Corona-Krise: Millionen in Kurzarbeit

Mattis Molde, Infomail 1100, 21. April 2020

„Rettungspakete schnüren“ ist eine beliebte Phrase der Corona-Berichterstattung geworden. Man hat den Eindruck, dass jetzt alle gerettet werden: große Firmen und KleinunternehmerInnen, Scheinselbstständige und auch die Beschäftigten. Wer wird da wie gerettet und wer bezahlt das genau? Hat das was mit Corona zu tun oder mit Klassenkampf?

Wer zahlt die Kurzarbeit?

Das KurzarbeiterInnengeld stammt nicht aus Steuern – im Unterschied zu den Milliarden, die jetzt direkt an Unternehmen aller Art fließen –, sondern aus der Arbeitslosenversicherung. Es wurde von allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigen eingezahlt. Die Corona-Kurzarbeitswelle wird definitiv ein Riesenloch in diese Kasse reißen.

Schon Ende März haben fast eine halbe Million Firmen Anträge auf Kurzarbeit gestellt – viel mehr als bei der großen Krise 2009, als auf deren Höhepunkt 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit standen.

Die aktuelle Entwicklung stellt diese Zahlen längst in den Schatten. Laut Agentur für Arbeit hat mittlerweile jedes dritte dazu berechtigte Unternehmen Antrag auf Kurzarbeit gestellt. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge dürfte die Zahl der KurzarbeiterInnen mittlerweile mehr als 4 Millionen betragen (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1135753.coronakrise-schon-vier-millionen-beschaeftigte-in-kurzarbeit.html).

Später könnte es zwar einen Ausgleich aus Steuermitteln geben, den gab es bisher auch schon öfters. Es gab aber auch das Umgekehrte, nämlich dass Gelder aus der Arbeitslosenversicherung an den Bundeshaushalt gingen. Aber es gibt bisher keine Aussagen, wie das Loch finanziert werden soll. Da können Beitragserhöhungen für die Beschäftigten kommen oder Kürzungen von Leistungen. Die Beschäftigten finanzieren ihre Kurzarbeit in jedem Falle überwiegend selbst.

Formal zahlen auch die Unternehmen. Der gleiche Betrag, der den Beschäftigten auf der Lohnabrechnung abgezogen wird, wird auch vom Unternehmen noch einmal überwiesen. Aber in der Gewinn- und Verlustrechnung der KapitalistInnen steht immer beides unter „Lohnkosten“ – das Brutto, von dem die Sozialversicherung gezahlt wird, und die sogenannten Arbeit„geber“Innenbeiträge. Eine reine Verschleierung also, mit der immer begründet werden kann, wenn Beiträge der Arbeitenden wieder den UnternehmerInnen zugeschanzt werden sollen, was zum Beispiel auch als „Lohnkostenzuschuss“ bei Langzeitarbeitslosen geschieht.

Wer bekommt das Geld?

Das KurzarbeiterInnengeld wird nicht direkt von der Bundesagentur ausbezahlt, sondern an die Unternehmen, die es wiederum an die Beschäftigten weitergeben. Was der Bundestag jetzt wirklich anderes beschlossen hat, ist, dass die Unternehmen nicht nur das KurzarbeiterInnengeld erstattet bekommen, sondern auch noch die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung, die sie nach der bisherigen Rechtslage weiter zahlen mussten. Diese zusätzlichen Kosten werden jetzt also auch aus dem Topf der Gelder genommen, die die Beschäftigten bezahlt haben. Also ein weiterer Transfer in Richtung Kapital.

Die Kurzarbeitenden bekommen für den Zeitanteil, den sie kurzarbeiten, 60 bzw. 67 % vom Netto.

Das ist ein rechnerisches Netto, das mit Standardabzügen bei den Sozialabgaben und Steuern operiert. Den höheren Betrag gibt es dann, wenn ein Kind auf der Steuerkarte steht. Bei 100 % Kurzarbeit bedeuten 60 % vom Netto, dass das für viele weniger als Hartz IV ist.

Hinzu kommt, dass in der aktuellen Krise – anders als 2009 – Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen besonders stark von Kurzarbeit betroffen sind und diese zumeist in Betrieben arbeiten, die dieses Geld auch nicht „aufstocken“ (wie es z. B. in der Metall- und Elektroindustrie oft tariflich vereinbart ist).

Entgegen der Behauptung, dass das KurzarbeiterInnengeld „steuerfrei“ sei, müssen davon Steuern gezahlt werden. Der Trick: Der Betrag selbst wird nicht versteuert, aber er führt zu einem höheren Steuersatz: Also paar Prozent mehr Steuern auf das restliche Jahreseinkommen. Das wird „Progressionsvorbehalt“ genannt.

100 % Kurzarbeit bringen also einen heftigen Verlust an Einkommen – anders, als wenn z. B. in einer Konjunkturkrise jemand 20 oder 40 % KurzarbeiterInnengeld erhält und für den Rest weiter den vollen Lohn.

Andere Formen der Kurzarbeit

Neben der staatlich regulierten Kurzarbeit gibt es auch tariflich oder betrieblich geregelte Formen. Auch zu Beginn der Corona-Krise waren viele Beschäftigte offiziell ja gar nicht in Kurzarbeit, sondern mussten Stunden aus Zeitkonten („Plus-Stunden“, „Gut-Stunden“, manchmal auch „Überstunden“ genannt, was zu Verwechslung mit Mehrarbeit führen kann, die ausbezahlt wird) abbauen oder sogar ins Minus gehen. Das bedeutete dann, dass sie keinen Lohnverlust erlitten, sondern erzwungene Freizeit nehmen mussten. Auch Urlaubsnahme auf Druck der Firma gab es.

Tarifliche Formen der Kurzarbeit gibt es unter anderem in der Metall- und Elektroindustrie. Einmal als Ergänzung, falls die Dauer der staatlich regulierten Kurzarbeit abgelaufen ist. Dabei wird vor allem das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld umgewidmet. Zum Zweiten gibt es seit drei Jahren das „Tarifliche Zusatzgeld“ (T-ZUG), eine dritte Einmalzahlung im Juli, die unter bestimmten Bedingungen (Kinderbetreuung, Pflege, Schicht) in Freizeit umgewandelt werden kann. Dieses T-ZUG, das manche als Neueinstieg in die Arbeitszeitverkürzung gepriesen haben, hat sich schnell als zusätzliches Kurzarbeitsinstrument erwiesen. Betriebsräte vereinbaren dies oft als Zwangsregelung für alle. Im Normalfall bedeutet das 8 weitere Tage Arbeitsausfall, zu 75 % von den Beschäftigten bezahlt.

Es gibt zusätzliche tarifliche und betriebliche Regelungen, nach denen das KurzarbeiterInnengeld von der Firma aufgestockt wird. Da werden oft andere Entgeltbestandteile wie Urlaubs- oder „Weihnachts“geld mit verrechnet. In jedem Fall muss diese Aufstockung voll versteuert werden. Sie findet also als „brutto“ statt. Wenn mit diesem Brutto auf 100 % des üblichen Netto aufgestockt wird, kommt daher am Ende trotzdem weniger als 100 % des üblichen Netto raus.

Dabei darf man aber all diejenigen nicht aus den Augen verlieren, die aus solchen Regelungen ganz herausfallen. Das sind heute geschätzt 30 bis 40 % der Beschäftigten:

  • LeiharbeiterInnen, die nach wie vor einfach von den Entleihfirmen „abgemeldet“ und von den Verleihfirmen entlassen werden.
  • Leute im Niedriglohnbereich, die zwar auch Sozialbeiträge bezahlen, deren KurzarbeiterInnengeld, wenn sie es kriegen, aber meist weit unter Hartz IV liegen würde.
  • Scheinselbstständige und Solo-UnternehmerInnen, die niemand ausbeuten und durch so gut wie nichts gesichert sind.
  • Der ganze graue und schwarze Arbeitsmarkt: Es wird viel über die armen Bauern/Bäuerinnen geredet, die keine SaisonarbeiterInnen holen dürfen. Wer redet von den SaisonarbeiterInnen, deren Einkommen entfällt, die davon das ganze Jahr leben müssen? Oder den illegalen Pflegekräften in Familien, von denen 90 % „illegale“ EU-AusländerInnen sind? In diesem Bereich arbeiten geschätzt 3–4 Millionen Menschen.

Auch wenn in vielen dieser Arbeitsverhältnisse (Leiharbeit, Niedriglohn, Saisonarbeit) auch Beiträge in die Sozialversicherung bezahlt werden, fallen die meisten Betroffenen durch alle Rettungsringe durch, außer vielleicht in Einzelfällen die Selbstständigen.

Wem nützt die Kurzarbeit?

Natürlich den Unternehmen. Die können durch Kurzarbeit und die flexiblen Arbeitszeitmodelle ihre Personaldecke ganz wunderbar an die Auftragslage anpassen. Kündigungsschutz und lange Kündigungsfristen verhindern zwar, dass es in Deutschland so wie in den USA läuft, dass die Leute einfach von jetzt auf nun entlassen werden, aber durch die Kurzarbeitregelung zahlen sie es zum ganz großen Teil selbst.

Die Rettungspakete helfen also sehr eindeutig vor allem der „Wirtschaft“ oder genauer dem Kapital.

Corona und Konjunkturkrise

Während die Beschäftigten in Krankenhäusern und im Lebensmittelhandel überlastet sind, hat in anderen Sektoren die Krise schon früher zugeschlagen. Die Autoindustrie, das Paradepferd des deutschen Exports, befindet sich schon seit einem Jahr in einer Krise, die sich stetig verschärft.

Die IG Metall geht davon aus, dass in den nächsten Jahren 50.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen und weitere 180.000 durch Digitalisierung und E-Mobilität gefährdet sind.

Andere Quellen sagen, dass schon im Jahr 2019 über 50.000 Arbeitsplätze gestrichen worden sind. Die Nationale Plattform Mobilität (NPM), ein großes BeraterInnengremium der Bundesregierung, rechnet vor, dass 410.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten, rund die Hälfte der Branche.

Was in den einzelnen Betrieben geplant wird, bestätigt solche Befürchtungen: Das Problem ist nicht nur, dass für E-Autos weniger Arbeitskräfte gebraucht werden als für solche mit Verbrennungsmotoren, sondern dass die Unternehmen neue Produktion nicht in Deutschland ansiedeln und zusätzlich die Verbrennungstechnologie ins Ausland verlagern. Schuld ist ihre verschärfte Konkurrenz, die sich in einem globalen Preiskampf manifestiert. Zusätzlich und gerade deshalb werden natürlich die neuesten Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt, weil sie einen kurzfristigen Kostenvorsprung versprechen.

Für alle vom Kapital und seiner Konkurrenz verursachten Probleme – verfehlte Produkte, Klimakatastrophe, Handelskriege und digitale Modernisierung – sollen also die Beschäftigten zahlen.

Das alles galt bereits, bevor Corona zur Pandemie geriet. Seitdem hat sich die Lage für die Beschäftigten verschärft.

Kurzarbeit und Gewerkschaft

Der Vorsitzende der IGM, Hofmann, lobt in der April- Ausgabe der „metall-zeitung“ den „Schutzschirm für die Beschäftigten und die Betriebe“, den die IGM gefordert, sowie die Aufstockung auf das KurzarbeiterInnengeld, die sie vereinbart hat. Dass hierbei auf die von den Beschäftigten bezahlte Arbeitslosenversicherung zurückgegriffen wird, ist für ihn kein Thema. Auch nicht, dass die Beschäftigten auf eine Tariferhöhung verzichten müssen dadurch, dass der Vorstand die Tarifrunde abgesagt hat. Laut Hofmann ist sie übrigens nicht „ausgefallen, sondern sie wird im Dezember nachgeholt“. Also wie: zwei Tarifrunden in einem Dezember?

Vor Corona hatte die IGM-Spitze das Problem der bedrohten Arbeitsplätze immerhin noch wahrgenommen und Proteste organisiert. In der Tarifrunde sollte das zum Thema gemacht werden – wenn auch mit untauglichen Vorschlägen verbunden: Der Vorstand wollte Zukunftsvereinbarungen mit den einzelnen Unternehmen abschließen, was im Gegenzug sicher mit viel Verzicht bezahlt worden wäre. Wir dagegen wären für gemeinsamen Widerstand und Streiks gewesen – gegen Schließungen und für Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohnausgleich: Also fordern statt betteln, gemeinsam statt „Jede Bude für sich“, kämpfen statt verzichten!

Jetzt hat die IGM-Führung sogar noch auf ihr Bettelprogramm verzichtet. Das Problem der bedrohten Arbeitsplätze kommt nicht mehr vor. Sie hat nichts in der Hand, die Unternehmen aber haben freie Bahn!

Also keine Diskussion, ob die Unternehmen eigentlich kurzarbeiten, weil sie die Gesundheit schützen oder weil die Krise, die sich seit Herbst abzeichnet, jetzt voll angekommen ist. Also keine Kritik an der Kurzarbeitregelung, keine Hinweise seitens der Führung auf die Gefahren für die Arbeitsplätze.

Die Praxis in den Betrieben

Wenn eine Firma z. B. 20 % Kosten sparen will, also Leute abbauen und Werke oder Abteilungen dichtmachen, wie geht sie jetzt vor?

Sie beantragt in dem Werk, das sie dichtmachen will, 100 % Kurzarbeit, verlagert die Arbeit, und macht das Werk gar nicht erst wieder auf. Bei den Angestellten und FacharbeiterInnen, bei denen sie einen Teilabbau will, wird sie einen Teil der Leute arbeiten lassen und die „low performer“, wie Manager sie nennen, so lange wie möglich in 100 % Kurzarbeit lassen. Richtig mürbe machen, richtig die Belegschaft spalten. „Alle gemeinsam durch die Krise“? Von wegen!

Sie wollen die Beschäftigten zahlen lassen und ihre Taktik ist dabei immer zu spalten. Das haben sie vorher getan, das tun sie jetzt wieder. Das geht auch international: Es gibt schon jetzt Konzerne, die haben in Europa dicht – aber produzieren in China und Japan, Brasilien oder Mexiko.

Da können Betriebsräte übrigens etwas tun: Kurzarbeit findet nur statt, wenn die Betriebsräte mitmachen. Es gibt Betriebsräte, die fordern verbindliche Vereinbarungen und überwachen, wer wie viel Kurzarbeit macht und wer wann raus genommen wird, wenn wieder Arbeit anliegt. Betriebsräte können auch die Gesundheitsbedingungen, zum Beispiel Abstandsregeln, kontrollieren. Die wenigsten Betriebsräte fordern das bzw. setzen es auch durch.

Aber in manchen Unternehmen gibt es Auseinandersetzungen um die Arbeitssicherheit, z. B. um die Abstände der Sitzplätze in Callcentern, die gerade boomen.

Anderswo lassen sich Beschäftigte nicht ins Home-Office schicken, weil sie wissen, dass es schwer wird, das zurückzudrehen. Genauso wie die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, die jetzt z. B. Bayern durchgesetzt hat und die die UnternehmerInnen schon lange fordern. Bisher im Namen einer modernen Arbeitswelt, jetzt im Namen des Notstandes.

Kurzarbeit und Klassenkampf

Kurzarbeit, haben wir gesehen, ist eine Regelung, die komplett von Sozialpartnerschaft geprägt ist. Es wird so getan, als sei sie genauso im Interesse der AusbeuterInnen wie der Ausgebeuteten. Teil eines „Schutzschirms für die Betriebe und die Beschäftigten“, wie Hofmann sagt.

Es wird geradezu verschleiert, wer eigentlich zahlt, und wem sie eigentlich nützt, wird nicht diskutiert. Für Betriebsräte und Gewerkschaften ist es ein Regelungsinstrument, für die Unternehmen die Fortsetzung der Ausbeutung mit anderen Mitteln.

Natürlich soll damit – wie mit allen partnerschaftlichen Regelungen – Widerstand verhindert werden. Lieber Kurzarbeit statt Entlassung. Lieber Abfindung als gar nichts. Natürlich wird damit viel Eigeninitiative erstickt. „Mal schauen, was die wieder für uns geregelt haben“, sagte im Fernsehen ein VW-ler vorm Tor. Maximal schimpft man drüber, tut aber nichts.

Kurzarbeit ist ein Beispiel, wie scheinbar im Interesse der Arbeitenden vorgegangen wird und tatsächliche Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse durch die Sozialpartnerschaft und die Einbindung in den bürgerlichen Staat deformiert werden, ihren Sinn verlieren und sich gegen die Klasse richten.

Lange Kündigungsfristen, Kündigungsschutz und Arbeitslosenversicherung sind wirkliche Errungenschaften, die in vielen Kämpfen zum Teil mit Streiks durchgesetzt wurden. Sie verhindern, dass die UnternehmerInnen die Krisen und Schwankungen ihres anarchischen Systems ungebremst auf die ArbeiterInnenklasse abwälzen können, die ihrerseits auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.

Aber die ArbeiterInnenklasse hat keine Kontrolle über diese Versicherung und damit über ihre Beitragsgelder. Die Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung wurde vom Staat unter Bismarck eingeführt, als die deutsche Bourgeoisie sich einer ständig wachsenden ArbeiterInnenbewegung gegenüber sah, die Arbeitslosenversicherung 1927 kurz vor Ausbruch der Großen Depression. Die Sozialversicherung sollte gewissermaßen das Zuckerbrot für das Proletariat im Kampf gegen die Sozialdemokratie darstellen, die integrative Ergänzung zu den Sozialgesetzen. Auch wenn Bismarck mit den SozialistInnengesetzen scheiterte, so verweist die Geschichte der Sozialversicherung darauf, dass mit solchen Reformen immer auch eine Integration der unterdrückten Klasse verbunden ist.

Das drückte sich übrigens auch in der Politik von SPD und Gewerkschaften aus, die schon früh aufhörten, um die alleinige Kontrolle über diese Gelder zu kämpfen. Unter dem Vorwand der oben erwähnten, angeblich „paritätischen“ Finanzierung wurde den KapitalistInnen, gegen deren Willkür sich ja eigentlich die Versicherung richtet, eine gleichberechtigte Mitsprache gewährt und das ganze unter staatliche Oberaufsicht gestellt. Mit den Hartz-Reformen im Rahmen der Agenda 2010 wurde die Kontrolle der Gewerkschaften dann praktisch ganz beendet – ohne wesentlichen Widerstand dieser. Also entscheidet der bürgerliche Staat allein über die Verwendung der Gelder der ArbeiterInnenklasse und diese haben letztlich den Charakter einer Sondersteuer angenommen.

Die Gewerkschaften und Betriebsräte benutzen in ihrem immer engeren Schulterschluss mit den Unternehmen die Kurzarbeit als gemeinsames Steuerungsinstrument, so wie sie das trotz aller Sonntagsreden auch bei der Leiharbeit tun. Die Kurzarbeit kam in der letzten Krise vor allem den besserverdienenden Schichten der ArbeiterInnenschaft zugute, insbesondere in der Autoindustrie. Gerade da, wo wie Kollaboration der Gewerkschaften mit dem Kapital am engsten ist, floss das meiste Geld.

Was wir wollen

Es wichtig zu verstehen, was hier abläuft: wie die ArbeiterInnenklasse betrogen wird und das nicht nur bei der Sozialversicherung; wie Betriebsräte und Gewerkschaften dabei mitmachen – oftmals mit dem kurzsichtigen, beschränkten Blick darauf, was „realistisch“ erscheint und was mit möglichst wenig Kampf gegen das Kapital „erreicht“ werden kann. Wie dadurch gerade die gewerkschaftlich besser organisierten und meist auch besser bezahlten Teile der Klasse teilweise befriedigt werden, meist auf Kosten von anderen Teilen. Wie erstere durch dieses „Uns geht es ja doch noch ein bisschen besser“ geradezu erzogen werden, ihre Privilegien zu verteidigen und unsolidarisch zu handeln. Was letztlich zu diesem bekannten Bild der ArbeiterInnenklasse in Deutschland als passiv und unsolidarisch führt.

Mit diesem Verständnis ist es möglich, eine Strategie zu entwickeln, die die Errungenschaften der Klasse von dem Kleister der SozialpartnerInnenschaft befreit, zum Beispiel die Kurzarbeit nicht hinnimmt, sondern einerseits für die alleinige Kontrolle über die Arbeitslosenversicherung durch die Gewerkschaften eintritt und anderseits für eine Umverteilung der Arbeit auf alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich, was Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit im Kern bekämpft.

Damit ist klar, dass die Gewerkschaften, von der Fuchtel der Bürokratie befreit werden müssen: von ihrer Anbindung an den bürgerlichen Staat und der Unterwerfung unter die Interessen der KapitalistInnen, in jedem einzelnen Unternehmen und in ihrer Gesamtheit; von einer Politik, die die Klasse nicht vereinigt, sondern in Einzelinteressen aufspaltet und dabei sich vor allem auf  die bessergestellten Teile und ihre Privilegien stützt. MarxistInnen nennen diese Teile die „ArbeiterInnenaristokratie“.

Dafür ist ein systematischer Kampf nötig, der in den Gewerkschaften geführt werden muss, der sich aber nicht nur darauf beschränken darf und hochpolitisch ist. Er muss auch in die Parteien getragen werden, die sich auf die Gewerkschaften und ihren Apparat stützen, also SPD und DIE LINKE, sowie auch an alle Bewegungen, die sich auf irgendeine Weise mit den Problemen befassen, die aus dem Kapitalismus kommen: die MieterInnenproteste und vor allem die Umweltbewegungen.

Das Thema Kurzarbeit und der Umgang damit sind aktuelle Beispiele, wie die sozialpartnerschaftliche Anpassung der reformistischen Gewerkschaftsführungen schon jetzt den Weg bereitet, dass wir wieder für die Krise des Kapitals zahlen sollen und das mehrfach. Eine Kopie der IG-Metall-Strategie von 2009/10, mit Kurzarbeit, mehr Niedriglohnbereichen und Abwrackprämien das deutsche Exportkapital auf Kosten der ausländischen Konkurrenz zu stärken und so Arbeitsplätze zu sichern, wird angesichts der Autokrise und von Handelskrieg noch viel weniger funktionieren. Vor allem auch, weil seitens der KapitalistInnen überhaupt keine Bereitschaft sichtbar ist, sich auf solches einzulassen. Sie haben anderes vor. Trotzdem hat die IG Metall als stärkste Gewerkschaft Corona zum Anlass genommen, vor den seit vielen Monaten geplanten und begonnen Angriffen seitens des Kapitals erbärmlich zu kapitulieren.

Die sklavische Unterordnung der Gewerkschaftsführungen unter das Kapital, dass sie um Almosen betteln, statt die Kraft der organisierten Mitglieder zu nutzen, um die ganze Klasse zu mobilisieren, kann nur durch zwei Dinge gebrochen werden: einerseits durch ein klares politisches Verständnis, dass es nötig ist, den Kapitalismus zu stürzen, weil dieses System die Welt in den Untergang führt. Zweitens dadurch, dass dieses System in seinem Weg in die Barbarei immer mehr Leute vor die Wahl stellt, zu kämpfen oder schweigend unterzugehen.

So wird die beginnende Krise Hunderttausende vor diese Wahl stellen und es ist dann entscheidend, dass es eine Kraft in der Gewerkschaftsbewegung gibt, die Forderungen und Vorschläge machen kann, die sich gegen die Quelle des Problems, die Ausbeutung der Arbeitenden zur Vermehrung des Profits, richten. Wir brauchen eine klassenkämpferische Basisbewegung und mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften hat sich ein hoffnungsvoller Ansatz dafür gebildet. Eine klassenkämpferische Basisbewegung ist der Schlüssel dafür, dass die ArbeiterInnenklasse wieder zur Akteurin wird und aufhört, Objekt der Ausbeutung durch das Kapital und der politischen Bevormundung durch die Bürokratie zu sein.