AfD bekämpfen – aber wie?

Stefan Katzer, Infomail 1246, 23. Februar 2024

Seit Wochen gehen Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um gegen die AfD zu demonstrieren. Hunderttausende beteiligten sich an Kundgebungen in den großen Städten und auch in mittelgroßen und kleineren kam es zu Protesten. Die Teilnehmer:innen zeigen sich vielfach empört über die Deportationspläne, die auf einem Treffen zwischen Mitgliedern der AfD, der Werteunion und Vertreter:innen rechtsextremer Gruppierungen diskutiert und durch eine Recherche Anfang Januar bekanntwurden. Diese Pläne machen deutlich, was die AfD vorhat, sollte sie an die Regierung kommen. Sie stellt ohne jeden Zweifel eine reale Bedrohung dar, insbesondere für rassistisch unterdrückte Menschen. Sollte man sie deshalb verbieten? Diese Frage wird seitdem vermehrt diskutiert.

Bürgerlich-demokratische Heuchelei

Zunächst ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass sich die Lage rassistisch unterdrückter Menschen bereits unter der regierenden Ampel-Koalition dramatisch verschlechtert hat. Während die AfD aufgrund ihrer Rolle als Oppositionspartei bisher nur davon träumen kann, Menschen massenweise abzuschieben, hat die Bundesregierung bereits vor einigen Wochen eine Abschiebeoffensive angekündigt. In diesem Zusammenhang hat sie das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz verabschiedet und die Repression gegenüber Geflüchteten massiv verschärft. Der Entscheidung vorausgegangen war eine monatelange Debatte, in der sowohl die regierenden Ampel-Parteien als auch die oppositionelle CDU/CSU das „Problem“ der „illegalen“ Migration immer weiter aufbauschten und der AfD damit in die Karten spielten. Sowohl die Ampel-Parteien wie auch die oppositionelle Union haben dadurch dem Rechtsruck und weiteren Aufstieg der AfD den Boden bereitet.

Nun aber, da die AfD in einigen ostdeutschen Bundesländern laut Umfragen stärkste Kraft zu werden droht, reihen sich diese Heuchler:innen in die Anti-AfD-Proteste ein und versuchen zugleich, sie für ihre eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Dementsprechend handelt es sich bei der Bewegung, die in den letzten Wochen auf der Straße war, um ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das von sehr unterschiedlichen politischen Kräften und gesellschaftlichen Schichten getragen wird. Die Frage, die dabei im Raum steht, ist die, wie die AfD wirksam bekämpft werden kann.

Verbieten oder bekämpfen?

Ein Vorschlag, der in letzter Zeit vermehrt diskutiert wird, ist der nach einem Verbot der Partei. Eine Online-Petition, die ein solches Verbot fordert, konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits hunderttausende Unterschriften sammeln. Die Befürworter:innen des Verbots beziehen sich dabei auf Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verfassungswidrig sind und daher verboten werden können.

Auch in linken Kreisen wird dieser Vorschlag vermehrt diskutiert. In der Zeitschrift „Analyse und Kritik“ argumentieren die Autor:innen des Artikels „Verboten faschistisch“, dass die Linke den Verbotsvorschlag aufgreifen und mit ihren eigenen Argumenten unterfüttern solle. Sie plädieren dafür, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit deren konkreter Politik zu begründen und nicht mit dem Hinweis darauf, dass diese „extremistisch“ sei. Dies ermögliche es der Linken, die Verbotsforderung gegenüber der AfD mit einer Kritik an anderen bürgerlichen Parteien und deren migrationsfeindlicher Politik zu verbinden und sich selbst aus der Schussbahn zu nehmen.

Es ist dabei keineswegs so, dass die Autor:innen das Verbot als Allheilmittel gegen Rechtsruck und Faschismus betrachten. Vielmehr begreifen sie es als eine Art Notwehrmaßnahme, um bestehende Handlungsspielräume für die eigene, linke Politik zu sichern. Laut den Autor:innen sei das Verbot der AfD derzeit „der einzige Vorschlag mit Hand und Fuß“ und daher unterstützenswert. Dem Einwand, dass sich eine solche Verbotsforderung auch gegen linke Organisationen richten könnte, messen sie gegenüber den Vorteilen eines Verbots weniger Gewicht bei.

Zwar sind auch die Autor:innen überzeugt, dass durch ein Verbot der AfD die rassistischen Einstellungen ihrer Anhänger:innen und Wähler:innen nicht einfach verschwinden würden, doch würde es „die politische Schlagkraft dieser Einstellungen durch parteipolitische Formierung, Sammlung und Finanzierung, einschränken.“

Von Böcken und Gärtnern: der bürgerliche Staat als antifaschistisches Bollwerk?

Allein: Bis zu einer Entscheidung über ein Verbot könnten Jahre vergehen. Es ist also keineswegs so, dass es, sollte es tatsächlich dazu kommen, kurzfristig den Aufstieg der Rechten stoppen könnte. Ein solches Verbot kann zudem nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung beantragt werden. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann beim Bundesverfassungsgericht. Der bürgerliche Staat wäre in dieser Strategie also der entscheidende Akteur, während die Bewegung gegen die AfD sich selbst in eine passive Rolle fügen würde. Der Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus würde dadurch an eine bürgerliche Institution delegiert, welche die gesellschaftlichen Bedingungen, die dem Aufstieg der Rechten zugrunde liegen, im Zweifelsfall mit Gewalt verteidigt.

Was eine solche Strategie zudem in Bezug auf die Dynamik der Bewegung bedeuten könnte, kann man am Beispiel des Volksentscheids in Berlin zur Frage der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. beobachten. Dort wurde die Bewegung für die Enteignung großer Immobilienkonzerne, die zwischenzeitlich massive Proteste organisierte, letztlich durch den Senat ausgebremst, der eine Entscheidung immer weiter hinauszögerte und der Bewegung damit den Wind aus den Segeln nahm. Zur Enteignung kam es dann trotz erfolgreichen Volksentscheids letztlich nicht – und die Bewegung erlahmte, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In Bezug auf das AfD-Verbot ergäben sich ähnliche Probleme. So ist es keinesfalls sicher, dass die AfD tatsächlich verboten würde, sollte es zu einem Verfahren gegen sie kommen. Zwar gibt es mit dem „Flügel“ um Björn Höcke eine einflussreiche Strömung innerhalb der Partei, die Verbindungen zu faschistischen Gruppierungen unterhält und auch vom sog. „Verfassungsschutz“ als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Doch ist die Partei als Ganze keineswegs faschistisch, wodurch ihr Verbot eher unwahrscheinlich erscheint.

Neben den geringen Erfolgsaussichten eines solchen Verbotsverfahrens und der Tatsache, dass sich Verbotsforderungen immer auch gegen linke Organisationen richten könnten, spricht vor allem dagegen, dass mit einem Verbot der Partei keineswegs die gesellschaftlichen Ursachen beseitigt würden, die den Aufstieg der AfD begünstigten. Ein erneuter Aufstieg der Rechten nach einem Verbot der Partei wäre wahrscheinlich, zumal die Krisen, die der Kapitalismus produziert, sich immer weiter zuspitzen. Dessen scheinen sich auch die Autor:innen des Artikels bewusst zu sein, wenn sie schreiben, dass ein Verbot der AfD der Linken lediglich eine Atempause verschaffen würde.

Über Ursachen und Strategien

Doch die entscheidende Frage, die sich daraus ergibt, stellen die Autor:innen erst gar nicht. Es ist die nach der strategischen Perspektive im Kampf gegen die AfD. Sie gilt es, zu diskutieren und praktisch zu beantworten. Hierfür muss man zuallererst die Ursachen ergründen, die den Aufstieg der AfD begünstigten.

Der Aufstieg der AfD und anderer rechter Kräfte steht in engem Zusammenhang mit der Krise der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ja ist selbst Ausdruck dieser krisenhaften Entwicklung. Fallende Profitraten und die Überakkumulationskrise des Kapitals führen zu einer Verschärfung der Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen wie zwischen den nationalen Gesamtkapitalen, die ihre Rivalität auf internationaler Bühne vermehrt mit kriegerischen Mitteln austragen. Die Verschärfung der Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt aber bilden den Nährboden für Rassismus, Militarismus, Populismus, Autoritarismus und faschistische Tendenzen.

Die Rechten verleihen dabei dem Unbehagen kleinbürgerlicher Schichten, die durch die verstärkte Konkurrenz zunehmend an die Wand gedrückt werden, einen politischen Ausdruck, stehen aber auch insgesamt für eine andere Strategie von Teilen der Bourgeoisie, die weniger exportorientiert sind und stärker auf Protektionismus setzen. Angesichts des Fehlens einer revolutionären Alternative wirkt die Demagogie der Rechten zugleich anziehend auf Teile der Arbeiter:innenklasse, die aufgrund von Krise und Inflation ebenfalls immer stärker unter Druck gerät.

Begreift man den Aufstieg der Rechten aber als ein Krisenphänomen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, wird klar, dass der Kampf dagegen in eine Gesamtstrategie zur revolutionären Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden muss. Die Linke darf somit den Kampf gegen Rechtsruck und Faschismus nicht isoliert betrachten und danach ausrichten, was unmittelbar als machbar erscheint, sondern muss ihn als integralen Bestandteil des internationalen Klassenkampfes begreifen und ihn mit den Kämpfen gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau verbinden.

Es greift hingegen zu kurz, im Kampf gegen die AfD zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie aufzurufen und die „Einheit aller Demokrat:innen“ zu beschwören. Zwar ist es richtig, demokratische Rechte zu verteidigen, doch darf eine Bewegung gegen den Rechtsruck vor einer Kritik an der bürgerlichen Demokratie nicht zurückschrecken. Das führt nur dazu, dass sich die AfD auch weiterhin als einzige Opposition zu den „Systemparteien“ positionieren kann.

Staat, Rechte, Klassenkampf

Verbot und Einheit der Demokrat:innen erlauben es der AfD und anderen, offen faschistischen Gruppierungen nicht nur, sich als Pseudoopposition darzustellen. Sie bilden zugleich auch eine politische Reserve für die herrschende Klasse, sollten neben der staatlichen Repression auch andere Mittel notwendig werden, um gegen Streiks und andere Widerstandsformen der Arbeiter:innenklasse vorzugehen. Daher wird jedes Verbot logischerweise immer inkonsequent bleiben müssen – und die „Vernetzung“ von extremer Rechter, AfD und (ehemaligen) Teilen der Union, wie sie bei den Enthüllungen von Korrektiv auch deutlich wurde, zeigt, dass Querverbindungen von Staat (inklusive Repressionsorganen), faschistischen und rechtsradikalen Kräften sowie „Wertkonservativen“ längst schon bestehen. Die krisenhafte Entwicklung der Gesellschaft wird dies weiter befördern.

Zweitens würde ein Verbot der AfD und anderer Rechter unwillkürlich nicht nur Illusionen in die Rolle des bürgerlichen Staates stärken, es würde vor allem auch dessen Machtmittel vergrößern. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn das Verbot nicht durch wachsende Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden sowie durch den Ausbau des Personals unterfüttert würde. In diesem Fall würde es nur auf dem Papier bestehen, wäre faktisch eine Fiktion. Würde es wirklich umgesetzt, so würde es zu einer Stärkung des repressiven Staatsapparates führen müssen, dessen Mittel „natürlich“ auch gegen alle anderen „Gefährder:innen“ „der Demokratie“ verwendet werden würden. Es würde also unwillkürlich die Tendenz zum Autoritarismus, zur Einschränkung demokratischer Rechte, deren Ursache selbst in der Krise und imperialistischen Konkurrenz liegt, zusätzlich stärken und legitimieren.

Drittens versetzt es die Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten in eine passive, rein abwartende Rolle, die durch die scheinbare und fiktive Einheit von Arbeiter:innenklasse und „demokratischer“ Bourgeoisie auch ideologisch untermauert wird. Die Verbotslosung (wie ein umgesetztes Verbot) stärkt letztlich das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates, also der herrschenden Klasse, auch wenn es sich auf den ersten Blick ausnahmsweise auch gegen rechts zu richten scheint.

In Wirklichkeit entwaffnet es die Arbeiter:innenklasse politisch-ideologisch und materiell bzw. verfestigt die bestehende ideelle Entwaffnung, indem die Gewerkschaften, linke Parteien und auch Teil der „radikalen“ Linken politisch hinter bürgerlichen Kräften hertraben (auch wenn diese bei den Demonstrant:innen nur eine Minderheit sind). In Wirklichkeit müssen Revolutionär:innen und alle klassenkämpferischen und internationalistischen Kräfte daran arbeiten, die klassenübergreifenden „Einheit der Demokrat:innen“ aufzubrechen. In der Verbotslosung bündelt sich gewissermaßen diese Einheit zu einem zentralen Ziel. Wenn die AfD und rechte Organisationen auch legal verboten werden können, wozu braucht es dann noch Selbstverteidigungsorgane der Unterdrückten und der Arbeiter:innenklasse? Wozu müssen faschistische Aufmärsche und Organisationen militant bekämpft werden, wenn der Staat sie ohnedies verbietet?

Arbeiter:inneneinheitsfront statt „Einheit der Demokrat:innen“

Statt die Einheit mit den selbsternannten „Demokrat:innen“ zu suchen, muss die radikale Linke für die Einheit der Arbeiter:innenklasse kämpfen. Hierzu muss sie Druck auf die reformistischen Organisationen ausüben und sich darum bemühen, die Gewerkschaft in den Kampf hineinzuziehen. Innerhalb dieser Bewegung muss die radikale Linke für Forderungen kämpfen, die auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse zielen, AfD, Nazis und staatlichen Rassismus bekämpfen! Zugleich muss sie in der Bewegung dafür argumentieren, dass dieser Kampf mit dem zur Überwindung des Kapitalismus und für die Errichtung der revolutionären Rätemacht des Proletariats verbunden werden muss.

So sollte die Linke innerhalb dieser Bewegung für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees eintreten, die von Migrant:innen, Flüchtlingen, Linken und Gewerkschaften getragen werden, anstatt sich an den bürgerlichen Staat zu wenden. Diese Selbstverteidigungsorgane sind mögliche Keimformen von zukünftigen Milizen der Arbeiter:innenklasse, Kampforgane nicht nur gegen die Rechten, sondern auch gegen jede Form der Repression. Ihre Propagierung und Errichtung stellt  eine Brücke zum Kampf um die Rätemacht dar, wenn wir den Faschismus nicht nur bekämpfen, sondern im globalen Maßstab tatsächlich besiegen wollen. Dies kann die Linke nur, wenn sie mit dem imperialistischen Weltsystem zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen für die autoritär-reaktionären Formierungen bekämpft, die derzeit in vielen Teilen der Welt auf dem Vormarsch sind. Kein bürgerlicher Staat der Welt kann uns diese Aufgabe abnehmen.

  • Nein zu allen rassistischen Gesetzen! Stopp aller Abschiebungen! Offene Grenzen und volle Staatsbürger:innenrechte für alle, die hier leben!

  • Nein zu allen Überwachungsmaßnahmen und zur Kriminalisierung von Migrant:innen und politischen Flüchtlingen!

  • AfD und Nazis organisiert entgegentreten! Gegen rechte Übergriffe und Angriffe: Selbstschutz von Migrant:innen und Gewerkschaften aufbauen!

  • Gemeinsamer Kampf gegen die gesellschaftlichen Wurzeln von Faschismus und Rassismus! Gemeinsamer Kampf gegen Inflation, Niedriglohn, Armut und Wohnungsnot!



Irland: Widerstand gegen die extreme Rechte

Bernie McAdam, Infomail 1243, 23. Januar 2024

Die jüngsten Ausschreitungen in Dublin haben ein neues Licht auf die Aktivitäten der aufstrebenden irischen Rechtsextremen geworfen. Nach einer Messerstecherei vor einer Dubliner Schule entwickelte sich ein rechtsextremer Protest gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, der durch rassistische Äußerungen in rechtsextremen Netzwerken in den sozialen Medien inszeniert wurde, zu einem Gefecht mit der irischen Polizei (Garda Siochána; Gardai). Es folgten Plünderungen und Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich eines Angriffs auf einen Busfahrer mit Migrationshintergrund, wobei viele Angehörige ethnischer Minderheiten im Stadtzentrum um ihre Sicherheit fürchteten.

Die Wahrheit über die Messerstecherei war so weit von den rassistischen Gerüchten entfernt wie nur möglich. Nicht ein algerischer Einwanderer war der Messerstecher, sondern ein Ire, der an einer psychischen Krankheit leidet. Tatsächlich kam Caio Benicio, ein brasilianischer Deliveroo-Fahrer, dem angegriffenen jungen Mädchen zu Hilfe und schlug den Angreifer mit seinem Motorradhelm zurück.

Diese Ausschreitungen finden vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf Flüchtlingslager und Schikanen gegen Bibliotheksmitarbeiter:innen im vergangenen Jahr statt. Mehrere flüchtlingsfeindliche Proteste haben sich vor Asylbewerber:innenheimen abgespielt, oft mit lokaler Unterstützung und Hassreden von bekannten rechtsextremen Aktivist:innen. Behelfsmäßige Lager wurden in Ashtown und zuletzt in der Sandwith Street in Dublin angegriffen, wo Zelte niedergebrannt wurden.

Parallel dazu wurden gewählte Vertreter:innen von Sinn Fein und People before Profit (PbP), die sich im Dail (Parlament) für die Rechte von Migrant:innen eingesetzt haben, angegriffen. In Leitrim wurde ein Brandanschlag auf das Haus von Martin Kenny, Abgeordneter von Sinn Fein, verübt, und Paul Murphy, Abgeordneter von PbP, wurde von rechtsextremen Schläger:innen körperlich angegriffen und sein Haus mit Posten umzingelt. Auch gegen Mick Barry, Deputierter der PbP-Solidarität, wurde ein Anschlag auf sein Büro verübt.

Bibliotheken wurden von rechtsextremen Schläger:innen versperrt und gestürmt, wobei auch Bibliotheksmitarbeiter:innen schikaniert wurden. All dies, um die Bereitstellung von LGBTIA+-Lesematerial, Drag-Events und „pornografischen“ Büchern zu verhindern. Die Mahnwache in der Stadtbibliothek von Cork im Juli wurde von Ireland First organisiert, der jüngsten rechtsextremen Partei in Irland. Die Irish Freedom Party und die National Party sind die beiden anderen großen Gruppen im rechtsextremen Spektrum.

Angriffe auf Migrant:innen

In Irland sind erst in jüngster Zeit rechtsextreme Gruppierungen entstanden, die zwar noch klein sind, aber eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen entwickeln. Der Aufstieg des Rechtspopulismus auf internationaler Ebene, insbesondere die Wahl von Trump, hat der irischen extremen Rechten zunächst Auftrieb gegeben. Die Alarmglocken begannen zu läuten, als der rechte Präsidentschaftskandidat Peter Casey, der behauptete, dass die nichtsesshafte Gruppe der Traveller (Fahrende) „im Grunde genommen Menschen sind, die in fremdem Land campieren“, 2018 den zweiten Platz belegte. Der Rassismus gegen Traveller bildete in der Vergangenheit einen Schwerpunkt der Diskriminierung in Irland.

In den letzten 20 Jahren gab es in Irland zahlreiche Kämpfe und Massenkampagnen, die darauf abzielten, die Regierungspolitik und reaktionäre Sozialgesetze zurückzudrängen. Dies reichte von Bewegungen gegen Müllgebühren, Haushalts- und Grundsteuerabgaben bis hin zu den erfolgreichen Massenmobilisierungen gegen Wassergebühren. Hinzu kamen die siegreichen Ergebnisse der Volksabstimmungen, die die Gleichstellung der Ehe und die Aufhebung des achten Zusatzartikels, was die Abtreibungsrechte verbesserte, sicherstellten.

Eine Gegenreaktion gegen diese Bewegungen war immer zu erwarten. Insbesondere die katholische Kirche war von den Ergebnissen des Referendums erschüttert. Kein Wunder, dass die aufkommende extreme Rechte sich gerne mit unzufriedenen Menschen verband, die einen traditionellen katholischen Standpunkt vertraten, der in der Ablehnung von LGBTIA+-Rechten und der Feindseligkeit gegenüber dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung verwurzelt war.

Das Hauptziel der Rechtsextremist:innen waren jedoch immer Migrant:innen und Flüchtlinge. Obwohl ihre Stimmen gering waren, fühlten sich die Rechtsextremen selbstbewusst genug, um in den letzten fünf Jahren bei einer Reihe von Wahlen anzutreten, als die Proteste gegen Flüchtlinge zunahmen. Sie begannen, aus einwanderungsfeindlichen Vorurteilen Kapital zu schlagen.

Es folgte die COVID-Krise, bei der faschistische Aktivist:innen auf Verschwörungstheorien und Proteste gegen Lockdowns und Impfen setzten. Aber es war die Aufnahme von 70.000 ukrainischen Flüchtlingen durch die irische Regierung im Jahr 2022, die die extreme Rechte auf den Plan rief.

Die irische Regierung beschloss, so viele ukrainische Flüchtlinge wie möglich in Hotels, leerstehenden Gebäuden usw. unterzubringen, aber alle anderen Flüchtlinge mussten sich selbst versorgen. Dies führte zu Obdachlosenlagern und etwa 500 Flüchtlingen, die auf der Straße leben. Das hat diese Lager zu leichten Zielen für die Faschist:innen gemacht. Nicht nur Obdachlosenlager, sondern auch Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, bildeten die Angriffspunkte.

Die Krise wurde noch verschärft, als die Regierung im März ankündigte, dass Hotelverträge zur Unterbringung von Flüchtlingen gekündigt würden, da sich die Hotelbetreiber:innen der Touristensaison näherten. In einem Land, in dem bereits 250.000 Wohnungen fehlen und ein Mangel an erschwinglichen Miet- und Kaufobjekten herrscht, fanden rechtsextreme Demagog:innen leider auch in einigen Arbeiter:innengemeinden Gehör. Die Vernachlässigung der Wohnungskrise durch die irische Regierung und ihre diskriminierende Politik haben diesem Anstieg des Rassismus Vorschub geleistet.

Wie man die extreme Rechte stoppen kann

In Irland kam es in letzter Zeit zu Massenbewegungen und einem fortschrittlichen sozialen Wandel, was jedoch kaum auf das Eingreifen von Gewerkschaften zurückzuführen ist. Die irische Arbeiter:innenklasse ist durch Angriffe auf ihren Lebensstandard in Bedrängnis geraten.

Jahrelange Sparmaßnahmen, die Auswirkungen von Covid, ein marodes Gesundheitswesen und eine chronische Wohnungskrise haben die Arbeiter:innenklasse schwer getroffen. Aber die Gewerkschaftsführung hat diesen Zustand nicht in Frage gestellt. Sie macht sich sogar mitschuldig an den Angriffen der Regierung, indem sie ihre Mitglieder durch die Unterzeichnung von Sozialpartnerschaftsabkommen zügelt.

Wenn die organisierte Arbeiter:innenklasse über ihre Gewerkschaften weiterhin untätig bleibt, können wir mit einer stärkeren Bedrohung von rechts rechnen. Die Selbstgefälligkeit der Bürokrat:innen in Bezug auf die Vertretung ihrer Arbeiter:innen wird durch ihre katzbuckelnde Nutzlosigkeit angesichts der rassistischen Angriffe auf Wanderarbeiter:innen ergänzt.

Der Irische Gewerkschaftskongress (ICTU) organisierte als Reaktion auf die Ausschreitungen eine kleine Mittagskundgebung, bei der ICTU-Generalsekretär Owen Reidy von „unserer wunderbaren Polizei“ sprach. Dies ist eine völlig unangemessene Reaktion, die die Realität auf den Kopf stellt. Genauso wenig wie die Behauptung von Mary Lou McDonald von Sinn Fein, dass die Regierung und der Kommissar es versäumt hätten, die Gardai richtig auszustatten. Die Gardai, die eine sehr weiche und ineffektive Haltung gegenüber dem randalierenden Mob eingenommen hat, wird weder Migrant:innen noch irgendeine andere Gruppe von Arbeiter:innen im Kampf verteidigen!

Es hat wichtige Mobilisierungen gegen die Rechte gegeben, von der Linken, die geholfen hat, das Camp in der Sandwith Street zu verteidigen, bis zu den Zehntausenden, die letztes Jahr bei der „Irland für alle“-Demonstration gegen den zunehmenden Rassismus mitmarschiert sind. Die jüngste Zunahme der „For All“-Kampagnen könnte durchaus als Katalysator für eine koordinierte antirassistische und antifaschistische Einheitsfront wirken.

Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Einheitsfront von linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse, die Flüchtlinge angemessen verteidigen und faschistische Angriffe zerschlagen kann. Eine ermutigte extreme Rechte wird nicht vor Flüchtlingen Halt machen, wie wir bereits bei der Einschüchterung linker Abgeordneter gesehen haben. Das Wachstum des Faschismus wird von seiner Fähigkeit abhängen, die Straßen zu kontrollieren, als eine effektive Straßenkampftruppe. Mit faschistischem Terror kann man nicht argumentieren, aber man kann ihn physisch stoppen. Organisierte Selbstverteidigung ist eine Notwendigkeit und muss ernsthaft aufgebaut werden.

Zugleich müssen reale Problem wie die Wohnungskrise angegangen werden. Zu lange hat die Regierung die Interessen des multinationalen Großkapitals, der Immobilienentwickler:innen und der abwesenden Vermieter :innen geschützt. Wir müssen Sofortmaßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen fordern, indem wir leerstehende Gewerbe- und Unternehmensimmobilien nutzen.

Wir brauchen ein massives Sofortprogramm für gesellschaftlich nützliche öffentliche Arbeiten, um Vollbeschäftigung zu schaffen und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu entwickeln. Die Arbeiter:innenklasse sollte an der Ausarbeitung einer Anhörung zu den sozialen Bedürfnissen beteiligt werden, die sich mit Fragen wie dem chronischen Wohnungsmangel, dem heruntergekommenen Wohnungsbestand und dem Aufbau eines öffentlich finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes mit gleichberechtigtem Zugang befasst.

Diese öffentlichen Arbeiten sollten Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Ein massives Wohnungsbauprogramm würde einen Teil dieses Plans bilden und, wie der Rest des Programms, durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden. Ein solcher Schritt würde den Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eröffnen, in der für den Bedarf und nicht für die kapitalistische Gier produziert würde!

Der Faschismus ist ein Produkt des kapitalistischen Zerfalls. Bürgerliche „demokratische“ Regierungen fördern das Wachstum des Faschismus durch ihre Unfähigkeit, die Probleme des krisengeschüttelten Kapitalismus zu lösen. In ähnlicher Weise kann das Fehlen einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus das Wachstum der extremen Rechten nur fördern. Eine solche revolutionäre Alternative, die sich auf ein Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse stützt, muss jetzt aufgebaut werden, damit sie Faschismus und Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann!




Halle: 4. Jahrestag des faschistischen und antisemitischen Terrorangriffs – Kein Vergeben, kein Vergessen!

Leonie Schmidt, ursprünglich veröffentlicht auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1233, 9. Oktober 2023

Antisemitismus, Mord, Rassismus

Am 9.10.2019 griff der bewaffnete Nazi B. erst eine Synagoge an, in welcher sich ca. 50 Personen befanden, wofür er sich den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur aussuchte. Da aber die Türen der Synagoge glücklicherweise gegen sein Eindringen standhielten, zog er weiter, um letztendlich zwei scheinbar wahllos ausgesuchte Personen auf offener Straße und in einem Dönerladen zu erschießen. Neben einigen Schusswaffen und scharfer Munition hatte der Nazi auch vier Kilo Sprengstoff in sein Auto geladen und zudem eine Kampfmontur aus einem Stahlhelm, einer schusssicheren Weste sowie einer Art „Uniform“. Letztendlich wurde er nach einer stundenlangen Verfolgungsjagd von der Polizei gestellt und verhaftet.

Motiv & Hintergründe

Ursprünglich wollte der Täter wohl ein linkes Zentrum angreifen, hatte sich jedoch anders entschieden und sich laut seinem eigenen wirren Manifest vom Attentäter in Christchurch (Neuseeland) inspirieren lassen, wenngleich dieser Moscheen angriff. Auch der Attentäter von Halle überlegte wohl zuerst, eine Moschee anzugreifen, da laut seinem faschistischen Weltbild Muslim:innen schlimmer als Linke seien. Entsprechend seiner Ideologie wählte er dann aber aus einem antisemitischen Motiv heraus eine Synagoge, da er den Islam nur als Symptom und nicht als Ursache seines eigenen Elends ansehen würde. Da die Person, die er auf offener Straße erschoss, eine Frau war, kann auch vermutet werden, dass ein Motiv hier Frauenhass und Antifeminismus gewesen sein könnte, da er in seinem Manifest auch den Feminismus zu seinem Feind erklärte. Das wurde jedoch nicht im Abschlussbericht der Bundesregierung zur Tat vermerkt, wenngleich Frauenhass ein gängiger Bestandteil rechtsradikaler Ideologien ist. Im Gerichtsverfahren erklärte der Täter, Jana L. habe ihn beleidigt und da er seine Tat auf Twitch livestreamte, rechtfertigte er den Mord damit, dass er nicht von seinen Zuschauer:innen ausgelacht werden wollte. Das Mordopfer Kevin S., welches er im Dönerladen erschoss, habe er aufgrund seiner Haarfarbe für einen Muslim gehalten, wie er vor Gericht darlegte. Des Weiteren sagte er im Gerichtsprozess aus, dass er nicht wollte, dass weiße Menschen sterben, er es insofern bedauere und breitete seine rechtsextreme Gesinnung für alle hörbar aus. Das alles untermauert nur das perfide Weltbild des Täters, welches die ideologische Basis für sein Verbrechen bildete. Es darf nicht unbeachtet gelassen werden, dass er definitiv versuchte, mehr Personen zu ermorden, was ihm aber glücklicherweise nicht gelang.

Radikalisierung bei der Bundeswehr und im Internet

Der Täter wurde im Grundwehrdienst 2010 – 2011 an der Waffe ausgebildet. Aussagen im Prozess zufolge habe er bereits da das Wort „Jude“ als Schimpfwort verwendet, was in der Truppe so üblich gewesen sei. Immer wieder verschwinden Waffen bei der Bundeswehr, werden rechte Netzwerke aufgedeckt. Dass es sich hier um keinen Einzelfall, sondern mindestens um staatlich geduldeten Rechtsextremismus handelt, muss uns klar sein.

Darüber hinaus radikalisierte sich B. in diversen Internetforen, wo er Hitlers „Mein Kampf“, antisemitische Propaganda und gewaltvolle Mordvideos des IS downloadete. Dort chattete er mit anderen Männern, die ähnlich wie er sozial isoliert waren und sein rechtsradikales Weltbild teilten. So konnten sie sich gegenseitig in ihrer menschenverachtenden Ideologie bestärken und bekamen Anerkennung von Gleichgesinnten, was sie immer weiter radikalisieren konnte. Auch hier ähnelt B. dem Attentäter von Christchurch. Dieser hatte sich ebenfalls in einschlägigen Internetforen herumgetrieben und mit anderen Rechtsradikalen connectet.

Das Versagen der Polizei

Wie immer hat sich die Polizei nicht mit Ruhm bekleckert. Dass es, wenn es um Rechtsradikalismus geht, immer wieder passiert, dass den staatlichen Behörden sehr grobe Fehler unterlaufen, kann wahrlich kein Zufall sein, wie wir schon seit dem NSU-Komplex und dem Attentat in Hanau ahnen können. In Halle war das erste Problem, dass die Polizei nicht die Sorge der jüdischen Community vor Angriffen ernst nahm. Diese hatte seit Jahren die Polizei um Schutz an jüdischen Feiertagen für die Synagogen gebeten, war jedoch in ihrer Sorge ignoriert worden. Wie spätestens am 9.10.19 zu sehen war, eine mehr als berechtigte Sorge. Auch vor dem Gerichtsprozess gegen B. kam es wieder vermehrt zu Angriffen und Einschüchterungsversuchen gegen die hallesche jüdische Gemeinde. Am Tag der Tat musste sich der Rabbiner, der die Polizei nach den Schüssen auf die Synagoge anrief, erst unnötigen, zeitverzögernden Fragen stellen, bevor er überhaupt zur Notrufzentrale durchgestellt wurde. Zusätzlich kritisiert wurde das Verhalten der Polizei gegenüber den Juden und Jüdinnen, die sich zum Tatzeitpunkt in der Synagoge aufgehalten hatten. Bei der Vernehmung waren die Beamt:innen empathie- und insbesondre ahnungslos hinsichtlich der jüdischen Religion, erklärten den Betroffenen nicht, was überhaupt passiert war, und hefteten den evakuierten Juden und Jüdinnen Zettel mit Nummern an, was einige von ihnen an die NS-Zeit erinnerte. Das ist natürlich ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen, welche gerade so um Haaresbreite dem antisemitischen Mordanschlag des Täters entkommen konnten.

Des Weiteren unterliefen Fehler beim Sichern von Beweismitteln: So konnte die Polizei nicht alle Onlineaktivitäten in einem Bilderforum von B. vor der Löschung am 11.10.19 sichern, welche von einem Moderator beseitigt wurden. Das inkludiert auch die Interaktion mit anderen Teilnehmer:innen des Forums sowie Verweise auf sein Manifest und Waffenbauanleitungen. Die Löschung wirft außerdem die Frage auf, welche Verbindungen durch den Moderator vertuscht werden sollten. Immerhin ging die Polizei anfangs nicht von einem Einzeltäter aus. So durchsuchte sie am 14.10.19 eine Wohnung in Mönchengladbach, von welcher IP-Adresse aus B.s Manifest zeitnah zum Anschlag hochgeladen worden war. Die Bewohner bestritten jedoch, B. gekannt und etwas vom Anschlag gewusst zu haben. Auch das Überprüfen der Gaming-Kontakte als Bestandteil von B.s Ideologie und seiner Radikalisierung wurde von der Polizei unzureichend durchgeführt. B. hatte mehrere Steam-Accounts und spielte Egoshooter. Der Verfassungsschutz teilte mit, in seiner Kontaktliste wären weitere Ermittlungsansätze vorhanden, welche aber nicht weiterverfolgt wurden. Des Weiteren wurde für die Auswertung des Steam-Accounts eine Beamtin eingesetzt, die angab, wenig Ahnung von den Mechanismen der Plattform gehabt zu haben.

Die Gefahr ist nicht gebannt

Nach langwierigem Gerichtsprozess wurde B. im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Sicherheitsverwahrung verurteilt. Doch gelöst hat er sich von seiner Ideologie und Gewaltbereitschaft natürlich nicht. Das zeigen auch die Geschehnisse in seiner Haftzeit. So versuchte er mehrmals zu flüchten: einmal 2020, indem er einen Hofbesuch zum Überqueren einer Mauer nutzte, nachdem die JVA eigenmächtig seine Sicherheitsmaßnahme heruntergefahren hatte, und einmal, indem er im Dezember 2022 zwei JVA-Beamte mit einer selbstgebauten Waffe über Stunden als Geisel nahm. Danach wurde er in ein Gefängnis in Bayern verlegt, welches auf besonders schwerwiegende Straftäter spezialisiert ist.

Des Weiteren wurden in seiner Zelle Briefe von polizeibekannten Nazis sowie von einer 20-jährigen Kriminalkommissarin aus Dessau-Roßlau gefunden. Diese war aufgefallen, nachdem sie sich gegenüber einem Kollegen positiv auf B.s Taten und Weltanschauung bezog.

Wir können also sehen: Nur weil der Täter im Gefängnis ist, ist die Gefahr nicht gebannt. Er konnte weiterhin seine Kontakte zu anderen Rechtsradikalen aufrechterhalten und so in seiner Ideologie und Tat weiterhin bestärkt werden. Auch sind in Sachsen-Anhalt weiterhin Naziterrornetzwerke aktiv, so zum Beispiel das aus Großbritannien stammende Netzwerk „Blood and Honour“. Auch die Identitäre Bewegung (IB), deren österreichischer Anführer Martin Sellner mit dem Attentäter von Christchurch in Kontakt stand, hatte bis vor einigen Jahren noch ihr Hausprojekt in der Nähe des Steintor Campus in Halle, wo sie mit Propaganda gegenüber Studierenden, Einschüchterungen in der Mensa und einem Angriff auf Zivilpolizisten auffielen. Hier hatte auch der AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro, obwohl die AfD offiziell eine Unvereinbarkeitserklärung mit der IB hat.

Hier kommen wir auch zu des Pudels Kern: Die Tat von Halle darf nicht als einzelne gewertet werden, sie muss im Kontext von erneuter Zunahme von Naziterror in Deutschland verstanden werden, auch wenn nach wie vor nicht bekannt ist, welche Netzwerke den Täter bei seinem Vorhaben eventuell unterstützt haben könnten. Ob Halle, Hanau oder München: Diese Taten nehmen zu. Auch 4 Jahre später finden wir uns in einer Gesellschaft, welche noch weiter nach rechts gerückt ist, wie wir an den hohen Stimmenprozenten für die AfD sehen, aber auch an der Teilhabe der Grünen an rassistischer Geflüchtetenpolitik. Dementsprechend können wir auch kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat haben, in welchem rechtsextreme Strukturen zum Alltag gehören. Denn dieser bürgerliche Staat als ideeller Gesamtvertreter der Kapitalist:innenklasse gehört zum Produzenten des Rechtsrucks. Rechte Ideologien und Faschismus sind Produkte der kapitalistischen Produktionsweise und gewinnen häufig nach und während Krisen kräftig an Zulauf. Der Rechtsruck entstand im Zuge der Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und wurde ursprünglich von Mittelschichten, v. a. dem Kleinbürger:innentum, getragen, welche sich davor fürchten, in die Arbeiter:innenklasse abzusteigen, da sie in der Krise nicht mehr mit den Großkonzernen mithalten können. Aber auch die desillusionierte und ebenfalls von der Krise geschüttelte Arbeiter:innenklasse war empfänglich für rechte Propaganda. So war es den rechten Akteur:innen möglich, ein Feindbild zu schaffen, welches zu begründen versuchte, warum es der Arbeiter:innenklasse so schlecht geht, obwohl der reale Grund in der Krise selbst und dem Umgang damit lag: beispielsweise Kürzungen im Sozialbereich, Entlassungen, der Agenda 2010 inkl. Leih- und Zeitarbeit, Privatisierungen, der Schuldenbremse usw. Heute nimmt die kapitalistische Krise erneut an Fahrt auf und ist alles andere als gebannt. Daher ist klar: Wenn wir den Faschismus schlagen wollen, wenn sein Terror der Vergangenheit angehören soll, dann müssen wir auch den Kapitalismus zerschlagen! Dafür müssen wir linke Antworten auf die Krisen unserer Zeit finden und populär machen.

Widerstand und Selbstschutz

Was wir gegen den Rechtsruck im Allgemeinen und gegen faschistischen Terror im Besonderen brauchen, ist eine bundesweit gut vernetzte und lokal verankerte Bündnisstruktur aus allen linken und Organisationen der Arbeiter:innenklasse. Unabhängig von inhaltlichen Differenzen muss eine solche Einheitsfront gemeinsam und massenhaft Widerstand auf allen Ebenen organisieren, auch durch militante Selbstverteidigungsstrukturen. Auf den Staat und seine Behörden, wie Polizei oder Verfassungsschutz, ist dabei kein Verlass. Im Gegenteil, diese sind selbst von faschistischen Netzwerken durchzogen.

  • Kampf dem Rassismus und Antisemitismus auf allen Ebenen!

  • Für massenhafte gemeinsame Aktionen der gesamten Linken und der Arbeiter:innenbewegung!

  • Kein Vertrauen in staatliche Behörden! Zerschlagt die faschistischen Netzwerke selbst und organisiert militante Selbstschutzstrukturen!



Wir sind alle linx: Rechte und staatliche Gewalt gemeinsam stoppen!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1224, 5. Juni 2023

Am Mittwoch, dem 31. Mai, wurde die Antifaschistin Lina E. zu mehr als 5 Jahren Haft verurteilt. Weitere Angeklagte erhielten mehrjährige Haftstrafen. Das Urteil ist ein Hohn, der Prozess ein politischer Schauprozess. Er soll mahnen und zeigen, wer hier die Oberhand hat und was passiert, wenn man sich gegen die politische Rechte in Deutschland wehrt. Ähnlich rabiat wurde mit den Solidaritätsprotesten verfahren: Die Versammlungsfreiheit wurde einfach mal so eingeschränkt. Hunderte wurden gekesselt und werden nun des schweren Landfriedensbruchs beschuldigt. Handys wurden eingesackt und obendrauf gab’s noch Polizeigewalt und Repression, die nicht für alle kostenlos sein wird.

Die Frage der Selbstjustiz

Unter dem Hashtag #LinaE wurde tausendfach getwittert. Ganz vorne mit dabei: Liberale und Bürgerliche wie Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP, die uns erklären wollen, dass rechte Gewalt ja schlimm ist, die „Selbstjustiz“ von Lina aber gar nicht gehe. Und da sind dann eben solche Urteile gerecht. Dass die Verurteilung wesentlich auf der sog. „Kronzeugenregelung“ basiert, die weniger der „Wahrheitsfindung“ dient, wohl aber Denunziation durch Interessen geleitete und zweifelhafte Aussagen fördert, findet keine Erwähnung. Dass bei der Indizienlage das Prinzip „Im Zweifel für die Angeklagte“ keine große Rolle gespielt hat, wird halt unter den Tisch gekehrt. Im Verfahren reicht es mitunter, eine „weibliche“ Stimme zu haben, um als Täterin identifiziert zu werden.

Doch darüber hinaus stößt etwas auf. Man möchte in die unendlichen Weiten des Internets schreien, dass es alle Buchstaben durcheinanderwirbelt: Wer von Selbstjustiz gegen Faschist:innen redet, aber von rechter Gewalt sowie dem Unwillen des deutschen Staates, diese zu verurteilen, schweigt, sollte einfach mal die Fresse halten.

Was geschah, als der NSU mehr als 10 Menschen ermordet hat? Was war, als vor 2 Jahren der Faschist einen Journalisten angegriffen hat? Was passierte in Hanau? Das war rechte Selbstjustiz und der Spruch im Kopf hallt: „Wo, wo, wo wart ihr in Rostock? Wo, wo, wo wart ihr in Hanau?“

Wer also über Linas Selbstjustiz redet, aber sonst über rechte Gewalt schweigt, der macht klar, dass migrantische Leben weniger wert sind. Macht klar, dass die Wohnungslosen, die angezündet wurden, halt einfach Kollateralschäden sind. Wer glaubt, dass „linke“ Gewalt schlimmer ist als rechte, legitimiert Gewalt und Tod von uns, die wir nicht ins Weltbild der Faschist:innen passen. Und es ist auch irgendwo klar, warum gegen Lina E. gehetzt wird. Denn wer sich gegen rassistische Gewalt wehrt, wehrt sich irgendwann auch gegen die, die der bürgerliche Staat tagtäglich in Form von Abschiebungen, Arbeitsverboten, Racial Profiling und Armut ausübt. Und wo würden wir da nur hinkommen, wenn man aufhören würde, in Hufeisenform zu denken? Man würde sehr schnell zur Erkenntnis gelangen, dass der bürgerliche Staat schlichtweg wenig Interesse hat, rassistische Morde und rechte Gewalt zu bekämpfen – weil er selber Rassismus reproduziert.

Antifa ist Handarbeit: Was braucht es?

Nein, die Perspektive sollte nicht sein, dass wir alle in den Baumarkt rennen und Hämmer kaufen. Sie kann auch nicht darin bestehen, dass für jede weitere Haftstrafe, die im Zusammenhang mit den Tag-X-Protesten verhängt wird, noch mehr Sachschäden verursacht werden. Das hilft nicht gegen die rechte Gewalt und auch nicht gegenüber der Ohnmacht, die viele von uns erleben. Die Wut in Bahnen lenken, heißt, sich aktiv Gedanken zu machen, wie wir eine gesamtgesellschaftliche, eine Klassenperspektive aufwerfen können gegenüber Faschist:innen und staatlicher Gewalt.

Wenn wir schlagkräftig auftreten wollen, dann reicht es nicht nur, wenn diejenigen stellvertretend handeln, die sportlich, kräftig und mutig genug sind, Rechte in ihre Schranken zu weisen. Unsere Aufgabe muss es sein, demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees aufzubauen, die flächendeckend agieren können. Das ist nur möglich, wenn es mit Rückhalt von breiteren Teilen der Bevölkerung – und das heißt vor allem der Lohnarbeiter:innen – passiert. Denn Einzelaktivist:innen, die machen natürlich einen Unterschied, können aber auf Dauer kein gesellschaftliches Kräftemessen gewinnen. Denn man muss ja nicht nur gegen Rechte, sondern auch gegen den bürgerlichen Staat kämpfen. Und vor allem heißt Antifaschismus und -rassismus, die Ursachen zu bekämpfen, die sie immer wieder hervorbringen.

Deswegen müssen wir uns fragen: Wie kommen wir aus der Situation der Schwäche, wo rechte Positionen spätestens seit 2015 salonfähig sind, heraus? Wie können wir die Debatte umdrehen und aus der Defensive kommen?

Perspektive: 2 Kampagnen, ein Weg

Die Kunst liegt darin, Forderungen aufzustellen, die eine/n aus der Defensive bringen und gleichzeitig unterschiedliche Kämpfe miteinander verbinden. Das bedeutet leider auch, dass man sich anschauen muss, was die aktuelle politische Lage prägt. Ich hätte gerne eine Kampagne für offene Grenzen, Staatsbürger:innenrechte für alle und Selbstverteidigungskomitees, weil dies schon mehr als notwendig ist, als es 2014/2015 war, als die Proteste gegen die Festung Europa und gegen die AfD noch Zehntausende auf die Straße gebracht haben, aber in Chemnitz Menschen von Faschist:innen gejagt wurden. Ich hätte sie gerne, denn ich bin mit den Schulstreiks gegen Rassismus politisiert worden, die in Solidarität mit den Geflüchteten des Oranienplatzes in Berlin oder der Gerhart-Hauptmann-Schule stattfanden. Doch die politische Lage ist vom Rechtsruck geprägt, aber nicht nur durch die zunehmende rechte Gewalt oder innere Militarisierung, sondern die Inflation und den Krieg. Aber was heißt das in der Praxis?

1. Kampf gegen Krise ist ein Kampf für uns alle

Entgegen manch populistischer Ansichten muss, ja darf man Antirassismus nicht aussparen oder gar explizit chauvinistische Hetze betreiben, um Leute für eine Bewegung zu begeistern. Für höhere Löhne, gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen – all das geht, ohne bei der AfD fischen gehen zu müssen. Auf der anderen Seite darf man aber auch keine Angst haben und erst gar nicht zu Aktionen gehen, weil ja Rechte da sein könnten. Rechtspopulist:innen und Faschist:innen kann man aus Demos schmeißen und damit klar Stellung beziehen.

Darüber hinaus müssen wir beim Aufbau einer Antikriegs- und -krisenbewegung klar Stellung beziehen: Offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte sollten nicht nur für ukrainische Geflüchtete gelten, sondern für alle, die fliehen müssen. Sei es, weil Kriege Länder verwüsten oder die Inflation die Preise so hoch schießen lässt, dass man sich nichts mehr zu essen kaufen kann, oder seien es andere Gründe zu fliehen. Wir ziehen keine Trennlinie. Auch nicht im Kampf dafür, dass Löhne an die Inflation angepasst werden sollten. Bei Streiks oder sonstigen Protesten gegen die Inflation müssen wir dafür eintreten, dass Geflüchtete in die Gewerkschaft eintreten können, von unseren Kämpfen profitieren – und auch als Aktivist:innen eingebunden werden können. Nur wenn wir so gemeinsame Kämpfe schaffen mit den Beschäftigten, Aktivist:innen und Geflüchteten können wir existierende Vorurteile abbauen. Dabei machen es Klimaaktivist:innen vor, die zu den Beschäftigten in Betriebe gehen und das Gespräch suchen. Denn im Rahmen von solchen Bewegungen können Vollversammlungen an Schulen, Unis und in Betrieben stattfinden, wo wir in Debatten gemeinsam Verbindungen eingehen können.

Darüber hinaus muss die Linke in Deutschland sich einer weiteren Frage annehmen:

2. Gemeinsamer Kampf für demokratische Rechte

Was haben die Letzte Generation, Lina E. und die Palästinaproteste gemeinsam? Sie alle sind einer medialen Hetzkampagne sowie staatlicher Repression ausgesetzt worden. Die sonst so hochgelobten demokratischen Grundrechte wurden eingeschränkt. Man möchte fragen: Und das ist die angebliche Freiheit des Westens, die in Kiew verteidigt wird? Die Freiheit, die Klimaaktivist:innen in Präventivhaft schickt und in der Münchner Innenstadt das Mitführen von Sekundenklebern verbietet? Die Freiheit, die Antifaschist:innen zu 5 Jahren verurteilt, während Mithelfer:innen beim NSU, die mehrere Menschen ermordet haben, weniger bekommen haben? Die Freiheit, die einfach mal Tausend Menschen für rund 11 Stunden kesselt und versucht, politische Äußerungen zu unterbinden?

Da wird klar: Tolle Freiheit, aber definitiv nicht unsere. Denn ob beim Kampf gegen Umweltzerstörung, Faschismus oder die Interessen des deutschen Imperialismus: Sobald die eigene Ansicht nicht mehr deckungsgleich mit der des bürgerlichen Staats ist, kann es für Aktvist:innen unbequem werden. Das bedeutet für die Praxis: Die Verteidigung demokratischer Grundrechte wie das Demonstrations- und Versammlungsrecht – oder im Falle der EVG das zu streiken – wird in Zukunft eine größere und bedeutendere Rolle einnehmen. Und das heißt eben auch, dass man zwar auf Gerichtsurteile warten kann – aber viel Hoffnung sollte nicht reingesteckt werden, sondern vielmehr in den Willen, dass es auch Momente gibt, in denen sich Organisationen zusammenschließen und absprechen müssen, um gewisse Grundrechte praktisch durchzusetzen.

Organisation statt Einzelkampf

Antifaschismus, Antirassismus und Antikapitalismus können nur erfolgreich sein, wenn sie Hand in Hand gehen. Das heißt: Einzelkampagnen sind sinnvoll, um zu versuchen mehr Menschen zu erreichen und die Kräfte für ein Ziel zu bündeln, aber letzten Endes braucht es eine Organisation, die nicht nur unterschiedliche Kampagnen organisiert und dadurch miteinander verbindet, dass man Kampagne X bei Kampagne Y vorstellt und sich dann dafür feiert. Doof in Zeiten der Krise der Linkspartei und der radikalen Linken. Viele, die in den letzten Jahren aktiv gewesen sind, haben eher das Gefühl bekommen, dass alles wegbricht (weil auch alles ein bisschen eingebrochen ist). Statt also zu sagen, dass es weitergehen muss wie bisher (vielleicht mit ein bisschen mehr Methoden wie Mapping oder mit weniger Inhalt, um sich nicht noch mehr zu streiten), braucht es innerhalb der Linken eine politische und inhaltliche Diskussion darüber, was revolutionäre Klassenpolitik, revolutionäres Programm, revolutionäre Organisation heute bedeuten und wie wir sie konzipieren und aufbauen können. Es braucht, Mut neue Wege auszuprobieren, anstatt alte Fehler zu wiederholen. Ansonsten fehlt die Kraft, obige Bewegungen zu schaffen und mehr Teile der Bevölkerung anzusprechen.  Denn sowas fällt nicht vom Himmel oder passiert zur „richtigen Zeit“ von alleine, sondern wird auch durch Organisationen vorangetrieben und aufgebaut. Passiert das nicht, bleiben Wut und Ohnmacht zurück – und ein Staat, der voranschreitet, seine Meinung durchzusetzen, sowie eine Rechte, die immer aggressiver wird. Also lasst uns gemeinsam vorwärtsgehen!




Faschist:innen blockieren: Gemeinsam gegen die Naziaufmärsche in Dresden!

REVOLUTION, Aus: Widerworte #2, antikapitalistische Schüler:innenzeitung, Januar 2023, Infomail 1213, 10. Februar 2023

Auch 2023 finden vom 10. – 13.2. wieder die alljährlichen rechtsextremen Proteste in Dresden statt, die das Thema der Bombardierung dieser Stadt im 2. Weltkrieg für sich instrumentalisieren. Hierbei betreiben die Nazis offenen Geschichtsrevisionismus und nennen die Bombardierung Dresdens „den Bombenholocaust“, der 250.000 Opfer gefordert haben soll, so zumindest laut Fronttransparent vom letzten Jahr. Dabei ist die Bombardierung Dresdens ein Ereignis, das tatsächlich stattgefunden hat: Im Jahre 1945, am Ende des 2. Weltkrieges bombardierten britische Flugzeuge es in der Nacht zum 13. Februar. Über Jahre hinweg gab es verschiedenste Schätzungen zu Opferzahlen mit den unterschiedlichsten Ergebnissen, doch laut Ermittlungen starben bei der Bombardierung etwa 22.700 – 25.000 Menschen.

Diese Fakten interessieren die Nazis aber nicht. Sie haben mit der Bombardierung Dresdens ein Ereignis gefunden, das man mit verdrehten Fakten für sich instrumentalisieren und emotionalisieren kann. Denn das Gerede von einem angeblichen „Bombenholocaust“ relativiert schlicht und ergreifend den Holocaust, indem es einen übertriebenen Opfermythos erzeugt, der die Bombardierung Dresdens mit ihm gleichsetzt.

Doch mit diesem Thema haben es die Nazis in den letzten Jahrzehnten geschafft, rund um den 13.2. viele Rechte auf ihre Demo zu mobilisieren. Begonnen hat diese Tradition 2000 mit einem durch eine rechtsextreme Organisation initiierten „Trauermarsch“. Lagen die Teilnehmer:innenzahlen 2000 noch bei knapp 500, stiegen sie bis zu ihrem Höhepunkt im Jahre 2005 auf 6.500 an und stellten den zur damaligen Zeit größten Neonaziaufmarsch in Europa dar. In den darauffolgenden Jahren verkleinerte sich die Zahl der rechten Demonstrant:innen, auch aufgrund des Gegenprotestes, der immer präsenter wurde. Vor allem während der Pandemie sank sie immer mehr, sodass auf rechter Seite im letzten Jahr lediglich 400 – 750 Menschen mobilisiert werden konnten.

Warum betrifft uns der Rechtsruck als Jugendliche und Schüler:innen?

Dass es seit den späten 2000er Jahren in ganz Europa einen starken Rechtsruck gibt und dieser in den letzten Jahren noch mal einen gewaltigen Aufschwung erlebt hat, ist kein Zufall. Das lag an der Finanzkrise 2008, die nie wirklich bewältigt wurde, und dem erneuten Zusammenbruch der Wirtschaft im Zuge der Coronapandemie. In Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Unsicherheit wie Kriegen oder Krisen des Kapitalismus beginnen mehr und mehr Menschen am „Weiter wie bisher!“, am kapitalistischen Status quo zu zweifeln.

Leider führen diese Zweifel nicht bei allen dazu, das gesamte System zu hinterfragen und sich für eine komplett neue gerechtere Gesellschaftsordnung einzusetzen. Bei vielen ist der Glaube an den Kapitalismus als Naturgesetz so tief verankert, dass sie nach anderen Erklärungen suchen. Für sie leben wir in einem fundamental gerechten System. Wenn es ihnen und ihrem Umfeld beginnt, schlechter zu gehen, dann liegt das nicht an ihm selbst, sondern daran, dass es missbraucht wird: an einzelnen korrupten Politiker:innen, einer großen Verschwörung, „Eliten“, Schattenregierungen und „Globalist:innen“ (womit übrigens fast immer Jüdinnen und Juden gemeint sind). Für sie müssen einfach die richtigen starken Männer an die Macht, die all die Verschwörer:innen verjagen und wieder Frieden und Wohlstand ins Reich einkehren lassen.

Und die, die gerne solche starken Männer wären, wissen, wie sie die Zeiten der Unsicherheit nutzen können: indem sie weiter Angst und Hass schüren, um Menschen zu sich zu treiben.

Und sollten sie das tatsächlich schaffen, sieht es für uns Jugendliche finster aus. Was noch mehr und offener Rassismus für nichtweiße Jugendliche bedeutet, muss man gar nicht erst ausführen, aber auch darüber hinaus ist mit einigem zu rechnen. So greifen Rechte auch massiv in jedes einzelne Leben ein. Sie propagieren die bürgerliche Kleinfamilie mit der fürsorglichen und aufopfernden Mutter, dem strengen, gerechten Vater, der als allmächtiger Patriarch über die Familie verfügt, und ihren braven weißen Kindern. Platz für abweichende Geschlechtsidentitäten, Sexualitäten oder schlicht und einfach Jugendliche mit einem eigenen Willen ist hier nicht.

Die finanzielle und rechtliche Abhängigkeit Jugendlicher von den Eltern und Frauen von ihren Ehemännern ist für sie begrüßenswert und alles, was sie schmälern könnte, lehnen sie ab. Sie versuchen, uns Rollenbilder aufzuzwingen und all die bereits erkämpften Fortschritte wieder einzustampfen.

Auch die Krise selbst, für die die Rechten keine Lösung haben, trifft uns als Jugendliche besonders hart. Bildung ist das Erste, an dem gespart wird, und auch die Jugendarbeitslosigkeit liegt meist noch deutlich über dem Durchschnitt. Azubis und studentische Hilfskräfte sind die Ersten, die gefeuert werden, und dadurch auch oft gezwungen, zu ihren Eltern zurück- oder gar nicht erst auszuziehen. So können sie sich nicht frei entfalten und ins selbstständige Leben übergehen. All das sind Konsequenzen von Krise, Kapitalismus und Rechtsruck und sie treffen uns alle. Deswegen müssen wir uns auch alle kollektiv dagegen wehren!

Geht auf die Gegenkundgebungen und beteiligt euch an Aktionen rund um den 13.2., um den Nazis zu zeigen, dass wir ihnen ihren Opfermythos nicht abnehmen!

Aber lasst es nicht dabei! Wir müssen auch selbst Perspektiven aufzeigen und eine internationale Bewegung als Antwort auf die Krise aufbauen. Wir müssen uns organisieren, an Schulen, Unis und in Betrieben, antirassistische Komitees gründen, uns kollektiv selbst schützen und Nazis keinen Raum mehr lassen, auf der Straße oder anderswo. Wir müssen ankämpfen gegen Sparmaßnahmen in der Bildung und im Sozialen. Nicht wir sollten die Krise zahlen, sondern die, die an ihr noch reicher geworden sind! Gegen sexuelle Unterdrückung und für die körperliche Selbstbestimmung aller! Gegen aufgezwungene Rollenbilder, unausweichliche Ausbeutung und unfreiwillige Abhängigkeit von einer Familie, die man sich nicht selbst ausgesucht hat!




Rechte Umsturzpläne: Ein Menetekel an der Wand

Martin Suchanek, Infomail 1206, 9. Dezember 2022

3.000 Polizeibeamte und Spezialkräfte mobilisierte die Bundesanwaltschaft am 7. Dezember beim größten Antiterroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

In einer koordinierten Aktion wurden 150 Objekte durchsucht, Materialen und ganze Waffenlager beschlagnahmt. Mindestens 50 Personen, die der „Patriotischen Union“ oder deren Umfeld zugerechnet werden, wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Gegen 25 wurde Haftbefehl erlassen. 19 sitzen seither in Untersuchungshaft, weitere dürften folgen.

Das erklärte Ziel der ominösen Gruppe von Verschwörer:innen aus dem Milieu der Reichsbürger:innen ist hinlänglich bekannt: der Sturz der Regierung und die Errichtung einer „Übergangsregierung“ zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1871.

An den mörderischen Absichten der „Patriotischen Union“ besteht kein Zweifel, auch wenn dem Netzwerk um Heinrich Prinz Reuß, der aus einer Thüringer Adelsfamilie stammt und als Heinrich XIII. nach gelungener Machtübernahme zum König von Deutschland ernannt hätte werden sollen, etwas unfreiwillig Clowneskes anhaftet.

Irrationalismus ist nicht harmlos

Dies darf jedoch kein Grund zur Entwarnung oder Verharmlosung sein. Betrachtet man die Äußerungen und Ideologie rechter Putschist:innen und Verschwörer:innen, enthalten diese immer jede Menge Obskurantismus, Wahnwitz, Entrückung und Irrationales. Darin bildet die Truppe um Heinrich XIII. keine Ausnahme. Ihr „Weltbild“, ihre Geisteshaltung erinnert an viele, die am 6. Januar 2021 das US-Capitol stürmten. Verschwörungstheorien wie jene von QAnon begeisterten schließlich auch etliche Mitglieder des „Schattenkabinetts“ des Möchtegernregenten.

Darin liegt nichts Zufälliges. Die gesamte Ideologie solcher Verschwörer:innen stellt eine wilde Mischung aus reaktionären, völkischen, antisemitischen Ideologien, Rückgriffen auf Mystik und Esoterik dar, kombiniert mit übersteigertem Wahn von der vorgeblichen Bedrohung und gleichzeitigen Überlegenheit der eigenen Nation und „Rasse“. Was sie so gefährlich macht, ist die Bereitschaft, für die reaktionäre Sache gewaltsam vorzugehen, weil „ihre“ Nation nur so der Herrschaft „dunkler“ Mächte entrissen werden könne.

Gerade die bekannteren, aus der angeblichen Elite der bürgerlichen Gesellschaft stammenden Führungsfiguren der „Patriotischen Union“ waren vom QAnon-Netzwerk nicht nur inspiriert. Sie waren nicht nur Anhänger:innen der Ideologie von sog. Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen, denen zufolge die Bundesrepublik eigentlich nicht existiere, sondern nur eine „Firma“ unter Kommando der Alliierten und/oder des „Weltjudentums“ darstelle.

Sie waren wie der Adelige Heinrich Reuß nicht bloß Gutsbesitzer und, wenn auch nur mäßig erfolgreicher, Immobilienmakler, sondern auch aktive geistige Brandstifter:innen. So verbreitet er seit Jahren das Märchen, der Erste Weltkrieg sei Resultat einer Verschwörung der Freimaurer:innen und Juden/Jüdinnen gewesen und die Monarchie bestehe daher noch.

Die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann, selbst als Innenministerin vorgesehen, hetzt seit Jahren gegen Migrant:innen und Geflüchtete und radikalisierte sich weiter mit den sog. Querdenker:innen und reaktionären Impfgegner:innen.

Reuß und Malsack-Winkemann stehen exemplarisch für einen Teil der „Patriotischen Union“. Dieser stammt aus den sog. gebildeten Schichten Deutschlands, aus einer „Elite“, die den Bestand „ihres“ Staates so weit gefährdet sieht, dass sie sich gegen Regierung und staatliche Institutionen verschwört, den Putsch zur patriotischen „Notwehr“ stilisiert.

Den anderen großen Teil der Verschwörung bilden ehemalige Offizier:innen der Bundeswehr, insbesondere von Spezialeinheiten wie dem KSK, sowie einige alte NVA-Leute, also Menschen aus dem Offizierskorps des deutschen Imperialismus, dessen patriotische Tugenden von „liberalen“ Politiker:innen und „verweichlichten“ Vaterlandsverräter:innen zerstört würden.

Wie weit die Planungen zu einem bewaffneten Umsturz wirklich gediehen waren, ist zwar bislang unklar. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Vorbereitungen zur „Machtübernahme“ eindeutig über das Stadium allgemeiner Absichtserklärung und Wunschvorstellungen hinausgegangen waren. So hatte der Kreis einen leitenden „Rat“, ein „Schattenkabinett“ samt Regenten und zukünftigen Minister:innen sowie Verantwortliche für den Aufbau eigener bewaffneter Einheiten bestimmt. Auch wenn die Verschwörung zu keinem Zeitpunkt Aussicht auf eine erfolgreiche Machtübernahme hatte, so enthielt sie offenbar Pläne zur Entführung des Gesundheitsministers Lauterbach sowie „Neutralisierung“, also Ermordung seines Personenschutzes. Mit der „Patriotischen Union“ bildete sich eine rechtsterroristische Verschwörung, die es in dieser Form seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr gegeben hat. Allein dies belegt einen massiven Radikalisierungsprozess, der weit über diese Gruppierung hinausgeht.

Bodensatz

Mögen sie als Einzelne noch so obskure Figuren darstellen, so stehen sie für die Entfremdung viel breiterer kleinbürgerlicher und bürgerlicher Schichten vom politischen System. Die ökonomischen, sozialen und politischen Krisen seit 2008 unterminieren deren gesellschaftliche Stellung. Diese Entwicklung wird jedoch subjektiv als Werk fremder Mächte gefasst – als Verschwörung, die zur „Umvolkung“ durch Migrant:innen, zur „Ausblutung“ Deutschlands durch Euro und EU, zur „Durchimpfung“ zwecks Sterilisierung der Weißen, zur Unterjochung des Landes durch die USA und eine „jüdische Weltverschwörung“ führt, in deren Dienst Genderwahn, Feminismus, Antirassismus, Kosmopolitismus usw. stünden.

Der reaktionäre Wahn inklusive einer großen Portion Antisemitismus hat in den letzten Jahren breitere Schichten der Bevölkerung erfasst – im Grunde seit Beginn des Rechtsrucks und der Ausbreitung des Rassismus gegen die Geflüchteten.

Der Aufstieg der AfD, die reaktionäre Bewegung der Querdenker:innen, der deutschen Spielart der Impfgegner:innen, haben den gesellschaftlichen Boden bereitet, auf dem Gruppierungen wie die „Patriotische Union“ und andere Formen des rechten, gewaltbereiten Terrorismus und militante Verschwörungstruppen entstehen.

Sie stützen sich auf verschiedene rechte Milieus und Bewegungen wie jene der Impfgegner:innen, die AfD oder, im extremsten Fall, direkten militanten Naziorganisationen. Die „Patriotische Union“ selbst stand in enger Verbindung mit den sog. Reichsbürger:innen, die während der Pandemie Zulauf erhielten und lt. Verfassungsschutz auf 21.000 angewachsen sein sollen.

Sie bewegen sich selbst zwischen Obskurantismus und Terrorismus. So erklären selbsternannte, rabiate Kämpen ihre Häuser und Gartenlauben zu „unabhängigen Staaten“ oder gar Fürstentümern. Ein Teil der Reichsbürger:innen möchte die Monarchie wiedererrichten, andere träumen von esoterisch-germanischen Landkommunen, die als Selbstversorgerinnen dahinvegetieren, andere wiederum sind Teil der Naziszene oder eng mit dieser verbunden.

Gemeinsam ist dieser Szene, dass sie sich weiter radikalisiert – sei es in immer extremeren Verschwörungstheorien, sei es in völkisch-esoterischen Ideologien oder direkt beim Faschismus.

Der Begriff Szene darf dabei nicht als isolierte, randständige Gruppe verstanden werden. Gerade während der Pandemie haben Irrationalismus und kleinbürgerliche Radikalisierung deutlich zugenommen und auch Teile der Arbeiter:innenklasse erfasst. Vor allem aber drücken sie sich bei den Mittelschichten und im Kleinbürger:innentum aus – und nicht zuletzt im „demokratischen“ Staatsapparat. Es ist kein Zufall, dass die AfD  überdurchschnittlich von Polizeibeamt:innen gewählt wird. Es ist kein Zufall, dass sich in der Bundeswehr trotz ihrer ständigen Beschwörung als demokratisch-humanitärer Truppe rechte Umtriebe mehren. Regelmäßig fliegen bei den bewaffneten Kräften rechte Chatgruppen auf. Doch diese Skandale stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Im Zuge der Krise, aber auch der realen Umstellung der Armee auf verstärkte, wenn auch humanitär verbrämte imperialistische Intervention tendieren Offizierscorps, Berufsoldat:innen wie auch Polizeikräfte überdurchschnittlich nach rechts. Der/Die Berufssoldat:in, der/die zur Verteidigung „unserer“ Werte, also „unserer“ Profite und geostrategischen Ziele an den NATO-Grenzen, in Mali oder am Horn von Afrika rekrutiert wird, muss zuerst „Patriot:in“ sein, bereit, für den deutschen Imperialismus notfalls zu sterben, vorzugsweise aber zu töten.

Heuchelei

Es gehört zur üblichen, üblen Heuchelei und Doppelmoral der bürgerlich-demokratischen Parteien, insbesondere der Grünen und der reformistischen SPD, dass sie nicht sehen wollen, dass die kapitalistische Krise und ihre kapitalkonforme Politik gerade jenen Nährboden schaffen, auf denen Rechtspopulismus, Verschwörungstruppen und letztlich auch der Faschismus gedeihen. Sie wollen nicht erkennen, dass nicht demokratische Heuchelei, sondern der imperialistische Kurs der BRD genau jene Leute im Sicherheitsapparat prägt und erzieht, die für rechte und extrem imperialistische Ideologie besonders empfänglich sind.

Die „Patriotische Union“ darf daher keineswegs als clowneske Truppe verharmlost werden. Sie ist vielmehr ein Menetekel an der Wand, ein Vorbote, eine Warnung vor dem, was noch zu kommen droht. Doch anders als in der biblischen Erzählung ist dieses Menetekel nicht übernatürlichen Ursprungs, sondern vielmehr Resultat menschlichen Handelns, genauer versäumten menschlichen Tuns.

Dass die rechten verschiedener Façon und der Irrationalismus in dieser Gesellschaft solche Wurzeln schlagen können, eine rechte Terrorgruppe zur Vorbotin einer viel gefährlicheren rechten Bewegung werden kann, ist auch auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung, genauer ihrer Führung in der Krise, während der Pandemie und angesichts des Krieges zurückzuführen.

Nicht die Beschwörung der bürgerlichen Demokratie – und erst recht nicht von Polizei oder Staatsanwaltschaft – werden uns im Kampf gegen die rechte Gefahr helfen. Notwendig ist vielmehr, dass die Linke, die Gewerkschaften, alle Parteien der Arbeiter:innenbewegung mit dieser Politik der Unterordnung unter das Kapital brechen und gemeinsam den Kampf gegen Krise, Umweltzerstörung und Krieg aufnehmen, um so den Rechten ihren gesellschaftlichen Nährboden zu entziehen.




Der Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus

Markus Lehner, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Die Polarisierung zwischen einem „autoritären“, konservativen und einem „demokratischen“ bürgerlichen Lager kennzeichnet die Situation in vielen imperialistischen wie auch halbkolonialen Ländern. Die aktuelle kapitalistische Krise selbst befördert diese Polarisierung und die Tendenz zum Populismus, zur Radikalisierung im bürgerlichen Lager, dem ein vorgeblich demokratisches gegenübersteht.

Letzteres versucht, sich als „fortschrittliche Alternative“ zu präsentieren, und reicht von der liberalen Bourgeoisie (einschließlich Teilen der Konservativen) über die Grünen bis hin zur Sozialdemokratie und Teilen der Linksparteien und des Linkspopulismus.

Scheinalternative

Politisch steht es für Elemente der staatlichen Intervention, des Korporatismus, der Einbeziehung von Unternehmer:innen und Gewerkschaften oder anderen Vertretungsorganen der Lohnarbeit in die Sozialpartner:innenschaft.

Ökologische und ökonomische Versprechen wie der Green (New) Deal, begrenzte Sozialreformen, formale demokratische Verbesserungen für Frauen oder rassisch Unterdrückte sollen die Masse der Lohnabhängigen und Unterdrückten bei der Stange halten, ohne jedoch die Akzeptanz des Finanzkapitals und eine Erneuerung des Kapitalstocks in den jeweiligen Ländern in Frage zu stellen. All dies wird mit einer demokratisch verbrämten imperialistischen Außenpolitik kombiniert.

Es ist kein Zufall, dass eine solche Politik vor allem in den reicheren imperialistischen Ländern mit einer relativ großen Arbeiter:innenaristokratie und umfangreichen lohnabhängigen Mittelschichten eine gewisse Grundlage finden kann. In den Halbkolonien, aber auch in den bonapartistischen imperialistischen Regimen, muss die „Demokratie“ durch nationalistische und chauvinistische Ideologie ersetzt werden. Die populistisch organisierte Massenunterstützung muss dort auf solche Ideologien zurückgreifen, wie z. B. den zunehmenden völkisch konnotierten Nationalismus in Russland oder den Hinduchauvinismus in Indien.

Die Polarisierung im bürgerlichen Lager ist jedoch auch das Ergebnis der inneren Krise der Bourgeoisie und der veränderten Lage der Mittelschichten und des Kleinbürgertums. Die Krise untergräbt nämlich ihre Stellung in der Gesellschaft und drückt ihre wirtschaftlich aktiven Teile an die Wand. Die Kombination aus internen Konflikten in der Bourgeoisie und der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse führt dazu, dass die Mittelschichten und das Kleinbürgertum, enttäuscht von den Hauptklassen der Gesellschaft, eine scheinbar unabhängige Kraft hervorbringen – sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite, zusammen mit einer Reihe von Schwankungen zwischen den Polen.

Vor diesem Hintergrund präsentieren sich rechtspopulistische, scheinbar gegen das Establishment gerichtete Parteien und Organisationen als Scheinalternative des „kleinen Mannes“, der „normalen“ Menschen.

Faschismus

Neben dem bedrohlichen Anstieg rechtspopulistischer, rassistischer und rechtsextremer Organisierung darf die faschistische Gefahr in ihren verschiedenen Gestalten nicht vergessen werden. Nachdem die Linke lange Zeit in allen möglichen politischen Tendenzen und Verschärfungen staatlicher Repression bereits den „Faschismus“ ante portas (vor den Toren zur Machtergreifung) sah, stand sie lange Zeit fassungslos dem wachsenden populären Massenanhang für Antimigrationsmobilisierungen, Protesten gegen liberale Gesetzgebungen in Gender- oder Antidiskriminierungsfragen, Klimaschutzregeln, Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gegenüber. Die Konfrontation mit diesen rechten Massenphänomenen war für die sogenannte „antifaschistische“ Linke viel schwieriger als das Stoppen kleiner Neonaziaufmärsche oder -aktionen der Vergangenheit. Dabei können sich gerade Faschist:innen im Windschatten dieser Bewegungen in viel wirksamerer Weise aufbauen als früher.

Der Faschismus ist nicht bloß eine bestimmte, besonders reaktionäre ideologische Strömung innerhalb bürgerlicher Politik. Er stellt vielmehr die äußerste Form des konterrevolutionären Bürgerkriegs gegen die Gefahr der sozialen Revolution in Zeiten zugespitzter sozialer Krisen dar. In den 1920er/-30er Jahren war er das letzte Mittel der Bourgeoisie, um durch Massenmobilisierung die revolutionäre Arbeiter:innenbewegung zu zerschlagen. Normalerweise vertraut bürgerliche Politik auf die Integration der Massen durch politisch-demokratische Institutionen, die bürgerliche Öffentlichkeit („Zivilgesellschaft“) und repressive Mittel des Staatsapparates. Darüber hinaus sollen radikalere Klassenkämpfe und damit verbundene reformistische und gewerkschaftliche Organisationen auch durch Mittel des Bonapartismus im Zaum gehalten werden – und sei es, um „Schlimmeres zu verhindern“.

Doch ab einem gewissen Punkt der Zuspitzung des Klassenkampfs bedarf die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung radikalerer Mittel, die auf die Zerschlagung nicht nur der sich selbst organisierenden und revolutionären Bewegungen der Klasse und Unterdrückten, sondern der gesamten organisierten Arbeiter:innenbewegung zielen. Der Zweck der organisierten und militanten Massenbewegung des Faschismus besteht dabei darin, über die staatliche Repression hinaus eine politische Atomisierung der Arbeiter:innen und Unterdrückten herbeizuführen. Für die faschistische Herrschaft ist nicht einfach die Übernahme der Machtpositionen im bestehenden Staat entscheidend, sondern auch die Bewegung hin zur Machtübernahme, die die Unterklassen durchdringt und jeglichen Widerstand im Keim erstickt. Es ist daher für den Faschismus charakteristisch, dass er als Bewegung des rabiaten Kleinbürger:innentums samt demoralisiertem Anhang in anderen Klassen beginnt und diese gesellschaftliche Kraft zu einer Bewegung, einem Rammbock gegen die Arbeiter:innenbewegung – und oft zuerst gegen deren unterdrückteste Teile – zusammenschweißt.

Eine solche totalitäre Form des Kampfes um die Macht erfordert eine organisierte Massenbewegung, die sich auf verzweifelte, von Aggression und Irrationalismus getriebene Teile von Unterklassen stützt, die in der sozialen und ökonomischen Krise aus ihrer bisherigen „bürgerlichen“ Scheinwelt entwurzelt wurden. Traditionell waren dies Teile des Kleinbürger:Innentums und des Lumpenproletariats. Mit der sich seit einigen Jahrzehnten entwickelnden Krise der Arbeiter:innenklasse selbst, ihrer größer werdenden Differenzierung und Spaltung sind es auch vermehrt Schichten der von der Krise betroffenen Lohnabhängigen, die, vom Reformismus enttäuscht, sich den rechten Rattenfänger:innen anschließen. So z. B. die Teile der Arbeiter:innenaristokratie, die vom Abstieg durch Veränderungen des Produktionsprozesses ins Abseits geschoben wurden. Umgekehrt können der Faschismus – und als Vorstufe der Rechtspopulismus – eine Anziehungskraft für deklassierte, marginalisierte Teile der Lohnabhängigen, die aus tariflich gebundenen Arbeitsverhältnissen ausgeschlossen sind und von den Gewerkschaften nicht organisiert werden, verkörpern. Für diese Schichten erscheinen reformistische Teile der Arbeiter:innenbewegung als die „Krisengewinner:innen“ in der Klasse, die sich mit den Mittelschichtsgrünen arrangieren, als besondere Verräter:innen ihrer Interessen und damit neben den Migrant:innen als primäre Ziele ihres gesellschaftlichen Hasses.

Diese Formen der Entwurzelung, des Aufbaus von Ersatzhassobjekten, des Weltbildes von Verschwörungen eines „volksfremden“ Establishments gegen die eigentlich gute „bürgerliche“ Gesellschaft führen zu extrem aggressiven Formen von Massenmobilisierungen, die sich letztlich auch in bewaffneten Organen, von „Bürgerwehren“ bis hin zu Milizen, bündeln lassen. Zumeist besteht auch eine Nähe zum Personal der bewaffneten Kräfte des „normalen“ bürgerlichen Staatsapparates, wo es einen überdurchschnittlichen Anteil an Sympathien für rechte politische Strömungen gibt. So baut sich mit der Zeit ein Netzwerk von Waffenarsenalen, rechtem Terror und schließlich bewaffneten Organisationen auf, das zum Kampf um die Macht bereit ist.

Diese Form kam vielen Linken gerade in den westlichen Demokratien lange als Relikt der Vergangenheit vor und über Jahrzehnte hinweg bestand in vielen Ländern auch nicht die gesellschaftliche Basis für eine faschistische Massenbewegung (auch wenn es durchaus bedeutsame Ausnahmen gibt).

Faschistische Frontorganisationen

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren faschistische Parteien in Europa und Nordamerika nach den Erfahrungen des Nazi- und italienischen Faschismus außerdem weitgehend diskreditiert. Die überlebenden faschistischen Kräfte hatten daher drei Optionen: erstens das Überleben als mehr oder weniger unauffälliges Netzwerk in bürgerlich-parlamentarischen Parteien; zweitens als kleine, sektenartige Randgruppen; drittens aber auch durch den Aufbau von faschistischen Frontorganisationen. Insbesondere in Italien wurde mit der MSI (Movimento Sociale Italiano) eine Organisation gebildet, die weiterhin einen faschistischen Kern und entsprechende Ideologien enthielt, aber darüber hinaus als „normale“ Partei im parlamentarischen Rahmen agierte. MSI und später in Frankreich der FN (Front National) des Jean-Marie Le Pens konnten beschränkte Massenwirksamkeit erreichen, ohne die eigentlichen faschistischen Formen des Kampfes einzusetzen. Ihre respektable bürgerliche Fassade, ihr gewöhnlicher Rechtspopulismus konnten trotzdem faschistische Kerne an sich binden, die diese Form der Frontorganisation als Mittel ihres langfristigen Aufbaus für den eigentlichen militanten Kampf sahen.

Faschistische Frontorganisationen tragen somit wesentlich widersprüchliche Tendenzen in sich. Zwischen reinem Verbreiten „faschistischer Ideologie“ (die letztlich immer einen Mischmasch verschiedener, schon vorgefundener extrem reaktionärer Ideen darstellt) und dem tatsächlichem Kampf des Faschismus um die Macht besteht ein weites Feld. Sofern solche Fronten dann tatsächlich Funktionen im bürgerlichen Staat übernehmen ohne die entsprechenden Formen der faschistischen Machtergreifung, transformieren sich Teile ihrer Führung schnell zu gewöhnlichen rechtspopulistischen oder rechtskonservativen Politiker:innen und die faschistischen Kräfte spalten sich ab. So geschehen in den 1990er Jahren in der ersten Regierung Berlusconi in Italien, als seine Partei zusammen mit der Lega Nord und der zur Alleanza Nazionale (AN) gewandelten MSI eine Koalition einging. Dies war natürlich keine „faschistische Machtübernahme“. Die Regierungsbeteiligung führte vielmehr zur „Verbürgerlichung“ eines Teils der MSI und der Abspaltung der „traditionellen Faschist:innen“, aus denen später die Fratelli d’Italia (FdI) entstand. Offenbar wiederholt sich gegenwärtig derselbe Prozess mit letzterer – auch wenn die faschistische Front diesmal sogar die stärkste Kraft in der Koalition ist. Der FN in Frankreich machte schon vor der möglichen Regierungsbeteiligung einen solchen Wandlungsprozess durch, in dem er sich in das Rassemblement National (RN) umbaute.

Während der Globalisierungsperiode entwickelte sich ein breites Spektrum von rechtspopulistischen, rechtsextremen bis hin zu faschistischen Organisationen, die an diese Vorgeschichte anknüpften. War nationale Abschottung zwar angesichts der faktischen Gewalt der kapitalistischen Globalisierung kein realistisches Politikprojekt, so wurden nationalistische Scheinantworten auf die sozialen Folgen der Globalisierung immer verbreiteter. Dies betraf nicht nur Phänomene wie verstärkte Standortverlagerungen oder Arbeitsmigration, sondern auch wachsenden Verlust nationaler Gesetzgebungskompetenz angesichts der übermächtigen Kapitalströme. Mit dem Aufkommen verstärkter Krisentendenzen am Ende der Globalisierungsperiode haben irrationale nationalistische Alternativen zur Globalisierung immer mehr an politischem Gewicht gewonnen. Dies ist nicht nur in der völligen Überhöhung von Fragen der Migration oder von „Genderwahn“ & Co. zu sehen, sondern in Europa insbesondere an Fragen der EU-Integration. Letzteres führt im EU-Raum zu verschiedenen Formen von Austrittsbewegungen, zu Bewegungen oder Kampagnen gegen bestimmte EU-Vorgaben, an denen sich rechte und faschistische Kräfte aufrichten können. Die Rechte benutzt teilweise berechtigte EU-Kritik zur Selbstinszenierung als Antiestablishmentkämpferin gegen „Globalismus“, „EU-Establishment“, den „woken Totalitarismus“ etc.

Die AfD

Der Aufstieg der AfD muss im Rahmen dieser allgemeinen Tendenz betrachtet werden, auch wenn sich ihre Entstehung und Entwicklung deutlich von jener faschistischer Frontparteien unterscheidet. Gegründet wurde sie weitgehend von EU-kritischen rechten U-Booten in den etablierten konservativen Parteien (CDU, CSU, FDP), insbesondere aus der Ablehnung des Euro heraus. Massenwirksam wurde die AfD jedoch vor allem durch extrem rassistische Mobilisierung rund um Migrationsfragen. Dadurch konnten sich auch rechtsextreme Kreise in der Führung der AfD immer mehr durchsetzen. Einer Wählerschaft von 10 – 20 % in Deutschland sind angesichts der Wirkung von kritischer Demagogie bezüglich EU- und Migrationspolitik die offensichtlich rechtsextremen Figuren in verschiedenen Führungspositionen der Partei immer unwichtiger. Inzwischen wird die Partei durch den rechtsextremen „Flügel“ unter dem neuen „Führer“ Bernd Höcke dominiert. Er weist tatsächlich viele Merkmale einer faschistischen Frontorganisation auf, auch wenn sein Verhältnis zu offenen Naziorganisationen wie den „Freien Sachsen“ durchaus auch konfliktbehaftet ist. Gerade wo sich der AfD und auch den vom „Flügel“ geführten Organisationen parlamentarische Möglichkeiten eröffnen (z. B. bei parlamentarischen Manövern mit CDU und FDP in Thüringen), ist auch letzterer dem Spannungsverhältnis von bürgerlichem Politikbetrieb und offenem Faschismus ausgesetzt. Das Konstrukt der AfD erlaubt den faschistischen Kernen jedoch, sich genügend fern von der Diskreditierung durch etablierte bürgerliche Politik zu halten, aber gleichzeitig genügend nahe am bestehenden Politikbetrieb zu bleiben, um neue Anhängerschaft und Geldmittel zu rekrutieren. So bauen sie sich auf, als reale politische Kraft, die im Fall der Fälle für den Kampf um die politische Macht im faschistischen Sinn bereit steht. Auch wenn die AfD insgesamt als rechtspopulistische Partei charakterisiert werden muss, die ihre Klientel vor allem als Wähler:innen organisiert und weiter auf eine Koalition mit Konservativen und anderen Rechten abzielt, so enthält sie auch einen stärker werdenden inneren Teil, der eine faschistische Frontorganisation darstellt.

Anderswo in Europa gibt es verschiedene Formen ähnlicher „Konstrukte“, in denen sich Faschist:innen auf ihre zukünftige Rolle vorbereiten. Die „Schwedendemokraten“ entstanden direkt aus einer offen faschistischen Organisation, die sich ähnlich MSI/AN/FdI im letzten Jahrzehnt in eine rechtspopulistische Partei mit extrem rassistischen Positionen umwandelte. Erhalten blieben jedoch jeweils faschistische Kerne, die entsprechende Frontorganisationen innerhalb der „gemäßigten“ etablierten Partei bilden und sich oft auch auf eine breitere Unterstützung innerhalb der Mitgliedschaft dieser Organisationen stützen können. Bei Diskreditierung durch Teilnahme an Koalitionsregierungen oder deren Duldung besitzen die faschistischen Kerne genügend Spielraum, um weiterhin als „Opposition“ zu agieren oder eventuell auch Neugründungen anzustoßen. Auch hier wird mit diesen Konstrukten eine reale faschistische Machtalternative zumindest vorbereitet.

Halbkolonien

In Halbkolonien ist der Aufbau faschistischer Organisationen als Kampfmittel zur entsprechenden Machteroberung weiterhin schwieriger, da die entsprechenden vom Abstieg betroffenen Mittelschichten, die von reformistischen Organisationen enttäuscht sich nach alter nationaler Größe zurücksehnen, nicht so ausgeprägt sind wie in den imperialistischen Zentren. Solche faschistischen Kräfte treten daher eher in ökonomisch entwickelteren Halbkolonien wie Brasilien auf. In der islamischen Welt erfüllen extrem islamistische Kräfte oft die Rolle der Atomisierung und Zerschlagung von progressiver Organisierung der Arbeiter:innen und Unterklassen. Dabei rekrutierte z. B. der Islamische Staat (Daesch) seine Militanten tatsächlich sehr stark unter deklassierten Jugendlichen aus imperialistischen Ländern. Der Aufstieg Bolsonaros in Brasilien ist verbunden mit der Bildung verschiedener reaktionärer Organisationen z. B. rund um evangelikale Kirchen, bewaffnete Milizen von Agrarunternehmer:innen, Teile von Vereinigungen Angehöriger von Polizei und Armee, reaktionäre Transportunternehmer:innen und ihre Beschäftigten, offen rechtsextreme Organisationen (z. B. Movimento Direita in Minas Gerais) etc. Diesem Amalgam von bewaffneten Gruppierungen fehlte jedoch bisher die vereinigende politische Organisierung. Die reaktionäre Clownerie des Bolsonaro genügte zwar, um Wahlkämpfe zu führen und eine Welle von rechtem Terror auszulösen, aber nicht für eine faschistische Form der Machtübernahme – daher als (vorläufig) ultimative Losung der Aufruf zum Militärputsch. Ob die neuen Parteien des Bolsonarismus, die PL und die Republikaner:innen, faschistische Frontorganisation werden, hängt davon ab, ob sich jenseits der politischen Figuren im üblichen Politikbetrieb von Kongress, Einzelstaaten und Lokalverwaltungen tatsächliche faschistische Kader mit stabilen Organisationsstrukturen herausbilden, die in diesen Parteien eine wesentliche Rolle spielen können. Gerade bei Ex-Militärs und im Umfeld der Agrarbosse haben sich in den Mobilisierungen nach der Niederlage Bolsonaros bereits entsprechende Personen profiliert.

Auch wenn sich faschistische Kräfte heute vor allem im Windschatten reaktionärer rechter Parteien aufbauen, werden die Opfer der extremen Rechten immer zahlreicher. Zunächst bedeutet die allgemeine Rechtsverschiebung eine repressivere Politik gegenüber Migrant:innen und Minderheiten aller Art ebenso wie ein brutaleres Vorgehen rechtslastiger „Sicherheitskräfte“. Durch die Unterstützung von rechten Medienkonzernen oder die Kampagnen in den „sozialen Medien“ wird ein Klima der Angst und Hetze gegen Linke, unliebsame Journalist:innen und Lokalpolitiker:innen, Wissenschaftler:innen, Migrant:innen, Minderheiten etc. erzeugt, das sich auch über Drohungen hinaus bewegt. Verstärkt tritt rechter Terror nicht nur in Einzeltaten, sondern auch in geplanten Aktionen zutage. Es verwundert nicht, dass in diesen Gewaltakten auch der Antisemitismus wieder eine Rolle spielt. Rechte Parteien und ihre Sympatisant:innen im Polizeiapparat verharmlosen diesen Gewaltanstieg bzw. kriminalisieren den Widerstand dagegen.

Reformistische Irrwege

Die Reaktion der reformistischen Organisationen bzw. von progressiven Mittelschichtparteien wie den Grünen besteht zumeist in der Forderung nach Schulterschluss der „Demokratie“ zur Verhinderung der Machtbeteiligung der Rechtsextremen. Im Windschatten vertreten auch Teile der extremen Linken neue Varianten der Volksfrontpolitik in Form von „demokratischen Allianzen“ (wie jüngst bei der Wahl in Brasilien). Das Problem des Verbündens mit offen bürgerlichen Parteien, die noch nicht zur Zusammenarbeit mit der extremen Rechten bereit sind, liegt darin, dass sie die reformistischen Organisationen und die Linke zu noch mehr Zugeständnissen an die bürgerliche Krisenpolitik zwingen und sowieso viele Forderungen der extremen Rechten z. B. in der Migrationspolitik mit aufgegriffen werden. Die extreme Rechte kann so die Enttäuschung über den Reformismus noch weiter vorantreiben und sich als die „wahre Opposition“ des „kleinen Mannes“ gegenüber dem vereinigten Establishment der „Volksfeind:innen“ präsentieren. Wie schon in den 1930er Jahren geschehen, gerät die Volksfront so zur Wegbereiterin des Aufstiegs des Faschismus.

Gewisse Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit und auch der Linken vertreten die Ansicht, dass sich die extremen Rechten am besten durch tatsächliche Regierungsbeteiligung entlarven ließen, in der sie demonstrieren müssten, dass sie für den Großteil ihrer ärmeren Wähler:innen nicht nur nichts bewirken würden, sondern sogar weitere Verschlechterungen betreiben. Dies verkennt den irrationalen Kern der Basis der extremen Rechten, die durch solche Tatsachen nur davon überzeugt werden, dass der „tiefe Staat“ und die Machthaber:innen „hinter den Kulissen“ die eigenen Führer:innen an der Durchsetzung ihrer Politik hindern würden. Auch dies führt letztlich nur zur weiteren Radikalisierung und Bildung neuer, noch rechterer Organisationen. So wurde die österreichische FPÖ bei ihren Regierungsbeteiligungen jedes Mal in fürchterlicher Weise entlarvt – um dann kurze Zeit später in neuem, weiter rechts stehendem Gewand in alter Stärke wiederaufzuerstehen. Auch das Debakel der „Dänischen Volkspartei“, die während ihrer Regierungstolerierung von 20 % auf heute unter 3 % abstürzte, brachte nur die noch rechtere Partei der „Dänendemokraten“ hervor, die von ihr die Führungsrolle übernahm.

Das dänische Beispiel zeigt auch ein weiteres ungeeignetes Modell: Hier übernahm die größte reformistische Partei, die Sozialdemokratie, wesentliche Teile des rassistischen Migrationsprogramms der Rechten, um es mit klassischer Sozialpolitik für die „eigenen“ Unterschichten zu verbinden. Dieses Modell einer rechtsnationalen Sozialdemokratie wurde tatsächlich für einige sozialdemokratische Parteien nicht nur in Skandinavien zu ihrem modernen Weg ernannt. Auch wenn es teilweise in Wahlen erfolgreich war, verhindert es nicht, dass sich dadurch der rechte Irrationalismus weiter bestärkt fühlt und letztlich doch wieder das „Original“ gewählt wird – insbesondere wenn die so nach rechts gewendete Sozialdemokratie dann doch wieder klassische bürgerliche Krisenpolitik betreibt. Ähnlich verfehlt ist die Strategie, links von der Sozialdemokratie linkspopulistische Organisationen aufzubauen, die ebenso eine offene Flanke gegenüber Rassismus und sozialchauvinistischer Migrationspolitik aufweisen. Auch wenn Mélenchon in Frankreich oder Wagenknecht in Deutschland zeitweise in der Lage sind, Wähler:innen von den Rechten in ihre Richtung zu lenken, so bestärken sie ihrerseits die gesellschaftlichen Spaltungen in den Unterschichten, die gerade zum Aufstieg der Rechten führen.

Kampf

Mit dem Faschismus gibt es letztlich keine „diskursive“ politische Auseinandersetzung. Faschistische Kader müssen je nach Kräfteverhältnis in direkter Aktion an ihrer politischen Aktivität gehindert werden. Ihnen darf keine öffentliche Plattform gestattet werden. Dies betrifft auch Faschist:innen am Arbeitsplatz oder in Gewerkschaften, wo wir für ihren Ausschluss eintreten. Auch ihr Antritt bei Wahlen muss mit gebotenen Mitteln ver- oder behindert werden. Dabei vertrauen wir nicht auf den bürgerlichen Staat oder seine Organe (da etwaige Verbote sowieso vor allem gegen Linke eingesetzt werden), sondern auf die Einheitsfront von Arbeiter:Innenorganisationen und Vereinigungen anderer gesellschaftlich Unterdrückter.

Bei den rechtspopulistischen Organisationen wie der AfD oder auch der breiteren Wähler:innenschaft von Frontorganisationen ist ein differenzierteres Vorgehen notwendig, da ihre Anhängerschaft nur zu einem gewissen Teil aus Faschist:innen besteht. Entscheidend ist aber auch hier die Einheitsfront, insbesondere die Forderung an die führenden reformistischen Organisationen,  mit der bürgerlichen Krisenpolitik (die mit den „demokratischen Allianzen“ noch verstärkt wird) zu brechen und sich in einen gemeinsamen Kampf gegen kapitalistische Angriffe und rechte Hetze einzureihen. Den Rechten darf der Krisenprotest nicht überlassen werden aus lauter Angst vor „Querfronten“. Dabei muss in solchen Einheitsfrontaktionen auf den Ausschluss rechter Kräfte und die Verteidigung der Aktionen gegen Unterwanderung durch Rechte gedrängt werden. Aktionen der rechten Frontorganisationen, in denen faschistische Kader eine wichtige Rolle spielen, z. B. Mobilisierungen gegen Geflüchtete müssen ähnlich wie direkt faschistische Aktionen konfrontiert werden. Politische Veranstaltungen der klassischen Art wie z. B. Wahlkundgebungen oder Diskussionsveranstaltungen können je nach Kräfteverhältnis rein propagandistisch angegriffen oder gestört werden. Dabei steht das Aufzeigen der politischen Alternative und die Schwäche der Rechten bei den entscheidenden Fragen gerade gegenüber unentschlossenen, verunsicherten Personen aus den sozial bedrängten Unterschichten im Vordergrund.

Die wichtigste Waffe gegen den Aufstieg der extremen Rechten und des Faschismus ist jedenfalls das konsequente Vorantreiben einer internationalistischen antikapitalistischen Alternative und das Aufzeigen des revolutionären Weges dahin. Nur dies kann die Scheinalternativen der nationalen Abschottung, des Vorantreibens gesellschaftlicher Spaltungen und des Aufbaus von Ersatzfeind:innen für den/die eigentliche/n Klassenfeind:in als Irrwege entlarven. Die Einheitsfront bildet ein zentrales Instrument zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltungen, wie sie von den Rechten benutzt werden. In der Einheitsfront erleben die Arbeiter:innen und Unterdrückten die Solidarität über Grenzen der nationalen Herkunft, Geschlechteridentitäten, Verdienst- und Bildungsunterschiede, kulturellen und schichtspezifischen Verschiedenheiten hinaus.

Sie ist aber vor allem auch ein wichtiges Instrument, um die weiterhin bestehende Mobilisierungsfähigkeit reformistischer Organisationen und der Gewerkschaften zu nutzen und ihre Führung vor den Massen dem Test der Praxis zu unterziehen. Trotzki wies 1932 in „Was nun?“ darauf hin, dass die Lage der Arbeiter:innenbewegung angesichts von Niederlagen, Krise und Aufstieg der Nazis aussichtslos zu sein schien, dass aber gerade die aus der Situation der Defensive entstehenden Kämpfe eine Perspektive der Offensive eröffnen würden: „Man darf nicht vergessen, dass die Einheitsfrontpolitik im Allgemeinen in der Defensive viel wirksamer als in der Offensive ist. Konservativere oder zurückgebliebenere Schichten des Proletariats lassen sich leichter in den Kampf ziehen, um das zu verteidigen, was sie bereits besitzen, als um Neues zu erobern.“

Bei einem klaren strategischen Plan der revolutionären Partei für den erfolgreichen Aufbau der Einheitsfront besteht die weitergehende Perspektive: „Der Widerstand der Arbeiter gegen die Offensive von Kapital und Staat wird unvermeidlich eine verstärkte Offensive des Faschismus hervorrufen. Wie bescheiden die ersten Verteidigungsschritte auch sein mögen, die Reaktion des Gegners wird unverzüglich die Reihen der Einheitsfront zusammenschließen, die Aufgaben erweitern, die Anwendung entschiedenerer Maßnahmen erforderlich machen, die reaktionären Schichten der Bürokratie von der Einheitsfront abschütteln, den Einfluss des Kommunismus steigern, die Barrieren innerhalb der Arbeiterschaft schwächen und damit den Übergang von der Defensive zur Offensive vorbereiten.“




24 Monate nach den Morden in Hanau: Kein Vergessen!

Martin Suchanek, Neue Internationale 262, Februar 2022

Die rassistischen Morde von Hanau jähren sich am 19. Februar. Vor zwei Jahren wurden Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Paun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoglu bei Anschlägen durch einen Akt faschistischer Barbarei brutal aus dem Leben gerissen.

Faschistischer Anschlag

Der Todesschütze von Hanau war darauf aus, möglichst viele migrantische Menschen zu töten. Über seine Motive besteht kein Zweifel. Seine Bekennerschreiben und Videos lesen sich wie Manifeste neofaschistischer und völkischer Barbarei, sind Aufrufe zum Pogrom, zur Vernichtung „bestimmter Völker“! War sein Hass auch mit obskuren Verschwörungstheorien verbunden, so richtete er sich vor allem gegen MigrantInnen. Tobias R., der Killer von Hanau, erinnert unmittelbar an den Attentäter von Christchurch oder an den norwegischen Massenmörder Breivik.

Der Anschlag reiht sich in eine ganze Serie erschreckender rassistischer Morde und Anschläge der letzten 30 Jahre ein. Seit 1990 sind über 200 Menschen Opfer rechter, rassistischer und faschistischer Gewalt geworden, einschließlich immer offener antisemitischer Anschläge wie in Halle.

Die Zunahme rechter Anschläge wie die Bildung terroristischer Gruppierungen, Zellen und Netzwerke stellen den zugespitzten Ausdruck eines Rechtsrucks dar, dessen Erscheinungsformen den Aufstieg der AfD, aber auch faschistischer Organisationen wie der „Identitären Bewegung“, klandestiner Terroreinheiten sowie irrationalistischer Bewegungen wie der QuerdenkerInnen umfassen.

Wut, Trauer, Widerstand

Wie viele andere AntirassistInnen und AntifaschistInnen rufen wir zur Teilnahme an den Demonstrationen und Aktionen zum Gedenken den Mord von Hanau auf. Wir wollen damit den Familien, den Angehörigen und FreundInnen der Getöteten unsere Anteilnahme zeigen, sie in ihrem Schmerz, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung nicht alleine lassen. Wir wollen ein Zeichen der Solidarität mit allen Opfern rassistischer und faschistischer Anschläge, Angriffe und Morde setzen, ein Zeichen der Solidarität mit allen Abgeschobenen, mit den Opfern der mörderischen EU-Grenzpolitik sowie allen Formen staatlicher und institutioneller rassistischer Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung.

Damit aus Wut und Trauer, Zorn und Angst Widerstand gegen den rassistischen Terror und Rechtsextremismus wird, müssen wir uns bemühen, die Ursachen, die sozialen Wurzeln der barbarischen Morde zu verstehen.

Rassistischer Wahn

Die faschistischen, neofaschistischen, aber auch zahlreiche rechtspopulistische Organisationen stellen ein irrationales völkisches Wahngebilde zunehmend ins Zentrum  ihrer Ideologie, eine Mischung aus Verschwörungstheorie, Rassismus, Antisemitismus und allen möglichen Formen reaktionären Gedankenguts wie z. B. des Antifeminismus, Leugnung des Klimawandels oder der Gefahr durch das Corona-Virus. So bizarr und wirklichkeitsfremd, ja die Realität auf den Kopf stellend diese Ergüsse auch wirken (und sind), knüpfen sie doch an die Vorstellungswelt eines viel breiteren rechten Spektrums an, das bis tief in bürgerliche und kleinbürgerlich-reaktionäre Schichten  reicht (und auch unter politisch rückständigen ArbeiterInnen Gehör findet).

Der individuelle Terrorismus auf Seiten der Rechten signalisiert daher auch einen grundsätzlichen Stimmungsumschwung unter weiten Teilen des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten. Das drückt sich auch in der Herkunft etlicher AttentäterInnen aus.

Viele entpuppten sich als Menschen mit klassischen kleinbürgerlichen Karrieren, häufig auch im Polizei- und Sicherheitsapparat. Über alle biographischen Besonderheiten hinweg verdeutlicht die Gemeinsamkeit der sozialen Herkunft, dass sich die gegenwärtige Krise im KleinbürgerInnentum, in den Mittelschichten ideologisch nicht nur als Angst vor Deklassierung, sondern auch als zunehmendes Misstrauen und Ablehnung gegenüber der traditionellen bürgerlichen Führung und dem Staat manifestiert. Es bedarf eines rechten Aufstandes, einer Pseudorevolution, der angelichen Entlarvung von „Verschwörungen”, eines Pogroms an den „fremden Rassen“ und „VolksverräterInnen“, was im terroristischen Akt an möglichst vielen schon exemplarisch vorgeführt wird.

Wie bekämpfen?

Wie der Mord am Regierungspräsidenten Lübcke gezeigt hat, kann sich der rechte Terrorismus auch gegen RepräsentantInnen des bürgerlichen Staates richten. Die Masse seiner Opfer findet er jedoch – und darin gleicht er dem Terror faschistischer Massenbewegungen – unter MigrantInnen, rassistisch Unterdrückten, linken AktivistInnen oder dem Subproletariat (z. B. Obdachlose), also den Lohnabhängigen und Menschen, die Rassismus und Faschismus entgegentreten wollen.

Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass wir uns dabei – wie im Kampf gegen den Faschismus insgesamt – nicht auf den bürgerlichen Staat und seine Polizei verlassen können. Die Forderung nach verschärfter Repression und Überwachung geht daher nicht nur ins Leere, sondern letztlich in eine falsche Richtung, weil sie einem bürgerlichen, repressiven, rassistischen Staatsapparat mehr Machtmittel in die Hand gibt, die in der Regel gegen uns eingesetzt werden.

Zweitens können aber auch der Selbstschutz, der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten, antifaschistische Recherche – so wichtig sie im Einzelnen wohl sind – gegen klandestine Terrorzellen oder Individuen nur begrenzt Schutz bieten.

Schwerpunkt

Das Hauptgewicht des Kampfes muss daher auf dem gegen die gesellschaftlichen Wurzeln liegen, und zwar nicht nur, indem der Kapitalismus als Ursache von Faschismus, zunehmender Reaktion, Rechtsruck, Krise identifiziert und benannt wird. Es kommt vor allem darauf an, dass die ArbeiterInnenklasse als jene soziale Kraft in Erscheinung tritt, die einen fortschrittlichen Ausweg aus der aktuellen gesellschaftlichen Krise zu weisen vermag. Der Zustrom zur AfD, die Mobilisierungskraft von Corona-LeugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, also der gesellschaftliche Rechtsruck und Irrationalismus, stellen keine unvermeidliche, automatische Reaktion auf eine Krisensituation dar.

Dass der Rechtspopulismus zu einer Massenkraft geworden ist und in seinem Schlepptau auch faschistische Organisationen und Terrorismus verstärkt ihr Unwesen treiben, resultiert auch, ja vor allem daher, dass sich die reformistische ArbeiterInnenbewegung nicht als antikapitalistische Kraft, sondern als bessere Systemverwalterin zu profilieren versucht. SPD und DGB-Gewerkschaften tragen auf Bundesebene die Ampel-Koalition und üben den Schulterschluss mit dem Kapital. Die Linkspartei, wie immer hoffnungsfroh, setzt auf die „Einheit der DemokratInnen“ (bis hin zu CDU und FDP, wenn es gegen die AfD geht).

Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus können geschlagen werden. Aber dazu braucht es einen politischen Kurswechsel, ein Programm, eine Strategie, die die Mobilisierung gegen diese Kräfte als Teil des Klassenkampfes versteht. Nur so kann dem Rechtsruck sein Nährboden entzogen werden. Nicht Einheit über alle Klassengrenzen hinweg, sondern Einheit der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der MigrantInnen gegen rechten Terror, Populismus und Rechtsruck ist das Gebot der Stunde.




Ihre Freiheit ist eine Lüge

ArbeiterInnenmacht-Rede zum AfD-Gegenprotest in Herrenberg, Infomail 1176, 25. Januar 2022

Hallo GenossInnen,

wie wir wissen, schießen die Infektionszahlen in diesen Tagen wieder mal in die Höhe und scheinbar geht auch einigen Leuten dabei im Kopf die Sicherung durch. Zu der Omikron-Welle kommt jetzt zu allem Unglück noch eine Spaziergangswelle von Verwirrten, die mit hohlen Freiheitsphrasen um sich schmeißen.

Für diese Leute ist die Verweigerung des Maskentragens und der Impfung der letzte Hort der Freiheit. Sie halten sich nicht an den Infektionsschutz und denken, das sei ein Widerstandsakt. Die AfD fühlt sich berufen, diesen SpinnerInnen eine Stimme zu geben.

Die AfD fordert Freiheit für das egoistische Individuum. Die ganz reale Unfreiheit – der Lohnabhängigen, von rassistisch Unterdrückten, von Frauen oder LGBTQ-Personen – verteidigt sie als Gesetz der Natur.

Wir wollen diesen reaktionären Haufen nicht mehr sehen!

Der gemeinsame Nenner der sogenannten SpaziergängerInnen ist Wissenschaftsleugnung und Ablehnung des Infektionsschutzes. Unsoziales, gemeingefährliches und egoistisches Verhalten wird zur Protestkultur einer Bewegung der vermeintlich Fitten, die denken, Corona könne ihnen nichts anhaben.

Woher kommt dieser absurde Möchtegernprotest?

Den Nährboden für diese reaktionäre Bewegung haben die Regierungen mit ihrer gescheiterten Pandemiepolitik selbst bereitet. Deren Ziel war nie der Schutz von Leben und Gesundheit, sondern, die kapitalistische Profitmaschine am Laufen zu halten. Es gilt als Erfolg, dass schwerkranke PatientInnen einen Beatmungsplatz bekommen. Dass sie an einer vermeidbaren schweren Krankheit leiden, wird als unvermeidbarer Kollateralschaden verbucht, damit die kapitalistische Wirtschaft weiterlaufen kann.

Das ist menschenverachtende Politik im Interesse des Kapitals!

Letzten Sommer wurde das baldige Ende der Pandemie angekündigt und es wurden daher auch keine Vorbereitungen für die vierte Welle getroffen. Mittlerweile ist das faktische Ziel der Bundesregierung die Durchseuchung der gesamten Bevölkerung. Karl Lauterbach, unser ach so toller Gesundheitsminister, dem seit jeher ein auf Profiterwirtschaftung getrimmtes Gesundheitswesen wichtiger ist als Menschenleben und der maßgeblich die Einführung der DRGs vorangetrieben hat als „Berater“ der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, rechnet selbst mit mehreren hunderttausend Neuinfektionen pro Tag und trägt das vor, als wäre es die Wettervorhersage!

Die Regierung versucht, die Durchseuchungspolitik zu verschleiern, und stellt sie so dar, als stünde sie im Einklang mit der Wissenschaft. Das ist sie natürlich nicht. ExpertInnen warnen davor, Ungeimpfte egal welchen Alters einer Infektion mit der Omikron-Variante auszusetzen. Auch zweifach Geimpfte tragen ein Erkrankungsrisiko. Solange die Hälfte der Bevölkerung keine dritte Impfung erhalten hat und sogar 3 Millionen (!) Über-60-Jährige ungeimpft sind, ist das Laufenlassen der Pandemie zynisch. Diese Politik nimmt den Tod von Tausenden in Kauf und Long Covid für Millionen, und sie macht die Entstehung neuer Virusvarianten wahrscheinlich.

Dabei gäbe es eine Alternative: Konsequenter Infektionsschutz, der keine Rücksicht auf Profitinteressen nimmt, Aussetzung von Tätigkeiten mit hohem Infektionsrisiko, systematische Umsetzung, Kontrolle und Verbesserung der Maßnahmen in allen Betrieben, Schulen und Unis.

Einen solidarischen Umgang mit der Pandemie müssen wir erkämpfen – gegen Regierung und Kapital!

Die Politik hat die Gefahr durch Corona systematisch verharmlost und die Verantwortung für den Gesundheitsschutz dem Individuum übertragen. Die Rechten denken diese Politik konsequent zu Ende und verbinden sie mit Verschwörungstheorien und Wissenschaftsleugnung.

Diesen Verschwörungsglauben können wir nicht mit Aufklärung besiegen.

Wir müssen den Rechten die Straße nehmen!

Wir müssen ihnen aber auch eine progressive Antwort auf Pandemie und Krise entgegensetzen, damit klar wird, wie systemkonform ihr lächerlicher Protest eigentlich ist!

Das heißt, wir müssen den Kampf gegen rechts verbinden mit dem für eine solidarische Pandemievorsorge, gegen Entlassungen und Schließungen von Krankenhäusern, für mehr Personal in den Kliniken, für mehr Gehalt für alle Beschäftigten!

Außerdem ist es unerlässlich, dass wir für die Freigabe der Impfstoffpatente weltweit eintreten, damit diese global produziert und verteilt werden können. Gerade in den halbkolonialen Ländern, die formal unabhängig, aber ökonomisch von den imperialistischen Zentren wie beispielsweise Deutschland abhängig sind, ist es von enormer Bedeutung, dass die Bevölkerung Zugang zu kostenlosen Impfungen erhält, da man dadurch weitere Mutationen des Virus eindämmen kann und es nicht weiter zu fatalen Varianten kommt, deren Folgen nicht abzuschätzen sind.

Gegen den rechten Spuk hilft nur die Mobilisierung der organisierten ArbeiterInnenklasse, die für eine rationale Lösung der Pandemie kämpft – also mit antikapitalistischer Politik gegen die Auswüchse kapitalistischer Krise und Pandemiepolitik!

In diesem Sinne, lasst uns den Kampf gegen AfD und Pandemie gemeinsam führen!




Pakistan: Klerikalfaschismus erhebt wieder sein hässliches Haupt

Minerwa Tahir, Infomail 1147, 25. April 2021

Die Kräfte des klerikalen Faschismus, verkörpert durch die Tehreek-e-Labbaik Pakistan (Bewegung „Ich bin da, Pakistan“; TLP), haben ihre wachsende Stärke mit Massendemonstrationen in ganz Pakistan geltend gemacht. Die Situation stellt eine potenzielle Gefahr für die Organisationen und Kämpfe der arbeitenden Massen, der Frauen, geschlechtlichen und nationalen Minderheiten sowie aller anderen unterdrückten Schichten der Gesellschaft dar.

Reaktionäre Mobilisierung und Staat

Im Zentrum der reaktionären Mobilisierungen steht die Forderung, dass Pakistan den französischen Botschafter ausweist, weil die französische Regierung nicht gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ vorgegangen ist, als diese Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlichte. Im vergangenen November, nachdem die TLP zu Massendemonstrationen mobilisiert hatte, versprach Premierminister Imran Khan, das Parlament innerhalb von drei Monaten in die Lösung der Situation einzubeziehen.

Als die Frist näher rückte, hatte die Regierung nichts unternommen. Das pakistanische Kapital hat eindeutig kein Interesse daran, die Beziehungen zu den imperialistischen Staaten zu kappen, und Khan hatte das sogar ganz offen gesagt. Der Hauptanführer der TLP, Saad Rizvi, veröffentlichte ein Video, in dem er seine AnhängerInnen aufrief, sich auf einen „langen Marsch“ gegen die Regierung vorzubereiten. Am 12. April schlugen die Behörden zurück und verhafteten Rizvi. Innerhalb weniger Stunden begannen im ganzen Land Sitzstreiks. In allen größeren Städten kam es zu schweren Ausschreitungen des Mobs, bei denen mehrere Menschen, darunter auch PolizistInnen, getötet wurden. TLP-Mitglieder blockierten viele wichtige Auto- und Eisenbahnen und unterbrachen den gesamten Reiseverkehr von und zu den wichtigsten Städten.

Die Regierung ging daraufhin dazu über, die TLP zu verbieten, ein Schritt, der von weiten Teilen der liberalen Intelligenz beklatscht wurde. Polizei und paramilitärische Truppen gingen hart gegen die TLP vor, und es wurde berichtet, dass mehr Menschen getötet wurden. Die TLP behauptete: 45. Die Regierung unterbrach auch die Internetverbindung in größeren Städten, darunter Lahore. Als Reaktion darauf mobilisierte die TLP ihre Massenunterstützung und nahm 11 PolizistInnen als Geiseln, nachdem sie eine Polizeistation in Lahore gestürmt hatte. Das Ausmaß der Mobilisierung, die das Land tatsächlich zum Stillstand brachte, unterstreicht die Anziehungskraft und die breite Unterstützung der TLP.

Der Druck auf die regierende rechtsgerichtete PTI-Partei (Tehreek-e-Insaf Pakistan; Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) wuchs, als andere religiöse Parteien den Aufruf zu einem landesweiten Streik gegen die Regierung unterstützten. Auch die Tehreek-e-Taliban Pakistan (Bewegung der pakistanischen Taliban) bot der TLP ihre Unterstützung an. Einer ihrer Führer begrüßte die Geste nicht nur, sondern kündigte an, an der Seite der Taliban zu den Waffen zu greifen, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden.

Auch innerhalb der PTI kam es zu Spannungen, als ein Minister damit drohte überzulaufen, wenn das Verbot gegen die TLP nicht aufgehoben würde. Angesichts dessen beschloss die Regierung, in Verhandlungen einzutreten, und der Premierminister selbst verkündete im Fernsehen, dass seine Regierung und die TLP das „gleiche Ziel“ hätten, die Blasphemie auf der ganzen Welt zu bekämpfen, nur ihre Methoden seien unterschiedlich. Khan glaubt weiterhin, dass eine geeinte Haltung der weltweiten muslimischen Ummah (Gemeinschaft) die imperialistischen Zentren rational davon überzeugen könnte, keine religiösen Gefühle zu provozieren, indem sie heilige Figuren des Islam respektlos behandeln. Er versteht entweder nicht, oder er entscheidet sich dafür, die Rolle solcher islamfeindlichen Aufwiegelungen in Ländern wie Frankreich zu ignorieren, wenn deren rechte Regierungen sich unter dem Druck sozialer Bewegungen wiederfinden.

Teilsieg der TLP

Die Verhandlungen zwischen der PTI-geführten Regierung und den klerikalen FaschistInnen waren schließlich „erfolgreich“, als die TLP zustimmte, die Proteste abzubrechen, im Austausch für die Zustimmung der Regierung, in der pakistanischen Nationalversammlung eine Resolution gegen die französische Regierung einzubringen. Die Regierung stimmte auch zu, einige Anklagen gegen TLP-Mitglieder zurückzuziehen.

Imran Khan und seine Regierung mögen gedacht haben, dass ihre rechtspopulistische Rhetorik ihre Unterstützung in der Bevölkerung stärken würde, aber die wahrscheinlichste Folge ihres Rückzugs wird sein, dass sie die Kräfte des klerikalen Faschismus ermutigen werden. Sie mögen zugestimmt haben, ihre Proteste vorerst einzustellen, aber sie werden sicher nicht vergessen, dass sie das ganze Land innerhalb weniger Stunden zum Stillstand gebracht haben. Die Geschichte des Faschismus zeigt, wie er immer klein anfängt und durch solche Siege ermutigt wird.

In diesem Szenario ist auch die Rolle der sogenannten Opposition in Pakistan nicht fortschrittlich. Sowohl die Pakistanische Muslimliga – Nawaz, PML-N, die Partei des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif, als auch der Vorsitzende der Pakistanischen Demokratiebewegung, einer Allianz der Mainstream-Oppositionsparteien, Maulana Fazl- ur-Rehman, haben den Schritt zur Ausweisung des französischen Gesandten offen unterstützt. Die Illusionen der liberalen Linken verflüchtigen sich, während die vermeintlich fortschrittliche bürgerliche Opposition weiterhin dem vorherrschenden rechten Bewusstsein und Druck nachgibt.

Sozialer Hintergrund

Die Proteste der TLP fanden nicht in einem Vakuum statt, sondern in einer Zeit der verschärften Wirtschaftskrise, in der verschiedene Schichten der ArbeiterInnenklasse, Frauen sowie nationale und andere Minderheiten tapferen Widerstand geleistet haben. Im Jahr 2019 wandte sich die PTI-geführte Regierung an den Internationalen Währungsfonds IWF, um ein Rettungspaket zu erhalten, aber natürlich war der Deal an Bedingungen geknüpft.

Die Krise verschärfte sich im darauffolgenden Jahr noch weiter, da die globale Pandemie die ArbeiterInnenklasse, die unteren Mittelschichten sowie die Armen in den Städten und auf dem Land schwer traf. Die einfachen Massen sterben ohne einen Zugang zu qualitativ hochwertiger medizinischer Behandlung oder zu Impfstoffen, während ganze Familien der bürgerlichen Elite in ihren klimatisierten Salons geimpft werden. Diejenigen, die nicht an der Pandemie gestorben sind, werden von Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit hart getroffen. Der Lebensstandard bricht zusammen, da extrem hohe Inflationsraten mit einer Kürzung aller Subventionen dank der „Strukturanpassungen“ des IWF einhergehen.

Währenddessen verteilte die neoliberale Regierung milliardenschwere Hilfspakete an das Großkapital. Sie behauptete, sie könne nicht die Grundbedürfnisse des Lebens für die arbeitenden Massen garantieren, aber sie hatte genug, um die ohnedies immens Reichen zu versorgen.

Da die Klassenungleichheiten immer krasser werden und die ArbeiterInnenklasse keine revolutionäre Partei hat, die ihre Interessen verteidigt, können die Kräfte der Reaktion an die Gefühle der einfachen Massen appellieren, die nach einem Ausweg aus dem Wahnsinn der verfallenden Wirtschaft suchen. Im Jahr 2017, als die Sharif-Regierung mit einer ähnlichen sozialen Krise kämpfte und als auch die TLP mobilisiert hatte, tauchte die PTI als Alternative nicht nur für Teile des Kapitals auf, sondern auch als Antwort auf die Frustrationen großer Teile der Mittelklassejugend und junger ArbeiterInnen, die einen Ausweg aus dem Elend von Arbeitslosigkeit und Armut suchten.

Die damalige Popularität der PTI kann nicht nur als eine Verschwörung verstanden werden, die von mächtigen Teilen des Staates inszeniert wurde. Sie war eine Kombination, die Unterstützung aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft anzog, die sich von der PML-N und der PPP (Pakistanische Volkspartei) abwandten. Auch die Militärelite brauchte etwas Neues, um die Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten – eine Aufgabe, bei der die PML-N und PPP zunehmend versagten. Die PTI versprach Arbeitsplätze für die wachende Bevölkerung. In Kombination mit Khans Opposition gegen die US-Drohnenangriffe präsentierte sich die PTI als eine Partei, die Pakistan unabhängig von der US-Außenpolitik aufbauen wollte.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Wahlen 2018 durch beispiellose Manipulationen getrübt wurden. Aber es wäre falsch zu bestreiten, dass die Massen die PTI als Alternative zur Herrschaft der PML-N/PPP sahen. In Ermangelung einer revolutionären Partei der ArbeiterInnenklasse ist es keine Überraschung, dass die werktätigen Massen von der einen oder anderen „neuen“ bürgerlichen Alternative beeinflusst werden. Da solche Parteien natürlich nicht die Interessen der Lohnabhängigen und Unterdrückten vertreten, leiden sie weiterhin unter jeder neuen Regierung und die Verzweiflung wächst. Eine Ausrichtung der Klasse auf ihre eigenen Interessen kann nur erreicht werden, wenn die heranreifenden objektiven Bedingungen von einem auch ideologisch revolutionären subjektiven Faktor begleitet werden.

Die aktuelle soziale Krise zeigt deutlich einen Rechtsruck, der durch staatliche Gewalt, die, von bürgerlichen Liberalen fröhlich gefeiert, weiter angeheizt wurde. Dieser Rechtsruck hat begonnen, das Bewusstsein nicht nur von Teilen der Mittelschichten und des Lumpenproletariats zu beherrschen, sondern auch der am meisten unterdrückten Schichten der ArbeiterInnenklasse.

Basis der TLP

Was die klerikalfaschistische TLP betrifft, so ist klar, dass es für diese Partei angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der sunnitischen Barelvi-Sekte der Hanafi-Schule nicht schwer ist, auch jene Schichten der Mittelschichten und des Lumpenproletariats zu mobilisieren, die noch nie organisiert waren. Alles, was sie tun muss, ist, mit der Erzählung von der Gefahr, die dem Islam angeblich droht, hausieren zu gehen. Auch hier gilt: Ohne eine revolutionäre Alternative sorgen die bestehenden Bedingungen in einem verarmten halbkolonialen Staat wie Pakistan dafür, dass die Religion die Massen beherrscht.

Die Tatsache, dass der Faschismus sogar zur Ideologie von rückständigen ArbeiterInnen werden kann, sollte nicht überraschen, insbesondere unter den spezifischen Bedingungen Pakistans, die die anhaltende Herrschaft der Religion mit einer anhaltenden sozialen Krise verbinden. Wie Trotzki in Bezug auf Mussolinis Italien feststellte: „Die faschistische Bewegung in Italien … ging aus dem Kleinbürgertum, dem Slumproletariat und sogar bis zu einem gewissen Grad aus den proletarischen Massen hervor.“

MarxistInnen sind keine Liberalen, weshalb wir bei der Definition von Faschismus Vorsicht walten lassen. Nicht jede kapitalistische Reaktion ist faschistisch. Um den Faschismus zu verstehen, müssen wir seine soziale Basis, seine Form, die Klasseninteressen, denen er dient, und seine spezifischen Merkmale betrachten. Wir müssen den Aufstieg des Faschismus als einen Prozess analysieren und nicht als ein einmaliges Ereignis. Man wacht nicht plötzlich eines Tages auf und stellt fest, dass man unter Faschismus lebt. Wir müssen ihn in seiner Entwicklung verstehen.

Die Art und Weise, wie die TLP in der Lage war, Massen zu mobilisieren, die Gewalt des Mobs zu entfachen, verzweifelte KleinbürgerInnen und Lumpenproletarier an Waffen auszubilden und sogar dazu überzugehen, Polizeikräfte anzugreifen, ist ein Grund zur Sorge. Noch besorgniserregender ist jedoch, welchen Klasseninteressen sie dient. Im Namen des Islam nivelliert der Klerikalfaschismus Klassenunterschiede und ruft zu einer Einheit zwischen verschiedenen sozialen Klassen mit antagonistischen Beziehungen auf. Eine solche Verflachung bedeutet notwendigerweise, die Interessen einer Klasse über die der anderen zu stellen. Wie man in vielen Kämpfen sehen kann, sind es nie die Interessen der arbeitenden Massen, die diese Kräfte verteidigen. Tatsächlich bestand, wie Trotzki betonte, das Hauptziel des Faschismus in der Geschichte in der Vernichtung von ArbeiterInnenorganisationen und der „Vereitelung der unabhängigen Kristallisation des Proletariats“, wodurch es auf eine amorphe, atomisierte Masse reduziert wurde.

Ein wesentliches Merkmal des Faschismus ist sein tiefes Eindringen in die Massen, um diese unabhängige Kristallisation des Proletariats zu vereiteln. Wie könnte das in Pakistan aussehen? Die klerikalen FaschistInnen haben in den Slums, den „katchi abadis“, in verschiedenen Städten und Kleinstädten, besonders in der Provinz Punjab, stark Fuß gefasst. Wenn sie anfangen sollten, den Eintritt von SozialistInnen in diese Viertel zu kontrollieren, wäre das ein Hindernis für die ArbeiterInnen, sich durch gemeinsame Aktionen zu einer Klasse zu kristallisieren.

Natürlich würden die objektiven Bedingungen die große Mehrheit dieser Bevölkerungen immer noch ausbeuten und unterdrücken, aber ihr Elend würde ihnen entweder als Strafe für ihre eigenen oder die Sünden der Gesellschaft und ihren Mangel an Religiosität erklärt werden oder als Prüfung ihrer Geduld und Dankbarkeit gegenüber Gott, für die sie im Jenseits eine Belohnung erhalten werden. Die einfachen Massen würden auf hilflose AnbeterInnen reduziert, die um Vergebung oder Verbesserung der Bedingungen beten müssen, anstatt aktive AgentInnen der sozialen Veränderung gegen die Klassenherrschaft zu werden. In der Zwischenzeit würde jede sozialistische Organisation, die versuchen würde, in diese Wohnviertel einzudringen, mit Schikanen, wenn nicht sogar mit körperlichen Angriffen und realen Bedrohungen ihres Lebens konfrontiert werden. Dies würde effektiv bedeuten, dass SozialistInnen (oder, was das betrifft, jede Art von sozialen AktivistInnen) die katchi abadis und andere Viertel, die von den klerikalen FaschistInnen kontrolliert werden, nicht betreten könnten.

Ausmaß der Gefahr und die Linke

Faschismus an der Regierung ist eine Form der Klassenherrschaft, die der Gesellschaft aufgezwungen wird, wenn „normale“ Regierungsformen nicht in der Lage sind, die Widersprüche der Gesellschaft einzudämmen. Er ist die Folge der Unfähigkeit der ArbeiterInnenklasse, sich selbst am Steuer des Geschehens zu platzieren. Gegenwärtig glauben wir nicht, dass das Großkapital, weder das lokale noch das imperialistische, eine TLP-geführte Regierung will, weshalb ihre Chancen, eine solche Macht zu erlangen, gering sind. Solange solche Kräfte jedoch ArbeiterInnen- und Frauenmobilisierungen unterdrücken, Streikpostenketten durchbrechen und die wirklich demokratischen Kämpfe der PaschtunInnen und vieler anderer Minderheiten angreifen können, handeln sie im Interesse des Großkapitals. Die TLP ist eine faschistische Kraft, die wächst und ihre Macht ausbaut. Ihr Ziel ist es, die kleinbürgerlichen, lumpenproletarischen und politisch rückständigen Massen zu mobilisieren, um die verbliebenen demokratischen Rechte des Volkes im Allgemeinen und der ArbeiterInnenklasse im Besonderen zu zerstören.

Die linken Gruppen in Pakistan haben entweder keine Analyse der aktuellen Situation zu bieten (ein Blick auf die Website der Awami Workers‘ Party, AWP, liefert den Beweis) oder sie spielen deren Bedeutung als konspirativen „Start“ einer reaktionären Partei herunter, wie Adam Pal von der International Marxist Tendency, IMT, es ausdrückte. Ihm zufolge genießt die TLP keine Unterstützung in der Bevölkerung, und ihre Führung hat versagt, die Massen zu mobilisieren. Es scheint, dass der Genosse seine Analyse mit geschlossenen Augen geschrieben hat. Andere denken, sie könnten getrost und selbstgefällig zusehen, wie der Staat einige dieser antisozialen Elemente tötet. Imran Kamyana, ein führendes Mitglied von „The Struggle“, schrieb zum Beispiel auf Facebook: „Wenn Faschismus mit Faschismus kollidiert, ist es nicht notwendig, dass man mit dem Opium der eigenen Gewaltlosigkeit eingreift. Manchmal kann man auch schweigen.“

Diese „AnführerInnen“ erkennen nicht, dass staatliche Gewalt in solchen Fällen nur zur Popularität der klerikalfaschistischen Kräfte beiträgt. Noch wichtiger ist, dass solche staatlichen Antworten oft ein Vorwand für die staatliche Verfolgung seiner wahren FeindInnen sind, wie wir an der rassistischen Behandlung von PaschtunInnen im Namen der Bekämpfung der Taliban-TerroristInnen gesehen haben. Es gibt bereits Berichte über sunnitische Männer im Punjab, die vom Staat aufgegriffen werden.

Die Art von Mobgewalt, die die TLP ausübte, indem sie die vollstreckende Gewalt des bürgerlichen Staates herausforderte, zeigt deutlich, dass sie nicht einfach eine andere reaktionäre Organisation ist. Sie ist eine Partei, die aus der Verherrlichung von Mumtaz Qadri hervorging, einem Polizeischutzmann, der den Gouverneur des Punjab, Salmaan Taseer, erschoss, weil er eine fälschlicherweise der Blasphemie beschuldigte Christin verteidigte. Hätten ArbeiterInnen das Chaos verursacht, das die TLP in den letzten Tagen angerichtet hat, wären sie sicherlich innerhalb weniger Minuten niedergeschossen worden. Die Gefahren, die durch den Aufstieg der klerikalen FaschistInnen der TLP entstehen, sind sehr real. Sie stellen eine unmittelbare, physische Bedrohung für die Interessen und Organisationen der ArbeiterInnen und armen Bauern und Bäuerinnen sowie der Frauen und nationalen und sozialen Minderheiten dar.

Antifaschistische Einheitsfront

Wir können uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen, um diesen Kräften zu begegnen, wir müssen uns auf unsere eigene Stärke und Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse verlassen. Doch dabei müssen wir jedoch die Realitäten vor Ort anerkennen. Das Lage ist, gelinde gesagt, nicht rosig. Aber den Kopf in den Sand romantischer Vorstellungen über die ArbeiterInnenklasse zu stecken, hilft niemandem.

Die erste Aufgabe aller Kräfte der ArbeiterInnen- und fortschrittlichen Bewegungen, die den Aufstieg des Klerikalfaschismus stoppen wollen, liegt darin, die politische Alarmglocke zu läuten. Man darf angesichts der unmittelbaren und zukünftigen Gefahr nicht selbstgefällig sein. Die zwischen der TLP und der Regierung getroffenen Abmachungen werden die Moral der Rechten stärken. Dies wird zukünftige organisierte Angriffe auf den Straßen fördern und neue Kräfte aus dem verzweifelten Kleinbürgertum, dem Lumpenproletariat und sogar rückständigen Teilen der ArbeiterInnenklasse anziehen.

Diese Gefahr ist besonders groß, weil die wirtschaftliche, soziale und politische Krise, die diese Kräfte hervorgebracht hat, weiter andauern wird und sich die Lebensbedingungen von Millionen noch weiter verschlechtern werden. Die KlerikalfaschistInnen werden versuchen, sich als pseudoradikale Alternative zu den Regierungsparteien und der bürgerlichen Opposition zu präsentieren. Die Massenbewegungen der national Unterdrückten und die aufstrebende Frauenbewegung werden in der kommenden Periode die Hauptziele der Rechten markieren. Das Gleiche wird für die kämpfenden ArbeiterInnen gelten, sobald ihre Forderungen und Streiks als „antiislamisch“ gebrandmarkt werden.

Deshalb dürfen die Gewerkschaften, die linken Parteien und Organisationen, die Frauenbewegung, die StudentInnen und die Jugend, die Bewegungen gegen nationale Unterdrückung keine Zeit verlieren: Sie müssen jetzt mit dem Aufbau einer antifaschistischen Einheitsfront beginnen.

Vor diesem Hintergrund rufen wir die Organisationen der ArbeiterInnen, der StudentInnen, der Frauen und der geschlechtlichen Minderheiten, der armen Bauern und Bäuerinnen sowie der nationalen und religiösen Minderheiten auf, ein antifaschistisches Bündnis auf der Grundlage einer gemeinsam vereinbarten Aktion zu bilden. Dies wäre ein erster Schritt in Richtung Bildung einer antifaschistischen Einheitsfront.

Eine Informationskampagne über die aktuelle Gefahr wäre eine zentrale Aufgabe dieses Bündnisses, in der die wahren Pläne der KlerikalfaschistInnen vor den einfachen Massen erklärt und bloßgestellt werden. Noch wichtiger ist, dass es ein Bündnis zur Verteidigung der Organisationen der ArbeiterInnenklasse und deren Wohnviertel, der Frauen, der sozial und national Unterdrückten durch die Bildung von Organisationen zur Selbstverteidigung verkörpern muss.

Für ihren Erfolg und ihre Entwicklung ist es jedoch entscheidend, eine solche Einheitsfront als Teil des allgemeinen Klassenkampfes zu verstehen, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten. Um den Aufstieg des Klerikalfaschismus zu stoppen, müssen die ArbeiterInnenklasse und ihre Verbündeten auch die soziale Krise, das wirtschaftliche Elend und die politische Unterdrückung im Lande angehen, sie müssen den Kampf gegen den Faschismus mit dem gegen die kapitalistische Krise und Ausplünderung verbinden.

Deshalb denken wir, dass wir neben dem Aufruf an die bestehenden Organisationen eine Strategie entwickeln müssen, um unsere zahlenmäßige Schwäche zu überwinden, indem wir aktiv Massenorganisationen der ArbeiterInnen und eine revolutionäre Partei der ArbeiterInnenklasse aufbauen. Die soziale Krise in Pakistan stürzt die ArbeiterInnenklasse und die unterdrückten Schichten der Gesellschaft immer wieder in spontane Aktionen. Dieser fehlt jedoch die Fähigkeit, die Kräfte zu bündeln und zum Kampf um die Macht vorzubereiten. Um den Kapitalismus und damit den Aufstieg des Faschismus wirksam zu besiegen, brauchen wir jedoch die Macht der ArbeiterInnen. Und um die Verwirklichung dieses Sieges der einzigen revolutionären Klasse über die Bourgeoisie sicherzustellen, brauchen wir eine revolutionäre Partei, die über eine klare Strategie und ein entsprechendes Aktionsprogramm verfügt.