Rechtsruck, Krise und die Lage der Frauen

Kai Zumar, REVOLUTION, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 12, März 2024

Für Linke, Frauen, queere Menschen, rassistisch Unterdrückte und andere gesellschaftlich Unterdrückte und Menschen, die in Armut leben, fängt 2024 als gut geölte Rutschbahn in die Hölle an. Der Klimawandel droht nach wie vor, unseren Planeten buchstäblich höllisch heiß zu machen. Mit der Wirtschaft geht es bergab, Rechte sind auf dem Vormarsch, und alles scheint in deprimierender Perspektivlosigkeit zu versinken. Hinzu kommen Kriege und Auseinandersetzungen weltweit. Es wird weiterhin von einem sinkenden Produktionsniveau, Stagnation und Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und hoher Inflation in Deutschland ausgegangen. Weltweit sieht es nicht besser aus, wie auch der ökonomische Kollaps von Halbkolonien wie Sri Lanka oder Pakistan verdeutlicht.

Wirtschaftskrise

„Schlechter war die Stimmung in diesem Punkt zuletzt im Jahr der Finanzkrise 2009“, meinte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Ende 2023. Dass direkt die Krise 2008/2009 zur Sprache kommt, ist kein Zufall. Denn die weltweite Wirtschaftskrise, die wir immer mehr beobachten können, ist direkte Folge dieser damals nicht voll aufgelösten Krise.

Eine massive Blase auf den Hypotheken- und Hausmärkten war 2008 geplatzt, als sich  Rückzahlungsausfälle häuften. In der Folge kam es zu einer enormen globalen Profitkrise. Doch während es üblicherweise zu einer Erholung kommen kann, wenn eine Reihe an Firmen pleitegeht und es damit zu einer Vernichtung (Außerdienststellung) von ihrem fixen Kapital (z. B. Maschinen) kommt, woraufhin der Anteil an menschlicher Arbeit in der Produktion und damit die Profitraten wieder steigen, wurde diese Entwicklung 2008/9 aufgeschoben. Erreicht wurde das durch Niedrigzinspolitik, die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen und internationale Koordination. Losgetreten und befeuert durch die Coronapandemie und die Energiekrise rollt die jetzige Krise als Folge dieser Politik über uns hinweg.

Für Frauen hat schon die Pandemie nicht nur einen unfassbaren Anstieg an häuslicher Gewalt und ein Eingesperrtsein mit ihren Tätern, sondern auch überdurchschnittlich oft Entlassung und Prekarisierung bedeutet, was sie zusätzlich ökonomisch abhängiger macht, als sie es ohnehin oft sind. Hinzu kam dann noch eine heftige Mehrfachbelastung dadurch, dass Frauen einerseits besonders oft in „systemrelevanten“ Jobs und im Gesundheitssystem arbeiten, das ohnehin kaputtgespart ist und wo sie Ansteckung noch mehr ausgesetzt sind, und andererseits, dass durch geschlossene Kindergärten und Schulen sowie Homeoffice viel mehr Reproduktionsarbeit in den privaten Familienhaushalt und damit die Frau in eine reaktionäre Geschlechterrolle als Hausfrau gedrängt wurden. Die Rückbesinnung auf die bürgerliche Kleinfamilie wirkt sich auch durch steigende Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen aus. Viele von ihnen mussten lange Lockdowns mit queerfeindlichen und/oder gewalttätigen Familienmitgliedern verbringen und waren gezwungen, sich tief im Schrank zu verschanzen. statt frei und geoutet zu leben. Für viele trans Personen bedeutete die Krise des Gesundheitssystems noch längere Wartezeiten oder die Aussetzung von lebensrettenden Operationen und Behandlungen, während Schutz- und Therapieangebote weiterhin völlig unzureichend sind.

Wie in einem Spießroutenlauf ging es nach der Zeit der Lockdowns weiter mit Inflation und einer Krise, die sowohl von ihrem Wesen her als auch in ihren Auswirkungen weitaus umfassender ist als 2008. Für Frauen, die öfter in sozialen Bereichen, anderen schlecht bezahlten Jobs und besonders in einigen Halbkolonien überdurchschnittlich oft im informellen Sektor arbeiten, macht eine Inflation von bis zu 8,8% in Deutschland 2023 und weitaus höher in anderen Teilen der Welt schnell den Unterschied zwischen gerade noch durchkommen und hungern müssen aus. Besonders, wenn man dann noch alleine Kinder großziehen muss. Auch queere Menschen, die überdurchschnittlich oft arm, arbeitslos oder wohnungslos sind, werden besonders hart von der Krise getroffen.

Die Lösungsansätze von 2008 waren für Arbeiter:innen und gesellschaftlich Unterdrückte nicht viel besser. Doch sie jetzt einfach zu wiederholen, geht auch nicht. Die mitgeschleppten Probleme der letzten Krise machen das unmöglich. Die Nullzinspolitik ist erschöpft, Quantitative Easing hat zu viele Nebenwirkungen, die Kosten sind nicht komplett auf Arbeiter:innen abwälzbar und die internationale Konkurrenz, entgegenstehende Kapitalinteressen und daraus entstehende militärische Konflikte verhindern internationale Koordinierung.

Geopolitische Lage

Solche politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konflikte können wir gerade in großem Ausmaß an vielen Stellen beobachten – seien es der Handelskrieg zwischen China und den USA, der Genozid gegen die Palästinenser:innen oder der immer noch andauernde Ukrainekrieg. Als Folge von unsicheren Produktions- und Handelsketten durch die Pandemie und die globale Rezession verlagern die imperialistischen Zentren wichtige Industrien des nationalen Kapitals immer mehr in ihre eigenen Einflusszonen zurück und betreiben so eine Politik des „Reshoring“.  Das sehen wir beispielsweise an der Wiedereinführung von Zollschranken oder den Versuchen Chinas, eigene Alternativen zu dem internationalen Zahlungssystem SWIFT zu etablieren. Dieses Reshoring äußert sich auch in vermehrter imperialistischer Blockbildung. In einer Welt, in der jede Ressource und jedes Fleckchen schon von irgendwem/r kontrolliert wird, versuchen einzelne Kapitalfraktionen verzweifelt, während der Rezession ihren Einfluss zu behalten oder auszuweiten, um sich ihren Platz in der internationalen Konkurrenz zu sichern. Zunehmend nimmt dieser Kampf um die Neuaufteilung der Welt militärische Formen an.

Doch viele dieser Kriege sind geopolitische Konflikte von Imperialist:innen, bei denen für Arbeiter:innen nie was drin ist. Von welchem Imperialismus sie unterdrückt und ausgebeutet werden, macht kaum einen Unterschied. Für sie bedeutet Krieg die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage, oft Nahrungsmittelknappheit, noch mehr Ausbeutung und, sich für fremde Interessen erschießen zu lassen.  Doch auf Frauen und queere Menschen haben auch Krieg und Flucht oft noch extremere Auswirkungen. Darum gilt es, besonders Kämpfe gegen nationale Unterdrückung wie in Kurdistan oder Palästina zu antiimperialistischen, revolutionären Befreiungskämpfen auszuweiten, in denen Frauen eine führende Rolle für ihre eigene Befreiung einnehmen.

Solange Frauen nicht in einem Befreiungs- oder Bürger:innenkrieg auf der fortschrittlichen Seite eine führende und aktive Rolle spielen (z. B. Rojava) wird sich ihre bestehende sexistische Unterdrückung nicht auflösen lassen. Neben einer allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen kommt es in Kriegssituationen oft zu einem enormen Anstieg an Gewalt gegen Frauen und queere Menschen. Besonders Vergewaltigungen als massenhaft angewendete, verbrecherische Kriegstaktik, um einer ganzen Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe nachhaltig zu schaden, kommt fern von jeden Beteuerungen über Menschenrechte und Schutz der Zivilbevölkerung oft vor (z. B. Ruanda 1994, Nanking 1937, Bosnien und Herzegowina 1992 – 1995). Konsequenzen hat das für die meisten Täter nicht, obwohl die UNO (erst) 2008 in einer Resolution zu einem sofortigen Stopp von sexueller Gewalt in der Kriegsführung aufrief. In dem UNO-Bericht dazu von 2023 wurde festgehalten, dass diese Verbrechen weiter eine relevante Rolle in der Kriegsführung spielen, im Kontext sich zuspitzender Konflikte sogar zugenommen haben, sie weiterhin auch von UNO-Soldat:innen ausgeübt werden und nach wie vor die meisten Taten unbestraft bleiben. Noch extremer als während Corona trifft auch der Zusammenbruch des Gesundheitswesens im Krieg Frauen und LGBTQ+-Menschen besonders stark, nicht nur weil sie häufig in diesem Bereich arbeiten. Oft gehen die Zahlen von Geburtensterblichkeit drastisch in die Höhe. Dazu kommt, dass eine Frühwitwenschaft durch Krieg die ohnehin bestehende Altersarmut von Frauen verstärkt. Auch werden im Krieg oft Kinderbetreuung, Bildung oder Sozialdienste ausgesetzt, wodurch Frauen mit noch mehr unbezahlter Reproduktionsarbeit zurückgelassen werden als sonst.

Doch nicht nur die zuhause Gebliebenen haben es schwer, auch auf der Flucht zeigt sich sexuelle Unterdrückung gegen Frauen und queere Menschen. Etwa die Hälfte der über 27 Mio. Menschen, die gerade auf der Flucht sind, sind Frauen. Auch hier erfahren sie häufig sexuelle Gewalt und tragen Verantwortung für Kinder und Familien. Auch queere Menschen erfahren oft Gewalt auf der Flucht. Die auch nur unzureichenden Schutzversuche der UNO für geflüchtete Frauen wie die Einrichtung von geschlechtergetrennten Sanitäranlagen bieten diesen Menschen dabei keinerlei Schutz. Und wenn sie ein sicheres Land erreichen, werden Verfolgungen aufgrund sexueller Orientierung oder des Geschlechts oft de facto nicht anerkannt.

Rechtsruck

Doch auch abgesehen von spezifischer Unterdrückung wird die Situation für Geflüchtete ja immer schlechter. Die AfD in Deutschland würde am liebsten wieder die Rassentheorie auspacken und nicht nur Geflüchtete, sondern gerne gleich alle, die kein „reines, deutsches Blut“ haben, abschieben. Schweden erlässt ein Gesetz, nach dem alle im sozialen Bereich Arbeitenden gezwungen sind, Menschen ohne Papiere, die ihre Hilfe aufsuchen, an den Staat zu melden. Die EU schafft fröhlich das Asylrecht nach und nach ab und verweigert Geflüchteten Grundrechte. Es scheint, als gäbe es keine Ecke mehr auf der Welt, aus der nicht Meldungen über neue rechte Regierungen oder rassistische Gesetzgebungen kommen. Analog zu der Wirtschaftspolitik des Reshorings und der Blockbildung greift auf ideologischer Ebene eine neue Welle des Nationalismus um sich. Wir erleben eine allgemeine Entwicklung nach rechts, die sich aus der Schwäche der Linken und der Wirtschaftskrise speist. Die Krise führt zu Abstiegsängsten beim Kleinbürger:innentum und zur Prekarisierung vieler Arbeiter:innen. Mangels irgendeiner fortschrittlichen Perspektive wenden sie sich zum Teil an Rechte, die versprechen, das Gefühl, es gäbe zu wenig, damit zu beantworten, dass halt noch weniger geteilt wird (was faktisch Rassismus und Umverteilung nach oben bedeutet). Auch das binnenmarktorientierte Kapital wendet sich den Rechten zu, die ihre Interessen viel eher vertreten als die der Kleinbürger:innen oder gar Arbeiter:innen.

Es ist also kein Zufall, dass AfD, Sverigedemokraterna (rechte Regierungspartei in Schweden) oder die Fratelli d’Italia gerade jetzt so stark sind. Und es ist auch kein Zufall, dass die Rechten in Italien Mussolinis alte Parole „Dio, patria, famiglia“ (Gott, Vaterland, Familie) wieder aufwerfen oder die AfD dafür ist, dass Kinder die ersten drei Jahre zu Hause von der Mutter betreut werden, während sie gleichgeschlechtlichen Paaren gerne Kinderkriegen und Heiraten verbieten würde.

Reproduktionsarbeit

Es ist kein Wunder, dass Krise und Rechtruck mit einer Rückbesinnung auf die bürgerliche Kleinfamilie und damit Angriffen auf die Rechte von queeren Menschen (siehe Transfeindlichkeit, besonders in den USA, Russland, Großbritannien …) und von Frauen (z. B. Kürzungen von Geldern für Frauenhäuser, Abtreibungsrecht) einhergehen. Denn die bürgerliche Kleinfamilie ist der Ort, an dem im Kapitalismus die Arbeitskraft reproduziert wird. Wer morgens brav zur Arbeit erscheinen soll, wurde irgendwann geboren, erzogen und hat Bildung erfahren, braucht einen vollen Magen, eine saubere Wohnung, in der sie/er leben und schlafen kann, gewaschene Klamotten etc. Und wer putzt die Wohnung, erzieht die Kinder, kocht Essen, geht einkaufen, wäscht Geschirr und Kleidung? Frauen wenden im Durchschnitt in Deutschland 52,4 % mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf (bei 34-Jährigen sind es sogar 110,6 %). Ganz schön praktisch für die Kapitalist:innen, die dadurch nicht für die Reproduktionsarbeit verantwortlich sind und mehr Profite machen können. Ideologien wie die Erzählung von der perfekten Hausfrau und dem umsorgenden weiblichen Wesen halten diese Arbeitsteilung (bzw. Mehrarbeit der Frauen) genauso aufrecht wie Regelungen wie z. B. die Bedarfsgemeinschaft für den Empfang von Sozialleistungen oder Ehegattensplitting. Und besonders in einer Krise gilt es für die Kapitalist:innen, Arbeitskraft so billig wie möglich, bestenfalls kostenlos zu mobilisieren. Sexistische Erzählungen kommen darum in Krisenzeiten oft mehr auf und rechtfertigen die unbezahlte Hausarbeit und das Abschieben von Frauen in prekäre Arbeitsverhältnisse. In Deutschland arbeitet momentan fast die Hälfte aller Frauen in Teilzeit (bei Männern sind es 12,7 %). In den fünf schlechtest bezahlenden Branchen arbeiten auch überdurchschnittlich viele Frauen, beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel mit über 80 %. Von ihnen wird erwartet, dass sie den Haushalt schmeißen, während sie gleichzeitig der Lohnarbeit nachgehen  müssen, um sich über Wasser zu halten. Die Familie als ökonomische Instanz wird so immer unattraktiver. Das möchten die Rechten gerne ändern. Allerdings nicht, indem sie Hausarbeit vergesellschaften und damit Frauen von dieser Doppelbelastung befreien. Außerdem sollen alle staatlichen Unterstützungen bitte nur für „klassische“ Familienmodelle (á la eine deutsche Mutter, ein deutscher Vater und deren leibliche Kinder) zur Verfügung stehen.

 Doch dieses Beharren auf sexistischen Erzählungen und der bürgerlichen Kleinfamilie, in der die Frau abhängig vom Mann ist, ist gefährlich. Zum einen sind da die Mehrbelastung, die ökonomische Abhängigkeit, die mit der Krise noch steigt, und fehlende Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie die sexuelle Gewalt. Aber da hört es nicht auf. Frauen werden täglich ermordet, einfach weil sie Frauen sind. Parallel zum Anwachsen sexistischer Ideologien ist auch die Zahl an Femiziden in den letzten Jahren immer noch erschreckend hoch. Mehr als 135 Frauen sind es weltweit täglich, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, zumal diese Statistik nur von Morden in der Familie oder Partner:innenschaften ausgeht. In Deutschland wird etwa jeden dritten Tag ein Mädchen oder eine Frau in einem Femizid ermordet. 2022 wurden so viele Frauen in einem Jahr ermordet wie noch nie. Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen es regelmäßig sogar mehr ermordete Frauen als Männer gibt. Mehr als 70 % dieser Morde werden von (Ex-)Partnern begangen. Und auch in Ländern, in denen die allgemeine Mordrate sinkt, bleibt die Zahl der Femizide laut den (sehr unzureichenden) Studien relativ konstant. Neben den schon genannten Gründen, die aus Krise und Rechtsruck erwachsen, kommt hier noch dazu, dass die Krise auch die gesellschaftliche Position der Männer angreift. Viele können ihre zugeteilte Rolle als Ernährer und Familienoberhaupt nicht mehr spielen. Die ökonomische Abhängigkeit wächst und für Frauen und queere Menschen wird es sehr schwierig, den unter diesem Druck oft missbräuchlichen Familien- oder Beziehungsverhältnissen zu entfliehen.

Perspektive

So weit, so deprimierend. Doch all diese Umstände sind mehr als nur traurige Fakten. Uns als Revolutionär:innen zeigen sie Zusammenhänge auf, die wir zu ihrer Bekämpfung unbedingt verstehen müssen. Sie zeigen uns, dass wir wahrhaftig am Anfang einer „Zeitenwende“ stehen, wie Scholz es einmal ausdrückte. Und dass es an uns ist, dafür zu sorgen, dass sich die Zeit im Sinne der Arbeiter:innen, der Frauen, queeren Menschen, rassistisch Unterdrückten und all jenen wendet, die keinerlei Interesse am Fortbestehen des Kapitalismus und seiner Krisen haben. Gerade in solch umfassenden Krisen besteht im Rahmen des Möglichen unsere Pflicht und Aufgabe darin, dem voranschreitenden Rechtsruck und den drängenden Fragen und Problemen unserer Zeit eine fortschrittliche, linke Antwort auf die Krise entgegenzustellen.

Das bedeutet, Bewegungen gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen aufzubauen und sowohl Forderungen gegen die Unterdrückung von Frauen und queeren Menschen (z. B. Vergesellschaftung der Hausarbeit) als auch gegen Rassismus (z. B. offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle) aufzuwerfen und miteinander zu verknüpfen. Das bedeutet, dass wir demokratisch legitimierte Selbstschutzorgane aus der Arbeiter:innenbewegung brauchen, die sich gegen Sexismus und Rassismus sowie rechten Angriffen entgegenstellen können. Das bedeutet, dass Frauen und queere Menschen eine führende Rolle im Kampf um ihre eigene Befreiung einnehmen und gleichzeitig verstehen müssen, dass unsere vollständige Befreiung im Widerspruch zu den Interessen des Kapitalismus steht, alle unsere Kämpfe sich deshalb gegen diese Wurzel unserer Unterdrückung richten müssen. Und vor allem bedeutet das auch, den Imperialismus und seine Krisen als globales Phänomen zu betrachten, auf das es nur internationale Antworten geben kann. In jeder Bewegung gegen Krise, Krieg und Blockbildung müssen wir dabei für einen internationalistischen und antiimperialistischen Charakter eintreten. Jeden Konflikt, der einen fortschrittlichen Charakter trägt, etwa die Verteidigung Rojavas, die Befreiung Palästinas oder den Sturz des iranischen Regimes gilt es, in einen revolutionären Kampf gegen die „eigene“ Bourgeoisie und den Imperialismus zu verwandeln, in dem Frauen und LGBTQ+-Personen ihre Entrechtung beenden und Perspektiven für ein befreites Leben aufwerfen können. Im selben Atemzug gilt es, die Organe und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unter Druck zu setzen und gegen die Krise zu mobilisieren: Vor allem die Gewerkschaften müssen sich gegen eine Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen stellen und fordern, dass stattdessen die Reichen zur Kasse gebeten werden. Es ist unsere Aufgabe als Revolutionär:innen, diese Forderungen und Perspektiven in die aktuellen sozialen Kämpfe zu tragen und gemeinsam für eine Welt ohne kapitalistische Krisen und Ausbeutung zu kämpfen.




Altersarmut von Frauen in Deutschland

Helga Müller (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 10, März 2022

Der Armutsbericht 2021 des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes macht deutlich, dass die Pandemie die Armutsquote in Deutschland nach oben getrieben hat: Insgesamt 16,1 % oder 13,4 Millionen Menschen waren 2020 von Armut betroffen. Seit 2006 – mit einer Quote von 14 % – ist ein stetiger Aufwärtstrend in Deutschland auszumachen. Und das in einer der reichsten Industrienationen der Welt. Die soziale Ungleichheit vertieft sich auch hier: 10 % der Reichsten in Deutschland verfügen über 67 % des Nettogesamtvermögens. (https://www.deutschlandfunkkultur.de/armut-in-deutschland-die-soziale-ungerechtigkeit-waechst-100.html). Sozialwissenschaftler:innen sprechen von einer relativen Armut in Deutschland, die nach EU-Standard so definiert ist: Als Arm gelten Menschen, die über weniger als 60 % des mittleren Einkommens verfügen. (nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/armut-in-deutschland-die-soziale-ungerechtigkeit-waechst-100.html)

Nach Meinung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes wäre die Armutsquote während der Pandemie noch schneller in die Höhe geschossen, hätte die Große Koalition nicht Maßnahmen wie die Verlängerung und Aufstockung des Kurzarbeitergeldes oder des Arbeitslosengeldes I ergriffen.

Unter Erwerbstätigen – vor allem bei den Selbstständigen – hat die Einkommensarmut auf derzeit 53 % zugenommen. Wie in den letzten Jahren tragen auch 2021 vor allem Alleinerziehende und kinderreiche Paarhaushalte das höchste Armutsrisiko. Unter den Armen sind besonders Rentner:innen und Pensionär:innen mit 17,6 % überproportional betroffen. Bis zum Jahr 2013 spielte Altersarmut dagegen statistisch gesehen nur eine untergeordnete Rolle.

Wenn man Armut nach Geschlechtern auswertet, dann wird deutlich, dass vor allem unter Frauen (16,9 %) eine höhere als unter Männern (15,3 %) herrscht, besonders bei den Älteren ab 65 Jahren. Dies ist gegenüber 2019 nochmal eine Steigerung um 1 Prozentpunkt. Selbst der Armutsbericht kommt zu dem Ergebnis „Die Altersarmut ist damit überwiegend weiblich.“ (alle Zahlen nach: Armutsbericht 2021)

Die Gründe dafür, dass vor allem Frauen von (Alters-)Armut betroffen sind, sind vielfältig, aber auch Politiker:innen der Ampelkoalition bekannt und haben sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Die Vorhaben im Koalitionspapier werden zur Linderung nicht viel beitragen, sofern sie überhaupt umgesetzt werden. Alle sozialen Maßnahmen stehen ja bekanntlich unter dem Vorbehalt der Wiedereinführung der Schuldenbremse und keinerlei zusätzlichem Einkommen durch Steuererhöhungen – vor allem für die Superreichen und großen Konzerne, die auch während der Pandemie einen guten Schnitt gemacht haben. Hier konnte sich die FDP voll durchsetzen:

  • Alleinerziehende – dies sind nach wir vor vor allem Frauen – stehen oft gar nicht in Lohnarbeit und sind auf Hartz IV angewiesen, dessen Regelsatz zu einem existenzsichernden Leben nicht ausreicht. Wenn sie arbeiten, müssen sie aufgrund der nicht ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten oft genug auf Teilzeitjobs oder gar Mini- oder Midijobs zurückgreifen. Mitte 2020 übten 4,1 Millionen Frauen und 2,9 Millionen Männer einen Minijob aus. (https://www.aerztezeitung.de/Panorama/Jede-vierte-Frau-arbeitet-im-Niedriglohnsektor-417694.html). Die Umbenennung von Hartz IV in Bürgergeld im Koalitionsvertrag, ohne kräftige Erhöhung des Regelsatzes und Abschaffung der Sanktionen ist – wie der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen in seinem Statement zum Armutsbericht sagt – nur eine Mogelpackung. Zu den Mini- oder Midijobs steht im Koalitionspapier lediglich, dass verhindert werden soll, dass reguläre Arbeitsverhältnisse in solche umgewandelt werden. Aber wie das konkret geschehen soll, bleibt unerwähnt.
  • Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer. Der Gender Pay Gap liegt 2020 lt. Statistischem Bundesamt noch bei 18 % (https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/gender-pay-gap.html). Auch daran wird die Ampelkoalition nichts ändern. Das Einzige, was dazu im Koalitionspapier steht, ist, dass das Entgelttransparenzgesetz – das nur einen Auskunftsanspruch gegenüber dem/r Arbeit„geber“In zu den Gehaltskriterien einer Tätigkeit beinhaltet – weiterentwickelt und die Durchsetzung gestärkt werden soll.
  • Wenn Frauen auf Teilzeit angewiesen sind, ist dies oft unfreiwillig und reicht nicht für ein selbstständiges, existenzsicherndes Leben. Vor allem aber wirkt sich dies negativ auf die Altersrente aus. Im Koalitionsvertrag wird hierzu nur Bezug auf Mini- und Midijobs genommen, die nicht zur Teilzeitfalle für Frauen werden sollen. Wie, bleibt auch hier offen.
  • Mehr Frauen als Männer arbeiten im Niedriglohnsektor: Ende 2019 rund 25,8 %. Bei Männern hingegen liegt der Niedriglohnanteil nur bei 15,5 % (Zahlen nach: Bundesagentur für Arbeit, in: Ärztezeitung vom 7.3.2021, s.o.). Viele von ihnen sind entweder auf einen Zweitjob angewiesen oder gehören zu den sogenannten Aufstocker:innen. Die im Koalitionspapier angekündigte Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro, die am 1. Oktober kommen soll, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Sie wird aber nicht ausreichen, um Frauen aus dieser Armutsfalle herauszuholen.
  • Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – vor allem Frauen arbeiten in sogenannten sozialen Berufen wie Pflege, Erziehung u. ä. – spiegelt sich auch in einem geringerem Gehalt wider. Auch die aktuellen Tarifabschlüsse dienen nicht dazu, dort eine angemessene Bezahlung zu ermöglichen. Außer allgemeinen Floskeln, dass die Löhne für Pflegekräfte verbessert werden sowie die Zuschläge und Prämien (bis 3.000 Euro) steuerfrei sein sollen, steht dazu nichts im Koalitionsvertrag.
  • Unterbrechung der Arbeit aufgrund der Versorgung von Kindern oder zu pflegenden Angehörigen, was in den meisten Fällen von Frauen geleistet wird – oft schon allein deswegen, weil sie in der Regel weniger verdienen als ihre Männer –, bedeutet weniger Rentenanspruch. Im Koalitionsvertrag steht dazu, dass haushaltsnahe Dienstleistungen gefördert werden sollen und Brückenteilzeit in Zukunft mehr in Anspruch genommen werden kann. Das ist sicherlich etwas, dass dazu beitragen kann, Familie und Beruf besser zu vereinbaren, wird aber nichts Grundlegendes verändern.
  • Hinzugekommen ist eine gestiegene Arbeitslosenquote während der Pandemie, welche das Altersarmutsrisiko von Frauen noch weiter erhöhen wird. Dabei stieg sie im Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021 bei Frauen mit 5,7 % stärker als bei Männern (1,8 %). (s.: Ärztezeitung vom 7.3.2021).

Vor diesem Hintergrund ist es mehr als zynisch, was die Ampelkoalition zur „Sicherung“ der Renten in Zukunft vorhat. Dazu „werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen.“

D. h. nichts anderes, als dass ein Teil der Rente in Zukunft von den Finanzmärkten abhängig gemacht werden soll. Das ist ein weiterer Schritt zur Privatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung nach Einführung der Riesterrente durch die rot-grüne Koalition 2001. Diese zusätzliche „Säule“ ist alles andere als sicher und stabil. Zudem weiß niemand, wann angesichts der zunehmend instabilen internationalen Situation es zu einem neuen Börsencrash kommen wird. Darüber hinaus werden 10 Milliarden aus dem laufenden Haushalt dafür zur Verfügung gestellt, die dann anderswo fehlen. Diese „Anschubfinanzierung“ wird nach Aussagen des Rentenexperten des DIW, Johannes Geyer, nicht ausreichen: „Man bräuchte mindestens 300 Milliarden Euro. Dann könnte man hoffen, jährlich 15 Milliarden Kapitalerträge zu erzielen, die dann an Rentner ausgeschüttet werden.“ (zit. nach: Das Renten-Versprechen und der Bluff, NEUES DEUTSCHLAND vom 21.02.22).

Es gibt keinen Grund, die Rente immer mehr vom Kapitalmarkt abhängig zu machen. Sie müsste stattdessen mit einer besseren Einzahlungsstruktur und mehr Mitteln aus dem Haushalt finanziert werden: Das Pro-Kopf-Volkseinkommen ist trotz beginnender Krise im Jahr 2019 um das Doppelte gestiegen (Die Rente könnte sicher sein, NEUES DEUTSCHLAND 25.7.2020). Auch das Steuereinkommen könnte ohne weiteres erhöht werden: Eine einmalige Vermögensabgabe mit einer Laufzeit von 10 Jahren würde 300 Milliarden Euro einbringen. Auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer bei einem Steuersatz von 1 % könnte 20 Milliarden Euro auftun (a. a. O.).

Ganz klar zeigt sich hier, dass es nicht um eine Stabilisierung der Renten geht, sondern die Unternehmer:innen weiter von solch lästigen Dingen wie Lohnnebenkosten oder höheren Kapitalsteuern zu entlasten, um deren Wettbewerbsfähigkeit in der zukünftigen, krisenhaften Entwicklung nicht zu beeinträchtigen.

Es gibt jedoch Systeme, in denen Rentner:innen mehr erhalten und besser vor Altersarmut geschützt sind. Das bekannteste ist wohl Österreich: Die im Jahr 2018 in Ruhestand gegangenen Menschen erhielten hier ca. 1.700 Euro im Monat – in Deutschland waren das nur 1.000 (Zahlen nach Sozialwissenschaftler Florian Blank; in: Geteilter Genuss, NEUES DEUTSCHLAND vom 25.07.20). Das ist ein Unterschied von 70 %. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt fließt in Österreich mehr öffentliches Geld in Renten und Pensionen. Die Rentenbeiträge liegen seit Jahrzehnten stabil bei 22,5 %, 12,5 % davon zahlen die Arbeit„geber“:innen. Ein anderer entscheidender Grund ist, dass fast alle Erwerbstätigen einschließlich der Selbstständigen (außer den Beamt:innen) verpflichtend in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind. (a. a. O.) Aber auch in Österreich gibt es einen großen geschlechtsspezifischen Unterschied. Zudem ist auch hier damit zu rechnen, dass eine neoliberale Politik versuchen wird, diese Kosten zugunsten der Kapitalist:innen zu reduzieren.

Was wir brauchen, um Altersarmut zu verhindern:

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt!
  • Mindesteinkommen von 1.600 Euro/Monat für alle Arbeitslosen und Rentner:innen. Diese Regelung soll auf alle Freiberufler:innen, (Schein-)Selbstständigen, Studierende, Sexarbeiter:innen und andere ausgedehnt werden, die wegen der Pandemie ihre Dienste nicht verkaufen können!
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheits-, Krankenversorgung, Pflegeeinrichtungen und gesicherte Renten für alle Frauen!
  • Kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen!
  • Alle müssen in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen – auch Selbstständige, Beamt:innen und Parlamentarier:innen!
  • Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Umwandlung prekärer Beschäftigungsverhältnisse in tariflich gesicherte; Abschaffung der Leiharbeit und Übernahme der Leiharbeiter:innen!
  • Für ein Programm gemeinnütziger öffentlicher Arbeiten mit Vollzeitstellen und auskömmlichen Tariflöhnen für Frauen, bezahlt aus Unternehmerprofiten und Vermögensbesitz!
  • Keine Rettungspakete und keine Milliardengeschenke für die Konzerne! Die Reichen müssen zahlen! Progressive Besteuerung von privaten Vermögen und Unternehmensgewinnen zur Finanzierung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und der Sicherung der Einkommen und Renten der arbeitenden Bevölkerung! Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle, welche Löhne kürzen, Arbeitszeit verlängern oder Standorte schließen wollen!
  • Für eine verstaatlichte, einheitliche Sozialversicherung unter Arbeiter:innenkontrolle (Gesetzliche Krankenversicherung, Bundesanstalt für Arbeit, Rentenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosen- und Sozialhilfe), finanziert durch eine progressive Besteuerung!
  • Für kommunale, regionale, bundesweite und internationale Selbstverwaltung der Einheitsversicherung durch die Versicherten! Unternehmer:innen raus aus den Aufsichtsräten der Sozialversicherungen! Weg mit jeder Einmischung des bürgerlichen Staats!

Um dies zu erreichen, ist der Aufbau einer Einheitsfront der gesamten Arbeiter:innenklasse, einschließlich aller Arbeitslosen und Rentner:innen, notwendig. Der Kampf gegen Altersarmut muss mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft werden.




Frauen, Kapitalismus, Pandemie

Katharina Wagner, Neue Internationale 260, November 2021

Frauen sind die großen Verliererinnen in der Pandemie. Dieser Satz gilt aber nicht nur für Deutschland oder Europa, sondern weltweit. Ihre Situation hat sich in vielen Bereichen, beruflich wie privat, im Zuge der Pandemie und damit einhergehender Maßnahmen deutlich verschlechtert.

Aktuelle Situation weltweit

Die Lage ist trotz der Konjunkturpakete der reichen, imperialistischen Staaten in vielen Ländern, gerade unter den ärmsten, weiter von einer weltweiten Wirtschaftskrise gekennzeichnet, die 2020 den gesamten Globus ergriff. Sie wurde zwar nicht durch die Pandemie verursacht, aber von ihr deutlich verstärkt.

In deren Gefolge wurden viele der ohnedies schon viel zu geringen Maßnahmen der weltweiten Armutsbekämpfung zerstört und zurückgenommen. Eine zunehmende globale Verschuldung sowie eine Zuspitzung imperialistischer Konflikte sind weitere Begleiterscheinungen dieser Krise. Auch hier sind Frauen wieder einmal auf besondere und vielfältige Weise deutlich stärker betroffen.

Der Verlust von Verdienstmöglichkeiten, eine starke Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt sowie eine stärkere Belastung durch Sorgearbeit innerhalb des Haushalts und der Familie – das sind nur die Hauptaspekte, mit denen Frauen in der derzeitigen Situation wohl am meisten zu kämpfen haben. Diese negativen Folgen für sie sind nicht neu, wurden aber während der Pandemie nochmals drastisch verschärft.

Im Zuge der Maßnahmen zu deren Eindämmung wurden teilweise ganze Branchen wie die Gastronomie oder andere Dienstleistungsbereiche stark heruntergefahren oder sogar zeitweise ganz geschlossen. Dies betraf vor allem Frauen, da deren Anteil in diesen Berufen doch überdurchschnittlich hoch ist. In Deutschland beispielsweise beträgt dieser rund 64 %.

Konnten die finanziellen Einbußen mithilfe des Kurzarbeitergeldes in reichen Industriestaaten wie Deutschland zumindest abgemildert und Entlassungen vorerst verhindert werden, haben die meisten globalen Beschäftigten keinerlei Zugang zu solchen staatlichen Hilfen. Frauen sind weltweit deutlich häufiger von Entlassungen betroffen als Männer, auch weil sie überdurchschnittlich im sogenannten informellen Sektor beschäftigt sind. Im südlichen Afrika etwa arbeiten rund 92 % aller weiblichen Erwerbstätigen ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen wie Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung bei Krankheit.

Covid-19

Ein weiterer wichtiger Beschäftigungssektor für Frauen ist der Gesundheits- und Sozialbereich, hier beträgt ihr Anteil in der Pflege weltweit rund 70 %. Demgegenüber steht allerdings ihre relativ niedrige Quote von 30 % in der ÄrztInnenschaft.

Dieser Umstand spiegelt sich auch sehr gut in den Infektionszahlen für Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitsbereich wider, sind diese doch aufgrund der Tätigkeit selbst einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt – nicht zuletzt auch aufgrund schlechtem oder ungenügendem Zugang zu Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln sowie einer enormen Arbeitsbelastung. In Spanien hatten sich während der Pandemie bisher dreimal so viele weibliche Pflegekräfte mit COVID-19 angesteckt wie männliche Beschäftigte in diesem Bereich.

Hinzu kommen die weiterhin beträchtlichen Lohnunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Erwerbstätigen, größtenteils bedingt durch die deutlich geringeren Verdienste in den oben genannten Bereichen im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren. Laut dem WEF (World Economy Forum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden, bei den Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Und auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat. Weiterhin gibt es Schätzungen des WEF, dass beim derzeitigen Tempo der „Angleichung“ vermutlich erst in 257 Jahren Lohngleichheit erreicht sein könnte. In weiterer Folge bedeutet dies natürlich auch in Bezug auf die Rente eine deutlich schlechtere Ausgangslage, vielen Frauen droht daher Altersarmut.

Auch im privaten Umfeld hat die Pandemie die Situation vieler Frauen teilweise dramatisch verschlechtert. Bereits im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 konnte eine starke Zunahme häuslicher und sexueller Gewalt gegenüber Frauen und Kindern festgestellt werden. Tatsächlich wird statistisch gesehen jede dritte Frau weltweit Opfer von Gewalt und auch die Anzahl tödlicher Delikte gegen Frauen (Femizide) verzeichnet einen Anstieg von bis zu 23 %, wie Zahlen aus verschiedenen Ländern belegen. Obwohl zahlreiche, darunter auch Deutschland, die Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) unterzeichnet haben, werden selbst die dort festgehaltenen Beschlüsse meist nicht vollständig umgesetzt. So fehlte es bereits vor der Pandemie vielerorts an ausreichend vorhandenen Schutzräumen und leicht zu erreichenden Hilfsangeboten für betroffene Frauen.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die Ursachen dieser Verschlechterungen müssen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betrachtet werden, bei der die Frau auf die Tätigkeit in der sogenannten Reproduktionsarbeit fixiert ist, das heißt auf Aufgaben zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens wie Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen oder die Hausarbeit im privaten Umfeld. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um unbezahlte und aus Sicht des Kapitals unproduktive Arbeit, da sie meist keinen Mehrwert generiert. Demgegenüber übernimmt der Mann die produktiven, also Mehrwert generierenden Arbeiten. Mit Entstehung der bürgerlichen Familie als Norm, welche sowohl ideologisch als auch repressiv gegenüber anderen modernen Formen durchgesetzt und verteidigt wird, reproduziert sich die eben angesprochene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute.

Der Kapitalismus hat sich diese lange vorher existierende Arbeitsteilung zunutze gemacht, in dem der Mann einen sogenannten „Familienlohn“ erhält und die Frau quasi als „Zuverdienerin“ das familiäre Haushaltsvermögen aufstockt. Dies erklärt den weiterhin herrschenden Lohnunterschied (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen. Global betrachtet stimmt dieses Modell zwar schon lange nicht mehr mit der Realität überein, denn in vielen Fällen ist sogar die Frau mittlerweile die Hauptverdienerin und ein Lohn oft nicht ausreichend, um das Überleben der Familie zu sichern. Dennoch trägt auch dieser Umstand weiterhin zur Festigung der bürgerlichen Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bei.

Reserve

Eine weitere Folge letzterer ist die stärkere Betroffenheit von Frauen in Krisenzeiten wie in der derzeit herrschenden Pandemie. Frauen wurden stets von Seiten der KapitalistInnen als sogenannte Reservearmee angesehen, welche in konjunkturell starken Phasen eingestellt und in Krisenzeiten rasch wieder entlassen werden können. In diesen werden zudem die sogenannten Reproduktionsarbeiten aus Gründen der Kostenersparnis sehr gerne zurück ins private und nicht entlohnte Umfeld ausgelagert. Dies bedeutet für viele Frauen eine stärkere Doppelbelastung aus Erwerbs- und Carearbeit, tragen doch sie die Hauptlast der Reproduktionsarbeit. Hinzu kommt eine (stärkere) finanzielle Abhängigkeit vom männlichen Partner, was Betroffenen von Gewalt ein Beenden der Partnerschaft häufig unmöglich macht. Dieser Rollback konnte auch in der derzeitigen Pandemie beobachtet werden.

Schließlich profitiert das Kapital selbst von Spaltungen wie jener zwischen Mann und Frau und nutzt diese zu seinen Gunsten. Es ist daher auch kein Zufall, dass vor allem Frauen aus der ArbeiterInnenklasse und der Bauern-/Bäuerinnenschaft besonders unter den Pandemiefolgen leiden. Daher darf diese Thematik nicht unabhängig vom kapitalistischen Gesamtsystem betrachtet werden, sondern muss mit der Klassenfrage und dem Kampf gegen es verknüpft werden. Denn aus Sicht von MarxistInnen handelt es sich beim Kapitalismus nicht nur um ein Produktions-, sondern um ein gesellschaftliches System, welches alle Lebensbereiche sowie unser Denken und Handeln beeinflusst und formt. Nicht zuletzt wird dies deutlich durch die gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlechterrollen, die anerzogen werden und sich dadurch weiter reproduzieren.

Wofür kämpfen?

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung muss international organisiert und mit der Klassenfrage und dem Kampf gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Auch wenn sich die Situationen von Frauen in verschiedenen Ländern teilweise deutlich unterscheiden, müssen wir global einige gemeinsame Forderungen aufstellen.

Um die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen abzubauen, muss die Forderung nach einem Mindestlohn sowie eine vollständige Abschaffung des informellen Sektors auf die Tagesordnung gesetzt werden. Auch prekäre Arbeitsverhältnisse müssen durch die Einführung von tariflichen Löhnen verschwinden. Dabei müssen die Kontrolle über deren Umsetzung und die Festlegung von Gehältern in die Hände der ArbeiterInnenklasse und der Gewerkschaften gelegt werden. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Forderung, keine Entlassungen zu akzeptieren und während der Schließung ganzer Wirtschaftsbereiche für eine vollständige Auszahlung der Gehälter einzutreten. Diese Auseinandersetzungen müssen wir darüber hinaus mit dem Kampf für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten verbinden: den Ausbau von Kitas, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, des Gesundheitssystems, einer Altersvorsorge für alle usw. unterstützen. Ein solches muss von den Profiten der Unternehmen bezahlt und von den ArbeiterInnen kontrolliert werden.

Um Frauen vor Unterdrückung und Diskriminierung zu schützen, bedarf es des Rechts auf eigene Treffen, sogenannte Caucuse, in allen Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Nur so ist gewährleistet, dass sie im Kampf für vollständige Frauenbefreiung und gegen den Kapitalismus eine Schlüsselrolle einnehmen und aktiv gegen Sexismus, Chauvinismus und rechtliche Benachteiligung vorgehen können. Um ihnen eine aktive Beteiligung an politischen Kämpfen zu ermöglichen, ist neben einer massiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auch eine Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit notwendig. Nur so können die Doppelbelastung aufgehoben und Arbeiten des täglichen Lebens auf viele Schultern verteilt werden. Statt Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich sind massive Investitionen für den Ausbau von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie öffentlichen Gesundheitssystemen und Kultureinrichtungen einzufordern. Nur so ist es möglich, den herrschenden Rollback zu Ungunsten der Frauen und jungen Mädchen umzukehren.

Frauenbewegung

Zum Schutz von Frauen vor physischer und sexualisierter Gewalt müssen dringend die zur Verfügung stehenden Schutzräume massiv ausgebaut und Selbstverteidigungsorgane innerhalb der ArbeiterInnenklasse aufgebaut werden. Ebenso ist es wichtig, die Forderung nach rechtlicher Gleichheit und einem Scheidungsrecht, welches Frauen nicht benachteiligt, aufzustellen.

Der Kampf gegen die Folgen von Pandemie und Krise, von denen die lohnabhängigen Frauen besonders hart getroffen werden, hat aber auch zu vielen Abwehrkämpfen und Bewegungen geführt, wo Arbeiterinnen an vorderster Front stehen. Diese zeigen, dass Frauen nicht in erster Linie Opfer und Betroffene, sondern vor allem Kämpferinnen sind. Die Frauen*streiks der letzten Jahre, die Bewegungen im Gesundheitssektor und Frauen, die in Afghanistan unter extremen Bedingungen ihre Rechte verteidigen – sie alle zeigen, dass vor unseren Augen auch die Basis für eine neue internationale proletarische Frauenbewegung entsteht.

Lasst uns gemeinsam für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine vollständige Frauenbefreiung kämpfen! Für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung!




Frauen und Krise – Great crisis rises up

Leonie Schmidt, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Welt ist in Aufruhr. In vielen Ländern wie zum Beispiel
in Chile, im Libanon oder im Irak existieren Volksbewegungen, die sich
Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse oder korrupten Regierungen widersetzen.
Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt sich und die
Angst vor einer erneuten weltweiten Rezession steigt an. Des Weiteren steigen
die Spannungen zwischen großen imperialistischen Mächten wie, besonders
zwischen den USA und China, und drücken sich durch Schutzzölle auf Stahlteile
und Einzelteile für Smartphones etc. aus.

 Politisch-ökonomische Weltlage

2019 befand sich die Weltwirtschaft kurz vor einer Phase der
Rezession. Rückgang bzw. Stagnation des Profits im Vergleich zu vorherigen
Jahren waren allgegenwärtig. Nur wenige Branchen schafften es, eine
Profitsteigerung zu erzielen. 11 Jahre seit Ende des letzten globalen
Wirtschaftsabschwungs 2008 deutet eine Kombination von Faktoren wie
stagnierende oder sinkende Profite, schwache oder rückläufige
Investitionstätigkeit in Kapitalausrüstung, zunehmende Firmenverschuldung,
Protektionismus und Handelskriege darauf hin, dass ein erneuter
Konjunktureinbruch nicht mehr fern ist.

Besonders hart traf es das verarbeitende Gewerbe
(Baugewerbe, Industrie und Handwerk) deren Geschäftsmanagerindex (PMI) weltweit
unter 50 fiel. Dieser gilt als Schwellenwert zwischen Expansion und
Kontraktion. In Deutschland lag dieser bei 40, in den USA und China knapp über
50. Der Dienstleistungssektor hingegen schaffte es, weiterhin seinen Profit zu
steigern. So verhalf dieser Griechenland, das BIP immerhin um 2 % zu
steigern. Laut Analyst_Innen von JP Morgan verlangsamte sich das gesamte
Wachstum der Weltwirtschaft in 2019 aber stark, alle 10 Wirtschaftssektoren waren
davon betroffen. Des Weiteren sank die Mehrwertrate, da die Lohnkosten nicht
durch Gewinne kompensiert werden konnten.

Das Wachstum der Industrieländer als Gruppe dürfte bis 2020
auf 1,4 % sinken, was auch auf die anhaltende Schwäche des verarbeitenden
Gewerbes zurückzuführen ist. Das Wachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern
dürfte sich in diesem Jahr auf 4,1 % beschleunigen. Es wird aber nur von
einer verbesserten Leistung einer kleinen Gruppe großer Volkswirtschaften
ausgegangen, von denen einige aus einer Phase erheblicher Schwäche hervorgehen.

Etwa ein Drittel der Schwellen- und Entwicklungsländer (wir
bezeichnen diese als Halbkolonien) wird in diesem Jahr voraussichtlich
zurückfallen, da sich Exporte und Investitionen schwächer entwickeln. Es wird
erwartet, dass sich das US-Wachstum in diesem Jahr auf 1,8 % verlangsamt,
was die negativen Auswirkungen früherer Zollerhöhungen und der erhöhten
Unsicherheit widerspiegelt. Das Wachstum des Euroraums dürfte im Jahr 2020
aufgrund der schwachen industriellen Produktivität auf 1 % nach unten
fallen. Die Erwerbslosenzahlen 2019 in der EU liegen bei 16 Millionen
(6,3 %) und haben damit erst gerade das Vorkrisenniveau 2007 (7,1 %)
unterschritten Die BRD weist zwar das höchste Erwerbstätigkeitsniveau seit der
Wiedervereinigung auf), doch diese Jobs werden immer unsicherer und prekärer.

Allerdings beruhen diese Zahlen auf ungewissen Faktoren und
können sich auch noch verschlechtern, besonders relevant sind hier
Wirtschaftskriege und Spannungen oder ein stärkerer Einbruch des Profits in den
bedeutenden Volkswirtschaften, der auf andere überschwappt.

Vorhersagen

Die Vorhersagen der großen Wirtschaftsanalyst_Innen für 2020
fallen aber allesamt recht positiv aus. Zumindest soll sich die Weltwirtschaft
stabilisieren und etwas erholen, Risiken bleiben aber weiterhin vorhanden. Es
wird vom IMF mit einem Weltwirtschaftswachstum von 3,5 % gerechnet, also
einem leichten Anstieg im Gegensatz zu 2019, welcher mit 3,2 %
vorhergesagt wurde. Die Weltbank hingegen geht nur von einem Wachstum bis 2,5
 % aus.

Die mild optimistischen Vorhersagen der Analyseinstitute für
2020 berufen sich auf der negativen Entwicklungskurve der Weltwirtschaft
entgegenwirkende Faktoren. So konnte ein rezessiver Einbruch der größten
Volkswirtschaften bei Produktion und Investitionen 2019 vermieden werden – zum
Preis niedrigen BIP- und Produktivitätswachstums. Die globalen
Finanzierungskosten befinden sich auf historischem Tiefstand teils aufgrund der
Zentralbankpolitik des „billigen Geldes“ (Nullzins, Quantitative Easing), aber
auch aufgrund geringer Kreditnachfrage durch Staat und Kapital als Folge
ausbleibenden Investments. Aktien- und Wertpapiermärkte erreichen dagegen ein
ungeahntes Hoch. Die Arbeitslosenzahlen bleiben im Gegensatz zur Großen Depression
der 1930er Jahre niedrig.

Der zugrunde liegende tendenzielle Fall der Profitrate muss
über kurz oder lang die entgegenwirkenden Ursachen übertrumpfen. Der Ausbruch
einer neuen Krise wird umso sicherer erfolgen, weil die Geldpolitik darin
versagt hat, die Wachstumsraten von vor 2007 wiederherzustellen. Die letzte
Dekade sah die längste Zeit ohne Rezession, aber auch die mit dem schwächsten
Wirtschaftsaufschwung nach einer solchen. Keynesianisches Gegensteuern durch
gesteigerte Staatsinvestitionen (und –schulden) hatte bereits in den
Konjunkturkrisen zuvor versagt und wird diesmal auf die Barriere der
schwindelerregend gestiegenen Budgetverschuldung stoßen.

Handelskrieg USA-China

Die größten Sorgen bereitet den Analyst_Innen der
Handelskrieg zwischen den USA und China. Dieser war 2019 stark eskaliert und
führte zu Abstürzen auf beiden Seiten. China haben die Sanktionen und
Strafzölle auf Importwaren in die USA bereits 35 Milliarden US-Dollar gekostet.
Für die USA erhöhten sich die Produktionskosten massiv und es wurden zwar neue
Jobs in der Stahlindustrie erschaffen, wie von Trump versprochen, allerdings zu
viel schlechteren Bedingungen und für viel weniger Lohn.

Trumps Ziel war also nie, die US-amerikanische
Stahlproduktion zu stärken, sondern von Anfang an, der Konkurrenz eine Warnung
zu verpassen. Denn Chinas Wirtschaft ist in den letzten Jahren massiv gewachsen
und stellt die größte Gefahr dar. Gerade im Bereich von IT und Hochtechnologien
ist es Vorreiter und mit vielen anderen Wirtschaften vernetzt. So lag Chinas
Wirtschaftswachstum 2018 bei 6, 57 %, das der USA nur bei 2,93 %. Berichten
zufolge hatte China zugestimmt, landwirtschaftliche Waren der USA im Wert von
50 Mrd. USD zu kaufen, während die USA anboten, die bestehenden Zölle für
chinesische Waren um bis zu 50 % zu senken. Der Konflikt ist somit also
keinesfalls beigelegt, allerhöchstens kurzzeitig entschärft. Eine erneute
Verschärfung kann aber zu massiven Einstürzen im Welthandel führen.

Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Der Handelskrieg zwischen den USA und China trägt allerdings
auch noch ein geopolitisches, militärisches Markenzeichen, denn als neu
wachsender Imperialist muss China natürlich die Vormachtstellung des
US-Imperialismus global angreifen. Die chinesische Armee hat sich in einen
Rüstungswettlauf mit den USA gestürzt. Die Eskalation im Konflikt zwischen den
USA und dem Iran, einer zunehmend selbstsicheren Regionalmacht, verkörpert eine
weitere drohende Gefahr.

Beide hängen miteinander zusammen, denn der Iran und China
führen eine gute Handelsbeziehung. So gingen 27,4 % der Exporte des Irans
nach China, 27,8 % der Einfuhren kommen daher. Öl, Gas und auch die
Relevanz des Irans in Chinas „Seidenstraßenprojekt“ spielen dabei eine
entscheidende Rolle.

Der Rückgang des Welthandels und der Investitionstätigkeit
hat besonders die sog. aufstrebenden Ökonomien getroffen. Deren Wachstum war in
den letzten 6 Jahren fast überall niedriger als in den 6 Jahren vor Ausbruch
der letzten Rezession. In Brasilien, Russland, Argentinien, Südafrika und der
Ukraine gab es gar keines.

Von 2010–2018 nahm das Verhältnis von Auslandsverschuldung
zum BIP der Entwicklungsländer um mehr als die Hälfte auf 168 % zu – ein
schnellerer jährlicher Anstieg als während der Schuldenkrise Lateinamerikas.
Laut Schuldenreport der Weltbank 2020 befinden sich 124 von 154 erfassten
Ländern im kritischen Bereich kurz vor der Staatspleite, 2 mehr als im Vorjahr.
60 % dieser Länder stehen vor einer schlimmeren Situation als 2014.

Entscheidend für die Weltordnung wird also die Konkurrenz
zwischen der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China und den USA um die
Weltherrschaft werden. Ihr Ringen wird den regionalen Auseinandersetzungen
immer mehr ihren Stempel aufdrücken. Die Gefahr des Ausbruchs eines III.
Weltkriegs wächst.

Wen trifft es besonders hart?

Es ist „natürliche“ kapitalistische Logik, dass in Zeiten
der Rezession die sinkenden Profite durch Entlassungen, Kürzungen von
Arbeitszeit und Lohn und andere Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse wie
beispielsweise Rentenreformen aufgefangen werden sollen. So zum Beispiel
aktuell in Frankreich, wo Macron mit seinen neoliberalen Reformen das
Renteneintrittsalter auf 64 anheben möchte oder in Chile, wo die Regierung eine
Erhöhung der Preise für öffentliche Verkehrsmittel durchsetzen wollte, aber
daraufhin mit Massenprotesten konfrontiert wurde.

Die Krise wird auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse
ausgetragen. Jedoch trifft es hier besonders Frauen. Mit der Krise 2007/08
wurden Teilzeitjobs und Leiharbeit stark ausgebaut, damit die Kapitalist_Innen
ihren Profit dennoch weiter vermehren können und zur Not ohne viel Aufwand die
Arbeiter_Innen entlassen können, wenn die nächste Rezession einsetzt.

In den imperialistischen Ländern sind sie häufig von
Arbeitslosigkeit und unsicheren, prekären Beschäftigungsverhältnissen geplagt.
So arbeiten in Deutschland 2019 30,5 % Frauen in solchen „atypischen“
Verhältnissen, aber nur 12,2 % der Männer. Das wird als freiwillige
Entscheidung für mehr Familien- oder Freizeit beispielsweise vom Bundesamt für
politische Bildung gewertet, ist aber reine Ideologie, denn die unentgeltliche
Reproduktionsarbeit fällt überwiegend den Frauen zu. So wird auch
ausschließlich von Frauen erwartet, Job und Familie zu verbinden, und sie sind
gezwungen, Teilzeit oder unsichere Jobs zu akzeptieren, wenn sie Kinder
großziehen.

Auch Frauen in Halbkolonien (wie bspw. Indien oder Pakistan)
sind oft im prekären Bereich beschäftigt. Hier variieren die Zahlen je nach
Land zwischen 45 %-76 %. Die Beschäftigung findet hier auch oft im
informellen Bereich statt, wo angemessene Bezahlung, Schwangerschaftsurlaub,
eine sichere Arbeitsumgebung oder gar gewerkschaftliche Organisierung zurzeit
undenkbar sind. Viele dieser Frauen arbeiten in Textilfabriken (in welchen für
H&M, Primark und Co produziert wird), in sogenannten
Sonderwirtschaftszonen, in denen sie für einen Hungerlohn ausgebeutet,
teilweise eingesperrt und zur Arbeit gezwungen werden. Auf Sicherheit wird kaum
geachtet. Oftmals kommt es zu Gebäudeeinstürzen oder Fabrikbränden neben dem
Umgang mit gefährlichen Chemikalien ohne wirkliche Schutzkleidung.

Weltweit sind Frauen besonders von Armut betroffen. Demnach
leben 5 Millionen mehr Frauen als Männer in extremer Armut. Des Weiteren sind
mehr Frauen von Altersarmut betroffen. In Deutschland sind es 20 % der
Frauen, aber nur 15 % der Männer. Das erklärt sich durch geringeren Lohn
während der Arbeitszeit und Unterbrechungen zum Großziehen der Kinder.

Noch immer ist es Frauen laut UNO in 104 Ländern nicht
erlaubt, bestimmte Berufe auszuüben. In 18 Ländern können Männer ihren
Ehefrauen grundsätzlich verbieten zu arbeiten. So müssen Frauen in
Saudi-Arabien beispielsweise für die Ausübung bezahlter Arbeit generell die
Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen. So spiegelt sich auch die
finanzielle Abhängigkeit der Frauen wider, da sie sowohl in imperialistischen
als auch in halbkolonialen Ländern nach wie vor weniger Lohn erhalten als
Männer. In Deutschland sind es beispielsweise 21 %, 17,3 % in
Großbritannien, in Pakistan hingegen 34 %.

Der Kampf um finanzielle Gleichstellung ist also weltweit
keineswegs abgeschlossen. Aber selbstverständlich gibt es auch andere Bereiche,
in denen Frauen strukturell benachteiligt werden. So kam es mit der Krise
2007/08 auch zu einem Anstieg nationalistischer Gefühle, da die Mittelschichten
der imperialistischen Länder sich vor einem sozialen Absturz und dem Verlust
ihrer Privilegien fürchteten. Um reaktionäre Angriffe und die Stärkung der
nationalen Wirtschaft zu fördern, wurden fremdenfeindliche und chauvinistische
Ideologien geschürt.

Diese sorgten auch für ein Rollback bei Frauen- und
LGTBIA-Rechten. So beispielsweise der Versuch der weiteren Illegalisierung von
Abtreibungen, aber auch das Aufbegehren der Rechten gegen das
„Gendermainstreaming“ (die Integration der Gendergleichstellungsperspektive in
politische Prozesse, wie von der Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985
festgelegt).

Dadurch kam es auch zu vermehrten gewalttätigen und
sexualisierten Angriffen auf Frauen sowie auch auf die körperliche und sexuelle
Selbstbestimmung. So erleben auch mehr Frauen Gewalt in Beziehungen als Männer
und werden auch häufiger von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Voruntersuchungen zu
einer Studie der WHO zeigen, dass 35 % der weltweiten Morde an
Frauen von Intimpartnern begangen werden, aber nur 5 % aller Morde an
Männern von ihren Partnerinnen. Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für
Frauenbefreiung

Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für Frauenbefreiung

Die Auswirkung der Krise, die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse
und die Unterdrückung der Frau stehen also in einem engen Verhältnis zueinander
und bedingen sich teils gegenseitig. Um genug Widerstand aufbauen zu können,
ist es daher wichtig, auch die männlichen Proletarier für den Kampf zur
vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen. Gegen die kommende Krise muss sich
die Gesamtklasse in Stellung bringen, ein revolutionäres Antikrisenprogramm
annehmen. Um unsere Stärke und Fähigkeit zu steigern, müssen wir in alle
ökonomischen und sozialen Kämpfe intervenieren, um ihre Vorhut für unsere
Reihen zu gewinnen. Dieses Aktionsprogramm muss auch Antworten auf das Rollback
gegen die Rechte der arbeitenden Frauen geben.

Gleichzeitig muss es aber eigene Strukturen (sog. Caucuses)
innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung (z. B. in Gewerkschaften) für Frauen
geben, da sie einer doppelten Unterdrückung und spezifischen Formen
sexistischer Diskriminierung unterliegen Das Gleiche trifft auf ebenso auf
andere Unterdrückte (Jugendliche, MigrantInnen usw.) zu. Denn so revolutionär
eine Bewegung oder eine Partei auch sein mag, niemand ist frei von im
Kapitalismus erlernten Unterdrückungsmechanismen und auch in den eigenen
Strukturen müssen diese diskutiert und bekämpft werden.

 Dennoch kann
aber nur ein gemeinsamer internationaler Kampf der gesamten
Arbeiter_Innenklasse für eine Befreiung aller Unterdrückten sorgen, der sich
gegen den Kapitalismus stellt und für eine sozialistische Revolution eintritt,
da die Abschaffung der unbezahlten Reproduktionsarbeit, welche unüberwindbar
mit dem Kapitalismus vereint ist, ihre vollständige Sozialisierung und
Aufteilung auf alle Geschlechter im Interesse der gesamten ArbeiterInnenschaft
liegt, auch wenn unterm Kapitalismus ihr weiblicher Teil jene weit überwiegend
verrichtet.

Wir als Marxist_Innen treten daher für eine internationale
multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte
Treffen in Arbeiter_Innenorganisationen wie Gewerkschaften. Deshalb müssen
diese auch massiv unter den prekär Beschäftigten rekrutieren und dürfen sich
nicht auf die Verteidigung der relativ privilegierten, ausgebildeten und
sicherer beschäftigten (arbeiter_innenaristokratischen) Schichten beschränken.

Daher fordern wir:

  • Gleiche Rechte für Frauen bei Wahlen, auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungswesen, an allen öffentlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen!
  • Für ein Programm gemeinnütziger öffentlicher Arbeiten mit Vollzeitstellen und auskömmlichen Tariflöhnen für Frauen, bezahlt aus Unternehmerprofiten und Vermögensbesitz!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt!
  • Arbeitsschutz in allen Produktionsstätten! Für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, wo es bisher verboten ist!
  • My Body, my Choice: Für das vollständige Recht auf Abtreibung ohne Fristen und Mindestalter, sexuelle Selbstbestimmung und das Prinzip des sexuellen Konsenses! Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln!
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenversorgung und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen!
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein!
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser)!
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen, unterstützt von Frauen- und Arbeiter_Innenbewegung!



Frauen in China: die Verliererinnen des Aufschwungs?

Resa Ludivien, Unterstützerin Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Situation von und für Frauen in China hat sich in den
letzten Jahren sehr verändert, was vor allem daran liegt, dass es eine
Neuorientierung der chinesischen Politik mit der Wahl Xi Jinpings zum
Staatspräsidenten gab. Doch schaut man sich die Entwicklungen der letzten 100
Jahre an, erscheinen die Veränderungen –Kämpferinnen im Krieg, wichtiger Teil
der chinesischen Planwirtschaft, zurück an den Herd verdammt – besonders
gravierend.

Gerade Frauen, die nach der neuen chinesischen Politik nicht
(mehr) ins Weltbild passen, haben es in China immer schwerer. Dazu gehören
nicht nur weiterhin Aktivist_Innen für Frauenrechte, solche, die der
heteronormativen Norm entsprechen, sondern auch zunehmend muslimische Frauen
sowie Frauen, die selbst über ihre Zukunft entscheiden wollen und deswegen
keine Familie oder Kinder anstreben oder selbst einen Anteil am chinesischen
Aufschwung einfordern. Man könnte daher glatt die Frage in den Raum stellen, ob
sie nicht die „Verlierinnen“ des Aufschwungs und der
Politik Xi Jinpings sind und zukünftig auch sein werden.

Doch zunächst muss geklärt werden, woher die heutigen
Besonderheiten Chinas herrühren. Genauso wie in anderen (Groß-)Reichen, vor
allem in Asien, gab es in China eine andere Form der vorkapitalistischen
Wirtschaft als Antike bzw. Feudalismus. Marx und Engels nannten sie asiatische
Produktionsweise, doch kam sie auch in anderen Erdteilen vor (z. B.
Mittel- und Südamerika). Auffällig ist, dass der „Staat“, sprich der jeweilige
Herrscher und seine Beamten, eine wichtige Rolle in Produktion und Handel
spielte. Gründe für diese starke Stellung waren die Größe der damaligen
Flächenstaaten, aber auch klimatische Verhältnisse, die stets zwischen Dürre
und Überschwemmungen schwankten und deshalb eine zentrale
Bewässerungswirtschaft erforderten. Um Anbau von Nahrung und Produktion anderer
Güter zu ermöglichen, brauchte man zuverlässige Verantwortliche, die sich
u. a. um das Bewässerungssystem des Landes kümmern. Kein Wunder also, dass
sich in diesen Ländern eine starke bürokratische Elite entwickelt hat, die die
Produktionsmittel verwaltete. Im alten Ägypten waren es die Pharaonen und die
Priesterkaste und im vormodernen China der Kaiser und seine Beamten
(Mandarine). Allerdings konnten dies nur Männer werden, genauer gesagt Männer
aus reichen Familien. Ein solcher Posten bedeutete nicht nur sozialer Aufstieg,
sondern natürlich auch Macht. In den Quellen aus der Vormoderne spielen Frauen
in China nur eine geringe Rolle, weswegen wir heute vor allem die erniedrigende
Praxis des Füße Bindens mit ihrer Stellung in Verbindung bringen. Allerdings
ist gewiss, dass trotz des patriarchalen Systems Frauen aus der Klasse der
Bäuerinnen und Bauern stark am Produktionsprozess in Haus und Hof sowie auf den
Feldern beteiligt waren.

Zwischen Fortschritt
und Rückschritt

Als 1949 die Volksrepublik China gegründet wurde, wurde die
Gleichheit zwischen Männern und Frauen in der Verfassung niedergeschrieben.
Nicht nur, weil jene, die sich selbst als Kommunist_Innen sehen, wissen, dass
ein Sozialismus nur mit Frauenbefreiung einhergehen kann, sondern auch, weil
sie beim Aufbau des neuen Staates gebraucht wurden. Natürlich war auch damals
die Frau gesellschaftlich noch nicht gleichgestellt, sodass in der Verfassung
mehr ein Ziel formuliert wurde, als es je unter der Herrschaft der KP Chinas
Wirklichkeit wurde. Doch 70 Jahre später und nach der ab Ende der 1970er Jahre
eingeleiteten wirtschaftlichen Neuorientierung, die zwar den Lebensstandard
insgesamt gehoben hat, hat sich die Lage der Frau in den letzten Jahren
verschlechtert.

Ab dieser Zeit wurde die Restauration des Kapitalismus in
der VR China eingeleitet. Dieser spielte ab Beginn der 1990er Jahre wieder die
bestimmende Rolle im Land. Schon vor der letzten Weltwirtschaftskrise war China
in die Reihen der imperialistischen Großmächte aufgerückt, was sich heute im
Hauptkonflikt zwischen China und den USA niederschlägt. Davor, seit dem
Korea-Krieg, war die VR China ein von Beginn an bürokratisch degenerierter
ArbeiterInnenstaat ähnlich der UdSSR, Osteuropa, Nordkorea und Kuba. Die
Mehrheit der Bevölkerung stellte aber bei Weitem die Bauern- und
Bäuerinnenschaft.

„Gender Pay Gap“, die Lohnschere zwischen Männern und Frauen,
spielt auch in China eine Rolle. War China 2008 noch auf Platz 57, was diese
Ungleichheit angeht, lag sie im Jahr 2017 nur noch auf Platz 100. Noch
schlechter schnitten Frauen mit Kind in China ab. Ist der Negativmaßstab 42 %
weniger Lohn für Mütter, beträgt er für kinderlose Frauen immerhin 37 %.
Und dies, obwohl es mittlerweile eine Vielzahl von sehr gut ausgebildeten
Frauen in China gibt. Diese Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führt dazu,
dass Frauen entweder in die ökonomische Abhängigkeit von ihrem Ehepartner
gedrängt werden, der sie aufgrund fehlenden Geldes nur schwer wieder entfliehen
können, oder aber in die Schwarzarbeit, zu menschenunwürdigen Bedingungen. Letzteres
trifft gerade auf arme Frauen und den Großteil der weiblichen Landbevölkerung
zu – eine Gruppe, die, wenn sie in die Städte geht, um Arbeit zu suchen, in
China sowieso schon unabhängig vom Geschlecht kriminalisiert ist.

Die Restauration des Kapitalismus seit Mitte der 1970er
Jahre hat sich also negativ ausgewirkt. Die Bestrebungen Xi Jinpings, China zur
weltweit dominierenden imperialistischen Macht zu machen, also den USA ihren
Rang abzulaufen, haben ihr Weiteres dazu getan. Sein nationalistisches und
militärisches Programm ist dabei ebenso zu nennen wie seine neue
Wirtschaftspolitik. Die chinesische Wirtschaft wird heute vor allem von
Industrie und vom Dienstleistungsgewerbe dominiert. Allerdings verlagert China
seine Produktion zunehmend in afrikanische Länder und nach Südostasien, nicht
nur weil es dort lukrativer ist, sondern auch, um im Kampf um die Neuaufteilung
der Welt sein Einflussgebiet zu vergrößern. Mittelfristig wird dies gerade jene
Frauen treffen, die durch die Restaurationspolitik eine Arbeit in der kapitalistisch
umstrukturierten Industrie annehmen mussten und deren Arbeitsplätze in China
wegfallen werden.

Frauenbewegung in
der VR China

Schaut man sich ein Bild vom letzten Parteitag der
chinesischen Kommunistischen Partei an, sieht man…..Männer. Dieses Bild steht
sinnbildlich für die Rolle der Frau in den Augen der KP im Jahr 2019.

Auch die offizielle Frauenorganisation kann dieses
Missverhältnis nicht aufheben und möchte es auch nicht. Doch eine unabhängige
Organisierung in China ist schwierig, da es weder Presse- noch
Versammlungsfreiheit gibt, geschweige denn das Recht, sich legal zu
organisieren.

In den letzten Jahren gab es immer wieder Proteste von Frauen. Insbesondere die Themen häusliche und sexualisierte Gewalt spielten dabei eine wichtige Rolle. Im Jahr 2017 rangierte China auf einem der letzten Plätze, wenn es um „Überleben und Gesundheit“ von Frauen geht. Kein Wunder, dass es die #Me-Too-Bewegung sogar bis nach China geschafft hat. Über Tausende beteiligten sich und Hunderte Millionen Menschen (Vergleich: Deutschland hat nicht einmal 100 Millionen Einwohner_Innen) teilten die Beiträge von Frauen, die über ihr Erlebtes berichteten. Über 70 % der chinesischen Frauen gaben an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Dennoch geht man von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Nach einer solchen Umfrage musste das zuständige Institut in Guangzhou (Kanton), das zu Gleichberechtigung forschte, seine Arbeit einstellen. Außerdem wurden in sozialen Medien die Accounts von Aktivist_Innen gesperrt. Daran erkennt man ,wie sehr dem Staat dieses Thema ein Dorn im Auge ist.

Auch die 37-tägige Inhaftierung der sog. „Feminist Five” Li
Maizi, Zheng Churan, Wei Tingting, Wu Rongrong und Wang Man im Jahr 2015
bestätigt dies. Man versucht, durch solche Aktionen die Aktivist_Innen nicht
nur zum Schweigen zu bringen, sondern auch durch das Abschneiden von der
Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten zu lassen. Doch gerade Aktivist_Innen
wie Li Maizi macht man nicht so leicht mundtot. Sie engagiert sich nicht nur
für Frauenrechte in China, sondern stellt auch ein Bindeglied zur
kriminalisierten LGBTIQ-Community her. Diese wiederum hat viele weibliche
Aktivist_Innen und nicht nur solche, die selbst Teil der Community sind. Auch
viele Mütter, die sich gegen die Entkriminalisierung ihrer Kinder einsetzen,
beteiligen sich am Protest.

Was tun die Gewerkschaften für chinesische Frauen?

Im Grunde kann man sagen, dass die einzige legale
Gewerkschaft (Allchinesischer Gewerkschaftsbund; ACGB) mit über 300 Millionen
offiziellen Mitgliedern keine Gewerkschaft im eigentlichen Sinne darstellt. Sie
ist weder in den Betrieben verankert noch vertritt sie die Interessen der Arbeiter_Innen.
Auch ist ihre Führung durch den Staat eingesetzt und somit nicht frei gewählt.
Insgesamt besteht die Strategie Pekings darin, Protest zu entpolitisieren.

Dennoch gab es einen Anstieg von Arbeitskämpfen in China in den
letzten 30 Jahren, was mit seiner Entwicklung zu einem wichtigen Player des
kapitalistischen Systems zusammenhängt. Gerade der Südosten Chinas hat viele
Kämpfer_Innen hervorgebracht. So gab es bspw. seit 2008 immer wieder Streiks im
Reinigungsbereich. Angeführt wurden diese von Frauen. Auch in China ist dies
ein Sektor, in dem gerade Menschen arbeiten, die sonst keine bessere
Jobperspektive haben wie Alte, Arme, Migrant_Innen und Frauen. Im Jahr 2014
wurde das Guangzhou’s Higher Education Mega Center, das 200.000 Studierende
umfasst, von den Arbeiter_Innen der Putzfirma bestreikt. Von Anfang an
verbanden sie Migrant_Innen und Frauen durch Selbstorganisierung. Sie wählten
sogar 18 Vertreter_Innen, von denen 5 zugelassen waren, für Gespräche mit der
Firma. Ebenso solidarisierten sich Hunderte Studierende. Diese Arbeitskämpfe
bilden einen wichtigen Pol, um den herum sich der Aufbau vom Staat
unabhängiger, klassenkämpferischer und antibürokratischer Gewerkschaften
vollziehen kann, die überdies weit mehr Schichten als die
ArbeiterInnenaristokratie organisieren müssen und können.

Innere Widersprüche
und die Stellung der Frau in China

Wie in allen anderen Kulturkreisen gibt es auch in China
historische Begebenheiten und Vorstellungen, die die Stellung von Frauen sowie
das Miteinander der Gesellschaft bis heute prägen. In Ostasien ist das u. a.
die Philosophie des Konfuzianismus.

Allerdings war eines der einschneidendsten Erlebnisse für
Frauen in der jüngeren Vergangenheit vor allem die Ein-Kindpolitik ab 1979, die
vor ein paar Jahren abgeschafft wurde. Familien durften nur ein Kind bekommen
(mit Ausnahmen u. a. auf dem Land, da dort die Arbeitskraft benötigt
wurde) und Mädchen wurden in großer Zahl getötet. Gründe dafür sind  nicht nur das Prestige, dass ein Junge
und späterer Erbe mit sich brachte, sondern auch die Tatsache, dass Mädchen, um
zu heiraten, ihre Familien verlassen würden und sich somit nicht um die Eltern
kümmern könnten. Heute kommen ca. 100 Frauen auf 121 Männer. Die Auswirkungen
hiervon sind Raub an jungen Mädchen in China und angrenzenden Ländern sowie
eine Konzentration unverheirateter Männer in armen Provinzen.

Am Beispiel Hongkong kann man viele Widersprüche innerhalb
der chinesischen Gesellschaft ab der Phase der Restauration erkennen und
beschreiben. Hier ist der Konflikt zwischen kapitalistischen Bestrebungen und
Frauenbefreiung täglich sichtbar, die Probleme der doch nicht so
gleichgestellten Frau treten offen zu Tage.

Hongkong ist für viele Chines_Innen das Ziel ihrer Träume.
Die ehemalige britische Kronkolonie, heutige bedeutender Finanzstandort, verspricht
der armen Bevölkerung auf dem Land Arbeit und ein besseres Leben. Doch kann die
Stadt dieses Versprechen nicht halten. Dennoch ist dies eine Frage, die nur
wenige von den immer wieder aufkeimenden und aktuell stattfindenden Protesten
aufgreifen. Etwa die Hälfte aller Demonstrant_Innen bei den weiterhin
anhaltenden Protesten sind Frauen. Unabhängige Frauengruppen- und -initiativen
haben sich herausgebildet. Dennoch: Veraltete Rollenbilder von Frauen, die
schweigen und sich gefälligst mit nichts außerhalb des privaten Raums
beschäftigen sollen, gibt es natürlich nicht nur in Europa, sondern auch in
Ostasien. Um Frauen daran zu erinnern, wo aus patriarchaler Sicht ihr Platz
ist, greifen Polizist_Innen in Hongkong zu einer ganz besonderen Form der
Gewalt: sexualisierter Gewalt. Ungefähr jede fünfte Frau, die festgenommen
wurde, berichtet von sexueller Belästigung und Gewalt durch die Polizei. Die
Bewegung reagierte mit Demonstrationen dagegen, die von Tausenden besucht
wurden. Und nicht nur Frauen solidarisieren sich, auch Männer. Ein kleiner
Anfang.

Proletarische Frauenbewegung
jetzt!

Die #Me-Too-Bewegung hat den Bedarf, den es auch in China
gibt, gezeigt. Jetzt gilt es, praktische Maßnahmen zu ergreifen. Es braucht
nicht nur eine Selbstorganisierung, sondern aufgrund der hohen Zahlen an
häuslicher und sexualisierter Gewalt organisierten Selbstschutz. Doch eine Organisierung
der Frauen ist nur möglich, wenn man einerseits trotz all der Repression immer
wieder Öffentlichkeit für die Themen schafft und andererseits die
Herausforderung angeht, trotz überwachter sozialer Medien, Frauen über größere
Entfernungen hinweg zu organisieren, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.
Hier kann allerdings von der Queerbewegung gelernt werden, die es seit Jahren
immer wieder erfolgreich schafft, sich zu organisieren und auch Treffen zu abzuhalten.
Der Gebrauch von dafür genutzten Tarninternetseiten sollte aber dabei dem
Verkehr über WeChat vorgezogen werden.

Die Perspektive, die eine chinesische Frauenbewegung braucht
sind nicht nur praktische Antworten auf Diskriminierung, sexualisierte Gewalt
und Repression, sondern auch eine Verbindung der Kämpfe mit anderen Betroffenen
der chinesischen Politik, sprich eine internationalistische Perspektive. Ebenso
darf man nicht vergessen, dass derzeit viele der Aktivist_Innen aus der
gebildeten Schicht in den Großstädten stammen. Auf die Interessen von proletarischen
Frauen muss daher dringend eingegangen werden. Eine Verbindung einer
chinesischen Frauenbewegung mit der von Peking stillgehaltenen Arbeiter_Innenbewegung
ist unabdinglich. Alles andere als eine solche proletarische Frauenbewegung würde
auch darüber hinwegtäuschen, dass die Auswirkungen der neuen Politik und der
patriarchalen Gesellschaft Chinas gerade Arbeiterinnen trifft. Sie werden von
ihren Familien getrennt und kriminalisiert, weil sie versuchen, in den Städten
Arbeit zu finden. Sie sind es, die aufgrund schlechter Ausbildung und Jobs der
häuslichen Gewalt nicht entfliehen können und auch zunehmend ihre Jobs
verlieren werden, wenn China die Produktion weiter ins Ausland verlagert.
Gleichzeitig sind nur sie zahlenmäßig und von ihrer Klassenstellung her im
Unterschied zu (bildungs-)bürgerlichen und Mittelschichten dazu in der Lage,
durch Streiks, v. a. gemeinsame mit ihren männlichen Kollegen, und weitere
Mittel die chinesische Gesellschaft in Bewegung zu setzen und für die Befreiung
der Frau einzutreten.

Kommunistinnen müssen an vorderster Front in den
Massenorganisationen ihrer Klasse arbeiten, v. a. in Gewerkschaften und
Frauenbewegung, um sie für revolutionär-sozialistische Ziele zu gewinnen, eine
neue revolutionäre kommunistische Massenpartei und kommunistische
Frauenorganisation aufzubauen.

  • Für eine internationale, proletarische Frauenbewegung und -internationale!
  • Für Frauenselbstorganisierung- und -selbstverteidigungsgruppen!
  • Bildet unabhängige Gewerkschaften!
  • Für den Aufbau einer revolutionären Fünften ArbeiterInneninternationale!



Politisch streiken – aber wie?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zwei Jahren haben millionenstarke
Frauenstreiks ein großes Potential für den Kampf um Frauenbefreiung aufgezeigt.
Die Arbeitsniederlegungen im produktiven und reproduktiven Bereich richten den
politischen Fokus auf die Ungleichheit der geschlechtlichen Arbeitsteilung,
welche die materiellen Grundlage für sexistische Ungerechtigkeit und
Unterdrückung darstellt. Gleichzeitig kann der ökonomische Stillstand, der bei
einem Streik angerichtet wird, den nötigen Druck erzeugen, damit die
frauenpolitischen Forderungen auch ernst genommen und letztlich durchgesetzt
werden. Doch die internationale Frauenbewegung hat diese proletarische
Strategie noch nicht bewusst angenommen und verallgemeinert. Dazu braucht es
nicht nur positive Bezugspunkte wie die Mobilisierungen in Spanien oder der
Schweiz, sondern Organisation, Know-how und einen Kampf gegen andere, falsche
Strategien.

Bündnispolitik

Ein Streik ist im Normalfall kein spontanes Ereignis. Obwohl
der Unmut über Missstände schon hoch sein mag, braucht es Strukturen, die ihn
organisieren. Jene Kräfte, die bereit sind, einen Frauenstreik zu organisieren,
müssen gesammelt werden. In der Regel sind das schon bestehende Organisationen
der radikalen Linken oder der Frauenbewegung, aber auch eine Hand voll Einzelpersonen
kann ein Komitee für die Organisierung des Streiks gründen und den Stein ins
Rollen bringen. Kanäle wie soziale Medien müssen genutzt werden, um die
Organisation auf eine kräftigere Grundlage zu stellen. Für die Mobilisierung
braucht es klare und radikale Forderungen wie etwa eine Arbeitszeitverkürzung,
die demokratisch bestimmt werden sollten und für die die beteiligten Kräfte
frei nach innen und außen werben können. Dabei muss auch sehr gut abgewogen
werden, welche in den Vordergrund gestellt und wie sie formuliert werden
können, damit sie die bestmögliche Wirkung auf das politische Bewusstsein der
Zielgruppen haben werden.

Basisorganisierung

Zentral ist es lohnabhängige, aber auch erwerbslose Frauen und
Männer für den Streik zu gewinnen. Dazu eignet sich der Aufbau von
Aktionskomitees auf regionaler sowie betrieblicher Ebene bzw. in der
Ausbildungsstätte. In diesen Komitees organisieren sich Aktivist*innen, um
gemeinsame Aktivitäten für die Mobilisierung zu planen. Darüber hinaus sollten
eigene Forderungen diskutiert und in die Bewegung getragen werden. Sie müssen als
politische im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse formuliert werden,
die also nicht auf einzelne Branchen beschränkt bleiben. Als Ausgangspunkt zum
politischen Ziel der Aufhebung der geschlechtlichen gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
der Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit kann z. B. die nach einer gesetzlichen
Mindeststellenbesetzung in der Pflege dienen, wie in Deutschland aufgestellt. Die
überregionale Vernetzung mittels wähl- und abwählbarer Delegierter ermöglicht
den Aufbau von demokratischer Kontrolle über die Bewegung selbst und in
weiterer Folge von Gegenmacht gegenüber den bürokratischen staatlichen
Institutionen, über welche die herrschende Klasse ihre Interessen sichert. Das
ist auch kein Widerspruch zu einer Bündnispolitik von politischen
Organisationen. Aktionskomitees können solche Bündnisse ergänzen oder im besten
Fall der Ausdruck einer demokratisch organisierten Bewegung sein.

Rolle der Gewerkschaften

Ein wesentlicher Erfolg von bisherigen Frauenstreiks war die
Unterstützung durch Gewerkschaften in der Schweiz und in Spanien. Wenn diese
Organisationen, die oft einen großen Anteil der lohnabhängigen Bevölkerung
organisieren, für kämpferische Massenaktionen gewonnen werden können und die
Mobilisierungen dafür ernst nehmen, dann hat das eine sehr große Wirkung. Viele
Gewerkschaften haben auch frauenpolitische Abteilungen, die natürlich eine
Anlaufstelle für die Mobilisierung sein können und wo sich womöglich auch
schneller Unterstützer*innen finden lassen. Das Problem ist aber, dass die
großen, reformistischen Gewerkschaften von einer konservativen Bürokratie
geführt werden, die radikale Aktionen und die Einbeziehung der Massen mehr
fürchten als fördern. Dies gilt für alle Gewerkschaften, die nicht von einer
revolutionären Arbeiter*innenpartei geführt werden. Die reformistischen
Parteien, die oft über großen Einfluss in den Gewerkschaften verfügen, haben
längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System gemacht und verteidigen es
letzten Endes gegen einen Ansturm durch die Lohnabhängigen. Dies gilt auch für
reine Gewerkschaftspolitik, die sich nicht den Sturz des Kapitalismus auf die
Fahnen geschrieben hat. Wir können uns also weder auf sie verlassen noch auf
den Erfolg vehementer Aufforderungen hoffen, sondern müssen mit
Basisorganisationen ein Gegengewicht zur abgehobenen Stellvertretungspolitik
schaffen. Diesen Zweck können die schon angesprochenen Aktionskomitees zum Teil
erfüllen, sie müssen sich dafür aber bewusst auch auf die Gewerkschaften
ausrichten. Letztlich muss eine antibürokratische Gewerkschaftsopposition aber
eigenständige Strukturen aufbauen, denn der Kampf gegen die reformistische
Bürokratie ist allgemeiner als der für eine bestimmte politische Mobilisierung.

Proletarische Strategie

Wenn alle für einen starken Frauenstreik eintreten und eine
proletarische Frauenbewegung aufbauen wollen würden, dann müssten wir die Frage
nach der Umsetzung eines Streiks gar nicht so genau diskutieren. Aber so ist es
leider nicht. Gerade auch im Feminismus gibt es bürgerliche und
kleinbürgerliche Kräfte, die ganz andere Strategien als Sozialist*innen
verfolgen und die die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse
für die politischen Anliegen der Frauen sogar ablehnen. Oft beschränken sich
diese Kräfte auf Forderungen wie Quoten in politischen Ämtern oder in
Unternehmen, den ideologischen Kampf gegen Alltagssexismus oder eine
gendergerechte Sprache, die dann von sozialliberalen Parteien umgesetzt werden
sollen. Eine solche Politik hemmt natürlich die eigenständige Aktion der
Ausgebeuteten und Unterdrückten und muss daher natürlich auch bekämpft werden. So
wurde z. B. in den verschiedenen feministischen Bündnissen für den
letztjährigen Frauenstreik in Deutschland zwar eine Liste unterstützenswerter
Forderungen aufgestellt, aber über die Frage, wie ein Streik der gesamten
Klasse gegen die Paragraphen zustande kommen kann, der auch den Namen verdient,
kaum diskutiert. Debatten um Einbezug der Gewerkschaften und der Männer waren also
von untergeordneter Bedeutung.

Es geht also nicht nur um einzelne Forderungen, sondern um
eine zusammenhängende proletarische Strategie, die ihren klarsten Ausdruck in
einem kommunistischen Übergangsprogramm findet. Darin stellt sich der Kampf für
Frauenbefreiung und gegen Sexismus als integraler Teil des allgemeinen
Klassenkampfs der gesamten Arbeiter*innenklasse dar, unabhängig von Geschlecht,
Identität oder Herkunft. Deswegen halten wir es zum Beispiel auch für einen
Fehler, wenn von feministischen Organisationen bei frauenpolitischen Aktionen
der Ausschluss von Männern gefordert wird. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung
und die ganze sexistische Ideologie geht unsere männlichen Genossen genau so
etwas an. Aber unsere Genossinnen sollten ganz klar im Vordergrund eines
Frauenstreiks stehen.




Vom Regen in die Traufe

Proletarische Frauen – vom DDR-Stalinismus
zum BRD-Kapitalismus

Ute Mann, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 1998)

Die Einbeziehung der Frauen in die
gesellschaftliche Produktion als Garantie für die ökonomische Unabhängigkeit
und politische Selbstständigkeit galt als der wichtigste Schritt auf dem Weg
zur Gleichberechtigung. Frauen waren als Arbeitskräfte eine wichtige Ressource
der Planwirtschaft v. a. nach dem Krieg, als Arbeitskräfte knapp waren und
massenhafte Abwanderungen durch das Verlassen der DDR Richtung Westen die Lage
weiter erschwerten. Bis in die 1960er Jahre waren Frauen beinahe vollständig in
die Arbeitswelt integriert. (1)

Integration der Frauen in den
Produktionsprozess

Das niedrigere Produktivitätsniveau in der
DDR (wie in allen stalinistischen Staaten) machte immer einen hohen Einsatz
menschlicher Arbeitskräfte notwendig. Doch von den Industriegesellschaften der
Nachkriegszeit war die DDR das einzige Land, das kontinuierlich
Bevölkerungsverluste erlitt. Zwischen 1948 und 1989 schrumpfte die Bevölkerung um
2,7 Millionen auf 16,4 Millionen. Frauen waren auf formalrechtlicher und
politischer Ebene gleichgestellt und stellten einen großen Teil der
Arbeitskraft. Das Motiv des DDR-Stalinismus, Erleichterungen für Frauen
einzuführen, war der wirtschaftliche Aufbau, der Aufbau des „Sozialismus“ in
einem halben Land.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat
die KPD zunächst für den Aufbau eines „neuen demokratischen Deutschlands“ auf
kapitalistischer Grundlage ein. Die diesem Ziel entsprechende
Volksfrontkonzeption spiegelte sich auch in der Frauenpolitik wider. Nachdem
bereits 1945 die Sowjetische Militäradministration in Deutschand (SMAD) die
eigenständigen ArbeiterInnenkomitees liquidiert und durch Volksfrontorgane
ersetzt hatte, sollten nun auch die nach Kriegsende entstandenen
antifaschistischen Frauenausschüsse in solche umgewandelt werden. Ziel war es,
„Frauen aller Klassen auf breitester Basis“ zu umfassen, um sie für die
Aufbauarbeit für ein „demokratisches Deutschland“ zu gewinnen.

Anfang 1947 gab es in der sowjetischen
Besatzungszone 7.451 Frauenausschüsse, die ca. 250.000 Frauen umfaßten. Um
diese Ausschüsse besser kontrollieren zu können, wurden sie per SMAD-Befehl
aufgelöst und mit den Organisationen des Demokratischen Frauenbunds
Deutschlands (DFD), der am 8. März 1947 gegründet wurde, zusammengeschlossen.
Der DFD gab sich programmatisch überparteilich, war aber dennoch eine
Frontorganisation der SED, die 1946 aus der Fusion von KPD und SPD
hervorgegangen war.

Das DFD-Programm hob hervor, dass „zum ersten
Male die sozialistischen Frauen mit den Frauen aus den bürgerlichen Parteien
und den parteilosen Frauen den Grundstein zu einer einheitlichen demokratischen
Frauenbewegung legten“. Mit dieser programmatischen Erklärung verzichtete der
DFD auf eine konsequente Interessenvertretung der Arbeiterinnen, um die
Klassenzusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien nicht zu gefährden. Ein
Ergebnis dieser Politik war, dass die spezifischen Interessen von
Proletarierinnen – immerhin die Mehrzahl aller Frauen – politisch nicht
artikuliert wurden und viele substantielle Fragen der Stellung der arbeitender
Frauen in Produktion und Gesellschaft weder diskutiert noch gelöst werden
konnten.

Auf dem 2. Parteitag der SED im September
1947 wurde eine Resolution zur Frauenfrage verabschiedet, die zwar einige
Verbesserungen für Frauen enthielt (Öffnung und Zugang zu allen für Frauen
geeigneten Berufen; Ausbau von Einrichtungen, die der Erwerbstätigen die Sorge
um den Haushalt und die Familie erleichtern); wesentliche Voraussetzungen für
die Emanzipation der Frau wurden jedoch nicht geschaffen. Die Zuständigkeit der
Frauen für die Reproduktionsarbeit innerhalb der Familie wurde gar nicht erst
in Frage gestellt. Die umfassende Einbeziehung der Frauen in den
Produktionsprozess war ebenso wenig das Ziel dieser Resolution wie die
Vergesellschaftung der Hausarbeit als einer Grundvoraussetzung für die
Frauenbefreiung.

Der Arbeitskräftemangel in der
Nachkriegswirtschaft machte es aber notwendig, Frauen in großem Umfang für den
Wiederaufbau und die Produktion heranzuziehen. Per SMAD-Befehl wurde daher das
Prinzip der gleichen Entlohnung eingeführt. Außerdem sollte die
Berufsnomenklatur überarbeitet werden. Beides stieß auf den Widerstand der
männlichen Arbeiterschaft und deren Gewerkschaftsvertretungen. Statt die
proletarischen Frauen zur Durchsetzung ihrer Interessen zu mobilisieren, wurden
auf bürokratischem Wege Frauenkommissionen eingesetzt, welche die Durchführung
der Beschlüsse kontrollieren sollten. Dieses rein administrative Vorgehen der
StalinistInnen war aber kaum dazu geeignet, die historisch überkommene
Benachteiligung der Frau in der Gesellschaft zu überwinden.

Bürokratismus statt Frauenbefreiung

Dazu hätte es einer breiten politischen
Debatte in ArbeiterInnenbewgung und Gesellschaft bedurft, die sich schonungslos
mit gesellschaftlichen Strukturen, Traditionen und Praktiken auseinandersetzt,
die Frauen an einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
hindern. Diese (für Männer und Frauen) schmerzhafte Debatte wurde jedoch auf
unterstem Niveau ausgetragen. Nicht die Frauen selbst artikulierten ihre
Bedürfnisse in organisierter Form, sondern der bürokratische Apparat bestimmte
und legte fest. Wichtige Grundformen von Frauenunterdrückung – die Familie und
die im privaten Rahmen erledigte Hausarbeit – standen nicht zur Disposition. So
wurden auf dem Altar einiger Verbesserungen für Frauen die historischen
Grundvoraussetzungen der Befreiung der Frau geopfert.

Die Schwangerschaftsunterbrechung wurde
aufgrund medizinischer, ethischer und sozialer Indikation wegen der nach
Kriegsende herrschenden materiellen Not und dem enormen Bedarf an weiblichen
Arbeitskräften zunächst erlaubt. Doch schon 1950 wurde das Verbot wieder
eingeführt. Änderungen des Ehegesetzes entfernten v. a. die
nationalsozialistischen Bestimmungen. Dieses Hin und her gerade in der
Abtreibungsfrage verweist sehr deutlich darauf, dass die stalinistische
Frauenpolitik nicht an einer Strategie der Frauenbefreiung, sondern an
konjunkturellen Erfordernissen der Entwicklung und an der Rücksicht auf
bürgerliche Vorstellungen und Traditionen orientiert war.

Das traditionelle dreigliedrige Schulsystem
wurde durch die achtklassige Pflichtschule für alle ersetzt. Bereits im
Frühjahr 1946 wurde in den Ländern der SBZ das „Gesetz zur Demokratisierung der
deutschen Schule“ verabschiedet. 1959 wurde die zehnjährige Allgemeinbildende
Polytechnische Oberschule zur Pflichtschule. Die Erweiterte Oberschule mit den
Klassen 11 und 12 führte zum Abitur. (2)

Tradierte Rollenverteilung

Die Einheitsschule kann man als einen
ersten Schritt begrüßen, um die bildungspolitische Benachteiligung für Frauen
aufzuheben. Auch im Bereich der höheren Bildung (Abitur, Hochschulstudium)
gelang es, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen im Wesentlichen zu
überwinden. Allerdings blieb die Rollenverteilung – Männer eher
technisch/praktisch, Frauen eher „humanistisch“ – weitgehend erhalten. 1948
löste der FDGB die gewerkschaftlichen Frauenkommissionen auf. 1949 beschloss
die SED die Auflösung der Betriebsorganisationen des DFD, deren
Haupttätigkeitsfeld nunmehr der kommunale Bereich sein sollte. Bis Ende der
achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der DFD knapp 1,5 Millionen.
Mitglieder. Nur 30 % von ihnen waren jünger als 53 Jahre. Der Verband
richtete in Bezirks- und Kreisstädten insgesamt 210 „Beratungszentren für
Haushalt und Familie“ ein. Seit 1967 unterhielt der DFD Frauenakademien für
politische Schulung sowie für Veranstaltungen mit kultureller und
hauswirtschaftlicher Thematik, was die staatstragende Rolle und
Aufrechterhaltung der frauenfeindlichen Ideologie durch den DFD deutlich macht.
Statt Instrument der Überwindung der Benachteiligung der Frau war der DFD
vielmehr ein organisatorischer Rahmen für das „Ausleben“ der traditionellen
Rolle der Frauen.

Die Illusion, ein geeintes, neutrales
Deutschland zu schaffen, wurde durch die unterschiedliche Praxis in den
Besatzungszonen zerstört. Während der Osten den Großteil der Reparationen an
die UdSSR leisten musste, griff im Westen 1948 die Hilfe des Marshallplans.
Frauen stellten die einzige verfügbare Arbeitskraftreserve dar. Daher sollten
ihnen gesetzliche Maßnahmen den Eintritt in das Erwerbsleben erleichtern. Mitte
der 1950er Jahre stagnierte der weibliche Beschäftigungsstand, was zum Ausbau
von Kinderbetreuungseinrichtungen und des Dienstleistungssektors führte.
Wichtige gesetzliche Maßnahmen dieser Zeit waren die verfassungsmäßige
Verankerung der Gleichberechtigung der Geschlechter, des Prinzips der
Lohngleichheit und die Aufhebung der Benachteiligung unehelicher Kinder und
deren Eltern. Gleichzeitig jedoch wurden Ehe und Familie weiterhin als
Grundlage des Gemeinschaftslebens angesehen und unter den Schutz des Staates
gestellt.

Die Einbeziehung der Frauen in die
produktive Arbeit stieß jedoch auf den Widerstand der Männer. Viele Betriebe
weigerten sich, Frauen entsprechend ihrer Qualifikation oder überhaupt
einzustellen. Die zunehmende Kritik der Frauen daran zwang die SED, deren
Organisation auf betrieblicher Ebene zu unterstützen, um die Männer, v. a.
die Gewerkschaftfunktionäre, unter Druck zu setzen. 1952 empfahl das Politbüro
der SED, die Wahl von Frauenausschüssen überall dort, wo eine größere Anzahl
Frauen arbeitet, zu unterstützen. Bis Ende 1961 entstanden so ca. 20.000 Frauenausschüsse
mit ca. 140.000 Mitarbeiterinnen, von denen drei Viertel parteilos waren.
Obwohl die Gewerkschaften zur Zusammenarbeit mit den Ausschüssen verpflichtet
waren, kam es dennoch immer wieder zu Konflikten, so dass letztere Mitte der
1960er Jahre von der SED gegen ihren Willen den Betriebsgewerkschaftsleitungen
unterstellt wurden.

Degenerierter ArbeiterInnenstaat

Die Probleme der gleichberechtigten
Integration von Frauen in den Produktionsprozess sind allerdings nicht nur
einer verfehlten Frauenpolitik der SED oder männlichen Ressentiments
geschuldet. Vielmehr drücken sie ein allgemeines Problem aller degenerierten
ArbeiterInnenstaaten aus. Es zeigte sich immer wieder, dass selbst positive
Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Frauen, die es ohne Zweifel gab, im
Widerspruch zu den starren, bürokratischen Verhältnissen der Gesellschaft
insgesamt standen. Solange z. B. die Kindererziehung fast ausschließlich
in der Zuständigkeit der Frauen lag – und dieser Umstand wird ja gerade durch
die Aufrechterhaltung der tradierten Familienstrukturen konserviert –, waren
nach wie vor nahezu ausschließlich Frauen für die Betreuung kranker Kinder zu
Hause zuständig, was zu mehr Ausfällen an Arbeitsstunden führte. Unter diesen
Umständen war es klar, dass BetriebsmanagerInnen lieber Männer als Frauen
beschäftigten. Was dieses und viele andere Beispiele zeigen, ist die
prinzipielle Unmöglichkeit, selbst Teilverbesserungen langfristig
durchzusetzen, wenn die grundlegenden, strategischen Aufgaben nicht gelöst
werden.

Die „Zentralverwaltung sowjetischen Typs“
wurde in mehreren Etappen in der DDR eingeführt. Von 1952 bis 1985 sank der
Anteil des Privateigentums auf 4,6 %. Bis auf 6 % wurde die
Agrarfläche in LPGen eingebracht. Der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl
der Erwerbstätigen (1955 noch 20 %) sank bis 1988 auf 2 %. 1986 gab
es 224 Industriekombinate, in denen die Volkseigenen Betriebe (VEB)
zusammengeschlossen waren. In den Kombinaten wurde auch ein Großteil der
Forschungspolitik, der Freizeit- und Feriengestaltung, der sozialen Sicherheit
u. v. m. bestimmt.

Qualifizierung

Bis Ende der 1950er Jahre war die
Wirtschaft von der starken Abwanderung v. a. qualifizierter Arbeitskräfte
belastet (ca. 3 Millionen flüchteten aus der DDR), die erst durch den Mauerbau
gestoppt wurde. Nun ging es nicht mehr zuerst um die quantitative Einbeziehung
von Frauen in den Produktionsprozess, sondern um den Ausgleich des erhöhten
Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften. Dies führte zur Aufstellung von
Frauenförderungsplänen, zum Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und der
Ausdehnung von Dienstleistungen. Der DFD unterhielt seit 1967 Frauenakademien
für politische Schulung und Veranstaltungen mit kultureller und
hauswirtschaftlicher Thematik. In Bezirks- und Kreisstädten richtete der DFD
210 „Beratungszentren für Haushalt und Familie“ ein. Dennoch wurde der DFD
aufgrund seiner Funktion als Transmissionsriemen der herrschenden Kaste in das
weibliche Proletariat hinein nie zur Organisation, der sich die Frauen zur
Artikulierung ihrer Interessen bedient hätten.

Im Rahmen der Bildungsoffensive wurde von
der Staatsführung eine Reihe von Frauenförderungsmaßnahmen beschlossen wie
Frauensonderstudium oder verstärkte Qualifizierung von Frauen für technische
Berufe. Frauen konnten sich nun für ihre berufliche Aus- und Weiterbildung
freistellen lassen. Das Arbeitskollektiv musste jedoch den Produktionsausfall
ausgleichen. Da auch in der DDR-Ökonomie die Entwicklung des Konsumgütersektors
vernachlässigt wurde, vergrößerten Schlangestehen und der Mangel an effektiven
Haushaltsgeräten die Arbeitslast der Frauen. Auch die Einführung eines
monatlichen Hausarbeitstages, für den berufstätige Frauen von der Arbeit
freigestellt waren, war eine widersprüchliche Maßnahme: einerseits galt die
gesellschaftliche Anerkennung von Hausarbeit als notwendig und wurde in diesem
Fall sogar bezahlt, andererseits wurde diese Tätigkeit wieder traditionell der
Frau zugeordnet, was ihre Rolle als Aschenputtel nurmehr verfestigte und
offiziell sanktionierte.

Hier soll auch auf ein grundsätzliches
Problem der Gleichberechtigung der Frau in der DDR hingewiesen werden: die
Doppelbelastung durch Beruf einerseits und Familie, Haushalt andererseits. Die
Unterentwicklung des Dienstleistungssektors, der mangelhafte Grad der Vergesellschaftung
der Hausarbeit und ein mangelhaftes Angebot an Gütern des täglichen Bedarfs
brachten es mit sich, dass die Bewältigung des Alltagslebens sehr mühsam und
aufwändig war. Dieser Aufwand wurde zum großen Teil von Frauen und nicht von
Männern bewältigt. Die Gleichberechtigung stellte sich so in der Praxis oft
einfach als Doppelbelastung der Frauen dar. Die relativ gute Kinderbetreuung
konnte die Frauen zwar entlasten, jedoch das Problem der Überbelastung
natürlich nicht lösen. Allgemein wurde in den Jahrzehnten des Stalinismus
deutlich, dass eine grundsätzliche Änderung der Stellung der Frau in der
Gesellschaft nicht möglich ist, ohne dass das allgemeine Niveau der
Produktivität hoch ist, dadurch die Arbeitszeit deutlich verkürzt und somit
auch die tradierte Arbeitsteiligkeit (die nicht nur eine zwischen Man und Frau
ist) überwunden werden kann. Wie sollen Frauen am gesellschaftlichen und
politischen Leben aktiv teilhaben, wenn die gesamte Zeit für Arbeit, Einkäufe
etc. benötigt wird?

Reaktionäre Familienpolitik

Neben den Qualifizierungskampagnen traten
verstärkt reaktionäre, familienpolitische Maßnahmen in den Vordergrund,
z. B. wurde aufgrund steigender Scheidungsziffern die Eheauflösung
erschwert. Trotzdem war eine Ehescheidung sowohl juristisch als auch finanziell
im Vergleich zu den Regelungen der BRD einfacher. Ideologisch wurde diese
„Wende“ 1965 mit dem Inkrafttreten des Familiengesetzes, das die Familie als
„kleinste Zelle der sozialistischen Gesellschaft“ definierte, untermauert. Die
Familie war auch im Stalinismus eine Einheit der sozialen Kontrolle und
Disziplin. (3)

Nach dem Mauerbau verzeichnete die DDR
dennoch die niedrigste Geburtenrate der Welt. Auch die familienpolitischen
Maßnahmen konnten nicht zur Konstanz der Bevölkerungzahl beitragen. Im Westen
glichen seit Ende der 1960er Jahre die hohen Geburtenraten der
GastarbeiterInnen die Bevölkerungszahl aus. In der DDR war der Ausländeranteil
mit ca. 1 % sehr gering, außerdem dehnte sich die Familienpolitik (wie
auch die sonstige Rechtssprechung) nicht auf die ausländischen EinwohnerInnen
aus. Vietnamesinnen z. B. wurden bei Eintreten der Schwangerschaft in ihr
Heimatland zurückgeschickt. Trotz der Bildungsoffensive konzentrierten sich die
Hauptbereiche für Frauen im mittleren administrativen Bereich, in
sozialhelferischen Tätigkeiten oder in schwerer, monotoner Fabrikarbeit,
z. B. am Fließband. Gesellschaftlicher Aufstieg hing außerdem ganz
wesentlich von der Loyalität gegenüber der herrschenden Kaste und ihren
Institutionen ab. Die Verbesserung der Karrieremöglichkeiten wirkte sich aber
stärker auf Frauen der Bürokratenschicht aus, während Männer weiterhin das
Management besetzten.

Die von Mädchen und Jungen bevorzugten
Ausbildungsbereiche unterschieden sich in der DDR kaum von denen der Jugendlichen
in der BRD. Hier wie dort, damals wie heute konzentrierte sich die Mehrheit der
Auszubildenden auf wenige Berufe. Trotz aller Betonung der Gleichheit für
ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und Intelligenz, trotz aller Behauptungen, die
Chancengleichheit für ArbeiterInnenkinder zu erhöhen und v. a.
ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenkinder studieren lassen zu wollen, war
auch in der DDR die Ausbildungschance von Akademikerkindern höher als von
Kindern mit Eltern, die eine acht- bis zehnjährige Schulzeit absolviert hatten.
Andererseits gab es eine Reihe von Maßnahmen, um der traditionellen
Benachteiligung von Nichtakademikerkindern positiv entgegenzuwirken. So waren
der Anteil und v. a. die realen Chancen für ArbeiterInnenkinder zu
studieren besser als in der BRD.

Die stalinistische Methode zur
Produktionssteigerung war nicht eine Verstärkung der Technologie-Investition,
sondern meist eine rein quantitative Ausdehnung der Produktion. Durch die
bürokratische Unterdrückung und Gängelung des Proletariats wurden nicht nur der
Anreiz sondern auch fast alle strukturellen Möglichkeiten für die Planung und
Verbesserung der Produktion beschnitten. Daher mussten die Anzahl der
Arbeitskräfte erhöht und auch Frauen in Industrie und Landwirtschaft eingesetzt
werden. Gleichzeitig erforderte das aber auch, für eine ausreichende Anzahl von
Arbeitskräften in der Zukunft zu sorgen, was durch die Geburtenförderung
erreicht werden sollte.

Beruf und Familie

Seit Mitte der 1960er Jahre führten
sinkende Geburtenraten und steigende Scheidungsquoten zu einer
frauenpolitischen Kurskorrektur: Frauenpolitik wurde in Familien- und
Mütterpolitik umgewandelt. Die Drei-Kind-Familie wurde propagiert, um die
einfache Reproduktion zu gewährleisten. Das 1950 wieder eingeführte Abtreibungsverbot
hatte die Zahl illegaler Abtreibungen in die Höhe schnellen lassen, was 1972
dazu führte, dass die Schwangerschaftsunterbrechung gesetzlich freigegeben
wurde (4) – übrigens das einzige Gesetz, bei dem die Volkskammer keine
Einstimmigkeit erzielen konnte! Sozialpolitische Maßnahmen wie Ehekredite,
staatliche Geburtenhilfe, Erhöhung des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs,
Arbeitszeitverkürzungen für berufstätige Mütter auf 40 Stunden bei vollem
Lohnausgleich und Babyjahr flankierten diesen Wandel.

Solche Maßnahmen trugen zwar begrenzt
fortschrittlichen Charakter, verfestigten aber auf der anderen Seite auch die
Rolle der Frau in der Familie. Männer konnten diese Rechtsansprüche nicht
gleichberechtigt wahrnehmen, was die Zuständigkeit der Frauen für den
familiären Bereich untermauerte und ihre Unterdrückung festigte. Hinsichtlich
der zahlenmäßigen Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit und der damit
verbundenen ökonomischen Unabhängigkeit trug die Frauenpolitik der DDR durchaus
emanzipatorische Züge, die zu einem „Gleichstellungsvorsprung der DDR gegenüber
der BRD“ führte. Ende der 1980er Jahre waren rund 90 % aller Frauen
berufstätig, davon hatten 87 % eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Kinderbetreuungseinrichtungen deckten 95 % des Bedarfs ab. (5) Allerdings
war diese Gleichberechtigung nicht von den Frauen erkämpft. Sie war „für Frauen
gemacht“ und reproduzierte den Traditionalismus im Geschlechterverhältnis.
Frauenarbeit hieß auch quasi „wesenhafte“ Zuständigkeit für Kinder, Familie und
Hausarbeit. Sexismus in der Erziehung und strenge Arbeitsteilung waren die
Norm. Mädchen wurden gedrängt, sozialhelferische und wenig qualifizierte Berufe
zu ergreifen. Nur einigen wenigen Vorzeige-Arbeiterinnen wurden Möglichkeiten
gegeben, in männerdominierte Bereiche vorzudringen.

Polarisierung

Die Familienpolitik begünstigte soziale
Polarisierungen zwischen den Geschlechtern wie gravierende
Einkommensunterschiede, Differenzen hinsichtlich beruflicher
Entwicklungsverläufe wie auch unterschiedliche Zeitressourcen von Männern und
Frauen. Ein Drittel der Frauen war teilzeitbeschäftigt. Die Entlohnung in
typischen Frauenberufen lag im Durchschnitt ein Drittel unter jener der Männer,
was den Vorteil der ökonomischen Unabhängigkeit vom Mann wieder schmälerte. Die
Trennung vom Mann bedeutete auch im Stalinismus einen Verlust an
Lebensstandard. Auch in der DDR besetzten Frauen die unteren Ränge der
betrieblichen Hierarchie und jene gesellschaftlichen Arbeitsfelder, die neben
einem geringeren Durchschnittseinkommen auch einen niedrigeren Status besaßen,
während Männer weiterhin das politische Leben in Partei, Betrieben und
Gewerkschaften dominierten.

Die Notwendigkeit, Beruf und Mutterschaft
miteinander zu vereinbaren, führte dazu, dass Frauen häufiger als Männer in
Berufe wechselten, die unterhalb ihrer Qualifikation lagen, oder dass sie
Qualifizierungsmöglichkeiten nur beschränkt wahrnehmen konnten und beruflich
nicht so flexibel waren. Auch bildungspolitische Beschränkungen und
betriebliche Rekrutierungsstrategien trugen zur Aufrechterhaltung von
geschlechtsspezifischen Branchenaufteilungen bei. Trotz existierender
Frauenförderungspläne ermöglichten sie den Betrieben, die bürokratische
Entscheidung über die Vergabe von Ausbildungsplätzen, den Anteil weiblicher
Lehrlinge gering zu halten. Nach der familienpolitischen Wende stiegen die
Scheidungsquoten, was nur scheinbar ein Widerspruch ist und eine gewisse
Rebellion der Frauen ausdrückt. Erstens hatte die Frauenpolitik die Frauen
verändert, die Männer aber kaum. Zweitens blieben die Frauen dennoch in
traditionellen Geschlechterstrukturen und Stereotypen gefangen. Steigende
Scheidungsquoten gingen mit hohen Wiederverheiratungsraten einher. (6) Der
Anteil der nichtehelichen Lebensgemeinschaften betrug dagegen im Osten wie im
Westen ca. 8 %.

80 % der Mitte der 1980er Jahre
befragten Jugendlichen hatten in der Schule die Erfahrung gemacht, dass man
nicht sagen durfte, was man dachte, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
Formalismus und Routine bestimmten den Schulalltag. Der „vormundschaftliche“
Staat verlängerte sich auf diese Weise in die Schule hinein und verwies die
SchülerInnen auf die Position der Unmündigen, Abhängigen, Geleiteten. Die
Familie war für viele eine vertraute Alternative, eine Art Gegenstruktur.
Männer waren trotz der Berufstätigkeit der Frau immer noch die Hauptverdiener.
Auch die Arbeitsteilung in der Familie erfolgte nach geschlechtsspezifischem
Muster und prägte die Wertorientierungen Heranwachsender. Bis heute hat die
Familie für die Ostdeutschen einen hohen Stellenwert, dabei haben die
Auffassungen über geschlechtsspezifische Zuständigkeiten überdauert. (7)

Widersprüche

Die Errungenschaften der DDR in Bezug auf
die Gleichberechtigung der Frauen waren vielfältig, unzureichend und
widersprüchlich. Dem hohen Grad der Einbeziehung von Frauen ins Berufsleben
(v. a. auch im Bereich der Industrie im Vergleich zum Westen), ihrer
größeren ökonomischen Unabhängigkeit und damit zusammenhängend ihrem größeren
Sebstbewußtsein standen auf der anderen Seite eine enorme Doppelbelastung im
Alltag und eine nach wie vor überproportional starke Einbindung in Familie und
Haushalt und das Fehlen eigenständiger Organisations- und
Artikulationsmöglichkeiten in Politik und Gesellschaft gegenüber. Die sozialen
Errungenschaften der DDR – die Planung der Wirtschaft, die Abschaffung des
Privateigentums und die weitgehende Überwindung der Klassendifferenzierung –
waren eine Basis, die nicht nur positiv für die Durchsetzung der
Gleichberechtigung der Frau, sondern historisch gesehen sogar eine
unverzichtbare Bedingung für die Erreichung dieses Zieles ist.

Doch die Herrschaft der bürokratischen
Kaste der StalinistInnen verhinderte eine wirkliche Emanzipation der Frau
doppelt: zum einen durch eine Frauenpolitik, die die vom Marxismus postulierte
Ziele und Bedingungen ihrer Befreiung ignorierte und sie stattdessen den
bornierten Bedürfnissen der Reproduktion ihres starren Gesellschaftsgefüges
opferte; zum anderen, indem die Bürokratie die Weiterentwicklung der
Gesellschaft Richtung Sozialismus blockierte und das Proletariat als deren
Akteur fesselte. Das Beispiel von 40 Jahren DDR zeigt die historische
Möglichkeit der Frauenbefreiung im Sozialismus wie auch die Unmöglichkeit,
dieses Ziel mit den Mitteln des Stalinismus zu erreichen.

Kapitalistische Restauration

Aufgrund der Wiedervereinigung mit der
imperialistischen BRD hat der Restaurationsprozess im Osten Deutschlands eine
gewisse Sonderstellung in der Restauration Osteuropas.

Trotz fast vollständiger Integration der
Frauen in das Erwerbssystem der DDR war die geschlechtsspezifische Aufteilung
der Erwerbsarbeit kaum in Frage gestellt, in manchen Bereichen eher noch
verschärft worden. Relativ stabil blieben auch die für weibliche Erwerbsarbeit
typischen Merkmale wie niedrigere Bezahlung typischer Frauenberufe; geringere
Aufstiegschancen; schlechtere Bedingungen, höhere Qualifikationen auch
tatsächlich anzuwenden. Für die Frauen der DDR wirkte Westdeutschland attraktiv
durch die vermeintlichen demokratischen und individuellen Freiheiten, durch seinen
Reichtum, das Konsumgüterangebot, die moderne Kleidung und durch gewisse
sexuelle Freiheiten der Frauen des Westens.

Diese Attraktivität ging schnell verloren,
als Marktpreise für Wohnen, Nahrung, Kinderbetreuung usw. bezahlt werden
mussten. Die Einkommen im Osten stagnieren, während für
Sozialversicherungspflichtige die Beitragsbemessungsobergrenzen weiter
angepasst und die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung angehoben
wurden. Für die Frauen Ostdeutschlands, die keine Alternative zum Hausfrauendasein
haben, wurde die Abhängigkeit vom Einkommen des Mannes zur Kette, die sie an
die Familie schmiedete. Merkmale feminisierter Armut schlagen nun auch voll auf
den Osten Deutschlands durch. Hauptgruppen sind wie im Westen alleinerziehende
Mütter, arbeitslose Frauen und Frauen (Witwen) ohne eigene Versichertenrente.
Dazu kommt, dass bei Frauen aller Altersgruppen Einkommensarmut häufiger
auftritt als bei Männern. Auch schon während der Wende gab es Aktionen von
Frauen für das Weiterbestehen der Kindereinrichtungen und der
fortschrittlicheren Abtreibungsgesetze. Frauen waren auch aktiv im Kampf gegen
den Stalinismus.

Mit wachsendem Selbstbewusstsein der
reaktionären Kräfte ließen die Mobilisierungen der Frauen jedoch nach. Das lag
u. a. auch daran, dass es in den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung
in der DDR (SED, FDGB) keine eigenständigen Organisations- und
Artikulationsmöglichkeiten für Frauen gab und in der Wendezeit dieses Problem
kaum gesehen wurde bzw. der Kampf darum durch die Gründung alternativer
Organisationen wie dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) ersetzt wurde.

Mit dem Umschlagen der Revolution in die
Konterrevolution änderten sich auch die Themen und die Organisationen der
Frauen. Obwohl sie in Gestalt des UFV 1989 am „Runden Tisch“ teilnahmen, wurden
im Zuge der Restauration ihre Interessen von allen Parteien übergangen.

Der FDGB, dem vor der Wende fast alle
Werktätigen angehörten, löste sich am 30. September 1990 formal auf, nachdem er
auf seinem letzten Kongreß die Satzung so geändert hatte, dass sich der
Organisationsbereich des DGB nun auch auf die fünf neuen Länder und Ost-Berlin
erstreckte. Es gab nur Einzelübertritte vom FDGB in den DGB, die
Organisationsstrukturen in den neuen Bundesländern wurden faktisch neu aufgebaut.
Die Übernahme von FunktionärInnen des FDGB in den DGB war selten.

Im ersten Jahr der Einigung konnte der DGB
im Osten zunächst einen höheren Organisationsgrad verbuchen als im Westen, aber
bedingt durch Arbeitslosigkeit und die Umstrukturierung der Wirtschaft ging er
wieder zurück. Ende 1992 hatte der DGB 11 Millionen Mitglieder, davon 7,9
Millionen in den alten und 3,1 Millionen in den neuen Bundesländern. Der Anteil
der weiblichen Mitglieder betrug in der Gruppe der ArbeiterInnen 32 %, in
der Gruppe der Angestellten 56,4 % und bei den BeamtInnen 22,3 %.

Gewerkschaften

Zum Absinken des gewerkschaftlichen
Organisationsgrades hat die Politik der Gewerkschaftsführung selbst in einem
nicht unerheblichen Maße beigetragen. Das deutsche Kapital zehrt noch heute,
fast ein Jahrzehnt nach der Wende, von der Bereitwilligkeit der
Gewerkschaftsführung, das Proletariat im Kampf gegen die sozialen Auswirkungen
der Restauration zurückzuhalten und die Spaltung in ost- und westdeutsche
ArbeiterInnenklasse zu zementieren. Noch immer erhalten die ArbeiterInnen im
Osten einen geringeren Lohn als im Westen. Wie wenig die von der
Gewerkschaftsführung für den Osten favorisierten Abwiegelungsmodelle wie
„Beschäftigungsgesellschaften“, ABM u. ä., die v. a. dazu dienten,
den Anschein vorübergehender Strukturanpassungsmaßnahmen aufrechtzuerhalten,
geeignet sind, einen „gesamtgesellschaftlichen Ausgleich der sozialen Härten“
der Restauration zu erreichen, wird nun, nachdem der kurze Nach-Wende-Boom
vorbei ist und die Krise auf Gesamtdeutschland durchschlägt, immer
offensichtlicher.

Der seit Juni 1990 festzustellende
überproportionale Anteil von Frauen an den Arbeitslosen ist ein klares Indiz
dafür, dass der Umbau des Wirtschaftssystems in der Ex-DDR keineswegs
geschlechtsneutral verläuft. (8) Der im April 1991 erstmalig in den neuen
Ländern durchgeführte Mikrozensus zeigte, dass die Erwerbsquote der Frauen von
ca. 90 % auf 73 % gesunken war. Zwischen 1990 und 1992 wurden 2/3 der
ostdeutschen Industrie zerstört. 1992 waren nur noch 750.000 in Industrie und
Handel vollbeschäftigt. Das entsprach etwa einem Viertel des
Beschäftigungsstandes von 1990. Die landwirtschaftliche Produktion sank bis
Mitte 1992 auf die Hälfte. 1989 hatte die ostdeutsche Wirtschaft 9,6 Mio.
Beschäftigte. 1992 waren 4 Mio. davon arbeitslos, in Kurzarbeit oder (als
PendlerInnen, PensionistInnen, Hausfrauen u. ä.) vom Arbeitsmarkt
verschwunden. (9)

Arbeitslosigkeit

Dabei erwies sich zunächst nicht so sehr
das Entlassungsrisiko als geschlechtsspezifisch. Vielmehr sind die Chancen, ein
neues Beschäftigungsverhältnis einzugehen, für Frauen geringer. 1995 betrug die
„stille Reserve“, die keine Chance zu einem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt
hat, 2,3 Millionen. Immer größer werdende Zahlen an Langzeitarbeitslosen und
die sinkende Bezugsdauer von Arbeitslosengeld führen dazu, dass die Zahl jener,
die gleich an die Sozialbehörden verwiesen werden, wächst. So gab es 1995
300.000 Beschäftigte, die auf Sozialhilfe angewiesen und 2,5 Mio. Arbeitslose
(Ostdeutschland), die wegen der niedrigen Lohnersatzleistungen teilweise
zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen waren.

Die strukturellen Veränderungen des
Erwerbssystems sind gekennzeichnet durch einen nachhaltigen Branchenumbau.
Grundtendenz ist dabei die Verminderung des Frauenanteils innerhalb der
verschiedenen Wirtschaftsbereiche. Diese Tendenz setzt sich unabhängig durch,
ob es sich um eine Branche im Aufschwung, eine niedergehende oder stagnierende
handelt, oder ob es sich um eher männer- oder frauentypische Erwerbsfelder
handelt:

– In der DDR frauentypische Branchen werden
zu Mischbranchen (Handel, Banken, Versicherungen u. a. Dienstleistungen).
Unter den Bedingungen eines veränderten Arbeitsmarktes reflektieren Männer
verstärkt auf diese Bereiche. In den privatisierten Ex-Treuhandfirmen des
Dienstleistungsbereiches ist bis 1992 der Frauenanteil von 71 % auf
53 % zurückgegangen. Außerdem stagnieren die primären Dienstleistungen und
die einfachen Bürotätigkeiten, während die qualifizierten sekundären
Dienstleistungsbereiche ausgeweitet werden.

  • Mischbranchen werden zu männerdominierten Branchen (übriges verarbeitendes Gewerbe, Landwirtschaft, Verkehr, Bahn, Post).
  • Traditionell schon zu DDR-Zeiten männertypische Branchen schließen sich weiter gegen Frauenerwerbsarbeit ab (Bergbau, Energiegewinnung, Bauwirtschaft, Metall-/Elektroindustrie). (10)

Geschlechtsspezifisch differenzierte
Entwicklungsverläufe sind auch hinsichtlich der beruflichen Stellung zu
beobachten. Bereits im Frühjahr 1991 waren kaum noch Frauen in
Leitungspositionen beschäftigt. Bei hochqualifizierten Führungs- und
Berufspositionen beträgt der Frauenanteil deutlich unter einem Zehntel. (Nur
bei einigen akademischen Berufen sind die Frauen in der Überzahl: Lehrerinnen
55 %, Schulleitung jedoch nur 20 %, Ärztinnen und Apothekerinnen
46 %). (11) Damit haben sich auch die Einkommensunterschiede zwischen
Frauen und Männern weiter verstärkt. Während 1991 von den männlichen
Erwerbstätigen 7 % ein Nettoeinkommen von mehr als 5.000 Mark monatlich
hatten, waren es bei den Frauen nur 0,8 %.

Frauen sind auch häufiger als Männer von
Kurzarbeit betroffen, da sie häufiger in Kleinbetrieben ohne Zuschusszahlungen
tätig sind und sich auf Verwaltungs- und Dienstleistungsberufe konzentrieren,
die auch in kurzarbeitenden Betrieben von Entlassungen betroffen sind.

Einzelne Berufsgruppen sind
überproportional von Frauen besetzt: Tierpflege, Textilverarbeitung,
Warenkaufleute, Bürofachkräfte, ärztliche Pflege- und Hilfsberufe,
Sozialpflegeberufe, Reinigungsdienste. (12) Weniger als 36 Stunden wöchentlich
arbeiten 3,4 % der Männer und 32,6 % der Frauen. 1991 betrug der
Anteil der Frauen bei den Selbstständigen 25,7 %, bei den mithelfenden
Familienangehörigen 84 %, bei den BeamtInnen 22,3 %, bei den
Angestellten 56,2 % und bei den ArbeiterInnen 29,8 %.

Erwerbsneigung

Die Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen ist
wie die Orientierung auf die prinzipielle Vereinbarkeit von Beruf und Familie
nahezu ungebrochen. Für 1991 seien folgende Vergleichszahlen für erwerbstätige
Frauen mit Kindern genannt: Von 100 Frauen der Altersgruppe der 25–29-Jährigen
arbeiteten in den neuen Bundesländern 81, in den alten Bundesländern 50; von
der Altersgruppe der 30–34-Jährigen arbeiteten in den neuen Bundesländern 84
und in den alten 54. Eine möglichst kontinuierliche Erwerbstätigkeit der Frauen
gehört nicht nur zu den kulturellen Erfahrungen der Frauen, sondern auch der
Männer.

Ostdeutsche Männer halten es zu 93 %
für selbstverständlich, dass ihre Partnerin erwerbstätig ist, wenn keine Kinder
im Haushalt leben (75 % der westdeutschen Männer). Ist ein Kleinkind zu
versorgen, so sind 54 % der ostdeutschen Männer für eine
Teilzeitbeschäftigung der Frau (21 % der westdeutschen Männer). Unter
diesen Bedingungen plädieren 78 % der westdeutschen Männer für einen Ausstieg
aus dem Beruf (ostdeutsche 37 %). (13) Für die Mehrzahl der ostdeutschen
Frauen vollzieht sich der Ausstieg aus der Erwerbsarbeit nicht als
familienbedingte Unterbrechung, sondern als unfreiwilliger Verlust des
Arbeitsplatzes.

Warteschleife

Dementsprechend zeigen sie durchaus
Mobilität und Flexibilität, wenn es darum geht, sich auf neue
Arbeitszusammenhänge einzulassen: Qualifizierung, ABM-Maßnahmen und
Projektbeschäftigung werden als Mittel gesehen, um sich im Erwerbssystem zu
halten. 2 Mio. insgesamt „entlasteten“ 1995 den Arbeitsmarkt durch solche
„arbeitsmarktpolitischen Instrumente“. 500.000 hatte der öffentlich geförderte
„zweite Arbeitsmarkt“ (ABS, ABM, §249 AFG) zur gleichen Zeit aufgesogen. Die
Beschäftigung von Frauen nimmt auch auf dem „dritten Arbeitsmarkt“ zu, der
durch die Legalisierung der Beschäftigung von Arbeitslosen oder
SozialhilfeempfängerInnen außerhalb des Tarifsystems entsteht und ständig
wächst. Gleichzeitig nimmt die „geringfügige Beschäftigung“ (nicht
versicherungspflichtige Teilzeitarbeit unter 20 Stunden) zu. 1995 waren in der
gesamten BRD 2,5 Mio. „geringfügig beschäftigt“.

Im Zuge härter werdender Verteilungskämpfe
werden sich die geschlechtsspezifischen Differenzierungslinien wie die zwischen
den einzelnen Frauengruppen auch entlang solcher Merkmale wie Mutterschaft oder
kinderlos, alleinerziehend oder mit Partner, Kinderanzahl usw. vertiefen. Die
ausschließliche Zuständigkeit für Haushalt und Kinder schränkt die räumliche
und zeitliche Mobilität der Frauen ein. Die weitere Schließung von
Kinderbetreuungseinrichtungen und die Verkürzung der Öffnungszeiten unter dem
Vorwand der „geburtenschwachen Jahrgänge“ führen zu weiterer Benachteiligung
von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Frauen, insbesondere Ostfrauen, zählen
schon heute zu den „Unterversorgungsrisikogruppen“ genauso wie kinderreiche
Haushalte in Ost und West. Das materielle Lebensniveau sinkt eindeutig mit
steigender Kinderzahl. Sinkende Geburtenraten (14) wie rückläufige
Eheschließungs- (15) und Scheidungsquoten (16) zeigen, dass auch im Osten die
Risiken der Individualisierung durch eine veränderte Lebensplanung minimiert
werden sollen. (17) Vor allem Alleinerziehende (18) – überwiegend Frauen; der
Anteil der alleinerziehenden Männer betrug 1991 in Deutschland 14 % – sind
in den neuen Bundesländern von den Umstellungen auf dem Arbeitsmarkt betroffen.
Gründe dafür sind v. a. der Wegfall des Kinderbetreuungsnetzes, die
zeitlichen und räumlichen Grenzen für Umschulungsmöglichkeiten oder die durch
die Überbelastung bedingte erhebliche Reduktion von sozialen Kontakten.

Nur 3 % der ostdeutschen Frauen können
sich ein Leben als „Hausfrau“ vorstellen. 2/3 der Frauen würde auch arbeiten,
wenn sie das Geld nicht bräuchten. Aber inzwischen sind es fast 46 %, die
eine Unterbrechung der Erwerbsarbeit für die Kinderbetreuung ins Auge fassen
(Dreiphasenmodell). (19) Arbeitslosigkeit und Mangel an bezahlbaren wie an
Kinderbetreuungseinrichtungen überhaupt zwingen die Frauen oft, zu Hause zu
bleiben. Gleichzeitig sind immer mehr Beschäftigte zu schlecht bezahlter Arbeit
gezwungen. (20)

Ungleichheit

Obwohl sich im Westen Deutschlands die
Quoten der Chancengleichheit durch verbesserte höhere Schulbildung bei Jungen
und Mädchen angeglichen haben, wobei die Mädchen in vielen Positionen sogar
eine deutliche Überlegenheit zeigen, so ist die Schlechterstellung von Frauen
in der späteren Arbeits- und Berufswelt eindeutig dokumentierbar.

Entgegen den Behauptungen der durch die
Wende endlich erreichten „Freiheit“ erweist sich die deutsche
Nachwende-Realität als wenig segensreich für Frauen. Unter dem Druck des mit
der Restauration wiedereingeführten Mehrwertgesetzes als Grundprinzip des
Wirtschaftens sind eine ganze Reihe von sozialpolitischen Errungenschaften der
DDR entweder beseitigt, eingeschränkt oder kaum noch erschwinglich geworden.
Weniger oder kaum noch erschwingliche Kinderbetreuung stellt Frauen stärker als
in der DDR vor die Alternative Beruf oder Kinder.

Wachsender Leistungsdruck in den
Arbeitsverhältnissen erschwert eine Berufstätigkeit für Frauen (v. a. mit
Kindern) zusätzlich. Trotz gewisser Verbesserungen und Erleichterungen im
Alltagsleben ist die traditionelle Rolle der Frau innerhalb von Familie und
Haushalt weiter ungebrochen und teilweise sogar verstärkt worden. Dazu trägt
auch das über die Medien massiv verbreitete tradierte Frauenbild bei.

Vor allem aber ist die Stellung der Frauen
innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und im Klassenkampf keine bessere als zu
Zeiten der DDR. Gerade eine solch eigenständige und aktive Beteiligung von
Frauen im Klassenkampf ist aber die entscheidende Bedingung für die Überwindung
der Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen in der Gesellschaft. Der DFD
bildete in der Volkskammer eine eigene Fraktion, der zuletzt 35 Frauen
angehörten und deren hauptamtliche Funktionärinnen – überwiegend SED-Mitglieder
– die Aufgabe hatten, die Politik der Partei im DFD durchzusetzen.

Mit dem Entstehen der Oppositionsbewegung
der DDR Ende der siebziger und in den achtziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts entstanden auch reine Frauengruppen um ökologische oder
friedenssichernde Fragen wie z. B. die Initiative „Frauen für den
Frieden“, die sich aus Protest gegen das 1982 verabschiedete neue
Wehrdienstgesetz gegründet hatte, dem zufolge im Verteidigungsfall auch Frauen
eingezogen werden sollten. Diese Frauengruppen, die zusammen etwa 300
Mitglieder zählten, trafen sich unter dem Dach der evangelischen Kirche.

Noch 1948 hatte die SMAD die Gründung der
Evangelischen Kirche Deutschlands in Eisenach als „kirchliche Vorwegnahme der
staatlichen Wiedervereinigung“ begrüßt. Die katholischen Bistümer Fulda,
Osnabrück, Paderborn und Würzburg ragten in das DDR-Territorium, was zusammen
mit der Gründung der EKD und den alle zwei Jahre im Wechsel stattfindenden
Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen eine gesamtdeutsche Klammer
bildete. Obwohl die SED bestrebt war, den Einfluss der Kirchen zurückzudrängen,
und zuletzt der Anteil der Kirchenzugehörigkeit deutlich unter 30 % (in
den Industriezentren unter 10 %) gesunken war, ließ sich die stalinistische
Partei von der „Weltöffentlichkeit“, die sie an das „welthistorische Erbe“
gemahnte, und im Interesse der „friedlichen Koexistenz“ zu einem
kirchenpolitischen Zickzackkurs verleiten.

Die Kirche stellte den DDR-Oppositionellen
die Kommunikationshilfe zur Verfügung, mit der sie Kontakt mit Gleichgesinnten
außerhalb der DDR unterhalten konnten. Die DDR-Oppositionellen, auch die
Frauengruppen, waren stark von westlichen Ideologien wie Pazifismus und
Feminismus beeinflusst und konnten sich nicht aus der Kleinbürgerlichkeit der
Bürgerbewegung lösen. Ihre Forderungen umfassten Quotenregelungen auf allen
Parteiebenen, für alle Funktionen und Mandate, spezielle Frauengremien im
Staatsapparat, in Parteien und Gewerkschaften sowie flexible, familienorientierte
Arbeitszeiten. Diese Forderungen übernahmen während der Wende – mal stärker,
mal weniger betont – alle Parteien, so auch die DDR-CDU, die mit 46 % den
stärksten Frauenanteil hatte.

Am „Runden Tisch“

Unter dem Slogan „Ohne Frauen ist kein
Staat zu machen“ konstituierte sich im Dezember 1989 der UFV als Dachverband
von damals 20 Gruppierungen. Er ging mit der Grünen Partei eine
Listenverbindung für die Volkskammerwahl ein, die er jedoch wieder löste, weil
sich für ihn durch seine Listenplazierung keine Parlamentssitze ergaben. Im
Februar 1990 gehörten dem Verband bereits 34 Frauengruppen an. Sie gaben sich
ein Statut und ein Programm und öffneten sich 1992 auch für westdeutsche
Mitglieder.

Die Tatsache, dass Mitglieder der Berliner
Basisgruppen ohne Wissen der Provinzgruppen Vorsitz und Sprecherfunktion in der
Organisation übernahmen, zeigt, dass sich Strukturen und Befugnisse trotz aller
Betonung der „Basisdemokratie“ ohne wirkliche demokratische Legitimation
durchsetzten. Die Berliner Gruppen entschieden auch über die Teilnahme und
personelle Vertretung am „Runden Tisch“. Der UFV hatte im Kabinett der
klassenkollaborationistischen Modrow-Regierung einen Ministerrang inne. (21)

Der Verband sah sich als eine eigenständige
politische Interessengemeinschaft von Frauen und als Bestandteil der weltweiten
Frauenbewegung, die „für die Abschaffung unterdrückender Herrschafts- und
Denkstrukturen kämpft, die eine gewaltlose, demokratische, ökologisch stabile,
sozial gerechte und multikulturelle Welt schaffen will“. Grundsätzliche Fragen
wurden allerdings schon bald von akuten existentiellen Problemen überlagert.
Die Frauengruppen setzten sich nun vorrangig für den Erhalt des sozialen
Besitzstandes ein.

Soziale Sicherung der individuellen
Existenz und Wohlfahrt, die sich in erster Linie über Erwerbsarbeit herstellt,
wurde in den letzten Jahrzehnten für Frauen immer wichtiger und hat heute schon
fast den traditionellen Ausgleich der Lastenverteilung über die lebenslange
Versorgerehe abgelöst – auch weil die Verlässlichkeit dieses Arrangements
abnimmt.

Für die BRD – wie für andere
imperialistische Länder auch – gab es in den letzten Jahrzehnten einen Rückgang
der Schwerindustrie und der Fabrikarbeit bei einer gleichzeitigen Ausweitung
der Leichtindustrie und des Dienstleistungssektors. (22) Auffällige Merkmale
dieser Entwicklung der Produktionsstruktur sind der Rückgang der Beschäftigten
in Land- und Forstwirtschaft, der Rückgang der Selbstständigen und mithelfenden
Familienangehörigen, der Anstieg der unselbstständig Beschäftigten auf fast
neun Zehntel aller Erwerbstätigen und der enorme Anstieg der Beschäftigten im
Dienstleistungssektor.

Modernisierungstheorie

Dieser Prozess, der dem Anstieg von
Frauenarbeit zugrunde liegt, wird in der feministischen Debatte mit „Modernisierung
der kapitalistischen Gesellschaft“ bezeichnet und jetzt einfach auf die Ex-DDR
übertragen. D. h., der Restaurationsprozess wird mit nachholender
„Modernisierung“ gleichgesetzt, bei dessen Abschluss sich die Lage der Frauen
auf das westliche Niveau eingepegelt haben wird.

Inhalt der „Modernisierungstheorie“ ist,
dass in allen sich industrialisierenden Ländern Urbanisierung,
Alphabetisierung, politische Teilhabe, Differenzierung und Autonomie, soziale
und geographische Mobilität ansteigen und die traditionelle und lokale
Orientierung notwendigerweise einer nationalen und schließlich kosmopolitischen
weichen müsse. Auf die kapitalistische Wiedervereinigung bezogen heißt das: Die
Mehrheit der BürgerInnen der DDR habe das Gesellschaftssystem der BRD mit Konkurrenz,
Marktwirtschaft, Konsum, Mobilitätsmöglichkeit und Wohlfahrtsstaat als eines
ohne Alternative anerkannt. Eindeutige „Modernisierungsrückstände“ habe es bei
der Ausbildung von sozialen Bewegungen und Pluralismus, von Partizipation und
einer Differenzierung der Lebensformen und Lebensstile gegeben und diese würden
jetzt nachgeholt.

Diese auf reinem Empirismus aufgebaute
Theorie lässt die Grundlagen, auf denen ein Gesellschaftssystem aufgebaut ist,
den Boden, auf dem Urbanisierung, Alphabetisierung, Mobilität oder politische
Teilhabe gedeihen und vergehen können, völlig außer Acht. Soziale Bewegungen
und Pluralismus erscheinen so als „Errungenschaften“ der in der
„Modernisierung“ am weitesten fortgeschrittenen Staaten und nicht als Ausdruck
der Widersprüchlichkeiten des jeweiligen Gesellschaftssystems.

So übersieht der Feminismus eine der
bedeutendsten Veränderungen in der Gesellschaft der Ex-DDR – ihre
Differenzierung in Klassen aufgrund der Änderung der Eigentumsverhältnisse.
Auch die Frauen gehören nunmehr unterschiedlichen Klassen an. Ihre
verschiedenen objektiven Interessen sind mit einheitlich
geschlechtsspezifischer Politik nicht mehr vereinbar.

Denunziation

Zwar schlossen sich die FeministInnen nicht
im vollen Ausmaß der bürgerlichen Meinungsmache an, die alle Errungenschaften
der Arbeiterinnen und Arbeiter in der Ex-DDR als „stalinistische
Misswirtschaft“ denunzierte, aber sie erklärten, dass der
„Gleichstellungsvorsprung“ für die Frauen der EX-DDR ihnen geschenkt worden sei
und sie jetzt, wo es die „freigiebige“ Hand der Bürokratie nicht mehr gäbe, um
ihre Rechte genauso kämpfen müssten wie die Frauen im Westen.

Im Westen hatte allerdings der Feminismus
wesentlichen Anteil daran, den Kampf der Frauen von dem des Proletariats zu
trennen und ihn auf diese Weise in die Irre zu führen. Auch in der Frage der
Wiedervereinigung ging der Feminismus von einer für alle Frauen geltenden
Ausgangslage aus. Auf der Ost-West-Frauenkonferenz 1990 hatten die westlichen
FeministInnen nur ihre ewige Litanei über das überall gleiche Patriarchat parat
und enthielten sich jeder geistigen Anstrengung über die Aufgaben, vor denen
sich die Frauen in der Ex-DDR angesichts der bevorstehenden Einengung ihres
Lebens durch die Restauration gestellt sahen.

So ignorierte der Feminismus die
grundlegende Aufgabe für das deutsche Proletariat, die Restauration auf dem
Gebiet der ehemaligen DDR zu verhindern und die politische Revolution zu einer
sozialen im Westen auszuweiten. Für ihn gab es die Frage der Errichtung einer
Klassengesellschaft nicht. Die Aufgabe sollte vielmehr heißen, positive
Errungenschaften der Frauen im Osten auch auf den Westen zu übertragen.

Feministische Ingnoranz

Zu den positiven Errungenschaften zählte
für die FeministInnen an vorderster Stelle die Fristenregelung für den
Schwangerschaftsabbruch, aber schon nicht mehr unbedingt der Bestand an
betrieblichen Kinderbetreuungseinrichtungen. So kam von den FeministInnen
bezeichnenderweise keinerlei Unterstützung für den zehnwöchigen Kitastreik im
Frühjahr 1990 im Westen Berlins. Andererseits ist es dem Feminismus strukturell
auch schwer möglich, selbst effektive Kampfschritte zu setzen, da der
Feminismus sich ja eben gerade als „unabhängig“ von der ArbeiterInnenbewegung
sieht und aus diesem Grunde auch nichts dazu unternimmt, in den
ArbeiterInnenorganisationen selbst dafür zu kämpfen, „Frauenthemen“ zu einem
integralen Bestandteil der Politik dieser Organisationen zu machen.
Unterstützung kam vor allem aus dem Ostteil der Stadt, wo es gleichzeitig
Aktionen von Frauen gegen die Schließung von betriebseigenen
Kinderbetreuungseinrichtungen gab.

Der Feminismus besteht auf der unabhängigen
Organisierung von Frauen, um die Gleichheit mit den Männern in der Gesellschaft
durchzusetzen. Er sieht den Kampf der Frauen als abgetrennt und unabhängig vom
Klassenkampf, statt sich dafür einzusetzen, dass der Kampf gegen
Frauenunterdrückung ein Teil des Kampfes der gesamten ArbeiterInnenklasse wird.
Mit dem Argument, dass die Interessen der Frauen sich nicht nur von den Männern
unterschieden, sondern ihnen sogar entgegengesetzt seien, lehnt er eine
gemeinsame Organisierung mit den Männern ab und plädiert für den
Zusammenschluss der Frauen aller Klassen. Diese Position schwächt die
ArbeiterInnenbewegung.

Radikale FeministInnen geißeln die
Unfähigkeit der bürokratischen Gesellschaften und meinen, das Leid der Frauen
dort habe gezeigt, dass der Sozialismus keine Garantie für die Frauenbefreiung
sei. Tatsächlich war die Vergesellschaftung der Hausarbeit in der DDR völlig
ungenügend (wie übrigens, wenn auch in anderer Weise auch im Kapitalismus), die
Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt war groß. Viele Errungenschaften waren
auf einem so schlechten Niveau, so dass kurz nach der Wende viele Frauen froh
waren, zu Hause bleiben zu können, um sich um die Familie zu kümmern. Solange
sie in der schlecht organisierten, häufig monotonen und mühseligen
Betriebsarbeit steckten, schien ihnen das attraktiv. Der radikale Feminismus
übersieht aber, dass diese Gesellschaften nie sozialistisch waren, sondern eine
Bürokratie die der ArbeiterInnenklasse zustehende Macht an sich gerissen hatte.
Der „demokratische“ Kapitalismus wurde von der Opposition (auch von den
Frauengruppen), von westlichen Medien und PolitikerInnen und sogar von den
StalinistInnen selbst als Ausweg aus der Krise der Planung gepriesen.
Inzwischen haben auch die Frauen in der Ex-DDR gemerkt, dass ihnen der
Kapitalismus keine Perspektive bietet.

Der „sozialistische Feminismus“, wenngleich
weniger separatistisch, teilt dennoch die Idee, dass die Strukturen der
Frauenunterdrückung getrennt von anderen Ausbeutungs- und
Unterdrückungsverhältnissen existieren. Diese Idee des eigenständigen
Patriarchats lässt ihn ebenfalls zu der Aussage kommen, dass Frauen sich
„autonom“ organisieren sollten.

Kleinbürgerlich

Die „sozialistischen Feministinnen“
betreiben in Wirklichkeit eine Politik, die den Interessen kleinbürgerlicher
Frauen entgegenkommt (z. B. deren Aufstieg in Führungspositionen). Dabei
bedienen sie sich durchaus systemkonformer Methoden, die sie sonst als typisch
für das patriarchalische Machtgefüge anprangern, wie z. B. im Fall der
gestürzten hessischen Umweltministerin Margarethe Nimsch, die es als ihre
feministische Pflicht ansah, eine Parteifreundin zu begünstigen, oder der
Hamburger Sozialsenatorin, die familienorientiert genug war, einer Institution,
der ihr Mann als Geschäftsführer diente, einen satten Auftrag zuzuschanzen.

Sozialistische FeministInnen stehen häufig
im Dienst der reformistischen Parteien, die zwar verbal für die Emanzipation
eintreten, konkret jedoch häufig Sozialabbau vorantreiben, der zu Lasten der
Frauen geht (z. B. Privatisierung von Betrieben, öffentlichem Dienst und
Sozialfürsorge).

Den „sozialistischen Feminismus“
interessieren die Sorgen und Probleme der Mehrheit der proletarischen Frauen in
Wirklichkeit nicht. Die Begeisterung über den virtuellen Feminismus von
Gleichstellungsbeauftragten, Frauenministerien und Quotenregelungen verleugnet
die Realität, die für die Mehrheit der Frauen, trotz größerer Einbeziehung in
Produktion und gesellschaftliche Funktionen weiterhin in Unterdrückung,
Schlechterstellung, Abhängigkeit vom Mann und Zuständigkeit für die Familie
besteht.

Die Frauenarbeitsgemeinschaft LISA der PDS
fasst „Analyse“ und „Programm“ in zwei Sätze: „Frauen dürfen nicht länger zur
Anpassung an männliche Wert- und Lebensvorstellungen gezwungen sein.
Frauendiskriminierung zu beseitigen, setzt nicht nur rechtliche Gleichstellung
voraus, sondern erfordert Umdenken in allen Lebensbereichen.“ (23)

Das erklärte Ziel der PDS heißt
„demokratischer Sozialismus“ und soll aus Marktwirtschaft mit parlamentarischer
Demokratie und ganz viel sozialer Gerechtigkeit bestehen. Da passt es schlecht,
dass es eben die Marktwirtschaft, das kapitalistische System ist, das aus der Frauenunterdrückung
genügend Vorteile zieht, um sie ständig weiter zu reproduzieren. Nicht der
Kapitalismus, sondern angeblich männliche Wert- und Lebensvorstellungen zwingen
Frauen, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten, zwingen sie, zu gebären, zwingen sie
in ungeschützte und Teilzeitarbeitsverhältnisse usw. Warum sollten Männer dann
umdenken und warum hat die PDS – deren Frauenanteil unter dem der Männer liegt
– die von LISA aufgestellten, durchaus begrüßenswerten Forderungen wie
ersatzlose Streichung des §218 StGB oder gleichen Lohn für gleiche Arbeit
überhaupt übernommen?

Reformismus

Vom Stalinismus, der die
ArbeiterInnenklasse im Namen einer „friedlichen Koexistenz mit dem
Kapitalismus“ niederhielt, ist die PDS zu einem sozialdemokratischen
Reformismus konvertiert, der keine Klassen mehr kennt, sondern nur noch
individuelle „Wert- und Lebensvorstellungen“, die je nach Interpretationsbedarf
in von den gesellschaftlichen Verhältnissen abgekoppelte Gegensätze gestellt
werden: „konservativ und reformerisch“, „rechts und links“, „männlich und
weiblich“.

Natürlich ziehen auch die Männer der
ArbeiterInnenklasse handfeste Vorteile aus der Frauenunterdrückung: Sie
erhalten im allgemeinen bessere Löhne und haben meist bessere
Arbeitsbedingungen als die Frauen. Zusätzlicher Nutzen erwächst ihnen daraus,
dass die Frauen den Großteil der Hausarbeit oft zusätzlich zur Lohnarbeit
machen. Die Familienstruktur verfestigt diese Situation, die sexistische
Ideologie der männlichen Dominanz in ihr bringt die Männer dazu, ein Verhalten
anzunehmen, das die Frauen direkt unterdrückt.

Aber die Vorteile, die Männer der
ArbeiterInnenklasse aus der Frauenunterdrückung ziehen, sind in historischem
Ausmaß so gering, dass die Nachteile, die sich aus der Frauenunterdrückung
ergeben, unvergleichlich schwerer wiegen. Flexibilisierte Arbeitszeiten,
schlechtere Arbeitsbedingungen und geringere Löhne der Frauen üben auf jene der
Männer einen ständigen Druck aus. Im Verbund mit der sexistischen Ideologie
wird eine Spaltung innerhalb der Klasse aufrechterhalten, die ihre kollektive
Kraft schwächt. Das Proletariat insgesamt hat ein historisches Interesse am
Sturz des Kapitalismus, um der Frauenunterdrückung die gesellschaftliche
Grundlage zu entziehen. Die Männer der ArbeiterInnenklasse sind daher die strategischen
Verbündeten der Frauen im Kampf gegen das kapitalistische System.

Verschleierung

Diese Tatsache zu verschleiern, sind alle
feministischen Richtungen, erst recht der bürgerliche Feminismus in Gestalt des
Deutschen Frauenrates, bemüht. Der Deutsche Frauenrat (DF) ging 1969 aus dem
„Informationsdienst für Frauenfragen“ hervor, in dem sich 1951 nach dem Zweiten
Weltkrieg neu oder wieder gebildete Frauenverbände zusammengeschlossen hatten.
Er versteht sich in der Traditionslinie des Bundes Deutscher Frauenvereine und
„will Veränderungen ausschließlich auf den üblichen Wegen des herrschenden
Gesellschaftssystems erreichen“. Dazu muß sich der DF als „überparteiliche und
-konfessionelle Dachorganisation“ „am Konsens seiner Mitglieder orientieren“.

Die Vielfalt der Mitglieder spiegelt sich
im Vorstand, in dem die Bundesfrauenvertretung des Deutschen BeamtInnenbundes,
der Deutsche ÄrztInnenbund, der Deutsche JuristInnenbund, die Evangelische
Frauenarbeit, der Katholische Deutsche Frauenbund, der Deutsche Sportbund, der
JournalistInnenbund, der Deutsche Landfrauenverband und – der DGB vertreten
sind. Die Monatszeitschrift des DF „Informationen für die Frau“ wird vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. In allen
16 Bundesländern gibt es Landesfrauenräte, die eng mit dem Deutschen Frauenrat
zusammenarbeiten.

Dass die Existenz dieser Organisation kaum
bekannt ist, obwohl sie nach eigenen Aussagen elf Millionen Frauen
einschließlich Mehrfachmitgliedschaften vertritt, zeigt, wie wenig die Belange
der proletarischen Frauen und damit die tatsächlichen Probleme, vor denen der
Kampf für die Frauenemanzipation gestellt ist, in diesem Gremium zum Zuge
kommen. Zur Erinnerung an die Gründung des BDF vor 100 Jahren organisierte der
Deutsche Frauenrat am 5. März 1994 eine Kundgebung in Bonn gegen die
„fortwährende Benachteiligung der weiblichen Bevölkerung“. Nur drei Tage
später, am Internationalen Frauentag des gleichen Jahres, hatte der DF zur
Benachteiligung von Frauen nicht mehr viel zu sagen.

Diese Organisation existiert trotz aller
gleichstellungspolitischen Phrasen nur, um die Interessen und den Kampf der
Frauen der Aufrechterhaltung des bürgerlichen Systems unterzuordnen. Die
Organisationen der proletarischen Frauen haben darin nichts verloren.

Endnoten

(1) „Beteiligung am Erwerbsleben“, Quelle:
Statistisches Bundesamt.

(2) Mit einer Abiturientenquote von
13 % lag die DDR deutlich unter jener der BRD mit ca. 35 % pro
Altersjahrgang.

(3) Lesart nach „Kleines politisches
Wörterbuch“: „…In der sozialistischen Gesellschaft entwickelt sich die
Familie auf der Grundlage des gleichen sozialen Verhältnisses ihrer Mitglieder
zum sozialistischen Eigentum und der vollen Gleichberechtigung von Mann und
Frau immer mehr zu einer stabilen Lebensgemeinschaft, in der die Fähigkeiten
und Eigenschaften Unterstützung finden, die das Verhalten der Menschen als
sozialistische Persönlichkeit bestimmen. Insbesondere für die Charakterbildung
der Kinder, ihre Erziehung zu gesunden, lebensfrohen, allseitig gebildeten
Menschen und bewussten StaatsbürgerInnen haben harmonische Familienbeziehungen
eine große Bedeutung. Weil die Stabilität der Familie außerordentlich wichtig
für die Weiterentwicklung der ganzen Gesellschaft ist, garantiert die
Verfassung der DDR u. a. jedem/r BürgerIn das Recht auf Achtung, Schutz
und Förderung seiner/ihrer Ehe und Familie…“

(4) In der BRD wurde 1974 der
Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert.

(5) Quelle: „Initial 4“: Artikel
„Deutschlands Frauen nach der Wende“ von Hildegard Maria Nickel.

(6) In den alten Bundesländern waren von
den 23,4 Millionen Haushalten 1991 9,4 Millionen, d. h. ca. 40 %
Familienhaushalte, davon 51 % Familienhaushalte mit einem Kind und
37,8 % mit zwei Kindern. In den neuen Ländern und Ost-Berlin sind die
Zahlen ganz ähnlich: 50,9 % Familienhaushalte mit einem Kind, 40,8 %
mit zwei Kindern.

(7) Quelle: „Initial4“: Artikel
„Deutschlands Frauen nach der Wende“ von Hildegard Maria Nickel.

(8) „Erwerbstätige nach
Wirtschaftsbereichen in Deutschland, April 1991“, in: Bernd Schäfer:
„Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland“, S.185.

(9) 1,2 Millionen waren als arbeitslos
registriert. Der größere Teil war in „arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen“
untergebracht bzw. verschwand durch Kurzarbeit, Frühpensionierung u. ä.
aus der Statistik.

(10) Quelle: „Initial 4“: Artikel von
Hildegard Maria Nickel: „Deutschlands Frauen nach der Wende“.

(11) „Frauenanteile in Spitzenpositionen
verschiedener Institutionen, aus Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel in
Deutschland“, S. 247.

(12) „Typische“ Frauenberufe sind v. a.
HauswirtschaftsgehilfInnen und -verwalterInnen (97,1 %),
SprechstundenhelferInnen (99,6 %), KindergärtnerInnen und -pflegerInnen
(98,6 %), Krankenschwestern und -pfleger (83,6 %) und VerkäuferInnen
(80,2 %) – alle Zahlen 1984 für die alten Bundesländer. (Quelle: Bernd
Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland“).

(13) Quelle: „Initial 4“: Artikel von
Hildegard Maria Nickel: „Deutschlands Frauen nach der Wende“.

(14) Gegenüber 1990 gab es 1991 einen
Geburtenrückgang um 39,6 %. Dieses drastische Geburtentief verringerte
sich 1992 nochmals um 18,1 %. (Quelle: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher
Wandel in Deutschland“).

(15) Der Rückgang der Eheschließungen
gegenüber 1990 betrug 1991 50,4 % und sank 1992 gegenüber 1991 auf
4,5 %. (Quelle: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel in
Deutschland“).

(16) Der Rückgang der Ehescheidungen betrug
von 1990 auf 1991 72 %. (Quelle: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel
in Deutschland“).

(17) Tabelle „Ehescheidungen in der BRD/DDR
bzw. alten und neuen Bundesländern“, in: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher
Wandel in Deutschland“, S. 127.

(18) 1991 betrug der Prozentanteil
nichtehelicher Geburten in Deutschland 15 % mit einem sehr hohen Anteil von
40 % in den neuen Bundesländern. (Quelle: Bernd Schäfer:
„Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland“).

(19) Quelle: „Initial 4“: Artikel von
Hildegard Maria Nickel: „Deutschlands Frauen nach der Wende“.

(20) Wenn man als Schwellenwert für Armut
zugrunde legt, dass weniger als 50 % des durchschnittlichen
Haushaltsnettoeinkommens verfügbar sind, so mussten 1992 6,5 % aller
westdeutschen Haushalte und 12,7 % aller ostdeutschen Haushalte als arm
bezeichnet werden. (Quelle: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel in
Deutschland“).

(21) Der einzige größere Erfolg des UFV
war, maßgeblich daran mitgewirkt zu haben, dass für eine Übergangszeit auf dem
Gebiet der Ex-DDR die im Vergleich zum Westen fortschrittlichere
Fristenregelung zum Schwangerschaftsabbruch weiterbestand. Dies spiegelt sich
bis 1992 auch in den Zahlen wider: In den alten Ländern wurden 75.000
Schwangerschaften legal abgebrochen, davon fast 90 % aus „schwerer
Notlage“, in den neuen Ländern (mit etwa einem Viertel der Bevölkerung) wurden
44.000 Schwangerschaften abgebrochen.

(22) „Anteile der Produktionssektoren an
der Gesamtzahl der Erwerbstätigen in Deutschland seit 1950 in %“ und Tabelle
„Beiträge der Wirtschaftsbereiche zum Bruttoinlandsprodukt im früheren
Bundesgebiet in %“ (Quelle: Bernd Schäfer: „Gesellschaftlicher Wandel in
Deutschland“, S.183 f.). – In der DDR betrug 1990 der Anteil des primären
Sektors 8,2 %, des sekundären 44,8 % und des tertiären 47 %,
wobei die völlig andere Struktur des tertiären Sektors zu berücksichtigen ist.
Der Dienstleistungssektor war vernachlässigt, da er als nicht-produktiv galt
und dementsprechend in der Bilanzierung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts
nicht auftauchte.

(23) „Feminismus und PDS“, Internetseite
der Frauenarbeitsgemeinschaft LISA in der PDS.




Lage der Frauen seit der großen Wirtschaftskrise

Katharina Wagner, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Erwerbstätigkeit

1. Die Weltwirtschaftskrise hat den Bereich von Leih- und
Zeitarbeit ausgebaut sowie den Beschäftigungsanteil im prekären Sektor. Dies
diente dazu, die Kosten, die durch die Finanzkrise entstanden sind, auf die
ArbeiterInnenklasse abzuwälzen. Frauen sind davon besonders betroffen. Im
Folgenden betrachten wir die Beschäftigungsverhältnisse im globalen Vergleich,
um die Stellung von Frauen im Produktionsprozess zu belegen. Diese Betrachtung
ist notwendig, um auf etwaige Unterschiede, die die ArbeiterInnenklasse als
gesamte spalten, aufmerksam zu machen.

Glaubt man der International Labour Organisation (ILO), so
hat sich die weltweite Lage von Frauen in den letzten Jahren leicht verbessert.
Noch nie waren so viele weltweit erwerbstätig. Auch die Bildungschancen für
Frauen und Mädchen sind gestiegen. Vergleicht man die derzeitige weltweite
Erwerbsquote von Frauen von ca. 48,5 % mit dem Anteil von männlichen
Lohnabhängigen – dieser betrug 2018 etwa 75 % –, so bleibt weiterhin eine
deutliche Differenz bestehen. Dieser Unterschied fällt in Industrieländern wie
etwa Deutschland noch relativ gering aus, ist aber in sog. Schwellenländern
(entwickelten Halbkolonien wie z. B. Brasilien, Indien) ausgeprägt. In
Entwicklungsländern hingegen ist die Differenz in der Erwerbstätigkeitsquote
zwischen Männern und Frauen am geringsten. In diesem Fall ist dies aber eher
als Indikator für fehlende soziale Absicherung und Armut zu interpretieren – vergleichbar
der Situation im Frühkapitalismus in westlichen Ländern. Das heißt konkret,
dass der Lohn des Mannes allein nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren,
und alle, also Frauen und teilweise auch Kinder, gezwungen sind, ihre
Arbeitskraft zu verkaufen wie beispielsweise in Pakistan.

Ein generelles Problem, welches weiterhin besteht, ist die
größere Bedrohung durch Arbeitslosigkeit für Frauen. Die globale
Arbeitslosenquote für Frauen beträgt laut ILO derzeit etwa 6 % und liegt
damit um 0,8 % höher als bei Männern. Allerdings liegen die
Arbeitslosenquoten für beide Geschlechter in Entwicklungsländern deutlich unter
denen der Industriestaaten. Die Prognosen für sog. Schwellenländer wie etwa die
arabischen Staaten oder auch Nordafrika gehen von einer zukünftigen
Verschlechterung im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit in den nächsten Jahren
aus [1].

Ein Blick auf die Quoten der Erwerbstätigkeit reicht aber
nicht aus. Vielmehr müssen wir uns genauer die jeweiligen
Beschäftigungsverhältnisse ansehen, mit denen Frauen konfrontiert sind.

Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 hat sich der Anteil der
Zeitarbeit in Deutschland von 13,7 % im Jahre 2009 wieder auf das Niveau
von vor der Krise (14,5 %) eingependelt. In einigen anderen europäischen
Ländern wie Frankreich oder Griechenland ist er dagegen exponentiell
angestiegen. Demgegenüber ist der Bereich der Teilzeitbeschäftigung faktisch
überall in Europa um 3–5 % angewachsen. In Deutschland beträgt er im
Moment rund 29 %. Sind von Zeitarbeit eher die männlichen Lohnabhängigen
betroffen, konzentriert sich die Teilzeitarbeit vor allem in Bereichen mit
hohem Frauenanteil wie etwa dem Dienstleistungs- oder Pflegesektor.

Zusätzlich sind Frauen weltweit deutlich häufiger unter
prekären Bedingungen beschäftigt als Männer. Besonders in Schwellen- und
Entwicklungsländern sind sie mit 46 % bzw. 76 % besonders hoch.
Zusätzlich findet die prekäre Beschäftigung, vor allem in Entwicklungsländern,
im informellen Sektor statt. Diese beinhaltet das komplette Fehlen von Sozialleistungen
oder genereller Absicherung bei Krankheit oder Schwangerschaft [1].

Als wäre das nicht schon mehr als genug, findet man auch
doppelt so häufig Frauen wie Männer in der Rolle von HilfsarbeiterInnen im
eigenen Familienbetrieb, hier meist ohne schriftliche Verträge und teilweise
sogar komplett unentgeltlich. Zwar ist der Anteil der Frauen, die als
mithelfende Familienangehörige im Eigenbetrieb arbeiten, in Schwellenländern in
den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurückgegangen. In Entwicklungsländern jedoch
macht er noch immer 42 % der Gesamtbeschäftigung von Frauen aus. Im
Vergleich dazu beträgt er bei Männern lediglich rund 20 % [2].

2. Migrantische Frauen verdienen in der Regel schlechter. (Anmerkung: Das gilt in der Regel nicht für weiße Frauen aus imperialistischen Ländern aufgrund der Stellung dieser Länder auf dem Weltmarkt.) Sie haben darüber hinaus mit zusätzlichen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) belegt Deutschland einen der vorderen Plätze, wenn es um die Integration von MigrantInnen geht. So hat sich beispielsweise die Beschäftigung von im Ausland geborenen Lohnabhängigen zwischen 2006 und 2017 um 7,9 % erhöht und beträgt demnach nun ca. 67 %. Auch die Erwerbslosigkeit von MigrantInnen hat sich in den letzten 10 Jahren auf 6,9 % halbiert [3]. Dennoch liegt sie deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 5,2 % im Jahre 2018 [4]. Auch die Gefahr, in Armut zu leben, ist für MigrantInnen deutlich höher als für „Einheimische“. Derzeit leben rund 21,7 % von ihnen unter der Armutsgrenze, bei den „Einheimischen“ dagegen nur ca. 16,7 %. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen ist die Quote von lohnabhängigen MigrantInnen ohne Berufsabschluss mit 35 % mehr als dreimal so hoch, zum anderen sind rund 40 % für ihren ausgeübten Beruf überqualifiziert und damit deutlich schlechter gestellt als die übrigen Lohnabhängigen. Unter ihnen trifft dies nur bei 20 % zu. Dieser Umstand liegt vor allem an im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen und der mangelnden Anerkennung durch deutsche Behörden. Vor allem Frauen sind davon massiv betroffen, denn bei ihnen ist der „Beschäftigungsabstand“ zur hier geborenen Bevölkerung weit höher als im Durchschnitt aller ZuwanderInnen. Vergleicht man ihre Situation mit in Deutschland geborenen Frauen, wird deutlich, dass sie stärker in Teilzeit und in Bereichen außerhalb ihrer beruflichen Qualifikation angestellt sind [3].

Rolle der Gewerkschaften

3. Weltweit lässt sich feststellen dass es eine Zunahme an Lohnabhängigen gib, sowohl in absoluten Zahlen, als auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Gerade im asiatischen Raum ist der Anteil der ArbeiterInnen aufgrund der industriellen Entwicklung rasant gewachsen. (Verglichen mit den 1970er und sogar 1980er Jahren kann man z. B. in Pakistan einen deutlichen Rückgang des Organisationsgrads feststellen. Zwar ist die Zahl der insgesamt gewerkschaftlich Organisierten in einigen Sektoren gestiegen, diese muss jedoch in Relation zu einer bedeutend größeren GesamtarbeiterInnenklasse als in den 1960er und 1970er Jahren gesetzt werden. 2007 waren 1,3 Millionen organisiert, nur rund 2 % aller Lohnabhängigen. In bedeutenden Zweigen hingegen ist der Organisationsgrad aufgrund von Privatisierung und Verkleinerung der Belegschaften in solchen Firmen zurückgegangen.) Das heißt, dass die ArbeiterInnenklasse global wächst, aber ihr Organisationsgrad niedrig ist.

So ist auch in Europa der Anteil der gewerkschaftlich Organisierten generell von rund 40 % in den 1990er Jahren auf ca. 20 % gesunken. In Schweden betrug er 2014 nur noch rund 70 % (Ausgangspunkt 80 % in den 80er Jahren). In Großbritannien ging der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder seit den 80er Jahren auf unter 20 % zurück. Auch Österreich hat einen starken Mitgliederschwund auf knapp 30 % zu verzeichnen. Einzig allein Italien konnte diesen Anteil nahezu konstant bei 40 % halten [5].

Diese Zahlen beziehen sich allerdings auf die gesamte
Mitgliedschaft, sagen daher wenig über die Lage der Frauen in den
Gewerkschaften aus. Tatsächlich ist ihr Anteil seit 2005 zwar nur leicht, dafür
aber kontinuierlich gestiegen. Er beträgt aber leider mit 33,7 % (Stand
2017) weiterhin nur rund 1/3 aller Mitglieder. Den höchsten Frauenanteil von
fast 72 % finden wir bei der GEW (Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft). Bei ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) ist über die
Hälfte der Mitglieder weiblich (52 %) und bei der NGG (Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten) beträgt er immerhin noch 42 %. Demgegenüber
gibt es deutlich geringere Frauenanteile in den anderen Gewerkschaften. Den
geringsten finden wir bei der IG Metall mit 18 % [6]. Die oben erwähnten
Zahlen beziehen sich aber allein auf die Mitgliedschaft. Betrachtet man dagegen
die oberen Hierarchieebenen innerhalb der Gewerkschaften, sind dort immer noch
sehr wenig Frauen anzutreffen. Sie sind hier zumeist in Dienstleistungs-,
Sekretariats- sowie in politischen ReferentInnentätigkeiten beschäftigt.
Sollten sie doch einmal in die entscheidenden Organisationsebenen vordringen,
dann eher als Repräsentantinnen für Frauen und Jugendliche oder im Bereich
Soziales. Bereiche wie beispielsweise Wirtschafts- oder Tarifpolitik ebenso wie
die Betriebsratsarbeit oder die Ortsverwaltungsstellen werden nach wie vor
meist von Männern dominiert [7]. Was sagen uns diese Fakten? Sie sind ein
Zeichen dafür, dass Frauen in Gewerkschaften immer noch stark
unterrepräsentiert sind und dementsprechend ihre Interessen zu wenig
berücksichtigt werden. Die Gewerkschaften unternehmen leider immer noch viel zu
wenig, um diesen Umstand zu verändern. Nach wie vor verweigern sich
Gewerkschaften auch der Aufnahme von Flüchtlingen, worunter auch viele Frauen
fallen.

Existierende Lohndiskriminierung

4. Ein weiterer wichtiger Faktor in Bezug auf Frauenunterdrückung ist die weltweit existierende geschlechtsspezifische Lohnlücke und zwar unabhängig vom Entwicklungsstand eines jeweiligen Landes. In Deutschland beträgt diese im Moment rund 21 %. Als Gründe werden häufig zum einen der hohe Beschäftigungsanteil im Niedriglohnsektor, zum anderen aber auch fehlende Tarifverhandlungen und Mindestlöhne genannt. Und Mutterschaft ist nicht nur ein Nachteil in der Karriereplanung, sondern häufig auch ein Argument von Arbeit„geber“Innen für geringere Bezahlung. Als direkte Folge daraus herrschen eine mangelnde Absicherung und die größere Gefahr von Altersarmut für Frauen [8].

Für die Durchsetzung des Zieles „gleiches Entgelt für Männer
und Frauen“ trat am 6. Juli 2017 das Entgelttransparenzgesetz in Kraft. Darin
ist verankert, dass Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 MitarbeiterInnen
alle 2 Jahre einen individuellen Auskunftsanspruch zu den geltenden
Entgeltstrukturen des jeweiligen Betriebes geltend machen können, erstmals seit
6. Januar 2018. Allerdings muss der Anspruch in Textform erfolgen und gilt nur
für Beschäftigte des jeweils anderen Geschlechts, welche eine
gleiche/gleichwertige Tätigkeit im Betrieb ausüben. Damit soll insgesamt die
Durchsetzung eines Anspruchs auf gleichen Lohn unabhängig vom Geschlecht
erleichtert werden [9].

Die Kritik am Gesetz kam prompt. So wurde es beispielsweise
von der Direktorin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Uni
Duisburg-Essen, Ute Klammer, als ein „zahnloser Tiger“ bezeichnet. Auch
befürchten viele, es verkomme zu einem Bürokratiemonster. Tatsächlich stellt
sich aber die Frage, was mit der gewonnenen Transparenz erreicht werden kann.
Traut sich „Frau“, gegen einen geringeren Lohn zu protestieren und damit
womöglich ihren Job zu riskieren? In einem Interview der Tageszeitung „Neues
Deutschland“ bezeichnete die Finanzexpertin Henrike von Platen die
Unternehmenskultur als traditionell männlich geprägt. Eine Entgelttransparenz
sei von vielen Unternehmungsleitungen schlicht nicht gewollt und werde darum
nicht gefördert. In der Tat nahmen bisher recht wenige Beschäftigte dieses
Recht in Anspruch. Vor allem Frauen scheuen demnach oft aus Angst vor
Nachteilen davor zurück [8].

Weitere Beispiele für Frauenunterdrückung

5. Der internationale Rechtsruck weltweit bringt einen gesellschaftlichen Rollback mit sich, der die Rechte von Frauen und LGBTIAs angreift. Dieser Rechtsruck ist ebenfalls Resultat der Wirtschaftskrise 2008/2009. Sie hat den Konkurrenzdruck zwischen den imperialistischen Staaten sowie die Konzentration und Zentralisation des Kapitals verschärft. Anders gesagt: Kriegerische Auseinandersetzungen wie in Syrien oder der Ukraine nehmen zu ebenso wie größere Fusionen von Monopolkonzernen. Das hat zur Folge, dass ein Teil der herrschenden Klasse im Wettbewerb untergeht oder zumindest Abstiegsängste hat. Dieser Teil, der sich nicht mehr im internationalen Wettbewerb messen kann, fängt an, eine nationalprotektionistische Politik zu fahren mit dem Interesse, dass der bürgerliche Staat seine Stellung verteidigt. Er will also das Rad der Zeit zurückdrehen und internationalen Produktionsketten nationale Abschottung entgegensetzen. Um dies ideologisch zu rechtfertigen, greift er zur rassistischen, populistischen Hetze. Gleichzeitig ist die nationalprotektionistische Politik auch Ursache für den Rollback, denn die Fokussierung auf den Nationalstaat bedeutet gleichzeitig, dass das Ideal der bürgerlichen Familie stärker wiederbelebt werden muss. Diese dient allgemein im Kapitalismus für die ArbeiterInnkenklasse als Ort ihrer Reproduktion, der größtenteils von Frauen getragen wird. Da die Rechten den Sozialstaat abbauen, muss diese gestärkt werden und mit ihr die geschlechtliche/n Arbeitsteilung und Stereotype. Das hat weitreichende Folgen: Mit dem Erstarken der Rechten steigt auch die Gewalt an Frauen, die Zahl der Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Das liegt daran, dass die Abstiegsängste nicht nur die KapitalistInnen, sondern auch Teile der ArbeiterInnenklasse treffen. Wie oben schon erwähnt, werden, um Unternehmen Kosten der Krise zu ersparen, auch die Arbeitsbedingungen schlechter sowie die Erwerbslosigkeitszahl größer. Das verschärft die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Wenn die Rechten dann mit ihrer Hetze erfolgreich sind, werden ihre reaktionären Vorstellungen populärer, die zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse führen und Frauen oder auch MigrantInnen im Produktionsprozess abwerten. Dabei sehen die Zahlen schon jetzt nicht gut aus:

Nach wie vor ist Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung,
sei es im häuslichen, beruflichen oder privaten Umfeld. Laut einer
repräsentativen Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zum Thema „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“
aus dem Jahre 2004 haben 40 % der Frauen in Deutschland seit ihrem 16.
Lebensjahr bereits körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt.
Unterschiedliche Formen der sexuellen Belästigung erlebten sogar 58 % der
befragten Frauen. Psychische Gewalt in Form von Einschüchterung, Drohungen,
Demütigungen oder gar Psychoterror erlitten 42 %. Die Gewalt gegen Frauen
wird dabei überwiegend durch (Ex-)Partner der Frauen im häuslichen Umfeld
ausgeübt. Vor allem Trennungs- und Scheidungssituationen sind demnach besonders
riskant. Besonders gefährdet in Bezug auf Gewalterfahrungen sind laut der
Studie Prostituierte, Frauen in Haft, geflüchtete Frauen sowie Migrantinnen,
die deutlich häufiger Opfer von körperlicher/sexueller Gewalt werden [10].

Ein Blick auf die Welt offenbart, dass dies ein globales
Problem ist. Die WHO hat 2005 eine Studie veröffentlicht, nach der 40–70 %
der Morde an Frauen durch deren männliche Partner verübt wurden. Zusätzlich
sind Frauen in einigen Regionen von sogenannten Ehren- oder auch Mitgiftmorden
bedroht. Schätzungen der UNO gehen davon aus, dass jährlich circa 5.000 Frauen
in 14 Ländern zu Opfern werden [11]. Eine weitere Gewaltform gegen Frauen oder
in diesem Fall jungen Mädchen stellt die weibliche Genitalverstümmelung dar.
Diese betrifft weltweit ca. 130 Mio. Mädchen/junge Frauen. Schätzungen für das
Jahr 2017 gingen in Deutschland von rund 58.000 betroffenen und 13.000
bedrohten Mädchen aus [12].

Ein weiterer Bereich der Frauenunterdrückung und der
Einschränkung des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung stellt die
Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch dar. Dieses Recht erfährt immer
stärkere Angriffe vor allem aufgrund des stärker werdenden Rechtsrucks und des
Erstarkens rechtspopulistischer/nationalistischer Parteien wie der AfD in
Deutschland oder der PiS (rechtskonservative Partei) in Polen. In ihnen gibt es
eine starke Rückbesinnung auf die Rolle der Frau als treusorgende Mutter und
Hausfrau, die auch lieber zugunsten der Reproduktionsarbeit die
Erwerbstätigkeit aufgibt. Die logische Konsequenz dieser Politik liegt in der
immer stärkeren Einschränkung von nationalen Abtreibungsgesetzen und dem
erschwerten Zugang zu Abtreibungen. Nicht nur Spanien hat im Jahre 2013 das
Abtreibungsgesetz verschärft. Auch in Polen laufen seit langem Versuche, das
schon jetzt sehr strikte Abtreibungsgesetz nochmals zu verschärfen und Frauen
damit die Möglichkeit zu nehmen, auf legalem Wege eine Abtreibung vornehmen zu
lassen. Bisher scheiterte dies aber an massenhaften Protesten. Aber auch in Deutschland
hat die Debatte um Abtreibungsgesetze neuen Aufwind bekommen, nicht zuletzt
durch den prominenten Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel und die
Diskussion über den § 219a. Sie bemängelt vor allem den schwindenden Zugang zu
Abtreibungskliniken oder entsprechenden ÄrztInnen, aber auch die fehlende
Möglichkeit, Betroffene im Vorfeld ausführlich aufzuklären. Denn der obige
Paragraph verbietet doch die „Werbung“ für Abtreibungen durch behandelnde
ÄrztInnen.

Zum Schluss sei noch kurz auf die Doppelbelastung von Frauen
eingegangen, die neben der Erwerbstätigkeit oft die komplette Hausarbeit und
Kinderbetreuung übernehmen und sich häufig, quasi nebenbei, um
kranke und pflegebedürftige Familienangehörige kümmern. Dies erschwert ihnen
oftmals auch die politische und organisatorische Teilhabe. Ganz besonders
Alleinerziehende kämpfen oft mit fehlenden und teilweise sehr teuren
Betreuungsangeboten und unflexiblen Arbeitszeiten.

Kampf für Frauenbefreiung

6. Wir sehen also, dass Frauen weltweit in vielfältiger Weise diskriminiert, benachteiligt und unterdrückt werden – und dass die kapitalistische Krise, die globale Konkurrenz und der Aufstieg rechter und rassistischer Kräfte dies weiter verschärfen. Aber wie dagegen vorgehen und eine Reproduktion der bestehenden Verhältnisse verhindern? Aus
marxistischer Sicht ist die Frauenunterdrückung eng mit dem Patriarchat und dem
Bestehen einer kapitalistischen Produktionsweise verknüpft. Genauer gesagt
fördert die kapitalistische Entwicklung Frauenunterdrückung und Patriarchat. Daher
kann eine vollständige Frauenbefreiung nur in einer sozialistischen
Gesellschaft, also nach dem Sturz des Kapitalismus, erreicht werden. Die
Frauenbefreiung muss daher mit dem Klassenkampf gebündelt werden. Ein
erfolgreicher Kampf gegen den Kapitalismus kann aber nur mit der Gesamtheit der
ArbeiterInnenklasse geführt werden, damit ein möglichst hoher ökonomischer und
politischer Druck aufgebaut werden kann. Daher ist es wichtig, auch die Männer
für den Kampf zur vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen.

Dabei ist es unerlässlich, den Frauen das Bewusstsein zu
vermitteln, dass sie einer spezifischen Unterdrückung unterliegen und das Recht
auf eigenständige Strukturen und Treffen in Organisationen, Parteien, aber auch
Gewerkschaften haben. Zum einen ermöglicht dies ihnen, eigenständig ihre
Interessen vorzubringen und entsprechende Forderungen zu stellen. Zum anderen
wird dadurch eine Vereinnahmung durch andere Teile der ArbeiterInnenklasse
verhindert. Denn auch die fortschrittlichsten Teile der Lohnabhängigen und
Gewerkschaftsmitglieder unterliegen doch dem Einfluss einer sexistischen,
kapitalistischen Gesellschaft. Gesonderte Treffen ermöglichen es zusätzlich,
offen über bestehende Diskriminierungen oder aktuelle Probleme zu sprechen und
Lösungen gemeinsam zu erarbeiten. Frauen sollten neben eigenen
Organisationsstrukturen auch eigene Propaganda und Agitation betreiben, mit dem
Ziel weitere Mitstreiterinnen für einen gemeinsamen internationalen Kampf gegen
den Kapitalismus und für die vollständige Frauenbefreiung zu gewinnen!

Wir als MarxistInnen treten daher für eine internationale
multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte
Treffen in ArbeiterInnenorganisationen und Gewerkschaften.

Dieser Kampf muss sich auch auf ein Aktionsprogramm stützen,
um die laufenden Angriffe abzuwehren und eine internationale Bewegung
aufzubauen. An dieser Stelle können wir nur einige Aspekte skizzieren und zur
Diskussion stellen:

  • Gleiche Rechte für alle! Die formale rechtliche Gleichheit wurde zwar in vielen Ländern erkämpft, längst jedoch nicht in allen. Weltweit wird MigrantInnen und Flüchtlingen diese verwehrt, was Frauen und LGBTIA-Menschen besonders hart trifft. Wir fordern die Abschaffung aller diskriminierenden Gesetze, die volle rechtliche Gleichstellung der Frauen und LGBTIA-Menschen!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt. Die Höhe soll von der ArbeiterInnenbewegung festgelegt und automatisch der Erhöhung der Lebenshaltungskosten angepasst werden.
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenvorsorge und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen.
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser). Des Weiteren stellen wir die Forderungen nach Abschaffung aller Abtreibungsgesetze auf sowie für kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und das vollständige Recht auf körperliche Selbstbestimmung.
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen.
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein.

Quellen

[1] https://www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS_619785/lang–de/index.htm

[2]  https://www.ilo.org/berlin/arbeitsfelder/frauen-in-der-arbeitswelt/WCMS_619734/lang–de/index.htm

[3]  Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe
17. Januar 2019

[4]  https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1224/umfrage/       arbeitslosenquote-in-deutschland-seit-1995/

[5]  https://www.zeit.de/karriere/2014-10/gewerkschaften-mitglieder-weltweit

[6]  https://www.boeckler.de/107622.htm

[7]  http://agf.blogsport.de/images/MaterialFraueninGewerkschaften.pdf

[8]  Tageszeitung Neues Deutschland, Ausgabe
19./20. Januar 2019

[9]  https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/lohngleichheit-neues-zum-entgelttransparenzgesetz_76_398490.html

[10]  https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/lebenssituation–sicherheit-und-gesundheit-von-frauen-in-deutschland/80596

[11]  http://www.bpb.de/izpb/8344/situation-der-frauen-und-kinder?p=all

[12]  https://www.sueddeutsche.de/muenchen/weibliche-beschneidung-genitalverstuemmelung-muenchen-hilfe-1.4188021




Welchen Antisexismus brauchen wir?

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, März 2019

Wir leben in unruhigen Zeiten. Rechte Populist_Innen und Reaktionär_Innen gewinnen an Popularität. Mit ihnen wird rassistische Hetze wieder salonfähig sowie neoliberale Kürzungspolitik Alltag. Emanzipation wird ersetzt durch tradierte Rollenbilder und das konservative Bild der bürgerlichen Familie. Begleitet wird dies mit einer Zunahme an internationalen Spannungen: Handelskriege, zunehmende kriegerische Auseinandersetzungen und fortschreitende Militarisierung.

Doch so düster
das Ganze aussieht, so erleben wir, wie auf der ganzen Welt Frauen für ihre
Rechte demonstrieren und streiken. So gingen am 8. März 2018 in über 177
Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien
streikten 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das
Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei
demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des
Erdogan-Regimes. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große
Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA, des „schwarzen“
Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen, von Ni Una Menos in
Lateinamerika – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre
Rechte.

Als
Revolutionär_Innen müssen wir uns die Frage stellen: Welche Perspektive haben
die Proteste? Wie können wir uns gegen die Angriffe der Rechten wehren? Kurzum
stellt sich die Frage: Welchen Antisexismus brauchen wir?

Ursprung der Frauenunterdrückung

Um diese Frage
gut zu beantworten, müssen wir verstehen, woher eigentlich Frauenunterdrückung
kommt. Schließlich wollen wir nicht nur gegen Auswüchse des Problems kämpfen,
sondern es gleichzeitig an seiner Wurzel packen, um es für ein alle Mal zu
beseitigen!

Als
Marxist_Innen gehen wir davon aus, dass die Unterdrückung der Frau nicht in der
Biologie oder „Natur des Menschen“ wurzelt. Weder wohnt es Frauen von „Natur aus“ inne, unterdrückt zu werden, noch
Männern, Gewalt gegenüber Frauen auszuüben.

Vielmehr müssen
die Wurzeln der Jahrtausende alten Unterdrückung der Frauen selbst in der
Geschichte, in sozialen Entwicklungen gesucht werden. In seinem Werk „Der
Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ setzt sich Friedrich
Engels nicht nur systematisch mit der Frage auseinander, er skizziert auch eine
materialistische Erklärung der Unterdrückung der Frauen, des Patriarchats und
seines Wandels in der Geschichte.

Engels weist
darauf hin, dass Frauen nicht immer unterdrückt oder das „schwache“ Geschlecht
waren, sondern – wie auch die moderne Forschung belegt – erst ab einem
bestimmen Zeitpunkt der Entwicklung der Menschheit die Unterdrückung der Frauen
beginnt und nach einer langen Periode systematische Formen annimmt.

Kurz
zusammengefasst: Frauenunterdrückung gab es nicht schon immer und ist auch
nichts Natürliches. Erst als
Menschen sesshaft wurden und anfangen, mehr zu produzieren, als sie ein
Mehrprodukt erzeugten und sich Privateigentum herauszubilden beginn, fing das
Problem an. Dies passierte zur Zeit der Jungsteinzeit. Während es vorher
Stammesgemeinschaften gab, bei denen es auch keine unterdrückerische
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gab, veränderten sich in dieser Zeit die
Strukturen des Zusammenlebens. Denn mit dem entstehenden
Privatbesitz an Grund und Boden setzten sich auch patriarchale
Vererbungsstruktur, systematische Ausbeutung und Unterdrückung durch
(Sklaverei, Unterdrückung der Frau).

Damit die Vaterschaft gesichert und das väterliche
Erbe auf die eigenen, leiblichen Kinder übergehen konnte, musste die Frau
monogam leben. Im Laufe der Zeit, also über die Sklavenhaltergesellschaften der
Antike hin zum Feudalismus verfestigten sich diese Strukturen und wurden gemäß
der jeweils vorherrschenden Produktionsweise modifiziert. So wurde
beispielsweise im feudalen Europa die Unterdrückung der Frau durch das
Christentum ideologisch unterfüttert.

Der Kapitalismus
hat das schon bestehende Unterdrückungsverhältnis den Erfordernissen der
Ausbeutung der Lohnarbeit angepasst. Die herrschende Klasse profitiert von der
Frauenunterdrückung und ihr System ist eng mit ihr verwoben. Beispielsweise ist
die Familie erhalten geblieben, auch wenn sich ihre Funktion für die arbeitende
Klasse gewandelt hat. Im bäuerlichen Haushalt der Feudalzeit war sie auch Ort
der Produktion – der notwendigen Lebensmittel für die Familien der Bauern und
Bäuerinnen wie des Überschusses, des Mehrprodukts für den Grundherrn, dessen
Familie und Hofstaat. Dies wurde aber aufgrund der Industrialisierung
überflüssig, da die LohnarbeiterInnen über keine eigenen Produktionsmittel
verfügen, sondern ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen mussten und bis heute
müssen. Dennoch blieb die Familie bestehen, denn im Kapitalismus dient sie
dazu, die Arbeitskraft zu reproduzieren, die im Haushalt vor allem von den Frauen
ohne Entlohnung erledigt werden muss. Zugleich werden über die Familie und die
ihr zugrunde liegende Arbeitsteilung nach Generationen und Geschlechtern auch
gleich die sozialen Rollen vermittelt.

Unterschiedliche
Interessen

Insgesamt ist
wichtig herauszustreichen, dass zwar alle Frauen von Unterdrückung betroffen
sind, aber wie und wie stark das der Fall ist, hängt von ihrer Klassenzugehörigkeit
ab. So sind die Frauen der Bourgeoisie auch Angehörige der ausbeutenden Klasse
– und haben somit ein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung des
kapitalistischen Systems und ihrer damit verbundenen Privilegien. Die Frauen
aus dem Kleinbürger_Innentum und den Mittelschichten nehmen – wie diese Klassen
selbst – eine widersprüchliche Stellung ein. Einerseits sind sie viel härterer
Unterdrückung ausgesetzt als die Frauen der herrschenden Klasse. Sie müssen –
wie die proletarischen Frauen – Beruf und Kindererziehung unter einen Hut
bringen oder werden in den halbkolonialen Ländern von ihren Männern an den Haushalt
gefesselt. Während viele dieser Frauen noch vor einigen Jahrzehnten (v. a.
in den westlichen Ländern) sozial aufsteigen konnten, Karriere machten und
einer Gleichberechtigung nahezukommen schienen, so sind sie heute oft auch
massiv von Angriffen durch Sozialabbau (Kürzungen bei Kitas, Privatisierung,
…) bedroht, die ihre Unterdrückung verschärfen.

Doch ähnlich wie
kleinbürgerliche Ideologien oder auch der Reformismus erkennen sie den engen
Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung
nicht. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen
(Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus, …)
die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen
Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ
privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen
(Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen
widerspiegelt.

Die Arbeiter_Innenklasse als Ganze
hingegen hat ein objektives materielles Interesse daran, das
Kapitalverhältnis und damit die innerhalb der Lohnarbeit reproduzierte
geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wirklich zu überwinden und abzuschaffen – die
proletarischen Frauen darüber hinaus auch ein brennendes, unmittelbares,
subjektives. Konsequenter Antisexismus ist daher notwendigerweise Teil
des revolutionären Klassenkampfes des Proletariats, weil er die Ausbeutung
abschafft und die Produktion um der Reproduktion des unmittelbaren Lebens der
Produzent_Innen willen umgestaltet, statt sie auf die Mehrarbeit für den
Reichtum der Ausbeuterklasse auszurichten. Eine Frauenbewegung, die an die Wurzeln
der Unterdrückung geht, kann nur eine proletarische, eine sozialistische
Frauenbewegung sein, weil nur sie für den revolutionären Sturz des
Kapitalismus, die Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse als notwendigen
Schritt zu einer klassenlosen Gesellschaft eintritt.

Kurze Kritik der
Feminismen

Um nicht nur
gegen die Auswirkungen der Frauenunterdrückung zu kämpfen, sondern diese zu
beenden, bedarf es einer Analyse ihrer Ursachen. Diese ist besonders wichtig,
da wir aus ihr Schlüsse ziehen können, mit welchen Mitteln wir gegen Sexismus
kämpfen müssen. Deswegen haben wir als Marxist_Innen auch Kritik an Theorie und
Programm der verschiedenen feministischen Strömungen. Auch wenn der Begriff
„Feminismus“ heute im Alltagsgebrauch oft mit „Gleichberechtigung der Frauen“
gleichgesetzt wird (und in diesem Sinn alle Menschen, die für diese kämpfen als
„feministisch“ betrachtet werden könnten), so unterscheiden sich die
verschiedenen feministischen Theorie untereinander wie auch von einem
marxistischen Verständnis der Frauenunterdrückung erheblich.

Zweifellos haben
verschiedene feministische Theorien und Bewegungen zum Kampf um
Gleichberechtigung viel beigetragen und wir unterstützen diese. Aber wir halten
Teile ihrer Schlussfolgerungen
wie die Methode ihrer Analysen für politisch falsch und glauben, dass
die Kampfmittel nicht ausreichend sind, um an das gemeinsame Ziel zu kommen. Um
dies zu skizzieren, setzen wir uns kurz mit einigen feministischen Strömungen
auseinander, denn ähnlich wie z. B. beim „Antifaschismus“ gibt es viele
unterschiedliche Strömungen, die oftmals unter einem Begriff zusammengeworfen
werden.

Am deutlichsten
wird das beim bürgerlichen Feminismus. Dieser beschränkt sich heute in seinen
Forderungen meist darauf, Frauen das gleiche Recht einzuräumen wie Männern.
Dabei fokussiert er sich aber überwiegend auf die Bedürfnisse von Frauen aus
der herrschenden oder kleinbürgerlichen Klasse. Dies zeigen beispielsweise
Institutionen wie Womens20, die im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg tagte.
Dort sprachen Frauen wie Ivanka Trump, Angela Merkel und Vertreterinnen von
Firmen und diskutierten, wie die „Förderung von weiblichem Unternehmertum sowie Zugang zu Kapital-
und Finanzdienstleistungen für Frauen“ praktisch aussehen kann. Dass dies nur
zur Verbesserung der Lage von Frauen beträgt, die aus gehobeneren Schichten
kommen, sollte klar sein.

Der radikale Feminismus,
der in der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren
entstand, beanspruchte hingegen ähnlich wie heute der Queer-Feminismus, die
gesellschaftlichen Verhältnisse selbst in Frage zu stellen. Für beide liegt die
Wurzel der Frauenunterdrückung allerdings nicht in der geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung und der Klassengesellschaft. Der Radikalfeminismus erblickt sie
in einer allenfalls neben/quer zu dieser verlaufenden, überhistorischen
Unterdrückung der Frauen durch die Männer aller Klassen. Der Queer-Feminismus
und die dekonstruktivistischen Theorien erblicken die Ursache der Unterdrückung
im Diskurs, in einer „heteronormativen Matrix“. Demzufolge bilden nicht die
materiellen Verhältnisse (geschlechtsspezifische Arbeitsteilung) die Ursache
der Frauenunterdrückung, sondern es sind vielmehr sexistische Ideologien,
Vorstellungen, Sprechweisen, Diskurse, die zu Machtverhältnissen und
Unterdrückung führen. Daher unterscheidet sich auch das Programm der Befreiung
grundlegend. Während Marxist_Innen erkennen, dass Sexismus und
Heteronormativität – wie jede reaktionäre Ideologie – nur dann endgültig
verschwinden können, wenn ihre materielle Grundlage beseitigt ist, so erblickt
der Queerfeminismus im Kampf um diskursive Deutungen den Kern der Auseinandersetzung.
Dieser unterschiedlichen strategischen Ausrichtung entsprechen verschiedene
Klassenstandpunkte. Der Queerfeminismus (und vor ihm der Radikalfeminismus)
bringt jenen des Kleinbürger_Innentums
und der Mittelschichten zum Ausdruck, der Marxismus
jenen der proletarischen Frauen wie der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Ein heute eher marginales
Dasein fristet der „sozialistische Feminismus“. Dieser versuchte in den 1970er
Jahren, Feminismus und Marxismus zu verbinden und stellte zweifellos die linkeste
Strömung innerhalb des Feminismus dar. Doch auch dieser war nicht in der Lage,
die Schwächen v. a. des radikalen Feminismus zu überwinden, sondern
kombinierte sie auf theoretischer Ebene nur mehr oder weniger zusammenhangslos
mit marxistischen Vorstellungen (siehe beispielhaft den Artikel zur Debatte um
„Lohn für Hausarbeit“ in dieser Ausgabe).

Aber was für einen Antisexismus brauchen wir dann?

Wir kämpfen für
eine internationale, multiethnische, proletarische Frauenbewegung, die sich
weltweit vernetzt und ihre Kämpfe mit einer antikapitalistischen Perspektive
verbindet. Dabei sagen wir klar, dass es einen gemeinsamen Kampf von
arbeitenden Frauen und Männern braucht. Das leitet sich daraus ab, dass die
Angehörigen der Arbeiter_Innenklasse ein gemeinsames historisches Interesse
haben, den Kapitalismus zu stürzen – im Gegensatz zu Frauen aus der
Bourgeoisie, aber auch aus dem Kleinbürger_Innentums und den Mittelschichten.
Daneben kann nur ein gemeinsamer Kampf, also beispielsweise Streiks,
Demonstrationen genügend Druck auf- und bestehende Spaltungsmechanismen langsam
abbauen. Dafür
einzutreten, bedeutet aber auch einen konsequenten Kampf gegen Sexismus,
Chauvinismus und Machismus in der Arbeiter_Innenklasse selbst zu führen.

Dies geht in einem gemeinsamen Kampf besser. Wir wissen
aber auch, dass „die Männer“ in den Gewerkschaften, im Betrieb und nicht
zuletzt in der „Partner_Innenschaft“ nicht ohne Druck auf ihre Privilegien
verzichten werden. Ein Mittel sind dazu verpflichtende antisexistische
Reflexionsrunden, Awarenessteams auf Veranstaltungen und die Schaffung von
Strukturen, bei denen man übergriffiges Verhalten melden kann. Für Frauen
bedarf es des Rechts auf Schutzräume, in denen man sich gesondert treffen kann,
gezielter politischer Förderung und einer Entlastung von technischen Aufgaben.

Darüber hinaus
ist Aufgabe einer internationalen, multiethnischen, proletarischen Bewegung,
die unterschiedlichen Probleme, die Frauen auf der Welt
haben, zu thematisieren und eine Perspektive für alle aufzuwerfen: ob nun von
der Muslima, die das Recht hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es
möchte, über schwarze Frauen, die nicht länger der massiven Polizeigewalt und
rassistischen Angriffen in den USA ausgesetzt sein wollen bis hin zur
pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger für einen Hungerlohn arbeiten will.
Egal ob für geflüchtete Frauen, lesbische, bi-, trans- oder
asexuelle oder Frauen aus Halbkolonien oder Industrienationen: Aufgabe ist es,
für die unterschiedlichen Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen
Unterdrückung herauszustellen, aber auch die Unterschiede aufzuzeigen, und wie
sie mit der Unterdrückung, die man als Frau erfährt, sowie mit anderen Faktoren
zusammenhängen. Betrachtet
man dies genauer, kommt heraus, dass überall auf der Welt Frauen mit ähnlichen
Problemen konfrontiert sind.

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den
Produktionsprozess!

Auch wenn
gefeiert worden ist, dass nun überall auf der Welt Frauen wählen dürfen (dass
dies z. B. in Saudi-Arabien nur für Kommunalwahlen gilt, wird außer Acht
gelassen), haben Frauen vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet
praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische
Teilhabe. In der gleichen
Situation befinden sich auch alle Frauen, die sich auf der Flucht befinden und
deswegen an ihrem Aufenthaltsort nicht die Staatsbürger_Innenrechte in Anspruch
nehmen können. Insgesamt sorgt das dafür, dass Frauen als Menschen zweiter
Klasse behandelt und durch ihre Isolation entmündigt werden. Ein Verbot,
arbeiten zu gehen oder dies nur von zu Hause aus tun zu können, bedeutet
vollkommene ökonomische Abhängigkeit von dem Partner oder der Familie. Dort wo
dies nicht gegeben ist, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, eben
jene in unsere Reihen aufzunehmen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich
macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind, ähnlich wie
Arbeitslose.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während
Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen
einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich
körperlich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der
Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint
bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann. Der
Lohnunterschied manifestiert a) die Rolle der Frau in der Familie, denn wenn
sie weniger verdient, ist sie es, die „natürlich“ zu Hause bleibt, um auf
Kinder oder pflegebedürftige Personen aufzupassen; b) die Abhängigkeit vom
Partner. Dadurch werden Frauen auch „leichter“ aus der Arbeit gedrängt oder
noch stärker in prekäre, schlecht bezahlte Arbeit oder Teilzeitjobs. Deswegen
müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass es keine Spaltung innerhalb der
Arbeiter_Innenklasse durch Geschlecht oder Nationalität gibt. Denn diese
fördert die Konkurrenz und Abstiegsängste untereinander und schwächt somit auch
die gemeinsame Kampfkraft. Daher treten wir für gleiche Löhne, Arbeitszeiten
und Arbeitsbedingungen ein, um die Auswirkungen der Konkurrenz wenigstens
zurückzudrängen!

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch
religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen:
Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über
ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass Frauen
selbstständig entscheiden können, was sie tragen oder ob sie schwanger
werden/bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle
Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder reine Gewalt aufgrund des
Geschlechtes wie bei Femiziden: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist
herauszustellen, dass dies ein internationales Problem ist und nicht auf
bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen
behaupten. Für uns ist klar: Es gibt keine Religion, die mehr oder weniger
böse ist als andere Religionen. Es ist vielmehr
eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie
stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden
und Einfluss gewinnen.

Doch essentiell
ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees im Schulterschluss mit
anderen Unterdrückten aufzuwerfen ähnlich wie die Gulabi-Gang, nur demokratisch
organisiert, also mit direkter Wähl- und Abwählbarkeit und in Verbindung mit
der Arbeiter_Innenbewegung. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass
man Frauen nicht als passive Opfer darstellt, sondern ihnen auch die
Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die
Forderung nach Selbstverteidigungskomittees für Marxist_Innen wichtig, denn es
bedeutet, keine Hoffnung in Polizei oder Militär zu setzen und ein Gegengewicht
gegen ihr Gewaltmonopol bzw. gegenüber dem des
bürgerlichen Staates allgemein zu schaffen.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit

Dies ist eine
essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten
Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung -und mit
ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich
verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung),
nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie
kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Dies kann dann
beispielsweise in Form von Kantinen oder Waschküchen ablaufen, an denen sich
beispielsweise alle aus dem Bezirk beteiligen. Dadurch muss man dann nicht jeden
Tag kochen oder jede Woche Wäsche waschen und es wird klar, dass eben diese
Aufgaben nicht nur reine „Frauensachen“ sind.

Im Kapitalismus
findet so was nicht statt (oder nur in Ausnahmesituationen wie Kriegen), da
kein Interesse herrscht, die Kosten für die Reproduktion staatlich zu
organisieren.

Wie kommen wir zu so einer Bewegung?

Wie bereits
geschrieben, erleben wir in der aktuellen Situation international viele Kämpfe.
Ein Weg, bestehende Kämpfe zusammenzuführen, bedeutet, Solidarität zu zeigen.
Dabei hat diese viele Ebenen: So ist es beispielsweise positiv, dass das
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in Berlin immer Redner_Innen aus anderen
Ländern wie Polen oder Irland die Möglichkeit gibt, zu reden und darüber hinaus
die Proteste sichtbar zu machen durch beispielsweise eigene Demoblöcke. Das ist
ein guter Schritt in die richtige Richtung. Doch dabei dürfen wir es nicht
belassen. Solidaritätsbekundungen sind gut, Solidaritätsaktionen sind besser!
Diese sorgen nämlich dafür, dass das Bewusstsein, dass wir zusammen kämpfen
müssen, um erfolgreich zu sein, steigt.

Damit diese
nicht nur den Kreis an Menschen erreichen, der sich eh schon für die Thematik
interessiert, ist es wichtig, Antisexismus auch an den Orten, an denen wir uns
tagtäglich bewegen müssen, zu thematisieren: also den Schulen, Universitäten
und Betrieben. Dies kann durch Veranstaltungen oder Vollversammlungen
passieren. Geschieht das Ganze im Zuge einer Aktion, so ist es wichtig, im Zuge
deren Aktions- und Streikkomitees zu gründen, damit jene, die aktiv bleiben
wollen, sich koordinieren und ihren Protest demokratisch organisieren können.
Daneben macht es Sinn aufzuzeigen, wo gemeinsame Berührungspunkte bestehen, und
Kämpfe miteinander zu verbinden. Denn der Kampf gegen repressive Abtreibungsgesetze
in Argentinien hat die gleichen Ursachen wie die in Polen, El Savador, Irland
oder Deutschland. Damit mehr Berührungspunkte aufkommen, macht es auch Sinn,
solche Diskussionen mit Problemen, die vor Ort existieren, zu diskutieren wie
beispielsweise sexistische Übergriffe oder Bemerkungen oder mangelnde Debatte
über Abtreibungsaufkärung. Doch damit eine Bewegung erfolgreich wird, ist es
wichtig, bereits existierende Organisationen zu beteiligen. In Deutschland
wären das Gewerkschaften, die SPD oder Linkspartei, also Organisationen, die
eine Anbindung zur Arbeiter_Innenklasse haben. Dabei bedeutet Beteiligung nicht
nur, dass man unter einem Demoaufruf steht, sondern offen die eigene
Mitgliedschaft zu Aktionen mobilisiert und diese motiviert, Aktions- und
Streikkomitees aufzubauen. Alles andere ist halbherzig. Damit das passiert,
müssen wir Druck ausüben und Organisationen offen dazu auffordern. Um den
Protest international zu verbinden, braucht es darüber hinaus
Aktionskonferenzen, ähnlich der Weltsozialforen, wo Organisationen
zusammenkommen und gemeinsam über die Programmatik, Forderungen und gemeinsame
Aktionen diskutieren. Denn nur wenn wir eine Bewegung sind, die ihre Basis auf
der Straße hat und nicht nach einem Tag verschwunden ist, können wir unsere
Forderungen durchsetzen. Schließlich und nicht zuletzt braucht es eine
revolutionär-kommunistische Frauenbewegung als Sammlung der Arbeiter_Innenavantgarde,
als Struktur der und in Verbindung mit einer neuen revolutionären Weltpartei
der Arbeiter_Innenklasse – der (aufzubauenden) Fünften Internationale!




Frauenstreik 2019 – aber richtig!

Anne Moll, ArbeiterInnenmacht, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Am 10. November
2018 fand in Göttingen das erste Vernetzungstreffen zur Planung eines
internationalen Frauenstreiks am 8. März 2019 statt.

Auf diesem
Treffen wurde ein gemeinsamer Aufruf für den 8. März 2019 verabschiedet und
eine Planung, wie dessen Umsetzung in Deutschland möglich ist. Mittlerweile
existieren zudem lokale Strukturen in
zahlreichen Städten.

„Wenn Frau
will, steht alles still…“?

Auch wenn es
für viele Frauen in der BRD heute kaum vorstellbar ist, ohne Tarifrunde, also
für eigene Frauenthemen die Arbeit niederzulegen: Solche Streiks gab es in der
Vergangenheit und sie sind international gar keine Seltenheit! Wie wir schon in
einer früheren Ausgabe der Neuen Internationale im Artikel „Frauenstreik – ja
bitte!“ ausgeführt haben, legten Millionen Frauen seit 1975 in Europa die
Arbeit nieder und gingen auf die Straße, um gerechte Bezahlung, bessere
Kinderbetreuung, Stopp der Gewalt gegen Frauen oder die Selbstbestimmung über
ihre Körper zu fordern – in Deutschland zuletzt 1994 mit knapp einer Million
TeilnehmerInnen.

Das Problem ist
dabei immer wieder die Frage der Protestform. Die Frauenorganisationen, die aus
dem bürgerlichen Spektrum kommen, lehnen den Begriff Streik und damit natürlich
auch dessen praktische Ausführung ab. So überstimmten sie die radikalen
Frauengruppen z. B. 1975 in Island und eine wirklich große Kampfaktion
wurde unter dem so gar nicht kämpferischen Slogan „Frauen-Ruhetag“ angekündigt.
Unter gewerkschaftlich organisierten Frauen konnte dann immerhin der Slogan
„Frauenprotesttag“ 1994 in Deutschland durchgesetzt werden. Betriebliche
Streikaktionen wurden aber abgelehnt mit der Begründung, politische Streiks
seien in der BRD illegal. Womit wir bei dem eigentlichen Problem wären: Es ist
dringend notwendig, dass sich politisch einiges ändert, sich die Situation von
Millionen Frauen hierzulande bzw. weltweit Milliarden verbessert. Es muss sich
noch viel ändern, damit das Wort Gleichstellung überhaupt ausgesprochen werden
darf. Wesentlich ist aber die Frage: „Wie erreichen wir das?“

Wer wird
politisch etwas mehr als schöne Worte und einen Butterkeks für Frauenrechte
tun, wenn wir nicht über legale Protestformen hinausgehen? Wenn wir durch
konsequente und sehr energische Maßnahmen nicht zeigen: Die Ansage „Wenn wir
wollen, steht alles still!“ beinhaltet auch Streikmaßnahmen? Und es ist uns
ernst mit der vollständigen Gleichberechtigung, die natürlich auch bedeutet,
dass Frauen in dieser Gesellschaft besonderen Schutz benötigen.

Genau darum
brauchen wir einen politischen Streik für die durch ihn erreichbaren
Forderungen aus dem Göttinger Aufruf. Ein politischer Streik richtet sich im
Gegensatz zu wirtschaftlichen Forderungen einzelner Branchen an und gegen den
Staat mit der Aufforderung, Maßnahmen zu ergeifen, die im Interesse aller
Arbeiterinnen liegen: zur Vergesellschaftung des Reproduktionssektors, der
Haus-, Pflege- und Sorgearbeit, gegen Pflegenotstand; zur faktischen
Gleichstellung mit den Männern vor dem Gesetz, bei Löhnen und Arbeitsbedingungen;
zur Abschaffung der Abtreibungsgesetze; gegen Altersarmut; für gleiche
StaatsbürgerInnenrechte aller, die hier leben; für offene Grenzen…Ein
politischer Streik bündelt also die Interessen der gesamten
ArbeiterInnenklasse. Sie sollte sich auch als Ganze daran beteiligen
einschließlich ihrer Männer – vom politischen Massenstreik bis hin zum
Generalstreik zur Durchsetzung der Forderungen!

An zwei
wesentlichen Punkten mangelt es zum Verständnis, warum es tatsächlich notwendig
ist, einen Frauenstreik, der sowohl dem Kampfbegriff als auch der notwendigen
Aktion gerecht wird, durchzusetzen:

Erstens am
fehlenden Klassenstandpunkt: Viele haben kein Verständnis, für welche
Interessen wir denn kämpfen. Da kommt immer schnell das Argument: Wir Frauen
haben alle die gleichen Bedingungen und kämpfen gemeinsam für die gleichen
Forderungen. Jede Kritik daran wird mit dem Argument „Wir lassen uns nicht
spalten!“ abgewürgt.

Und trotzdem
ist es eine Tatsache, dass sich bürgerliche
Frauen viel von den Forderungen für mehr Gleichstellung kaufen können, sie weit
eher in der Lage sind, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien, oder
eine Abtreibung unabhängig von der Gesetzgebung sicher durchführen lassen können (z. B. im Ausland). Je besser
ihre ökonomische Lage, desto mehr Möglichkeiten haben sie, sich ein angenehmes
Leben zu organisieren oder den Beruf
auszuüben, den sie möchten.

Außerdem kommt
dazu, dass sie sich selten mit der ArbeiterInnenklasse solidarisieren, denn
ihre bürgerlichen Regierungen werden tatsächlich mit allen Mittel versuchen,
unseren Kampf zu stoppen – je konservativer, desto härter! Und dazu gibt es
Repression und das könnte durchaus heißen, dass sie ihren Status verlieren oder
zumindest angegriffen werden. Nur die Arbeiterinnen, um derentwillen die
Forderungen unterstützt werden müssen und für die sie wirklich relevant sind,
haben eh nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen: die gezwungen sind, auch
den schlechtesten Job zu machen, sich zu prostituieren oder sexuelle
Belästigungen durch ihre Vorgesetzten auszuhalten, wenn sie nicht gefeuert
werden wollen.

Zweitens geht
es leider auch vielen Gewerkschaften darum, die Kontrolle über die Bewegung zu
behalten. So wichtig es ist, gewerkschaftlich organisiert zu sein, um diese
Anliegen durchzusetzen, so wichtig ist zu erkennen: In welchem Kontext agieren
diese Gewerkschaften? Warum unterstützen sie nicht bedingungslos die
Forderungen und Proteste der Ärmsten und Unterdrücktesten? Und besonders in der
BRD steht unseren Interessen die Kontrolle und Zähmung der DGB-Gewerkschaften
durch ihre leitenden FunktionärInnen, zumeist Mitglieder der bürgerlichen
ArbeiterInnenpartei SPD, entgegen. Sie unterstützen schon sehr lange alle
kapitalistischen Interessen mit dem leider wirksamen Argument der Standortsicherung.
Damit wird jeder weitere Einschnitt für die Lohnabhängigen gerechtfertigt,
neoliberale Politik mitgetragen. Als alternativlos werden auch immer wieder
Krisenkosten auf die ArbeiterInnenklasse abgewälzt.

Umso wichtiger ist es deshalb, dass das Thema (politischer) Streik auf die Tagesordnung kommt und diskutiert wird. Wir unterstützen die Bewegung für einen Frauenstreik international und bringen unsere klassenkämpferische Politik in die Vorbereitungen ein.

Und die nächsten Schritte?

Wie könnten die ersten Schritte aussehen, damit die Mobilisierung und die viele Arbeit von 2019 nicht schon im nächsten Jahr verpufft? In Deutschland
ist es deshalb schon nicht so einfach, Menschen in den Betrieben während der
normalen Lohnrunden zu mobilisieren, weil die Gewerkschaftsbonzen sehr stark
Aktionen kontrollieren, ja ausbremsen, wenn sie nicht in den gewerkschaftlichen
Schulterschluss mit Sozialdemokratie und UnternehmerInnen passen. Die
DGB-Gewerkschaften möchten ihr Image als verlässliche Partnerinnen der
Kapitalinteressen nicht gefährden. Deshalb werden sie erst recht nicht oder nur
sehr vereinzelt in Ortsgruppen oder Betrieben bereit sein, zum 8. März
überhaupt zu mobilisieren.

Die ersten
Schritte müssen also von den Beschäftigten ausgehen. Der erste Schritt bestünde
darin, dass sich die Streikbereiten organisieren, ihre Führungen auffordern,
zum Streik aufzurufen. Nur wenn wir kollektiv Druck auf die
Gewerkschaftsführung ausüben, schaffen wir es, sie in Bewegung zu bringen. Ein
realistischer Weg dahin, möglichst viele Kolleginnen, aber auch Kollegen für
diese Idee zu gewinnen, besteht in der Aufforderung an die Betriebsräte, vor
dem 8. März eine Betriebsversammlung in ihrem Betrieb durchzuführen. Und genau
diese Versammlung sollte das Thema Frauenstreik diskutieren. Was wollen wir? Wofür
müssen wir streiken? Welche Rechte haben wir? Usw., usf.

Als Beispiel
sei hier der Frauenstreik 2018 in Spanien genannt. Die offizielle
Gewerkschaftsführung wollte nicht zum politischen Frauenstreik aufrufen, aber
die gewerkschaftlich organisierten Frauen taten es und organisierten
selbstständig die betrieblichen Streiks. In Deutschland kocht seit Monaten das
Thema Pflegenotstand. In vielen Städten gibt es Bündnisse für mehr Personal im
Krankenhaus. Dies Thema ist ebenso wie höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen,
wie gute Kinderbetreuung und Selbstbestimmung über unsere Körper ein gutes zur
Mobilisierung. Die Gewalt gegen Frauen hat in den letzten Jahren zugenommen.
Und sie fängt nicht erst bei Schlägen an, sondern damit sind auch verbale
Verletzungen und Abwertungen gemeint, sexistische Anmache, Bevormundung und
Isolation. Die Schutzräume für von Gewalt betroffene Frauen werden nur sehr
unzureichend vom Staat finanziert. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist
ein wichtiges Thema im Kampf um Gleichberechtigung. Ein weiteres ist die
unbezahlte Hausarbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird und selten
überhaupt Erwähnung findet. Das alles sollten wir bei Streikaktionen,
Versammlungen und Demonstrationen am 8. März diskutieren und dafür unseren
Widerstand organisieren.

Zusätzlich zu
dem Vorschlag, v. a. die weiblichen Gewerkschaftsmitglieder und
unorganisierten Beschäftigten in den Branchen mit hohem Frauenanteil (Pflege,
Einzelhandel, Gastronomie, Gesundheitswesen, Bildung und Erziehung…) zuvorderst zum Streik aufzurufen, treten wir dafür
ein, am 8. März einen Bildungsstreik zu organisieren und alle SchülerInnen und
StudentInnen zu mobilisieren, damit sie einen ökonomisch wirksamen
Erzwingungsstreik mit ihren stärksten Mitteln unterstützen können. Generell ist
es uns wichtig zu betonen: Wir kämpfen für die gesamte ArbeiterInnenklasse und
unsere Themen sind auch die der Männer unserer Klasse. Wir sollten gemeinsam
gegen die Unterdrückung des Kapitalismus antreten!

Politischer
Frauenstreik illegal? Scheißegal!