Arbeiter:innenmacht

Coronavirus und bürgerliche Politik: Tun, was nötig ist – wirklich?

Bild von Daniel Roberts auf Pixabay

Martin Suchanek, Infomail 1095, 14. März 2020

„Wir müssen alles tun, um den Zusammenhalt in unserem Land zu zeigen“ – so die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in eine Pressekonferenz am 12. März. So auch der Tenor der Bundesregierung wie auch der meisten anderen Regierungen der Welt. In den letzten Tagen wandelte sich der öffentliche Umgang mit dem Coronavirus (Covid-19, Sars-CoV-2) dramatisch.

Wochenlang galt es – nicht nur in Deutschland – als vornehmlich chinesisches Problem. Unter Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung wurde in erster Linie die Rückholung von westlichen StaatsbürgerInnen aus China, Kontrollen an Flughäfen und Grenzen verstanden. An die Bevölkerung wurde appelliert, nicht in Panik zu geraten. Gesundheitsminister Jens Spahn wurde, stellvertretend für die gesamte Regierung, nicht müde zu verkünden, dass Deutschlands Gesundheitssystem bestens vorbereitet wäre. Wirklich gefährlich wäre das Virus letztlich nur für andere, für ärmere Länder mit schwächeren Gesundheitssystemen. Selbst die Ausbreitung der Epidemie in Italien wurde noch heruntergespielt. Die Behörden hätten bei der Identifizierung der „Patienten null geschlampt“, während hierzulande alle Infektionsketten quasi lückenlos aufgedeckt und mögliche Infizierte getestet und isoliert worden wären.

Andere Länder, andere Märchen

Während die deutsche Regierung und das „traditionelle“, bürgerlich-liberale Establishment die Bevölkerung in der Regel mit beschwichtigenden Nachrichten zu beruhigen versuchten, setzte der Rechtspopulismus auf eine Mischung aus „alternativen Fakten“ und fake news, auf Leugnen und Rassismus.

Noch vor wenigen Tagen bezeichnete der brasilianische Präsident Bolsonaro die Corona-Pandemie als „Phantasie“. Donald Trump spielte die Gefahr wochenlang herunter, verbreitete Märchen über die angebliche Vorsorge in den USA – und hat jetzt mit der EU eine neue Schuldige für das „ausländische“ Virus ausgemacht. Diese hätte die Grenzen für ChinesInnen nicht ausreichend dicht gemacht.

Dabei konnte China die Ausbreitung des Virus im eigenen Land verlangsamen und weist sinkende Infektionsraten auf, auch wenn die Erfolgsmeldungen des Regimes nicht einfach für bare Münze genommen werden sollten. Auch der chinesische Staatsapparat hatte gerade zu Beginn der Ausbreitung der Krankheit vertuscht und die eigene Bevölkerung getäuscht. Die bisherigen Erfolge der Eindämmung zeigen schließlich nicht nur die Möglichkeiten eines zentralistischen und despotischen Systems, rasch Ressourcen konzentrieren zu können – sie gingen auch einher mit drakonischen Maßnahmen gegen die ArbeiterInnenklasse. Die tiefen Klassengegensätze des chinesischen Imperialismus machten sich natürlich auch in der „sozialen Vorsorge“ für die neue Bourgeoisie, die Staatsbürokratie einerseits, für ArbeiterInnen und BäuerInnen anderseits manifest.

Pandemie

Während Anfang 2020 noch offen war, ob sich das Coronavirus über China hinaus ausbreiten würde, so steht nun fest, dass wir es mit einer Pandemie, also einer mehrere Kontinente übergreifenden Krankheit zu tun haben. Als gesichert kann auch gelten, dass wir in fast allen Ländern am Beginn ihrer Ausbreitung stehen. In den nächsten ein bis zwei Wochen werden die meisten europäischen Länder und die USA wahrscheinlich ähnliche Ausbreitungsraten und, auf die Bevölkerung bezogen, ähnliche Fallzahlen wie Italien aufweisen. Viele der halb-kolonialen, also von den imperialistischen Mächten in politischer und ökonomischer Abhängigkeit gehaltenen Länder könnten aufgrund ihrer geringeren wirtschaftlichen Ressourcen besonders unter deren Ausbreitung leiden.

Auch unter ExpertInnen ist das wahrscheinliche Ausmaß der Bedrohung durch die Pandemie natürlich ungewiss. Als sicher kann jedoch gelten, dass ihre Auswirkungen größer sein werden als die einer „normalen“ Influenza. Zugleich gehen nach heutigem Stand die meisten Prognosen davon aus, dass die Todesrate und Zahlen unter jener/n der „spanischen Grippe“ bleiben. Zwischen 1918–1920 starben 25 bis 50 Millionen Menschen an diesem ungewöhnlich virulenten Influenzavirus vom Subtyp (A/H1N1).

Bis zum 14. März 2020 zählt die Weltgesundheitsorganisation 145.377 Infiziert, davon 80.973 in China. 5429 Menschen sind ihm bisher zum Opfer gefallen, davon 3193 in China, 71.717 gelten als wieder genesen (65.657 in China; https://www.welt.de/vermischtes/article206504969/Coronavirus-Alle-Karten-Zahlen-Daten-zur-Ausbreitung.html.). Besorgniserregend sind jedoch vor allem die Ausbreitungsraten, die es zu verlangsamen gilt. Mittlerweile gehen Prognosen sogar davon aus, dass 60 – 70 % der Bevölkerung in den nächsten zwei Jahren infiziert werden können. Auch wenn niemand genau den weiteren Verlauf der Krankheit und die Wirksamkeit verschiedener Abwehrmaßen vorhersehen kann, so kann die Gefahr für die Gesundheit nicht unterstützt werden. Vor allem ältere Menschen, Armen und Personen mit Vorerkrankungen gehören zu den Risikogruppen.

In dieser Situation versprechen alle Regierungen – einschließlich derer, die gestern noch die Lage beschönigt oder die Existenz einer Bedrohung ins Reich der Phantasie verwiesen, alles in ihre Macht Stehende zu tun, um die Pandemie einzudämmen, deren Ausweitung zu bremsen und den Schutz der Bevölkerung zu verbessern.

Nirgendwo besteht Anlass, diesen Damen und Herren zu vertrauen. Viele der Maßnahmen selbst sind schon auf den ersten Blick fragwürdig.

Nationale Rettung?

Etliche Regierungen antworten mit Grenzschließungen, Kontrollen, Aussetzung des Flugverkehrs. Der US-Präsident verkündete überraschend einen Einreisestopp für alle BürgerInnen des Schengen-Raums. Damit nahm er, ob nun bewusst oder „unabsichtlich“, einen weiteren Einbruch der internationalen Börsen billigend in Kauf. Schließlich revidierte er auf Nachfrage einen Teil seines Masterplans, die Aussetzung des Warenverkehrs mit der EU. Trump ist freilich nicht der Einzige, der auf Abschottung der Grenzen setzt. Auch die EU-Länder verschärfen ihre Kontrollen nach außen wie auch nach innen. Italien hat eine landesweite Quarantäne verhängt. Indien hat alle Einreisevisa aufgekündigt, zahlreiche Länder sperren ihre Flughäfen für Gäste aus wirklichen oder vermeintlichen „Gefahrenherden“ (vorzugsweise, aber nicht nur China, Südkorea, Iran und Italien) oder steckten Reisende aus diesen Ländern für zwei Wochen in Quarantäne.

In der aktuellen Krisensituation wird sicher niemand verstärkte Gesundheitskontrollen, Tests usw. per se ablehnen. Manche davon haben nur geringen medizinischen Wert und sollen eher Aktivität suggerieren. So hat die Messung der Körpertemperatur an Flughäfen nur begrenzten Nutzen, da Menschen auch ohne erhöhte Temperatur infiziert sein können.

Auffällig und für das bürgerliche System bezeichnend ist freilich der selektive Charakter zahlreicher Maßnahmen. Der Grundtenor besteht in nationaler Abschottung.

Auch wenn sich die EU über den Affront der USA und Trump empört, so sollten wir nicht die Augen davor verschließen, dass sie – nicht nur deren rechts-populistische Regierungen – selbst die eigenen Außengrenzen gegen Flüchtlinge abschottet. Die Aufnahme von 1.400 Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern war erst nach wochenlangem Gezerre möglich. Dabei handelt es sich hier nur um den berühmten Tropfen auf den heißen Stein, der „humanitären“ Begleitmusik zur täglichen Barbarei.

In den Flüchtlingslagern Griechenlands, in der Türkei oder in Syrien, ja selbst bei den nationalen Alleingängen in der EU zeigt sich nämlich schon ein wesentlichen Merkmal der bürgerlichen Pandemie-Bekämpfung. Es geht um die Rettung der jeweils eigenen StaatsbürgerInnen, der eigenen Nationalität. Die Gesundheit der anderen, die Menschheit als Ganze wird zum Nebenfaktor.

In praktisch allen Ländern der Welt geht die staatliche Abschottung wie von selbst mit rassistischen, nationalistischen, fremdenfeindlichen Einstellungen einher. Menschen, die „asiatisch“ aussehen, werden spürbar argwöhnisch beäugt. Der anti-chinesische und anti-asiatische Chauvinismus und Rassismus ist in Europa deutlich angestiegen. Dass sich die Abschottung auch gegen andere Menschen richten mag, stellt dabei nur eine Voraussetzung dieser allgemeinen Tendenz dar.

Wie verlogen diese Politik ist, verdeutlicht das Festhalten der NATO-Armeen, darunter auch von Bundeswehr und US-Army, am Manöver Defender 2020. Während die Landesgrenzen für die Bevölkerung geschlossen werden und Versammlungen verbotet werden, sollen die grenzüberschreitenden Truppenbewegungen tausender SoldatInnen kein besonders Ansteckungsrisiko darstellen. Offenkundig gehen die politischen, militärischen und ökonomischen Interessen des imperialistischen Bündnisses vor. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt, die Konkurrenz zu Russland und China wird wegen einer Pandemie jedenfalls nicht ausgesetzt.

Der letztlich rein nationale Fokus und mehr oder weniger offen nationalistische oder gar rassistische Charakter der bürgerlichen Rettungspolitik zeigt sich in allen Ländern, weil er ein wesentliches Merkmal des kapitalistischen Systems darstellt – eines von NationalistInnen, die die Interessen ihrer jeweiligen nationalen Kapitale verfolgen – natürlich auch bei der Bekämpfung einer Pandemie.

Dies bedeutet nicht nur Abschottung, es setzt auch der Kooperation zwischen den Ländern, die eigentlich gefordert wäre und zu der sich etliche in Lippenbekenntnissen auch bekennen, enge Grenzen.

So werden z. B. Länder wie Deutschland, Frankreich oder die USA, wie China oder Japan versuchen, die ökonomischen Folgen für ihre Wirtschaft, d. h. für das nationale Gesamtkapital zu begrenzen. Sie mögen sogar versuchen, die Auswirkungen auf strategisch wichtige Teile der ArbeiterInnenklasse z. B. in der Exportindustrie durch Kredite, Konjunkturprogramme, KurzarbeiterInnengeld zu begrenzen, damit sie bei einer in der Ferne liegenden, zukünftigen „Erholung“ schneller als die Konkurrenz sind und diese aus dem Feld schlagen können.

Diese Möglichkeiten haben jedoch nur wenige Länder, d. h. die Großmächte und ökonomisch stärkeren Länder der imperialistischen Blöcke. Selbst für die entwickelteren Halbkolonien, sog. Regionalmächte, bestehen diese Reserven kaum. Sie sind schon jetzt von der globalen Wirtschaftskrise viel stärker betroffen – und damit sind ihre Möglichkeiten zur Bekämpfung einer Pandemie erst recht viel beschränkter.

So wie alle anderen globalen Probleme und Krisen trifft wahrscheinlich auch das Coronavirus, sollte es sich weiter ausbreiten, diese um ein Vielfaches härter als alle anderen. Die Entwicklung im Iran verdeutlicht das.

Die Stellung der einzelnen Länder in der globalen Arbeitsteilung bestimmt maßgeblich, welche Möglichkeiten ihre Gesundheitssysteme haben, die Verbreitung der Krankheit zu verzögern und ihre Auswirkungen zu bekämpfen. Eine Politik der nationalen Abschottung bedeutet freilich, dass die Halbkolonien auf ihre eigenen geringeren Ressourcen zurückgeworfen sind – Ressourcen, die geringer sind, weil im Rahmen der imperialistischen Weltordnung ebendiese über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte ausgeplündert wurden, weil deren Ökonomien vom Kapital der Großmächte bestimmt sind.

Klassenfrage im Gesundheitswesen

Pandemien können und werden natürlich in allen Gesellschaftsformationen auftreten. Auch eine zukünftige klassenlose Gesellschaft könnte dagegen keine Garantie abgeben. Im bürgerlichen System spiegelt freilich die Form der Bekämpfung den Klassencharakter der Gesellschaft selbst wider.

Die nationale Abschottung basiert letztlich darauf. Sie stellt ein enormes Hindernis für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Pandemie, bei der Erforschung von Impfstoffen, ja selbst bei der Umsetzung von Schutzmaßnahmen dar.

Sie ist aufs Engste mit dem privaten, kapitalistischen Charakter der Produktion und der Forschung selbst verbunden. Schließlich stellen alle Produkte, die zum Schutz der Bevölkerung und zu medizinischen Tests dienen sollen (Desinfektionsmittel, Test-Kits, …) ebenso wie die Entwicklung von Impfstoffen durch Pharmakonzerne für das Kapital Mittel der Bereicherung, zur Profitmacherei dar.

Daher soll bei aller „Kooperation“ auch das Geschäftsgeheimnis der Konzerne gewahrt werden. Wer zuerst ein Gegenmittel entwickelt, dem winkt im globalen Kapitalismus ein gigantischer Monopolprofit über Jahre.

Hinzu kommt, dass das Gesundheitswesen längst ein Geschäftszweig wie alle anderen geworden ist. Dass staatliche und durch Sozialversicherungen getragene System selbst mehr und mehr finanziell ausgedünnt, (teil)privatisiert wurden, rächt sich jetzt. Entgegen den Schönwetterreden von Gesundheitsminister Spahn war und ist auch das deutsche Gesundheitssystem nicht auf eine Pandemie vorbereitet. Die Reserven fehlen – und woher sollten sie auch kommen, wenn lt. Berechnungen der Gewerkschaft ver.di allein in Deutschland 162.000 Stellen im Gesundheitswesen, darunter 70.000 in der Pflege fehlen!

Ein Lösungsvorschlag von Spahn: Die Mindestbesetzungsschlüssel für das Personal pro Station sollen aufgehoben werden – im Klartext: Die Beschäftigten sollen pro Schicht mehr PatientInnen betreuen.

Ganz Ähnliches, wenn nicht noch Drastischeres offenbart sich in anderen Ländern. In den USA z. B. hat ein großer Teil der Bevölkerung trotz der „sozialistischen“ Obama-Care keine Krankenversicherung. Selbst einen Virustest muss ein großer Teil der Versicherten aus den eigenen Taschen, dem Selbstbehalt zahlen – sofern überhaupt ein Test-Kit vorhanden ist.

Hier offenbart sich schlagend der Klassencharakter des gesamten medizinischen Systems. Die Gesundheit stellt entweder einen zu reduzierenden Kostenfaktor für das Gesamtkapital in Form des staatlichen Gesundheitswesens dar, oder im privaten Bereich ein Mittel zur Geschäftemacherei wie jedes andere.

Auf der Strecke bleiben die Beschäftigten und PatientInnen – fein abgestuft nach ihrer  Klassenlage in der Gesellschaft. Für die ärmsten Teile der ArbeiterInnenklasse gibt es allenfalls eine „Minimalversorgung“ in den imperialistischen Ländern, in mehr und mehr Halbkolonien erst gar keine. Selbst in Ländern wie den USA bestehen weder Rechtsanspruch noch Versorgungspflicht für unversicherte PatientInnen.

Öffentliches Leben einstellen – Profite sichern

Auch an anderen Stellen offenbart sich der Klassencharakter der Gesellschaft. So schlagen mehr und mehr Regierungen vor, dass Menschen öffentliche Versammlungen, Veranstaltungen meiden. In mehr und mehr Ländern wurden Universitäten, Schulen, Kindergärten, Kultureinrichtungen, Schwimmbäder geschlossen. Mittlerweile werden auch politische Versammlungen und Demonstrationen ab einer gewissen Größe verboten. Auf die damit verbundene Einschränkung demokratischer Rechte kommen wir später zurück.

Bemerkenswert ist aber auch, was aufrechterhalten wird – selbst in Ländern wie Italien. Natürlich braucht es weiter eine Gesundheitsversorgung, Lebensmittelläden usw. Aber die italienische Regierung hat bei der Quarantäneverordnung für die Lombardei und Norditalien auch eine bemerkenswerte Ausnahme vorgesehen. Wo immer möglich soll weiterhin produziert und möglichst normal gearbeitet werden, auch in den verschiedenen anderen Branchen der italienischen Wirtschaft – was die großen Unternehmen ohnehin, ganz ohne die Regierung zu fragen, ihren Beschäftigten diktiert haben.

So lassen nicht nur FIAT (jetzt FCA) und andere weiter produzieren, als ob die Infektionsgefahr beim Arbeiten für die Ausgebeuteten geringer wäre als bei einer Demonstration gegen diese. Migrantische ArbeiterInnen sollen weiter in der extrem ausbeuterischen Arbeit als ErntehelferInnen schuften, wobei viele verzweifelt zu fliehen versuchen.

Bemerkenswert ist aber auch, dass es in etlichen Betrieben zu Arbeitsniederlegungen kam.

„Während in Italien alles unter Corona-Quarantäne steht, müssen die Arbeiter weiterarbeiten, damit der Profit der Unternehmen nicht kleiner wird. Die Beschäftigten von FIAT weigern sich weiterzuarbeiten, nur damit die Profite bleiben, und haben zum Streik aufgerufen“. (Jules El-Khatib auf Twitter am 10. März)

Weitere Streiks gab es auch bei Ikea, auf Schlachthöfen und im Hafen von Genua.

Bemerkenswert an den Kämpfen in Italien ist auch, dass die großen Dachverbände die Regierungspolitik unterstützen, dass die Streiks von Oppositionellen oder kleineren Gewerkschaften organisiert wurden.

Diesen Grundtenor, das öffentliche Leben einzustellen, den Schaden für „unsere“ Wirtschaft, also die Profitmargen der Unternehmen, möglichst gering zu halten, schlägt natürlich auch die deutsche Regierung an. Selbst Konjunkturprogramme und billige Kredite stehen jetzt an – um die Produktion anzukurbeln und Unternehmen zu subventionieren.

Die Beschäftigten können derweil auf KurzarbeiterInnengeld, also weniger Einkommen hoffen. Wer nicht in einer Branche beschäftigt ist, die von (vorübergehenden) Schließungen betroffen ist, oder keiner Beschäftigung nachgeht, die vom Home Office aus erledigt werden kann, wird auch weiterhin zur Arbeit fahren müssen.

Während die herrschende Klasse auf die Unterstützung ihrer Regierung hoffen kann, so wird die Masse der BürgerInnen auf Verzicht und Einschnitte vorbereitet. Auch sie müsse „ihren Anteil leisten“ – als ob die Lohnabhängigen, darunter auch die Risikogruppen wie Alte, Arme, Kranke aus der ArbeiterInnenklasse nicht ohnedies ein höheres Risiko tragen müssten.

Bei den Maßnahmen gegen das Virus setzt der Staat jedoch nicht auf flächendeckende Maßnahmen wie z. B. das Aufstellen von Desinfektionsmitteln in allen öffentlichen Gebäuden und großen Plätzen, kostenlose Tests oder die Herstellung und kostenlose Verteilung von Atemschutz. Selbst bei der Schließung von Kindergärten und Schulen können berufstätige Eltern nicht auf öffentliche Unterstützung rechnen, sie müssen eben selbstständig und privat ihren Anteil leisten.

Klassenpolitik

Wie die obigen Ausführungen zeigen, handelt es sich bei der Ausbreitung des Virus und seiner Bekämpfung nicht nur um ein im engeren Sinn des Wortes medizinisches Problem. Wie die Pandemie eingedämmt, wie rasch und für wen ein Impfstoff verfügbar ist, wer Kosten für die Maßnahmen trägt usw., stellt auch eine gesellschaftliche, eine Klassenfrage dar.

Vor diesem Hindergrund sind alle Maßnahmen der Regierung, die politischen Rechte der ArbeiterInnenklasse, ja der Masse der Bevölkerung, das Streik- und Demonstrationsrecht einzuschränken, äußerst kritisch zu betrachten. Sie müssen abgelehnt werden.

Natürlich wird keine linke Kraft, keine ArbeiterInnenorganisation leichtfertig Versammlungen abhalten, wenn das Anstreckungsrisiko groß ist. Es kann auch durchaus möglich sein, dass es zur Bekämpfung einer Pandemie notwendig wird, die An- und Abreise aus bestimmten Gebieten zu kontrollieren. Die Frage ist aber, wer legt das fest? Staatliche Behörden, bürgerliche, kapitaltreue Regierungen oder aber die ArbeiterInnenbewegung, allen voran die Gewerkschaften.

Damit sich Beschäftige jedoch dazu organisieren können, brauchen sie auch demokratische Rechte, die sie eben während der aktuellen Lage ausüben können. So wären Versammlungen in den Betrieben und Büros sinnvoll, um von ExpertInnen aus dem Gesundheitswesen, die das Vertrauen der ArbeiterInnen und Gewerkschaften genießen – am besten von Gewerkschaftsmitgliedern der Branche – informiert zu werden und auch zu diskutieren, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht.

Einen generellen Einreisestopp oder die Abriegelung der Außengrenzen lehnen wir ab. Vielmehr geht es auch darum, Hilfe für Menschen in Not in der sog. „Dritten Welt“, für die Geflüchteten in Griechenland, der Türkei oder Syrien zu leisten – auch durch die Öffnung der EU-Außengrenzen. Bezüglich möglicher Infizierter mit dem Coronavirus sollten dieselben Regeln wie für andere Infizierte gelten, kostenlose Tests und medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt werden.

ArbeiterInnenkontrolle

Die ArbeiterInnenklasse, Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien müssten eine Kampagne führen für die Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses und aller Forschungsergebnisse der staatlichen und privaten Institute. Sollte ein Impfstoff gefunden werden, muss dieser allen kostenlos zur Verfügung stehen und darf nicht selbst zur Profitmacherei missbraucht werden.

Die privaten Konzerne werden sich mit Sicherheit schon gegen eine solche Forderung wehren, schließlich gefährdet das ihre Profite, ihren eigentlichen Geschäftszweck. Daher muss dies mit dem Kampf für ArbeiterInnenkontrolle und die entschädigungslose Enteignung der Branche verbunden werden.

Der Kampf um ArbeiterInnenkontrolle beschränkt sich jedoch keineswegs auf das Gesundheitswesen. Die streikenden ArbeiterInnen in Italien argumentieren zu recht, dass ihre Gesundheit wichtiger ist als die Profite der Konzerne. Angesichts einer solchen Krise stellt sich außerdem die Frage, welche Arbeiten und Tätigkeiten aufrecht erhalten werden sollen und welche nicht.

Alle Tätigkeiten, die nicht zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung und Gesundheit der Bevölkerung nötig sind – z. B. im Gesundheitswesen, Transport, Feuerwehren, Lebensmittelproduktion, medizinischer Forschung, Kommunikation … – sollten eingestellt werden, die Beschäftigten sollten weiter volle Bezüge erhalten.

Umgekehrt braucht es offenkundig viel mehr Kräfte, die im Gesundheitswesen arbeiten. Aufgrund der Nicht-Ausbildung von Fachkräften über Jahre können natürlich einfach aus dem Boden gestampft werden. Andererseits können sehr wohl Menschen für Hilfstätigkeiten angelernt werden und auch Kapazitäten für Versorgung aufgebaut werden. Hinzu kommt der private, teilweise auf sehr reiche und zahlkräftige PatientInnen ausgelegte Teil des Gesundheitswesens. All diese Kliniken und Kapazitäten müssten in die allgemeine Gesundheitsversorgung integriert, für die Masse der (Kassen)PatientInnen geöffnet werden. Sollten sich die EigentümerInnen dieser Einrichtungen dagegen wehren, müssen sie entschädigungslos enteignet werden.

Für alle Menschen braucht es eine öffentliche Krankenvorsorge, freien und kostenlosen Zugang zu den medizinischen Einrichtungen. Aufenthalte in Krankenhäusern oder in Quarantäne müssen wie normaler Krankenstand von der Versicherung oder vom staatlichen Gesundheitswesen übernommen werden, nicht von den Massen.

Kurzum, es geht darum, den klassenspezifischen Charakter der Maßnahmen von Regierung und UnternehmerInnen aufzuzeigen und ihnen entgegenzutreten. Das kann jedoch nur geschehen, wenn sich die ArbeiterInnenklasse, allen voran die Gewerkschaften nicht als sozialpartnerschaftliche Erfüllungsgehilfin von Kapital und Regierung, sondern als eigene soziale Kraft präsentiert. Der Kampf um ArbeiterInnenkontrolle nimmt dabei ein Schlüsselrolle ein.

Gerade weil Kapital und Regierung auch die Lasten – und damit auch Risiken der Pandemie der Masse aufbürden wollen und werden – darf jene nicht leichtfertig die flächendeckende Einschränkung demokratischer Rechte hinnehmen. Sie muss vielmehr diese mühsam erkämpften Errungenschaften nutzen, um ein wirksames Programm zur Bekämpfung der Pandemie durchzusetzen.

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One thought on “Coronavirus und bürgerliche Politik: Tun, was nötig ist – wirklich?”

  1. Max Graf sagt:

    Späte Einsichten sollten nachwirkende Eindrücke hinterlassen

    Zunächst einmal wird sich an dieser Stelle für den obigen Artikel bedankt. Er spricht dabei genau die Themen an, die nun durch weitere Wahrnehmungen ergänzt werden sollen:

    International betrachtet, zeichnete sich in einigen Ländern des Globus schon recht früh eine nicht nur anfängliche Skepsis gegenüber Eindämmungsmaßnahmen der KP Chinas vor dem „Coronavirus“ ab. Ja selbst dort wurde zunächst mittels Hausquarantäne versucht, „Milde walten zu lassen“ (von der Verfolgung 8 tragender Forscher, die im Vorfeld über das mögliche Ausmaß aufmerksam machen wollten, mal abgesehen).
    Schnell kam doch aber dort die wichtige Einsicht…Absoluter Stillstand.

    Meine Frau beantragte dementsprechend recht früh, Ende Januar, Home-Office hier in Deutschland, da die Entwicklungen in China aus ihrer Sicht ein unglaubliches Ausmaß erreicht hätten. Demzufolge wollte sie, bis auf dringendste Ausnahmen, auch nicht mehr nach draußen gehen.
    Für mich setzte sich hingegen der routinierte Gang zur Arbeit fort. Täglich der Kontakt mit hunderten von Menschen auf engstem Raum. Einen Mundschutz traute ich mich nicht zu tragen. So ganz alleine und daneben noch der unablässige Gedanke daran, was das doch für Blicke und Reaktionen auslöse. Helfen täte er ja sowieso nur bei eigener Erkrankung.
    So besuchte ich stattdessen noch kleinere Kundgebungen, um aus aktuellem Anlass den über 200 Opfern der rechten Szene in den vergangenen 30 Jahren Würde zu erweisen. Stets mit meiner Frau im Rücken, die mir doch aus besagten Gründen immer wieder davon abriet. Sie selbst traue sich nicht raus in die Menschenmengen. Das Anderen zu erklären, war zu diesem Zeitpunkt in Deutschland eine Gratwanderung. Ein Drahtseilakt, damit nicht in die Lächerlichkeit zu geraten, wenn zwar die WHO die Gefahr schon als hoch anerkannte, in vielen einzelnen Ländern, wie in der BRD, aber sogar von „Gesundheitsministern“ selbst, die noch zu diesem Zeitpunkt viel zu niedrige landesbezogene Einstufung für tiefergreifendere Maßnahmen betont wurde. Und was am vorherigen Tag noch völlig absurd geklungen haben mag, war am nächsten, zur „Überwältigung der Massen“, doch schon Realität geworden. Stichwort: stellenweise Lahmlegung des öffentlichen Lebens und deren Folgen.

    Mittlerweile ist der Mundschutz eben auch für mich eine Option.
    Wer einst der „Schnüffelbüchse“ bei asiatischen Personen* noch herablassend gegenübertrat, wird sich nun doch damit anfreunden dürfen, sofern sich früh, mittels langsichtiger „Hamsterkäufe“, Masken ergattern ließen. Und diese Menschen werden damit sicher der asiatischen Community mit mehr Ernsthaftigkeit gegenübertreten, als es schon die letzten Tage und Wochen erfordert hätten.
    Menschen, die Entwicklungen in China und andernorts verfolgen, werden sich dessen bewusst.
    Doch genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Der mediale Blick etwa auf dieses Land bleibt viel zu oft bei Brennpunkten stehen. Eine langfristige, öffentliche und kulturelle Auseinandersetzung beschränkt sich nahezu auf den gemeinsamen Kapitalismus oder Menschenrechtsfragen. Selbst und gerade in diesen Zeiten wird dies deutlich. Das „chinesische Virus“ sei etwa Schuld an der globalen Rezession. Diese zeichnete sich unter anderem bei nur 0,6 % Wirtschaftswachstum in Deutschland aber auch schon im Vorjahr ab und wird nunmehr nur verstärkt. Als wäre nur auf diesen Sündenbock gewartet worden, stürzen sich jetzt endlich alle darauf.

    Beim Thema des Freiheitsbegriffs innerhalb der beiden Systeme China und Deutschland, scheint sich diesbezüglich noch die Frage nach dem jeweiligen Vorrang des Lebens oder des Kapitals, in der Krisensituation zu stellen. Welcher Staat dies wie beantwortet hat, zeigt sich unter anderem in Zahlen von 70.000 unbesetzten, aber benötigten Stellen in einem Sektor wie dem der Gesundheit hierzulande und dessen jetzige Auswirkungen. Und auf der anderen Seite ist da eine Welle der medizinischen und hygienischen Unterstützung vor allem Chinas anzuerkennen, die sich nicht, wie sich derzeit abzuzeichnen scheint, nationalisieren sollte. Einer „Eigenverschuldung“ durch fehlende Ressourcen in Ländern des globalen Südens, muss entschieden entgegengetreten werden. Der Fokus kann nur auf einem respektvollen Umgang miteinander beruhen. Gegenseitiges kulturelles Verständnis etwa, hätte international dazu führen müssen, die Maßnahmen von Anfang an ernst zu nehmen, die in der VR ergriffen wurden und sie schnellstmöglich und vorbereitend, auch hier und in anderen europäischen Ländern miteinander (etwa EU-weit) einzuleiten. Stattdessen wurde unter anderem die „Freiheit der Bewegung“ betont. Ein Schnupfen, mehr sei für junge Menschen ja gar nicht wahrzunehmen, bei COVID-19. Solch eine Aussage, von einer tragenden öffentlichen Persönlichkeit eines hessischen Gesundheitsamts, mit Blick auf das Reich der Mitte und Italien, die zu diesem Zeitpunkt gemeinsam schon erschreckende Zahlen aufwiesen, ist und bleibt grob fahrlässig.
    Späte Einsichten verschaffen dann aber eben doch anscheinend nachwirkende Eindrücke, wenn in nähester Umgebung „plötzlich“ Menschen sterben, Bekannte infiziert werden und dann schlagartig „alle“ die Grenzen dicht machen, wenn sie sich endlich selbst in äußerster Gefahr währen. Wenn dann noch in Bundesländern, die trotzdem, aufgrund des damit tief verbundenen Kapitals, Fußballspiele ausgetragen werden, in jeder Stunde nunmehr 3 neue Ansteckungsfälle hinzukommen, so wird der Notstand bei seinem exponentiellem Wachstum in der Theorie mittlerweile sogar beängstigend. So vieles Weiteres geschieht in der Welt. Und wir schauen doch immer wieder nur auf unseren eigenen Teller, es sei denn, der des Gegenübers schwappt einmal über. Dann ächzen wir nur so danach und halten, wie aktuell, noch mehr Abstand als zuvor.

    Was es derzeit braucht, ist zum einen eine konsequente und flächendeckende Eindämmung. Der so oft betonte „Vorsprung gegenüber Italien“, der mittlerweile schon kaum einer mehr ist, muss zu eindeutigen Tatsachen führen! Schließungen aller nicht elementaren Produktionsstätten und öffentlichen Einrichtungen, bei entsprechender Lohnfortzahlung durch Maßnahmenpakete und letztlich vor allem eine Sensibilisierung für die pandemischen Zustände! Solidarität mit den Unterdrückten und der streikenden ArbeiterInneklasse weltweit, die derzeit noch mehr unter dem ruckartig überreagierenden „Konsumterror“ Einiger leiden. Die innerdeutsche Entwicklung ist, anders als Verkehrsminister Herr Scheuer darauf reagiert, zum Zeitpunkt bei weitem noch nicht so sehr rückläufig, wie es in China bereits der Fall ist. Es ist für viele erst der Anfang der Pandemie und es wird sich erst noch in den nächsten Wochen zeigen, wie ernst die Lage wirklich genommen wird, wer tatsächlich von den Ausgaben der bürgerlichen Regierungen profitieren wird und ob diese Investitionen letzten Endes rückläufige Infektionsraten generieren und auch bei der wieder einmal viel zu lange hintergangenen ArbeiterInnenklasse überhaupt noch greifen können.
    Wir sollten diese offenbarte Schande der gegenseitigen internationalen Anerkennung in einer solchen Krisenzeit nutzen und langfristig voneinander lernen. Wir müssen in diesen neuen Opfern der Mächtigen, das Vertrauen in die Wahrheit wiederherstellen!

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