Wir werden weiter für unsere Rechte kämpfen!

Interview mit Raquel Silva (Liga Socialista Brasilen), Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Rachel Silva ist Gründungsmitglied der „Liga Socialista“, der brasilianischen Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, und langjährige Aktivistin der LehrerInnengewerkschaft in Juiz de Fora. Sie beteiligt sich gemeinsam mit den GenossInnen der LS an der Vorbereitung der Demonstration zum 8. März und am Aufbau eines Komitees gegen die sog. „Rentenreform“ der Regierung Bolsonaro.

Frage: Wie hat sich der Putsch gegen Dilma auf die Lage der Frauen und sexuell Unterdrückten ausgewirkt?

Seit dem Staatsstreich
2016 haben die Angriffe auf Frauen und LGBTs zugenommen, als die Anti-PT-Welle
zum Sturz von Präsidentin Dilma einsetzte.
Dilma Rousseff selbst hat während ihrer Amtszeit viele machistische Angriffe
erlitten, von einschlägigen Schmährufen im Maracanã-Stadion zur Eröffnung der
FIFA-Weltmeisterschaft 2014 bis hin zu den berüchtigten pornografischen
Aufklebern für Autos, die allgemein die Frauenwürde trafen.

Nach dem Putsch nahm die
konservative, Anti-PT-Welle (PT: Arbeiterinnenpartei, Ex-Regierungspartei) zu.
Der moralische Konservatismus gewann viel an Bedeutung, vor allem, als das
Magazin „Veja”, eine der größten Zeitschriften des Landes, Vertreterin der
Bourgeoisie und Organisatorin des Putsches, einen Artikel mit der neuen First
Lady Marcela Temer (Ehefrau des damaligen Präsidenten Michel Temer)
veröffentlichte, in dem die Eigenschaften von „schön, bescheiden und
häuslich“ hervorgehoben wurden.

Während seiner Regierung
wurde das Nationale Sekretariat für Frauenpolitik in das Ministerium für
Menschenrechte übertragen und aus der Gruppe der Regierungsstellen entfernt.
Dies war bereits ein Angriff, da es eine Errungenschaft auflöste, die eine
Eroberung des Frauenkampfes vor dem Putsch 2016 darstellte.

Frage: Welche Rolle spielen dabei die konservative Rechte und Kirchen? Welche Rolle spielte Sexismus im Wahlkampf und welchen Widerstand gab es?

Diese konservative Welle, die von den
evangelikalen Kirchen sehr stark angenommen und verbreitet wurde, gewann
während des Wahlkampfes um den Präsidenten der Republik mehr Raum. Die Angriffe
richteten sich gegen öffentliche Schulen und LehrerInnen, denen „Ideologentum“,
Linkssein und sogar Pädophilie vorgeworfen wurden. Um die PT zu schlagen,
wurden gefälschte Nachrichten über ideologische Indoktrination erstellt und
verbreitet, wobei der Begriff „Gender-Ideologie“ entstand, und man die Bildungspolitik
der PT-Regierung als einen Versuch denunzierte, die Kinder zu lehren, „schwul“
zu sein. Lügen über Schwulenkostüme in Schulen wurden durch soziale Netzwerke
und WhatsApp verbreitet. Der Konservatismus hat einen heftigen homophoben
Diskurs begonnen.

Im Kampf gegen diesen Angriff, gegen die
Kandidatur von Bolsonaro brachte die auf einer Facebook-Seite gestartete
Bewegung #elenão („er nicht“) feministische Kämpferinnen, Unabhängige,
Hausfrauen, Männer in Brasilien und in der Welt zusammen. Millionen von
Menschen sind auf die Straße gegangen, um #elenão zu sagen! Es war die größte
Frauenbewegung in der Geschichte Brasiliens. Die Reaktion auf die Bewegung war
eine Reihe von neuen Angriffen auf FeministInnen. Gewalttaten gegen Militante,
Frauen und Schwule nahmen während der Wahlperiode zu, insbesondere zwischen den
Wahlgängen.

Frage: Welche Verschlechterungen, welche Angriffe drohen unter Bolsonaro auf die Frauen und LGBT+-Menschen gegenüber der bisherigen Situation?

Nach seinem Amtsantritt
im Januar 2019 ernannte Jair Bolsonaro in der Mehrheit Männer zu Ministern. Von
den 22 Ministerien stehen nur zwei unter der Leitung von Frauen: die
Landwirtschaft, angeführt von einer rechtsextremen Vertreterin des
Agrobusiness, aus der DEM-Partei (Democratas, Demokratinnen), und das neu
gegründete Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte, dessen
evangelikale Ministerin einen fundamentalistischen Diskurs gegen Abtreibung
führt und in der politischen Szene mit absurden Aussagen, vor allem gegen
Schulen und LehrerInnen, für große Kontroversen sorgt.

Mit einem Diskurs, der an
Wahnsinn grenzt, setzt sie reaktionäre und ultra-konservative Ausrufezeichen,
akzeptiert keine Geschlechterfragen und will Sara Winter dem Frauensekretariat
voranstellen. Sara Winter, die sagt, sie sei ex-feministisch, brach mit dem
Feminismus und gründete die Gruppe FEMEN in Brasilien, die von der sonstigen
Frauenbewegung abgesondert agierte. Sie führte harte Angriffe auf feministische
Bewegungen mit haltlosen Beschuldigungen und verteidigt ultrakonservative
Positionen in der Frauenpolitik.

Wir leben in einem Moment
der Angriffe an mehreren Fronten. Im Kongress werden wir durch Versuche, Rechte
wie die seit 1945 garantierte Abtreibung in Fällen von Anenzephalie,
Vergewaltigung und unsicheren Schwangerschaften zu beseitigen, attackiert.
Schon früher wurden wir immer wieder in Alarmbereitschaft versetzt wie im Falle
eines Gesetzentwurfs des ehemaligen Abgeordneten Eduardo Cunha (PdMDB, Partei
der Demokratischen Bewegung Brasiliens).

Anfang Februar dieses
Jahres präsentierte der Kongressabgeordnete Marcio Lambre von der PSL
(Sozialliberale Partei Bolsonaros) zwei Gesetze, die unsere Rechte direkt
angreifen. Ein Gesetzentwurf sieht ein Abtreibungsverbot unter allen Umständen
und während der gesamten Schwangerschaft vor, außer wenn ein hohes Risiko für
die schwangere Frau besteht, wobei die Bestrafung von ÄrztInnen einschließlich
der Aberkennung ihrer Approbation vorgesehen ist. Das andere Projekt sieht das
Verbot der Vermarktung und des Vertriebs von Verhütungsmitteln, der Pille am
nächsten Tag, der Spirale mit Strafe für AnwenderInnen und Herstellerfirmen
vor. Nach harter Kritik zog der Abgeordnete das Verhütungsprojekt zurück und
wurde darüber informiert, dass Abtreibung wegen Vergewaltigung, Todesgefahr und
Anenzephalie im Strafgesetzbuch durch Beschluss des Bundesgerichtshofs
vorgesehen ist. Er werde den Vorschlag entsprechend ändern, es bliebe aber sein
Ziel, das Voranschreiten der Möglichkeiten der Abtreibung in Brasilien
zurückzudrehen.

Die Regierung Bolsonaro
hat außerdem gerade dem Kongress den Vorschlag zur „Reform der sozialen
Sicherheit“ (des Versicherungssystems der Sozialrenten) übermittelt. Dieser
Vorschlag ist nicht nur ein harter Angriff auf die Arbeit„nehmer“Innen im
Allgemeinen, sondern bedeutet auch größere Verluste für Frauen, insbesondere
für Landarbeiterinnen.

Frage: Hat Gewalt gegen Frauen weiter zugenommen?

Die Gewalt gegen Frauen
in Brasilien erreicht absurd hohe Zahlen: 606 Überfälle, 135 Vergewaltigungen
und 12 Morde pro Tag. Alle 2 Minuten werden in Brasilien 5 Frauen geschlagen.
Das sind aktuelle Zahlen, aber sie zeigen nicht die Realität, weil viele Frauen
Gewalt nicht anprangern.

In Brasilien, einem Land
mit hohem Macho-Anteil, haben wir jetzt einen semifaschistischen Präsidenten,
der immer gewalttätige Reden gegen Frauen gehalten, sie als minderwertig
eingestuft hat und argumentiert, dass Frauen weniger verdienen sollten als
Männer, weil er sagt, „sie werden schwanger“. Bolsonaro wurde verurteilt, um
Entschädigung an die Kongressabgeordnete Maria do Rosário Nunes der PT zu
zahlen, weil er sie in den Gängen des Repräsentantenhauses verbal angegriffen
hat. Er sagte dort, er würde sie nicht vergewaltigen, weil sie es nicht
verdient hätte, da sie zu hässlich sei.

Frage: Wie entwickelte sich die Frauenbewegung in den letzten Jahren?

Die Frauenbewegung wuchs
während der PT-Regierungen. Kollektive im Zusammenhang mit dem „Weltweiten
Marsch der Frauen“, dem Marsch der Margeriten – Bewegung der Bäuerinnen
(Landfrauen der Felder, Wälder und Gewässer) –, Kollektive linker Parteien wie
PSTU (Vereinigte Sozialistische Arbeiterinnenpartei), PSOL (Partei für
Sozialismus und Freiheit), PCB (Brasilianische Kommunistische Partei;
moskautreu auch nach 1956).  Dies
erweiterte auch die Diskussion und Organisation von Frauen in CUT und PT.
Kampagnen zur Verteidigung der Legalisierung von Abtreibungen haben
Unterstützung von männlichen Sektoren erhalten. Der Feminismus gewann an Stärke
und wuchs auf den Straßen. Mit der Wahl von Trump folgte die feministische
Bewegung in Brasilien dem weltweiten Aufruf, der im Marsch gegen Trump
gestartet wurde. Gewerkschaftliche Agenden wurden in die 8.-März-Tage
aufgenommen. Die Frauenbewegung und -organisation ist zu einem Hindernis für
Konservative geworden und belästigt die Macho-Gesellschaft.

Die Frauenbewegung begann
mit dem Putsch, der Dilma Rousseff stürzte, unsicherer zu werden. Die Angriffe
wuchsen, der Diskurs gegen den Feminismus gewann die sozialen Netzwerke und die
evangelikalen Gruppen zusammen mit den Kirchen trugen noch mehr zu diesem
Angriff bei.

Frage: Wie kann Widerstand erfolgreich sein? Welche Politik ist dazu nötig?

Was die Kämpfe der Frauen
gegen diese Angriffe betrifft, so haben wir seit den Wahlen noch nicht viel
Mobilisierung erlebt. Die Erwartung ist, dass nach dem Karneval die Bewegung
wächst. Der Internationale Frauenstreik, der hier von mehreren Gruppen gegen
die Reform des Sozialversicherungssystems gewendet wurde, wird für den 8. März
vorbereitet. Die Mobilisierung in unserer Region ist allerdings schwach. Der 8.
März fällt mit der Karnevalswoche zusammen, was es sehr schwierig macht, zu
handeln.  Hier in Juiz de Fora
kamen die Kollektive zusammen, um die 8M-Kämpfe zu organisieren, aber es gab
einen Bruch. PCB, PSOL und PSTU brachen mit den Kollektiven, die mit dem
„Weltweiten Marsch der Frauen“ und der PT verbunden waren. Sie machen getrennte
Aktionen.

In diesem Moment schwerer
Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, insbesondere auf Frauen, müssen wir uns
mit einer antisexistischen und klassenorientierten Agenda organisieren, um die
Aktionen gegen die Reform der sozialen Sicherheit zu verstärken und dieser
illegitimen und semifaschistischen Regierung zu begegnen.

Wir werden weiterhin für
unsere Rechte kämpfen, gegen die Reform der sozialen Sicherheit, für die
Entkriminalisierung der Abtreibung, für ein Ende von Gewalt und Frauenmord!




Sri Lanka und die Lage der Frauen

Jonathan Frühling, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Sri Lanka ist eine Insel mit rund 20 Millionen
Einwohner_Innen vor der Südostküste Indiens mit einem nominalen
Bruttoinlandsprodukt von gut 80 Mrd. US-Dollar. Nur 1,9 % der Bevölkerung
lebt in extremer Armut. Sri Lanka gehört angesichts dieser wirtschaftlichen
Kennziffern nicht zu den ärmsten Ländern der Welt, gerade wenn man die Lage der
Bevölkerung mit Ländern wie Indien, Pakistan oder Bangladesch vergleicht.
Problematisch ist allerdings die Jugendarbeitslosigkeit von ca. 20 %. Mit
18,4 % Stadtbevölkerung ist das Land nach wie vor sehr agrarisch geprägt.

Sri Lanka ist ein multiethnischer Staat, in dem alle
großen Weltreligionen aufeinandertreffen. Der Buddhismus kann mit über
70 % am meisten Gläubige zählen, gefolgt vom Hinduismus (12,6 %), dem
Islam (9,7 %) und dem Christentum (7,4 %). Die Lebenserwartung ist in
den letzten 68 Jahren von 55 auf 75 Lebensjahre gestiegen.

Regierungskrise in Sri Lanka 2018/19

Zuletzt war das Land in den Schlagzeilen, weil es eine
wochenlange Regierungskrise gab. Der Präsident Sirisena hatte den von USA und
Indien unterstützten Premierminister Wickremesinghe von der UNP (United
National Party; Vereinte Nationalpartei) entlassen und stattdessen den
china-freundlichen und rechten Politiker Rajapaksa von der SLPP (Sri Lanka
Podujana Peramuna; Sri-Lankische Volksfront) eingesetzt und das Parlament
suspendiert. Diese Regierungskrise machte deshalb die Rivalität, die zwischen
China und USA in Bezug auf die Einflussnahme in Sri Lanka herrscht, deutlich.
China weitet seinen Einfluss auf Sri Lanka aus. Seit 2007 macht es Rahmen
seiner „Neuen Seidenstraße“ zu einem wichtigen Handelsstützpunkt. Z. B.
hat es einen großen Hafen auf Sri Lanka finanziert. Später wurde ihm dieser auf
99 Jahre verpachtet, weil Sri Lanka den gewaltigen Kredit nicht abbezahlen
konnte.

Die Regierungskrise wurde vorerst gelöst, indem der
Präsident den alten Premierminister auf Druck des Parlaments hin wieder
eingesetzt hat. Trotz dieser Lösung der Krise wurde verständlicherweise dem
Glauben an die Berechtigung des politischen Systems in der Bevölkerung
nachhaltig geschadet, z. B. wurde das Amt des Präsidenten diskreditiert.
Außerdem wurde die Wirtschaft durch die Krise erschüttert, da die Währung an
Wert verlor, die Zinssätze angehoben wurden und der Tourismus zurückging.

Trotz der undemokratischen Absetzung Wickremesinghes, die
wir angreifen müssen, darf er von uns nicht politisch unterstützt werden. Er
ist ein bürgerlicher Politiker unter dem sich seit seiner Einsetzung als
Regierungschef 2015 die wirtschaftliche Lage beispielsweise durch
Privatisierungen immer weiter verschlechtert hat. Rajapaksa dagegen stellt eine
starke reaktionäre Kraft dar, die sich auch auf bewaffnete faschistische Banden
stützt. Übernimmt er die Macht, sind vermehrte Angriffe auf die
Arbeiter_Innenklasse, die zum Teil gegen Wickremesinghes Sparmaßnahmen kämpft,
sehr wahrscheinlich. Auch die ethnischen und religiösen Minderheiten haben von
seiner nationalistischen Politik nichts zu erwarten. Beide repräsentieren
Spielarten bürgerlicher Politik, die ein halbkoloniales Land wie Sri Lanka
nicht voranbringen kann.

Wirtschaftliche Lage von Frauen

Insgesamt ist der Anteil an Frauen, die keiner bezahlten
Beschäftigung nachgehen, mit 69 % recht hoch. Dabei sind 25 % der
erwerbstätigen Frauen im formellen, 57 % im informellen Sektor tätig, was
zeigt, wie unsicher ihre wirtschaftliche Situation ist. Außerdem verdienen sie
meistens sehr viel schlechter und müssen zudem oft deutlich länger arbeiten als
ihre männlichen Kollegen, weil ihre Arbeit weniger entlohnt wird. An den
Universitäten machen sie etwa die Hälfte der Studierenden aus. Allerdings gehen
sie selten in die Politik und müssen ihre Jobs aufgeben, sobald sie Kinder
bekommen. Auch müssen sie Missbrauch und Belästigungen ertragen, wenn sie in
ihrem Beruf weiter kommen wollen, sehr ähnlich, wie es die #MeToo-Kampagne in
der westlichen Welt offenbarte.

Frauen stellen in der Tee-, der Textilproduktion und
unter den im Ausland arbeitenden Sri Lanker_Innen die meisten Beschäftigten.
Obwohl dies die wichtigsten Wirtschaftszweige sind, sind Bezahlung und
Arbeitsbedingungen in allen dreien sehr schlecht. Außerdem sind sie oftmals als
Haushälterinnen auf der arabischen Halbinsel besonderer Unterdrückung ausgesetzt.
Auf den Teeplantagen gab es sogar 2018 einen Generalstreik für eine 100%ige
Lohnerhöhung. Allerdings fokussieren sich die Gewerkschaften leider nicht auf
die Branchen mit hohem Frauenanteil.

Gewalt gegen Frauen

Häusliche Gewalt ist seit 2005 (!) verboten und trotzdem
kommt es häufig zu physischen Übergriffen von Männern gegen ihre Frauen. Diese
Verbrechen werden in der Gesellschaft toleriert bzw. akzeptiert. Die
Vergewaltigung in der Ehe ist nicht verboten und wird als „eheliches Recht des
Mannes“ verstanden. Der staatliche Schutz ist mangelhaft. Oft sind die Frauen
bei einer Anzeige weiteren Belästigungen durch die Polizei ausgesetzt. Mehr
noch: Im von 1983 bis 2009 andauernden Bürger_Innenkrieg im Norden des Landes
war das Militär oft selbst in Gewaltverbrechen gegen Frauen verwickelt und ist
es bis heute, da dort immer noch eine erhöhte militärische Präsenz zu
verzeichnen ist. Auch die Prostitution hat in und seit dem Bürger_Innenkrieg
dadurch und durch die katastrophale Situation der Bevölkerung zugenommen.
Traumatisierung und übermäßiger Alkoholkonsum infolge des Bürger_Innenkriegs
hat auch zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt beigetragen. Zudem sind Frauen
in Haft von Vergewaltigung, Erniedrigung und Missbrauch bedroht. Es sind Fälle
belegt, in denen Aktivist_Innen entführt und gefoltert worden sind und erst
nach Lösegeldzahlungen wieder freikamen.

Welche Perspektive?

Das alles zeigt uns, dass Gewalt gegen Frauen in Sri
Lanka weit verbreitet ist und die Täter fast immer straflos davonkommen. Der
Staat ist bei der Aufklärung und Bekämpfung keine Hilfe, sondern durch Militär,
Polizei und Gerichte oft selbst in Misshandlung, Menschenhandel, Prostitution
und Vergewaltigung verwickelt und deckt sie. Nur wenn die fortschrittliche
Bevölkerung sich erhebt und durch Solidarität mit den Betroffenen Druck auf die
Regierung ausübt, kann man sie dazu zwingen zu handeln. Das beweist der Fall
einer 18-jährigen Schülerin, die vergewaltigt und ermordet wurde. Erst aufgrund
großer Proteste wurde ein Prozess gegen die Täter geführt. Eine revolutionäre
Politik in Sri Lanka müsste sich die Ausweitung und Durchsetzung der Rechte der
Frau auf die Fahne schreiben.

Die Bewegung müsste sich aber auch für die Erhaltung und
Ausweitung der beschränkten demokratischen Möglichkeiten einsetzen, wie die
letzte Regierungskrise gezeigt hat. Außerdem muss die Macht von Militär und
Polizei gebrochen und müssen die ethnischen und religiösen Konflikte überwunden
werden. Das kann nur einer sozialistische Arbeiter_Innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung
in Kombination mit einer revolutionären Partei tun. Sie muss den Bauern und
Bäuerinnen zu Land und den Arbeiter_Innen zur Kontrolle über die und letztlich
Aneignung der Produktionsmittel verhelfen. Diese Politik muss aber auch einen internationalistischen
und antiimperialistischen Charakter tragen und sich gegen die imperialistische
Einflussnahme z. B. Chinas und der USA richten.




Care Arbeit – weiblich, prekär und schlecht bezahlt

Anne Moll, Gruppe ArbeiterInnenmacht, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Rund 6,5 Millionen Menschen sind im bezahlten Caresektor beschäftigt. Darunter fallen alle Tätigkeiten, die direkt zum Erhalt des menschlichen Lebens dienen: Versorgung der Alten, alle Sorge- und Erziehungsaufgaben, Pflege sowie Haushaltstätigkeiten (Kochen, Waschen, Backen, Putzen, Spülen, Kindererziehung…). So wird Care-Arbeit gegen Lohn in Schulen, Kindergärten, Heimen, Krankenhäusern, Vereinen, ambulanten Diensten verrichtet. Darüber hinaus erfolgt ein größerer Teil der Care-Arbeit unbezahlt im Haushalt zur Reproduktion des unmittelbaren Lebens der RentnerInnen sowie gegenwärtiger und zukünftiger Arbeitskräfte.

Entwicklung bezahlter Care-Arbeit

Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sind heute für den Großteil der Bevölkerung Normalität. Doch diese Einrichtungen gab es nicht immer. Sie sind teilweise Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung. Schon bald nach Beginn der industriellen Revolution zeigte sich, dass das Fehlen jeglicher Arbeitsschutzbestimmungen (z. B. Verbot von Kinderarbeit und bestimmter Tätigkeiten für Schwangere, Arbeitssicherheitsmaßnahmen) auch die Reproduktion der ArbeiterInnenklasse selbst gefährdete und so der Expansion des Kapitals eine Schranke zu setzen drohte, weil sich die ArbeiterInnen wortwörtlich zu Tode arbeiteten.

Ohne Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen können, kommt der Kapitalismus nicht aus. Selbst diese für das Gesamtsystem notwendige Beschränkung der Ausbeutung musste den KapitalistInnen oft in zähen Kämpfen abgerungen werden. Aus ähnlichen Gründen wurde auch die allgemeine Schulpflicht eingeführt, um ein Mindestniveau an Qualifikation der Arbeitskraft und die Grundlage für eine weiterführende Ausbildung zu schaffen.

Für den einzelnen Kapitalisten erscheinen diese Kosten – sei es für Bildung, für Gesundheitsvorsorge, Pflege usw. – nur als Abzug vom Gewinn. Deswegen übernimmt oftmals der Staat diese Aufgabe, wobei die KapitalistInnen natürlich darauf drängen, dass diese Kosten vor allem die Lohnabhängigen über Steuern usw. zu tragen haben.

Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung wie die Einführung von Renten-, Unfall- und Kranken-, später Arbeitslosenversicherung, ermöglichten den Ausbau von Krankenhäusern. Damit einhergehend wurden die vorher von Ordensschwestern verrichteten Pflegearbeiten nun zur Domäne von Lohnarbeiterinnen.

Während Frauen der Zugang zu „Männerberufen“ als ArbeiterInnen wie auch als AkademikerInnen lange und hartnäckig verwehrt wurde, erschien die bezahlte Arbeit im Gesundheitswesen oder als Bedienstete in bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Haushalten als „natürliche“ Sphäre weiblicher Beschäftigung. Sie entsprach einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, reaktionären, bürgerlichen Rollenbildern, reproduzierte und festigte sie zugleich.

Sie galten außerdem von Beginn als Tätigkeiten von Frauen, die entweder mit der Heirat enden würden oder die dann als „Nebenerwerb“ zum eigentlichen Familieneinkommen beitrügen, das im Wesentlichen vom Mann bestritten würde. Das ist auch ein wesentlicher Faktor, warum diese Arbeiten historisch schlechter entlohnt wurden. Darüber hinaus war die berufliche Hierarchie auch von Beginn an geschlechtsspezifisch geprägt (Ärzte und Krankenschwestern).

Strukturen des Care-Sektors

Von den rund 6,5 Millionen lohnabhängig Beschäftigen waren 2013 340.000 staatlich anerkannte ErzieherInnen in Kindergärten oder Heimen etc. angestellt, davon über 327.000 Frauen. 2016/17 arbeiteten 760.000 LehrerInnen, der Großteil von ihnen an Grundschulen und Gymnasien.

Das Gesundheitswesen ist mit Abstand der größte Bereich und beschäftigte 2016 5,5 Millionen, 75,8 % davon waren Frauen. In Krankenhäusern schufteten über 1,2 Millionen, davon 180.000 ärztliches, 1,04 Millionen nichtärztliches Personal sowie 83.000 Auszubildende. Darunter fielen 880.000 Vollzeitkräfte (ÄrztInnen: 158.000, andere: 722.000). Die Altenpflege umfasste Ende 2015 611.000 Arbeitskräfte. Rund ein Siebtel der Auszubildenden im Gesundheits- und Sozialwesen besitzt einen ausländischen Pass.

Diese schon beeindruckend hohen Zahlen muss man jedoch in Relation zur unbezahlten Arbeit setzen. Laut Bundesamt für Statistik betrug das Gesamtvolumen an Reproduktionsarbeiten in der BRD 2001 96 Mrd. Stunden gegenüber 56 Mrd. für Erwerbsarbeit, wobei erstere weit überproportional von Frauen verrichtet werden. Untersuchungen zum individuellen Zeitverbrauch in den 30 reichsten Wirtschaftsländern ergaben für Deutschland für den Durchschnitt aller Erwerbsfähigen: 16 Wochenstunden für Erwerbsarbeit gegenüber 45 in Haus- und Familienarbeit und 24 für Freizeit.

In der Schweiz sollen 4/5 der gesamten Tätigkeiten von Frauen auf Care-Ökonomie entfallen, 2/5 bei Männern. Etwa 1/10 der Erwerbsarbeitsstellen für Männer gehören dazu (Frauen: 1/3). Das unbezahlte Volumen ist siebenmal größer als das bezahlte. (Gisela Notz: Zum Begriff der Arbeit aus feministischer Perspektive, Emanzipation, Jg. 1, Nr. 1, 2011)

Niedriglohn, Prekarität, Schattenarbeit: typisches Schicksal von Care-Frauen

Von institutionell organisierter Erziehungs-, Pflege- und Betreuungsarbeit bis hin zu sklavenähnlichen Abhängigkeiten finden wir alle Arbeitsverhältnisse in der Care-Arbeit.

Zwei Merkmale sind dabei bedeutend: Je schlimmer die Arbeitsbedingungen, je schlechter die Bezahlung, desto weniger männliche Arbeit„nehmer“ finden sich hier. Von diesem Care- Arbeitsmarkt ist selten die Rede, noch weniger von ganz überwiegend unsichtbaren Arbeitsverhältnissen im Privathaushalt und in der Schattenwirtschaft „illegaler“ MigrantInnen.

Selten werden diese Merkmale im Zusammenhang mit der Frauenunterdrückung in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt genannt. Ohne diese „Unsichtbarkeit“ solcher prekären Arbeitsverhältnisse würde in jedem kapitalistischen Land deutlich, dass die Ausbeutung wieder Formen angenommen hat, die denen zu Beginn der Industrialisierung sehr ähnlich sind. Kinder und Alte wären oft sich selbst überlassen, weil die Arbeitswelt sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter flexibilisiert und prekarisiert hat. Die Beschäftigten müssen jede Arbeitszeit und unbezahlte Mehrarbeit annehmen, da durch das Hartz-IV-System eine Verweigerung nicht mehr möglich ist. So sind viele Familien gezwungen, Pflege- und Betreuungsarbeit möglichst billig anderen zu überlassen.

Rassistisches Lohndumping

Also gibt es in der Care-Arbeit noch prekärere Beschäftigungsverhältnisse. Von der im Privathaushalt arbeitenden Pflegekraft mit Arbeitsvertrag bis hin zu „illegal“ Beschäftigten, die im schlimmsten Fall bei der Familie wohnen und 24 Stunden einsatzbereit sind. So kommt z. B. eine Frau aus Polen hierher, um in der Altenpflege zu arbeiten, und verdient nach ihren Maßstäben genug Geld, um ihre Familie in Polen durchzubringen. Dafür lässt sie ihre eigenen Familienangehörigen allein. Ihre Kinder werden mit Großeltern oder anderen Angehörigen notdürftig versorgt. Trotzdem ist es aus ihrer Sicht eine Verbesserung und sie hält einiges aus, um ihren Job nicht zu gefährden. Dies wirkt auch auf den sozialversicherten Teil im Care-Sektor als Lohndumping zurück

Auf diese Art wirkt der Druck des imperialistischen Weltmarktes auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den halb-kolonialen Ländern in Form von Arbeitslosigkeit und niedrigem Lebensstandard. Was der Arbeitsmarkt nicht absorbieren kann, fungiert in den führenden kapitalistischen Ländern als Reservearmee, die diesen keine Ausbildungskosten verursacht. Aufgrund ihrer Entrechtung und rassistischen Unterdrückung kann sie bei einem Sinken der Nachfrage nach Arbeitskraft leichter „entsorgt“, also abgeschoben oder zur „freiwilligen“ Rückreise gezwungen werden.

Unterschiede und Zusammenhänge im Care-Bereich

Die Pflege von kranken und alten Menschen ist einerseits in öffentlichen/kommunalen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen organisiert. Dort gibt es Tarifverträge und Betriebsräte die sich um die Umsetzung kümmern. So haben die Beschäftigten relative gute Arbeitsbedingungen im Vergleich zu denen Beschäftigten in privatisierten Einrichtungen und v. a. in privaten Haushalten.

Da heute in allen Krankenhäusern Profite erzielt werden müssen, sind die Arbeitsbedingungen extrem belastend und der Stress steigt ständig. Der überwiegende Teil der Beschäftigten hält den Leistungsdruck weniger als 10 Jahre aus. Dann sind sie gezwungen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, werden krank oder suchen sich eine andere Lohnarbeit. Viele Auszubildende sind am Ende ihrer Ausbildung nicht bereit, den Job der Krankenpflege weiter auszuüben.

Von der Kostendämpfung zur Krankenhausprivatisierung…

Der Druck, die Carearbeit profitabel zu machen, setzte sich auch im Bereich durch, der die besten Arbeitsbedingungen der gesamten Branche bot: den Krankenhäusern. Der Einstieg in ihre Verschlechterung und schließlich das Auslösen einer massiven Privatisierungswelle erfolgte über die Finanzierungskrise der Sozialsysteme. Ab den 1970er Jahren setzte die Dauerwirtschaftskrise Staatsfinanzen und Sozialversicherungen unter Druck.

Sinkende Reallöhne führten dazu, dass die Gesundheitsausgaben den Einnahmen der Sozialversicherungen enteilten. Die paritätische Finanzierung wurde zugunsten der „Arbeitgeber“ verändert, ihr Beitrag eingefroren auf 7,3 %. Seitdem zahlen die Versicherten alle Mehrkosten (Krankenkassenzusatzbeiträge) und Zuzahlungen bei sehr vielen Behandlungskosten und Medikamenten. Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge wären schließlich auch auf Kosten der sog. Arbeitgeberlohnanteile gegangen. Kostendämpfung bei den Gesundheitsleistungen war angesagt. Die Abrechnung der Krankenhausbehandlung wurde umgestellt. Vor 2004 wurde abgerechnet pro belegtes Bett pro Nacht. Die sogenannte Fallpauschale (DRG: Diagnosis Related Groups = diagnosebezogene Fallgruppen) legt für jedes Krankheitsbild eine durchschnittliche Bezahlung für die Behandlung fest. Reicht dieser Festbetrag für die jeweilige Krankheit nicht, macht die Klinik ein Defizit oder muss einen enormen Bürokratieaufwand leisten, um zu erklären, warum er nicht zur Heilung gereicht hat. Durch die Einführung der DRGs 2004 so wird jedes freie Bett zum Risikofaktor der Krankenhäuser. Es kam zu einem enormen Bettenabbau, der immer wieder zu Schlagzeilen in der Presse führt, dass Notfälle nicht aufgenommen werden können und Krankenwagen so lange gesucht haben, bis der Patient verstorben war.

Im alten Finanzierungssystem gab es keinen Anreiz für volle Belegung, da ja keine Gewinne gemacht werden durften und die laufenden tatsächlichen Behandlungskosten auf jeden Fall von den Kassen finanziert wurden. Heute kommt es durch DRG-Abrechnung, Gewinnabschöpfung und Konkurrenz in vielen Bereichen zu 110-120 % Belegung (PatientInnen auf dem Flur oder in Badezimmern etc.). Nicht dass es schon kompliziert genug ist, gibt es auch noch die duale Krankenhausfinanzierung: Das bedeutet, die Krankenkassen zahlen für die laufenden Kosten, die Länder und Kommunen für die Investitionen z. B. in Gebäude und Ausstattung. Diese haben die Länder seit 1991 immer weiter gesenkt, so dass wir heute einen Investitionsstau von 6-6,5 Milliarden Euro jährlich haben. Die Kliniken investieren zur Zeit viel selbst durch Einsparungen an Personal und Aufnahme von Krediten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Umstellung auf DRGs hat viele Kommunen ihre Kliniken an private Träger verkaufen lassen, wenn sie mit den Fallpauschalen nicht auskamen und zusätzlich noch aus laufenden Einnahmen dringend notwendige Investitionen tätigen mussten. Die privatisierten Betreiber schlossen übrigens Verträge mit den Ländern/Kommunen, um auch diese aus Steuergeldern finanziert zu bekommen, oft mehr als zuvor, als sie noch staatlich waren!

So hat der Gesetzgeber die Tür für private Unternehmen indirekt durch Einführung der Fallpauschalen geöffnet. Seit 1991 ist die Zahl privater Kliniken um 70 % gestiegen, über 320 % mehr privatisierte Betten sind seitdem entstanden. Die größten Krankenhauskonzerne sind Mediclin, Rhön-Klinikum AG, Sana Kliniken AG, Asklepios und Helios. Weitere wichtige Akteure in diesem Spiel sind die Pharmaindustrie und Gerätetechnik. Oftmals unbeachtet, dirigierten sie vor 2004 die Ausrichtung der Medizin ganz in ihre Richtung, um ordentlich Geld abzuzocken. So verschaffen sich einige wie der Pharma- und Dialysekonzern Fresenius SE & Co. KGaA als Betreiber zahlreicher Kliniken weiteren Marktzugang.

…und ihre Folgen für die Beschäftigten

Ob in kommunalen, privaten, kirchlichen oder anderen frei-gemeinnützigen Einrichtungen: Die Privatisierungen und Profitorientierung gingen einher mit Personalabbau und daraus folgender Arbeitsverdichtung und Überstunden. Daneben hatte der Ausstieg mancher Krankenhausträger aus dem relativ flächendeckenden Tarifvertrag (TvÖD) Lohnsenkungen zu Folge, denn der durch die DRGs geschaffene Markt übte seine bekannten Rationalisierungszwänge aus. Von 1995 bis 2006 wurden 87.000 Stellen im Krankenhaus abgebaut, davon 40.000 Pflegekräfte.

Dies ging auch einher mit Schließungen von ganzen Krankenhäusern. Gleichzeitig stieg allerdings die Bettenbelegung um 30 %. Im Jahr 2013 hat ver.di in 200 Krankenhäusern eine Befragung durchgeführt und dadurch errechnet, dass bundesweit 162.000 Stellen in den Krankenhäusern fehlen, um eine gute Krankenhausversorgung zu gewährleisten, davon 70.000 Stellen in der Pflege. Zur Zeit arbeiten in Deutschland in 2000 Krankenhäusern 410.000 Pflegekräfte. Sie müssen deutlich mehr PatientInnen versorgen als in anderen Ländern (Japan: 53,1; OECD-Durchschnitt: 31,9; BRD: 19,0 Pflegekräfte auf 1000 Behandlungsfälle). Dies führt erwiesenermaßen zu einer höheren Todesrate bei den Patienten neben erhöhter Belastung für Pflegekräfte (Burnout, Rückenleiden etc.; Berufsabbruch, s. o.).

Aber der Widerstand gegen schlechte Löhne und noch schlechtere Arbeitsbedingungen nimmt zu. Sowohl die Krankenpflege als auch die Altenpflege versucht, mit Aktionen Druck auf die EntscheidungsträgerInnen auszuüben.

Widerstand

Durch die oben genannten Probleme ist die Situation der Pflegekräfte miserabel und die PatientInnen sind in Gefahr. 2015 gab es einen wichtigen Anstoß der Beschäftigten in der Berliner Charité für mehr Personal im Krankenhaus. Ver.di möchte diesen Tarifvertrag an allen Kliniken durchsetzen und rief im Juli 2017 bundesweit zu Tarifverhandlungen für einen TV Entlastung auf (Artikel dazu in dieser Zeitung). In vielen Städten haben sich daraufhin Bündnisse für mehr Personal im Krankenhaus gebildet: Hamburg, Bremen, Berlin, Freiburg, Tübingen, Stuttgart, Saarland, Düsseldorf, Helios Amper-Kliniken in Dachau und Indersdorf, SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Trier.

Und mit ca. 80 % weiblichen Beschäftigten in der Krankenhauspflege (in Altenheimen eher noch mehr) ist dies auch ein wichtiger Kampf für die Gleichstellung von Frauen im Beruf, kann eine Signalwirkung haben für alle „typischen“ weiblichen Arbeitsverhältnisse und deren nächste Arbeitskämpfe.

Trotz Tarifvertrags und offiziell gleicher Bezahlung in der Pflege gibt es deutliche geschlechtliche Unterschiede: männliche Pflegekräfte erhalten oft schneller eine Weiterbildung und arbeiten in Bereichen, die besser bezahlt sind: Intensivstationen, Anästhesiepflege oder haben Leitungsfunktion. Zudem werden sie durch individuelle Lohnabsprachen oft besser bezahlt als ihre Kolleginnen.

Die Gewerkschaft ver.di stellt in ihrem Aufruf zu Verhandlungen für einen Tarifvertrag Entlastung bundesweit drei Forderungen auf: mehr Personal, verlässliche Arbeitszeiten und Belastungsausgleich. Die Beschäftigten an einigen Orten, an denen sich Bündnisse gegründet haben und eigene Flugblätter geschrieben wurden, hatten deutlich oft Konkreteres und mehr verlangt.

So forderten die KollegInnen in Bremen 1600 zusätzliche Pflegekräfte sofort, Einarbeitungszeit für neue KollegInnen von mind. 6 Monaten, garantierte Fortbildung, Dienstplansicherheit (kein Holen aus dem Frei) oder Frühverrentungsmöglichkeit ohne Abschläge wie bei Polizei und Feuerwehr! Außerdem wurde der Wegfall der Fallpauschalen, das Ende der Privatisierung der Krankenhäuser und die Rekommunalisierung privatisierter und ausgegliederter Bereiche verlangt.

Zur Zeit gibt es aber eine deutliche Zurückhaltung der Gewerkschaft, die Kämpfe ernsthaft bis zum Streik zu führen. Dort, wo im Jahr 2017 Demonstrationen und Streiks stattfanden, beteiligen sich Beschäftigte aktiver als in Städten wie Hamburg und Bremen, die denken, es wäre noch zu früh, Streik auf die Agenda zu setzen! Deshalb treten wir für Belegschaftsversammlungen in allen Kliniken eine. Dort sollen nicht nur Unterschriften gesammelt, sondern auch Komitees zur Vorbereitung von Aktionen und Streiks gewählt werden, die der Basis rechenschaftspflichtig und von dieser abwählbar sind. So könnte die Grundlage für einen bundesweiten Streik im Pflegebereich gelegt werden. Dieser Kampf sollte mit dem für die Rückholung aller ausgelagerten Betriebsteile, für ein Verbot von Leiharbeit und Niedriglohnbereichen verbunden werden: Ein Betrieb – eine Belegschaft – ein Tarif!

Die Kontrolle der Umsetzung muss bei Komitees der Beschäftigten und Gewerkschaften liegen.

Für eine wirkliche Care Revolution!

Was bei ver.di und auch den Belegschaften oft fehlt, ist die Forderung nach Offenlegung aller Einnahmen und Ausgaben. Gesundheit ist eine Klassenfrage und betrifft alle Lohnabhängigen. Ein Gesundheitssystem muss nach ihren Bedürfnissen als PatientInnen und dortige Beschäftigte ausgerichtet werden.

Daher treten wir für ein Programm zum Ausbau des Gesundheitswesens wie aller anderen Felder der Care-Arbeit unter Kontrolle der Beschäftigten, der Gewerkschaften, von VertreterInnen der lohnabhängigen Bevölkerung ein. Ein solches Programm müsste durch die Besteuerung der Reichen, von Gewinnen und Vermögen finanziert werden.

So könnte zugleich auch weitere Abwälzung von Care-Tätigkeiten auf die private Hausarbeit und damit vor allem auf die Frauen bekämpft werden. Ein Ausbau von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Kitas, Betreuungseinrichtungen und Freiangeboten für Kinder und Jugendliche wäre ein Schritt zur Umkehr des Trends der letzten Jahre und Jahrzehnte.

Diese Forderungen können ein Schritt sein zur Sozialisierung der gesamten Care- und Reproduktionsarbeit einschließlich der bezahlten wie unbezahlten in Privathaushalten. Das kann auch die prekär Beschäftigten auf unterster Stufenleiter unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, ferner alle Azubis mitnehmen und die Tür aufmachen zu einem vernünftigen Gesellschaftssystem, die den arbeitenden Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktionszwecke stellt. Menschen statt Profite heißt: Sozialismus statt Kapitalismus!




Halbherzige Pflegereformen allein schaffen keine Linderung!

Renate Suhrbier, Gruppe ArbeiterInnenmacht, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Qualitätsbericht

Die medizinischen Dienste (MD) der gesetzlichen (GKV) wie privaten  Krankenversicherungen überprüften 2016 die Situation von ca. 175.000 Pflegebedürftigen in 13.300 Heimen und bei 12.000 ambulanten Pflegediensten. Es sei erwähnt, dass 70 % von Angehörigen gepflegt werden, also in der Statistik nicht auftauchen. Die MD wiesen darauf hin, dass die zentrale Baustelle in Heimen und ambulanter Versorgung die Verbesserung der Bedingungen für die Pflegekräfte sei. Ihre Untersuchung kann daran freilich nichts ändern.

Als medizinisch bedenklich wurden aufgelistet: Gewichtsverluste (bei einem Viertel der überprüften BewohnerInnen wurde das Gewicht gar nicht kontrolliert), chronische Schmerzen, Dekubitus (Geschwüre vom Wundliegen), Behandlung von chronischen Wunden, außerklinische Intensivpflege. Verbessert hatte sich die Situation bei freiheitseinschränkenden Maßnahmen. Auch die Zahl der PatientInnen, die über Sonde ernährt werden, ging zurück. Die Ursachen für die Verschlechterung? Neben dem Pflegepersonalmangel, der auch in der Akutpflege gang und gäbe ist (siehe Beiträge in dieser Zeitung), liegt besonders nahe der Mangel an ausgebildeten Fachkräften in der Altenpflege.

Pflegeausbildungsgesetz

Nach lange verzögertem Gesetzgebungsverfahren beschloss der Bundestag im Juni 2017 ein neues Pflegeausbildungsgesetz. Ab 2020 soll eine generalistische Ausbildung zur/m Pflegefachfrau/-mann neben die klassische treten. 2026 soll der Gesetzgeber prüfen, ob Abschlüsse in der Kinderkranken- und Altenpflege weiter notwendig sind. Einige ExpertInnen befürchten, dass eine einjährige Spezialisierung nach abgeschlossener generalistischer Ausbildung z. B. in der Kinderkrankenpflege nicht ausreiche, wenn die bisherigen 3 verschiedenen Ausbildungsgänge vereinheitlicht würden. Der Sozialverband SoVD (früher: Reichsbund) begrüßte, dass damit das Schulgeld in der Altenpflege abgeschafft werde und die Ausbildungsvergütung steige. Ein gravierender Mangel des Gesetzes liegt jedoch darin, dass Ausführungsbestimmungen und Lerninhalte der neuen Berufsausbildung noch gar nicht festgelegt sind.

2. Pflegestärkungsgesetz (PSG II)

Dieses wurde Anfang 2017 verabschiedet. Die bisherigen 3 Pflegestufen wurden durch 5 neue Pflegegrade ersetzt. 3 Millionen Menschen wurden nach PSG II neu eingestuft. Durch die niedrigeren Schwellenwerte der Grade 1 und 2 erhalten deutlich mehr Pflegebedürftige Versicherungsleistungen. Auch mit den hohen Pflegegraden 4 und 5 sind viele besser versorgt als früher mit Stufe 3 plus Härtefallregelungen. Die Reform definiert auch einen neuen Begriff von Pflegebedürftigkeit, der sich an der Einschränkung der Selbstständigkeit im Alltag und der notwendigen Hilfe zu deren Überwindung orientiert.

Auch die Pflegekassen haben erkannt, dass ihre Aufmerksamkeit viel mehr auf die Beschäftigten und Angehörigen zu richten ist. Die wenig attraktive Bezahlung führe zu Personalengpässen und Vorenthaltung eigentlich notwendiger Leistungen. Es fehlten in diesen Bereichen 30.000 Fachkräfte. Personalleasing-Unternehmen füllten diese Lücke nur unzureichend und seien als Dauerlösung zu teuer. Zu Bedenken gibt auch die schleppende Umsetzung der Ausbildung Anlass (siehe oben). SchulleiterInnen können nicht verstehen, warum das offenbar fertige Regelwerk nicht von den beteiligten Bundesministerien herausgegeben wurde. Die Länder müssen die bisher in den Ressorts Bildung (Altenpflege) und Gesundheit (Krankenpflege) angesiedelten Schulen überdies noch in einen Bereich zusammenlegen.

Finanzierung

Das PSG II regelt auch einen einheitlichen Eigenanteil unabhängig vom Pflegegrad. Finanzierungslücken gibt es z. B. bei medizinischer Behandlungspflege in Altersheimen, die seit 20 Jahren nicht rückvergütet wird, obwohl mit der Reform insgesamt mehr Geld in diesen Bereich fließt. Doch wird das bisherige Finanzierungssystem der gesetzlichen Pflegeversicherung, von manchen sarkastisch als Teilkasko bezeichnet, den steigenden Anforderungen (mehr Pflegebedürftige, dringend notwendige Lohnzuwächse) nicht mehr lange gerecht werden können. Die Anpassung darf jedoch nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Der DRK-Kreisverband Spree-Neiße erhöhte z. B. den Eigenanteil an den Pflegekosten um 93 Euro auf 651,88 Euro pro Monat, den für Unterkunft und Versorgung um 29,20 Euro auf 629,09 Euro. Dabei laufen die Tarifverhandlungen mit ver.di noch. Pflegekräfte üben ihren Beruf nur 8,4 Jahre im Durchschnitt aus. Die Branche leidet unter hohen Krankenständen. Ausbildungskosten und Investitionen, die die Länder nur unzureichend leisten, müssen zusätzlich aus dem Pflegeetat abgedeckt werden. Damit Pflegekräftige und -bedürftige nicht gegeneinander ausgespielt werden können, muss die Finanzierung auf „Vollkasko“ umgestellt werden:

– Einheitliche GKV!

– Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze!

– Versicherungspflicht für alle, auch für Selbstständige, BeamtInnen und Privatversicherte!

– Möglichkeit privater Versicherung nur für Zusatz-, nicht für medizinischpflegerische Regelleistungen!

– Weg mit Zuzahlungen und Eigenanteilen!

– Für einen Gesundheits- und Pflegeplan, für Investitionen unter Kontrolle der Beschäftigten und PatientInnen in einem System, das ambulant wie stationär auf staatlichen bzw. genossenschaftlichen DienstleisterInnen beruht!




Interview mit einer Hebamme

Johnathan Frühling, Revolution-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Wir veröffentlichen hier die ungekürzte Version des Interviews.

Wie sind die Arbeitsbedingungen für Hebammen in Krankenhäusern?

Scheiße. Die Hebammen sind im öffentlichen Dienst beschäftigt, aber immer mehr sind privat beschäftigt, weil die Krankenhäuser privatisiert werden. Allerdings arbeiten auch viele Hebammen freiberuflich in Krankenhäusern, vor allem in Süddeutschland. Hebammen, die in Geburtshäusern arbeiten oder notwendige Hausgeburten anbieten, werden immer weniger.

Hebammen arbeiten in Schichtarbeit. Es kommt vor, dass eine Hebamme in einer Schicht 7 Geburten machen und zusätzliche Frauen betreuen muss, die Sorgen haben, verletzt sind oder überwacht werden müssen wegen vorzeitiger Wehen. Der Druck entsteht dadurch, dass alle Frauen versorgt werden müssen. Die Stationen sind total unterbesetzt und da herrscht ein Mordstrubel. Es gibt kein gemütliches und entspanntes Umfeld.

Auch unbezahlte Überstunden müssen geleistet werden, wenn nicht alles untergehen soll.

Was ist der Grund für diese katastrophalen Zustände auf den Stationen?

Der Grund ist, dass die Krankenhäuser privatisiert werden. Eigentlich sollen sie so funktionieren, dass es kein Plus und kein Minus gibt, aber bei privaten Krankenhäusern muss da immer ein Plus stehen.

Der nächste Grund ist nicht, dass es nicht genug Hebammen gibt, sondern, dass viele einen anderen Job machen, weil sie unter diesen Umständen ihre Arbeit nicht mehr ausführen wollen.

Was sind die Probleme von Hebammen, die freiberuflich arbeiten?

Die Versicherung wird jedes Jahr teurer. Momentan liegt sie bei 7.500 Euro im Jahr. Nächsten Sommer wird sie schon wieder erhöht (auf 10.000 Euro). Man kann außerklinisch gar nicht so viele Geburten annehmen, um etwas zu verdienen oder auch nur die Versicherung zu bezahlen. Viele Frauen bekommen ihre Kinder zuhause, weil sie im Krankenhaus schlechte Erfahrungen gemacht haben. Allerdings gibt es dafür nicht mehr genug Hebammen, weshalb die Kinder im Extremfall unbetreut zu Welt kommen.

Die Krankenkassen bringen immer mehr Vorschriften raus, wie die freiberuflichen Hebammen abrechnen müssen: Z. B. dürfen sie nur 2 Frauen gleichzeitig abrechnen. D.h. für eine dritte Frau bekommen sie kein Geld mehr und müssen es im Extremfall unbezahlt machen, wenn sie die Frauen nicht wegschicken wollen. Es ist unmöglich, dass das die Krankenkassen bei einem solchen Hebammenmangel vorschreiben, vor allem, da die angestellten Hebammen zum Teil deutlich mehr Frauen gleichzeitig betreuen.

Hat sich die Situation für Hebammen in den letzten Jahren geändert?

Ja, immer mehr Geburtsstationen in kleinen Krankenhäusern schließen, weil es sich einfach nicht lohnt. Es bringt zu wenig Profit. Z. B. In einer Stadt mit 250.000 Einwohner_Innen gibt es nur 2 Krankenhäuser, in denen Geburten stattfinden. Teilweise müssen Frauen 50 km fahren, um eine Klinik zu erreichen.

Viele Hebammen aus kleinen Krankenhäusern wollen auch nicht in „Geburtsfabriken“ arbeiten“ und suchen sich einen neuen Job, weil sie sich das nicht mehr antun wollen für das Geld.

Wo siehst du die Zukunft des Hebammenberufs?

Irgendjemand muss die Geburten ja machen. Ärzt_Innen dürfen das nicht. Ganz abschaffen kann man uns auf jeden Fall nicht. Natürlich denkt man positiv, dass es irgendwie weitergeht, auch für die freiberuflichen Hebammen. Aber in letzter Zeit merkt man fast nur Rückschritte.

Viele geben ihren Job auf, weil sie unter diesen Umständen keine gute Arbeit leisten können. So was macht einen kaputt. Deshalb werden auch viele Hebammen krank. Bei dem Stress geht es nämlich anders als im Büro um Menschenleben.

Wie ist Lage der Auszubildenden?

In dem ganzen Krankenhaustrubel ist kaum Zeit dafür, etwas erklärt zu bekommen und zu lernen. Wir müssen einfach die Arbeit leisten, die sonst nicht gemacht wird. Außerdem machen wir viel Arbeit, die wir nur theoretisch gelernt haben, und wissen nicht, ob wir sie richtig machen, weil uns niemand auf die Finger schaut. Ich habe das Gefühl, ich habe im ersten Jahr nur wenig gelernt und war nur dazu da, um zu arbeiten.

Fühlen sich die entbindenden Frauen während ihres Krankenhausaufenthaltes im Stich gelassen?

Auf jeden Fall. Es kommt darauf an, wie viel los ist. Wenn nur eine Frau da ist, ist es o. k. Wenn es sehr stressig ist, dann funktioniert das nicht mehr. Deshalb finden auch manche Geburten ohne Hebamme statt. Von 12 Stunden Geburt ist vielleicht 2-3 Stunden, wenn es hoch kommt, jemand im Raum. Im Endeffekt sind sie oft alleine und es gibt wenig Zeit für Fragen und Ängste. Es werden in stressigen Situationen den Frauen auch mehr Narkosemittel (PDA) im Zusammenhang mit medikamentös beschleunigter Geburtseinleitung verabreicht, was einen negativen Einfluss auf die natürlichen Abläufe bei der Geburt hat.

Dadurch erhöht sich auch die Anzahl der Kaiserschnittrate. Wenn die Frauen sich nicht wohl fühlen, dann klappt auch die Geburt nicht mehr reibungsfrei.

Die nächste interessante Entwicklung ist, dass die Wochenbettbetreuung nicht mehr nur zuhause, sondern auch in den Krankenhäusern stattfindet, weil es nicht genug Hebammen gibt. Die Mütter müssen dann teilweise 4 Tage nach dem Kaiserschnitt und mit einem frisch geborenen Kind ins Krankenhaus kommen. Gerade bei Geburtsverletzungen oder einer Wochenbettdepression (Depression nach Geburt und Hormonumstellung) ist das besonders schlimm.

Welche Folgen haben die Bedingungen im Krankenhaus für die Babys?

Es passieren im Stress mehr Fehler, die eigentlich nicht passieren dürfen. Es führt auch dazu, dass Frauen am Anfang weniger stillen, weil sie auch dafür manchmal Unterstützung brauchen. Dann stillen die Frauen auch schneller ab. Auch Kaiserschnitte sind für die Kinder nicht so gut wie reguläre Geburten.

Was müsste der Staat deiner Meinung nach tun, um die Situation für Mütter, Kinder und Hebammen zu verbessern?

Das Versicherungsproblem in den Griff kriegen. Es gibt nämlich nur eine Versicherung für Hebammen. Dadurch, dass es keine Konkurrenz gibt, werden die Beiträge extrem hoch. Ärzt_Innen zahlen für ihre Versicherung nur einen Bruchteil!

Die Krankenhäuser sollten wieder verstaatlicht werden, damit es nicht mehr um Profit geht. Außerdem soll die Bezahlung verbessert werden, damit der Beruf wieder attraktiver wird. Dabei wollen die Hebammen vor allem mehr Personal und erst in zweiter Linie mehr Geld. Gerade wenn ab 2020 der Hebammenberuf nur noch im Studium angeboten wird, kann sich die Zahl der neu Ausgebildeten weiter verringern. Da Hebammen bis zu 30 Jahre lang haftbar gemacht werden können, ist es auch für die Hebamme ein Risiko, überhaupt zu arbeiten – gerade unter diesen unsicheren Umständen.

In welcher Weise müssten die Menschen innerhalb und außerhalb der Krankenhäuser aktiv werden, um etwas zu verändern?

Es ist halt schwierig, gerade auch mit der ganzen Streikerei. Man kann zwar viel erreichen, aber wie willst du in unserem Job streiken? Auch die Bevölkerung, die das aktuell betrifft, ist ein sehr kleiner Teil der Gesellschaft. Gerade wenn du schwanger bist oder ein neues Kind hast, hast du keine Zeit, dich politisch für Hebammen einzusetzen.

Was hältst du von Aktionen, die von der gesamten Branche ausgehen, also von PflegerInnen allgemein und auch Altenpfleger_Innen?

Man muss auf jeden Fall gemeinsam kämpfen, um etwas zu erreichen!




Libyen: Totgeschwiegenes Leid

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Während im Innern der Festung Europa rechte Hetze und Gewalttaten zunehmen, scheinen die Außengrenzen unbezwingbar. Menschen, die vor Hunger, Krieg, Gewalt und Ausbeutung fliehen, lässt man im Mittelmeer ertrinken oder in Massenlagern an der Grenze von Griechenland oder der Türkei ihr Dasein fristen. Damit man sich gar nicht erst mit dem „Problem“ der Flucht herumschlagen muss, wurde in den letzten Jahren viel getan. Kriegsgebiete wie Afghanistan wurden zu sicheren Herkunftsländern erklärt, um jene, die es nach Europa geschafft haben, wieder abschieben zu können. Daneben wurden auf unzähligen Gipfeltreffen und Konferenzen Abkommen geschlossen, die Länder, durch die zentrale Fluchtrouten verlaufen, dazu verpflichteten, die Menschen, die fliehen wollen, gar nicht erst passieren zu lassen. Aktivist_Innen wie von der Organisation Jugend rettet!, die hingegen versuchen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten, oder Leute bei ihrer gefährlichen Flucht unterstützen, werden kriminalisiert.

Zusammengefasst: Man tut viel, um sich nicht mit dem Leid, oftmals durch die EU selbst erzeugt, herumzuschlagen. So wundert es auch nicht, dass es nur bei einem kurzem medialen Aufschrei, der schnell in der Leere verhallte, blieb, als im letzten Jahr an die Öffentlichkeit kam, wie die praktische Umsetzung der „Fluchtverhinderung“ aussieht. Die Rede ist hier von den Gefängnislagern und Sklavenauktionen in Libyen. Das Land selbst steht seit dem Sturz von Diktator Gaddafi unter der Kontrolle von Milizen, unterschiedlichen Warlords und zwei konkurrierenden Regierungen. Doch das hinderte die EU nicht, 2016 die Zusammenarbeit zu erneuern. Schließlich hatte diese bereits Tradition. Laut einem Bericht von Amnesty International gibt es die Kooperation zur Migrationsverhinderung seit den 1990er Jahren zwischen Italien und Libyen, die bis heute beispielsweise in Form von gemeinsamen Patrouillen im Mittelmeer anhält. Aktuell wird diese Küstenwache übrigens von einem Warlord angeführt. Die Europäische Union mischt zwar „erst“ seit 2005 mit, investierte aber bisher dreistellige Millionenbeträge, damit das Land in den Grenzschutz investieren kann. Zusätzlich gibt es Lehrgänge und Unterstützung für den dortigen Polizei- und Militärapparat.

Das alles geschieht im Namen der „Schlepperbekämpfung“. Doch schaut man sich die Situation an, merkt man, dass man eher Schlepper, Sklavenhandel, Folter und Tod finanziert, anstatt diese Übel zu beenden. Denn Menschen, die nach Libyen kommen, sind per se illegal. Aktuell sollen es 700.000 bis 1.000.000 sein. Meist werden sie von Schleppern oder Menschenhändlern mit dem Versprechen eines Arbeitsangebotes gewonnen und kommen oftmals Nigeria, Niger, Bangladesch oder Mali. Einmal in den Fängen solcher Leute, sind sie ihnen komplett ausgeliefert. Sie werden von ihrer Heimat nach Libyen gebracht, viele sterben auf dem Weg oder werden an andere Schlepper oder Milizen verkauft. Bei diesen müssen sie dann die Kosten für ihre Flucht abarbeiten. Für rund 400 Dollar werden Männer als Arbeitskräfte verkauft, Frauen als Sexsklavinnen oder Prostituierte. Geflüchtete, die von der Küstenwache auf der Flucht übers Mittelmeer erwischt werden, landen in Internierungslagern. Die dort erlebte Gewalt ist kaum in angemessene Worte zu fassen. Auf zu wenig Raum, mit maximal einer Mahlzeit am Tag sind sie dann der Willkür der Gefängniswärter ausgesetzt. 2017 veröffentlichte Oxfam einen Bericht, demzufolge 80 % der Befragten schilderten, Gewalt und Misshandlungen erlitten zu haben. Alle weiblichen Befragten gaben , Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein. Viele der Frauen berichteten, dass es keine Rolle spiele, ob sie schwanger seien.

Was ist unsere Perspektive?

Weltweit befinden sich 65,5 Millionen auf der Flucht. Viele davon Frauen und junge Mädchen, die besonders mit sexueller Gewalt zu kämpfen haben. Für diejenigen, die es nach Europa schaffen, hört der Schrecken nicht auf. Je nachdem, wo man landet, hat man es mit Massenlagern, mangelnder Privatsphäre etc. zu tun. Hinzu kommen die steigende Gewalt von Rechten und rassistische Gesetze. Um dagegen zu kämpfen, bedarf es einer antirassistischen Bewegung auf europäischer Ebene. Diese sollte sich gegen die Festung Europa richten und gegen rassistische Asylgesetze, Abschiebe- und Migrationsabkommen stellen sowie für sichere Fluchtrouten, offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle eintreten. Daneben muss sie auch für die spezifischeren Forderungen für geflüchtete Frauen einstehen wie den Ausbau und die kostenlose Nutzung von Frauenhäusern, die Möglichkeit, einen Asylantrag unabhängig vom Mann zu stellen, sowie für den Ausbau der medizinischen und physischen Versorgung für Geflüchtete.

Um Grauen wie in Libyen zu beenden, reicht es nicht, darauf zu hoffen, s sich aus dem „gescheiterten Staat“ eine zentrale Regierung entwickelt. Vielmehr verschleiert dies das Problem. Denn auch eine neue bürgerliche Zentralregierung würde Politik im Interesse der EU umsetzen – oder dazu gezwungen werden. Die unmenschliche Behandlung von Geflüchteten würde also weitergehen. Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir uns gegen den Imperialismus als Weltsystem stellen. Denn dieser ist verantwortlich für Armut, Kriege, Umweltzerstörung und Unterdrückung.

 




Österreich: Regierung gegen die Unterdrückten

Heidi Specht, Arbeiter*innenstandpunkt, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Kurz vor Weihnachten trat in Österreich eine neue Regierung ihren Dienst an – gebildet aus der konservativen Unternehmer*innenpartei ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ.

ÖVP

Die ÖVP schaffte es erstmals seit dem Jahr 2002 bundesweit auf den ersten Platz. Das verdankt sie insbesondere ihrer Galionsfigur Sebastian Kurz, der neuen Wind versprach und seine Ernsthaftigkeit unter anderem durch Änderung der Parteifarbe von Schwarz zu Türkis unter Beweis stellte. Er schaffte es, bei vielen Wähler*innen durch sein Alter und seine Versprechen Illusionen zu wecken, die darüber hinwegtäuschten, dass er als längstdienendes Regierungsmitglied bereits jahrelang die Politik mitgestaltet hatte. Viele Menschen haben in ihrem Wunsch nach Veränderungen übersehen, in welche Richtung diese gehen sollen: Angriffe auf die Armen und Unterdrückten zugunsten der Reichen und Unternehmen.

FPÖ

Die FPÖ befand sich bereits seit längerem im Aufwind. Sie hätte wohl noch stärker gewonnen, wäre die ÖVP unter Kurz nicht so stark nach rechts gegangen. In ihrer rechtspopulistischen Rhetorik ging es darum, sich für den kleinen, österreichischen Mann einzusetzen und die österreichische Frau vor Zuwanderer*innen zu beschützen. Außer Frage steht, dass sie ihr bestes tun werden, um ihre rassistischen Pläne umzusetzen und in Kurz darin auch einen guten Verbündeten haben. Dass durch rassistische Einsparungen nicht unbedingt mehr Geld für arme Österreicher*innen bleibt, wird wohl manche ihrer Wähler*innen enttäuschen.

Diese Regierung steht also für Reiche und Unternehmen, gegen die Unterdrückten und damit die Mehrheit der Bevölkerung. Sie plant in ihrem Programm nicht nur Angriffe gegen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, sondern auch gegen Frauen, Jugendliche, Arbeitslose und Migrant*innen.

Familienbonus Plus

Bereits durch den Ministerrat beschlossen wurde der sogenannte Familienbonus Plus, der laut Plänen der Regierung Anfang 2019 in Kraft treten soll. Dabei sollen pro Kind unter 18 Jahren um bis zu 1.500 Euro weniger Steuern gezahlt werden müssen. Was auf den ersten Blick gar nicht so schlecht wirkt, birgt doch einige Probleme. Um in den vollen Genuss dieser Leistung zu kommen, muss erst einmal genug verdient werden. Erst ab einem Bruttomonatseinkommen von 1.700 Euro bekommt man mit einem Kind den Vorzug der vollen Leistung, bei zwei Kindern benötigt man dazu mindestens 2.300 Euro. Viele Menschen in Österreich würden also sogar zu wenig verdienen, um bei nur einem Kind den vollen Betrag zu erhalten, und mit jedem zusätzlichen Kind muss mehr verdient werden, um zu profitieren. Diese Maßnahme ist damit klar eine zugunsten der Besserverdiener*innen. Im Ausgleich sollen zwei Leistungen abgeschafft werden, nämlich der Kinderfreibetrag und die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten für Kinder unter 10 Jahren. Wenn Bundeskanzler Kurz jetzt verspricht, niemand solle weniger bekommen als vorher, scheint das bereits fragwürdig. Konzepte wie die Erhöhung des Alleinverdiener*innen- bzw. Alleinerzieher*innenabsetzbetrages, von der unter anderem jene 60.000 Alleinerzieher*innen profitieren sollen, die so wenig verdienen, dass sie überhaupt keine Lohnsteuer zahlen und damit durch den Familienbonus Plus genau null Euro bekommen würden, sind noch höchst unausgegoren und auch nur eine Reaktion auf massive Kritik. Ungeachtet dessen bleibt die Tatsache bestehen, dass durch das Wegfallen der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten für Familien die Option, dass ein Elternteil (üblicherweise die Frau) zuhause bleibt, weil das billiger ist als Kinderbetreuung, wieder stärker an Relevanz gewinnt.

Und um den Rassismus auch wirklich überall unterzubringen, betont FPÖ-Chef Strache, dass damit „österreichische Familien“ entlastet werden sollen, es aber „kein Förderprogramm für Groß-Zuwanderer*innenfamilien“ gäbe.

Familienbeihilfe

Eine weitere Idee, die derzeit auch innerhalb der EU heiß diskutiert wird, ist die Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenserhaltungskosten des Landes, in dem das Kind, für das die Beihilfe bezogen wird, wohnt. Das betrifft besonders Frauen aus Osteuropa, die in Österreich (häufig in der Pflege) arbeiten, um ihren Familien Geld nach Hause schicken zu können.

Um den Schein der Fairness zu wahren, soll für Kinder, die in Ländern leben, in denen die Lebenserhaltungskosten höher sind als in Österreich (z. B. die Schweiz oder skandinavische Länder), die Familienbeihilfe erhöht werden. Dass es dabei um sehr viel weniger Geld geht und außerdem um Personen, die tendenziell sowieso bereits besser verdienen, ist „natürlich reiner Zufall“.

Frauen als Mütter

Generell kann festgestellt werden, dass die Regierung das Thema Frauen fast ausschließlich in ihrer Rolle als Mütter thematisiert. Die Unterdrückung von Frauen, die über die Doppelbelastung von arbeitenden Müttern hinausgeht, wird wenig thematisiert. Zwar ist die Erleichterung der Berufstätigkeit für Mütter ohne Frage ein wichtiges Thema, doch auch hier scheint es sich eher um ein Lippenbekenntnis zu handeln, denn dazu tatsächlich notwendige Schritte wie der Ausbau kostenloser Kinderbetreuung werden nicht vorangetrieben. Im Gegenteil, unter Schwarz-Blau in Oberösterreich gab es in diesem Bereich sogar massive Verschlechterungen. Auch Pläne wie die Einführung von 12 Stunden täglicher Höchstarbeitszeit oder die Erhöhung der zumutbaren Entfernung des Arbeitsplatzes vom Wohnort erreichen das genaue Gegenteil.

„Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ steht zwar im Regierungsprogramm, wie das erreicht werden soll oder welche Konsequenzen Unternehmen erwarten die sich nicht daran halten, wird aber kaum bis gar nicht thematisiert. Damit fällt es schwer, das als ernsthaftes Ziel wahrzunehmen. Dafür werden Kürzungen im Sozialbereich Frauen wie immer härter treffen als Männer, und zwar nicht nur jene, die Familien betreffen. Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer, sind wesentlich häufiger von Altersarmut betroffen und damit zentraler auf Leistungen wie zum Beispiel Notstandshilfe oder Mindestsicherung angewiesen, bei denen eingespart werden soll.

Sexismus, Rassismus und Konservativismus

Generell kann festgestellt werden, dass dieses Regierungsprogramm Frauenförderung gleichsetzt mit Mütterförderung. Es versucht, seinen Rassismus mit angeblichem Antisexismus zu rechtfertigen. So suggeriert es, dass ein Unverständnis für die Gleichwertigkeit der Geschlechter in erster Linie bei Asylwerber*innen herrscht. Und es legt viel Wert auf die Feststellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt und eine Familie eine Mutter und einen Vater braucht.

Noch gar nicht erwähnt sind die widerlichen Angriffe auf Asylwerber*innen, angefangen damit, ihnen Geld und Handys wegzunehmen, über Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht, Massenunterkünfte und noch weitere Erschwernisse beim Zugang zu Bildung.

Gegen das Regierungsprogramm mobilisieren

Die Opfer dieses Programms sind alle von Lohnarbeit Abhängigen und Unterdrückten. Um diese Maßnahmen abzuwehren, bedarf es einer ArbeiterInneneinheitsfront, also eines Bündnisses der Arbeiter*innenbewegung gemeinsam mit Geflüchteten, Arbeitslosen und anderen Unterdrückten, die gemeinsam mobilisieren und streiken. An so einem Bündnis werden wir uns nicht nur beteiligen, sondern legen Wert darauf, die Forderung nach Bildung einer Abwehrfront an diese Massen und ihre Führungen, besonders die SPÖ, KPÖ und die Gewerkschaftsvorstände zu richten. Daneben kämpfen der Arbeiter*innenstandpunkt und REVOLUTION Österreich im Rahmen so eines Bündnisses dafür, sich nicht nur gegen die geplanten Angriffe zu wehren, sondern auch eigene Forderungen wie die nach offenen Grenzen oder Arbeitszeitverkürzung aufzuwerfen. Ein erster Schritt, eine kampfstarke Bewegung ins Leben zu rufen, sind Versammlungen in Arbeiter*innen- und Migrant*innenvierteln, Betrieben, an Schulen, Unis, in Gewerkschaften und Sozialverbänden, um über praktische Kampfmaßnahmen und -strukturen zu diskutieren, zu entscheiden und Organe der Einheitsfront des Widerstands zu wählen, deren Leitungen ihrer Basis rechenschaftspflichtig sind und jederzeit an- und abwählbar sein müssen.




Wirtschaftliche Krise – ideologische Wende – Angriffe auf Frauenrechte weltweit

Veronika Schulz, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION (Deutschland), ArbeiterInnenstandpunkt/REVOLUTION (Österreich) März 2017

Seit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 befinden wir uns in einer anhaltend instabilen Periode. Wir spüren also nicht einfach die langfristigen Auswirkungen der Krise. Vielmehr dauert diese Krise an: Die gegenwärtige Politik vor allem der westlichen Industrienationen ist auch weiterhin von verzweifelten Maßnahmen geprägt. Der Kapitalismus zeigt dabei offener denn je seine imperialistische Fratze. Immer mehr Menschen gehören zu den VerliererInnen eines Wirtschaftssystems, das durch Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg nur einige Wenige zu seinen Profiteuren macht. Die Krisenlasten hingegen aber werden auf die große Masse der Bevölkerung, die ArbeiterInnen, KleinbäuerInnen, SozialrentnerInnen und auf Armenunterstützung Angewiesene, abgewälzt.

Frauen sind von diesen Entwicklungen besonders und auf vielfältige Weise betroffen. Sie sind einer Doppel-, Dreifach-, teilweise gar Vierfachbelastung ausgesetzt, da sie Lohnarbeit, Kinderbetreuung, Altenpflege und Hausarbeit gleichzeitig bewältigen müssen. Weltweit verschärft sich dies nicht nur durch fehlende Rechte für Frauen, sexuelle Gewalt, Rassismus und anhaltende kriegerische Konflikte. Auch erstarkende reaktionäre Parteien sowie religiös-fundamentalistische Gruppen – deren Zunahme und Erstarken selbst ein Resultat der Krise und des Versagens der großen, reformistischen ArbeiterInnenorganisationen ist – sorgen international für ein Rollback der Errungenschaften von Frauen.

Arbeitssituation von Frauen

Der Anteil der erwerbstätigen Frauen hat sich trotz der Krise in Deutschland und auch in Europa erhöht (in 10 Jahren von 61 % auf 71 %)(1). Diese Nachricht bedeutet jedoch nicht, dass Frauen automatisch auch ein höheres Maß an finanzieller Unabhängigkeit erlangen, geschweige denn auf dem Arbeitsmarkt gleichberechtigt sind. Der Großteil der entstandenen Jobs ist nämlich Ausdruck für den Bedarf an billigen Arbeitskräften, wodurch Unternehmen ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ sichern wollen. So handelt es sich bei von Frauen ausgeübten Tätigkeiten vor allem um deregulierte Arbeit, die oft als „prekär“ bezeichnet wird, wobei dieser Begriff mehrere Dimensionen umfasst. Zum einen bezieht er sich auf die Art der Beschäftigung (Teilzeit, Befristung, Mini- und Mehrfachjobs). Zum anderen sind die Einkommen aus solchen Tätigkeiten niedrig, die Löhne liegen oftmals nur knapp über der Armutsgrenze. Frauen arbeiten ungleich öfter auf solch prekären Stellen als Männer, weswegen sie deutlich weniger von dem „Jobwunder“ profitieren. Außerdem stehen wenig ausgebildete und angelernte Arbeitskräfte in dauernder Konkurrenz zueinander, da die Unternehmen auf eine große Reservearmee zurückgreifen können. Durch die kriegs- und krisenbedingten Migrationsbewegungen wird diese Armee sogar noch aufgestockt und zulasten aller ArbeiterInnen gegeneinander ausgespielt. Der 2015 eingeführte Mindestlohn wird in einigen Branchen systematisch umgangen, so dass vielen ArbeiterInnen kaum Geld am Monatsende übrigbleibt. Auch die Beiträge zur Rentenversicherung sind im Niedriglohnsektor gering oder fehlen ganz. Nach heutiger Gesetzes- und Berechnungsgrundlage sind in Deutschland 18 % der Frauen ab 65 Jahren armutsgefährdet, im EU-Durchschnitt 16 %.(2) Andere Zahlen besagen, dass 2010 in der BRD 4,9 Millionen über 55-jährige Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen waren. 2015 waren es bereits 5,7 Millionen, das entspricht 20,8 % der BundesbürgerInnen (EU-Durchschnitt: 20,7 %). 2006 waren es noch 18,2 % in Deutschland.(3) Die Zahlen für Frauen dürften höher als im Bevölkerungsaltersdurchschnitt liegen. Altersarmut ist für die Mehrzahl der Frauen quasi vorprogrammiert, da sie nicht „privat vorsorgen“ können, von Betriebsrenten ganz zu schweigen. Hartz IV-EmpfängerInnen müssen wie zum Hohn ihre angesparte private Altersvorsorge auflösen und verbrauchen, bevor sie in den Genuss dieser Transferleistung kommen können. Aus relativer Armut während des Erwerbslebens wird absolute im Alter.

Ein dritter Aspekt prekärer Arbeit ist das Fehlen gewerkschaftlicher Organisierung. Obwohl die ArbeiterInnenklasse international als Ganzes wächst, kann der Grad ihrer gewerkschaftlichen Vertretung insbesondere bei Frauen nicht annähernd mit diesem Wachstum mithalten. Aus diesem Grund ist es vor allem für Frauen erschwert, die nötige Kampfkraft zu entwickeln und für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu streiken. Ein positives Beispiel für gelingende Organisierung findet sich jedoch in den Streiks im Gesundheits- und Erziehungsbereich 2015. Hier ist es den ArbeiterInnen gelungen, den Arbeitskampf gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie weiterzuführen, indem sie deren Einigungsempfehlung ablehnten.(4)

Eine herbe Niederlage mussten hingegen die französischen ArbeiterInnen verdauen. Die französische Regierung hat im Herbst 2016 trotz langanhaltender Proteste und Streiks das sogenannte El-Khomri-Gesetz zur Arbeitsmarktreform verabschiedet. Offiziell soll diese französische Variante der Agenda 2010 die hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen und die angeblich zu starren Arbeitsgesetze modernisieren. In Wirklichkeit stehen durch diese Reform die 35-Stunden-Woche sowie der Kündigungsschutz zur Disposition. Kündigungsgründe wie z. B. eine „notwendige Reorganisation des Betriebs“ sind nun ebenso legal wie bis zu 60 Wochenstunden Arbeit. Während sich die Unternehmerverbände die Hände reiben, kritisieren ArbeiterInnen und Gewerkschaften neben den Inhalten des Gesetzes auch die Vorgehensweise bei dessen Verabschiedung: Durch den fortwährenden Notstand konnte die Regierung die Reform ohne Abstimmung der Nationalversammlung durchpeitschen.(5) Auch von diesem Gesetz werden Frauen besonders hart getroffen, da sie diejenigen sind, die einer Mehrfachbelastung aus Lohn- und Care-Arbeit ausgesetzt sind. Die bereits geschilderte Beschäftigungssituation von Frauen ist somit nicht ausschließlich dem Angebot aus Teilzeitstellen und prekären Minijobs geschuldet.

Kindererziehung, Pflege- und Hausarbeit

Für viele Frauen ist es schlichtweg nicht möglich, in Vollzeit zu arbeiten: Frauen tragen auch weiterhin die Hauptlast bei der Versorgung von Familienangehörigen, sei es bei der Kindererziehung oder Pflege. Selbst wenn viele Paare einen anderen Lebensentwurf vorziehen würden, so ist es eine rationale Entscheidung, welche/r der PartnerInnen im Beruf kürzertritt und sich um Kinder und Pflegebedürftige kümmert.

Die materielle Basis dieser Entscheidung hängt unmittelbar damit zusammen, dass Frauen bei gleicher Tätigkeit immer noch bis zu 21 % weniger verdienen als Männer.(6) Durch steuer- und familienpolitische Maßnahmen wie Betreuungsgeld und Ehegattensplitting wird das vermeintlich „klassische“ Familienmodell mit dem Vater als Ernährer und der Mutter als Hausfrau sogar noch staatlich gefördert. Das auch als „Herdprämie“ bezeichnete Betreuungsgeld wurde Ende 2012 auf Drängen der CSU deutschlandweit eingeführt. Es subventioniert Familien, die nicht auf Kita-Angebote zurückgreifen, sondern ihre Kinder zu Hause erziehen, mit monatlich 100 bis 150 Euro. Auch nachdem das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme 2015 auf Bundesebene gekippt hat, beharrt die CSU auf deren Weiterführung zumindest in Bayern. Doch nicht nur die Union propagiert die Kernfamilie mit Vater, Mutter, Kindern als Bilderbuchmodell. Auch die RechtspopulistInnen und NationalistInnen von AfD, Front National und FPÖ beteiligen sich fleißig an einer ideologischen Verschiebung zurück zu diesem vermeintlichen Ideal. Die AfD erhebt in ihrem Programm die „Drei-Kinder-Familie“ sowie die heterosexuelle Ehe zum Leitbild und klammert wie selbstverständlich kinderlose und homosexuelle Paare aus. Diese Argumentationsweise zeigt deutlich, dass Rassismus, Sexismus und Homophobie wesentliche Elemente rechter Ideologie sind und somit nicht nur Frauen, sondern auch LGBTIA-Menschen, Geflüchtete und MigrantInnen von den geschilderten Rollbacks betroffen sind.

Ein weiteres Problem liegt in der unzureichenden Betreuungssituation für Kleinkinder. Obwohl seit 2013 ein Rechtsanspruch auf Kita-Plätze für alle Kinder bis 3 Jahre besteht, fehlen weiterhin 230.000 Plätze.(7) Das bedeutet, dass für 10 % aller Kinder in diesem Alter keine ausreichende Betreuung gewährleistet ist! Großeltern und FreundInnen können nur bedingt dauerhaft einspringen, weshalb viele Eltern vor ein existenzielles Problem gestellt werden. Wie bereits beschrieben, ist es nach wie vor meist die Frau, die ohnehin weniger verdient und sich somit für eine Teilzeitstelle entscheidet, um sich dann „nebenbei“ um Kinderbetreuung und Hausarbeit zu kümmern. Alleinerziehende sind von den fehlenden Betreuungsmöglichkeiten besonders hart getroffen, da ihnen kaum eine andere Wahl bleibt, als einen Teilzeitjob oder gar verschiedene Minijobs anzunehmen. Lebensentwürfe, Arbeitszeitmodelle und Kindererziehung werden auf diese Weise zur Klassenfrage.

Kontroverse um Abtreibung

Es ist leider nicht verwunderlich, dass mit dem Erstarken reaktionärer Kräfte auch die Forderung nach dem Verbot von Abtreibung wieder in der öffentlichen Debatte auftaucht (siehe auch den Artikel zu ABTREIBUNG in dieser Zeitung). Am Beispiel des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung wird besonders deutlich, dass sowohl Klerikale wie auch Konservative in ein und dasselbe Horn blasen: die Verrohung der Sitten, „Gender-Mainstreaming“ und die Enttabuisierung von Sexualität hätten zu einer negativen Entwicklung geführt und müssten entschieden bekämpft werden. Eine längst überholte Sexualmoral und ein altbackenes Eheverständnis werden aus der Mottenkiste geholt und stellenweise bereits in Gesetze gegossen. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und eine bewusste Familienplanung werden auf diese Weise bedroht. Insbesondere in den stark katholisch geprägten EU-Staaten Spanien, Portugal, Irland und Polen herrschen durch sehr restriktive Bestimmungen ohnehin quasi Abtreibungsverbote vor.

In Spanien konnte sich die konservative Regierung 2015 trotz massiver Proteste gegen die Opposition durchsetzen und die Möglichkeiten zur legalen Abtreibung weiter eingrenzen.(8) So brauchen beispielsweise junge Frauen unter 18 die Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten. In Polen hat zuletzt eine Bürgerinitiative mit Unterstützung der polnischen Regierung eine Verschärfung der geltenden Bestimmungen, die einem Verbot gleichkommen würde, gefordert, stieß jedoch ebenfalls auf massiven Widerstand auf der Straße und im Parlament.(9) Aus Angst vor Stimmverlusten bei den nächsten Wahlen lenkte die Mehrheit der Abgeordneten der Regierungspartei ein und lehnte das Vorhaben in letzter Minute doch noch ab.

US-Präsident Donald Trump löste gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein zentrales Wahlversprechen ein, indem er staatliche Fördermittel für Nichtregierungsorganisationen streichen ließ, die Abtreibungen anbieten oder unterstützen. Seit Reagans Präsidentschaft ist dieser Erlass (Mexico City Policy) zur leidigen Tradition geworden, der jedoch von Präsidenten der demokratischen Partei regelmäßig kassiert wurde. Dies trifft beispielsweise die Organisation „Planned Parenthood“, die unter der Obama-Regierung jährlich staatliche Subventionen in Höhe einer halben Milliarde US-Dollar erhielt. Damit aber nicht genug, plant Trump unter Jubel der „Pro Life“-Bewegung die Berufung eines erklärten Abtreibungsgegners und reaktionären Hardliners als Richter an den Obersten Gerichtshof. Zwar besteht in den USA grundsätzlich die Möglichkeit zur Abtreibung, allerdings ist es für Frauen häufig schwer, ihre Rechte wahrzunehmen: in fünf US-Bundesstaaten gibt es nur eine Abtreibungsklinik. In den USA greifen nicht nur Politik und Kirchen, sondern auch die Wirtschaft die bestehenden Gesetze und das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper an. So weigert sich die Baumarktkette „Hobby Lobby“ unter Berufung auf religiöse Gründe, ihren Angestellten solche Krankenversicherungen anzubieten, die Kosten für Verhütungsmittel wie z. B. die „Pille danach“ übernehmen.(10) Dieses Vorgehen wurde durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2014 explizit genehmigt.

Beim Thema Abtreibung zeigt sich exemplarisch sowohl die schleichende Erosion von ehemals hart erkämpften Frauenrechten, aber auch die Kraft, die ein Protest gegen solche Vorhaben entfalten kann. Wie für alle anderen sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse gilt: kein Recht ist in Stein gemeißelt. In Krisenzeiten vollzieht sich ein Abbau von Rechten und Standards, um die es dann erneut zu kämpfen gilt.

Der Widerstand ist weiblich!

Dass Frauen zu politischen Auseinandersetzungen und Widerstand fähig sind, wird insbesondere für angeblich rückständige Regionen oftmals infrage gestellt. Sieht man jedoch genauer hin, verkehrt sich diese Annahme in ihr Gegenteil.

Es zeigt sich nämlich, dass ausgerechnet in den Weltregionen, in denen Frauen gezwungen sind, unter erniedrigenden Bedingungen zu leben und zu arbeiten, sie es sind, die an vorderster Front für ihre Rechte kämpfen und einstehen. Das Beispiel des kurdischen Kampfes um Rojava und die Selbstverteidigung gegen den Terror des Daesch (IS) zeigt, dass sich auch Frauen zu Gruppen von Widerstandskämpferinnen formieren und ihre Forderungen erfolgreich mit denen der Männer verbinden können. Auf diese Weise kann langfristig nicht nur die Trennung auf Grund des Geschlechts überwunden, sondern auch eine weitaus größere Kampfkraft gegen Ausbeutung und Kriege entwickelt werden (siehe Artikel zu ROJAVA in der Frauenzeitung Nr. 3, März 2015). Die Lebensumstände, unter denen dies geschieht, sind oftmals geprägt von religiös-fundamentalistischen Denkweisen und Praktiken. Frauen werden nicht als bewusst handelnde Subjekte wahrgenommen, politische Aktivität wird ihnen erst recht nicht zugestanden und sich ohne Mann in der Öffentlichkeit zu zeigen, macht sie zu Freiwild. Umso mehr muss der Einsatz derer gewürdigt werden, die sich von Gewaltandrohung durch Ehemänner oder Polizei nicht abschrecken lassen.

Ein weiteres Beispiel für die Kampfkraft von Frauen gegen Unterdrückung und Entmündigung bietet der Arabische Frühling, während dessen Verlauf Frauen in der ersten Reihe beteiligt waren. Es ist allerdings Ausdruck auch der Krise der linken Führung, dass diese revolutionären Umwälzungen nicht von Dauer waren und sich die Konterrevolution Bahn brechen konnte. In diesem Zuge haben sich die Lebensbedingungen von Frauen in den betroffenen Ländern massiv verschlechtert. Die Politik der nun eingesetzten islamistischen Regime ist für die dort lebenden Frauen mit Repression und Einschränkung der neu errungenen Freiheiten verbunden. So sind Frauen, die sich ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen, der Gefahr von Vergewaltigungen ausgesetzt. Sexuelle Übergriffe auf Frauen und Mädchen sind dabei nicht nur im arabischen Raum, sondern auch im Nahen und Mittleren Osten an der Tagesordnung. Eine Aussicht auf Strafverfolgung der Täter besteht nicht. Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Versuche westlicher Staaten bewertet werden, die in diesen Weltregionen zur Schulbildung von Mädchen und Frauen beitragen wollen. Die am besten ausgestatteten Schulen nutzen wenig, wenn der tägliche Weg dorthin durch patriarchale und religiöse Traditionen versperrt ist und einem Martyrium gleichkommt.

Gewalt gegen Frauen ist neben den bereits geschilderten Belastungen durch Lohn- und Care-Arbeit ein großes Problem, dem Frauen, aber auch Kinder ausgesetzt sind, die darunter physisch wie psychisch leiden. Ideologischer Extremismus, der im Zuge von Konterrevolution, Wirtschaftskrise und Kriegen an Boden gewinnt, ist Antreiber für die Verschärfung dieser Problematik im Gefolge dieser reaktionären Entwicklungen.

Neben den revolutionären Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre sind Frauen auch vermehrt an Arbeitskämpfen und Streiks beteiligt. In den halbkolonialen Ländern sind durch die Globalisierung einerseits neue Möglichkeiten für Frauen, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, entstanden. Viele dieser Tätigkeiten sind jedoch in den meisten Fällen um ein Vielfaches schlechter bezahlt als die der Männer, von den Arbeitsbedingungen im internationalen Vergleich ganz zu schweigen. Vor allem in der Textilindustrie arbeiten Frauen unter miserablen Bedingungen zu Hungerlöhnen und auf Provisionsbasis: ein willkürliches System der Entlohnung, gegen das jede Frau für sich alleine nur wenig ausrichten könnte. Dennoch erheben Frauen ihre Stimmen für besseren Arbeitsschutz, Entlohnung von Überstunden und höhere Löhne. Dies hat auch Auswirkungen auf ihre Organisierung, die bei wachsender Zahl weiblicher Arbeitskräfte notwendiger wird denn je. Ein Ansatz zur Organisierung liegt dort in der sogenannten „Home-based Workers‘ Union“, die aktuell in Pakistan aufgebaut wird (siehe auch Artikel zu PAKISTAN in dieser Zeitung). Auch kann, wie sich ansatzweise bereits in den revolutionären Kämpfen gezeigt hat, die Geschlechterkluft überbrückt werden, indem patriarchale und sexistische Verhaltensweisen aufgedeckt und infrage gestellt werden. Die hier aufgeführten Beispiele lassen sich auch auf weitere Gruppen übertragen, die ihrerseits von Unterdrückung betroffen sind, wie z. B. LGBTIA-Menschen, MigrantInnen und Geflüchtete. Ihre Forderungen müssen langfristig mit den Kämpfen von Frauen verbunden werden.

Weitere ermutigende Beispiele von Frauenkämpfen aus der jüngsten Zeit fanden in Großbritannien, Island und Argentinien statt. Im Oktober 2016 stimmten 93 % der Gewerkschaftsmitglieder in Durham County (Großbritannien) für Streikmaßnahmen der LehrassistentInnen gegen neue Verträge, die ihnen der Gemeinderat „bescheren“ wollte. Sie sahen kürzere Beschäftigungszeiten, mehr Wochenarbeitsstunden und bis zu 23 % schlechtere Bezahlung vor. Seit Juni 2016 waren ihre KollegInnen in Derby bereits an 5 Tagen in den Ausstand getreten. Die LehrassistentInnen sind überwiegend weiblich. Die von der Tory-Regierung erlassenen Kürzungen der öffentlichen Haushalte werden oft genug auch von Labor-Gemeinderäten umgesetzt und tragen zur weiteren Benachteiligung von Frauen, die sowieso schon weniger Lohn (18 %) als ihre männlichen Kollegen erhalten, bei.

In Island verließen Ende Oktober 2016 Frauen um 14:38 Uhr ihre Arbeitsplätze, um gegen die geschlechtsspezifische Lohn- und Gehaltslücke von 14 % zu protestieren. Sie hat sich seit 2005, als die ArbeiterInnen und weiblichen Angestellten ihre Arbeit am gleichen Tag um 14:08 Uhr niederlegten, kaum geschlossen.

Am 19. Oktober 2016 protestierten zahlreiche Frauen in Argentinien gegen den vorläufigen Höhepunkt einer Reihe von sog. Ehrenmorden, allein 19 in 18 Tagen vor dem Protest. Diesmal war eine 16-Jährige unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und gefoltert worden. 2015 kam es aus ähnlichem Anlass zur Versammlung von 300.000 Menschen in Buenos Aires. In ganz Lateinamerika gingen Frauen 2016 am sog. Schwarzen Mittwoch auf die Straße, um gegen Morde an Frauen und Mädchen Flagge zu zeigen.(11)

Ausblick

Eine zentrale Forderung betrifft die Durchbrechung der Mehrfachbelastung. Frauen leisten immer noch den Großteil unbezahlter Reproduktionsarbeit in Form von Kindererziehung und Altenpflege. Aus klassenkämpferischer Sicht ist es jedoch ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, sich um derartige Arbeiten zu kümmern. Solange unbezahlte Erziehungs- und Pflegearbeit im Unterschied zur Lohnarbeit keinen Wert und damit auch Mehrwert schafft, kann eine Gleichstellung der Frau nicht gelingen. Aus einer fortschrittlichen sozialistischen Perspektive kann also nur die Vergesellschaftung dieser unbezahlten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit die Antwort sein. Dies bezieht explizit die Männer bzw. Väter sowie die Gesellschaft als Ganzes mit ein, da es sich bei Erziehung, Pflege und sonstiger Reproduktionsarbeit wie Kochen und Waschen um gemeinschaftliche Aufgaben handelt.

Wir treten ein für ein umfassendes Angebot vollständiger Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit und ihre Verteilung auf alle Geschlechter. Die soziale Elternschaft und Angehörigenfürsorge ist unser Ziel. Der ArbeiterInnenstaat bzw. ArbeiterInnen- und Ba(e)uerInnenstaat soll nach und nach die Familie, die Fürsorge durch Verwandte und FreundInnen ersetzen, auf alle Schultern verteilen. Die kommunistische Gesellschaft wird sich dadurch auszeichnen, dass sie alle ihre Mitglieder, auch Alte, Kinder und Kranke materiell besser versorgt als die alte, aber auch emotional, psychisch, gesundheitlich und intellektuell die Menschheit weiterbringt, als Eltern, Angehörige und Familie dies konnten. In letzterem Sinn wird vieles von dem, was in der bürgerlichen Gesellschaft als Privatsache galt, zur öffentlichen Angelegenheit erster Güte. Für öffentliche und kostenlose Wäschereien, Kantinen und Reinigungsdienste und wohnortnahe Pflegeeinrichtungen! Für neue, alle Generationen übergreifende Formen des Zusammenlebens und ihre Berücksichtigung bei Wohnbauten in Stadt und Land!

Wir treten für eine multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein, für das Recht auf gesonderte Treffen der Frauen, sexuell, rassistisch und national Unterdrückten sowie der Jugendlichen in ArbeiterInnenparteien, -organisationen und Gewerkschaften! Für kollektive Selbstverteidigungsorganisationen und die Pflicht auch der Erwachsenen, Männer und Heterosexuellen zur Teilnahme an ihnen!

International zeigt sich zudem, dass die von Frauen angeführten Kämpfe vielfältig sind und nicht nur Frauen, sondern allen Unterdrückten weltweit Mut geben sollen, dass Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse möglich und notwendig ist.

All die Arbeitskämpfe, Streiks und der organisierte Widerstand gegen Krieg und Ausbeutung bedürfen jedoch einer sozialistischen und revolutionären Perspektive, da Sozialismus ohne Frauenbefreiung ebenso undenkbar ist wie eine vollständige Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

 

Endnoten

(1) DESTATIS – Statistisches Bundesamt (2014): Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland deutlich über EU-Durchschnitt, online unter www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/ 2014/03/PD14_082_132.html

(2) DESTATIS – Statistisches Bundesamt (2015): Frauen EU-weit häufiger als Männer von Altersarmut betroffen, online unter www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/ SozialesLebensbedingungen/Altersarmut.html

(3) NEUES DEUTSCHLAND, 9. Februar 2017

(4) ZEIT ONLINE (2015): Öffentlicher Dienst: Erzieherinnen lehnen Kita-Schlichterspruch ab, online unter www.zeit.de/wirtschaft/2015-08/verdi-gew-kita-streik-tarifstreit

(5) Netzpolitik.org (2016): Frankreich: Wenn der Notstand zur Normalität wird, online unter www.netzpolitik.org/2016/frankreich-wenn-der-notstand-zur-normalitaet-wird/

(6) Süddeutsche Zeitung (2016): Gehalt: Männer verdienen ein Fünftel mehr als Frauen, online unter www.sueddeutsche.de/karriere/gehalt-maenner-verdienen-ein-fuenftel-mehr-als-frauen-1.2888270

(7) ZDF Heute (2016): Studie: Bundesweit fehlen 228.000 Kita-Plätze, online unter www.heute.de/trotz-rechtsanspruch-fehlen-bundesweit-228.000-kita-plaetze-46216356.html

(8) Der Standard (AT) (2015): Spanien beschließt neuerliche Verschärfung, online unter www.derstandard.at/2000017373063/Spanien-beschliesst-neuerliche-Verschaerfung

(9) ZEIT Online (2016): Polnisches Parlament lehnt Abtreibungsverbot ab, online unter www.zeit.de/politik/ausland/2016-10/polnisches-parlament-lehnt-abtreibungsverbot-ab

(10) The New York Times Magazine (2014): What the Hobby Lobby Ruling Means for America, online unter www.nytimes.com/2014/07/27/magazine/what-the-hobby-lobby-ruling-means-for-america.html?_r=0

(11) The Red Flag, Issue 8, November 2016




Afghanistan: Keine Befreiung in Sicht

Elise Hufnagel, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Herbst 2001 begann der US-geführte Militäreinsatz in Afghanistan (Operation Enduring Freedom), unterstützt von der ISAF, der International Security Assistance Force, an der sich die Bundeswehr beteiligt. Ging es zunächst um den „Kampf gegen den Terror“, wurden die Ziele des Angriffs schnell auf die Errichtung der Demokratie nach westlichem Vorbild und die Stärkung der Rechte der Frauen erweitert, um einen längeren Einsatz zu rechtfertigen.

Islamismus und Besatzung: Todfeinde für Frauenrechte

Dabei ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, dass Afghanistan schon für die Briten im 19. Jahrhundert als attraktiver Standort im nahen Osten und als wichtiges Pfand gegenüber Russland galt. Und auch heute wäre es für die USA wieder wertvoll, dieses Land mit seiner geostrategischen Lage im mittleren Osten – Nähe zu China, Iran, Pakistan, Indien und den südlichen ehemaligen UdSSR-Republiken – „in den Griff zu bekommen“. In den letzten Jahren stellte sich auch heraus, dass Afghanistan nicht geringe Vorkommen an Kupfer und Eisenerzen zu bieten hat, ebenso wie Lithium, ein begehrter Rohstoff für die Computerbranche. Zwei große Konzerne aus China und Indien haben auch schon Ausbeutungsrechte erworben. Jedoch, aufgrund der unsicheren Lage im Land, läuft der Abbau bisher nicht wie geplant.

Heute ist weder die anhaltende Freiheit noch die Sicherheit in dem bürgerkriegsgebeutelten Land gewährt – und schon gar nicht für Frauen. Die Taliban gewinnen wieder mehr Boden im Land, die Warlords der Nordallianz teilen die Gebiete unter sich auf, der Drogenhandel ist immer noch die lukrativste Einnahmequelle und ein Drittel der Bevölkerung lebt weiterhin in bitterer Armut.

80 Prozent der afghanischen Frauen sind Analphabetinnen und nur weniger als ein Drittel gehen einer geregelten Lohnarbeit nach.

Die „First Lady“, Rula Ghani, äußerte auf einer Ausschuss-Sitzung im Bundestag letztes Jahr, die Dominanz der Männer in ihrem Land habe zugenommen, empfahl aber den Geberländern, die Betonung doch bitte nicht so sehr auf die Rechte der Frauen zu legen, sondern die Bedeutung von Familie und gegenseitigem Respekt zu unterstützen.

Die Wirklichkeit in Afghanistan: barbarische Frauenunterdrückung

Aber ist die Befreiung der Frauen in Afghanistan wirklich so leicht: alle sind einfach ein bisschen netter und die Grundstrukturen der Unterdrückung bleiben erhalten?

Wie sieht die strukturelle Unterdrückung der Frauen aus und wodurch wird sie am Leben erhalten? Sind die Afghanen einfach nicht „lernfähig“, ist allein die islamische Religion Schuld an der Misere der Frauen und warum sind sie nach 14 Jahren „stetiger Bemühung“ der westlichen Allianz immer noch nicht befreit und demokratisiert? Diesen Fragen soll hier nachgegangen werden.

Ab und an erreichen uns Horrormeldungen über misshandelte Frauen in Afghanistan. So wurde im März letzten Jahres eine Studentin in Kabul von einem Mob aufgebrachter Männer öffentlich totgeschlagen und verbrannt, nachdem sie angeblich den Koran angezündet habe. Nebenbei wurde erwähnt, dass sie vorher einen Streit mit einem Geistlichen gehabt habe, der dann, wohl nicht mehr Herr der Lage, das Gerücht der Gotteslästerung lautstark verbreitete, worauf die Lynchjustiz begann und von der Polizei nicht aufgehalten wurde. Diese Tat löste Massenproteste in der Hauptstadt aus.

Im November letzten Jahres ging ein Video über eine Steinigung durch die Medien. Eine junge Frau hatte ihren weitaus älteren Ehemann betrogen. Sie wurde in einem Erdloch zu Tode gesteinigt, ihr Liebhaber kam offensichtlich davon. Die Gouverneurin der Provinz, eine von nur zwei Frauen in dieser Stellung im Land, warnte vor weiteren derartigen Übergriffen und machte die Taliban und verantwortungslose Kriegsherren für die Tat verantwortlich.

Als die Taliban im September 2015 kurzfristig Kundus eroberten, konnten sie zahlreiche Daten von Regierungs- und NGO-Einrichtungen erbeuten. Es folgten massive Angriffe unter anderem auf Frauenrechtlerinnen und auch auf Kliniken. Frauen wurden vergewaltigt und getötet, Häuser niedergebrannt und auch nach dem Rückzug wurden viele Aktivistinnen über Handy weiter bedroht, alles um „Recht und Scharia“ wiederherzustellen. Und das in einer Stadt, in der Frauen gerade mühsam angefangen hatten, sich wieder auf die Straße zu trauen.

RAWA: fortschrittlichste Frauenorganisation Afghanistans

RAWA, die „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“, hat eine Liste erstellt, die die Vorstellungen der Islamisten über Frauen dokumentiert:

  • Verbot für Frauen, außerhalb des Hauses zu arbeiten (Ausnahme: wenige Medizinerinnen und Krankenschwestern in Krankenhäusern)
  • Verbot sämtlicher Aktivitäten außerhalb des Hauses ohne männliche Begleitung
  • Forderung an Frauen, die Burka (Ganzkörperschleier) zu tragen
  • Steinigung für Frauen, die außerehelichen Sex hatten
  • Verbot für Frauen, Sport zu treiben oder in einen Sportclub zu gehen
  • Verbot, Kosmetik aufzutragen
  • Verbot für Frauen, laut zu lachen
  • Verbot für Frauen, sich zu Erholungszwecken zu treffen und vieles mehr.

Die Gruppe ist seit den 1970er Jahren im Widerstand, sowohl gegen die SU-gestützte DVPA-Regierung als auch gegen die spätere Taliban-Regierung sowie gegen die heutige Regierung und die internationalen Invasoren. RAWA tritt nach eigenen Angaben für Frauen-, soziale und Freiheitsrechte ein. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Dokumentation der Verbrechen an Frauen und der Einrichtung von Bildungsstätten für Frauen und Mädchen, viele davon in Flüchtlingsgebieten wie Pakistan (siehe auch unseren Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni77/afghanistan.htm).

Sie wird verfolgt von Extremisten und Warlords, zählt zu ihren Feinden auch Leute in höchsten Regierungskreisen, wie auch den „Vizepräsidenten“ (der in diesem Fall „Hauptgeschäftsführer“heißt) Abdullah Abdullah.

Die DVPA- Regierung der 1970er und 80er Jahre hält sie für keine sozialistische, allenfalls eine Marionetten-Regierung der damals bereits degenerierten Sowjetunion. Sie beklagt, dass in dieser Regierungszeit mehr Linke, Intellektuelle und Demokraten ermordet wurden als die Taliban je geschafft haben.

Die Taliban sind für sie systematisch seit dem kalten Krieg von den USA, Saudi-Arabien und auch Pakistan aufgebaut worden und haben keine wirkliche Verankerung in der Bevölkerung.

Sie geht davon aus, dass ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nie schlechter waren als heute nach 14 Jahren westlicher Besatzung. Den Druck von den Taliban auf der einen und dschihadistischen Warlords auf der anderen Seite, deren kriminellste Elemente wieder an die Macht gekommen seien, sieht sie als Ursache der heutigen Probleme Afghanistans: Drogenhandel, Korruption und eine schlechtere Lage der Frauen denn je. Ihre Aussage ist: Alle Anschläge, alles was im Zuge der Rückeroberung von Kundus durch die Taliban passierte, komme den USA nur entgegen als Rechtfertigung für eine Verlängerung der militärischen Besatzung. Ihrer Meinung nach könnte die US-Armee innerhalb eines Monats die schlecht ausgerüsteten Taliban zerschlagen, wenn sie das wirklich wollte.

Veränderung kann nach ihrer Meinung nur aus dem afghanischen Volk und den fortschrittlichen Bewegungen, welche auch immer das sind, kommen; 14 Jahre Besatzung hätten gezeigt, dass Frieden und Wohlstand nicht unter militärischer Besatzung entstehen können.

Leider mangelt es der Frauenbewegung an Verankerung unter der Landbevölkerung, und sie haben auch kein wirkliches Programm, wie die Befreiung vorankommen soll. Die Forderung allein: „Alle Besatzer sollen das Land verlassen, dann läuft es auch mit der Demokratie, wir brauchen eben noch ein paar Jahrzehnte“ zeigt keine Perspektive, wie beispielsweise die Frauen kämpfen sollen, gegen patriarchale Gewalt, Korruption und letztlich auch gegen eine Regierung, die nur einen Kompromiss auf  internationalen Druck hin verkörpert. In der sogenannten Einheitsregierung sind die beiden „Chefs“, Ghani und Abdullah, hauptsächlich damit beschäftigt, sich nicht vom jeweils anderen übervorteilen zu lassen und die eigenen Leute in Machtpositionen zu hieven. Die Wahl stand unter massiven Betrugsvorwürfen gegen beide Kontrahenten, und die Regierung hat bis jetzt nur gezeigt, wie handlungsunfähig sie ist. Dabei ist für den Westen natürlich eine starke Zentralregierung als Verhandlungspartner entscheidend, allein das Volk Afghanistans identifiziert sich nicht mit ihr, was sich beispielsweise in der Weigerung, Steuern zu zahlen, zeigt.

Afghanische Vorzeigefrauen

Natürlich gibt es in Afghanistan auch berühmte „starke“ Frauen wie die Ärztin und ehemalige Frauenministerin Sima Samar, die Menschenrechtlerin, die durch gemäßigten Auftritt versucht, ihre Gegner zu überzeugen. Letztendlich wurden ihre Versuche, die Gesundheit der Frauen zu verbessern, unter der Taliban-Regierung beschränkt und ihre Untersuchungen über die Verbrechen der Warlords vom damaligen Präsidenten Hamid Karzai unterbunden, der seine Verbindung zu den Kriegsherren gestört sah.

Oder die jüngste Abgeordnete Malalai Joya (Dschoja) (siehe auch www.arbeitermacht.de/ni/ni153/ buchbesprechung.htm), die ihre Kritik sowohl an den Machenschaften der Warlords als auch an der amerikanischen Besatzung öffentlich äußerte, dafür  3 Jahre lang von Kabinettssitzungen ausgeschlossen wurde und danach nicht mehr zu Wahlen antrat.

Faktisch ist es Frauen in Afghanistan nicht möglich, öffentliche Ämter auszuüben ohne männliche Schirmherrschaft, nach deren Meinung sie sich dann im Ernstfall auch richten müssen.

Afghanische soziale Realität: die Schranke für bürgerliche Frauenrechtlerei

Warum stagniert also der „Kampf für die Rechte der Frauen“?

Fragt man Frauenrechtlerinnen in Afghanistan, so stellen sie meist die Forderung nach Bildung als Voraussetzung für die Befreiung der Frauen in den Vordergrund. Einer umfassenden Ausbildung stehen aber viele Faktoren entgegen: mangelnde Ausbildung von LehrerInnen, fehlendes Lehrmaterial ebenso wie die Armut der Familie. Noch immer ist für viele Mädchen die Schulzeit nach der Grundschule beendet und nicht wenige werden viel zu früh verheiratet. Für eine Familie auf dem Land ist der „Verkauf“ einer Tochter gegen Land oder Nutztiere immer noch die einzige Alternative zum Verhungern. Viele wagen nicht, ihre Töchter in Mädchen-Schulen zu schicken, da diese häufig Angriffsziele extremistischer Fanatiker sind, und oft wird die Mitarbeit der Töchter zuhause dringend zum Broterwerb benötigt.

Die Schulen wurden gebaut als Vorzeigeobjekte, aber nicht selten stehen auf dem Land sogenannte „Geisterschulen“, in die niemand geht, und die Machthaber im Dorf kassieren immer noch die Lehrergehälter.

Entscheidend ist auch die Akzeptanz einer Schule in einer Gemeinde. Tatsächlich verringert sich das Risiko für Angriffe auf eine Schule, wenn sie von der Region selbst gewünscht wurde und statt von den internationalen Gebern selber verwaltet und bewacht wird.

Viele Gewalttaten gegen Frauen passieren im familiären Zusammenhang, oft als Ergebnis von Zwangsheirat mit erheblich älteren Männern. Frauen, die sich dagegen auflehnen oder gar flüchten, landen im Gefängnis oder werden von den Familien gleich selbst bestraft. Anzeigen gegen Gewaltakte werden zwar vermehrt aufgegeben, jedoch kommt es in einem System von Korruption und extrem schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten „Ordnungskräften“ selten zu Verurteilungen der Männer. Viele NGOs versuchen, Frauen zu unterstützen, aber prinzipiell herrscht kein Vertrauen in die Regierung und Frauen geraten in einem Land, in dem ständiger Druck von Islamisten und Dschihadisten aufgebaut wird, zuerst ins Hintertreffen. Dies soll weder häusliche Gewalt noch öffentliche Angriffe auf Frauen rechtfertigen. Wir verurteilen alle Übergriffe auf Frauen, sei es aus religiösen oder persönlichen Gründen. Derartige Ausbrüche und Gewaltexzesse sind nur ein Ausdruck der tiefen Spaltung der ArbeiterInnen- und der Ba(e)uerInnenklasse, die zumindest auf dem Land fernab von allen Regierungsgeschäften lebt, zwischen rivalisierenden Gruppen hin- und hergeschoben wird, auf den Zusammenhalt der „Familie“, wie reaktionär sie auch sein mag, angewiesen ist und an der die Erfahrungen des „Arabischen Frühlings” vorbeigezogen sind.

In der neuen Verfassung ist theoretisch die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verankert, doch fürchten schon jetzt viele mit den Erfolgen der Taliban ein weiteres Rollback für jede Verbesserung der Lage von Frauen.

Heuchelei der imperialistischen Besatzungsmächte oder: warum funktioniert die „Demokratisierung“ von außen nicht wie angekündigt?

Der „Krieg gegen den Terror“ sollte nach dem Modell „Clear – Hold – Build“ ablaufen, also Vertreibung  oder Vernichtung der Taliban, Halten der Stellung durch Ausbildung nationaler Streit- und Polizeikräfte und danach Aufbau der Infrastruktur, damit alle merken, woher der „Wohlstand“ kommt und die Taliban nicht mehr unterstützen.

Zunächst lief die Vertreibung der Taliban recht gut, wenn auch mit einigen „Kollateralschäden“ unter ZivilistInnen und oft vorbei an jedwedem Menschenrecht. Dass sich dadurch der Widerstand auch der Taliban erhöhte, „berechtigte“ dann wieder zu Einsätzen amerikanischer Spezialkommandos zur Terrorbekämpfung, die die Bevölkerung tyrannisierten.

Die Ausbildung der einheimischen Streitkräfte war jedoch nie wirklich erfolgreich, und wie sich jetzt zeigt, sind sie schlechter ausgerüstet als die Taliban und und desertieren schon teilweise.

Ein Drittel der Bevölkerung lebt immer noch unter der Armutsgrenze, der Wohlstand, der sich „wie ein Ölteppich“ auf das Land ausbreiten sollte, ist ausgeblieben: zum einen, weil viele Fördergelder gleich zu Anfang bei der afghanischen Elite versickert sind, zum anderen auch, weil die größten Posten heute in die Sicherheit der eigenen Truppen fließen, und zum Dritten mit dem (teilweisen) Abzug der Truppen zugleich der größte Auftraggeber der lokalen Wirtschaft verschwindet. Wir wollen ganz schweigen von den vielen Jobs für die urbane Mittelschicht, die eine anhaltende Militärpräsenz erforderlich machen, wie zum Beispiel Dolmetscher, deren Existenz jetzt auf dem Spiel steht, nicht nur finanziell, sondern auch, weil zum Beispiel die Bundesrepublik nicht für ihre Sicherheit garantiert und sie der Rache der Extremisten ausgesetzt sein können.

„Nicht selbsttragend“ nennt sogar die Bundesregierung das vorangegangene Wirtschaftswachstum. Die Terrorbekämpfung stand an erster Stelle, ein Wiederaufbau des Landes war nie ernsthaft angedacht. Die Verbündeten der NATO-Truppen sind zum Teil die gleichen Warlords, die in den neunziger Jahren das Land tyrannisiert haben.

Zeitgleich mit der Ankündigung des Truppenabzugs, die dann ja wieder relativiert wurde, stieg die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan. In Erinnerung an das Taliban-Regime ist das verständlich, denn sie wissen, dass die extremistische Gefahr nicht gebannt ist, zumal jetzt auch der IS mit Taliban-Gruppen kooperiert und versucht, eine Dominanz in Afghanistan zu bekommen.

Da erscheint die Kampagne des auswärtigen Amts mehr als makaber, mit der es versucht, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Auf großen Plakaten steht: „Sie wollen Afghanistan verlassen? Haben Sie sich das gut überlegt?“ Und „unser“ Innenminister setzt noch einen drauf, indem er äußert, deutsche Soldaten würden Afghanistan sicherer machen, große Summen von Entwicklungshilfe seien in das Land geflossen: „Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“

Dass die meisten Flüchtlinge in Pakistan landen, um nach einer Beruhigung der Lage wieder nach Hause zurückkehren zu können oder weil sie sich einen weiteren Weg gar nicht leisten können, hat er dabei wohl übersehen.

Für den Abzug der Besatzungstruppen und Selbstverteidigung der werktätigen Frauen!

Oft wird geäußert, dass der Fortschritt in Afghanistan ohne die Frauen nicht zu erreichen ist.

Wenn sich die ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen zusammenschließen, können sie ihre Häuser und Schulen selbst gegen die Fundamentalisten verteidigen, vorausgesetzt, sie erkennen, dass auch ihre ethnischen Konflikte nur den Zielen der Besatzer dienen, um sie zu spalten.

Die Massen in Pakistan, das heute als Auffangort für Flüchtlinge und Nachschubquelle für die Islamisten dient, können genauso zum Verbündeten werden, wenn sich ihre unterdrückten Schichten und Klassen organisieren, um ihre „alten Herren“, religiöse Fanatiker und gierige Warlords, zu verjagen.

In Rojava in Syrien sehen wir, wie Selbstverwaltung und -verteidigung Hand in Hand mit Frauenbefreiung geht. Diese Frauen, die gemeinsam mit den Männern in den Krieg gezogen sind und ihr Land aufbauen, lassen sich nicht mehr zwangsverheiraten oder ans Haus fesseln.

Der Aufbau von außen durch OEF und ISAF hat nicht funktioniert, und der Terror ist nicht beendet, sondern wieder auf dem Vormarsch.

Wir sagen: Zieht Eure Truppen restlos ab und sorgt dafür, dass Eure Hilfsgelder ausschließlich da landen, wo sie Fortschritt bringen: in der Erziehung und Bildung, in der Produktion, die den Afghanen nützt und nicht dem westlichen Kapital!

Es reicht nicht aus, zu fordern, dass „die Männer“ umdenken müssen, die Arbeit der wenigen NGOs für die Bildung und Förderung von Frauen muss in einer demokratischen Regierung ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Frauen im ganzen Land müssen lernen, sich gegen Patriarchat und religiösen Fundamentalismus zu verteidigen. Allerdings sind dabei Maßnahmen wie das Burka-Verbot der Besatzer wenig hilfreich (und waren wohl eher als subtile Terrorbekämpfung denn als Befreiung der Frauen gedacht). Die freie Ausübung der Religion muss gewährleistet sein; wenn sich Frauen aus religiöser Überzeugung und als Schutz vor Übergriffen verschleiern möchten, dann muss ihnen das gestattet werden.

Es gibt durchaus weltliche Schulen bzw. solche, die einen friedlichen Islam lehren, diese müssen ebenso geschützt werden.

Schutzräume für Frauen, die verfolgt werden, weil sie aus der Familie ausbrechen, müssen ausgebaut werden, damit sie nicht mehr Folter und Selbstjustiz ausgesetzt sind.

Statt mangelhafter Versorgung und Ausbildung einer Schein-Armee unter imperialistischer Aufsicht braucht Afghanistan eigene Milizen der ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen, die den Kampf für ihre eigene Freiheit auch führen können.

Hört auf, ihnen Marionetten-Regierungen vor die Nase zu setzen, die sie nicht akzeptieren werden! Lasst sie den demokratischen Aufbau selbst gestalten!

Dann wird sich zeigen, wie revolutionär die linken Parteien und Gruppen Afghanistans sind, ob sie den gemeinsamen Kampf als Frauen und Männer führen können.

Schlüssel zur Frauenbefreiung: ein Programm der permanenten Revolution

Die Befreiung der Frau geht Hand in Hand mit ihrer Befreiung vom Los der Reproduktionsarbeit, praktisch heißt das auf dem Land immer noch Heimarbeit, Subsistenzwirtschaft, keine freie Wahl des Ehepartners und keine Zeit für Bildung. Das stellt die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit einerseits und auch nach Verteilung von Land und Besitz auf. Voraussetzung dafür ist die Enteignung der Großgrundbesitzer und Wucherer, die Abschaffung aller vorkapitalistischen Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse in verschiedenen Formen der Grundrente (Geld- und Naturalpacht, Zwangsdienste auf dem Land und im Haushalt, Tagelöhnerei und Kontraktlohn). Revolutionäre KommunistInnen treten dafür ein, dass einerseits die Lohnabhängigen und Landlosen im Dorf auf großen Staatsgütern beschäftigt werden, andererseits Anreize für die freiwillige Kollektivierung der Parzellenba(e)uerInnen geschaffen werden, die von der Aufteilung eines Großteils des enteigneten Großgrundbesitzes profitiert haben. Sie müssen energisch für ein Infrastruktur- und Agrarentwicklungsprogramm  kämpfen, das den Hunger und ökologische Schäden beseitigt, mittels Bewässerung, Aufforstung, Saatgutkultivierung und Bodenamelioration die nutzbare Ackerfläche vergrößert und durch sinnvolle Fruchtfolge die Bodenqualität für Mensch, Tier und Pflanzen erhält. Heute ist die Opiumgewinnung wieder landwirtschaftliche Haupteinkunftsquelle. Die Taliban hatten den Anbau untersagt, nachdem sie selber geraume Zeit daraus Profit geschlagen hatten. Das spricht Bände für den „Fortschritt“ innerhalb der Dorfwirtschaft. Wir sind dafür, dass Ba(e)uerInnen Pflanzen, die zur Drogengewinnung und für die Herstellung von Arzneimitteln dienen, legal anbauen dürfen. Wir verlangen aber den staatlichen Ankauf und Vertrieb solcher Produkte im Rahmen eines Behandlungsprogramms von Drogensüchtigen zu Preisen, die von Preiskomitees der ArbeiterInnen und Ba(e)uerInnen festgelegt werden! Das oben skizzierte Agrarbeschäftigungs- und -anbauprogramm muss jedoch Anreize für den Ausstieg aus der Opiumerzeugung zugunsten der Stillung der dringendsten Bedürfnisse (Lebensmittel, Kleidung, Wohnung) schaffen.

Ferner treten wir für vollständige Demokratie ein: Wahlrecht für Männer und Frauen! Trennung von Kirche und Staat! Freiheit für alle religiösen und weltlichen Überzeugungen! Für eine souveräne konstituierende Versammlung, in der KommunistInnen ihr Programm der permanenten Revolution für Afghanistan vorschlagen! Überwachung ihres Wahlvorgangs durch Komitees aus ArbeiterInnen und armen Ba(e)uerInnen! Für die Vertreibung der imperialistischen Besatzungsarmeen, den Sturz ihrer Kompradorenregierungen und die Niederlage der bewaffneten islamistischen Reaktion! Für völliges nationales Selbstbestimmungsrecht einschließlich des Rechts auf Austritt aus Afghanistan und Bildung einer selbstständigen Republik oder Anschluss an einen anderen Staat!

Für die Abschaffung von Zwangsehen und Brautpreis, Legalisierung der Abtreibung und Scheidung auf Wunsch der Frauen! Für ein kommunales Gesundheits-, Bildungs- und Haushaltsversorgungssystem, das die private Hausarbeit ablösen kann! Für ein staatliches Rentensystem, das die Abhängigkeit von der Familie und Verwandtschaft aufhebt!

Die völlige Lösung aller demokratischen Aufgaben, demokratische Republik wie Agrarbefreiung und nationale Selbstbestimmung, kann nur durch eine Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Ba(e)uer_innenschaft, durch eine ArbeiterInnen- und Ba(e)uerInnenregierung erfolgen, die bei demokratischen Maßnahmen nicht stehen bleibt, sondern von Beginn an zu sozialistischen (progressive Besteuerung; Enteignung des Großkapitals; Entwaffnung seiner paramilitärischen Verbände, Warlords, Taliban oder anderer reaktionärer, z.B. islamistischer, Kräfte sowie der bewaffneten Staatsmacht in Armee, Polizei und Geheimdienst; Ersetzung der ungewählten BeamtInnen- und RichterInnenschaft durch gewählte, jederzeit abrufbare und zum Durchschnittslohn bezahlte RepräsentantInnen) übergeht. Diese muss vom Tag 1 ihrer Herrschaft an auch die Revolution nach außen tragen, in der Errichtung einer sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens gipfelnd.

Der Unterschied zu RAWA und zum bürgerlichen Programm

Dieses Programm unterscheidet sich deutlich von dem der RAWA. Dies ist zwar für afghanische Verhältnisse progressiv, doch verbleibt es im bürgerlichen, linksliberalen Rahmen. Statt auf Propaganda und Agitation unter den Volksmassen setzt es auf die „gebildete“ städtische Elite, auf wohlwollendes Entgegenkommen der Regierung und Besatzer, kurz auf die Vertreter der herrschenden Klassen Afghanistans und der Imperialisten. Es verkörpert ein Modell westlicher Zivilisation und Entwicklungshilfe. Doch leider ist dieses seit Beginn der imperialistischen Epoche für die überwältigende Mehrheit der Menschheit, die in halbkolonialen Ländern wie Afghanistan lebt, vollständig reaktionär. Es leistet nicht nur keinen Beitrag zu deren Befreiung, sondern verfestigt deren Abhängigkeit, nutzt ausschließlich den imperialistischen Plünderern und Räubern. Mit einem Wort: das bürgerliche (Frauen-)Befreiungsprogramm hat seine revolutionäre Rolle wie die Bourgeoisie selbst längst ausgespielt. Die weltweit herrschenden bürgerlichen Klassen verkörpern nur noch die Reaktion auf der ganzen Linie!




Perspektivlos: Frauen auf der Flucht

Henry Schmidt, Revolution,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

In den hiesigen Medien wird der Flüchtlingsproblematik ein fast ausschließlich männliches Gesicht gegeben. Obwohl der überwiegende Teil von Menschen, die die gefährliche Flucht nach Europa wagen, Männer sind, sind weltweit mindestens 30% der Geflüchteten Frauen; immerhin 18 Millionen. Sie sind oft Binnenflüchtlinge oder leben in gigantischen Lagern am Rande der Nachbarländer. Der Grund dafür ist, dass sie weniger Unterstützung aus Familie und Gesellschaft für eine Flucht nach Europa bekommen, weil in sie weniger Hoffnungen auf einen Erfolg gesetzt werden oder sie Kinder zu versorgen haben. Problematisch ist das besonders, wenn man bedenkt, dass es eine ganze Reihe frauenspezifischer Fluchtgründe gibt. Auf der Flucht und auch in den Zielländern, sei es in Kenia, der Türkei oder in Europa, haben Frauen dann ganz besonders mit den Problemen einer sexistischen Gesellschaft wie sexueller Gewalt oder reaktionären Rollenbildern zu kämpfen.

Frauenspezifische Fluchtgründe

Wenig Beachtung findet die Tatsache, dass es noch eine ganze Reihe von Gründen gibt, die in einer patriarchalen Gesellschaft nur Mädchen und Frauen betreffen. Einer davon ist die Genitalverstümmelung, die vor allem in ganz Afrika und dem südasiatischen Raum Anwendung findet. Sie ist ein barbarischer Gewaltakt, der oft irreparable körperliche und psychische Schäden verursacht und nicht ein Integrationsritus, wie von deutschen Beamten oft relativierend behauptet wird.  Deshalb wird sie meist nicht als legitimer Fluchtgrund anerkannt.

Ein wichtiger Punkt ist zudem die Zwangsehe. Sie betrifft vor allem Frauen und Mädchen sehr jungen Alters und liefert sie an einen oft viel älteren Mann aus, dem die Frau fortan gehört. Auch hier wird zumeist kein Asyl gewährt. Die Begründung: diese Praktiken träfen nicht alle Frauen einer bestimmten Religion, Ethnie usw.

Die Tötung im Namen der Ehre ist eine Praxis, die selbst in Europa, wie z.B. im Kosovo, der September 2015 als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde, zumeist aber in der arabischen Weltweite Anwendung findet. Betroffen sind weltweit jedes Jahr ca. 5000 Frauen. Homosexualität, außerehelicher Sex, sei es auch eine Vergewaltigung, oder Ehebruch, können Auslöser für eine „Ehrverletzung“ sein. Abgelehnt werden Asylanträge mit der Begründung, dass die jeweiligen Staaten für den Schutz der betroffenen Personen zuständig sind.

Dies führt schon zum nächsten frauenspezifischen Fluchtgrund: der Sanktion nach einem Ehebruch. In einigen Ländern sind EhebrecherInnen mit sehr harten staatlichen Strafen sowie mit der schon oben genannten Selbstjustiz konfrontiert. Einige Fälle wurden in Deutschland nur als „asylrelevant“ eingestuft, weil Frauen für das gleiche Vergehen sehr viel härter bestraft werden als Männer.

Sexuelle Gewalt ist natürlich auch ein sehr wichtiger Fluchtgrund, der nur Frauen betrifft. Dabei ist  hauptsächlich die sexuelle Gewalt von bewaffneten Gruppen gemeint. Sie wird von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ausgeführt. Begangen werden die Taten bei Razzien, in der Haft oder bei Überfällen auf Dörfer und Städte. Massenvergewaltigung als Kriegswaffe wird flächendeckend in Ländern wie dem Kongo oder dem Südsudan angewandt, doch auch in Syrien spielt sexualisierte Gewalt eine große Rolle. Die Ablehnung von Asylanträgen wird damit begründet, dass der Herkunftsstaat für den Schutz der Frauen sorgen muss oder es sich um private Verbrechen handelt, die nicht asylrelevant sind.

Allgemein lässt sich sagen, dass zwar seit 2005 frauenspezifische Fluchtgründe, auch wenn nicht-staatliche Akteure dafür verantwortlich sind, anerkannt werden, es aber faktisch kaum eine Verbesserung gab. Grund dafür ist, dass nur ein asylrelevanter Fall vorliegt, wenn alle Frauen einer bestimmten Gruppe betroffen sind, sonst wird ein Antrag als Privatsache abgetan. Außerdem müssen Frauen Beweise für ihre Erlebnisse vorlegen, was natürlich völlig unmöglich ist.

Die Lage von geflüchteten Frauen

Ein Problem bei der Asylgenehmigung ist auch, dass Frauen oft von den Asylanträgen ihres Mannes abhängig sind. Dies nimmt ihnen die Möglichkeit, sich von dem Partner zu trennen, wenn er sie mit Gewalt konfrontiert.

Ist ohnehin bereits ein Drittel der weiblichen Weltbevölkerung über 16 Jahre (ein Viertel in Deutschland) bereits von Gewalt betroffen gewesen, so ist der Zustand in den überfüllten und männlich dominierten Unterkünften weitaus schlimmer. Es gibt kaum weibliches Personal, Schutzräume oder eine gesonderte Unterbringung schon gar nicht. Ist eine Frau betroffen, kann sie ihrem Peiniger wegen der Residenzpflicht nicht einmal aus dem Weg gehen. Ausnahmen greifen zu spät: wenn überhaupt, muss das Opfer das Heim wechseln. Zwar gibt es Frauenhäuser, in denen in Deutschland Frauen theoretisch Schutz bekommen könnten. Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus müssen diese Unterbringung jedoch selbst zahlen, wofür sie natürlich kein Geld haben.

Obwohl dies alles bekannt ist, gibt es auch in Deutschland keine Präventions- oder Interventionskonzepte wie die Überprüfung der Einrichtung sowie ausreichende Beratung und psychische Betreuung. Und das, obwohl zwischen 60% und 80% der von Gewalt betroffenen Frauen an Folgebeschwerden wie Schlafstörungen, Depressionen und erhöhten Ängsten zu leiden haben.

Daneben mangelt es auch an medizinischer Versorgung, was unter anderem zur Folge hat, dass sich Geschlechtskrankheiten schnell ausbreiten.

Gerade in den für eine schnelle Abschiebung sehr günstigen Sammelunterkünften gibt es kaum Privatsphäre. Toiletten sind nicht abschließbar und Duschräume nicht nach Geschlechtern getrennt. Fehlendes Licht in den Bädern in ärmeren Ländern wie Jordanien öffnet Übergriffen Tür und Tor. Ein Vorschlag, nach dem in Unterkünften in Deutschland abschließbare Toiletten und getrennte Duschen als Mindeststandards gelten sollten, wurde im Asylpaket  II von Anfang 2016 gestrichen. Gerade nach den Ereignissen in der Silvesternacht zeigt dies, wie heuchlerisch der „Feminismus“ der Regierung ausfällt und wie wenig ihr am Schutz von Frauen wirklich gelegen ist.

Prostitution geflüchteter Frauen gibt es auch in der Bundesrepublik in „massivem Ausmaße“, so der bayrische Integrationsbeauftragte. Die Frauen müssen sich verkaufen, da sie z.B. Schlepperschulden zurückzahlen müssen.

In den Lagern fallen Frauen wieder die rollenspezifischen Aufgaben wie Kochen, Putzen und Kindererziehung zu. Dies verhindert zusätzlich eine Integration in den Arbeitsmarkt. Da das Taschengeld gestrichen wird und nur noch Sachleistungen gegeben werden, haben Frauen nicht mal mehr die Freiheit, ihnen bekannte Gerichte zu kochen.

Familiennachzug

In der Regel sind Familiennachzüge erlaubt. Dies wurde nun aber teilweise ausgehebelt. Die Große Koalition einigte sich darauf, den subsidiär geschützten Flüchtlingen, die nicht abgeschoben werden können, weil eine Verfolgung im Heimatland droht, den Familiennachzug um zwei Jahre zu verwehren. Zum anderen will man perspektivisch „sichere Zonen“ in Afghanistan schaffen, um „Alternativen“ zur Flucht „anzubieten“. Damit würde der Familiennachzug verweigert werden. Frauen und Kinder werden dadurch dazu gezwungen, die gefährliche Flucht selbst anzutreten, und sind dann von psychischen und physischen Strapazen, Schlepperpreisen, Auffangknästen und (sexueller) Gewalt bedroht.

Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus

Frauen sind weltweit von einer massiven Diskriminierung betroffen. Das und die Unterdrückung durch das kapitalistische System zwingt sie zur Flucht. Doch an ihrem Ziel sind sie mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Auch in Europa erwarten sie Armut, Rassismus und sexuelle Gewalt, der notwendige Schutz wird ihnen verwehrt. Dies rührt daher, dass es überall auf der Welt in unterschiedlichem Maße Frauenunterdrückung gibt, deren Wurzel im Kapitalismus liegt.

Wir fordern daher:

  • Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe!
  • Kinderbetreuung in den Heimen!
  • Schutzräume in den Unterkünften und eine gesonderte Unterbringung, falls gewünscht!
  • Ausreichende medizinische und psychiatrische Behandlung!
  • Nieder mit dem Patriarchat, nieder mit dem Kapitalismus!