime, die Rolle der islamistischen Reaktion in Gestalt der Warlords und der Taliban sowie die Politik der progressiven afghanischen Frauenbefreiungsorganisation RAWA. Wir entwickeln einen in ein Programm der permanenten Revolution für Afghanistan und die Länder des Mittleren Ostens eingebetteten Forderungskatalog für die Befreiung der Frau, insbesondere die der Arbeiterin und armen Bäuerin. In Gestalt der AfD tritt uns nicht nur eine rasch wachsende Partei der rassistischen und sexistischen Reaktion entgegen, sie vertritt auch ein äußerst rückschrittliches Bildungs- und Familienprogramm, das die Ängste des vom sozialen Abstieg bedrohten gehobenen Kleinbürgertums zum Ausdruck bringt. Wir analysieren u.a. ihr Frauenbild, z.B. an der Position zur Abtreibung. Der ausführliche Artikel zum Queerfeminismus untersucht die methodischen Quellen dieser Theorie bei Judith Butler. Der Verbreitung dieser modischen Ideologie innerhalb der radikalen Linken wird eine marxistische Kritik entgegengestellt. „Was ist der Ursprung sexueller Unterdrückung?“ fragt ein weiterer Beitrag und beleuchtet diese Frage vom historisch-materialistischen Standpunkt aus. Last but not least zeigen wir am Beispiel der Heimarbeiterinnengewerkschaft in Pakistan, wie sich Arbeiterinnen in einem bedeutenden halbkolonialen Land zur Wehr setzen und sich über alle Schwierigkeiten hinweg organisieren können. Ihnen und unserer in tätiger Solidarität mit dieser Gewerkschaft stehenden pakistanischen Sektion, der RSM, gebührt unsere besondere Aufmerksamkeit.

Der Kampf der Heimarbeiterinnen Pakistans steht im Geiste der Tradition des 8. März, des internationalen Frauentags, dessen Ursprünge auf die Anstrengungen der ArbeiterInnenparteien der Sozialistischen (II.) Internationale zurückgehen, insbesondere auf ihre Frauen wie z.B. Clara Zetkin. Deshalb fordern wir Euch alle, Frauen wie Männer, auf: beteiligt Euch massiv an den Aktionen zum diesjährigen 8. März! Die GAM und REVOLUTION werden dazu wieder Veranstaltungen abhalten. Ein Veranstaltungsterminkalender ist im Folgenden abgedruckt. Besucht unsere gemeinsamen Veranstaltungen!

Zu guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass die letzte Jahreskonferenz der GAM beschlossen hat, den Gruppennamen in Gruppe ArbeiterInnenmacht umzuändern. Die Konferenz davor hatte nach ausführlicher Debatte um die Bedeutung von Sprache und Schreibweise, der gründlichen Auseinandersetzung mit postmodernen, poststrukturalistischen und TheoretikerInnen wie Louis Althusser beschlossen, die Schreibweise mit Innen auch inmitten zusammengesetzter Wortbegriffe zukünftig zu verwenden, die die Betonung beider Geschlechter hervorheben sollen, also v.a. den Zusammenhang mit dem Kampf der ArbeiterInnenklasse und anderer sozial Unterdrückten.

Die möglicherweise benutzten beiden Schreibweisen (z.B. Arbeiter_Innen neben ArbeiterInnen) in dieser Ausgabe sind den geringfügig verschiedenen Praktiken bei GAM und REVOLUTION geschuldet.




Afghanistan: Keine Befreiung in Sicht

Elise Hufnagel, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Herbst 2001 begann der US-geführte Militäreinsatz in Afghanistan (Operation Enduring Freedom), unterstützt von der ISAF, der International Security Assistance Force, an der sich die Bundeswehr beteiligt. Ging es zunächst um den „Kampf gegen den Terror“, wurden die Ziele des Angriffs schnell auf die Errichtung der Demokratie nach westlichem Vorbild und die Stärkung der Rechte der Frauen erweitert, um einen längeren Einsatz zu rechtfertigen.

Islamismus und Besatzung: Todfeinde für Frauenrechte

Dabei ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, dass Afghanistan schon für die Briten im 19. Jahrhundert als attraktiver Standort im nahen Osten und als wichtiges Pfand gegenüber Russland galt. Und auch heute wäre es für die USA wieder wertvoll, dieses Land mit seiner geostrategischen Lage im mittleren Osten – Nähe zu China, Iran, Pakistan, Indien und den südlichen ehemaligen UdSSR-Republiken – „in den Griff zu bekommen“. In den letzten Jahren stellte sich auch heraus, dass Afghanistan nicht geringe Vorkommen an Kupfer und Eisenerzen zu bieten hat, ebenso wie Lithium, ein begehrter Rohstoff für die Computerbranche. Zwei große Konzerne aus China und Indien haben auch schon Ausbeutungsrechte erworben. Jedoch, aufgrund der unsicheren Lage im Land, läuft der Abbau bisher nicht wie geplant.

Heute ist weder die anhaltende Freiheit noch die Sicherheit in dem bürgerkriegsgebeutelten Land gewährt – und schon gar nicht für Frauen. Die Taliban gewinnen wieder mehr Boden im Land, die Warlords der Nordallianz teilen die Gebiete unter sich auf, der Drogenhandel ist immer noch die lukrativste Einnahmequelle und ein Drittel der Bevölkerung lebt weiterhin in bitterer Armut.

80 Prozent der afghanischen Frauen sind Analphabetinnen und nur weniger als ein Drittel gehen einer geregelten Lohnarbeit nach.

Die „First Lady“, Rula Ghani, äußerte auf einer Ausschuss-Sitzung im Bundestag letztes Jahr, die Dominanz der Männer in ihrem Land habe zugenommen, empfahl aber den Geberländern, die Betonung doch bitte nicht so sehr auf die Rechte der Frauen zu legen, sondern die Bedeutung von Familie und gegenseitigem Respekt zu unterstützen.

Die Wirklichkeit in Afghanistan: barbarische Frauenunterdrückung

Aber ist die Befreiung der Frauen in Afghanistan wirklich so leicht: alle sind einfach ein bisschen netter und die Grundstrukturen der Unterdrückung bleiben erhalten?

Wie sieht die strukturelle Unterdrückung der Frauen aus und wodurch wird sie am Leben erhalten? Sind die Afghanen einfach nicht „lernfähig“, ist allein die islamische Religion Schuld an der Misere der Frauen und warum sind sie nach 14 Jahren „stetiger Bemühung“ der westlichen Allianz immer noch nicht befreit und demokratisiert? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden.

Ab und an erreichen uns Horrormeldungen über misshandelte Frauen in Afghanistan. So wurde im März letzten Jahres eine Studentin in Kabul von einem Mob aufgebrachter Männer öffentlich totgeschlagen und verbrannt, nachdem sie angeblich den Koran angezündet habe. Nebenbei wurde erwähnt, dass sie vorher einen Streit mit einem Geistlichen gehabt habe, der dann, wohl nicht mehr Herr der Lage, das Gerücht der Gotteslästerung lautstark verbreitete, worauf die Lynchjustiz begann und von der Polizei nicht aufgehalten wurde. Diese Tat löste Massenproteste in der Hauptstadt aus.

Im November letzten Jahres ging ein Video über eine Steinigung durch die Medien. Eine junge Frau hatte ihren weitaus älteren Ehemann betrogen. Sie wurde in einem Erdloch zu Tode gesteinigt, ihr Liebhaber kam offensichtlich davon. Die Gouverneurin der Provinz, eine von nur zwei Frauen in dieser Stellung im Land, warnte vor weiteren derartigen Übergriffen und machte die Taliban und verantwortungslose Kriegsherren für die Tat verantwortlich.

Als die Taliban im September 2015 kurzfristig Kundus eroberten, konnten sie zahlreiche Daten von Regierungs- und NGO-Einrichtungen erbeuten. Es folgten massive Angriffe unter anderem auf Frauenrechtlerinnen und auch auf Kliniken. Frauen wurden vergewaltigt und getötet, Häuser niedergebrannt und auch nach dem Rückzug wurden viele Aktivistinnen über Handy weiter bedroht, alles um „Recht und Scharia“ wiederherzustellen. Und das in einer Stadt, in der Frauen gerade mühsam angefangen hatten, sich wieder auf die Straße zu trauen.

RAWA: fortschrittlichste Frauenorganisation Afghanistans

RAWA, die „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“, hat eine Liste erstellt, die die Vorstellungen der Islamisten über Frauen dokumentiert:

  • Verbot für Frauen, außerhalb des Hauses zu arbeiten (Ausnahme: wenige Medizinerinnen und Krankenschwestern in Krankenhäusern)
  • Verbot sämtlicher Aktivitäten außerhalb des Hauses ohne männliche Begleitung
  • Forderung an Frauen, die Burka (Ganzkörperschleier) zu tragen
  • Steinigung für Frauen, die außerehelichen Sex hatten
  • Verbot für Frauen, Sport zu treiben oder in einen Sportclub zu gehen
  • Verbot, Kosmetik aufzutragen
  • Verbot für Frauen, laut zu lachen
  • Verbot für Frauen, sich zu Erholungszwecken zu treffen und vieles mehr.

Die Gruppe ist seit den 1970er Jahren im Widerstand, sowohl gegen die SU-gestützte DVPA-Regierung als auch gegen die spätere Taliban-Regierung sowie gegen die heutige Regierung und die internationalen Invasoren. RAWA tritt nach eigenen Angaben für Frauen-, soziale und Freiheitsrechte ein. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Dokumentation der Verbrechen an Frauen und der Einrichtung von Bildungsstätten für Frauen und Mädchen, viele davon in Flüchtlingsgebieten wie Pakistan (siehe auch unseren Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni77/afghanistan.htm).

Sie wird verfolgt von Extremisten und Warlords, zählt zu ihren Feinden auch Leute in höchsten Regierungskreisen, wie auch den „Vizepräsidenten“ (der in diesem Fall „Hauptgeschäftsführer“heißt) Abdullah Abdullah.

Die DVPA- Regierung der 1970er und 80er Jahre hält sie für keine sozialistische, allenfalls eine Marionetten-Regierung der damals bereits degenerierten Sowjetunion. Sie beklagt, dass in dieser Regierungszeit mehr Linke, Intellektuelle und Demokraten ermordet wurden als die Taliban je geschafft haben.

Die Taliban sind für sie systematisch seit dem kalten Krieg von den USA, Saudi-Arabien und auch Pakistan aufgebaut worden und haben keine wirkliche Verankerung in der Bevölkerung.

Sie geht davon aus, dass ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nie schlechter waren als heute nach 14 Jahren westlicher Besatzung. Den Druck von den Taliban auf der einen und dschihadistischen Warlords auf der anderen Seite, deren kriminellste Elemente wieder an die Macht gekommen seien, sieht sie als Ursache der heutigen Probleme Afghanistans: Drogenhandel, Korruption und eine schlechtere Lage der Frauen denn je. Ihre Aussage ist: Alle Anschläge, alles was im Zuge der Rückeroberung von Kundus durch die Taliban passierte, komme den USA nur entgegen als Rechtfertigung für eine Verlängerung der militärischen Besatzung. Ihrer Meinung nach könnte die US-Armee innerhalb eines Monats die schlecht ausgerüsteten Taliban zerschlagen, wenn sie das wirklich wollte.

Veränderung kann nach ihrer Meinung nur aus dem afghanischen Volk und den fortschrittlichen Bewegungen, welche auch immer das sind, kommen; 14 Jahre Besatzung hätten gezeigt, dass Frieden und Wohlstand nicht unter militärischer Besatzung entstehen können.

Leider mangelt es der Frauenbewegung an Verankerung unter der Landbevölkerung, und sie haben auch kein wirkliches Programm, wie die Befreiung vorankommen soll. Die Forderung allein: „Alle Besatzer sollen das Land verlassen, dann läuft es auch mit der Demokratie, wir brauchen eben noch ein paar Jahrzehnte“ zeigt keine Perspektive, wie beispielsweise die Frauen kämpfen sollen, gegen patriarchale Gewalt, Korruption und letztlich auch gegen eine Regierung, die nur einen Kompromiss auf  internationalen Druck hin verkörpert. In der sogenannten Einheitsregierung sind die beiden „Chefs“, Ghani und Abdullah, hauptsächlich damit beschäftigt, sich nicht vom jeweils anderen übervorteilen zu lassen und die eigenen Leute in Machtpositionen zu hieven. Die Wahl stand unter massiven Betrugsvorwürfen gegen beide Kontrahenten, und die Regierung hat bis jetzt nur gezeigt, wie handlungsunfähig sie ist. Dabei ist für den Westen natürlich eine starke Zentralregierung als Verhandlungspartner entscheidend, allein das Volk Afghanistans identifiziert sich nicht mit ihr, was sich beispielsweise in der Weigerung, Steuern zu zahlen, zeigt.

Afghanische Vorzeigefrauen

Natürlich gibt es in Afghanistan auch berühmte „starke“ Frauen wie die Ärztin und ehemalige Frauenministerin Sima Samar, die Menschenrechtlerin, die durch gemäßigten Auftritt versucht, ihre Gegner zu überzeugen. Letztendlich wurden ihre Versuche, die Gesundheit der Frauen zu verbessern, unter der Taliban-Regierung beschränkt und ihre Untersuchungen über die Verbrechen der Warlords vom damaligen Präsidenten Hamid Karzai unterbunden, der seine Verbindung zu den Kriegsherren gestört sah.

Oder die jüngste Abgeordnete Malalai Joya (Dschoja) (siehe auch www.arbeitermacht.de/ni/ni153/ buchbesprechung.htm), die ihre Kritik sowohl an den Machenschaften der Warlords als auch an der amerikanischen Besatzung öffentlich äußerte, dafür  3 Jahre lang von Kabinettssitzungen ausgeschlossen wurde und danach nicht mehr zu Wahlen antrat.

Faktisch ist es Frauen in Afghanistan nicht möglich, öffentliche Ämter auszuüben ohne männliche Schirmherrschaft, nach deren Meinung sie sich dann im Ernstfall auch richten müssen.

Afghanische soziale Realität: die Schranke für bürgerliche Frauenrechtlerei

Warum stagniert also der „Kampf für die Rechte der Frauen“?

Fragt man Frauenrechtlerinnen in Afghanistan, so stellen sie meist die Forderung nach Bildung als Voraussetzung für die Befreiung der Frauen in den Vordergrund. Einer umfassenden Ausbildung stehen aber viele Faktoren entgegen: mangelnde Ausbildung von LehrerInnen, fehlendes Lehrmaterial ebenso wie die Armut der Familie. Noch immer ist für viele Mädchen die Schulzeit nach der Grundschule beendet und nicht wenige werden viel zu früh verheiratet. Für eine Familie auf dem Land ist der „Verkauf“ einer Tochter gegen Land oder Nutztiere immer noch die einzige Alternative zum Verhungern. Viele wagen nicht, ihre Töchter in Mädchen-Schulen zu schicken, da diese häufig Angriffsziele extremistischer Fanatiker sind, und oft wird die Mitarbeit der Töchter zuhause dringend zum Broterwerb benötigt.

Die Schulen wurden gebaut als Vorzeigeobjekte, aber nicht selten stehen auf dem Land sogenannte „Geisterschulen“, in die niemand geht, und die Machthaber im Dorf kassieren immer noch die Lehrergehälter.

Entscheidend ist auch die Akzeptanz einer Schule in einer Gemeinde. Tatsächlich verringert sich das Risiko für Angriffe auf eine Schule, wenn sie von der Region selbst gewünscht wurde und statt von den internationalen Gebern selber verwaltet und bewacht wird.

Viele Gewalttaten gegen Frauen passieren im familiären Zusammenhang, oft als Ergebnis von Zwangsheirat mit erheblich älteren Männern. Frauen, die sich dagegen auflehnen oder gar flüchten, landen im Gefängnis oder werden von den Familien gleich selbst bestraft. Anzeigen gegen Gewaltakte werden zwar vermehrt aufgegeben, jedoch kommt es in einem System von Korruption und extrem schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten „Ordnungskräften“ selten zu Verurteilungen der Männer. Viele NGOs versuchen, Frauen zu unterstützen, aber prinzipiell herrscht kein Vertrauen in die Regierung und Frauen geraten in einem Land, in dem ständiger Druck von Islamisten und Dschihadisten aufgebaut wird, zuerst ins Hintertreffen. Dies soll weder häusliche Gewalt noch öffentliche Angriffe auf Frauen rechtfertigen. Wir verurteilen alle Übergriffe auf Frauen, sei es aus religiösen oder persönlichen Gründen. Derartige Ausbrüche und Gewaltexzesse sind nur ein Ausdruck der tiefen Spaltung der ArbeiterInnen- und der Ba(e)uerInnenklasse, die zumindest auf dem Land fernab von allen Regierungsgeschäften lebt, zwischen rivalisierenden Gruppen hin- und hergeschoben wird, auf den Zusammenhalt der „Familie“, wie reaktionär sie auch sein mag, angewiesen ist und an der die Erfahrungen des „Arabischen Frühlings” vorbeigezogen sind.

In der neuen Verfassung ist theoretisch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankert, doch fürchten schon jetzt viele mit den Erfolgen der Taliban ein weiteres Rollback für jede Verbesserung der Lage von Frauen.

Heuchelei der imperialistischen Besatzungsmächte oder: warum funktioniert die „Demokratisierung“ von außen nicht wie angekündigt?

Der „Krieg gegen den Terror“ sollte nach dem Modell „Clear – Hold – Build“ ablaufen, also Vertreibung  oder Vernichtung der Taliban, Halten der Stellung durch Ausbildung nationaler Streit- und Polizeikräfte und danach Aufbau der Infrastruktur, damit alle merken, woher der „Wohlstand“ kommt und die Taliban nicht mehr unterstützen.

Zunächst lief die Vertreibung der Taliban recht gut, wenn auch mit einigen „Kollateralschäden“ unter ZivilistInnen und oft vorbei an jedwedem Menschenrecht. Dass sich dadurch der Widerstand auch der Taliban erhöhte, „berechtigte“ dann wieder zu Einsätzen amerikanischer Spezialkommandos zur Terrorbekämpfung, die die Bevölkerung tyrannisierten.

Die Ausbildung der einheimischen Streitkräfte war jedoch nie wirklich erfolgreich, und wie sich jetzt zeigt, sind sie schlechter ausgerüstet als die Taliban und und desertieren schon teilweise.

Ein Drittel der Bevölkerung lebt immer noch unter der Armutsgrenze, der Wohlstand, der sich „wie ein Ölteppich“ auf das Land ausbreiten sollte, ist ausgeblieben: zum einen, weil viele Fördergelder gleich zu Anfang bei der afghanischen Elite versickert sind, zum anderen auch, weil die größten Posten heute in die Sicherheit der eigenen Truppen fließen, und zum Dritten mit dem (teilweisen) Abzug der Truppen zugleich der größte Auftraggeber der lokalen Wirtschaft verschwindet. Wir wollen ganz schweigen von den vielen Jobs für die urbane Mittelschicht, die eine anhaltende Militärpräsenz erforderlich machen, wie zum Beispiel Dolmetscher, deren Existenz jetzt auf dem Spiel steht, nicht nur finanziell, sondern auch, weil zum Beispiel die Bundesrepublik nicht für ihre Sicherheit garantiert und sie der Rache der Extremisten ausgesetzt sein können.

„Nicht selbsttragend“ nennt sogar die Bundesregierung das vorangegangene Wirtschaftswachstum. Die Terrorbekämpfung stand an erster Stelle, ein Wiederaufbau des Landes war nie ernsthaft angedacht. Die Verbündeten der NATO-Truppen sind zum Teil die gleichen Warlords, die in den neunziger Jahren das Land tyrannisiert haben.

Zeitgleich mit der Ankündigung des Truppenabzugs, die dann ja wieder relativiert wurde, stieg die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan. In Erinnerung an das Taliban-Regime ist das verständlich, denn sie wissen, dass die extremistische Gefahr nicht gebannt ist, zumal jetzt auch der IS mit Taliban-Gruppen kooperiert und versucht, eine Dominanz in Afghanistan zu bekommen.

Da erscheint die Kampagne des auswärtigen Amts mehr als makaber, mit der es versucht, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Auf großen Plakaten steht: „Sie wollen Afghanistan verlassen? Haben Sie sich das gut überlegt?“ Und „unser“ Innenminister setzt noch einen drauf, indem er äußert, deutsche Soldaten würden Afghanistan sicherer machen, große Summen von Entwicklungshilfe seien in das Land geflossen: „Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“

Dass die meisten Flüchtlinge in Pakistan landen, um nach einer Beruhigung der Lage wieder nach Hause zurückkehren zu können oder weil sie sich einen weiteren Weg gar nicht leisten können, hat er dabei wohl übersehen.

Für den Abzug der Besatzungstruppen und Selbstverteidigung der werktätigen Frauen!

Oft wird geäußert, dass der Fortschritt in Afghanistan ohne die Frauen nicht zu erreichen ist.

Wenn sich die ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen zusammenschließen, können sie ihre Häuser und Schulen selbst gegen die Fundamentalisten verteidigen, vorausgesetzt, sie erkennen, dass auch ihre ethnischen Konflikte nur den Zielen der Besatzer dienen, um sie zu spalten.

Die Massen in Pakistan, das heute als Auffangort für Flüchtlinge und Nachschubquelle für die Islamisten dient, können genauso zum Verbündeten werden, wenn sich ihre unterdrückten Schichten und Klassen organisieren, um ihre „alten Herren“, religiöse Fanatiker und gierige Warlords, zu verjagen.

In Rojava in Syrien sehen wir, wie Selbstverwaltung und -verteidigung Hand in Hand mit Frauenbefreiung geht. Diese Frauen, die gemeinsam mit den Männern in den Krieg gezogen sind und ihr Land aufbauen, lassen sich nicht mehr zwangsverheiraten oder ans Haus fesseln.

Der Aufbau von außen durch OEF und ISAF hat nicht funktioniert, und der Terror ist nicht beendet, sondern wieder auf dem Vormarsch.

Wir sagen: Zieht Eure Truppen restlos ab und sorgt dafür, dass Eure Hilfsgelder ausschließlich da landen, wo sie Fortschritt bringen: in der Erziehung und Bildung, in der Produktion, die den Afghanen nützt und nicht dem westlichen Kapital!

Es reicht nicht aus, zu fordern, dass „die Männer“ umdenken müssen, die Arbeit der wenigen NGOs für die Bildung und Förderung von Frauen muss in einer demokratischen Regierung ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Frauen im ganzen Land müssen lernen, sich gegen Patriarchat und religiösen Fundamentalismus zu verteidigen. Allerdings sind dabei Maßnahmen wie das Burka-Verbot der Besatzer wenig hilfreich (und waren wohl eher als subtile Terrorbekämpfung denn als Befreiung der Frauen gedacht). Die freie Ausübung der Religion muss gewährleistet sein; wenn sich Frauen aus religiöser Überzeugung und als Schutz vor Übergriffen verschleiern möchten, dann muss ihnen das gestattet werden.

Es gibt durchaus weltliche Schulen bzw. solche, die einen friedlichen Islam lehren, diese müssen ebenso geschützt werden.

Schutzräume für Frauen, die verfolgt werden, weil sie aus der Familie ausbrechen, müssen ausgebaut werden, damit sie nicht mehr Folter und Selbstjustiz ausgesetzt sind.

Statt mangelhafter Versorgung und Ausbildung einer Schein-Armee unter imperialistischer Aufsicht braucht Afghanistan eigene Milizen der ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen, die den Kampf für ihre eigene Freiheit auch führen können.

Hört auf, ihnen Marionetten-Regierungen vor die Nase zu setzen, die sie nicht akzeptieren werden! Lasst sie den demokratischen Aufbau selbst gestalten!

Dann wird sich zeigen, wie revolutionär die linken Parteien und Gruppen Afghanistans sind, ob sie den gemeinsamen Kampf als Frauen und Männer führen können.

Schlüssel zur Frauenbefreiung: ein Programm der permanenten Revolution

Die Befreiung der Frau geht Hand in Hand mit ihrer Befreiung vom Los der Reproduktionsarbeit, praktisch heißt das auf dem Land immer noch Heimarbeit, Subsistenzwirtschaft, keine freie Wahl des Ehepartners und keine Zeit für Bildung. Das stellt die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit einerseits und auch nach Verteilung von Land und Besitz auf. Voraussetzung dafür ist die Enteignung der Großgrundbesitzer und Wucherer, die Abschaffung aller vorkapitalistischen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse in verschiedenen Formen der Grundrente (Geld- und Naturalpacht, Zwangsdienste auf dem Land und im Haushalt, Tagelöhnerei und Kontraktlohn). Revolutionäre KommunistInnen treten dafür ein, dass einerseits die Lohnabhängigen und Landlosen im Dorf auf großen Staatsgütern beschäftigt werden, andererseits Anreize für die freiwillige Kollektivierung der Parzellenba(e)uerInnen geschaffen werden, die von der Aufteilung eines Großteils des enteigneten Großgrundbesitzes profitiert haben. Sie müssen energisch für ein Infrastruktur- und Agrarentwicklungsprogramm  kämpfen, das den Hunger und ökologische Schäden beseitigt, mittels Bewässerung, Aufforstung, Saatgutkultivierung und Bodenamelioration die nutzbare Ackerfläche vergrößert und durch sinnvolle Fruchtfolge die Bodenqualität für Mensch, Tier und Pflanzen erhält. Heute ist die Opiumgewinnung wieder landwirtschaftliche Haupteinkunftsquelle. Die Taliban hatten den Anbau untersagt, nachdem sie selber geraume Zeit daraus Profit geschlagen hatten. Das spricht Bände für den „Fortschritt“ innerhalb der Dorfwirtschaft. Wir sind dafür, dass Ba(e)uerInnen Pflanzen, die zur Drogengewinnung und für die Herstellung von Arzneimitteln dienen, legal anbauen dürfen. Wir verlangen aber den staatlichen Ankauf und Vertrieb solcher Produkte im Rahmen eines Behandlungsprogramms von Drogensüchtigen zu Preisen, die von Preiskomitees der ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen festgelegt werden! Das oben skizzierte Agrarbeschäftigungs- und -anbauprogramm muss jedoch Anreize für den Ausstieg aus der Opiumerzeugung zugunsten der Stillung der dringendsten Bedürfnisse (Lebensmittel, Kleidung, Wohnung) schaffen.

Ferner treten wir für vollständige Demokratie ein: Wahlrecht für Männer und Frauen! Trennung von Kirche und Staat! Freiheit für alle religiösen und weltlichen Überzeugungen! Für eine souveräne konstituierende Versammlung, in der KommunistInnen ihr Programm der permanenten Revolution für Afghanistan vorschlagen! Überwachung ihres Wahlvorgangs durch Komitees aus ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen! Für die Vertreibung der imperialistischen Besatzungsarmeen, den Sturz ihrer Kompradorenregierungen und die Niederlage der bewaffneten islamistischen Reaktion! Für völliges nationales Selbstbestimmungsrecht einschließlich des Rechts auf Austritt aus Afghanistan und Bildung einer selbstständigen Republik oder Anschluss an einen anderen Staat!

Für die Abschaffung von Zwangsehen und Brautpreis, Legalisierung der Abtreibung und Scheidung auf Wunsch der Frauen! Für ein kommunales Gesundheits-, Bildungs- und Haushaltsversorgungssystem, das die private Hausarbeit ablösen kann! Für ein staatliches Rentensystem, das die Abhängigkeit von der Familie und Verwandtschaft aufhebt!

Die völlige Lösung aller demokratischen Aufgaben, demokratische Republik wie Agrarbefreiung und nationale Selbstbestimmung, kann nur durch eine Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Ba(e)uer_innenschaft, durch eine ArbeiterInnen- und Ba(e)uerInnenregierung erfolgen, die bei demokratischen Maßnahmen nicht stehen bleibt, sondern von Beginn an zu sozialistischen (progressive Besteuerung; Enteignung des Großkapitals; Entwaffnung seiner paramilitärischen Verbände, Warlords, Taliban oder anderer reaktionärer, z.B. islamistischer, Kräfte sowie der bewaffneten Staatsmacht in Armee, Polizei und Geheimdienst; Ersetzung der ungewählten BeamtInnen- und RichterInnenschaft durch gewählte, jederzeit abrufbare und zum Durchschnittslohn bezahlte RepräsentantInnen) übergeht. Diese muss vom Tag 1 ihrer Herrschaft an auch die Revolution nach außen tragen, in der Errichtung einer sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens gipfelnd.

Der Unterschied zu RAWA und zum bürgerlichen Programm

Dieses Programm unterscheidet sich deutlich von dem der RAWA. Dies ist zwar für afghanische Verhältnisse progressiv, doch verbleibt es im bürgerlichen, linksliberalen Rahmen. Statt auf Propaganda und Agitation unter den Volksmassen setzt es auf die „gebildete“ städtische Elite, auf wohlwollendes Entgegenkommen der Regierung und Besatzer, kurz auf die Vertreter der herrschenden Klassen Afghanistans und der Imperialisten. Es verkörpert ein Modell westlicher Zivilisation und Entwicklungshilfe. Doch leider ist dieses seit Beginn der imperialistischen Epoche für die überwältigende Mehrheit der Menschheit, die in halbkolonialen Ländern wie Afghanistan lebt, vollständig reaktionär. Es leistet nicht nur keinen Beitrag zu deren Befreiung, sondern verfestigt deren Abhängigkeit, nutzt ausschließlich den imperialistischen Plünderern und Räubern. Mit einem Wort: das bürgerliche (Frauen-)Befreiungsprogramm hat seine revolutionäre Rolle wie die Bourgeoisie selbst längst ausgespielt. Die weltweit herrschenden bürgerlichen Klassen verkörpern nur noch die Reaktion auf der ganzen Linie!




Perspektivlos: Frauen auf der Flucht

Henry Schmidt, Revolution,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

In den hiesigen Medien wird der Flüchtlingsproblematik ein fast ausschließlich männliches Gesicht gegeben. Obwohl der überwiegende Teil von Menschen, die die gefährliche Flucht nach Europa wagen, Männer sind, sind weltweit mindestens 30% der Geflüchteten Frauen; immerhin 18 Millionen. Sie sind oft Binnenflüchtlinge oder leben in gigantischen Lagern am Rande der Nachbarländer. Der Grund dafür ist, dass sie weniger Unterstützung aus Familie und Gesellschaft für eine Flucht nach Europa bekommen, weil in sie weniger Hoffnungen auf einen Erfolg gesetzt werden oder sie Kinder zu versorgen haben. Problematisch ist das besonders, wenn man bedenkt, dass es eine ganze Reihe frauenspezifischer Fluchtgründe gibt. Auf der Flucht und auch in den Zielländern, sei es in Kenia, der Türkei oder in Europa, haben Frauen dann ganz besonders mit den Problemen einer sexistischen Gesellschaft wie sexueller Gewalt oder reaktionären Rollenbildern zu kämpfen.

Frauenspezifische Fluchtgründe

Wenig Beachtung findet die Tatsache, dass es noch eine ganze Reihe von Gründen gibt, die in einer patriarchalen Gesellschaft nur Mädchen und Frauen betreffen. Einer davon ist die Genitalverstümmelung, die vor allem in ganz Afrika und dem südasiatischen Raum Anwendung findet. Sie ist ein barbarischer Gewaltakt, der oft irreparable körperliche und psychische Schäden verursacht und nicht ein Integrationsritus, wie von deutschen Beamten oft relativierend behauptet wird.  Deshalb wird sie meist nicht als legitimer Fluchtgrund anerkannt.

Ein wichtiger Punkt ist zudem die Zwangsehe. Sie betrifft vor allem Frauen und Mädchen sehr jungen Alters und liefert sie an einen oft viel älteren Mann aus, dem die Frau fortan gehört. Auch hier wird zumeist kein Asyl gewährt. Die Begründung: diese Praktiken träfen nicht alle Frauen einer bestimmten Religion, Ethnie usw.

Die Tötung im Namen der Ehre ist eine Praxis, die selbst in Europa, wie z.B. im Kosovo, der September 2015 als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde, zumeist aber in der arabischen Weltweite Anwendung findet. Betroffen sind weltweit jedes Jahr ca. 5000 Frauen. Homosexualität, außerehelicher Sex, sei es auch eine Vergewaltigung, oder Ehebruch, können Auslöser für eine „Ehrverletzung“ sein. Abgelehnt werden Asylanträge mit der Begründung, dass die jeweiligen Staaten für den Schutz der betroffenen Personen zuständig sind.

Dies führt schon zum nächsten frauenspezifischen Fluchtgrund: der Sanktion nach einem Ehebruch. In einigen Ländern sind EhebrecherInnen mit sehr harten staatlichen Strafen sowie mit der schon oben genannten Selbstjustiz konfrontiert. Einige Fälle wurden in Deutschland nur als „asylrelevant“ eingestuft, weil Frauen für das gleiche Vergehen sehr viel härter bestraft werden als Männer.

Sexuelle Gewalt ist natürlich auch ein sehr wichtiger Fluchtgrund, der nur Frauen betrifft. Dabei ist  hauptsächlich die sexuelle Gewalt von bewaffneten Gruppen gemeint. Sie wird von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ausgeführt. Begangen werden die Taten bei Razzien, in der Haft oder bei Überfällen auf Dörfer und Städte. Massenvergewaltigung als Kriegswaffe wird flächendeckend in Ländern wie dem Kongo oder dem Südsudan angewandt, doch auch in Syrien spielt sexualisierte Gewalt eine große Rolle. Die Ablehnung von Asylanträgen wird damit begründet, dass der Herkunftsstaat für den Schutz der Frauen sorgen muss oder es sich um private Verbrechen handelt, die nicht asylrelevant sind.

Allgemein lässt sich sagen, dass zwar seit 2005 frauenspezifische Fluchtgründe, auch wenn nicht-staatliche Akteure dafür verantwortlich sind, anerkannt werden, es aber faktisch kaum eine Verbesserung gab. Grund dafür ist, dass nur ein asylrelevanter Fall vorliegt, wenn alle Frauen einer bestimmten Gruppe betroffen sind, sonst wird ein Antrag als Privatsache abgetan. Außerdem müssen Frauen Beweise für ihre Erlebnisse vorlegen, was natürlich völlig unmöglich ist.

Die Lage von geflüchteten Frauen

Ein Problem bei der Asylgenehmigung ist auch, dass Frauen oft von den Asylanträgen ihres Mannes abhängig sind. Dies nimmt ihnen die Möglichkeit, sich von dem Partner zu trennen, wenn er sie mit Gewalt konfrontiert.

Ist ohnehin bereits ein Drittel der weiblichen Weltbevölkerung über 16 Jahre (ein Viertel in Deutschland) bereits von Gewalt betroffen gewesen, so ist der Zustand in den überfüllten und männlich dominierten Unterkünften weitaus schlimmer. Es gibt kaum weibliches Personal, Schutzräume oder eine gesonderte Unterbringung schon gar nicht. Ist eine Frau betroffen, kann sie ihrem Peiniger wegen der Residenzpflicht nicht einmal aus dem Weg gehen. Ausnahmen greifen zu spät: wenn überhaupt, muss das Opfer das Heim wechseln. Zwar gibt es Frauenhäuser, in denen in Deutschland Frauen theoretisch Schutz bekommen könnten. Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus müssen diese Unterbringung jedoch selbst zahlen, wofür sie natürlich kein Geld haben.

Obwohl dies alles bekannt ist, gibt es auch in Deutschland keine Präventions- oder Interventionskonzepte wie die Überprüfung der Einrichtung sowie ausreichende Beratung und psychische Betreuung. Und das, obwohl zwischen 60% und 80% der von Gewalt betroffenen Frauen an Folgebeschwerden wie Schlafstörungen, Depressionen und erhöhten Ängsten zu leiden haben.

Daneben mangelt es auch an medizinischer Versorgung, was unter anderem zur Folge hat, dass sich Geschlechtskrankheiten schnell ausbreiten.

Gerade in den für eine schnelle Abschiebung sehr günstigen Sammelunterkünften gibt es kaum Privatsphäre. Toiletten sind nicht abschließbar und Duschräume nicht nach Geschlechtern getrennt. Fehlendes Licht in den Bädern in ärmeren Ländern wie Jordanien öffnet Übergriffen Tür und Tor. Ein Vorschlag, nach dem in Unterkünften in Deutschland abschließbare Toiletten und getrennte Duschen als Mindeststandards gelten sollten, wurde im Asylpaket  II von Anfang 2016 gestrichen. Gerade nach den Ereignissen in der Silvesternacht zeigt dies, wie heuchlerisch der „Feminismus“ der Regierung ausfällt und wie wenig ihr am Schutz von Frauen wirklich gelegen ist.

Prostitution geflüchteter Frauen gibt es auch in der Bundesrepublik in „massivem Ausmaße“, so der bayrische Integrationsbeauftragte. Die Frauen müssen sich verkaufen, da sie z.B. Schlepperschulden zurückzahlen müssen.

In den Lagern fallen Frauen wieder die rollenspezifischen Aufgaben wie Kochen, Putzen und Kindererziehung zu. Dies verhindert zusätzlich eine Integration in den Arbeitsmarkt. Da das Taschengeld gestrichen wird und nur noch Sachleistungen gegeben werden, haben Frauen nicht mal mehr die Freiheit, ihnen bekannte Gerichte zu kochen.

Familiennachzug

In der Regel sind Familiennachzüge erlaubt. Dies wurde nun aber teilweise ausgehebelt. Die Große Koalition einigte sich darauf, den subsidiär geschützten Flüchtlingen, die nicht abgeschoben werden können, weil eine Verfolgung im Heimatland droht, den Familiennachzug um zwei Jahre zu verwehren. Zum anderen will man perspektivisch „sichere Zonen“ in Afghanistan schaffen, um „Alternativen“ zur Flucht „anzubieten“. Damit würde der Familiennachzug verweigert werden. Frauen und Kinder werden dadurch dazu gezwungen, die gefährliche Flucht selbst anzutreten, und sind dann von psychischen und physischen Strapazen, Schlepperpreisen, Auffangknästen und (sexueller) Gewalt bedroht.

Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus

Frauen sind weltweit von einer massiven Diskriminierung betroffen. Das und die Unterdrückung durch das kapitalistische System zwingt sie zur Flucht. Doch an ihrem Ziel sind sie mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Auch in Europa erwarten sie Armut, Rassismus und sexuelle Gewalt, der notwendige Schutz wird ihnen verwehrt. Dies rührt daher, dass es überall auf der Welt in unterschiedlichem Maße Frauenunterdrückung gibt, deren Wurzel im Kapitalismus liegt.

Wir fordern daher:

  • Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe!
  • Kinderbetreuung in den Heimen!
  • Schutzräume in den Unterkünften und eine gesonderte Unterbringung, falls gewünscht!
  • Ausreichende medizinische und psychiatrische Behandlung!
  • Nieder mit dem Patriarchat, nieder mit dem Kapitalismus!



Syrische Frauen in der Türkei: Immer und immer auf der Flucht

Svenja Spunck, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Der syrische Bürgerkrieg ist mittlerweile der tödlichste Konflikt des 21. Jahrhunderts. Nicht nur die Getöteten sind dessen Opfer, sondern auch all jene, die ihre Heimat notgedrungen verlassen mussten, um am Leben zu bleiben. Die offizielle Zahl der syrischen Flüchtlinge im Nachbarland Türkei liegt bei 2 Millionen, die Dunkelziffer ist weitaus höher. Viele von ihnen sind minderjährig. Während sich der Staat notgedrungen um die vielen arbeits- und obdachlosen Syrer zu sorgen beginnt, wird eine Gruppe völlig ausgeblendet: geflüchtete syrische Frauen.

Berichte

Die Journalistin Mine Bekiroglu berichtet über deren Situation in Hatay, einer hauptsächlich arabisch-alevitischen Stadt im Süden der Türkei. Ein Geheimnis, das jeder kennt, ist der rasante Anstieg der sogenannten Imam-Ehen.

Das bedeutet, dass syrische Frauen an türkische Männer verheiratet werden, nicht offiziell vom Staat, sondern „nur“ vor einem Imam. Diese Ehe, genau so wie die Verheiratung von Minderjährigen, ist illegal. Die Frauen sind oft nicht die erste, sondern die zweite oder dritte Ehefrau eines türkischen Mannes. Der Grund, warum Syrerinnen oft Türkinnen vorgezogen werden, ist ein finanzieller. Während man vor 2 Jahren noch gut 10.000 Lira für eine Ehe bezahlte, sind jetzt schon 2.000 TL genug. Der Preis variiert je nach Aussehen und Alter der Mädchen.

Ganz offensichtlich wird hier die soziale Lage der geflüchteten syrischen Familien ausgenutzt. Wer weder Arbeit noch eine Unterkunft hat, erhofft sich durch das Verkaufen der Tochter finanzielle Verbesserung. Dieser Frauenhandel geschieht nicht heimlich. In Städten wie Sanliurfa ist er auf der Straße zu beobachten und der türkische Staat unternimmt nichts dagegen.

Die wenigsten Flüchtlinge sind in den offiziellen Flüchtlingslagern untergebracht. Diese sind zwar angeblich überdurchschnittlich gut ausgestattet, jedoch gibt es auch hier immer wieder Berichte über Vergewaltigungen, Prostitution und Frauenhandel.

Eine Umfrage der türkischen Regierung ergibt, dass 70% der Frauen ihre berufliche Qualifikation lediglich als „Hausfrau“ beschreiben, also keinen Ausbildungsberuf erlernt oder gar ein Studium absolviert haben. Ebenfalls sind rund 25% Analphabetinnen. Ohne oder mit nur geringer Schulbildung und ohne Aussicht auf eine solche in der Türkei ist für sie eine selbstständige Zukunft undenkbar. Doch wie auch die Broschüre schreibt, in der diese Umfrage veröffentlicht wurde, werden Flüchtlinge in der Türkei als „Gäste“ bezeichnet.

Dies ist keine freundliche Bezeichnung, die auf Gastfreundschaft hindeutet. Sie bezeichnet das traurige Schicksal, dass es für SyrerInnen keinen Geflüchtetenstatus gibt, sondern lediglich einen temporären Gaststatus. Das schließt sie vor allem auch von legaler Lohnarbeit aus, weshalb viele Frauen und Kinder Müllsammlerinnen auf Istanbuls Straßen werden. Soziale Absicherung und Zugang zu Bildung werden ihnen verweigert, da der Staat von ihrer baldigen Heimreise ausgeht.

Realität

Die Realität ist jedoch, dass viele der SyrerInnen in der Türkei bleiben werden, denn ein Ende des syrischen Bürgerkrieges und ein schneller Wiederaufbau des Landes sind nicht einmal in allerweitester Ferne zu erblicken. Den Menschen muss also in dem Land, in dem sie sich jetzt befinden, eine Zukunft ermöglicht werden. Dazu gehört an erster Stelle der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu den gleichen Bedingungen wie für türkische StaatsbürgerInnen. Da diese ebenfalls unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, ist es die Aufgabe der Gewerkschaften, diese Frauen zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen.

Wie es nun einmal in der kapitalistischen Welt so ist, wird natürlich auch in der Türkei die Kinderversorgung als kostenlose Arbeit der Frauen betrachtet. Deshalb müssen die syrischen Kinder versorgt und vor allem auch gebildet werden. Die patriarchalen Verhältnisse, unter denen die Frauen leiden, gehören bekämpft und abgeschafft! An erster Stelle steht im Moment die Gewährleistung von Sicherheit für diese Frauen.

Die bedeutet Schutz vor Verheiratung, Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Die Frauen müssen sich in den Lagern organisieren. Im besten Fall schließen sich auch Männer an, die Frauen als gleichwertige Menschen betrachten und für deren Unabhängigkeit eintreten. Der türkische Staat ignoriert die sozialen Probleme der SyrerInnen im Land, doch er wird es sich nicht mehr lange leisten können, die Augen davor zu verschließen. Es ist die Aufgabe von SozialistInnen, für die Integration und volle BürgerInnenrechte für Flüchtlinge einzutreten und vor allem auch Frauen zu verteidigen und in den Kampf gegen das Patriarchat einzubinden.




Kinder, Küche, Kirche – plus Karriere

Veronika Schulz,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Die Position der AfD zur Rolle der Frau in der Gesellschaft hat nicht nur Ähnlichkeit mit den Programmen anderer konservativer Kräfte, sondern weist darüber hinaus unverkennbare Parallelen zur Haltung der Nationalsozialisten auf. Insbesondere seit der Spaltung der Partei 2015 treten sowohl ihre reaktionären wie auch rassistischen Positionen deutlicher hervor.

Reaktionäre Politik zur Festigung von Unterdrückung

Besonders entschieden spricht sich die AfD gegen das sogenannte „Gender Mainstreaming“ aus, welches zum Ziel hat, bei gesellschaftspolitischen Entscheidungen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern gleichermaßen zu berücksichtigen, um auf diese Weise die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen. Die AfD erhebt den Vorwurf, dass dieses Vorgehen auf eine nicht erwünschte „Aufhebung der Geschlechteridentitäten zielt“ (1). Die Kritik richtet sich dabei vornehmlich gegen SPD und Grüne, die während ihrer Regierungszeit eine „ideologisch gesteuerte Verzerrung der Geschlechterrollen“ betrieben und damit ihre Kompetenzen deutlich überschritten hätten, da staatliche Eingriffe in diesen Bereichen zu unterlassen seien. Die Ablehnung der als bedrohlich eingestuften „Gender-Ideologie“ beweist, dass es der AfD mit ihrer angestrebten Politik keineswegs um eine tatsächliche Gleichberechtigung aller Menschen geht, weder von Mann und Frau geschweige denn von Personen, die sich nicht in diese Dichotomie einordnen können oder wollen. Ganz im Gegenteil vertritt die AfD eine Auffassung, wonach Frauen eine „natürliche Rolle“ ihrem „Wesen“ gemäß zugeschrieben werden kann. Frauen haben demnach andersartige Fähigkeiten als Männer. Diese Gemeinsamkeit mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten formuliert die Partei in ihrem Programm wie folgt: „Die AfD strebt die Gleichberechtigung der Geschlechter unter Anerkennung ihrer unterschiedlichen Identitäten, sozialen Rollen und Lebenssituationen an.“ (2) Dieses reaktionäre Frauenbild reproduziert die vermeintlich „unterschiedlichen Identitäten“ der Geschlechter und weist emanzipatorische Bestrebungen der Frau in ihre „natürlichen“ Schranken. Väter, die sich an Haushaltsführung oder Kindererziehung beteiligen, und das vielleicht sogar gerne, kommen in der gartenzwerg-behüteten AfD-Welt nicht vor. Das einzig „progressive“ Element der Frauenversteher in der AfD ist das Zugeständnis, dass Frauen nicht mehr ausschließlich auf ihre Rolle als Mutter reduziert werden, gibt es doch mittlerweile auch viele bewusst Kinderlose. Daher beschränkt sich der weibliche Wirkungskreis nicht auf „Kinder, Küche, Kirche“. Mindestens genauso wichtig ist nun die Vereinbarkeit dieser „genuinen Pflichten“ einer Frau mit ihrer Rolle in der Arbeitswelt – die „Karriere“ kommt also noch hinzu. Die Frau dient somit als Stütze sowohl ihres Mannes als auch der Gesellschaft, da sie in der Familie unbezahlte und in der Arbeitswelt häufig prekäre und schlecht bezahlte Tätigkeiten verrichtet, die den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft aufrechterhalten. Auch hier findet sich eine weitere Parallele zur Politik der Nationalsozialisten, war diesen doch jede Frau recht, wenn es um lohngünstige Kriegsproduktion ging und männliche Arbeiter rar wurden.

Ginge es nach den familienpolitischen „Vordenkern“ der AfD, sollte jede – wohlgemerkt deutsche und gut ausgebildete – Frau (mindestens) drei Kinder haben. Dieses Ideal der „Drei-Kinder-Familie“ klammert wie selbstverständlich homosexuelle Paare aus und erhebt die heterosexuelle Ehe zum Leitbild. Als Begründung für diesen Appell an den Fortpflanzungswillen deutscher Frauen führt die AfD in ihrer Argumentation die leeren Sozialkassen ins Feld, die auf diese Weise stabilisiert werden sollen. Der in die Jahre gekommene Begriff des „Generationenvertrages“ wird dabei von der Partei bemüht, um ihre Fokussierung auf die Zukunftsgestaltung Deutschlands und somit eine Politik zu legitimieren, die scheinbar an langfristigen Zielen orientiert ist. Dies drückt sich auch in der Forderung nach stärkerer Berücksichtigung von Kindern bei der Rentenberechnung aus (3). Gleichzeitig lehnt die AfD, wie mittlerweile durchaus auch von konservativ-wirtschaftsnahen Kreisen der Unionsparteien gefordert, Zuwanderung zum Zweck der Stabilisierung der „sozialen Sicherungssysteme“ entschieden ab.

Exklusion von LGBTIA-Menschen

Auch im Hinblick auf die Rechte von LGBTIA-Menschen ist das Programm der AfD von einer Politik der Exklusion gekennzeichnet. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus dem Jahr 2014. LGBTIA-Menschen kommen wenn, dann nur in stereotypisierter und negativer Weise im Programm der AfD vor und sind als Minderheiten den Angriffen der Partei ausgesetzt. Der Themenbereich Sexualität wird ideologisch sowie moralisch aufgeladen, während die AfD gleichsam vor „ideologischer Umerziehung“ von Kindern warnt. Verschwörungstheoretisch tritt sie dabei dem sogenannten Bildungsplan in Baden-Württemberg entgegen: „In dem Falle wird davon ausgegangen, dass ein systematisches ,Umerziehungsprogramm‘ ins Werk gesetzt worden sei, wo es in Wirklichkeit um die weithin akzeptierte Selbstverständlichkeit geht, vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten Akzeptanz zu verschaffen.“ (4) Die Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung verdeutlicht, dass die Diskriminierung von LGBTIA-Menschen aus Sicht der AfD legitim ist, da für diese Gruppe(n) Rechte abgeleitet würden, die das Grundgesetz lediglich für Ehe und Familie vorsieht (5). Auch einer „Sexualisierung der Gesellschaft“ (6) soll Einhalt geboten werden, wobei man sich bei allgegenwärtiger sexistischer Werbung durchaus die Frage stellt, inwiefern diese nicht bereits an der Tagesordnung ist.

Rassenideologie/Bildungsrassismus

Auch gegen AusländerInnen und Geflüchtete geht die Partei seit ihrer Abspaltung von den „Euro-Skeptikern“ 2015, wie bereits erwähnt, offensiver vor. Passenderweise wünscht sich die AfD deshalb eine Vermehrung des (deutschen) Volkes, geht jedoch sogar einen Schritt weiter als die nationalsozialistische Rassenideologie. Vorrangig gut ausgebildete Frauen bzw. Paare sollen für den deutschen Nachwuchs sorgen, wohingegen eine „unkontrollierte Vermehrung“ von Arbeitslosen oder MigrantInnen abgelehnt wird. Familien der bürgerlichen Elite und akademischen Mittelschicht sollen Kinder bekommen, da die AfD von einer „natürlichen Begabung“ der Menschen ausgeht, die sich von den gebildeten Eltern auf ihre Kinder überträgt, im Falle der „nichtsnutzigen Schmarotzer“ eben nicht. Diese Haltung ist Bildungsrassismus in widerwärtigster Form, der die bestehende Chancenungleichheit nicht nur leugnet, sondern zugunsten einer vermeintlich evolutionären Vorbestimmung sogar begrüßt.

Abtreibung

Eine ebenso konservative wie moralisierende Auffassung lässt sich in der Position der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) zum Thema Abtreibung finden. Die JA spricht sich für den Schutz ungeborenen Lebens aus und behauptet, die aktuelle Rechtslage berücksichtige ausschließlich den Willen der Mutter. Dies ist zum einen nicht korrekt, da in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche weiterhin illegal, wenn auch nach verpflichtender Beratung straffrei, bleiben. Zum anderen zäumt die AfD-Jugend mit der Forderung nach „Abtreibung nur bei triftigen Gründen“ (7) das Pferd von hinten auf: Eine kindgerechte und familienfreundlichere Gesellschaft kann keinesfalls durch staatliche Verbote und Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit von Frauen geschaffen werden. Im Gegenteil, erst die Abschaffung bestehender Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse, die wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Systems und bürgerlichen Staates sind, eröffnet Frauen (und auch Männern) die Möglichkeit einer Familienplanung frei von materiellen Abwägungen. Die fehlerhafte Denkweise der JA äußert sich auch in folgender Forderung: „In jedem Fall muss der Staat das materielle und seelische Wohlbefinden von Schwangeren, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch droht, sicherstellen und dazu ermuntern, die Schwangerschaft fortzusetzen.“ (8) Dadurch wird die Doppelmoral konservativer Argumentation, die auf Moral und Menschenwürde basiert, offenkundig: Während einer Schwangerschaft gilt das ungeborene Leben als ultimativ schützenswert und wird über die Belange der Mutter gestellt, nach Geburt des Kindes ist die Frau jedoch auf sich allein gestellt und kann sehen, wo sie und das Kind bleiben. Das herangewachsene Kind darf später dann den „Schutz des Lebens“ in Kriegen des deutschen Imperialismus an der Front am eigenen Leib erfahren. Passend dazu stellt die AfD „Elternverantwortung für den Werdegang ihrer Kinder“ (9) in den Vordergrund ihrer Familienpolitik. Die Forderung danach, dass „jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (10) haben soll, ändert noch lange nichts an der Realität und ist verkürzt auf rein materielle Hilfeleistungen. Genau an dieser Stelle wird die familienpolitische Position der AfD zur Klassenfrage: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist aktuell insbesondere für prekär Beschäftigte nicht gegeben, während sich gut situierte „Idealfamilien“ aus (zumeist) männlichem Alleinverdiener und liebender Hausfrau und Mutter darüber weniger Gedanken machen müssen. Und auch für Paare mit mittleren Einkommen sind die vorhandenen Betreuungsangebote durch – wenn auch unzureichende – finanzielle Unterstützung des Staates zumindest erschwinglich. Doch allein durch weiteren Kita-Ausbau oder finanzielle Anreize lässt sich keine Geschlechtergleichheit erzeugen. Insofern bringt es die Programmatik der AfD auf den Punkt, wenn sie zugesteht: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuförderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“(11) Da es elterliche Pflicht ist und bleiben soll, sich um die eigenen Kinder zu kümmern, wird das propagierte Idealbild einer intakten Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kindern gestärkt und reproduziert.

Keimzelle

Eine solche Darstellung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der AfD. Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei der Union zuhauf. Die dargestellte Haltung der JA zum Thema Abtreibung offenbart allerdings, worum es der Partei und ihrer Jugend in Wirklichkeit geht: die Familie als Ort unbezahlter Reproduktionsarbeit, in Form von Kindererziehung und Altenpflege. Diese Sichtweise versperrt sich gegen den gesamtgesellschaftlichen Auftrag, sich um derartige Arbeiten zu kümmern. Aus einer fortschrittlichen sozialistischen Perspektive kann also nur die Vergesellschaftung dieser unbezahlten Erziehungs- und Pflegearbeit die Antwort sein. Dies bezieht explizit die Männer bzw. Väter sowie die Gesellschaft als Ganzes mit ein, da es sich bei Erziehung, Pflege und sonstiger Reproduktionsarbeit wie Kochen und Waschen um gemeinschaftliche Aufgaben handelt. Ausgerechnet die Einbettung dieser Arbeiten in die private Sphäre kann zu Isolation und Konflikten führen. Die Kernfamilie, die auch die AfD nicht müde wird als Ideal zu verklären, ist somit nicht automatisch ein Hort von Liebe und Glückseligkeit. Im Gegenteil, in dieser gewissermaßen sakrosankten Institution ist die Unterdrückung der Schwächeren um ein Vielfaches erleichtert. Körperliche, psychische und sexuelle Gewalt werden innerhalb der Familie abgeschottet von der gesellschaftlichen Wahrnehmung ermöglicht. Durch materielle Abhängigkeit beispielsweise der Frau von ihrem Mann ist ein Durchbrechen dieses Mechanismus nicht ohne weiteres möglich, dazu kommen Scham und Tabuisierung. Die idealisierte Familie wird auf diese Weise häufig zur „Keimzelle“ von Gewalt und Unterdrückung.

Refugee-Thematik

Die moralische Heuchelei der AfD im Hinblick auf eine kinder- und elternfreundliche Gesellschaft tritt auch bei der Refugee-Thematik offen zutage. Die jüngste Debatte offenbart auf erschreckende Weise die menschenverachtende Position der AfD-Parteiführung. Petry und von Storch, zentrale Führungsfiguren der Partei, stehen ihren männlichen Kollegen in nichts nach, wenn sie nach mehr „Law and Order“ rufen und sich für die Option eines Schießbefehls an deutschen Grenzen aussprechen. Hier wird auf zynische Art überdeutlich, dass es der AfD nicht um „Frauen“ und „Kinder“ im Allgemeinen oder ein „kinderfreundliches Deutschland“ im Speziellen geht, sondern bei allen Forderungen der AfD deutsche Frauen und deutsche Kinder gemeint sind. Trotz mehrfacher, hilfloser Distanzierungsversuche kann diese Position der AfD-Führung als stellvertretend für die gesamte Politik der Partei betrachtet werden. Die Standortsicherung Deutschlands als Wirtschaftswunderland innerhalb der EU und damit verbundene neoliberale Reformen stehen an vorderster Stelle, während soziale Programme, wenn überhaupt, nur für BürgerInnen mit deutschem Pass Verbesserungen bringen sollen. Alle anderen, die sich nicht auf deutsche Abstammung oder wirtschaftlich verwertbare Ausbildung berufen können, sollen doch bitte woanders als im gelobten Deutschland ihr Glück suchen, geht es nach der AfD.

Neoliberale Politik

Insofern wird mehr als deutlich, dass die AfD eine neoliberale Politik für das gehobene Kleinbürgertum vertritt, die jedoch den Interessen der Mehrzahl der Lohnabhängigen zuwiderläuft. Das damit verbundene Heilsversprechen zur Stabilisierung der Sozialsysteme wird sich ebenso als Illusion erweisen wie die Prognose, wonach durch die Programmatik der AfD prekäre Beschäftigung für AkademikerInnen wegfallen wird, im Gegenteil. Auch bei der Politik, für die die AfD steht, erfolgt weiterhin ungebremst eine Umverteilung von unten nach oben.

Die Idee, wonach Deutschland durch gesetzgeberische Maßnahmen „kinder- und familienfreundlicher“ (12) werden könne, muss aus marxistischer Sicht ebenso abgelehnt werden wie das ausschließliche Vertrauen auf das bereits beschriebene „Gender Mainstreaming“. Es ist nichts anderes als eine Illusion, Geschlechterrollen und Gleichstellung von Frauen und Männern auf bürokratische Weise herstellen zu wollen. Der bürgerliche Staatsapparat greift auf gesetzliche Regelungen und Verordnungen zurück, wodurch er die Frauenfrage allerdings nicht lösen wird, solange kein wirklicher Abbau von sexueller Unterdrückung und ökonomischer Ausbeutung geschieht. Daher ist eine materielle Einebnung von Geschlechtsunterschieden notwendig. Ebenso kann aus marxistischer Perspektive nur durch Vergesellschaftung häuslicher Tätigkeiten zu einer offenen, kinderfreundlichen Gemeinschaft beigetragen werden.

Die Antwort auf die geschilderten Hirngespinste reaktionärer Kräfte, die durchaus alles andere sind als ein Haufen verirrter Spinner, liegt nicht in individuellen, „emanzipierten Lebensentwürfen“, die einer solchen Politik entgegengehalten werden. Vielmehr bedarf es einer proletarischen Frauenbewegung, die organisiert und entschieden für Frauenbefreiung, für die Überwindung der patriarchalen bürgerlichen Gesellschaft und gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem eintritt. Nur durch die Befreiung der Frauen kann die ArbeiterInnenklasse als Ganze ihre Interessen verwirklichen, nur durch den Sozialismus können Gleichberechtigung von Frauen und LGBTIA-Menschen erreicht und Unterdrückung überwunden werden!

Endnoten

(1)  Alternative für Deutschland (AfD): Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/fragen-und-antworten/bildung-und-gleichstellung/

(2)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(3)  AfD: Programmatik & Leitlinien (2013), online unter https://www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/programmatik/

(4)  Korsch, Felix/Wölk, Volkmar: Nationalkonservativ und marktradikal. Eine politische Einordnung der „Alternative für Deutschland“, 2. aktual. u. erw. Aufl. 2014. Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, S. 8

(5)  Vgl. Korsch, Felix/Wölk, Volkmar (2014): S. 3

(6)  Junge Alternative für Deutschland (JA): Programmatik (2014), online unter https://www.jungealternative.com/info/programmatik/

(7) JA: Programmatik (2014).

(8)  JA: Programmatik (2014).

(9)  AfD: Programm & Hintergrund. Fragen und Antworten: Bildung und Gleichstellung (2016).

(10) JA: Programmatik (2014).

(11) JA: Programmatik (2014).

(12) AfD: Programmatik & Leitlinien (2013).




Homophobie, gibt’s das überhaupt noch hier?

Jaqueline Katherina Singh,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Alltag wird „schwul“ mal schnell als Synonym für „Scheiße“ genutzt oder gerne als Beleidigung geäußert, wenn sich ein Mann nicht seinem Stereotyp entsprechend verhält. Das „Coming Out“ Vieler wird belächelt und als Phase abgetan. Oder schlimmer: Freunde wenden sich ab, Mitschüler_innen wollen nicht, dass man sich im Sportunterricht in der gleichen Umkleidekabine umzieht und Eltern fangen an zu weinen, wenn man ihnen davon erzählt, und versuchen, es vor den Verwandten zu vertuschen. Auch Kolleg_innen, die gegen das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren wettern oder der Trans-Frau aus der anderen Abteilung abwertende Blicke zuwerfen, während sie hinterrücks abfällige Kommentare von sich geben, sind keine bloßen Einzelfälle. Es sind Beispiele, die den Alltag vieler Menschen beschreiben.

„Warum müssen die sich so zur Schau stellen? Niemand hat was gegen Schwule und Lesben“, tönt es von den Stammtischen. Dass dem nicht so ist, zeigt das Projekt Maneo. Die Berliner Initiative erfasst Gewalttaten gegen LGBTIA im Berliner Raum. Im Jahr 2014 hat sie 500 Fälle registriert, die in Zusammenhang mit Homophobie stehen. Die Dunkelziffer ist aber höher, denn ähnlich wie bei rassistischen und sexistischen Übergriffen werden die meisten Beleidigungen oder Übergriffe nicht gemeldet. Wenn doch, werden sie meistens nicht von der Polizei anerkannt und als solche registriert.

Auch die sogenannten „Demo für Alle“-Proteste zeigen auf, dass das Abweichen von der Heterosexualität noch lange nicht zur großen Selbstverständlichkeit geworden ist. Als man in Baden-Württemberg 2014 Homo- und Transsexualität  in den Lehrplan des Biologieunterrichtes  integrieren wollte, sind  „besorgte Eltern“ unter dem fadenscheinigen Titel „Demo für Alle! Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ auf die Straße gegangen – natürlich nur, um ihre Kinder zu schützen.

Sicher ist, dass Homo- und Bisexualität akzeptierter sind als vor einigen Jahrzehnten, während man von Trans-, Inter- und Asexualität (oder sogenannten „Randgruppen“) lieber nicht spricht. Festhalten kann man allerdings auch, dass Aufklärungsprogramme an einzelnen Schulen oder Kampagnen nicht gereicht haben, um LGBTIA-Feindlichkeit vollkommen aus der Gesellschaft zu löschen. Ablehnung und Gewalt sind keine Einzelerfahrungen. Woran liegt das?

Angriff auf die bürgerliche Familie

Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Die sexuelle Unterdrückung manifestiert sich in der bürgerlichen Familie und ist eng mit Frauenunterdrückung verbunden.

Die Familie hat im Verlauf der Jahrhunderte eine Entwicklung durchgemacht. Es ist falsch anzunehmen, dass schon immer Männer arbeiten gegangen sind, während die Frau treuergeben sich zu Hause um die Kinder gekümmert hat. Angefangen hat dies seit der Entstehung von Klassengesellschaften. Vorher existierten Clans und lose Verwandtschaftsgruppen.

Im Übergang zu den ersten Klassengesellschaften entwickelte sich die Ackerbaugemeinde mit patriarchalischer Großfamilie (Hausgenossenschaft). Die alten Sippenverbände lösten sich auf. Der Begriff Familie stammt aus dem Lateinischen famulus: der Sklave. Kriegsgefangene wurden zu Haussklaven, für Frauen musste ein Brautpreis bezahlt werden, dessen Vorschuss heranwachsende Männer beim Oberhaupt der Familie abarbeiten mussten. So entstanden sklavenähnliche Abhängigkeiten auch innerhalb der Familie, bei den Frauen und den Jungen. Die Familie ist somit auch Keimzelle der Ausbeutergesellschaften („primitive“ Haussklaverei), nicht nur Hort sozialer und sexueller Unterdrückung von Jugendlichen und Frauen.

Diese patriarchale Großfamilie, der Grund und Boden gehörte bzw. diesen von der (patriarchalen) Dorfgemeinde zugewiesen bekam, war die ursprüngliche Produktionseinheit, die Zelle der ersten Klassengesellschaft. Das heißt, alle Mitglieder dieser Großfamilie waren in den Produktionsprozess integriert.

Mit dem Beginn der kapitalistischen industriellen Revolution hat sich dies ebenfalls gewandelt. Zwar wurden anfangs alle Mitglieder des Familienverbandes in die Produktion miteinbezogen, aber man produzierte nicht mehr für sich selber, sondern arbeitete nur noch in kapitalistischen Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben. Die Familie blieb erhalten, um die Arbeitskraft zu reproduzieren. Frauen mussten zuvor neben der Reproduktionsarbeit dezentral organisierte Heimarbeiten (Weben, Nähen etc.) verrichten. Im Zuge der Entwicklung und Rationalisierung der Produktivkräfte wurden sie Schritt für Schritt in den Produktionsprozess integriert. Die Einführung von Maschinen in der Industrieproduktion erlaubte es allen Teilen der Arbeiter_innenklasse – egal welchen Geschlechts oder Alters -, im Produktionsprozess nützlich zu sein. Zum einen, um die Löhne der Arbeiter zu drücken, da der Kapitalismus es schon damals als selbstverständlich ansah, Frauen schlechter zu bezahlen und zum anderen, um dem wachsenden Maß an gesellschaftlicher Arbeit gerecht zu werden. Zum Dritten verteilte sich der Wert der Arbeitskraft auf alle arbeitsfähigen Familienmitglieder.

Nicht endende Arbeitstage, sowie Kinder- und Frauenarbeit sorgten dafür, dass die Arbeiter_innen sich nicht reproduzieren konnten. In Zuge von Reformen wurden dann Arbeitsschutzgesetze erlassen, die die Einschränkung der Arbeitszeit und -tätigkeit – besonders für Frauen und Kinder – mit sich brachten. Dies bedeutete, dass die bereits existierende Trennung zwischen Hausarbeit und gesellschaftlicher Produktion verschärft und die Unterdrückung der Frauen dadurch verstärkt wurde

Im Zuge der Entwicklung der Arbeiter_innenaristokratie wurde das Ideal der bürgerlichen Familie in die Arbeiter_innenklasse getragen. Die Arbeiter_innenaristokratie, also der Teil der Klasse, der durch Lohnkämpfe zu mehr Wohlstand gelangte, konnten sich durch eben diesen Wohlstand es leisten, dass die Frauen nicht arbeiten gehen mussten, sondern zu Hause den Haushalt machen „durften“.  So wurde die bürgerliche Familie ebenfalls ein Ideal der Arbeiter_innenklasse, da der Reformismus auf der Arbeiter_innenaristokratie fußte und ihren Konservativismus verstärkte, statt ihn zu bekämpfen.

Was hat die Familie mit Homophobie zu tun?

Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich,  unermüdlich Hausarbeit verrichtet sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Überall wo man hinschaut, sieht man in der Werbung und in Filmen stets das Bild der zufriedenen Eltern und glücklicher Kinder. Sexuelle Gewalt, Missbrauch und Frauen- sowie Jugendunterdrückung werden dabei gerne totgeschwiegen. Und das obwohl die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ aus dem Jahr 2009 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgezeigt hat, dass etwa jede fünfte bis siebte Frau, die zum Befragungszeitpunkt in einer Paarbeziehung lebte (13 – 20 Prozent), in relevantem Maße Formen psychisch-verbaler Gewalt, Kontrolle und Dominanz durch den aktuellen Partner ausgesetzt war.

Wie wir schon festgestellt haben, ist die Familie ein Stützpfeiler des Kapitalismus. Sie regelt die Erbschaftsverhältnisse für die herrschende Klasse, während sie für die Arbeiter_innen als Reproduktionsort dient. Aber nicht nur das, sie dient in der Gesellschaft auch dazu, vorherrschende Werte und Normen zu reproduzieren, die dem Kapitalismus nutzen. Homosexualität passt da nicht rein, da es das Bestehen der Familie im klassischen Sinne angreift. Zum einen durch die Tatsache, dass Geschlechterstereotypen direkt damit angegriffen werden. Wer kümmert sich um die Kinder? Wer geht arbeiten? All das sind Fragen, die dadurch aufgeworfen werden. Auch den Ursprung der Transphobie kann man hier finden. Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die sich nicht dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeordnet worden ist, einfach „fügen“, ist für viele Konservative ein Graus aus genau dem Grund. Zum anderen greift Homosexualität die bürgerliche Familie an, weil sie Sex nicht nur zum Kinder Bekommen darstellt, sondern aufzeigt, dass man diesen auch zum Spaß und Vergnügen haben kann. Das stellt indirekt die Monogamie in Frage, die zentral für die Erbschaftslinien innerhalb des Kapitalismus ist.

Viele Lesende werden sich vielleicht fragen: Das ist ja alles gut und schön, aber ist es nicht gerade so, dass es die „typische“ Familie eigentlich nicht mehr wirklich gibt? Ja, das stimmt zum Teil. Aufgrund von unterschiedlichen Faktoren kann man sagen, dass es eine gewisse Auflösungstendenz der Familie innerhalb des Kapitalismus gibt. Konkret in Deutschland kann man das mit der angestiegenen Zahl alleinerziehender Mütter oder der Zunahme von sogenannten Singlehaushalten belegen.

Das hängt allerdings nicht damit zusammen, dass es progressive Schritte zur Auflösung der Familie gibt. Vielmehr schwindet die materielle Sicherheit, die die Basis für die Familie legt. Viele junge Leute arbeiten in prekären Verhältnissen und haben unsichere Zukunftsperspektiven. Leih- und Zeitarbeit, Praktika und schlecht bezahlte Ausbildungen laden nämlich die wenigsten dazu ein, sich über die Finanzierung eines Eigenheims oder von Kindern Gedanken zu machen. Dennoch ist das propagierte Ideal in den Medien die vierköpfige Familie.

Zwar gibt es Auflösungstendenzen der Familie im Kapitalismus und einen gewissen Spielraum für die Anerkennung der Rechte von LGBTIAs – die sind aber nicht von großer Dauer. In Krisenzeiten werden Kosten auf die Arbeiter_innen abgewälzt. Rechtspopulist_innen wie die AfD treten für die Stärkung der Familie ein – aus dem Grund, dass sie um ihre Erschütterung als Grundpfeiler des Kapitalismus wie aller vorhergehenden Klassengesellschaften fürchten. Das bezieht sich auf ihre Rolle als Reproduktionsort der Arbeitskraft bei den Lohnabhängigen, als Erbinstanz des Reichtums bei herrschenden und mittleren Klassen wie auch ihre Vermittlungsrolle für monogame, heterosexuelle  Sexualmoral. Die Familie ist im Kapitalismus wie die Ware eine Keimzelle der Gesellschaftsordnung, Stabilisatorin des Systems der Herrschenden!

Was heißt das konkret? Die Ablehnung von LGBTIA ist genauso wenig wie Sexismus oder Rassismus bloßes Resultat von Ideen in Köpfen von Menschen, die man einfach nur so durch genug Gespräche oder Aufklärungskampagnen wegkonstruieren kann. Sie besitzen eine materielle, sich stets reproduzierende Grundlage und sind Teil des Kapitalismus: die bürgerliche Familie, die die Trennung von Produktion und Reproduktion manifestiert. Doch was stellt man dieser entgegen?

Kämpfe verbinden!

An Schulen und Universitäten fordern wir die Aufnahme von LGBTIA-relevanten Themen in den Lehrplan durch Lehrende und Lernende. Beispielsweise müssen im Aufklärungsunterricht auch Sexualitäten neben der Heterosexualität erklärt werden – ohne negative Äußerungen. Außerdem treten wir für die Gründung einer Schüler_innen- und Studierendengewerkschaft ein, die nicht nur die Interessen der Lernenden vertritt, sondern sich auch aktiv gegen Diskriminierung einsetzt und diese thematisiert. Im Betrieb kämpfen wir für Betriebsgruppen, die sich gegen Sexismus, Rassismus und LGBTIA-Feindlichkeit positionieren und durch Veranstaltungen oder Betriebsversammlungen über die Diskriminierung aufklären. Wir treten zusätzlich für ein Caucusrecht auch für LGBTIAs in Gewerkschaften und anderen Organen der Arbeiter_innenklasse ein. Die Caucuses (Recht auf gesonderte Treffen von sozial Unterdrückten) sind wichtig, um von Diskriminierung Betroffenen den Raum zu geben, konkret über ihre Erfahrungen zu sprechen sowie mögliche Diskriminierung innerhalb der Organisationen äußern und für deren Abschaffung eintreten zu können. Sie stärken somit das Selbstbewusstsein, die Lernfähigkeit und Kampfkraft der Unterdrückten (Empowerment).

Am zentralsten für Revolutionär_innen ist aber die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit. Diese greift die Trennung von Reproduktion und Produktion offen an – und somit die Wurzel der sexuellen Unterdrückung, die bürgerliche Familie. Erst die Sozialisierung der Reproduktionsarbeit erleichtert insbesondere das Los der proletarischen Frauen. Sie ermöglicht erst die vollständige und gleiche Verteilung aller Arbeiten auf alle Geschlechter und Menschen verschiedener sexueller Orientierung. Alle betreuen Alte und Kinder, unabhängig davon, ob es sich um eigene Verwandte handelt oder nicht. Alle lernen und praktizieren Berufe und Tätigkeiten, die ehemals getrennt nach Geschlechtern ausgeübt wurden. Sozialismus heißt eben auch: vollständige Sozialisierung der notwendigen Arbeiten!

Kampf gegen LGBTIA-Diskriminierung heißt auch: Kampf dem Sexismus, Kampf dem Rassismus! Wenn es darum geht, für die Rechte von Geflüchteten einzutreten, darf man explizite Schutzmaßnahmen für LGBTIAs nicht außen vorlassen, genausowenig wie für Frauen. Diskriminierung und Verfolgung in anderen Ländern sind legitime Fluchtgründe und LGBTIA-Feindlichkeit und Sexismus dürfen nicht für rassistische Hetze instrumentalisiert werden. Deswegen stehen wir für eine multiethnische, internationale Gesamtarbeiter_innenbewegung und insbesondere eine solche proletarische Frauenbewegung ein, die diese Kämpfe zusammenführt!




LGBTIA als Fluchtursache

Sophie Amecke, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Homosexualität steht in ca. 70 Ländern unter Strafe. Diese reichen von Geldstrafen über lebenslange Haft bis zu Todesstrafen. Die Todesstrafe auf Homosexualität gilt im Iran, Katar, Sudan und Saudi-Arabien, im Jemen und in Mauretanien nur für Männer und in Somalia und Nigeria nur in bestimmten Gegenden.

Doch auch in Staaten, wo Homosexualität legal ist, wie in Russland oder den Balkanstaaten, werden LGBTIA-Personen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Inter-, Asexual) oft wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Auch Misshandlung und gewaltsame Übergriffe sind an der Tagesordnung.

Das sind Gründe, die die Menschen dazu bewegen, aus ihrem Herkunftsland zu flüchten. Sie hoffen, in anderen Ländern in Frieden und ohne Angst leben zu können. Doch oft bietet die Flucht nicht das, was sich viele erhoffen. Sie sind der Homophobie anderer Flüchtlinge ausgesetzt und müssen ihre sexuelle und/oder geschlechtliche Identität verbergen. Dies ist besonders in den Sammelunterkünften mit Gemeinschaftsduschen und Gruppenschlafräumen sehr schwierig und die Betroffenen sind dauerhaftem Stress ausgesetzt.

Oft sind sie erneut von Gewalttaten betroffen. Ausreichend soziale und psychische Betreuung ist nicht gegeben.

Eine dezentrale Unterbringung mit gesonderten Unterkünften wäre wünschenswert, um den nötigen Schutz zu gewährleisten. Berlin ist diesbezüglich ein Vorreiter, aber leider auch eine Ausnahme. Bis Mitte Februar ist ein LGBTIA- Flüchtlingsheim mit 120 Plätzen in Planung. Bisher steht allerdings noch kein Gebäude zur Verfügung. Weder Mietvertrag noch der Betreibervertrag mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) waren indes bis zum 31.1.2016 unterschrieben. Die Unterbringung ist besonders wichtig, da sich Asylanträge über Jahre hinweg hinziehen können. Das Berliner Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) berichtet von 95 seinen Mitarbeiter_innen bekannt gewordenen Fällen verbaler, körperlicher oder sexualisierter Attacken. Zudem habe es seit April bei 19 von 34 Ämterbegleitungen Beleidigungen durch Dolmetscher_innen oder Wachpersonal gegeben. LesMigraS, der Antidiskriminierungsbereich der Berliner Lesbenberatung, erklärt, dass handfeste „körperliche Gewalt in den Heimen eher selten“ sei. In den Unterkünften herrsche eine „Atmosphäre der Resignation“. Saideh Saadat-Lendle von LesMigraS schildert den Fall eines jungen homosexuellen Afrikaners, der in der Unterkunft befummelt und verhöhnt worden sei.

Er erduldete diese Übergriffe aus Angst, dass seine Familie von der Homosexualität erfahren könne. „Ein Transmann, also eine Frau, die körperlich ein Mann werden wolle“, wollte sich aus Angst, in der Unterkunft angegangen zu werden, umbringen, weil die vor der Flucht nach Deutschland begonnene Hormontherapie hier abgesetzt wurde – aus Gründen, die dem bürokratischen Asylverfahren geschuldet sind, wie u.a. dem eingeschränkten Zugang zum deutschen Gesundheitswesen (ND, 1.2.2016).

Die Bewilligung des Antrags ist dann eine Einzelfallentscheidung, die oft sehr willkürlich ausfällt. Verfolgung aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität ist zwar ein Grund für Asyl, die bloße strafrechtliche Verfolgung auf dem Papier in dem jeweiligen Land reicht jedoch nicht aus. Die Antragsteller_innen müssen nachweisen, dass sie auch abweichend von der allgemeinen Lage verfolgt wurden. Doch das glaubwürdig zu beweisen ist nicht leicht, wenn in ihren Herkunftsländern LGBTIA-Begehren und LGBTIA-Identitäten sowie der offene Umgang damit tabuisiert sind. Oft wird ihnen unterstellt, die Unwahrheit zu sagen, um ihre Chancen auf Asyl zu erhöhen.

Ein weiteres Problem sind die RichterInnen, die sich oft von Vorurteilen leiten lassen. Sieht der oder die Betroffene nicht wie ein/eine Homosexuelle/r aus, wird ihr oder ihm nicht immer geglaubt. Häufig müssen sich die Betroffenen von sogenannten „Gutachtern“ auf die „Qualität ihrer homosexuellen Neigungen“ überprüfen lassen. Ist nach Ansicht der GutachterInnen ein „Ausweichen auf eine heterosexuelle Lebensweise“ möglich, wird kein Asyl gewährt. Einige Flüchtlinge trauen sich nicht einmal, ihren wahren Fluchtgrund anzugeben. Dies kann zum einen daran liegen, dass sie nicht über die gesetzliche Lage in Deutschland informiert sind. Sie befürchten, dass ihnen auch hier Strafe droht. Ein anderer Grund dafür ist die Angst, die Dolmetscher_innen aus ihrem Heimatland könnten sie an die dortige Regierung verraten, weil sie oft mit den Botschaften der Herkunftsländer zusammenarbeiten. Falls der Antrag dann abgelehnt würde, würde ihnen eine hohe Strafe drohen.

Deshalb fordern wir:

  • dezentrale Unterbringung für ALLE Geflüchteten
  • sensiblen Umgang in der Unterbringung für die besonderen Bedarfe von LGBTIA
  • ausreichende soziale, psychologische und medizinische Betreuung in den jeweiligen Herkunftssprachen der/des Einzelnen
  • rechtliche Unterstützung bei LGBTIA Themen
  • Sensibilisierung und Schulung aller HelferInnen und MitarbeiterInnen.



Widersprüche des Queerfeminismus

Larissa Kaché, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Der Queerfeminismus begründet sich durch die Queer-Theorie, welche eine in den 90er Jahren entstandene Kulturtheorie aus den USA ist. Diese zeigt die Zusammenhänge von sexuellem Begehren, sozialem (gender) und biologischem Geschlecht (sex) auf und hinterfragt diese kritisch. Dazu bedient sie sich dreierlei Methoden: der Dekonstruktion, dem Poststrukturalismus und den Gender Studies.

Dekonstruktion

Einordnung und Definition von sozialen Zusammenhängen, nicht einseitig, sondern  umgekehrt betrachtet, um dem Schwerpunkt entgegenzuwirken. Das bedeutet, dass das Augenmerk den außerhalb der Normen Angesiedelten gilt, denn diese beweisen, dass soziale Gegebenheiten nicht generalisierbar sind.

Poststrukturalismus

Sprache wird als formende Kategorie angesehen, sie gibt also nicht die Realität wieder, sondern formt diese selber. Dementsprechend werden soziale Normen nicht mehr als selbstverständlich wahrgenommen, sondern als durch die Sprache geformt.

Gender Studies

Die Geschlechterforschung beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschlecht zu Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft. Dabei legt sie ihr Hauptaugenmerk darauf, wie sich Geschlecht und Gemeinschaft gegenseitig bedingen. Es wird die Differenzierung in die Geschlechterrollen männlich und weiblich als Stereotypen kritisch hinterfragt sowie die damit einhergehenden Hierarchien.

Die Anwendung dieser Methoden sind die Queer Studies. Das Ziel des Queerfeminismus ist es, die sexuellen Identitäten, Machtformen und Normen zu analysieren und entsprechend ihrer Analyse zu dekonstruieren.

Die neueren Ideen der Queer-Theorie heben sich insofern von den vorigen ab, dass sie nicht nur auf die Aufhebung des Rollenbildes der Heterosexualität aus sind, sondern allgemein den Bezug von Kultur auf Geschlechter und die damit verbundenen Ausbeutungsverhältnisse in Rechnung stellen. Denn indem das Individuum in eine bestimmte Rolle gedrängt wird, entsteht bereits eine Ungleichheit. Deshalb ist es eine notwendige Voraussetzung, dass sich das Wort queer als ein radikal offenes definiert. Das bedeutet, dass jeglicher Mensch oder Gruppe von Menschen den Begriff auf sein Geschlechtsempfinden oder sexuelle Orientierung anwenden könne, um sich so zu inkludieren. Damit wird die Queer-Theorie immer weiterentwickelt und bleibt endlos.

Geschichte

Die ersten Vordenker_innen der Queer Theorie versuchten die naturgemäße Zweigeschlechtlichkeit zu widerlegen und einen Beweis dafür zu finden, dass Geschlechter rein gesellschaftlich anerzogen seien.

Die tatsächliche Bewegung hat ihre Ursprünge in den Kämpfen der 60er Jahre um die Bar Stonewall Inn/Christopher Street/New York. Hier trafen sich diejenigen, die auch in den angesehenen Schwulen- und Lesbenbars nicht willkommen waren, besonders Menschen anderer Hautfarbe, Jugendliche, Obdachlose und Trans-Personen. Sie waren es, die die Kämpfe mit der Polizei ausfochten, denn sie hatten nichts mehr zu verlieren, allerdings brachte dies ihnen auch nicht die Rechte, die sie sich wünschten. Es war die erste Bewegung dieser Form, die sich in tagelangen Straßenkämpfen gegen die Willkür der Polizei zur Wehr setzte. Daraus ist die Tradition des Christopher Street Days (CSD) geworden, der in vielen Städten international auch unter dem Namen Gay Pride, als Parade für Menschen, die für ihre Sexualität und auch andere Faktoren, wie Herkunft, Behinderung oder soziale Stellung, diskriminiert werden, zelebriert wird. Dennoch kam es auch in dieser Bewegung zu unterdrückerischen Mustern, denn sie merkten bald, dass sie als einheitliche Masse auftreten mussten, um Schlagkraft zu besitzen. Dafür schlossen sie diejenigen aus, die nicht eindeutig als einem Geschlecht zugehörig definiert werden konnten. Dennoch versammelten sich hier die Vorläufer der Queer-Bewegung, diejenigen, die vom lesbischen und schwulen Mainstream ausgeschlossen waren.

Die Bewegung stellte einige zentrale Forderungen auf. Dazu gehörte unter anderem die Selbstdefinition, die auch auf den Konstruktivismus Bezug nahm. Diese besagt, dass die einzige gültige Identitätsklärung durch die Definition des eigenen Selbst geschehen könne. Als sie begannen, ihre Ideen konstruktivistisch zu begründen, also nach der Auffassung, dass jedes Individuum sich durch alle seine Sinneseindrücke/Erfahrungen seine eigene Weltanschauung zusammenschustert und damit kein Mensch dem anderen gleicht, mussten sie sich eingestehen, dass es auch nicht die Lesbe oder den Schwulen gibt, sondern auch in Geschlechtszugehörigkeit und sexueller Orientierung jede/jeder unterschiedlich ist. Dies kam infolge eines gesellschaftlichen Wandels, der eine sehr viel tolerantere Einstellung gegenüber sexuell anders Orientierten mit sich brachte. Jetzt traten andere diskriminierende Faktoren wie Ethnie, Klasse oder Religion in den Vordergrund.

Die Bewegung wurde einerseits für bis dahin Ausgeschlossene geöffnet, andererseits wurde sie dadurch auch gespalten, denn es wurde möglich, von innen offen Kritik an der Bewegung zu äußern. Mehrfach Diskriminierte, insbesondere schwarze, homosexuelle Frauen, kritisierten die bestehenden Hierarchien in den Gruppen, wonach meist weiße homosexuelle Männer die Leitung übernahmen. Diese Vormachtstellung wurde scharf kritisiert, denn wie sollten sich Frauen befreien, wenn sie weiterhin unter der Fuchtel des Mannes standen, während dieser ihre Unterdrückung nicht einmal nachvollziehen konnte. Daraus entstand wiederum die Idee der Intersektionalität, die versucht, alle Unterdrückungsmuster zu analysieren und ihre Verknüpfungen aufzuzeigen, anstatt den Ursprung derer zu suchen.

Diese neue Situation, in der die Bewegung nicht mehr als eine homogene Masse betrachtet werden konnte, machte auch einen neuen Denkanstoß notwendig.

Judith Butler

Judith Butler eröffnet eine ganz neue Diskussion, indem sie die Dualität der Begriffe sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) anzweifelt. Ihr Ziel ist es zu zeigen, dass es kein biologisches Geschlecht gibt, sondern dieses wie das soziale Geschlecht nur eine Konstruktion ist, es also eigentlich nur den gender gibt, welcher gesellschaftlich anerzogen sei. Durch die Differenzierung der Begriffe zeigt sie, dass die geschlechtliche Rollenzuschreibung nicht gottgegeben ist. Sie knüpft damit an die Aussage von Simone de Beauvoir an: Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. Die geschlechtliche Rollenzuschreibung soll damit aufgezeigt werden, besonders für Frauen. Denn gemäß ihrem feministischen Denken hat sich die Philosophie nie mit den Differenzen der Geschlechter auseinandergesetzt, sondern diese vorausgesetzt. Damit hätten die Philosophen jedoch den Menschen mit dem Mann gleichgesetzt. Es würde überhaupt nicht auf das Verhältnis von Mann zu Frau eingegangen. Der Mann sei sozusagen Mensch, ohne sich mit anderen Menschen vergleichen zu müssen. Die Frau hingegen definiere sich ausschließlich über ihre Unterschiede zum Mann.

Butler stellt hierzu die Theorie der performativen Geschlechtsidentität auf. Diese besagt, dass das Geschlecht, mit dem sich ein Individuum identifiziert, allein Produkt von Handlungen, Sprache und körperlichem Verhalten sei. Wir bekommen unser Geschlecht von Anfang an beigebracht, dies beginnt mit der Aussage direkt nach der Geburt: „Es ist ein Mädchen/Junge“. Am Körper sei eigentlich kein Geschlecht festzumachen. Wenn die Eltern also davon ausgehen, dass ihr Kind männlich ist, erziehen sie es entsprechend der gesellschaftlichen Normen, die dem männlichen Geschlecht zugeschrieben werden. Die Fremddarstellung bewirkt die resultierende Selbstdarstellung. Auch die entsprechenden Aktivitäten, die für Mädchen und Jungen bereitgestellt würden, sorgen für die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale.

Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Geschlechtszuweisung irrelevant sei, sondern ganz im Gegenteil, dass daraus eine klare Machtstruktur resultieren würde. Denn die Unterscheidung in Frau und Mann sowie die Heterosexualität sorgen für den Erhalt der patriarchalen Gesellschaftsstruktur, einer absolut männerdominierten Gesellschaftsform. Die Zwangsheterosexualität begründet die Unterscheidung zwischen Frau und Mann, deshalb müssen die Geschlechterrollen mit dieser in Zusammenhang gesetzt werden. Nur durch diese kann der Mann wiederum seine privilegierte Stellung wahren. Um diese Stellung zu sichern, muss eine Kategorisierung in verständliche und unverständliche Geschlechter vorgenommen werden. Alle, die klar einem Mann oder einer Frau zugeordnet werden können, sind verständlich, alle, die aus dieser Norm herausfallen, sind unverständlich. Butler legt ihr Augenmerk deshalb absichtlich auf die Menschen, die nicht klar geschlechtlich zuzuordnen sind. Diejenigen, die kein heterosexuelles Begehren verspüren, die körperlich nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können und/oder die nicht mit dem Geschlecht, das ihnen gesellschaftlich zugeordnet wird, leben wollen. Dadurch verschiebt sich auch die Zuordnung von Macht der Männer über Frauen auf diejenigen, die nicht der Einordnung in die zwei definierten Geschlechter folgen, also den eben genannten. Dann muss davon ausgegangen werden, dass der kulturelle Status der Geschlechter, also männlich überlegen und weiblich unterlegen, komplett unabhängig von dem Körper ist und demnach männliche Rollenzuweisungen genauso gut Frauen zugeschrieben werden können wie weibliche Männern. Die Geschlechtsidentität ist Resultat von Äußerungen und den darauf folgenden Handlungen, die anhand von gesellschaftlichen Normen getätigt werden.

Die Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen äußert sich oft in sowohl körperlicher als auch in sprachlicher Gewalt, welche sie als genauso körperlich verletzend definiert. Dabei stellt sich Butler gegen die Zensur von Pornografie oder alltäglichen sexistischen und homophoben Äußerungen. Es gilt diese radikal öffentlich aufzuzeigen, um sie zu isolieren und eine Stellungnahme zu erzwingen. Denn sie sagt, dass nicht das Zeigen sexueller Erniedrigung die eigentliche Gewalt sei, sondern dass die gesellschaftliche sexuelle Praxis Machtverhältnisse demonstriert, deren verletzender Charakter in ihrer unausgesprochenen Zustimmung liege.

Die genannten Verhältnisse sind zwar ungerecht, aber vor allem sorgen die lebenslänglich zugewiesenen gesellschaftlichen Rollen und entsprechenden Körper für eine Unfreiheit,  durch die Identitäten sich nicht frei entfalten können. Deshalb gilt es, diese dekonstruktiv zu unterwandern.

Diese Normen stellen ein unerreichbares Ideal dar, das sich durch die unendliche Vielfalt von Variationen  wiederlegt. In der Geschlechtsparodie, dem Cross-Dressing (das Tragen der typischen Kleidung des anderen Geschlechts) und der Travestie (dem Verkleiden als das jeweils andere Geschlecht) äußern sich die Variationen. Wenn jedoch die Geschlechtsidentitäten nur gesellschaftliche Fiktion sind, um das etablierte System aufrechtzuerhalten und durch Bestrafung durchgesetzt werden, dann können die Träger_innen durch das Unglaubwürdigmachen diesem Widerstand leisten. Es geht dabei nicht um die Imitation von echten Frauen- oder Männerbildern, sondern um das Aufzeigen, dass diese nur eine Konstruktion sind, die es gilt, als solche zu enttarnen.

Butler sagt von sich selbst deshalb, dass es ihr nicht darum geht, als Frau zu kämpfen, sondern immer wieder aufzuzeigen, dass Frau-Sein nur Konstruktion ist!

Butlers Theorie kann die Begrenzungen des Postmodernismus nicht überwinden. Einerseits erkennt sie das poststrukturalistische Theorem Foucaults an, dass strukturelle Macht eine anthropologische Konstante (Matrix) sei, also auch in klassenlosen Gesellschaften vorkomme und durch Verhalten und Sprache zwangsläufig weitergegeben werde. Andererseits begründet sich ihre Gegenstrategie aus dem Dekonstruktivismus entlehnten idealistischen Elementen. Dieser leugnet, dass Menschen die objektive Realität erkennen können (Agnostizismus). Seine Anhänger_innen gehen davon aus, dass Wahrheit letztlich nur diskursiv (und damit subjektiv) im Rahmen von Machtverhältnissen existiert, dass ebenfalls nicht gesagt werden kann, ob es ein Ding an sich gibt, weil wir nie wissen können, ob wir es erkennen. Alle Theorien sind unwahr, nur Narrative (subjektiv gefärbte Erzählungen). Es gehe bestenfalls darum, diese Narrative anzugreifen, sie zu zerstören, zu dekonstruieren, weil sie nur subjektive Meinungen widerspiegeln. Somit stehen die DekonstruktivistInnen dem Idealismus eines Kant oder Fichte nahe.

Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus sind reaktionäre, also rückschrittliche Ideologien, die erste eine idealistische, die zweite eine mechanisch-materialistische. Der Dekonstruktivismus ist eine Art Sophismus (Leugnen des Absoluten, der Objektivität von Erkenntnis), nur das Relative ist für ihn absolut. In Bezug auf seine Wirksamkeit für Gesellschaftsveränderung steht er den Junghegelianern kaum nach, mit denen Marx und Engels sich bereits in ihren Frühschriften auseinandergesetzt haben.

Im Unterschied zu den Postmodernist_innen geht es diesen „kritischen Kritikern“ (wie z.B. der Gruppe „Gegenstandpunkt“) aber darum, dass „revolutionäre Tätigkeit“ darin besteht, die Wirklichkeit und die Vorstellungen über sie richtig zu kritisieren und auf den Punkt zu bringen. Insofern ist der kritischste Kritiker als einziger im Besitz der Wahrheit – bis ein noch kritischererdaherkommt. Sind die „falschen Vorstellungen“ richtig kritisiert und denken alle die Wirklichkeit richtig, steht der Veränderung der Gesellschaft nichts mehr im Wege.

Demgegenüber steht der Poststrukturalismus Foucaults in der Tradition des mechanischen Materialismus‘ Feuerbachs, zu dessen Gattungswesen Mensch unabänderlich die Religion gehört. Bei Foucault sind es die Macht und ihre unausweichliche Vermittlung durch Sprache und Verhalten.

Mechanischer und historischer Materialismus sowie der absolute Idealismus Hegels und der „kritischen Kritiker_innen“ erkennen im Gegensatz zu Kant, Fichte und der postmodernen Philosophie die Existenz und Erkennbarkeit einer objektiven Welt außer uns also an.

Der marxistische historische Materialismus überwindet diese Dichotomie (unvermeidliches Auseinanderfallen in zwei Bestandteile) zwischen subjektiv-gedanklicher Konstruktion der Wirklichkeit einer- (Dekonstruktivismus) und schicksalhafter Unveränderlichkeit der objektiven Realität andererseits (Foucault) dialektisch durch die Entdeckung des geschichts- und erkenntnisstiftenden Elements in der gesellschaftlichen Arbeit und ihren Wandlungen. Sein Materialismus ist ein tätiger, kein bloß anschauender, sein Gattungswesen die steter Veränderung unterworfene menschliche Gesellschaft. In Klassengesellschaften muss er folglich den Schlüssel auch zum Verständnis der Entstehung geschichtsstiftender Ideen im Klassenkampf wie ihrer Wirksamkeit in der praktisch-revolutionären Umwälzung der Gesellschaftszustände suchen. Welch Unterschied zu Butlers „Austanzen der Matrix“, einer unfreiwillig komischen Parodie auf Gesellschaftsveränderung!

Kritik an der Queer-Theorie

Oft werden als Kritik an der Queer-Theorie die wissenschaftlichen Erkenntnisse genannt. Dabei wird sich bevorzugt auf die Zweigeschlechtlichkeit bezogen, also dass die Geschlechter eindeutig in zwei Pole, Frau und Mann, zu unterscheiden seien. Queertheoretiker_innen argumentieren dagegen, dass auch naturwissenschaftliche/biologische Erkenntnisse gesellschaftlichen Ursprungs seien. Erst in einem gesellschaftlichen Kontext würde die Kategorisierung schließlich eine Bedeutung erhalten, sie sei also nicht vorgesellschaftlich und damit auch nicht von der Natur vorgegeben. Zusätzlich wird auf einer biologischen Ebene gegenargumentiert. Zur Ausprägung eines biologischen Geschlechts seien viele verschiedene Faktoren nötig. Dazu gehören 19 verschiedene Gene auf mehreren Chromosomen, nicht nur auf X und Y. Auch die Sexualhormone Östrogen und Testosteron kämen bei männlichen und weiblichen Individuen in verschiedenen Konzentrationen vor. Manche vertreten deshalb die Auffassung, wenn ab der Geburt für Mädchen und Jungen gleiche Möglichkeiten des Körperaufbaus (Sport, Ernährung, etc.) gegeben wären, würden sich auch die Körper gleichen. Allerdings ist nicht klar, ob dabei von einer künstlichen Hormonzugabe ausgegangen wird.

Kapitalismuskritische Gruppen warfen Vertreter_innen des Queerfeminismus auch immer wieder vor, sich nicht ausreichend mit ihren Theorien auseinanderzusetzen. Dem steht die Kritik von queeren Zusammenhängen gegenüber, kommunistische Organisationen seien hierarchisch aufgebaut und meistens von weißen Männern dominiert und angeleitet. Queerfeminist_innen befassen sich hingegen mit den Theorien der Triple-Oppression (dreifache Unterdrückung nach Klasse, Geschlecht und Hautfarbe) und der Intersektionalität (Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person). Dementsprechend wird der Kapitalismus nicht als der Ursprung aller unterdrückerischen Faktoren betrachtet, sondern als einer von vielen. Zudem lehnen sie die Vorstellung des Materialismus ab, denn dieser würde als universell vorausgesetzt und dabei Ausnahmen missachten. Doch gerade mit diesen Ausnahmen identifizieren sich queer Denkende.

Tatsächlich schließt die biologische Bipolarität der Geschlechter aber keine dazwischen liegenden aus, sondern besagt, dass es eine Polarisierung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht zum Zweck der Fortpflanzung der Gattung geben muss. Es gilt also nicht diese Polarisierung zu leugnen, sondern aufzuzeigen, wodurch die Diskriminierung aller anderen entsteht. Diese liegt aber nicht in der Biologie der sexuellen Vermehrung und der dazu erforderlichen beiden Geschlechter begründet, die fortschrittliche Menschen deshalb auch gar nicht zu leugnen gezwungen sind, sondern in der Art und Weise der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen eingehen. Folglich können diese auch andere Verhältnisse gestalten, die jegliche Unterdrückung des Menschen durch den Menschen aufheben (Kommunismus).

Meistens wird aber der Ursprung dieser Diskriminierung nicht kritisiert, sondern nur ihr Überbau, die Ideen in den Köpfen von Menschen, die sich in sexistischen und homophoben Äußerungen und gesellschaftlichen Werten und Gesetzen zeigen. Es wird eine Ersatzavantgarde in Form von Kleingruppen, die in mehrfacher Form unterdrückt sind, gebildet, anstatt eine Einheit der Kämpfe anzustreben. So verlieren sich Gruppen in Diskussionen über die Deutungshoheit und die Definitionsmacht beziehungsweise geben sich mit diesen Verbesserungen zufrieden.

In der Radikalen Linken sind die Ideen des Queerfeminismus heute recht weit verbreitet. Sie werden insofern umgesetzt, als dass es auf Partys oft Awareness-Teams gibt. Es besteht also ein Bewusstsein dafür, dass auch in den eigenen Kreisen Sexismus und Homophobie noch vorhanden sind und  die Notwendigkeit besteht, an sich zu arbeiten. Meistens äußern sich solche Probleme schlichtweg in Mackerverhalten und der Tatsache, dass Gruppen männerdominiert sind. Jedoch wird dabei nicht nach der Ursache gesucht, sondern es werden nur Symptome bekämpft, in Form von idealistischen Vorstellungen wie, die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten allein durch Sprache und das Ändern der eigenen Verhaltensweise aufheben zu können. Es werden nicht die ökonomischen Gesellschaftsverhältnisse analysiert, um die Basis ändern zu können, sondern es werden nur dem gegenüberstehende gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen kritisiert. Diese Herangehensweise hat sich in vielen Gruppen festgesetzt, wodurch sie in dem Feld handlungsunfähig werden und nicht mehr progressiv sind.

Unsere Perspektive und Forderungen

Wir sehen den Ursprung aller diskriminierenden Faktoren, und darunter auch der Frauenunterdrückung sowie der Homophobie in dem System der Klassengesellschaft. Im Kapitalismus manifestieren sich diese im besonderen Maße in der bürgerlichen Familie. Hierzu kann man mehr in dem Artikel zum Ursprung sexueller Unterdrückung in dieser Ausgabe lesen.

Der Kapitalismus ist auf das Konstrukt der bürgerlichen Familie angewiesen. Hier wird für die Reproduktion der Arbeitskräfte gesorgt und Erziehung sowie Hausarbeit werden komplett unentgeltlich und widerspruchslos getätigt. Dementsprechend wäre es kontraproduktiv, würde es gestattet, gleichgeschlechtliche Partnerschaften einzugehen, denn diese würden keine neuen Arbeitskräfte zeugen. Genauso ist er auf eine patriarchale Gesellschaftsstruktur angewiesen, durch die klare Machtverhältnisse gegeben sind und bedingungslos Hausarbeit und Erziehung übernommen werden.

Daher fordern wir eine marxistische Analyse der Gesellschaft und dementsprechend eine Verbindung mit der Arbeiter_innenbewegung. Denn wir sehen die Befreiung der Frau nur im Zuge der Befreiung der Gesellschaft als möglich an, genauso wie die Befreiung der Gesellschaft nur möglich ist im Zuge der Befreiung der Frau.




Frauen in der Hausindustrie

Shazia Shehzad/Martin Suchanek, Neue Internationale 203, Oktober 2015

Arbeiterinnen sind von den Auswirkungen des Neoliberalismus und der Krise besonders  betroffen. Das betrifft besonders Länder der „Dritten Welt“, also Halbkolonien, die von imperialistischer Ausbeutung geprägt sind.

Die ökonomische „Entwicklung“ dort zeigt sich als ein Nebeneinander einerseits der Einbindung in den modernen globalen Kapitalismus und andererseits der Ausbreitung „alter“ Formen der extremen Ausbeutung wie z.B. der Heimindustrie. Rund 73 Prozent aller LohnarbeiterInnen in Pakistan – immerhin rund 60 Millionen – sind im „informellen“ oder „prekären“ Sektor beschäftigt, der im letzten Jahrzehnt weiter deutlich gewachsen ist.

Diese Beschäftigungsverhältnisse sind keine Relikte einer vorkapitalistischen Vergangenheit (wie z.B. die tradierte handwerkliche Produktion). Ihre Ausdehnung geht vielmehr Hand in Hand mit dem Einfluss des Großkapitals, mit der Produktion für Textil- und Handelsketten, die auf nationalen und internationalen Märkten tätig sind.

So macht der Textilexport in Pakistan mehr als 50 Prozent des Gesamtexports aus. Wie auch in Indien, Bangladesh oder Sri Lanka ist er v.a. auf den EU-Markt ausgerichtet – ob  die Produktion in großen Fabriken, in kleinen Unternehmen oder in Heimarbeit erfolgt.

Letztere ist ist eine besondere Form „ungleichzeitiger und kombinierter Entwicklung“, wo rückständige Formen der Produktion wie die Hausindustrie, die Marx im „Kapital“ ausführlich beschreibt, in ein System der Profitmacherei für riesige kapitalistische Unternehmen eingebunden sind.

System von Subunternehmen

In die „Hausindustrie“ lagern die Unternehmen einen Großteil ihrer Aufträge auf Subunternehmen (oder eine ganze Kette von Subunternehmen) über lokale „Mittelsmänner“ aus. Der größte Teil der Produktion wird durch diese in Auftrag gegeben und die Hausarbeiterinnen (der Anteil von Männern unter ihnen ist sehr gering) treten nur diesen als „Vertragspartnerinnen“ gegenüber.

Die neoliberale Methode, die heute vorherrscht, besteht darin, dass die ArbeiterInnen im informellen Sektor generell nur kurz befristete Verträge haben (oft nur für einen Tag) und auch nur tageweise bezahlt werden. Es gibt keine soziale Absicherung gegen Krankheit, keine Alters- oder Gesundheitsvorsorge. Diese Form der Billigarbeit ist eine übliche Form in der „Dritten Welt“ geworden.

Die Hausindustrie macht in Ländern wie Pakistan einen wichtigen Teil der Produktion aus, wenn auch verlässliche Zahlen wegen des informellen (und tw. auch illegalen) Charakters der Arbeit kaum zu erhalten sind. Neben fehlender sozialer Absicherung gibt es auch keine Mindestlöhne oder irgendeinen Arbeitsschutz. Die ArbeiterInnen werden nicht stundenweise, sondern nach Stücklohn bezahlt. Produkte, die der Mittelsmann für zu schlecht befindet, werden nicht abgenommen und auch nicht bezahlt. Die Frauen arbeiten 12-14 Stunden täglich und erhalten in Pakistan sehr geringe Löhne, oft sogar weniger als 100 Rupien (ca. 84 Cent) pro Tag.

Produziert werden Textilien aller Art. Vom Teppich bis zum Reitkleid werden alle möglichen Produkte geknüpft oder genäht und abgepackt. Oft werden auch vorgefertigte Produkte zusammengenäht. In der Regel wissen die Frauen nicht, unter welchem Label die Produkte verkauft werden, da diese oft erst später aufgenäht werden, wobei derselbe Mittelsmann oder höhere Subunternehmen auch Produkte derselben Arbeiterinnen an unterschiedliche Marken verkaufen können.

In der Hausindustrie arbeiten fast ausschließlich Frauen und zwar zuhause oder in kleinen Betrieben in unmittelbarer Nachbarschaft. Dort sind 10 oder 20 Frauen quasi eingepfercht in kleinsten „Sweat Shops“. Ihr Lohn ist so gering, dass sie davon allein nicht überleben könnten, er ist vielmehr Bestandteil des „Familienlohns“ der proletarischen Familien.

Dabei sind die Frauen den „Mittelsmännern“, ihren Auftraggebern, nicht nur als vereinzelte Vertragspartnerinnen extrem ausgeliefert und unterliegen einer enormen Ausbeutung. Oft sind sie bei den „Mittelsmännern“ auch verschuldet, weil sie z.B. in der Zeit von Hochzeit, Schwangerschaft, Unfällen oder Krankheit nicht produzieren können. Sie nehmen dann Kredite bei ihren Vertragspartner auf, die bei extremen Zinsen in Zukunft abgearbeitet werden müssen.

Patriarchale Unterdrückung

Die patriarchale Unterdrückung der Frau in der pakistanischen Gesellschaft sichert dieses System der Ausbeutung ab. Eine Form der Unterdrückung der Frau besteht dabei darin, dass sie nicht allein im öffentlichen Leben in Erscheinung treten darf oder es dafür großen Mutes bedarf. Die Mobilität der Frauen ist daher extrem eingeschränkt. Frauen, die einer Lohnarbeit außer Haus nachgehen, setzen sich dabei nicht nur gesellschaftlicher Anfeindung aus, sondern auch enormen Risiken bis zu sexuellen und physischen Übergriffen. Daher ist für viele Frauen die Hausarbeit die einzige Form, ihre Arbeitskraft verkaufen und so zum Auskommen der Familie beitragen zu können, ohne Beleidigungen oder Übergriffen auf dem Weg zur Arbeit oder am Arbeitsplatz ausgesetzt zu sein. Das führt auch dazu, dass Frauen und deren Familien oft die Heimarbeit der Fabrikarbeit vorziehen.

Hinzu kommt, dass in Pakistan Lohnabhängige, v.a. deren untere Schichten, auch nicht als kreditwürdig (oft überhaupt nicht als geschäftsfähig) gelten und bei normalen Banken keine Vorschüsse erhalten, ja oft noch nicht einmal ein Konto eröffnen dürfen. Für Frauen gilt das umso mehr. Daher bleibt ihnen (wie auch großen Teilen der männlichen Arbeiter) nur der Mittelsmann oder der private Geldverleiher, wenn sie finanziell in Bedrängnis kommen.

Diese Situation kommt einer Falle für die Frauen gleich, die sie zum Objekt extremer Ausbeutung und Abhängigkeit macht, dessen ursächliche Faktoren sich wechselseitig verstärken.

Der Ausschluss der Frauen vom öffentlichen Leben aufgrund von Patriarchat, Religion und reaktionärer kultureller Traditionen festigt also auch das System der extremen Überausbeutung in der Heimindustrie.

Die Kapitalisten haben davon viele Vorteile. Sie können die einzelnen Frauen ebenso leicht einstellen wie feuern. Konjunkturelle Einbrüche treffen diese ganz unmittelbar. Die einzelnen Frauen haben fast keine Verhandlungsmacht und müssen daher Löhne unter ihren Reproduktionskosten akzeptieren. Bei Krankheit, Unfall, Alter usw. tragen sie bzw. ihre Familien die Kosten. Außerdem müssen sie nicht nur den Arbeitsraum stellen (ihre Wohnung), sondern in der Regel auch Arbeitsmittel, Werkzeuge, Ausstattung usw. bezahlen, mitunter sogar die Kosten für die Rohstoffe tragen. Die Frauen werden so formell in den Status individueller Kleinproduzentinnen gedrängt, die an den Mittelsmann nur ein Produkt zu dessen „Stückkosten“ verkaufen. Es erscheint so, als wären sie keine Lohnarbeiterinnen, sondern verarmte Kleinproduzentinnen. In Wirklichkeit ist das freilich nur ein oberflächlicher Schein, wie auch in der „Hausindustrie“ oder im „Verlagssystem“ im Frühkapitalismus Europas (oder auch in „neueren“ Formen prekärer Beschäftigung).

Organisierung

Die Hausarbeit verschärft die doppelte Belastung der Frauen in der Familie (wie auch die Tendenz zur Kinderarbeit). In Pakistan haben zwar soziale Bewegungen versucht, die Probleme der Frauen in der Hausindustrie aufzugreifen, aber die (wenigen) gesetzlichen Einschränkungen der Ausbeutung existieren meist nur auf dem Papier.

Die pakistanische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale um die Zeitschrift „Revolutionary Socialist“ arbeitet aktiv am Aufbau einer „Gewerkschaft der Arbeiterinnen in der Heimindustrie und der Hausarbeiterinnen“ (Home based and domestic workers union) mit, welche von Arbeiterinnen in Lahore initiiert wurde. Gemeinsam mit hunderten Arbeiterinnen kämpfen wir für die rechtliche Anerkennung dieser Gewerkschaft.

Angesichts der enormen Bedeutung der Textilindustrie, ihrer großen Zersplitterung in zahlreiche Subunternehmen, der unterschiedlichen Form der Ausbeutung (Fabrik, Manufaktur, Hausindustrie) braucht es in allen diesen Bereichen Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung und die Überwindung der Zersplitterung durch die Schaffung einer Massengewerkschaft für die gesamte Branche.

Forderungen

Eine zentrale unmittelbare Forderung ist der Kampf gegen das System des Stücklohns und der kurzzeitigen Verträge. Wir treten dafür ein, dass es Arbeitsverträge gibt, die die Lebenshaltungskosten der Frauen decken sowie eine Kranken- und Unfallsversicherung, die Rentenvorsorge und Urlaub ermöglichen. Wir treten für monatliche Löhne statt  Stücklohn und Tagelöhnerei ein.

Zweitens braucht es eine Kampagne gegen das System der Subunternehmen und Mittelsmänner – nicht nur wegen der Ausbeutung, sondern auch wegen der Zinsknechtschaft und zahlreicher Fälle physischer und sexueller Übergriffe.

Bislang gelang es uns, in einzelnen Bezirken in Lahore Arbeiterinnen zu organisieren, ihre Ausbeutung öffentlich zu machen, Frauen (und auch ihre Männer) für deren Rechte zu mobilisieren. In einzelnen Bereichen konnten wir auch Verbesserungen durchsetzen.

Es geht uns aber v.a. darum, diesen Kampf mit jenem der sehr schwachen pakistanischen Gewerkschafts- und ArbeiterInnenbewegung zu verbinden. Um die Lage im riesigen informellen Sektor zu ändern und das System der Hausarbeit abzuschaffen, reichen einzelne, branchenweise Versuche, tarifliche Regelungen durchzusetzen, nicht aus. Wir treten daher für eine Kampagne für einen gesetzlichen Mindestlohn ein, die von allen Gewerkschaften, linken und ArbeiterInnenorganisationen geführt werden muss. Dieser  Kampf muss zudem mit dem Engagement gegen die gesellschaftliche und rechtliche Unterdrückung der Frau verbunden werden. Dabei müssen Frauen wie jene, die sich in der „Home based and domestic workers union“ zu organisieren beginnen, eine Schlüsselrolle spielen, so dass sie von einem Objekt kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung zu einem Subjekt im Kampf um die Befreiung der gesamten ArbeiterInnenklasse werden.




Köln: Was für einen Antisexismus brauchen wir?

Nina Awarie, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Nach der Kölner Silvesternacht waren sie auf einmal da. Aus allen rechten Ecken kamen all jene gekrochen, die auf einmal den Feminismus für sich entdeckt zu haben glaubten. Zufrieden und selbstgerecht standen sie mit erhobenem Zeigefinger da und sahen sich in ihrem rassistischen Weltbild bestätigt.

Was war geschehen?

In verschiedenen deutschen Großstädten kam es in der Silvesternacht 2015/2016 zu zahlreichen Diebstählen sowie massiven sexualisierten Gewaltübergriffen und Belästigungen  gegenüber Frauen. Allein in Köln wurden mehrere Hundert Übergriffe angezeigt, darunter auch mindestens eine Vergewaltigung. Zu den Tätern gab es von Anfang an widersprüchliche Aussagen seitens der Polizei und Medien. Mal war von 1000 „Nordafrikanern“ die Rede, mal von Flüchtlingen aus Syrien. Tatsächlich befinden sich unter den Tatverdächtigen neben Männern mit marokkanischer und algerischer Staatsbürgerschaft u.a. auch  US-amerikanische und deutsche Staatsbürger. Ganz abgesehen davon spielt es keine Rolle, welche Staatsbürgerschaft oder welchen Migrationshintergrund die Täter haben. Gewalt gegen Frauen lässt sich nämlich nicht ethnisieren, sondern ist struktureller Bestandteil des Kapitalismus, auch und gerade in Deutschland.

Was folgte?

Diese Vorfälle waren für rechtspopulistische und konservative Politiker_Innen sowie die bürgerlichen Medien natürlich ein gefundenes Fressen. Nicht etwa, weil sie grundsätzlich ein Problem mit patriarchalen Strukturen hätten. Sonst würde in den politischen Talkshows ja quasi jede Woche im Jahr über Sexismus und sexualisierte Gewalt diskutiert werden. Anlässe dafür gäbe es genug, wie beispielsweise die laut Dunkelziffer etwa 200 Vergewaltigungen, die jedes Jahr während des Oktoberfestes stattfinden. Oder auch das reaktionäre Strafrecht, wonach eine Frau theoretisch für einen ungenehmigten Schwangerschaftsabbruch härter bestraft werden kann (bis zu 3 Jahre) als ein Mann, der eine Vergewaltigung begangen hat (mind. 2 Jahre). Von den immer noch bestehenden Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen, der sexistischen Werbung oder ekelhaften Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ ganz zu schweigen.

Aber wie gesagt, das alles stört die Rassist_Innen, Rechtspopulist_Innen und Faschist_Innen herzlich wenig. Worum es ihnen hauptsächlich ging, war die Instrumentalisierung der Opfer für ihre eigenen rassistischen Zwecke.

Einziger Nachteil: Man musste kurzfristig heucheln, dass sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen immer schon Themen gewesen sind, die einen nicht haben schlafen lassen. Aber keine Sorge, spätestens bis zum nächsten Oktoberfest ist der routinierte Griff der „zivilisierten“, mitteleuropäischen Männerhand unter den Minirock oder das mit Gewalt erzwungene „Stell-dich-ein“ hinter dem Ochsenzelt sicherlich gesellschaftlich wieder zum Kavaliersdelikt geworden und das „Abendland“ für diese Idioten gerettet.

„Eine Armlänge“

Eine weitere beispielhaft typische Reaktion auf die Vorfälle lieferte schon kurze Zeit später Kölns Oberbürgermeisterin Reker. Ihr Rat an die Frauen, eine „gewisse Distanz“ von einer Armlänge zu bestimmten Männern zu halten, ist ein klassischer Fall von sogenanntem „Victim-Blaming“. Hierbei findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Frauen und Mädchen trügen also in gewisser Weise mit Schuld, wenn jemand ihre Grenzen überschreitet. Sie könnten dies ja durch das „korrekte“ Verhalten verhindern. Eine fatale These, die sich ziemlich kruder Vergewaltigungsmythen bedient. Tatsächlich ist es in der Realität vollkommen irrelevant, welche und wie viel Kleidung eine Frau trägt oder an welchen vermeintlich gefährlichen oder sicheren Plätzen sie sich aufhält. Die meisten Vergewaltigungen finden nämlich nicht in irgendeinem dunklen Wald durch irgendeinen ominösen Fremden statt, sondern in den eigenen vier Wänden. Dass die deutsche Bundesregierung sich erst 1997 dazu durchringen konnte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, ist daher kein Zufall.

Ausnahmslos

Zum Glück waren nicht alle Reaktionen auf die sexualisierte Gewalt in der Kölner Silvesternacht dermaßen reaktionär. Ein positives Beispiel  ist die Kampagne #ausnahmslos (http://ausnahmslos.org/), welche von verschiedenen Feminist_Innen, u.a. auch der queerfeministischen Rapperin Sokee, initiiert wurde.

Dabei werden 14 Punkte zur politischen Lösung vorgestellt. Die aufgestellten Forderungen sind dabei im Großen und Ganzen durchaus sinnvoll wie beispielsweise die strikte Ablehnung einer Täter-Opfer-Umkehr oder die Ablehnung der Ethnisierung von sexualisierter Gewalt sowie die Forderung des Ausbaus von Beratungsstellen und Therapiemöglichkeiten für die Opfer. Jedoch muss bei aller Solidarität mit der Kampagne auch die fehlende Perspektive zur Überwindung patriarchaler Strukturen aufgezeigt und kritisiert werden. Wenn es beispielsweise in Punkt 4 heißt: „Auch eine geschlechtersensible Pädagogik kann (sexualisierter) Gewalt vorbeugen. Dazu zählt nicht zuletzt die Aufklärung über Geschlechterstereotype und die Bedeutung von Sprache.“, wird impliziert, man könne der Gesellschaft das Patriarchat einfach „aberziehen“.

Angesichts der Tatsache, dass die Strukturen für Frauenunterdrückung im Kapitalismus und seiner Trennung von Produktion und Reproduktion liegen, scheint dies jedoch nur allzu utopisch zu sein. Und hier liegt auch das grundsätzliche Problem dieser Kampagne: Es wird kein Wort über den Kapitalismus verloren. Durch die für den Kapitalismus notwendige Reproduktion im Privaten, also  das Kochen, Waschen und die Kindererziehung im individuellen Haushalt, werden Frauen systematisch aus dem Produktionsprozess herausgehalten und haben häufig nur die Möglichkeit, in schlecht bezahlten Teilzeit- oder Minijobs Lohnarbeit zu verrichten. Dies kann schnell zu einer ökonomischen Abhängigkeit vom Partner oder Ehemann führen und schafft somit die Struktur für chauvinistisches Verhalten. Was der Kampagne also eindeutig fehlt, sind Forderungen nach der Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit, beispielsweise dem massiven Ausbau von Kitas sowie der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen.

Für eine proletarische Frauenbewegung

Klar sollte also sein, dass eine antisexistische Frauenbewegung, die es wirklich ernst meint und eine wirkliche Gefahr für Patriarchat sein will, auch eine antikapitalistische, internationale, proletarische Bewegung sein muss. Es ist eine Illusion innerhalb des Kapitalismus Frauenunterdrückung vollständig bekämpfen zu können, genauso, wie es eine Illusion ist, dass Kapitalistinnen und proletarische Frauen auf Grund ihres gleichen Geschlechts auch der gleichen Unterdrückung ausgesetzt sind. Eine Kapitalistin kann sich locker Hauspersonal, Sicherheitsdienste und Nannys leisten. Sie leidet deutlich weniger unter dem Patriarchat und hat auf Grund ihrer privilegierten ökonomischen Stellung ja auch gar kein Interesse an einer Überwindung des Kapitalismus. Statt einer klassenübergreifenden Frauenbewegung sollten proletarische Frauen also den Schulterschluss mit den fortschrittlichen männlichen Arbeitern suchen.

Außerdem muss diese Frauenbewegung eine internationale sein, die die unterschiedlichen Probleme, die Frauen auf der Welt haben, thematisiert und eine Perspektive für alle aufwirft – von der Muslima, die das Recht hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es möchte, über schwarze Frauen, die nicht länger der massiven Polizeigewalt und rassistischen Angriffen in den USA ausgesetzt sein wollen bis hin zur pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger für einen Hungerlohn arbeiten will.

Egal ob für geflüchtete Frauen, lesbische, bi- oder asexuelle Frauen oder Frauen aus Halbkolonien oder Industrienationen: Aufgabe ist es, für die unterschiedlichen Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen Unterdrückung herauszustellen, aber auch die Unterschiede aufzuzeigen und wie sie mit der Unterdrückung, die man als Frau erfährt, sowie mit anderen Faktoren zusammenhängen.

Was außerdem dringend notwendig ist, sind klare Taktiken zur Selbstverteidigung von Frauen gegen sexistische Übergriffe, sei es auf der Straße, in der Uni oder Schule, im Betrieb oder auch in der Flüchtlingsunterkunft. Hierbei wäre es sinnvoll, wenn Frauen und Mädchen beispielsweise eigene Schutzräume organisieren, zu denen nur sie Zutritt haben und von dort aus sie sich im Falle eines Übergriffs beraten und austauschen können. Aber auch handfeste Maßnahmen wie Selbstverteidigungskurse sind durchaus notwendig.

Hier sollten vor allem die Gewerkschaften dafür sorgen, dass die “Arbeitgeber_Innen” für die Kosten solcher Kurse aufkommen und sie als Arbeitszeit angerechnet werden. Und wo wir schon mal bei den Gewerkschaften sind, sollten eben diese, sowie auch jede andere Organisation oder Partei der Arbeiter_Innenklasse, gegen jeden Sexismus in den eigenen Reihen vorgehen. Sexismus, Rassismus und auch Homo- und Transphobie sind Unterdrückungsformen, die die Arbeiter_Innenklasse mit künstlichen Spaltungslinien durchziehen. Sie schwächen die Arbeiter_Innenbewegung und blockieren somit den Weg zu einer ausbeutungsfreien, sozialistischen Gesellschaft mit vergesellschafteter Reproduktionsarbeit, in welcher die Menschen dann endgültig den Sexismus auf den Misthaufen der Geschichte werfen können.