Anti-AfD-Proteste: Welche Rolle sollten Gewerkschaften spielen?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 281, April 2024

Das Jahr 2024 fing ermutigend an: Jede Woche war von größeren Demonstrationen zu lesen. Gar von einer Protestewelle war die Rede, als in ca. 200 deutschen Städten am Wochenende Menschen auf die Straße gingen, um gegen die bekanntgewordenen Remigrationspläne der AfD und ihnen nahestehender rechter Strukturen zu demonstrieren – Pläne, die viele Menschen betreffen würden. So war es nicht verwunderlich, dass sich bis Ende Februar etwa 4 Millionen Menschen beteiligten, nicht nur in Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum. Doch nun scheint der Protest abzuebben – und das liegt nicht daran, dass der Rechtsruck aufgehalten wurde. Woran also sonst? Und welche Rolle spielen dabei die Gewerkschaften?

Kern des Protests

Während die CORRECTIV-Recherchen über das Hinterzimmertreffen der AfD und die „Remigrationspläne“ zwar Auslöser für die Proteste waren, so lag deren Hauptimpuls jedoch nicht in der Besorgnis um den gesellschaftlichen Rechtsruck oder die massenhaften Abschiebungen, sondern die Gefahr, die daraus für den Status quo der herrschenden Ordnung und damit den parlamentarisch-demokratischen Teil des kapitalistischen Überbaus erwächst. Oder kurz: die Angst vor dem drohenden Faschismus, verkörpert durch die AfD, sowie drohende „Weimarer Verhältnisse“. Konkret, dass die AfD für Verfassungsfragen die Größe einer sogenannten Sperrminorität erreichen könnte und somit keine Beschlüsse mehr mit Zweidrittelmehrheit gefasst werden könnten. Dies ist wichtig zu verstehen, um den Protest entsprechend zu charakterisieren.

Das heißt nicht, dass Antirassismus keine Rolle gespielt hat und nicht für viele ebenfalls ein Beweggrund gewesen ist. Nur spielte dieser nicht die Hauptrolle. Das ist einer der Gründe, warum sich die aktuellen Regierungsparteien so einfach unter den Protest mischen konnten, ohne für ihre aktuelle Abschiebepraxis kritisiert zu werden. Dadurch wurde es FDP, CDU/CSU, Grünen, SPD und der LINKEN ermöglicht, mit dem Finger auf die AfD zu zeigen und für das kommenden Superwahljahr von ihrer menschenverachtenden Asylpolitik in Landes- und Bundesregierungen abzulenken.

Vertreten auf den Protesten waren jedoch nicht nur Regierungsparteien, sondern auch andere unterschiedliche Organisationen der „Zivilgesellschaft“, von NGOs über Kirchen bis hin zu den DGB-Gewerkschaften. Doch nach ein paar Wochen zeigte sich schnell ein bekanntes Mobilisierungsmuster aus den letzten Jahren, wie bei den #unteilbar- Demonstrationen: ein breites, buntes Bündnis soll dafür gewonnen werden, moralisch die Ideologie der extremen Rechten zu verunglimpfen. Doch nach den einzelnen Kundgebungen sowie Demonstrationen passierte nicht mehr viel. Das hilft wenig im Kampf gegen rechts, genauso wenig wie etwaige Verbotsdiskussionen. Damit der Protest nicht verpufft, könnte vieles getan werden. Insbesondere den Gewerkschaften fällt hier eine Schlüsselposition zu.

Eine der zentralen Fragen ist also: Wie kann so ein Protest zu einer Bewegung werden, die nicht nur gegen die AfD moralisiert, sondern dem Rechtsruck insgesamt etwas entgegenstellen kann?

Vom Protest zur Bewegung

Um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu ändern, reicht es nicht aus, dass diejenigen, die eh schon gegen die AfD sind, einfach auf die Straße gehen. Das hat vor 10 Jahren recht wenig gebracht und bringt heute noch weniger. Vielmehr muss der Protest in den Alltag getragen werden, an Schulen, Universitäten – und in die Betriebe. Hier sitzen die Gewerkschaften in einer Schlüsselposition. Theoretisch könnten sie ihre Mitgliedschaft mobilisieren, tausende von Betriebsversammlungen organisieren und damit einer Bewegung massiven Anschub leisten. Auf solchen Versammlungen reicht es jedoch nicht, nur mit moralisierenden Argumenten oder leeren Floskeln wie „Humanität“ und „Toleranz“ zu kommen. Um wirklich etwas zu verändern, müssen konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Auch dies wäre durch die Gewerkschaften möglich, schließlich spielen sie eine Schlüsselrolle und können so effektiv auf den Produktionsprozess Druck ausüben.

Warum ist das notwendig?

Die AfD ist nicht über Nacht erfolgreich geworden, sondern existiert seit 10 Jahren. Damit wird sie mittlerweile nicht mehr einfach nur aus Protest gewählt von jenen, die mal eben den etablierten Parteien eins auswischen wollen. Vielmehr ist sie Resultat der

immer offener auftretende Krisen, die Zukunftsängste erzeugen und für die die etablierten Parteien keine adäquaten Lösungsansätze bieten können. Schließlich sind sie doch selbst das Problem oder haben über Jahrzehnte hinweg die Auswirkungen dieser Krise in den Augen vieler verwaltet und mitverantwortet. In diesem Windschatten konnte sich die AfD erst hinter ihrer Anti-EU-, dann Anti-Geflüchteten- und nun ihrer Anti-Ampelpolitik immer weiter aufbauen, an Stimmen gewinnen und auch politische Themen bestimmen und diese nach rechts drängen. Anstatt die Politik der Rechten aktiv zu bekämpfen, konnten die „Verwalter:innen“ des Systems nicht anders, als deren Forderungen und darüber hinaus aufzunehmen und dabei die politische Landschaft insgesamt nach rechts zu verschieben.

Aber nicht nur die politischen Parteien, sondern auch die Gewerkschaften haben zu dieser Stimmung beigetragen. Durch ihre starke Verbindung mit der SPD und in gewissem Masse mit der LINKEN, bildeten sie stets einen Stabilisierungsaktor für die Regierungspolitik. Durch ihre sozialpartnerschaftliche Strategie sorgten sie nicht nur für das Abwälzen von Krisenlasten auf breite Teile der arbeitenden Gesellschaft (und somit auf ihre eigenen Mitglieder), sondern trugen auch durch ihre Positionen zum Ukrainekrieg und Nahostkonflikt dazu bei, dass sie als Teil des „Problems“ wahrgenommen werden und nicht als eine Organisation, von denen sich Menschen Lösungen für ihre Krisenängste erwarten.

Wer nun erfolgreich gegen rechts kämpfen will, muss mit dieser Politik brechen, konkreter: mit der Sozialpartner:innenschaft.

Fesseln der Sozialpartner:innenschaft

Diese Strategie stellt eine der größten Fesseln dar, die die Gewerkschaften, vermittelt durch ihre Bürokratie und die reformistischen Parteien, an das kapitalistische System bindet und sie dazu verdammt, die Sozial-, Migrations- oder Außenpolitik der Regierung zu verteidigen. Dies bedeutet, dass die Gewerkschaftsbürokratie die herrschende Politik samt ihrer Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsverhältnisse mittels ihrer Klassenversöhnungsstrategie und Führung ihrer Arbeitskämpfe abdeckt und unterstützt. Dies äußert sich derzeit vor allem in den geführten Tarifauseinanedersetzungen, die sich alle unabhängig von der Kampfkraft der Beschäftigten an der „Konzertierten Aktion“ orientieren. Diese wurde zusammen mit dem Kanzler, den Regierungsparteien und den DGB-Gewerkschaftsspitzen abgesprochen und vereinbart, um klare Haltelinien für die Tairfverhandlungen festzulegen. Diese sollen es einerseits der Regierung ermöglichen, ihre Programme zu verwirklichen und gleichzeitig der Gewerkschaftsbürokratie erlauben, ihren Stammbelegschaften Erleichterungen zu versprechen, kämpferische Töne anzuschlagen, ohne aber sie in für die Regierung gefährliche Richtung lenken zu müssen.

Was könnten die Gewerkschaften denn tun?

Mit Hinblick auf die Bewegung gegen rechts geht es vor allem darum, Antworten zu geben, wie an dieser angesetzt werden und ihr eine politische Stoßrichtung gegen die Politik der Regierung und der Abwälzung der unterschiedlichen Krisenlasten auf unsere Schultern gegeben werden kann. Diese Abwälzung muss verhindert werden. Sie verkörpert eine der realsten Zukunftsängste vieler Menschen. Es muss sich aktiv gegen die von der AfD (wie auch anderen konservativen Parteien) betriebene Sündenbockpolitik in Gestalt von „Ausländer:innen“, „Migrant:innen“, „Bürger:innengeldbezieher:innen“ oder „Arbeitslosen“ entgegenstellt werden, anstatt diese Erklärungsmuster wie beim BSW zu verinnerlichen. Die Probleme müssen klar angesprochen und offengelegt werden: Für die zunehmenden Krisen und Zukunftsängste ist das Kapital mit seinen internationalen Konkurrenzkämpfen, die sie auf unseren Rücken austrägt, verantwortlich, also wirklich Sündenbock.

Die Gewerkschaften könnten durch die Organisierung von Geflüchteten, Migrant:innen, Arbeiter:innen, Jugendlichen sowie Arbeitslosen und Rentner:innen Brücken schlagen zwischen diesen Menschen. Durch Massenmobilisierungen können diese zusammengeführt und unterschiedliche politische Themen angesprochen werden. Dadurch lässt sich zum Beispiel der Kampf gegen rechts im Betrieb mit dem gegen Lohnabbau und Sozialkürzungen gut verbinden. Hierbei kann doch aufgezeigt werden, dass nicht die Bezüge für Arbeitslose bzw. Migrant:innen schuld daran sind, dass es zu Reallohnverlusten während der Inflation kommt, sondern es daran liegt, dass das Kapital nicht mehr Geld lockermachen möchte, obwohl für Managerboni wie bei der Bahn die Millionen fließen können. Dies kann praktisch dadurch geschehen, dass wir für Verbesserungen für alle auf die Straße gehen – finanziert durch die Reichen – und dabei nicht zurückschrecken, klare antirassistische Positionen zu beziehen. Zentrale Forderungen für eine Kampagne, die unterschiedliche Proteste zusammenführen kann, könnten u. a. folgende sein:

  • Mehr für uns: Anhebung des Mindestlohns für alle und Mindesteinkommen gekoppelt an die Inflation! Für das Recht auf Arbeit und die gewerkschaftliche Organisierung aller Geflüchteten, keine Kompromisse bei Mindestlohn und Sozialleistungen!

  • Wohnraum muss bezahlbar bleiben: Nein zum menschenunwürdigen Lagersystem! Enteignung leerstehenden Wohnraums und Nutzbarmachung öffentlicher Immobilien zur dezentralen und selbstverwalteten Unterbringung von Geflüchteten und für massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus statt Privatisierung! Nein zu Leerstand und Spekulation!



Entstehung und Charakter des Staates Israel

Teil 4 des Podcasts zum Thema Antisemitismus und wie er bekämpft werden kann

Lage der Klasse, Folge 7, Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1249, 23. März 2024

Herzlich willkommen zur Lage der Klasse, dem Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht zu marxistischer Theorie und revolutionärer Praxis. Heute mit Lina und Katjuscha und der Frage: „Wie ist der israelische Staat entstanden und wie lässt er sich charakterisieren?“

Schon in unserer vergangenen Folge haben wir uns mit dem Zionismus und somit auch mit Israel befasst. Bevor wir uns in der kommenden Folge unserem Aktionsprogramm für den palästinensischen Befreiungskampf zuwenden, möchten wir heute noch mal genauer auf die Entstehungsgeschichte und den Charakter des Staates Israel eingehen.

Die Entstehung Israels lässt sich einordnen in die Periode der sogenannten „Dekolonialisierung“ nach dem Zweiten Weltkrieg – also der Ablösung der direkten Kolonialherrschaft durch indirekte postkoloniale Systeme, in welchen imperialistische Mächte noch immer durch politische und wirtschaftliche Mittel die halbkoloniale Welt in ihrer Knechtschaft halten. In unserer Folge zur Geschichte des Antijudaismus und Antisemitismus haben wir dabei eine historische Skizze zu den Auseinandersetzungen zwischen dem Assimilationsansatz, der marxistischen und der zionistischen Perspektive zum Kampf gegen die Unterdrückung von Jüdinnen und Juden präsentiert, die vor allem das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert prägten.

Existenzrecht des jüdischen Volkes

Ohne selbst eine imperialistische Macht darzustellen, fungiert Israel seit seiner Gründung im Mai 1948 als kapitalistisch organisierter Staat in dieser Entwicklung als willkommener „engster Verbündeter“ für westliche Imperialismen, um durch ihn Kontrolle über den Nahen Osten auszuüben und sich den Zugang zu wertvollen Rohstoffen zu sichern.  In diesem Sinne lässt sich Israel in seiner Entstehung als „letzte Siedler:innenkolonie des Westens“ bezeichnen, welche ohne die massive militärische und wirtschaftliche Unterstützung, insbesondere der USA, nicht überlebensfähig wäre. Der enorme Kapitalimport erlaubte in den 1950er und 1960er Jahren satte Gewinne, ohne zugleich wesentliche Teile der israelischen Arbeiter:innenklasse in die Überausbeutung zu drängen oder in besonderem Maße besteuern zu müssen, wie es in Halbkolonien meist der Fall ist. Viel eher stieg der Lebensstandard der jüdischen Bevölkerung parallel zur Akkumulation. Nichtsdestoweniger ist Israel kein imperialistischer Staat. Dafür ist er nicht einerseits ökonomisch zu schwach und andererseits kein unabhängiger Akteur, der der Welt seinen Stempel aufdrücken kann. Außerhalb des arabischen Raums spielt er im Weltgeschehen allenfalls eine Nebenrolle. Er ist vielmehr selbst eine besondere Halbkolonie insbesondere der USA und in gewissem Maß der EU geworden, der aus sich heraus einen fortgesetzten Neokolonialismus betreibt, ein besonderer imperialistischer Statthalter oder auch Brückenkopf. Über die vergangenen Jahrzehnte gibt es kein Land auf dieser Welt, das so umfassende Militärhilfe von den USA erhalten hat. Auch Deutschland hat beispielsweise seit dem 7. Oktober seine Waffenlieferungen an Israel verzehnfacht.

Die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina sowie immer wiederkehrende Unruhen in der Region, die selbst ein Ergebnis der neokolonialen Abhängigkeit, Unterdrückung und imperialistischer Kriege sind, liefern der ständigen Präsenz der USA in der Region dabei den Vorwand.

Eine weitere Voraussetzung für die Entstehung des israelischen Staates war, wie wir bereits in unserer vergangenen Folge thematisiert haben, der Höhepunkt der antisemitischen Verfolgung welcher in die Schoa mündete. Ohne diesen tragischen Massenmord hätte der zionistische Ansatz, als scheinbare Alternativlosigkeit, niemals einen so großen Zuspruch unter Juden und Jüdinnen erreichen können. Jedoch, und das stellten wir in unserer ersten Folge heraus, eine Perspektive, die den Antisemitismus als überhistorisch gegeben akzeptiert und damit die Unterdrückung anderer rechtfertigt. Seit mehr als 70 Jahren hat sich auf dem Gebiet Palästinas eine israelische Nation herausgebildet, die ein uneingeschränktes Existenzrecht auf eben dieses beansprucht. Dieses Existenzrecht muss der dort lebenden jüdischen Bevölkerung uneingeschränkt zugestanden werden. Alles andere wäre äußerst reaktionär und entspräche auch nicht der Vorstellung, die wir von einer sozialistischen und säkularen Ein-Staaten-Lösung haben. Die Anerkennung der Existenz einer jüdischen Nation auf dem Territorium des historischen Palästina darf aber nicht verwechselt werden mit der Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel, welchen wir als rassistisches Projekt ablehnen. Dafür führen wir die kurze Definition des Verhältnisses von Nation und Staat aus der ersten Folge unserer Podcastreihe zum Antisemitismus an:

Eine Nation ist das Ergebnis der bürgerlichen Epoche, also verbunden mit dem Aufstieg und Niedergang des Kapitalismus. Sie ist eine Gemeinschaft von Klassen, dominiert durch eine privilegierte oder ausbeutende Klasse. Diese Gemeinschaft hat eine vereinheitlichende territoriale und wirtschaftliche Grundlage, zumeist eine gemeinsame Sprache und Kultur sowie eine gemeinsame Geschichte, ob nun wirklich oder mythisch. Auf diesem Fundament hat sich ein gemeinsames Selbstbewusstsein oder ein Nationalcharakter herausgebildet mit der politischen Konsequenz, dass die Nation eine eigene Staatsform anstrebt oder schon errichtet hat: den Nationalstaat.

Nakba und Besatzungsregime

Nach wie vor sind es aber wesentliche Elemente, die Israel als zionistisches Projekt und unterdrückerisches Kolonialregime ausmachen und starke Tendenzen bis hin zum Völkermord an den Palästinenser:innen in sich tragen. Eines dieser Elemente ist das israelische Besatzungsregime, welches auf Grundlage der ethnischen Säuberung und der Vertreibung von 750.000 Palästinenser:innen errichtet wurde. Dies geschah entgegen der ursprünglich im UNO-Teilungsplan vorgesehenen gemeinsamen Verwaltung. Die arabische Bevölkerung hatte lediglich die Wahl, sich zu unterwerfen oder zu fliehen. Von ihr wird diese historische Tragödie als Nakba bezeichnet, was das arabische Wort für Katastrophe ist – ein Krieg von 1947 bis 1949. In der Nakba wurden 1948 78 % Palästinas erobert. Durch zionistische Milizen und die Armee wurden mindestens 750.000 Palästinenser:innen vertrieben, viele weitere flohen. Die Anzahl der arabischen Bevölkerung im von Israel beanspruchten Gebiet verringerte sich von etwa 1.324.000 1947 auf etwa 156.000 ein Jahr später. Der größte Teil der Menschen mit palästinensischer Herkunft lebt heute außerhalb der Gebiete Palästinas. So wird beispielsweise vermutet, dass etwa 60 bis 70 % der Jordanier:innen (insgesamt 4,5 Millionen) aus Palästina kommen oder palästinensische Vorfahren haben. Das UNRWA geht heute von etwa 5 Millionen palästinensischen Geflüchteten aus. Rund 1,5 Millionen von ihnen leben in den 58 Camps im Westjordanland, Gaza, aber auch Jordanien, Syrien und dem Libanon.

Bis heute ist es den palästinensischen Bürger:innen Israels verboten, der Nakba zu gedenken. Der Schrecken endete damals jedoch noch lange nicht: Im 6-Tage-Krieg 1967 schloss Israel die Besetzung aller verbliebenen palästinensischen Gebiete ab, indem die IDF das gesamte Westjordanland und Gaza einnahm und weitere 300.000 Menschen vertrieben wurden. Seitdem sind die Palästinensischen Autonomiegebiete unter eine de facto Kolonialverwaltung gesetzt worden. Dies widerspricht eindeutig der UNO-Resolution 242, welche seit 1967 das Ende der israelischen Kontrolle über die besetzten Gebiete verlangt.

Wie wir in unserer Folge zur historisch-materialistischen Perspektive über die Entstehung und den Charakter von Antisemitismus und Antijudaismus deutlich machten, beginnt die Geschichte nicht mit der Nakba, sondern bereits mit einem ungleichen Verständnis des Nationalstaatsbegriffs und seines Charakters zwischen der religiösen Aufladung und der bürgerlichen Epoche.

Ein weiteres Element, was Israel als Kolonialregime ausmacht, ist, dass es den Vertriebenen vehement das Recht auf Rückkehr verweigert. Alle in der Westbank, einschließlich Ostjerusalem, verbliebenen Araber:innen wurden unter besonderes Militärrecht gestellt, während für die dort lebenden Siedler:innen das israelische Zivilrecht gilt. Es ist auch der Siedler:innenkolonialismus, der zu einer anhaltenden Annexion in den besetzten Gebieten führt. Unterdessen ist die Zahl der jüdischen Siedler:innen, welche in der Westbank und in Ostjerusalem in festungsartigen Siedlungen leben, seit 2007 um 700.000 Menschen angestiegen. Als Siedler:innenkolonialismus wird die Kontrolle über ein Territorium bezeichnet, die nach Vertreibung der ursprünglichen Bevölkerung und ihrer Ersetzung durch eine andere trachtet. Historische Beispiele sind neben Palästina beispielsweise auch Australien und die USA.

Die Spaltung der palästinensischen Bevölkerung, welche ein typisches Merkmal kolonialistischer Beherrschungspolitik ist, erinnert unweigerlich an das Apartheidssystem Südafrikas: Mehr als 50 Gesetze diskriminieren palästinensisch-israelische Bürger:innen in Bezug auf Landbesitz, Wohnen, Familienleben, Bildung und viele weitere Lebensbereiche. Den Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten werden jedoch schon die elementarsten Rechte verwehrt, auch wenn versucht wird, über diesen Umstand durch die Farce einer angeblichen Eigenstaatlichkeit hinwegzutäuschen. Anders als im südafrikanischen Apartheidssystem ist das zionistische Regime jedoch nicht in dem Maße auf arabische Arbeitskraft angewiesen – ein qualitativer Unterschied zwischen klassischem Kolonialismus und Siedler:innenkolonialismus. Insbesondere, als seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion die sich bis dato größte Einwanderungsbewegung vollzog, ist Israel mit ausreichend, überwiegend russischer und ukrainischer, Arbeitskraft versorgt worden, welche hervorragend zur Ausbeutung dient.

Als 1996 die Osloer Friedensprozesse scheiterten, auch, da die zionistische Rechte den Siedler:innenkolonialismus als identitätsstiftendes Moment nicht aufgeben wollte, kam es zum Niedergang des säkularen zionistischen Lagers und es vollzog sich der Ausbau eines rein jüdischen Israel. Das sogenannte Palästinenser:innenproblem ließ sich aber nicht, wie von den Zionist:innen erhofft, einfach beseitigen. Spätestens seit dem 7. Oktober ist die Vision einer ethnischen Säuberung im Zionismus eine für viele akzeptable geworden. Bezeichnend dafür ist, dass der rechtsextreme Finanzminister der Regierung Netanjahu, Bezalel Smotrich, ganz offen formulierte, dass die verbleibende palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten sich entweder zu assimilieren oder das Land zu verlassen habe. Was er nicht sagt, ist, dass diese, wenn sie weder das eine noch das andere mit sich machen lässt, weiterhin mit fortgesetztem Krieg gegen sie zu rechnen hat.

Zionismus und Spaltungen

Landesweite Proteste und massiver Widerstand gegen die Justizreform der israelischen Regierung im vergangenen Juni zeigten, dass sich auch in der jüdischen Bevölkerung Ansätze zum Aufbegehren gegen den herrschenden Rechtszionismus regen. Leider war der Widerstand in Israel nicht bereit, seinen Kampf mit dem ihrer unterdrückten arabischen Klassengeschwister zu verbinden. Hier werden die Fehler deutlich, die auch der Linkszionismus begeht, indem er sich bisher nicht willens zeigte, eine wirkliche Konfrontation mit dem zionistischen Chauvinismus einzugehen. Seitens der israelischen Gewerkschaften hat es zwar darüber Auseinandersetzungen gegeben, in welchem Maß nicht-jüdische Arbeiter:innen ausgrenzt werden, aber die Histadrut als Dachorganisation der israelischen Gewerkschaften hat für das zionistische Projekt immer als gelbe Gewerkschaft durch ihren staatstragenden Charakter gewirkt. Die Histadrut wurde bereits 1920 von Linkszionist:innen gegründet, auch Labourzionist:innen genannt. Der Dachverband nahm damals eine entscheidende militärische, wirtschaftliche und politische Rolle im Kolonialisierungsprozess und in der Vertreibung der Palästinenser:innen ein. Statt die Klasseneinheit und Solidarität mit den palästinensischen Arbeiter:innen zu fördern, setzte er sich stattdessen für den Ausschluss und die Entrechtung derselben ein. Er kann demnach weniger als einfache Gewerkschaft eingeordnet, sondern muss vielmehr als ein Grundpfeiler des Kapitalismus in Israel verstanden werden. Die Klassendifferenzierung und Polarisierung in Israel zu unterdrücken und hinauszuzögern, ist ihr Vermächtnis. Somit ist aus einer proletarischen Klassenkampfperspektive klar, dass die Histadrut von der israelischen Arbeiter:innenklasse durch eine Gewerkschaft ersetzt werden muss, die allen Arbeiter:innen, unabhängig von ihrer Ethnie, Zugang zu ihren Strukturen gewährt. Letztlich ist es die Arbeiter:innenklasse, als einzige multi-ethnische Kraft in der Lage, die nationalistischen Spaltungslinien zu überwinden, oder wäre zumindest potentiell dazu imstande. Aber sie kann nur dann eigenständig als Kraft auftreten, wenn sich jüdische, palästinensische und migrantische Arbeiter:innen in gemeinsamen Kampforganisationen für ihre Interessen verbinden. Hierfür braucht es sowohl den Bruch mit dem Zionismus wie mit dem korrupten palästinensischen Nationalismus und reaktionären Islamismus. 

Im Laufe der vergangenen 75 Jahre haben die Jüdinnen/Juden Israels ihre ursprüngliche ethnische Verschiedenheit teilweise durch eine gemeinsame nationale Kultur ersetzen können. Ein wesentliches Element ihres Nationalbewusstseins ist jedoch durch ihre chauvinistische Haltung gegenüber der arabischen Bevölkerung geprägt. Dies bildet die Grundlage dafür, der zionistischen Erzählung, das Volk Israel sei das für Palästina bestimmte, Taten folgen zu lassen – also die Vertreibung der Palästinenser:innen aus der Region und ihre rein jüdische Besiedelung. Um überhaupt ein Nationalbewusstsein zu entwickeln, wurde einer anderen Ethnie ein solches Recht auf nationale Selbstbestimmung abgesprochen. Hinsichtlich der israelischen Nationalidentität gibt es jedoch auch ethnische und klassenspezifische Aspekte, die diese umfassende Identität spalten. Diese Spaltung vollzieht sich nicht nur zwischen israelischen Araber:innen und Juden/Jüdinnen, sondern auch innerhalb der israelisch-jüdischen Gemeinschaft:

So sind es die Aschkenasim, die das Land 1948 kolonialisiert haben, und daher auch in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die privilegierten Positionen beziehen. Sie stellen die ansehnliche Arbeiter:innenaristokratie aber auch -bürokratie dar, die mittleren und leitenden Positionen der Staatsbürokratie und ihre Kultur wird als die vorherrschende betrachtet. Zudem werden über sie wichtige Verbindungen zu der in den USA und Europa lebenden, ökonomisch bedeutsamen jüdischen Gemeinschaft gehalten.

Seit der Staatsgründung war jedoch klar, dass es orientalische Jüdinnen und Juden braucht, welche als Arbeitskräfte für halbqualifizierte Berufe und niedere Arbeiten eingesetzt werden konnten. So holte man ebendiese gezielt ins Land, welche sich nicht wegen antisemitischer Verfolgung, sondern in der Hoffnung auf einen höheren Lebensstandard in die unteren Reihen der israelisch-jüdischen Arbeitsgemeinschaft eingliederten. Durch die Besetzung des Westjordanlands 1967 wurden jedoch massenhaft arabische Arbeiter:innen in die israelische Wirtschaft integriert. Dies ermöglichte einer Vielzahl von Juden/Jüdinnen von der Position der Arbeiter:innnen in die der Kleinunternehmer:innen aufzusteigen und als solche arabische Beschäftigte unter sich zu vereinen. Alle Parteien sowie die jüdische Bourgeoisie sehen die Notwendigkeit, sich konjunkturell auch fortwährend mit arabischen Arbeiter:innen versorgen zu müssen, auch wenn dies tendenziell abnimmt. Letztlich ist nicht nur die israelisch-jüdische Gemeinschaft in sich gespalten, sondern auch die Gruppe der orientalischen Jüdinnen/Juden unterteilt sich ihrerseits in vier weitere Untergruppen, zwischen welchen tief verwurzelte Feindschaften herrschen. Auch hier gibt es eine ökonomische Schichtung.  
All diese Spaltungen, die von den weißen Aschkenasim maßgeblich gefördert werden, zeigen deutlich, dass die israelische Arbeiter:innenklasse, auch wenn sie von der Unterdrückung und Überausbeutung der arabischen Israelis profitiert, letztlich eine Verliererin in ihrem kapitalistisch organisierten Staat ist.

Daher legen wir euch auch unsere nächste Folge ans Herz, welche sich damit beschäftigen wird, was es braucht, um eine freie, säkulare und sozialistische Ein-Staaten-Lösung zu erkämpfen. Aber das ist eine andere Frage zur Lage der Klasse.




Rechtsruck, Krise und die Lage der Frauen

Kai Zumar, REVOLUTION, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 12, März 2024

Für Linke, Frauen, queere Menschen, rassistisch Unterdrückte und andere gesellschaftlich Unterdrückte und Menschen, die in Armut leben, fängt 2024 als gut geölte Rutschbahn in die Hölle an. Der Klimawandel droht nach wie vor, unseren Planeten buchstäblich höllisch heiß zu machen. Mit der Wirtschaft geht es bergab, Rechte sind auf dem Vormarsch, und alles scheint in deprimierender Perspektivlosigkeit zu versinken. Hinzu kommen Kriege und Auseinandersetzungen weltweit. Es wird weiterhin von einem sinkenden Produktionsniveau, Stagnation und Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und hoher Inflation in Deutschland ausgegangen. Weltweit sieht es nicht besser aus, wie auch der ökonomische Kollaps von Halbkolonien wie Sri Lanka oder Pakistan verdeutlicht.

Wirtschaftskrise

„Schlechter war die Stimmung in diesem Punkt zuletzt im Jahr der Finanzkrise 2009“, meinte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Ende 2023. Dass direkt die Krise 2008/2009 zur Sprache kommt, ist kein Zufall. Denn die weltweite Wirtschaftskrise, die wir immer mehr beobachten können, ist direkte Folge dieser damals nicht voll aufgelösten Krise.

Eine massive Blase auf den Hypotheken- und Hausmärkten war 2008 geplatzt, als sich  Rückzahlungsausfälle häuften. In der Folge kam es zu einer enormen globalen Profitkrise. Doch während es üblicherweise zu einer Erholung kommen kann, wenn eine Reihe an Firmen pleitegeht und es damit zu einer Vernichtung (Außerdienststellung) von ihrem fixen Kapital (z. B. Maschinen) kommt, woraufhin der Anteil an menschlicher Arbeit in der Produktion und damit die Profitraten wieder steigen, wurde diese Entwicklung 2008/9 aufgeschoben. Erreicht wurde das durch Niedrigzinspolitik, die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen und internationale Koordination. Losgetreten und befeuert durch die Coronapandemie und die Energiekrise rollt die jetzige Krise als Folge dieser Politik über uns hinweg.

Für Frauen hat schon die Pandemie nicht nur einen unfassbaren Anstieg an häuslicher Gewalt und ein Eingesperrtsein mit ihren Tätern, sondern auch überdurchschnittlich oft Entlassung und Prekarisierung bedeutet, was sie zusätzlich ökonomisch abhängiger macht, als sie es ohnehin oft sind. Hinzu kam dann noch eine heftige Mehrfachbelastung dadurch, dass Frauen einerseits besonders oft in „systemrelevanten“ Jobs und im Gesundheitssystem arbeiten, das ohnehin kaputtgespart ist und wo sie Ansteckung noch mehr ausgesetzt sind, und andererseits, dass durch geschlossene Kindergärten und Schulen sowie Homeoffice viel mehr Reproduktionsarbeit in den privaten Familienhaushalt und damit die Frau in eine reaktionäre Geschlechterrolle als Hausfrau gedrängt wurden. Die Rückbesinnung auf die bürgerliche Kleinfamilie wirkt sich auch durch steigende Gewalt gegen LGBTQ+-Menschen aus. Viele von ihnen mussten lange Lockdowns mit queerfeindlichen und/oder gewalttätigen Familienmitgliedern verbringen und waren gezwungen, sich tief im Schrank zu verschanzen. statt frei und geoutet zu leben. Für viele trans Personen bedeutete die Krise des Gesundheitssystems noch längere Wartezeiten oder die Aussetzung von lebensrettenden Operationen und Behandlungen, während Schutz- und Therapieangebote weiterhin völlig unzureichend sind.

Wie in einem Spießroutenlauf ging es nach der Zeit der Lockdowns weiter mit Inflation und einer Krise, die sowohl von ihrem Wesen her als auch in ihren Auswirkungen weitaus umfassender ist als 2008. Für Frauen, die öfter in sozialen Bereichen, anderen schlecht bezahlten Jobs und besonders in einigen Halbkolonien überdurchschnittlich oft im informellen Sektor arbeiten, macht eine Inflation von bis zu 8,8% in Deutschland 2023 und weitaus höher in anderen Teilen der Welt schnell den Unterschied zwischen gerade noch durchkommen und hungern müssen aus. Besonders, wenn man dann noch alleine Kinder großziehen muss. Auch queere Menschen, die überdurchschnittlich oft arm, arbeitslos oder wohnungslos sind, werden besonders hart von der Krise getroffen.

Die Lösungsansätze von 2008 waren für Arbeiter:innen und gesellschaftlich Unterdrückte nicht viel besser. Doch sie jetzt einfach zu wiederholen, geht auch nicht. Die mitgeschleppten Probleme der letzten Krise machen das unmöglich. Die Nullzinspolitik ist erschöpft, Quantitative Easing hat zu viele Nebenwirkungen, die Kosten sind nicht komplett auf Arbeiter:innen abwälzbar und die internationale Konkurrenz, entgegenstehende Kapitalinteressen und daraus entstehende militärische Konflikte verhindern internationale Koordinierung.

Geopolitische Lage

Solche politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konflikte können wir gerade in großem Ausmaß an vielen Stellen beobachten – seien es der Handelskrieg zwischen China und den USA, der Genozid gegen die Palästinenser:innen oder der immer noch andauernde Ukrainekrieg. Als Folge von unsicheren Produktions- und Handelsketten durch die Pandemie und die globale Rezession verlagern die imperialistischen Zentren wichtige Industrien des nationalen Kapitals immer mehr in ihre eigenen Einflusszonen zurück und betreiben so eine Politik des „Reshoring“.  Das sehen wir beispielsweise an der Wiedereinführung von Zollschranken oder den Versuchen Chinas, eigene Alternativen zu dem internationalen Zahlungssystem SWIFT zu etablieren. Dieses Reshoring äußert sich auch in vermehrter imperialistischer Blockbildung. In einer Welt, in der jede Ressource und jedes Fleckchen schon von irgendwem/r kontrolliert wird, versuchen einzelne Kapitalfraktionen verzweifelt, während der Rezession ihren Einfluss zu behalten oder auszuweiten, um sich ihren Platz in der internationalen Konkurrenz zu sichern. Zunehmend nimmt dieser Kampf um die Neuaufteilung der Welt militärische Formen an.

Doch viele dieser Kriege sind geopolitische Konflikte von Imperialist:innen, bei denen für Arbeiter:innen nie was drin ist. Von welchem Imperialismus sie unterdrückt und ausgebeutet werden, macht kaum einen Unterschied. Für sie bedeutet Krieg die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage, oft Nahrungsmittelknappheit, noch mehr Ausbeutung und, sich für fremde Interessen erschießen zu lassen.  Doch auf Frauen und queere Menschen haben auch Krieg und Flucht oft noch extremere Auswirkungen. Darum gilt es, besonders Kämpfe gegen nationale Unterdrückung wie in Kurdistan oder Palästina zu antiimperialistischen, revolutionären Befreiungskämpfen auszuweiten, in denen Frauen eine führende Rolle für ihre eigene Befreiung einnehmen.

Solange Frauen nicht in einem Befreiungs- oder Bürger:innenkrieg auf der fortschrittlichen Seite eine führende und aktive Rolle spielen (z. B. Rojava) wird sich ihre bestehende sexistische Unterdrückung nicht auflösen lassen. Neben einer allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen kommt es in Kriegssituationen oft zu einem enormen Anstieg an Gewalt gegen Frauen und queere Menschen. Besonders Vergewaltigungen als massenhaft angewendete, verbrecherische Kriegstaktik, um einer ganzen Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe nachhaltig zu schaden, kommt fern von jeden Beteuerungen über Menschenrechte und Schutz der Zivilbevölkerung oft vor (z. B. Ruanda 1994, Nanking 1937, Bosnien und Herzegowina 1992 – 1995). Konsequenzen hat das für die meisten Täter nicht, obwohl die UNO (erst) 2008 in einer Resolution zu einem sofortigen Stopp von sexueller Gewalt in der Kriegsführung aufrief. In dem UNO-Bericht dazu von 2023 wurde festgehalten, dass diese Verbrechen weiter eine relevante Rolle in der Kriegsführung spielen, im Kontext sich zuspitzender Konflikte sogar zugenommen haben, sie weiterhin auch von UNO-Soldat:innen ausgeübt werden und nach wie vor die meisten Taten unbestraft bleiben. Noch extremer als während Corona trifft auch der Zusammenbruch des Gesundheitswesens im Krieg Frauen und LGBTQ+-Menschen besonders stark, nicht nur weil sie häufig in diesem Bereich arbeiten. Oft gehen die Zahlen von Geburtensterblichkeit drastisch in die Höhe. Dazu kommt, dass eine Frühwitwenschaft durch Krieg die ohnehin bestehende Altersarmut von Frauen verstärkt. Auch werden im Krieg oft Kinderbetreuung, Bildung oder Sozialdienste ausgesetzt, wodurch Frauen mit noch mehr unbezahlter Reproduktionsarbeit zurückgelassen werden als sonst.

Doch nicht nur die zuhause Gebliebenen haben es schwer, auch auf der Flucht zeigt sich sexuelle Unterdrückung gegen Frauen und queere Menschen. Etwa die Hälfte der über 27 Mio. Menschen, die gerade auf der Flucht sind, sind Frauen. Auch hier erfahren sie häufig sexuelle Gewalt und tragen Verantwortung für Kinder und Familien. Auch queere Menschen erfahren oft Gewalt auf der Flucht. Die auch nur unzureichenden Schutzversuche der UNO für geflüchtete Frauen wie die Einrichtung von geschlechtergetrennten Sanitäranlagen bieten diesen Menschen dabei keinerlei Schutz. Und wenn sie ein sicheres Land erreichen, werden Verfolgungen aufgrund sexueller Orientierung oder des Geschlechts oft de facto nicht anerkannt.

Rechtsruck

Doch auch abgesehen von spezifischer Unterdrückung wird die Situation für Geflüchtete ja immer schlechter. Die AfD in Deutschland würde am liebsten wieder die Rassentheorie auspacken und nicht nur Geflüchtete, sondern gerne gleich alle, die kein „reines, deutsches Blut“ haben, abschieben. Schweden erlässt ein Gesetz, nach dem alle im sozialen Bereich Arbeitenden gezwungen sind, Menschen ohne Papiere, die ihre Hilfe aufsuchen, an den Staat zu melden. Die EU schafft fröhlich das Asylrecht nach und nach ab und verweigert Geflüchteten Grundrechte. Es scheint, als gäbe es keine Ecke mehr auf der Welt, aus der nicht Meldungen über neue rechte Regierungen oder rassistische Gesetzgebungen kommen. Analog zu der Wirtschaftspolitik des Reshorings und der Blockbildung greift auf ideologischer Ebene eine neue Welle des Nationalismus um sich. Wir erleben eine allgemeine Entwicklung nach rechts, die sich aus der Schwäche der Linken und der Wirtschaftskrise speist. Die Krise führt zu Abstiegsängsten beim Kleinbürger:innentum und zur Prekarisierung vieler Arbeiter:innen. Mangels irgendeiner fortschrittlichen Perspektive wenden sie sich zum Teil an Rechte, die versprechen, das Gefühl, es gäbe zu wenig, damit zu beantworten, dass halt noch weniger geteilt wird (was faktisch Rassismus und Umverteilung nach oben bedeutet). Auch das binnenmarktorientierte Kapital wendet sich den Rechten zu, die ihre Interessen viel eher vertreten als die der Kleinbürger:innen oder gar Arbeiter:innen.

Es ist also kein Zufall, dass AfD, Sverigedemokraterna (rechte Regierungspartei in Schweden) oder die Fratelli d’Italia gerade jetzt so stark sind. Und es ist auch kein Zufall, dass die Rechten in Italien Mussolinis alte Parole „Dio, patria, famiglia“ (Gott, Vaterland, Familie) wieder aufwerfen oder die AfD dafür ist, dass Kinder die ersten drei Jahre zu Hause von der Mutter betreut werden, während sie gleichgeschlechtlichen Paaren gerne Kinderkriegen und Heiraten verbieten würde.

Reproduktionsarbeit

Es ist kein Wunder, dass Krise und Rechtruck mit einer Rückbesinnung auf die bürgerliche Kleinfamilie und damit Angriffen auf die Rechte von queeren Menschen (siehe Transfeindlichkeit, besonders in den USA, Russland, Großbritannien …) und von Frauen (z. B. Kürzungen von Geldern für Frauenhäuser, Abtreibungsrecht) einhergehen. Denn die bürgerliche Kleinfamilie ist der Ort, an dem im Kapitalismus die Arbeitskraft reproduziert wird. Wer morgens brav zur Arbeit erscheinen soll, wurde irgendwann geboren, erzogen und hat Bildung erfahren, braucht einen vollen Magen, eine saubere Wohnung, in der sie/er leben und schlafen kann, gewaschene Klamotten etc. Und wer putzt die Wohnung, erzieht die Kinder, kocht Essen, geht einkaufen, wäscht Geschirr und Kleidung? Frauen wenden im Durchschnitt in Deutschland 52,4 % mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf (bei 34-Jährigen sind es sogar 110,6 %). Ganz schön praktisch für die Kapitalist:innen, die dadurch nicht für die Reproduktionsarbeit verantwortlich sind und mehr Profite machen können. Ideologien wie die Erzählung von der perfekten Hausfrau und dem umsorgenden weiblichen Wesen halten diese Arbeitsteilung (bzw. Mehrarbeit der Frauen) genauso aufrecht wie Regelungen wie z. B. die Bedarfsgemeinschaft für den Empfang von Sozialleistungen oder Ehegattensplitting. Und besonders in einer Krise gilt es für die Kapitalist:innen, Arbeitskraft so billig wie möglich, bestenfalls kostenlos zu mobilisieren. Sexistische Erzählungen kommen darum in Krisenzeiten oft mehr auf und rechtfertigen die unbezahlte Hausarbeit und das Abschieben von Frauen in prekäre Arbeitsverhältnisse. In Deutschland arbeitet momentan fast die Hälfte aller Frauen in Teilzeit (bei Männern sind es 12,7 %). In den fünf schlechtest bezahlenden Branchen arbeiten auch überdurchschnittlich viele Frauen, beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel mit über 80 %. Von ihnen wird erwartet, dass sie den Haushalt schmeißen, während sie gleichzeitig der Lohnarbeit nachgehen  müssen, um sich über Wasser zu halten. Die Familie als ökonomische Instanz wird so immer unattraktiver. Das möchten die Rechten gerne ändern. Allerdings nicht, indem sie Hausarbeit vergesellschaften und damit Frauen von dieser Doppelbelastung befreien. Außerdem sollen alle staatlichen Unterstützungen bitte nur für „klassische“ Familienmodelle (á la eine deutsche Mutter, ein deutscher Vater und deren leibliche Kinder) zur Verfügung stehen.

 Doch dieses Beharren auf sexistischen Erzählungen und der bürgerlichen Kleinfamilie, in der die Frau abhängig vom Mann ist, ist gefährlich. Zum einen sind da die Mehrbelastung, die ökonomische Abhängigkeit, die mit der Krise noch steigt, und fehlende Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie die sexuelle Gewalt. Aber da hört es nicht auf. Frauen werden täglich ermordet, einfach weil sie Frauen sind. Parallel zum Anwachsen sexistischer Ideologien ist auch die Zahl an Femiziden in den letzten Jahren immer noch erschreckend hoch. Mehr als 135 Frauen sind es weltweit täglich, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen, zumal diese Statistik nur von Morden in der Familie oder Partner:innenschaften ausgeht. In Deutschland wird etwa jeden dritten Tag ein Mädchen oder eine Frau in einem Femizid ermordet. 2022 wurden so viele Frauen in einem Jahr ermordet wie noch nie. Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen es regelmäßig sogar mehr ermordete Frauen als Männer gibt. Mehr als 70 % dieser Morde werden von (Ex-)Partnern begangen. Und auch in Ländern, in denen die allgemeine Mordrate sinkt, bleibt die Zahl der Femizide laut den (sehr unzureichenden) Studien relativ konstant. Neben den schon genannten Gründen, die aus Krise und Rechtsruck erwachsen, kommt hier noch dazu, dass die Krise auch die gesellschaftliche Position der Männer angreift. Viele können ihre zugeteilte Rolle als Ernährer und Familienoberhaupt nicht mehr spielen. Die ökonomische Abhängigkeit wächst und für Frauen und queere Menschen wird es sehr schwierig, den unter diesem Druck oft missbräuchlichen Familien- oder Beziehungsverhältnissen zu entfliehen.

Perspektive

So weit, so deprimierend. Doch all diese Umstände sind mehr als nur traurige Fakten. Uns als Revolutionär:innen zeigen sie Zusammenhänge auf, die wir zu ihrer Bekämpfung unbedingt verstehen müssen. Sie zeigen uns, dass wir wahrhaftig am Anfang einer „Zeitenwende“ stehen, wie Scholz es einmal ausdrückte. Und dass es an uns ist, dafür zu sorgen, dass sich die Zeit im Sinne der Arbeiter:innen, der Frauen, queeren Menschen, rassistisch Unterdrückten und all jenen wendet, die keinerlei Interesse am Fortbestehen des Kapitalismus und seiner Krisen haben. Gerade in solch umfassenden Krisen besteht im Rahmen des Möglichen unsere Pflicht und Aufgabe darin, dem voranschreitenden Rechtsruck und den drängenden Fragen und Problemen unserer Zeit eine fortschrittliche, linke Antwort auf die Krise entgegenzustellen.

Das bedeutet, Bewegungen gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen aufzubauen und sowohl Forderungen gegen die Unterdrückung von Frauen und queeren Menschen (z. B. Vergesellschaftung der Hausarbeit) als auch gegen Rassismus (z. B. offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle) aufzuwerfen und miteinander zu verknüpfen. Das bedeutet, dass wir demokratisch legitimierte Selbstschutzorgane aus der Arbeiter:innenbewegung brauchen, die sich gegen Sexismus und Rassismus sowie rechten Angriffen entgegenstellen können. Das bedeutet, dass Frauen und queere Menschen eine führende Rolle im Kampf um ihre eigene Befreiung einnehmen und gleichzeitig verstehen müssen, dass unsere vollständige Befreiung im Widerspruch zu den Interessen des Kapitalismus steht, alle unsere Kämpfe sich deshalb gegen diese Wurzel unserer Unterdrückung richten müssen. Und vor allem bedeutet das auch, den Imperialismus und seine Krisen als globales Phänomen zu betrachten, auf das es nur internationale Antworten geben kann. In jeder Bewegung gegen Krise, Krieg und Blockbildung müssen wir dabei für einen internationalistischen und antiimperialistischen Charakter eintreten. Jeden Konflikt, der einen fortschrittlichen Charakter trägt, etwa die Verteidigung Rojavas, die Befreiung Palästinas oder den Sturz des iranischen Regimes gilt es, in einen revolutionären Kampf gegen die „eigene“ Bourgeoisie und den Imperialismus zu verwandeln, in dem Frauen und LGBTQ+-Personen ihre Entrechtung beenden und Perspektiven für ein befreites Leben aufwerfen können. Im selben Atemzug gilt es, die Organe und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unter Druck zu setzen und gegen die Krise zu mobilisieren: Vor allem die Gewerkschaften müssen sich gegen eine Abwälzung der Krisenkosten auf die Arbeiter:innen stellen und fordern, dass stattdessen die Reichen zur Kasse gebeten werden. Es ist unsere Aufgabe als Revolutionär:innen, diese Forderungen und Perspektiven in die aktuellen sozialen Kämpfe zu tragen und gemeinsam für eine Welt ohne kapitalistische Krisen und Ausbeutung zu kämpfen.




Den Rechtsruck aufhalten – aber wie?

Emilia Sommer, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 12, März 2024

Die Umfragewerte der AfD sind so hoch wie nie. Sie stellt zum ersten Mal Bürgermeister:innen und plant auf Geheimtreffen massenhafte Abschiebungen. Gleichzeitig verabschiedete die Regierung ein Rückführungsgesetz, welchen ebendies erleichtert, und der  deutsche Staat geht mit extremer Gewalt gegen palästinasolidarische Meenschen vor, führt Razzien durch und kriminalisiert Aktivist:innen. Auch wenn sie sich aktuell medienwirksam auf den Anti-AfD-Protesten zeigt, ist klar, dass die Ampel-Regierung mit ihrer Umsetzung rechter Forderungen den Rechtsruck aktiv befeuert und den Aufstieg von AfD & Co mitermöglicht.

Ein internationales Problem

Auch international ist der Rechtsruck nicht zu übersehen: Ob Fratelli d’Italia in Italien, Geert Wilders in den Niederlanden, Milei in Argentinien oder die rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“, alle zeigen, dass rechte Regierungen auf dem Vormarsch sind und eine kämpferische linke Perspektive noch immer auf sich warten lässt. Dabei schüren sie nicht nur Rassismus, sondern bringen auch für Frauen und Queers einen Rollback mit sich. So erließ  2020 das polnische oberste Gericht ein nahezu vollständiges Verbot von  Schwangerschaftsabbrüchen, viele US-amerikanische Bundesstaaten zogen nach und auch, wenn es in Deutschland seit knapp zwei Jahren nicht mehr strafbar ist, warten wir vergeblich auf Streichung des § 218, der diese nach wie vor kriminalisiert und lediglich duldet trotz großer Ankündigungen der Ampel. Doch die Liste geht noch weiter: In Italien stellte die Regierung kürzlich die Geburtsurkunden von Kindern in Regenbogenfamilien in Frage – also gleichgeschlechtlicher Eltern. Das Ziel: Nur der „leibliche“ Elternteil soll anerkannt bleiben. Dem oder der Partner:in wird demnach der Elternstatus entzogen. Das ungarische Parlament geht sogar so weit, ein Gesetz zu erlassen, welches dazu ermuntert, gleichgeschlechtliche Eltern wegen Verletzung der „verfassungsrechtlich anerkannten Rolle von Ehe und Familie“ bei den örtlichen Strafverfolgungsbehörden zu melden. Neben der Anzeige von Regenbogenfamilien erlaubt das Gesetz auch die anonyme Anzeige von „jedem/r, der/die die wahre Bedeutung von Familien, die in der ungarischen Verfassung definiert ist, leugnet oder ändert“.  All das führt uns zu der Frage: Was tun? So weitergehen kann es schließlich nicht. Doch bevor wir dazu kommen, müssen wir zuerst kurz anschauen, woher der Rechtsruck kommt und warum aktuell so viele rechts wählen.

Krise und Rechtsruck: die Ursache kennen

Dazu müssen wir zunächst einen Blick in die Vergangenheit werfen: Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 hat sich die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalisten:innen und ihren Staaten verschärft. Es kam zu einer massiven Konzentration von Kapital. Gerade die größeren Monopole konnten davon profitieren, während kleinere Unternehmen nicht mithalten konnten. Kleinere Unternehmer:innen, auch gerne als Mittelstand bezeichnet, haben Angst, ihre Stellung zu verlieren und pleitezugehen. Getrieben von der Angst vor sozialem Abstieg fangen sie an, laut herumzubrüllen: Protektionismus, Nationalchauvinismus, Standortborniertheit, das sind ihre Argumente, um sich zu schützen. Kurz gesagt: Sie wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen, um nicht ihren Reichtum zu verlieren. Sie wollen den globalen Kapitalismus also auf reaktionäre Art bekämpfen. Mit der Fokussierung auf Nationalstaat und Protektionismus geht auch einher, dass das Ideal der „bürgerlichen Familie“ gestärkt werden muss. Denn im Kapitalismus ist die Arbeiter:innenfamilie der Ort, wo unbezahlte Reproduktionsarbeit stattfindet. Ob nun Kindererziehung, Altenpflege, Waschen oder Kochen – all das reproduziert die Arbeitskraft der einzelnen Arbeiter:innen und sorgt gleichzeitig dafür, dass dem Kapital die Arbeitskraft nicht ausgeht. Oftmals wird diese unbezahlte Hausarbeit von Frauen verrichtet. Diese Arbeitsteilung wird dadurch gefestigt, dass sie weniger Lohn als Männer erhalten und sie somit nach einer Schwangerschaft eher zu Hause bleiben. So verdienen sie beispielsweise im Schnitt immer noch weniger als Männer trotz öffentlichem Diskurses über den Gender Pay Gap, machen deutlich mehr der Beschäftigten in sozialen Berufen aus und arbeiten immer noch doppelt so lang im Haushalt wie Männer. Im Kontrast dazu stehen erkämpfte Rechte von Frauen und LGBTIAs. Ob nun Legalisierung von Homosexualität, die Gleichstellungsgesetze, das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper – all das lehnen die Rechten mit aller Macht ab. Das traditionelle Bild der Frau als Mutter, emotionale Versorgerin und Pflegende trägt also aktiv zur Profitmaximierung bei, Sexismus hat eine materielle Grundlage und queere Partner:innenschaften, Identitäten und Familien stellen dieses klassische Bild infrage.

Warum wählen aktuell so viele Menschen rechts?

Natürlich gibt es dafür mehrere Gründe. An dieser Stelle wollen wir uns jedoch auf einen konzentrieren – die Finanzkrise 2007/2008. Im Rahmen dieser nahm nicht nur die Konkurrenz zwischen einzelnen Kapitalfraktionen zu. Es kam auch zu einer wachsenden Verelendung der Arbeiter:innenklasse. Damals wurden die Kosten der Krise auf diese abgewälzt: Viele wurden entlassen, vielerorts sind Löhne nicht gestiegen, während zugleich die Lebenshaltungskosten in die Höhe kletterten. Dagegen passiert ist nicht viel. Massenproteste wurden im Namen der Sozialpartnerschaft klein gehalten oder konnten nicht gewonnen werden wie in Griechenland. Das hat viele enttäuscht und so wendeten sie sich beispielsweise der AfD zu, die sich als Alternative zu den etablierten Parteien mittels Ablehnung der EU und rassistischer Hetze darstellen konnte. Doch statt dem was entgegenzusetzen, gab es eine Verschiebung nach rechts. Viele Parteien haben sich vor den Karren spannen lassen. Während Rechtspopulist:innen hetzten, verabschiedeten sie Gesetze und stimmten in den Chor mit ein. Vorbei ist die Willkommenskultur, jetzt haben wir einen Olaf Scholz der sagt „Wir müssen endlich konsequent abschieben”. Das ist kein Zufall: Getrieben von der Angst vor Wähler:innenverlusten bildet Rassismus gleichzeitig ein gutes Mittel, um von Einsparungen und fehlenden Lohnerhöhungen abzulenken. Migrant:innen werden zum Problem gemacht, nicht nicht die Unterordnung aller politischen Ziele unter die Interessen des Kapitals. Die Krise im Zuge der Pandemie befeuerte diese Entwicklung erneut. Doch so abgefuckt diese Entwicklung ist: Es liegt in unseren Händen, etwas dagegen zu tun. Aber was braucht es, um den Rechtsruck aufzuhalten?

Gemeinsam gegen den Rechtsruck!

Um den Vormarsch der Rechten zu stoppen, müssen wir eine Bewegung aufbauen. Dabei braucht es nicht nur einzelne Mobilisierungen, bei denen sich Regierungsvertreter:innen, die letzten Endes den Aufstieg der AfD mit zu verantworten haben, ggenseitig auf die Schultern klopfen können ganz nach dem Motto: „Jetzt waren wir auch im Widerstand!”, während sie einen Atemzug später Gesetze verabschieden, die mehr von uns abschieben. Wir brauchen mehr:

1. Raus aus der Defensive: Gegen  Sparpolitik und soziale Unterdrückung!

Statt sich einfach nur an den Rechten abzuarbeiten und auf diese zu reagieren, müssen wir konkrete Verbesserungen erkämpfen. Das heißt, wir sind nicht nur gegen Abschiebungen, sondern für offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle. Wir fordern nicht nur Abrüstung, sondern lehnen jede Finanzierung des staatlichen Gewaltmonopols, also der Polizei und Bundeswehr, getreu dem Motto, „Keinen Cent für Militarismus und Repression“ ab. Auch treten wir nicht nur gegen die zahlreichen Sparmaßnahmen, sondern für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, die Enteignung der Wohnungsspekulation, der großen Banken und Konzerne ein, für die Finanzierung unseres Gesundheits- und Bildungssystems durch Besteuerung von Profit und Vermögen der Reichen – unter Kontrolle der Arbeiter:innen, Mieter:innen, Lehrenden und Lernenden. Dabei ist es zentral, daran anzusetzen, was den Rechtsruck befeuert: Sparpolitik und Sozialpartnerschaft. Allerdings darf man auch nicht der Illusion verfallen, dass es nur ausreicht, die „sozialen Fragen“ zu betonen. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus und -sexismus verbunden werden, denn nur in praktischen Kämpfen kann man den sich etablierenden Rassismus zu beseitigen anfangen. Widmet man sich in der jetzigen Situation nur den sozialen Fragen, vergisst man, dass soziale Unterdrückung spaltet, und kann sie schlechter bekämpfen:

  • Investitionen in Bildung, Gesundheit und Soziales, finanziert durch die Gewinne der Reichen, die aktuell noch einmal so richtig Gewinn aus der Krise ziehen!
  • Massive Lohnerhöhung und automatischer Inflationsausgleich in Form einer gleitende Lohnskala!

2. Druck ausüben und klaren Klassenstandpunkt beziehen

Breite Proteste, wie wir sie mit #wirsinddiebrandmauer sehen, scheinen auf den ersten Blick wünschenswert. Doch die große Einheit, die die scheinbar größte Stärke des Protestes ist, macht gleichzeitig ihre größte Schwäche aus. Doch uns helfen weder Versammlung aller linken Kleinstgruppen, die die besten Forderungen aufwerfen, aber keine reale Verankerung auf die Straße bringen, noch riesige Proteste, die nur abstrakte, verwaschene Parolen wie „Menschenwürde” und „Toleranz” vor sich her tragen.

Deswegen treten wir für ein Bündnis vor allem aus den Organisationen der Arbeiter:innenklasse, also Gewerkschaften, Sozialdemokratie und linken Reformist:innen, ein. Diese in Bewegung zu setzen, ist zentral, da sie einen Großteil der organisierten Arbeiter:innen hinter sich herführen. Das ist ein entscheidender Punkt, wenn es darum geht, Verbesserungen zu erkämpfen. Dies wird nicht nur mittels Demonstrationen passieren, sondern man muss beispielsweise mittels Streiks Druck ausüben. Das heißt nicht, dass Kräfte wie die Grünen nicht mitlaufen können – nur sollte man für deren Beteiligung keine Kompromisse eingehen. Denn Rassismus und Sexismus sind nicht einfach nur beschissen. Sie schwächen auch das objektive Interesse aller Arbeiter:innen. Anstatt zusammen für eine bessere Lebensgrundlageeinzutreten, bekämpft man sich gegenseitig („Teile und herrsche!“). Doch diese in Bewegung zu setzen, ist gar nicht so einfach. Deswegen muss man versuchen, in bestehenden Proteste zu intervenieren, und klar aufzeigen: Ihr wollt den Rechtsruck aufhalten? Dann lasst uns Verbesserungen für alle erkämpfen und mobilisiert richtig dafür! Wir brauchen nicht nur Floskeln, sondern konkrete Aktionen!

Um das zu ermöglichen, setzen wir uns im Rahmen solcher Bündnisse – auch Einheitsfronent genannt – für volle Kritik- und Propagandafreiheit ein. Denn es muss möglich sein, gemeinsam Proteste zu organisieren und gleichzeitig Unterschiede sowie Differenzen zu äußern, damit auch innerhalb der gesamten Bewegung politische Vorschläge diskutiert werden.

3. Rein in den Alltag: Für eine Basisbewegung an Schulen, Unis und in Betrieben!

Große Demonstrationen und Kundgebungen sind gut, aber reichen bei weitem nicht aus. Sie mögen vielleicht jenen, die schon überzeugt sind, Kraft geben. Aber das Ziel bleibt jedoch, mehr Menschen zu erreichen und überzeugen. Stattfinden kann das, indem man Kämpfe um reale Verbesserungen für alle organisieren hilft und diese an jene Orte trägt, wo wir uns tagtäglich aufhalten müssen: Schulen, Unis und Betriebe. Demonstrationen oder Kundgebungen können als Aufhängerinnen genutzt werden, um Vollversammlungen vor Ort zu organisieren, Aktionskomittees zu bilden, die die Forderungen der Bewegung erklären und gleichzeitig mit Problemen vor Ort verbinden. Deswegen ist es zentral, dass Organisationen, die den Protest unterstützen, nicht nur einen Aufruf unterzeichnen, Geld spenden und eine Pressemitteilung herausgeben, sondern auch ihre Mitgliedschaft dazu aufrufen, aktiv an Schulen, Unis und in Betrieben zu mobilisieren.

4. International is’ Muss!

Der Rechtsruck ist nicht nur ein deutsches, sondern internationales Problem. Hinzu kommt, dass mit Deals zwischen unterschiedlichen Ländern oder gemeinsamen „Initiativen“ wie Frontex vor allem imperialistische Länder versuchen, sich die Probleme der Geflüchteten vom Leib zu halten. Wenn wir uns dem Rechtsruck entgegenstellen, Festungen wie die Europas erfolgreich einreißen wollen, bedarf es mehr als einer Bewegung in einem Land. Deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Das kann anfangen, indem man gemeinsame Aktionstage plant und schließlich gemeinsame Strategie- und Aktionskonferenzen organisiert, in denen Aktivist:innen gemeinsam über die Perspektive der Bewegung entscheiden.

Bewegung alleine reicht nicht!

Doch die Aufgabenliste endet für uns damit nicht: Bewegung alleine reicht nicht aus. Sie kann es  nicht schaffen, die Wurzeln von sozialer Unterdrückung wie Rassismus, Sexismus oder LGBTIA+-Diskriminierung auszureißen, da diese mit dem kapitalistischen System verwoben sind. Deswegen besteht die Aufgabe für Revolutionär:innen innerhalb dieser Bewegung darin, einen klaren antikapitalistischen, internationalistischen Pol zu bilden und eine deutliche Perspektive aufzuzeigen. Wir treten für Verbesserungen im Hier und Jetzt ein, müssen aber gleichzeitig den Weg aufzeigen, wie wir zu einer sozialistischen Gesellschaft kommen. Deswegen werfen wir auf, dass bei Finanzierungsfragen dies durch Besteuerung der Reichen oder Enteignung passieren muss sowie die Kontrolle über Verbesserungen und, wie diese umgesetzt werden, bei Arbeiter:innen und Unterdrückten liegen sollte. Um dies zu realisieren, braucht es unserer Meinung nach eine internationale Organisation mit einem revolutionären Programm, das deutlich macht, dass es keine Spaltung aufgrund Herkunft, Geschlecht, Alter oder Sexualität geben darf, und das aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat. Nur so können wir unserer Unterdrückung auch in der Arbeiter:innenbewegung selbst entgegentreten und gleichzeitig dem Rechtsruck die Stirn bieten.

Wir fordern deshalb:

  • Aufbau einer antifaschistischen und internationalen Einheitsfront aus allen linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse! Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Kampf dem Rechtsruck heißt Kampf dem Kapital: Für ein revolutionäres Programm der Jugend und der Arbeiter:innenklasse!



AfD bekämpfen – aber wie?

Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024

Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.

Bürgerlich-demokratische Heuchelei

Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.

Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Verbieten oder bekämpfen?

Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.

Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.

Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.

Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“

Von Böcken und Gärtnern: der bürgerliche Staat als antifaschistisches Bollwerk?

Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.

Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.

Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.

Über Ursachen und Strategien

Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.

Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.

Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.

Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.

Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.

Staat, Rechte, Klassenkampf

Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.

Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.

Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.

In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?

Arbeiter:inneneinheitsfront statt „Einheit der Demokrat:innen“

Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.

So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt  eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Die französische Arbeiter:innenklasse muss sich gegen rassistische Gesetze wehren!

Marco Lassalle, Infomail 1240, 30. Dezember 2023

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).

  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.

  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.

  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.

  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.




Pakistan: Solidarität mit den afghanischen Flüchtlingen und Massenprotesten!

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1237, 20. November 2023

1,7 Millionen afghanische Flüchtlinge, etwa die Hälfte der 3 – 4 Millionen in Pakistan lebenden Afghan:innen, sollen bis Ende des Jahres abgeschoben werden, wenn sie das Land nicht „freiwillig“ verlassen. Viele der 1,7 Millionen sind vor der Verfolgung durch die Taliban geflohen. Nun müssen sie Pakistan verlassen, andernfalls drohen ihnen Haft und Abschiebung.

Seit Anfang November sind Schikanen und Zwangsabschiebung von Afghan:innen weit verbreitet. Gleichzeitig nehmen die Proteste seit Wochen zu, vor allem am Grenzübergang Chaman (Belutschistan). Tausende von pakistanischen Paschtun:innen schließen sich den Protesten an, darunter zahlreiche Arbeiter:innen. Die Demonstrant:innen haben auf beiden Seiten der Grenze massenhafte Sitzstreiks organisiert.

Der Grund für die Proteste an der Grenze ist ganz klar. Die paschtunische Bevölkerung lehnt die Abschiebungen nicht nur ab, sondern versteht sie auch richtig als Teil der Politik und der Interessen der Regierung, die das Leben der paschtunischen Bevölkerung miserabel gemacht hat. Sie erkennen, dass die Abschiebungen Hand in Hand mit der Enteignung der Afghan:innen gehen, die ihnen ihre Lebensgrundlage und ihr Recht auf ein Leben in dem Gebiet nehmen, in dem sie – manchmal seit Generationen – arbeiten und leben.

Darüber hinaus will die Regierung paschtunische Führer:innen und Händler:innen dazu zwingen, künftig Grenzkontrollen durchzuführen. Der Zusammenschluss von Kaufleuten und lokalen Stämmen soll gezwungen werden, Pässe und Visa auszustellen. Doch zumindest bisher haben sie diese Anordnungen abgelehnt. Derzeit beteiligen sich Bauern und Bäuerinnen, Händler:innen, Stammesführer:innen und berufstätige Paschtun:innen verschiedener politischer Parteien an diesem Protest und lehnen die Regierung und ihre Politik ab.

Die Demonstrant:innen lehnen die Zwangsvertreibung von afghanischen Flüchtlingen ab und fordern, dass die Regierung diese unmenschliche Politik zurücknimmt und das Leben der afghanischen Flüchtlinge nicht noch härter und ärmer macht. Ihre Vertreibung wird alles zerstören, was sie in harter Arbeit ein Leben lang und über Generationen hinweg aufgebaut haben. Zurück in Afghanistan gibt es nichts für sie und viele sind ernsthaften Bedrohungen durch das Regime ausgesetzt.

Die geschäftsführende Regierung von Anwaar-ul-Haq Kakar will von der Krise des Systems, der grassierenden Inflation und der Energieknappheit ablenken. Sie macht die Afghan:innen für den Mangel an Ressourcen verantwortlich. Deshalb werden die afghanischen Flüchtlinge zum Sündenbock gestempelt und der Rassismus gegen sie wird angeheizt. In der Tat wird die Bewegungsfreiheit aller Menschen ohne Pass an der Grenze von Chaman in Zukunft vollständig unterbunden.

Der Grenzhandel ist auch in Belutschistan zu einem ernsten Problem geworden. Dort ist die Beschäftigung und der Lebensunterhalt von Millionen von Menschen damit verbunden. Die Politik der pakistanischen Regierung vernichtet diese im Interesse des Großkapitals.

Diejenigen, die bereits Opfer der vom Imperialismus und dem Staat aufgezwungenen Marginalisierung und des Krieges sind, werden um alles gebracht. Daher liegt es in der Verantwortung der Arbeiter:Innen im ganzen Land, auch in Belutschistan, sich mit den afghanischen Flüchtlingen zu solidarisieren. Die pakistanischen Gewerkschaften müssen die Massensitzstreiks und Proteste an den Grenzen unterstützen. Sie müssen in Solidaritätsmobilisierungen und Streiks mit ihren afghanischen Brüdern und Schwestern auftreten und sich in einem gemeinsamen Kampf gegen alle Abschiebungen, für das Recht aller Flüchtlinge, in Pakistan zu leben und zu arbeiten, und gegen die Inflation, die staatlichen Kürzungen, die Diktate des Internationalen Währungsfonds und die kapitalistische Krise, die die wahre Ursache für das Elend der pakistanischen Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen und der afghanischen Flüchtlinge sind, vereinen.

Weltweit müssen sich Parteien der Arbeiter:innenklasse, Gewerkschaften und linke Organisationen mit den afghanischen Flüchtlingen und ihren Sit-ins solidarisieren. Sie müssen Proteste und Kundgebungen in verschiedenen Ländern organisieren und Solidaritätsbotschaften an die Protestierenden senden!




Rezension: „Diversität der Ausbeutung“

Mo Sedlak, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1236, 13. November 2023

Die Ausbeutung der Arbeiter:innen hat immer schon auch deshalb funktioniert, weil sie in Segmente und Gruppen mit scheinbar gegensätzlichen Interessen aufgespalten sind. Rassistische Überausbeutung, koloniale Enteignung, sexistische Aufteilung der unbezahlten Reproduktionsarbeit und mit Gewalt und Stigmatisierung vollzogener Ausschluss von LGBTQIA+-Personen prägen bis heute die soziale Ordnung der kapitalistischen Gesellschaften. Gleichzeitig beeinflussen und segmentieren sie die Arbeiter:innenklasse. In Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbos Sammelband „Diversität der Ausbeutung“ weist Christian Frings schon im Vorwort darauf hin, dass diese „eigentümliche Zusammensetzung“ schon Marx als notwendige Voraussetzung für Ausbeutung und Mehrwertproduktion auffällt. (Mendívil und Sarbo 2022, 13)

Aus der Zusammensetzung der Klasse ergibt sich auch eine Aufspaltung der Arbeiter:innen. Die Arbeiter:innenbewegung hat diese immer bekämpft, je nach politischer Ausrichtung und geschichtlicher Verfasstheit mal mit mehr Ernsthaftigkeit und mal mit weniger Erfolg. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung in Folge des Zweiten Weltkriegs haben kam es ab den 1960er Jahren zu größeren und erfolgreicheren Bewegungen als je zuvor gegen die soziale Unterdrückungsmelange aus Neokolonialismus, kaum verschleiertem völkischen Erbe und dem Zwang der heterosexuellen Kleinfamilie. Der Kapitalismus im imperialistischen Zentrum passte seine sozialen Regeln und die Arbeitsteilung innerhalb der Klasse an. Seitdem sind Regierungen und loyale Oppositionen bestrebt, soziale Kämpfe vom Antikapitalismus zu trennen. Um die Rebellion zu verhindern, bieten Parteien und Konzerne jetzt Diversität an.

Das Buch selbst macht auf das Wortspiel im Titel aufmerksam (Witze werden immer lustiger, wenn sie erklärt werden!). „Diversität der Ausbeutung“ benennt sowohl die unterschiedlichen Ausbeutungsformen anhand von rassifizierter und geschlechtlicher Aufspaltung, aber auch die Rolle des neoliberalen „Diversitätsmanagements“ für die fortgesetzte Ausbeutbarkeit des Proletariats.

Das ist der Ausgangspunkt von Mendívils und Sarbos Kritik des herrschenden Antirassismus (das ist der Untertitel von „Diversität der Ausbeutung“, das 2022 im Berliner Dietz Verlag erschienen ist). Die Autor:innen machen den Widerspruch auf zwischen einem Kapitalismus, der die Arbeiter:innenklasse ohne Rassismus nicht beherrschen kann, und Arbeiter:innen die sich diese Herrschaft nicht gefallen lassen.

Zusammenfassung: marxistische Kritik und Kritik der Kritik

Das Buch ist auch eine scharfe Kritik an bürgerlichen und kleinbürgerlichen Linken. Diesen werfen die Autor:innen vor, die Sprache der Herrscher:innen übernommen zu haben bzw. ihre nächsten Entwicklungsstufen für sie zu schreiben. Im Gegenzug dazu hätten die größten Teile der postkolonialen, poststrukturalistisch-feministischen und intersektionalen Theoretiker:innen aufgegeben, in den Produktions- und Reproduktionsverhältnissen nach der Ursache für Rassismus, Sexismus und Queerunterdrückung zu suchen. Dementsprechend würden auch ihre Lösungsansätze am Kern der Sache vorbeigehen und sich sicher innerhalb der Systemgrenzen bewegen. Den Gegenentwurf skizzieren die zwei Herausgeberinnen im ersten Kapitel, „Warum Marxismus“, als systematische Anwendung der materialistischen Methode.

Zum Beispiel bauen Mendívil und Sarbo im fünften Kapitel auf Barbara Foleys Kritik der Intersektionalität auf und stellen ihr die marxistische Kategorie der Verdinglichung entgegen. Intersektionalität zeichnet Bevor- und Benachteiligungen als Differenzlinien auf, deren Überschneidungen dann Mehrfachunterdrückung zeigen. Foley macht darauf aufmerksam, dass gerade die Zweidimensionalität der Darstellung die besonderen Formen von rassistischer Arbeitsteilung, behindertenfeindlicher Gesetzeslage und Ausbeutung des Mehrprodukts unterschlägt. Mendívil und Sarbo stellen dem das Verständnis der Verdinglichung entgegen, wo die Position in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zur Identität des Subjekts gemacht, ideologisch definiert und durch den gesellschaftlichen Umgang (zum Beispiel in Gesetzesform) materialisiert wird: „In Identitäten erscheint den Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft also ihre gesellschaftliche Tätigkeit als Eigenschaft“ (Mendívil und Sarbo 2022, 110). Sie streiten weder die Existenz noch die Wirkmächtigkeit von Identitäten ab, suchen aber deren Ursache in Produktion und Reproduktion und finden den Weg zur Überwindung der Unterdrückung in der der gesellschaftlichen Produktionsweise.

Unabhängig davon, wer das Buch alles als Streitschrift gegen die Identitätspolitik gelobt hat, benennen die Beiträge Kämpfe von sozial Unterdrückten aber als Klassenkämpfe. Ökonomismus oder konservativen Vorstellungen von Haupt- und Nebenwiderspruch gehen die Autor:innen aus dem Weg. „Die Diversität der Ausbeutung“ versucht, eine materialistische Analyse von Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung, unabhängig von bürgerlichen Ideologien zu entwerfen.

Gleichzeitig gelingt es nicht ganz, das Verhältnis von Unterdrückung und Ausbeutung zueinander zu klären. Von der richtigen Analyse ausgehend, dass Ausbeutung nicht dasselbe wie Klassismus ist, bleibt die Differenzierung zwischen Ausbeutung und Unterdrückung vage. Dass sich zwischen den Beiträgen verschiedener Kapitelautor:innen Widersprüche auftun, ist keine Überraschung und auch kein Vorwurf. Dadurch bleibt eine Kernfrage des Buches aber offen. „Das dieser Unterdrückung [von Frauen und Schwarzen Personen] zugrundeliegende Verhältnis von Kapital und Arbeit bleibt damit verschleiert. Die Charakterisierung von Klasse als einem Ausbeutungsverhältnis unterscheidet sich von der Unterdrückung als politischem Verhältnis – ausgedrückt in beispielsweise Geschlecht oder Rasse – und Diskriminierung als analytischer Kategorie.“ (Mendívil und Sarbo 2022, 112)

Wie die Autor:innen darstellen, sind rassistische und sexistische Arbeitsteilung, heterosexistische Familienstrukturen und auch auf Rassismus und Sexismus aufbauende Enteignung grundlegende Formen der Klassengesellschaft. Aber Ausbeutung und Unterdrückung gehen nicht nur Hand in Hand. Die Entstehung der Arbeiter:innenklasse kommt aus der gleichzeitigen Trennung von Produzent:in und Produkt, der Trennung von produktiver und reproduktiver Arbeit, und der Trennung von rassistisch überausgebeuteten Produzent:innen von der Verfügung über ihre Arbeitskraft.

Die Entstehung der Arbeiter:innenklasse bedeutet nicht nur das Werden von Menschen, die arbeiten müssen, um essen zu können (was Søren Mau in seinem ebenfalls kürzlich bei Dietz erschienenen „Stummer Zwang“ als ebenso zwingend wie staatliche Gewalt und ideologische Rechtfertigung analysiert). Sie zwingt Menschen auch zur geschlechtlichen Arbeitsteilung, um sich reproduzieren zu können, in rassistische Segmentierung, um der kolonialen und postkolonialen Gewalt zu entgehen, und in heterosexistische Kleinfamilienstrukturen, in denen die Reproduktion am günstigsten zu haben ist. In „Diversität der Ausbeutung“ werden diese Mechanismen beschrieben und mit der Verdinglichung auch die Verbindung zu Ideologie und Identität gelegt. Die analytische Trennung von ökonomischer Ausbeutung und politischer Unterdrückung bleibt aber dahinter zurück.

Kernpunkte

Das Buch ist nicht in Teile oder Abschnitte aufgeteilt, verfolgt aber zwei Projekte, die sich auch nach Seitenzahlen grob abgrenzen lassen. In den ersten drei Kapiteln legen Mendívil und Sarbo, dann Sarbo alleine, und dann Mendívil und Hannah Vögele ihr grundlegendes Verständnis von Marxismus, Rassismus und sozialer Reproduktion dar. Zu diesem ersten Teil gehört auch das Vorwort von Christian Frings, der die Individualisierung von linker Kritik als Folge der gesellschaftlichen Neoliberalisierung (Thatchers „There is no such thing as society“, „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht“) genauso benennt wie die zentrale Rolle der segmentierten Arbeiter:innenklasse für ihre Ausbeutbarkeit im ersten Band von Marx‘ „Kapital“. Er positioniert das neoliberale „Diversitätsmanagement“ als Reaktion auf die explosiven sozialen Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre, macht aber auch klar, dass diese nicht den Klassenkampf geschwächt hätten, sondern im Gegenteil für die rassistische und sexistische Friedenspolitik zum Problem wurden.

Im ersten Kapitel, „Warum Marxismus“, skizzieren die Herausgeberinnen ihre Kritik an der diversitätsorientierten Linken. Dass an die Stelle der Genoss:innenschaft, also des gemeinsamen Klassenkampfes, die Allyship (das Bündniswesen) getreten ist, wird als liberale Praxis mit radikaler Rhetorik benannt. Die materialistische Analyse, die Mendívil und Sarbo mit Marxismus meinen, leitet Rassismus und Sexismus aus der kapitalistischen Produktionsweise ab. Die Überwindung des Kapitalismus entzieht auch der sozialen Unterdrückung die Wurzeln (das schafft diese Unterdrückung aber nicht automatisch oder unmittelbar ab). Eine Kritik, die auf die korrekte Repräsentation von Migrant:innen, People of Color und sexistisch Unterdrückten abzielt, stabilisiert die Produktionsweise und damit den Ursprung von immer neu erfundenen sozialen Spaltungs- und Unterdrückungsmechanismen.

Im zweiten Kapitel, „Rassismus und gesellschaftliche Produktionsverhältnisse“, erklärt Bafta Sarbo, wie ungleiche Ausbeutung von schwarzen und indigenen Menschen zu einer rassistischen Ideologie und diese wiederum dazu führt, dass sie an den Rand gedrängt und überausgebeutet werden. Sie unterscheidet den Kolonialrassismus von kolonialer Landnahme und Überausbeutung von Sklav:innen auf der einen Seite und die Überausbeutung in einem formellen Lohnarbeitsverhältnis von Arbeitsmigrant:innen auf der anderen. Der Kolonialrassismus nimmt eine zentrale Rolle in Marx‘ Analyse von der ursprünglichen Akkumulation ein, also dem Anhäufen des notwendigen Kapitals, um dessen Dynamik zur weltweit dominanten Wirtschaftsweise zu machen durch Landnahme, Handelsrouten und brutale Enteignung von Rohstoffen. Wiederholte Dynamiken der ursprünglichen Akkumulation, des „Profits durch Entfremdung“ (Anwar Shaikh macht auf dessen zentrale, aber unterbewertete Rolle in der marxistischen Ökonomie aufmerksam) sehen wir aber bis heute, beispielsweise in der Landnahme für industrielle Produktion oder Agrarindustrie. Bis heute wird diese rassistisch legitimiert und zwingt neue Gruppen in die Arbeitsmigration und damit in die rassistische Schlechterbehandlung.

Rassismus bleibt aber über diese historische Pfadabhängigkeit hinweg wirksam und wirkmächtig. Die rassistische Ideologie ist in den imperialistischen Ländern zentral und durch die weltweite Hegemonie des Imperialismus auch global wirksam. „Der Kapitalismus ist nicht farbenblind, denn er ist auf die Überausbeutung eines Teils der Arbeiterklasse und die ideologische Legitimation dafür angewiesen. Bei rassistischer Gewalt handelt es sich für das Kapital allerdings um eine Zerstörung von Arbeitskraft und damit der wichtigsten Grundlage der Kapitalakkumulation. Deshalb müssen sich im Kapitalismus Differenz und Gleichheit stets die Waage halten.“ (Mendívil und Sarbo 2020, 60)

Daraus ergibt sich auch eine klare Handlungsanweisung: die Veränderung der materiellen Verhältnisse statt einer Beschränkung auf rassistisches oder antirassistisches Bewusstsein. Sarbo bezieht sich hier auf die Sätze vor Marx‘ berühmtem „Es kommt darauf an, sie zu verändern“, nämlich: „Diese Forderung, das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, das heißt, es vermittelst einer andren Interpretation anzuerkennen.“ (Marx 1845, 20)

So wie Kolonialrassismus und Rassismus gegen Arbeitsmigrant:innen nicht nur wichtig, sondern eine Ursache für die Entstehung der Arbeiter:innenklasse sind, analysieren Mendívil und Vögele im dritten Kapitel den Sexismus als Ausdruck der geschlechtlichen Arbeitsteilung. „Diese Auseinandersetzungen ermöglichen es erst zu verstehen, wie die Trennung in eine Sphäre der Produktion und die der Reproduktion, in private und öffentliche Bereiche und in nicht-entlohnte und entlohnte Arbeit mit den jeweils zugeschriebenen Körpern eine spezifisch rassifizierte und binäre Geschlechterordnung festschreibt.“

Dass die Reproduktionsarbeit privatisiert ist, macht ihre Funktion nicht weniger gesellschaftlich. Die Ergebnisse der unbezahlten Hausarbeit, von Erziehung über Nahrung bis zur Unterkunft, sind kein privates Luxusvergnügen, sondern Voraussetzung für die tägliche Ausbeutung.

Die Soziale Reproduktionstheorie, auf die sich Mendívil und Vögele berufen, erklärt die geschlechtliche Arbeitsteilung aus dem gesellschaftlichen Bedarf an Reproduktion. An Teilen dieser Theorie gibt es aber auch eine harsche marxistische Kritik, die zum Beispiel Aventina Holzer im Revolutionären Marxismus, Band 53, darlegt. Eine Gleichsetzung von produktiver und reproduktiver Arbeit, weil beide für die Kapitalakkumulation unverzichtbar sind, ignoriert den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ausbeutung und Akkumulation. In Lise Vogels zentralem „Marxismus und Frauenunterdrückung“ wird die Trennung von politischer und ökonomischer Frauenunterdrückung auch zum Argument, warum die Frauenbewegung eine teils klassenübergreifende, teils klassenkämpferische Form braucht. Diese Schlussfolgerungen finden sich in „Diversität der Ausbeutung“ nicht, es bleibt aber auch unklar, was Mendívil und Vögeles „reproduktionstheoretische“ Herangehensweise von anderen Teilen der Literatur analytisch trennt.

Rassistischer Kapitalismus

Im zweiten Teil des Buchs nehmen sich Fabian Georgi die zentrale Rolle von Grenz- und Migrationsregimen, Mendívil und Sarbo die Intersektionalität, Lea Pilone den strukturellen Rassismus der deutschen Polizei, Celia Bouali den integrierten EU-Arbeitsmarkt und Sebastian Friedrich den Erfolg der AfD im zunehmend krisenhaften Kapitalismus vor.

In diesen konkreten Auseinandersetzungen, und vor allem in der Kritik der akademischen Analyse von Unterdrückung, entstehen zentrale Punkte des Buches. Georgi beleuchtet die Rolle des Rassismus für einen Ausschluss vom gesellschaftlichen Mehrprodukt, das in imperialistischen Ländern auch zur Ruhigstellung der am besten gestellten Arbeiter:innen aufgebraucht wird und zur sozialen Kontrolle in den Arbeiter:innenvierteln.  Wo Lea Pilone die Entstehung der US-Polizei aus Sklav:innenjäger:innen als Instrument zur Erzwingung für koloniale Lohnarbeit nachzeichnet, zeigt Celia Bouali, wie das EU-Grenzregime gleichartig gewaltsam Menschen in die Überausbeutung zwingt.

Mendívil und Sarbo beziehen sich auf Barbara Foley, um die Intersektionalitätstheorie als Analyse und „Brille“ zu verwerfen. In dieser Theorie werden (systematische) Besser- und Schlechterbehandlung in Differenzlinien gegenübergestellt. Wo sich diese Linien, beispielsweise zwischen Staatsbürger:in und geflüchteter Person oder zwischen Adeligem und Arbeiter:innenkind überschneiden, verortet man die Mehrfachunterdrückung. Es ist zweifellos richtig, dass die Überschneidung von Unterdrückungsverhältnissen sich nicht nur aufaddiert, sondern dialektisch neue Identitäten und Schlechterstellungen hervorbringt: „Intersektionalität taucht also in einer Zeit auf, in der viele der Alltagsprobleme um reale Gewaltverhältnisse nicht ausreichend von Sozialist:innen aufgegriffen oder unzureichend erklärt wurden.“ Die zweidimensionale Darstellung unterschlägt aber das jeweils Eigentümliche an Sexismus, Klassengesellschaft oder Behindertenfeindlichkeit.

Auf dieser Kritik aufbauend verwerfen die Autor:innen die Intersektionalität als analytisch ungeeignet und erklären ihr Verständnis von Identität in der Produktionsweise anhand der Kategorie von Verdinglichung. Das stellt auch der individuellen Betrachtungsweise des Poststrukturalismus einen kollektiven Analyserahmen (und damit eine kollektive Handlungsperspektive) entgegen: „Der Marxismus, von dem sich die Postmoderne abgrenzt, vertritt einen universellen sozialistischen Standpunkt.“ (Mendívil und Sarbo 2022, 116)

Das führt aber auch zu einer künstlichen Trennung zwischen ökonomischen und politischen Verhältnissen, zwischen fundamentaler Ausbeutung und phänomenhafter Unterdrückung. Auch wenn Letztere für Mendívil und Sarbo untrennbar zur Ausbeutung gehört, bleibt der ökonomische Charakter von sexistischer und rassistischer Arbeitsteilung aus den ersten Kapiteln etwas außen vor. „Eine marxistische Analyse fasst die Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse als zentrales Moment kapitalistischer Produktion und kann von da ausgehend die Spezifik von unterschiedlichen Teilen der Klasse beschreiben, ohne dabei das Allgemeine zu verwerfen. Die Frage der Ausbeutung in den Vordergrund zu stellen, bedeutet nicht, dass Unterdrückungsverhältnisse nicht auch relevant für die Analyse des Kapitalismus wären.“

Die mehrfach gespaltene Klasse

In „Diversität der Ausbeutung“ werden Rassismus und Sexismus nicht bloß aus den Klassenverhältnissen hergeleitet. Stattdessen wird die zentrale und unverzichtbare Rolle von Kolonialismus und ins Private abgeschobener Reproduktionsarbeit für die kapitalistische Produktionsweise dargestellt. Durch die marxistische Kategorie der Verdinglichung wird erklärt, wie aus der Rolle im Produktionsprozess Identitäten entstehen, die über die Rechtfertigungsrolle der bürgerlichen Ideologie hinaus wirken. Tatsächlich schafft der Kapitalismus Schicksalsgemeinschaften von rassistisch und sexistisch unterdrückten Arbeiter:innen über ihre gemeinsame und besondere Stellung in der Produktionsweise.

Das dialektische Verhältnis von Allgemeinem und Besonderen, das im Kapitel zur Intersektionalität ausgebreitet wird, erklärt die dialektischen Wechselwirkungen zwischen Klassengesellschaft und sozialer Reproduktion. Auch das beschränkt sich nicht auf eine Rückwirkung der Unterdrückung auf die Ausbeutung, sondern ernennt die Unterdrückung zur notwendigen Voraussetzung für die fortgesetzte Mehrwertproduktion. Diese Einsicht findet sich, wie von Frings im Vorwort zitiert, bereits bei Marx als Notwendigkeit der eigentümlichen Zusammensetzung des Proletariats.

Eine marxistische Analyse der geschlechtlich, rassistisch und heteronormativ geformten Arbeiter:innenklasse kann aber noch einen Schritt weiter gehen. Kolonialrassismus und Sexismus sind nicht nur Vorbedingungen für die Entstehung der Arbeiter:innenklasse, sie sind ein untrennbarer Teil der Klassenwerdung.

Markus Lehner zeigt in seinem Artikel „Arbeiterklasse und Revolution – Thesen zum Marxistischen Klassenbegriff“ (Revolutionärer Marxismus, Band 28) das Totalitäre am marxistischen Begriff der Arbeiter:innenklasse. Es gibt den/die gesellschaftliche Gesamtarbeiter:in nur als Gegenstück im dialektischen Verhältnis Lohnarbeit-Kapital, die Arbeiter:innenklasse ist also negativ definiert. Nicht die Ausbeutbarkeit der Arbeiter:innen schafft die Kapitalakkumulation, sondern es wird eine ausbeutbare Arbeiter:innenklasse geschaffen, die den Bedürfnissen des Industriekapitals nach Mehrwertproduktion entspricht.

Den historischen Vorgang legt Marx im achten Teil des ersten Bands des „Kapital“ dar. Durch Profite aus Handel und kolonialem Raub konnte sich in Europa produktives Kapital etablieren, das freie Arbeiter:innen für ihre Arbeitskraft entlohnt, aber einen Mehrwert über die Produktionskosten hinaus erzielt. Um den „Profit aus Produktion“ zu vermehren und zur gesellschaftlich bestimmenden Wirtschaftsweise zu machen, wurden aus Subsistenzbauern und -bäuerinnen in Europa und den Kolonien enteignete Arbeiter:innen gemacht. Dieses Machen war ein gezielter politischer Prozess, keine „natürliche“ Entwicklung von irgendwelchen wirtschaftlichen Bewegungsgesetzen.

Hierbei kommt es zu einer mehrfachen Spaltung (wir haben uns hier einen genauso doppeldeutigen Witz erlaubt wie Mendívil und Sarbo mit der Diversität der Ausbeutung). Es werden die Produzent:innen von ihren Produktionsmitteln gespalten, wird also den Bäuerinnen und -bauern ihr Landnutzungsrecht entzogen („Einhegung“). Diese jetzt mittellosen Familien haben keine andere Wahl, als ihre Arbeitskraft an Kapitalist:innen zu verkaufen. Die Kapitalist:innen behalten aber das Produkt der Arbeit ein, die Trennung der/des Produzent:in vom Produktionsmittel wird dadurch zur Trennung von Produzent:in und Produkt.

Gleichzeitig wird die Produktion von der Reproduktion getrennt. In der feudalen Zeit wird für den eigenen Bedarf produziert und für den Feudalherren, der sich den Überschuss aneignet. Das Produkt zum eigenen Verbrauch, wie Essen oder Kleidung, wird auf demselben Feld oder im selben Haushalt hergestellt. In den Arbeiter:innenvierteln ist das nicht mehr so. Die Tätigkeiten für die Reproduktion finden zuhause statt, die Produktion für den Verkauf am Arbeitsplatz. Diese Trennung wird geschlechtlich vorgenommen, und diese geschlechtliche, frauenunterdrückende Spaltung wird auch zur notwendigen Voraussetzung, dass Arbeiter:innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinen können. So ist diese sexistische Spaltung zeitlich und analytisch Teil der Entstehung der Arbeiter:innenklasse, die Arbeiter:innen sind von Beginn an sexistisch definiert und in sich sexistisch gespalten.

Die Mehrwertproduktion wird in Firmen organisiert, die Reproduktion in Kleinfamilien. Die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Kleinfamilie ist binär und heteronormativ organisiert. Sich außerhalb von Kleinfamilien zu reproduzieren, ist nachteilhaft, was Søren Mau als stummen Zwang des Kapitals beschreibt, entsprechende sexuelle Identitäten existieren außerhalb der Reproduktionsnormalität. Die Arbeiter:innenklasse ist damit von Beginn an heteronormativ definiert, und nicht zufällig geht die Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise mit einer Fortschreibung und gleichzeitigen Umformung der Frauenunterdrückung aus vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen einher.

Dasselbe gilt für den Kolonialrassismus und die Arbeitsmigration. Die Enteignung von indigenen (kolonialisierten) Produzent:innen geht über die Trennung von ihren Produktionsmitteln und ihrem Produkt hinaus. Die Produzent:innen verlieren als Sklav:innen (verschleppt) oder Zwangsarbeiter:innen (lokal) die Verfügung über ihre Arbeitskraft. Gleichzeitig wird die Arbeiter:innenklasse in einen „doppelt freien“ und einen unfreien Teil aufgespalten. Bis heute gehört Zwangsarbeit unter Androhung von Abschiebung oder in rassistischen Gefängnissystemen zur kapitalistischen Normalität.

Die vielfältige Formung der Arbeiter:innenklasse führt auch zu einer Diversifizierung. Eine strukturelle Arbeitsteilung innerhalb der Klasse spaltet sie auch in sich, es existieren tatsächliche Besser- und Schlechterstellungen innerhalb des Proletariats. Oft erfolgt auch die Durchsetzung dieser Strukturen innerhalb der Klasse, nicht bloß wegen der Wirkmächtigkeit der bürgerlichen Ideologie, sondern wegen der Materialität der Verdinglichung.

Aber im Gegensatz zur herrschenden Klasse haben die Arbeiter:innen ein Interesse an der Aufhebung der Klassengesellschaft. Diese Aufhebung beginnt nicht erst mit dem bewussten Kampf für Revolution und Sozialismus, sondern mit der Rebellion gegen die kapitalistischen Verhältnisse. In solchen Kämpfen formen sich die Keimformen proletarischen Bewusstseins, das in Richtung der Grenzen des Kapitalismus geht. In revolutionärer Organisierung des fortgeschrittensten Teils der Klasse und dessen Entwicklung einer revolutionären Theorie und Praxis (in Wechselbeziehung zu den spontanen Kämpfen) kann die ganze Klasse für ein revolutionär-proletarisches Bewusstsein gewonnen werden.

Daraus ergibt sich die Möglichkeit von tatsächlichen Kämpfen der „privilegierten“ Arbeiter:innen gegen die Spaltung ihrer eigenen Klasse aus Eigeninteresse. Hier geht auch eine Analyse der Einheit von Ausbeutung, geschlechtlicher und rassistischer Arbeitsteilung in eine Einheit von Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung über.

Fazit: Ein marxistisches Verständnis von Rassismus und Unterdrückung

Mendívil und Sarbo haben mit ihrem Buch einige wichtige Schritte gemacht, für die die Linke sich bedanken kann. Erstens haben sie dem Import der akademischen Identitätspolitik aus den USA einen umfassenden ihrer Kritiken folgen lassen. An die Stelle einer einseitigen Bewegungsrichtung antirassistischer, antisexistischer und queerer Kritik ist eine Darstellung der Gesamtdebatte getreten.

Sie arbeiten außerdem die zentralen Bruchpunkte zwischen Marxismus und Identitätspolitik heraus. Diese finden sich nicht in der Existenz von Identitäten (die die Autorinnen aus Arbeitsteilung und Verdinglichung herleiten), sondern bei der Individualisierung und Gleichsetzung von Unterdrückungsformen. Außerdem zeigen sie die Wurzeln von Rassismus und Sexismus in der kapitalistischen Produktionsweise auf genauso wie die Parallelen zur „Kritik des rassistischen Bewusstseins“ im philosophischen Idealismus, den Marx in der „Deutschen Ideologie“ aufs Korn nimmt.

Die Beiträge im zweiten Teil des Buches demonstrieren nicht nur die Anwendbarkeit der materialistischen Analyse, sondern tragen aus den speziellen Analysen wieder grundsätzliche Einsichten ein. Die Rolle von Grenzregime, Polizeiapparat und EU-internem Arbeitsmarkt für den Rassismus des 21. Jahrhunderts ist klar und eindeutig. Auch hier entspricht das Verhältnis von Allgemeinem wie Besonderen der marxistischen Methode.

Was offen bleibt, ist das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung, und damit eine eigenständige Kritik an Haupt-Nebenwiderspruchstheorien über den (zweifellos vorhandenen) Konservativismus ihrer Vertreter:innen hinaus. Entsprechend bleibt auch die Positionierung innerhalb der Sozialen Reproduktionstheorie vage, weil die Differenzierung zwischen Ausbeutung und Unterdrückung nicht glasklar dargestellt wird.




Nein zur Verschärfung des Asylrechts!

Stefan Katzer, Neue Internationale 278, November 2023

Wenn man von der prokapitalistischen Partei der Reichen mit Spleen für Verbrennungsmotoren auch sonst nicht viel hält, muss man der FDP doch eines lassen: Sie hat noch rote Linien. Das heißt, sie vertritt politische Positionen, die für sie nicht verhandelbar sind. Steuererhöhungen zum Beispiel. Die wird es mit der FDP nicht geben. Das hat sie vor, während und nach dem letzten Bundestagswahlkampf klargemacht. Und das macht sie auch in der Ampelkoalition immer wieder deutlich. Egal wie marode die Schulen, wie überlastet das Gesundheitssystem, wie kaputt der öffentliche Nahverkehr – Geld von den Reichen zur Finanzierung dieser öffentlichen Angelegenheiten wird es nicht geben. Dafür steht der derzeitige FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner mit seinem Namen.

Die Grünen

Anders bei den Grünen. Bei der geradezu gymnastisch-pragmatischen Sonnenblumenpartei mit grünem Image und chamäleonartigem Anpassungsvermögen sucht man nach roten Haltelinien, nach nicht verhandelbaren Positionen vergebens. Egal ob Klimaschutz, Aufrüstung oder Asylpolitik – nichts scheint den Grünen zu schade, um nicht einem faulen Kompromiss geopfert zu werden. Geradezu stolz ist man auf die eigene ideologische Geschmeidigkeit, auf den zum Prinzip erhobenen Opportunismus. Frei nach dem Motto: Es ist besser, falsch zu regieren, als gar nicht zu regieren. Das geht zwar nicht immer ohne Reibungen innerhalb der eigenen Partei aus, kleinere Schlagabtausche zwischen Parteiführung und Basis inklusive, aber am Ende geht es meistens doch. Schließlich hat die Parteispitze nicht versäumt, die Basis bereits vor Eintritt in die Ampelkoalition auf Kompromisse einzuschwören.

Die erste dicke Kröte, die vor allem die Grüne Jugend herunterwürgen musste, bekam diese von der selbsternannten Fortschrittskoalition unter Einschluss der Grünen im Sommer diesen Jahres serviert. Die sogenannte Asylkrisenverordnung, die von den Regierungen der EU-Staaten ausgehandelt worden war und für die am Ende auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock geworben hat – auf Druck vom Kanzler und mit ordentlich Bauchschmerzen, versteht sich –, hatte es schon in sich.

Neben mehr Abschottung an der EU-Außengrenze sieht dieser Kompromiss auch die Möglichkeit der Verlängerung der Lagerhaft für Geflüchtete vor. Diese erzwungene Haft soll es den Behörden erleichtern, bei negativem Asylbescheid die Menschen schneller wieder in ihre Heimatländer abzuschieben. Außerdem wurde im Zuge dieser Asylrechtsverschärfung auch der Personenkreis ausgeweitet, der in solchen Lagern künftig untergebracht werden kann. Darunter sind nun auch Familien mit Kindern.

Nach anfänglicher Kritik und daran anschließenden minimalen Verbesserungen hat die Bundesregierung dem Vorschlag letztlich zugestimmt. Man wollte endlich ein Ergebnis, einen zustimmungsfähigen Kompromiss in der Asylpolitik auf EU-Ebene vorweisen können, bevor nächstes Jahr das EU-Parlament neu gewählt wird. Wenn er dort durchgewunken wird, könnten somit geflüchtete Kinder in Zukunft an der Außengrenze der Festung Europa in Lagern eingesperrt werden, während die grüne Außenministerin, die diesem Kompromiss zugestimmt hat, auch weiterhin im Kabinett auf ihrem bequemen Sessel Platz nehmen darf. Wahrlich schmerzhafte Kompromisse – für die Grünen.

Verschärfungen vom Oktober

Nun hat sich die Bundesregierung im Oktober auf weitere Verschärfungen im nationalen Asylrecht geeinigt. Nachdem man wochenlang der AfD nach dem Mund geredet und beinahe sämtliche sozialen Probleme im Land – angefangen beim Wohnungsmangel über fehlende Kitaplätze bis hin zum überlasteten Gesundheitssystem – auf die Überlastung durch „illegale Migration“ zurückgeführt hat, musste man schließlich auch liefern. Das hat die Ampel nun getan. Das Innenministerium unter der Führung von Nancy Faeser hat kürzlich einen Gesetzentwurf zur „Verbesserung der Rückführung“ vorgelegt, der massive Verschlechterungen für Geflüchtete vorsieht – eine Abschiebeoffensive also, von der die Rechten schon lange träumen.

Dieses Mal standen insbesondere die Ausreisepflichtigen im Fokus der Debatte. Das sind Personen, die sich aufgrund eines abgelehnten Asylantrags, eines abgelaufenen Visums oder einer nicht verlängerten Aufenthaltserlaubnis rechtlich gesehen nicht länger in Deutschland aufhalten dürfen. Derzeit betrifft das ca. 300.000 Menschen. Von diesen ist allerdings der größte Teil, ca. 90 %, geduldet. Diese Personen können also auch weiterhin aus rechtlichen Gründen (noch) nicht abgeschoben werden. Das kann unterschiedliche Gründe haben, etwa weil den Betroffenen in ihren Heimatländern Verfolgung droht oder ihr Heimatland als nicht sicher gilt, z. B. weil dort Krieg herrscht.

Unmittelbar ausreisepflichtig sind derzeit somit nur ca. 54.000 Personen. Um diesen Personenkreis geht es in dem neuen Gesetzentwurf. Diese sollen durch das neue Gesetz nun schneller und effektiver abgeschoben werden können. Um dies zu erreichen, hat die bei der Hessenwahl erfolglose SPD-Spitzenkandidatin und Immer-noch-Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Entwurf ausgearbeitet, der massive Grundrechtseinschränkungen, neue Straftatbestände für Geflüchtete und erweiterte Kompetenzen für die Polizei vorsieht.

Laut Pro Asyl könnte es durch das neue Gesetz möglich werden, dass Menschen schon aufgrund eines „falschen“ Familiennamens bzw. der gleichen Familienzugehörigkeit aus Deutschland ausgewiesen werden. Dies soll es erleichtern, Menschen abzuschieben, von denen man annimmt, dass sie einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB angehören, ohne dass es zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist. Hier bedienen die Ampelparteien das rechte Narrativ der „Clankriminalität“, der angeblich besonders schwer beizukommen ist und für deren Bekämpfung man daher auf unkonventionelle (lies: grundrechtswidrige) Verfahren zurückgreifen möchte. Dafür ist man offenbar bereit, Menschen pauschal unter Verdacht zu stellen bzw. abzuurteilen, ohne dies im Einzelfall richterlich bestätigt zu bekommen.

Außerdem soll es künftig leichter möglich sein, Menschen in Abschiebehaft zu nehmen. Hierfür genügt bereits der Vorwurf gegenüber den Antragsteller:innen, die Mitwirkungspflichten bei der Bearbeitung des Asylantrags zu verletzen. Letztlich können auf Grundlage des neuen Gesetzes alle Personen, die ausreisepflichtig sind, in Haft genommen werden, und das nun nicht mehr „nur“ für drei, sondern ganze sechs Monate. Vor dem Hintergrund, dass laut Pro Asyl bereits heute die Hälfte der sich in Abschiebehaft befindlichen Menschen zu lange oder zu Unrecht in Haft sitzt, ist dies besonders perfide.

Doch damit nicht genug. Auch wenn kein Verdacht vorliegt, einer kriminellen Vereinigung anzugehören, soll es zur Erleichterung von Abschiebungen künftig möglich sein, Menschen länger als bisher einzusperren. Dies soll ermöglicht werden durch die Ausdehnung des sogenannten Ausreisegewahrsams. Statt wie bisher zehn, sollen ausreisepflichtige Personen künftig bis zu 28 Tage in Gewahrsam genommen werden dürfen, um den Behörden die Vorbereitung der Abschiebung und diese selbst zu erleichtern. Auch Menschen, die sich noch im Asylverfahren befinden und gegen die keine sonstigen strafrechtlichen Verfahren angestrengt werden, sollen künftig in Abschiebehaft genommen werden dürfen.

Ebenso werden die Polizei und andere in das Verfahren involvierte Behörden deutlich mehr Befugnisse erhalten, die ihnen die Durchführung von Abschiebungen erleichtern sollen. Diese dürfen nun ohne richterlichen Beschluss de facto zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Wohnungen und Unterkünfte von Geflüchteten eindringen. Doch nicht nur in die Wohnungen oder Unterkünfte der unmittelbar Ausreisepflichtigen, sondern letztlich in jede Räumlichkeit, sofern die Behörden davon ausgehen, dass die gesuchte ausreisepflichtige Person sich dort aufhalten könnte. Und das, mit Ausnahme von Familien, in denen Kinder unter 12 Jahren leben, ohne jegliche vorherige Ankündigung. Dass dies für die betroffenen Personen enorme psychische Belastungen mit sich bringt, nimmt man offenbar in Kauf. Sie können sich in keiner Sekunde mehr sicher sein, müssen ständig befürchten, von der Polizei besucht, überwältigt und zur Abschiebung geholt zu werden.

Gemeinsam gegen Rassismus

Gegen diese Asylrechtsverschärfung und den gerade stattfindenden Rechtsruck insgesamt muss die Linke, muss die Arbeiter:innenbewegung aktiv werden. Sie müssen der rechten Hetze und den Spaltungsversuchen der Herrschenden eine solidarische, letztlich eine revolutionäre Perspektive entgegensetzen. Statt Internierungslagern an den Außengrenzen, Toten im Mittelmeer, Grenzkontrollen in der EU und einer insgesamt menschenverachtenden rassistischen Politik braucht es eine menschenwürdige Alternative.

Statt für schnellere Abschiebungen müssen wir für sichere Fluchtrouten, offene Grenzen und gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen kämpfen. Dies schützt nicht nur die Geflüchteten vor Abschiebung und Entrechtung, sondern trägt auch dazu bei, die Spaltung der Lohnabhängigen zu überwinden.

Die Gewerkschaften müssen daher Geflüchtete in ihre Reihe aufnehmen und gemeinsam mit diesen für soziale Verbesserungen kämpfen – und zwar mit den Methoden des Klassenkampfes, nicht der warmen Worte. Sie müssen den Kampf führen gegen die Spaltung der Arbeiter:innenklasse, gegen die Selektion von Flüchtlingen und Migrant:innen in Ausgestoßene und Deportierte einer- und entrechtete Lohnabhängige zweiter Klasse andererseits. Nur wenn wir entschieden gegen Nationalismus und Chauvinismus kämpfen, können wir die lähmende Spaltung der Klasse überwinden und die Kampfbedingungen insgesamt verbessern.

Dafür müssen wir auch die Lügen der Herrschenden entlarven, die behaupten, dass die sich zuspitzenden sozialen Probleme letztlich auf die Überlastung durch „illegale Migration“ zurückzuführen sind, während sie selbst gerade dabei sind, an allen Ecken und Enden – außer beim Militär – massive Kürzungen durchzusetzen.

Wir brauchen eine Massenbewegung von antirassistischen, Migrant:innenorganisationen, allen Arbeiter:innenorganisationen und vor allem von den Gewerkschaften!

• Volles Asylrecht für alle Geflüchteten! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen sowie Abschiebungen! Für offene Grenzen!

• Ein Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnortes und staatliche Unterstützung für Geflüchtete, solange sie keine Arbeit gefunden haben!

• Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit!

• Volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die in Deutschland und der EU leben, inklusive des passiven und aktiven Wahlrechts!

• Organisierte Selbstverteidigung gegen rassistische und faschistische Angriffe auf Flüchtlinge und Migrant:innen, unterstützt von der gesamten Arbeiter:innenbewegung! Öffnung der Gewerkschaften für alle Geflüchteten und Migrant:innen!




Offener Brief: Menschen, keine »Barbaren«!

Offener Brief in Solidarität mit Elisa Baş, Infomail 1234, 21. Oktober 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir einen offenen Brief in Solidarität mit Elisa Baş. Wir rufen zur Unterzeichnung des offenen Briefs auf. Wenn ihr auch unterzeichnen wollt, schreibt eine Mail an: washidaka@gmail.com

Offener Brief: Menschen, keine »Barbaren«!

Solidarität mit der Bundespressesprecherin von Fridays-For-Future, Elisa Baş, gegen die Diffamierungen der Springer-Presse!

Unter der Überschrift »Klima-Aktivistin schockt mit Vorwurf gegen Juden« versuchen die BILD-Zeitung und andere Springer-Medien, die Pressesprecherin von Fridays-For-Future, Elisa Baş, als »geschichtsvergessen« und »geschmacklos« darzustellen. Der gleichlautende Artikel von Julian Loevenich erschien zuerst in der Berliner Tageszeitung (B.Z.)[1]. Eine Stunde später dann auch in der BILD-Zeitung[2]. Einen Tag nach dem BILD-Artikel übernahmen die Redaktionen von Focus Online[3] und Express aus Österreich die in der BILD geäußerten Vorwürfe.

Elisa Baş teilte auf ihrem Instagram-Account eine Kritik an Aussagen des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. In einem Gast-Kommentar für die BILD-Zeitung hatte dieser geschrieben: »Die Barbaren sind unter uns.« und »Es muss sich etwas tun.«[4] Auf dem Bild zum Kommentar ist eine Frau zu sehen, die eine palästinensische Fahne schwenkt.

Elisa Baş hatte den Artikel mit dem folgenden Kommentar einer anderen Person geteilt: »In Deutschland herrscht eine Pogrom-Stimmung gegen Palästinenser:innen und Schuster heizt sie an.«

Aus dieser geteilten Kritik konstruiert nun der BILD-Redakteur Julian Loevenich folgenden Vorwurf: »Besonders geschichtsvergessen und geschmacklos ist Baş „Pogrom“-Vorwurf, weil Juden während der Nazi-Zeit bei Pogromen ermordet wurden. Die Klima-Aktivistin rückt damit den Präsidenten des Zentralrats der Juden in die Nähe der Nationalsozialisten.«

Elisa Baş hat sich stets klar und deutlich gegen Antisemitismus sowie allgemein jede Form von Rassismus positioniert. Die Vorwürfe sind eine bodenlose Frechheit. Im Anschluss an die Berichterstattung werden von unterschiedlichen Personen Forderungen nach einem Rücktritt erhoben.

Wir stellen fest:

  1. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Hetze und Rassismus nicht. Wir lehnen die Rücktrittsforderungen gegen Elisa Baş ab. Die Klimabewegung darf sich nicht spalten lassen. Der Angriff auf Elisa Baş ist ein Angriff auf alle, die sich für eine klimagerechte Welt einsetzen. Wir stehen angesichts der Diffamierungs-Kampagne als Menschenrechts- und Klimaaktivist:innen jüdischer, muslimischer und anderer Herkunft gemeinsam hinter der Fridays-for-Future-Bundespressesprecherin Elisa Baş. Die gefährliche Stimmungsmache der BILD-Zeitung gegen eine junge Klima-Aktivistin muss sofort beendet werden!
  2. Der Presserat muss BILD & BZ in die Schranken weisen und die Hetze gegen Palästinenser:innen stoppen!
  3. Der Begriff der »Barbaren« diente schon in der Antike zur Entmenschlichung unter Sklaverei und rechtfertigte ebenso die Kolonialgeschichte.[5] Dass die BILD-Zeitung und andere an diese rassistische Tradition anknüpfen, ist verantwortungslos und schürt eine hetzerische Stimmung.
  4. Die Kritik an Schuster, er heize mit seinen Aussagen eine »Pogrom-Stimmung« gegen Palästinenser:innen an, hat nichts mit Antisemitismus oder Geschichtsvergessenheit zu tun. Der Begriff »Pogrom« ist älter als der Nationalsozialismus und findet auch in anderen Kontexten weitläufig Verwendung. So definieren der Duden und die Bundeszentrale für politische Bildung den Begriff als »gewalttätige Aktionen, Übergriffe und Ausschreitungen gegen (ethnische, nationale, religiöse etc.) Minderheiten oder politische Gruppierungen.«[6] Die israelische Zeitung Ha‘aretz bezeichnete beispielsweise den Siedlerangriff auf das palästinensische Dorf Huwara als Pogrom.[7] Elisas Aussagen richten sich an keiner Stelle auch nur ansatzweise gegen jüdische Menschen oder jüdisches Leben.

#keineBarbaren #SolimitElisa

Wenn ihr auch unterzeichnen wollt, schreibt eine Mail an: washidaka@gmail.com


[1] https://www.bz-berlin.de/berlin/fridays-for-future-elisa-bas-juden

[2] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/sprecherin-von-fridays-for-future-klima-aktivistin-schockt-mit-vorwurf-gegen-jud-85762668.bild.html

[3] https://www.focus.de/politik/ausland/nahost/klimaaktivistin-macht-juden-vorwuerfe-fridays-for-future-sprecherin-schockt-mit-wirrer-genozid-nachricht_id_226258300.html

[4] https://www.bild.de/politik/kolumnen/politik-inland/josef-schuster-zum-terror-in-israel-die-barbaren-sind-unter-uns-85744098.bild.html

[5] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-06/rassismus-ideologie-nationalsozialismus-rassentheorie-antike-mittelalter-genetik/seite-2?

[6]https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/296465/pogrom/

[7] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-03-04/ty-article/.premium/israeli-settlers-threaten-another-hawara-pogrom-on-saturday-night/00000186-ad5d-de2a-a1ee-af5f092f0000