Leben unter Corona – aus der Sicht eines Lehrers

Leserbrief eines Lehrers aus Baden-Württemberg, Infomail 1096, 24. März 2020

Notfallbetreuung, E-Learning,
Erklärvideos, Schulclouds und vieles mehr prasselt derzeit auf uns LehrerInnen
nieder. Wurden wir Anfang Februar und bis nach den Faschingsferien hinweg noch
darüber informiert, dass die Schließung von Schulen nicht in Frage käme, ging
es dann zwei Wochen später doch recht schnell. Innerhalb weniger Tage wurde
beschlossen – Schule zu, Computer an. Aber wie?

Das dachten sich nicht nur ich und
meine KollegInnen, sondern vor allem auch die SchülerInnen und Eltern. Im
Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung, dass sich die SchülerInnen auf
„Coronaferien“ und „Corona-Parties“ freuen würden, bekam ich von meinen Klassen
eher die Frage gestellt „Und wie lernen wir jetzt weiter?“ – „Gute Frage, da
muss ich erst mal drüber nachdenken.“ Die SchülerInnen wurden am letzten
Freitag nach Hause geschickt und zwei Stunden später stand es dann fest. Auch
hier in Baden-Württemberg werden die Schulen geschlossen. Perfektes Timing,
eine Kommunikation mit den SchülerInnen, Eltern und dem Kollegium war so nun
auch nicht mal in kleinem Maßstab möglich.

Ausbaden durften es dann zuerst wir
LehrerInnen und nun im laufenden Betrieb des E-Learning zusätzlich die Eltern.
Über das Wochenende sollten Notfallmaterialien für einen nicht näher
definierten Online-Unterricht erstellt werden. Ohne über die technischen
Gegebenheiten meiner SchülerInnen zuhause Bescheid zu wissen, blieb mir nichts
anderes übrig, als ins Blaue zu planen: „Haben überhaupt alle meine
SchülerInnen Zugang zu einem PC?“ „Ist ein Elternteil womöglich selbst im
Homeoffice und benötigt den PC selbst?“ „Gibt es Geschwisterkinder aus anderen
Klassen in der gleichen Familie, die sich vielleicht einen PC teilen müssen?“
Auch in der Schule zeigt sich nun mal die unterschiedliche soziale Herkunft der
SchülerInnen. Ich konnte nicht einfach davon ausgehen, dass jedeR meineR
SchülerInnen einen eigenen PC zur Verfügung hat.

Ich entschied mich pragmatisch und
bereitete Unterricht entlang des Schulbuches vor. Digital daran ist nur die
PDF-Datei, welche die Eltern von mir geschickt bekommen und in welcher die
Aufgaben stehen.

Es ist aber nicht so, als würde es an
digitalen Angeboten mangeln. Wir bekommen derzeit über unsere Schuladressen
gefühlt stündlich Werbeangebote von AnbieterInnen digitaler Lernmaterialien.
Von kostenlosen Testversionen bis hin zu kostenlosen Schullizenzen während der
Corona-Krise ist alles dabei. Die Unternehmen versuchen, den Markt aktiv und
aggressiv unter sich aufzuteilen, und erhoffen sich jetzt schon einen
Marktvorteil, wenn Corona wieder vorbei ist. Marktperversion at its best!

Im Grunde zeigt diese Situation doch
nur wieder sehr deutlich auf, dass in einer unruhigen Zeit die Bildung von
Jugendlichen davon abhängt, wie dick der Geldbeutel der Eltern ist. Können
diese Kinder letzterer sich doch mit ihrer technischen Ausstattung der großen Online-Bildungsangebote
bedienen und haben im Durchschnitt eine bessere Unterstützung durch Eltern, da
diese weniger stark davon betroffen sind, sich durch Kurzarbeitsbezüge über
Wasser zu halten, durch Hartz IV und durch „digitale Behördengänge“ zu quälen, um
sicherzustellen,
dass im nächsten Monat auch genügend Geld für das Essen vorhanden ist.