Arbeiter:innenmacht

DGB-Schulterschluss mit dem Kapital – auf Kosten der Lohnabhängigen

Helga Müller, Infomail 1096, 23. März 2020

Vor ein paar Tagen – genauer gesagt am 13. März 2020 – veröffentlichten DGB und der Unternehmerverband BDA eine gemeinsame Pressemitteilung mit der vielsagenden Überschrift: „DGB und BDA: Die Sozialpartner stellen gemeinsame Verantwortung in der Coronakrise über Differenzen“.

Die Erklärung stellt die historische Bedeutung der Corona-Krise heraus und zieht Parallelen zum Vorgehen bei der letzten großen Wirtschaftskrise 2008/2009, in der als erstes die befristet Beschäftigten sowie Leiharbeit„nehmer“Innen aus den Betrieben flogen. Die IG Metall warf damals ihre relativ hohen Lohnforderungen über Bord. Stattdessen vereinbarte sie, die Unternehmen tariflich von den Kosten zu entlasten, die ihnen bei Kurzarbeit bleiben, wie Urlaubsgeld und Sozialbeiträge. Gemeinsam mit Kapital mit Regierung wurde die Kurzarbeit ausgeweitet, um damit der Exportindustrie zu „helfen“, über die Krise hinwegzukommen.

Geholfen hat es 2008/2009 tatsächlich der deutschen Exportindustrie, die einen Konkurrenzvorsprung erhielt und in der Folge ihr Gewicht auf Kosten der europäischen und US-amerikanischen Konkurrenz ausbauen konnte. Profitiert haben bis zu einem gewissen Grad auch die Stammbelegschaften der großen Autokonzerne, also der bestbezahlte Teil der Klasse. Bezahlt habe es die Masse der Lohnabhängigen mit Lohnverzicht, Zunahme des Niedriglohnsektors und Sozialabbau, die RentnerInnen mit kleinen Renten und die Beschäftigten in anderen Ländern, deren Jobs vernichtet wurden.

Über den Tisch gezogen

Auch diesmal geht es in die genau gleiche Richtung. Der DGB brüstet sich in der Erklärung, dass DGB und BDA – die beiden SozialpartnerInnen – eine großzügige Kurzarbeiterregelung durchgesetzt hätten, und der Gewerkschaftsdachverband klopft sich dabei auf die Schulter, weil dies die Beschäftigung in den Betrieben und die Liquidität der Unternehmen stabilisieren würde. Mittlerweile hat auch der DGB (Stellungnahme vom 19.3.2020) mitgekriegt, dass die Umsetzung des Kurzarbeitergeldes nicht sehr sozial ausgewogen ist und fast jede/r UnternehmerIn ohne größere Komplikationen darauf zurückgreifen kann, ohne groß in wirtschaftlichen Problemen zu stecken. Die BürokratInnen haben sich mal wieder von den „PartnerInnen“ BDA und auch Bundesregierung über den Tisch ziehen lassen.

Nachteile davon haben nur die Beschäftigten: Die Sozialbeiträge für die UnternehmerInnen werden in vollem Umfang von der Bundesagentur für Arbeit – also von unseren einbezahlten Arbeitslosengeldern – zurückerstattet, die Lohnabhängigen dagegen erhalten nichts. Im Gegenteil: sie sollen sich mit nur 60 % des bisherigen Nettolohns irgendwie über Wasser halten.  Vielen – nicht nur denen im ausgesprochenen Niedriglohnsektor, sondern auch etlichen KollegInnen mit Tarifgehältern wie z. B. im Einzelhandel – wird dies nicht reichen, um die notwendigen Lebensmittel, die Mieten etc. auf Dauer zahlen zu können. Diese werden nach Auslaufen des Kurzarbeitergelds mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit unter die Armutsgrenze fallen.

Was machen die DGB-Gewerkschaften daraus?

Sie appellieren – nach alter Manier – diesmal an die Bundesregierung, doch nachzubessern! Ver.di hat die radikalste Waffe rausgezogen – die Online-Petition. Die Große Koalition möge bitte das Kurzarbeitergeld auf 90 % aufstocken und dies am Montag, 23. März, beschließen!

Die IG Metall ist noch besser dabei. Sie hat in Nordrhein-Westfalen einen Pilotabschluss unterzeichnet, der rein gar nichts mit den ursprünglichen Forderungen zu tun hat, diese sind „vertagt“. Der Abschluss bringt weder eine Lohnerhöhung noch irgendeine Absicherung der KollegInnen in der kommenden Krise, sondern regelt die bekannten Möglichkeiten zur Kurzarbeit und zur Kinderbetreuung. Neu sind dabei nur noch einmal fünf Betreuungstage und eine Härtefallregelung für Kurzarbeit, zu der die Unternehmen 350 Euro pro Kopf und Monat zuschießen sollen. Das ist deutlich weniger, als sie durch die neue gesetzliche Regelung erhalten, der zufolge die Unternehmern bei Kurzarbeit keine Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen.

Mit dieser Regelung wird übrigens jetzt schon ein riesiges Loch in der Kranken- und Rentenversicherung vorbereitet. Mit Sicherheit werden Kapital und Regierung versuchen, dieses durch die Einbußen der Beschäftigten und durch Rentenkürzungen zu stopfen. Ver.di zögert im Moment die Tarifrunden im öffentlichen Dienst und im Nahverkehr hinaus – ein wenig nach dem Prinzip Hoffnung, dass nach dem Zurückgehen der Ausbreitung des Coronavirus irgendwie eine günstigere Ausgangslage bestünde.

Keine Antwort auf die Wirtschaftskrise

Aber bei beiden: keine Antwort auf die wirtschaftliche Krise und die sich anbahnenden Opfer auf Seite der ArbeiterInnenklasse, keine Antwort auf Insolvenzen, Massenarbeitslosigkeit und weiteren Sozialabbau. Beide setzen auf die Ersatzleistung über das Kurzarbeitergeld –wohlgemerkt bezahlt aus unseren Beiträgen. Was daran „sozial ausgewogen“ sein soll, bleibt das Geheimnis der Gewerkschaftsspitzen. So bleibt es beim Hoffen, damit einigermaßen die Krise im Griff zu haben, statt den Kampf gegen jede Entlassung und für volle Weiterzahlung der Löhne aufzunehmen.

Schon jetzt fahren die Unternehmen ihre Produktion runter und beantragen Kurzarbeitergeld, das dank des Beschlusses des Bundestages für die Betriebe sehr leicht zu erhalten ist. Die einzelnen und jeweils unabhängig voneinander agierenden Betriebsräte stehen unter Druck. Entweder geben sie bereitwillig gleich nach oder versuchen, zumindest noch ein wenig mehr Geld aus den Unternehmen rauszuholen. Manche versuchen auch, solange wie möglich einen Abschluss hinauszuzögern. Solange Betriebsräte in jeder Firma einzeln verhandeln müssen, werden sie irgendwann alle, einer nach dem anderen, einbrechen und zu mehr oder weniger schlechten Bedingungen klein beigeben.

Kurzarbeitergeld – aber nur bei Aufstockung auf 100 % des derzeitigen Gehalts – kann schließlich allenfalls nur eine kurze Überbrückung sein, um auf sinnvolle Produktion umzusteigen. Zu befürchten ist, dass viele Unternehmen – ob in der Autoindustrie, den Banken oder im Handel – die Kurzarbeit nutzen, um Betriebe und Büros nach der Krise gar nicht mehr aufzumachen.

Keine/r sagt, dass die Situation jetzt für die Seite der Lohnabhängigen einfach sei. Auch der Kampf ist nicht leicht zu führen, da aufgrund der Zwangsmaßnahmen der UnternehmerInnen und der Aushebelung demokratischer Rechte durch die Regierungen ein Zusammenkommen der KollegInnen immer schwieriger wird. Aber auch in Italien waren trotz großer staatlicher Einschränkungen der Bewegungsfreiheit Streiks möglich, mit denen sich die KollegInnen dagegen gewehrt haben, dass sie weiter produzieren mussten, obwohl der Schutz ihrer Gesundheit in der Produktion nicht mehr gewährleistet war.

Falle Sozialpartnerschaft

Wir befinden uns in einer Situation, in der die üblichen Mechanismen der Sozialpartnerschaft – sofern nicht von den UnternehmerInnen direkt aufgekündigt – nicht bloß mit faulen Kompromissen enden werden. Die üblichen Abfederungsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld, Zulassung von Ausweitung der Arbeitszeiten etc. werden nicht bloß zu Einschränkungen führen. Die kommende Krise wird wahrscheinlich noch tiefer als 2008/2009 ausfallen. Zugleich gibt es noch weniger Spielraum für (faule) Kompromisse. Vielmehr könnte die Sozialpartnerschaft zu einer Art Burgfriedenspolitik werden, die die ArbeiterInnenklasse politisch und gewerkschaftlich entwaffnet – und damit erleichtert, die Kosten auf die Lohnabhängigen in einem historisch neuartigen Ausmaß abzuwälzen.

Wir müssen daher für einen Bruch mit dieser Politik durch die Gewerkschaftsführungen und den Apparat kämpfen, die SPD, aber auch DIE LINKE in Bundes- und Landesregierungen munter fortführen.

Dabei sehen sich mittlerweile selbst bürgerliche Regierungen – z. B. in Spanien oder Frankreich – gezwungen, die Diskussion zur Verstaatlichung bestimmter „systemrelevanter“ Unternehmen aufzuwerfen. Vor allem in Spanien ist damit besonders auch die Verstaatlichung  der Gesundheitsversorgung gemeint, die aufgrund der vergangenen rigorosen Privatisierung und dem damit zusammenhängenden Personalabbau kurz vor dem Kollaps steht. Die gleiche Problematik kennzeichnet die Lage in Italien, aber auch die im vergleichsweise reichen Deutschland ist nicht viel besser.

Die italienische Regierung sieht sich, nachdem sie den weitgehenden Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung auch offiziell zugegeben musste, gezwungen, nur noch die Produktion zuzulassen, die wirklich für das Überleben essenziell ist, und alles andere zu schließen.

Wenn wir die Umsetzung und Kontrolle dieser Entscheidung den Regierenden überlassen, ist jetzt schon klar, dass Tausende von Betrieben schließen und pleitegehen werden mit den entsprechenden Konsequenzen von Massenarbeitslosigkeit und noch extremerem Sozialabbau, als wir ihn schon erlebt haben.

Eigentumsfrage

Nichts wäre jetzt notwendiger denn je als die Frage der Enteignung und Verstaatlichung unter Kontrolle der ArbeiterInnen und KonsumentInnen – auch bei Fortführung oder Ausweitung der Arbeit in lebensnotwendigen Bereichen. Gerade die Gewerkschaftsbewegung mit ihren Millionen Mitgliedern müsste dazu die Initiative ergreifen.

In der Gesundheitsversorgung ist das nötiger und konkret fassbarer denn je, um diese für alle gewährleisten zu können, ob auf dem Land oder in der Stadt, ob in ärmeren oder Stadtvierteln, in denen viele Besserverdienende leben, und um genügend Geld zu mobilisieren, um ausreichend Personal einstellen zu können.

Eine Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten und derjenigen, die die Produkte brauchen, hätte zum einen das Ziel, die Unternehmen daran zu hindern, dass sie ihre Krise auf die ArbeiterInnenklasse abwälzen können, und auf der anderen Seite wäre das auch ein Schritt dahin, gesamtgesellschaftlich zu überlegen und letztendlich zu planen, welche Arbeit und welche Produktion wirklich zu den existenziellen Bedürfnissen der Menschheit gehören.

Darüber hinaus wäre auch eine Planung möglich, wo KollegInnen, die jetzt keine Arbeit mehr haben, sinnvoll eingesetzt werden können. Transformation und staatliche Produktion sind möglich: Großbritannien bittet aufgrund der Lieferschwierigkeit von Beatmungsgeräten, und weil die neo-liberalen Regierungen das staatliche Gesundheitssystem NHS seit Jahrzehnten geschliffen haben, so dass bereits eine einfache Grippewelle, das britische Gesundheitssystem bis an den Rand des Kollapses bringt, zu überprüfen, ob die Autoindustrie nicht auf die Produktion von solchen Geräten umstellen kann. Bayern will aufgrund von Engpässen bei notwendiger Schutzbekleidung in den Krankenhäusern selber solche produzieren lassen.

Eine solche Diskussion müsste gerade jetzt verstärkt in den Gewerkschaften begonnen werden. Die Situation, dass man sich kaum noch physisch treffen kann, darf aber nicht von der Gewerkschaftsführung dazu missbraucht werden, dass die Mitgliedschaft vollkommen ausgeschlossen wird – wie z. B. jetzt bei dem Pilotabschluss Nordrhein-Westfalen bezüglich der Metalltarifrunde.

Auch die Betriebsräte dürfen nicht einfach wegtauchen. Sie müssen sichtbar und präsent sein – angefangen bei der juristischen Begleitung der Beschäftigten bei unternehmerischen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Produktion bis hin zum Widerspruch dagegen.

Es ist nach wie vor möglich, Treffen abzuhalten, wenn auch nicht physisch, so doch mit Hilfe der neuen Medien oder von Telefonkonferenzen. Aber auch das muss von den Mitgliedern eingefordert werden. Es darf nicht einfach akzeptiert werden, dass Sitzungen von den Gewerkschaftsverantwortlichen abgesagt werden.

In Betrieben ist es möglich, dass sich die KollegInnen treffen und austauschen, und auch Vertrauensleutestrukturen oder Betriebsgruppen können weiter aufrechterhalten werden und über diese Fragen diskutieren, Anträge stellen und Beschlüsse fassen.

Wenn die Gewerkschaften in dieser Krisensituation zu einem Kampfinstrument der ArbeiterInnenklasse werden sollen, dürfen wir die Entmündigung der Mitglieder nicht hinnehmen. Wir müssen uns diese Rechte nehmen und erkämpfen – auch gegen den Apparat. Auch dazu brauchen wir den Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition, einer Basisbewegung.

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