G20 in Hamburg – Der Countdown läuft

Chris Kramer, Infomail 951, 29. Juni 2017

Nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Die Stadt bereitet sich auf eine Woche Ausnahmezustand und den größten Polizeieinsatz ihrer Geschichte vor – 15.000 Polizistinnen und Polizisten sollen zum Einsatz kommen. Damit diese auch etwas zu tun bekommen, läuft die Vorbereitung der Repression auf Hochtouren. Seit Monaten wird Chaos von den Medien propagiert, kaum ein Tag ohne G20 auf den Titelseiten der großen Hamburger Blätter Abendblatt und MoPo. Die Hamburgerinnen und Hamburger stellen sich auf den Ausnahmezustand ein, viele haben Angst und Bedenken, während der Tage in die Innenstadt zu fahren – kein Wunder bei all den Nachrichten. Straßen werden weiträumig abgesperrt, ein Sonderfahrplan des HVV wurde eingerichtet, die Behörden richten sich auf den Katastrophenfall ein, eine exklusive Gefangenensammelstelle (GESA) für DemonstrantInnen wurde in Harburg im Süden der Stadt inklusive Schnellgerichtsbarkeit eingerichtet. Zusätzlich wurden noch Häftlinge aus Knästen verlegt, um weiteren Platz zu schaffen.

Bei einer Umfrage des Hamburger Abendblatts im Mai haben 73 % geantwortet, dass sie die Innenstadt meiden wollen, 29 % wollen gar die Stadt verlassen. Aber: Ganze 35 % haben geantwortet, dass sie demonstrieren gehen wollen (siehe http://www.abendblatt.de/hamburg/article210639119/Umfrage-zu-G20-Jeder-Dritte-will-Hamburg-beim-Gipfel-verlassen.html). Bei 1,8 Mio. EinwohnerInnen wären das also schon mal über 600.000 DemonstrantInnen alleine aus Hamburg. Und das ist die entscheidende Botschaft an Merkel, Scholz, Dudde (Hamburger Polizei-Chef) und Co.: Egal wie sehr ihr den Protest zu unterdrücken versucht, er wird groß werden, er wird laut werden, und er wird stark werden. Darauf könnt Ihr Euch verlassen!

Repression und Verbot

In der Tat tut Hamburg vieles, um die Proteste zu behindern. Viele haben nicht daran geglaubt, dass es die Stadt bei der Frage der Camps wirklich darauf ankommen lässt. Schließlich müsste es der Polizei und den Offiziellen doch auch lieber sein, wenn sich alle an definierten, angemeldeten Plätzen zum Übernachten einfinden als irgendwo wild verstreut in der Stadt. Es wird mit über 10.000 DemonstrantInnen gerechnet, die auf ein Camp angewiesen sind.

Doch die Stadt legt es offensichtlich wirklich darauf an. Bis zum 28. Juni waren beide Camps, im Altonaer Volkspark und im Stadtpark, verboten. Ob sich die Polizei dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts beugen wird, das Camp im Stadtpark zuzulassen, bleibt abzuwarten. Zweifellos sind aber die Chancen für beide Camps seit gestern gestiegen.

Aber die Stadt bleibt so hart und stur wie möglich – die Leute könnten ja privat übernachten oder sich Hotelzimmer nehmen, so Innensenator Andy Grote. Vermutlich hat er dabei mal wieder übersehen, dass nur wenige Menschen so viel Geld verdienen wie er und seine KumpanInnen von der „neuen Gerechtigkeitspartei“ SPD. Jetzt gibt es ein juristisches Tauziehen. Zunächst hatte das Verwaltungsgericht das Verbot des Camps im Stadtpark, das als politische Versammlung angemeldet wurde, gekippt. Das Oberverwaltungsgericht hat dann wiederum das Verbot des Verbots gekippt – also bleibt das Camp doch verboten. Und heute, ganz brandaktuell, hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Verbots des Verbots gekippt. Also: das Camp-Verbot wurde kassiert (siehe http://www.faz.net/aktuell/g-20-gipfel/richter-widersprechen-hamburg-karlsruhe-kassiert-verbot-des-g-20-protestcamps-15082049.html). Aufatmen! Allerdings kann es Auflagen geben und eine andere Fläche zur Verfügung gestellt werden. Es sieht momentan also ganz gut aus, dass es ein (oder zwei) Camp(s) geben wird, aber wo und unter welchen Bedingungen, ist noch völlig unklar.

Nicht besser sieht es beim Demonstrationsrecht aus. Nachdem SPD- und Grüne-Senatsmitglieder erst von einem „Fest der Demokratie“ geklönt und ausgeschlossen hatten, dass es so was wie eine Verbotszone geben wird, kam Anfang Juni eine sogenannte Allgemeinverfügung, die einen „Transferkorridor“, auch blaue Zone genannt, einrichtet, in der während der Gipfeltage (7.7. und 8.7.) jegliche Demonstrationen und Versammlungen verboten sein sollen. Diese blaue Zone reicht von der Innenstadt bis zum Flughafen und ist satte 38 km2 groß.

Also sagen wir es doch lauthals, wie es ist: Die deutsche Regierung labert ständig in aller Welt von Demokratie und demokratischen Werten, bei jedem Auslandsbesuch werden die üblichen Formeln nach den Nachrichten über die wirtschaftlichen Deals angefügt. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass uns die Medien an die mahnenden Worte in Richtung Trump, Putin und Xi Jinping erinnern. Und wenn genau diese Herren dann alle auf einmal zu Gast sind, zum großen Polit-Spektakel schlechthin, na dann ist es genauso wie bei denen zu Hause: Demonstrationen verboten. This is what democracy looks like? Yes, this is what capitalist democracy looks like!

Umarmung

Aber das ist doch alles Quatsch, werden der Hamburger Oberbürgermeister und seine braven Bürgerinnen und Bürger antworten, es sind ja ganz viele Demonstrationen erlaubt. Genau, die Sozialdemokratie wäre ja nicht die Sozialdemokratie, wüsste sie nicht geschickt mit den verschiedenen Strömungen innerhalb des Protests umzugehen. Und so haben sie natürlich die Protestwelle von Campact und Co. umarmt, Scholz hat persönlich dazu aufgerufen. So soll Protest sein – ein bisschen kritisch (aber nicht zu sehr), schön brav, „konstruktiv“, und eine Woche vorher, wo sowieso noch alles entspannt ist (und die Regierungschefs weit weg). Campact und Co. steigen natürlich ein und helfen mit, den „anderen“, „radikalen“ Protest zu kriminalisieren. Im Vorfeld hatten sich Campact und die Naturfreunde mit anderen Umweltverbänden im Schlepptau dazu entschieden, den Protest zu spalten und eine brave, bürgerliche Demo eine Woche vorher anzubieten. Eine Steilvorlage für Polizei und Politik, die diese gerne annehmen. Campact-Chef Christoph Bautz legte auch noch einen drauf, als er im Interview in der MoPo erklärte, dass Sitzblockaden und allzu radikale Aktionen gegen G20 das falsche Signal seien (http://www.mopo.de/hamburg/g20/organisator-der-g20–protestwelle—sitzblockaden-sind-das-falsche-signal—27820804). Sie wollen eben gerne mit am Tisch sitzen und nicht nur demonstrieren. Klare Botschaft: Wer gerne einbezogen werden möchte und mit kosmetischen Korrekturen zufrieden ist, der kommt bitte am 2.7. auf die Protestwelle. Wer grundsätzlich etwas ändern möchte, der kann am 8.7. demonstrieren – natürlich mit der Gefahr von Wasserwerfern und Pfefferspray.

Jetzt erst recht!

Doch das kann uns nicht abhalten. Auch wenn die genaue Route der Großdemo am 8.7. noch nicht abschließend feststeht, ist es klar, dass die Demo stattfinden und richtig groß werden wird. Die größte Demo seit langem, aus ganz Deutschland und Europa werden DemonstrantInnen anreisen. Es sind über 15 Blöcke angemeldet, die durch alle politischen linken Spektren reichen. Auch hier eine klare Botschaft: This is the place to be! Treffpunkt ist 11 Uhr an den Deichtorhallen, 5 Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt.

Für uns ist klar: Jetzt erst recht! Uns kann keine Schikane, kein Hindernis, kein Verbot und keine angedrohte GESA aufhalten. Wir werden nach Hamburg kommen und Merkel, Trump, May, Putin, Xi, Temer, al-Aziz, Erdogan, Modi und allen anderen zeigen, was wir von ihrer kapitalistischen Welt(un-)ordnung halten – nämlich absolut gar nichts. Wir organisieren und mobilisieren für den Internationalistischen Block. Bereits unter der Woche organisieren wir ein Barrio auf dem spektrenübergreifenden Camp mit täglichen politischen Veranstaltungen. Wir beteiligen uns an den Aktionen, an Block G20 am Freitag, der antikapitalistischen Demo am Freitagabend, und natürlich mit einem großen und kämpferischen Block auf der Demo am 8.7. Dabei ist für uns klar, dass es um keine kosmetischen Reformen gehen kann. Es ist das kapitalistische System, das die Probleme verursacht und das bekämpft werden muss. Dafür brauchen wir politische Inhalte und ein politisches Programm. Und darüber wollen wir mit Euch ins Gespräch kommen. Denn G20 ist nur eine Etappe auf dem Weg – es geht weiter, denn die Welt steuert wieder einmal auf die berühmte Alternative zu, die Rosa Luxemburg in ihre unvergessliche Formel gegossen hat: Sozialismus oder Barbarei!

  • Kommt nach Hamburg! Kommt auf das internationalistische Barrio! Kommt mit uns in den internationalistischen Block!
  • Workers of the world, unite against G20!



Slowakei: Der Streik bei Volkswagen Bratislava

Korrespondent Bratislava, Infomail 951, 30. Juni 2017

Die Hauptforderung war eine Lohnerhöhung um 16 % in zwei Jahren. Das Hauptargument dafür war die Ungleichheit der Löhne zwischen ArbeiterInnen im slowakischen Betrieb und ArbeiterInnen im deutschen Betrieb, trotz der gleichen Arbeit, gleicher Produkte und vergleichbarer Stundenproduktivität. Der Einstiegslohn in der Slowakei beträgt 679 Euro. Die höchste Lohngruppe (1.700 Euro) im slowakischen Betrieb erreicht nicht das Niveau der niedrigsten Lohngruppe (2.037 Euro) im deutschen Betrieb. Die Forderung war also ohnehin nur an einer geringfügigen Angleichung orientiert. Die slowakische ArbeiterInnenklasse versteht, dass sie überausgebeutet wird. Der Streik ist ein Versuch, von dieser Kenntnis zum Widerstand dagegen überzugehen.

Vor dem Streik und während des Streiks kam es zu typischen Drohungen, Einschüchterungstaktiken und medialen Kampagnen gegen die Vertretung der ArbeiterInnen. Alle Reaktionen der KapitalistInnen hatten bisher das Ziel, die Einheit der Streikenden und derer SympathisantInnen zu zerstören. Dann, als Reaktion auf den Streik selbst, wurde fast unmittelbar eine Propagandawelle von Seiten der von der KapitalistInnenklasse kontrollierten Medien und der Unternehmensvertreter ausgelöst. In österreichischen und deutschen Zeitungen wurde über den Durchschnittslohn der ArbeiterInnen gelogen, der angeblich 1.800 Euro betrage. In slowakischen Zeitungen wurden die Löhne mit dem nationalen Durchschnittslohn in der Slowakei und in Deutschland verglichen, mit der Schlussfolgerung, dass die slowakischen ArbeiterInnen eigentlich im Vergleich zu anderen SlowakInnen besser gestellt wären als die deutschen VW-Beschäftigten zu manch anderen deutschen ArbeiterInnen. Sonst wurde argumentiert, dass niedrigere Löhne der Ausdruck niedriger durchschnittlicher Produktivität der slowakischen ArbeiterInnen oder doch nur ein Ausdruck des Marktes wären statt der Produktivität bzw. die Lohnforderung zu hoch sei. Die Wahrheit ist, dass die slowakischen ArbeiterInnen vom deutschen Kapital heftiger ausgebeutet werden, schlichtweg weil die KapitalistInnen es können.

Der Streik ist zurückzuführen auf einen Konflikt innerhalb der gewerkschaftlichen Bürokratie zwischen dem Vertreter der ArbeiterInnen im Betrieb, Zoroslav Smolinsky, und Emil Machyna, dem Vorsitzenden des größten Gewerkschaftsbundes in der Slowakei, OZ KOVO, der der herrschenden sozialdemokratischen Partei SMER (Richtung – Soziale Demokratie) nahesteht. Nach einem Konflikt zwischen diesen beiden Bürokraten kam es zu einem Versuch der Liquidierung der Betriebsgewerkschaft durch den Bund, worauf Smolinsky eine neue Gewerkschaft gründete. Dieser Streik war also auch ein Ausdruck eines bürokratischen Konflikts, in dem der Betriebsvertreter seine Position festigen wollte.

Die inhaltliche Ausrichtung des Streikes zeigte dabei sowohl positive Ansätze als auch klare Grenzen. So ging der Streik nicht über eine gewerkschaftliche Standortpolitik hinaus, es wurde sogar mit Worten wie „Konkurrenzfähigkeit“ argumentiert. Die ideologische Basis der Motivation, Unterstützung und des individuelles Bewusstseins der ArbeiterInnen war eine nationalistische Argumentation gegen imperialistische Unterdrückung und Ausbeutung. Die Gefahr, dass sich solche nationalistischen Argumentationen im Bewusstsein der ArbeiterInnen verfestigen, ist gegeben. MarxistInnen müssen solche Tendenzen, die im Endeffekt darin enden, dass sich die ArbeiterInnenklasse mit „patriotischen“ Teilen der eigenen AusbeuterInnenklasse verbündet, bekämpfen und stattdessen für die Orientierung auf ein Bündnis mit der internationalen ArbeiterInnenklasse hinarbeiten. Die existierenden linken Organisationen in der Slowakei haben dabei versagt, die ideologische Ausrichtung dieses Streiks und das Bewusstsein der ArbeiterInnen in eine fortschrittliche und internationalistische Richtung zu beeinflussen. Es kam nicht einmal zu offener Agitation. Die Forderung nach Solidarität und Unterstützung durch andere Sektoren der slowakischen ArbeiterInnenklasse wurde nicht erhoben, geschweige denn nach der Solidarität der deutschen ArbeiterInnen bei VW und ihrer Gewerkschaft, der IG Metall.

Der Streik endete mit einem Kompromiss, nachdem ein Vorschlag von Volkswagen für eine schrittweise Lohnerhöhung um 14 % bis 2019 von der Gewerkschaftsvertretung angenommen wurde. Er wurde fast vollständig als ein Erfolg legaler Mittel, von manchen sogar als Erfolg des Marktes, gefeiert. Die ArbeiterInnen in Bratislava haben damit gezeigt, dass Verbesserungen durch Streiks erreichbar sind und dass noch mehr möglich ist, wenn sich die ArbeiterInnenklasse organisiert. Leider fehlt noch das Bewusstsein über die Grenzen solcher Kämpfe, wenn es an betriebsübergreifender Solidarität, Internationalismus und sozialistischer Perspektive hapert.




Welche Strategie?

Sozialismus oder Barbarei?

Kapitel 8, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die meisten Organisationen, die im Netzwerk „NoG20“ gegen den Hamburger Gipfel mobilisieren, eint die Ablehnung dieser Institution in ihrer Gesamtheit. Die G20 sind illegitim, haben kein Recht, für uns, für die große Masse der Menschheit, für die Lohnabhängigen zu sprechen. Darüber hinaus eint die verschiedenen Bündnisse und Gruppierungen aber wenig. Sie vertreten sehr unterschiedliche, ja einander entgegengesetzte strategische Ziele und Ausrichtungen.

Die Mobilisierung zeigt, dass trotz dieser Unterschiede Aktionsbündnisse gegen den gemeinsamen Gegner, gegen Angriffe oder für Verbesserungen möglich sind. Ihre Notwendigkeit wird angesichts der globalen Offensive von Kapital und Rechten, der Reaktion in verschiedensten Spielarten ohnedies niemand ernsthaft bestreiten. Eine Antwort auf die Krise des Kapitalismus erfordert aber mehr. Wir brauchen eine globale, politisch-programmatische und organisatorische Alternative. Daher ist es auch unerlässlich, sich mit den strategischen und programmatischen Differenzen in der Bewegung bezüglich der Alternativen zu den G20 auseinanderzusetzen. Eine detaillierte Kritik aller Gruppierungen, aller Programme würde den Rahmen dieser Broschüre sprengen – wir wollen uns hier aber mit einigen Kernproblemen beschäftigen.

Kapitalismus reformieren oder stürzen?

Die erste Grundfrage, die uns begegnet, ist die nach unserem Ziel. Ein großer Teil der Bewegung gegen den G20-Gipfel hält den Sturz des kapitalistischen Systems für eine Utopie, für unmöglich. Selbst viele, die grundsätzlich für die Überwindung des Kapitalismus eintreten, gehen davon aus, dass eine Revolution nicht „auf der Tagesordnung“ stünde, das Kräfteverhältnis dafür zu schlecht sei. Daher wäre für die absehbare Zukunft nur eine längerfristige Politik der Reform oder der Transformation möglich.

Statt des Kampfs zum Sturz des Kapitalismus stellen sie die „globale Gerechtigkeit“ und die Errichtung einer nicht näher definierten „anderen“ Welt ins Zentrum. Die solle frei von Unterdrückung, Krieg, Umweltzerstörung, Sexismus sein – ob und wie diese auf Basis der bestehenden Eigentumsverhältnisse errichtet werden kann, ob dazu eine schrittweise Umgestaltung von Staat und Demokratie oder eine Revolution notwendig sind, wird im „besten“ Fall offengelassen.

Die unmittelbaren Aufrufe beschränken sich alle darauf, ein verändertes gesellschaftliches Modell auf Basis des Privateigentums an Produktionsmitteln zu propagieren. So tritt attac für eine regulierte Weltwirtschaft ein, in der die Finanzmärkte und Institutionen zurechtgestutzt, der Freihandel beschränkt und Ungleichgewichte bekämpft werden sollen0. An Stelle des finanzmarktgetriebenen Neo-Liberalismus soll eine staatlich regulierte Marktwirtschaft treten, die auf einem starken öffentlichen Sektor, Umverteilung mittels Besteuerung, einer Förderung der Massenkaufkraft und der produktiven Investitionen beruht. Diese Punkte entsprechen im Wesentlichen auch den Forderungen des linken Flügels der Sozialdemokratie, der Linksparteien und der reformistischen Gewerkschaften.

Während sie die Revolution und den Kampf gegen den Kapitalismus als „unrealistisch“ abtun, weichen sie der Frage aus, warum diese keineswegs neuen Zielvorstellungen in den letzten Jahrzehnten immer wieder gescheitert und von ihren eigenen ProtagonistInnen – siehe SPD, Grüne, aber auch Linksparteien und KPen an den Regierungen – verraten wurden.

Kräfteverhältnis?

Eine gängige Erklärung für den notwendigen Rückzug auf „Realpolitik“ besteht im Verweis auf das schlechte Kräfteverhältnis. Diese Antwort erklärt eigentlich nichts, sondern verweist nur auf eine weitere Frage – nämlich woher das „schlechte Kräfteverhältnis“ eigentlich kommt.. Nun wird niemand bestreiten, dass dieses in den letzten Jahren ungünstiger geworden ist. Die Reaktion befindet sich global in der Offensive. Betrachten wir aber nur die Jahre seit Beginn der großen Krise 2007/2008, so zeigt sich, dass diese auch mit enormen Möglichkeiten für die ArbeiterInnenbewegung und die Linke einhergingen. Die Arabischen Revolutionen stürzten Regime wie jenes von Mubarak, die jahrzehntelang als stabile, unerschütterliche Stützen der Herrschaft nicht nur der ägyptischen Bourgeoisie, sondern auch des US-Imperialismus und seiner Verbündeten galten. Ebenso wurden so unterschiedliche Despotien wie Gaddafi in Libyen gestürzt oder das syrische Regime massiv erschüttert.

Diese revolutionären Massenbewegungen stießen jedoch an ihre Grenzen. Sie überließen die politische Führung konterrevolutionären Kräften – seien es islamistische oder liberale. Die verschiedenen imperialistischen Mächte konnten ihren Einfluss wieder errichten – seien es die USA oder die west-europäischen Staaten oder, als deren wichtigster Gegenspieler, Russland. In Griechenland wurden die neo-liberalen, traditionellen bürgerlichen Parteien infolge von über 30 Generalstreiks, Massenprotesten auf der Straße und Besetzungen hinweggefegt und eine „Linksregierung“ unter Syriza gebildet. Doch die Reformregierung bremste die Bewegung, suchte vergeblich den Kompromiss mit EU und IWF – und endete als deren Erfüllungsgehilfin.Diese Beispiele ließen sich lange fortsetzen. Sie zeigen aber alle Folgendes:

Erstens bringen die inneren Widersprüche des Kapitalismus selbst immer wieder verschiedene Formen des Widerstandes, von Kämpfen hervor. Diese können bis hin zur Entwicklung revolutionärer oder vor-revolutionärer Situationen gehen.

Zweitens stellen diese Entwicklungen immer auch die Machtfrage und die Frage, welche gesellschaftliche Kraft überhaupt die Gesellschaft umgestalten soll und kann.

Drittens werfen es die Frage auf, mit welchen Mitteln die herrschende Klasse oder der Imperialismus gestürzt und auf welche Machtmittel sich die bisher Unterdrückten stützen müssen und können.

Viertens verweisen alle Krisen auf die Frage des Programms, der Strategie der Umwälzung: ob, wie und warum der Kampf für demokratische und soziale Verbesserungen, die in der Regel sogar am Beginn revolutionärer Erhebungen stehen, mit dem für den Sturz des Kapitalismus verbunden werden kann. Fünftens müssen alle diese Auseinandersetzungen – wie überhaupt die Entwicklung des Kapitalismus – von einem internationalen Standpunkt aus betrachtet werden. Der Klassenkampf ist international – oder er ist letztlich gar nicht. Das bedeutet nicht, die Besonderheiten des Kampfes in einem Land oder einer Branche, für einzelne Forderungen usw. zu negieren – aber sie müssen als Teil des globalen Kampfes betrachtet werden. Im Folgenden wollen wir uns mit diesen Punkten näher beschäftigen.

Wer ist das Subjekt der Veränderung?

Eine Reihe von KritikerInnen des Kommunismus behauptet, dass die ArbeiterInnenklasse aufgehört hätte, das zentrale Subjekt der gesellschaftlichen Veränderung zu sein.

Ein Teil erklärt, dass das kapitalistische Klassenverhältnis durch eine neue Formation abgelöst worden wäre oder der Kapitalismus sich so verändert hätte, dass sich die Lohnabhängigen nicht mehr zu einem einheitlichen Klassensubjekt formieren könnten. Für manche sind sie am „Verschwinden“, für andere strukturell nur noch als „Mosaik“, als „Patchwork“ zu verstehen.

Wenn wir die globale Entwicklung betrachten, so hat sich die ArbeiterInnenklasse in den letzten Jahrzehnten zwar enorm verändert, aber auch vergrößert. Allein in China und Indien umfasst sie jeweils rund eine halbe Milliarde Menschen; hunderte Millionen von ihnen wurden erst in den beiden letzten Jahrzehnten proletarisiert. Dort entwickeln sich neue Zentren der globalen Mehrwertproduktion und damit auch der Lohnarbeit. Aufgrund der Internationalisierung des Kapitals sind sie zudem auch Teile global vernetzter Produktionsketten. Damit sind auch grenzüberschreitende Formen der planmäßigen Organisation der gesellschaftlichen Arbeit entstanden, die auf die Möglichkeit einer internationalen Planung verweisen, im Kapitalismus aber nur für die Profitzwecke weniger Monopole aus den imperialistischen Ländern produzieren.

Zugleich schrumpft die industrielle ArbeiterInnenklasse in den „alten“ imperialistischen Zentren, nicht jedoch die Klasse der LohnarbeiterInnen insgesamt. Infolge der immer schärferen Konkurrenz verringert sich auch der Umfang der „traditionellen“ ArbeiterInnenaristokratie, während andere, ehemals privilegierte Schichten (z. B. Ingenieure, LehrerInnen) immer weniger die Vorzüge der lohnabhängigen Mittelschichten genießen und eine neue ArbeiterInnenaristokratie zu bilden beginnen.

Grundsätzlich ist das Wachstum der ArbeiterInnenklasse bislang trotz Krisenprozessen weitergegangen. Massiv zugenommen hat dabei jedoch der Teil der Klasse, der zu den „prekären“ Schichten gehört, der oft nicht in der Lage ist, seine Arbeitskraft zu ihren Reproduktionskosten zu verkaufen oder aufrecht zu erhalten. Dieser Prozess findet universell statt, wie auch die Ausdehnung des Billiglohnsektors infolge der Hartz-Gesetze und Agenda 2010 beweist. Er betrifft aber auch im besonderen Maße die Lohnarbeit im „globalen Süden“, die in ihrer Mehrheit aus „Prekären“ wie Contract Workers besteht. In Ländern wie Indien und Pakistan machen diese rund drei Viertel der Klasse aus.

Eine besondere Bedeutung nehmen in der Veränderung der ArbeiterInnenklasse auch die Migrationsbewegungen an. Erstmals in der Geschichte der Menschheit lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Die Landflucht ist selbst Resultat der Zerstörung traditioneller Verhältnisse auf dem Land, der Ausdehnung von Exportwirtschaft, der Zerstörung von Agrarland, von Kriegen und Katastrophen, wobei in vielen Ländern ein immer größerer Teil dieser Arbeitskräfte in den Megastädten nicht vom Kapital absorbiert wird, sondern zu einer riesig anwachsenden Schicht der städtischen Armut wird.

Permanenz der Unsicherheit

Wir haben die Veränderungen nur knapp skizziert – sie zeigen aber wie die ganze Geschichte des Kapitalismus, dass es zum Wesen der Klasse der LohnarbeiterInnen gehört, dass sie einer ständigen Umwälzung unterworfen ist. „Unsicherheit“ der Lebensverhältnisse ist keine „neue“ Eigenschaft des Proletariats, sondern ist eigentlich kennzeichnend für seine grundlegende Existenzweise. Relativ stabile Reproduktionsbedingungen sind in der Geschichte des Kapitalismus nicht die Regel, sondern Ausnahmen, die sich auf bestimmte, im Grunde auch nur relative kurze, Perioden erstrecken.

Theorien wie Negris „Empire“ bestreiten, dass sich Lohnarbeit und Kapital weiter als zentrale gesellschaftliche Klassen gegenüberstünden, das dieser grundlegende Widerspruch vielmehr durch jenen zwischen Multide (Menge) und Empire abgelöst worden wäre. Dies ist nur eine besonders extreme Form falscher Verallgemeinerung, wo der Wandel der ArbeiterInnenklasse oder einzelne seiner Momente mit deren Verschwinden oder einer Ablösung des Lohnarbeit-Kapital-Verhältnisses gleichgesetzt wird. Doch selbst TheoretikerInnen oder Strömungen, die einen grundlegenden Wandel der Klasse konstatieren, behaupten, dass sie heute aufgrund veränderter Organisation des Produktionsprozesses nicht mehr zu einer „kompakten“, vereinheitlichten Kraft werden könne. Nur bestimmte Entwicklungsphasen des Kapitalismus – genauer jene des „Fordismus“, also des Vorherrschens von industrieller Massenproduktion am Fließband – hätten erst die Grundlage für relativ einheitliche ArbeiterInnenmilieus und eine wirkliche gewerkschaftliche und politische Massenorganisierung in Gewerkschaften, sozialdemokratischen und kommunistischen Massenparteien geschaffen. Mit dem Verschwinden des Fordismus wäre auch diese Grundlage vergangen. Diese Theorien begriffen das Proletariat eigentlich eher als „Stand“ denn als Klasse, die in einem Verhältnis zu anderen steht. Sie sind im Grund ökonomistisch, weil sie von einer direkten, quasi-automatischen Widerspiegelung des Produktionsprozesses in den proletarischen Organisationen ausgehen. Für sie sind politische Organisierung und Bewusstsein letztlich nur ein Ausdruck der ökonomischen Existenz der Klasse, spiegeln nur den „eigentlich“ ökonomischen Klassenkampf wider.

Ihr Grundfehler besteht neben einem falschen, nicht-dialektischen Klassenbegriff darin, im Kampf um die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft den „eigentlichen“ Klassenkampf zu betrachten, besteht in einer ökonomistischen Verkürzung des Klassenbegriffs.

Diese beschränkt sich keineswegs auf die ReformistInnen. Auch, ja gerade viele „Linksradikale“ hängen dem an, während ökonomistische Strömungen der radikalen Linken den gewerkschaftlichen oder betrieblichen Kampf tapfer als den „eigentlichen Klassenkampf“ verteidigen. Auch die Fetischierung von „Stadtteilarbeit“ bei Teilen der radikalen Linken speist sich letztlich aus einem solcherart verkürzten Klassenbegriff.

In Wirklichkeit war die Entstehung von Klassenorganisationen – Gewerkschaften, Parteien etc. – nie ein bloßer Reflex der ökonomischen Struktur der Produktion und der Lohnarbeit. Sie war vielmehr immer Resultat einer Kombination von Tendenzen zum mehr oder minder spontanen Widerstand, zum Agieren gegen die KapitalistInnen oder deren VertreterInnen, zu denen sich die Ausgebeuteten und andere Unterdrückte gezwungen sahen, einerseits und dem bewussten Eingreifen von SozialistInnen oder KommunistInnen, um dieser spontanen Tendenz zum Bewusstsein ihrer eigentlichen Ziele, des Charakters ihres Kampfes zu verhelfen, andererseits.

Wie entsteht Klassenbewusstsein?

Revolutionäres Klassenbewusstsein – und damit eine revolutionäre ArbeiterInnenbewegung – kann sich in diesen Bewegungen und erst recht im rein gewerkschaftlichen Kampf nie vollständig entwickeln. Im Gegenteil, das spontane Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, wie es im ökonomischen Kampf erscheint, ist eine Form bürgerlichen Bewusstseins, weil es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht (auch wenn die Kampfmethoden, die dafür eingesetzt werden, sich so zuspitzen können, dass sie dieses in Frage stellen und über den reinen Lohnkampf hinausgehen). Schärfere Auseinandersetzungen (Massenstreiks, Aufstände, politische Bewegungen) können in diese Richtung einer revolutionären Entwicklung drängen, indem sie Fragen nach der weiteren Perspektive, nach Strategie, Taktik aufwerfen, die in „friedlichen“ Zeiten für die Masse der LohnarbeiterInnen (und der Gesellschaft insgesamt) abstrakt, überflüssig und unrealistisch erscheinen, ja erscheinen müssen.

Daher muss revolutionäres Klassenbewusstsein – ob wir das wollen oder nicht – von außen in die Klasse getragen werden. Damit ist nicht gemeint, dass es „Nicht-ArbeiterInnen“ tun, sondern dass eine politische Kraft, eine Partei, auf Basis einer wissenschaftlich fundierten Programmatik geschaffen werden muss. Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionären Praxis im vollständigen Sinn des Wortes geben. Das bedeutet aber auch, dass das Kräfteverhältnis nie nur einfache Widerspiegelung ökonomischer Verhältnisse ist. Es ist vielmehr von den Kräfteverhältnissen innerhalb der ArbeiterInnenklasse und ihren Beziehungen zu anderen Klassen bestimmt. Die Arabischen Revolutionen oder die revolutionären Möglichkeiten in Griechenland sind in den letzten Jahren gescheitert, weil es an einer politischen Kraft fehlte, die die Massen in einer Revolution oder einer vorrevolutionären Periode zur Machtergreifung hätte führen können. So haben andere Kräfte dieses „Vakuum“ gefüllt, die Massen in die Niederlage geführt. Die passive Betrachtung des Kräfteverhältnisses als „strukturell gegeben“ entschuldigt letztlich die Fehler bürgerlicher, reformistischer oder kleinbürgerlicher Führungen, da die Niederlage nicht an deren falscher Politik und Strategie, sondern am ungünstigen Kräfteverhältnis gelegen habe.

Machtfrage

In Wirklichkeit haben die Entwicklungen in Griechenland, in den arabischen Ländern, aber auch die Zuspitzung in der Türkei, der Vormarsch der Rechten in Venezuela und Brasilien, die Krise der EU und viele andere mehr nicht nur die Kampfbereitschaft der Massen gezeigt. Sie haben auch gezeigt, dass „nachhaltige“ Reformpolitik, sei es durch reformistische Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, oder links-populistische „Volks“parteien rasch an ihre Grenzen stößt. Es ist eine Sache, als Oppositionspartei oder -bewegung eine (längerfristige) Transformationsstrategie der bürgerlichen Gesellschaft auszumalen, die sich einerseits auf eine Bewegung verschiedener Gruppierungen und auch Klassen stützen und andererseits den Staatsapparat schrittweise selbst ummodeln soll.

Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts und erst recht der letzten Jahre zeigen: Das funktioniert nicht! Der bürgerliche Staat ist über tausende Kanäle eng mit der herrschenden Klasse verbunden. Seine Essenz bilden die bewaffneten Kräfte (Armee, Polizei) und ein bürokratischer Apparat. Er ist trotz aller demokratischen Fassaden ein Staat des Kapitals, der herrschenden Klasse. Er kann nicht übernommen und für eine sozialistische Umwälzung in Bewegung gesetzt werden, er muss vielmehr in einer Revolution zerschlagen, zerbrochen und durch einen qualitativ anderen Staat ersetzt werden, der auf Räten und Milizen der ArbeiterInnenklasse, der Bauernschaft, der einfachen SoldatInnen, der nicht-ausbeutenden Massen beruht.

Solche Strukturen können nicht über Jahre organisch im Inneren der bürgerlichen Gesellschaft geschaffen werden, sondern nur in revolutionären oder vor-revolutionären Situationen (und auch dann entstehen sie nicht immer automatisch). Diese Situationen, in denen sich die inneren Widersprüche des Kapitalismus zusammenfassen und zu ihrer Lösung drängen, sind zeitlich nur von kurzer Dauer. Werden die Möglichkeiten, die sie in sich tragen, nicht genutzt, so müssen sie scheitern, zu einer Niederlage und dem Sieg der Konterrevolution (ob nun in diktatorischer oder bürgerlich-demokratischer Form) führen. Die Machtergreifung ist umgehrt nicht nur an bestimmte Voraussetzungen gebunden (revolutionäre Krise der Gesellschaft), sie ist auch die einzige Möglichkeit, wie die krisengeschüttelte Gesellschaft im Interesse der ArbeiterInnenklasse reorganisiert, die KapitalistInnenklasse enteignet und eine demokratische Planwirtschaft ins Leben gerufen werden können. Anders als die Bourgeoisie in ihrer bürgerlichen Revolution kann die ArbeiterInnenklasse im Kapitalismus keine neue sozialistische Produktionsweise Schritt für Schritt schaffen, da sie eben als Klasse von LohnarbeiterInnen und damit als Klasse ohne Eigentum an Produktionsmitteln, bestimmt ist. Diese Existenz kann sie nur kollektiv aufheben durch die Machtergreifung.

Natürlich können vorhergehende Ausweitung von Rechten der ArbeiterInnenklasse, die Einführung von ArbeiterInnenkontrolle in bestimmten Betrieben, Besetzungen … auch in der kapitalistischen Gesellschaft Formen der Doppelmacht schaffen (ebenso wie Aufstände zur Kontrolle über einzelne Regionen oder Städte führen können). Aber auch deren Existenz ist an eine krisenhafte Zuspitzung gebunden und nicht dauerhaft möglich. Sie muss – wie die politische Krise selbst – revolutionär gelöst werden oder die Formen von Selbstverwaltung, Kontrolle, Räten werden entweder zerschlagen oder ins bürgerliche System integriert, behalten allenfalls ihren „revolutionären“ Namen, ihr Inhalt wird jedoch ins Gegenteil verkehrt. So unrealistisch und bürgerlich alle Theorien sind, die von einer graduellen „Transformation“ der Gesellschaft träumen, so unrealistisch ist auch die Vorstellung, dass im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft nach und nach „von unten“ Wirtschaftsformen der Gegenmacht, sukzessive Ausweitung von ArbeiterInnenselbstverwaltung oder von Kontrolle möglich wären. Diese Ideen – mögen sie auch mit autonomen oder workeristischen „revolutionären“ Vorstellungen kombiniert sein – sind letztlich nur ein Abklatsch der Vorstellung des revisionistischen Flügels der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts, dass die ständige Ausweitung des Genossenschaftswesens und der Macht der Gewerkschaften zu einer inneren Transformation der ökonomischen Struktur Richtung Sozialismus führe. Die reale Entwicklungstendenz des Kapitalismus ist eine andere – und daher muss auch eine Revolutionsstrategie auf die Bruchpunkte der Entwicklung, auf die Fähigkeit, sich und die ArbeiterInnenklasse darauf vorzubereiten, zielen, nicht auf eine gradualistische Strategie.

Politische Konsequenzen des Gradualismus

Der politische Gradualismus und Reformismus hat aber auch eine wichtige politische Konsequenz, wenn es um die Frage der Haltung zum bürgerlichen Staat und auch zu den imperialistischen Institutionen geht. Zwar lehnen alle, die gegen die G20 mobilisieren, diese Struktur als illegitim ab. Das trifft aber keineswegs auf deren „Unterbau“, also bürgerliche Regierungen oder einzelne Staaten noch auf scheinbar über dem Klassenkampf stehende „globale“ Institutionen wie die „Vereinten Nationen“, zu.

Diese Positionen ergeben sich auch logisch aus reformistischen Strategien. Wenn der Kapitalismus über eine mehr oder weniger kluge „Transformationstechnik“ mehr und mehr zu einer anderen Gesellschaft gezähmt werden soll, so bleibt nur das utopische Hoffen auf ein „Ersetzen“ des Staates von unten – oder die „realistischere“ Variante, den bürgerlichen Staat mittels parlamentarischer Mehrheit für soziale, demokratische, ökologische und sonstige Reformen einzusetzen. Auch wenn wir als RevolutionärInnen solche Reformschritte gegen bürgerliche Kräfte verteidigen und von reformistischen Organisationen die Erfüllung ihrer fortschrittlichen Versprechen wie z. B. Besteuerung der Reichen, Verstaatlichungen von Unternehmen oder Versorgungseinrichtungen, öffentliche Wohnungsbauprogramme, Rückzug von Truppen aus Auslandseinsätzen usw. usf. einfordern, so gehen wir im Gegensatz zu ihnen davon aus, dass diese Reformschritte in der aktuellen Phase letztlich zu einer Verschärfung des Klassengegensatzes führen müssen.

Das Kapital will die Bedingungen für seine Profitabilität verbessern, die Profitrate in „lukrative“ Höhen treiben – und dazu muss letztlich die Ausbeutungsrate erhöht werden. Krise und Konkurrenz verlangen eine Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der herrschenden Klasse – und zwar nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern vor allem, um die Nationen fit für die verschärfte inner-imperialistische Konkurrenz, für Interventionen, Besatzungen, etwaige Kriege zu machen. Darum weht selbst auf Zusammenarbeit mit dem Kapital oder dem Imperialismus ausgerichteten „Linksregierungen“ ein scharfer Wind ins Gesicht. Das können wir in Griechenland oder Venezuela erleben oder selbst in Brasilien. Dort hat die unhaltbare Politik, zwischen Kapital und Arbeit zu manövrieren, nicht nur dem Kapital genutzt, sie hat auch die Basis für gesellschaftliche Veränderungen frustriert und unterminiert. Auch wenn die ArbeiterInnenklasse, Bauernschaft und die städtische Armut in diesen Ländern den Herrschenden weiter die Stirn bieten wollen, so hat die Politik der Tsipras’, Maduros oder Dilmas auch den Boden für IWF/EU, die venezolanische Rechte oder den Putschisten Temer vorbereitet.

Als KommunistInnen verteidigen wir zwar solche Regierungen gegen den Imperialismus und die Reaktion, aber zugleich ist es notwendig, von ihnen den Bruch mit Imperialismus und Bourgeoisie zu fordern, vor deren Verrat zu warnen und für den Aufbau einer konsequenten revolutionären ArbeiterInnenpartei zu kämpfen.

Auf internationaler Ebene betreibt jedoch ein Teil der Linken, die gegen den G20-Gipfel mobilisieren, eine Politik, die einer Fortsetzung der Klassenkollaboration und bürgerlichen Reformpolitik im Innern entspricht.

Während die G20 zwar als illegitim charakterisiert werden, lehnen keineswegs alle Gruppierungen alle „Player“ bei den G20 ab. Manche gelten natürlich als besonders verabscheuungswürdig – z. B. Erdogan in der Türkei oder Trump aus den USA. Sicherlich wäre Marine Le Pen, hätte sie die Wahl in Frankreich gewonnen, zu Recht auch eine dieser besonders verabscheuenswerten Figuren geworden. Zugleich zeigt aber das Beispiel Frankreichs auch, dass angesichts der Bedrohung durch eine Rechtsextremistin als neuer Prädidentin die reformistische ArbeiterInnenbewegung und auch Teile der radikalen Linken den „taktischen Schulterschluss“ mit Macron suchten, einem Präsidenten, der den Generalangriff auf die ArbeiterInnenklasse plant.

Während sich die meisten Gruppierungen, die gegen die G20 mobilisieren, richtigerweise gegen die Politik der Bundesregierung und des Westens wenden, so herrscht große Konfusion hinsichtlich der „neuen“ imperialistischen Mächte. Teile des Linksreformismus und Stalinismus betrachten Russland und China als „Gegenmächte“ zum „eigentlichen“, westlichen Imperialismus. Teile der DKP halten China für ein „sozialistisches Land“. Andere Gruppierungen schätzen China und Russland irgendwie als nicht-imperialistische Staaten ein und weigern sich, diese als das zur Kenntnis zu nehmen, was sie sind: neue imperialistische Mächte, die ihrerseits um die Neuaufteilung der Welt kämpfen.

Dies führt zu einer fatalen Politik beispielsweise in Syrien, wo das barbarische Assad-Regime und Russlands Politik als „anti-imperialistisch“, weil anti-westlich verklärt werden. Daher wurde der syrischen Revolution von Beginn an die Unterstützung verweigert, daher wird auch nicht zwischen bürgerlichen oder klein-bürgerlichen Führungen dieser Bewegung (sei es unter den syrischen Aufständischen, sei es unter den KurdInnen) und den Massen differenziert. Die syrische Revolution ist zwar nach dem Fall von Aleppo besiegt worden, viele ihrer Kräfte degeneriert sind oder zerfallen – der drohende Sieg Assads und Russlands stellt aber keinen Fortschritt, sondern eine tiefe Niederlage für die Massen dar.

Syrien ist dabei nur ein Beispiel dafür, zu welchen Fehlern ein falsches Verständnis des Charakters Russlands und Chinas führen kann. Gerade weil sich die Lage global zuspitzt, drohen nicht nur weitere StellvertreterInnenkriege in der sog. „Dritten Welt“. Angesichts dieser explosiven Lagen können sich Konflikte zu einer offenen Konfrontation, zu offenen Kriegen zwischen imperialistischen Mächten entwickeln. Das mag zwar kurzfristig angesichts des militärischen Übergewichts der USA unwahrscheinlich sein – längerfristig wird die Gefahr eines Dritten Weltkrieges aber immer größer.

Daher ist der Kampf gegen die Kriegsgefahr eine Schlüsselfrage. RevolutionärInnen müssen nicht nur für den Abzug aller Interventionstruppen eintreten, anti-imperialistische Kämpfe und revolutionäre Bewegungen und den Widerstand gegen Besatzung wie in Palästina unterstützen – sie müssen auch für den Sieg dieses Widerstandes und die politische Niederlage „ihrer eigenen“ Bourgeoisie, „ihres „Staates“ eintreten. Im Falle der Konfrontation zwischen den imperialistischen Mächten oder Blöcken müssen RevolutionärInnen eine Politik des revolutionären Defaitismus auf beiden Seiten anwenden. Der Klassenkampf darf nicht zurückgestellt, sondern muss vielmehr zugespitzt, letztlich soll der imperialistische Krieg zu einem Bürgerkrieg zum Sturz der herrschenden Klasse umgewandelt werden. Eine falsche Charakterisierung Russlands und Chinas führt schon heute oft genug zu einer Beschönigung der Außenpolitik und der Interventionen von Peking und Moskau. Sie untergräbt letztlich den proletarischen Internationalismus – und erleichtert es den westlichen Mächten wie in Syrien und Kurdistan, sich als „Unterstützerinnen“ der Unterdrückten hinzustellen.

UNO statt G20?

Die andere Spielart inkonsequenter und falscher internationaler Antworten auf die G20 besteht darin, diesen andere, von den imperialistischen Mächten beherrschte Institutionen als Alternative entgegenzustellen.

Nachdem regionale, kapitalistische Vereinigungs- und Blockprojekte wie die EU in den letzten Jahren auch bei Teilen des Reformismus mehr und mehr an Charme verloren haben, werden vermehrt die „Vereinten Nationen“ aus dem Hut gezaubert. Etliche der G20-KritikerInnen wie attac, Linksparteien, linke Gewerkschaften, die Friedensbewegung usw. fordern deren Stärkung. Dort wären schließlich „alle“, d. h. alle Staaten, versammelt, dort wäre der eigentliche Platz zur Verhandlung und Lösung der globalen Probleme, zur Prävention von Kriegen, zur Bekämpfung des Klimawandels usw. Dabei war und ist die UNO eine Organisation, die nie den Interessen der imperialistischen Mächte zuwiderhandelt. Die Generalversammlung mag zwar – ganz ähnlich einem Parlament in der bürgerlichen Demokratie – gelegentlich eine gut klingende Resolution verabschieden, sie mag sogar Imperialismus, Zionismus, Rassismus „ächten“. Allein, solange auch nur eine der „Weltmächte“, also eine der ständigen Vertreterinnen im Sicherheitsrat, gegen praktische Maßnahmen ihr Veto einlegt, erhält der Beschuss allenfalls propagandistischen, moralischen Wert. Eine reale Auswirkung hat er nicht.

Die UN sind solcherart nicht viel anders als die G20 mit formaler Struktur und mehr Publikum. Dass sie sich in wesentlichen Fragen immer weniger einigen können, liegt einfach daran, dass sie eine Institution des imperialistischen Weltsystems und seiner politischen Ausformung sind, die mehr und mehr von der wachsenden Konkurrenz der Großmächte geprägt werden. Anders kann es auch nicht sein. Es ist eine utopische, kleinbürgerliche Vorstellung, dass es auf Basis eines imperialistischen Weltsystems eine globale politische Institution, eine Art Weltparlament geben könne, die ein höheres Recht verkörpert und durchsetzt als die Mächte, die das System dominieren. Die Machtlosigkeit der UNO ist unvermeidlich und logisch, kann doch das Recht nie höher stehen als die gesellschaftliche Basis, auf der es sich erhebt.

Daher sind auch alle Reformbemühungen, die UNO zu einer „echten“, von den Menschen und nicht den Großmächten dominierten Institution zu machen, im Voraus zum Scheitern verurteilt. Die Beschönigung der UNO hat aber nicht nur die Auswirkung, falsche Hoffnungen in diese Versammlung der „Weltgemeinschaft“ zu schüren. Wo die UNO gemeinsame Schritte gegen einzelne Staaten unternimmt, sind diese in der Regel reaktionärer Natur. Dazu gehören die Sanktionen gegen Länder wie den Iran, Drohungen gegen Nordkorea und andere. Diese Maßnahmen wurden nur möglich, weil hier keine Macht gegen das Interesse eines, mehrerer oder gar aller imperialistischer Staaten und Blöcke ein Veto einlegt. Die sog. UN-Friedenstruppen sind Truppen zur Festigung eines über die Imperialisten oder deren lokale Verbündete vermittelten „Friedens“ – es sind letztlich Besatzungstruppen, die ebenso grundsätzlich abzulehnen sind wie uni-laterale Interventionen imperialistischer Länder oder solche unter dem „Mandat“ von NATO, EU, Afrikanischer Union oder ähnlichen Institutionen. Hinter den Illusionen in die UN wie in die bürgerliche Demokratie steht aber letztlich ein politisches Unverständnis des Gegners – des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium.

Internationalismus, Partei und Programm?

Es stellt sich aber auch die Frage, wie dieser globale Gegner bekämpft und gestürzt werden kann. 2017 jährt sich die russische Revolution zum hundertsten Mal. Die Politik der Bolschewiki, aber auch der ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale bildet ein wichtiges Pfund zum Verständnis von Schlüsselfragen, programmatischen Eckpunkten für revolutionäre Strategie und Taktik heute.

Das bedeutet, erstens überhaupt die aktuelle Periode zu verstehen, und auch ein Gesamtprogramm zu entwerfen, das auf der Höhe der Zeit ist, das eine Antwort auf die großen Fragen von Krise, Krieg, drohender ökologischer Katastrophe liefert.

Der erste Punkt besteht wohl darin, dass es nur eine internationale Lösung geben kann. Keines der wichtigen Probleme kann letztlich national gelöst werden. Der Kapitalismus hat die Produktivkräfte im globalen Maßstab entwickelt, damit aber auch die Grundlage, ja die Notwendigkeit einer weltumspannenden Reorganisation der Produktion und Verteilung gelegt.

Auch wenn revolutionäre Erhebungen, massive Klassenkämpfe ungleichzeitig, in einzelnen Ländern oder Regionen ausbrechen werden, so werden sie doch nur siegen können, wenn sie internationalisiert, ausgeweitet werden. Unsere Antwort auf die Krise der EU besteht z. B. nicht in der Rückkehr zur Illusion nationaler wirtschaftlicher Unabhängigkeit, zur Wiedereinführung angeblich souveräner Währungen. Diese Politik ist letztlich reaktionär. Wir bekämpfen die imperialistische EU, indem wir der halben Vereinigung unter der Fuchtel des Kapitals die Schaffung von Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas entgegenstellen. Damit könnte nicht nur ein Mittel zur weiteren Integration des Kontinents geschaffen, sondern auch ein Schritt zur Planung gemäß der Bedürfnisse der ProduzentInnen auf einem ganzen Kontinent getan werden.

Die Überwindung kolonialer und imperialistischer Unterdrückung, das demokratische Recht auf Selbstbestimmung der Nationen wird letztlich nicht verwirklichbar sein ohne Errichtung von ArbeiterInnen- und Bauernregierungen und deren Zusammenschluss zu einer Föderation von Räterepubliken in ganzen Regionen und letztlich auf dem Globus.Diese ist andererseits auch das einzige Mittel, die wachsende Kriegsgefahr zu bannen. Nur so kann auch die Grundlage für eine koordinierte Politik zur Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gelegt werden.

Der heutige Kapitalismus ist grundsätzlich von stagnativen Tendenzen gekennzeichnet. Dabei werden auch in den letzten Jahren immer wieder neue Technologien entwickelt und wird vor allem die Kommunikation – wenigstens potentiell – enorm vereinfacht. Die Computerisierung in den transnationalen Konzernen, die Vernetzung der Produktion über Ländergrenzen hinweg schafft auch die Grundlage für eine globale Planwirtschaft. Diese muss aber auch die Lehren aus den Entartungen der bürokratischen Kommandowirtschaften der ehemaligen „realsozialistischen“ Staaten ziehen. Dort wurden die Zwecke der Produktion nicht von den Arbeitenden selbst demokratisch bestimmt, sondern von den bornierten Bedürfnissen einer herrschenden Kaste, der Bürokratie.Gegen diese Entwicklung helfen letztlich nur zwei Mittel: Erstens, die Gesellschaft muss auf der Grundlage der Rätedemokratie aufgebaut und sie muss zweitens global ausgedehnt werden. Jeder Versuch, den „Sozialismus“ in einem Land zu errichten, ist zum Scheitern verurteilt, kann nur in der Bürokratisierung enden.

Internationalismus ist daher für uns nicht nur ein Beiwerk zum Aufbau einer revolutionären Organisation hier, sondern von Beginn an integraler Bestandteil unserer Politik. Um eine revolutionäre Organisation aufzubauen, braucht es freilich nicht nur Klarheit über die strategischen Ziele – es braucht auch ein Programm, das diese mit den aktuellen Kämpfen, mit den unmittelbaren Auseinandersetzungen vermitteln kann. Gerade weil unser Ziel der Sturz des Kapitalismus ist, muss der Kampf für die sozialistische Revolution mit dem für soziale und demokratische Forderungen verbunden werden. Ansonsten bleiben diese beide unvermittelt nebeneinander stehen, bleibt die „revolutionäre“ Perspektive nur eine Gesinnung, keine praktische Politik. Um die Brücke vom Jetzt zur Zukunft zu schlagen ist eine bestimmte Art von Programm, ein Übergangsprogramm notwendig. Auch kleine kommunistische Organisationen, die selbst noch weit davon entfernt sind, eine Partei zu sein, müssen sich der Aufgabe der Entwicklung eines solchen Programms stellen – und den Kampf für ein solches Programm mit dem Kampf für eine neue Internationale, die Fünfte Internationale verbinden




G20 und die „Zivilgesellschaft“

Integrative Beleitmusik zum imperialen Kerngeschäft

Kapitel 7, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

In den letzten Jahrzehnten sind die Gipfel der 20, aber auch anderer internationaler Institutionen durch eine bewusste Strategie der Einbindung der sog. „Zivilgesellschaft“ gekennzeichnet. Je weniger die Gipfel an verbindlichen, gemeinsamen Absprachen zu liefern im Stande sind aufgrund der zunehmenden Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt, desto umfassender werden die verhandelten Themen.

Die G20 greifen bewusst Zielsetzungen anderer internationaler Organisationen wie der UN oder des Weltklimagipfels auf, setzen sie auf die Agenda zahlreicher „vorbereitender“ Tagungen. Diese „weichen“ Themen, die vor allem dem schönen Schein der unschönen Veranstaltung dienen, sind aber auch das Feld der Einbindung eines ganzen Trosses von VertreterInnen der „Zivilgesellschaft“. So machten sich die G20 die „Nachhaltigkeitsziele“ der UNO (ehemals Millenniumsziele) unter dem Titel „Agenda 2030“ zu eigen. Bis dahin versprechen sie wieder einmal Anstrengungen zur Überwindung der Ungleichheit auf der Welt und der Förderung nachhaltiger Entwicklung in den Ländern der sog. „Dritten Welt“. Die Partnerschaft mit Afrika ist ein aktuelles, vor allem von Deutschland und der EU forciertes Projekt in diesem Bereich. Im Zentrum der Agenda 2030 stehen dabei vor allem die Subventionen privater Investitionen bis hin zur „Green Finance“. Diese und andere „Menschheitsaufgaben“ sind dann auch das Terrain, oder besser wohl Spielplatz, für eine Reihe nicht-staatlicher AkteurInnen, die an die G20-Agenda gebunden, in sie inkorporiert werden.

Die wichtigste und einflussreichste firmiert unter dem Namen „Business G20“. Erstmals tauchten diese VertreterInnen der „Zivilgesellschaft“ aus den Konzernzentralen 2010 in Toronto im Rahmen der Tagung auf. Ihr großer Vorteil gegenüber allen anderen NGOs liegt auf der Hand: Ihre zivilgesellschaftlichen Ziele sind G20-konform, sie sind eine Lobbygruppierung, die hinter wohltönenden Phrasen von unternehmerischer Verantwortung entschieden für Kapitalinteressen eintritt.

Die VertreterInnen jener Konzerne haben sich auch in den letzten Jahren zu einem eigenen Forum – den B20 (Business 20) – zusammengeschlossen, dessen ständiger Sitz in Paris ist und das nicht nur als ständiger Gast bei den G20-Gipfeln weilt, sondern auch eigene Jahrestagungen ausrichtet. Die B20 vertreten lt. BDI 6,8 Millionen Unternehmen und verfügen „über eine starke Verankerung in der nationalen Politik“ der Staaten. Kurzum, sie sind direkte VertreterInnen der KapitaleignerInnen in den G20-Staaten, bringen deren globalen ökonomischen Interessen zum Ausdruck und bilden so eine geradezu ideale Ergänzung zu den Staats- und Regierungschefs.

Civic 20

Die anderen „zivilgesellschaftlichen“ AkteurInnen sind in der Regel keine direkten VertreterInnen des Kapitals, sondern sozialer Gruppen, Institutionen, Themenfelder. Seit 2010 wuchern diese „Reach Out“-Projekte geradezu. So wurde 2010 als erstes Youth 20 mit RepräsentantInnen der „großen“ Jugendverbünde und staatlich inkorporierter Institutionen und Fachministerien gegründet. Labour 20 wird seit 2011 von den Gewerkschaften beschickt. Die diesjährige Tagung von L20 organisiert der DGB. Weitere Foren folgten fast im Jahrestakt: Die „Welt der Forschungsinstitute“ (Think Tanks 20) 2012; 2013 wurde Civic 20 für die NGOs aus der Taufe gehoben, gefolgt von Women 20 (2015) und Science 20 (2016). Die Gründung weiterer ist im Zuge des „Reach Out“ der G20 zu befürchten. Die Integration der sog. Zivilgesellschaft gehört seit 2013, als Russland den Gipfel ausrichtete, zu den bewussten Spaltungsmanövern gegen etwaige Gipfelproteste. Seither werden auch sog. C20 (Civic 20)-Gipfel im Umfeld der G20 abgehalten. Dies ist die integrative Begleitmusik zur gleichzeitig zunehmenden Repression und Aushebelung demokratischer Rechte. Das „Reach Out“ soll die Dynamik und Radikalität von Protesten entschärfen und verhindern, dass anti-kapitalistische, kommunistische und internationalistische Kräfte gemeinsame Massenaktionen mit reformistischen oder klein-bürgerlichen Gruppierungen durchführen, dass sich diese auf der Straße als gemeinsame, sichtbare Kraft präsentieren. Die Integrations„bemühungen“ der Herrschenden erstrecken sich jedoch nicht nur auf die Aktionen. Selbst die politisch recht harmlosen, reformistisch geprägten, aber unabhängig von den G20 (oder anderen Institutionen) ausgerichteten Alternativgipfel sollen geschwächt werden. In den letzten Jahren habe viele der größeren, international operierenden und vor allem finanzstärkeren NGOs sich mehr und mehr auf die G20 konzentriert. Sie sehen die Stunde für deren „Beeinflussung“ gekommen. Einen allzu „konfrontativen“ Kurs oder gar eine „Totalablehnung“ weisen sie von sich.

Daher feiern diese Teile der NGO-Szene, aber auch andere „zivil“gesellschaftliche AkteurInnen wie die Gewerkschaftsführungen jedes Lippenbekenntnis zu „globaler Gerechtigkeit“ oder „Nachhaltigkeit“ als hoffnungsvollen Schritt. Nur China behinderte Civic 20 2016 massiv. Rund zwei Drittel der Nicht-Regierungsorganisationen wurden dort vom Staat gestellt, etliche NGOs hatten mit Einreiseschikanen usw. zu kämpfen. Dafür stellte der chinesische Staat in markt„sozialistischer“ Manier die enge Kooperation mit B20 heraus, wie es noch kein Gastgeber zuvor tat. Die deutsche Regierung fördert hingegen C20 bewusst – nicht nur um zu spalten, sondern auch um ihrer Gipfelpolitik mehr Legitimation zu verschaffen und ihre Ziele demokratisch zu verbrämen.

NoG20

Diese Politik trug in Hamburg ganz offenkundig Früchte. Es kam zur politischen Spaltung, so dass sich zwei große Mobilisierungsbündnisse/Blöcke gegenüberstehen. Einerseits das bundesweite und internationale Bündnis „NoG20 2017“, andererseits die „Protestwelle“. NoG20 bildet den Rahmen für ein breites Spektrum links von SPD und Gewerkschaftsführungen: Linkspartei, Attac, DKP/SDAJ, die Friedensbewegung, ökologische Gruppierungen, migrantische Linke wie NavDem, DIDF, andere kurdische, türkische oder palästinensische Vereinigungen, anti-rassistische Initiativen, maoistische und trotzkistische Gruppierungen, die autonome und post-autonome Linke (IL, UG, …). Die Gruppe ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION mobilisieren ebenfalls zu den Aktionen im Rahmen des Internationalistischen Blocks gegen die G20.In diesem Rahmen werden die Proteste um folgende Aktivitäten gruppiert:

Anti-G20-Protestcamp vom 1.-9. Juli (www.g20-camp.de)

Gegengipfel

Blockaden und Proteste gegen den Gipfel (www.blockg20.org)

Internationale Großdemon-   stration (www.g20-demo.de)

Trotz aller Differenzen hält dieses Spektrum im Aufruf zur Großdemonstration fest: „Unsere Kritik richtet sich nicht nur gegen einzelne Personen und Repräsentanten, sondern gegen die Verhältnisse und Strukturen, die diese hervorbringen.

Wir werden unsere Ablehnung der kalten und grausamen Welt des globalen Kapitalismus deutlich machen, wie sie von den G20 repräsentiert und organisiert wird. Wir werden unsere Solidarität mit all jenen zum Ausdruck bringen, die weltweit durch Proteste, Streiks oder Aufstände der Politik der G20 entgegentreten.“ (http://g20-demo.de/de/beispiel-seite/) Mit den G20 gibt es nichts zu verhandeln, keinen „zivilgesellschaftlichen Prozess“ in Gang zu bringen. Ihre Politik und das kapitalistische System müssen zu Fall gebracht werden, das ist die eigentliche Menschheitsaufgabe unserer Zeit! Auch wenn das Bündnis insgesamt keineswegs die letztgenannte Position teilt, so unterstützen wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht den Bündnisaufruf kritisch, auch wenn er zu vage bleibt und illusorische Phrasen wie „globale Gerechtigkeit“ enthält. Einheitliche Position von NoG20 ist es jedoch, gemeinsam zu mobilisieren, sich nicht spalten zu lassen und die Legitimität der G20 insgesamt zurückzuweisen.

Die sogenannte „Protestwelle“

Dem steht ein von den NGOs getragenes Bündnis gegenüber, die sog. „Protestwelle“. Ihr Aufruf ist ein einziger Appell an die G20, endlich ihre Macht „richtig“ einzusetzen. So heißt es dort unter anderem: „Handel muss fair sein. Das sagen wir gerade in Hamburg, wo der Handel mit der ganzen Welt blüht. (..) Die G20 müssen einen Kurswechsel hin zu nachhaltigem Wirtschaften einleiten. (…)Wir fordern die G20 auf, Maßnahmen gegen die soziale Ungleichheit zu ergreifen – hierzulande und weltweit! (…)“ Ebenso gut könnten wir von einem Stier fordern, Milch zu geben. Natürlich erkennt auch dieses Bündnis, dass bei den G20 etwas schief läuft. So gebe es in „einigen G20-Staaten“ autoritäre Zustände. Daher folgt auch gleich der Appell an die „demokratischen“ Länder vom Schlage Deutschlands, sich für den Ausbau von Demokratie und Weltoffenheit einzusetzen.

Die „Protestwelle“ will die G20 nicht bekämpfen, sondern zu einer Institution zum Wohle aller machen, reformieren. An der Marktwirtschaft hat sie nichts grundsätzlich auszusetzen – sie muss nur „fair“ sein. Dann wird es auch mit den Reformen, mit Demokratie und Klimaschutz klappen. Vom Kapitalismus, von Krieg, Besatzung, rassistischer Hetze, nationaler Unterdrückung und erst recht vom Kampf um die Neuaufteilung der Welt findet sich im Aufruf kein Wort!

Die Organisatoren repräsentieren drei politisch-soziale Strömungen: Erstens das bürgerlich-liberale ökologische Spektrum um die Grüne Partei, zweitens kleinbürgerliche NGOs, die sich auf Lobbyismus, Reformismus und kleinbürgerliche Reformpolitik festgelegt haben (Oxfam, Campact, …) und drittens Teile der bürokratisierten, von der Sozialdemokratie dominierten ArbeiterInnenbewegung (DGB-Nord, Naturfreunde). Kein Wunder, dass auch die Hamburger SPD und Gipfel-Gastgeber Olaf Scholz zu dieser „Protestaktion“ aufrufen! Die OrganisatorInnen mögen sich das als besondere Leistung anrechnen, „auch“ Scholz und die Hamburger SPD, die hinter dem Gipfel steht, dafür gewonnen zu haben – in Wirklichkeit zeigt das nur, dass die Protestwelle den verlängerten Arm der G20 in die Bewegung darstellt. Dass es sich bei der „Protestwelle“ um ein Spaltungsmanöver im Interesse der Regierung handelt, zeigt nicht zuletzt, dass einige ihrer UnterstützerInnen wie die Hamburger SPD für den 8. Juli zu „Hamburg zeigt Haltung“ aufrufen, das zeitgleich mit der internationalen Großdemonstration gegen die 20 stattfindet. Anfang Juni 2017 ist der SPD-Grünen-Senat der Stadt sogar noch weiter gegangen – und lässt für den Gipfel auf einer Flächte von rund 38 Quadratkilometern sämtliche Manifestationen verbieten.

Sozialchauvinismus und G20

Dass die Spaltungsmanöver dennoch greifen, ist nicht nur Resultat der unterschiedlichen Haltung zur Frage, ob die G20 reformiert oder bekämpft werden müssen. Vielmehr gibt es auch eine soziale Grundlage für ihre Politik, deren Wurzeln in der Klassenstruktur der Gesellschaft zu finden sind. Alle die „Protestwelle“ organisierenden oder unterstützenden Gruppierungen und Parteien stützen sich wesentlich auf das KleinbürgerInnentum, lohnabhängige Mittelschichten und die ArbeiterInnenaristokratie, also gesellschaftliche Gruppierungen, die zwischen den Hauptklassen der Gesellschaft stehen oder einen relativ privilegierten Teil der Lohnabhängigen ausmachen.

Die relative Privilegierung dieser Schichten speist sich selbst aus der sozialen Abstufung innerhalb des Systems des Kapitalismus. In seiner Geschichte hat er immer auch eine Hierarchie innerhalb der Gesellschaft hervorgebracht und reproduziert: Mittelklassen wie das KleinbürgerInnentum, besser und schlechter gestellte Teile der LohnarbeiterInnen, „höhere“ Berufe usw. usf. Deren Stellung ist letztlich an eine relative Stabilität eines bestimmten Systems der Ausbeutung gebunden. In der imperialistischen Epoche schuf die Erschließung und Aufteilung des Weltmarktes unter die großen Monopole auch die Basis für die Reproduktion einer ganzen, über Jahrzehnte sehr groß gewordenen Schicht von „ArbeiterInnenaristokratInnen“.

Diese Teile der Klasse haben über längere Zeit relativ hohe Löhne, gesicherte Arbeitsplätze und können sich so einen „besseren“ Lebensstil leisten, der die Vorstellung eines dauerhaften sozialen Aufstieges nährt. Sozial gesehen, bilden sie die Basis sozialdemokratischer und anderer reformistischer Parteien und der Gewerkschaften in den imperialistischen Staaten, aber auch in etlichen Halb-Kolonien. So kann man sicher auch in Ländern wie Indien oder Brasilien von einer – wenn auch prozentual weit geringeren – Schicht von ArbeiteraristokratInnen sprechen.

Aufgrund ihrer sozialen Stellung tendieren diese Schichten zum Reformismus und Sozial-Chauvinismus, so wie auch Teile des KleinbürgerInnentums und der lohnabhängigen Mittelschichten zur bürgerlichen Reformpolitik tendieren. An den bestehenden Verhältnissen wollen diese politischen Kräfte nichts Grundlegendes ändern, sie wollen sie allenfalls „sozialer“ ausgestalten, den Armen mehr zum Überleben geben. Sie wollen die Klassengegensätze nicht zuspitzen und überwinden, sondern über staatliche, sozialpartnerschaftliche und „zivilgesellschaftliche“ Ausgleichsmechanismen mildern, entschärfen. Daher geht diese Politik auch immer mit der Verteidigung bürgerlicher Institutionen und der imperialistischen Ordnung einher, z. B. in der Frage von Migration, der Befürwortung rassistischer Einreisekontrollen oder von globalen, scheinbar über den Klassen stehenden „Regulierungsinstitutionen“. Auch wenn sich diese Politik gern demokratisch und humanitär gibt, so ist sie ihrem Wesen nach sozial-chauvinistisch und pro-imperialistisch.

So wie die bürokratisierten, sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften, reformistischen Parteien oder bürgerlichen Reformgruppierungen in den imperialistischen Ländern die Hauptorganisationen dieser Politik darstellen, so agieren die NGOs als Verlängerung dieser Politik in viele Halbkolonien, die Länder des „globalen Südens“, hinein, gerade weil dort die soziale Basis für eine reformistische ArbeiterInnenpolitik deutlich geringer als in den imperialistischen Kernländern ist.

Die NGOs übernehmen dort zum Teil diese Funktion der Sozialintegration.Daher greift auch die Kritik zu kurz, dass die NGOs oder die reformistischen Partei- und GewerkschaftsführerInnen mit ihren Reformbemühungen der G20 oder anderer bürgerlicher Institutionen nur einer Illusion folgen würden. In Wirklichkeit bilden diese Gruppierungen eine Verlängerung der bürgerlichen Herrschaft in die Gegenbewegung und in die ArbeiterInnenklasse hinein. Es bedarf daher neben politischen Taktiken, Forderungen zur Mobilisierung, zur Bekämpfung ihres Einflusses vor allem auch eines klaren Verständnisses ihres Wirkmechanismus’.




G20, Demokratie und Repression

Das Märchen vom „weltoffenen“ Hamburger Senat

Kapitel 6, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Das „weltoffene“ Hamburg soll die Kulisse für den Gipfel 2017 bilden – jedenfalls wenn es nach Angela Merkel und der Bundesregierung geht.

Allzu „weltoffen“ sind die Staats- und Regierungschefs der G20 in der Realität nicht. Viele regieren mit diktatorischen Mitteln und selbst ohne formale Demokratie. Das trifft auf so unterschiedliche Länder wie Saudi-Arabien und China zu.

In anderen sind demokratische Wahlen oft nur die mehr oder minder notdürftig verhüllte Fassade für bonapartistische oder halb-bonapartistische Regime. Präsidenten wie Temer sind durch einen Putsch an die Macht gekommen. Erdogan führt einen Krieg gegen das kurdische Volk und jede demokratische Opposition. Putin perfektioniert sein bonapartistisches Regime Jahr für Jahr. Modi stützt sich nicht nur auf den Staatsapparat, sondern auch auf den Hindu-Chauvinismus. Die indonesische Regierung unterdrückt brutal nationale Minderheiten – und mit Trump ist ein offener Rassist und Sexist US-Präsident geworden.

In der Europäischen Union, die sich gern als Sachwalterin der Demokratie und Menschenrechte präsentiert, ist die Rechte bis hin zu faschistischen Kräften in den letzten Jahren erstarkt. Der Brexit hat in Britannien den Rassismus beflügelt und droht, Millionen ArbeitsmigrantInnen ihres legalen Status zu berauben.

Die EU riegelt die Grenzen gegen die Geflüchteten ab, lässt jährliche Tausende im Mittelmeer absaufen und errichtet Zwangslager an ihren Außengrenzen oder in Afrika, wo die Menschen entrechtet und erniedrigt gehalten werden.

In praktisch allen Ländern der G20 nimmt der Rassismus zu. Nicht nur nach außen lässt Trump Mauern bauen. Muslime aus sieben Ländern sollen erst gar nicht einreisen dürfen. In der EU, aber auch in Russland oder Indien, grassiert der anti-muslimische Rassismus. Er ist zu einem zentralen Mittel zwecks Spaltung unserer Klasse und der Massen geworden, zur Aufhetzung gegen die untersten Schichten des Proletariats und die am meisten Entrechteten. Zugleich dient er als Mittel zur Ausschaltung weiterer demokratischer Rechte und zur Rechtfertigung von Aufrüstung und Interventionen.

Auf dem G20-Gipfel werden diese Themen behandelt. Bekämpft wird aber nicht der Rassismus oder die Entrechtung von Minderheiten. Die gemeinsame Formel lautet vielmehr: „Kampf gegen den Terrorismus“

Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der Zwanzig. Meinungsverschiedenheiten darüber, wer nun z. B. in Syrien genau „TerroristIn“ ist, ob die PYD in Rojava Verbündete oder Hauptfeindin sei, trüben zwar die Einigkeit ein Stück weit. Was die Unterdrückung von „Terrorismus“ im Landesinneren betrifft, so versichern sich die G20 in der Regel ihrer gegenseitigen Unterstützung – und setzen diese z. B. durch sog. „Terrorlisten“, Auslieferung und Zusammenarbeit der Geheim- und Sicherheitsdienste auch um.

Dabei fallen auch ganze unterdrückte Nationalitäten oder Religionsgemeinschaften – z. B. die KurdInnen in der Türkei, unterdrückte Nationen in Russland – unter dieses Label, werden unter Generalverdacht gestellt. Die PalästinenserInnen sind eine der Nationen, deren Rechte von allen imperialistischen Staaten seit Jahrzehnten gemeinsam mit Füßen getreten, die der nächsten zionistischen Offensive überlassen werden und deren Widerstand kriminalisiert wird. Werden die Rechte von Minderheiten und MigrantInnen mit Füßen getreten, so auch jene der ArbeiterInnenklasse. Die meisten G20-Staaten sind führend in der Bekämpfung von Gewerkschaften und ArbeiterInnenrechten. Manche lassen allenfalls staatlich kontrollierte Organisationen zu.

Auch das trifft natürlich nicht „nur“ die Länder des Südens oder halb-diktatorische Regime. Auch die westlichen Demokratien haben in den letzten Jahren die Rechte der Lohnabhängigen – z. B. das Streikrecht – immer weiter ausgehöhlt und eingeschränkt.

Repression bei den Gipfeln

Kein Wunder, dass G20- wie andere Gipfel des Kapitals und der Mächtigen regelmäßig von Protesten begleitet sind. Nach dem Höhepunkt der Massenmobilisierungen gegen große Gipfel Anfang des Jahrhunderts haben die Mächtigen der Welt oft nur noch in entlegenen Gegenden getagt. In den letzten Jahren wurde das teilweise wieder geändert – und mit massiver Repression begleitet. Dazu nur 2 Beispiele:

Gegen den G20-Gipfel von London demonstrierten 2009 35.000 Menschen. 4000 Menschen wurden von einem Großaufgebot der Polizei eingekesselt, die ihnen stundenlang Wasser, Nahrung und Zugang zu Toiletten verweigerte. Als trauriger Höhepunkt starb ein Demonstrant – vermutlich an Herzversagen, nachdem ihn ein Polizist niedergeschlagen hatte.

Auch in Toronto 2010 wurden rund 20.000 PolizistInnen eingesetzt, um den G20-Gipfel gegen 6.000 GegendemonstrantInnen zu verteidigen. Die Innenstadt wurde damals komplett abgeriegelt und von Spezialkräften mit Sturmgewehren gesichert. Außerdem wurden 900 Menschen schon vor dem Gipfel vorbeugend weggesperrt.

In Hamburg sollen rund 15.000 PolizistInnen am Start sein. Dazu kommen die Sicherheitskräfte, Personenschutz usw., den die Staats- und Regierungschefs gestellt bekommen oder selbst mitbringen. Hamburg wird, um die Tagung selbst zu „sichern“, in rote und blaue Zonen aufgeteilt, das Demonstrations- und Versammlungsrecht sowie die Rechte der BürgerInnen werden eingeschränkt. Die Polizei will für eine 38 Quadratkilometer große Zone nicht nur den Gipfel, sondern auch die Zufahrtswege vom Flughafen zum Tagungsort und zu den Unterkünften zur demonstrationsfreien Zone erklären. Die Stadt gleicht einer belagerten Festung, die vor der Bevölkerung und Menschen, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen wollen, geschützt wird. Ein Hoch auf die bürgerliche Demokratie!

Diese Einschränkungen treffen nicht nur die GegnerInnen der G20. Sie betreffen die ganze Bevölkerung, die für ein fragewürdiges Treffen von den Staats- und Regierungschefs Kontrollen über sich ergehen lassen muss und deren Bewegungsfreiheit massiv eingeschränkt wird. Die Verbote, die im Juli durchgesetzt werden wollen, sind zugleich auch eine Warnung an alle Formen des politischen, gewerkschaftlichen und sozialen Protests. Was heute die GipfelgegnerInnen trifft, kann morgen auch Aktionen gegen die Regierung und den Senat, gewerkschaftliche Kämpfe, anti-rassistische Aktivitäten oder MieterInnenproteste betreffen. Werden diese riesig, so schränkt „die weltoffene Demokratie“ die demokratischen Rechte ein.

  • Nein zu jeder Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrechts!
  • Gegen jede Bespitzelung, Überwachung der Protestierenden! Keine Sonderzonen und Kontrollen!
  • Organisierte Selbstverteidigung unserer Aktionen gegen Provokationen von Polizei und Sicherheitsdiensten!



G20 & das Klima

Oder das Märchen vom Durchbruch von Paris

Kapitel 5, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Nach dem G7-Gipfel 2017 kündigte Donald Trump das Pariser Klimaabkommen (COP21; COP = United Nations Framework Convention on Climate Change, bei uns bekannt als UN-Klimakonferenz; die Pariser Konferenz war die 21. Tagung dieser Art) vom Dezember 2015 auf, zu dem sich die USA und China erst auf dem G20-Gipfel in Hangzhou bekannt hatten.

Wollten Obama und Kerry noch eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen, so bezweifelt die neue US-Administration mehr oder weniger offen dessen Existenz, spricht gar von einem „chinesischen Hirngespinst.“ Umgekehrt schwingen sich Deutschland, die EU und China zum Vertreter des „Wohls der Menschheit“ auf und wollen sich als weltweit führend im Klimaschutz profilieren.

Von Rio bis Kyoto…

Fake News verbreitet dabei nicht nur Trump. Die Gegenspieler des US-Imperialismus deuten ihrerseits die Vereinbarungen von Paris zu einem Meilenstein für die Menschheit und die Natur um. In Wirklichkeit reiht sich die COP21-Vereinbarung nur in eine Reihe von Maßnahmen ein, die weniger die Umwelt als die Verteilung der Kosten für deren „Rettung“ im Blick haben. Die aktuellen internationalen Vereinbarung und Diskussionen gehen bis in die 80er Jahre zurück. 1988 trat erstmals der Weltklimarat zusammen. 1992 trafen sich in Rio de Janeiro tausende VertreterInnen von Staaten und Nichtregierungsorganisationen zum UN-Gipfel für Umwelt und Entwicklung, dem Startschuss für die internationale Klimapolitik. Dort wurde die Klimarahmenkonvention verabschiedet mit dem Ziel, die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu halten, auf dem eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert wird. Aus dieser vagen Formulierung kristallisierte sich in den Folgejahren das Ziel heraus, den Anstieg gegenüber der mittleren Temperatur von 1850 auf zwei Grad zu begrenzen.

1997 wurde im japanischen Kyoto auf Grundlage der Klimarahmenkonvention das erste verbindliche Klimaschutzabkommen geschlossen: Die Industrieländer verpflichteten sich, ihre Emissionen von 2008 bis 2012 um insgesamt 5,2 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken, ein nicht gerade ehrgeiziges Ziel. Die USA ratifizierten das Abkommen trotzdem nicht, weil z. B. China nicht zu Reduzierungen verdonnert wurde. Russland wurden großzügige Ausnahmen gestattet. Das Kyoto-Protokoll trat 2005 in Kraft. 2009 scheiterten die Verhandlungen in Kopenhagen an den Konflikten zwischen Nord und Süd sowie zwischen Industrie- und Schwellenländern. Das Scheitern von Kopenhagen auf dem Höhepunkt der letzten Wirtschaftskrise markierte auch einen vorläufigen neuen Höchststand der Widersprüche im imperialistisch dominierten Weltwirtschaftssystem.

…ein einziger Fehlschlag

Das reale Handeln der Regierungen und der KapitalistInnen bewirkte das Gegenteil ihrer Beschlüsse: In den Jahren zwischen 1990, dem Basisjahr für alle Klimaabkommen, und 2010 ist der Ausstoß an Treibhausgasen um mehr als ein Drittel gestiegen. Und diese Entwicklung geht weiter: um die Kluft zwischen notwendigen und tatsächlichen Emissionsreduzierungen zu schließen, damit die Erwärmung noch unter zwei Grad Celsius gehalten werden kann, müssen laut der UN-Umweltorganisation UNEP die Emissionen in Gigatonnen CO2-Äquivalenten wie folgt vermindert werden: auf 44 im Jahr 2020, 40 im Jahr 2025, 35 im Jahr 2030, 22 im Jahr 2050.

Setzt sich der aktuelle Trend fort, werden die Emissionen aber im Jahr 2020 auf 58 steigen. Auch wenn die wichtigsten Staaten ihren Ausstoß tatsächlich, wie angekündigt, senken würden, wäre der Ausstoß nur geringfügig kleiner als ohne Abkommen. Die Ankündigungen sind zudem bisher noch nie eingehalten worden.

Die Ursachen für diesen Fehlschlag sind vielfältig. Zum einen war nur das Kyoto-Protokoll bisher ein verbindliches Vertragswerk. Industriestaaten wie Australien, Kanada und die USA sind ihm nicht beigetreten. Zudem enthielten die Vereinbarungen viele Lücken und Schlupflöcher. Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, des Ostblocks und die BRD auf dem Territorium der ehemaligen DDR „profitierten“ diesbezüglich vom Zusammenbruch der dortigen Industrien, weil mit deren Stilllegung auch die Emissionen zurückgingen und sie dadurch lange eine positive Klimabilanz vorweisen konnten. Vor allem aber setzen die „flexiblen Mechanismen“ des Kyoto-Vertrages auf „markwirtschaftliche Methoden“, um die Emissionen zu senken. Statt die Unternehmen zu verpflichten, Emissionen zu senken und bei Nichteinhaltung die Produktion zu enteignen, wurde ihnen erlaubt, sich Zertifikate zu beschaffen, die Verschmutzung genehmigen. Für diese gibt es einen eigenen „Markt“. Somit können Unternehmen zusätzliche Emissionsrechte kaufen und umweltschädliche Techniken weiter einsetzen.

Soll das Ziel, die Erwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, erreicht werden, dürften nur noch 20 Prozent der weltweit bekannten Reserven an fossilen Energieträgern verbrannt werden. Die G20 subventionierten aber noch 2015 die Produzenten fossiler Brennstoffe mit 452 Milliarden Dollar; für die Förderung erneuerbarer Energien gaben sie nur knapp ein Viertel aus (121 Milliarden). Jahrelang war von der nahenden Erschöpfung fossiler Ressourcen und der Notwendigkeit eines Übergangs zu anderen Energieträgern die Rede. Derzeit erleben jedoch die fossilen Brennstoffe eine Wiedergeburt, unter anderem durch den Ausbau des Frackings. Länder wie Brasilien, China oder Indien setzen auf Kohle, Erdgas und Erdöl und stimmen Emissionsreduktionen nicht zu.

Wirtschaftskonkurrenz

Die letzten 25 Jahre waren nicht nur der Zeitraum, in dem die globale Erwärmung und die Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen erkannt wurden, sondern auch der Durchsetzung von Freihandelsabkommen und der Ausweitung neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die verschärfte Konkurrenz zwischen Unternehmen, Regionen, Staaten und Wirtschaftsblöcken führte dazu, dass Umweltgesetze, schärfere Kontrollen oder höhere Energiepreise zu einem zunehmenden Nachteil im Standortwettbewerb wurden.

Bis vor einigen Jahren war es die Welthandelsorganisation (WTO), die darauf drängte, dass Staaten ihre Märkte öffneten und dabei Umweltgesetze unterliefen. 2014 musste der kanadische Bundesstaat Ontario einen Teil seines Energiegesetzes zurücknehmen, das erneuerbare Energien und die lokale Stromproduktion förderte. Japan und die EU hatten vor der WTO dagegen geklagt. Das Abkommen CETA (zwischen EU und Kanada) reicht noch weiter als bisherige Verträge. 2009 war folglich das einzige Jahr, in dem die Emissionen weltweit zumindest nicht angestiegen sind. Die Weltwirtschaftskrise tat der Umwelt besser als alle Klimaabkommen.

Was brachte COP21?

In Paris sollte 2015 ein neues, rechtlich verbindliches Klimaschutzabkommen ausgearbeitet und unterzeichnet werden. Anders als 2009 unterzeichneten aber schließlich China und die USA. Die beiden konkurrierenden Weltmächte produzieren 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Sie hatten im Vorfeld eine für beide Seiten nützliche Vereinbarung getroffen, der zufolge China seinen Ausstoß weiter steigern dürfe und erst ab 2030 langsam senken müsse, die USA sollten ihren bis 2025 nur um 15 Prozent gegenüber 1990 absenken. So weit der „schlechte Deal“, den Donald Trump beklagte. Laut Vertrag von Paris sollen die Nettotreibhausgasemissionen zwischen 2045 und 2060 auf Null zurückgefahren werden. In der zweiten Jahrhunderthälfte soll sogar eine erhöhte CO2-Aufnahme gewährleistet werden. Dass die ambitionierten Ziele mit den dafür vorgesehenen Maßnahmen erreicht werden, muss jedoch bezweifelt werden. Den finanzschwächeren Ländern soll zwar ab 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen geholfen werden – realiter betrachtet, entpuppt sich so manche dieser Maßnahmen jedoch eher als Exportförderung für die Umweltindustrie der führenden Länder.

Das Abkommen ist zwar völkerrechtlich verbindlich, bei Missachtung der Vertragspunkte drohen jedoch keine Strafmaßnahmen. Zentrale Fragen standen nicht auf der Tagesordnung oder sind bis heute umstritten: Für die einzelnen Staaten gibt es keine festen Reduktionsziele für Emissionen vor, vielmehr unterbreiten die Staaten dazu selbst Vorschläge. Sanktionen für den Fall, dass Zusagen nicht eingehalten werden, sind bislang nicht vorgesehen. Auch wie die Versprechen für den Globalen Klimafonds, aus dem die am meisten betroffenen Staaten Maßnahmen finanzieren sollen, eingelöst werden sollen, ist umstritten. Mit den USA fällt eine zentrale Geldgeberin aus. Die G77-Staaten des Südens forderten eine rein staatliche Hilfe, also Geld; einige Industrieländer wollen Investitionen und Kredite von Unternehmen und Banken sowie die Entwicklungshilfe anrechnen lassen.

Auf Druck von Umweltgruppen und sozialen Bewegungen gegen Klimawandel, indigenen Vereinigungen und einzelnen Staaten wurden zwar hier und da Verweise auf die Notwendigkeit einer veränderten Beziehung zur Natur in Konferenzdokumente aufgenommen werden. Alle konkreten Vorschläge zielen jedoch in die entgegengesetzte Richtung: mehr (Groß-)Technik und „Effizienz“, also lukrative Anlageobjekte wie Abscheidung und Speicherung von CO2 unter der Erde (CCS), Projekte des Geo-Engineering wie Sonnensegel im Weltraum, Düngung der Weltmeere, Versiegelung riesiger Landflächen zwecks Reflexion der Sonnenstrahlung. Der zweite Strang sind noch mehr Spekulations-Märkte: z. B. soll der Erhalt von Wäldern mittels Einbeziehung in den Emissionshandel (REDD+) bewerkstelligt werden. REDD+ hat, um „Bio“dieselkraftstoff aus Palmöl zu erzeugen und in großem Stil CO2-Zertifikate verkaufen zu können, zur Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, zur Abholzung von Regenwald und zum Aufbau gewinnbringender Plantagen auf deren Fläche geführt. Das nächste Klimaabkommen wird nicht nur REDD+ die Tür öffnen, sondern weiteren Finanzinstrumenten wie „Climate-smart agriculture“-Zertifikaten für eine „klimafreundliche“ Landwirtschaft, die häufig in Zusammenhang mit Landraub, bestimmten Anbautechniken und gentechnisch veränderten Pflanzen stehen. Federführend bei der Einführung dieses Konzepts ist die Weltbank. Kleinbauernorganisationen wie Via Campesina kritisieren das Vorhaben scharf. Ähnliches gilt für „Blue Carbons“ und „Fish Carbons“, ein auf Ozeane und Meerestiere angewandtes Prinzip von REDD+.

Die Finanzbranche ist seit der Finanzkrise 2007 auf der Suche nach neuen Anlagemöglichkeiten. Investitionen in Land, Umwelt und Natur sind ein rasch wachsender Markt, Rund ums Klima sind neue, spekulative Instrumente entstanden. Das Prinzip des Emissionshandels ist einfach: Statt selbst seinen Ausstoß zu verringern, kann ein Unternehmen dafür bezahlen, dass das anderswo geschieht. Es erhält Zertifikate in Höhe der eingesparten Treibhausgase und kann diese an Kohlenstoffbörsen verkaufen. Bei der CO2-Bilanz ist dieses System schon in der Praxis gescheitert, was aber seine Profiteure nicht daran hindert, das untaugliche Mittel auszubreiten. Zum einen sind wegen des Überangebots an Emissionsrechten die Preise viel zu niedrig, zum anderen sind Betrug und Korruption Tür und Tor geöffnet. Die UNO schätzt, dass bis zu einem Drittel der Zertifikate „falsch“ sind. Niemand kann kontrollieren, wie viel Treibhausgase tatsächlich eingespart wurden. Vor allem aber: Es geht den SpekulantInnen um eine möglichst große Schwankung der Zertifikatspreise, um ein florierendes Derivategeschäft zu betreiben, nicht um Umweltschutz.

Stoppt die Klimakatastrophe!

Bei den Klimaverhandlungen wird nichts Gutes für die Umwelt getan. Das Gerede über die Rettung des Klimas ist reine Verlogenheit. Es geht nicht um die Rettung der Umwelt, sondern des Kapitalismus, um die Etablierung neuer Märkte und die (Re-)Strukturierung der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Letztere wird auf Marktpreise getrimmt.Solcherart Unheil heckt der Gipfel der weltweit herrschenden Klassen gegen die ArbeiterInnenklasse und die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit aus. Alle wirklich wichtigen Vereinbarungen werden an den konkurrierenden Interessen der Imperialisten scheitern oder anschließend hintertrieben. Schon das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen Ende 2009 zeigte, dass keine Übereinstimmung zwischen den kapitalistischen Mächten erzielt werden konnte, wie der CO2-Ausstoß verringert und die Katastrophe der globalen Erwärmung abgewendet werden soll.

Unsere Antwort ist ein weltweiter Wechsel in der Produktion weg von brennbaren fossilen Stoffen und hin zur Förderung von nachhaltigen Energieformen. Die Profitwirtschaft steht dem notwendigen Wandel im Weg. Es kann also nur eine Kraft, die kein Interesse am Profitsystem hat und die Macht hätte, die Profiterzeugung zu unterbrechen, einen Weg aus der drohenden Katastrophe durchsetzen. Diese Kraft ist die weltweite ArbeiterInnenklasse

  • Für einen Notplan zur Umwandlung des Energie- und Verkehrssystems und einen globalen Wechsel weg von   fossilen Brennstoffen! Die großen Konzerne und die imperialistischen Staaten sollen für die verursachten Umweltschäden zahlen!
  • Für einen Plan zum Ausstieg aus einer Energieproduktion mit fossilen Brennstoffen und Kernkraft! Für die massive Erforschung und Einsatz von alternativen Energieformen wie Wind-, Gezeiten- und Sonnenkraft!
  • Für massive Ausweitung des öffentlichen Verkehrs, um die Umweltverschmutzung aus dem Anschwellen des individuellen PKW-Verkehrs zu bekämpfen! Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses! Zusammenfassung des Wissens zur Schaffung von wirkungsvollen Alternativen!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung aller Energiekonzerne, des Transportwesens und der Wasserwirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle! Enteignung des Großgrundbesitzes unter Kontrolle von Komitees der LanderarbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen!



G20-„Partnerschaft“ mit Afrika

Der lange Schatten des Kolonialismus

Kapitel 4, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Der G20-Gipfel in Hamburg rückt näher und dementsprechend gibt es Vorkonferenzen. So trafen sich aktuell die G7 auf Sizilien, sprachen natürlich nicht über Geflüchtete – wäre zu naheliegend gewesen zu fragen, warum diese flüchten. Stattdessen konnte der US-Präsident dort noch mal deutlich sagen, dass niemand etwas gegen den Klimawandel tun muss, schon gar nicht die Industriestaaten und imperialistischen Führungsmächte. Dies ist quasi die Vorbereitung zum G20-Gipfel.

G20-Partnerschaft – neues Wort für imperialistische Unterdrückung

Als Vorsitz der G20 2017 hat Deutschland sich etwas Spezielles ausgedacht: eine „Partnerschaft Afrikas“ mit den G20 als Fokus des Gipfels. Afrikakonferenzen wurden vom deutschen Imperialismus immer schon dann einberufen, wenn entweder der „Platz an der Sonne“, also in der ersten Reihe der Weltmächte, lockt oder aber Gefahr im Verzug ist, den Einfluss auf diesem Kontinent zu verlieren. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte der Verbrechen der europäischen Mächte. Kolonialismus und Imperialismus durchziehen wie ein roter Faden aus Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung die Geschichte und Gegenwart des afrikanischen Kontinents.

So sind heute die Schuldenrückzahlungen der afrikanischen Staaten jedes Jahr höher als die sog. „Entwicklungshilfe“. Letztere finanziert hauptsächlich den Marktzugang der Konzerne. Auch Rüstungsexporte werden gerne vorfinanziert. Es handelt sich hier einerseits um eine staatliche Unterstützung dieser Branche, andererseits werden verbündete Regime bewusst gestärkt, um so die eigenen ökonomischen Interessen mit anderen, politischen und militärischen Mitteln zu sichern. Dafür wird auch schon mal ein Bürgerkrieg in Kauf genommen. Minister Müller von der CSU sieht Afrika heute vor allem als „Chancenkontinent“. In der Broschüre des BMZ zur Afrika-Partnerschaft (https://www.bmz.de/de/service/sonderseiten/g20/partnerschaft_mit_afrika/index.html) wird das hohe Lied der Kooperation gesungen. Wie viel mehr möglich wäre, davon schwärmen die PolitikerInnen der imperialistischen Staaten immer gerne – ungefähr, seitdem sie angefangen haben, Afrika zu erobern und auszubeuten.

Keine Chance auf ein Leben, dann flüchte!

Im Gegensatz zu Minister Müller sehen viele AfrikanerInnen ihre Zukunft gar nicht rosig. Im Gegenteil, sie nehmen den Tod im Mittelmeer in Kauf, nur um die Chance zu haben, nach Europa zu flüchten. Die Landwirtschaft, welche weiterhin der bestimmende Produktionssektor ist, wird auf den Export in die EU, USA und, neuerdings, China ausgerichtet. Die Profite eigen sich multi-nationale Konzerne an, während die lokalen ProzentInnen mehr und mehr in den Ruin getrieben werden. Generationen der Landbevölkerung haben keine Perspektive.

Gut bezahlte und ausgestattete Söldnermilizen führen Krieg bspw. um die Diamantenminen des Kongo, oder Jugendliche und Kinder dürfen in Ghana die Kakaobohnen für den Weltmarkt pflücken. Dies sind Bestandteile der Realität eines Kontinents, auf dem der „Arabische Frühling“ 2010/2011 etliche Hoffnungen auf eine andere Zukunft freisetzte, aber letztlich mit Unterstützung der imperialistischen Staaten abgewürgt wurde.

In der Broschüre des deutschen Ministers wird Ägypten zynisch als Beispiel für die gelungene Reintegration für Geflüchtete benannt. Zusammen mit der deutschen Wirtschaft, die rund um Suez sehr aktiv investiert, werden Praktika und Jobs vermittelt. Das ist ein Hauptziel der „Partnerschaft“: Flucht verhindern, Abschiebung organisieren und dabei selbst Profite machen. Das wird auch im Zentrum der europäischen Staaten in Hinblick auf die G20-Partnerschaft stehen: Wie bekommen wir wieder ein „stabiles“ nordafrikanisches Grenzregime mit Auffanglagern à la Gaddafi in Libyen? Solange das funktioniert, sind auch Militärpräsidenten wie der Ägypter as-Sisi stabile Partner des Westens, genau wie Mubarak und Gaddafi zuvor. Die EU will in diesem Partnerschaftsabkommen die erste Geige spielen, sieht sie doch traditionell die Südseite des Mittelmeers als ihre Einflusszone. Allein der französische Imperialismus wütete in West- und Nordafrika beispiellos.

Diesen Fokus will auch die EU behalten, gibt es doch mit China einen neuen schwergewichtigen Konkurrenten, welcher äußerst aktiv in die Märkte eindringt (Sudan, Tschad, Mosambik). Dabei hat sich der chinesische Imperialismus im Unterschied zu den meisten Gegenspielern vorgenommen, auch die Infrastruktur und wenn möglich sogar die Produktion in den Staaten aufzubauen – natürlich unter eigener Kontrolle. Die EU will vor allem die AU (Afrikanische Union) zu ihrem Büttel machen. Die darf dann für die europäischen Profitinteressen vor Ort wirken: noch vorhandene Handelshemmnisse abbauen, den „Flüchtlingsstrom“ eingrenzen und wenn möglich auch eine militärische Interventionstruppe aufbauen, die z. B. in Mali den französischen Truppen helfen kann. Die EU stützt sich dort neben Ägypten vor allem auf Südafrika, welches selbst in einer tiefen politischen und ökonomischen Krise ist. Präsident Zuma wird inzwischen auch vom ANC kaum noch verteidigt, das Kabinett je nach Wirtschaftsinteressen umbesetzt und im Land gibt es rassistische Unruhen gegen ArbeitsmigrantInnen, zu denen der ANC stumm bleibt. Diese Regime und ihre Willfährigkeit gegenüber dem Imperialismus sind Kennzeichen der Entwicklung Afrikas.

Antiimperialismus statt „Partnerschaft”

Wir unterstützen daher alle Proteste gegen die „G20-Partnerschaft“ mit Afrika, welche z. B. am 10.6. in Berlin stattfinden. Wir fordern die Offenlegung aller geplanten Abkommen, aller Verträge, die die Interessen der europäischen und anderer imperialistischer Staaten wie der Regime, politischen und ökonomischen Eliten der afrikanischen Länder bedienen.

Um sich aus der Umklammerung durch diese „PartnerInnen“ zu lösen, ist keine verlogene „Partnerschaft“ im Interesse der dominierenden Großmächte nötig, die heute den Kontinent zwar nicht mehr als Kolonialmächte, wohl aber über ihre Stellung in der imperialistischen Weltordnung trotz formaler Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten dominieren. Ein wesentliches Mittel dabei sind die Schuldenlast der Länder, die Ausplünderung durch westliche Konzerne und Banken und die militärische Präsenz dieser Staaten.

Wir treten daher für die sofortige Streichung der Staatsschulden der afrikanischen Länder ein. Die imperialistischen InvestorInnen sollten ohne Entschädigung unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Diese gebündelten Ressourcen könnten Teil eines Plans zur Wirtschaftsentwicklung sein – was selbst wiederum erfordert, diesen Kampf mit dem gegen die pro-imperialistischen, kapitalistischen Regierungen, für ArbeiterInnen- und Bauernregierungen und eine sozialistische Vereinigung des Kontinents zu verbinden.

Alle imperialistischen Truppen und MilitärberaterInnen müssen aus Afrika abgezogen werden. Zugleich treten wir für die Öffnung der Grenzen für alle Geflüchteten ein, deren freie Wahl des Wohnorts, ihr Recht auf Wohnraum, Arbeit sowie gleiche bürgerliche und politische Rechte.

Die Proteste gegen den G20-Afrika-Gipfel können einen Schritt vorwärts hin zu einem gemeinsamen Kampf von Linken, ArbeiterInnen, GewerkschafterInnen und SozialistInnen in Europa und Afrika gegen Ausbeutung, Rassismus und Imperialismus bedeuten.




Die G20 in der kapitalistischen Weltordnung

Oder: der beginnende Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Kapitel 3, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die aktuelle Krisenperiode ist jedoch nicht nur eine wirtschaftliche. Sie ist eine des Gesamtzusammenhangs des imperialistischen Weltsystems.

Die strukturelle Überakkumulation bildet aber ihre ökonomische Basis. Sie inkludiert auch, dass noch so wohlmeinendes Regierungshandeln, noch so umsichtige Reform den Karren nicht aus dem Dreck ziehen kann. Innerkapitalistisch gesprochen, gibt es für die herrschenden Klassen keinen anderen Ausweg, als die Kosten der Krise auf die Massen abzuwälzen. Damit einher geht auch eine weitere Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die ökologische Katastrophe. Mit beiden werden wir uns später beschäftigen.

Die Weltwirtschaftskrise und globale Rezession bildete den Ausgangspunkt für eine Krise der gesamten globalen „Ordnung“, wie sie noch in der Globalisierungsphase unter US-Hegemonie reproduziert worden war. Anders als bei einer rein ökonomischen, zyklischen Krise, die auch den Ausgangspunkt für eine Neubelebung darstellt, hat 2007/2008 nur eine Periode begonnen, die selbst von wachsender Instabilität und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt geprägt ist.

Gerade weil die Überakkumulation von Kapital ökonomisch die Basis für die Verwerfungen abgibt, steht immer auch die Frage im Raum, wessen Kapital, global betrachtet, vernichtet werden muss, welche Kapitalfraktionen überleben. Das ist aber keine rein ökonomische Frage, keine der reinen Marktkonkurrenz, sondern wird auch staatlich ausgetragen, weil Staaten auch Mittel haben, ihre Unternehmen, ihren Markt zu „schützen“ oder die Kosten der Krise auf andere abzuwälzen. Diese verschärfte Konkurrenz finden wir auf allen Ebenen. So ist – das schon vorweg – jeder „Weltklimagipfel“ immer auch eine Arena im Kampf darum, wer die Kosten des Klimawandels zu tragen hat. Dasselbe trifft auf andere ökologische Veränderungen zu. Auch die Fragen des Freihandels, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind immer auch solche, wer welche Waren zu welchen Bedingungen wohin verkaufen kann. Auch wenn sich die europäischen Länder oder China neuerdings gern als Freunde des freien Handels geben und Protektionisten wie Trump schelten, so ändert das natürlich nichts daran, dass auch sie ihre Länder oder Wirtschaftsblöcke vor Produkten der Konkurrenz abschotten. So klagen die Länder des „globalen Südens“ immer wieder über Hemmnisse beim Export in die „freien Märkte“ des Westens.

Klagen über die „Übervorteilung“ durch andere und Bekenntnisse zu „Partnerschaft“ und „Zusammenarbeit“ prägen stets Verhandlungen über zwischenstaatliche Handelsabkommen. Wie bei jedem Geschäft ist es auch auf dem Weltmarkt so, dass sich jede/r als rechtschaffene/r VerkäuferIn/KäuferIn darstellt, während dem/r anderen KäuferIn/VerkäuferIn unlautere Motive unterstellt werden.

In der letzten Dekade können wir jedoch generell eine Veränderung der globalen Entwicklung feststellen. Anfang der 1990er Jahre waren die Zeichen der Weltwirtschaft auf eine Ausdehnung des Freihandels gestellt. Das damals geltende GATT (General Agreement on Tariffs and Trade = Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) wurde durch die Welthandelsorganisation (WTO = World Trade Organization) abgelöst. Grundlegendes Ziel war es, eine der kapitalistischen Globalisierung entsprechende Welthandelsordnung durchzusetzen. Real betrachtet, handelte es sich dabei um Normen, die v. a. allem den Vorstellungen der USA und der anderen G7-Länder entsprachen. Abbau von Handelshemmnissen, Subventionen, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung waren Maximen ihrer Ausrichtung. Die WTO schien mit dem Beitritt Chinas 2001 zu einer zentralen Lenkungsinstanz der Weltwirtschaft zu werden, auf einer Höhe mit IWF und Weltbank. Aber dem Erfolg folgte, wie so oft, die Ernüchterung. Die zunehmende Konkurrenz erschwert substanzielle Übereinstimmung, zumal die WTO für ihre Beschlüsse eine Zweidrittelmehrheit der 164 Mitgliedsstaaten braucht, und trieb und treibt die verschiedenen Staaten eher zu regionalen Abkommen. Dass selbst diese angesichts zunehmender Gegensätze fragil sind, zeigt das Scheitern von TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und TPP (Transpazifische Partnerschaft) unter der Präsidentschaft Trumps. Aber auch vor dem neuen US-Präsidenten stand TTIP – allerdings eher wegen der Kritik aus Frankreich und anderen europäischen Ländern – kurz vor dem Aus.

Konkurrenz und Gegensätze

Das spiegelt die zunehmende Konkurrenz wider. Diese tritt uns nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft, sondern auch auf politischem und militärischem entgegen. Heute erscheint es vielen so, als wäre Trump der erste US-Präsident gewesen, der für eine Entspannung im Verhältnis zu Russland eintrat. In Wirklichkeit versprach auch Barack Obama 2009 einen „Neustart“ in den Beziehungen.

Dieser scheiterte daran, dass die außenpolitische Doktrin des US-Imperialismus letztlich nicht von Versprechungen eines Präsidenten abhängt, sondern längerfristigen geo-strategischen Zielen folgt.

Seit Ende der 1990er Jahre, grob gesagt, nachdem sich der russische Imperialismus unter der bonapartistischen Herrschaft Putins wieder stabilisieren konnte, entwickelt sich das Verhältnis zwischen den USA und Russland als eines von Gegnern. Die USA wollten Russland zu einer Regionalmacht herabdrücken, im Grunde zu einer Halbkolonie des Westens, die zwar in der Region noch etwas zu sagen hat, deren Wirtschaft und Politik jedoch über pro-westliche Parteien und Gruppierungen bestimmt werden. Mit Putin und der Reetablierung einer russischen Staatsbürokratie, die die Interessen des Gesamtkapitals mit despotischen Mitteln wahrnimmt, konnte Russland dem weiteren Vordringen der USA, diversen pro-amerikanischen Umsturzversuchen usw. mehr entgegensetzen. In der Ukraine eskalierte der Konflikt. Die EU und v. a. Deutschland wollten eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu ihren Gunsten, wenn auch am liebsten eine ohne blutigen Umsturz, und bauten über die Adenauer-Stiftung und EU-Gelder sogar eine eigene Partei um Klitschko auf. Die auch unter Obama von den Neo-Konservativen bestimmte US-Politik wollte mehr. Russland sollte ganz verdrängt werden – dazu war auch eine blutige Machtübernahme mit Faschisten und Nationalisten als Sturmtruppen recht.

Der „Neustart“ wurde zum Neubeginn eines Kalten Krieges, zur Etablierung eines pro-westlichen rechten Regimes in Kiew, zum Beginn eines Bürgerkrieges. Russland konterte auf der Krim und durch die Unterstützung der „Volksrepubliken“ im Donezbecken. Der Konflikt geriet mehr und mehr zum Stellvertreterkrieg. Unter Trump setzte sich das Spiel fort. Trotz Russland-Tapes und fragwürdigen Geschäftsbeziehungen bestimmt letztlich die etablierte Riege des imperialistischen Staates die Russland-Politik, nicht das Kabinett.

Dies ist in der Geschichte des Imperialismus nichts Neues. Im Grunde verfügen alle imperialistischen Staaten über einen Stab, der die Parameter und Ziele der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik, die strategischen Ziele usw. festlegt. In krisenhaften Perioden können natürlich auch diese neu definiert werden (bzw. kann dies erzwungen werden). Die konfrontative Politik der USA gegenüber Russland ist jedoch kein Zufall oder „Sturheit“, sondern erklärt sich durchaus folgerichtig aus den Ansprüchen beider Staaten. Hinzu kommt, dass die USA ein Interesse haben, die EU in einen dauerhaften Konflikt mit Russland hineinzuziehen. Dieses Beispiel soll nur illustrieren, dass sich die inner-imperialistischen Gegensätze in der aktuellen Periode gefährlich zuspitzen.

USA – China

Global betrachtet, ist hier sicherlich jener zwischen den USA und China an erster Stelle zu nennen. Es ist der zentrale Gegensatz der aktuellen Weltordnung. Die USA sind noch immer die größte Nationalökonomie der Welt, ihr Dollar die wichtigste Währung. Aber die US-Wirtschaft kann sich wesentlich nur über eine Niedrigzinspolitik über Wasser halten. Die US-Konzerne haben sich zwar in einigen Bereichen gefestigt, sie drohen aber, weiter gegenüber europäischer, chinesischer oder japanischer Konkurrenz zurückzufallen. Trumps Ruf nach „besseren Deals“ reflektiert dieses Zurückfallen der USA.

Anders als ihre KonkurrentInnen müssen die USA auch ihre Stärke global bei praktisch jedem Konflikt demonstrieren. Während China oder die EU-Länder, erst recht Russland und Japan, auf einige Regionen konzentriert sind oder andere vor allem mit Export von Kapital und Waren beglücken, müssen die USA ihre Rolle als Weltpolizist spielen. Dass die USA von den „Verbündeten“ mehr Vasallentreue und mehr Geld fordern, ist von ihrer Warte aus verständlich. Umgekehrt sind jedoch die „Verbündeten“ selbst imperialistische Mächte, die wie Deutschland oder Frankreich vor der Frage stehen, ob sie ihre langfristigen Ziele mit den USA oder gegen diese durchsetzen müssen.

Während die EU mehr den Versuch, einen imperialistischen Block zu formieren, darstellt, von inneren Gegensätzen gekennzeichnet und auf kurze Frist sicherlich mehr auf ihre eigene Stabilisierung konzentriert sein wird, ist China für die USA ein dynamischer Konkurrent, der in wenigen Jahren zu einer führenden Industrienation aufstieg.

Anders als Länder wie Indien, die in bestimmten Bereichen zwar ein fieberhaftes Wachstum zu verzeichnen hatten, insgesamt jedoch vom imperialistischen Finanzkapital bestimmt werden, entwickelt sich in China auch eine imperialistische Nation. Neben riesigen Konzernen, die in verschiedenen Branchen um die Weltmarktführerschaft ringen, versucht die Staatsbürokratie, einem Finanzkapital als Geburtshelfer zu dienen, die soziale Struktur und die Infrastruktur des Landes so zu entwickeln, dass sie denen eines imperialistischen Staats entsprechen. Natürlich wird auch dann China noch von enormen inneren Gegensätzen, von einer Ungleichzeitigkeit der Entwicklung geprägt sein. Aber es hat nicht nur die Möglichkeit, sich als eine imperialistische Macht zu etablieren, es kann auch gar nicht anders, wenn das schon entwickelte nationale Kapital weiter expandieren soll.

Es kann dies nur, indem es mehr und mehr Anteil nimmt am Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Das Projekt einer „neuen Seidenstraße“, ein gigantisches Investitionsvolumen von über 900 Milliarden US-Dollar, ist daher nicht nur ein Wirtschaftsprogramm, sondern geht auch einher mit militärischen Zielen, Hochseehäfen, der Aufrüstung der Marine etc. In Ländern wie Pakistan – lange ein Vasall der USA – zeigt sich der zunehmende Einfluss Chinas und ein Umschwenken des Militärs und politischen Establishments zu einer anderen „Schutzmacht“ deutlich.

Dass die europäische Union oder Japan im Moment eher angeschlagen sind, soll nicht bedeuten, dass sie beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt schon abgehängt sind. Aber es ist sehr deutlich, dass sie im Gegensatz zu China, aber auch den USA über keine globale Ausrichtung oder Strategie verfügen. Für die EU kommt hier noch das zusätzliche Problem hinzu, dass sie als Staatenbund auch ein Block imperialistischer Staaten mit unterschiedlichen Interessen ist. Die Konkurrenz zwischen den USA und China, aber auch deren Initiativen werden die EU und auch den deutschen Imperialismus in der nächsten Periode zu einer Neubestimmung ihrer globalen Strategie zwingen. Wenn Merkel davon spricht, dass Europa sich mehr auf „seine eigenen Kräfte besinnen“ müsse, so artikuliert sie dabei, wenn auch vorsichtig, die Notwendigkeit einer strategischen Neubestimmung, ob nun im Verbund mit der ganzen EU und Eurozone oder durch den Fokus auf ein Kerneuropa mit Frankreich.

Diese Neuausrichtung wird durch den Austritt Britanniens aus der EU offensichtlich leichter. Eine deutlicher deutsch-französische EU könnte sowohl zu einem eigenständigen Aufrüstungsprojekt, als auch deutlicher weltpolitisch als Absicherung vor allem der deutschen Exportinteressen dienen. Sichtbar wird dies bereits an den offen aufbrechenden strategischen Differenzen zu den USA im Nahen und Mittleren Osten. Während die USA unter Trump wieder verstärkt auf die traditionellen Bündnispartner Saudi-Arabien und ägyptisches Militär im Verbund mit ihrem israelischen Stützpunkt setzen, wird die EU – eventuell auch im Verbund mit Russland und China – weiter versuchen, zu einem Ausgleich mit dem Iran zu kommen. Unter dem Deckmantel der “Friedenspolitik” wird hier beinhart versucht, die eigene Stellung in dieser weltpolitisch entscheidenden Region nach einer “Befriedung” in Syrien und dem Irak zu sichern. Ein klares Indiz für die zunehmende Konkurrenz zeigt sich in jedem Fall auf militärischem Gebiet – und zwar nicht nur bei den imperialistischen Kernländern der G20. Praktisch alle Staaten rüsten massiv auf – ob nun aus „eigenem Antrieb“ oder weil sie sich dazu gezwungen sehen.

Aufrüstung und Interventionen

Die Regierung Trump erhöht den Militäretat, der ohnedies schon der weitaus größte der Welt ist, und auch jenen für die innere Sicherheit. Die EU-Staaten wie Deutschland rüsten auch auf. So soll der Verteidigungshaushalt bis 2024 auf 2 Prozent des BIP erhöht werden – um rund zwei Drittel!

Insgesamt betrugen 2016 die weltweiten Militärausgaben 1,69 Billionen Dollar. Davon entfielen auf die USA 611 Milliarden, auf China 215. Dahinter folgt Russland mit einem Respektabstand und 69,2 Milliarden. Deutschland liegt mit 41,1 Milliarden Dollar auf Rang 9. (Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2016 in Milliarden US-Dollar)

Auch wenn solche Statistiken nur unzureichend die militärische Stärke oder Schlagkraft wiedergeben, weil vorhandene Bestände oder Kampferfahrungen nicht in sie eingehen – so ist es kein Zufall, dass sich praktisch alle wichtigen imperialistischen Länder unter den ersten 15 finden.

Ein anderer Indikator für die Zuspitzung der Gegensätze ist die zunehmende Anzahl von Interventionen, Besatzungseinsätzen und Kriegen. Wichtiger noch ist, dass sich ihre Qualität verändert. In Syrien, aber auch im Jemen, in der Ukraine und vor allem bei den Drohungen in der Südchinesischen See haben wir es mit Stellvertreterkriegen oder auch mit direkten Drohungen seitens imperialistischer Mächte zu tun. Die US-Aggression gegen Venezuela, aber auch gegen Nordkorea ist ebenso in diesem Kontext zu betrachten wie die Interventionen europäischer Staaten, vor allem Frankreichs, in Afrika, die auch dazu gedacht sind, den Einfluss Chinas zurückzudrängen.

G20 – Austragungsort des Kampfes

Die G20 sind ein Austragungsort des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wie jede andere „globale“ Institution, ob nun die UN, IWF/Weltbank, Klima- oder auch Friedenskonferenzen.

Anders als z. B. unter den G7 finden sich unter den G20-Staaten aber keineswegs nur imperialistische Länder. Zu dieser Kategorie gehören neben den G7 (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada) Russland, China, Australien. Südafrika konnte sich zwar in den 60er Jahren unter besonderen Umständen als imperialistisches Land etablieren, ist heute aber immer weniger in der Lage, diese Stellung zu halten. Wir rechnen es im Folgenden nicht zu den imperialistischen Teilen der G20. Zur EU gehören außerdem noch eine Reihe weiterer schwächerer imperialistischer Länder wie auch Halbkolonien.

Betrachten wir den imperialistischen Kern der G20, so vereint dieser rund 70 Prozent ihres BIP. Allein das drückt das enorme ökonomische Gewicht dieser Länder aus.

Noch deutlicher wird ein Blick auf die großen Unternehmen. Bis um die Jahrhundertwende waren die großen Konzerne der Welt, ob nun im industriellen, im Finanz- oder Handelssektor, auf die sog. Triade (USA, Japan, Westeuropa) konzentriert. An diesem Bild hat sich mit wenigen Ausnahmen nur eines geändert: China. Ein Blick auf verschiedene Rankings der 100 oder 500 größten Unternehmen in verschiedenen Branchen zeigt, dass auch diese unter den imperialistischen Staaten der G20 – nicht unter allen gleichermaßen! – konzentriert sind. Natürlich versuchten in den letzten Jahren die Länder des „Südens“, teilweise an einem Strang zu ziehen. Aber grundsätzlich ist es irreführend, ein gemeinsames Interesse dieser Länder im Gegensatz zu den imperialistischen zu unterstellen.

Erstens werden zu dieser Gruppe auch imperialistische Staaten wie China, teilweise sogar Russland, mitgezählt.

Zweitens bleibt die Tatsache zu wenig berücksichtigt, wenn überhaupt, dass auch die vom Imperialismus beherrschten, halb-kolonialen Länder Klassengesellschaften sind und die Bourgeoisie vor allem am Erhalt ihrer politischen Herrschaft interessiert ist. Sie steht in einem viel tieferen Gegensatz zur ArbeiterInnenklasse und zur Bauernschaft als zu den imperialistischen Mächten, auch wenn diese ihr Land brutal ausplündern.

Selbst wenn es immer Konflikte zwischen links-bürgerlichen Regierungen und dem Imperialismus gibt, so bedeutet das keinesfalls, dass es eine über die Grenzen reichende Solidarität der halbkolonialen Bourgeoisien gibt. Im Gegenteil, diese sind nationale Klassen, die in der Regel ihren Nachbarstaat mindestens als ebenso großen Konkurrenten wie als Verbündeten betrachten. Die grenzübergreifende Einheit des Bürgertums oder Kleinbürgertums ganzer Kontinente oder gar „des Südens“ ist ein Mythos. Das zeigt die reale Erfahrung der Kämpfe seit dem 19. Jahrhundert – eine Erfahrung, die die marxistische Analyse verständlich machen kann, weil für sie der Imperialismus auch nur eine Stufe kapitalistischer Entwicklung, also zuerst ein Klassenverhältnis darstellt.

Betrachten wir die halb-kolonialen Länder, die am G20-Gipfel teilnehmen, so zeigt sich, dass sie allesamt um eine bessere Position innerhalb der bestehenden Weltordnung kämpfen. In dem Sinn nehmen sie – vor allem auf regionaler Ebene – auch Einfluss auf Akteure im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die zunehmenden Konflikte unter den imperialistischen Staaten eröffnen ihnen dabei durchaus auch Spielraum für eigene Ambitionen, aber sie erhöhen auch die Gefahr von Kriegen zwischen diesen Ländern. So mischen im Krieg in Syrien nicht nur Regierung und Opposition, Russland, EU-Staaten und USA, sondern auch Türkei, Iran, Saudi-Arabien eifrig mit und nehmen dabei durchaus auch eine Verschärfung der Lage in Kauf. Dennoch sind diese Länder nach wie vor nicht vom eigenen Großkapital, sondern vom imperialistischen Finanzkapital, dem Kapitalexport, Profitabzug, von Finanzströmen aus den Zentren bestimmt. Das trifft selbst auf Indien, das mit Abstand stärkste unter diesen Ländern, zu. Zweifellos können diese Staaten auch als „Regionalmächte“ beschrieben werden. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie keine imperialistischen oder „sub“imperialistischen Mächte, sondern vom Imperialismus dominierte Staaten darstellen, oft als Verbündete von bestimmten Großmächten.

So organisieren die USA gemeinsam mit Japan ein Bündnis zur Eindämmung Chinas, bei dem Indien eine zentrale Stellung einnimmt. Ebenso versuchen die USA unter Trump, ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien nachhaltig zu festigen wie auch jene zur Türkei wieder zu bessern, den Einfluss Russlands und der EU zurückzudrängen. In Lateinamerika haben die USA selbst in Zusammenarbeit mit der politischen Rechten Macri in Argentinien und den Temer-Putsch in Brasilien unterstützt.

Deutsche Agenda

Die G20 stehen realiter nicht im Zeichen des Gegensatzes Nord-Süd, sondern in dem der imperialistischen Blockbildung. Der veränderte Kurs der USA unter Trump bedeutet, dass sich die Fronten bewegen können. Dabei werden die USA sicher nicht nur „isoliert“ sein. Länder wie Großbritannien, Brasilien (sofern Temer nicht gestürzt wird), Türkei und Saudi-Arabien, aber auch Japan und Indien, können durchaus mit den USA an einem Strang ziehen. Umgekehrt zeichnet sich ein Gegenblock ab, der auch alles andere als frei von Widersprüchen ist. Mögen die EU-Staaten und China gegenüber der US-Regierung Freihandel und Klimaschutzabkommen auch gemeinsam verteidigen, so sind zahlreiche Fragen zwischen diesen auch ungelöst – insbesondere auch das Verhältnis zu Russland. In jedem Fall kann damit gerechnet werden, dass alle Seiten den Gipfel zum Schaulaufen für die eigenen Interessen nutzen wollen. Die deutsche Bundesregierung hatte ursprünglich sicher gehofft, sich an der Seite von Hillary Clinton als „Partnerin auf Augenhöhe“ für die „freie Welt“ inszenieren zu dürfen. Der Traum ist ausgeträumt.

Ein anderes verlogenes „Narrativ“ soll nun von der Bundesregierung und ihren Verbündeten in die Welt gesetzt werden: jenes des aufrechten demokratischen Eintretens für „Freiheit“ und „Partnerschaft“ – die Freiheit des Welthandels, des Kapitalverkehrs (natürlich mit kosmetischen Kontrollen). Keine Freiheit gibt es hingegen für die Geflüchteten, keine Bewegungsfreiheit für die globale Masse von ArbeitsmigrantInnen. Natürlich sollen auch die Pressefreiheit und Demokratie verteidigt werden – vornehmlich außerhalb der EU, während im Inneren die demokratischen Rechte im Namen der „Bekämpfung des Terrorismus“ abgebaut und die Überwachung und Repression ausgebaut werden. „Partnerschaft“ soll es geben – vom Klima bis zur „Flüchtlingspolitik“. Mit den afrikanischen Ländern soll mehr Kooperation stattfinden, was vor allem bedeutet: mehr Öffnung ihrer Märkte und Festhalten aller Flüchtenden in Afrika. Mit China soll eine Partnerschaft als „Klimachampions“ gestartet werden. Denn Partnerschaft und Freiheit ist gerade für den deutschen Imperialismus die Freiheit des Exports, die Freiheit des Handels und von Investitionen. Da kann ein Öko-Siegel für den deutschen Imperialismus nur hilfreich sein.




G20, Krise & Imperialismus

Die Entwicklung und inneren Widersprüche des Kapitalismus

Kapitel 2, Unite Against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Die Bedeutung der G20 in der kapitalistischen Weltordnung ist heute nur schwer zu unterschätzen. Sie umfassen die wichtigsten Länder der Erde. In den 19 Staaten und der EU lebten Ende 2016 4,638 Milliarden Menschen, geschätzte 66,2 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Länder brachten 88,3 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts hervor. Sie bestreiten rund drei Viertel des Welthandels. In diesen Ländern wird ein Großteil aller Waren produziert und lebt die Mehrzahl der ArbeiterInnen. Noch deutlicher sind die Finanzinstitutionen, Banken, Versicherungen, Fonds, die AkteurInnen auf den Finanzmärkten in diesen Staaten konzentriert. Alle wichtigen, „harten“ Währungen der Welt sind – mit Ausnahme des Schweizer Franken – die der G20-Staaten.

In den G20-Staaten konzentriert sich auch die politische und militärische Macht. Rund 80 Prozent aller Rüstungsausgaben von jährlich rund 1,6 Billionen US-Dollar gehen auf ihr Konto, wobei auf die USA bis heute der weitaus größte Anteil entfällt. An praktisch allen Kriegen sind Staaten aus der Gruppe der 20 – vorzugsweise unter dem Deckmantel der „Friedensstiftung“ – beteiligt. Es gibt keinen bedeutenden Konflikt, in dem sie nicht ihre Finger mit im Spiel haben – in Fällen wie der Ukraine oder Syrien oft genug auf verschiedenen Seiten. Allerdings stellen die G20 anders als die G7 (oder die G8) keine vergleichsweise einheitliche Staatengruppe dar. Sie umfassen nicht nur tradierte und neue, aufstrebende Weltmächte, sondern auch für die globale Ordnung wichtige, letztlich jedoch von den führenden kapitalistischen Staaten beherrschte Länder, die allenfalls um eine Stellung als regionale Ordnungsmacht ringen können.

Kapitalismus und Krisen

Um die Bedeutung der G20, ihre inneren Gegensätze, die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu verstehen, reicht es aber nicht, mit oberflächlichen Begriffen zu operieren, die allenfalls bestimmte Erscheinungen der globalen Ordnung fassen. Es ist vielmehr notwendig, einen Blick auf die Entwicklung des Kapitalismus als globale Gesellschaftsformation zu werfen, um die Rolle der G20 im Rahmen der aktuellen impeRialistischen Weltordnung zu verstehen.Anders als frühere Klassengesellschaften war der Kapitalismus von Beginn an global ausgerichtet. Der Weltmarkt, die Ausdehnung kapitalistischer Ausbeutung über den ganzen Erdball liegt nicht nur im Begriff des Kapitals, wie ihn Marx zuerst umfassend entwickelte.

Die Weltmarktorientierung stand dem Kapitalismus schon in seiner Entstehung Patin. Zwar entwickelte sich die Produktionsweise zuerst im großen Maßstab in Großbritannien. Die industrielle Bourgeoisie kam dort zuerst auf, weil sie einerseits die Verhältnisse am Land umwälzte und mit der englischen Revolution die politischen Bedingungen dafür geschaffen hatte, aber auch weil sie über den Kolonialismus und die Expansion des spanischen Handelskapitals einen enormen Schub erhielt.

Dieser vergrößerte die Nachfrage nach industriell gefertigten britischen Waren. Der aus Amerika geplünderte Reichtum landete nicht im absolutistischen Spanien, sondern im kapitalistischen England. Der Raub und Handel mit SklavInnen erlebte eine gigantische Dimension inklusive extrem barbarischer Formen, weil er funktional in die Entwicklung der Akkumulation (Anhäufung) und Ausweitung des Kapitals eingebunden war. Die kapitalistische Warenproduktion unterminierte und zerstörte, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schrieben, die ökonomischen Strukturen aller tradierten, teilweise tausende Jahre existierenden Gesellschaften und großer Reiche. Die chinesischen Mauern mochten den Kanonen von Invasoren trotzen, gegen die kapitalistisch betriebene Warenproduktion waren sie nutzlos.

Das Kapital schuf sich mit der Entwicklung der großen Industrie eine ihm gemäße technische Grundlage. Vorhergehende Produktionsweisen wurden jetzt noch viel rascher zerstört, an den Rand gedrängt oder zeitweise in die kapitalistische Produktion funktional eingegliedert. Die Verallgemeinerung der großen Industrie legte auch die Grundlage für eine enorme Zentralisation und Konzentration des Kapitals. Die schwächeren Unternehmen unterlagen in der Konkurrenz, die siegreichen begannen, ganze Branchen zu beherrschen und ihr Geschäft mehr und mehr auszudehnen.Mit der Entwicklung der Industrie prägten den Kapitalismus auch periodisch wiederkehrende industrielle Krisen, die bis heute normalerweise in sieben bis zehn Jahren wiederkehren. An Beginn eines Zyklus steht in der Regel eine Erneuerung der Produktionsmittel, eine Umwälzung der technischen Basis der Produktion, an deren Ende eine Krise, die zur Freisetzung von Arbeitskräften, Entlassungen, Zusammenbrüchen und somit auch zur Grundlage für eine Erneuerung der Dynamik des Kapitalismus führt.

Sie offenbaren aber immer auch das irrationale Wesen des Kapitals. In der Krise wird der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter und der privaten Aneignung des Reichtums sichtbar. Zweck ist nicht die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Aneignung von Mehrwert, von Mehrarbeit der Lohnabhängigen, die selbst keine Produktionsmittel besitzen und ihre Arbeitskraft als Ware verkaufen müssen. Erst im Nachhinein stellt sich heraus, welche Produktion sinnvoll war, welche „unnötig“. In den Krisen erscheint es so, als gebe es zu viele Güter, zu viele Arbeitskräfte, zu viele Menschen und zu viel Geld. Es müssen Reichtümer vernichtet werden, damit der ganze Kreislauf von neuem in Schwung geraten kann. Damit einher geht aber auch eine beständige Erneuerung der Produktionsmittel. Immer größere Mengen werden in konstantem Kapital (Produktionsmittel) veranlagt. Der Anteil des Kapitals, das für den Kauf von Arbeitskraft verwandtwird, nimmt im Verhältnis dazu ab. Dieselbe Menge ArbeiterInnen setzt eine immer größere Masse an Produktionsmitteln und darin vergegenständlichten Werten in Bewegung. Für eine vernünftige, planmäßig organisierte Wirtschaft wäre das überaus sinnvoll, weil die Menschen entweder mehr freie Zeit hätten oder mehr Güter zu ihrer Bedürfnisbefriedung produzieren könnten.

Nicht so im Kapitalismus. Die stetige Umwälzung des Kapitals infolge der Konkurrenz, dessen wachsende „organische Zusammensetzung“ (= der immer größere Anteil an konstantem Kapital) führt auch zum Fall der Profitrate und schlägt an einem bestimmten Punkt in die Krise um. Selbst wenn diese durch Kapitalvernichtung „bereinigt“ wird, so wird das Problem im folgenden industriellen Zyklus nur auf höherer Stufenleiter, mit noch mehr Kapital reproduziert. Marx nannte dies das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, in dem sich die innere Widersprüchlichkeit des Kapitalismus ausdrückt und die Notwendigkeit seiner Aufhebung durch die sozialistische Revolution.

Es ist kein Wunder, dass dieses Gesetz auch seit jeher ein Hauptangriffspunkt aller bürgerlichen und pseudo-linken Kritik am Marxismus war. Doch der Kapitalismus erschöpft sich nicht in einer Wiederkehr von regelmäßigen industriellen Zyklen und Krisen. Er ist nicht nur ein ökonomisches System, sondern eine Gesellschaftsformation, die darauf aufbaut. In der Entwicklung des Kapitalismus können wir ganze Phasen feststellen, die von einer eher expansiven Dynamik getragen waren und längere Perioden von Krisen und Stagnation. So trat der Kapitalismus nach 1873 in eine längere Periode der Stagnation, des Niedergangs, weil die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Expansionsphase nach der Niederlage der Revolution von 1848 begleitet hatten, nicht mehr dem Gesamtsystem entsprachen. Mit Deutschland und den USA waren zwei kapitalistische Staaten auf den Plan getreten, die die Vorherrschaft der britischen Industrie in Frage stellten und sie später auch die britische Industrie überflügelten. Zugleich blieb aber das Empire die führende Weltmacht, sowohl was den Handel, die Währung mit dem britischen Pfund als Leitwährung, die Flotte und das Kolonialreich betraf.

Entstehung und Wesen des Imperialismus

Aus der Krise und Stagnation im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts bildete sich aber auch eine neue Form des Kapitals heraus, dessen Durchsetzung einen Epochenwechsel markiert. Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert treten wir in die imperialistische Epoche ein, die bis heute fortdauert. Das heißt nicht, dass es seither keine wichtigen Veränderungen gegeben hätte, aber die grundlegenden Charakteristika dieser Entwicklungsstufe des Kapitalismus sind die gleichen geblieben.

Ende des 19. Jahrhunderts war die Erde zwischen den damaligen Großmächten aufgeteilt. Die großen Kolonialreiche wie Britannien und Frankreich beherrschten die Welt. Mächte wie die USA verfügten über eine formell unabhängige Einflusssphäre in Lateinamerika wie auch einen noch zu erschließenden inneren Markt. Russland, aber auch die Habsburger Monarchie und das Osmanische Reich waren zwar industriell rückständig, verfügten aber über „innere Kolonien“, die direkt den Reichen eingegliedert waren. Der deutsche und japanische Kapitalismus waren bei der Aufteilung der Welt zu kurz gekommen und es ist kein Zufall, dass sie eine Neuaufteilung ebendieser anstreben mussten. Für deren große Industrie, für die Produktkräfte, die sich entwickelt hatten, war der nationale Markt zu klein geworden. Sie stießen an die Schranken des europäischen Staatensystems und der kolonialen Aufteilung der Welt.

Zugleich hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Zentralisation und Konzentration des Kapitals in allen großen kapitalistischen Staaten eine Stufenleiter erreicht, die in eine neue Qualität umschlug. Es bildeten sich Monopole, Trusts, Kartelle, Großkonzerne, die ganze Branchen dominierten und untereinander den nationalen und Weltmarkt aufteilten (oder umkämpften). Zugleich veränderte sich auch die Beziehung zwischen den großen Monopolen und dem Banken- und Kreditsektor. Industrielles Kapital und Geldkapital (zinstragendes Kapital) verschmolzen, wenn auch in national sehr unterschiedlicher Form zum Finanzkapital. Unter Finanzkapital verstehen MarxistInnen im Anschluss an Lenin nicht nur Kredit, Spekulation, Aktienkapital usw., sondern die Verschmelzung von Industrie- und Bankenkapital unter der Regie des letzteren.

„Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzen oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.” (Lenin, Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 230)

Lenin betont zu Recht die dominierende Rolle des Bankenkapitals in diesem Verhältnis. Das ergibt sich logisch daraus, dass letzteres zumeist Kapital in Geldform ist. Als solches ist es im Unterschied zum in Maschinen, Rohstoffen usw. vergegenständlichten industriellen Kapital an keine bestimmte stoffliche Grundlage gebunden. Ebenso korrekt erkannte er, dass mit der Vorherrschaft des Finanzkapitals dem Export von Kapital gegenüber dem Warenexport eine immer größere Rolle zukommen muss (wiewohl letzterer selbst im Gefolge des Kapitalexportes zunimmt).

Die Entwicklung zum Finanzkapital begreift Lenin als eine nicht rückgängig zu machende notwendige Entwicklungsstufe des Kapitals. Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise sind dabei nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil: sie wirken gewissermaßen auf „höherer“ Stufenleiter fort.

„Die Trennung des Kapitaleigentums von Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom Ertrag lebt, vom Unternehmer und allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapitalismus überhaupt eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausmaße erreicht. Das Übergewicht des Finanzkapitals über alle übrigen Formen des Kapitals bedeutet die Vorherrschaft des Rentners und der Finanzoligarchie, die Aussonderung weniger Staaten, die finanzielle ‚Macht’ besitzen.” (Lenin, Imperialismus, LW, S. 242)

Folgerichtig lehnt Lenin die kleinbürgerliche Kritik am Finanzkapital und am Imperialismus ab, weist jeden Versuch, den Kapitalismus kleiner und mittlerer ProduzentInnen wieder herzustellen, als reaktionär und utopisch zurück (z. B. die Anti-Trust-Bewegung). Lenins Theorie wäre unvollständig und unverständlich, wenn wir nicht einen anderen Aspekt der Entwicklung des Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts in Betracht ziehen würden: Die Welt ist unter den kapitalistischen Monopolen und Großmächten aufgeteilt. Das heißt nicht, dass damit jegliche vorkapitalistische Produktionsweise schon verschwunden wäre. Allerdings sind diese Überreste mehr und mehr in den kapitalistischen Weltmarkt integriert, ihm untergeordnet, werden durch moderne Klassenverhältnisse ersetzt, aber – auch diese Paradoxie ist nicht neu – gar noch unter der Fuchtel des Kapitals konserviert.

Das bedeutet auch, dass die „zu spät gekommenen“ kapitalistischen Länder nicht den Weg der „fortgeschrittenen“ einfach nachvollziehen können. Sie sind von Beginn an als imperialisierte – ob in kolonialer oder in formell unabhängiger, halb-kolonialer politischer Form – in den Weltmarkt integriert. Für Lenin ist „Imperialismus“ eine ökonomische, politische und historische Gesamtheit. Imperialistische Politik ist Resultat der verschärften Konkurrenz zwischen den Mächten und Großkapitalen, ist selbst politische Folge der Vorherrschaft des Finanzkapitals über alle anderen Kapitalformen. Lenin lehnt es daher kategorisch ab, „Imperialismus“ als eine besondere („schlechte“ oder „aggressive“) Form der Politik zu definieren. Eine nicht-imperialistische Politik der kapitalistischen Großmächte ist vielmehr unmöglich.

Ob ein Staat imperialistisch ist oder nicht, kann somit nur im Rahmen der globalen politischen und ökonomischen Ordnung verstanden werden – nicht durch eine bloße Betrachtung ökonomischer Kennziffern eines Landes. Innerhalb dieser Gesamtheit, der auch eine politische und ökonomische Arbeitsteilung entspricht, wird einem Land sein Platz zugewiesen. Die Vorherrschaft des Finanzkapitals bedarf immer der staatlichen Absicherung dieser Herrschaft gegen die ArbeiterInnenklasse, aufbegehrende Kolonien oder halb-koloniale Staaten. Insbesondere tendiert sie immer wieder zum Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den verschiedenen Gruppen des Finanzkapitals und den imperialistischen Mächten – zum imperialistischen Krieg.

MarxistInnen lehnen im Kampf gegen den Imperialismus den Versuch, „vor-monopolistische“ Zustände wiederherzustellen, ebenso wie die Gegenüberstellung von „gutem“, schaffendem Kapital und „schlechtem“, raffendem als reaktionär ab. Die einzig fortschrittliche Perspektive besteht vielmehr in der Enteignung der Enteigner, der Reorganisierung der Produktion auf großer Stufenleiter unter Leitung des Proletariats und im Weltmaßstab! Wenn Lenin vom Imperialismus als einem „sterbenden, verfaulenden“ Kapitalismus spricht, betont er damit vor allem, dass der Imperialismus in seiner Gesamtheit ein Entwicklungsstadium darstellt, in dem die kapitalistische Produktionsweise reaktionär geworden ist. Es ist eine Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, daher auch eine Epoche massiver sozialer Erschütterungen, von Krieg, Konterrevolution und Revolution.

Entwicklung im 20. Jahrhundert

Die Imperialismustheorie erlaubte dem marxistischen Flügel der Zweiten Internationale und der kommunistischen Bewegung, nicht nur die Ursachen des Ersten Weltkriegs zu verstehen, sondern auch eine revolutionäre, internationalistische Antwort zu entwickeln. Der Erste Weltkrieg war Ausdruck der inneren Widersprüche des globalen kapitalistischen Systems, das nach einer „Neuordnung“ drängte. Er eröffnete eine ganze Periode von revolutionären Möglichkeiten, die am Verrat der Sozialdemokratie wie auch an der politischen Unreife der kommunistischen Bewegung scheiterten. Die grundlegenden Probleme, die zum Ausbruch des Krieges geführt hatten, vermochte er jedoch nicht zu lösen. Mit dem Russischen Reich, der Doppelmonarchie und dem Osmanischen Reich waren zwar drei Anwärter auf eine Weltmachtrolle auf unterschiedliche Art zerfallen – der Kampf um die Neuaufteilung der Welt nahm hingegen viel schärfere Formen an.

Die Vormachtstellung Britanniens wurde immer prekärer. Es war nicht in der Lage, das Pfund als Leitwährung stabil zu halten – aufgeben mochte es es aber auch nicht. Der französische Imperialismus war noch schwächlicher und versuchte, sich durch Reparationen schadlos zu halten. Deutschland schwenkte – auch als Antwort auf die drohende proletarische Revolution – auf einen besonders aggressiven Kurs und zur faschistischen Herrschaft. Japan entwickelte sich und stieß an die Einflusssphären Britanniens, Frankreichs und der USA. Die USA waren zur führenden Industrienation aufgestiegen. So wie Deutschland sich zum Ziel setze, Europa durch einen Krieg neu zu organisieren, musste der US-Imperialismus auf eine Neuorganisation der Welt drängen. Protektionismus und nationale Abschottung als Antwort auf die Krise im Verbund mit den Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung führten zu einem enormen Anstieg von Chauvinisums und Antisemitismus, dem „Sozialismus des dummen Kerls“. Der Faschismus ist in dieser Situation, wie Trotzki es im „Manifest der Vierten Internationale zum imperialistischen Krieg“ 1940 formulierte, der Imperialismus in chemisch reiner Form. Er ist Ausdruck der Unlösbarkeit der imperialistischen Widersprüche für die bürgerliche Politik, so dass sie direkt zu Krieg und industrieller Massenvernichtung führen. Der Imperialismus stellte in dieser Periode ganz unmittelbar die Alternative “Sozialismus oder Barbarei”: Einer Barbarei, die nicht nur 60 Millionen Soldaten und ZivilistInnen das Leben kostete, sondern auch den historisch beispiellosen industriellen Massenord des Holocaust bedeutete.

Der Zweite Weltkrieg führte zu einer enormen Kapitalvernichtung. Nicht nur der deutsche und japanische Imperialismus wurden geschlagen, auch die Vorherrschaft Britanniens und Frankreichs gebrochen. Ihre Kolonialreiche zerbrachen. An ihre Stelle trat eine neue, von den USA entworfene politische und ökonomische Ordnung, die den Dollar als Leitwährung und Weltgeld vorsah. Neben der Lösung der inner-imperialistischen Führungsfrage legten auch die Vernichtung von Kapital und die extreme Erhöhung der Ausbeutungsrate im Weltkrieg den Grundstein für eine umfassende Neuzusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und für eine Periode der kapitalistischen Expansion. Die Profitraten konnten aufgrund der Kapitalvernichtung im und nach dem Weltkrieg (Währungsreformen …) stabilisiert werden. Die Märkte in Europa, Japan und den Kolonien boten Anlagemöglichkeiten für überschüssiges US-Kapital, das im Gegensatz zur Konkurrenz nicht vernichtet werden musste. Im Ersten Weltkrieg war auch ein grundlegender Widerspruch aufgebrochen, der dem Kapitalismus innewohnt – der zwischen dem Nationalstaat und der grenzüberschreitenden Tendenz des Kapitals. Die Produktivkräfte treiben über diese Grenzen hinaus, andererseits ist die Welt zwischen Nationalstaaten aufgeteilt, sind die Kapitale in bestimmten Staaten verankert und selbst in ihrer globalen Konkurrenz auf diese bezogen. Der Zweite Weltkrieg beseitigte den Widerspruch nicht, aber er trat für einige Jahrzehnte nicht so explosiv zum Vorschein aufgrund der Resultate des Weltkrieges und der dominanten Position der USA, die gleichzeitig den geschwächten imperialistischen Konkurrenten auch Raum zur wirtschaftlichen Expansion bot. So war die wirtschaftliche Entwicklung nach Etablierung der Nachkriegsordung von einer – im Nachhinein oft verklärten und übertriebenen – Expansion geprägt. Ende der 60er Jahre zeigten sich die ersten großen Risse der Weltordnung. Ökonomisch betrachtet hat der Fall der Profitraten Anfang der 70er Jahre zu einer Krise geführt, die globale Dimensionen annahm und die seither die Weltwirtschaft mit dem Problem einer strukturellen Überakkumulation von Kapital schwanger gehen lässt.

Damit ist gemeint, dass die angehäuften Mengen fixen, in Produktionsmittel vergegenständlichten Kapitals „zu groß“ geworden sind, um vorhergehende durchschnittliche Profitraten zu reproduzieren bzw. wieder herzustellen. Um die Grundlagen einer neuen, dynamischen Akkumulationsperiode zu legen, müsste jedoch Kapital in einem „historischen“ Ausmaß vernichtet werden – was selbst jedoch auch die Vernichtung bedeutender Massen an Finanzkapitals erfordern würde. Die imperialistischen Bourgeoisien haben auf dieses Problem mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert, die alle auf die Erhöhung der Ausbeutungsrate hinausliefen (Entwertung der Arbeitslöhne durch Inflation, Massenentlassungen, Privatisierungen, Niedriglohnsektoren, Zerstörung von Rechten der Gewerkschaften …) und/oder die Last den Ländern der sog. „Dritten Welt“ aufbürden sollten. Die Schulden dieser Staaten wurden jetzt zu einem politischen Kampfmittel gegen diese, indem sog. „Strukturanpassungsprogramme“ Privatisierungen, die Öffnung von Märkten und die Zerstörung von Rechten der ArbeiterInnenklasse, der Bauern und Unterdrückten erzwangen. Hinzu kam drittens ein aggressives Aufrüstungsprogramm der USA und des Westens, um die selbst stagnierenden degenerierten ArbeiterInnenstaaten Osteuropas, die Sowjetunion und China in die Knie zu zwingen.

Die Periode von 1970 bis 1990 war zwar von einer Vormachtstellung der USA geprägt – aber einer niedergehenden. Japan und Deutschland holten auf wirtschaftlichem Gebiet auf. Der Dollar musste seine Bindung an den Goldstandard aufgeben. Die Niederlage in Vietnam offenbarte, dass auch der US-Imperialismus besiegt werden konnte. Unter Reagan und dem Banner der neo-liberalen Doktrin konnten zwar verlorenes Terrain zurückgewonnen, die UdSSR weiter geschwächt und auch Japan und Deutschland gezwungen werden, die niedergehende US-Wirtschaft zu stützen. Aber dennoch konnte die langfristige Niedergangstendenz nur aufgeschoben werden.

Daran änderte auch der Zusammenbruch des Stalinismus nichts. Die demokratischen, anti-bürokratischen Massenbewegungen erschütterten zwar die bürokratischen Regime und leiteten ihre Todeskrise ein, aber es gab keine klassenkämpferische, revolutionäre Kraft, die sie zu einer politischen Revolution und zur Errichtung der Räteherrschaft geführt hätte. So scheiterte die halbe Revolution und die kapitalistische Konterrevolution siegte. In China stellte sich die Bürokratie selbst nach 1992 an die Spitze der kapitalistischen Transformation und kombinierte die Einführung des Kapitalismus mit der Beibehaltung der politischen Diktatur. In jedem Fall schien nach 1990 für die USA und die Ideologen des Westens unverhofft ein neues Zeitalter imperialer Herrschaft und Stabilität angebrochen. Die Mär vom „Ende der Geschichte“, dem endgültigen Sieg von Marktwirtschaft und liberaler Demokratie, ging um. Die demokratische (im Unterschied zu einer offen diktatorischen) Form der kapitalistischen Konterrevolution schien dies zu bestätigten. Hinzu kam, dass die Restauration neue Investitionsmöglichkeiten eröffnete und eine neue „finanzmarktgetriebene“ Akkumulation die Probleme der „Realwirtschaft“ – also die Überakkumulation von Kapital – zeitweilig entschärfen oder jedenfalls abmildern konnte. Weltpolitisch präsentierten sich die USA als einzig verbliebene Großmacht, deren Vorherrschaft nach dem Zusammenbruch der UdSSR gesichert wie nie wirkte. Die kampf- und vor allem kopflose Kapitulation des Stalinismus, die Rechtsentwicklung der Sozialdemokratie und Gewerkschaften festigten den Vormarsch der bürgerlichen Ideologie. Die „radikale Linke“ war selbst ein Abklatsch dieses Rückzugs und ergeht sich seither in der Suche nach ständig neuen Alternativen zum revolutionären Kommunismus.

Aber die Periode der kapitalistischen Globalisierung löste die Probleme langfristig nicht – sie verschärfte sie. Das Wachstum und die Dynamik des Kapitalismus waren auf Sand gebaut. Die Asien-Krise Ende der 90er Jahre brachte schon viele der Probleme zum Vorschein, die sich 2007/2008 massiv offenbaren sollten: Trotz Ausdehnung von Märkten, Entwicklung neuer Technologien, Fortschritt in Kommunikation und Transport war die Weltwirtschaft weiter von struktureller Überakkumulation geprägt. Ein beträchtlicher Teil der Expansion erwies sich als fiktiv. Die Zuwächse an den Börsen entsprachen immer weniger dem Wachstum in der Industrie, die spekulativen Gewinne waren keineswegs real gedeckt. Die Überakkumulation des Kapitals andererseits führte dazu, dass die Investitionen im industriellen Sektor nur mühsam in Gang kommen, da an anderen Stellen viel leichter und verlockender Renditen zu erwarten sind.

Neue historische Krisenperiode

Aber die Krise konnte damals begrenzt werden. Ein wesentlicher Grund dafür war auch, dass in den 90er Jahren „neue“ Länder eine wichtige Funktion für die globale Konjunktur einnahmen. China wurde nicht nur zu einer zentralen Stätte globaler industrieller Produktion, sondern auch zu einem wichtigen Faktor, der einem wirtschaftlichen Einbruch entgegenwirkte. In geringerem Maße erfüllten auch andere Länder der sog. „BRICS“ diese Funktion. Aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Mit dem Platzen der US-Immobilienblase wurde nicht nur ein großer Teil des fiktiven, real nicht gedeckten Kapitals auf den Finanzmärkten entwertet. Die Krise nahm zwar in den USA ihren Ausgang, sie verbreitete sich aber schockartig auf alle im Weltfinanzsystem integrierten Staaten. China und einige Schwellenländer waren nur deshalb weniger betroffen, weil sie noch nicht so stark mit dem westlichen Finanzsystem verzahnt waren.

Die Krise im Finanzsystem brachte aber nicht nur dieses in die Bredouille, sie ergriff auch die „Realökonomie“. Dort lag letztlich auch die eigentliche Ursache der Probleme. Was sich als Finanzkrise manifestierte und der industriellen Rezession voranging, war letztlich ein Resultat der tiefer liegenden, schon länger die Weltwirtschaft umtreibenden Überakkumulationskrise. Die kapitalistischen Staaten und auch die G20 vermochten zwar so weit ihre Aktionen zu koordinieren, dass sie einen Zusammenbruch des Welthandels und des Währungssystems verhindern konnten.Sie versprachen sogar Abhilfe gegen die „Verursacher“ der Krise, womit natürlich nicht der Kapitalismus, sondern nur die SpekulantInnen und Finanzleute gemeint waren. Vor allem aber retteten sie alle „systemrelevanten“ Institutionen, also die großen Banken, institutionellen Anleger und industriellen oder kommerziellen Monopole. Kurzum, sie retteten das Finanzkapital. Diese Rettungsaktionen zeigen, dass die herrschenden Klassen, geht es um ihr Überleben, durchaus „undoktrinär“ handeln können. Gemäß der neo-liberalen oder neo-klassischen Wirtschaftslehre sind eigentlich staatliche „Interventionen“ in den „freien Wettbewerb“ Teufelszeug. Sie würden nur verhindern, dass der Markt sich selbst reguliere, ein „Gleichgewicht“ etabliere. Nun war die Krise von 2007 und in den folgenden Jahren eine einzige praktische Widerlegung der neo-liberalen Grundannahmen – weshalb manche auch etwas verfrüht auf das Ende dieser Doktrin hofften.

In jedem Fall blieb den westlichen imperialistischen Staaten wenig übrig, als zur Rettung „ihrer“ Banken und Konzerne deren Schulden auf die eine oder andere Weise zu übernehmen, zu verstaatlichen. Teilweise ging das mit einer vorübergehenden Verstaatlichung von Unternehmen einher, um sie – nachdem ihre Schulden ausgelagert waren – wieder den heiligen Privateigentümern zu überlassen.

Auch vor keynesianischen, die Konjunktur belebenden Maßnahmen schreckten die Regierungen nicht zurück, die noch am Tag davor strenge AnhängerInnen des Neoliberalismus waren. So wurden Konjunkturprogramme aufgelegt. Das Großkapital konnte sich mit Hilfe von billigem Geld rasch refinanzieren. Auch die deutsche Bundesregierung schreckte vor der Entschuldung ganzer Banken, die Milliarden in den Sand gesetzt hatten, oder Konjunkturprogrammen für die Autoindustrie (Abwrackprämie) nicht zurück.

In jedem Fall gingen diese Maßnahmen mit einer Zunahme der Staatsschulden einher. Dafür – also für die Rettung ihrer AusbeuterInnen – sollen die Lohnabhängigen zahlen. Das trifft natürlich vor allem jene aus den schwächeren imperialistischen Ländern oder aus der Peripherie. So wurden Staaten wie Griechenland, denen der sog. „Dritten Welt“ generell „Austeritätsprogramme“, zu deutsch Sparprogramme, vom IWF und führenden G20-Mächten aufgezwungen. Die EU und der deutsche Imperialismus nahmen hier eine Vorreiterrolle ein, wie das griechische Beispiel zeigt.

Die sog. „Sparprogramme“ sind in mehrfacher Hinsicht ein Sittenbild der aktuellen Weltordnung. Griechenland muss, um die Schulden deutscher und anderer westlicher Banken und KreditgeberInnen zu bedienen, weitere Kredite aufnehmen. Im Gegenzug muss der griechische Staat Staatsangestellte entlassen, Renten und Löhne kürzen und das Land mehr oder weniger flächendeckend privatisieren. Dass bei einem solchen sozialen und ökonomischen Kahlschlag die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt, sollte niemanden wundern. So steht das Land, vor allem aber die Lohnabhängigen und Bauern am Ende ärmer da als zuvor. Die Gläubiger sind jedoch ein gutes Stück reicher geworden und können, wenn sie denn wollen, das Geld, das ihnen Griechenland zurückgezahlt hat, nun zum Aufkauf der Unternehmen investieren. Das ist zugleich auch ein typisches Beispiel dafür, wie die imperialistische Ordnung konkret zu einer Vertiefung von weltweiten Unterschieden zwischen Nationen und Klassen führt.




Nein zum Gipfel des Kapitals! Für eine Internationale der ArbeiterInnen und Unterdrückten!

Aufruf von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION gegen den G20-Gipfel in Hamburg, 15. Mai 2017, Unite against G20, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juli 2017

Was für eine illustre Versammlung: ein rassistischer Präsident aus den USA, ein russischer Despot, ein Präsidial-Diktator aus der Türkei, ein „post-kommunistischer“ Imperialist aus China, ein brasilianischer Putschist, ein Hindu-Chauvinist aus Indien – das ist nur ein Auszug aus der Liste derer, die zum Gipfeltreffen der G20 im Juli 2017 in Hamburg anreisen werden.

Dazu kommen die europäischen HeroInnen: „Sozial-Liberale“ aus Frankreich und Italien als Spezialisten für Austeritätspolitik und neo-liberale „Reformen“; eine britische Premierministerin und Brexit-Befürworterin, der selbst die Festung EU noch nicht genug rassistisch abgeschottet ist.

Inmitten dieser Schar fragwürdiger, aber hochrangiger Gäste gibt sich die deutsche Kanzlerin als Moderatorin und gemäßigte Sachwalterin einer „demokratischen“, vernünftigen Weltordnung.

Das verlogene Spiel des deutschen Imperialismus

Nach dem „Trump-Schock“ versucht die Führung des deutschen Imperialismus, sich umso mehr als verlässliche Weltmacht zu profilieren, als sicherer Hafen in der Sturmflut des Irrsinns. Nein, Deutschland droht nicht mit Mini-Nukes, sondern flutet nur den Globus mit prachtvollen Waren und segensreichen Investitionen.

In einer noch instabiler gewordenen Welt versuchen Merkel und ihre Regierung, aus der Not eine Tugend zu machen und preisen den deutschen Regierungs- und Herrschaftsstil als „besseres“ Modell für die Welt an.

Da feiert die Verlogenheit Triumphe. Denn humanistische Formeln und Merkel’sche Beschwörungsriten von „Demokratie und Menschenrechten“ sind nur die ideologische Begleitmusik zu einer immer aktiveren Rolle Deutschlands beim verbissenen Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die harten Fakten sind:

  • Die Durchsetzung von Austeritätsregimen in der Europäischen Union, die mitverantwortlich für den Ruin ganzer Regionen sind.
  • Das blutige Abschotten der EU-Außengrenzen und die Durchsetzung einer barbarischen, rassistischen Migrationspolitik.
  • Das aktive Eingreifen in der Ukraine, um eine Regierung aus Neo-Liberalen, Oligarchen und Rechtsradikalen durchzuputschen.
  • Unterstützung für despotische Regimes wie Erdogan in der Türkei.
  • Verschärfung des Klassenkampfes von oben in der EU und in Deutschland.
  • Aushebelung demokratischer Rechte und rassistische Hetze im Inneren, insbesondere in Form des anti-muslimischen Rassismus.
  • Aufrüstung der Bundeswehr und Steigerung der eigenen „Interventionsfähigkeit.“
  • Schließlich setzt auch die „Klimakanzlerin“ weiter auf fossile Energieträger und macht die sog. „Energiewende“ zur Makulatur.

Schon diese Aufstellung zeigt, dass die deutsche Regierung nicht weniger brutal ist als der „Völkerrechtsbrecher“ Putin oder der „postfaktische“ Trump. Aber gerade die Hetze gegen einen Putin macht das verlogene Gerede von friedlichem Zusammenleben umso unerträglicher, mit dem die deutschen Weltmachtambitionen vorangetrieben werden, Europa unter der Vorherrschaft des deutschen Imperialismus zu vereinigen. Die eigenen Aufrüstungspläne und Interventionen werden als geradezu „erzwungene“ Hilfe für die Menschheit oder als Wahrnehmen einer „Verantwortung“ zum Wohle aller präsentiert.

Neuaufteilung der Welt

Dabei geht es ganz profan um die Geschäftsinteressen des deutschen Kapitals und die Verfolgung geo-strategischer Ziele im Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Zwischen den Weltmächten hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lage drastisch verschärft. Seit 2007/2008 erleben wir eine offene globale Krisenperiode des kapitalistischen Systems, deren tiefer liegende ökonomische Ursachen bis heute nicht nur nicht beseitigt sind, sondern früher oder später erneut und verstärkt die Weltwirtschaft und damit die gesamte globale „Ordnung“ erschüttern müssen.

Die Verschärfung der internationalen Konkurrenz und der neu entbrannte Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Staaten und den sich formierenden Blöcken sind unvermeidliche Folgen dieser krisenhaften Entwicklung.

Dabei haben alle VertreterInnen der G20 – ob nun „alte“ Mächte wie die USA, Japan, Deutschland, Frankreich oder Britannien, neue imperialistische Länder wie Russland oder China und auch die Regionalmächte wie die Türkei oder Brasilien – ihre dreckigen Finger im Spiel.

Zusammen kontrollieren sie rund 90 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts, fast das gesamte Großkapital befindet sich in diesen Staaten.

Kein Wunder, dass auch dieser Gipfel wie alle anderen G20-, G7- oder sonstigen Treffen der Mächtigsten der Mächtigen eine „ambitionierte“ Agenda hat.

In der Tat haben die G20 gemeinsame Interessen, die sie zu sichern suchen:

(1) Die Weltwirtschaft soll am Laufen gehalten werden. Anders als manche deutsche Linke, die von der Krise nichts wissen wollen, sind sich die Herrschenden der Welt ihrer Existenz bewusst. Sie sind besorgt wegen der grundlegenden ökonomischen Probleme wie auch der aktuellen konjunkturellen Entwicklung. Europa steckt in der Dauerkrise und droht in konkurrierende Nationalstaaten zu zerfallen, Japan befindet sich in chronischer Stagnation. In China zeigen sich schon alle Momente einer Überakkumulationskrise, deren Ausbruch sowohl den Finanzsektor als auch die riesigen industriellen Überkapazitäten ergreifen könnte. Die „Schwellenländer“, jahrelang die Hoffnungsträgerinnen der Weltwirtschaft, erleben böse Einbrüche. Die USA unter Trump werden versuchen, ihre Probleme durch Protektionismus der „restlichen“ Welt aufzuhalsen.

All das zeigt, wie schwierig es wird, eine „gemeinsame“ Lösung zu finden. Die drohende Gefahr eines Zusammenbruchs des globalen Finanzsystems, eines Kollapses des Welthandels und dessen unkalkulierbare Folgen erzwingen zwar eine Zusammenarbeit, aber diese wird immer konfliktträchtiger. Es ist daher kein Zufall, dass wir in letzter Zeit den Beginn eines „Neuen Kalten Kriegs“ miterleben mussten, der seinerseits sich nur als ein Vorbote weiterer Verschärfungen der imperialistischen Konkurrenz herausstellen wird.

(2) Die Kosten für die „Belebung“ der Weltwirtschaft sollen jenen aufgebürdet werden, die nicht am Tisch der 20 sitzen. Das sind einerseits die schwächeren Volkswirtschaften der Welt, die als Quelle der Profite für die „großen Player“ nutzbar bleiben sollen. Das sind aber vor allem die Milliarden Lohnabhängigen, die städtische Armut, die Bauern und Bäuerinnen, deren Lebensbedingungen immer weiter nach unten gedrückt werden. Heute macht die ArbeiterInnenklasse rund die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Zugleich sind immer größere Teile dieser Klasse gezwungen, unter „prekären“ Verhältnissen zu leben, also von Einkommen, die unter den Reproduktionskosten der Arbeitskraft liegen.

Um ihr System in Schwung zu halten und erst recht, um die Ursachen der Krise im Rahmen des kapitalistischen Systems anzugehen, sind auch die herrschenden Klassen der Welt und ihre geschäftsführenden Ausschüsse – und nichts anderes sind die Regierungen der G20 und die sog. „internationalen Institutionen“ – gezwungen, die ArbeiterInnenklasse, die Bauernschaft, die große Masse der Weltbevölkerung verschärft anzugreifen.

So sehr sie sich auch bemühen mögen, ihre Interessen auszugleichen und die Weltwirtschaft am Laufen zu halten – so sehr zwingt die Konkurrenz sie zugleich auch zu einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt mit allen barbarischen Folgen, die sich vor unseren Augen entfalten.

Neben dem Ruin ganzer Volkswirtschaften und der Verarmung von hunderten Millionen, neben Hunger und Zerstörung von Lebensgrundlagen für große Teile der ArbeiterInnen und Bauern in den ärmsten Ländern der Welt geht die globale Barbarisierung noch mit weiteren katastrophalen Auswirkungen einher.

Die Krise zwingt Millionen und Abermillionen zu Migration und Flucht. Mehr als 60 Millionen Menschen gelten heute als Geflüchtete. Dabei sind all jene, die als ArbeitsmigrantInnen vom Land in die Megastädte des globalen Südens ziehen, wie auch alle, die z. B. in der EU Arbeit suchen, noch gar nicht mitgerechnet.

Anders als die NationalistInnen und SozialchauvinistInnen lehnen wir es ab, auf Flucht und Migration mit den mehr oder weniger „humanitären“ Quoten, Einreisekontrollen und Aufenthaltsbeschränkungen zu antworten. Wir kämpfen für das Recht aller MigrantInnen und Geflüchteten auf Bewegungsfreiheit, für offene Grenzen und gleiche demokratische Rechte. Jede Abschottung, jede Einschränkung der Zuzugsbeschränkungen verstärkt nur vorhandene Spaltungen in unserer Klasse.

Kriege, Interventionen und Stellvertreterkriege verwüsten ganze Landstriche. In der „besten aller Welten“ ist „Frieden“ ein Zustand, der mehr und mehr auf die Bevölkerung der imperialistischen Staaten beschränkt ist. Zugleich drohen diese Konfrontationen und die Bildung von wirtschaftlichen und militärischen Allianzen, sich zu einem neuen globalen Wettrüsten und zu „heißen“ Konflikten auszuwachsen.

Als InternationalistInnen lehnen wir es kategorisch ab, eine dieser imperialistischen Mächte und Mächtegruppen zum „kleineren Übel“ zu verklären. Unsere Antwort liegt auch nicht in Phrasen vom „Weltfrieden“, den es in diesem System nicht geben kann, sondern im Kampf gegen den Imperialismus als System und gegen die eigene Bourgeoisie.

Dazu gehört auch, die berechtigten Kämpfe unterdrückter Nationen wie der PalästinenserInnen und KurdInnen, Aufstände und Revolutionen gegen despotische Regime sowie die demokratischen und sozialen Kämpfe der ArbeiterInnen und Unterdrückten weltweit zu unterstützen.

Rassismus, nationale Abschottung, Faschismus und Rechtsextremismus sind weltweit auf dem Vormarsch. Sie dienen einerseits als Mittel der Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten und der Formierung nationaler „Einheit“ im globalen Konkurrenzkampf, andererseits aber auch zur Formierung ganzer Bewegungen der gesellschaftlichen Verzweiflung, gebildet aus Teilen des Kleinbürgertums und der Mittelschichten, die vom Abstieg und Deklassierung bedroht sind, aber auch von Teilen der ArbeiterInnenklasse.

Gegen diese rechten populistischen Antworten hilft kein Schönreden der bestehenden Verhältnisse, sondern nur der entschiedene Kampf gegen Rassismus und Faschismus und ihre gesellschaftlichen Ursachen. Wer den Kapitalismus nicht bekämpfen, wer nicht den gemeinsamem Kampf aller Ausgebeuteten organisieren will und stattdessen auf die „Einheit“ der Lohnabhängigen mit ihren „gemäßigten“ AusbeuterInnen, den Pfaffen und bürgerlichen DemokratInnen oder gar den bürgerlichen Staatapparat im Kampf gegen Nazis hofft, der baut auf Sand.

Die Krise verschärft nicht nur die Ausbeutung, sondern alle Verhältnisse gesellschaftlicher Unterdrückung, des sozialen und politischen Rückschritts. Das trifft im besonderen Maße Frauen, LGBTIA-Menschen, Jugendliche und Alte, Menschen mit Behinderung, religiöse Minderheiten, rassistisch und national Unterdrückte.

Die Doppelbelastung der arbeitenden Frauen hat sich enorm erhöht. Sie werden in prekäre Arbeitsverhältnisse gedrängt, zugleich werden soziale Leistungen zerstört und patriarchale Familienstrukturen sollen reaktionär wieder befestigt werden.

Die Jugend hat heute praktisch keine Zukunft. Sie ist weltweit von Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Entrechtung besonders betroffen. Im „Frieden“ als Billigarbeitskraft ausgebeutet, wird sie mehr und mehr militaristischer Propaganda ausgesetzt und als Kanonenfutter missbraucht, sobald kriegerische Auseinandersetzungen beginnen. Zugleich werden die RentnerInnen und Alten billig entsorgt.

Die wirtschaftlichen Maßnahmen der G20 verschärfen diese Entwicklungen. So manche PolitikerInnen mögen ob dieser realen Verschlechterungen der Lage der Frauen und der heranwachsenden Generation leere Versprechen präsentieren, andere organisieren und propagieren offen den Rollback, die rechtliche und soziale Unterdrückung von Frauen, sie erklären die sexuelle Orientierung von LGBTIAs zu einer „Krankheit“, „Sünde“ oder Form der „Dekadenz“.

Wir setzen dagegen auf die Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten, auf den gemeinsamen Kampf im Rahmen eines Programmes zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse. Wir setzen auf den Aufbau einer neuen Jugendinternationale und eine proletarischen Frauenbewegung als Teil des Kampfes für eine neue Internationale.

Auch wenn die herrschenden Klassen in den imperialistischen Staaten heute (noch) nicht auf unmittelbare Formen der autoritären Herrschaft setzen, so sind die Zeichen der Zeit unverkennbar.

Unter den G20-Staaten ist die „normale“ bürgerliche Demokratie ein Auslaufmodell. Bonapartistische, diktatorische Regime mit mehr oder weniger lächerlicher parlamentarischer Dekoration sind die Regel. Hinter der enormen persönlichen Machtfülle eines Erdogan oder Trump wird die allgemeine Tendenz zur Zentralisierung staatlicher Exekutivgewalt sichtbar, deren andere Seite die Ausweitung von Überwachung, Einschränkung demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte, Bespitzelung und Verbot von linken und demokratischen Organisation darstellen.

Die Lüge vom „Kampf gegen den Terrorismus“ ist ein Legitimationsmittel für Rassismus, Rechtspopulismus und Repression – und zugleich eine Rechtfertigungsideologie für Interventionen in den Ländern Afrikas oder des Nahen Ostens. Der anti-muslimische Rassismus dient zur Mobilisierung und Spaltung – und zur Legitimation von Überwachung, Abschiebung, Krieg und Besatzung.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung wird angesichts drohender ökologischer Katastrophen mehr und mehr zum Himmelfahrtskommando für die Menschheit. Der Kapitalismus als System der allgemeinen Warenproduktion ist an sich unfähig, ein rationales, nachhaltiges Verhältnis zwischen Mensch und Natur herzustellen.

Angesichts der zunehmenden Konkurrenz, der Jagd nach Märkten und Profiten, nach Reduktion der „Kosten“ ist ein Programm des „ökologischen“ oder gar „sozialen“ Umbaus der kapitalistischen Gesellschaftsordnung reine Utopie geworden.

In Wirklichkeit zeigt gerade die ökologische Frage, dass wir uns den Kapitalismus nicht mehr leisten können, dass er nicht nur auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht, sondern sogar zur Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit führt.

Für diese Entwicklungen sind die G20 politisch mitverantwortlich. Jene sind kein Betriebsunfall des Kapitalismus, sondern notwendige Auswirkungen seiner eigenen Logik, seiner Entwicklung und Krisenhaftigkeit.

Es macht daher überhaupt keinen Sinn, auf eine „Reform“ der G20 zu setzen oder nach Unterschieden zwischen schlechten und weniger schlechten ImperialistInnen oder Regionalmächten zu suchen. Die Staats- und Regierungschefs, die sich in Hamburg versammeln, sind unsere Feinde, die Beschlüsse sind Attacken. Sie kommen nicht, um die Probleme der Menschheit zu lösen, sondern um ihre eigenen auf die Menschheit abzuwälzen. Auf ihrem Gipfel geht es darum, ihre Interessen in Einklang zu bringen und dabei sich gegenseitig zu übervorteilen. Sie haben unsere Verachtung und unseren Widerstand verdient.

Internationalismus und Klassenkampf

Die reformistische Strategie, das kapitalistische System im Interesse aller durch eine „andere Politik“ zu reformieren, wie sie SozialdemokratInnen, GewerkschaftsführerInnen und die Linkspartei verkünden, hat sich in den letzten Jahrzehnten als das offenbart, was sie ist: eine Illusion. Ihr Spielraum ist immer nur so groß, wie es das Kapital erlaubt bzw. gewähren kann. Statt das zur Kenntnis zu nehmen und die Konsequenzen zu ziehen, behaupten sie, dass ihre Politik Krisen vermeiden könne und beschwören so ihren eigenen Nutzen am Krankenbett des Kapitalismus.

Der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus mag zwar das Siechtum eines kranken Systems verlängern. Seine Medizin der „Reformen“ für alle schwankt aber allenfalls zwischen Flickschusterei für die Armen und Konterreform für die Reichen und Mächtigen. Dass die Sozialdemokratie und Linksparteien wie Syriza in bürgerlichen Regierungen regelmäßig ihre eigene Basis verraten und verkaufen, ist notwendige Folge ihrer sog. „Realpolitik“, die ebenso utopisch wie unrealistisch ist. Wer die Interessen von AusbeuterInnen und Ausgebeuteten gleichzeitig vertreten will, verwickelt sich in Widersprüche und hilft am Ende nur einer Seite.

Das heißt nicht, dass wir den Kampf für Reformen und Verbesserungen ablehnen. Im Gegenteil, in einer Situation der globalen Defensive ist es unbedingt notwendig, sich gegen Angriffe zusammenzuschließen und gemeinsam für Verbesserungen zu kämpfen. Das wollen wir mit allen Kräften der ArbeiterInnenklasse, der Unterdrückten, der Jugend tun. Das wollen wir auf internationaler Ebene schaffen. Das fordern wir von allen Organisationen, die vorgeben, für die Klasse einzutreten.

Aber jeder nennenswerte Erfolg wird nur mit den Mitteln des Klassenkampfes, mit Massenstreiks, Besetzungen und Großmobilisierungen erkämpft werden können. Die ReformistInnen geben vor, dass „vernünftige“ Reformen dazu führen würden, dass es wieder mehr Stabilität und Sicherheit für alle geben werde. Uns hingegen ist bewusst, dass jede Errungenschaft, ja jede Verhinderung eines Angriffs auf Kosten der Profite und der Machtposition der herrschenden Klasse gehen muss. Daher wird in der gegenwärtigen Periode jeder größere Erfolg den Gegensatz zwischen den Klassen, zwischen AusbeuterInnen und Ausgebeuteten verschärfen. Die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten haben von der Hoffnung in einen „sozial ausgewogenen“ und „politisch vernünftig“ regulierten Kapitalismus nichts zu gewinnen. Vielmehr müssen wir uns auf die Zuspitzung des Klassenkampfes und den organisierten Kampf gegen das Gesamtsystem vorbereiten.

Obwohl reaktionäre Bewegungen auf dem Vormarsch sind, gibt es weltweit auch ermutigende Kämpfe:

Der Widerstand der palästinensischen und kurdischen Bevölkerung verdeutlicht, dass die Unterdrückten keinesfalls bereit sind, kampflos das Feld zu räumen. In Indien haben Massenstreiks mit 150 Millionen Beteiligten gezeigt, welches Potential die ArbeiterInnenklasse in diesem Land trotz einer extrem repressiven hindu-chauvinistischen Regierung entwickelt hat. In Polen kämpfen hunderttausende Frauen gegen eine drohende weitere Einschränkung des ohnehin absolut restriktiven Abtreibungsrechts. Die ArbeiterInnenklassen in Griechenland, Spanien oder Portugal suchen nach einer politischen Antwort auf die Angriffe der eigenen Bourgeoisie und der EU. In Frankreich zeigten die Streiks im Frühjahr 2016 auch die Konturen einer wirklichen Alternative zum Front National. In den USA formieren sich in Massenbewegungen gegen Rassismus und Sexismus auch jene Kräfte, die eine Alternative nicht nur zu Trump, sondern auch zur Demokratischen Partei bilden könnten.

Bei vielen Kämpfen haben Jugendliche eine besonders aktive Rolle gespielt und ihr vorantreibendes Potential gezeigt – beim Arabischen Frühling, Blockupy, im Kampf gegen Sexismus und Rassismus oder bei anderen Protesten standen sie in vorderster Reihe.

Diese und ähnliche Bewegungen zeigen, dass trotz des Vormarsches der Reaktion die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten bereit sind, Widerstand zu leisten. Sie müssen es, da sie immer wieder zum Kampf gezwungen werden. Die Kämpfe zeigen aber auch, dass es an einer politischen Strategie, an einem Programm zur Überwindung des Systems mangelt, das diesen Bewegungen eine Richtung geben und ihre Kräfte bündeln könnte.

Die zweite, entscheidende Lehre der aktuellen Entwicklung besteht darin, dass diese Kämpfe immer auch die Eigentumsfrage aufgreifen müssen, die Frage, welche Klasse die Gesellschaft beherrscht und ihre Interessen durchsetzen kann.

Keines der großen Probleme der Menschheit kann gelöst werden, ohne das Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage zu stellen, ohne die herrschende Klasse und das Kapital zu enteignen, ohne die Produktion unter der Kontrolle der ProduzentInnen gemäß den Bedürfnissen der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit zu reorganisieren. So wie der Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus, Unterdrückung letztlich nur international geführt werden kann, so kann auch eine andere Welt nur auf globaler Basis entstehen, nur als Folge einer globalen Revolution. Eine zukünftige sozialistische Gesellschaft wird international sein – oder sie wird nicht sein.

Dazu braucht es aber auch Instrumente, Organisationen, politische Strukturen des gemeinsamen Kampfes. Dazu sind Bündnisse auf internationaler Ebene notwendig – seien es betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen, Aktionsbündnisse oder Foren. Diese sollen nicht auf Abkommen von „SpitzenvertreterInnen“ von Organisationen beschränkt sein, sondern mit dem Aufbau breiter, demokratischer Kampfstrukturen, mit Massenversammlungen, Aktionskomitees usw. einhergehen.

Demokratische Massenversammlungen, Streikkomitees oder gar entstehende Formen von Räten (also Kampfstrukturen, die auch eine alternative Struktur für einen nicht-kapitalistischen Staat darstellen) werfen zwar die Frage auf, welche Strategie, welches Programm, welche Perspektive eine Bewegung braucht – sie beantworten sie aber nicht. Sie repräsentieren vielmehr einen demokratischen Rahmen und eine Kampforganisation, die eine Debatte und Erprobung verschiedener Programme erlauben.

Die ImperialistInnen und Regionalmächte verfügen mit den G20 und anderen Institutionen wie der UNO, den G7 über eine „Internationale“ der Reaktion, der kapitalistischen Weltbeherrschung, die zugleich auch Austragungsfeld ihrer Rivalität ist. Selbst die reformistischen Parteien, die bürokratisierten Gewerkschaften und die Linksparteien haben ihre länderübergreifenden Verbindungen – auch wenn sie wie die Bourgeoisien dort ihre Gegensätze fast genauso stark austragen, wie sie ihre Gemeinsamkeiten festlegen.

Die Schwäche der anti-kapitalistischen und revolutionären Kräfte wird am dramatischsten dadurch illustriert, dass sie in Sachen internationaler Organisierung weit hinter ihren Gegnern zurückbleiben. Inmitten einer historischen Krise des kapitalistischen Weltsystems, einer Verschärfung des Klassenkampfes, der globalen Reaktion auf verschiedenen Ebenen entsagt die „radikale“ Linke dem Internationalismus. „Linksradikale“ Politik kann so nur Flickschusterei, Nischenpolitik – ob nun auf betrieblicher oder lokaler Ebene – bleiben. Auch Solidaritätsaktionen, so wichtig sie sind, reichen nicht, um eine globale politische Strategie, eine Zusammenarbeit und ein Programm zu entwickeln, die einen Weg zum revolutionären Sturz des Kapitalismus und zur sozialistischen Transformation der Gesellschaft weisen. Die revolutionären Kräfte weltweit müssen verstehen, dass das nicht nur ein fernes Ziel, ein Wunsch für Sonntagsreden ist, sondern es sich um die Aufgabe der aktuellen Periode handelt, für die Formierung einer neuen, revolutionären Internationale zu kämpfen!